Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Die heutige Fragestunde ist geteilt. Nach einer Stunde
werde ich die Fragestunde für die Regierungserklärung
mit anschließender Aussprache zur internationalen Af-
ghanistan-Konferenz unterbrechen. Im Anschluss daran
wird die Fragestunde fortgesetzt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Fragestunde
– Drucksachen 17/493, 17/517 –
Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10
Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die Dringli-
chen Fragen auf Drucksache 17/517 auf.
Es handelt sich zunächst um Fragen aus dem Ge-
schäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Na-
turschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht
die Parlamentarische Staatssekretärin Ursula Heinen-
Esser zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Dringliche Frage 1 des Kollegen
Oliver Krischer auf:
Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung von den ers-
ten Ergebnissen der Auswertung des technischen Berichts,
Rede
über die unter anderem die ARD-Tagesschau am Sonntag,
dem 24. Januar 2010, berichtet hat, wonach der genaue Un-
fallhergang in der Urananreicherungsanlage, UAA, in Gronau
noch immer nicht abschließend geklärt sei, und welche Kon-
sequenzen zieht sie daraus?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Ur
Danke, Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kollege
Krischer, die zuständige atomrechtliche Aufsichtsbe-
hörde für Gronau ist das Ministerium für Wirtschaft,
Mittelstand und Energie in Nordrhein-We
Ministerium hat das Bundesumweltmini
Freitag, dem 22. Januar 2010, von dem Er
Urananreicherungsanlage in Gronau mü
schriftlich unterrichtet. Den Vermerk, den wir darüber
zung
n 27. Januar 2010
4.00 Uhr
erhalten haben, stellen wir Ihnen selbstverständlich gern
zur Verfügung, Herr Krischer.
Nach bisherigen Erkenntnissen wurde am Donnerstag,
dem 21. Januar 2010, um exakt 14.32 Uhr im Raumbereich
„Behältervorbereitung“ – so nennt sich dieser Raum –
Uranhexafluorid aus einem Behälter freigesetzt. In die-
sem Raum sollte ein als leer und ausgewaschen bezeich-
neter, angelieferter Uranbehälter für eine routinemäßig
erforderliche Druckprüfung vorbereitet werden. Beim
Öffnen des Behälterventils kam es dann – jedenfalls nach
ersten Abschätzungen – zur Freisetzung von wenigen
Gramm Uranhexafluorid.
Eine Anlagenbegehung der Aufsichtsbehörde und des
von ihr beauftragten Sachverständigen – das ist der TÜV
Rheinland – hat am Montag, dem 25. Januar 2010, statt-
gefunden. Allerdings muss man darauf hinweisen, dass
man den Raum aus Sicherheitsgründen zurzeit nur für
wenige Stunden und dann auch nur im Schutzanzug und
mit Atemmaske betreten kann, sodass weitere Untersu-
chungsergebnisse voraussichtlich erst am Ende dieser
Woche zu erwarten sind. Diese werden dann Gegenstand
des von der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde angefor-
derten ausführlichen Berichts der Urananreicherungsan-
lage in Gronau sein. Ich sage Ihnen zu: Sobald uns alle
text
Berichte vorliegen, werden wir Sie selbstverständlich
sofort unterrichten.
Herr Kollege Krischer, darf ich Sie bitten, aufzuste-
hen, damit die Zuschauer sehen, wer der Fragesteller ist.
Sie haben das Recht auf zwei Zusatzfragen. Bitte schön.
Herzlichen Dank für den Bericht, Frau Staatssekretä-rin. Ich möchte nachfragen: Wie viel Radioaktivität warfenden Behältnis? Wie viel ist ausgetreten?ntnisse hat man darüber? Ein weiterer ent-unkt ist: Wo hat das falsche Labeling statt-ie konnte es möglich sein, dass im Behälterstfalen. Dassterium ameignis in derndlich undin dem betrefWelche Erkenscheidender Pgefunden? Wradioaktives Material enthalten war?
Metadaten/Kopzeile:
1512 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Januar 2010
(C)
(D)
Ur
Herr Kollege Krischer, die letzte Frage hat auch mich
bei der Vorbereitung für heute sehr interessiert. Wir wis-
sen bis jetzt nicht, ob der Behälter tatsächlich falsch ge-
labelt war. Wir können auch nicht mit hundertprozenti-
ger Sicherheit sagen, dass es tatsächlich der Behälter
war. Deshalb bitte ich Sie, abzuwarten, bis der endgül-
tige Untersuchungsbericht vorliegt, der genau das zum
Gegenstand der Untersuchung hat. Es wird die Frage zu
klären sein, ob der angeblich leere, gewaschene Behälter
schuld war oder ob es vielleicht eine andere Ursache
gab; wobei das wahrscheinlich eher zu vernachlässigen
ist. Der Behälter kam aus Schweden. Das ist, wenn ich
das richtig gesehen habe, einer der Lieferanten für Gro-
nau, was diese Behälter betrifft. Das ist das Erste.
Das Zweite ist: Was die Mengen der Freisetzung an-
geht, kann ich Ihnen keine ganz genauen Mengen nen-
nen. Nach Angaben des Betreibers wurden – nach ersten
Abschätzungen – wahrscheinlich nur sehr wenige
Gramm Uranhexafluorid freigesetzt.
Die Messungen am Kamin des Gebäudes …, in
dem sich die Behältervorbereitung befindet, haben
gezeigt,
– ich zitiere aus dem Bericht, den wir aus Nordrhein-
Westfalen bekommen haben –
dass etwa ein Sechstel des genehmigten Wochenab-
gabegrenzwertes für den Kamin … in die Umge-
bung abgegeben wurde. Eine Dosisbelastung der
Bevölkerung ist daher nicht anzunehmen.
Das ist die Antwort auf die wahrscheinlich folgende
Frage.
Eine weitere Nachfrage, Herr Kollege Krischer? –
Bitte.
Es macht wenig Sinn, weiter nach den konkreten Um-
ständen zu fragen, wenn Sie sagen, dass Ihnen die ent-
sprechenden Erkenntnisse noch nicht vorliegen.
Ich möchte folgende Frage nachschieben: Der betrof-
fene Mitarbeiter ist durch mehrere Krankenhäuser ge-
schleust worden, die letztendlich alle nicht die notwen-
dige Kompetenz haben. Das deutet ja darauf hin, dass
man auf einen Notfall nicht vorbereitet war, obwohl ein
Notfallplan eigentlich vorliegen sollte, bzw. mit einem
solchen Störfall offensichtlich nicht gerechnet wurde.
Ich bitte um Beantwortung der Frage: Warum ist dieser
Mitarbeiter zunächst in die falschen Krankenhäuser
überstellt worden und nicht in eine zuständige Fachkli-
nik?
Ur
Das kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. Der Frage werde
ich aber sehr gerne nachgehen. Das hängt sicherlich da-
mit zusammen, dass bei Kontakt mit Uranhexafluorid
zwei Gefährdungen bestehen: Das ist einmal die Gefähr-
dung durch einen radiologisch gefährlichen Stoff. Das ist
aber auch die Gefährdung durch einen Giftstoff, der zu
Verätzungen führen kann. Der Mitarbeiter ist zurzeit im
Universitätsklinikum Düsseldorf. Wir werden wohl in
der nächsten Woche einen genaueren Bericht von dort
erhalten.
Es gibt eine weitere Frage der Kollegin Kotting-Uhl.
Bitte schön.
Vielen Dank. – Frau Staatssekretärin, es ist mir völlig
klar, dass wir im Moment die situativen Umstände noch
nicht bewerten können, weil wir sie noch nicht richtig
kennen.
Deswegen habe ich noch eine Frage zu den allgemei-
nen Vorsichtsmaßnahmen: Es muss ja allgemeine Si-
cherheitsmaßnahmen geben, die gewährleisten sollen,
dass es zu solchen Zwischenfällen, zu solchen Unfällen
nicht kommt. Welche sind das im Fall dieser Uranfabrik?
Im Anschluss daran frage ich: Warum trug dieser Arbei-
ter offensichtlich keine Schutzkleidung?
Ur
Die letzte Frage kann ich Ihnen nicht beantworten.
Das muss ich nachliefern.
Die erste Frage beantworte ich so: Die Urananreiche-
rungsanlage in Gronau wurde nach einem sehr aufwen-
digen Genehmigungsverfahren genehmigt. Es wurde
festgestellt, dass die Anlage dem Stand der Wissenschaft
und der Technik entspricht, was bedeutet, dass sie wirk-
lich so sicher ist, wie sie sein muss.
Ich darf weiter darauf hinweisen, dass wir drei Kate-
gorien von Ereignissen haben: Kategorie N, normaler
Unfall, Kategorie E, Unfall, der eine Eilmeldung erfor-
dert, und die höchste Kategorie von Störfällen, nämlich
die S-Kategorie. Es handelt sich hierbei nach Einschät-
zung aller Experten um ein „normales“ Ereignis der Ka-
tegorie N. Ich denke, dass da alle Notfallszenarien sehr
vernünftig abgelaufen sind, wobei wir den Fragen, die
auch Ihr Kollege Krischer gerade gestellt hat, insbeson-
dere was die Behandlung in den Krankenhäusern angeht,
natürlich noch einmal sehr genau nachgehen werden.
Ich rufe die Dringliche Frage 2 der Kollegin KathrinVogler von der Fraktion die Linke auf:Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Ur-sache des Unfalls in der UAA in Gronau, bei dem am Don-nerstag letzter Woche – 21. Januar 2010 – ein Arbeiter verletztund mit giftigem, radioaktivem und hochreaktivem Uranhexa-fluorid, UF6, kontaminiert wurde, und welche Schlussfolge-rungen für den weiteren Betrieb der UAA zieht sie aus diesemernsten Zwischenfall?
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Januar 2010 1513
(C)
(D)
Ur
Kollegin Vogler, ich kann ein Stück weit auf die Ant-
wort verweisen, die ich dem Kollegen Krischer gerade
gegeben habe. Vielleicht nur noch so viel, um das deutlich
zu machen: Der Unfall hat sich im Bereich der Behälter-
vorbereitung bei einer sehr routinemäßigen Prüfung eines
Behälters ereignet. Bei dieser Behälterprüfung besteht
kein Zusammenhang mit dem eigentlichen Anreiche-
rungsbetrieb der Urananreicherungsanlage in Gronau.
Darüber hinaus muss ich hier auf den endgültigen Be-
richt der Sachverständigen des TÜVs verweisen, der uns
hoffentlich Ende der Woche, spätestens Anfang nächster
Woche zur Verfügung steht und den wir Ihnen, dem Par-
lament, selbstverständlich direkt zuleiten werden.
Nachfrage, Frau Vogler?
Danke, Frau Staatssekretärin. Es ist ja schon erwähnt
worden, dass der betroffene Mitarbeiter jetzt im insge-
samt vierten Krankenhaus liegt, nachdem die Urenco,
die Betreiberin der Anlage, zunächst einmal hatte ver-
lauten lassen, es gehe ihm gut. Ich war am Sonntag in
Gronau, und es gibt in der Bevölkerung erhebliche Be-
unruhigung und viele Nachfragen, inwieweit man den
Beteuerungen der Urenco über die Harmlosigkeit dieses
Vorfalls Glauben schenken kann und inwieweit die In-
formationspolitik dieses Unternehmens dazu geeignet
ist, den Vorfall schnell und umfassend aufzuklären. Ich
möchte daher an dieser Stelle nachfragen: Wie bewertet
die Bundesregierung die bisherige Kommunikation der
Betreiberfirma in diesem Zusammenhang?
Ur
Die Betreiberfirma hat direkt nach dem Ereignis eine
Pressemitteilung herausgegeben. Gleichzeitig gab es eine
erste vorläufige Untersuchung des Ministeriums für Wirt-
schaft, Mittelstand und Energie des Landes Nordrhein-
Westfalen, welches die entsprechende Aufsichtsbehörde
ist. Wir sind aus Nordrhein-Westfalen direkt, vernünftig,
ausreichend, umfassend mündlich und schriftlich unter-
richtet worden. Den Vermerk dazu habe ich bereits Kol-
legen Krischer zugesagt; auch Sie werden ihn erhalten.
Dann sehen Sie, dass es eine umfangreiche Information
gegeben hat.
Gestatten Sie mir, Herr Präsident, dass ich bezüglich
des Gesundheitszustandes des Mitarbeiters aus einer
Agenturmeldung von gestern zitiere:
Vorläufige Messungen hätten gezeigt, dass der
45-Jährige nur eine „sehr niedrige Dosis“ der radio-
aktiven Strahlung aufgenommen habe, sagte der be-
handelnde Arzt Hubertus Hautzel der Deutschen
Presse-Agentur am Dienstag. Endgültige Ergeb-
nisse wollen die Ärzte der Nuklearmedizinischen
Klinik des Universitätsklinikums Düsseldorf … in
der nächsten Woche präsentieren.
So viel zum Gesundheitszustand des betroffenen Mit-
arbeiters.
Was die Belastung durch den Stoff durch die Kamine
angeht, habe ich vorhin schon ausgeführt, dass es sich
hierbei um eine nur sehr geringe Belastung handelt,
nämlich ein Sechstel des Wochengrenzwertes, sodass es
wohl zu überhaupt keiner Belastung der Bevölkerung
gekommen ist. Die Messgeräte zeigen ja an, welche Be-
lastungen es tatsächlich gibt. Die Belastungen, denen der
betroffene Mitarbeiter ausgesetzt war, lagen, so wurde
uns mitgeteilt, zwischen 1 und 5 Millisievert. 20 Milli-
sievert dürfen Mitarbeiter laut Strahlenschutzverordnung
aushalten; dieser Wert liegt also am unteren Rand.
Alle Fakten zusammengenommen zeigen, dass es sich
hierbei – ich bleibe in der „Kategorie-Sprache“ – um ein
Ereignis der Kategorie N, einen sogenannten „norma-
len“ Unfall, handelt.
Zweite Nachfrage?
Meine weitere Nachfrage bezieht sich auch auf ein
Problem, das mir am Wochenende vorgetragen wurde.
Es gibt sehr große Besorgnis in der lokalen Bevölkerung
hinsichtlich der Beschäftigten in den Krankenhäusern, in
die der Betroffene eingeliefert wurde. Diese sahen sich
wenig informiert darüber, wie sie mit einer solchen Situa-
tion umzugehen haben. Nun ist die UAA nicht erst seit
letzter Woche in Gronau. Das wirft für mich die Frage
auf, inwieweit die Notfallpläne die Beschäftigten in den
Krankenhäusern überhaupt in den Stand setzen, mit so
einem Vorfall umzugehen.
Ur
Ich habe bereits auf die Frage des Kollegen Krischer
geantwortet, dass wir diesem Vorgang sehr genau nach-
gehen werden. Der betroffene Mitarbeiter ist jetzt in der
Nuklearmedizinischen Klinik der Universitätsklinik Düs-
seldorf und dort mit Sicherheit in den besten Händen. Was
die Mitarbeiter in den Krankenhäusern ansonsten angeht,
denke ich, dass wir davon ausgehen können, dass sie alle
entsprechenden Schutzmaßnahmen eingehalten haben.
Es gibt eine weitere Frage des Kollegen Krischer.
Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade ausgeführt,dass die Menge des Materials, das ausgetreten ist, nochgar nicht bekannt ist. Auf der anderen Seite haben Siedargelegt, dass Sie die Strahlenbelastung, die Dosis, dieder Mitarbeiter abbekommen hat, relativ genau definie-ren können. Könnten Sie erläutern, wie es sein kann,dass man einerseits die Dosis sehr genau definieren und
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1514 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Januar 2010
(C)
(D)
Oliver Krischersagen kann, dass sie wahrscheinlich ungefährlich undgering ist – so habe jedenfalls ich Sie verstanden –, an-dererseits aber die Menge, die aus dem Fass, dem Be-hältnis ausgetreten ist, und die Menge, die darin enthal-ten war, gar nicht genau kennt? Das ist ein Widerspruch,den ich nicht verstehe. Hier bitte ich Sie um eine Erläu-terung.Ur
Ich habe vorhin ausgeführt, dass Messungen am Ka-
min des betreffenden Gebäudes durchgeführt wurden;
diese Messungen sind sehr genau. Bei diesen Messungen
am Kamin kam man, wie ich dargelegt habe, auf ein
Sechstel der zulässigen Wochenbelastung. Aus diesen
Messungen am Kamin lassen sich auch Rückschlüsse
auf die freigesetzte Menge ziehen. Weil ich Ihnen keinen
genauen Wert angeben kann, habe ich gesagt: Es handelt
sich um eine Bandbreite zwischen 1 und 5 Millisievert.
Es gibt eine weitere Wortmeldung von Frau Kotting-
Uhl.
Frau Staatssekretärin, an dieser Stelle würde ich gerne
eine Nachfrage stellen. Mir ist klar, dass die Behörden
immer auch bemüht sind, keine unnötige Panik und Un-
ruhe aufkommen zu lassen; dafür habe ich volles Ver-
ständnis. Dennoch haben wir natürlich ein großes Inte-
resse daran, dass nichts verharmlost wird, was im
Hinblick auf diese Uranfabrik leider hin und wieder der
Fall ist.
Der Presse können wir entnehmen, dass die Ärzte
mögliche Spätfolgen nicht ausschließen können. Sie ha-
ben gerade dargelegt, woher Sie wissen, wie viel Radio-
aktivität dort ausgetreten ist. Aber es spielt doch auch
eine Rolle, wie viel dieser Arbeiter zum Beispiel eingeat-
met hat. Man kann nicht allein aus der Tatsache, was im
Kamin gemessen wurde, ableiten, wie stark der Arbeiter
belastet ist. Würden Sie mir zustimmen, dass die Aus-
sage, dass die Strahlenbelastung nur gering ist – diese
Aussage wurde teilweise getroffen –, vielleicht ein biss-
chen verfrüht ist?
Ur
Ich habe Ihnen gesagt, dass es sich um eine sehr große
Bandbreite handelt und ich Ihnen noch keine exakten
Zahlen nennen kann, bevor nicht die Abschlussprüfung
durch den TÜV erfolgt ist. Weil sich die Zahlen über-
haupt noch nicht exakt beziffern lassen, habe ich nur
sehr grobe Angaben gemacht. Ich habe diese Zahlen nur
deshalb genannt, damit Sie eine Vorstellung davon be-
kommen, um welche Größenordnung es geht.
Es ist in der Tat so – vielleicht muss ich meine Ant-
wort auf die Frage der Kollegin Vogler etwas ergänzen –,
dass es hier zwei Probleme gibt, die zur Folge haben,
dass der Mitarbeiter besonders intensiv untersucht wer-
den muss. Erstens geht es um radiologische Gesichts-
punkte, für die weniger die Direktstrahlung als vielmehr
ein direkter Kontakt mit dem Stoff eine Rolle spielt.
Zweitens ist es so – das ist das besonders Gefährliche –,
dass Uranhexafluorid sich zu einem ätzenden Giftstoff
zersetzen kann. Deshalb ist der Mitarbeiter unter ganz
besonderer Beobachtung. Was die exakten Werte und al-
les Weitere angeht, sollten wir den TÜV-Bericht abwar-
ten. Ich hoffe, auch im Interesse der Aufklärung der Be-
völkerung, dass er möglichst bald vorliegt.
Darüber hinaus muss ich Ihnen sagen: Im Dezember
2009 haben Sie zu diesem Thema eine Anfrage gestellt.
In diesem Rahmen sind wir auf einzelne Fragestellun-
gen, die Sie auch jetzt angesprochen haben, sehr aus-
führlich eingegangen.
Eine weitere Frage stellt die Kollegin Arndt-Brauer.
Vielen Dank. – Frau Staatssekretärin, die Firma
Urenco ist in meinem Wahlkreis tätig; deswegen bin ich
mit diesem Thema ganz gut vertraut. Wir müssen, wie
ich denke, zwei Dinge unterscheiden: die Ursache und
die Frage, wie wir damit umgehen.
Die Ursache hat die CDU-Wirtschaftsministerin Thoben
in Schweden entdeckt; das mag richtig sein. Aber es stellt
sich die Frage: Wie gehen wir damit um, wenn etwas pas-
siert, worauf wir selbst keinen Einfluss haben? Wir ken-
nen nur das Ergebnis. Urenco hat vor Ort keine sauberen
Behälter, sondern in irgendeiner Form verunreinigte Be-
hälter. Das, was passiert ist, war katastrophal. Kranken-
häuser, die nicht darauf vorbereitet waren, wurden kon-
sultiert: zunächst Gronau, dann Ochtrup und Jülich, erst
danach Münster.
Gibt es denn konkret das Bestreben, einen neuen Ka-
tastrophenschutzplan zu entwickeln, der etwa vorsieht,
dass die Freiwillige Feuerwehr Gronau, die mit so etwas
umgehen kann, vielleicht stärker eingebunden wird, dass
die Werksfeuerwehr besser ausgebildet wird und dass
vor allem der Transport Verletzter in eine Fachklinik si-
chergestellt wird, ohne andere Menschen etwaig zu ge-
fährden?
Ur
Was den Behälter angeht: Der Behälter wurde wohlaus Schweden nach Gronau geliefert. Wir werden unssehr genau anschauen, was der TÜV-Sachverständigeüber die tatsächlichen Ursachen sagt. Auch wenn dieWahrscheinlichkeit, dass es an dem Behälter lag, hochist, bin ich zum jetzigen Zeitpunkt vorsichtig damit, ein-fach zu sagen: Das ist der Behälter gewesen. – Das mussder Sachverständige beurteilen.Ich habe schon darauf hingewiesen, dass der Sachver-ständige nicht rund um die Uhr arbeiten kann, weil derRaum zurzeit nur mit Schutzanzug etc. betreten werden
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Januar 2010 1515
(C)
(D)
Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esserkann. Den Bericht des Sachverständigen bekommen Sie,wenn er vorliegt, sofort zur Verfügung gestellt. Dannwerden wir uns auch die Notfallpläne sehr genau an-schauen.Ich will aber noch einmal darauf verweisen, dass derUnfall nicht in der Urananreicherungsanlage selbst ge-schehen ist, sondern in einem sogenannten Vorberei-tungsraum und dass eine umfangreiche Sicherheitsprü-fung der gesamten Anlage bei ihrer Genehmigungvorgenommen worden ist.
Jetzt haben wir eine weitere Frage des Kollegen
Dr. Ott von den Grünen.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Staatssekretärin,
wir haben Tickermeldungen vorliegen, dass der Boden
in dem Raum mit 170 Becquerel belastet war. Haben Sie
Informationen darüber, ob das richtig ist und ob man da-
von auf die Belastung der Raumluft rückschließen kann?
Ur
Ich habe noch keine solchen Meldungen vorliegen, je-
denfalls keine bestätigten. Das ist auch nicht Teil des Be-
richts, den wir aus Nordrhein-Westfalen als ersten Be-
richt bekommen haben. Auch hier muss ich noch einmal
darauf verweisen, dass der TÜV-Bericht, aus dem her-
vorgehen wird, wie die Belastung genau aussieht, wohl
zum Ende der Woche vorliegen wird. Dass es noch eine
Belastung gibt, sehen wir auch daran, dass der Sachver-
ständige in dem Raum tatsächlich nur sehr vorsichtig ar-
beiten kann.
Vielen Dank. – Dann kommen wir zur Dringlichen
Frage 3 der Kollegin Vogler:
Welche Gefahren für die Beschäftigten und die Bevölke-
rung des Münsterlandes bestehen durch den Betrieb der UAA
in Gronau und insbesondere durch die Atomtransporte durch
die Region?
Ur
Kollegin Vogler, die Frage nach Gefahren für die Be-
schäftigten und die Bevölkerung habe ich zum Teil
schon mit beantwortet. Ich habe schon mehrfach darauf
verwiesen, dass der Endausbau der Urananreicherungs-
anlage in Gronau am 14. Februar 2005 genehmigt wor-
den ist. Sowohl das Bundesumweltministerium als auch
das Land Nordrhein-Westfalen sind zu dem Ergebnis ge-
kommen, dass die Anlage hinsichtlich der sicherheits-
technischen Auslegung und des sicheren Betriebs den
nach Stand von Wissenschaft und Technik zu stellenden
Anforderungen entspricht.
Die Messungen am Kamin des Gebäudes, in dem sich
die Behältervorbereitung befindet, haben gezeigt – da-
rauf habe ich schon mehrfach verwiesen –, dass im Zu-
sammenhang mit dem Ereignis etwa ein Sechstel des ge-
nehmigten Wochenabgabegrenzwertes für diesen Kamin
in die Umgebung abgegeben wurde. Eine Dosisbelas-
tung der Bevölkerung und der Umwelt ist daher nicht an-
zunehmen. Die Messwerte der Umgebungsüberwachung
– das habe ich vorhin noch nicht gesagt – zeigten nach
Angabe der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde erwar-
tungsgemäß keinerlei Auffälligkeiten.
Nachfrage? – Bitte.
Danke. – Frau Staatssekretärin, ich bin nicht der Auf-
fassung, dass die Frage, die ich gestellt habe, damit voll-
ständig beantwortet ist.
Zum Betrieb der Urananreicherungsanlage gehört
nämlich eine erhebliche Zahl von Atomtransporten, die
Monat für Monat durch unsere Region rollen und die für
ebenso viel Beunruhigung – berechtigte Beunruhigung –
und Besorgnis in der Bevölkerung sorgen. Auf diesen
Punkt sind Sie jetzt gar nicht eingegangen. Meine Frage
ist also: Wie bewertet die Bundesregierung eigentlich
die Gefahren, die von diesen regelmäßigen Atomtrans-
porten durch unsere Region ausgehen, und was tun Sie,
um die Bevölkerung zu schützen?
Ur
Dazu gibt es eine Antwort der Bundesregierung aus
dem Mai 2007 auf eine Kleine Anfrage Ihrer Fraktion.
Ich möchte Sie bitten, sich diese Antwort noch einmal
genau anzuschauen. Da finden Sie auch unsere Stellung-
nahme zum Thema Transport.
Frau Vogler, Sie haben das Recht zu einer weiteren
Nachfrage.
2007 war eine andere Bundesregierung im Amt, die
die Antwort auf diese Anfrage zu verantworten hatte. Er-
freut höre ich, dass Sie es genauso sehen.
Ur
Wir haben die wenigen Monate nicht genutzt, um die
gesetzlichen Grundlagen zu ändern. Deshalb zitiere ich
gerne aus der Antwort vom Mai 2007.
Gut. Dann stelle ich jetzt eine Nachfrage, die sichspezifisch an die neue Bundesregierung richtet. Ichmöchte gerne wissen, ob die Bundesregierung ange-
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1516 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Januar 2010
(C)
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Kathrin Voglersichts des erneuten Zwischenfalls in der Urananreiche-rungsanlage, dem bereits Zwischenfälle im Septemberund Dezember letzten Jahres vorausgegangen sind, nichtbereit ist, ihre Position zu überdenken, die Laufzeitender Atomkraftwerke und damit auch die Betriebszeit undAuslastung der Urananreichungsanlage in Gronau zuverlängern bzw. auszuweiten. Ich glaube, das wäre auchfür die Menschen in der Region interessant zu wissen.Ur
Wie Sie wissen, ist das Thema Laufzeitverlängerung
Teil des Energiekonzepts, an dem zurzeit das Umweltmi-
nisterium und das Wirtschaftsministerium arbeiten und
das im Herbst dieses Jahres vorliegen wird. Überlegun-
gen zu Laufzeitverlängerungen sowie all das, was Sie
genannt haben, werden in dieses Konzept einfließen.
Es liegt eine Frage der Kollegin Arndt-Brauer vor.
Nach der Erweiterung der Urananreicherungsanlage
ist ein Erdwall aufgeschüttet worden. Hinter dem Erd-
wall – nicht sichtbar, aber ohne Dach – werden befüllte
und unbefüllte Behälter gelagert. Ist es nach diesem Un-
fall nicht sinnvoll, über die Lagerung nachzudenken,
weil das, was in den Behältern ist, vielleicht nicht der
Deklaration entspricht, von dieser Art der Lagerung also
vielleicht eine größere Gefährdung der Bevölkerung aus-
geht, als man vorher erwarten konnte?
Ur
Wir warten die Fertigstellung des TÜV-Berichts ab.
Ich denke, das ist vernünftiger, als jetzt zusammen mun-
ter Spekulationen zu äußern. Es handelt sich nur noch
um wenige Tage, bis der Bericht fertiggestellt ist. Ich
denke, wir haben dann Gelegenheit, entweder im Aus-
schuss oder hier im Plenum, in der Fragestunde, ausführ-
lich darüber zu beraten. Das Hauptproblem beim Um-
gang mit Uranhexafluorid ist, wie gesagt, nicht die
Direktstrahlung, sondern der Kontakt zum Stoff.
Es liegt eine Frage des Kollegen Krischer vor.
Vielen Dank. – Wenn meine Informationen stimmen,
hat das System zur automatischen Meldung von Radio-
aktivität in dem Raum nicht angeschlagen. Vielmehr ist
der Mitarbeiter, der das Behältnis geöffnet hat, in einen
Nachbarraum gegangen und hat dort einen Mitarbeiter
informiert. Erst dann ist der Alarm ausgelöst worden.
Meine Frage ist: Ab welcher Strahlenbelastung müsste
ein solcher Alarm in diesem Raum eigentlich ausgelöst
werden?
Ur
Kollege Krischer, das kann ich Ihnen leider nicht be-
antworten; ich muss es nachliefern. Ich zitiere aus dem
Bericht des Landes Nordrhein-Westfalen. Dort heißt es
in der Tat:
Die Freisetzung wurde von einem in dem betreffen-
den Raum arbeitenden weiteren Mitarbeiter be-
merkt und telefonisch sofort die Werksfeuerwehr
und die Warte informiert.
Außerdem heißt es:
Die Monitore der Raumluftüberwachung haben an-
gesprochen und die Störfalllüftung wurde einge-
schaltet.
Es hat also einen Automatismus gegeben. Alles Wei-
tere werden wir dem TÜV-Bericht entnehmen.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Wir kommen
dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales. Für die Beantwortung steht der Par-
lamentarische Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel zur
Verfügung.
