Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! DieSitzung ist eröffnet.Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich Ihnen ei-nige Änderungen in der Tagesordnung mitteilen und da-vor noch einen kurzen Wahlvorgang durchführen.Auf Vorschlag der SPD-Fraktion soll der KollegeDr. Carl-Christian Dressel anstelle des KollegenDr. Hans-Ulrich Krüger Mitglied im Gremium nachArt. 13 Abs. 6 des Grundgesetzes werden. Sind Sie da-mit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dannist der Kollege Dressel zum Mitglied dieses Gremiumsgewählt.Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun-dene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste auf-geführten Punkte zu erweitern:ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionender CDU/CSU und der SPD:Kinder, Jugendliche, Familien stärken – Kon-sequenzen nach dem Amoklauf
ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-fahren
Redeta)Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurRegelung der Verständigung im Strafverfah-ren– Drucksache 16/12310 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Innenausschussb)Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Hermann Otto Solms, Rainer Brüderle,Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der FDPMaßnahmen zur effektiven ReguliFinanzmärkte– Drucksache 16/10876 –
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22712 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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zu dem Antrag der Abgeordneten
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Präsident Dr. Norbert LammertErste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Moder-nisierung von Verfahren im patentanwaltli-chen Berufsrecht– Drucksache 16/12061 –überwiesen:Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieDer in der 208. Sitzung des Deutschen Bundestagesüberwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich demVerteidigungsausschuss zur Mitbera-tung überwiesen werden.Beratung des Antrags der Abgeordneten RainderSteenblock, Jürgen Trittin, Manuel Sarrazin, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENZwei Jahre Europa-Vereinbarung – Bundesre-gierung muss ihre Verpflichtungen unverzüg-lich vollständig erfüllen– Drucksache 16/12109 –überwiesen:Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität undGeschäftsordnungRechtsausschussVerteidigungsausschussDer in der 202. Sitzung des Deutschen Bundestagesüberwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich demAusschuss für Arbeit und Soziales zurMitberatung überwiesen werden.Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Hakki Keskin, Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und derFraktion DIE LINKEGewerkschaften in der Türkei stärken– Drucksache 16/11248 –überwiesen:Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger AusschussAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAuch hier stelle ich Einvernehmen fest. Dann ist dasso beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:Abgabe einer Regierungserklärung durch dieBundeskanzlerinzum Europäischen Rat am 19./20. März 2009in Brüssel und zum G-20-Gipfel am 2. April2009 in LondonHierzu liegen ein Entschließungsantrag der FraktionDie Linke sowie zwei Entschließungsanträge der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-rung 90 Minuten vorgesehen. – Darüber besteht offen-kundig Einvernehmen und ist damit so beschlossen.hwsfzWJlVWDdDBifwusGeWlMndswsdnkhuuEwZliAddKsiPfw
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Es geht darum, dass wir jetzt nicht schon wieder dieächsten Konjunkturmaßnahmen fordern.
ch halte davon überhaupt nichts. Die jetzigen Maßnah-en müssen wirken;
ie müssen ihre Wirkung entfalten können. Ein Überbie-ungswettbewerb von Versprechungen wird mit Sicher-eit keine Ruhe in die Entwicklung bringen. Deshalbalte ich es für außerordentlich gefährlich, wenn jetztransatlantische Gegensätze aufgebaut werden. Ich binem amerikanischen Präsidenten sehr dankbar dafür,ass er seinerseits gesagt hat, dass es sich hierbei umine künstliche Diskussion handelt. Wir brauchen psy-hologisch gute Signale von London und keinen Wettbe-erb um nichtrealisierbare Konjunkturpakete. Wir ha-en unseren Beitrag jetzt erst einmal geleistet, und deruss wirken.
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Bundeskanzlerin Dr. Angela MerkelDeutschland ist in einer guten Lage, weil wir in denletzten Jahren unsere Staatsfinanzen konsolidiert haben.Dadurch haben wir haushaltspolitische Spielräume ge-wonnen, um in dieser Krise zu agieren. Es ist ganz wich-tig, dass wir auf dem Rat, der heute und morgen stattfin-det, das Signal setzen, dass wir nach der Krise zurnachhaltigen öffentlichen Finanzpolitik zurückkehren.Das ist aus meiner Sicht und aus Sicht der Bundesregie-rung unbedingt erforderlich, um sicherzustellen, dassVertrauen in die Märkte hineinkommt und das Vertrauender Bürger wächst; es wäre falsch, wenn die Angst vorzukünftigen Steuererhöhungen schon heute das Kon-sumverhalten bestimmen würde.Deshalb ist es ein elementarer Fortschritt, dass es inder Föderalismuskommission II gelungen ist, im Grund-gesetz eine Schuldenbremse zu verankern, über die wirnächste Woche debattieren werden. Ich möchte michganz herzlich bei Herrn Struck und bei Herrn Oettingerdafür bedanken, dass sie diese Föderalismuskommissionzum Erfolg geführt haben.
Wir hätten vielleicht kein Ergebnis bekommen, wenn dieZeiten ganz normal gewesen wären. Dass wir in dieserKrise die Kraft aufgebracht haben, diese Maßnahmen zuvereinbaren, ist etwas, was international sehr wohl regis-triert wird; es findet allerdings auf internationaler Ebeneleider noch nicht so viele Nachahmer, wie ich mir daswünschen würde. Deutschland kann und sollte hierfürwirklich werben.
Wir werden uns auf dem Europäischen Rat über dieverschiedenen Maßnahmen austauschen. Wir werdennoch einmal deutlich machen, dass die Abschottung vonMärkten oder die Diskriminierung im europäischen Bin-nenmarkt kontraproduktive Verhaltensweisen sind – dassind die falschen Antworten auf die Krise – und dass esin dieser Krise nicht um Subventionswettläufe gehenkann, weil auch das das Vertrauen zerstört. Das heißt,wir müssen die grundlegenden Ordnungsprinzipieneinhalten, die glücklicherweise durch die EuropäischeUnion vorgegeben sind. Die Europäische Kommissionist die Hüterin der Verträge. Die Regeln des europäi-schen Binnenmarktes haben sich in den vergangenenJahrzehnten bewährt, und sie haben auch in der KriseGültigkeit.Allerdings sage ich auch: Die Kommission tut gut da-ran, wenn auch sie auf diese krisenhafte Situation rea-giert. Das gilt für Bearbeitungszeiträume, und das giltzum Teil für Lockerungen im Beihilferecht. Ich sageausdrücklich, dass dies befristet sein sollte.
Das gilt für Ausschreibungsmöglichkeiten, die beschleu-nigt werden müssen. Dabei müssen die Flexibilitätsin-strumente, die der Stabilitäts- und Wachstumspakt vor-sieht, genutzt werden.Ein ganz wesentlicher Punkt, den Deutschland imEcofin-Rat schon eingebracht hat und auf dem Europäi-scdTisdkzWkgaswgusHtdwWnlnm–aDwWJtsAHMkMdUsdfsBLuEnnzd
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Deutschland gehörte zu denen, die in diesem Zusam-menhang vieles angemahnt haben.
– Auch wenn Sie das nicht zur Kenntnis nehmen wollen,
kann ich Ihnen nur sagen, dass es so war. Aber Sie wis-sen es offenbar besser.Meine Damen und Herren, was die Dimension derKrise, die wir derzeit erleben, angeht, stelle ich fest: Esgeht um nicht mehr und nicht weniger als um den Auf-bau einer neuen, noch nicht existierenden internationa-len Finanzmarktverfassung. Dies steht auch im Vor-dergrund des G-20-Treffens Anfang April dieses Jahres.Der erste Weltfinanzgipfel im November vergange-nen Jahres in Washington war ein Meilenstein. Dortwurde zum ersten Mal ein Aktionsplan zur Neugestal-tung der Finanzmärkte verabredet. Dieser Aktionsplanist sehr konkret und umfasst knapp 50 Punkte. Wir ha-ben uns damals darauf geeinigt, den wirtschaftlichenOrdnungsrahmen den globalen Bedingungen anzupassenund für eine lückenlose Regulierung bzw. Aufsicht derFinanzmärkte zu sorgen.Der Londoner Gipfel wird natürlich ein Stück weit alsBeweis dafür dienen, ob wir wirklich in der Lage sind,das, was wir uns vorgenommen haben, umzusetzen. Umdieses Ziel zu erreichen, habe ich die europäischen G-20-Teilnehmer eingeladen, um sich auf eine gemeinsameeuropäische Position zu einigen. Wir werden das aufdngswufemgsbIg–PfKnbcWgüdvvnszg9ANntvlsdihnw
ch hoffe, dass uns in London ein wesentlicher Schrittelingt. Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind.Deutschland wird auf jeden Fall Wert darauf legendarüber habe ich neulich auch mit dem französischenräsidenten gesprochen –, dass auf dem Londoner Gip-el die Frage „Welche Lehren ziehen wir aus dieserrise?“ in den Mittelpunkt gerückt wird und man sichicht nur mit aktuellen Fragen der Krisenbekämpfungeschäftigt. Das halte ich für sehr wichtig.
Meine Damen und Herren, wenn wir uns die Ursa-hen dieser Krise vergegenwärtigen, stellen wir fest: Inahrheit ist sie das Ergebnis langfristiger Entwicklun-en, die immer wieder zugelassen haben, dass Länderber ihre Verhältnisse gelebt haben. Deshalb halte ichie deutsche Schlussfolgerung, eine Schuldenbremse zuerankern, auch wenn dieser Weg mühevoll wird undiele schon heute besorgt sind, welche Folgen sie in denächsten Jahren für unsere Haushalte haben wird, fürehr wichtig.
Wir können nicht so weitermachen wie bisher und so-usagen von Krise zu Krise eilen. Wenn wir uns die Ver-angenheit vor Augen führen, stellen wir fest: Ende der0er-Jahre haben wir eine schwere Asien-Krise erlebt.nfang des 21. Jahrhunderts gab es die sogenannteew-Economy-Krise. Jetzt befinden wir uns in eineroch schlimmeren weltweiten Krise. Wir müssen allesun – das beschäftigt mich sehr, weil wir darüber kontro-erse Auseinandersetzungen führen und manchmal viel-eicht auch als diejenigen dastehen, die nicht bereit sind,o viel auszugeben wie andere –, damit wir nicht gera-ezu gesetzmäßig in die nächste Krise laufen. Wir habennzwischen drei große Krisen erlebt. Wenn die Mensch-eit daraus nicht die richtigen Lehren zieht, dann hat sieichts verstanden. Die Folgen wären wirklich schwer-iegend.
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Bundeskanzlerin Dr. Angela MerkelDa unsere Aufgabe nicht nur darin besteht, Finanz-produkte und Finanzmärkte zu regulieren, habe ich vor-geschlagen, dass wir gemeinsam eine Charta des nach-haltigen Wirtschaftens entwickeln. Das hat bei deneuropäischen G-20-Teilnehmern große Zustimmung ge-funden. Ich hoffe, dass wir uns dies in London vorneh-men können.Nachhaltiges Wirtschaften heißt, Prinzipien festzule-gen, die verhindern, dass wir dauerhaft über unsere Ver-hältnisse leben und dass wir Ressourcen in Anspruchnehmen, die wir nicht regenerieren können. Nur wennsich die Welt gemeinsam auf einen solchen Anspruchverständigt, wird es möglich sein, in der Zukunft Krisenzu verhindern.Globalisierung bedeutet, dass wir uns das nicht al-leine vornehmen. Jedes Land muss natürlich seinen Bei-trag leisten. Globalisierung bedeutet aber eben auch,dass wir miteinander, international, verabreden müssen,dass keiner von diesen Standards abweicht. Es reichtnicht, zu sagen, dass kein Land eine Steueroase seindarf. Darüber hinaus müssen sich alle zum nachhaltigenWirtschaften verpflichten.
Ich bin also der Meinung, dass wir alle Möglichkeitenhaben, statt Angst und Ohnmacht Zuversicht und aktivesHandeln zu gestalten. Es muss der Wille dazu da sein.Ich sage für die Bundesregierung, dass dieser Wille daist. Ich sage auch, dass wir mit unserer Erfahrung im60. Jahr der Bundesrepublik Deutschland und mit über60 Jahren Erfahrung mit der sozialen Marktwirtschaft ei-nen Beitrag dazu leisten können. Das heißt, dass derStaat bereit ist, als Hüter der Ordnung aufzutreten, unddas heißt, dass sich Staaten in der globalen Welt gemein-sam darauf verständigen, Institutionen zu akzeptieren,die überwachen und kontrollieren, ob die Staaten die ge-meinsam verabschiedeten Prinzipien einhalten.Die wesentliche Frage ist: Gibt es eine solche Bereit-schaft? Die europäischen Mitgliedstaaten kennen sichdamit aus. Sie haben Aufgaben an die EuropäischeKommission und an das Europäische Parlament abgege-ben. Es ist uns nicht immer leichtgefallen, aber es hat dieGrundlage dafür geschaffen, dass wir heute in der Euro-päischen Union gemeinschaftlich agieren können. DieserProzess muss sich vollziehen, auch auf der internationalenEbene. Wir werden mit unseren nationalen Erfahrungenmit der sozialen Marktwirtschaft und mit der Erfahrungaus der europäischen Zusammenarbeit unseren Beitragdazu leisten. Ich glaube, dass wir dazu die Unterstützungdieses Hohen Hauses haben.Herzlichen Dank.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Kollege Dr. Guido Westerwelle für die FDP-Frak-
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Wir wissen, dass 20 Milliarden Euro darauf warten, innfrastruktur im Bereich der Energie investiert zu wer-en. Wir wissen beispielsweise auch, dass in die Flugha-eninfrastruktur ebenfalls 20 Milliarden Euro investierterden könnten. Die Meinung, Konjunkturpakete müss-en für den Staat teuer sein, ist falsch. Jetzt müsstentrukturpakete geschnürt werden. Die Chance der Kriseann man nutzen, indem man jetzt die strukturellen Ver-nderungen durchsetzt, die in Deutschland ohnehin drin-end angegangen werden müssen; das ist überfällig.
Da wir mittlerweile nicht nur in Deutschland, sondernuch in Europa über die Steuerpolitik reden, ist es fürnsere Bürgerinnen und Bürger schon von einem gewis-en Interesse, festzustellen, dass Sie die Harmonisie-ung des europäischen Steuerrechts in Deutschlandusschließlich so verstehen, dass wir in Richtung derteuersätze der Länder harmonisieren, in denen sie hö-er als in Deutschland sind. Das ist keine Harmonisie-ung.In der letzten Woche wurde auch durch unseren Fi-anzminister beschlossen, dass die europäischen Länderrmäßigte Mehrwertsteuersätze einführen können. 22 eu-opäische Staaten machen davon Gebrauch. Anschlie-end haben Sie in Deutschland erklärt: Wir in Deutsch-and tun das aber nicht, weil wir das nicht wollen. –amit vorenthalten Sie dem deutschen Mittelstand fairehancen. Den anderen geben Sie die Möglichkeit, Steu-rn zu senken, unseren Bürgern und unserem Mittelstanderweigern Sie das. Das ist unfair, meine sehr verehrtenamen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Nicht alle anderen sind die Geisterfahrer in Europa,ondern wir sind es. Wir Deutschen sind in der Steuer-olitik die Geisterfahrer in Europa;
enn 22 europäische Staaten in der Europäischen Union,lso die überwiegende Mehrheit, gehen diesen Weg, denie den deutschen Bürgerinnen und Bürgern verweigern.as halten wir für falsch.
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Dr. Guido WesterwelleWer das Thema mit dem einfachen Wort „Steueroase“angeht, der macht es sich natürlich zu einfach. Natürlichmüssen wir die Steuerkriminalität und die illegaleSteuerflucht bekämpfen. Natürlich ist es richtig, dasswir auch in Europa und in der Welt die Regeln derOECD anwenden wollen.
– Herr Steinbrück, weil Sie gerade „Aha“ gerufen haben:Die Frage ist, ob man das mit der Peitsche tut bzw. in-dem man der Schweiz mit der Kavallerie gegen Indianerdroht. Sie können ja nicht einmal mit der Schweiz Frie-den halten.
Herr Steinbrück, Herr Finanzminister, ich muss Ihnenwirklich sagen: Diese Art und Weise des Umgangs mitunseren Nachbarländern ist eine schlicht undiplomati-sche Unverschämtheit. Das wird auch hier zu einemThema gemacht werden müssen. Das ist eine schlichteUnverschämtheit.
– Es ist sehr interessant, dass Sie das gutfinden.
– Jetzt wurde gerade ein schöner Zwischenruf zur Steu-eroase gemacht. Ich will Ihnen das einmal wie folgt er-klären, Herr Kollege:
Für den normalen Bürger ist in der Regel weniger dieOase, sondern vielmehr die Wüste drum herum das Pro-blem.
Ich sage Ihnen: Dieselbe Energie, die Sie dafür aufwen-den, Steueroasen auszutrocknen, sollten Sie dafür auf-wenden, dass die deutsche Steuerwüste durch niedrigereSteuern endlich wieder fruchtbarer wird. Liebe Kollegin-nen und Kollegen der SPD, das ist das Mittel, das mananwenden sollte.
Hinterher höre ich bestimmt wieder von Ihnen: „Schade,dass wir bei euch nicht klatschen durften!“
Der entscheidende Punkt ist aber, Frau Bundeskanzle-rin: Statt dass Sie als Regierungschefin Deutschlands einWort der Diplomatie an unsere Nachbarn richten, sagenSie – ganz im Bild von Herrn Steinbrück bleibend –,man müsse Ross und Reiter nennen, mit der Peitschedrohen und die Kavallerie gegen die Indianer ins Feldschicken.IavmDsfnDPlfSdlDtlnddTwvsfdzw
as ist schlecht für unser Land.Ich danke sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Joachim
oß das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-ege Westerwelle, ich freue mich, dass Sie für die Öf-entlichkeit vernehmbar Ihre tiefe Sympathie für dietaaten geäußert haben, die mit ihren Regelungen mitafür sorgen, dass den ehrlichen deutschen Steuerzah-ern Milliarden entzogen werden.
enn die Rechnung für diese systematische Steuerhin-erziehung zahlen die ehrlichen Steuerzahler in Deutsch-and. Dass Sie, der sich dem Vernehmen nach in der Fi-anzszene der Schweiz gut auskennt, Herr Westerwelle,as so unverhohlen sagen, trägt sehr zur Klarheit in dereutschen Öffentlichkeit bei. Wir haben in den nächstenagen und Wochen einiges zu diskutieren. Dann wollenir mal sehen, was die Umfragen ausweisen und wieiele Menschen wirklich wollen, dass ein solches sozial-chädliches Verhalten vom selbsternannten Oppositions-ührer im Deutschen Bundestag unterstützt wird.
Sie haben Ihre Sympathie erklärt. Offen geblieben istabei Ihre inhaltliche Position
u den vom Bundesfinanzminister und anderen aufge-orfenen Fragen bezüglich der Schweiz.
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Joachim Poß– Nein. Er hat Sympathie für die Schweiz ausgedrückt,offenkundig auch für das übersteigerte Bankgeheimnisder Schweiz.
Wie ich gehört habe, lassen Sie sich auch gerne von denProfiteuren dieser Steuerhinterziehung einladen, Vor-träge zu halten, Herr Westerwelle. Sie kennen sich alsowirklich aus.
Darüber wird, wie gesagt, noch zu reden sein.Sie sollten lieber über die Sache reden – nämlich überdie sozialschädlichen Steuerhinterzieher –, statt sich mitder Stilkritik an einem Regierungsmitglied aufzuhalten,dem man im Ergebnis attestieren muss, dass der Druck,der in den letzten Wochen und Monaten vornehmlich un-ter dem Einfluss der Finanzkrise aufgebaut wurde, zumErfolg geführt hat. In die sogenannten Steueroasen istschließlich Bewegung gekommen. Die Frage ist aber, obdas ausreicht, um weltweit und in Europa zu einem fai-ren Steuerregime zu kommen. Diese Frage muss hierbeantwortet werden.
Nach allem, was man bisher erkennen kann, reichendie von der Schweiz und anderen angekündigten Schritteunseres Erachtens nicht aus. Darüber wird in der Sachezu reden sein. Das wird ein Thema auf dem nächstenTreffen – ich nehme an, das ist der sehr wichtige G-20-Gipfel – sein. Ich freue mich, dass sich die Frau Bundes-kanzlerin heute Morgen so uneingeschränkt zugunsteneiner Einschränkung dieser Steuerfluchtmöglichkeitenund gegen die Steueroasen geäußert hat, weil sie, wie wiralle, weiß, dass wir nur dann zu einer fairen Finanzmarkt-regulierung für die Zukunft kommen können, wenn dieinternationalen Fluchtpunkte des Geldes ausgetrocknetwerden.
Aber dabei muss man glaubwürdig bleiben. Dann mussdie nationale Politik auch dem entsprechen, was auf dereuropäischen und der internationalen Ebene von uns ge-fordert ist. Deswegen herrscht bei uns ein solches Un-verständnis, dass aus der Fraktion des Koalitionspartnerseine Blockade in einer so zentralen Frage errichtet wird.Das erhöht nicht unsere internationale Glaubwürdig-keit.
Daher fordere ich den Koalitionspartner in aller Sach-lichkeit und Friedlichkeit
– „Freundschaft“ ist ein so oft missbrauchtes Wort, FrauMerkel, wie Sie wissen – sowie in aller Freundlichkeitauf, diese Blockade aufzugeben; denn in der Tat stärktdsSsSgwBlssdgadDlddzWRsttDsReBtdrnmlAedktfSrvBdrvsWnu
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ie zwingt uns, jetzt im politischen Bereich zu handeln.
s gibt keine Regierung auf der Welt, die so schnell undmfassend wie die deutsche reagiert hat. Dies sollte manunächst in aller Deutlichkeit feststellen.
eutschland ist zwar immer noch eine der stabilstenolkswirtschaften in der Welt – und das ist gut so –, den-och haben wir, was die Konjunkturpakete anbetrifft, ab-olut und relativ – relativ heißt, bezogen auf das Brutto-nlandsprodukt – mehr als alle anderen europäischentaaten gemacht. Was den Gipfel betrifft, so meine ich,ir sollten zunächst einmal alle Maßnahmen wirken las-en und nicht ständig neue Maßnahmen fordern. Sonstesteht die Gefahr, dass bestimmte Maßnahmen erst zuinem Zeitpunkt wirken, zu dem sie eine sich dann viel-eicht abzeichnende Inflation verstärken könnten.
Es gibt eine Reihe von Punkten, über die wir uns hierm Hause einig sind. Ich sehe jetzt einmal von demampf von Reich gegen Arm ab – der Beitrag meinesorredners passte nicht in diese Debatte –, der löst dierobleme nicht, sondern erzeugt höchstens Emotionen.enn ich also diesen Beitrag weglasse, dann sind wirns alle darin einig, dass wir mehr Transparenz brau-hen. Ich sage als Ordnungspolitiker: Wir brauchen lei-er auch mehr Reglementierung, aber nur im Bereicher Finanzmärkte.
s gibt jetzt eine allgemeine Stimmung auch in Deutsch-and, in vielen Bereichen mehr zu reglementieren. Wiraben mit der sozialen Marktwirtschaft gute Chancen,us der Krise herauszukommen. Wenn wir aber jetztuch die Realwirtschaft, den internationalen Handel usw.tärker reglementieren, dann wird der Weg schwieriger.
eshalb sage ich: Wir haben keine Krise der Marktwirt-chaft, wir haben keine Krise der Demokratie, sondernir haben eine internationale Finanzkrise, und wir sindabei, die Ursachen zu analysieren, um die richtigenonsequenzen zu ziehen.Ich will einige Punkte aus dieser Debatte aufgreifen,icht zuletzt um sie richtigzustellen. Ich beginne mit der
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Otto BernhardtBankenaufsicht. Zunächst einmal stelle ich fest, dassdie Bankenaufsicht in Deutschland in der Krise insge-samt gut gehandelt hat. Das gilt für die Bundesbank, unddas gilt für die BaFin.
Die Bundesregierung hat ein Gutachten in Auftrag gege-ben, um all das zu überprüfen. Wir werden die Konse-quenzen aus diesem Gutachten ziehen und einige Dingenoch in dieser Legislaturperiode verändern. Das ändertnichts an der Grundposition meiner Fraktion. Da unter-scheidet sich unsere Auffassung von der der Sozialde-mokraten. In dieser Hinsicht stimmen wir mit den FreienDemokraten überein. Wir sind für eine Konzentrationder gesamten Bankenaufsicht bei der Deutschen Bundes-bank.
Nur, in einer Krise wie dieser sollte man keine grundle-genden Veränderungen vornehmen. Wir haben zurzeitandere Sorgen. Da das System im Grundsatz funktio-niert, ist jetzt nicht der Zeitpunkt für eine grundlegendeVeränderung. Dennoch haben wir ein klares Ziel.
Ich greife einen zweiten Punkt auf, der Emotionenhervorruft und zum Teil mit unfairen Vorwürfen verbun-den ist. Es geht um die Steuerhinterziehung und dieSteueroasen. Ich finde es infam, wenn immer wiederversucht wird, die Union als die Partei darzustellen, dieSpaß an den Oasen hat und die diejenigen Leute, welcheSteuern hinterziehen, schützen will. Nein, auch wir sinddafür, dass Steueroasen trockengelegt werden. Für unsist Steuerhinterziehung kein Kavaliersdelikt. Das, wasHerr Zumwinkel gemacht hat, ist für uns nicht akzepta-bel, unabhängig von der rechtlichen Position.
Jetzt ein Wort zum Finanzminister. Viele wissen, dassich ihn schätze, aber es gibt einige Verhaltensweisen, dieich nicht schätzen kann. In einer Hinsicht irrt der Finanz-minister. Es ergibt keinen Sinn, Staaten, mit denen wirseit Jahrzehnten hervorragende Kontakte haben – fürBayern und Baden-Württemberg ist die Schweiz seitJahrzehnten ein ganz wichtiger Handelspartner –, öffent-lich zu beschimpfen. Das bringt nichts, das ist nicht gut,und das sollten wir nicht machen.
– Herr Kollege, man hat sie als Indianer bezeichnet. Siemussten Ihren Minister verteidigen. Wenn wir einen Mi-nister hätten, der solche Fehler machen würde, würdeauch ich ihn verteidigen. Aber Gott sei Dank haben wirkeinen, der so etwas sagt. Die Art, wie der Minister mitder Schweiz umgeht, ist nicht hinnehmbar.
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ur dann werden wir sicherstellen, dass die Verbriefunginer vernünftigen Begrenzung unterliegt.Ich stelle abschließend fest: Die Bundesregierung undie sie tragenden Fraktionen haben immer sehr schnelllle notwendigen Entscheidungen getroffen, um gegenie Finanzkrise gewappnet zu sein. Wir werden morgenas SoFFin-Gesetz weiterentwickeln, in dem wir not-endige Anpassungen vornehmen. Wir werden morgentwas dafür tun – morgen steht die erste Lesung des Ge-etzentwurfs auf der Tagesordnung –, dass sich Mana-ergehälter in Zukunft nicht mehr an kurzfristigen Para-etern orientieren. Dies zeigt: Die Große Koalition warandlungsfähig, und sie wird auch bis zur Bundestags-ahl handlungsfähig bleiben.Danke schön.
Das Wort erhält nun die Kollegin Renate Künast,raktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlichwollte ich diesen Redebeitrag mit ein paar Worten zuFrau Merkel beginnen. Frau Merkel, Sie rutschen bei mirjetzt ausnahmsweise in die zweite Reihe. Ich finde näm-lich, dass Guido Westerwelle heute wirklich den Vogelabgeschossen hat.
– Na ja, ich wäre nicht so fröhlich. – Herr Westerwelle,heute haben Sie wieder einmal für soziale Kälte gesorgt:Bei Ihren Ausführungen zum Thema Steueroasen bzw.den Oasen allgemein haben Sie gesagt, es gehe um dieWüste drum herum. Ich sage Ihnen einmal ganz klar: Inden Oasen saufen die großen Kamele, und Sie habensich heute wieder einmal als Schutzheiliger der großenKamele, die den anderen das Wasser wegsaufen, betä-tigt.
– Herr van Essen, seien Sie nicht so verklemmt, auchnicht in Ihren Bemerkungen.
– So habe ich es gar nicht gemeint, auch wenn ihr jetztlacht.Herr Westerwelle, Sie äußern jetzt Mitleid mit derEnergielandschaft in Deutschland. Sie klagen über dievielen bürokratischen und Investitionshemmnisse. DieSorge vor Korruption spielt bei Ihnen gar keine Rolle.Wie erklären Sie sich bei all der Sorge über zu viel Büro-kratie, die Sie hier zum Besten gegeben haben, dass Eonim letzten Jahr 10 Milliarden Euro Reingewinn erzielthat? Das ist doppelt so viel wie im Vorjahr. Wer in derLage ist, seinen Reingewinn von einem Jahr zum ande-ren auf 10 Milliarden Euro zu verdoppeln, der ist nichtbürokratisch gehemmt. Man sollte ihn vielmehr fragen,was er für die Allgemeinheit zu tun bereit ist.
Nun zum G-20-Gipfel und den Vorbereitungen da-rauf. Ich muss sagen: Frau Merkel hat heute wieder wun-derbare Geschichten darüber erzählt, was sie alles tunwürde, was alles in Vorbereitung sei. Aber am Ende istes doch wieder eine schöne Inszenierung, der eigentlichnichts folgt.Wo ist eigentlich der Text nach all den wunderschö-nen Überschriften? Es ist immer das Gleiche: Uns wirderzählt, man müsse jetzt erst einmal in die Bankenkriseinvestieren, sozusagen systemisch relevante Banken ab-sichern, aber dann müsse man wieder zur sozialenMarktwirtschaft zurück. Alle Welt redet vom GreenNngdssasKtTbtsrtSLhEnWlüiblSbnßdSWAizrIpxzfsS
o ist die europäische Ratingagentur, die wirklich regu-iert und beaufsichtigt – das wäre Verbraucherschutz! –,ber die Sie immer reden, für die Sie bisher aber wedernternational noch national irgendetwas angeboten ha-en? Wo ist die EU-Finanztransaktionssteuer, die Speku-ationen abbaut und Märkte wirklich stabilisiert? Herrteinbrück möchte sie gern ins Wahlprogramm schrei-en. Warum handeln wir gerade an der Stelle eigentlichicht jetzt, statt bis zum nächsten Jahr zu warten?
Alle reden über die Schließung von Steueroasen – au-er Guido Westerwelle. Es gibt überall Bewegung, aberie Regierung ist unfähig, auch nur ein Gesetz gegenteuerhinterziehung in Deutschland zu beschließen.ieder diese Uneinigkeit Guttenberg und Steinbrück!uch an der Stelle muss man sagen, dass die CDU/CSUm Ergebnis blockiert, um Steuerhinterzieher zu schüt-en. Das ist die ganze Wahrheit, meine Damen und Her-en.
Wo sind eigentlich – um noch einen Punkt zu nennen –hre Aktivitäten gegenüber deutschen Banken, die De-endancen auf den Cayman Islands, in Singapur, in Lu-emburg haben? Allen voran ist hier die Commerzbanku nennen, der wir gerade die Steuergelder hinterherwer-en. Wenn Sie so handlungsfähig sind, wie Sie sich dar-tellen, dann sagen Sie hier und jetzt, was Sie an diesertelle eigentlich Positives erreicht haben!
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Renate Künast
Mein Vorredner hat gesagt, man werde wunderbareRegeln hinsichtlich der Gehälter von Managern schaf-fen. Sie bieten uns hier an, dass die Haltefrist für Aktien-pakete von zwei auf vier Jahre erhöht werden soll. Dassind Peanuts! Heute sind die meisten Unternehmen auf-grund freiwilliger Vereinbarungen schon bei einer Fristvon drei Jahren. Sie bieten also faktisch eine Erhöhungvon drei auf vier Jahre an. Zehn Jahre, das wäre der Ein-stieg in langfristiges Denken. Dazu haben Sie nicht denMut.
Wie wenig mutig Sie an der Stelle sind, sieht manauch an all den Rettungspaketen, die wir hier verab-schieden müssen. Das erste Rettungspaket ist geschei-tert.
Morgen findet die Abstimmung über das zweite Ret-tungspaket statt. Das ist eine Lex Hypo Real Estate. ImAusschuss war auf Einladung der FDP auch Herr Flowersvon Hypo Real Estate. Da konnte man sehen, was derenVorstellungen von marktwirtschaftlicher Ordnung sind.Die denken immer noch: Der Profit gehört uns, ansonstenwerden Steuergelder eingesetzt und die Steuerzahler fak-tisch enteignet. – Das ist Ihre Art von Finanzpolitik.Ich sage Ihnen: Die Zeit der Spielereien muss zu Endesein, auch für den smarten Herrn Guttenberg, der amTimes Square herumturnt und von dem wir alle nun wis-sen, dass er gut Englisch kann. Wir brauchen jetzt wirk-lich eine Verstaatlichung der HRE und nicht irgendeinHerumerzählen oder noch eine Umdrehung nach demMotto, man könnte vielleicht irgendwann einmal das In-solvenzrecht verändern. Jetzt, meine Damen und Herren,brauchen wir Aktionen.
Eine Sekunde lang hat mich nachdenklich gemacht,
was Frau Merkel zu dem Beitrag gesagt hat, den sie zu-sammen mit Herrn Balkenende für die FAZ verfasst hat.Auch sonst hört man von Frau Merkel ja immer wiederden Satz, man müsste jetzt Regeln für eine neue Art desWirtschaftens aufstellen. Im gemeinsam mit HerrnBalkenende verfassten Text heißt es – heute wurde esähnlich formuliert –, dass die internationale wirtschafts-politische Zusammenarbeit mit der Globalisierung derWirtschaft nicht Schritt gehalten hat. Das hat sie ja heuteauch wieder gesagt.Meine Damen und Herren, ich finde es schon putzig,wie geschichtsvergessen Frau Merkel ist. Es ist ja nichtwahr, dass die internationale Wirtschaftspolitik nichtSchritt gehalten habe, sondern die Wahrheit ist, dass ge-rade die Unionsparteien und ihre Fraktion hier im Bun-destag sich jahrelang dagegen gewehrt haben, dass derFreiheit der Wirtschaft ein Rahmen mit ökologischenugutnhWsrsetdmhSniwGduSdRtDrsltwsiFnmwdfgFsrwHWUdWd
Frau Merkel hat auch gesagt, wir bräuchten jetzt drin-end eine weitere Liberalisierung des Handels, sprichortschritte bei den Doha-Verhandlungen und einen ent-prechenden Abschluss bei der nächsten Welthandels-unde. Meine Damen und Herren, genau das brauchenir jetzt definitiv nicht. In der Vergangenheit wurde derandel schon zu stark liberalisiert. Die WTO erlaubt derirtschaft, Raubbau auf Kosten der Menschen und dermwelt zu betreiben. Wenn Frau Merkel nun fordert, iniesem Jahr zu einem entsprechenden Abschluss bei derTO zu kommen, entlarvt sie ihre Absicht, dass es ihroch eher um mehr Liberalisierung für einige wenige
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Renate Künastgeht als um den Schutz des Klimas und der Finanz-märkte.
Wenn Frau Merkel in der Stimmung und mit den Aus-sagen, die sie hier an den Tag gelegt hat, heute zumEuropäischen Gipfel oder am 2. April nach Londonfährt, dann steht zu befürchten, dass Europa jetzt die Ge-legenheit verpatzt, eine Führungsrolle zu übernehmen.Genau diese wollen wir aber. Wir wollen, dass eine neueArt zu wirtschaften die Oberhand gewinnt, die nichtmehr auf Kosten anderer geht. Europa hätte dabei dieAufgabe, Frau Merkel, dabei voranzugehen, sich nichtvor Kopenhagen zu drücken, sondern dieses Thema aufdie Tagesordnung zu setzen, entsprechende Vorschlägezu entwickeln und zu sagen, was Europa selber will.
Frau Kollegin.
Sofort. – Die anderen sind nicht unsere Verhandlungs-
gegner bzw. unsere Gegenspieler, mit denen wir zocken
müssen, sondern die Europäische Union hat die Auf-
gabe, zu zeigen, wie national und international auf den
Feldern der Finanzen und des Klimas etwas erreicht wer-
den kann.
Gunther Krichbaum ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
– Entschuldigung, das stimmt. Frau Kollegin Schwall-
Düren, Sie haben das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Esgibt doch noch ein paar Differenzen zwischen unseremKoalitionspartner und uns. Deswegen ist es schon rich-tig, dass ich – und nicht Herr Krichbaum – für die SPDspreche.Der Frühjahrsgipfel ist traditionell der Gipfel, aufdem die Finanz- und Wirtschaftspolitik auf der Tages-ordnung steht, insbesondere die Lissabon-Strategie.Noch nie hatten wir einen Frühjahrsgipfel, auf dem wirmit einer derartigen Krise konfrontiert waren wie in die-sem Jahr.Was brauchen wir in dieser Krise? Wir brauchen zu-nächst einmal entschlossenes Handeln der Politik. Denneines ist inzwischen klar geworden: Die Rolle desstarken und handlungsfähigen Staates ist wieder inden Mittelpunkt des Interesses gerückt. Nicht der Nacht-wächterstaat und auch nicht der Staat des Laisser-fairewerden gebraucht, sondern der Staat, der als Regulator,Stimulator und Garant für öffentliche Güter da einschrei-tet, wo die Marktkräfte versagt haben. Das hören wiriAsSIzGkhWewtbknipnAwUnkkDrAuiiWtTIdEWddvgttWdsms
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Ich glaube zutiefst, dass Investitionen in die Ener-gieinfrastruktur, die im Rahmen des europäischen Kon-junkturprogramms angedacht sind – auch wenn nochkeine Einigkeit im Detail besteht –, im Zusammenhangmit dem Klimaschutz unerlässliche Maßnahmen sindund dass wir im europäischen Verbund die Effizienzstei-gerung, den Einsatz erneuerbarer Energien und denNetzausbau solidarisch voranbringen müssen.Nicht zuletzt bedeutet Solidarität aber auch, dass wirim Rahmen der G 20 die Entwicklungsländer nicht ver-gessen dürfen, die in dieser Krise am meisten leiden.Wir müssen drittens gemeinsam dafür sorgen, dass inZukunft eine derartige Krise von vornherein verhindertwird. Das heißt, der G-20-Gipfel muss die weltweiteRegulierung politisch voranbringen. Das wird uns nurdann gelingen, wenn wir Europäer gemeinsam auftreten.Wenn die Forderung von Frau Merkel und HerrnSarkozy, die sie auf dem Ministerrat in Frankreich erho-ben haben, nämlich dass konkrete Ergebnisse erfolgensollen, wirklich Realität werden soll, dann müssen sichdie Europäer auf diesem Frühjahrsgipfel einigen, damitsie überzeugend wirken und die USA sowie andere Staa-ten auf dem Weg zu einer entsprechenden Finanzmarkt-regulierung mitnehmen können.
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utzen Sie dieses Potenzial! Motivieren Sie Ihre euro-äischen Kollegen und Kolleginnen, einen gemeinsamentandpunkt zu finden und weitreichende Vorschläge zuntwickeln, die auch die USA und andere Staaten über-eugen, damit wir gemeinsam zukünftigen Krisen vor-eugen können. Ich wünsche der Kanzlerin und der Bun-esregierung bei diesem Vorhaben viel Erfolg.Danke schön.
Nun hat der Kollege Gunther Krichbaum das Wort für
ie CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieinanzmarktkrise hat die Welt verändert, und sie wird sieeiter verändern. Doch wir haben jetzt die Möglichkeit,iese Veränderung mitzugestalten. Der bevorstehendeuropäische Rat bietet hierfür eine große Chance. Dieseann aber nur dann genutzt werden, wenn Europa mit ei-er Stimme spricht; denn nur dann wird es gelingen, un-ere Überlegungen und Vorstellungen auf dem bevorste-enden G-20-Gipfel Anfang April weltweit zum Standardu machen.Ich denke, es war ein ermutigendes Signal, dass voneutschland und Frankreich eine gemeinsame Initiativeusging. Das ist unter anderem auch ein wichtiger Im-uls für das deutsch-französische Verhältnis. Solche Im-ulse haben gerade in der letzten Zeit gefehlt. Deswegenst die Bedeutung dieser Initiative für die Wiederbele-
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Gunther Krichbaumbung des deutsch-französischen Verhältnisses nicht zuunterschätzen. Wenn wir es jetzt noch schaffen, unserebritischen Freunde und Partner mit ins Boot zu nehmen,dann wird es uns gelingen – davon bin ich überzeugt –,die Leitplanken einzuziehen, die wir auf den Finanz-märkten brauchen. Eines ist wichtig: Wir müssen jetztStandards setzen. Wir müssen jetzt ein Immunsystemschaffen, damit sich eine derartige Krise nicht wiederho-len kann.Weil mein Kollege Bernhardt auf die Aufsichtssys-teme, die hierfür notwendig sind, hinlänglich eingegan-gen ist, möchte ich einige andere Aspekte ansprechen.Wenn es darum geht, Krisen vorzubeugen, brauchen wirzweierlei: zum einen eine Stärkung des IWF, des Inter-nationalen Währungsfonds, und zum anderen eine Stär-kung der Europäischen Zentralbank. Hier sind die Poten-ziale bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Angesichtsder Tatsache, dass Produkte die Grenzen überschreiten,muss auch die Aufsicht Grenzen überschreiten.Beim Konjunkturpaket hätten wir uns sicherlich eini-ges mehr vorstellen können. Richtig ist, dass die Verant-wortung bei den Mitgliedstaaten liegt. Bei einem Kon-junkturpaket in einer Größenordnung von 5 MilliardenEuro, wie es die Europäische Union schnürt, können dieWirkungen nur begrenzt sein. Da die BundesrepublikDeutschland davon immerhin circa 1 Milliarde Euro tra-gen wird, sollten wir darauf hinwirken, dass diese kon-junkturellen Maßnahmen schnell wirksam werden, vorallem aber auch dem Mittelstand zugutekommen. Denngerade der Mittelstand ist bei alledem besonders gebeu-telt und bedarf unserer Unterstützung.
Ein Wort zu Ihnen, Herr Westerwelle: Wer jetzt hiermit Mehrwertsteuersenkungen und ermäßigten Mehr-wertsteuersätzen operieren möchte, streut den BürgernSand in die Augen.
Ganz nebenbei: So viel Sand, wie Sie den Bürgern in dieAugen streuen, gibt keine Wüste dieser Welt her.
Auch Sie müssen einmal zur Kenntnis nehmen, dassniedrige und ermäßigte Mehrwertsteuersätze nur sehrbegrenzt an die Verbraucher weitergegeben werden.
Herr Kollege Krichbaum, gestatten Sie eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Westerwelle?
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Nehmen Sie als Beispiel Großbritannien. Dort wurdeenau das gemacht. Das hatte aber die Folge, dass dieerbraucher davon nicht profitiert haben, weil Preissen-ungen nicht an die Verbraucher weitergegeben wurden
nd die Profite woanders geblieben sind. Deswegen ists richtig, dass die Bundesregierung dies nicht machenird.
Ich möchte noch auf weitere Aspekte zu sprechenommen, die beim Europäischen Rat nicht unter denisch fallen sollten. Das sind die Lissabon-Strategiend die Östliche Partnerschaft. Bei der Lissabon-Strate-ie befinden wir uns im sogenannten zweiten Dreijahres-yklus zwischen 2008 und 2010. Ich denke, es hat schoneute Sinn, über die Zukunft der Lissabon-Strategieach 2010 nachzudenken. Deswegen muss an dem Kern-nliegen, für mehr Wachstum und Beschäftigung zu sor-en, festgehalten werden. Die Strategie sollte aber inso-eit neu ausrichtet werden, als dass in Zukunft stärkeruf stabiles, nachhaltiges Wachstum Wert gelegt wird.enau diese qualitative Komponente beim Wachstumuss in Zukunft stärker betont werden.Die Östliche Partnerschaft wurde bereits von Kolle-in Schwall-Düren angesprochen. Ich denke, es hatinn, dass wir diese Östliche Partnerschaft auch voneutscher Seite forcieren und unterstützen. Ich möchten dieser Stelle allerdings auch darauf hinweisen, dass esoch offene, klärungsbedürftige Punkte gibt. Zum einenetrifft dies die Finanzierung. Zum anderen ist es wich-ig, dass wir kein Konkurrenzverhältnis zur Schwarz-eersynergie aufbauen und die Prozesse und Mechanis-en, die wir bereits haben, aufeinander abstimmen. Wirlle wollen, so denke ich, keine Duplizierung der Struk-uren; dies wäre teuer und ineffektiv.
Ein weiterer Punkt ist die europäische Integration.ir können diese aktuelle Krise nur bewältigen, weil wiriesen Stand der europäischen Integration haben. Des-egen muss die europäische Integration weitergehen.as betrifft auch die Staaten, mit denen wir Beitrittsver-andlungen führen. Aber man muss auch nüchtern kon-tatieren, dass es bei einzelnen Beitrittsländern nur sehrchleppend vorangeht. Wir unterstützen Kroatien. Maze-onien aber hat noch sehr viele Aufgaben vor sich.
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Gunther KrichbaumIm Hinblick auf die Türkei muss ein klärendes Worterlaubt sein – ich sage dies ohne Schaum vor dem Mund –:Die jüngsten Bestrebungen der türkischen Regierunghinsichtlich der Begrenzung der Pressefreiheit sind nichtakzeptabel.
Denn die Repressalien, mit denen vor allem die Dogan-Gruppe konfrontiert wird, zielen darauf ab, dass ein Un-ternehmen vom Markt verschwinden soll. Man muss aufFolgendes hinweisen: Ohne Pressefreiheit keine Mei-nungsfreiheit, ohne Meinungsfreiheit keine Demokratie;aber ohne Demokratie ist ein Beitritt in die EuropäischeUnion völlig undenkbar. Wir müssen die Vertreter dertürkischen Regierung an ihre Verantwortung erinnern.Die Reformen müssen zunächst einmal den Bürgerinnenund Bürgern im eigenen Land dienen. Sie dürfen nichtnur durchgeführt werden, um der Europäischen Unionzu gefallen. Hier muss nachgebessert werden. Die Tür-kei muss gewissermaßen auf den Pfad der Tugend zu-rückkehren.
Die europäische Integration ist eine Erfolgsge-schichte. Ohne sie gäbe es weder den Euro noch denSchengen-Raum. Auch 20 Jahre nach dem Mauerfallmuss man darauf hinweisen, dass die eigentlichen Errun-genschaften der europäischen Integration für die Bürgererst mit der Kreierung des Schengen-Raums greifbarwurden. Der Eiserne Vorhang war zwar gefallen, die ei-sernen Gardinen, wenn man so will, aber noch nicht. Wirmüssen den Schengen-Raum sukzessive erweitern; dennhiervon profitieren die Bürgerinnen und Bürger ammeisten. Dabei spielen auch Visaerleichterungen eineRolle.
Wir müssen den jungen Menschen, insbesondere in Ost-europa, die Möglichkeit geben, das – in Anführungszei-chen – alte Westeuropa kennenzulernen. Nur wer dieseMöglichkeit hat, kann auch die Werte der EuropäischenUnion teilen.
Diese Aspekte dürfen nicht in Vergessenheit geraten.Last, not least: Der Londoner Gipfel bietet dieChance, eine neue Finanzmarktarchitektur zu kreieren.Die anderen Themen, die von Bedeutung sind, dürfendabei aber nicht in Vergessenheit geraten.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Guido
Westerwelle das Wort.
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ie haben gesagt, mit dieser Forderung würden wir denürgerinnen und Bürgern Sand in die Augen streuen.
ut das auch der Bundeswirtschaftsminister, der das-elbe sagt wie ich?
ut das auch die CSU, ein immerhin nicht unmaßgebli-her Teil Ihrer Fraktionsgemeinschaft, die dasselbe sagtie ich? Tut das auch der bayerische Ministerpräsident,er dasselbe sagt wie ich?Außerdem hätte ich gerne von Ihnen gewusst:
ie erklären Sie den Bürgerinnen und Bürgern, dass – mitiner einzigen Ausnahme, nämlich mit der Ausnahmeänemarks – alle Nachbarländer Deutschlands eineniedrigeren Mehrwertsteuersatz für Hotels und Gastro-omie haben? Von europäischer Ebene wurde das alsöglichkeit ausdrücklich bestätigt. In Österreich, derchweiz, den Niederlanden, in Frankreich und in Lu-emburg beträgt der Mehrwertsteuersatz für Hotels undastronomie 3 Prozent, in Belgien 6 Prozent, und auchn Tschechien und Polen ist er geringer als in Deutsch-and. Mit anderen Worten: Mit einer Ausnahme, nämlichit der Ausnahme Dänemarks, ist Deutschland in deresamten Europäischen Union das einzige Land, das beiotels und Gastronomie den vollen Mehrwertsteuersatzrhebt.
inden nicht auch Sie, dass das eine enorme Wettbe-erbsverzerrung zulasten unseres Mittelstandes ist?Zum Schluss möchte ich auf das Thema Medika-ente zu sprechen kommen. Medikamente sind etwas,as die Menschen wirklich brauchen. Der normale Bür-er kann, wenn er krank ist, nicht auf Medikamente ver-ichten. Ist Ihnen bekannt, dass neben Deutschland nurier Länder in ganz Europa, nämlich Bulgarien, Däne-ark, Österreich und Schweden, den vollen Mehrwert-teuersatz auf Medikamente erheben?
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Dr. Guido Westerwelle
Vor diesem Hintergrund würde ich gerne von Ihnen wis-sen: Ist es nicht so, dass Deutschland das Land ist, dasseine Position überprüfen muss, wenn 22 von 27 Mit-gliedstaaten der Europäischen Union einen anderen Weggehen und das tun, was die FDP vorschlägt?
Zur Erwiderung Herr Kollege Krichbaum.
Werter Kollege Westerwelle, ich wehre mich gegen
den grenzenlosen Populismus, den Sie in diesem Hohen
Hause betreiben.
Bei den Bürgerinnen und Bürgern im Land erwecken Sie
den Eindruck, als würde eine Reduzierung der Mehr-
wertsteuersätze automatisch die Konjunktur beleben.
Das ist ein Irrglaube. Andere Länder – siehe Großbritan-
nien – haben bereits unter Beweis gestellt, dass redu-
zierte Mehrwertsteuersätze nicht in Form von niedrige-
ren Preisen an die Verbraucher weitergegeben werden.
Das, was Sie hier machen, ist populistisch.
Populistisch ist auch, dass Sie einzelne Steuersätze
herauspicken, so zum Beispiel den reduzierten Mehr-
wertsteuersatz in manchen Bereichen in Dänemark. Es
gehört dann aber zur Ehrlichkeit dazu, auch zu erwäh-
nen, dass der normale Mehrwertsteuersatz in Dänemark
weit über dem bundesdeutschen liegt.
Deswegen funktioniert Ihre Rosinenpickerei nicht,
Herr Westerwelle. Deutschland liegt, was die Steuerbe-
lastung der Bürger angeht, im Mittelfeld der Europäi-
schen Union. Man muss immer wieder darauf hinweisen,
dass dem Staat die notwendigen Ressourcen zur Verfü-
gung gestellt werden müssen, wenn man Schulen, Bil-
dungsinfrastruktur und Straßenbau finanzieren möchte.
Ein weiterer Punkt betrifft die Gastronomie. Ich
komme aus Baden-Württemberg – das kann man un-
schwer an meinem Zungenschlag heraushören –, einem
Bundesland, in dem es auf Fläche und Dichte bezogen
die meisten Zwei- und Drei-Sterne-Restaurants gibt.
Kein Mensch fährt ins nur wenige Kilometer entfernte
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ch kann nur empfehlen, die Gastronomie im Elsass, die
xzellent ist, einmal kennenzulernen. Sie werden dort
ber eher mehr Geld lassen als in den hervorragenden
aden-württembergischen Restaurants. Das kann ich mit
icherheit auch in Bezug auf viele andere Restaurants im
estlichen Deutschland behaupten.
Ihr Populismus, mit dem Sie hier versuchen, den
enschen etwas vorzugaukeln, gehört gebrandmarkt. Es
st also dienlich, diese offenen Punkte einmal zu benen-
en, was Ihnen ganz offensichtlich nicht gefallen hat.
Das Wort erhält nun der Kollege Alexander Ulrich
on der Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieinke hat beantragt, dass der verringerte Mehrwertsteu-rsatz auch für Medikamente gelten soll. Herresterwelle, die FDP hat damals nicht zugestimmt – soiel zur Ehrlichkeit.
Die massive Umverteilung von Arm zu Reich, derassive Sozialabbau, der mit der Lissabon-Strategie ver-unden ist, die Privatisierung der sozialen Sicherungs-ysteme und der öffentlichen Daseinsvorsorge warenichtige Ursachen der jetzigen Wirtschaftskrise.eutschland wurde durch seine wachstums- und europa-eindliche Lohndrückerei Exportweltmeister.Wenn man sich die heutige Regierungserklärung an-ört, denkt man sich: Die Bundeskanzlerin sollte nichtie Letzte sein, die einsieht, dass Europa und Deutsch-and nicht Opfer, sondern Mitverursacher der jetzigenrise sind. Die Schröder- und die Merkel-Regierungenaben diesen gescheiterten Finanzmarktkapitalismusassiv gefördert und mit verursacht.
ie Bundesregierung hat daher eine besondere interna-ionale Verantwortung zur Belebung der Konjunktur. Dieundesregierung tritt aber weiter auf die Bremse. Ich zi-iere die Worte vom Wirtschaftsnobelpreisträger Paulrugman aus dem Stern der letzten Woche:Deutschland war bislang nur ein riesiger Stolper-stein, ein gewaltiges Hindernis.
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Alexander UlrichWeiter wird er in dem Artikel zitiert:Finanzminister Peer Steinbrück scheine mit koordi-nierten Konjunkturprogrammen „ein echtes Pro-blem“ zu haben.Außerdem sagte Krugman, manchmal glaube er – ich zi-tiere –,in Deutschland begreift man das ungeheure Aus-maß der Krise immer noch nicht ganz.Die Bundesregierung ist nicht in der Lage, die Krisein ihrer Dimension zu erkennen. Sie ist nicht in derLage, die richtigen Antworten zu finden. Die Bundesre-gierung versagt auf Kosten von Wohlstand und Arbeits-plätzen in unserem Land. Wie wollen Sie die internatio-nalen Ungleichgewichte mit dieser Politik verringern?Die Linke fordert, wie Jean-Claude Juncker, eine Euro-Anleihe, um die öffentliche Kreditbeschaffung in Europazu verbilligen.
Ein Staatsbankrott wird auf jeden Fall teurer. Dochdie Bundesregierung zeigt wieder ihr antieuropäischesGesicht und beharrt auf nationalen Anleihemärkten.An dieser Politik ist aber eines ganz besondersschlimm: Viele Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz.Die Opel-Beschäftigten erwarten zu Recht schnelle Hilfeder Bundesregierung. Was wird gemacht? Der Wirt-schaftsminister reist zu PR-Zwecken in eigener Sache indie USA, erreicht gar nichts und will das auch noch alsErfolg verkaufen. Die Bundesregierung kennt scheinbarzwei Klassen von Menschen: Arbeitnehmer und Bank-manager. Deshalb braucht die Bundesregierung den au-ßerparlamentarischen Druck. Die Linke unterstützt dieForderungen und den Protest am 28. März in Berlin undFrankfurt unter dem Motto: Wir zahlen nicht für eureKrise.
Frau Bundeskanzlerin, reisen Sie nicht als Lobbyistder Finanzwirtschaft auf den Gipfel und zu G 20! Esreicht nicht aus, nur für mehr Transparenz zu sorgen.Das Kasino muss endgültig geschlossen werden. Esmuss verboten werden, mit Währungen, Rohstoffen undLebensmitteln zu zocken. Die Finanzmärkte müssen un-ter demokratische Kontrolle gebracht werden. Wir brau-chen eine Transaktionssteuer. Hedgefonds müssen ver-boten und Steueroasen geschlossen werden.
Ich finde es sehr interessant – wir erleben ja zurzeit inDeutschland den Vorwahlkampf –: Trittin, Frau Künast,Müntefering, Steinbrück, Steinmeier, alle schwadronie-ren von der Ampel. Heute Morgen haben wir festgestellt,dass man Steueroasen zusammen mit dem Oasen-Guidoschließen will.