Wir kommen zur Dringlichen Frage 4 der Kollegin
Dr. Barbara Höll:
Wie viele Hartz-IV-Empfänger – in absoluten Zahlen und
prozentual von allen – sind von der laut Presseberichten vom
Wochenende im Januar 2010 nicht korrekt berücksichtigten
Kindergelderhöhung bei der Ermittlung der Leistungshöhe
betroffen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
H
Frau Kollegin Dr. Höll, Ihre Frage nimmt Bezug aufPresseberichte. In diesen Presseberichten ist die Redevon einer nicht korrekt berücksichtigten Kindergelder-höhung. Bezogen auf diese Formulierung beantworte ichdie Frage so: Es hat keine Betroffenen gegeben.Mit der jetzigen Änderung der Bescheide erfolgt dieim Zehnten Buch Sozialgesetzbuch verankerte Anpas-sung an die geänderten Verhältnisse. Hierbei handelt essich um eine völlig korrekte Berücksichtigung. In sämt-lichen Leistungsbescheiden ist das Kindergeld in der je-weils geltenden gesetzlichen Höhe korrekt als Einnahmeberücksichtigt worden.Eine nachträgliche Änderung der Bescheide ist auf-grund der späten Verabschiedung des Wachstumsbe-schleunigungsgesetzes notwendig geworden. Die Verab-schiedung dieses Gesetzes ist bekanntlich in sehr kurzerZeit gelungen, nämlich bereits kurz nachdem diese Ko-alition die Arbeit aufgenommen hatte.Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, in dem dieKindergelderhöhung geregelt ist, wurde am 30. Dezem-ber 2009 im Bundesgesetzblatt verkündet. Vor diesemZeitpunkt war es nicht möglich, eine Korrektur der Be-scheide für Januar oder eine geänderte Auszahlung der
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Januar 2010 1517
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim FuchtelLeistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts durchdie Bescheide zu realisieren. Das Bundesministerium fürArbeit und Soziales hatte auch ausdrücklich davon abge-sehen, vor Verkündung des Gesetzes Änderungen derLeistungshöhe zulasten der Leistungsbezieher zuzulas-sen. Die jetzige Anpassung entspricht damit vollständigder Rechtslage.
Eine Nachfrage, Frau Höll.
Danke, Herr Staatssekretär. – Darf ich Ihre Beantwor-
tung meiner Frage so verstehen, dass die Kindergeld-
erhöhung für alle Kinder und Jugendlichen, deren Eltern
Hartz IV beziehen, ausgezahlt wurde? Es ist also meine
Frage zu beantworten, ob diese Erhöhung zu 100 Pro-
zent ausgezahlt worden ist. Muss dies jetzt zu 100 Pro-
zent korrigiert und das Geld zurückgeholt werden? Ist
das richtig?
H
Das wird durch einen Änderungsbescheid korrigiert.
Ob im Einzelnen eine Rückholbarkeit gegeben ist, hängt
von der jeweiligen Situation ab.
Eine weitere Nachfrage, Frau Höll.
Herr Staatssekretär, ich möchte jetzt noch eine Frage
zu der Ursache und zu Ihren Schlussfolgerungen stellen.
Die Ursache liegt also darin, dass das Ministerium bzw.
die Bundesregierung bewusst entschieden hat, dass die
Bescheide nicht im Voraus korrigiert werden. Es hätte ja
auch sein können, dass Sie dem Vorschlag der Linken
folgen würden, die ja beantragt hatten, gleich die Nicht-
anrechnung der Kindergelderhöhung zu verabschieden.
Die Korrektur der Bescheide, die Sie jetzt beschrie-
ben haben, soll im Januar erfolgen. Gilt im Februar dann
noch die alte Situation, sodass die Kindergelderhöhung
de facto noch zu 100 Prozent ausgezahlt wird, oder
nicht?
H
Es ist folgendermaßen: Zunächst einmal kann wäh-
rend des laufenden Bezugs keine Rückforderung der
Gelder erfolgen, die durch die ergangenen Bescheide ge-
währt wurden. Das kann nur dann der Fall sein, wenn
sich die entsprechende finanzielle Situation ändert, näm-
lich zum Beispiel durch die Rückkehr in die Erwerbstä-
tigkeit. Es ist auch nicht möglich, dass hier eine Auf-
rechnung erfolgt.
Somit sind die Bescheide zunächst einmal Ausdruck
der Rechtslage, und die Erstattung des überzahlten Be-
trages erfolgt dann, wenn die Vermögens- und Einkom-
mensverhältnisse das zulassen.
Es gibt eine weitere Nachfrage. Kollegin Mast.
Herr Staatssekretär, können Sie eine Aussage darüber
treffen, wie hoch die Verwaltungskosten dafür sein wer-
den, die Rückforderungsbescheide im Zusammenhang
mit der Anrechnung der Erhöhung des Kindergeldes um
20 Euro auszusenden und die entsprechenden Gespräche
zu führen? Insgesamt geht es ja ungefähr um
2,2 Millionen Kinder und 1,3 Millionen Bedarfsgemein-
schaften.
Da der Normenkontrollrat eine Grenze von 50 Euro
proklamiert, unterhalb welcher es sich nicht lohnt, Rück-
forderungen zu stellen, stellt sich schon die Frage, wieso
Sie an dieser Stelle keinen anderen Weg gegangen sind.
H
Zur Zahl der betroffenen Bedarfsgemeinschaften darf
ich hier noch einmal Folgendes darstellen: Wir nehmen
an, dass es circa 1,3 Millionen Bedarfsgemeinschaften
gibt, bei denen Kindergeld als Einnahme anzurechnen
ist. Wegen des unterschiedlichen Beginns des Bewilli-
gungszeitraums – die Bewilligungen, um die es geht,
sind in etwa ab August, also über ein halbes Jahr hin-
weg, erteilt worden – ist davon auszugehen, dass circa
1,1 Millionen Bedarfsgemeinschaften betroffen sind.
Die Abwägung der Kosten-Nutzen-Relation und die Be-
rücksichtigung der zu erwartenden Verwaltungskosten
haben zu der Entscheidung geführt, die ich vorgetragen
habe.
Jetzt folgt eine Frage der Kollegin Haßelmann von
den Grünen.
Vielen Dank, Herr Präsident! – Herr Staatssekretär,
habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie davon ausge-
hen, dass bei 1,1 Millionen der 1,3 Millionen Bedarfsge-
meinschaften, an die möglicherweise eine zu hohe Zah-
lung erfolgt ist, eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist?
H
Diese Einzelfallprüfung ist nicht sehr schwierig. Esgeht um eine einzige Position. Dadurch lässt sich dieKorrektur mit einem Verwaltungsaufwand realisieren,der in der Relation als sinnvoll erachtet wird.Sie dürfen bei all dem nicht vergessen, dass eine vier-jährige Rückforderungsfrist besteht. Das ist ein Zeit-raum, in dem sehr viele Bedarfsgemeinschaften wiederfinanziell stärker werden und in der Lage sind, dieseZahlungen zu erbringen.
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1518 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Januar 2010
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim FuchtelEs ist auch im Interesse der Gemeinschaft der Steuerzah-ler, dass solche Forderungen realisiert werden müssen.
Jetzt hat die Kollegin Krellmann eine Frage.
Ich muss nachfragen, damit ich den Menschen in mei-
ner Region, die davon möglicherweise betroffen sind,
keine falschen Informationen weitergebe. Bei mir ist an-
gekommen, dass die Betroffenen die 20 Euro, die sie
formal zu viel erhalten haben, nicht zurückzahlen müs-
sen und einen neuen Bescheid bekommen werden, aus
dem hervorgeht, dass sie zukünftig diese 20 Euro nicht
mehr zahlen müssen. Ist das richtig?
H
Nein, das ist nicht richtig. Insofern ist es gut, dass Sie
nachgefragt haben. Denn wir wünschen verständlicher-
weise nicht, dass falsche Informationen weitergegeben
werden.
Die Bescheide werden die Korrektur ab Jahresbeginn
beinhalten, die Rückzahlungen werden auf der Basis des
geltenden Rechts umgesetzt, das heißt, wenn die finan-
zielle Möglichkeit dazu besteht.
Darf ich noch eine Nachfrage stellen?
Leider nein. Sie müssen sich wieder hinten anstellen.
Jetzt folgt nämlich der Kollege Lehrieder.
He
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Warum sind vor dem Inkrafttreten des Gesetzes
keine Änderungen in den Bescheiden zur Vermeidung
der Überzahlungen möglich gewesen?
H
Um der Rechtslage Rechnung zu tragen, hat die Bun-
desregierung gegenüber der Bundesagentur für Arbeit
ausdrücklich darauf geachtet, dass keine vorzeitigen Re-
duzierungen in den Bescheiden vorgenommen wurden.
Die nächste Frage stellt Frau Kollegin Lösekrug-
Möller.
Herr Staatssekretär, wir sind beide schon eine Weile
Abgeordnete des Deutschen Bundestages, und Sie haben
schon viele Pflichten im Haushaltsausschuss erfüllt. Ich
erinnere mich an einen Jahreswechsel, zu dem die Große
Koalition aus guten Gründen ebenfalls eine Kindergeld-
erhöhung vorgenommen hatte. Auch seinerzeit waren
Bescheide über Grundsicherung respektive Sozialgeld
ergangen, und man hatte in einer klugen Entscheidung
darauf verzichtet, alle neu zu bescheiden, und zwar nicht
nur wegen des damit verbundenen hohen Verwaltungs-
aufwandes, sondern auch deshalb, weil man vermuten
musste, dass die Hilfeempfänger in gutem Glauben das
Sozialgeld bzw. die Grundsicherung zur Bestreitung der
Kosten des Alltags verwendet hatten. Können Sie sich
an diesen Vorgang erinnern? Er liegt circa ein Jahr zu-
rück.
H
Frau Kollegin, ich kann mich daran erinnern. Sie neh-
men bewusst auf meine frühere Tätigkeit im Haushalts-
ausschuss Bezug. Ich kann bestätigen, dass im Jahre
2009 die Übergangsfragen gemäß einer entsprechenden
Regelung so beantwortet wurden, dass keine Rückzah-
lungen zu erbringen waren. Das hat man diesmal nicht
gemacht.
Jetzt noch eine Frage von Frau Krellmann, bitte.
Ich stelle die Frage: Warum kann die Bundesregie-
rung darauf nicht verzichten? Es liegt doch auf der
Hand, dass die Verwaltungskosten der Überprüfung in
den nächsten vier Jahren, ob die Betreffenden wieder in
Arbeit gekommen sind und gegebenenfalls eine Rück-
zahlung leisten müssen, höher sind als die Kosten, die
durch einen kompletten Verzicht entstehen. Da Sie schon
einmal auf Rückzahlungen verzichtet haben, schlage ich
vor: Tun Sie es auch diesmal!
H
Die entscheidende Frage ist in der Tat, wie man hier
grundsätzlich vorgehen möchte. Es ist richtig, dass ein-
mal darauf verzichtet wurde. Aber die Berechnungen ha-
ben auch ergeben, dass die Summe, die zurückfließen
wird, weitaus höher sein wird als die Verwaltungsausga-
ben, die hier getätigt werden müssen. Ich darf auch da-
rauf hinweisen, dass es viele Menschen gibt, die bereit
sind, die erhaltenen Zahlungen, die höher sind als das,
was sie hätten erhalten sollen, freiwillig, also ohne
Zwang, zurückzuzahlen. Dies muss berücksichtigt wer-
den, wenn man sich diesem Fragenkomplex zuwendet.
Nun hat Kollegin Keul von den Grünen eine Frage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär,haben Sie bei der Bemessung der Verwaltungskostenauch die Ausgaben für die Prozesskostenhilfe und zu-sätzliche Richterstellen bei den Sozialgerichten berück-sichtigt? Schließlich haben bereits namhafte Sozialrecht-ler, unter anderem der ehemalige Präsident desDeutschen Anwaltvereins, Hartmut Kilger, öffentlich da-rauf hingewiesen, dass Klagen der Betroffenen, denen
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Januar 2010 1519
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(D)
Katja Keuldie Gelder aufgedrängt wurden, wegen Entreicherungzulässig und begründet sein könnten.H
Das betrifft die fünfte Dringliche Frage. Herr Präsi-
dent, ich weiß nicht, ob ich dazu bereits Stellung nehmen
soll.
Nehmen Sie ruhig Stellung.
H
Es ist ein völliger Rechtsirrtum, wenn gesagt wird,
dass § 818 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches hier
greife. Dies wird zwar immer wieder behauptet, ent-
spricht aber überhaupt nicht dem Stand der herrschenden
Meinung. Zudem beinhaltet das Sozialrecht hierfür ei-
gene Vorschriften. Es wird kein Bezug auf das BGB und
den Entreicherungsparagrafen genommen. Deswegen
gehen Klagen, die damit begründet werden, ins Leere.
Daher wird sicherlich keine Prozesskostenhilfe, die eine
Vorprüfung verlangt, ob ein Prozess erfolgreich geführt
werden kann, gewährt werden.
Die letzte Zusatzfrage zur Dringlichen Frage 4 stellt
Frau Kollegin Mast.
Herr Staatssekretär, ich habe noch einmal eine Frage
zum Verhältnis von Verwaltungskosten zu den Gesamt-
kosten, die durch das zu hoch ausbezahlte Kindergeld
entstanden sind, und möchte von Ihnen ganz konkrete
Zahlen wissen. Wie hoch kalkulieren Sie die Verwal-
tungskosten für diese Rückforderungen, und wie hoch
sind die Gesamtkosten des überzahlten Kindergeldes?
H
Frau Kollegin, auf diese Frage stellte ich Ihnen gern
schriftlich etwas dar, weil man dazu einige weitere Aus-
führungen machen muss. Dies kann hier im Augenblick
auf die Schnelle nicht geschehen.
Dann kommen wir zur dringlichen Frage 5 der Kolle-
gin Dr. Höll:
Teilt die Bundesregierung die juristische Schlussfolge-
rung, dass eine Rückzahlung der nicht korrekt berücksichtig-
ten Kindergelderhöhung in den Hartz-IV-Bescheiden unter
Berufung auf § 818 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches
vermieden werden kann, und, wenn nein, wie soll eine Kor-
H
Diese Frage nimmt ebenfalls auf die angesprochenen
Presseberichte Bezug, und deswegen muss ich auch
diese Frage bezüglich der korrekten Berücksichtigung
der Kindergelderhöhung mit Nein beantworten.
Die rechtliche Behandlung der Überzahlung hat wie
folgt zu erfolgen – ich habe dies vorhin schon einmal re-
feriert –: Die Bescheide sind für den Monat Januar sowie
für die weiteren Monate, für die die Leistungen unter
Berücksichtigung des alten Kindergeldbetrages ermittelt
wurden, teilweise zu ändern. Dies erfolgt durch einen
Aufhebungsbescheid nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 des
Sozialgesetzbuches X. Für die im Januar überzahlten
Leistungen ist ein Erstattungsbescheid nach § 50 Abs. 1
des Sozialgesetzbuches X zu erlassen. Die Regelung des
§ 818 Abs. 3 BGB gilt nicht; das habe ich zuvor schon
ausgeführt. Daher kann die Bundesregierung die in der
Frage wiedergegebene Auffassung nicht teilen.
Nachfrage, Frau Höll.
Herr Staatssekretär, Sie merken ja, dass auch wir Ab-
geordneten das nicht ganz verstehen. Nun muss man ein-
mal in Rechung stellen, dass es für jemanden, der
Hartz IV bezieht, ebenfalls relativ schwierig sein dürfte,
wenn Aufhebungsbescheid, Erstattungsbescheid usw.
mehrmals hin- und hergehen. Deshalb möchte ich wirk-
lich noch einmal nachfragen.
Die Überzahlung erfolgte im Monat Januar; ab die-
sem Monat ist sie teilweise wieder aufgehoben. Ich habe
immer noch nicht verstanden, wann es aufgehoben wird
und wann nicht. Es heißt, ab Februar erfolgt keine Über-
zahlung. Dann bekommen die betroffenen Familien ei-
nen Erstattungsbescheid, der über vier Jahre gilt. Das
heißt, in Bezug auf das Geld, das Sie nicht aus den lau-
fenden Lebenshaltungskosten zurückverlangen, sind die
Familien verpflichtet, diese „Überzahlung“ zurückzu-
zahlen, sobald sich ihre finanzielle Situation verändert
hat.
Angesichts dessen beziffern Sie die Kosten. Wenn
man die Zahlen kennt, wenn man weiß, wie viele Men-
schen leider langzeitarbeitslos sind und über Jahre im
Hartz-IV-Bezug sind, gerade Alleinerziehende mit Kin-
dern, und wenn man weiß, dass Experten von Bearbei-
tungskosten pro Fall von etwa 80 Euro ausgehen, wie
kann man dann annehmen, dass Sie nur über einen Mo-
nat reden? Um die Kosten hereinzuholen, müssten schon
vier Kinder in der Familie betroffen sein. Sie sagen, die-
ser ganze bürokratische Aufwand und die Bestrafung der
Familien – letztendlich kommt es bei ihnen so an – lohne
sich und Sie erhöben damit wesentlich mehr als die da-
mit verbundenen Verwaltungskosten. Dies ist mir immer
noch nicht durchschaubar. Vielleicht könnten Sie mir an
dieser Stelle noch einmal helfen.
H
Ich versuche noch einmal, hier wirklich zu helfen.
Gerne.
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1520 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Januar 2010
(C)
(D)
H
Zunächst gehe ich davon aus, dass der Fall so liegt:
Im Januar kam es zu der Überzahlung, im Februar mög-
licherweise auch noch einmal. Dies ist davon abhängig,
wie schnell die Änderungsbescheide ergehen, also die an
der gesamten Abwicklung beteiligten Personen und In-
stitutionen in der Lage sind, die Änderungen vorzuneh-
men. Dann erfolgt der Änderungsbescheid. In diesem
Bescheid steht, welcher Zahlbetrag ab Januar gilt und
dass für die Zeit ab Januar der überzahlte Betrag zurück-
zuleisten ist. Diese Rückleistung kann aber nicht vom
Laufenden genommen werden, sondern sie kann erst
dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn eine andere
Vermögens- und Einkommenssituation besteht. Inner-
halb der nächsten vier Jahre wäre eine entsprechende
Maßnahme noch möglich.
Zweite Nachfrage, Frau Höll.
Herr S
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sind Sie der Meinung, dass
diese kleine Geldleistung im Januar und eventuell Fe-
bruar gerade für die Kinder und Jugendlichen, die finan-
zielle Hilfe nötig haben, zu viel ist und die Bundesregie-
rung deshalb die Mitarbeiter der Bundesagentur für
Arbeit mit der Erstellung von Rückforderungsbeschei-
den und mit Widerspruchsverfahren, die zu erwarten
sind, beschäftigen muss? Sind Sie der Meinung, dass das
sozialpolitisch richtig ist?
H
Hier geht es darum, dass eine zu viel erhaltene Leis-
tung wieder zurückgezahlt werden soll. Dies wird in al-
len vergleichbaren Fällen, die wir im Sozialrecht und
auch im Rentenrecht kennen, ebenfalls so gehandhabt.
Daher ist es auch in diesem Fall ein Gebot rechtsstaatli-
chen Handelns, dass man an dieser Haltung festhält.
Kollegin Mast hat eine Frage.
Herr Staatssekretär, wir hatten gerade eben die Mög-
lichkeit, uns auf die letzte Legislaturperiode zurückzube-
sinnen, als auch eine Kindergelderhöhung anstand. Da-
mals waren wir in einer Großen Koalition, und Sie
waren der verantwortliche Haushälter für den Haushalt
der Bundesagentur für Arbeit. Wir haben seinerzeit eine
Übergangsregelung von Januar bis Mai 2009 als poli-
tisch sinnvolles Instrument eingeführt. Das wäre die eine
politische Möglichkeit gewesen, wenn man das Problem
hätte lösen wollen. Aber es gibt noch ein weiteres Instru-
ment, mit dem man das Problem politisch lösen könnte,
damit es nicht zu überdimensionierten Verwaltungskos-
ten kommt, nämlich das Instrument der Generalstun-
dung. Meine Frage lautet: Ist Ihnen bekannt, dass es die-
ses Instrument gibt, und ziehen Sie in Erwägung, das
Problem mit diesem Instrument zu lösen?
H
Mir ist natürlich bekannt, dass es Stundungsmöglich-
keiten gibt. Aber ich sage Ihnen nochmals, dass auf-
grund der Tatsache, dass keine Übergangsregelung ge-
troffen wurde, eine eindeutige Festlegung erfolgt ist, wie
der Sachverhalt zu behandeln ist. Nach dieser Festle-
gung ist die Änderung des Bescheids die Grundlage, und
danach wird verfahren.
Jetzt hat die Kollegin Haßelmann eine Frage.
Vielen Dank, Herr Präsident! – Herr Staatssekretär,
sicherlich bedauert Ihr Haus, dass Sie keine Übergangs-
regelung getroffen haben, wie es in der letzten Legisla-
turperiode bei der Kindergelderhöhung möglich war,
und Sie sich jetzt zu einer solchen Handhabung veran-
lasst sehen. Meine Frage lautet: Wie hoch schätzen Sie
die monetären Rückflüsse an die BA durch die Einzel-
fallprüfungen der 1,1 Millionen betroffenen Familien?
Liegen Ihnen darüber Zahlen vor? Haben Sie geprüft,
wie hoch der Aufwand der Einzelfallprüfungen bei
1,1 Millionen Betroffenen ist und ob er in einem ange-
messenen Verhältnis zu den zu erwartenden Rückflüssen
an die BA steht?
H
Sie nehmen die Zahl von 1,1 Millionen betroffenen
Bedarfsgemeinschaften, die ich Ihnen auf Ihre Zusatz-
frage genannt habe – ich habe Ihre Frage übrigens voll-
ständig beantwortet –, zum Anlass, den Aufwand sehr
stark in den Mittelpunkt zu stellen. Wir haben aber auch
ansonsten in diesem Bereich sehr viele Veränderungen
und müssen entsprechende Bescheide erlassen, sodass
die Dimension nicht so groß ist, dass wir diesen Weg aus
praktischen Gründen nicht gehen könnten.
Es ist möglich, dass man diesen Weg auf sehr unkom-
plizierte Weise geht, wie in allen anderen Fällen, in de-
nen solche Bescheide erlassen werden müssen. Insoweit
ist es rechtmäßig, dass man dem Bürger das, was zu
Recht beansprucht wird, gibt, dass man aber die Über-
zahlungen, die erfolgt sind, zurückfordert.
Es gibt zwei weitere Fragewünsche.
Zunächst fragt Frau Dr. Hendricks.
Herr Staatssekretär, es ist nicht so, dass Sie das ab-sichtlich gemacht haben oder dass Sie das haben kom-men sehen; das will ich Ihnen zugutehalten. Warum
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Januar 2010 1521
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Dr. Barbara Hendrickstrauen Sie sich eigentlich nicht, auf dieses Parlament zu-zugehen und zu sagen: „Wir haben einen Fehler ge-macht, und wir wollen gern die gesetzliche Grundlagedafür schaffen, die Rückzahlungsbescheide für die Mo-nate Januar und Februar nicht erlassen zu müssen, so-dass darauf verzichtet werden kann, dass 1,1 MillionenBedarfsgemeinschaften die Kindergelderhöhung – ichverweise auf die damit verbundene Behördentätigkeit –zurückzahlen.“? Wir können sowieso kaum davon aus-gehen, dass dieses Geld vollständig zurückgezahlt wird.Es wäre sicherlich auch in Ihrem Interesse, den Mut auf-zubringen, mit diesem Anliegen an das Parlament heran-zutreten.
H
Frau Kollegin, Sie sind lange genug Mitglied in der
Regierung gewesen, um zu wissen, wie so etwas in einer
Regierung zustande kommt. Wenn die Regierung, nach-
dem sie abgewogen hat, welche Kosten entstehen wer-
den und wie hoch der Rückfluss sein wird, sich entschie-
den hat, diesen Weg zu gehen, dann wird sie die
beschlossenen Maßnahmen umsetzen. Das hat nichts mit
der Frage zu tun, ob sich diese Regierung traut, auf das
Parlament zuzugehen.
Diese Regierung arbeitet mit diesem Parlament sehr
gut zusammen. Wir haben eine Entscheidung getroffen,
und das Ganze ist jetzt in der Umsetzung.
Jetzt fragt die Kollegin Lösekrug-Möller.
Es ist immer ehrenwert, zu seinen Entscheidungen zu
stehen. Gelegentlich ist es aber ehrenwerter, zu erken-
nen, dass sie vielleicht nicht ganz richtig waren. Mögli-
cherweise handelt es sich bei der Fragestellung, über die
wir hier jetzt schon länger diskutieren, genau um den
zweiten Fall. Deshalb bitte ich Sie herzlich, zu überprü-
fen, ob Sie Ihre Ministerin motivieren können, das zu
tun, was wir im Rechtsstaat vor zwölf Monaten ebenfalls
getan haben. Ich erinnere daran, dass wir damals ge-
meinsam die Regierung gestellt haben. Sie haben in Ih-
ren Antworten zweimal darauf abgehoben, dass Sie sich
jetzt leider nicht anders verhalten können, weil wir in ei-
nem – ich zitiere Sie – „sozialen Rechtsstaat leben“. Ich
frage Sie: In welchem Staat haben wir vor zwölf Mona-
ten gelebt? Könnte diese Debatte dazu führen, dass es
ein Einsehen gibt? Hier geht es nämlich um einen Perso-
nenkreis, für den 20 Euro im Monat wirklich eine Menge
Geld sind.
H
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann hier nur wiederholen, dass die Regierung
eine Entscheidung getroffen hat und dass sie dies nach
intensiven Überlegungen getan hat. In der jetzigen Situa-
tion müssen wir sehen, dass wir dort sparen, wo es mög-
lich ist, und dass wir kein zusätzliches Geld ausgeben. In
diesem Fall ist es eben so, dass es zu Überzahlungen ge-
kommen ist. Diese Überzahlungen müssen im Rahmen
des Möglichen zurückgeführt werden.
Ich betone, dass den Betroffenen von ihren laufenden
Einnahmen zunächst nichts weggenommen wird, dass es
vielmehr nur dann zu einer Rückforderung kommen
kann, wenn wieder eine andere Einkommenssituation
besteht. Tun Sie daher bitte nicht so, als nähme man den
Leuten aktuell Geld weg. Man fordert es dann zurück,
wenn die finanziellen Voraussetzungen des Einzelnen,
also seine Leistungsfähigkeit, dies zulassen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Wir sind am Ende
der Behandlung der Dringlichen Fragen.
Frau Bundeskanzlerin, ich begrüße Sie. Da der Tages-
ordnungspunkt „Abgabe einer Regierungserklärung
durch die Bundeskanzlerin“ pünktlich um 15 Uhr begin-
nen soll, unterbreche ich die Sitzung für wenige Sekun-
den.
Ich eröffne die kurz unterbrochene Sitzung wieder
und rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin
zur internationalen Afghanistan-Konferenz am
28. Januar 2010 in London
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es Wider-
spruch? – Das ist nicht der Fall.
Das Wort zur Abgabe der Regierungserklärung hat
die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ende2001 hat der Deutsche Bundestag beschlossen, deutscheSoldaten im Rahmen des internationalen NATO-Einsat-zes auf der Grundlage einer Resolution des UN-Sicher-heitsrates nach Afghanistan zu entsenden. Das war eineder schwierigsten Entscheidungen, die die damaligeBundesregierung und der Deutsche Bundestag im gan-zen letzten Jahrzehnt zu treffen hatten. Leicht gemachthat es sich damals niemand. Mitgetragen haben diese
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1522 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Januar 2010
(C)
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Bundeskanzlerin Dr. Angela MerkelEntscheidung am Ende die allermeisten in diesem HohenHaus, und zwar bis heute. Dafür danke ich Ihnen im Na-men der Bundesregierung und unserer Soldaten ganzherzlich.
Nach den Anschlägen des 11. September galt es mit-zuhelfen, dem internationalen Terrorismus die Rückkehran seine wichtigste Heimstatt zu verwehren. Es galt mit-zuhelfen, Afghanistan den Weg zurück zu Frieden undStabilität zu öffnen. Dieser Auftrag hat an seiner Bedeu-tung und seiner Gültigkeit nichts verloren. Dennoch:Heute, gut acht Jahre später, ist die Bilanz dieses Einsat-zes gemischt.
Es gab manche Fortschritte und zu viele Rückschläge.Außer Zweifel steht: Die internationale Staatenge-meinschaft hat das Ziel ihres Einsatzes noch nicht er-reicht. Deshalb müssen wir handeln. Frankreich, Groß-britannien und Deutschland haben dazu im Septemberletzten Jahres, also noch zu Zeiten der damaligen Bun-desregierung der Großen Koalition, die Initiative ergrif-fen und eine internationale Afghanistan-Konferenz an-gestoßen. Sie findet morgen in London statt. UnserBundesaußenminister Guido Westerwelle wird Deutsch-land dort vertreten. Ich möchte ihm von diesem Ort ausausdrücklich für die hervorragende Vorbereitung derKonferenz danken.
Danken möchte ich genauso dem Verteidigungsminister,dem Innenminister und dem Entwicklungshilfeminister.
In London wird die internationale Staatengemein-schaft beraten, wie die Aufgabe, in Afghanistan für Si-cherheit und Stabilität zu sorgen, in den nächsten JahrenSchritt für Schritt in die Hände der Afghanen gelegt wer-den kann.Meine Damen und Herren, in London geht es also umnichts weniger als um eine Weichenstellung. Es geht umeine Weichenstellung, die nach meiner Überzeugungüber Erfolg oder Misserfolg des Einsatzes in Afghanis-tan entscheiden wird. In einem Satz: Es geht um die Ent-wicklung einer Strategie zur Übergabe in Verantwor-tung, und zwar einer gemeinsamen internationalenStrategie. Übergabe in Verantwortung – daran müssenwir alles ausrichten: die Zahl der Soldaten und Ausbil-der, die Grundsätze des Einsatzes, die regionalen Zu-ständigkeiten.In diesem Sinne hat die Bundesregierung ein Paketfür eine Weiterentwicklung unseres Afghanistan-Einsat-zes geschnürt. Gestern habe ich gemeinsam mit den zu-ständigen Ministern die Partei- und Fraktionsvorsitzen-den der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteiendarüber unterrichtet. Heute nun möchte ich Ihnen in die-sem Hohen Haus unser Konzept vorstellen. Es umfasstfünf Punkte:Erstens. Wir werden die Ausbildung der afghani-schen Armee stark forcieren. Sie wird nicht nur wie bis-her in den Camps erfolgen; nein, in Zukunft sollen un-sere Soldaten gemeinsam mit ihren afghanischenKameraden für den Schutz der Bevölkerung in der Nord-region sorgen. Diese Aufgabe wird künftig im Zentrumunseres Engagements stehen. Dazu wollen wir – natür-lich vorbehaltlich der Zustimmung des Deutschen Bun-destages – 500 Soldatinnen und Soldaten zusätzlich nachAfghanistan entsenden. Sie sind für Ausbildung, für Be-gleitung, für den Schutz der Bevölkerung sowie für Füh-rungsleistungen vorgesehen. Durch Umschichtung derAufgaben im bestehenden Kontingent und durch die zu-sätzlichen Soldaten können statt heute 280 in Zukunft1 400 Soldaten in die Ausbildung mit einbezogen wer-den. Das Kommando in der Region Nord soll auch inZukunft von Deutschland geführt werden. Weitere350 Soldaten werden als flexibel eingesetzte Reserve be-nötigt, insbesondere um auf besondere Situationen, zumBeispiel bei der Absicherung der Parlamentswahlen imHerbst, angemessen reagieren zu können. Sie werdennur – das ist neu – nach Befassung des Verteidigungsaus-schusses und des Auswärtigen Ausschusses des Deut-schen Bundestages eingesetzt, und zwar jeweils zeitlichbefristet und auf die Aufgabe ausgerichtet.Zweitens. Wir werden die Zahl der deutschen Poli-zeiausbilder in unserem bilateralen Projekt in diesemJahr von 123 auf 200 und somit deutlich erhöhen. Damitkönnen wir bis 2012 etwa ein Drittel der neuen Kräfteausbilden, die laut Aufwuchsplan in die afghanische Poli-zei aufgenommen werden sollen. Wir werden dabei nichtnur mehr afghanische Polizisten, sondern gezielt auchafghanische Polizeitrainer ausbilden und zusätzliche Poli-zeiinfrastruktur aufbauen. Darüber hinaus werden wirauch unseren Beitrag zur Europäischen Polizeimission,EUPOL, kurzfristig erhöhen, und zwar von 45 auf60 Polizeiexperten. Von 2002 bis 2009 haben wir bereitscirca 30 000 afghanische Polizisten aus- und fortgebil-det. 30 000 von insgesamt 97 000 afghanischen Polizis-ten – dieser Beitrag Deutschlands kann sich wirklich se-hen lassen. Er ist in seiner Bedeutung gar nicht hochgenug einzuschätzen.
Genau diesen Weg – das haben wir heute Morgen auchmit dem Präsidenten Karzai besprochen – werden wirfortsetzen.Drittens. Die Bundesregierung plant eine Entwick-lungsoffensive mit einem Schwerpunkt in unserem Ver-antwortungsbereich, also im Norden Afghanistans. Unserfinanzielles Engagement dazu wird nahezu verdoppelt.Konkret heißt das: Vorbehaltlich der Zustimmung derHaushaltsgremien des Deutschen Bundestages werdenwir bis 2013 jährlich statt heute 220 Millionen Euro430 Millionen Euro in den zivilen Wiederaufbau inves-tieren.
Damit wollen wir ganz konkrete Ziele erreichen, zumBeispiel für 3 Millionen Menschen mehr Einkommenund Beschäftigung schaffen. Das sind drei Viertel der
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Januar 2010 1523
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Bundeskanzlerin Dr. Angela MerkelBevölkerung in den Schwerpunktprovinzen unseres Ver-antwortungsbereichs. Wir werden mit diesen Mittelnweitere Straßen bauen – insgesamt 700 Kilometer –, dieganzjährig befahrbar sind. Wir werden neue Lehrer aus-bilden. Und wir werden zusätzlich 500 000 Schülern ei-nen Schulbesuch ermöglichen. Das heißt nichts anderes,als dass statt heute 25 Prozent der Kinder zukünftig60 Prozent der Kinder Zugang zu Schulen haben wer-den.
Wir verpflichten uns als Bundesregierung, dem Parla-ment über die erreichten Fortschritte regelmäßig Berichtzu erstatten.Viertens. Deutschland beabsichtigt, für den neuen in-ternationalen Reintegrationsfonds jährlich 10 Millio-nen Euro für die kommenden fünf Jahre, also insgesamt50 Millionen Euro, zur Verfügung zu stellen. Dafür müs-sen natürlich die Voraussetzungen stimmen. Die Risikeneines solchen Fonds liegen ohne jeden Zweifel auf derHand, aber ebenso die Chancen. Denn wenn es uns ge-lingt, mit einem solchen Integrationsfonds mehr Kräftein Afghanistan zu erreichen, die die Verfassung alsGrundlage des politischen Handelns akzeptieren, und re-gierungsfeindliche Kämpfer zu motivieren, die Waffenniederzulegen und die Gesetze zu respektieren, dannkönnen wir auf diesem Wege Anreize geben, damit dieseMenschen auch am Aufbau des Landes mitwirken.Präsident Karzai hat in seiner Inaugurationsrede dieReintegration zu einem Schwerpunkt der Arbeit derneuen Regierung gemacht. Er hat dies auch bei seinenGesprächen gestern Abend und heute Morgen hier inBerlin noch einmal ganz deutlich unterstrichen. Wir un-terstützen diesen Ansatz ausdrücklich.Fünftens. In London müssen ganz konkrete Ziele ver-einbart werden, damit wir gemeinsam mit der afghani-schen Regierung präzise überprüfen können, wie weitwir auf dem Weg zu Sicherheit und Stabilität vorange-kommen sind. Dazu gehört vor allem eine klare Verabre-dung, welchen Umfang die afghanischen Sicherheits-kräfte in den Jahren 2010 und 2011 erreichen sollen.Wir gehen von insgesamt gut 300 000 Sicherheitskräftenaus; das ist die Summe aus Soldaten und Polizisten. Diein London zu vereinbarenden Zielmarken sollten denendgültigen Umfang der afghanischen Sicherheitskräftedarstellen. Dann können wir auch den tatsächlichen Be-darf feststellen und die notwendigen Maßnahmen zurAusbildung und Ausrüstung ergreifen.Zugleich muss uns die afghanische Regierung einenglaubwürdigen Entwicklungsplan vorlegen und Bereit-schaft zu strukturellen Reformen erkennen lassen, umgute Regierungsführung auch auf zentraler und lokalerEbene zu stärken. Damit es keine Missverständnissegibt: Wir haben keine Illusionen hinsichtlich bestimmterDemokratievorstellungen nach unseren Kriterien. SolcheVorstellungen wären angesichts der Geschichte und Tra-dition des Landes wohl auch vermessen. Dennoch müs-sen wir Mindestanforderungen an die Effizienz und dieLegitimität der Institutionen stellen. Korruption musswirksamer bekämpft werden. Wahlen müssen nach de-mokratischen Standards ablaufen. Drogenanbau muss in-tensiver bekämpft werden, und regierungsfeindlicheKräfte dürfen keinen weiteren Unterschlupf außerhalbAfghanistans finden.
Um das zuletzt Genannte zu erreichen, muss der Dia-log zwischen Afghanistan und den Partnerländern, ganzbesonders Pakistan, dringend intensiviert werden. Ohneeine verbesserte regionale Kooperation, insbesonderezwischen Afghanistan und Pakistan, wird es in Afgha-nistan keinen Frieden geben.Meine Damen und Herren, das sind die fünf Punkte,mit denen Deutschland morgen in die Afghanistan-Kon-ferenz gehen wird. Sie zeigen das Leitmotiv unseresHandelns: Ohne Sicherheit kann es nicht gehen; aberdauerhaft stabilisieren kann Afghanistan nur eine politi-sche Strategie. Ziviler Aufbau und Entwicklung, militä-rische Ausbildung und Schutz der Bevölkerung, das gehtfür uns Hand in Hand. Unser Konzept ist eng mit unse-ren wichtigsten Partnern abgestimmt: mit Frankreich,mit den Vereinigten Staaten von Amerika genauso wiemit Großbritannien.
Die internationale Staatengemeinschaft hat eine klareVorstellung von Sinn und Zweck der Londoner Konfe-renz. London ist weder eine Geber- noch eine Truppen-stellerkonferenz; London ist eine Strategiekonferenz.Ihr Ziel ist es, die Voraussetzungen für die Übergabe inVerantwortung zu schaffen, und zwar gemeinsam mit denafghanischen Autoritäten. Wenn die Umsetzung dieserStrategie gelingt, strebt Deutschland unter den jetzt be-kannten Voraussetzungen an, die Übergabe in Verantwor-tung in einzelnen Distrikten in Nordafghanistan bereitsim ersten Halbjahr 2011 einzuleiten. Dann beabsichtigtDeutschland, einzelne Fähigkeiten, die nicht mehr benö-tigt werden, ab Ende 2011 zu reduzieren. Dann können abdiesem Zeitpunkt gegebenenfalls auch der Gesamtum-fang unserer Truppen und die Mandatsobergrenze ge-senkt werden.Wir unterstützen das Ziel der afghanischen Regie-rung, bis 2014 die Verantwortung für die Sicherheit zuübernehmen. Aber ich sage an dieser Stelle klar unddeutlich: Ein endgültiges Abzugsdatum nenne ich aus-drücklich nicht.
Das hielte ich für kontraproduktiv und für falsch. Mehrnoch: Gerade wer tatsächlich möchte, dass der Einsatzder internationalen Staatengemeinschaft in Afghanistannicht unendlich weitergeht, sondern in absehbarer Zeitabgeschlossen werden kann, und zwar erfolgreich, derdarf dem manchmal vielleicht emotional ja nachvoll-ziehbaren Impuls, ein solches Abzugsdatum zu nennen,nicht nachgeben. Das ist meine tiefe Überzeugung.
Deshalb wird die Bundesregierung das auch nicht tun.
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1524 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Januar 2010
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Bundeskanzlerin Dr. Angela MerkelDabei kenne ich die kritischen Fragen so gut wie Siealle: Engagieren wir uns nicht schon genug in Afghanis-tan? Lassen wir uns zu sehr von anderen drängen? Kön-nen wir dort überhaupt erfolgreich sein? Ich weiß sehrgut, dass gerade die Erhöhung der Zahl der Soldaten vonniemandem mit leichtem Herzen beschlossen werdenkann. Ich weiß sehr gut, dass wir sie in einen belasten-den, in einen gefährlichen Einsatz schicken. Deshalbsind wir es ihnen, den Soldaten, den Polizisten, den zivi-len Aufbauhelfern, die wir in diesen gefährlichen Ein-satz schicken, ja, wir sind es der gesamten deutschenÖffentlichkeit schuldig, hier und heute ehrlich Rechen-schaft abzulegen – Rechenschaft über das, was erreichtwurde, und über das, was nicht erreicht wurde.Ja, es ist wahr: Der Einsatz dauert länger, und er istschwieriger, als wir zu seinem Beginn vor gut acht Jah-ren gedacht haben. Ja, es hat schwere Rückschläge gege-ben, die wir so nicht vorausgesehen haben. Und ja, derEinsatz fordert Menschenleben bei unseren Soldaten, beiden Polizisten, bei den zivilen Helfern und in der afgha-nischen Bevölkerung, Menschenleben, deren Verlust wirinständig gehofft haben nicht beklagen zu müssen. Esgibt Menschen, die auch infolge deutschen Handelns ihrLeben verloren haben oder verletzt wurden, wie diesbeim Luftschlag von Kunduz am 4. September des ver-gangenen Jahres geschehen ist. Die Bundesregierung be-dauert dies zutiefst. Die Bundesregierung trauert um je-des unschuldige Opfer.Wir sehen nicht darüber hinweg: Es herrscht immernoch kein Frieden in diesem leidgeprüften Land. Zerstö-rung und Tod sind tägliche, bittere Erfahrungen. UnsereSoldaten erleben vor Ort hautnah, was es bedeutet, wennwir von kriegsähnlichen Zuständen sprechen. Das soll-ten wir, die hier im fernen, sicheren Berlin debattieren,in keiner Sekunde vergessen. Wir müssen uns der Größeder Aufgabe bewusst sein. Doch sollte uns die Größedieser Aufgabe entmutigen? Sollte sie etwas daran än-dern, dem internationalen Terrorismus entschlossen ent-gegenzutreten und alles zu tun, um einen neuen11. September, ein neues Madrid, ein neues London zuverhindern? Ich sage ganz klar: Nein. Die Aufgabe war2001 richtig, und sie ist es heute genauso.
Manche meinen, Afghanistan sei ein unverständlichesLand, weit weg, getrennt von uns durch andere Kultur-kreise. Ja, das mag so sein. Dieses Land mag vielleichttatsächlich weit weg sein, aber was auf dem Spiel steht,das ist ganz und gar nicht weit weg. Wir dürfen nie dieUmstände vergessen, die alle Bundesregierungen seitEnde 2001 bis heute zum Afghanistan-Einsatz bewogenhaben: dass das von Taliban und al-Qaida beherrschteAfghanistan die Brutstätte des Terrors vom 11. Septem-ber 2001 war. Ihm folgten weitere Anschläge. Deshalbgalt damals und gilt heute: Der Einsatz der Bundeswehrim Rahmen des internationalen NATO-Einsatzes warund ist in dringendem Interesse der Sicherheit unseresLandes.
Ich ergänze ganz ausdrücklich: Eine Haltung nachdem Motto „Sollen doch die anderen, die Amerikaner,die Engländer, die Kohlen aus dem Feuer holen“ ist fürmich als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutsch-land und für die gesamte Bundesregierung unverant-wortbar.
Deshalb wird es in meiner Regierungsverantwortung ei-nen deutschen Alleingang niemals geben.
Wir haben diesen Einsatz gemeinsam beschlossen– in den Vereinten Nationen, in der NATO –, und wirwerden ihn mit überarbeiteter Strategie gemeinsam fort-setzen. Wir wollen alles daransetzen, ihn gemeinsamzum Erfolg zu führen. Deswegen wäre ein einseitigerAbzug der Bundeswehr kein Beitrag zur Übergabe inVerantwortung, sondern ein Beispiel für Aufgabe in Ver-antwortungslosigkeit.
Das gilt umso mehr, als doch trotz aller Rückschlägeauch Fortschritte zu verzeichnen sind: Gingen 2001 nur1 Million Kinder von insgesamt rund 10 Millionenafghanischen Kindern zur Schule, davon kein einzigesMädchen, so waren es 2009 immerhin schon 7 MillionenKinder, davon ein gutes Drittel Mädchen. Oder die Ge-sundheitsversorgung: Sie hat sich deutlich verbessert;die Kindersterblichkeit ist um 50 Prozent gesunken.Oder die legale Wirtschaft: Der IWF hat in diesem Be-reich für das Jahr 2009 ein Wachstum von mehr als15 Prozent festgestellt. Oder die Infrastruktur: Alle Pro-vinzen in Nordafghanistan sind inzwischen über gut aus-gebaute Straßen mit Kabul und den Nachbarstaaten ver-bunden; 900 000 Menschen im Norden haben oft zumersten Mal überhaupt Zugang zu Strom und Wasser.Noch einmal, meine Damen und Herren: Niemand indiesem Haus will hier und heute über die Probleme undRückschläge den Mantel des Schweigens legen, ich je-denfalls nicht. Es steht außer Zweifel: Die internationaleStaatengemeinschaft hat eine Bewährungsprobe zu be-stehen. Es ist auch eine Bewährungsprobe für die dreiGrundprinzipien, die die deutsche Außenpolitik in derVergangenheit immer geleitet haben und sie weiter leitenwerden – der Dienst für den Frieden, der wehrhafteRechtsstaat, feste Bündnisse und Partnerschaften. Alledrei Grundsätze galten und gelten immer im Zusammen-hang. Die Verteidigung der Menschenrechte hat ihrenPreis, und die unserer Sicherheit auch – das ist wahr –,aber ich bin weder bereit, das eine, noch bin ich bereit,das andere aufzugeben. Beides zusammen trägt unserLand.
Genau das ist doch der Grund, warum seit der Konferenzauf dem Petersberg alle Bundesregierungen zu dieserVerantwortung Deutschlands in Afghanistan gestan-den haben. Darum geht es auch heute.
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Bundeskanzlerin Dr. Angela MerkelMeine Damen und Herren, ich bin überzeugt, wenn eseine Aufgabe gibt, die zu wichtig ist, als dass parteipoli-tische Interessen den Ausschlag geben dürfen, dann istes genau diese Aufgabe.
In diesem Sinne bitte ich das ganze Hohe Haus um Un-terstützung, damit wir unserer Verantwortung fürDeutschland und für Afghanistan gerecht werden kön-nen.Herzlichen Dank.
Ich eröffne die Aussprache.
Erster Redner ist der Kollege Sigmar Gabriel für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Frau Bundeskanzlerin! Meine Damenund Herren! Ich finde es nicht ganz einfach, an einemTag wie heute sofort wieder in den politischen Alltag zu-rückzukehren. Ich gebe zu, dass mir selbst die notwen-dige sachliche Auseinandersetzung zwischen Regierungund Opposition angesichts der, wie ich jedenfalls finde,sehr bewegenden Gedenkstunde für die Schoah und dieBefreiung von Auschwitz hier im Parlament schwerfällt.Im Namen der SPD und der SPD-Fraktion will ich demPräsidenten und allen, die daran beteiligt waren, aus-drücklich für diese Gedenkstunde danken.
Aber vielleicht ist gerade dieser Tag richtig, umunsere Bereitschaft, auch militärische Mittel bei der Be-kämpfung von Terror, Diktatur und Bürgerkrieg einzu-setzen, neu zu begründen; denn das ist dringend notwen-dig. Nicht zuletzt wegen unserer deutschen Geschichtegibt es in unserem Land eine große Skepsis und Ableh-nung gegenüber der Verwicklung Deutschlands in be-waffnete Auseinandersetzungen. Eigentlich ist das auchgut so. Trotzdem haben wir uns vor rund neun Jahrenentschlossen, an einer solchen Auseinandersetzung nichtnur mit zivilem Wiederaufbau, sondern auch mit bewaff-neten Einsätzen der Bundeswehr teilzunehmen. Wir wis-sen: Dieser Einsatz war von Anfang an umstritten, unddie Skepsis gegenüber und die Ablehnung dieses Einsat-zes sind bis zum heutigen Tag gewachsen. Natürlichführen die Anschläge, die Korruption, die Menschen-rechtsverletzungen – auch der Regierung Karzai –, dieWahlfälschungen und nicht zuletzt das Bombardementvon Kunduz zu Verunsicherungen und zur Ablehnungdes Einsatzes.Was immer wir in einigen Wochen hier im Haus be-schließen werden, wir Parlamentarier, die Politikerinnenund Politiker in Deutschland, aber noch mehr unsereSoldatinnen und Soldaten sind in unserer Demokratieauf die Unterstützung unserer Bevölkerung angewie-sen. Deshalb müssen wir vor allen Dingen unsere frühe-ren Entscheidungen, unsere heutigen Diskussionen undBeratungen und unsere künftigen Entscheidungen erneutbegründen, erklären und öffentlich zur Diskussion stel-len. Wir und unsere Soldatinnen und Soldaten dürfen inunserer Bevölkerung nicht noch mehr Rückhalt für denAfghanistan-Einsatz verlieren.
Dafür gibt es zwei Voraussetzungen. Die erste und fürmich wichtigste Voraussetzung ist: Wir müssen aufhö-ren, mit dem Begriff „Krieg“ oder „kriegerische Aus-einandersetzung“ so leichtfertig umzugehen wie in denletzten Monaten.
Jeder hier im Saal kann verstehen, dass die Soldatinnenund Soldaten in Afghanistan und auch unsere Bevölke-rung fragen: Was, bitte, ist das, was wir dort erleben, an-deres als ein Krieg? Wer Zustimmung in der Bevölke-rung erreichen will, muss der Versuchung widerstehen,leichtfertig mit dem Wort „Krieg“ umzugehen, nur umden Eindruck zu erwecken, er verstehe die Menschenund Soldaten. Wer Zustimmung will, der muss erklären,um was es in Afghanistan wirklich geht und worin derUnterschied zum tatsächlichen Krieg im Irak besteht.
Es geht bei der Frage, ob wir das, was in Afghanistanstattfindet, Krieg nennen oder nicht, nicht nur um einejuristische Definition, wie der Bundesverteidigungs-minister gelegentlich meint. Es geht im Kern um unserVerständnis vom Zusammenleben der Völker, vom Völ-kerrecht und um die Zivilisierung und strikte Bindungmilitärischer Operationen an Entscheidungen derVereinten Nationen. Niemand außer den Vereinten Na-tionen soll nach unserer Auffassung das Recht haben,militärische Mittel einzufordern, um Menschen vor Dik-tatoren, Terroristen oder Völkermördern zu schützen.
Wer für diese Zivilisierung militärischer Operationeneintritt, wer für diese strikte Bindung streitet und sieSchritt für Schritt fester in der Völkergemeinschaft ver-ankern will, der darf das, was in Afghanistan stattfindet,nicht in die Nähe eines Krieges rücken. Denn die Verein-ten Nationen führen dort keinen Krieg, und unsere Sol-datinnen und Soldaten sind dort keine Krieger.
Wer die Zustimmung unserer Bevölkerung zu diesermilitärischen Beteiligung oder zu künftigen militäri-schen Beteiligungen Deutschlands auf Grundlage vonEntscheidungen der UN gewinnen will, der darf dieseUN-Mission eben nicht in die Nähe des Krieges rücken.Wenn die Vereinten Nationen militärische Hilfe an-fordern, tun sie dies gerade in Afghanistan nicht zumZwecke des Krieges. Im UN-Einsatz sind Soldatinnen
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Sigmar Gabrielund Soldaten, jedenfalls nach unserem Verständnis, eherso etwas wie Weltpolizisten dort, wo die normalen poli-zeilichen Mittel versagen und nicht wirken.
– Ich verstehe, dass Sie an dieser Stelle eine andere Hal-tung haben. Ich habe sie immer respektiert, weil ich ver-standen habe, dass eine Partei, deren Bekenntnis zu ihrenVorläuferorganisationen jeden Krieg der Sowjetuniongerechtfertigt hat, jetzt ausschließlich pazifistisch seinwill. Ich verstehe, dass das der Grund für Ihre pazifisti-sche Haltung ist.
– Ich weiß nicht, warum Sie Zwischenrufe machen. End-lich äußert mal jemand Verständnis für Sie, und dannsind Sie damit auch nicht einverstanden.
Wer generell Nein sagt, wie es zum Beispiel Ihre Par-tei tut, der hilft letztlich denen, die diese strikte völker-rechtliche Bindung von militärischer Gewalt an einMandat der Vereinten Nationen noch nie gewollt habenund diesen Fortschritt im Völkerrecht politisch bekämp-fen. Sie helfen damit denjenigen, die entweder weiter zurPrivatisierung militärischer Gewalt beitragen wollenoder nationale Alleingänge beim Einsatz militärischerInterventionen für richtig halten. Das ist nicht unserWeg.
Wir können nicht die Einhaltung des Völkerrechts ein-fordern und dann nicht bereit sein, dem Völkerrechtauch Nachdruck zu verleihen.Das eine ist so falsch wie das andere: von Krieg zu re-den oder kriegerische Einsätze zu beschwören, wo esum den Schutz vor Krieg, Bürgerkrieg und Terrorismusgeht, oder die hehren Grundsätze zur Stärkung des Völ-kerrechts und der UN zu beschweren, ihr aber die Mittelzu verweigern, das Völkerrecht auch durchzusetzen. Wervon Krieg redet, wird an Zustimmung für den Einsatz inAfghanistan verlieren und missachtet, Herr Bundesver-teidigungsminister, die Leistungen, die unsere Soldatin-nen und Soldaten dort erbringen, außerordentlich.
Es lässt sich leicht im Deutschen Bundestag darlegen,dass der Schutz der Zivilisten bei jeder militärischen Ak-tion Vorrang haben muss. Dies umzusetzen, ist aber au-ßerordentlich schwer. Dennoch hat es die Bundeswehr,haben es die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr,bis auf den Einsatz in Kunduz, in Afghanistan in hervor-ragender Weise getan.
Wir brauchen keine Militarisierung der Sprache, um dieMenschen psychologisch an mehr zivile Opfer zu ge-wöhnen, sondern wir brauchen die deutliche Distanz zuForderungen nach robusteren Mandaten und kriegeri-schen Einsätzen der Bundeswehr in Afghanistan.
Herr zu Guttenberg, niemand hat in den letzten Wo-chen so viel über den deutschen Afghanistan-Einsatz ge-redet wie Sie. Man konnte den Eindruck gewinnen, alsob der Verteidigungsminister und seine Militärs die deut-sche Außenpolitik definieren und nicht der nach der Ver-fassung zuständige Außenminister. Wir haben uns dieganze Zeit gefragt: Was sind denn nun die Konsequen-zen aus dieser Form von Kriegssemantik, die den Vertei-digungsminister von Talkshow zu Talkshow trug? Herrzu Guttenberg, noch am 9. Januar dieses Jahres habenSie erklärt, dass dem Afghanistan-Einsatz die Klarheiteines nicht internationalen Krieges fehle. Aus Ihrer Sichtfehlt es der Bundeswehr also an einer sicheren rechtli-chen Grundlage für diesen Einsatz; damals ging es Ihnenja genau darum. Ich frage Sie: Wenn es wirklich IhreAnsicht ist, dass für die Soldatinnen und Soldaten in Af-ghanistan keine sichere Rechtsgrundlage vorhanden ist,warum haben Sie dem Deutschen Bundestag dann einenMonat zuvor ein Mandat vorgelegt, das genau diese For-derungen von Ihnen nicht enthalten hat? Warum?
Herr zu Guttenberg, wenn Sie dem Bundestag schon imDezember 2009 ein aus Ihrer Sicht falsches Mandat vor-gelegt haben, warum bringen Sie nicht jetzt eine Vor-lage, die eine andere rechtliche Grundlage für den Af-ghanistan-Einsatz vorsieht, in den Bundestag ein? KeinWort davon in der Regierungserklärung der Kanzlerin.Herr zu Guttenberg, Sie haben sich in den letzten Mo-naten, je nach öffentlicher Stimmung, mal vor die Solda-ten gestellt und sich mal hinter ihnen versteckt. MalKampftruppen, mal keine, mal waren die Bomben aufKunduz gerechtfertigt, dann wieder nicht, mal solltenwir Krieg führen, jetzt wohl eher doch nicht – immerschön hart am Wind der jeweiligen Medienlage und im-mer im Konjunktiv; denn festlegen wollten Sie sich nie.
Wir verstehen jetzt besser, was der ehemalige General-inspekteur der Bundeswehr, General Schneiderhan, Ih-nen vorgehalten hat, als er sagte, Sie seien jemand, der„vorschnell formuliert“.Von all den Forderungen nach robusteren Mandaten,von dem Bekenntnis zum Krieg und zu mehr Kampf-truppen bleibt nun nichts übrig. Wir begrüßen diesenWechsel. Wir haben den Eindruck, es handelt sich nichtso sehr um einen Strategiewechsel in Afghanistan alsvielmehr um einen Strategiewechsel in Ihrer eigenenBundesregierung. Wir begrüßen das ausdrücklich, FrauDr. Merkel.
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Sigmar Gabriel
Wir begrüßen in diesem Zusammenhang auch, dasssich die USA endlich der schon länger existierendendeutschen Strategie angeschlossen haben: Endlich stehtauch bei den US-Truppen der Schutz der Zivilbevölke-rung im Mittelpunkt aller Einsätze. Das ist ein Erfolg desWechsels von Bush zu Barack Obama, und es ist einWechsel zu einer Strategie, die den Auftrag der Bundes-wehr schon immer bestimmt hat.Was wir nicht begrüßen, Frau Bundeskanzlerin, ist,dass Sie uns Ihre Überlegungen nach wochenlangemSchweigen erst gestern, kurz vor der Londoner Afgha-nistan-Konferenz, vorgelegt haben.
Wir mussten heute lesen, dass Ihr Außenminister dieVerbündeten, beispielsweise die amerikanische Außen-ministerin, erst gestern, kurz vor Beginn der LondonerAfghanistan-Konferenz, sozusagen mit einem Last-Mi-nute-Ticket, über die neue Afghanistan-Strategie infor-miert hat.
So gewinnt man keine Verbündeten für die eigene Strate-gie. Da muss man sich nicht wundern, wenn man amEnde am Katzentisch sitzt.
Die zweite wichtige Voraussetzung dafür, dass dieZustimmung für eine deutsche Beteiligung am Afghanis-tan-Einsatz wieder wächst, ist, dass wir bei der Stabili-sierung in Afghanistan realistische Ziele haben und siemit einer Abzugsperspektive auch für die deutschenSoldatinnen und Soldaten verbinden. Das steht im Mit-telpunkt der Forderungen und der Haltung der SPD. Wirwollen einen realistischen Fahrplan für den Abzug unse-rer Soldatinnen und Soldaten aus Afghanistan. Wir wol-len die Schritte dieses Abzugsfahrplans verbinden miteiner ebenso realistischen Perspektive für die Gewähr-leistung der Sicherheit in Afghanistan durch afghanischeSicherheitskräfte und wachsende Investitionen in den zi-vilen Aufbau des Landes. Das steht im Zentrum unsererÜberlegungen. Man findet in Ihrer Regierungserklärungeine Menge, bei der man den Eindruck haben kann, dassdas auch bei Ihren Überlegungen im Mittelpunkt steht.Für die SPD ist diese Haltung nicht neu. Es gab be-reits früher Vorstöße, aus der Erstarrung der Auseinan-dersetzung in Afghanistan herauszukommen und die Lo-gik der bewaffneten Konfrontation nach und nachaufzubrechen. Als der damalige Vorsitzende der SPD,Kurt Beck, die innerafghanische Versöhnung unter Ein-beziehung moderater Taliban gefordert hat, nannte derdamalige außenpolitische Sprecher der Union, Herr vonKlaeden, diesen Ansatz erbärmlich.
Der damals ebenfalls für Außenpolitik zuständige Herrzu Guttenberg sagte zu diesem Vorschlag, dass niemandje einen vernünftigen Taliban getroffen habe. Inzwischenvermittelt er den Eindruck, er sei der Erfinder der Idee,Gesprächsbereitschaft gegenüber allen Konfliktparteienin Afghanistan zu zeigen.
Überhaupt ist es so, dass die konservative Regierungbis zu der heutigen Regierungserklärung der Kanzlerineinen langen Weg hinter sich hat. Im Dezember erklärteder deutsche Außenminister Westerwelle, er wolle nichtzu einer reinen Truppenstellerkonferenz fahren. Ich habedas nicht als Angriff auf die USA oder andere Verbün-dete verstanden, Herr Westerwelle. Mein Eindruck war,Sie wollten damit dafür sorgen, dass in Ihrer eigenenBundesregierung die Stimmen, die nach einer Aufsto-ckung der Kampftruppen rufen, endlich ein Ende haben.In dieser Hinsicht hat der Sicherheitsexperte der CSU,der Kollege Uhl, vorgedacht, als er im Dezember eindeutlich robusteres Afghanistan-Mandat gefordert hat.Genauso hat sich der Stellvertreter von Frau Merkel,Herr Wulff, geäußert. Und heute? Heute erklärt die Bun-deskanzlerin im Namen der Bundesregierung: Es werdenkeine zusätzlichen Kampftruppen nach Afghanistan ge-schickt;
stattdessen werden innerhalb des Kontingentes Kampf-einheiten zugunsten von mehr Ausbildung umgeschich-tet. Zum guten Schluss erklären Sie, dass Sie selbstver-ständlich alles dafür tun wollen, dass die afghanische Re-gierung dabei unterstützt wird, spätestens ab 2015 keineinternationalen Streitkräfte mehr an bewaffneten Einsät-zen zu beteiligen, also auch nicht die Bundeswehr.Frau Bundeskanzlerin, wir halten die Strategie, die Siedamit betreiben, für die richtige Strategie, wenn es darumgeht, realistische Abzugsperspektiven bis 2015 voranzu-treiben. Wir wollen Sie dabei unterstützen, aber wir sindnicht sicher, ob die Strategie tatsächlich in der gesamtenBundesregierung angekommen ist. Gestern gab es fünfPressekonferenzen, die Sie und Ihre Minister abgehaltenhaben. Ich bin nicht sicher, ob Ihre Strategie nachhaltigbei den vier Ministern, die auch eine Pressekonferenz ab-gehalten haben, angekommen ist; denn trotz all der Äu-ßerungen vom gestrigen Tage rumpelt es erheblich. Aufder einen Seite erklärte der Außenminister auf seiner ges-trigen Pressekonferenz:Wir wollen im Jahr 2011 auch den Abbau unsereseigenen Kontingents beginnen, und wir wollen imJahr 2014 die Übergabe der Sicherheitsverantwor-tung an Afghanistan schaffen.Auf der anderen Seite äußerte sich der Bundesverteidi-gungsminister auf seiner Pressekonferenz wie folgt:Also, zunächst, was die Abzugsperspektive anbe-langt, so ist das Jahr 2011 mit Sicherheit eines, das
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Sigmar Gabrielin gewissen Teilbereichen Möglichkeiten zulassenkann.