Deshalb wird von Rot-Grün jetzt schon die nächsteWahlkampflüge vorbereitet.WwFamShrrtLddfodrDdnjDtsbtru
ie wollen Sie ernsthaft Mindestlöhne einführen, wieollen Sie Steueroasen schließen, wie wollen Sie deninanzmarktkapitalismus regulieren, wenn Sie eine Ko-lition mit der FDP wollen?
Das ist unglaubwürdig, und das nimmt Ihnen niemandehr ab.
Ihr Problem ist nicht Guido, sondern Ihre Inhaltsleere.ie wollen nur regieren, unabhängig davon, welche In-alte dabei herauskommen.
Ich komme zum Schluss. Wir brauchen eine Bundes-egierung, die ihrer Verantwortung für die Menschen ge-echt wird und nicht weiter kläglich versagt.Vielen Dank.
Das Wort erhält die Kollegin Nina Hauer, SPD-Frak-
ion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!ieber Herr Westerwelle, wenn man der Meinung ist,ass die Leute lieber im Ausland essen gehen, weil dortie Mehrwertsteuer etwas geringer ist, dann ist es nurolgerichtig, Steueroasen zu verteidigen.
Es geht nicht allein darum, dass wir eine bessere Ko-peration der europäischen Staaten bei der Bekämpfunger Steuerhinterziehung erreichen. Vielmehr geht es da-um, dass wir verhindern, dass es Staaten gibt, die aufauer einen Teil ihrer Wertschöpfung dadurch erzielen,ass sie Steuerflüchtlingen Zuflucht bieten. Es geht auchicht allein darum, in der Finanzmarktkrise mit Kon-unkturprogrammen an einzelnen Punkten zu helfen.arüber sollten wir es aber nicht versäumen, unser Sys-em mit neuen Regeln neu aufzustellen.Wer diese Krise bewältigen und für die Zukunft vor-orgen will, der muss jetzt dafür sorgen, dass wir Regelnekommen, an die sich auf dem Finanzmarkt alle hal-en. Ich finde, bei dem Vortreffen ist schon einiges er-eicht worden. Dass die Ratingagenturen beaufsichtigtnd registriert werden, das ist ein großer Fortschritt.
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Nina HauerFrau Künast, es geht nicht darum, ob sie europäisch oderamerikanisch sind, sondern es geht darum, wer kontrol-liert, was sie eigentlich machen. Wer nimmt ihr Ge-schäftsmodell unter die Lupe? Wer bewertet, wie sie ihreBewertungen aufstellen? Wenn wir schon vor ein paarJahren Regelungen geschaffen hätten, die außerbilan-zielle Zweckgesellschaften verhindern, dann wäre unsviel geholfen.Immerhin – ich weiß nicht, wie der Finanzministerdies erreicht hat, vielleicht mit Diplomatie, offensicht-lich aber auch mit Durchsetzungskraft – haben wir er-reicht, dass die USA mit uns darüber reden wollen, wiewir die Hedgefonds beaufsichtigen und regulieren. Ichfinde, das ist ein großer Fortschritt. Das wäre vor zweiJahren noch nicht ohne Weiteres möglich gewesen.
Es geht aber – das hat mich etwas an der Regierungs-erklärung der Bundeskanzlerin enttäuscht – nicht nur da-rum, zu sagen, dass wir neue Regeln wollen. Wir wollenauch ein Leitbild für den Finanzmarkt entwerfen. Dabeigeht es darum, dass diejenigen, die ein hohes Risiko ein-gehen – das muss man auch weiterhin am Finanzmarktdürfen –, dafür auch die Verantwortung tragen. Risikound Verantwortung müssen sich also die Waage halten.
Das war bisher aber nicht der Fall. Wenn jemand Pa-piere kauft, die zu Paketen geschnürt worden sind, dieKredite enthalten, die nicht zurückgezahlt werden kön-nen oder bei denen das Risiko groß ist, dass sie aufgrundder Zinsbedingungen nicht zurückgezahlt werden kön-nen, dann muss derjenige einen Teil des Risikos tragen,wenn er diese Papiere weiterverkauft.Deshalb finde ich den Vorschlag unseres stellvertre-tenden Parteivorsitzenden und KanzlerkandidatenFrank-Walter Steinmeier richtig, dass ein Teil des Risi-kos bei denjenigen bleiben soll, die die Pakete schnüren.Bei einem Selbstbehalt von 20 Prozent bei Verbriefun-gen beispielsweise, die wir am Finanzmarkt ja brauchen– wir wollen sie nicht abschaffen –, wird sich der eineoder andere schon überlegen, was darin enthalten ist, be-vor er verkauft und bevor am Ende niemand mehr nach-vollziehen kann, wohin eigentlich verkauft worden ist.
Genauso finde ich, dass es beim Risiko und bei derVerantwortung darum geht, wie viel Eigenkapital einUnternehmen bereithält. Wir wollen mit unseren Eigen-kapitalstandards nicht prozyklisch dann reagieren, wennwir sehen, dass in Europa die Bereitschaft sinkt, Kreditefür die Wirtschaft zu vergeben. Für die Zukunft wollenwir, dass diejenigen, in deren Bilanzen große Risikenstehen, diese auch mit dem entsprechenden Eigenkapitalunterfüttern müssen. Hier müssen dann eben alle mitma-chen. Ausgerechnet die USA setzen Basel II nicht um.Ausgerechnet jetzt, da wir es am dringendsten gebrau-chen könnten, haben sie gesagt: Wir machen das an die-ser Stelle nicht mit.Wir wollen mit diesen Anforderungen an Eigenkapi-tal erreichen, dass Stresstests durchgeführt werden kön-nvDgbmjakaahkmkrbmvvdgmlmtzrVbwsVCHDsadwb
Nun erhält der Kollege Thomas Silberhorn für die
DU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Wir sind uns einig, dass aufgrund der globalenimension dieser Finanzmarktkrise auch globale Lö-ungsansätze erforderlich sind. Ich finde es gut, dass wirn uns den Anspruch stellen, dass der Globalisierung ausiesem Anlass ein politischer Ordnungsrahmen gegebenerden muss.Die Europäische Union kann mit dem Gipfel, der jetztevorsteht, eine Pilotfunktion wahrnehmen, weil es da-
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Thomas Silberhornrum geht, dass wir internationale Standards setzen, dieauf der Grundlage demokratischer Vorbilder und auf derGrundlage der sozialen Marktwirtschaft zustande kom-men. Wir sind uns über das Ob einig, aber wir müssenüber den richtigen Weg streiten.Als beispielsweise schnell der Vorschlag gemachtwurde, jetzt eine zentralisierte europäische Aufsichts-behörde für den Finanzmarkt zu errichten, wurde ichdoch sehr skeptisch. Kann es wirklich zielführend sein,eine europäische Behörde einzurichten, wenn es um eineFinanzkrise globalen Ausmaßes geht? Eine Insellösungder Europäischen Union wird dieser Herausforderungnicht gerecht und die strukturellen Schwächen auf demFinanzsektor weltweit ganz sicher nicht beseitigen.Ich halte ein solches Modell auch nicht unbedingt fürpraktikabel; denn Aufsicht findet immer lokal statt.Wenn man Regulierungsstandards setzt, über die wir unsgerne international verständigen können, dann muss dieBeachtung dieser Regulierungsstandards vor Ort kon-trolliert und durchgesetzt werden.Es ist auch nicht unbedingt verantwortungsbewusst,wenn man europäische Behörden einrichten will, aberim Krisenfall die Folgen von den Mitgliedstaaten getra-gen werden müssen. Ich glaube, dass eine Lehre dieserFinanzkrise darin bestehen muss, Handeln und Haftenzusammenzuführen. Insofern mahne ich, dies nichtdurch neue Institutionen oder Organisationsfehler aus-einanderfallen zu lassen.
Ich halte es auch für riskant, eine Krise, die mögli-cherweise durch kollektives Versagen vieler Beteiligterentstehen konnte, dadurch lösen zu wollen, dass manjetzt die Entscheidungen, die bisher viele getroffen ha-ben, in einer Behörde zentralisiert. Wenn dann eine Fehl-entscheidung getroffen wird, ist die Wirkung umsoschlimmer. Die spanische Finanzaufsicht beispielsweisehat den spanischen Banken untersagt, diese vergiftetenFinanzprodukte aufzulegen. Wir müssen uns die Fragestellen, weshalb die kritische spanische Aufsicht, diesich letzten Endes als richtig erwiesen hat, nicht europa-weit die nötige Aufmerksamkeit gefunden hat. MeinVorschlag ist, die Aufsicht international zu koordinieren.Wir dürfen sie aber nicht zentralisieren, sondern müssendie nationalen Aufsichtsbehörden besser miteinandervernetzen.Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung zu diesemPunkt. Wenn man sich in Brüsseler Fluren darüber strei-tet, wo der Sitz einer solchen europäischen Finanzauf-sichtsbehörde sein könnte, dann ist das ein verdammtkleines Karo vor dem Hintergrund der globalen Krise.Ich rate uns dazu, von solchen Kuhhandeln Abstand zunehmen und durch eine Vernetzung der bestehenden na-tionalen Einrichtungen eine globale Lösung in Angriffzu nehmen.Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der ausmeiner Sicht in der gesamten Debatte über die Wirt-schafts- und Finanzkrise zu kurz kommt, nämlich diepersönliche Verantwortung der Akteure, die die Ursa-chen für diese Krise geschaffen und unternehmerischeFehlentscheidungen getroffen haben. Es kann doch nichtaemEddtWrdrwbegEsAdSHWatwtzgrcDidzsdUMLdInotddBtan
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– Ihre Egopflege dürfen Sie selbst betreiben.
Ich fahre fort und gehe auf die Bemerkungen desBundesfinanzministers ein. Ich glaube mich richtig zuerinnern, dass er die Schweiz mit keinem Wort erwähnthat. Er hat von den Instrumentarien der OECD gespro-chen. Die heftige Reaktion in der Schweiz dokumentiert– das ist sehr interessant –, dass man sich dort offenbarangesprochen fühlt. Auch das sollten wir wahrnehmen.
Ich möchte eigentlich noch auf einen anderen Punkteingehen, der heute und morgen eine besondere Rollespielt, nämlich das Zusammenwirken der europäischenStaaten bei der Energieversorgungssicherheit; dieBundeskanzlerin hat das bereits angesprochen. Das wirdein Thema sein, in der Zeit bis zur Klimakonferenz inKopenhagen.Wir sollten uns die Barroso-Vorschläge sehr genauanschauen; denn das, was er im Moment macht, istnichts anderes als eine Reise der Wahlgeschenke, die sei-ner Wiederwahl als Kommissionspräsident dient. Ermacht Programmvorschläge, die das Thema Konjunktur-programm in keiner Weise berühren. Seine vorgeschla-genen Programme sind nicht geplant und stehen zurzeitnicht an. Sie werden daher auch keine konjunkturelleWirkung haben. Das alles passt nicht an diese Stelle. Si-cherlich handelt es sich um wichtige Projekte; aber siegehören in das ganz normale Haushaltsverfahren derEvwsnwrwrSsfEEhVfvnuEwdgu3wTkczdAdbsTmikvtTdaCßGrs1dUGgk
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Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Thomas Bareiß für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Am Schluss dieser Debatte zeigt sich, dass kei-ner von uns wirklich sagen kann, ob wir am Anfang oderam Ende dieser Krise stehen und welche Herausforde-rungen wir noch bewältigen müssen. Doch eines möchteich zu Beginn meiner Ausführungen klarstellen: Ichglaube, dass wir diesen Herausforderungen in einer Posi-tion der Stärke gegenüberstehen. Deutschlands Volks-wirtschaft ist so stark wie seit langem nicht mehr. Wirhaben eine starke handlungsfähige Regierung,
auch aufgrund dessen, dass wir drei Jahre lang Haus-haltskonsolidierung betrieben haben.
Wir haben ein starkes dreigliedriges Bankensystem.Trotz aller Probleme sorgt es dafür, dass auch in der Flä-che Kredite vergeben werden. Außerdem haben wir nachdrei Boomjahren eine starke deutsche Wirtschaft. Wirbefinden uns also in einer Position der Stärke. Das ist ge-rade in der jetzigen Zeit für uns enorm wichtig.
Heute, am Tag des Zusammentreffens des Europäi-schen Rates, und wenige Tage vor dem G-20-Treffen inLondon müssen wir die richtigen Schlussfolgerungenziehen. Viele meiner Vorredner gingen auf dieseSchlussfolgerungen ein. Ich möchte nur einen Punkt he-rausgreifen, der mir besonders wichtig ist: Ein Haupt-auslöser der Krise war eine maßlose und oftmals aufSchulden basierte Ausgaben- und Liquiditätspolitikaller Finanzmarktteilnehmer: der Zentralbanken, der Re-gierungen, der Wirtschaft und auch der Privathaushalte.Diese maßlose Politik hat dazu geführt, dass eine Blase,größtenteils in den USA, entstanden ist. Als diese Blasegeplatzt ist, hat dies die Volkswirtschaften der Welt indie Krise gestürzt. Ich nehme deshalb diejenigen, diejetzt besorgt vor weiteren größeren Ausgaben warnen,ernst. Ich habe heute gelesen, dass die Fed 1 Billion US-Dollar in den Markt pumpen will. Das erfüllt mich per-sönlich mit Sorge. Vor einem solchen Handeln auch inEuropa müssen wir warnen. Deshalb bin ich dankbar,dass die Bundeskanzlerin und der Finanzminister Forde-rungen nach weiteren Konjunkturprogrammen aus denUSA, England und Japan eine klare Absage erteilt ha-ben. Eine solide Haushalts- und Finanzpolitik ist ein Ga-rant für das Vertrauen, das wir so dringend brauchen.
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Frau Künast, davon profitieren vor allen Dingen auchie Schwellen- und Entwicklungsländer, die aus einemairen und freien Welthandel großen Nutzen ziehen.Aber nicht nur die Doha-Runde und die WTO-Ge-präche sind eine wichtige Komponente. Auch dieärkte, insbesondere der europäische Binnenmarkt under US-Markt, sind ein Motor der Weltwirtschaft. Dieseeiden Märkte machen 60 Prozent der weltweiten Ein-ommen aus und vereinen über 70 Prozent der weltwei-en Direktinvestitionen auf sich. Allein diese beidenärkte nehmen 40 Prozent aller Exporte der Entwick-ungs- und Schwellenländer auf. Daraus entsteht einenorme Wirtschaftskraft, aber auch eine enorme Verant-ortung für diese beiden Wirtschaftszweige.Aus diesem Grund ist der von Bundeskanzlerinngela Merkel initiierte Transatlantische Wirtschafts-at wichtiger denn je. Er sorgt dafür, dass Handels-emmnisse abgebaut werden und der Welthandel wiederunktioniert.
er die Warenströme kennt, weiß, dass dies sowohl fürnsere Automobil- und Chemieindustrie als auch für dienergie- und Umwelttechnologien wichtig ist. In diesenereichen können wir ebenso wie im Sicherheits- undm Umweltbereich Standards in der Welt setzen und da-it zu einem Vorreiter für andere Länder werden. Einerfolgreiche Fortsetzung der Gespräche im Transatlanti-chen Wirtschaftsrat hat deshalb nicht nur für Europa,ondern auch für das Weiße Haus und die Obama-Admi-istration oberste Priorität. Dies stimmt mich zuversicht-ich. Dieses Instrument stellt zugleich eine ganz wichtigentwort auf die derzeitige Krise dar.Meine Damen und Herren, wir haben jetzt diehance, zu einem entscheidenden Durchbruch zu kom-en. Dass wir global handeln und diese Chance nutzenüssen, liegt auf der Hand. Die Weltwirtschaft kann ausieser Krise gestärkt hervorgehen. Für die EU und dieSA ist dies von besonderer Bedeutung. Lassen Sieich zum Schluss dieser Debatte betonen, dass auch wirn Europa für mehr Handelsfreiheit sorgen müssen.iese Gunst der Stunde sollten wir jetzt nutzen.Herzlichen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.Wir kommen nun zu den Abstimmungen über dieEntschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschlie-ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache16/12296? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – DerEntschließungsantrag ist damit mit den Stimmen der Ko-alitionsfraktionen, der FDP-Fraktion und der FraktionBündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FraktionDie Linke abgelehnt.Wer stimmt für den Entschließungsantrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12297? – Werist dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsan-trag ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionenund der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der FraktionBündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion DieLinke abgelehnt.Der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12298 soll zur federfüh-renden Beratung an den Ausschuss für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung anden Auswärtigen Ausschuss, den Ausschuss für wirt-schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie anden Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäi-schen Union überwiesen werden. Sind Sie damit einver-standen? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung sobeschlossen.Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 5 a bis g auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten RenateKünast, Fritz Kuhn, Hans-Josef Fell, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENEnergiewende vorantreiben – Atomausstiegfortsetzen– Drucksache 16/12288 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
InnenausschussFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und Technologieb) Beratung des Antrags der Abgeordneten SylviaKotting-Uhl, Jürgen Trittin, Cornelia Behm, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENVerantwortlichkeiten für die Zustände imEndlager Asse II benennen und Konsequenzenfür die Endlagersuche ziehen– Drucksache 16/10359 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungc) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit zu demAntrag der Abgeordneten Renate Künast, Bärbel
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit zu demAntrag der Abgeordneten Hans-Josef Fell, SylviaKotting-Uhl, Cornelia Behm, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NENSicherheit geht vor – Besonders terroranfäl-lige Atomreaktoren abschalten– Drucksachen 16/3960, 16/8469 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Georg NüßleinChristoph PriesAngelika BrunkhorstHans-Kurt HillHans-Josef Felle) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit zu demAntrag der Abgeordneten Hans-Josef Fell, SylviaKotting-Uhl, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NENVertragstreue Abschaltung alter Atomkraft-werke in Osteuropa– Drucksachen 16/11764, 16/12312 –Berichterstattung:Abgeordnete Christian HirteChristoph PriesAngelika BrunkhorstHans-Kurt HillHans-Josef Fellf) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Bildung, Forschungund Technikfolgenabschätzung
zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Renate Künast, Fritz Kuhn und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENFür eine Schließung des ForschungsendlagersAsse II unter Atomrecht und eine schnelleRückholung der Abfälle– Drucksachen 16/4771, 16/12270 –Berichterstattung:Abgeordnete Axel E. Fischer
Dr. Ernst Dieter Rossmann
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Vizepräsidentin Gerda HasselfeldtCornelia PieperDr. Petra SittePriska Hinz
g) Beratung der Großen Anfrage der AbgeordnetenAngelika Brunkhorst, Cornelia Pieper, MichaelKauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDPInformations-Materialien der Bundesregie-rung zum Thema „Fakten und Kontroversenzum so genannten Ausstieg aus der friedlichenNutzung der Kernenergie“ für Kinder undHeranwachsende– Drucksachen 16/9509, 16/11343 –Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Siesind damit einverstanden. Dann können wir so verfah-ren.Ich eröffne die Aussprache. Als erster Rednerin er-teile ich der Kollegin Bärbel Höhn für die FraktionBündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir Grünen haben diese Debatte über die Energiewendeund den Atomausstieg beantragt, weil unser Land vor ei-ner energiepolitischen Richtungsentscheidung steht. Esgeht darum, wie die Energie der Zukunft aussehen soll:Wollen wir auf erneuerbare Energien oder auf die Re-naissance der Atomkraft setzen? Wir Grüne setzen auferneuerbare Energien und sagen: Eine Renaissance derAtomkraft und erneuerbare Energien – beides zusammengeht nicht; wir müssen uns entscheiden.
Warum geht das nicht? Man denkt ja zuerst einmal, eskönnte sein. Auch die Bundesregierung sagt, dass derAnteil der erneuerbaren Energien im Jahr 2020 30 Pro-zent betragen soll, wir Grünen wollen mehr, nämlichüber 40 Prozent, und die Unternehmen im Sektor erneu-erbare Energien sprechen sogar von 47 Prozent. Wirwissen, dass davon ein großer Anteil Windenergie seinwird. Auch wenn wir immer besser prognostizieren kön-nen, wann der Wind weht, und auch wenn die großenWindkraftanlagen auf dem Meer kontinuierlicher Stromliefern, so wissen wir doch, dass es Zeiten gibt, in denender Wind nicht weht. Das heißt, dass wir zusätzlich zuden erneuerbaren Energien Kraftwerke brauchen, dieschnell und flexibel hoch- und heruntergefahren werdenkönnen und die erneuerbaren Energien ergänzen können.Dazu taugen Atomkraftwerke nicht.
Sie sind langsam, sie sind schwerfällig, und sie sind un-flexibel. Wenn man sie hoch- und herunterfahren würde,wdrknddAwswsdAmrkecRSvLfDIdMdsdimfwhAnrbSIJaEmb
Wir sind aber auch für den Atomausstieg, weil Atom-raft lebensgefährlich ist. Sichere Atomkraftwerke gibts nicht. Je älter ein Atomkraftwerk ist, desto gefährli-her ist es. Kein Atomkraftwerk der Welt wäre vor einereaktorkatastrophe wie in Tschernobyl in der damaligenowjetunion oder in Harrisburg in den USA gefeit. Weron uns hätte gedacht, dass wir vor drei Jahren in demand mit der größten Sicherheitskultur, in Schweden,ast einen GAU in einem Atomkraftwerk gehabt hätten?as war in Forsmark. Der Chef dieses AKWs hat gesagt:ch hätte das nicht für möglich gehalten. – Es war aberoch möglich, und es bleibt möglich. Weil wir dieseöglichkeit ausschließen wollen, wollen wir raus auser Atomkraft. Wir wollen dieses Risiko nicht.
Wir sind für den Atomausstieg, weil Atomkraftchmutzig ist. Ich wundere mich immer über Plakate, aufenen steht, Atomkraft sei saubere Energie. Das, findech, ist absurd und unverfroren. Eine Technik, die Atom-üll produziert, der für Hunderttausende von Jahren ge-ährlich ist, von dem wir nicht wissen, wo er gelagerterden kann, erzeugt keine saubere Energie. Diese Be-auptung ist falsch.
tommüll ist giftig, Atommüll strahlt, und wir wissenicht, wohin damit. Wir haben das Problem der Endlage-ung überhaupt nicht gelöst. Wenn man sich den Skandalei dem Versuchslager Asse anschaut, dann sieht man:trahlenmüll kann nicht sicher eingeschlossen werden.n Asse ist in einem Bergwerk, das für Hunderte vonahren als sicher galt, Müll ausgesifft. Das funktioniertlso nicht. Das Atommüllproblem ist nicht gelöst. Diendlagerfrage ist nicht beantwortet. Wir wollen deshalbit dem Weiterbetrieb der Atomkraftwerke die Pro-leme mit dem Atommüll nicht verstärken. Wir fordern
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Bärbel Höhnden Atomausstieg, damit das Problem des Atommüllsendlich ein Ende hat.
Wir sind für den Atomausstieg, weil Atomkraft teuerist. In Finnland sind die Kosten des Reaktorbaus von3 Milliarden Euro auf mittlerweile 4,5 Milliarden Eurogestiegen. Wer zahlt das? Es sind der deutsche und derfranzösische Steuerzahler. Eine halbe Milliarde Eurozahlt Siemens – damit hat Siemens weniger Gewinn –,und 1 Milliarde Euro zahlt der französische Steuerzahler,weil EDF an dem Kraftwerksbau beteiligt ist. Es ist alsokeinesfalls so, dass Atomkraft billig ist. Sie ist günstigfür die Konzerne, aber nicht günstig für die Gesellschaft;denn alle Kosten, zum Beispiel die, die mit der Endlage-rung verbunden sind, muss am Ende der Steuerzahlertragen. So verschlingen zum Beispiel die Asse oderMorsleben Milliarden. Diese wird am Ende der Steuer-zahler zahlen müssen. Atomkraft kommt uns also teuerzu stehen. Deshalb wollen wir die Atomkraft nicht.
Atomkraft ist aber auch überflüssig. Wir brauchenkeine Atomkraft. Die Atomkraftwerke Brunsbüttel,Krümmel, Biblis A und Biblis B waren in den letztenzwei Jahren im Schnitt neun Monate am Netz, also nurin etwas mehr als einem Drittel der Zeit. Das heißt, dieseAtomkraftwerke wurden in einem Großteil der Zeitüberhaupt nicht betrieben. Teilweise waren siebenAtomkraftwerke gleichzeitig abgeschaltet. Haben Sie ir-gendwo gesehen, dass eine Lampe geflackert hat? HabenSie irgendwo gesehen, dass ein Kühlschrank ausgefallenist? Nein, im Gegenteil: Deutschland hat in dieser Zeitenorm viel Strom exportiert. Deshalb gilt: „Stromlücke“ist eine Stromlüge. Wir haben genug Strom, auch ohnedie Atomkraftwerke.
Das ist in vielen Studien, die von der Bundesregierungselbst in Auftrag gegeben worden sind, bewiesen. Dasheißt, wir haben genug Strom. Es geht ohne Unfallrisi-ken, ohne Terrorgefahren und ohne Strahlenmüll. Des-halb sagen wir: Wir wollen raus aus der Atomkraft.Wir werden die Debatte darüber in den kommendenMonaten führen. Die Menschen haben ein Recht darauf,die Argumente zu hören. Sie sollen wissen, dass wir ander Weggabelung stehen. Sie sollen wissen: Wir müssenuns entscheiden, ob wir eine Renaissance der Atomkraftoder ob wir erneuerbare Energien wollen. Wir als Grünesagen: Wir gehen den Weg der erneuerbaren Energien.Wir wissen: Die Mehrheit der Bevölkerung wird uns fol-gen.Vielen Dank.
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Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutsmnid sprechen sich mittlerweile 48 Prozent der Deut-chen für eine Verlängerung der Laufzeiten aus, nur2 Prozent dagegen.
as Bundesumweltministerium hatte auf seiner Home-age die Ergebnisse einer Umfrage veröffentlicht, in derich immerhin 57 Prozent der Teilnehmer für eine Ver-ängerung der Laufzeiten ausgesprochen haben.
iese Ergebnisse haben dort bekannterweise nicht langeestanden. Das DIW konstatiert, dass sich dieser Trendu einem Ja für längere Laufzeiten noch verstärkt.Der Neuaufguss der Grünen-Anträge ist durchausachvollziehbar – Frau Höhn hat das gerade ausgeführt –:ns steht ein Wahlkampf bevor, und die Grünen hoffenatürlich, ihre bei diesem Thema abtrünnige Klientel imahljahr wieder auf Kurs zu bringen.
ieses Thema ist allerdings zu ernst, um es für reinahlkampftaktische Manöver zu missbrauchen. Wir alleind uns dem Grunde nach darin einig, dass Kohlen-ioxid einen wesentlichen Anteil am vom Menschenerursachten Treibhauseffekt hat. Deutschland ist mitnapp einem Viertel der größte Treibhausgasproduzentn der Europäischen Union. Daher stellt sich für uns diee-rausforderung einer schnellen CO2-Reduktion in be-onderer Weise und Verantwortung.Zentrales politisches Anliegen der Energiepolitikuss aber sein – obwohl es leider keine Selbstverständ-
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)Christian Hirtelichkeit mehr ist –: eine sichere Energieversorgung beimöglichst geringer Importabhängigkeit für die Bürgerund für die Wirtschaft zu bezahlbaren Preisen – und diesalles mit möglichst niedrigen CO2-Emissionen.
Aus diesem Spannungsfeld ergibt sich sodann die grund-legende Frage: Wie können wir unsere Klimaziele errei-chen, ohne dabei die Versorgungssicherheit und dieWirtschaftlichkeit zu vernachlässigen?Bei der Energieerzeugung gibt es sicherlich keinenKönigsweg. Aus diesem Grunde ist es nach wie vor ver-nünftig, auf ein breites Fundament zurückzugreifen.Auch die Enquete-Kommission „Nachhaltige Energie-versorgung unter den Bedingungen der Globalisierungund der Liberalisierung“ erwartet, dass die Kraftwerks-kapazitäten in den nächsten Jahren weiter erhöht werdenmüssen. Es wird sogar davon ausgegangen, dass in denkommenden Jahren bis 2020 ein Ersatzbedarf bei derKraftwerksleistung von etwa 40 Gigawatt vorliegt; dasist mithin ein Drittel der derzeitigen Kraftwerkskapazitä-ten. Das verdeutlicht die Brisanz und auch die Dimen-sion, vor der die deutsche Energiewirtschaft steht.Die Anträge der Opposition enthalten zwar jedeMenge Forderungen, eine konkrete Antwort auf dieFrage, wie Deutschland diesen immensen Energiebedarfdecken soll, aber leider nicht.
Deutschland braucht also zumindest mittelfristig ei-nen vielfältigen Energiemix. Entgegen dem, was FrauHöhn gesagt hat, geht doch beides, sowohl erneuerbareEnergien als auch Kernkraft. Ich meine sogar: Beidesbedingt einander, weil die Kernkraft kostenbewusst er-möglicht, die erneuerbaren Energien zu unterstützen.
Wenn die erneuerbaren Energien dem Ziel der Bun-desregierung entsprechend bis 2020 etwa 20 bis30 Prozent der Stromerzeugung leisten, heißt das imUmkehrschluss, dass 70 bis 80 Prozent der Stromerzeu-gung weiter aus konventionellen Kraftwerken kommenmüssen.
Wir brauchen in Deutschland also auch künftig neue undeffiziente Kraftwerke, das heißt auch Gas- und Kohle-kraftwerke.Einerseits wehrt man sich gegen konventionelleKraftwerke. Andererseits sind wir uns darüber im Kla-ren, dass kurzfristig die erneuerbaren Energien nochnicht den gesamten Energiebedarf decken können. Wirmüssen uns also Alternativen überlegen.Wir wissen, dass die Stromerzeugung überwiegendaus Gas erfolgt, das wir importieren. Wenn wir nur aufGas setzten, weil konventionelle Kohlekraftwerke abge-lkRWdUeeoPndmfSIIe–UKidknTwg
Ich will dieses Mal nicht umfangreich auf die Kern-raft eingehen – dazu wird die weitere Debatte sicherlichoch Gelegenheit bieten –, aber abschließend Stephenindale, den ehemaligen Direktor von Greenpeace,örtlich zitieren:Es war ein wenig wie eine religiöse Bekehrung. Ge-gen die Kernkraft zu sein war lange Zeit eine essen-tielle Position, wenn man Umweltschützer war.Aber nun, wenn ich mit anderen Umweltschützerndarüber spreche, ist die Ansicht tatsächlich ziem-lich weit verbreitet, dass die Kernkraft zwar nichtideal, aber immer noch besser als der Klimawandelsei.Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist für die FDP-Fraktion die Kolle-in Angelika Brunkhorst.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Uns liegen sechs Anträge der Grünen vor, Frau Höhn,aus dem von Ihnen auserkorenen Lieblingsfeld Kernen-ergie. Es ist immer wieder dieselbe Predigt, es sind im-mer wieder dieselben von Ihnen auch gerade wieder be-schriebenen Angstszenarien. Liebe Grüne, die Menschenim Lande haben eine sehr viel differenziertere Meinungzur Energiepolitik, als Ihnen lieb sein dürfte. Sie erken-nen nämlich an, dass wir in Zukunft weiter einen Ener-giemix brauchen, auch im Hinblick auf Versorgungssi-cherheit und Qualitätssicherung, und dass derEnergiemix uns bezahlbare Energie liefert.
Viele wissen schon, dass wir den Energiemix technolo-gisch hoch anspruchsvoll und umweltschonend ausge-stalten können.
Was die Akzeptanz der Kernenergie im Lande an-geht, so möchte ich gern, auch wenn Herr Hirte dasschon getan hat, auf die Onlinebefragung des BMU zusprechen kommen, und zwar wonnevoll. 57 Prozent derBefragten – immerhin waren das mehr als 14 700 – ha-ben sich zum Ausstieg aus dem Ausstieg bekannt, undnur 28 Prozent wollten am Ausstieg festhalten. Aber dieUmfrage ist ja ganz schnell wieder von der Internetseitedes Umweltministeriums heruntergenommen worden.Sie von den Grünen versuchen nun auch in Ihrem ak-tuellsten Antrag, den Nutzen der Kernenergie ganz be-wusst kleinzureden. Sie sprechen davon, dass sie nurganz wenig Energie bereitstelle, nämlich nur 6 Prozent,vergessen dabei aber, zu erwähnen, dass die Kernenergiezumindest zur Grundlaststromversorgung 45 Prozentbeiträgt, also eine der Hauptsäulen darstellt.
– Das steht in einer neuen Broschüre des Bundeswirt-schaftsministeriums. Ich kann sie Ihnen gerne geben.Die Kernenergie produziert CO2-freien Strom.
Immerhin 150 Millionen Tonnen CO2 werden gespart.Das ist ein Segen für unser Klima.Auch die FDP setzt auf den weiteren Ausbau der er-neuerbaren Energien. Deren Anteil wird auf jeden Fallsteigen. Wir erkennen auch die technologische Leistungan; das ist gar keine Frage.
Wir wünschen uns aber, dass die erneuerbaren Energienpassgenau und umweltverträglich ausgebaut werden – dagibt es Probleme; das wissen auch Sie –, und wir wollenvor allen Dingen, dass sie nicht zulasten anderer Nut-zungsoptionen, jedoch zu möglichst günstigen undmarktfähigen Preisen ausgebaut werden. Das ist unsganz wichtig; das ist nämlich auch eine soziale Frage.egAnIlaKDbbEsSreadpiWLjsssküddvbkSlSwtgnHGa
chweden hat seinen Ausstiegsbeschluss von 1980 zu-ückgenommen und will nun wieder in die Kernenergieinsteigen, und auch viele osteuropäische Länder wollenlte Reaktoren durch neue Reaktoren ersetzen. Just iniesem Moment fordern Sie den Ausstieg aus der Euro-äischen Atomgemeinschaft. Ich finde, das Verbleibenn EURATOM ist gerade jetzt so wichtig wie nie zuvor.eil so viele Reaktoren in west- und osteuropäischenändern hinzukommen, ist EURATOM wichtiger denne. Wir brauchen nämlich den Austausch technologi-chen Wissens, wir brauchen die gemeinsame For-chung, und wir brauchen vor allen Dingen eine gemein-ame, hochambitionierte Sicherheitsarchitektur. All dasann man gut über EURATOM erreichen. Der Vertragber EURATOM könnte sicherlich modifiziert werden;agegen hätten wir nichts.
Konkret zu Ihrem aktuellsten Antrag: Sie beklagenarin ungeniert Zustände, die Sie in den sieben Jahrenon Rot-Grün, in denen Sie mitregierten, hätten ändernzw. bei denen Sie Veränderungen hätten in Gang setzenönnen.
ie beschwören insbesondere immer wieder die unge-öste Endlagerfrage.
ie haben damals den AK End installiert. Dessen Berichturde nie ausgewertet. Herr Trittin hat diverse Gutach-en in Auftrag gegeben, die nie veröffentlicht, sondernleich immer wieder einkassiert wurden, weil die Ergeb-isse nicht so ganz passten.
err Trittin, Sie haben ein zehnjähriges Moratorium fürorleben verfügt, Ihre Kollegen schreiben nun aber imktuellsten Antrag – ich zitiere –:
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Angelika BrunkhorstDie umstrittene Erkundung am Standort Gorlebenberuht nicht auf dem neuesten Stand von Wissen-schaft und Technik.Ja, was denn? Das Moratorium lässt nichts anderes zu.Dann fordern Sie auch noch, das Moratorium zu verlän-gern. Das ist Politik aus dem Tollhaus.
Das Thema nukleare Sicherheit, Frau Höhn, ist unsLiberalen auf jeden Fall sehr wichtig. Wir wollen aberErkenntnisgewinn, der zu konkreten und vor allen Din-gen auch zeitnahen Lösungen führt. Ein solches Bestre-ben konnte ich bei Ihnen bislang überhaupt nicht erken-nen.
Ich habe eher den Eindruck, die Grünen leben davon,eine nukleare Unsicherheit zu beschwören, weil ihnendas hilft, eine möglichst gute Argumentationskette fürden Ausstieg in der Hand zu haben.Abschließend möchte ich zu den Anträgen, die Siehier heute vorgelegt haben, Folgendes sagen: Sie habeneine Kleine Anfrage zur nuklearen Sicherheit gestellt.Diese erweckt bei mir persönlich und wohl auch bei eini-gen anderen den Eindruck, dass es Ihnen wiederum nurdarum geht, quantitativ möglichst viele Unsicherheits-fragen aufzuwerfen und damit zu suggerieren, diese Fra-gen seien nicht zu lösen. Aber wir wollen sie lösen.
Sie wissen ganz genau, dass die Asse II einen neuen Be-treiber hat und in einer neuen Zuständigkeit liegt. Wirsind zuversichtlich, dass man jetzt ernsthaft die Endla-gerfrage angehen will. Ich bin Herrn Gabriel durchausdankbar, dass er sich – zumindest vorübergehend – dafürsehr eingesetzt hat. Ich hoffe, dies bleibt auch so.Ich mache einen Schnitt und komme noch auf unsereGroße Anfrage zu den Unterrichtsmaterialien „Einfachabschalten?“ des Bundesumweltministeriums zu spre-chen. Ich möchte vorab sagen, dass es gewisse Grund-sätze gibt, wie man politische Bildungsarbeit zu gestal-ten hat. Dazu gehört der sogenannte BeutelsbacherKonsens von 1976. Darin ist ein Überwältigungsverbotenthalten. Das heißt, politische Bildung soll nicht indok-trinieren. Weiter heißt es:Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist,muß auch im Unterricht kontrovers erscheinen …Der Schüler muß in die Lage versetzt werden, einepolitische Situation und seine eigene Interessenlagezu analysieren …Heranwachsende sollen also unterstützt werden, eine ei-gene Meinung bilden zu können. Sie sollen hierzu um-fassend informiert und nicht beeinflusst werden. Da sindwir uns, glaube ich, alle einig.Die Bundesregierung bekennt sich ausdrücklich zudem Beutelsbacher Konsens. Wir wundern uns aller-dalEeuItVdIIuoIbdKwAwDsPerlnRlD
sen.s ist überhaupt kein positives Element der Kernenergienthalten wie Klimafreundlichkeit, Wirtschaftlichkeitnd Versorgungssicherheit.Herr Gabriel wird dann weiter zitiert mit dem Satz:Die Atomkraft ist eine Technologie des letztenJahrhunderts …ch muss schon sagen: Das ist jetzt nicht unbedingt neu-ral, Herr Minister.
on Neutralität in der Darstellung keine Spur!Ich komme zum Schluss. Ich appelliere an das Bun-esumweltministerium – Herr Minister Gabriel, das hathr ehemaliger Ministerkollege Glos auch getan –, diendoktrination unserer Schüler zu stoppen
nd die Unterrichtsmaterialien entweder zu überarbeitender aber aus dem Netz zu nehmen.
ch bitte Sie, sich in Zukunft wieder an den Beutels-acher Konsens zu halten.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Christoph Pries für
ie SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute zumiederholten Male in dieser Legislaturperiode über dentomausstieg. Es liegen uns sechs Anträge und die Ant-ort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage vor.ie zur Abstimmung vorliegenden Anträge der Grünenind – das sage ich trotz unserer Sympathie – in einigenunkten entweder überholt, durch Regierungshandelnrledigt oder nicht umsetzbar. Wir lehnen sie daher ab.In meinen Ausführungen möchte ich heute exempla-isch auf zwei Schlagworte eingehen. Sie fassen symbo-isch die Diskussion über die Atomenergie der vergange-en Jahre zusammen. Da ist zunächst die angeblicheenaissance der Atomenergie, wie sie von der Atom-obby im Verbund mit Union und FDP propagiert wird.ie Kolleginnen und Kollegen auf der rechten Seite des
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Christoph PriesHauses behaupten seit Jahren: Der Atomausstieg ist dasWerk ideologisch verblendeter Technologiefeinde. DieGroße Anfrage der FDP zielt genau darauf. Sie behaup-ten ferner: Die Atomenergie ist weltweit auf dem Vor-marsch, und Deutschland isoliert sich durch den Atom-ausstieg. – Sehr geehrte Damen und Herren, das sindMärchen.
Wir sagen: Atomenergie ist aus ökologischen, ökono-mischen und sicherheitspolitischen Gründen nicht ver-antwortbar. Wir sagen: Atomenergie ist eine Form derEnergieerzeugung des letzten Jahrhunderts. Wir sagen:Deutschland ist nicht der isolierte Nachzügler einer welt-weiten Atomrenaissance. Deutschland ist vielmehr Vor-reiter beim Aufbau einer modernen Energieversorgung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP,abgesehen vom radioaktiven Abfall strahlt Atomkraftnur in den Hochglanzbroschüren der Lobbyverbände.Wer deren aktuelle Ausbaupläne liest, fühlt sich unwei-gerlich an die Luftschlösser der 70er-Jahre erinnert. DiePrognose der Internationalen Atomenergie-Organisa-tion damals: Im Jahre 2000 würden weltweit Atomkraft-werke mit einer Leistung von 4 500 Gigawatt installiertsein. Die Realität im Jahr 2008: 372 Gigawatt. Die be-stehenden 436 Reaktoren decken gerade einmal 2,5 Pro-zent des weltweiten Energieverbrauchs.
Das Fazit: Gemessen an den Erwartungen ist Atomener-gie immer Ankündigungsenergie geblieben.
Nun wenden die Kolleginnen und Kollegen vonUnion und FDP ein, überall würden bald neue Atom-kraftwerke gebaut.
Das stimmt – allerdings nur auf dem Papier.
Die Realität sieht folgendermaßen aus: Im Jahr 2008ging zum ersten Mal seit 42 Jahren kein einziges Atom-kraftwerk ans Netz. Selbst ein Vertreter der Internationa-len Atomenergie-Organisation stellte in der Süddeut-schen Zeitung zum angeblichen Atomboom fest, eineRenaissance bei der Atomkraft gebe es lediglich – ich zi-tiere – „beim theoretischen Interesse“. Wie so ein theore-tisches Interesse aussieht, möchte ich am Beispiel Süd-afrika verdeutlichen. Im August 2007 brach dort lautn-tv die Atomära aus. 15 Milliarden Euro sollten in fünfJahren in den Ausbau der Atomenergie investiert wer-den. Diese Ära dauerte genau 15 Monate. Bereits im De-zkfnELAnhsDfSlAnhIdvDFmzslrIdAIrpVked
ch meine das gar nicht negativ, lehrt doch der Blick inie Vergangenheit, dass die bürgerlichen Parteien beiielen Themen etwas länger gebraucht haben.
enken wir zum Beispiel an das Frauenwahlrecht, an dieinanzmarktkontrolle oder die Familienpolitik.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ichöchte aber auch noch auf das eingangs angekündigteweite Schlagwort der Atomdebatte eingehen, auf dieogenannte Renaissance des Widerstands. Es ist uns al-en klar, dass dieses Schlagwort vor allem der Absiche-ung des grünen Wählerpotenzials dient. Das ist erlaubt.hr aktueller Antrag zeigt aber wieder einmal deutlich,ass Sie krampfhaft versuchen, die SPD in der Frage destomausstiegs zu übertrumpfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, inhrem Interesse rate ich Ihnen: Verkohlen Sie die Bürge-innen und Bürger nicht! Nicht alles, was moralisch oderolitisch wünschbar wäre, ist auch rechtlich umsetzbar.ersprechen Sie nichts, was Sie am Ende nicht haltenönnen! Beim Kohlekraftwerk Moorburg sind Sie schoninmal als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelan-et.
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Christoph PriesNoch eines: Wir werden Ihnen auf jeden Fall nichtdurchgehen lassen, die SPD als Handlanger der Atomin-dustrie abzustempeln, Frau Höhn.
In der Frage des Atomausstiegs brauchen wir uns vorniemandem zu verstecken. Wir haben in den vergange-nen drei Jahren nicht gewackelt – trotz einer beispiello-sen PR- und Öffentlichkeitskampagne der Atomlobby,trotz Drohungen, Gerichtsverfahren und populistischenLockangeboten. Die Standfestigkeit von Sigmar Gabrielund der SPD-Bundestagsfraktion müssen andere ersteinmal unter Beweis stellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD steht fürdie Renaissance der Vernunft in der Energiepolitik.
Eine vernünftige Energiepolitik ist langfristig angelegt.Sie löst Probleme und schafft keine neuen. Mit demAtomausstieg haben wir einen gesellschaftlichen Kon-flikt gelöst, der dieses Land 25 Jahre lang gespalten undenergiepolitisch gelähmt hat. Mit dem Ausbau der er-neuerbaren Energien, mit Energieeinsparung und einerSteigerung der Energieeffizienz legen wir die Grundla-gen für die Energieversorgung der Zukunft. Mit unsererökologischen Industriepolitik schaffen wir die Basis fürwirtschaftliches Wachstum und den Wohlstand unsererKinder. Lassen Sie uns gemeinsam auf diesem Weg vo-ranschreiten, statt unsere Energie mit der fruchtlosenFortführung von Kämpfen aus der Vergangenheit zu ver-geuden.Danke, dass Sie mir zugehört haben.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dorothée Menzner
für die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Als Linke begrüßen wir diese Debatte. Sie ist überfällig.Ich erinnere nur an den 26. Februar 2009, als ungefähr15 000 Menschen Braunschweig, Asse und SchachtKonrad – das ist eine Wegstrecke von 52 Kilometern –durch eine Lichterkette unter dem Motto „Wir bringenLicht ins Dunkel“ miteinander verbanden.Ich zitiere aus dem Antrag der Grünen:Der Statusbericht zu den Zuständen im Forschungs-endlager Asse II hat unsere schlimmsten Vermutun-gen noch übertroffen.Das spiegelt die Stimmung in der Region wider, undzwar nicht nur der Menschen, die sich seit Jahrzehntengegen Atomkraft engagieren, sondern auch der ganz nor-malen Bürgerinnen und Bürger, der ganz normalen An-wohnerinnen und Anwohner. Ihre Befürchtungen sindüHpz2zlItgIsmhDAwezhMfalbSmin5wuDhkslw
m Gegensatz zu Asse verfüge Gorleben über einen in-akten Salzstock. Außerdem sei Gorleben in den vergan-enen 25 Jahren systematisch untersucht worden.
ch zitiere wörtlich:Über einen langen, transparenten und wissen-schaftsgeleiteten Prozess ist man zu dem Schlussgekommen, Gorleben sei geeignet.
Das lässt Schlimmes erahnen. Die Menschen fühlenich verhöhnt und bedroht. Das, was ich hier von denöglichen Koalitionspartnern einer möglichen Ampelöre, beruhigt die Menschen meiner Ansicht nach nicht.
ie Menschen fühlen sich von CDU/CSU, FDP undtomindustrie für dumm verkauft. Ihnen wird immerieder erzählt, die Atomkraft sei sicher; vor der Haustürrleben sie aber das Gegenteil. Es werden Märchen er-ählt, die sie selber als Horrorgeschichten empfinden.Das erste Märchen lautet, Atomstrom sei billig. Dasaben wir auch hier heute wieder gehört. Die mehrerenilliarden, die je nach gewählter Option für die Asseällig werden und die für den Steuerzahler zur Zahlungnstehen, werden nicht erwähnt. Auch die über 2 Mil-iarden Euro, die zur Schließung des Endlagers Morsle-en anfallen, werden nicht erwähnt; von Gorleben,chacht Konrad und den Kosten für die Transporte ein-al ganz zu schweigen.Wir wissen auch, dass Uran nicht unbegrenzt vorrätigst. Wir merken, dass sich das Vorkommen seinem Endeähert. Die Wissenschaftler sagen, dass es noch rund0 Jahre reichen wird. Das wird auch an der Preisent-icklung deutlich: Während 1 Pfund Uran 2001 nochngefähr 7 US-Dollar kostete, kostete es 2007 140 US-ollar.Von dem Kollegen Hirte und der Kollegin Brunkhorstaben wir eben wieder einmal gehört, Atomstrom seilasse, um CO2 zu sparen. Ich möchte nur darauf hinwei-en, dass Strom aus südafrikanischem Uran heute je Ki-owattstunde 126 Gramm CO2 verursacht.Auch über die Unverzichtbarkeit hören wir immerieder vieles. Das lässt sich trefflich widerlegen.
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22744 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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Dorothée MenznerWichtig ist eine transparente und umfassende Kos-tenbeteiligung der Konzerne. Das muss unser gemein-sames Ziel sein. Dafür werden wir streiten.
Einen Vorwurf kann ich den Kolleginnen und Kolle-gen der Grünen, die in ihren Anträgen viel Richtigesschreiben, nicht ersparen: Bündnis 90/Die Grünen hat inder Vergangenheit Vertrauen zerstört, und zwar nicht nurVertrauen in die eigene Partei, sondern in die Politik ins-gesamt:
mit dem sogenannten Atomkonsens, der eine Betriebs-garantie für die Konzerne war, dem Wegschauen unddem Aussitzen bei Asse II, Gorleben und SchachtKonrad, solange man in der Koalition war, und zwar so-wohl in Niedersachsen als auch im Bund.Es ist zwar lobenswert, jetzt in der Opposition guteAnträge zu schreiben – wir werden gerne mit Ihnen strei-ten und versuchen, gemeinsam aktiv zu werden –, aberes könnte sehr nach Wahlkampfgeklingel aussehen,
wenn man nicht deutlich macht: Die Macht der vier gro-ßen Energiekonzerne, von K+S und anderen DAX-Kon-zernen ist groß. Dagegen müssen wir angehen; aber dasschaffen wir nicht allein.
Das schaffen wir nur gemeinsam mit den Menschen,wenn wir die nötige Transparenz herstellen und wennwir mit ihnen, die sie sich seit Jahren und Jahrzehntenengagieren und Kompetenz angeeignet haben, streiten.Ich glaube, nur so kommen wir in der Frage des Atom-ausstiegs weiter, also gemeinsam mit den Menschen undnicht, indem wir Parlamentarier sagen, dass wir alles lö-sen können. Vielmehr brauchen wir den Druck derStraße, den Druck der Bewegung und die entsprechendeKompetenz.Ich danke.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Maria Flachsbarth für
die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Im Zentrum dieser Debatte heute Morgen stehtwieder einmal die Schachtanlage Asse II. Von 1909 bis1964 wurde dort Salz abgebaut mit der Folge, dass die-sNIBAsBfZidieDaDdwslimnMtdwIdJgdbsGbr1gzddsazBbnmGeihMg
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auch wenn die Grünen heute versuchen, in ihren Anträ-gen einen gegenteiligen Eindruck zu erwecken.
Der optimale Schutz von Anwohnern und Umweltund eine zeitnahe und sichere Schließung der Asse sind– das habe ich bereits gesagt – das vordringliche Anlie-gen der Union. Allerdings müssen wir tatsächlich zügighandeln. Gutachten besagen, dass das Bergwerk nurnoch bis Mitte des nächsten Jahrzehnts standfest ist. ImJanuar dieses Jahres hat unter der Obhut des Bundesam-tes für Strahlenschutz ein Expertengespräch stattgefun-den. Man ist zu dem Ergebnis gekommen, dass wir dochnoch bis zum Jahr 2020 Zeit haben, allerdings nur, wennsich die Laugenzuflüsse nicht erhöhen. Genau das ist al-lerdings die Gretchenfrage, die niemand beantwortenkann. Daher muss zügig gehandelt werden.Die Arbeitsgruppe Optionenvergleich hat im Februardieses Jahres einen Zwischenbericht vorgelegt. Sie legtsich aber noch nicht fest, welche Methoden sie beimUmgang mit dem Atommüll und bei der Stilllegung derAnlage favorisiert. Vielmehr werden Machbarkeitsstu-dien und Auswirkungsstudien angefordert. Eine ab-schließende Bewertung soll bis Ende des Jahres vorlie-gen. Das muss es dann aber auch sein. Wir müssen zügighandeln,
damit wir nicht in die Situation kommen, im Rahmen derakuten Asse-Gefahrenabwehr unüberlegt und plötzlichhandeln zu müssen.Die Politik hat ihre Hausaufgaben gemacht. Wir ha-ben in den Haushalt des BfS des letzten Jahres über 70zusätzliche Stellen eingestellt. Wie schon gesagt, sinddas Zurückgewinnen von Vertrauen und verantwortli-ches Handeln erforderlich. Es dürfen keine politischenSpielchen stattfinden; das betone ich.Es war kontraproduktiv, dass gerade der Bundesum-weltminister während seiner Sommerreise im letztenJahr den Verdacht geschürt hat, die von mir bereits er-wähnten Laugenzuflüsse von 12 Kubikmetern pro Tagseien radioaktiv kontaminiert und ihr Verbringen in an-dere stillzulegende Salzbergwerke in Niedersachsen ge-fährde möglicherweise die dortige Bevölkerung. Es hilftwenig, das im Nachhinein zurückholen zu wollen. ImCeller Kreistag führte dieser längst aufgeklärte Sachver-hsIdDRWwHhdtgsAvzstSmGIsddrszDdtlsdslkSstfdr
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl
ür die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie uns überie Kosten und über die Mär von der billigen Atomkrafteden. Billig ist Atomstrom nur für die Betreiber abge-
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Sylvia Kotting-Uhlschriebener Atomkraftwerke. Volkswirtschaftlich istAtomstrom so teuer wie kein anderer Strom.
Ich nenne Ihnen ein paar Beispiele. Beginnen wirganz am Anfang, beim Uran. Die „billige“ RessourceUran kommt normalerweise von weiter her; so viel zumStichwort Importunabhängigkeit. Aber auch in Deutsch-land gab es einmal den Uranabbau, und zwar in Wismut.Für die Sanierung des Uranabbaus in Wismut sind bisher6,4 Milliarden Euro von der Bundesregierung eingestelltworden. Wer zahlt das? Der Steuerzahler.Sehen wir uns das Ende der Geschichte an. BeispielMorsleben: Ihren angehäuften schwach- und mittelakti-ven Müll loszuwerden, kostete die westdeutschen Atom-kraftwerksbetreiber in den 90er-Jahren gerade einmal183 Millionen DM. Die Entsorgung dieses Mülls ermög-lichte die damalige Umweltministerin; das war übrigensAngela Merkel. Allein für die Stabilisierung des ein-sturzgefährdeten Lagers wurden bis heute 2,2 MilliardenEuro veranschlagt. Wer zahlt das? Der Steuerzahler.Beispiel Asse: Forschung für die sichere Endlagerungmit Atommüll, billigst oder auch umsonst eingelagert.Die Sanierung der Katastrophe Asse ist nun öffentlicheAufgabe, schließlich kommen 90 Prozent des radioak-tiven Potenzials in der Asse aus der Wiederaufarbei-tungsanlage Karlsruhe. In die WAK kam es aber aus denAKWs. 70 Prozent dieses radioaktiven Potenzials kamenalleine aus dem Atomkraftwerk Obrigheim.Die Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe funk-tionierte wie eine Waschanlage. Die schmutzige Hinter-lassenschaft der Atomstromproduktion wurde zu öffent-lichem Forschungsmaterial. Das war für dieursprünglichen Verursacher des Mülls sehr bequem. DieKosten sind heute noch überhaupt nicht abzuschätzen,aber sie werden mindestens die Größenordnung der Kos-ten für die Sanierung von Morsleben haben. Wer zahltdas? Der Steuerzahler.Herr Gabriel, ich kann Ihnen an dieser Stelle aus-nahmsweise nicht ersparen, Frau Flachsbarth recht zugeben; das passiert selten in diesen Debatten. Ja, Sie ha-ben einen Schlingerkurs betrieben. Erst hieß es, dieAKW-Betreiber sollen sich beteiligen. Dann hieß eswährend der Novellierung des Atomgesetzes: Es istreine Aufgabe der öffentlichen Hand. Nun heißt es wie-der, sie sollen sich beteiligen. – Sie wollen dafür die ur-sprünglich von uns geforderte Brennelementsteuer ver-wenden. Das ist löblich. Wenn wir aber die Option derRückholung des Mülls aus der Asse tatsächlich wahrma-chen, werden Sie mit 1,6 Milliarden Euro nicht weitkommen.Das System der privatisierten Gewinne und der sozia-lisierten Kosten zieht sich durch alles, was mit Atom-kraft zu tun hat: die Deckelung der Haftpflichtversiche-rungen, die steuerfreien Rückstellungen und auch diejahrtausendelange Überwachung des Atommülls. Atom-kraftbefürworter argumentieren gern mit dem so teurenFotovoltaikstrom, den die Bezieher mit 31 bzw.4m4mmdBlggwsqkwBFWhmlsvDlEmesvhstdwDatbgddAvzv
Lassen Sie uns aber auch über Vertrauen und Verant-ortung reden. Jahrelang hat man uns erzählt, die Asseei ein Forschungsendlager. Heute wissen wir, dass sichuer durch die Genehmigungsbescheide für die Atom-raftwerke bis Ende der 70er-Jahre die Asse als ausge-iesenes Endlager hindurchzieht. Das hört sich zumeispiel so an: 1972 erste Teilgenehmigung für Isar 1:ür die BRD wird das stillgelegte Salzbergwerk Asse beiolfenbüttel als Endlagerstätte für radioaktive Abfälleergerichtet.Es gab auch eine Ausnahme: 1974 zweite Teilgeneh-igung für Krümmel: Seit April 1967 wird das ehema-ige Salzbergwerk Asse II in der Nähe von Braun-chweig für die Lagerung hochradioaktiver Abfälleorbereitet. In den 80er-Jahren ändert sich die Tonlage.a ist dann nur noch von der in der Asse erprobten Ein-agerungstechnologie und davon, dass die Asse für diendlagerung vorgesehen ist, die Rede. In den Teilgeneh-igungen für Brokdorf heißt es, das Bergwerk solle inrster Linie als Versuchsanlage für Gorleben dienen.Wer alles – die Helmholtz-Gemeinschaft, das For-chungsministerium und die Kolleginnen und Kollegenon FDP und Union – hat uns nicht erzählt, die Asseabe mit Gorleben nichts zu tun. Sie haben einen Unter-uchungsausschuss zur Asse abgelehnt, obwohl als ver-rauensbildende Maßnahme nichts notwendiger wäre alsie Aufklärung und Benennung der verfehlten Verant-ortlichkeit.
er ehemalige Umweltminister Trittin hat, ganz andersls Sie, überhaupt nichts gegen die Einsetzung eines Un-ersuchungsausschusses, sondern er hat ihn ausdrücklichefürwortet.Die Asse ist inzwischen nicht nur der GAU der Endla-erfrage. Die Asse wird zum Symbol der Unzuverlässigkeiter Atomtechnik samt ihrer ganzen Betreibergemeinde. Inieser Situation wollen Sie die Laufzeitverlängerung dertomkraftwerke und die unverzügliche Inbetriebnahmeon Gorleben.Sie sind immer noch nicht in der Lage, bis drei zuählen. Volkswirtschaftlich viel zu teuer, energetischöllig überflüssig und der Vertrauens-GAU, das ist
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Sylvia Kotting-UhlAtomkraft. Zum Glück hat Deutschland den Atomaus-stieg beschlossen.