Herr zu Guttenberg, à la bonne heure! Sie sind wahrlichein Meister des Konjunktivs.
Es reicht aber nicht aus, entschlossen dreinzuschauen;man muss auch wollen, was die Kanzlerin sagt, und darfnicht das Gegenteil beschreiben.
Frau Bundeskanzlerin, Ihr Auftrag ist es, solche realis-tischen Ziele für den deutschen Einsatz zu definieren undIhrem Bundesverteidigungsminister beizubringen, was dasbedeutet. Wir brauchen dringend qualitative und quanti-tative Kriterien für den Erfolg oder Misserfolg unseresEngagements in Afghanistan. Diese Kriterien solltennicht von Regierungen festgelegt, vorgestellt und über-prüft werden, sondern am besten von Nichtregierungsor-ganisationen und Wissenschaftlern.
Hier geht es zum Beispiel um folgende Fragen: Wieviele Polizisten und Soldaten wollen wir bis zu einembestimmten Zeitpunkt ausgebildet haben? Wie soll dieArmutsbekämpfung aussehen? Welche Fortschritte wol-len wir beim zivilen Wiederaufbau machen? – Erst diekontinuierliche Überprüfung solcher Ziele macht für dasParlament, aber auch für die deutsche Öffentlichkeitnachvollziehbar, ob unser Afghanistan-Einsatz gerecht-fertigt ist und ob wir die richtigen Mittel einsetzen odernicht.
Das Ganze mussdazu dienen, dass die Bundeswehr und alle internationa-len Streitkräfte Afghanistan wieder verlassen, ohne dieSicherheit und Stabilität des Landes zu gefährden.Unser Ziel ist es, 2011 – parallel zum schrittweisenRückzug der US-Streitkräfte – mit dem Rückzug zu be-ginnen. Wir wollen alles tun, um die afghanische Regie-rung zu unterstützen, die selbst erklärt hat, dass sie 2014/2015 keine internationalen Streitkräfte mehr für bewaff-nete Konflikte im Land haben will. Das ist der Grund füruns, zu sagen: Lasst uns ein Abzugsdatum im Korridorzwischen 2013 und 2015 wählen, damit die afghanischeRegierung weiß, dass wir es mit einer Begrenzung unse-res Militäreinsatzes in Afghanistan ernst meinen.
Frau Bundeskanzlerin, wir sind nicht überzeugt da-von, dass wir für diese Strategie 850 zusätzliche Solda-tinnen und Soldaten brauchen. Darüber werden wir hierim Deutschen Bundestag sicherlich noch heftig diskutie-ren. Aber unabhängig von der Frage, wie viele Soldatin-nen und Soldaten am Ende benötigt werden: Eine Zu-stimmung der SPD zu einem veränderten Afghanistan-Mandat hängt entscheidend davon ab, ob ein klares Da-tum 2011 für den Beginn des schrittweisen Abzugs derBundeswehr festgelegt wird, ob Sie qualitative undquantitative Ziele für den Afghanistan-Einsatz entwi-ckeln und überprüfen lassen, ob die geplanten Truppen-aufstockungen zwingend und zeitlich klar begrenzt sind,und ob Sie eine Beendigung der Beteiligung der Bundes-wehr an bewaffneten Einsätzen im Zeitraum 2013 bis2015 nachvollziehbar herbeiführen können.
Die SPD hat im letzten Herbst mit dem Zehnpunkte-plan von Frank-Walter Steinmeier die Debatte um denAbzug der Bundeswehr aus Afghanistan begonnen.Wenn die Bundesregierung diesen zehn Punkten folgt,wird sie unsere Zustimmung bekommen. Damit gebenwir den Soldatinnen und Soldaten, den Polizistinnen undPolizisten und allen zivilen Aufbauhelfern eine klarePerspektive für die Grundlage ihrer Arbeit; wir gebenden Soldatinnen und Soldaten eine klare Perspektive fürdie Beendigung ihres Aufenthalts in Afghanistan.Wir wissen, dass es notwendig sein kann, in einerWelt, in der Diktatoren, Fanatiker, Kriegsherren und Ter-roristen uns und andere bedrohen, auch militärische Mit-tel einzusetzen. Trotzdem ist es am Ende nicht unser ei-genes Leben, das wir gefährden, wenn wir Politiker übersolche Einsätze entscheiden. Es könnte aber immer auchdas Leben unserer eigenen Söhne und Töchter gefähr-den. Deshalb ist es gut, wenn wir es uns schwer machen,solche Einsätze oder ihre Fortsetzung zu beschließen.Deshalb ist es wichtig, den Männern und Frauen insolchen Einsätzen, die auf unseren Befehl oder, wenn essich um zivile Hilfskräfte für den Wiederaufbau handelt,auf unsere Bitte dort hingehen, auch für ihren Mut undihre Tapferkeit zu danken und ihnen immer wieder unterBeweis zu stellen, dass wir einerseits die Grundlagen desEinsatzes gewissenhaft prüfen und andererseits, wennwir entscheiden, den Einsatz fortzusetzen, auch fest hin-ter ihrer Arbeit stehen.
Ich danke natürlich all denen, die sich an dem Einsatzbeteiligen, aber ich danke auch denen, die sich kritischzum deutschen Militärengagement äußern. Was wärenwir für ein armseliges Land, wenn wir nicht auch die kri-tische Einmischung und das Hinterfragen unserer Ent-scheidungen begrüßen würden!
Schon deshalb danke ich der Vorsitzenden des Rates derEvangelischen Kirche, Margot Käßmann, die jüngst einekluge und differenzierte Predigt gehalten hat; sie war je-denfalls klüger und differenzierter als die Äußerungenmancher ihrer Kritiker.
Wer, wenn nicht die Kirchen und die Religionsgemein-schaften dieser Welt, hat das Recht, wenn nicht sogar diePflicht, mehr Fantasie für den Frieden einzufordern?
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Sigmar GabrielDie SPD steht zum deutschen Engagement in Afgha-nistan und auch zum Einsatz der Bundeswehr im Auftragder UN. Das sage ich auch im Bewusstsein, dass in mei-ner Partei über nichts so engagiert und mit so heißemHerzen gestritten wird wie über Militäreinsätze. Aufnichts ist die SPD mehr stolz als darauf, dass wir spätes-tens seit dem Ersten Weltkrieg militärische Mittel in dieHände der internationalen Staatengemeinschaft legenwollen, damit kein einzelner Staat darüber entscheidetund damit militärische Mittel die Ultima Ratio bleiben,um die Freiheit und die Sicherheit von Menschen zuschützen.Für mich ist klar: Ohne die Bereitschaft der Vereinig-ten Staaten, in den Krieg gegen Hitler-Deutschland ein-zutreten, wäre der Krieg am Ende nicht so schnell vorbeiund wären noch Millionen Tote mehr zu beklagen gewe-sen. Ich sage das auch im Bewusstsein des heutigen Ge-denktages, der an die Befreiung des Konzentrationsla-gers Auschwitz erinnert. Manchmal sind Militäreinsätzezwingend.Für die SPD waren und sind seit nun fast 150 Jahrendie Fragen hinsichtlich Krieg und Frieden niemals takti-sche Fragen. Wir haben uns bei der Beantwortung dieserFragen nie daran orientiert, ob unsere Antworten geradein die aktuelle politische Landschaft passten oder ob wiruns einen politischen Vorteil erhofften.
– Ich darf einmal daran erinnern: Sie waren es, die imJahre 2001 gegen den Afghanistan-Einsatz der Bundes-wehr gestimmt haben. Sie haben damals gesagt: Wirkönnen das nicht machen, weil wir sonst BundeskanzlerGerhard Schröder unterstützen. – Sie waren es, die ausinnenpolitischen Gründen der Notwendigkeit dieses Ein-satzes widersprochen haben. Lachen Sie also mal nichtso laut!
– Es gibt ein altes Sprichwort: Ein getretener Hund bellt.Ich scheine offensichtlich Ihre Erinnerung geweckt zuhaben.
Wir haben das nicht an taktische Erwägungen ge-knüpft.
– Wenn wir das getan hätten, dann hätten wir dem Af-ghanistan-Einsatz nach dem Regierungswechsel nichtzugestimmt. Sie können von uns doch nicht erwarten,dass wir jedem Unsinn, der in der Zeit zwischen demRegierungswechsel und der heutigen Regierungserklä-rung gemacht wurde, öffentlich Beifall zollen.Wir sind gegen zusätzliche Kampftruppen, wir sindfür einen Beginn des Abzugs im Jahre 2011, wir sind füreine Beendigung.
Wir sagen das klar, weil wir glauben, dass wir den Ein-satz damit legitimieren. Das ist der Grund, warum wirdarüber reden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Gabriel!
Die Prinzipien, an die wir uns auch jetzt halten, lau-
ten: Der Einsatz militärischer Mittel bleibt die Ultima
Ratio. Natürlich will die SPD zu ihrer internationalen
und auch zu ihrer deutschen Verantwortung stehen. Eine
Verlässlichkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik ist
für Deutschland unverzichtbar. Niemand würde auf uns
hören, wenn wir uns erratisch und nach aktueller Stim-
mungslage verhalten würden. – All das muss dazu bei-
tragen, das Versprechen gegenüber der deutschen Bevöl-
kerung und den Angehörigen der Bundeswehr
einzulösen, dass wir in Afghanistan nicht auf Dauer mi-
litärisch engagiert sein wollen und dass wir all unsere
Mittel und Instrumente, die wir einsetzen, dem Ziel un-
terzuordnen haben, die Sicherheit in Afghanistan durch
afghanische Soldaten und Polizeikräfte zu gewährleisten
und die Soldatinnen und Soldaten aus bewaffneten
Kampfeinsätzen nach Deutschland zurückzuholen. Das
ist das Ziel sozialdemokratischer Politik. Wenn auch Sie
dieses Ziel verfolgen, finden Sie unsere Zustimmung.
Wenn Sie es infrage stellen, dann haben Sie unsere Zu-
stimmung nicht zu erwarten.
Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kol-
lege Andreas Schockenhoff.
Herr Kollege Gabriel, Sie haben gerade behauptet, dieCDU/CSU habe 2001 gegen eines der ISAF-Mandategestimmt. Diese Behauptung ist falsch. Richtig ist viel-mehr, dass die CDU/CSU von Beginn des Einsatzes anjedem ISAF-Mandat zugestimmt hat.
Es gab eine Vertrauensfrage des BundeskanzlersGerhard Schröder im Zusammenhang mit dem Mandatfür die Operation Enduring Freedom. Auch hier hatdie CDU/CSU nicht gegen das Mandat gestimmt. Wirhaben uns aber damals der Stimme enthalten, weil Sie
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1530 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Januar 2010
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Dr. Andreas Schockenhoffdie Abstimmung mit der Vertrauensfrage verknüpft ha-ben. Ich will Ihnen Gelegenheit geben, Ihre falsche Be-hauptung zurückzunehmen.
Herr Kollege, ich habe auf Zwischenrufe hinsichtlich
taktischen Verhaltens in der Innenpolitik mit der Bemer-
kung reagiert, dass man Einsätze der Bundeswehr nicht
mitgetragen hat. Das haben Sie nach Ihrer eigenen Aus-
sage damals aus innenpolitischer Taktik nicht getan.
– Nichts anderes haben Sie gemacht.
Abgesehen davon unterscheidet uns im Wesentlichen,
dass wir wissen, was völkerrechtlich in Ordnung ist und
was nicht.
Wir erinnern uns gut daran, dass Sie und auch Ihre da-
malige Fraktionsvorsitzende damals nicht genug dafür
werben konnten, den völkerrechtswidrigen Krieg im Irak
zu legitimieren. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen
und uns: Wir wissen, was völkerrechtlich richtig ist, und
wir verstoßen nicht gegen das Völkerrecht, wie Sie es
damals getan haben.
Das Wort hat nun der Kollege Rainer Stinner für die
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Als das Afghanistan-Engagement im Jahr 2001 vonSPD und Grünen begonnen wurde, wusste jeder von unsund vor allen Dingen von den beiden damals tragendenParteien, dass es sich um ein langfristiges Engagementhandeln würde.
– Ihr damaliger Parteikönig, Herr Ströbele, Außenminis-ter Fischer, hat damals in der Debatte über das Mandatam 20. Dezember 2002 gesagt:Man muss aber ehrlich hinzufügen: Es wird langedauern.Man müsse wissen, dass es ein sehr langfristiges Enga-gement wird. Das hat Ihr Herr Fischer hier gesagt.
Herr Gabriel, Sie haben sich heute in einem großenTeil Ihrer Rede am Kriegsbegriff abgearbeitet. Ich darfSie daran erinnern, was Ihr damaliger Parteivorsitzenderund Bundeskanzler Schröder am 22. Dezember 2001 ineiner Afghanistan-Debatte im Deutschen Bundestag ge-sagt hat. Ich zitiere wörtlich:Im Deutschen Bundestag ist über die Frage, ob esverantwortbar sei, sich an Kriegshandlungen zu be-teiligen – in welcher Form auch immer –, wie nichtanders zu erwarten, sehr heftig gestritten worden.Es sind viele Argumente ausgetauscht worden. ZumBeispiel wurde gesagt, dass Krieg immer auch Un-schuldige trifft. Das ist wahr. Aber das Problem,dem wir uns heute stellen müssen, ist: Die Abwe-senheit von demokratisch legitimierter Gewalt hatviel, viel mehr Unschuldige getroffen, hat sie recht-los gemacht, zumal Frauen und Kinder.Er fährt fort:Krieg trifft Unschuldige. Das ist keine Frage. Aberdas Beispiel Afghanistan zeigt: Nur mithilfe militä-rischer Gewalt konnte verhindert werden, dass auchin Zukunft Unschuldige unendlich leiden müssen.Es sind also nicht die jetzige Bundesregierung und derjetzige Verteidigungsminister, die den Kriegsbegriff indie Debatte eingeführt haben, sondern es war Ihr Partei-vorsitzender, dem Sie damals auf breiter Ebene zuge-jubelt haben.
Herr Gabriel, Ihr Gedächtnis ist sehr kurz. ErwartenSie aber nicht, dass unseres ähnlich kurz ist. HerrSchockenhoff hat darauf hingewiesen, dass Sie die Af-ghanistan-Debatte falsch memoriert haben. Auch wir ha-ben dem ISAF-Einsatz zugestimmt. Wegen der Verknüp-fung mit der Vertrauensfrage haben wir damals in der Tatnicht sofort zugestimmt, wohl aber einige Jahre später.Bitte gehen Sie in die Archive und vor allen Dingen insich!
Der Parteivorsitzende der SPD verbreitet nun wohl-feile Vorschläge an die politische Klasse bzw. die Bun-desregierung. Ich darf Sie daran erinnern, sehr geehrterHerr Gabriel, dass Ihre Regierungszeit von 1998 bis2009 gedauert hat und dass Sie zuerst den Bundeskanz-ler und dann vier Jahre den Außenminister gestellt haben.Nun stellen Sie sich hierhin und werfen der Bundesre-gierung vor, dass in Afghanistan nicht die notwendigenFortschritte gemacht worden seien.
Herr Gabriel, Ihnen kann ich nur das alte Sprichwort zu-rufen: Der beste Beweis für das Können ist das Tun. –Sie haben es jahrelang nicht getan. Diese Bundesregie-rung packt es endlich an und tut das Richtige.
Wir haben von der Bundesregierung erwartet, dass siemit eigenen, konsistenten und alle Bereiche umfassen-den Vorschlägen nach London geht. Diese Erwartung ist
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Januar 2010 1531
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Dr. Rainer Stinnererstmals erfüllt worden. Auch das ist neu, Herr Gabriel.Sie haben immer von vernetzter Sicherheit gesprochen.Die jetzige Bundesregierung tut diesbezüglich erstmaligetwas. Wir können deutlich erkennen, dass alle vier be-teiligten Ressorts gemeinsam mitgearbeitet haben.
Die Bundesregierung hat sich auch nicht von dem lo-gisch richtigen Weg abbringen lassen: zuerst Ziele defi-nieren, dann Strategien als Wege zu den Zielen festlegenund schließlich über die Mittel reden. Sie, Herr Gabriel,haben primär über die Zahl der Soldaten und Abzugsda-ten gesprochen. Das sind Resultanten, Ergebnisse einervorherigen Zieldefinition und einer Strategiefestlegung.Das kommt am Ende und nicht am Anfang. Deshalb hatdie Bundesregierung in ihrem Vorgehen recht.
Alle vier Ressorts haben unter Federführung des Aus-wärtigen Amtes eindeutig und stark mitgewirkt. FrauBundeskanzlerin, Sie haben dafür dem Außenminister– zu Recht – herzlich gedankt. Ich möchte Ihnen, FrauBundeskanzlerin, für Ihre Regierungserklärung danken,die vollumfänglich unsere Zustimmung gefunden hat.Das haben Sie sicherlich am Beifall gemerkt.Lassen Sie mich auf ein Element ausführlich einge-hen: den Integrationsfonds. Herr Karzai hat heute ge-nauso wie die internationale Gemeinschaft und alle an-deren Vernünftigen auf der Welt gesagt: Ohne denVersuch, die Hardcore-Taliban von den Mitläufern zutrennen, und ohne den Versuch, Tausende, Zehntausendebzw. Hunderttausende wieder in die Gesellschaft eines„normalen“ Afghanistans zu integrieren, wird es nie undnimmer Frieden in diesem Land geben können. Deshalbist die jetzige Initiative richtig. Sehr geehrter HerrGabriel, jeder weiß, dass das schwierig werden wird.Keiner glaubt, dass wir jetzt mit Geldscheinen Talibanfangen können. Jeder weiß, dass dadurch Nichtmitläufernicht benachteiligt werden dürfen. Keiner glaubt, dass essinnvoll ist, der afghanischen Regierung einfach350 Millionen Euro zu geben und ihr zu sagen: Nunmacht mal schön! – Nein, wir alle wissen, dass es sehrschwierig wird. Aber wir wissen genauso wie HerrKarzai und Vertreter vieler anderer Länder, dass das un-mittelbar notwendig ist.Die zivile Unterstützung wird sehr deutlich ausge-weitet, genauso wie die Polizei. Ich habe keine Zeitmehr, darauf im Einzelnen einzugehen, weil Sie, HerrGabriel, mich gezwungen haben, auf Sie einzugehen.Nur so viel: Wir von der FDP-Fraktion haben seit Jahrenein solches Konzept gefordert. Wir haben es jetzt. Aufdie Frage „Wird jetzt alles gut in Afghanistan?“ kann ichaber nur antworten: Natürlich wird jetzt nicht alles gut.Das weiß jeder von uns. Aber wir haben mit diesemKonzept die Chance, zu Frieden und Entwicklung in die-sem Land beizutragen. Wir haben die Chance, unser Ge-sicht international zu wahren. Wir haben die Chance, un-sere Interessen zu vertreten. Deshalb unterstützen wirdas Konzept der Bundesregierung.Herzlichen Dank.
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Gregor Gysi für
die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bun-deskanzlerin, welche Gründe gibt es eigentlich für denKrieg in Afghanistan? Diese Frage steht, auch wenn Sie,Herr Gabriel, den Krieg nicht Krieg nennen wollen, ob-wohl Bomben geworfen werden und millionenfach ge-schossen wird. Das ist nichts anderes als Krieg, HerrGabriel.
Sie, Frau Bundeskanzlerin, erklären erstens denKampf gegen den Terrorismus zum Ziel. Die Terroris-ten waren und sind in der al-Qaida organisiert. DerenLager in Afghanistan sind zerstört, die Finanzströmestillgelegt. Al-Qaida operiert jetzt von Pakistan und an-deren Ländern aus. Wenn Sie ernsthaft glauben, Terro-rismus mit Krieg bekämpfen zu können, müssten SieAfghanistan unverzüglich verlassen und in anderen Län-dern Krieg führen, aber das ohne Ende, weil es dann im-mer irgendwelche Wechsel der Terroristinnen und Terro-risten gäbe.Nur, mit Krieg kann man niemals wirksam Terroris-mus bekämpfen;
im Gegenteil, man erzeugt neuen Terrorismus. Im Kriegsterben immer Unbeteiligte, Unschuldige, am Kunduznun eindeutig auch durch die Bundeswehr. Diese habenAngehörige, haben Freundinnen und Freunde, bei denenHass entsteht. So gelingt es den Bin Ladens dieser Erde,immer wieder neue Terroristinnen und Terroristen zu re-krutieren. Einen Bin Laden kann niemand von uns ver-hindern; aber dass er so viele für Gewaltakte gewinnenkann, das könnte man verhindern, aber niemals mitKrieg.
Hauptursache des globalen Terrorismus ist die Unge-rechtigkeit des Westens gegenüber der Dritten und dermuslimischen Welt. Statt Ausweitung des Krieges aufden Jemen und auf Somalia wären Friedenslösungenwichtig: für Afghanistan, für den Irak, für Somalia, fürden Jemen und für den Nahostkonflikt zwischen Israelund Palästina. Nur mit einem gerechten Welthandel, mitgrößerer, nicht selbstnütziger Entwicklungshilfe, mit ei-ner anderen Toleranz zwischen unterschiedlichen Kultu-ren und Religionen lässt sich dem Terrorismus der Bo-den entziehen, aber eben nicht mit Krieg.
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Dr. Gregor GysiIhr Ziel soll zweitens darin bestehen, die Taliban zubekämpfen. Die Taliban sind aber keine internationalenTerroristen, wenngleich sie den Terroristen von al-Qaidaerlaubt haben, sich in Afghanistan auszubilden. DieTaliban haben keine internationalen Ziele, schon garkeine terroristischen, sondern sie wollen ein bestimmtesRegime in Afghanistan wieder errichten, das uns allennicht gefällt.Präsident Karzai versucht, mit bestimmten Talibaneinen politischen Ausgleich zu finden; anders geht esauch nicht. Wenn Sie im Unterschied zu Minister zuGuttenberg ernsthaft glauben, eine demokratische Kultureuropäischer Prägung in Afghanistan installieren zu kön-nen, werden Sie mit Ihrem Krieg genauso scheitern. AlleVersuche, die Kultur und Struktur des Landes militärischzu verändern, sind gescheitert. Das gilt für den britischenVersuch, für den sowjetischen Versuch und für den jetzi-gen Versuch der NATO.
Indirekt und wahrscheinlich eher unbewusst bestätigtdies Hans-Ulrich Klose von der SPD, indem er sagt, dassneun Wochen nach dem Abzug der NATO-Truppen ge-genwärtig die alte Taliban-Herrschaft wieder installiertwäre. Mit anderen Worten: Er sagt, dass der neunjährigeKrieg diesbezüglich völlig sinnlos war, weil er demnachnichts an Strukturen geändert hat.
Sie sagen drittens, dass es Ihnen um den zivilenAufbau gehe, der nur militärisch abgesichert werdenmüsse, solange keine ausreichende eigene afghanischeSicherheitsstruktur vorhanden sei. Die Organisation derUNO, die UNDP, hat über den zivilen Aufbau in Afgha-nistan folgenden Bericht vorgelegt, den Sie, Frau Bun-deskanzlerin, leider nur einseitig wiedergegeben haben.Zunächst werden Verbesserungen festgestellt. Beim Zu-gang zur Grundschule gibt es einen Anstieg von 54 auf60 Prozent der Kinder. Nach neun Jahren Krieg von54 auf 60 Prozent der Kinder! Bei der Alphabetisierunggibt es einen Anstieg von 34 auf 36,5 Prozent der Bevöl-kerung. Die Kindersterblichkeit ist von 257 auf 191 bei1 000 geborenen Kindern reduziert worden. Der Anteilder Bewohnerinnen und Bewohner mit Zugang zu Was-ser ist von 23 auf 41,4 Prozent angestiegen.Dann beschäftigt sich der UN-Bericht mit Ver-schlechterungen und stellt fest: Der Prozentsatz derMenschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, istvon 33 auf 42 Prozent angestiegen. Die Unterernährungbetrifft nicht mehr 30, sondern 39 Prozent der Bürgerin-nen und Bürger. Der Anteil der Bevölkerung mit Zugangzu sanitären Einrichtungen erlebte einen Rückgang von12 auf nur noch 5,2 Prozent. Die Zahl der Menschen, diein Slums leben, beträgt nicht mehr 2,4 Millionen, son-dern 4,5 Millionen. Die Arbeitslosigkeit von Jugendli-chen stieg von 26 auf 47 Prozent an. Mohnfelder zurGewinnung von Rauschgift umfassen nicht mehr131 000, sondern 193 000 Hektar.Zusammengefasst heißt das, dass sich die Situationtrotz einiger Fortschritte letztlich nicht verbessert, son-dern deutlich verschlechtert hat. Die Hauptrichtung warnie der zivile Aufbau; denn die USA setzen zehnmal soviel Geld für die Finanzierung des Krieges wie für dieEntwicklungshilfe ein. Deutschland setzt viermal so vielGeld für den Krieg wie für die Entwicklungshilfe ein.Es gibt sechs afghanische Organisationen der Zivilge-sellschaft, die von der Afghanistan-Konferenz in Lon-don wörtlich Folgendes fordern – ich darf zitieren, HerrPräsident –:Die Entwicklung Afghanistans muss durch Afgha-nen erfolgen und rechenschaftspflichtig gegenüberden afghanischen Bürgerinnen und Bürgern sein.Die Entwicklungshilfe sollte nicht mit militärischenZielen verbunden werden. Hilfe ist keine Waffe.
Dieser Forderung schließt sich die Fraktion Die Linke invollem Umfang an.Sie, Frau Bundeskanzlerin, sagen es nicht, aber vielevermuten, dass es Ihnen, viertens, auch um ökonomi-sche Ziele geht. Es gab langjährige Verhandlungen derUSA mit den Taliban über den Bau einer Erdgasleitungvon Turkmenistan über Afghanistan nach Pakistan.Mehr Unabhängigkeit von Russland war und ist ebensodas Ziel wie gigantische Profite. Während eines Kriegeskann man keine Erdgasleitung bauen. Selbst solche Stra-tegen brauchten irgendwann ein Ende des Krieges. ImÜbrigen darf doch aber noch darauf hingewiesen wer-den, dass solche Motive für Kriege nicht nur höchst un-moralisch, sondern auch eindeutig völkerrechtswidrigsind.
Zusammenfassend gibt es also keinen anderen verant-wortbaren Weg für Afghanistan und für Deutschland alsden Weg des Abzugs der Bundeswehr, und zwar ohneBedingungen, vollständig und sofort, das heißt noch indiesem Jahr, verbunden mit einer deutlichen Auf-stockung der Mittel für den zivilen Aufbau.
Nur wenn ein solcher ziviler Aufbau stattfindet, nurwenn die Menschen eine neue und höhere Lebensquali-tät erfahren, kann man sie so stark motivieren, dass siediskriminierende, kulturell unerträgliche Herrschafts-strukturen wie die der Taliban so sehr ablehnen, dass sienicht, schon gar nicht dauerhaft, wieder installiert wer-den können.
Die Afghaninnen und Afghanen können sich nur selbstbefreien. Dabei können wir helfen, aber wir können diesniemals militärisch erzwingen.
Die Bundesregierung geht weiterhin einen völlig fal-schen Weg. Die Aufstockung der Zahl der Soldaten, egalwelche Motive Sie angeben, führt zu einer Verschärfungund nicht zu einer Verbesserung der Situation. Die SPDunterstützt das wie gewohnt und verkündet zusammen
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Dr. Gregor Gysimit einigen aus der Regierung – andere in der Regierungsehen das offenbar anders – als neue Entscheidung, dasssie dann, wenn die USA mit einem Truppenabzug 2011beginnen, ebenfalls damit beginnen wollen, wobei keinTermin für das Ende des Abzugs genannt wird. Die Lo-gik, erst aufzustocken, um dann mit dem Abzug zu be-ginnen, ist zwar nicht nachvollziehbar; aber wenn dasneu ist, dann heißt das, dass diese Vertreter der Regie-rung und der SPD bisher der Meinung waren, länger alsdie USA in Afghanistan zu bleiben. Das erscheint mirdoch mehr als erstaunlich.Im Übrigen bleibt Folgendes unerklärbar: Wenn inneun Jahren die Ausbildung von Armee und Polizeinicht gelungen ist, sodass laut Hans-Ulrich Klose diealte Taliban-Herrschaft neun Wochen nach Abzug derTruppen der NATO wieder etabliert wäre, wie wollenSie dann innerhalb eines Jahres das zustande bringen,was Ihnen in neun Jahren nicht gelungen ist?
Daran können nicht einmal Sie selbst glauben.Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben kein Konzept. Siestocken die Zahl der Soldaten auf und wissen nicht, wieSie die Situation endlich beherrschen können, wie dieSoldaten aus Afghanistan herauskommen können. Ihnenfehlt der Mut, wie ihn Länder wie Kanada und die Nie-derlande gezeigt haben bzw. beginnen zu zeigen, denUSA und anderen NATO-Partnern einfach und deutlichzu sagen: Wir ziehen die Bundeswehr ab; wir halten denKrieg für das falsche Mittel; wir wollen den Afghanin-nen und Afghanen wirksam, das heißt zivil helfen. WennSie diesen Mumm bewiesen, Frau BundeskanzlerinMerkel, dann könnten Sie diesbezüglich positiv in dieGeschichte eingehen. Wenn Sie den USA aber nur hin-terherrennen, schaden Sie nicht nur Afghanistan, son-dern auch unserem Land.Die einzige Fraktion im Bundestag, die schon immerklar gegen diesen Krieg gesprochen hat und dabei blei-ben wird, das ist die Fraktion Die Linke.