Für die Bundesregierung hat Herr Bundesminister
Sigmar Gabriel das Wort.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen
Sie mich zunächst einmal etwas zu dem angeblichen
Schlingerkurs sagen. Meine Frage an die Grünen ist:
Warum haben Sie sich eigentlich sieben Jahre lang nicht
um die Sanierung der Asse gekümmert?
Warum haben Sie eigentlich sieben Jahre lang keinen
Gesetzentwurf erarbeitet, mit dem Sie den Versuch un-
ternehmen, die deutsche Atomindustrie 30 Jahre rück-
wirkend an der Finanzierung der Sanierung von Mors-
leben oder der Asse zu beteiligen? Warum haben Sie das
nicht gemacht?
Sie haben das deshalb nicht gemacht, weil Sie damals,
als Ihr Minister noch in der Regierung war – er ist ge-
rade draußen – –
– Ich weiß, bei Ihnen sind immer die Sozis schuld, wenn
Sie etwas nicht hinbekommen, nur Sie selbst nicht.
Sie haben das deshalb nicht gemacht, weil Sie wuss-
ten, dass dies rechtswidrig gewesen wäre. Einige derje-
nigen, die mir jetzt im Blickfeld sitzen, haben einmal et-
was mit Regierungstätigkeit zu tun gehabt. Sie wussten,
die Verfassung verbietet es uns, die Atomindustrie rück-
wirkend an der Finanzierung zu beteiligen.
Deswegen kann man das nicht in einem Gesetz ma-
chen, mit dem wir die Asse sanieren. Deshalb können
wir keine rückwirkende Finanzierung beschließen. Man
kann aber sehr schnell ein Gesetz auf den Weg bringen,
mit dem die Atomindustrie dadurch an der Finanzierung
beteiligt wird, dass der Staat Steuern im Bereich der
Kernbrennstoffe einnimmt. Das ist der richtige Weg.
Das ist kein Schlingerkurs.
Wenn Sie schon darüber reden, Frau Kotting-Uhl,
dann bitte unter Beherrschung der Grundrechenarten.
Dies sind Einnahmen von 1,6 bis 2 Milliarden Euro pro
Jahr. Sie haben gemeinsam mit uns einen Atomkonsens
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Es gibt zwei pharisäerhafte Umgänge mit der Asse.
as sind einerseits diejenigen, die dort billig entsorgt ha-
en, und andererseits die Grünen, die derzeit die Asse
ntdecken.
Vielleicht liegt es daran, dass ich dort wohne. Deshalb
rauchen Sie mir nicht zu erzählen, was dort los ist. Ich
ätte es aber besser gefunden, Sie hätten während Ihrer
egierungszeit im Bundesumweltministerium nicht alles
nternommen, um die Zuständigkeit des Bundesum-
eltministeriums zu verhindern.
Ich hätte es gut gefunden, Sie hätten in Ihrer Regie-
ungszeit nicht die Stellen im Bundesumweltministerium
estrichen, die für die Beobachtung der Asse mit zustän-
ig gewesen sind. Ich hätte mir außerdem gewünscht,
ie hätten Anträge wie diesen eingebracht, die richtig
ind. Hätten Sie wesentlich früher mit der Sanierung der
sse begonnen, dann hätten wir heute nicht derartig dra-
atische Probleme.
Ich finde, was Sie hinsichtlich der Asse machen, ist
ochgradig pharisäerhaft.
ie haben nichts unternommen. Sie wollten das nicht.
ie haben sich der Politik gebeugt, das so zu belassen,
ie es ist. Sie wollten nicht hinschauen, und heute regen
ie sich darüber auf.
Ich muss bei aller kollegialen Wertschätzung der Anti-
tompolitik ganz offen sagen: So einfach kommen Sie
or Ort nicht davon. Sie sind mitverantwortlich für das
andeln.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischen-rage der Kollegin Höhn?Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-chutz und Reaktorsicherheit:Sehr gern.
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Frau Höhn, bitte sehr.
Herr Umweltminister, können Sie bestätigen, dass das
Umweltministerium im Jahr 1998, als Jürgen Trittin in
die Regierung eingestiegen ist, überhaupt nicht für die
Asse verantwortlich war, sondern dass die Kollegin
Bulmahn als Bundesforschungsministerin die Verant-
wortung für die Asse getragen hat? All das, was Sie jetzt
über die Asse sagen, lag also in der Zuständigkeit Ihrer
SPD-Kollegin Bulmahn.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:
Ich kann bestätigen, dass in mehreren Vermerken des
Bundesumweltministeriums die Rechtsauffassung des
Bundesforschungsministeriums durch Ihren Minister be-
stätigt wurde, dass es richtig sei, die Asse nicht unter
Atomrecht zu bringen, und dass es richtig sei, die Asse
in der Verantwortung des Forschungsministeriums zu
belassen, und dass es keine weiteren Anmerkungen zu
diesen Vorstellungen des Forschungsministeriums gege-
ben hat. Sie haben all das also wissentlich unterstützt,
und Sie haben sogar noch eine Stelle gestrichen, durch
die die Asse bei uns im Ministerium mit unter Beobach-
tung stand.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwi-
schenfrage: der Kollegin Kotting-Uhl?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:
Da sie sich anscheinend getroffen fühlen, gerne. So ist
das Leben.
Bitte sehr.
Ich diskutiere gerne mit Ihnen, Herr Minister. – Erin-
nern Sie sich, dass auch Sie bis zum Sommer 2008 der
Meinung waren, die Zuständigkeit für die Asse liege
besser beim Forschungsministerium, wie Sie das jetzt
rückblickend dem Minister Trittin zuschreiben? Erin-
nern Sie sich, dass Sie die gleichen Worte benutzt ha-
ben? Erinnern Sie sich auch, dass Sie auch nicht durch
unseren Antrag, sondern erst durch die Macht der Fak-
ten, als nämlich die radioaktiven Laugen auftauchten,
dazu bewegt werden konnten, die Asse unter Ihre Auf-
sicht zu stellen?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:
Ich erinnere mich gut, dass ich gesagt habe, wir wer-
den dieses Problem gemeinsam lösen. Die Kollegin Frau
Schavan war die Erste, die das Bundesumweltministe-
rium einbezogen hat. Ich erinnere mich gut, dass ich ge-
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Nein, ich habe gesagt, sie hätten gegen geltendes
trahlenschutzrecht verstoßen. Das ist damals auch ge-
an worden.
Wir haben das alles aufgeklärt. Wir haben kooperativ
usammengearbeitet, statt uns diese Dinge immer hin-
nd herzuspielen.
Ich will gar nicht rechtfertigen, was dort auch unter
rüheren SPD-Regierungen gemacht worden ist. Es geht
ir nur darum, dass Sie sich hier jetzt aufspielen, als
eien Sie der Retter der Asse. Sie haben die Leute dort
ieben Jahre lang alleingelassen.
as ist das Ergebnis Ihrer Politik. Ich finde einfach, da-
über muss man öffentlich reden, wenn Sie so mit dem
hema anfangen.
Herr Bundesminister, es gibt jetzt noch einen
unsch, eine Zwischenfrage zu stellen, nämlich den des
ollegen Fell.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-
chutz und Reaktorsicherheit:
Ich muss mich einmal nach der Geschäftsordnung er-
undigen und fragen, ob ich eigentlich noch die Chance
abe, meine Rede zu halten.
Ich habe die Uhr angehalten. Sie haben noch jedeenge Gelegenheit dazu.
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Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit:Dann gerne.
Herr Kollege Fell, bitte sehr.
Herr Minister, danke, dass Sie mir die Gelegenheit
geben. – Sie haben so sehr hervorgehoben, dass Sie aus
der Umgebung der Asse kommen und bestens über die
Probleme, die es dort seit vielen Jahren gibt, Bescheid
wissen. Ich frage Sie: Warum haben Sie von diesen
Missständen eigentlich nicht auch als Ministerpräsi-
dent in Niedersachsen richtig Kenntnis gehabt, und wa-
rum haben Sie nicht eingegriffen, sodass diese Miss-
stände beseitigt wurden?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:
Ich will diese Frage gerne beantworten:
In der Tat war ich zum ersten Mal als 16-Jähriger und
später als Abgeordneter mehrfach in der Asse. Die nie-
dersächsische Landesregierung unter dem damaligen
Ministerpräsidenten Gerhard Schröder hat als erste Lan-
desregierung damit begonnen, Sanierungsmaßnahmen in
der Asse durchzuführen – übrigens mit der Umweltmi-
nisterin Monika Griefahn, einer sozialdemokratischen
Kollegin hier im Deutschen Bundestag. Damals wurde
damit begonnen, die Südflanke, so meine ich, zu stabili-
sieren, nachdem vorher dort jahrzehntelang nichts pas-
siert war.
Danach ist der Antrag durch das Forschungsministe-
rium gestellt worden, mit der Planfeststellung zu begin-
nen. Ab diesem Moment waren wir an der Debatte über
die Sicherungsmaßnahmen beteiligt. Wir haben sie so
kritisch bewertet, wie Sie das auch heute von uns hören.
Wir waren aber die Ersten in Niedersachsen, die Stüt-
zungsmaßnahmen in der Asse veranlasst haben. Vorher
hat sich niemand darum gekümmert.
Das ist die Antwort. Sie können aber gerne noch ein
paar Fragen stellen.
Verstehen Sie mich richtig: Ich bin doch nicht der
Überzeugung, dass nur die Atomwirtschaft dort Fehler
gemacht hat. Mich regt aber die pharisäerhafte Debatte
auf. Ich sage Ihnen: Die Sozialdemokraten haben das
nicht unter die Verantwortung des Umweltministeriums
gestellt, die Christdemokraten haben das nicht getan, die
Grünen haben nicht darum gekämpft, sondern alles beim
Alten belassen, und die Linkspartei hat sozusagen die
Gnade der späten Geburt. Für das Erbe ihrer Vorläufer-
organisation SED sind wir in Morsleben allerdings auch
zuständig.
Wir alle haben dort also politisch unser Päckchen zu
tragen. Ich wehre mich aber gegen diese pharisäerhafte
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hört doch auf! –, sondern in der Art und Weise, in der
ir uns in der Sache einig sind, arbeiten.
Es gibt zwei Dinge, die nicht gehen. Frau Kollegin
lachsbarth, es ist nicht möglich, mit dem Hinweis auf
ie angeblichen Sicherheitsbedenken das zu tun, was
er Kollege Sander in Niedersachsen will, nämlich mög-
ichst schnell alles zu verfüllen, Deckel drauf und Ende,
hne zu wissen, was sich darin befindet und ob es lang-
eitsicher ist. Das machen wir nicht. Wir können das
icht einfach nur deshalb, weil wir keine Lust mehr ha-
en, uns damit zu befassen, zulasten unserer Urenkel
ergraben. Das ist unmöglich.
Zweitens geht es nicht an – das sage ich kritisch an
ie Grünen gerichtet –, dass wir den Fehler wiederholen,
en die Atomindustrie gemacht hat. Die Atomindustrie
at politische Vorgaben machen wollen, wie mit der
sse umzugehen ist. Das hat dazu geführt, dass dieses
haos entstanden ist. Jetzt sagt Ihr Landstagskollege in
iedersachsen: „Der Gabriel muss das jetzt alles vor der
undestagswahl entscheiden; sonst glauben wir ihm
icht, dass das notfalls herausgeholt wird.“
Tun Sie mir einen Gefallen, Frau Pothmer: Lassen Sie
ns mit den Leuten reden, die etwas von der Sache ver-
tehen. Sie gehören nicht dazu.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage derollegin Flachsbarth?Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-chutz und Reaktorsicherheit:Nein, ich würde gerne fortfahren. – Sie fordern „Allesaus, aber schnell!“. Das ist ein Motto für den Winter-chlussverkauf. Für die Asse ist es nicht geeignet. Dieritischen Wissenschaftler aus der Region sagen, dassir Zeit brauchen. Genauigkeit geht vor Schnelligkeit.s darf keine Schlampigkeit geben, nur weil die Bundes-agswahl bevorsteht. Das werden wir durchhalten. Wasmmer Sie vor Ort sagen, wir werden nichts am Konzepter Langzeitsicherheit ändern, und wir werden nicht,ur weil Sie gerne politischen Wahlkampf machen wol-en, Maßnahmen vorschlagen, die die Menschen dort auf
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22750 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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Bundesminister Sigmar Gabriellange Sicht gefährden werden. Das werden wir nicht ma-chen, Frau Pothmer, auch wenn Sie es öffentlich fordern.
Ich möchte noch einige wenige Bemerkungen zumThema Kernenergie machen. Ich finde, es macht Sinn,den Blick darauf zu richten, wie in der Vergangenheit ar-gumentiert worden ist. Dazu habe ich eine schöne An-zeige gefunden. Das, was heute zu diesem Thema ge-sagt wurde, scheint wieder in dieselbe Richtung zuführen. Der Wiedergänger in dieser Debatte, FrauBrunkhorst – das immer wieder auftauchende Thema –,ist die Kernenergie selber. Es sind nicht diejenigen, dievor den Gefahren warnen. Ich zitiere:Strom aus Wind: Ja, aber …– Das entspricht ein bisschen Ihrer Debatte. –Die Dänen sind europäischer Spitzenreiter bei derNutzung der Windenergie: 1988 wurde in Däne-mark fast jede hundertste Kilowattstunde aus Winderzeugt – das entspricht einem Anteil von0,9 Prozent am gesamten Stromverbrauch.Jetzt kommt es:Eine vergleichbar intensive Nutzung der Windkraftist in der Bundesrepublik wegen anderer klimati-scher Bedingungen nicht möglich … Fragen zurKernenergie beantwortet gerne: InformationskreisKernenergieDieselbe Debatte erleben wir heute. Sie wollen denLeuten weismachen, man brauche die Atomenergie inder Grundlast, weil die erneuerbaren Energien nicht aus-reichten. Ich sage Ihnen: Das Gegenteil ist richtig. Weröffentlich erklärt, man brauche wegen der fluktuierendenEnergie im Netz aus Wind oder Sonne die Atomenergiein der Grundlast, der hat entweder nicht verstanden, wieein Elektrizitätsnetz oder ein Atomkraftwerk funktio-niert, oder er sagt der Öffentlichkeit bewusst die Un-wahrheit.
Atomenergie und erneuerbare Energien sind nicht zukombinieren. Wer wissen will, was dabei herauskommt,wenn man es versucht, konnte dies gerade beim Abfah-ren von Biblis A erleben. Man kann Atomkraftwerkenicht als Regelkraftwerke nutzen. Deswegen funktio-niert die Kombination Atomenergie und erneuerbareEnergien nicht.
– Es tut mir leid, dass Sie sich jetzt getroffen fühlen.Aber ich meinte Sie auch.
Diese Kombination funktioniert nicht. Allerdingsbraucht man Regelkraftwerke aus anderen Energiefor-men. Selbst wenn wir – wie es die Grünen wollen – bis2020 den Anteil der erneuerbaren Energien an derStromversorgung auf 40 Prozent erhöhen, brauchen wirRdDdenbddgig2smibsnKAgdDDewWitrstaKWZr–hFdddWe
Unter anderem Sie mit Ihrer Propaganda und der Be-auptung, es gebe eine Renaissance der Kernenergie.
rau Reiche, es war nicht der Bundesumweltminister,er erklärt hat, Atomenergie sei Bioenergie. Das warenoch Sie von der CDU/CSU. Für Sie ist wahrscheinlichie Asse eine Biotonne; das nehme ich stark an.
ir jedenfalls setzen weiterhin auf Effizienz und erneu-rbare Energien.
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Bundesminister Sigmar Gabriel– Herr Kollege, ich habe nicht erwartet, dass meine Redeauf ungeteilten Beifall stößt; das wollte ich auch nicht.Ich möchte Ihnen nicht die Umfragen ersparen, dieSie so nett zitiert haben. Das war zwar sehr freundlich,aber ich muss Sie leider korrigieren. Wir haben auf derBMU-Homepage eine Onlinebefragung – auf diese habenSie verwiesen – durchgeführt. Es gab 14 726 Votings. Al-lerdings waren Mehrfachabstimmungen zugelassen. DasErgebnis ist: 57 Prozent sind gegen den Atomausstieg.Nun hat die Welt, die sich solchen Umfragen offensicht-lich sehr verbunden fühlt, diese Umfrage fortgeführt.Man hat wahrscheinlich gedacht: Wir ärgern jetzt denUmweltminister, führen seine Umfrage fort – da so vieleMenschen für die Kernenergie sind – und zeigen, wiedas geht. – Bei der fortgeführten Umfrage gab es 59 734Votings. Dabei waren Mehrfachabstimmungen ausge-schlossen. Nun raten Sie einmal, wofür es eine Mehrheitgab? 51 Prozent waren für den Atomausstieg.
– Sie irren sich. Die Ergebnisse finden Sie weiterhin aufunserer Homepage.Es wird noch besser. Unabhängig von dieser gekaper-ten Umfrage bietet diese Zeitung seit dem 18. Februarihren Lesern ein weiteres Onlinevoting zum Atomaus-stieg an. Auf die Frage: „Sollen alle deutschen Atom-kraftwerke abgeschaltet werden?“
– Sie haben das in Ihrer Rede eingeführt, ich zitiere nurdie Umfragen, die Sie auch zitiert haben; mehr macheich nicht – erklären 84 Prozent derjenigen, die an dieserUmfrage teilgenommen haben: Ja, sofort aussteigen. DasPünktchen auf dem I in Sachen Umfragen setzt die glei-che Zeitung mit einem Bericht vom 1. März 2009, indem sie auf eine repräsentative Umfrage der GfK imAuftrag der Welt am Sonntag – nun dürften alle im Saalberuhigt sein – hinweist. Unter der Überschrift „Mehr-heit will den Atomausstieg“ heißt es:Das Ergebnis zeigt, dass die Vorbehalte gegenKernenergie in der Bevölkerung noch immer über-wiegen: 53,2 Prozent der Befragten plädierten da-für, am deutschen Atomausstieg wie geplant festzu-halten. Nur 29,7 Prozent hielten es dagegen fürrichtig, die gesetzlich begrenzten Laufzeiten derdeutschen Meiler doch wieder zu verlängern.Fazit: Die Debatte über die Renaissance der Kern-energie wird von den Marketingabteilungen der Unter-nehmen getriggert. Diejenigen, die sich hier missbrau-chen lassen, machen sich zu Lobbyisten der vier großenEnergieversorger, die 1 Million Euro pro Tag an einemweiterlaufenden, abgeschriebenen alten Atomkraftwerkverdienen. Darum geht es, und nicht um Klimaschutz.
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ie waren aber offensichtlich nicht so unsicher, dass sieebensgefährlich waren. Sie machen diese PR-Showechtzeitig vor der Bundestagswahl, damit Sie ein Themaaben, weil Ihnen sonst im Bundestagswahlkampf nichtsinfällt. Das ist ein wirklich durchsichtiges Manöver.
Die FDP-Bundestagsfraktion strebt langfristig eineollständig regenerative Energieversorgung an. Aberittelfristig werden wir weiterhin einen Energiemixrauchen. Alles andere ist Wunschdenken. Man kann esicht so machen, wie Sie es in Ihrem Antrag fordern.ort steht: „ … bis 2020 können es 30 – 50 % sein.“ Derintergrund ist: Die Grünen sind sich doch selber nichtinig, wie schnell der Umstieg auf die regenerativen Ener-ien erfolgen kann. Sie haben auf ihren Parteitagen im-er wieder die Debatte gehabt, ob die vollständige Ver-orgung durch regenerative Energien bis 2020 möglichst. Herr Fell sagt das eine, Herr Loske das andere. Dasst Chaos. So kann man keine verantwortliche Energie-olitik in Deutschland machen.
Wir als FDP-Bundestagsfraktion glauben, dass eineerlängerung der Laufzeit der Kernkraftwerke nötigst. Ich sage ganz eindeutig: Die Kernenergie ist für unsine Übergangsenergie. Deshalb bedeutet die Forderungach einer Laufzeitverlängerung nicht die Forderungach einem Neubau von Kernkraftwerken. Wir glaubenber, dass wir die Grundlastversorgung für den Wirt-chaftsstandort Deutschland eben nicht zu einem ver-ünftigen Preis sicherstellen können, wenn wir nur aufas setzen. Nur auf Gas setzen bedeutet auch die Ab-ängigkeit von nur wenigen Quellen. Das ist eben nichterantwortbar. Wir können die Energiepolitik nicht aus-chließlich nach einigen wenigen Kriterien machen, dieie sich wünschen, sondern wir müssen darauf achten,ass die Energieversorgung zu einem vernünftigen Preisuch für unsere Industrie gesichert ist.
Wir haben hier viel über die Asse gesprochen. Wirollten aber auch Folgendes in den Blick nehmen: Was
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Michael Kauchist falsch gelaufen, und was machen wir in der Zukunft?Unabhängig davon, ob wir die Kernkraft weiter betrei-ben oder nicht und wie lange wir sie weiter betreiben:Klar ist, dass wir in den letzten 50 Jahren Atommüllproduziert haben. Daran sind wir alle beteiligt. MeineDamen und Herren von den Grünen, viele von Ihnen wa-ren früher in anderen Parteien, waren zum Teil auch inpolitischen Jugendorganisationen tätig, zum Teil bei uns– Ihre Vorsitzende etwa war bei den Jungdemokraten –oder bei den Sozialdemokraten. Sie können sich hiernicht reinwaschen und so tun, als sei Ihre Bewegung völ-lig frei von irgendwelchen historischen Verantwortun-gen. Sie haben sieben Jahre lang den Umweltministergestellt. Dieser Umweltminister hat sieben Jahre langnichts getan, um den Atommüll unter die Erde oder wo-hin auch immer zu bringen.
Sie haben kein Konzept. Sie können nur kritisieren. AberSie haben nichts geleistet.
Wir wollen nicht – wie hier gerade behauptet wurde,um eine neue Gorleben-Lüge aufzubauen – Gorleben alsEndlager in Betrieb nehmen. Wir wollen, dass geforschtwird. Wir wollen im Übrigen auch, dass Konzepte einerrückholbaren Lagerung von Atommüll geprüft werden,aber nicht so, wie das der Umweltminister will, um dasGanze auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben,sondern um tatsächlich eine seriöse Abschätzung zu er-reichen: Welches Konzept ist für kommende Generatio-nen von der historischen Verantwortung her, die wir hieralle zu tragen haben, am ehesten zu verantworten?
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Eva
Bulling-Schröter das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wenn die Dinge schlecht laufen, werden wir im Herbsteine Regierung haben, die den Atomausstieg zurückneh-men will. Wie das dann läuft, haben wir gerade erfahren.Im Übrigen: Wer brüllt, hat nicht immer recht.
Leider könnte dann Schwarz-Gelb die Früchte einerTaktik ernten, die darin bestand, das Abschalten vonAKWs in dieser Legislaturperiode zu verhindern. Ob-wohl der sogenannte Atomkompromiss unter Rot-Grünbereits 2000 beschlossen wurde, gingen seitdem geradeeinmal zwei AKWs vom Netz, unter der jetzigen Koali-tion kein einziges.dTkvdhhtgskASRwAdIeHzlZkgsÖ9nNsreSDSggsüpjiRsTsd
Seit Monaten hören wir nun ein Trommelfeuer dertromkonzerne, Union und Liberalen, sekundiert vonWE-U-Booten bei der Deutschen Energie-Agentur. Esird behauptet, wir bräuchten in Deutschland neuetom- und Kohlekraftwerke sowie längere Laufzeiten,a es bald eine Stromlücke geben werde. Das ist falsch.ch wiederhole: Deutschland hat keine Strom-, sondernine Handlungslücke.
ier nützt auch die Imagekampagne der Energiekon-erne nichts, die explizit für Frauen Überzeugungsarbeiteisten soll. Frauen sind nicht so dumm; sie wissen, wasukunftsfähigkeit heißt.
Gerade in der letzten Woche wurde auf dem Jahres-ongress der Erneuerbaren Energien die Ausbaupro-nose bis 2020 bekanntgegeben. Stimmen die politi-chen Rahmenbedingungen, so ist bis dahin mit einemkostromanteil von 47 Prozent zu rechnen. Anfang der0er-Jahre war noch allgemeine Lehrmeinung, dass esiemals mehr als 4 Prozent erneuerbare Energien imetz geben werde. Seitdem sind regelmäßig alle Progno-en übertroffen worden, nicht nur die der Bundesregie-ung und der Wissenschaft, sondern auch die der Erneu-rbaren-Branche selbst.Interessanterweise hat die jetzige Prognose dentromverbrauch vorsichtshalber fast konstant gelassen.ies ist angesichts der fehlenden politischen Impulse zurenkung des Energieverbrauchs – man könnte auch sa-en: angesichts der Blockade – kein Wunder. Das Ener-ieeffizienzgesetz – Sie wissen, wovon ich spreche; wirtreiten im Umweltausschuss gerade darüber – ist längstberfällig und wird vom neuen Wirtschaftsminister tor-ediert. Erstaunlich ist aber, dass das CCS-Gesetz, dasetzt auch als Kohleverstromungsgarantiegesetz bekanntst, innerhalb von wenigen Monaten nach Erlass der EU-ichtlinie ins Kabinett kommt. In der nächsten Wocheoll dies so weit sein. Die Milliarden für die riskanteechnik stehen auch schon bereit, obwohl es gesell-chaftlich und wissenschaftlich höchst umstritten seinürfte, ob es sinnvoll ist, Milliarden an Tonnen Kohlen-
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Eva Bulling-Schröterdioxid unter die Erde zu pressen. Das Energieeffizienz-gesetz hingegen, das nach EU-Recht schon seit fast ei-nem Jahr umgesetzt sein sollte, liegt immer noch auf Eis.Man hat gelegentlich den Eindruck, als sei die Koali-tion auf der Suche nach einer sich selbst erfüllenden Pro-phezeiung: bloß keine wirklichen Fortschritte beim Ener-giesparen, damit das Märchen von der Stromlücke Wahr-heit werden kann.Für interessant halte ich die Aussage von MinisterGabriel im Spiegel, mit einer Großen Koalition sei einestimmige Energie- und Umweltpolitik nicht zu machen.Wahre Worte!