Darauf, Herr Gabriel, bin ich stolz.
Nächster Redner ist der Kollege Philipp Mißfelder für
die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnenund Kollegen! Zunächst einmal möchte ich ein paar ein-leitende Worte zu dem Verfahren sagen, mit dem diesesKonzept dem Parlament und der Öffentlichkeit vorge-stellt worden ist; ich glaube nämlich, dass es bemerkens-wert ist. Oft klagen Parlamentarier, dass sie sich zuwenig eingebunden fühlen. Frau Bundeskanzlerin, HerrBundesaußenminister, Herr Verteidigungsminister, manschaue sich die vergangenen Tage und Wochen an. Ichfand es gut, dass über dieses Konzept nicht öffentlich, ingroßen Talkshows oder Interviews, Auskunft gegebenworden ist, sondern genau an den Orten, an die der Fach-diskurs gehört, etwa in das Vorfeld der parlamentari-schen Beratungen, zum Beispiel auf die Tagung der re-nommierten Körber-Stiftung vergangene Woche, HerrBundesaußenminister. Richtig war auch, die Obleute, dieFraktionsvorsitzenden und die Ausschüsse zeitnah undnicht öffentlich zu informieren, sodass zuerst an diesenOrten darüber diskutiert wurde, wie wir mit Afghanistanweiter verfahren. Man muss wirklich sagen: An dieserStelle ist das Parlament so eng wie selten eingebundenworden. Vor diesem Hintergrund danke ich der Regie-rung für diesen klaren und vernünftigen Kurs.
Im Übrigen möchte ich auf Folgendes verweisen:Vorschläge, die von allen Fraktionen, insbesondere vonunseren Kollegen der SPD, von Herrn Erler und HerrnMützenich, frühzeitig in den vergangenen Debatten hiergeäußert worden sind, sind aufgenommen worden, zumBeispiel, dass wir vor der Afghanistan-Konferenz imParlament über die Frage der Zukunft Afghanistans dis-kutieren. Allein das ist richtig. Wir werden in zwei Wo-chen, wenn die Afghanistan-Konferenz vorbei ist, imParlament über die Ergebnisse dieser Konferenz in Lon-don diskutieren. Auch das ist ein Zeichen dafür, dass dieVorschläge der Opposition und des Parlaments insge-samt sehr ernst genommen werden.
Dieser Hinweis ist erlaubt: Wir wünschen uns, dass dieRegierung mit dem Parlament auch bei anderen Themenso umgeht. Dieses Musterbeispiel sollte zu einer Selbst-verständlichkeit für den Umgang zwischen Parlamentund Regierung werden.Es ist vorhin die Frage gestellt worden, warum wir inAfghanistan sind. Ich habe, Herr Kollege Gysi, aller-dings nicht ganz verstanden, warum Sie uns hierfür öko-nomische Motive unterstellen wollen. Ich habe es wirk-lich nicht verstanden.
Es ist aber festzuhalten, dass die Bundeskanzlerin undauch wir bei jeder sich bietenden Gelegenheit immerdeutlich gemacht haben, warum wir da sind. Es ist keinSelbstzweck, in Afghanistan zu sein, sondern es liegt inunserem ureigensten Interesse, unsere Interessen, dieInteressen Deutschlands und die Interessen der Men-schen in Deutschland, auch in Afghanistan zu verteidi-gen. Wir machen es uns nicht einfach und kommen nichtmit starken Sprüchen daher.An die Adresse der SPD gerichtet möchte ich dage-gen sagen: Die von Ihnen für Ihre Afghanistan-Strategiein den letzten Jahren gelieferten Begründungen beruhten
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Philipp Mißfelderimmer auf sehr starken Worten. Zunächst einmal spra-chen Sie von der „uneingeschränkten Solidarität“, wasauch immer das bedeuten sollte,
und brachten es dann auf die einfache Formel: Deutsch-land werde am Hindukusch verteidigt. Davon wollen Sieheute offenbar nichts mehr hören. Vor diesem Hinter-grund haben wir ganz bewusst einen anderen Weg ge-wählt und gemeinsam mit der Regierung ein geschlosse-nes Konzept entwickelt und eine große Konzeption aufden Weg gebracht, mit der wir einerseits deutlich ma-chen, dass unsere Interessen gewahrt werden sollen, aberandererseits auch die Zukunft Afghanistans in den Mit-telpunkt stellen.Warum sind wir in Afghanistan? Wir sind da, um zuverhindern, dass Afghanistan dauerhaft zu einem dergroßen Umschlagplätze für den internationalen Terro-rismus wird. Alle Gesprächspartner, die wir in den ver-gangenen Tagen aus Afghanistan hier hatten, haben unsbestätigt, dass die Fäden nahezu aller relevanten interna-tionalen fundamentalistischen Terrororganisationen teil-weise in Afghanistan selbst oder in unmittelbarer Nach-barschaft in Pakistan zusammenlaufen. Allein schon,dass wir verhindern wollen, dass Afghanistan dauerhaftals Terrorbasis bzw. Umschlagplatz des Terrors etabliertwird, rechtfertigt unser Engagement.Ich glaube aber, dass es viel wichtiger ist, dass wirden Beitrag zur Stabilisierung Afghanistans, den wir inden vergangenen Jahren schon geleistet haben, weiterhinleisten.
Seit 2002 ist unser Engagement immer mit Schwierig-keiten verbunden gewesen, aber trotzdem sehr ausgewo-gen gewesen. Eine unserer Befürchtungen ist zwar, dassdie Lücke zwischen militärischem und zivilem Engage-ment an manchen Stellen zu groß geworden ist, aberdiese Lücke wird – das vollziehen wir mit dem vorlie-genden Konzept – jetzt geschlossen. Indem wir das zi-vile Engagement massiv erhöhen, machen wir deutlich,welche strategische Ausrichtung wir in den nächstenJahren verfolgen wollen.Wenn gesagt wird, in Afghanistan laufe alles schlecht,halte ich dagegen und sage: Das stimmt nicht. Wir habenheute, wie gesagt, im Auswärtigen Ausschuss des Deut-schen Bundestages die Gelegenheit gehabt, mit Präsi-dent Karzai darüber zu diskutieren. Die SPD hat auf ih-rer Fachtagung am vergangenen Freitag die Gelegenheitgenutzt, mit dem früheren Außenminister und jetzigenSicherheitsberater Spanta intensiver darüber zu diskutie-ren. Dabei wurde uns doch gerade bestätigt, dass das En-gagement erfolgreich war.Schauen Sie sich allein einmal an, wie massiv sichdas Rollenverständnis der Frauen innerhalb Afghanis-tans trotz der schwierigen gesellschaftlichen Situationverbessert hat. Das ist aus meiner Sicht beachtlich undsollte nicht unerwähnt bleiben. Vor dem Hintergrund,dass zu Zeiten der Taliban-Herrschaft keine Frau eineUniversität und kein Mädchen eine Schule betretendurfte, halte ich es nach wie vor für erwähnens- und lo-benswert, festzustellen, dass die Situation heute ganz an-ders ist.
Ein großer Erfolg ist auch, dass im Auswärtigen Dienstder afghanischen Regierung der Frauenanteil heute 18 Pro-zent beträgt.
Und wenn Sie in Berlin einen Ansprechpartner derafghanischen Regierung telefonisch sprechen wollen,dann rufen Sie nicht irgendjemanden an, sondern Sie ru-fen eine Frau an, nämlich die Geschäftsträgerin. Auchdas halte ich für bemerkenswert. Was, glauben Sie– Herr Kollege Klose hat das an anderer Stelle ja schonoft gesagt –, würde als Allererstes zurückgedrängt, wennsich die internationale Staatengemeinschaft dort nichtmehr engagieren würde? Das Hauptziel der Taliban wäredoch – da bin ich mir sicher – in erster Linie, die Rolleder Frauen wieder zurückzudrängen und die Erfolge, dieauf diesem Gebiet erreicht worden sind, zunichte zu ma-chen.Wir haben die Situation – die Bundesregierung weist inihrer Stellungnahme deutlich darauf hin –, dass 11 000 Un-terrichtsräume für 500 000 Schülerinnen und 25 000 Leh-rer unter deutscher Führung entstanden. Heute gehenrund 7 Millionen Kinder zur Schule; davon sind 35 Pro-zent Mädchen. Das ist ein großer Erfolg; auch solche Er-folge sind in Afghanistan zu verzeichnen. 600 KilometerStraße sind gebaut worden. 250 000 Haushalte in Nord-afghanistan sind an Bewässerungsanlagen angeschlos-sen. Auch der Optimismus, den die Afghanen in ihrerGesellschaft selber spüren, sollte erwähnt werden. EineUmfrage von ARD, BBC und dem amerikanischen Sen-der ABC macht deutlich, dass 70 Prozent der Afghanenoptimistisch in die Zukunft blicken.
Allein deshalb sollten wir diese Debatte mit einer gro-ßen Ernsthaftigkeit führen. Denn ich bin mir sicher, dassviele Menschen in Afghanistan diese Debatte und diestrategische Diskussion in Deutschland genau verfolgen.Die Hoffnung, die viele Menschen in Afghanistan in unssetzen, sollten wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.
Unsere Ziele sind klar umrissen: Wir wollen den Ter-ror vor Ort bekämpfen, eine Stabilisierung der Regioninsgesamt erreichen, einen Beitrag zur Stabilisierung Pa-kistans, einer schwierigen Atommacht, leisten, die Men-schen- und Frauenrechte dauerhaft durchsetzen, einfunktionierendes Rechtssystem etablieren und die wirt-schaftliche Prosperität unterstützen, sodass Afghanistanauf Dauer auf eigenen Beinen stehen kann.Ich glaube, dass wir einen ausgewogenen Beitrag leis-ten. Deshalb will meine Fraktion den Vorschlägen derRegierung zustimmen. Ich halte diesen Beitrag deshalb
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Philipp Mißfelderfür ausgewogen, weil er alle Ansätze – das zivile Enga-gement, das militärische Engagement, das polizeilicheEngagement – umfasst und damit eine dauerhafte Pers-pektive unseres Engagements gewährleistet.Wir haben eine Abzugsperspektive genannt. Insofernmöchte ich meinen Vorredner ein Stück weit korrigieren:Niemand von uns hat jemals gesagt, dass es in unseremInteresse liegt, ewig in Afghanistan zu bleiben. Aber Siehaben auch in früheren Zeiten gesagt, dass es absolutfalsch wäre, Afghanistan kopflos zu verlassen. Ange-sichts der Chuzpe, mit der die Taliban selber über unsereDebatte urteilen, erinnere ich Sie gerne an Ihre eigenenfrüheren Äußerungen. In vielen Medien und in vielenGesprächen wird der Ausspruch eines Taliban-Führerszitiert, der zu US-Diplomaten lächelnd gesagt habensoll: Ihr habt alle Uhren, wir haben alle Zeit.Wenn Sie jetzt ein konkretes Datum für den endgülti-gen Abzug nennen, dann wiegen Sie die Taliban nochmehr in Sicherheit. Sie werden sich kurzfristig zurück-ziehen; aber die Gefahr ist sehr groß, dass sie nach kur-zem Abwarten gestärkt wieder hervorkommen unddamit unser entwicklungspolitisches Engagement zu-nichtemachen werden.Deshalb gibt es mit uns keinen kopflosen Abzug ausAfghanistan. Vielmehr wollen wir unser Engagementmit einer realistischen Abzugsperspektive verbinden.Dafür haben wir klare Konditionen genannt.
Meine Damen und Herren, mein Dank in dieser De-batte – das möchte ich deutlich erwähnen – gilt nicht nurunseren Soldatinnen und Soldaten und deren Angehöri-gen, sondern auch den Diplomatinnen und Diplomaten,die vor Ort für die Bundesrepublik und in unserem Inte-resse im Einsatz sind, den Entwicklungshelfern, den Po-lizisten und letztendlich auch – ich glaube, dass ein gro-ßer Teil von Ihnen diese Debatte gespannt verfolgt – denAngehörigen der Personen, die sich in Afghanistanengagieren und die zu Recht einfordern, dass wir unsernsthaft mit der Perspektive des Abzugs und eines er-folgreichen Einsatzes, für den unsere Menschen dort vorOrt einstehen, beschäftigen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun die Kollegin Renate Künast für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ichmöchte mich ganz fokussiert auf das Thema, um das eseigentlich geht, nämlich die Londoner Konferenz undeine neue Strategie für Afghanistan, konzentrieren.Die Situation ist schwierig. Wir haben darüber ges-tern eine erste lange und sehr ruhige und sachliche Dis-kussion in unserer Fraktion geführt. Ich glaube, mankann unser mehrheitliches Gefühl angesichts der interna-tionalen, auch deutschen Diskussion durchaus mit denWorten beschreiben: Jetzt ist Licht, allerdings in vielSchatten.Ich will nicht negieren, Frau Bundeskanzlerin, dass eshier positive Elemente gibt. Trotzdem muss ich sagen,dass Ihre Rede eben hinreichend unbestimmt war.
Sie haben viele Fakten und Zahlen genannt, haben abernicht die Frage beantwortet, wie Sie die Vergangenheitbeurteilen. Auch dazu haben Sie zwar Zahlen – hierProzentzahlen, da Prozentzahlen – genannt. Von HerrnGysi bin ich das gewöhnt; er liest hier halbjährlich dengleichen Text vor. Immer wieder Zahlen! Es geht aberum folgende Fragen: Haben wir das Gefühl, grundsätz-lich die richtige Strategie gewählt zu haben? Auf wel-cher Basis und mit welcher Philosophie soll es in Zu-kunft weitergehen? Eine Antwort darauf hat gefehlt. Ichhabe von Ihnen bezüglich des bisherigen Einsatzes posi-tive Worte gehört. Im Ticker wurde Herr Westerwelledahin gehend zitiert, dass alles gescheitert sei.
– Dann machen Sie eine Gegendarstellung. – Ich sageIhnen: An dieser Stelle gibt es unterschiedliche öffentli-che Positionierungen.Im Vorfeld der Londoner Konferenz wollen wir nichteinfach trockene Zahlen hören, sondern wissen: Wiesind die Zielmarken, in Neudeutsch: die Benchmarks?Bis wann soll wer was erfüllt haben? Egal ob es uns, an-dere Staaten oder die Regierung des Präsidenten Karzaibetrifft. Eine Lehre aus der Vergangenheit ist für uns,dass darauf eine Antwort gefunden werden muss. Nurwenn diese Fragen beantwortet werden, wird das Zielvon Karzai, 2014 selbstständig für Sicherheit zu sorgen,überhaupt erreicht werden können.
Wir hätten eigentlich auch erwartet, Frau Bundes-kanzlerin, dass Sie etwas zur Evaluierung der bisheri-gen Einsätze sagen. Sie sagen so schön: 30 Polizisten ha-ben wir ausgebildet.
– Was habe ich gesagt?
– Entschuldigung. 30 000 stimmt. – Aber die Frage istdoch: Sind diese Polizisten jetzt effizient eingesetzt? Istdie Struktur zum Beispiel gegen Korruption ausgerichtetund verhindert sie, dass ein Großteil dieser Leute zu denTaliban überläuft, nachdem die westliche Staatenge-meinschaft sie ausgebildet hat? Eine Evaluierung imHinblick auf diese Fragen würde mich interessieren.
Ich hätte in all diesen Debatten über die Zukunftgerne auch gehört, ob es nicht nur heute, sondern grund-
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Renate Künastsätzlich eine andere Vorgehensweise im Umgang mitdem Bundestag gibt, was die Zielstellung der Afghanis-tan-Politik und die Vorlage regelmäßiger Zwischenbe-richte angeht.Meine Damen und Herren, wir diskutieren heute übereine neue Strategie und deren Umsetzung, die der afgha-nische Präsident Karzai in seiner Antrittsrede im No-vember mit der Zielstellung 2014 angekündigt hat. Dasist eine Strategie der nationalen Versöhnung. Jetztgeht es darum, dass die internationale Staatengemein-schaft sagt: Wir unterstützen dies und leisten unserenBeitrag dazu.Es gibt aber Grundsatzfragen, die Sie nicht einmal an-getippt haben, Frau Merkel. Sie sprachen über das Re-integrationsprogramm, das ein Kern des Programms dernationalen Versöhnung von Karzai ist. An dieser Stellemuss man aber die Frage stellen – eine Antwort daraufmuss gefunden werden –: Wo sind die roten Linien, dieKarzai hier und da andeutet und die da heißen: Verhinde-rung von Gewaltbereitschaft, Entwaffnung und das Ziel,dass man sich auf dem Boden der afghanischen Verfas-sung befinden und sich an die universellen Menschen-rechte halten muss? Das allein sind aber nur warmeWorte. Wir müssen auch sicherstellen, dass dies umge-setzt wird, und von Karzai die Formulierung von Krite-rien verlangen.Mir reicht nicht aus, dass einfach gesagt wird, wirkönnten Hunderttausende unideologische junge afghani-sche Männer mit dem Angebot von Geld und Land, alsomit wirtschaftlichen Perspektiven, aus Pakistan zurück-holen. Man muss klar hinzufügen, was mit den anderengeschieht. Denn für die einen ist dies ein Finanzierungs-programm. Zur nationalen Versöhnung gehört aber auch,mit den ehemals Gewaltbereiten zu reden, sie zurück-zuholen und ihnen Asyl zu gewähren. Wo genau ist ei-gentlich die rote Linie, um zu verhindern, dass aus deninvestierten 500 Millionen Euro nur ein Rückführungs-programm oder sogar ein Rückkaufprogramm wird, des-sen negative Wirkungen man überhaupt nicht absehenkann? Dazu haben Sie geschwiegen, Frau Merkel.
Wie soll das denn gehen und wie wäre das Verfahren,wenn es solche Rückkehrprogramme gäbe und man ein-zelnen Provinzen mehr Selbstständigkeit zugestehenwürde? Wie soll denn dann das Spannungsverhältnis,das zwischen der Geltung der universellen Menschen-rechte und der in der afghanischen Verfassung postulier-ten Scharia herrscht, in der Realität umgesetzt werden?Das alles sind Fragen, die sich an dieser Stelle ergeben.Ich hatte die Freude, gestern Herrn Karzai zu treffenund von Ihnen gestern früh informiert zu werden. Weildas alles hinreichend unbestimmt ist, stelle ich mir dieFrage: Wie soll Korruption in Zukunft bekämpft wer-den? Die Aussage, Afghanistan brauche ein Backing derStaatengemeinschaft und davon ziemlich viel, reicht mirauch nicht aus. Wir wollen von der afghanischen Regie-rung wissen, wie sie das Geld tatsächlich in den Aufbaudes Landes investiert, wie das strukturell funktionierensoll.Es macht Sinn, Karzai mit seiner Regierungserklä-rung und der Art seines Versprechens an sein Volk zu un-terstützen. Er will fünf Bereiche weiterentwickeln undverspricht, die Bemühungen so zu organisieren, dass manEnde 2014 fertig sei. Wir können das unterstützen. Abermir ist es egal, ob die einen sagen, wir unterstützen das,und die anderen sagen, wir brauchen ein Abzugsdatum.Zwischen dem 31. Dezember 2014 und dem 1. Januar2015 liegt nur eine juristische Sekunde. Insofern: RegenSie sich untereinander doch nicht darüber auf! Machenwir uns lieber Gedanken darüber, wie wir Afghanistankonkret unterstützen können.Ich will zu drei Punkten etwas sagen, zu dem, was dieneue Strategie ausmachen soll:Für den zivilen Wiederaufbau sind Mittel von210 Millionen Euro vorgesehen. Das macht Hoffnung.Das ist ein Wort, aber mehr auch nicht. Noch bin ich zu-rückhaltend, weil schon oft versprochen wurde, manwolle Gelder anders implementieren, aber es nie ge-macht wurde. Ich sage Ihnen – auch nach der letzten Le-gislaturperiode – ehrlich: Wir wollen sehen, dass gezieltin die Entwicklung der ländlichen Räume Geld investiertwird, dass es aufgelegt wird und dort auch ankommt.
Ich hoffe, dass wir nach dem Rückzug vieler Organisa-tionen nicht zu spät sind.Wir begrüßen es, dass die Kanzlerin in der Art vonAbkehr und Distanzierung zum Angriff im Kunduz sagt:weg vom offensiven Vorgehen, hin zu einer Ausrichtungauf Ausbildung und Schutz. Dieser Satz war längstüberfällig. Das falsche Verhalten in der Vergangenheithat uns einen Untersuchungsausschuss beschert, dernicht überflüssig ist. Ich hoffe, Frau Merkel, Sie machengegenüber dem Kommandeur McChrystal endlich deut-lich, dass Sie das verstanden haben; intern sagen Sie dasja auch. Wenn Sie verstanden haben, dass es um Ausbil-dung und Schutz gehen soll, dann muss es jetzt an derZeit sein, sich ehrlich zu machen. Man muss sich sehrgenau überlegen: Wofür haben wir bisher Geld ausgege-ben? War es effizient? Haben wir unsere Versprechun-gen eingehalten?Zum Thema Polizei. Sie haben immer versprochen,einen Schwerpunkt bei der zivilen Aufbauoffensive,auch beim Polizeiaufbau, zu setzen. Wo ist der? Sie ha-ben schon einmal 120 Polizeikräfte für EUPOL und60 Polizeikräfte für bilaterale Polizeiarbeit versprochen.Derzeit sind allerdings gerade mal 123 Polizeikräfte imEinsatz. Die Ankündigung, auf 200 Polizeikräfte aufzu-stocken, gab es längst. Sie kündigen als Schwerpunkt derAufbauoffensive etwas an, wo wir doch in der Vergan-genheit schon immer darauf gewartet haben, dass diealte Ankündigung realisiert wird. Das ist keine Polizei-aufbauoffensive.
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Renate KünastWir werden sehr genau beobachten, wie Sie diese Offen-sive angehen wollen, wie Sie das, bis hin zum Partne-ring, beim Aufbau in den Distrikten gewährleisten wol-len. Unsere Forderung war bisher, 500 Ausbilder bei derPolizei einzusetzen.Zum Thema Bundeswehr. Ich glaube, das ist eineMogelpackung. Es gab eine Art Stammeskonflikt zwi-schen den Regierungsministern. Es ging um die Frage,wie stark die Bundeswehrkapazität ausgebaut werdensoll. Nun passiert Folgendes: Zusätzlich zu den 280 Aus-bildern, die es schon gab, hat man nach effizienten Kon-trollen und langem Suchen intern 620 gefunden. Nunwill man noch 500 Soldaten zusätzlich. Ich sage Ihnenganz klar: Wir werden auch in der Ausschussarbeit sehrgenau beobachten, wo überflüssige und falsche Einsätzestattfinden. Der Tornadoeinsatz mit bis zu 100 Soldatenmacht militärisch keinen Sinn. Auch hier gäbe es Um-baumöglichkeiten, Frau Merkel.
Meine letzte Anmerkung zur Bundeswehr: Ein Plusvon 350 „flexiblen“ Soldaten kann ich nicht akzeptieren.Wir haben in unserem bisherigen Kontingent von4 500 Soldaten längst Flexibilität drin. Frau Merkel, wirkönnen nicht akzeptieren – ich habe eine, zwei Nächte da-rüber geschlafen und mit vielen geredet –, dass wir hiereinfach für diese oder jene Aufgabe, für die Wahlen, fürÜbergänge und das Auswechseln von Truppen, sicher-heitshalber die Zahl 350 verabschieden. Wenn davon, wieSie hier gerade sagten, zum Beispiel bei den Wahlen ei-nige eingesetzt werden sollen, soll sich der Verteidi-gungsausschuss zuvor damit befassen. Ich sage Ihnenganz klar: Wir wollen keine Zum-Beispiel-Einsätze derBundeswehr. Die Entscheidung ist immer konkret im Ple-num zu treffen. Deshalb werden wir uns jeden einzelnenAntrag von Ihnen sehr kritisch und genau ansehen.
Fazit: Es gibt zwar Licht bei viel Schatten, aber jetztgilt es, die Londoner Ergebnisse abzuwarten. Wir wol-len konkrete Schritte und Transparenz für die Zukunft.Wir wollen wissen, wie eine Politik der Versöhnung inetwa funktionieren kann, ohne dass es zum Beispiel beider Umsetzung der Menschenrechte zu massiven Brü-chen und Rissen kommt. Jetzt muss es um einen wirkli-chen Vorrang des Zivilen gehen, um einen wirklichenVorrang von Ausbildung und Schutz unter Wahrung derMenschenrechte.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Elke Hoff für die
FDP-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Frau Bundeskanzlerin, ich möchte Ih-nen an dieser Stelle ausdrücklich meinen persönlichenRespekt für Ihre Regierungserklärung zollen, weil Siesehr deutlich gemacht haben, wie die Eckpunkte derneuen Strategie dieser Bundesregierung im Vorfeld derLondoner Konferenz aussehen. Ich glaube, dass jeder,der richtig zugehört hat, genau erkennen konnte, mitwelchen neuen Ausrichtungen diese Bundesregierungnach London fährt.
Ich habe auch mit sehr großer Aufmerksamkeit denWorten der Kollegen Gabriel und Gysi zugehört. Ichmöchte Ihnen an dieser Stelle empfehlen: Fahren Siedoch gemeinsam mit Frau Käßmann nach Afghanistan.Schauen Sie sich die Situation vor Ort an.
– Fahren Sie noch einmal hin und schauen Sie sich dieSituation noch einmal an. Dann würden Sie, glaube ich,über die Problematik, die dort vor Ort herrscht, wesent-lich konkreter und wesentlich realistischer reden kön-nen, als Sie das heute hier getan haben.
Ich hatte heute den Eindruck, dass, mit Ausnahme ei-ner Fraktion, in diesem Haus bezüglich der strategischenAusrichtung der Bundesregierung für die Londoner Af-ghanistan-Konferenz an vielen Stellen eine Übereinstim-mung zum Vorschein kommt, wenn sich der parteipoliti-sche Pulverdampf verzieht. Wir haben zum ersten Maldeutlich gemacht, dass der Primat der Politik in diesemEinsatz wieder die Oberhand gewinnt. Ich halte das fürsehr wichtig. Wir haben viele Forderungen, die in denvergangenen Jahren im Parlament stets wiederholt wor-den sind – mehr Aufbau von Polizei, mehr zivile Unter-stützung, mehr Übergabe von Verantwortung an die af-ghanische Regierung, mehr Schutz der Bevölkerung –,in diese Strategie implementiert.
Ich hatte heute an vielen Stellen der Diskussion denEindruck, dass wir mit rückwärtsgerichteten Termini ar-beiten. Der Punkt, an dem wir heute sind, bedeutet fürmich einen Aufbruch. Wir zeigen eine Perspektive fürAfghanistan, aber auch eine Perspektive für die interna-tionale Gemeinschaft auf. Man sollte hier nicht den Ein-druck erwecken, dass die Bundesregierung die Problemein Afghanistan alleine lösen kann. Es war eine interna-tionale Kraftanstrengung. Es ist eine internationaleKraftanstrengung. Ich glaube, wir sind gut beraten, wennwir in London noch einmal allen Bürgerinnen und Bür-gern der Mitgliedstaaten deutlich machen, dass das auchweiterhin eine internationale Kraftanstrengung ist.
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Elke HoffHerr Gysi, Sie haben heute hier Zahlen vorgetragen,um zu unterlegen, dass sich die Situation in Afghanistannicht signifikant verbessert hat.
Sie haben dabei aber eines außer Acht gelassen: DieRückführung von Millionen von Flüchtlingen aus denbenachbarten Ländern Pakistan und Iran ist eine großeBelastung, die dieses Land zusätzlich zu den Folgen desBürgerkrieges zu tragen hat, bzw. es ist eine unmittel-bare Folge aus dem Bürgerkrieg. Das wirkt sich selbst-verständlich auch auf diese Strukturen aus. Man solltenicht so tun, als sei die Präsenz der internationalen Ge-meinschaft in den letzten Jahren vollkommen umsonstgewesen.Dies ist eine komplexe und komplizierte Region. Ichbin dankbar, dass heute auch das Thema Pakistan ange-sprochen worden ist. Es wird viel zu wenig zur Kenntnisgenommen, dass Pakistans Regierung unter anderem mitmilitärischen Anstrengungen ebenfalls versucht, Stabili-tät in der Region herbeizuführen. An dieser Stelle sindsehr viele Todesopfer zu beklagen, auch unter den Sol-daten und den Polizisten. Ich möchte die Gelegenheitnutzen, ein sehr herzliches Dankeschön an die pakistani-schen Entscheidungsträger zu richten; denn letztendlichprofitieren auch wir bei unserem Einsatz und Engage-ment in Afghanistan davon.
Wir haben heute die Frage gehört: Warum ist erst eineTruppenaufstockung notwendig, um die Zahl dann zu-rückzuführen? Wenn ich dieser neuen Strategie denSchutz der Zivilbevölkerung und die Übergabe in Verant-wortung als wesentliche Punkte zugrunde lege, bedeutetdas, dass ich in den bevölkerungsstarken Regionen Si-cherheit herstellen und gleichzeitig die afghanische Ar-mee ausbilden muss, um diese in die Lage zu versetzen,die Aufgaben der Sicherheitskräfte eines souveränenLandes zu erfüllen. Insofern ist das vollkommen logisch;das ist überhaupt nicht unlogisch. Das sieht man, wennman sich einmal etwas intensiver mit den Einzelheitendieser strategischen Überlegungen befasst.Ich möchte hier weiterhin zum Ausdruck bringen,dass ich das notwendige Vertrauen in die Fähigkeiten un-serer Bundeswehr in dem Bereich habe. Wir werden inZukunft eine große Verantwortung bei der Führung desRegionalkommandos Nord haben. Ich wünsche mir,liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, dass Sie, um dieZiele zu erreichen – Stärkung des zivilen Wiederauf-baus, mehr Übergabe in Eigenverantwortung, Schutz derZivilbevölkerung –, den Einsatz unserer Bundeswehrsol-daten auf der Basis dieses neuen Mandates mittragen.Ich wiederhole das an dieser Stelle und danke all den be-sonnenen Kolleginnen und Kollegen in den anderenFraktionen dafür, dass sie diesen Weg mitgehen wollen.Ich bin der Meinung, dass die zeitlichen Ziele, überdie wir heute gesprochen haben, durchaus zu erreichensind. Aber wenn wir unsere eigene Strategie nicht unter-stützen, wenn wir nicht an sie glauben und wenn wirschon von vornherein unseren zivilen Aufbauhelfern,den Diplomaten und den Soldaten dem Grunde nach sa-gen, dass wir nicht so ganz dahinterstehen oder nicht soganz davon überzeugt sind, dann frage ich mich, wo dieMenschen, die das vor Ort umsetzen sollen, die Motiva-tion hernehmen sollen.