Meine Frage ist jetzt, ob es mit einer Ampel funktioniert.Angesichts der heutigen Reden wage ich dies zu bezwei-feln.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Union will nuntatsächlich mit der Legende in den Wahlkampf ziehen,Atomstrom senke die Strompreise. Man glaubt offen-bar, dass Eon und Co. die Preise jemals unter den Groß-handelspreis senken würden. Warum sollten sie das tun?Atomstrom ist in der Herstellung gegenwärtig vielleichtnoch preiswert, auch weil die Risiken und Nachfolge-kosten nicht eingepreist sind. Die Konzerne brauchenauch keine Versicherungsprämien zu bezahlen, weilkeine Versicherung sie annimmt. Sie verkaufen denAtomstrom zum Großhandelspreis an der Börse. Dasheißt natürlich, dass die Preise nicht sinken. Deshalbsind Atomkraftwerke – übrigens auch Braunkohlekraft-werke – Gelddruckmaschinen. Jeder Tag Laufzeitverlän-gerung bringt den AKW-Betreibern rund 1 Million EuroProfit. Diese Zahl wurde schon genannt. Ich denke, dasmüssen wir den Wählerinnen und Wählern noch viel öf-ter sagen. So viel zum Thema soziale Preise, von denenSie, Frau Brunkhorst, reden.Ich wiederhole: 1 Million Euro Profit pro Tag. Umdiesen Profit abzukassieren, wäre vielleicht die Brenn-elementesteuer geeignet, die Herr Minister Gabrielschon seit Monaten plant, die er aber leider nicht durch-setzen kann. Ich habe schon in den Haushaltsberatungengesagt, dass wir eine Brennelementesteuer unterstützen.Das wäre der einzige Weg, irgendwie an die absurd ho-hen Gewinne heranzukommen, die den AKW-Betreibernaus dem Emissionshandel zusätzlich zufließen; denndurch die Zertifikatekosten steigt der Großhandelspreisnoch ein Stück an. Ich meine, in dieser Beziehung musswesentlich mehr getan werden.Zum Schluss kann ich sagen: Wer wie die Union dieLaufzeiten der Kernkraftwerke um weitere 30 Jahre ver-längern will, ist ein verantwortungsloser Lakai derAtomverstromer;
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Nächster Redner ist der Kollege Dr. Georg Nüßlein
ür die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Dieeutige Debatte ist zum einen dem Bundestagswahl-ampf geschuldet, zum anderen habe ich den Eindruck,ass insbesondere bei den Grünen allmählich ankommt,ass sich das Blatt in Sachen Kernenergie wendet. Derollege Hirte hat den früheren Greenpeace-Direktortephen Tindale zitiert. Das Bemerkenswerte an dem Zi-at ist nicht, dass er von seiner Meinung gesprochen hat,ondern das Entscheidende ist, dass er auf die wach-ende Zahl von Umweltschützern hingewiesen hat, dieagen, Kernkraft sei vielleicht nicht ideal, aber besser alser Klimawandel.
s lassen sich eine ganze Reihe von Zeugen aus diesemmfeld finden. Da gibt es zum Beispiel Chris Goodall,in britischer Grüner, also einer von Ihrer Couleur, undtliche andere.
Mir war klar, dass Sie jetzt diesen Zwischenruf brin-en.Ich führe aber jetzt einen ganz anderen an, weil dererr Bundesumweltminister dazu einige Bemerkungenemacht hat, nämlich den Ausstiegskanzler Gerhardchröder. Er hat am 21. Februar 2009 gesagt, der Iranabe das Recht auf die friedliche Nutzung der Kernener-ie. Jetzt frage ich mich, wie das mit dem kompatibel ist,as vorhin der Bundesumweltminister in Bezug aufchurkenstaaten und zum Thema atomwaffenfähigesaterial gesagt hat. Wie geht denn das zusammen?
chröder war immerhin der Kanzler der rot-grünen Ko-lition. Dass Ihnen das nicht gefällt, meine Damen underren, ist mir klar. Frau Höhn sagte vorhin, Schwedenabe kurz vor dem Super-GAU gestanden;
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Dr. Georg Nüßleindeshalb müsse Deutschland aus der Atomenergie aus-steigen. Da frage ich mich, warum die Konsequenz ausdiesem angeblichen Super-Gau in Schweden der Wie-dereinstieg ist. Das ist doch etwas, was man sich beimallerbesten Willen nicht erklären kann.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Höhn?
Ja.
Herr Nüßlein, Sie haben eben auf Schweden hingewie-
sen und gesagt, Schweden habe die Konsequenz gezogen,
nach dem Fast-Super-GAU wieder in die Atomkraft ein-
zusteigen. Können Sie bestätigen, dass Schweden eine
schwarz-gelbe Regierung hat, und damit der Bevölkerung
hier deutlich machen, was kommen würde, wenn wir
nach der Bundestagswahl Schwarz-Grün hätten, nämlich
ein Einstieg in die Atomkraft?
– Schwarz-Gelb natürlich.
Liebe Frau Kollegin, ich weiß nicht, was uns
Schwarz-Grün an dieser Stelle bringen würde. Dieses
Szenario hier auszubreiten, würde – so gern ich es tun
würde – den Rahmen sprengen.
Natürlich ist das eine energiepolitische Entscheidung
einer solchen Koalition. Die Koalition dort vertritt die
Bevölkerung. Wenn das, was Sie behauptet haben, wahr
wäre – dass man dort tatsächlich vor einem GAU gestan-
den hat –, dann wäre es – da bin ich mir sicher – völlig
egal gewesen, welche politische Farbe eine Koalition
hat. Sie würden unter solchen Umständen nichts zu-
stande bringen. Ich sage Ihnen ganz offen: Ich glaube
nicht, dass das mehrheitsfähig wäre; es wäre hier wie
dort nicht durchsetzbar. Damit möchte ich nur zeigen,
wie sehr Sie mit dem, was Sie an dieser Stelle immer be-
haupten, überzeichnen.
Das zeigt sich durchgängig auch in Ihren Anträgen. In
Bezug auf Krümmel und Brunsbüttel sprechen Sie, die
Grünen, tatsächlich von Störfällen, obwohl Sie genau
wissen, dass das, was dort geschehen ist, nach der inter-
nationalen achtstufigen INES-Skala der Stufe 0 ent-
sprach,
also einem Ereignis ohne Bedeutung; das ist klipp und
klar festzustellen. Sie wollen das Ganze natürlich inte-
ressegeleitet hochstilisieren, um Stimmung zu machen.
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o ist meine Auskunft.
o muss ich das an dieser Stelle weitergeben. So habenir es recherchiert. Dass Ihnen das nicht gefällt, ist keinrund, die INES-Skala zu ändern, Frau Höhn.
Es stimmt doch, dass sich Ihr Sprachschatz in diesemusammenhang aus Wörtern wie „Risiken“, „Terror“,Lebensgefahr“ und „unverantwortlich“ zusammensetzt.ch muss an das anknüpfen, was der Kollege Kauch vor-in schon gesagt hat. All das, was Sie jetzt sagen, habenie schon gesagt, bevor Sie in Regierungsverantwortungamen. Dann haben Sie beschlossen, dass die Kernreak-oren in diesem Land noch maximal 20 Jahre laufen dür-en. Ihr Beschluss! In Ihrer Regierungszeit waren Sielso plötzlich der Meinung: Die Kernenergie ist für dieächsten 20 Jahre ungefährlich und akzeptabel.
Kompromiss oder nicht Kompromiss: Wenn wir dereinung wären, dass das Ganze tödlich, lebensgefähr-ich, von Terrorrisiken nicht abschirmbar ist, dann wür-en wir dort sofort aussteigen.
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Dr. Georg NüßleinIm Übrigen haben Sie mit der „Vereinbarung zwi-schen der Bundesregierung und den Energieversor-gungsunternehmen vom 14. Juni 2000“ – ich habe sieda; vielleicht wollen Sie sie noch einmal anschauen – et-was anderes unterschrieben. In dieser Vereinbarung wirdden deutschen Kernkraftwerken explizit ein hohes Si-cherheitsniveau attestiert. Ich wiederhole: Sie habendiese Vereinbarung unterzeichnet.
Herr Kollege, Herr Kollege Kauch von der FDP-Frak-
tion würde gern eine Zwischenfrage stellen. Gestatten
Sie diese?
Gern.
Herr Kollege, bei aller grundsätzlichen Übereinstim-
mung möchte ich Sie fragen, ob es nicht hilfreich wäre
– auch im Hinblick darauf, die Akzeptanz der Kernener-
gie als Übergangsenergie zu sichern –, sich mit Fragen
der Reaktorsicherheit aktiv auseinanderzusetzen. Wir
können nicht so tun, als gäbe es keine Gefahren, als gäbe
es keine Störfälle in deutschen Kernkraftwerken. Es ist
wichtig, dass wir uns mit diesen Fragen seriös auseinan-
dersetzen und diese Punkte nicht in diesen Schlagab-
tausch einbinden.
Niemand sagt, dass wir das nicht tun. Wir tun es auch.
Wir haben immer gesagt: Kernenergie muss ein hohes
Sicherheitsniveau einhalten. Das ist ganz entscheidend.
Im Umweltausschuss haben wir zum Beispiel den Aus-
stieg aus Euratom abgelehnt – den die Grünen gefordert
haben –, weil wir der Meinung sind: Angesichts der Tat-
sache, dass sich immer mehr Staaten um uns herum wie-
der für die Kernenergie entscheiden, müssen wir das ko-
ordinieren. Dass dabei die nationale Sicherheit ein
Thema ist, ist klar. Aber das, was um uns herum passiert,
muss uns auch deshalb bewegen – das ist an der Stelle
ganz wesentlich –, weil wir nicht sagen können:
Deutschland ist die Insel der Glückseligen; bei uns ist
das Sicherheitsniveau hoch, und was mit einem Kern-
kraftwerk auf der anderen Rheinseite ist, ist uns letztend-
lich egal.
Das ist auch die Problematik, über die wir hier disku-
tieren: Was bringt unter Sicherheitsgesichtspunkten der
deutsche Ausstieg aus der Kernenergie? Gar nichts,
meine ich. Wenn um uns herum Kernkraftwerke en
masse existieren und mit einer gewissen Wahrschein-
lichkeit auch noch neue gebaut werden, dann wird sich
an der Sicherheitslage für die Bürgerinnen und Bürger
nichts, aber auch gar nichts ändern.
In Deutschland sind nur Anlagen zulässig, von denen
keine Gefahren für Leben und Gesundheit ausgehen.
Das ist Atomrecht, das auch schon unter Rot-Grün ge-
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bgesehen von der Frage, ob man die an der Stelle als
ronzeugen nehmen soll: Wenn Sie sie als Zeugen an-
ühren, dann bitte nicht auch noch falsch und nur zu Ih-
en Zwecken!
Bei Ihnen, meine Damen und Herren, gilt der Grund-
atz: Der Zweck heiligt die Mittel. Deshalb argumentie-
en Sie mit Störfällen so, wie Sie es brauchen. Das ärgert
ich persönlich.
Mich als glühenden Anhänger der erneuerbaren Ener-
ien ärgert besonders, dass hier ein Gegensatz konstru-
ert wird. Das ist falsch. Herr Bundesumweltminister,
enn Sie sagen, erneuerbare Energien und Kernenergie
ingen nicht miteinander, dann verkennen Sie die Reali-
ät. Es funktioniert doch. Wir haben die erneuerbaren
nergien ausgebaut, beginnend mit dem Stromeinspeise-
esetz unter der Regierung Kohl über das EEG – ein gro-
es Verdienst von Rot-Grün; unbestritten – bis hin zu
essen aktueller Novellierung. Wir brauchen aber auch
rundlastfähige Kraftwerke. Grundlast liefern nun ein-
al die Kernenergie und die Kohle. Wenn man gegen
eides ist, muss man sagen, wofür man ist.
In nur einem Jahr haben die Bürgerinnen und Bürger
n diesem Land erlebt, wie nacheinander jeweils eine
cke des Zieldreiecks, das wir hier immer beschwören,
ichtiger geworden ist: zunächst der Klimaschutz, dann
er Preis, als nämlich die Wirtschaft geboomt hat, und
ann die Verlässlichkeit, als Russland den Gashahn zu-
edreht hat. Das sensibilisiert die Leute. Wir werden er-
eben – davon bin ich überzeugt –, dass ein Umdenken
insetzt und zu Umfrageergebnissen führt, die dem Bun-
esumweltministerium nicht passen.
Vielen, herzlichen Dank.
Nächster Redner ist für die SPD-Fraktion der Kollegearco Bülow.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Damen und Her-
ren! Wir brauchen einen nachhaltigen Umbau unseres
Energiesystems. Am Ende muss stehen: Unser Energie-
system ist höchst effizient und basiert zu 100 Prozent auf
erneuerbaren Energien. Ich glaube, das ist die wichtigste
Botschaft; diese sollte man immer wieder an den Anfang
setzen. Alles andere wäre klimaschädlich und umwelt-
schädlich. Aber nicht nur das: Es wäre auch wirtschaft-
lich und sozial nicht verträglich.
Wir alle wissen ja, dass die fossilen Ressourcen – das
gilt übrigens auch für Uran – endlich sind, sogar sehr
endlich, wenn wir in Zukunft mehr davon verbrauchen.
Wir wissen auch, dass wir von vielen dieser Ressourcen
abhängig sind und eine Abhängigkeit von Ländern, in
denen Risikoregierungen herrschen, auch für uns ein Si-
cherheitsrisiko darstellt.
Die Frage ist also eher: Wie lange brauchen wir für
den Umstieg auf ein anderes Energiesystem, und aus
welchem Energieträger steigen wir zuerst aus? Die So-
zialdemokratie beantwortet den zweiten Teil der Frage
damit, dass wir insbesondere aus der hochriskanten
Atomtechnologie aussteigen sollten. Ich erinnere daran,
dass es sich bei der Vereinbarung zum Atomausstieg,
die ja gerade auch von Ihnen, Herr Nüßlein, noch einmal
dargestellt worden ist, um einen Kompromiss handelt.
Ich gehörte zu denjenigen, die früher aussteigen wollten,
und viele in meiner Partei ebenso.
Wir haben uns aber zusammengesetzt, weil wir einen
friedlichen Übergang haben wollten, und haben einen
Kompromiss geschlossen. Wir stehen so lange zu dem
Kompromiss, wie das die Atomindustrie auch tut. Sie ist
jedoch diejenige, die jeden Monat, fast sogar jede Woche
mit Sprüchen und Ankündigungen versucht, einen Bei-
trag zur Aufkündigung dieses Kompromisses zu leisten.
Wenn sie ihn aufkündigt, werden auch wir ihn aufkündi-
gen. Das steht so fest wie das Amen in der Kirche. Das
werden wir immer wieder deutlich machen.
Ich bin es auch leid, immer wieder dagegen anzure-
den, wenn diese falschen Versprechungen, diese Lügen,
die von der Atomlobby vorgebracht werden, für bare
Münze genommen werden. Herr Minister Gabriel hat ja
gerade ein gutes Beispiel gebracht. 1990 – so lange ist
das ja noch nicht her – hat der Informationskreis Kern-
energie verlautbaren lassen, dass ein Anteil der Wind-
energie an der Stromerzeugung in Deutschland von mehr
als 0,9 Prozent technisch unmöglich sei. Deren Anteil
beträgt jetzt 7 Prozent. Das haben wir in kurzer Zeit ge-
schafft. Wir werden noch viel mehr schaffen.
Dann kommt die nächste Lüge gegen die erneuerba-
ren Energien, nachdem sie jetzt einen gewissen Anteil
haben und man sie nicht mehr ganz verteufeln kann.
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s ist aber gut, dass sich da etwas verändert hat.
Nun wird also gegen die Erneuerbaren vorgebracht:
a, aber der Wind weht nicht immer, die Sonne scheint
icht immer; eine sichere Versorgung bekommen wir nur
in, wenn wir auf Atomenergie zurückgreifen können.
uch das stimmt nicht. Es gibt zum einen viele Kraft-
erke auf Basis fossiler Energieträger, die dazu ihren
eitrag leisten können, und zum anderen – darauf hat
och kein Redner hingewiesen – gibt es die Möglichkeit,
erschiedene Arten erneuerbarer Energien in Kombi-
raftwerken zusammenzuschließen.
enn wir das fördern, werden wir sehen, dass durch das
usammenwirken verschiedenster erneuerbarer Ener-
ien auch der Grundlaststrombedarf abgedeckt werden
ann. Darüber müssen wir eine Diskussion führen; denn
abei geht es um Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit.
Ich könnte noch auf viele weitere Geschichten einge-
en. Über Asse ist ja schon viel diskutiert worden. Es
andelt sich natürlich auch um eine typische Atomlüge,
enn gesagt wird, die Asse sei sicher. Diese Reihung
önnte man noch deutlich weiterführen. Aber zur Asse
st, wie ich denke, genügend gesagt worden.
Herr Kollege Bülow, darf ich Sie unterbrechen? Herr
ollege Fell hätte gerne eine Zwischenfrage gestellt.
Bitte schön.
Herr Kollege Bülow, ich fand es sehr bemerkenswert,ie vehement Sie für erneuerbare Energien sprechennd dass Sie dargestellt haben, dass im Zusammenhangit erneuerbaren Energien nicht wirklich ein Grundlast-roblem besteht. Ich stimme Ihnen völlig zu, dass manieses Problem auch innerhalb des Systems der erneuer-aren Energien lösen kann, da deren Wachstumsge-chwindigkeit ja sehr hoch ist.Ich möchte Sie nun fragen: Warum spricht Ihr Minis-er Gabriel nicht solche Worte? Er spricht davon, dasser Anteil erneuerbarer Energien bis 2020 maximal0 Prozent betragen könne, obwohl wir wissen, dass de-en Wachstumsgeschwindigkeit wesentlich höher liegt.r spricht weiterhin davon, dass man im Rahmen desusbaus erneuerbarer Energien Kohlekraftwerke, ob-ohl diese das Klima zerstören, zur Abdeckung der
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Hans-Josef FellGrundlast bräuchte. Ich bin verwirrt über diese Darstel-lungen vonseiten eines SPD-Ministers. Welcher wirkli-chen Erkenntnis folgt denn nun die SPD?
Die Erkenntnis der SPD und genauso die des Minis-ters ist, dass wir die Erneuerbaren immer weiter fördernund ausbauen. Ich denke, es ist wichtig, auch das nocheinmal zu erwähnen. Viele von den Grünen haben ja be-fürchtet, dass es unter einer Großen Koalition zu einemAbbruch bei der Entwicklung der Erneuerbaren komme.Genau das ist nicht der Fall. Die Erneuerbaren sind wei-ter ausgebaut worden, und zwar unter Schwarz-Rot, unddieser Ausbau wird fortgeführt.Wir diskutieren gerade darüber – übrigens zusammenmit dem Ministerium; hier gibt es schon in weiten TeilenEinigkeit –, einen Kombikraftwerkbonus zu installieren,um erstens die Marktintegration der Erneuerbaren zufördern und zweitens dazu beizutragen, dass auf dieseWeise auch Grundlast bereitgestellt wird. Es gibt an die-ser Stelle eine große Einigkeit in der SPD und auch eineAnnährung von SPD und Union. Die Große Koalition istalso auf einem guten Weg, den wir gemeinsam mit demBundesministerium weitergehen werden.
Ich möchte jetzt auf das Argument „Atomenergie istso billig“ – auch das ist schon angesprochen worden –eingehen. Dieses Argument lässt sich mit einem Satzwegwischen. Ich frage mich: Wenn Atomkraft so billigist, warum haben dann die Bürgerinnen und Bürgernichts davon? Die Atomenergie hat in Baden-Württem-berg den höchsten Anteil an der Stromerzeugung, näm-lich 55 Prozent. Der Strompreis in Baden-Württembergmüsste also besonders günstig sein. Das ist er aber nicht.Das Gleiche lässt sich für Bayern sagen. Daran erkenntman: Atomkraft macht den Strompreis nicht günstiger.Das sollte man als Fakt festhalten.Als nächsten Fakt sollte man festhalten, dass bis jetzt– die Zahl ist je nach Rechenweise verschieden; gehenwir einmal von der untersten Grenze aus – 45 bis100 Milliarden Euro an Investitionen und Subventionender öffentlichen Hand in die Atomenergie geflossensind. Wenn in anderen Bereichen diese Summe mit solchgeringem Erfolg investiert worden wäre, hätte sich dasbetreffende Thema schnell erledigt.Es gibt keine Brennstoffsteuer. Für die Atomenergiegibt es die Möglichkeit, steuerfreie Rückstellungen inbeliebiger Höhe zu bilden. Außerdem wird nicht die ei-gentlich notwendige Versicherungssumme abgedeckt.Das sind versteckte Subventionen, die wir einmal offen-legen müssen. Erst dann lassen sich die eigentlichenKosten berechnen.Lassen wir einmal – das ist auch gefordert worden –die ganze Sicherheitsdiskussion beiseite. Tun wir einmalso, als wäre die Atomenergie supersicher und als würdenie etwas passieren, obwohl Herr Kauch gerade dan-kenswerterweise zugegeben hat, dass dem sicherlichnicht so ist. Seit 50 Jahren wird geforscht, gefördert,subventioniert, lobbyiert und alles dafür getan – inDeutschland sind, wie gesagt, 45 bis 100 MilliardenElw42zwggwifEnmgrwundweDUaüvswzfsuSJsvSntdmwEbCsDdgn
Die Atomenergie ist vor allem eines nicht: generatio-engerecht. Im Zusammenhang mit den Finanzen undit vielen anderen Themen wird viel über Generationen-erechtigkeit gesprochen. Ich denke, das ist zum Teil ge-echtfertigt. Aber was ist generationengerecht daran,enn wir bestimmen, dass die Atomenergie genutzt wirdnd so der strahlende Müll viele kommende Generatio-en belasten wird? Die Generationen, die zukünftigurch die Kosten und den Atommüll belastet werden,erden vorher nie die Chance gehabt haben, darüber zuntscheiden, ob sie Atomkraft haben wollen oder nicht.as ist nicht nur nicht nachhaltig, sondern die größtengerechtigkeit, die man den zukünftigen Generationenntun kann.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten lieberber das diskutieren, worüber es jetzt zumindest Ansätzeon Einigkeit gibt. Wir müssen unsere Effizienz deutlichteigern. Das ist aber bis jetzt nur ein Lippenbekenntnis,eil wir in diesem Punkt in der Großen Koalition nichtusammenkommen. Der alte Wirtschaftsminister – ichürchte, das wird auch beim neuen Wirtschaftsministero sein – hat uns Energieeffizienzgesetze vorgelegt, diens keinen Schritt weiterbringen. Wir brauchen aber eineteigerung der Energieproduktivität von 3 Prozent proahr, die wir im Augenblick leider nicht erreichen. Die-es Potenzial müssen wir stärker ausnutzen.Wir müssen den Ausbau der erneuerbaren Energienorantreiben. Da sind wir in der Großen Koalition eintück weitergekommen. Wir dürfen an dieser Stelleicht nachlassen. Gerade im Wärmebereich sind die Po-enziale sehr groß. Wir müssen außerdem dafür sorgen,ass immer mehr Energie eingespart wird, die im Mo-ent noch nutzlos verpulvert wird. Diesen Weg müssenir weiterverfolgen. Wir müssen effizienter werden,nergie einsparen und die erneuerbaren Energien aus-auen. Wenn wir das erreichen, haben wir eine sehr gutehance, ein Energiesystem auch ohne Atomenergie zuchaffen, das Sicherheit garantiert und zukunftsfähig ist.amit können wir weltweit zeigen, dass das der Weg ist,en man beschreiten kann und den auch andere einschla-en können. Dies sollte der Weg im Hinblick auf eineachhaltige Energiewende sein.Vielen Dank.
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Das Wort hat Philipp Mißfelder für die Fraktion der
CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Zunächst einmal möchte ich, ähnlich wie esschon andere Redner getan haben, auf den eigentlichenGrund dieser sehr ausführlichen Debatte am heutigenTage eingehen. Sie, Frau Kollegin Höhn, sowie IhreKolleginnen und Kollegen versuchen hier, Ihre Samm-lung von vielen Anträgen, über die wir schon seit Jahrendiskutieren und zu denen Sie und wir schon oft hier imHause gesprochen haben, im Vorwahlkampf zu platzie-ren. Um nichts anderes geht es hier. Es geht Ihnen nichtum die Sache,
sondern darum, die schlechten Umfragewerte der Grü-nen dadurch zu konterkarieren, dass Sie zu Ihren Wur-zeln zurückkehren. Deshalb tragen Sie heute diese vielenAnträge vor.
Am erstaunlichsten finde ich dabei, dass das nicht nurfür uns offensichtlich ist, sondern auch für jeden anderendadurch sichtbar wird, dass nur noch eine sehr erleseneSchar von Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion an-wesend ist. Wenn Ihnen das alles so wichtig ist, wie Siesagen, dann frage ich mich: Wo sind die alle von denGrünen? Warum sind nur so wenige da, wenn ihnen dasThema so am Herzen liegt, wie Sie es die ganze Zeit inIhren Reden behauptet haben und wie es an Ihren Zwi-schenrufen deutlich wird?
Vielleicht haben sie Besseres zu tun, als an dieser De-batte teilzunehmen.
Das Zweite, was ich im Verlauf dieser Debatte sehrinteressant fand, war die Richtung, in die der Bundesum-weltminister argumentiert hat. Man wusste gar nicht,wohin er wollte. Wohin er in der Sache will, daran habeich keinen Zweifel; das ist bekannt. Man wusste abernicht, welche Richtung er im Hinblick auf die Farben-spiele einschlagen wollte. Es ist nicht überraschend, dasser die CDU/CSU – ich nehme meine liebe KolleginReiche in Schutz, die der Bundesumweltminister in sei-nen Schlussausführungen explizit angesprochen hat –angegriffen hat. Ein bisschen mehr überrascht mich, dassagStKgiggDBPstgvdsdKhzOiEpSkEgüDdWDsani
ie werden ja ansonsten von der SPD bei jeder sich bie-enden Gelegenheit umgarnt. Es wurde also der Großenoalition eine Absage erteilt, und die Ampel wackelte.Noch mehr erstaunt hat mich das Feuerwerk, das ge-en die Positionierung der Grünen abgebrannt wordenst. Das kann nun wirklich nicht auf taktischen Überle-ungen beruhen, sondern nur auf rein sachlichen Überle-ungen.
em möchte ich mich anschließen; denn ich bin wie derundesumweltminister dezidiert der Meinung, dass Sieolemik betrieben und keinen Schritt in Richtung einertärkeren Versachlichung der Debatte gemacht haben.
Ich möchte auf einiges eingehen, was Sie in Ihren An-rägen dargestellt haben; Sie sind darauf sehr wenig ein-egangen. Zum Beispiel schlagen Sie anderen Ländernor, Energie zu sparen, um den Klimawandel abzumil-ern. Dabei nennen Sie explizit auch die osteuropäi-chen Länder. Ich frage Sie ganz konkret: Wie soll dasenn bitte vonstattengehen? Sie sagen, sie sollten dieernkraftwerke abschalten. Dadurch würden sie aber inohem Maße auf ihren erreichten Lebensstandard ver-ichten. Wissen Sie eigentlich, wie sich insbesondere insteuropa die wirtschaftliche Situation angesichts dernternationalen Wirtschafts- und Finanzkrise darstellt?s ist eine Katastrophe, was gerade in diesen Ländernassiert.
ie sagen dann mit der Arroganz des Wohlstands: Das istein Problem. Das interessiert uns nicht; sollen die dochnergie sparen. – Dazu muss ich Ihnen ganz ehrlich sa-en: An dieser Stelle verstehe ich Ihre Argumentationberhaupt nicht mehr.
Ich möchte den Bogen direkt zur innenpolitischenebatte in Deutschland schlagen. Sie sagen immer wie-er:
ir müssen mehr in erneuerbare Energien investieren. –as tun wir auch. Das tut die Regierung. Da haben wirehr viel erreicht, im Übrigen auch im Konsens mit fastllen Fraktionen. Aber es ist trotzdem so, dass dies zu-ehmend auch eine soziale Qualität bekommt; denn esst immer noch nicht geklärt, wer die Kosten dafür letzt-
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Philipp Mißfelderendlich tragen soll. Wer soll den Ausbau der erneuerba-ren Energien um jeden Preis bezahlen?
Ich kann nicht verstehen, warum Sie sich da festbei-ßen und nur in Richtung einer Verteuerung der Energie-preise in Deutschland argumentieren, was besonders dieMenschen in unserem Land treffen würde, die wenigverdienen, aber noch zu viel, um vom Staat alimentiertzu werden.
Das kann ich einfach nicht unterstützen. Für mich ist daseine soziale Frage. Wir müssen auch in Zukunft Energie-preise haben, die für Bezieher niedriger Einkommen be-zahlbar sind.
Von mehreren Rednern wurden hier prominente Ver-treter der grünen Bewegung aus der ganzen Welt ange-führt. Der frühere Greenpeace-Chef ist hier schon mehr-fach zitiert worden; auch ich will das tun.
Herr Mißfelder, wollen Sie vielleicht, bevor Sie das
tun, Frau Bulling-Schröter Gelegenheit zu einer Zwi-
schenfrage geben?
Ja, sehr gern.
Bitte schön.
Herr Mißfelder, Sie haben über soziale Energiepreise
gesprochen. Ich denke, das ist ein wichtiges Thema. Da-
mit müssen wir uns wesentlich mehr beschäftigen. Es
freut mich, dass Sie das angesprochen haben.
Meine Frage an Sie lautet: Wir haben uns ja schon des
Öfteren über Windfall Profits unterhalten. Die Energie-
konzerne erhalten 91 Prozent der Zertifikate kostenlos.
Sie preisen sie allerdings ein, geben die Preise also wei-
ter.
Das wird vonseiten der Bundesregierung nicht bestritten.
Das sind Sonderprofite. Einen Teil davon könnten wir
nutzen, um die sozialen Energiepreise zu gestalten. Von
unserer Seite gab es dazu eine ganze Reihe von Anträ-
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ch wünsche mir natürlich mehr Wettbewerb und einentärkeren Markt, auch im Bereich der Energieversor-ung.
ch sage aber auch, dass wir Investitionen nicht durchine falsche Gesetzgebung verhindern dürfen. Es wärealsch, wenn wir in der Politik die Richtung einschlagenürden, die Sie fordern. Wir müssen vielmehr für unse-en Standort werben und dafür sorgen, dass dieser Stand-rt so attraktiv ist und die Investitionshürden so geringind, dass wir in Deutschland das Bestmögliche und dasechnologisch Wirksamste haben. Wir brauchen tatsäch-ich die beste Technologie im Bereich der Energie.
ch glaube, dass das sozialer ist, als eine Umverteilungs-aschinerie in Gang zu setzen. Eine solche Forderungst angesichts der Geschichte Ihrer Partei allerdings nichterwunderlich. Sie überraschen mich damit kaum.
Jetzt möchte ich mich aber doch noch einmal mit demntragsteller, den Grünen, beschäftigen. Frau Höhn, Sieaben hier gerade aktiv für eine schwarz-grüne Koopera-ion geworben. Anscheinend ist Ihr Herz von dieser ver-eintlichen Option so voll, dass Ihnen das rausgerutschtst. Ich muss Sie aber enttäuschen: Das wird so nichtunktionieren. Dafür müssten Sie realitätsnäher werden.ie müssten sagen, wie Sie die Energiepolitik in Zukunftestalten wollen.
Ich rate Ihnen, sich in den von Ihnen bevorzugten Ur-aubszielen einmal umzuschauen. Ich meine nicht Sieersönlich. Ich weiß nicht, wohin Sie in Urlaub fahren,nd ich will es auch nicht wissen. Sie sollten aber einmal
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Philipp Mißfeldergenau hinschauen, was die bevorzugten Urlaubsdomizileder Grünen sind. Lieblingsurlaubsziele der Grünen sind– die Toskana nenne ich jetzt nicht – Schweden undFinnland.
Schauen Sie sich in diesen Ländern einmal an, was dortpassiert. Dort gibt es eine Renaissance der Kernenergie,weil diese Länder keine Abhängigkeit vom Gas ausRussland wollen, weil sie eine sichere und preisgünstigeEnergieversorgung wollen und weil sie auch in Zukunftgegen den Klimawandel angehen wollen. Das geht nuneinmal nur, wenn Sie die Kernenergie als Option erhal-ten – nicht ausschließlich; aber sie darf nicht vernachläs-sigt werden.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Damit ist die Aussprache geschlossen.Zwischen den Fraktionen ist verabredet, die Vorlagenauf den Drucksachen 16/12288 und 16/10359 an dieAusschüsse zu überweisen, die in der Tagesordnung auf-geführt sind. – Damit sind Sie offensichtlich einverstan-den. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitzu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mitdem Titel „Alte Atomkraftwerke jetzt vom Netz neh-men“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-fehlung auf Drucksache 16/7882, den Antrag der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/6319abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? –Die Gegenstimmen? – Die Enthaltungen? – Damit ist dieBeschlussempfehlung angenommen bei Zustimmung derKoalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion und Gegen-stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und derFraktion Die Linke.Ich komme zur Beschlussempfehlung des Ausschus-ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zudem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mitdem Titel „Sicherheit geht vor – Besonders terroranfäl-lige Atomreaktoren abschalten“. Der Ausschuss emp-fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache16/8469, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen auf Drucksache 16/3960 abzulehnen. Wer stimmt fürdie Beschlussempfehlung? – Die Gegenstimmen? – DieEnthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit demgleichen Stimmverhältnis wie die vorherige angenom-men.Ich komme zur Beschlussempfehlung des Ausschus-ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zudem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit demTist1fDKngszmeRsdDstmGnu
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zurÄnderung des Direktzahlungen-Verpflichtun-gengesetzes– Drucksache 16/12117 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zurÄnderung des Gefahrgutbeförderungsgesetzes– Drucksache 16/12118 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitc) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhe-bung der Freihäfen Emden und Kiel– Drucksache 16/12228 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklungd) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zurÄnderung des Gesetzes zur Errichtung einerStiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche In-stitute im Ausland, Bonn– Drucksache 16/12229 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und
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Vizepräsidentin Katrin Göring-EckardtTechnikfolgenabschätzung
Auswärtiger AusschussAusschuss für Kultur und Medienf) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zurÄnderung des Gesetzes zur Durchführung derGemeinsamen Marktorganisationen und derDirektzahlungen– Drucksache 16/12231 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
RechtsausschussAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Uniong) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergän-zung behördlicher Aufgaben und Kompetenzenim Bereich des wirtschaftlichen Verbraucher-schutzes– Drucksache 16/12232 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
InnenausschussRechtsausschussh) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errich-tung eines Sondervermögens „Vorsorge fürSchlusszahlungen für inflationsindexierte Bun-
– Drucksache 16/12233 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschussi) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu demZweiten Protokoll vom 26. März 1999 zurHaager Konvention vom 14. Mai 1954 zumSchutz von Kulturgut bei bewaffneten Kon-flikten– Drucksache 16/12234 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Kultur und Medienj) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu demStabilisierungs- und Assoziierungsabkommenzwischen den Europäischen Gemeinschaftenund ihren Mitgliedstaaten einerseits und Bos-nien und Herzegowina andererseits– Drucksache 16/12235 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
InnenausschussVerteidigungsausschussAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
gebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zurÄnderung von Verbrauchsteuergesetzen– Drucksache 16/12257 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschuss gemäß § 96 GOl) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung medizinprodukterechtlicher Vorschriften– Drucksache 16/12258 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit
RechtsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugendm)Beratung des Antrags der Abgeordneten PatrickDöring, Horst Friedrich , JoachimGünther , weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDPVerkehrsschilder reduzieren – Verkehrssicher-heit bewahren– Drucksache 16/10612 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Tourismusn) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. AntonHofreiter, Winfried Hermann, Peter Hettlich, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENMehr Sicherheit auf deutschen Straßen – Mas-terplan Vision Zero– Drucksache 16/11212 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Gesundheito) Beratung des Antrags der Abgeordneten PatrickDöring, Angelika Brunkhorst, Hans-MichaelGoldmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der FDPAusbauziele der Offshore-Windenergie nichtgefährden – Raumordnungsplanung des Bun-des überarbeiten– Drucksache 16/11214 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitp) Beratung des Antrags der Abgeordneten WinfriedHermann, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer
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Vizepräsidentin Katrin Göring-EckardtAbgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENBahnstrom auf erneuerbare Energien umstel-len– Drucksache 16/11930 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
RechtsausschussAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitq) Beratung des Antrags des Präsidenten des Bun-desrechnungshofesRechnung des Bundesrechnungshofes für dasHaushaltsjahr 2008– Einzelplan 20 –– Drucksache 16/12091 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschussr) Beratung des Antrags der Abgeordneten UndineKurth , Cornelia Behm, UlrikeHöfken, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENStärkung des europäischen Haischutzes– Drucksache 16/12290 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
Ausschuss für GesundheitAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-fahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Rege-lung der Verständigung im Strafverfahren– Drucksache 16/12310 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Innenausschussb) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Hermann Otto Solms, Rainer Brüderle, Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDPMaßnahmen zur effektiven Regulierung derFinanzmärkte– Drucksache 16/10876 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologietdüFZgh
WelleZweite Fortschreibung der Aufgabenplanungder Deutschen Welle 2007 bis 2010 mit Per-spektiven für 2010 bis 2013undZwischenevaluation 2008– Drucksache 16/11836 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Kultur und Medien
Auswärtiger AusschussAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für TourismusHaushaltsausschussd) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungBericht der Bundesregierung zur Mitnahme-fähigkeit von beamten- und soldatenrechtli-chen Versorgungsanwartschaften– Drucksache 16/12036 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
RechtsausschussVerteidigungsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendHaushaltsausschussEs handelt sich um Überweisungen im vereinfach-en Verfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen anie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuberweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 40 a bis 40 j sowieusatzpunkt 3 auf. Es handelt sich um Beschlussfassun-en zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgese-en ist.Tagesordnungspunkt 40 a:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-nen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge-setzes zur Änderung der Strafprozessordnung –Erweiterung des Beschlagnahmeschutzes beiAbgeordneten– Drucksache 16/10572 –Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses
– Drucksache 16/12314 –Berichterstattung:
Christine LambrechtJörg van EssenWolfgang NeškovićJerzy Montag
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Vizepräsidentin Katrin Göring-EckardtDer Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 16/12314, den Gesetzent-wurf auf Drucksache 16/10572 in der Ausschussfassunganzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, umdas Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-gen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung ein-stimmig angenommen.Ich komme zurdritten Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen Kollegin-nen und Kollegen, die dem Gesetzentwurf zustimmenwollen, aufzustehen. – Die Gegenstimmen? – Die Ent-haltungen? – Der Gesetzentwurf ist auch in dritter Bera-tung einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 40 b:Zweite Beratung und Schlussabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zu dem Stabilisierungs- undAssoziierungsabkommen zwischen den Euro-päischen Gemeinschaften und ihren Mitglied-staaten einerseits und der Republik Montene-gro andererseits– Drucksache 16/12064 –Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti-gen Ausschusses
– Drucksache 16/12305 –Berichterstattung:Abgeordnete Philipp MißfelderUta ZapfDr. Werner HoyerMonika KnocheMarieluise Beck
Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Be-schlussempfehlung auf Drucksache 16/12305, den Gesetz-entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12064anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-wurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Die Gegen-stimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzent-wurf bei Zustimmung der CDU/CSU, der SPD, desBündnisses 90/Die Grünen und der FDP und bei Ableh-nung der Fraktion Die Linke angenommen.Tagesordnungspunkt 40 c:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit zu derVerordnung der BundesregierungZweite Verordnung zur Änderung der Alt-fahrzeug-Verordnung– Drucksachen 16/12106, 16/12181, 16/12313 –Berichterstattung:Abgeordnete Michael BrandGerd BollmannHorst MeierhoferldWgsCEsPtntatKDotCDL
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Die Menschen draußen werden sich sehr gut überle-gen, wie sie das zu bewerten haben.Angesichts der Wettbewerbssituation in Europa undder Verpflichtung des Gesetzgebers, unseren Unterneh-men durch die Schaffung fairer Wettbewerbsbedingun-gen zu helfen, fordert die FDP klipp und klar die Einfüh-rung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes von 7 Prozentfür Hotellerie und Gastronomie.
Liebe Freunde von der Union, was Sie hier gerade lie-fern, ist kein wohlschmeckendes Gericht. Der HerrSeehofer kündigt eine Bundesratsinitiative für diese Wo-che an und zieht sie wieder zurück.
Der Tourismusbeauftragte reist mit dieser Forderungdurch das Land, hat aber im eigenen Lager noch nichteinmal eine Mehrheit. Der baden-württembergische Fi-nanzminister Stächele spricht sich für den reduziertenMehrwertsteuersatz aus,
der baden-württembergische CDU-Abgeordnete Krichbaumlehnte ihn heute Morgen strikt ab. Wir erwarten jetzt vonIhnen eine Positionierung,
und wir erwarten von Ihnen, dass Sie endlich den mittel-ständischen und kleinen Familienbetrieben helfen unddass Sie heute klar signalisieren, dass der reduzierteMehrwertsteuersatz eingeführt werden wird!
Sie müssen das jetzt tun. Ich sage ganz deutlich: Wirwerden es Ihnen nicht durchgehen lassen,
dass Sie ein paar Leute vorschicken, die sagen dürfen,was sie wollen, und alle anderen zurückgepfiffen wer-den. Es geht um kleine mittelständische Familienunter-nehmen. Es geht um viele Hunderttausend Menschen,die in diesem Bereich Arbeit finden. Sie haben es in derHand, ob in diesem Bereich neue Arbeitsplätze entste-hen oder ob bestehende vernichtet werden.dMEdtCGCpdEBhwsbsdÄcsgIlAusw
Zweitens. Wir werden an der Reform der Lohn- undinkommensteuer arbeiten, sodass die Bürgerinnen undürger in unserem Land wieder mehr Geld in der Tascheaben werden.
Drittens. Im Rahmen der Unternehmensteuerreformerden wir Hemmschwellen beseitigen, die die wirt-chaftliche Entwicklung eines Unternehmens heutelockieren. Damit werden wir den Standort Deutschlandtärken.
Übrigens, Kollege Burgbacher: Eine Umsetzung ineutsches Recht kann bekanntlich erst im Rahmen einernderung der Mehrwertsteuerrichtlinie erfolgen.Der Ecofin-Rat ist übrigens dem sehr viel weiter rei-henden Vorschlag der tschechischen Ratspräsident-chaft nicht gefolgt, den ermäßigten Umsatzsteuersatzenerell auf Lieferung, Bau, Renovierung, Umbau undnstandhaltung von Wohnungen zur Anwendung zuzu-assen. Auch dies muss erwähnt werden.Die Forderung verschiedener Branchen nach einerktualisierung des Mehrwertsteuerkatalogs – dieser istmfassender, als dies Herr Kollege Burgbacher darge-tellt hat – ist für mich gut nachvollziehbar, da die über-iegende Zahl der aktuell geltenden Mehrwertsteuerer-
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Eduard Oswaldmäßigungen auf das Jahr 1968 zurückgeht undzwischenzeitlich das eine oder andere heute nicht mehrnachvollziehbar ist.Es besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass wir dasThema angehen müssen. Einzelne Beispiele machen diesdeutlich. Dass Pralinen und Gänseleber mit 7 Prozentbesteuert werden, Mineralwasser jedoch mit dem vollenMehrwertsteuersatz, versteht man ebenso wenig wie dieRegelung, dass man auf Futter für Haustiere 7 Prozent,für Babynahrung jedoch 19 Prozent entrichten muss.
Äpfel zum Essen werden ermäßigt besteuert. DerFruchtsaft – wenn man sie durch die Presse schickt –wird voll besteuert. Für Kaffee gilt Ähnliches. Kaffee-pulver wird mit 7 Prozent versteuert. Handelt es sich umKaffee, dann ist der volle Steuersatz fällig. Weitere Bei-spiele könnte man erwähnen.Wir brauchen – und dafür steht unsere Fraktion – einefür jeden Bürger verständliche Lösung, ein schlüssigesKonzept, das auch logisch ist. Der Bürger darf nicht erstim Katalog nachschauen müssen, wie nun versteuertwird. Es muss steuersystematisch richtig sein. Es wirddoch wohl zu schaffen sein, dass wir im Steuerrecht et-was hinbekommen, was nicht kompliziert ist.
Im Gastronomiebereich zeigen sich heute schon Wett-bewerbsverzerrungen in grenznahen Regionen. Durcheinen Mehrwertsteuersatz von nur 10 Prozent in Öster-reich und einem noch niedrigeren in der Schweiz werdenGaststätten, die gerade in den grenznahen Tourismusre-gionen in einem harten Wettbewerb stehen, unzumutbarbenachteiligt. Das steht außer Frage. Für mich persön-lich gilt auch: Wer es den EU-Nachbarn gestattet, dieMehrwertsteuer zu senken, muss auch für das eigeneLand eine Lösung erarbeiten.
Deshalb ist selbstverständlich auch die Frage nachden Auswirkungen auf den Haushalt zu stellen. Wir ha-ben in dieser Periode vieles geleistet, auch bei der Sanie-rung des Haushaltes. Manches, was heute in der Finanz-und Wirtschaftskrise getan werden muss, wäre ohnediese Sanierung nicht möglich.Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, zu sagen, dass wirbei einer Absenkung des Steuersatzes im Bereich derGastronomie Steuerausfälle in Höhe von rund 3 Milliar-den Euro zu verzeichnen hätten. Nimmt man den Be-reich Beherbergung dazu, fallen die Steuerausfälle ver-mutlich um 1 Milliarde höher aus. Arzneimittel würdenmit fast 4 Milliarden Euro, Mineralwasser mit 0,3 Milliar-den Euro, Kinderbekleidung und Schuhe mit 1 MilliardeEuro, Kinderspielzeug mit 0,5 Milliarden Euro zu Bucheschlagen. Damit habe ich einige der Felder beschrieben,bei denen von der Politik zu Recht etwas erwartet wird.Die Aufgabe ist also etwas umfassender, als vorhin dar-gestellt wurde.PgDssb–fMfWsFlWsmFAwdzGutmevsSd
ir werden das richtig machen, ohne einen Schnell-chuss abzugeben. Hier können Sie uns beim Wort neh-en.
Jetzt spricht die Kollegin Dr. Barbara Höll für die
raktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!n Ihren Taten sollt Ihr sie messen. Zum 1. Januar 2007urde der allgemeine Regelsatz der Mehrwertsteuerurch SPD und CDU/CSU von 16 Prozent auf 19 Pro-ent erhöht. Das war die größte Steuererhöhung in dereschichte der Bundesrepublik
nd eine der unsozialsten Maßnahmen. Das sind Ihre Ta-en.
Skandalöserweise haben Sie Teile der Mehreinnah-en durch die Steuererhöhung dann auch noch für Steu-rerleichterungen für Vermögende und Unternehmenerwendet. Die Linke sagt: Erhöhungen der Mehrwert-teuer sind sozial ungerecht. Die dadurch verursachteteuerbelastung ist natürlich umso stärker, je geringeras Einkommen der Menschen ist.
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Dr. Barbara HöllUm die unsoziale Wirkung Ihrer Steuererhöhung ab-zumildern, haben wir Ihnen hier bereits Vorschläge un-terbreitet, und zwar nicht für die letzten sieben Sitzungs-wochen, sondern schon vorher. Wir haben Ihnen fürdiese Wahlperiode den Vorschlag unterbreitet, denMehrwertsteuersatz auch für folgende drei Produktgrup-pen bzw. Dienstleistungen zu ermäßigen: Waren undDienstleistungen für Kinder, apothekenpflichtige Medi-kamente und – das haben wir immer gefordert – arbeits-intensive Handwerksdienstleistungen.Es liegt doch auf der Hand: Eine solch große Senkungdes Mehrwertsteuersatzes von 19 Prozent auf 7 Prozent,die natürlich bei den Menschen auch ankommen muss,stellt gerade für die Bezieherinnen und Bezieher vonTransferleistungen eine Entlastung dar. Sie wissen, dassüber 2 Millionen Kinder und Jugendliche in der Bundes-republik von Hartz IV und Sozialhilfe leben müssen. Fürsie wäre das eine Entlastung.
Es wäre auch gut, die Kosten für arbeitsintensiveHandwerksdienstleistungen zu verringern, um auch vonder Ideologie der Wegwerfgesellschaft wegzukommen,sodass es sich wieder lohnt, Produkte reparieren zu las-sen. Das ist eben arbeitsintensiver als einfach etwaswegzuschmeißen und neu zu kaufen bzw. durch etwasNeues zu ersetzen.
Wir haben das auch für die apothekenpflichtigen Me-dikamente gefordert. Wie haben Sie sich verhalten? Ichgreife nur einmal unseren Antrag bezüglich der Produktefür Kinder heraus, über den hier im Februar des vergan-genen Jahres namentlich abgestimmt wurde. Alle hier imHause – bis auf zwei Abgeordnete von der CDU/CSU,die sich enthalten haben – waren nicht unserer Meinungund haben mit Nein gestimmt, und jetzt wird groß ge-tönt.
Um noch einmal darauf zurückzukommen, dass Siesich an Ihren Taten messen lassen sollen: Bereits diePDS war auf diesem Gebiet aktiv.
Sie werden es nicht glauben, aber lesen Sie das bitte ein-mal nach. Bereits im Jahr 1998 haben wir einen Antragmit dem Titel „Ermäßigter Mehrwertsteuersatz für ar-beitsintensive Leistungen“ in den Bundestag – damalsnoch in Bonn – eingereicht und gefordert, dass der da-malige Finanzminister auf europäischer Ebene aktivwerden sollte. Das haben wir nach der Neuwahl wieder-holt, nämlich gleich zu Beginn der 14. Wahlperiode.Auf EU-Ebene ist dann etwas geschehen. UnserDruck hier im Land hat leider nicht ausgereicht. AufEU-Ebene wurde aber zumindest ein Modellversuch ge-startet. Im Februar 2000 wurden die TeilnehmerstaatenfkgdwbsahtttfSssGtgPgaVsuasnbsstbFudD6
Schau an, was Sie heute tun! Sie sagten, es sei chao-isch und eine Flickschusterei. Nein, Sie als FDP verhal-en sich heute zu dem Thema einfach wie ein Trittbrett-ahrer. Sie haben in den vergangenen Jahren weder alsie in der Regierung waren noch in der Opposition tat-ächlich in dieser Richtung gehandelt,
ondern immer nur nebulös gefordert, man müsse dasanze noch einmal neu betrachten.Warten Sie nicht ewig, bis Sie eine Gesamtbetrach-ung vornehmen! Werden Sie jetzt endlich aktiv! Die EUestattet uns das. Ich finde, wir sind dann auch in derflicht, tatsächlich zu handeln. Wenn wir uns verständi-en, dass wir etwas tun wollen, dann können wir unsuch verständigen, was wir tun. Wir haben Ihnen unsereorschläge unterbreitet. Darin sind auch die arbeitsinten-iven Handwerksdienstleistungen enthalten. Man mussnter den Gegebenheiten, die sich jetzt neu entwickeln,uch diskutieren, wie mit dem Hotel- und Gaststättenwe-en und der Gastronomie zu verfahren ist. Eine Aufrech-ung von 100 Euro hier gegen 100 Euro da ist mir einisschen zu platt. Ich glaube, wir müssen in diesem Zu-ammenhang Schwerpunkte setzen.Am besten wäre es, Sie hätten Ihre große Mehrwert-teuererhöhung gar nicht erst vorgenommen. Dann hät-en die betroffenen Bürgerinnen und Bürger einige Pro-leme weniger.Ich danke Ihnen.
Die Kollegin Lydia Westrich spricht jetzt für die SPD-
raktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnennd Kollegen! Frau Höll, ich will nicht drum herumre-en: Die Umsetzung der Mehrwertsteuerermäßigung ineutschland würde allein für diesen Bereich mehr alsMilliarden Euro kosten.
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Lydia WestrichMehr als die Hälfte davon entfällt auf die Restaurantleis-tungen. Herr Burgbacher hat dies bereits angesprochen.Ich habe sehr viel Verständnis dafür, dass eine Bran-che, die Sie hier so gut vertreten haben, darauf hinweist,dass ihr die Finanzspritze gut täte. Ihr Fraktionsvorsit-zender Westerwelle hat heute früh festgestellt, dass dieErmäßigung auch eine gute Hilfe für den Mittelstand be-deuten würde.
Die Mehrwertsteuer ist aber – vielleicht wissen Sie oderweiß er das nicht – eine Verbrauchsteuer. Ermäßigungensollten dort spürbar werden, wo die Belastungen wirk-lich auftreten, nämlich beim Verbraucher. Als Pfälzerinfahre ich ebenso wie Sie ab und zu über die französischeGrenze, um im Elsass essen zu gehen. Das Essen ist dortaber nicht billiger, im Gegenteil.
Inzwischen kommen auch viele Franzosen über dieGrenze in unsere pfälzischen Restaurants, um dort her-vorragend und günstig zu essen.
Das Beispiel McDonalds mit den gleichen Preisen fürdie mit ermäßigtem Steuersatz belegte Ware außer Hausoder der mit normalem Steuersatz belegten dort verzehr-ten Ware ist bekannt. Sicherlich würde McDonalds auchnoch das Geld einstreichen, das es bei einer Mehrwert-steuerermäßigung für die im Lokal verzehrte Ware zu-sätzlich einnehmen würde. Das Unternehmen hat dieMehrwertsteuerermäßigung bisher nicht an die Kundenweitergegeben. Warum sollte es dies jetzt tun?