Ich glaube, dass in Zukunft ein wesentlicher Punktder diplomatischen und politischen Bemühungen der in-ternationalen Gemeinschaft sein wird, die afghanischeRegierung dabei zu unterstützen, als souveräner Staatdie Versöhnung, die ihre Aufgabe in ihrem Land ist, zuerreichen. Das wird schwierig werden. Das wird viel Ge-duld bedürfen. Wir werden hier sicherlich viele – ichsage es einmal salopp – Kröten zu schlucken haben.Aber am Ende jeder militärischen Mission muss es einepolitische Lösung geben. Wir sind zum ersten Mal ge-meinsam in einer so realistischen Bewertung der Lageangekommen, dass ich der Überzeugung bin, dass wirhier mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung in dennächsten vier bis fünf Jahren zu wesentlich besseren Er-gebnissen kommen werden als in den vergangenen achtJahren.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege
Ernst-Reinhard Beck.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! LieberKollege Gabriel, vorneweg möchte ich sagen: Ichglaube, es ist nicht ganz seriös, das, was man selbst achtJahre lang nicht geschafft hat, was einem acht Jahre langnicht gelungen ist, den Nachfolgern in dieser Form anzu-hängen.
Schlicht und ergreifend bis vor vier Monaten hat Ihr Au-ßenminister hier Verantwortung getragen. Diese rück-wärtsgewandte Geschichte ist schwer erträglich.
Wenn Sie etwas zum Konzept gesagt hätten, wäre das et-was anderes. Aber Sie haben damit im Grunde Ihre ei-gene Regierungszeit mit schlechten Noten versehen.
Das will ich am Anfang sagen.
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Ernst-Reinhard Beck
Natürlich, der Afghanistan-Einsatz dauert länger, istschwieriger und auch teurer, als wir es uns am Anfangvorgestellt haben; das ist richtig. Aber, Frau KolleginKünast, die Frau Bundeskanzlerin hat sich hier sehr klargeäußert und über ein Fünfpunkteprogramm unter derÜberschrift „Übergabe in Verantwortung“ gesprochen.Ich glaube, das ist in der Tat ein Programm, das demKonzept der vernetzten Sicherheit wirklich Rechnungträgt, eine Strategie, die auch nach vorne gerichtet ist.Sie sprachen den Dreiklang von Ausbildung, Schutzund Präsenz in der Fläche an. Dieser Dreiklang wird denHerausforderungen in einer angepassten Sicherheitslagegerecht. Die Erhöhung der Zahl der Militärausbildervon derzeit 280 auf circa 1 400 wird dazu führen, dasswir die Zielgröße der afghanischen Armee schneller er-reichen. Frau Künast, das ist keine Mogelpackung. ImRahmen der Verstärkung der Ausbildung stocken wir dieZahl von derzeit 500 auf. Das spielt auch mit Blick aufdie Führungsfähigkeit eine Rolle, nämlich dann, wenn2 500 amerikanische Soldaten in den Norden entsandtwerden. Sie stoßen sich oft an der Zahl 350.
Ich gehe davon aus, dass die Zahl 350 an die Obergrenzeangepasst wird. Das würde dann einem Plus von 850entsprechen.
– Herr Kollege Nouripour, das ist auch im Verteidi-gungsausschuss zu klären. Bisher war ein solcher Schrittangesichts der Obergrenze überhaupt nicht notwendig.Ich kann nicht verstehen, warum das ein Weniger seinsoll. Ich glaube, das, was die Bundesregierung an dieserStelle vorschlägt, ist ein Mehr an parlamentarischer Mit-bestimmung. Das muss ich in aller Klarheit sagen.
Die Verbesserung des Schutzes der afghanischen Be-völkerung wird die Rahmenbedingungen des zivilenAufbaus optimieren. Schließlich soll die Präsenz in derFläche den Kontakt zur Bevölkerung verbessern. Ichsage ganz klar: Präsenz in der Fläche kann im Grundenur heißen, in ausgewählten kritischen Distrikten ge-meinsam mit den afghanischen Soldaten, die wir selberausbilden, den Schutz der Bevölkerung mit der Ausbil-dung der Soldaten zu verbinden. Das ist das neue undrichtige Konzept. Ich glaube, diese Dreisäulenlösungwird für die Zukunft tragfähig sein. Jedes Element fürsich genommen hatte bereits in der Vergangenheit seinenPlatz, wenn es um Aufbau und Sicherheit ging.Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich be-tonen: Dass der neue Minister für wirtschaftlicheZusammenarbeit und Entwicklung keinerlei Berüh-rungsängste mit der Bundeswehr hat, lässt mich auchhoffen,
dass wir unsere Anstrengungen beim zivilen Aufbau ver-stärken und den Menschen dort, wo wir Verantwortungtragen, wo auch unsere Soldaten sind, nicht nur das Ge-fühl vermitteln, dass es besser wird, dass sie jetzt besserleben, dass das, was wir wollen, auch bei den Menschenankommt, sondern dass wir auch Tatsachen schaffen. Ichmeine, dass es durchaus richtig ist, den Schwerpunkt inder Region des Nordens zu setzen.Die afghanische Armee auszubilden, ist richtig. Dabeihelfen in unserem Verantwortungsbereich auch2 000 amerikanische Soldaten, die schwerpunktmäßigausbilden und dem deutschen Kommando unterstelltsind. Zeitgleich wird die Anwesenheit der Amerikanerdazu beitragen, eine Fähigkeitslücke im Norden zuschließen, nämlich bei der Luftbeweglichkeit im deut-schen Verantwortungsbereich. Dadurch, dass die Ameri-kaner jetzt 50 Hubschrauber bei uns stationieren, wirdauch die Fähigkeit verbessert, im Bereich der medizini-schen Versorgung, etwa bei MEDEVAC, eine Lücke zuschließen. Transport und Beweglichkeit werden wesent-lich verbessert.Eine Bemerkung zur Polizeiausbildung. FrauKünast, Sie haben völlig recht, wenn Sie monieren, dassmanches, was wir uns vorgenommen haben, noch nichterreicht ist. Es ist auch richtig, dass wir Zwischenzieleformulieren. Wir müssen uns immer wieder fragen: Wieweit sind wir noch von ihnen entfernt? Dennoch ist klar,dass die Polizeiausbildung jetzt mit verstärkten Anstren-gungen angegangen wird; das liegt in deutscher Verant-wortung. Ich glaube, dass durch eine solidarische An-strengung der 16 Bundesländer, die dafür verantwortlichsind – das geschieht ja nicht par ordre de mufti vonseitender Bundesregierung –, eine entscheidende Verbesse-rung erzielt wird.Im Übrigen rege ich an, auch die Konzeption vonEUPOL zu überdenken. EUPOL berät nur afghanischeMinisterien und afghanische Behörden. Wäre nicht einTeil dieser 200 Polizisten, die von europäischen Länderngestellt werden, besser aufgehoben, indem sie zur Ver-stärkung der Ausbildung vor Ort eingesetzt werden?
Dass für die Reintegration von Taliban viel Geldfließt, hat viele Vorwürfe nach sich gezogen. Ich rege an,zu überlegen, die afghanischen Soldaten und Polizisten,die von uns ausgebildet werden, zumindest für eine be-stimmte Zeit besser zu bezahlen. Sozial abgesicherteSicherheitskräfte sind weniger anfällig für Geldzuwen-dungen von anderer Seite. Auch hier wäre das Geld gutinvestiert, wenn man wirklich Versöhnung herbeiführenwill.
Die massive Aufstockung der Zahl der Ausbildungs-kräfte, die Verdopplung der Mittel für den zivilen Auf-bau, die Umkehr in Richtung einer etwas defensiverenStrategie, das sollte der Opposition erlauben, dem verän-derten Mandat für den Afghanistan-Einsatz auch in Zu-kunft zuzustimmen.
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Ernst-Reinhard Beck
Ich habe Signale erkannt, dass sich die Grünen ihrerVerantwortung für diesen Einsatz, den sie einmal mitge-tragen haben, weiter bewusst sind. Auch wenn mir FrauKünast jetzt nicht zuhört, werbe ich bei der Oppositionum Zustimmung; ich sehe nämlich, dass durchausBereitschaft da ist. Man sollte diesem Konzept die Zu-stimmung nicht versagen, und zwar aus einem ganz ein-fachen Grund: Unsere Soldatinnen und Soldaten und diezivilen Mitarbeiter der Bundeswehr benötigen dieRückendeckung des gesamten Parlaments. Im Namendes Parlaments sind sie in den Einsatz geschickt worden.Je größer die Unterstützung in diesem Parlament ist,desto besser. Das ist wichtig.Ich komme zu einem weiteren Punkt. Ich glaube, dasswir auch bei dem neuen Mandat die rechtlichen Grund-lagen für den Einsatz der Bundeswehr neu definierenmüssen. Herr Gabriel, ich möchte jetzt nicht darüber dis-kutieren, ob der Begriff „Krieg“ angemessen ist; es wärenatürlich interessant, einmal seriös darüber zu diskutie-ren. Aber wenn wir uns einig sind, dass wir in Afghanis-tan einen nicht internationalen militärischen Konflikt ha-ben, dann muss, meine ich, das humanitäre Völkerrechtund nicht die deutsche Strafprozessordnung zur rechtli-chen Grundlage für den Einsatz unserer Soldaten wer-den. Diese Rechtssicherheit sind wir unseren Soldatenschuldig.
Ich erinnere daran, und ich bitte darum, dass wir dieim Koalitionsvertrag festgelegte Forderung nach derEinrichtung einer zentralen Staatsanwaltschaft zügigin Angriff nehmen. Wir dürfen die Angehörigen derBundeswehr, die im Einsatz ohnehin erheblichen psychi-schen und physischen Belastungen ausgesetzt sind, nichtmit zusätzlichen Bürden belasten.Mit der neuen Strategie gewinnen wir Initiative undGestaltungskraft zurück. Sie ist ein wichtiger Schritt aufdem Weg zum Erfolg. Als souveräner Staat in einem si-cheren Umfeld leben zu können, ist nicht selbstverständ-lich; gerade wir Deutschen haben dies erfahren. Heuteist es an uns, Afghanistan diese Möglichkeit zu eröffnen.Dem dient dieser Vorschlag, dem dient dieses Konzept.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erlau-ben Sie mir, weil er heute das erste Mal in seiner neuenFunktion der Diskussion in diesem Hohen Hause bei-wohnt, den neuen Generalinspekteur der Bundeswehr,General Wieker, herzlich willkommen zu heißen undihm für die schwierigen Aufgaben, die er vor sich hat,viel Erfolg und viel Glück zu wünschen.
Ich hatte in der Vergangenheit, vor allem in den letz-ten Wochen, die Möglichkeit, mit vielen Soldatinnenund Soldaten zu sprechen, nicht nur in Deutschland, son-dern auch in Afghanistan, auch in Kunduz. Wenn mansie fragt: „Was wünscht ihr euch von der Politik?“, istdie Antwort: Wir wünschen uns von der Politik mehrEhrlichkeit.Jetzt schaue ich mir an, was uns vorliegt, und fragemich: Gibt es diese Ehrlichkeit? Allein bei der Fragenach mehr Soldaten sehe ich sie an drei Stellen nicht.Die erste: Natürlich gibt es in bestimmten Bereichen Be-darf. Ich will das in der knappen Zeit nicht ausführen;aber natürlich brauchen wir mehr Stabsoffiziere inMasar-i-Scharif, und wir brauchen mehr Sicherheit inKunduz.Aber bevor man aufstockt, muss man eine Evalua-tion vornehmen. Das hat meine Fraktionsvorsitzende be-reits gesagt, das hat aber auch Herr Guttenberg schongesagt: Als er noch nicht Minister war, hat er die Einset-zung einer Evaluationskommission gefordert. Es wärehöchste Zeit für eine Evaluation, nicht nur darüber, wasin Afghanistan schiefläuft, sondern auch darüber, was inAfghanistan richtig gelaufen ist, damit man auch das derÖffentlichkeit präsentieren kann.
Ich glaube im Übrigen, dass das ein deutlich bessererWeg ist, die deutsche Öffentlichkeit von bestimmtenNotwendigkeiten zu überzeugen, Kollege Gabriel, als zusagen: Der Kriegsbegriff ist nicht realitätstauglich; es istalso egal, ob da Krieg herrscht oder nicht, wir sparen dasaus. Ich glaube, man kann unserer Öffentlichkeit mehrzumuten; die Deutschen vertragen mehr, wenn sie wis-sen, dass man ihnen die Wahrheit sagt, und man sagt,warum man bestimmte Dinge tut.Ein zweiter Punkt, bei dem ich mir nicht sicher bin,ob wir es hier mit Ehrlichkeit zu tun haben, ist die Frageder Alternativen. Wir haben Alternativen, die aber nichtgeprüft werden, etwa den von uns so genanntenVollmer-Plan, den General Vollmer, der Commander imRegional Command North, bereits im letzten Jahr vorge-stellt hat. Der Plan sieht die Ausbildung von 2 500 af-ghanischen Polizisten im Raum Kunduz vor, die wir be-zahlen. Die Kosten dafür belaufen sich auf 9 MillionenDollar; das ist verhältnismäßig wenig. Die Ausbildungkönnte schnell vollzogen werden. Der Plan ist von derneuen Regierung abgelehnt worden, wäre aber eine wun-derbare Alternative, der man sich annehmen könnte.Ich erinnere mich auch an die Beschlussfassung zumEinsatz von Tornados im Jahr 2007. Deren Nutzen bei-spielsweise für die Soldaten in Kunduz ist gleich null.Im Mandatstext stand, dass dafür 500 Soldaten ge-braucht werden. Das entspricht der Zahl von 500 zusätz-lichen Soldaten, die Sie jetzt beschließen wollen.In diesem Zusammenhang komme ich zur drittenStelle, an der mir die Ehrlichkeit fehlt – Kollege Beck
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Omid Nouripourhat es gesagt; ich bin froh, wenn wir darüber reden kön-nen, ob man das nicht hineinschreiben kann –: Es istnicht wirklich redlich, 350 Soldaten als Reserve fürWahlen und für Kontingentwechsel aufzuführen. Wir ha-ben schon bei den letzten beiden Aufstockungen über dieArgumente dafür gesprochen. Da hat man uns immer ge-sagt: Wir brauchen einen Puffer für Kontingentwechsel.Minister Jung selbst hat gesagt – ich habe die Zitate hiervorliegen –, dass man den Puffer sowieso nicht aus-schöpfen werde. Drei Monate später waren wir an derMandatsobergrenze angelangt. Das wird auch hier derFall sein. Herr Minister, ich wette mit Ihnen, dass Siespätestens im Herbst herkommen und sagen werden: Wirhaben den Puffer von 350 Soldaten ausgeschöpft.Wenn wir ehrlich sind, sprechen wir also über850 Soldaten. Zur Ehrlichkeit würde auch gehören, zusagen: Vielleicht müssen wir hier in wenigen Wochenoder Monaten die AWACS beschließen. Wir werdendann auch wie beim letzten Mal den Einsatz von300 Soldaten beschließen sollen. Wir alle wissen, dass300 Soldaten zu viel sind; 150 würden reichen. 150 plus350 plus 500 macht 1 000 Soldaten; das ist die Zahl, dieGuttenberg ursprünglich wollte, nicht die Zahl, die HerrWesterwelle wollte. Sie tricksen mit den Zahlen herum.Das ist Parteienspiel und wird der Ernsthaftigkeit, diedie Kanzlerin vorhin gefordert hat, nicht gerecht, auchnicht der Ehrlichkeit, die die Soldatinnen und Soldatenbrauchen.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Thomas Silberhorn
für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Selten zuvor haben wir so ausführlich, in sobreiter Öffentlichkeit und so engagiert über Afghanistandebattiert wie in den letzten Wochen. Ich finde, das wardringend notwendig. Wir brauchen einen Strategiewech-sel, nicht nur für Afghanistan, sondern auch für dieWeise unserer Diskussion über Afghanistan.
Die Zeit der Parolen ist vorbei. Viel zu lange habenwir uns mit Parolen beschäftigt – „unverbrüchliche Soli-darität“ mit den USA; „Deutschland wird auch amHindukusch verteidigt“ –, anstatt über die Strategie zudiskutieren. Ich freue mich, dass wir nun endlich zu ei-ner schonungslosen Analyse der Lage vor Ort kommen,
dass man zu einer klaren Sprache findet und die Dingeso benennt, wie man sie vor Ort vorfindet.
Deswegen begrüße ich es, dass Bundesminister zuGuttenberg ausdrücklich von „kriegsähnlichen Zustän-den“ spricht, weil er damit deutlich macht,
dass wir klären müssen, auf welcher Rechtsgrundlageunsere Soldaten vor Ort im Einsatz sind.
Damit wird auch deutlich, dass wir unseren SoldatenRückendeckung für ihren Einsatz in Afghanistan gebenmüssen, den wir beauftragen; denn sie erwarten zu RechtVerständnis für ihren Einsatz bei ihrem Auftraggeber,dem Bundestag.Wir müssen uns auch selbst darüber klar werden: WerFakten verklärt oder nicht klärt, stellt auch nicht die rich-tigen Fragen und kann nicht zu den richtigen Antwortenkommen. Herr Gabriel, die Elaborate, die Sie vorhinzum Thema Vereinte Nationen vorgetragen haben, warenvöllig neben der Sache. Wir streiten uns nicht über dieRechtsgrundlage dieses Einsatzes. Auch uns sind die Re-solutionen der Vereinten Nationen bekannt; aber dieseResolutionen klären nicht die Frage, ob das konkreteHandeln eines Bundeswehrsoldaten vor Ort nach deut-schem Strafrecht oder nach Völkerrecht zu beurteilen ist.Ich finde, diese Frage kann man nicht den Staats-anwälten überlassen, die ja nur am grünen Tisch ent-scheiden können. Das ist auch für die Staatsanwälte eineZumutung.
Wir, der Deutsche Bundestag, müssen dazu Stellungnehmen, weil wir bei diesem Einsatz die Auftraggebersind.
Deswegen finde ich es richtig, wenn wir beim nächstenMandat dahin kommen könnten, dass wir eine Aussagedazu treffen,
dass wir diese Auseinandersetzung in Afghanistan als ei-nen nicht internationalen bewaffneten Konflikt verste-hen und deswegen nicht deutsches Strafrecht, sondernVölkerrecht Grundlage der Beurteilung des Handelnsunserer Soldaten vor Ort ist.Genau das ist die Rechtssicherheit, die unsere Solda-ten brauchen, und es ist schlicht inakzeptabel, dass dieseFragen bis heute, also auch im neunten Jahr des Einsat-zes, noch offen und nicht beantwortet sind. Wir müssensie bei nächster Gelegenheit beantworten.
Die ursprüngliche Zielvorstellung, die mit diesemEinsatz in Afghanistan verbunden war, eine Demokratie
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Thomas Silberhornnach westlichem Vorbild zu schaffen, hat sich als reich-lich naiv erwiesen. Es kann nur um eines gehen, nämlichdarum, dieses Land so zu stabilisieren, dass wir die Ver-antwortung für die Sicherheit in afghanische Hände ge-ben können.Dazu brauchen wir einen vernetzten Ansatz; das warbisher schon Konsens. Ich glaube, ich verrate kein Ge-heimnis, wenn ich sage, dass auch die Bundesregierungin den eigenen Reihen bisher ihre liebe Not mit dem ver-netzten Ansatz hatte. Deswegen finde ich es wichtig,dass wir im Koalitionsvertrag ausdrücklich vereinbarthaben, die ressortübergreifenden Anstrengungen inner-halb der Bundesregierung stärker zu bündeln. DiesesVersprechen wird jetzt eingelöst.Erstmals liegt uns eine Strategie vor, die von allen be-teiligten Ressorts gemeinsam erarbeitet worden ist, mitder klare Zielvorstellungen dafür gegeben werden, waswir in Afghanistan erreichen wollen, mit der genau be-schrieben wird, welche Beiträge wir dazu leisten wollen,und durch die auch ein Zeitrahmen genannt wird, in demwir diese Erfolge erreichen wollen. Genau so und in die-ser Reihenfolge muss es gehen. Deswegen ist dies derrichtige Ansatz.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zu der De-batte über ein mögliches Ende des Abzugs will ich nurFolgendes sagen: Bisher waren wir uns darüber einig,dass mit einem Enddatum den Falschen in die Händegespielt wird. Herr Steinmeier, auch wenn Sie heutenicht reden durften, darf ich daran erinnern, dass Sie inIhrem Zehnpunkteplan vom September letzten Jahresgesagt haben: Wir müssen die Grundlagen für den Ab-zug aus Afghanistan bis 2013 schaffen. – Darin stimmeich Ihnen zu. Gleichzeitig haben Sie aber gesagt:Eine konkrete Jahreszahl könnte in Afghanistanvon den Falschen als Ermutigung verstanden wer-den.Genau so ist es, und weil sich das seit September 2009nicht geändert hat, ist es richtig, kein Enddatum zu nen-nen.Ich habe aber Sympathie dafür, ins Auge zu fassen,dass wir dann mit dem Abzug beginnen, wenn auch dieAmerikaner 2011 damit beginnen wollen. Zumindestdieses Ziel sollten wir uns setzen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei unse-rem Engagement in Afghanistan und bei dem gesamtenEinsatz der internationalen Gemeinschaft fehlt mir bis-lang, dass wir uns mit der afghanischen Regierung aufklare Ziele verständigen; denn es hilft doch nichts, wennsich die internationale Gemeinschaft anstrengt, man aberden Eindruck gewinnen muss, dass auf afghanischerSeite eher passiv zugesehen wird.Ich begrüße es, dass sich Präsident Karzai in seinerAntrittsrede kürzlich sehr klar geäußert hat. Ich darfdiese zwei Sätze zitieren:Innerhalb der nächsten drei Jahre möchte Afghanis-tan militärische Operationen in vielen unsicherenGebieten des Landes selbst führen und durchfüh-ren. Entschlossen wollen wir uns dafür einsetzen,dass die afghanischen Sicherheitskräfte in dennächsten fünf Jahren fähig sind, überall im Land dieFührung zu übernehmen und Sicherheit und Stabili-tät zu garantieren.Ich finde, wir sollten die afghanische Regierung hierbeim Wort nehmen. Deswegen ist es richtig, dass wir fürdie Ausbildung und die Ausstattung der afghanischenArmee und Polizei deutlich höhere Beiträge erbringen,als das bisher der Fall war.Ferner begrüße ich es, dass wir in militärischer Hin-sicht in vielen Details einen Strategiewechsel vorneh-men – Bundesminister zu Guttenberg hat dies bereits imEinzelnen erläutert –: Die Ausbildung der afghanischenSoldaten wird künftig im Feld stattfinden, die SchnelleEingreiftruppe wird zu einer Ausbildungs- und Schutz-truppe umgewandelt, und die Wiederaufbauteams in denProvinzen werden mit einem neuen Fokus auf den Wie-deraufbau umstrukturiert. Auch das ist ein klares Signaldafür, dass wir uns stärker an den tatsächlichen Bedürf-nissen der afghanischen Bevölkerung ausrichten.Ich vermisse in Afghanistan greifbare Erfolge bei derBekämpfung des Drogenanbaus, beim Aufbau von Ver-waltung und Justiz und bei der Bekämpfung von Korrup-tion und Kriminalität. Ich finde, wir müssen darüber mitder afghanischen Regierung sehr deutliche Worte spre-chen. Wir müssen zumindest versuchen, dafür Sorge zutragen, dass unsere Hilfe nicht als ein Beitrag zur Stabili-sierung der derzeitigen Amtsinhaber missverstandenwird oder gar zur Aufrechterhaltung korrupter Struktu-ren missbraucht werden kann.Deswegen ist es notwendig, dass die afghanische Re-gierung sich selbst die vereinbarten Ziele zur Aufgabemacht und sich auch dafür einsetzt, dass die afghanischeBevölkerung selber ein Interesse an der Stabilisierungdes Landes und am Gelingen des politischen Prozessesentwickelt. Ohne den eigenen Willen der Afghanenwerden alle Bemühungen von außen nicht erfolgreichsein können. Ich will nicht den Teufel an die Wand ma-len, aber eine Schule, die wir aufbauen, kann auch sehrschnell wieder vergammeln, wenn sie nicht vom eigenenWillen der Bevölkerung getragen wird, diese Schule auf-rechtzuerhalten.Wir können nur die Voraussetzungen dafür schaffen,dass die Afghanen eine Chance zur politischen und wirt-schaftlichen Entwicklung bekommen. Letztlich müssendie Afghanen diese Chance selbst ergreifen. Ich finde,wir sollten mit einer klaren Strategie und klaren Vorga-ben für die afghanische Regierung dabei ein bisschennachhelfen.Ich wünsche der Bundesregierung viel Erfolg bei derAfghanistan-Konferenz morgen in London.
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Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Holger Haibach für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Selten war ineiner Debatte im Deutschen Bundestag so oft wie heutedie Rede von Ehrlichkeit und Offenheit, die immer wie-der eingefordert werden. Dazu will ich drei Vorbemer-kungen machen, die mir wichtig erscheinen.Erstens. Es wird sehr häufig gesagt – das ist auchheute in der einen oder anderen Intervention angeklun-gen –, es sei in Afghanistan nichts passiert, es sei dortnichts gut. Abgesehen davon, dass es schlichtweg falschist – das beweisen die Zahlen –, ist diese Aussage,glaube ich, auch nicht fair und anständig; denn diejeni-gen, die das sagen, meinen zwar die Politik, aber letztenEndes ist es ein Schlag ins Gesicht aller Soldatinnen undSoldaten, aller Diplomatinnen und Diplomaten und allerEntwicklungshelferinnen und Entwicklungshelfer, die inAfghanistan seit Jahren einen sehr gefährlichen Job sehrgut erledigen.
Deswegen kämpfe ich immer gegen solche Äußerungen.Zweitens ist von Herrn Gabriel kritisiert worden, dasssich die Information des Parlaments gestern auf dieFraktions- und Parteivorsitzenden beschränkt habe. Ichglaube – darauf hat der Kollege Mißfelder schon hinge-wiesen –, es hat in der Frage von Auslandseinsätzen derBundeswehr selten so ein offenes Verfahren gegeben wiein diesem Fall. – Das ist das eine.Das andere ist: Dass ausgerechnet Herr Gabriel diesgesagt hat, finde ich sehr bemerkenswert. Wenn ich michrecht entsinne, war Herr Schröder früher SPD-Parteivor-sitzender und damit der Amtsvorgänger von HerrnGabriel. Herr Schröder ist doch dafür bekannt, dass erdie Leitlinien deutscher Außenpolitik zwar über dieMarktplätze der Republik gerufen, aber nicht im Parla-ment verkündet und diskutiert hat.
Insofern glaube ich, dass auch an dieser Stelle ein biss-chen Zurückhaltung von Ihrer Seite angebracht ist.
Als dritter Punkt ist mir in der Debatte, wenn wir überOffenheit und Ehrlichkeit sprechen, Folgendes aufgefal-len: Es wird immer wieder gesagt, wir müssten viel mehrüber das zivile Engagement reden, wir müssten vielmehr im zivilen Bereich machen und wir bräuchten vielmehr Geld. Die Medienberichterstattung der letztenTage zeigt, dass es um eine einzige Frage geht: Um wieviele zusätzliche deutsche Soldaten in Afghanistan gehtes auf der Londoner Konferenz? Ich finde, das muss manbei dieser Gelegenheit sagen, weil es eigentlich um et-was anderes geht. Wir alle haben immer betont, dassLondon keine reine Truppenstellerkonferenz sein darf.Das Konzept, das die Bundesregierung heute vorgelegthat, zeigt auch deutlich, dass zumindest wir einen ande-ren Ansatz verfolgen.Ich denke, dass wir gerade über die entwicklungspoli-tischen Aspekte noch einmal sprechen müssen. Zunächsteinmal ist es wichtig, zu betonen, dass es diese Bundes-regierung war, die schon in diesem Jahr die Mittel fürden zivilen Aufbau in Afghanistan auf über 140 Mil-lionen Euro erhöht hat, und dass wir uns vorgenommenhaben, die Mittel insgesamt auf über 400 Mil-lionenEuro aufzustocken. Das hat keine andere Bundesregie-rung vor uns gemacht. Ich halte das in dieser Zeit für eingoldrichtiges Zeichen. Wir müssen hier einen klarenSchritt tun. Neben der finanziellen Frage bedeutet dasaber auch, dass wir die richtigen Strukturen schaffen undsagen müssen, was wir mit dem Geld eigentlich errei-chen wollen. Aus meiner Sicht gibt es hier drei entschei-dende Bereiche. Der erste ist das Thema Sicherheit, derzweite das Thema Entwicklung und der dritte das ThemaRegierungsfähigkeit.Sicherheit bedeutet nicht nur Sicherheit für unsereEntwicklungshelferinnen und Entwicklungshelfer, son-dern zuerst und vor allem auch Sicherheit für die Men-schen in Afghanistan. Denn wir wissen – das ist ein alt-bekannter Satz –: Ohne Sicherheit gibt es keineEntwicklung, genauso wenig wie es ohne EntwicklungSicherheit geben kann. All diejenigen, die sagen, dieBundeswehr müsse, wenn es geht, sofort raus aus Afgha-nistan, müssen erklären, wie sie die Sicherheitsfrage be-antworten wollen. Ich glaube, sie haben dafür keine Lö-sung.
Wenn ein Entwicklungshilfeminister sagt, er habe keineScheu vor einer Zusammenarbeit mit der Bundeswehr,dann finde ich das prinzipiell nicht verwerflich. Um esganz deutlich zu sagen: Ich finde es richtig, weil es eineZusammenarbeit geben muss. Es geht nicht darum – sowird es manchmal dargestellt –, die Unterschiede zu ver-wischen; das darf nicht sein. Aber es muss klar sein, dasses eine solche Zusammenarbeit geben muss.Der zweite Punkt ist das Thema Entwicklung. Bisheute gibt es eine ungelöste Frage, nämlich die nach demDrogenanbau. Der Drogenanbau stellt eines der größtenProbleme nicht nur für Afghanistan, sondern auch füruns dar. Es geht hier auch um unsere eigenen Interessen.Welche Interessen haben wir in dieser Angelegenheit?Ich gebe zu, dass es bislang niemandem gelungen ist,hier eine vollständig befriedigende Lösung zu finden;denn der Drogenanbau ist offensichtlich noch immer lu-krativer als beispielsweise die Erzeugung von Lebens-mitteln. Wir müssen noch sehr viel darüber nachdenken,wie wir an dieser Stelle vernünftig weiterkommen.
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Holger HaibachDas Dritte ist – das halte ich ehrlich gesagt für dasWichtigste, was wir noch schaffen müssen – die Fragenach der Regierungsfähigkeit. Über 400 MillionenEuro in die Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanis-tan zu investieren, ist keine ganz einfache Aufgabe, vorallen Dingen dann nicht, wenn keine Strukturen vorhan-den sind, die das absorbieren können. Die Frage nach derAbsorptionsfähigkeit ist ganz wichtig. Deshalb ist esrichtig, dass die neue Strategie der Bundesregierung da-rauf setzt, noch mehr in die ländlichen Räume zu gehenund noch mehr in den Aufbau von Strukturen zu inves-tieren, die in der Lage sind, ein Gebiet zu verwalten so-wie mit zu gestalten und zu entscheiden, was unter ande-rem mit deutschem Geld passieren soll. Das halte ich fürganz entscheidend. Wir reden immer darüber, dass dieAfghanen ihre Sicherheit selbst in die Hand nehmen sol-len. Wir reden immer darüber, dass sie über ihr Landselbst bestimmen sollen. Aber dazu gehört, dass wir siebei der Entscheidung, was vor Ort in welchen Projektengemacht wird, tatsächlich unterstützen und dass wir siebeteiligen. Der Provincial Development Fund zum Bei-spiel bietet dazu sehr gute Möglichkeiten. Die Erkennt-nis, dass Afghanistan ein Land ist, das nie eine sehrstarke Zentralgewalt gekannt hat und immer sehr provin-ziell und nach Stämmen aufgestellt war, lässt sich in dernun vorgelegten Strategie sehr gut wiederfinden. Das be-deutet nicht die Delegitimation der Zentralregierung.Vielmehr wird auf die historischen Gegebenheiten diesesLandes Rücksicht genommen. Wir wollen keinen Kolo-nialstaat aufbauen; Afghanistan soll sich vielmehr nacheigenen Regeln entwickeln. Das ermöglichen wir mitdem Plan der Bundesregierung.
Wenn wir über Abzugsdaten reden, dürfen wir nievergessen, dass es wichtig ist, nicht die falschen Signalezu setzen. Es ist richtig, dass wir uns Gedanken darübermachen, wann deutsche Soldatinnen und Soldaten ausAfghanistan zurückkommen können. Aber wir müssendie Dinge vom Ende her betrachten; das wurde schondeutlich. Ein Abzug kann nur dann wirklich sinnvollsein, wenn eine selbsttragende Sicherheit und vernünf-tige Strukturen vorhanden sind. Das gilt nicht nur imHinblick auf die Sicherheit, sondern auch im Hinblickauf die Sicherung des Lebensunterhalts, die Bildung unddie Infrastruktur. Ich wehre mich gegen ein konkretesAbzugsdatum; denn wenn ein konkretes Abzugsdatumgenannt wird, dann ist es für diejenigen, die andere Inte-ressen in diesem Land haben, relativ einfach, abzuwar-ten und zu sagen: Wir warten, bis die Bundeswehr bzw.die internationalen Truppen weg sind. Dann übernehmenwir wieder das Kommando im Land. – Das halte ich aufjeden Fall für falsch, auch deshalb, weil wir es denjeni-gen, die mit uns zusammenarbeiten wollen, ein gutesStück schwieriger machen; denn wenn sie wissen, dassder Schutz durch die internationalen Truppen begrenztist, aber nicht dadurch, dass selbsttragende Sicherheitvorhanden ist, sondern dadurch, dass es innenpolitischeDebatten in den Ländern der Truppensteller gibt, danntun wir ihnen keinen Gefallen, sondern lassen sie amEnde des Tages allein. Das sollten wir nicht tun. Genaudeshalb meine ich, dass die Regierung hier ein sehr trag-fähiges Konzept vorgelegt hat.Danke sehr.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 17/519. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? Der Entschlie-
ßungsantrag ist damit mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der
SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke abgelehnt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun können wir die
Fragestunde fortsetzen. Ich rufe dazu den Tagesord-
nungspunkt 3 auf:
Fragestunde
– Drucksachen 17/493, 17/517 –
Bevor wir damit beginnen, gebe ich den Kolleginnen
und Kollegen, die daran nicht teilnehmen können, Gele-
genheit, anderen Verpflichtungen nachzugehen.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Arbeit und Soziales. Für die Beantwor-
tung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekre-
tär Hans-Joachim Fuchtel zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 1 der Kollegin Britta
Haßelmann auf:
Wann wird die Bundesregierung die Anpassungsformel
des Bundesanteils für die Unterkunftskosten für ALG-II-Be-
ziehende entsprechend der Forderung der Bundesländer an
der Entwicklung der tatsächlichen Unterkunftskosten ausrich-
ten?
Herr Staatssekretär, bitte.
H
Ich darf die Antwort wie folgt geben: Die Bundesre-gierung sieht von sich aus aktuell keinen Anlass, diefestgelegte Anpassungsformel zu verändern. Sie ist be-kanntlich in § 46 Abs. 7 Sozialgesetzbuch II fixiert. DerRegierungsentwurf des Sechsten Gesetzes zur Änderungdes Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, mit dem die nach§ 46 Abs. 8 Sozialgesetzbuch II notwendige jährlicheAnpassung der Bundesbeteiligung an den Kosten derUnterkunft und Heizung in der Grundsicherung für Ar-beitssuchende erfolgt, wurde vom Deutschen Bundestagin seiner 10. Sitzung am 4. Dezember 2009 unverändertangenommen.Der Bundesrat hat am 18. Dezember 2009 den Ver-mittlungsausschuss mit dem Ziel der grundlegendenÜberarbeitung des Gesetzes angerufen; es handelt sichbekanntlich um ein Einspruchsgesetz. Der Vermittlungs-ausschuss wird dazu in einer ersten Sitzung am heutigenTage in anderthalb Stunden beraten. Ob und in welcherForm die Anpassung der Beteiligung an den Kosten für
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Januar 2010 1545
(C)
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Parl. Staatssekretär Hans-Joachim FuchtelUnterkunft seitens des Bundes künftig erfolgt, hängt vonden Ergebnissen der Ausschussverhandlungen ab.
Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin? – Bitte
sehr.
Vielen Dank, Frau Präsidentin; vielen Dank auch Ih-
nen, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der
Frage.
Ich habe Sie also richtig verstanden, dass Sie keinerlei
Änderungsbedarf in Bezug auf die Anpassungsformel
sehen und mit dieser Haltung auch in das Bundesratsver-
fahren gehen, obwohl klar ist, dass auch aus dem CDU-
Präsidium und dem CDU-Vorstand ganz klare öffentli-
che Äußerungen dahin gehend erfolgt sind, dass Verän-
derungen der Anpassungsformel im Zusammenhang mit
den Änderungen hinsichtlich der Jobcenter und der
Hartz-IV-Reform im März getroffen werden?
H
Ich gehe nochmals auf die Historie der gesamten Ge-
setzesentwicklung ein. Man hatte sich in den letzten Jah-
ren darauf verständigt, von den ursprünglichen Berech-
nungen abzugehen und nun eine mehr technische
Berechnung stattfinden zu lassen. Dieses Ergebnis wurde
erzielt, indem man den Ländern bei verschiedenen Posi-
tionen finanziell entgegengekommen ist. Man hat dann
2008 festgelegt, dass eine Regelung auf der Grundlage,
die ich vorhin skizziert habe, erfolgt, und zwar unbefris-
tet. Das war eine Übereinkunft von Bund und Ländern.
Das ist die Grundlage, von der die Bundesregierung aus-
geht.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ich fände es gut, wenn wir jetzt
nicht in die Historie gingen; es ist den Abgeordneten hier
im Haus sicherlich bekannt, wie die Anpassungsformel
zustande gekommen ist. Wir sollten uns vielmehr mit der
tatsächlichen Situation auseinandersetzen. Diese ist ganz
eindeutig so, dass es einen massiven Anstieg der Kosten
für die Unterkunft für die Städte und Gemeinden gibt.
Gleichzeitig wird durch die bestehende Anpassungsfor-
mel der Bundesanteil ständig reduziert. Das wurde mit
der Bundesratsinitiative des schwarz-gelb regierten Lan-
des Nordrhein-Westfalen aufgegriffen, und die Bundes-
regierung wurde aufgefordert, diese Anpassungsformel
zu verändern. Deshalb frage ich nicht nach der bestehen-
den Formel und nach der Historie, sondern ich frage, ob
Sie sich aufgrund der tatsächlichen Kostenentwicklung
der Kommunen und der Bundesratsinitiative von Nord-
rhein-Westfalen bemüßigt sehen, diese Anpassungsfor-
mel zu verändern.
H
Die Bundesregierung hat natürlich Verständnis für die
schwierige Situation der Kommunen. Wir alle wissen,
dass die finanziellen Verhältnisse der Kommunen auf-
grund der Gesamtentwicklung sehr angespannt sind. Ich
muss aber daran erinnern, dass man sich auch mit dem
Wissen all der möglichen Entwicklungen, die die gefun-
dene Formel auslösen könnte, im Jahr 2008 eindeutig
auf diese Formel verständigt hat. Der Bund hat schon
einmal zusätzliche Kosten übernommen, die ich jetzt
nicht beziffern möchte, die ich Ihnen aber auflisten
könnte.
Die Gesamtausgaben für die Kosten der Unterkunft
und Heizung im Bereich der Grundsicherung für Arbeit-
suchende betragen zwischen 14 Milliarden und 15 Mil-
liarden Euro im Jahr 2010. Wir wissen auch, dass sich
die Summe in diesen Zeiten nicht reduzieren wird. Ich
möchte als Sachwalter von Steuergeldern des Bundes
doch darauf hinweisen, dass die Erhöhung der Bundes-
beteiligung um 1 Prozent Mehrkosten des Bundes in
Höhe von rund 150 Millionen Euro auslösen würde. Je-
des weitere Prozent würde natürlich weitere Mehrkosten
bedeuten. Ich darf darauf hinweisen, dass wir in Kürze
den Bundeshaushalt in zweiter und dritter Lesung bera-
ten werden und wir gegebenenfalls höhere Summen ein-
stellen müssten – und dies bei dem derzeitigen Defizit
des Bundes. Ich bitte um Verständnis, dass die Bundesre-
gierung im Augenblick keine weitergehenden Vor-
schläge zu diesem Thema zu machen hat.
Wir kommen zur Frage 2 der Kollegin Haßelmann:
Welche Art von Länderöffnungsklauseln plant die Bun-
desregierung, bei den Kosten für Unterkunft für ALG-II-Be-
ziehende umzusetzen?
H
Auf diese Frage gebe ich Ihnen eine kurze Antwort:
Die Bundesregierung plant von sich aus derzeit keine
weiteren länderspezifischen Beteiligungsquoten bei der
Beteiligung an den Kosten für Unterkunft und Heizung.
Haben Sie eine Nachfrage dazu? – Bitte sehr.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär,
vielen Dank für Ihre Antwort. – Schließen Sie mit Ihrer
Antwort Länderöffnungsklauseln aus, oder sollte das
heißen, dass Sie von sich aus nichts planen?
H
Anderthalb Stunden vor Beginn eines Vermittlungs-verfahrens wäre ich schlecht beraten, weiter gehendeÄußerungen als die zu machen, die ich gerade zu denThemen hier gemacht habe. Wir haben auch hier die His-torie zu beachten. Sie haben vorhin gesagt, die sei imganzen Haus bekannt. Nun möchte ich sie zu diesem
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1546 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Januar 2010
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Parl. Staatssekretär Hans-Joachim FuchtelPunkt nicht wiederholen. Mehrheitsfähig war imJahre 2007 nur eine besondere Formel für die LänderBaden-Württemberg und Rheinland-Pfalz; für diese bei-den Länder hat man bekanntlich besondere Quoten ein-geführt.Mir sind natürlich Modelle bekannt, die darauf abzie-len, dass man das alles differenzierter gestaltet. DieKunst des Vermittlungsverfahrens wird darin bestehen,die Gesamtinteressen abzuwägen und dann zu einem Er-gebnis zu kommen.
Frau Haßelmann, wie ich sehe, haben Sie noch eine
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben von sich aus gerade die
Länder Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ange-
sprochen. Die Kommunen in diesen Ländern und auch
diese Länder selbst haben andere prozentuale Beteili-
gungen als die anderen 14 Bundesländer. Um es einmal
einfach zu sagen: Diese beiden Ländern stellte man bes-
ser. Welche sachlichen Gründe waren eigentlich aus-
schlaggebend dafür – da gehe ich jetzt in die Historie –,
dass man unabhängig von der Einnahmesituation und
der Verfasstheit der Länder ausgerechnet Rheinland-
Pfalz und Baden-Württemberg gegenüber den anderen
14 Bundesländern bei der Zuweisung bevorteilt?
H
Wir alle in diesem Hohen Hause sind Politikerinnen
und Politiker; daher wissen wir, dass so etwas nicht ohne
Grundlagen, die so etwas rechtfertigen, zustande kommt.
Es ist interessant, dass zwei Bundesländer bessergestellt
wurden. Das hat seine Ursache darin, dass man ganz zu
Beginn, als man das System umgestellt hat, gerechnet
und festgestellt hat, dass in diesen beiden Bundesländern
einige für die Gesamtformel signifikante Fakten erheb-
lich anders sind als in den restlichen Bundesländern. Da-
bei ging es um Anteile an der Arbeitslosenhilfe und an
der Sozialhilfe. Bekanntlich sind diese beiden Transfer-
leistungen im Rahmen des ALG II zusammengeführt
worden. In diesem Umfeld gab es Abwägungen, die
dazu führten, dass man diese Formel gefunden hat; da-
mals verstand man dies als gerechten Interessenaus-
gleich.
Je mehr Zeit vergeht, desto weniger wird es möglich
sein, die Historie neu aufzurollen; daher hat man in dem
letzten Gesetz keine Änderungen vorgenommen, son-
dern man hat die zuvor entwickelte Formel beibehalten.
Wir kommen damit zur Frage 3 des Kollegen
Matthias Birkwald:
Wie erklärt sich die Bundesregierung die vom Umfrage-
Diskrepanz bei jungen Leuten – Altersgruppe 20 bis 29 Jahre –,
einerseits überdurchschnittlich häufig die Notwendigkeit zu
sehen, sich mit dem Thema der privaten Vorsorge zu beschäf-
tigen, andererseits sich aber unterdurchschnittlich häufig tat-
sächlich intensiv mit diesem Thema zu befassen, und welche
Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus diesen Umfra-
geergebnissen?
Herr Staatssekretär, bitte.
H
Ich möchte mich zunächst für diese Frage bedanken.In ihr wird ein sehr wichtiges Thema angesprochen. Esgeht um den immer wichtiger werdenden Bereich derprivaten Altersvorsorge.Herr Birkwald, Sie beziehen sich auf eine Aussage inder Pressemitteilung der Union Investment vom 7. Ja-nuar 2010. Dort wird auf die große Diskrepanz bei jun-gen Menschen im Hinblick auf die Wahrnehmung derBedeutung des Themas „private Altersvorsorge“ einer-seits und der tatsächlichen Beschäftigung mit diesemThema andererseits hingewiesen. Schaut man sich nichtnur die von Ihnen angeführte Stelle, sondern die gesamtePressemitteilung an, so erkennt man, dass etwas außerAcht gelassen wird: Dort wird ausgeführt, dass sich63 Prozent der 20- bis 29-Jährigen bereits stark oder sehrstark mit dem Thema „private Altersvorsorge“ beschäf-tigt haben.Ein Anteil von 63 Prozent ist nach unserer Auffas-sung ein beachtlicher Wert, auch wenn er unter dem aufsämtliche Altersgruppen bezogenen Durchschnittswertvon 71 Prozent liegt. Dieser Umfrage zufolge kann fest-gestellt werden, dass die Notwendigkeit zusätzlicher pri-vater Altersvorsorge knapp 80 Prozent der jungen Men-schen bewusst ist und dass diese Notwendigkeit bereitsbei fast zwei Dritteln dieser Altersgruppe zu einer inten-siven Befassung mit diesem Thema geführt hat.Dies ist angesichts des Beginns der gesamten Ent-wicklung eine erfreuliche und ermutigende Zahl, geradewenn man bedenkt, dass junge Leute naturgemäß andereSachen im Kopf haben als ihre Altersversorgung.Ich halte deshalb noch einmal fest: Die Bundesregie-rung sieht durch diese Zahlen ihre Informationspolitik inSachen Zusatzrente bestätigt und wird sie unvermindertfortsetzen. Beispielhaft sei hier auch auf die erfolgreicheKampagne „Altersvorsorge macht Schule“ hingewiesen,die auch ein spezifisches Angebot für jüngere Menschenbereithält.Außerdem ist in diesem Zusammenhang noch daraufhinzuweisen, dass es seit 2008 einen Berufseinsteigerbo-nus gibt. Unmittelbar Zulageberechtigte, die das 25. Le-bensjahr noch nicht vollendet haben, erhalten einmalig– ich nehme das Forum hier gerne wahr, um das noch-mals deutlich zu sagen – eine um bis zu 200 Euro er-höhte Grundzulage bei Zahlung eines entsprechendenBeitrags auf ihren Altersvorsorgevertrag. Durch diesenBonus wird ein zusätzlicher Anreiz geschaffen, frühzei-tig mit dem Altersvorsorgesparen zu beginnen. Dies istauch deswegen sinnvoll, weil gerade junge Versichertedurch die erwartungsgemäß lange Laufzeit der Verträgebesonders stark von den Zinseffekten profitieren können.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Januar 2010 1547
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim FuchtelDass dieses noch junge Förderinstrument bereits zu-nehmend zielgerichtet wirkt, zeigen aktuelle Erhebun-gen. Danach haben bis Mitte 2009 immerhin 920 000Personen eine entsprechende Bonuszahlung erhalten. ImJahr 2005 belief sich die Zahl der unter 25-Jährigen beiden Riester-Sparern noch auf knapp 260 000. Daransieht man, dass die ganze Entwicklung in die richtigeRichtung geht und nun mit positiven Informationen, dieweit gestreut werden müssen, begleitet werden muss.Möglichkeiten dazu haben wir ja dann, wenn wir aufentsprechende Fragen von Ihnen oder anderen antwor-ten.
Haben Sie eine Nachfrage, Herr Kollege?
Ja, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr Staatssekre-
tär, für die Antwort. Es wird Sie nicht wundern, dass die
Linke das, was Sie eben dargestellt haben, anders ein-
schätzt und die Richtung Ihrer Politik anders bewertet.
Die junge Generation wird von einer aus unserer Sicht
falschen Politik nämlich dazu gezwungen, privat für ihr
Alter vorzusorgen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe,
hätten derzeit 37 Prozent der Personen in der Alters-
gruppe zwischen 20 und 29, da sie keine private Alters-
vorsorge betreiben, salopp formuliert, im Alter ein deut-
liches Problem, da sie dann nur auf die Zahlungen der
gesetzlichen Rentenversicherung zurückgreifen könnten.
Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie fragen, ob
nach Meinung der Bundesregierung die Diskrepanz zwi-
schen der Erkenntnis, sich mit dem Thema beschäftigen
zu müssen, und der Folgerung daraus, das tatsächlich zu
tun – dass diese besteht, haben Sie ja vorhin auch noch
einmal bestätigt –, eher auf dem Mangel an Informatio-
nen oder eher auf dem Mangel an eigenen finanziellen
Mitteln für private Vorsorge beruht. Die Frage ist ja, ob
die finanzielle Situation der 20- bis 29-Jährigen über-
haupt so ist, dass sie entsprechende Beiträge leisten kön-
nen. Gibt es dazu Erkenntnisse?
H
Kürzlich wurde eine große Untersuchung durchge-
führt, die von den Verbänden des Verbraucherschutzes
mitgetragen wurde. Dabei hat man sich erstmals sehr
gründlich mit der Sache beschäftigt. Diese Untersu-
chung wird jetzt gerade von der Bundesregierung ausge-
wertet, damit daraus weitere Schlüsse gezogen werden
können.
Ich möchte aber doch aufzeigen, dass die Gesamtent-
wicklung in der Tendenz ganz klar positiv verläuft. Bis
Ende September 2009 wurden nämlich bereits knapp
13 Millionen Riester-Verträge abgeschlossen. Dabei wur-
den natürlich auch die Wechsel von einem Vertrag zum an-
deren erfasst, sodass es sich nicht unbedingt um 13 Millio-
nen Menschen handeln muss, die einen Riester-Vertrag
haben; das möchte ich der Vollständigkeit halber hinzu-
fügen. Sehr interessant ist aber, dass in den vergangenen
zwölf Monaten trotz der Wirtschafts- und Finanzkrise
1 Million Neuverträge hinzugekommen sind. Das zeigt,
dass das Bewusstsein generell wächst und dass die Maß-
nahmen vorankommen.
Ich möchte ebenfalls hinzufügen, dass man auch Fol-
gendes berücksichtigen muss: Inzwischen haben – die
Zahl stammt von Ende 2007 – circa 17,5 Millionen Be-
schäftigte einen Anspruch auf eine Betriebsrente erwor-
ben, und über 1 Million Bürgerinnen und Bürger haben
mittlerweile eine Basisrente abgeschlossen. Daran zeigt
sich, dass das System der zusätzlichen Altersvorsorge im
privaten und im betrieblichen Bereich Früchte trägt und
zunehmend größere Teile der Bevölkerung erfasst.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Mich würde noch Folgendes interessieren: Wie viele
von den von Ihnen erwähnten 1 Million neuen Verträgen
wurden in der Altersgruppe der 20- bis 29-Jährigen ab-
geschlossen, und wie hoch war der finanzielle Aufwand
für die Öffentlichkeitsarbeit, um diese Zielgruppe zu in-
formieren?
H
Die positive Entwicklung folgt zunächst einmal da-
raus, dass man ein Zusatzbonussystem auf den Markt ge-
bracht, also die Möglichkeiten ausgebaut hat. Zu den
Zahlen im Einzelnen kann man Näheres sagen, wenn die
Studie ausgewertet ist. Dann können Sie gerne noch ein-
mal auf mich zukommen, und wir können das im Einzel-
nen klären.
Eine weitere Frage hat der Kollege Lehrieder.
Herr Staatssekretär, den ersten Teil meiner Frage ha-
ben Sie bereits bei der Vorfrage beantwortet, nämlich
wie viele Riester-Verträge bisher abgeschlossen worden
sind. Sie haben von 13 Millionen Verträgen gesprochen.
Ich beschränke mich deshalb auf den zweiten Teil mei-
ner Frage: Wie bewertet die Bundesregierung diese Ent-
wicklung, und welcher Personenkreis profitiert insbe-
sondere von dieser staatlichen Förderung?
H
Von dieser staatlichen Förderung profitiert zuneh-mend auch der Teil der Bevölkerung, der kein über-durchschnittliches Einkommen hat. Das können wir auf-grund dieser Untersuchungen ganz deutlich feststellen.Da sind natürlich weitere Entwicklungsmöglichkeitengegeben.Ich weise darauf hin, dass der Anteil der jüngeren Zu-lageempfänger weiter steigt, insbesondere bei den Jahr-gängen 1981 und jünger. Das lässt auf eine Gesamtdyna-mik schließen. Das gilt auf jeden Fall für den Kreis der25-Jährigen und Jüngeren. Die Zwischenergebnisse für
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1548 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Januar 2010
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Fuchteldie Beitragsjahre 2007 und 2008 bestätigen diesen Trendeindeutig. Zu dem Ergebnis kommt auch ein Wochenbe-richt des DIW vom 5. August 2009. Danach ist der An-teil der Riester-Sparer in der Altersgruppe 17 bis 24 Jah-re von 3,9 Prozent im Jahre 2004 auf 11,1 Prozent imJahre 2007 gestiegen. Auch dadurch wird das bestätigt,was ich eingangs ausgeführt habe.
Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Birkwald auf:
Welche Effekte hätte die von den Autoren der DIW-Studie
ten in den Adressatenkreis der gesetzlichen Rentenversiche-
rung, GRV, auf die Einnahme- und Ausgabenseite der GRV,
und welche zusätzlichen Effekte hätte die Einbeziehung der
Selbstständigen in den Adressatenkreis der GRV auf die Ein-
nahme- und Ausgabenseite der GRV?
H
Grundsätzlich ist eine Ausweitung des versicherten
Personenkreises für die Rentenversicherung im Umlage-
verfahren mit Einführungsgewinnen verbunden, weil die
zusätzlichen Versicherten zunächst nur Beiträge zahlen.
Da sie jedoch später eine Gegenleistung in Form von
Renten erhalten und deshalb den höheren Beitragsein-
nahmen längerfristig auch höhere Rentenausgaben ge-
genüberstehen, ergibt sich für die Rentenversicherung
nur in der Übergangsphase eine finanzielle Entlastung.
Das Ausmaß der finanziellen Auswirkungen und die
Dauer der Übergangsphase hängen dabei maßgeblich
vom Potenzial der zusätzlichen Versicherten und von de-
ren Beitragsleistungen ab und können daher pauschal
nicht bestimmt werden.
Bei Einbeziehung von Beamten in den versicherten
Personenkreis ist zudem zu berücksichtigen, dass für den
öffentlichen Haushalt eine Doppelbelastung entstünde,
da die Gebietskörperschaften sowohl die bereits erwor-
benen Pensionsansprüche zu bedienen hätten als auch
die Arbeitgeberanteile im Rahmen der Rentenversiche-
rungsbeiträge und die Umlage zu den Zusatzversorgun-
gen des öffentlichen Dienstes zu leisten hätten. Auf die-
ses Dilemma möchte ich aufmerksam machen.
Ihre Nachfrage, bitte.
Vielen Dank für die Antwort, Herr Staatssekretär. –
Wie ist dann die von Markus Grabka, einem der Autoren
der DIW-Studie, als doppelte Privilegierung kritisierte
Altersvorsorge der Beamtinnen und Beamten – einer-
seits zahlen sie keine Beiträge, und andererseits erlangen
sie ein höheres Versorgungsniveau – aus Sicht der Bun-
desregierung heute noch zu rechtfertigen?
H
Ich möchte darauf hinweisen, dass die in der Studie
ermittelte, im Vergleich zu den übrigen Personengruppen
günstige Position der Beamten und Pensionäre, die Sie
gerade beschrieben haben, unter anderem darauf zurück-
zuführen ist, dass in der Studie Anwartschaften in der
privaten und betrieblichen Altersvorsorge, in den berufs-
ständischen Versorgungswerken und in der Zusatzver-
sorgung des öffentlichen Dienstes nicht berücksichtigt
wurden. Da die Berücksichtigung dieser Anwartschaften
fehlt, kommt es zu Verzerrungen der Ergebnisse zuguns-
ten der Beamten und Pensionäre, bei denen wegen der
Bifunktionalität der Pensionen die zweite Säule in die
Altersvorsorge integriert ist. – Das ist das eine.
Ferner ist zu berücksichtigen, dass Beamte von ihrem
Wesen her in der Regel ununterbrochene Erwerbsver-
läufe und ein vergleichsweise hohes Qualifikations-
niveau aufweisen. Das ist ein wichtiger Grund dafür,
dass es in dieser Studie zu der Bewertung kam, auf die
Sie gerade hingewiesen haben.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Ja. Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine weitere
Frage schließt sich an Ihre Antwort an. Herr Staatssekre-
tär, ich möchte Sie fragen, ob Ihnen Zahlen bekannt sind,
wie viele Beschäftigte bei Eintritt in das Rentenalter
über eine betriebliche oder eine private Altersvorsorge
verfügen und wie viele nicht, sodass klar gesagt werden
könnte, wie stark die Verzerrung, wie Sie es genannt ha-
ben, ist.
H
Ich habe bei der Beantwortung einer vorherigen Frage
schon ausgeführt, dass 17,5 Millionen Personen Anwart-
schaften auf eine Betriebsrente haben – mit steigender
Tendenz. Daraus ergibt sich das Volumen.
Herr Kollege Lehrieder.
He
Welche Möglichkeiten haben eigentlich Selbststän-
dige, die nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung
sind, Alterssicherungsvermögen aufzubauen, und wie wird
dieses Alterssicherungsvermögen gesetzlich geschützt?
H
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Selbstständigen wird über die sogenannte Rürup- oderBasisrente der Aufbau einer staatlich geförderten Alters-sicherung ermöglicht. Die Förderung besteht darin, dassdie Beiträge zu einer solchen Rürup-Rente zusammen mitden Beiträgen zu gesetzlichen Alterssicherungssystemen,zum Beispiel zur gesetzlichen Rentenversicherung, stu-fenweise ansteigend bis zum Jahre 2025 völlig steuerfreigestellt werden. Das heißt, schließt man eine Rürup-Rente ab, so hat dies eine interessante und günstige steu-erliche Auswirkung. Dem Prinzip der nachgelagerten Be-steuerung entsprechend werden die Renten später eben-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Januar 2010 1549
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtelfalls stufenweise ansteigend bis zum Jahre 2040 vollbesteuert. Rürup-Produkte – ich habe mir extra ein paarFakten zusammengestellt, weil ich dachte, dass dies zumGesamtthemenkomplex gehört – müssen weitgehend denKriterien der gesetzlichen Rentenversicherung entspre-chen. Das heißt, solche Verträge sind zum Beispiel nichtveräußerbar und auch nicht vererbbar.Der überwiegende Teil der circa 1 Million abge-schlossenen Verträge sind Rentenversicherungen. Hierbesteht für den Fall der Insolvenz – das ist sehr wichtig,um den Gesamtzusammenhang zu beurteilen – das glei-che Schutzsystem wie bei Lebensversicherungsverträ-gen.Seit 2009 müssen solche Verträge, mit der Riester-Rente vergleichbar, von der Bundesanstalt für Finanz-dienstleistungsaufsicht zertifiziert werden. Daran siehtman, dass die Qualität dieses Instruments angehobenwurde. Daher wird dieses Instrument künftig auf demMarkt eine noch größere Rolle spielen und insbesondere– das war Ihre Frage – den Selbstständigen helfen.
Die Fragen 5 bis 9 der Kollegen Dr. Ilja Seifert,
Dr. Martina Bunge, Veronika Bellmann und Volker Beck
werden schriftlich beantwortet. Damit sind wir am Ende
dieses Geschäftsbereichs. Herr Staatssekretär Fuchtel,
herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz. Hier steht für die Beantwortung der
Fragen Frau Parlamentarische Staatssekretärin Julia
Klöckner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 10 der Kollegin Dagmar Ziegler
auf:
Wann wird die Bundesregierung darüber entscheiden, wo
in Neuruppin der neue Standort der Außenstelle des Bundes-
instituts für Risikobewertung errichtet wird?
Frau Staatssekretärin.
Ju
Frau Kollegin Ziegler, Sie möchten erfahren, wann
die Entscheidung getroffen wird, wo in Neuruppin die
Außenstelle des BfR errichtet wird. Die Bundesanstalt
für Immobilienaufgaben führt derzeit eine Wirtschaft-
lichkeitsuntersuchung in Bezug auf den Standort in Neu-
ruppin durch. Es geht bei den Unterbringungsalternati-
ven darum, ob sich die alte Panzerkaserne oder der
Neubau anbietet. Nach dem Vorliegen des Ergebnisses
dieser Wirtschaftlichkeitsuntersuchung wird über den
endgültigen Standort dieser Außenstelle des Bundes-
instituts entschieden werden.
Frau Kollegin Ziegler, bitte.
Meine Nachfrage bezieht sich darauf, ob der Standort
Neuruppin damit nicht infrage steht.
Ju
Ich kann Ihnen versichern – ich weiß auch, dass das
Ihr Anliegen ist, weil es Ihre Region ist –: Wir stellen
diesen Standort nicht infrage. Das ist im Haushalt klar
vorgesehen. Ich weiß, dass es vonseiten des Personalrats
Einwände gab, weil die Mitarbeiter umziehen müssen,
aber von unserer Seite aus ist das klare Bekenntnis zu
Neuruppin weiterhin gegeben.
Es gibt keine weitere Zusatzfrage. Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums der Verteidigung auf. Hier steht für die Beant-
wortung der Fragen der Parlamentarische Staatssekretär
Christian Schmidt zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 11 der Kollegin Ziegler auf:
Wann schließt die Bundesregierung die Prüfung zur
weiteren Verwendung des Truppenübungsplatzes Wittstock
– Kyritz-Ruppiner Heide – ab?
Herr Staatssekretär, bitte sehr.
C
Frau Kollegin, auf Ihre Frage, wann die Prüfung einer
zukünftigen Nutzung des Truppenübungsplatzes abge-
schlossen sein wird, muss ich Ihnen antworten, dass über
die weitere Verwendung noch nicht entschieden wurde.
Wir haben derzeit Prüfungen möglicher Handlungs-
optionen, die umfangreiche und komplexe Analysen um-
fassen, in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse werden im
Ministerium erwartet. Es ist gegenwärtig noch nicht ab-
zusehen, wann mit einer abschließenden Entscheidung
zu rechnen ist. Ich kann allerdings zusagen, dass wir ein
Interesse daran haben, dass nach dem Vorliegen der Er-
gebnisse sehr bald über die Vorschläge entschieden wird.
Ein Zeitrahmen ist gegenwärtig leider noch nicht abseh-
bar.
Haben Sie eine Nachfrage? – Bitte.
Herr Staatssekretär, befindet sich unter den Optionen,
die geprüft werden, auch die militärische Nutzung, oder
ist die von vornherein ausgeschlossen?
C
Der Verzicht, den Truppenübungsplatz Wittstock alsLuft-Boden-Schießplatz zu nutzen, gilt weiterhin.
Metadaten/Kopzeile:
1550 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Januar 2010
(C)
(D)
Danke.
Die Fragen 12 und 13 der Kollegin Ingrid Arndt-
Brauer werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Hans-Christian
Ströbele auf:
Wie oft waren Soldaten der Bundeswehr im Jahr 2009 in
Afghanistan an kinetischen oder anderen Operationen in ir-
gendeiner Form beteiligt, bei denen Menschen – Taliban, an-
dere Aufständische oder Zivilpersonen – durch Bomben oder
Raketen von US-Flugzeugen oder Drohnen vernichtet werden
sollten oder vernichtet wurden, etwa indem sie die US-Luft-
schläge angefordert, freigegeben, geleitet oder angewiesen
haben, und wie oft waren die Soldaten der Bundeswehr, die in
der Nacht vom 3. zum 4. September 2009 mit dem Einsatz
von US-Flugzeugen gegen entwendete Tanklastkraftwagen
befasst waren, vorher schon einmal an Einsätzen und Opera-
tionen in Afghanistan beteiligt, bei denen Menschen durch
Raketen oder Bomben vernichtet werden sollten oder vernich-
tet wurden, die von US-Flugzeugen oder Drohnen abgefeuert
wurden?
C
Vielen Dank, Herr Kollege. Sie hatten diese Frage ja
schon einmal gestellt. Ich hatte zu dem damaligen Zeit-
punkt auf die umfangreichen Recherchen hingewiesen,
die notwendig waren. Diese sind zwischenzeitlich er-
folgt.
Insofern kann ich Ihre Frage wie folgt beantworten:
Im Jahr 2009 wurden in insgesamt 37 Fällen Einsätze im
Rahmen der Luftnahunterstützung unter Beteiligung
deutscher Soldaten am Boden durchgeführt. 28 dieser
37 Einsätze erfolgten in der Form „Show of Force“, wa-
ren also Fähigkeitsdarstellungen: Überfliegen. 9 Ein-
sätze erfolgten mit Waffeneinsatz. Bei diesen 9 Einsät-
zen ging es im Regelfall aber nicht, wie das dem Duktus
Ihrer Frage vielleicht entnommen werden könnte, um
das Töten von Menschen, sondern um eine Warnung im
Rahmen einer Eskalation zum Schutz von ISAF-Solda-
ten.
Soll ich die Frage 15 gleich mitbeantworten?
Nein, das geht extra. – Herr Ströbele.
Es ist ja ein Fortschritt, dass Sie sich immerhin bemü-
hen, auf Fragen zu antworten. Beim letzten Mal wurde
die Frage ja nicht beantwortet.
Mich interessiert natürlich in erster Linie der zweite
Teil dieser Frage: Inwiefern waren Soldaten der Bundes-
wehr, die an dem Einsatz vom 4. September 2009 betei-
ligt waren, vorher an solchen kinetischen Operationen
beteiligt? Da Sie diese Frage ja eigentlich gerade schon
hätten beantworten sollen, schließe ich gleich die eigent-
liche Nachfrage an: Wie viele Menschen sind denn bei
den Waffeneinsätzen, die Sie eingeräumt haben, „ver-
nichtet“ worden? Ich benutze dieses Wort nicht, weil ich
es so gerne ausspreche, sondern weil das offenbar der
Sprachgebrauch der Bundeswehr ist. Das entnehme ich
der Didaktik des Oberst Klein.
C
Sehr verehrter Herr Kollege, zum Ersten darf ich
mich bedanken, dass das beiderseitige Bemühen um die
Findung von Informationen, von Auskünften und die
Weiterreichung derselben uns nahezu in eine Harmonie
bringt.
Die erste Frage hatte ich in der Tat – ich bitte um Nach-
sicht – der Frage 15 zugerechnet. Das war ein Missver-
ständnis meinerseits.
Zur Frage zum 4. September: Der JTAC – das ist eine
NATO-Bezeichnung für den Fliegerleitfeldwebel –, der
am 4. September 2009 in Kunduz die Luftnahunterstüt-
zung eingesetzt hatte – wir wissen, dass über die Um-
stände noch zu sprechen sein wird –, hatte vor diesem
Einsatz viermal Luftnahunterstützung in Form von
„Show of Force“ ohne Waffeneinsatz und einmal Luft-
nahunterstützung mit Waffeneinsatz angefordert.
Bezüglich der Ergänzungsfrage, die Sie zum
4. September gestellt haben, kann ich Sie auf die be-
kannten Daten hinweisen. Es ist umfangreich vorgetra-
gen worden, wie viele Getötete es gegeben hat. Bei den
anderen ist mir eine Zahl nicht ersichtlich. Ich bitte da-
rum, dass ich die nachreichen kann. Bisher hat es da, so-
weit ich das sehe, keine Tötungen gegeben. Aber ich
sage das unter dem Vorbehalt der nochmaligen detaillier-
ten Prüfung, über die ich Sie zeitnah informieren werde,
Herr Kollege Ströbele.
Herr Ströbele, bitte.
Da wir gerade bei den Höflichkeiten sind: Ich danke
natürlich für das Angebot, dass Sie nachliefern, und
hoffe, dass die Nachlieferung bald kommt.
Meine zweite Nachfrage lautet: Können Sie jetzt
schon sagen, wann die Einsätze mit Waffengewalt, über
die Sie sich noch einmal kundig machen wollen, stattge-
funden haben? Vielleicht können Sie nicht Tag und
Stunde nennen, aber in welchen Monaten im Jahr 2009
haben sie stattgefunden? Hat zum Beispiel eine im
Mai 2009 stattgefunden? Können Sie dazu etwas sagen?
C
Zu den neuen Einsätzen kann ich keine tageweiseEinzelaufschlüsselung geben. Es lässt sich allerdingskeine besondere Zusammenballung erkennen mit derAusnahme, dass in der Winterzeit die Anzahl der Ein-sätze geringer war. Soweit das recherchierbar ist – das
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Januar 2010 1551
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Christian Schmidtdürfte es ja nun sein –, will ich zusagen, Ihnen auch diesmit Monatsbenennung und Zahl zu geben.
Nun rufe ich Frage 15 des Kollegen Hans-Christian
Ströbele auf:
In welcher Weise war der neue Generalinspekteur der
Bundeswehr, General Volker Wieker, in seiner vorherigen
Funktion als Chef des ISAF-Stabes im ISAF-Hauptquartier in
Kabul an der Sachverhaltsfeststellung sowie Bewertung der
Bombardierung einer Menschenmenge in Kunduz/Afghanis-
tan am 4. September 2009 beteiligt, so wie dies etwa Aus-
druck fand in den kritischen Äußerungen seines damaligen
Vorgesetzten Stanley McChrystal oder dem erstellten ISAF-
Untersuchungsbericht, und wann teilte General Volker Wieker
möglicherweise seine diesbezüglichen Feststellungen und
Wertungen erstmals Vertretern der Bundesregierung mit?
C
Sie fragen nach der Tätigkeit von General Wieker in
Kabul als Chef des Stabes ISAF, also als der Stabschef
des Kommandeurs General McChrystal. Er hat diesen
Dienst am 6. Oktober 2009 angetreten. Herr Kollege, Sie
mögen schon daraus schließen, dass eine Befassung mit
den Vorfällen vom 4. September 2009 zeitlich unmittel-
bar nicht stattgefunden hat. General McChrystal hatte
zwei Untersuchungsgruppen eingesetzt, deren Selbst-
ständigkeit in der Ermittlung er sehr strikt bedacht und
betrachtet hat, nämlich das Initial Action Team, das den
ursprünglichen Bericht geschrieben hat, und das Joint
Investigation Board, die beide ausschließlich mit der Er-
mittlung des Sachverhaltes beschäftigt waren. Daher
kann ich Ihre Frage, ob General Wieker in seiner Funk-
tion bei ISAF an Sachverhaltsdarstellungen oder Wer-
tungen beteiligt war, mit Nein beantworten.
Haben Sie eine Zusatzfrage? – Bitte.
Herr Staatssekretär, Sie weisen darauf hin, dass er im
Hauptquartier von General McChrystal war. General
McChrystal hat sich in einem sehr frühen Stadium, wenn
ich mich richtig erinnere, schon am 5. September 2009,
also sehr zeitnah zum 4. September, auch in der Öffent-
lichkeit sehr kritisch geäußert, unter anderem anlässlich
seines Besuchs eines Krankenhauses in Kunduz, wo er
einige Verletzte besucht hat. Nun kam Herr General
Wieker im Oktober 2009 dazu. Ich vermute, dass dann
auch über die kritische Haltung seines Vorgesetzten zu
diesem deutschen Einsatz gesprochen wurde. Können
Sie das bestätigen? In welcher Weise hat der deutsche
General das dann an die deutsche Bundesregierung wei-
tergegeben?
C
Herr Kollege Ströbele, Sie gestatten, dass ich das jetzt
etwas bildhaft mache.
Die militärischen Verhaltensweisen gerade in internatio-
nalen Stäben zeichnen sich nicht dadurch aus, dass da
einer kommt und sagt: „Hallo, ich bin der Neue. Sag ein-
mal, was hast du eigentlich vor drei Wochen hier ge-
sagt?“ – Das ist nicht üblich. Deswegen kann ich nur un-
terstreichen, dass das kein Thema war.
Ich möchte das mit einem anderen Hinweis ergänzen.
Der damalige Generalinspekteur, General Schneiderhan,
hatte in dieser Funktion einige Tage nach dem
4. September 2009, nach dem Vorfall, eine Reise nach
Afghanistan unternommen. Da war bereits das Joint
Investigation Board unter der Leitung eines kanadischen
Generals von General McChrystal eingesetzt. General
Schneiderhan berichtete von einem zufälligen Zusam-
mentreffen mit ihm auf dem Gang – offensichtlich haben
sich da zwei Raucher getroffen – und einem deutlichen
Hinweis von General McChrystal, man möge jede Kon-
taktaufnahme und jegliche Gespräche bitte unterlassen.
Das war also sehr strikt.
Ich denke – das ist eine Vermutung; das ist keine
Kenntnis, die ich durch Befragung gewonnen habe –,
dass sich auch General Wieker seinem Chef gegenüber
entsprechend verhalten hat. An einer Stelle habe ich al-
lerdings nicht vermutet, sondern befragt: Herr General
Wieker hat zu diesem Thema keine Beiträge geliefert.
Eine zweite Zusatzfrage, Frau Präsidentin, wenn Sie
gestatten. – Mir leuchtet Ihre Argumentation nicht ganz
ein. Es handelte sich ja nicht um irgendeinen Stabswech-
sel, dass jemand dorthin kommt und Hallo sagt, wie Sie
es gerade zu bagatellisieren versuchten, sondern es
kommt ein deutscher General in einen Kommandostab.
Der Chef dieses Kommandostabs hat vor ein paar Wo-
chen einen deutschen Einsatz getadelt – das hat er vorher
noch nie getan; jedenfalls ist das mir und der Öffentlich-
keit nicht bekannt –, dass dieser nicht seinen Befehlen
entsprochen habe, dass seine Befehle also missachtet
worden seien. In dieser Situation kommt der neue deut-
sche General dorthin. Dass darüber nicht gesprochen
worden ist, ist für mich schwer nachvollziehbar. Haben
Sie das mit dem deutschen General erörtert?
C
Ich habe nicht mit ihm erörtert, ob das für Sie schwer
nachvollziehbar ist oder nicht. Ich habe mit ihm erörtert,
dass es so ist.
Die Frage 16 des Kollegen Fritz Rudolf Körper wirdschriftlich beantwortet.Ich rufe damit die Frage 17 des Kollegen AndrejHunko auf:Warum ist die Bundesregierung der Auffassung, dass fürdie von der Bundeskanzlerin zugesicherte „lückenlose Auf-klärung“ des tragischen Luftangriffs zur Vernichtung soge-
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1552 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Januar 2010
(C)
(D)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldtnannter Aufständischer in der Nacht vom 3. zum 4. September2009 in Kunduz weitere Ermittlungen durch das KommandoFührung Operationen von Spezialkräften notwendig sind,und, wenn nein, warum nicht?C
Herr Hunko, Ihre Frage erschließt sich mir nicht ganz,
weder von der Syntax noch von der Intention her. Darf
ich fragen, auf welche wo geäußerte Auffassung der
Bundesregierung Sie sich beziehen, damit ich weiß, was
der Hintergrund ist?
Herr Kollege.
Es geht darum, ob Sie, was das Kommando Führung
Operationen von Spezialkräften angeht, weitere Aufklä-
rung für notwendig erachten oder nicht.
C
Vielen Dank, Herr Kollege. – Dann verstehe ich Sie
so, dass Sie an mich die Frage richten, ob ich als Vertre-
ter der Bundesregierung dieser Auffassung bin und ob
die Bundesregierung insgesamt dieser Auffassung ist.
Ich kann diese Frage klar beantworten. Der Luftangriff
gegen die beiden entführten Tanklastzüge war keine
Operation der Spezialkräfte, stand auch in keinerlei Zu-
sammenhang mit der zum damaligen Zeitpunkt laufen-
den Operationsführung der bekannten Task Force 47.
Nach den uns zwischenzeitlich vorliegenden Ergebnis-
sen, Informationen und Bewertungen sind zum derzeiti-
gen Stand der Untersuchung des Vorfalls keine weiteren
Ermittlungen des Kommandos FOSK, der Führung von
Operationen von Spezialkräften, erforderlich.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege?
Ja. – Es ist bekannt, dass mindestens ein KSK-Soldat
in der Task Force 47 war. Unter welcher Führung stand
dieser Soldat? Unterstand er der Führung des Komman-
dos FOSK, oder war er in die Task Force 47 eingebun-
den?
C
Das Kommando Führung von Operationen von Spe-
zialkräften war weder an der Vorbereitung noch an der
Durchführung des Luftangriffs beteiligt und erhielt auch
erst nach erfolgtem Luftangriff von dem Vorkommnis
Kenntnis. Die Tatsache, dass ein Soldat aus dem Bereich
der Task Force 47 stammt und dort angesiedelt ist, ist
richtig. Das heißt aber nicht, dass die Task Force 47 ge-
staltenden Einfluss auf die Operation hatte. Die Opera-
tionsführung lag nicht bei der Task Force 47.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Können Sie dann sagen, wie viele KSK-Soldaten ins-
gesamt in der Nacht vom 3. auf den 4. September 2009
in Kunduz im Einsatz waren?
C
Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich weiß nicht ad
hoc, welche Einsätze insgesamt im Bereich Kunduz
stattgefunden haben. Wenn Sie auf die speziellen Fragen
hinsichtlich des Angriffes auf die Tanklastfahrzeuge und
die Bombardierung Bezug nehmen, dann gilt das, was
ich gesagt habe: Die Task Force 47 ist nicht betroffen ge-
wesen.
Nach meiner Kenntnis war mindestens ein Soldat, der
im Bereich der Task Force 47 tätig ist, mit vor Ort. Sollte
ein weiterer da gewesen sein – was ebenfalls nicht dazu
führt, dass die Task Force 47 operativ beteiligt war –,
würde ich das noch sagen. Nach meiner gegenwärtigen
Erinnerung war es aber nur ein Einziger. Die Operations-
führung lag definitiv bei dem Kommandeur des PRT
Kunduz, Oberst Klein.
Ich rufe die Frage 18 der Kollegin Inge Höger auf:
Warum druckt das Bundessprachenamt, das zum Ge-
schäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung ge-
hört, den 61-seitigen „Persisch-Sprachführer für die Bundes-
wehr“ – Nachdruck: Mai 2008 –, dessen Vokabular sich
insbesondere auf den Iran bezieht und militärische Befehle
beinhaltet?
C
Es geht – damit das jeder nachvollziehen kann – umdie Übersetzung von militärischen Befehlen. Die persi-sche Sprache ist eine Sprache, die auch in Afghanistangesprochen wird. Daraus ergibt sich, dass es im Hinblickauf die Kommunikationsfähigkeit unserer Soldaten Sinnmacht, ihnen eine Handreichung zu geben.In Ihrer Frage wird möglicherweise insinuiert – dieserEindruck entsteht, da ja ein Artikel aus der Jungen Weltdie Grundlage für Ihre Frage ist –, dieser Sprachführersei eine Vorbereitung für was wann wie auch immer.In diesem Sprachführer ist eine Stadt erwähnt, das istdie Stadt Köln. Der Satz „Ich stamme aus Köln“ wird indie Sprache Dari übersetzt; ich kann das leider nicht vor-tragen.Wenn die Frau Präsidentin mir das gestattet, möchteich mir erlauben, darauf hinzuweisen, dass in diesemHohen Hause vor wenigen Stunden der Bundestagspräsi-dent den israelischen Staatspräsidenten begrüßt hat unddabei auf die Bedrohungslage Israels hingewiesen unddas Existenzrecht Israels bekräftigt hat. Der israelischeStaatspräsident hat aus der Rede, die die Bundeskanz-lerin vor dem amerikanischen Kongress gehalten hat, zi-tiert:Ein Angriff auf Israel kommt einem Angriff aufDeutschland gleich.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Januar 2010 1553
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Christian SchmidtDer missverständliche Eindruck, der aus Ihrer Frageheraus möglicherweise entsteht, ist in diesem Hauseheute – Sie gestatten mir diese Bewertung – völlig fehlam Platze.Zum Inhalt habe ich weiter nichts zu sagen, weil dieFrage jeglicher Substanz entbehrt.
Frau Kollegin Höger.
Ich finde, dass ich als Parlamentarierin durchaus das
Recht habe, zu fragen, warum die Bundesregierung ei-
nen Sprachführer mit militärischem Vokabular in irani-
scher Sprache druckt.
Ich habe jetzt eine Zusatzfrage. Das ist auch mein gu-
tes Recht. Meine Zusatzfrage ist – –
Das Wort hat die Kollegin Höger.
In diesem Sprachführer kommt zum Beispiel der Satz
vor: „Der Iran ist ein sehr schönes Land.“ Daher kann
man schon den Eindruck haben, dass sich die Bundes-
wehr auf weitere Auslandseinsätze, zum Beispiel auch
im Iran, vorbereitet. Ich hätte gern eine Antwort darauf,
ob das so ist.
C
Frau Kollegin Künast, ich bleibe gelassen. Bleiben
Sie auch gelassen! Sie sind gar nicht gefragt; aber auch
Sie waren heute dabei: Wir haben in diesem Hause über
andere Dinge, über unsere Geschichte und über die Be-
drohung, die durch den Iran entsteht, diskutiert. – Frau
Höger, hier bleibe ich nicht gelassen und sage: Wenn der
Satz „Der Iran ist ein sehr schönes Land“ im Sprachfüh-
rer steht, dann soll das so sein. Was Sie darin lesen kön-
nen oder nicht, bleibt Ihnen überlassen. Jedenfalls wird
die Bundesregierung hierzu keine Stellung nehmen.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Ich möchte gerade nichts hineininterpretieren.
Deshalb möchte ich diese Frage stellen.
Die Frau Kollegin hat noch die Möglichkeit zur zwei-
ten Zusatzfrage.
Es waren weitere Formulierungen in diesem Sprach-
führer enthalten, zum Beispiel „Wir gehören zu den
UNO-Peacekeeping-Kräften“, „Halt oder ich schieße!“,
„Die Hände hoch!“ oder „Widerstand ist zwecklos!“ Wa-
rum will das Verteidigungsministerium Bundeswehrsol-
daten diese Sätze auf Persisch beibringen?
C
Weil es in Afghanistan Leute gibt, die als erste Spra-
che Persisch sprechen. Das ist zwar nicht im Norden der
Fall, aber Afghanistan ist ein großes Land. Wer einmal
in Herat gewesen ist, der weiß durchaus, dass es dort
eine große iranische Minderheit gibt. Das geht übrigens
sogar so weit – das will ich bei dieser Gelegenheit
sagen –, dass es dort ein durchaus positives iranisches
Engagement in der praktischen Entwicklungszusammen-
arbeit gibt. Ich weiß von einem Projekt im Norden der
Provinz Herat, das die deutsche Nichtregierungsorgani-
sation Help betreut, bei dem es ein Investment vonseiten
der iranischen Behörden gibt, in Form von Schulbauten.
Allerdings muss die Kommunikation in diesen Schulen
in persischer Sprache stattfinden.
Ich möchte Sie – wenn ich das noch sagen darf – bei
aller Gelassenheit und mit Respekt vor Ihrem Recht,
Fragen zu stellen, bitten, zu reflektieren, ob man es nicht
beim Komplex der Fragestellung und bei meinen Ant-
worten bewenden lassen sollte. Man sollte tatsächlich
nicht Dinge „hineingeheimnissen“, die nicht da sind.
Wir können uns gemeinsam bei anderer Gelegenheit mit
dem Autor der Jungen Welt und seinen kruden Vorstel-
lungen auseinandersetzen.
Wir kommen zur Frage 19 der Kollegin SevimDağdelen:Wie will die Bundesregierung verhindern, dass mit demneuen Beschluss des Rates zur Änderung des Mandats der
sammenarbeit mit der im Rahmen der Operation „DauerhafteFreiheit“ agierenden Seestreitkraft Combined Task Force 150vorsieht, über die Zusammenarbeit auch etwa Aufklärungsda-ten an die USA und deren Verbündete, einschließlich der je-menitischen Streitkräfte, weitergegeben werden, die im Jemenmehrfach und in Zukunft absehbar verstärkt gezielte Tötun-gen durch bemannte und unbemannte Luftangriffe vorneh-men?
Metadaten/Kopzeile:
1554 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Januar 2010
(C)
(D)
C
Frau Kollegin, der neue Ratsbeschluss zur EU-
NAVFOR-Operation Atalanta sieht vor, die Koordina-
tion der vor der Küste Somalias in unterschiedlichen
Operationen bezüglich der Pirateriebekämpfung auf See
eingesetzten Einheiten weiter zu verbessern; er ist wich-
tig und gut. Weder im Rahmen der Operation „Dauer-
hafte Freiheit“ – häufig wird der englische Begriff
„Enduring Freedom“ verwendet – noch bei der EU-Mis-
sion Atalanta haben die dort eingesetzten deutschen Ein-
heiten die Aufgabe, Informationen über terroristische
Netzwerke innerhalb des Jemen zu erfassen. Das Opera-
tionsgebiet ist auf die Seegebiete am Horn von Afrika
begrenzt und schließt damit den Jemen nicht ein.
Die Weitergabe von Informationen durch die Bundes-
wehr an Freunde und Partner ist durch Weisungen ein-
deutig geregelt. Die Weitergabe von Verschlusssachen
durch die Bundeswehr an den Jemen kann grundsätzlich
– ungeachtet der Tatsache, dass es in diesem Zusammen-
hang gar nicht geschieht – nicht erfolgen, weil es die
dafür notwendige Vereinbarung, ein sogenanntes Ge-
heimschutzabkommen zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Republik Jemen, nicht gibt.
Frau Kollegin, haben Sie eine Nachfrage? – Bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär,
die Frage war ja eigentlich, wie sie das verhindern will.
Dass das in dem Mandat normalerweise nicht enthalten
ist, ist mir klar.
Ich möchte gerne zu meiner Nachfrage kommen:
Trifft es zu, dass der deutsche Beitrag zur Operation
Enduring Freedom – „Dauerhafte Freiheit“ – und zu
Atalanta unter anderem in der Bereitstellung eines See-
fernaufklärers P3-C Orion liegt, der mit modernster
Technologie für die weiträumige Aufklärung auch über
Land ausgerüstet ist, und dass dabei, wie es durch ver-
schiedene Berichte auf der Homepage der Bundeswehr
nahegelegt wird, ein und dasselbe Flugzeug im selben
Einsatzraum unter beiden Mandaten im Einsatz ist?
C
Die Bundeswehr beteiligt sich in der Tat im Rahmen
der Operation „Dauerhafte Freiheit“, und sie hat für die
entsprechenden Zeiträume – nach meiner Kenntnis be-
ginnt das in diesem Jahr im März – ein Seefernaufklä-
rungsflugzeug P3-C Orion in Dschibuti stationiert. Die-
ses Aufklärungsflugzeug wird für die Erfüllung der
Aufgaben der Task Force 150 innerhalb der Operation
Enduring Freedom – „Dauerhafte Freiheit“ – genutzt.
Das bezieht sich ausschließlich auf das Seegebiet, ein
Gebiet, in dem auch die Pirateriebekämpfung stattfindet.
Man muss dazu wissen, dass die P3-C Orion ein Flug-
zeug ist, das im Gegensatz zu den AWACS keinen Ra-
dius von Hunderten von Kilometern abdecken kann, um
irgendwo hineinzuschauen, sondern sehr präzise Bilder
von einem relativ begrenzten Bereich des Seegebiets lie-
fert. Das ist sinnvoll und notwendig, insbesondere, um
festzustellen, ob beispielsweise Waffenschmuggel über
See stattfindet, und um im Rahmen der Pirateriebekämp-
fung zu ermitteln, wie die Skiffs besetzt sind und ob die
Piraten bewaffnet sind.
Aus meiner farbigen Darstellung erkennen Sie, dass
ich selbst in der P3-C Orion solches schon betrachtet
und beobachtet habe. Ich kann ausschließen, dass die
P3-C Orion über jemenitischem Staatsgebiet – –
– Das war nicht die Frage?
Frau Kollegin, der Herr Staatssekretär antwortet noch.
Okay. – Es ging darum, ob es unter beiden Mandaten
eingesetzt wird.
C
Ich kann ausschließen, dass der Seefernaufklärer im
Rahmen der Operation „Dauerhafte Freiheit“ Nachrich-
ten übermittelt und dass eine solche Nachrichtenüber-
mittlung an jemenitische Behörden stattfindet. Entspre-
chende Informationen fallen auch nicht an, weil es
aufgrund der Technik keine großflächigen Zufallsbeob-
achtungen gibt. Das ist also sichergestellt.
Sie haben die Möglichkeit, noch eine weitere Zusatz-
frage zu stellen. – Bitte.
Frau Präsidentin, ich darf feststellen, dass die Frage
nicht klar und deutlich beantwortet worden ist.
Ich möchte meine zweite Nachfrage dazu nutzen, die
Bundesregierung zu fragen: Sieht sich die Bundesregie-
rung aufgrund dieser Zusammenarbeit und vor dem Hin-
tergrund, dass General David Petraeus in einem Inter-
view mit al-Arabiya angab, dass zumindest die US-
Marine im Golf von Aden auch damit beauftragt sei,
Waffenlieferungen an die Huthi-Bewegung zu unterbin-
den, als Konfliktpartei in der innerjemenitischen Ausei-
nandersetzung?
C
Frau Kollegin Dağdelen, ich bin gerne bereit, IhreFrage zu beantworten und auch Ihre Rüge hinzunehmen,dass Ihnen meine Antwort nicht ausreichend erscheint.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Januar 2010 1555
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Christian SchmidtSie gehen davon aus, dass die Task Force 150, die Siein Ihrer Frage genannt haben, Informationen sammelt,die dem entsprechen, was Sie nach Ihren Schilderungenerwarten. Das ist im Auftrag der Operation „DauerhafteFreiheit“ für die Task Force 150 nicht der Fall.Über die Fähigkeiten von Schiffen und Überwa-chungsgeräten, die von anderen Ländern beigestellt wer-den, kann ich nichts im Detail sagen. Das Einzige, wasich konkret angeben kann, ist das, was die P3-C Orionkann. Das kann ich für uns und für unsere Vereinbarun-gen sagen, die wir im Rahmen von OEF getroffen habenund an die wir uns halten.Was andere Länder gegebenenfalls bilateral machen,ist eine Angelegenheit dieser Länder, über die ich wederseriös berichten kann noch will, weil das über meinenInformationsstand hinausgeht. Allein bei der Pirateriebe-kämpfung befinden sich nach meiner Information gegen-wärtig über 20 Länder zum Teil in nationalen Operatio-nen in dem Gebiet, in dem sowohl die Task Force 150als auch Atalanta tätig sind. Deswegen kann ich dasnicht ausschließen. Aber ich meine, es gehört nicht zurBerichtspflicht der Bundesregierung, weil es uns auch aneigenen Informationen mangelt.
Herr Staatssekretär, vielen Dank.
Damit haben wir den zeitlichen Rahmen der Frage-
stunde mehr als ausgeschöpft. Die restlichen noch offe-
nen Fragen werden schriftlich beantwortet.
Wir sind damit am Ende unserer heutigen Tagesord-
nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 28. Januar 2010,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch
einen schönen Abend.