Alle Untersuchungen der Wirkungen ermäßigterMehrwertsteuersätze auf die Wirtschaftsaktivität, die Ih-nen so sehr am Herzen liegt, zeigen, dass dies nicht diewirksamste Maßnahme ist, aber den Staatshaushalt starkbelastet. Die Schaffung eines Arbeitsplatzes – selbst inder Gastronomie – durch die Ermäßigung des Mehrwert-steuersatzes kostet den Steuerzahler sage und schreibe60 000 Euro. Andere Fördermaßnahmen sind da sinn-voller.Einer Untersuchung zufolge haben zum Beispiel inBelgien bei Reparaturleistungen 87 Prozent der Dienst-leister die Steuerermäßigung als Gewinn einbehalten,statt sie an die Verbraucher weiterzugeben. In Griechen-land ist die Preisentwicklung in den ermäßigten Bran-chen mit der Preisentwicklung in anderen Sektoren Handin Hand gegangen. Die Ermäßigung hat sich nicht aufdie Verbraucherpreise ausgewirkt.In Spanien sind die Preise für Instandhaltung und Re-paraturen an Wohnungen, die eigentlich sinken sollten,sogar mehr als allgemein gestiegen.BäwFgdssfIr5ulwwedkzeuiddhlBlsEsDlAmeewsoSWBLsdmrd
ei Friseurleistungen ist die Entwicklung im Grundehnlich verlaufen.Die Untersuchung der Wirkung ermäßigter Mehr-ertsteuersätze bei häuslichen Pflegeleistungen inrankreich hat ergeben, dass sie keine oder nur sehr be-renzte Auswirkungen haben. In diesem Bereich betrugie Preisdifferenz bei einer Dienstleistung ohnehin zwi-chen 44 und 165 Prozent, sodass selbst eine Mehrwert-teuerermäßigung um 12,5 Prozentpunkte bei der Preis-indung nicht zu Buche geschlagen ist. Bei dernstandhaltung und Reparatur von Wohnungen in Frank-eich sind die Preise im ersten Jahr tatsächlich umProzent gefallen. Im nächsten Jahr sind sie aber wiederm 8 Prozent gestiegen. Das gilt auch für die Nieder-ande und Portugal.Ich könnte die Liste beliebig fortsetzen. Überall dort,o eine Mehrwertsteuerermäßigung vorgenommenurde, kam es zu ähnlichen Ergebnissen. Dabei handelts sich nicht um die erste und einzige Untersuchung, dieie Senkung der Mehrwertsteuersätze auf ihre Wirksam-eit überprüft hat. Alle Untersuchungen sind bislangum gleichen Ergebnis gekommen. Eine Mehrwertsteu-rsenkung ist nicht das am besten geeignete Instrument,m die Wirtschaftstätigkeit anzukurbeln – selbst nichtm Restaurantbereich –, Arbeitsplätze zu schaffen undie Schattenwirtschaft einzudämmen. Dafür verursachtieses Instrument im Verhältnis zu seiner Wirksamkeitohe Kosten, in diesem Fall 7 Milliarden Euro. Natür-ich wachsen dann die Begehrlichkeiten in anderenranchen; das hat Herr Oswald schon erklärt.Finanzminister Steinbrück hat im Interesse Deutsch-ands richtig gehandelt, als er dieses Instrument in Brüs-el abgelehnt hat.
s handelt sich hier um eine reine Subventionierung be-timmter Branchen. Das haben Sie auch deutlich gesagt.as kann man wollen. Auch unsere Tourismuspolitikeriebäugeln hin und wieder mit einer solchen Maßnahme.ber Sie von der FDP lehnen sonst Subventionen vehe-ent ab. Herr Westerwelle hat das heute erneut lautstarkrklärt. Gleichzeitig hat er aber eine Mehrwertsteuer-rmäßigung, also eine Subventionierung, gefordert. Ent-eder kennt er die Gutachten nicht, die einer Mehrwert-teuerermäßigung negative Auswirkungen bescheinigen,der diese Wendung in zwei, drei Sätzen – einmal gegenubventionen und dann wieder dafür – zeigt das ganzeirrwarr der Lösungsversuche der FDP, wenn es um dieewältigung der Wirtschaftskrise geht. Ich gehe vonetzterem aus.Wir von der Koalition haben für die steuerliche Ab-etzbarkeit haushaltsnaher Dienstleistungen gesorgt undie Möglichkeit eröffnet, Handwerkerrechnungen steuer-indernd geltend zu machen. Wir haben damit zielge-ichtet gehandelt. Den größten Effekt hat die von unsurchgesetzte Senkung der Arbeitskosten. Ich nenne des
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Lydia WestrichWeiteren die Umweltprämie und das Konjunkturpro-gramm zur Verbesserung der Infrastruktur. Die haben einVielfaches an Wirkung.
Frau Kollegin, Sie müssen dringend zum Schluss
kommen.
Noch einen Satz. – Frau Höll, das Schulbedarfspaket
für finanzschwache Familien, das wir bis zum 13. Schul-
jahr gewähren und auf Familien mit Kinderzuschlag aus-
weiten, kurbelt den Konsum direkt an. Das hilft den Fa-
milien. Das ist der richtige Weg und nicht eine
Mehrwertsteuerermäßigung; denn man weiß nicht, wem
sie zugutekommt.
Der Kollege Dr. Gerhard Schick hat jetzt das Wort fürdie Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Es ist interessant, wie Herr Burgbacher Mittelstandspoli-tik definiert. Offensichtlich besteht der deutsche Mittel-stand aus Hotellerie und Handwerk.
Sie sagen nicht, wie eine Mehrwertsteuerermäßigung ge-genfinanziert werden soll. Das bedeutet dann aber, dassdas aus dem allgemeinen Steueraufkommen bestrittenwerden muss. Dann müssen viele andere kleine undmittlere Unternehmen die Last tragen. Ihnen geht es nurum die Begünstigung einer kleinen Gruppe. Sie habenkeinen systematischen Ansatz. Wenn ihre Mittelstands-politik so aussieht, dann sollten wir mit Ihnen über Wett-bewerb und Mittelstand noch einmal gründlicher disku-tieren.
Vielleicht kann der neue Wirtschaftsminister, der sichals ordnungspolitischer Leuchtturm und Erbe LudwigErhards geriert, etwas zum System der Marktwirtschaftsagen. Für meine Fraktion kann ich nur sagen: Wir ver-stehen unter Marktwirtschaft etwas anderes als die Privi-legierung einzelner Gruppen.
Meine Damen und Herren von der FDP, Sie haben imOktober 2006 einen Antrag – Drucksache 16/3013 – ein-gebracht, in dem Sie auf das komplizierte Mehrwert-steuersystem verweisen. Sie stellen darin fest, diesessei laufend verändert und verkompliziert worden. Siefordern den Bundestag auf, eine Vereinfachung desMehrwertsteuersystems zu beschließen. Wunderbar! Sowtwk–zsfhWvngGIerehPnwSwusiddnisdgvhfhsshsAss
Ein weiterer Punkt ist Europa. Sie haben auf die ande-en europäischen Länder verwiesen. Entschuldigung, wirrleben doch gerade in der Finanzmarktkrise, dass esöchst problematisch gewesen ist, in den einzelnenunkten immer wieder auf die anderen zu hören und ge-au das nachzumachen, was die anderen machen, auchenn es schlecht ist. Genau damit sind wir an vielentellen auf die Nase gefallen. Es wäre doch gut gewesen,enn unser Finanzmarkt besser reguliert gewesen wärend wir nicht ständig auf Luxemburg oder Irland verwie-en hätten.Das gilt auch für das Steuersystem. Bloß weil anderehr Steuerrecht verkomplizieren, heißt das doch nicht,ass wir das auch machen müssen. Schauen Sie sichoch bitte noch einmal die Studie von Copenhagen Eco-omics an. Darin steht sehr deutlich, dass man natürlichn einem Bereich, in dem der Anteil der Schwarzarbeitehr hoch ist, steuerrechtlich eingreifen kann. In der Stu-ie steht aber auch: Prüfen Sie bitte die Alternativen.Dieser Punkt hat in Ihrer Argumentation wieder völligefehlt. Ich möchte nur daran erinnern, dass dieses Hausor ganz kurzer Zeit im Konjunkturpaket I beschlossenat, dass Handwerkerleistungen in einem größeren Um-ang steuerlich absetzbar sein sollen – diese Forderungaben wir schon seit längerem erhoben –, damit in die-em Bereich gerade die energetische Modernisierungtattfinden kann und dies auf legalem Wege erfolgt. Sieaben nichts dazu gesagt, dass genau in diesem Bereichchon etwas gemacht worden ist und was die sonstigenlternativen wären. Das war eine schwache Leistung.Eine Frage ist auch: Gibt es eine weiter gehende Per-pektive, die allgemein für die Märkte gilt? Wir Grünechlagen vor, gezielt im unteren Einkommensbereich die
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Dr. Gerhard SchickSozialabgaben zu senken. Das würde nicht nur einer be-stimmten Gruppe, die gerade der FDP auffällt, sondernallgemein der deutschen Wirtschaft eine Verbesserungbringen und die Schwarzarbeit wirksam bekämpfen. Ichwäre dankbar, wenn wir mehr ans Ganze denken würdenund nicht nur Teilbereiche im Blick haben.Ich würde mich auch freuen – das richtet sich jetzt andie Kollegen der Großen Koalition –, wenn man nichterst nach dreieinhalb Jahren Regierungsverantwortunganfängt, große Ansagen für die Zukunft zu machen, HerrKollege Oswald, sondern sich einmal fragt, was in dendreieinhalb Jahren gemacht wurde. Wir haben in einemArbeitsprozess angefangen, fraktionsübergreifend anFortschritten zur Änderung der Mehrwertsteuer zu arbei-ten. Dieser Prozess ist leider etwas eingeschlafen. Ichmöchte die Kolleginnen und Kollegen bitten, daran wei-terzuarbeiten, damit wir zu einer guten Reform des Ge-samtsystems Mehrwertsteuer kommen.Danke schön.
Manfred Kolbe spricht jetzt für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Kollege Burgbacher, das war eine klassischeLobbyrede,
mit der Sie der betroffenen Gruppe wahrscheinlich kei-nen großen Gefallen getan haben, weil dieses Manöverzu durchsichtig war. Sogar der Kollege Wissing, der jetztneben Ihnen sitzt, machte ein etwas gequältes Gesichtund hielt sich auch beim Beifall merklich zurück. Ichhabe das genau beobachtet. Das spricht für dich, VolkerWissing.
Was wir brauchen, Herr Burgbacher, ist eine Gesamt-konzeption, statt jedes halbe Jahr – wenn auch vernünf-tige – Einzelanträge zu stellen.
Ich sage ja nicht, dass Ihr Antrag unvernünftig ist. Es hatauch Anträge der Linken gegeben, den Mehrwertsteuer-satz auf Waren und Dienstleitungen für Kinder sowieArzneimittel zu senken. Auch diese waren im Kern nichtunvernünftig. Mir fallen Dutzende von Dingen ein, beidenen der ermäßigte Mehrwertsteuersatz berechtigtwäre. Aber am Ende müssten wir dann allen den ermä-ßigten Mehrwertsteuersatz mit der Konsequenz gewäh-ren, dass wir diesen dann auf 19 Prozent erhöhen müss-ten. Damit wäre niemandem gedient. Wir brauchen alsoein Gesamtkonzept.m2lDmgTunuIvcbrmDfJsrsslsDmbt
menschlichen Ernährung verwendeten Art, … aus-genommen Algen, Tange und Zuckerrohr
as ist nur ein Auszug aus der Liste der Produkte mit er-äßigtem Mehrwertsteuersatz.
Es gibt ein Schreiben vom BMF, Frau Kressl, wonachenießbare getrocknete Schweineohren, auch wenn alsierfutter verwendet, dem ermäßigten Umsatzsteuersatznterliegen, während getrocknete Schweineohren, dieicht für den menschlichen Verzehr geeignet sind,
nter den vollen Satz fallen. Das ist eine wahre Glanztathres Hauses. Das ist Stoff für Büttenredner im Karne-al. Das müssen wir beenden.
Es bestehen auch gravierende Bewertungswidersprü-he in dieser Liste: Warum werden Musik-CDs niedrigeresteuert als Babywindeln? Warum wird Tierfutter nied-iger besteuert als Arzneimittel? Warum werden Hum-er und Trüffel niedriger besteuert als Mineralwasser?
ies gibt alles keinen Sinn mehr, und wir sind hier ge-ordert, zumal sich die Problematik laufend verschärft.ede Mehrwertsteuererhöhung – wir haben eine be-chließen müssen – bedeutet natürlich eine Vergröße-ung des Abstandes zum ermäßigten Mehrwertsteuer-atz.Herr Burgbacher, nicht neue Ausnahmeregelungenind das Gebot der Stunde, sondern ein einfacheres undeistungsgerechteres Steuersystem und auch Mehrwert-teuersystem.
arüber müssen wir uns in der Tat ernsthaft Gedankenachen. Einzelfalllösungen führen uns nicht weiter, soerechtigt sie auch sein mögen. Die Gastwirte haben na-ürlich sehr gute Gründe.
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Manfred Kolbe
Aber ich denke nur an die letzte Änderung, die wir hierbeschlossen haben. Seinerzeit haben wir den Mehrwert-steuersatz für Seilbahnen und Skilifte ermäßigt.
– Ich darf hier einmal ein Geheimnis ausplaudern: Daswar in der Großen Koalition nicht ganz unumstritten.Aber hat uns dies weitergeführt? Ich glaube nicht, dasswir die Probleme, die unser Mehrwertsteuersystem mitsich bringt, dadurch gelöst haben.Wenn wir jetzt die Mehrwertsteuer für Gaststätten senk-ten, bekämen wir neue Probleme; dann stünden uns De-batten über den ermäßigten Steuersatz für Luxusrestau-rants im Gegensatz zum vollen Mehrwertsteuersatz beiMedikamenten ins Haus. Dies ergäbe keinen Sinn, HerrBurgbacher, das müssen auch Sie zugeben.Wir brauchen also eine Gesamtlösung. Es ist aller-dings an der Zeit, dass wir sie angehen. Das muss in dernächsten Legislaturperiode passieren. Als Erstes solltenwir darüber nachdenken, ob ein Katalog noch die rich-tige Lösung ist, Frau Kressl, oder ob es nicht andere Lö-sungen als diesen Katalog gibt. Ich sage Ihnen voraus,dass jeder Katalog Wertungswidersprüche provozierenwird. Wir müssen in diesem Zusammenhang auch darübernachdenken, ob wir den ermäßigten Steuersatz wieder aufden ursprünglichen Ansatz von 1968 zurückführen, nichtmehr als das Existenzminimum zu privilegieren. Dannkönnten wir vielleicht sogar den allgemeinen Mehrwert-steuersatz senken. Eine konzeptionelle Gesamtlösungmuss in der nächsten Legislaturperiode gefunden wer-den, und dazu wünsche ich allen Fraktionen viel Erfolg.Danke.
Binding [Heidelberg] [SPD]: Am besten, wirfangen gleich an!)
Jetzt hat der Kollege Dr. Volker Wissing für die FDP-
Fraktion das Wort.
Besten Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnenund Kollegen! Die Situation ist etwas anders, als Sie,Herr Schick, sie dargestellt haben. Richtig ist natürlich,dass unser Mehrwertsteuersystem keine Logik hat; dieshaben wir hier schon oft besprochen. Richtig ist auch,dass das Ganze keinem sozialen Sinn mehr folgt. Wir ha-ben schon gehört, dass Babywindeln voll besteuert,Trüffel und Gänsestopfleber aber steuerlich subventio-niert werden. Dies kann niemand ernsthaft wollen, unddie Bürgerinnen und Bürger fragen sich, warum so etwasimmer noch im Gesetz steht.jmIaMnasEfrsmIdmdvfDhvip–nsskgsdseDEwmc
Herr Schick sagt, es könne nicht sein, dass Liberaleetzt einen Einzelpunkt aufgriffen, wo doch die FDP im-er gesagt habe, sie wolle eine Gesamtlösung.
ch erläutere Ihnen, wie die Situation ist, im Übrigenuch, was es mit der Wettbewerbssituation und derarktwirtschaft auf sich hat:Nicht die FDP hat auf europäischer Ebene einen Fi-anzminister losgeschickt, der sich eines Sachverhaltsnnimmt, den die Franzosen als ein Problem ansehen,ondern es war ein sozialdemokratischer Finanzminister.r hat durch die Absenkung der Mehrwertsteuer für dieranzösischen Gastronomen eine Wettbewerbsverzer-ung geschaffen. Die FDP fragt sich, ob man der deut-chen Gastronomie diese Ungleichbehandlung zumutenuss.
st es nicht eine patriotische Aufgabe, dafür zu sorgen,ass in der Wirtschaftskrise mittelständische Unterneh-en von solchen Wettbewerbsverzerrungen befreit wer-en? Weil nicht wir, sondern Sie auf europäischer Ebeneerhandeln können – Sie stellen die Bundesregierung –,ordern wir dasselbe Recht für Gastronomen ineutschland, das Sie auf europäischer Ebene geschaffenaben. – Dies ist gemeint, Herr Kollege Schick, wennon fairen Wettbewerbsbedingungen gesprochen wird.
Sie sagen zu Recht, dass in dieser Legislaturperioden Sachen Reform des Mehrwertsteuersystems nichtsassiert sei. Das liegt an der Großen Koalition.
Sie wissen, dass dies nicht stimmt. Wir haben im Fi-anzausschuss darauf gedrängt, dass es eine Selbstbefas-ung geben soll. Allerdings stand sie unter einemchlechten Stern, weil die Koalition gesagt hat, manönne zwar darüber reden, aber sie werde in dieser Le-islaturperiode nichts ändern. Das liegt daran, dass Sieich auf nichts verständigen können. Die Wahrheit istoch, dass Sie auch in diesem Bereich reformunfähigind, weil Sie sich nicht auf einen gemeinsamen Nennerinigen können. Das muss man doch den Leuten ineutschland sagen.
s tut sich nichts an einer wichtigen Reformbaustelle,eil CDU/CSU und SPD nicht in der Lage sind, zusam-en eine vernünftige Steuer- und Finanzpolitik zu ma-hen. Das ist doch das Problem.
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Dr. Volker Wissing– Frau Kollegin Westrich, Sie haben gemeinsam mit Ih-ren SPD-Kollegen Ihr Wahlversprechen gebrochen undder Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunktezugestimmt. Jetzt haben Sie auch noch gesagt, dass Steu-ersenkungen Subventionen seien. Damit entlarven Sieim Grunde genommen Ihre Handlung und sagen, dassSie die Steuererhöhung gerne vorgenommen haben.
Die Wahrheit ist doch, dass dieses Mehrwertsteuer-system dringend reformiert werden muss. Man mussdoch ein klares System vorschlagen. Als die Vertreterder Mineralbrunnen seinerzeit zu der Vorgängerin vonFrau Kressl kamen und gefragt haben, warum Mineral-wasser nicht ebenso wie Lebensmittel mit einem vermin-derten Satz besteuert werden könnten, antwortete FrauHendricks damals: Dann sollen die Leute doch Milchtrinken. – Da versteht man, dass den Leuten in Deutsch-land irgendwann die Galle hochkommt; denn so vielMilch verträgt man gar nicht.
Man muss eine klare Linie haben. Das bedeutet, dassman sich nicht für eine volle Besteuerung der Gastrono-mie in Deutschland ausspricht, aber auf europäischerEbene dafür plädiert, die Gastronomie mit einem ver-minderten Steuersatz zu besteuern.
Wir fordern: Ein Konzept, das man in Deutschlanddurchhalten will, muss auch auf europäischer Ebene gel-ten. Dieses Mindestmaß an Fairness muss man gegen-über den Menschen wahren. Das müssen sie erwartenkönnen.Es ist schön, dass die Bundesregierung ihr Herz fürFrankreich entdeckt hat. Das ist ein schönes Land. Mankann aber auch in der Pfalz gut essen, Frau KolleginWestrich, man muss nicht über die Grenze fahren. Aberdie Menschen in Deutschland fragen sich doch, wieso inder Krise durch die Steuer- und Finanzpolitik unserefranzösischen Nachbarn unterstützt werden und nichteine steuerliche Entlastung in der BundesrepublikDeutschland erfolgt. Das können Sie nicht erklären. Dakönnen Sie so tolle Reden halten, wie Sie wollen.
Wir fordern nichts anderes, als dass die Bundesregierungdie Wohltaten, die sie auf europäischer Ebene an mittel-ständische Betriebe verteilt – der Bundesfinanzministertut das für die französische Wirtschaft und die französi-sche Gastronomie; anscheinend geht er gerne dort essen –,
auch in Deutschland verteilt. Das ist nicht durchzuhal-ten. Wir fordern gleiches Recht für alle. Wir fordern,defdvdKFOusdndmwelAwkvtsDbdsbugkWwcnsbkSgsA
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Gabriele FrechenEs gibt andere Dinge, die deutlich wichtiger sind, näm-lich die Spanne zwischen „Das kann ich noch erzielen“und „Das geht nicht mehr“. Diese Spanne ist bei derPreisbildung wichtig, deutlich wichtiger als der Mehr-wertsteuersatz.Stichwort „rezeptfreie Medikamente/Arzneimittel“: Eshat sich doch eindeutig gezeigt, dass Ihre Theorie nichtstimmt. An dem Tag, an dem Ministerin Schmidt ange-kündigt hat, dass die preiswertesten Generika künftigvon der Zuzahlung befreit sind, purzelten die Preise; dieAnbieter übertrafen sich gegenseitig. Warum? Weil jedesPharmaunternehmen ein Stück vom Kuchen habenwollte, zur Not unter Inkaufnahme einer geringeren Ge-winnspanne. Was hat das mit der Mehrwertsteuer zu tun?Die Mehrwertsteuer ist bei allen Generika die gleiche.Ich spreche nur von Dingen, die im Inland gehandeltwerden. Für das gleiche Schmerzgel zahlt man zwischen6,41 Euro und 13,48 Euro, und das bei einem gleichenMehrwertsteuersatz.Wir haben die Handwerksleistungen auf eine ganz an-dere Art und Weise gefördert. Dazu brauchten wir keineMehrwertsteuersenkung. Bei uns können die Kosten fürhandwerkliche und haushaltsnahe Leistungen direkt vonder Steuer abgezogen werden. Finden Sie etwas Ver-gleichbares im europäischen Ausland! Unsere Lösunghat für mich den zusätzlichen Charme, dass sie Schwarz-arbeit verhindert, was durch eine Senkung der Mehr-wertsteuer nicht erreicht wird.
Wenn der Handwerker die berühmte Frage stellt: „Brau-chen Sie eine Rechnung?“, und der Kunde das verneint,dann merkt er doch nicht, ob ihm 7 Prozent oder 19 Pro-zent Mehrwertsteuer nachgelassen werden. Ich halte un-sere Lösung also für besser. Gegen Vorlage der Rech-nungen einen Steuerabzugsbetrag von maximal 4 000oder 1 200 Euro gewährt zu bekommen, das ist wie baresGeld. Keine Rechnung zu erhalten, ist etwas anderes.Zu den Restaurants. Wir haben eben spekuliert, obNachmittagsflüge von Berlin nach Frankreich angebotenwerden, weil das Mittagessen dort preiswerter ist, wenndort die Steuern gesenkt werden.
– Doch, ich habe Ahnung. Ich komme aus Süddeutsch-land.
– Genau, mit gutem Essen kenne ich mich aus. Ichkomme aus Süddeutschland.
Sie glauben doch nicht, dass jemand aus dem Reblandzum Essen 100 Kilometer nach Colmar und wieder zu-rück fährt, weil in Colmar der Steuersatz niedriger ist.Ich möchte den Badener sehen, der zum Essen statt insRebland nach Colmar fährt.
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rzählen Sie mir nichts! Aber was machen wir denn miter Konkurrenz zwischen Straßburg und Karlsruhe? Dieaden-Badener sind näher an der Grenze als die Karlsru-er. Es könnte also zu einem innerdeutschen Wettbe-erbsnachteil kommen.Zum Schluss möchte ich noch etwas zu den Hotels sa-en. Eine Ferienwohnung in Zinnowitz kostet im Fe-ruar 273 Euro und im Dezember 511 Euro. Der Preis-nterschied liegt nicht an der Mehrwertsteuer und auchicht an den Heizkosten; in Zinnowitz muss im Februarnd im Dezember gleichermaßen geheizt werden.
Frau Kollegin!
Eltern mit schulpflichtigen Kindern wissen, woran es
iegt: Es liegt nicht an der Mehrwertsteuer, sondern an
er Gewinnspanne in der jeweiligen Saison; ich habe
ben darauf hingewiesen.
Frau Kollegin, Sie hatten Ihre Rede bereits beendet.
Entschuldigung, noch einen Satz von Heinz Erhardt
n Richtung FDP:
Manche Menschen wollen glänzen, obwohl sie kei-
nen blassen Schimmer haben.
Der Kollege Klaus Brähmig hat das Wort für die
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-egen! Im Jahr 2008 hatte der Bundeshaushalt ein Volu-en von 288 Milliarden Euro. Auf der Einnahmeseitetanden 94 Milliarden Euro Mehrwertsteuer; das sindtwa 28 Prozent. In der aktuellen Diskussion wird miranchmal schwummerig, wenn ich so höre, was wir al-es auf breiter Front senken wollen, ohne dass einmal of-en darüber gesprochen wird, dass wir das letztendlichegenfinanzieren müssen, also entsprechende Einnah-en generieren müssen. Das dürfen wir nicht außer Achtassen.
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Klaus BrähmigDas Thema, über das wir heute debattieren – es istnicht das erste Mal; ich bin ganz sicher, dass es für dienächsten Wochen und Monate auch nicht das letzte Malsein wird –, eignet sich nicht für Populismus. Wichtigwird sicherlich sein, dass es nach dem Ende dieser Le-gislaturperiode zu einem Kassensturz kommt und diedann Regierenden eine Bewertung vornehmen.Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich in denletzten Jahren immer für den Abbau von Wettbewerbs-verzerrungen eingesetzt, auch von solchen in den Berei-chen Tourismus, Gastronomie und Hotellerie, und sichganz massiv für die Harmonisierung innerhalb Europasengagiert. Ich bin sehr froh darüber, dass im Augenblickdiese Diskussion stattfindet; denn das gibt uns die Mög-lichkeit – es setzt uns natürlich auch unter Druck –, et-was in dieser Richtung zu tun, nicht nur darüber zu spre-chen, sondern auch konstruktive Vorschläge vorzulegenund dann umzusetzen.Ich kann mich gut daran erinnern, Frau Kressl, dasswir vor nicht allzu langer Zeit mit Frau Faße bei Ihnenim Ministerium waren. Die Branche animiert uns Fach-politiker ja ständig, Vorschläge zu unterbreiten. Ich hättemir gewünscht, dass der Finanzminister, wenn er inBrüssel schon zustimmt – wie uns allen bekannt ist, ist jaEinstimmigkeit notwendig –, für Deutschland vorgibt,wie wir es mit den ausgewählten Branchen halten wol-len. Der Anspruch der Branche, der Hotellerie und Gas-tronomie, ist durchaus berechtigt. Es geht nämlich da-rum, die Wettbewerbsverzerrungen innerhalb Europas,lieber Ernst Burgbacher, abzubauen
und den Standort Deutschland nicht zu benachteiligen.Wir werden uns in der Diskussion und in den Beratun-gen der nächsten Wochen und Monate etwas einfallenlassen müssen. Ich bin sehr sicher, dass wir beide An-sprüche berücksichtigen können.Man muss wissen, dass die Mehrwertsteuer gerade fürdie Preiskalkulation in der Gastronomie ein ganz wichti-ger Punkt ist. Die Waren werden mit 7 Prozent Mehrwert-steuer eingekauft und mit 19 Prozent Mehrwertsteuerweitergegeben. Deshalb kann man einen Gastronomiebe-trieb fast als kleines Finanzamt ansehen; denn man leistetdort durchaus eine wichtige Arbeit für den Staat.Da bin ich durchaus bei der Position der FDP. Wir alsTourismuspolitiker haben gemeinsam mit Ernst Hinskenin den letzten Wochen immer wieder vorgebracht, dasswir das vom Kopf auf die Füße stellen müssen. Ichschließe mich da meinen Vorrednern an. Dieser Katalogbringt Kuriositäten mit sich, und das macht überhauptkeinen Sinn. Das ist einer der ersten Punkte, die soschnell wie möglich in Ordnung gebracht werden müs-sen.Ich will ergänzend nur noch einige Beispiele anfüh-ren: ermäßigter Mehrwertsteuersatz für Hausschweine,normaler Mehrwertsteuersatz für Wildschweine; ermä-ßigter Satz für Kartoffeln aller Art, normaler Satz fürSüßkartoffeln; ermäßigter Satz für Tomatenmark undTomatensaft, normaler Satz für Tomatenketchup und To-matensoße. Ein ganz tolles Beispiel ist folgendes: PilzeuMgDfemRefnddfTWtsadJldIdwkDSnmI
iese Liste ließe sich unendlich fortführen.Meine Vorredner haben deutlich gemacht, dass in viel-ältiger Weise dringender Handlungsbedarf besteht undntsprechende politische Maßnahmen getroffen werdenüssen.Ich will noch ganz kurz auf Folgendes eingehen: Dieegierungschefs werden ja heute oder morgen in Brüsseline Entscheidung in die eine oder andere Richtung tref-en. Ich denke, sie wird derjenigen ähneln, die die Fi-anzminister getroffen haben. Danach muss von Brüsselie entsprechende Richtlinie erarbeitet werden. Erstann beginnt bei uns die Umsetzung im Parlament, so-ern wir die Mehrheiten dafür organisieren.Ich selber werde mich im Rahmen der Arbeitsgruppeourismus mit den Branchenvertretern in den nächstenochen zusammensetzen, damit es – das ist ganz wich-ig – nicht nur dazu kommt, dass wir die Lippen spitzen,ondern auch dazu, dass wir pfeifen.
Herr Kollege!
Das Thema muss in die Wahlprogramme der Parteien
ufgenommen werden; nur dann besteht die Chance,
ass es Eingang in einen Koalitionsvertrag findet und im
ahre 2010 auch in die Praxis umgesetzt werden kann.
Vielen Dank.
Für die Bundesregierung erteile ich das Wort der Kol-
egin Parlamentarische Staatssekretärin Nicolette Kressl.
N
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ch möchte zuerst kurz auf einige wenige Beiträge auser bisherigen Debatte eingehen.Erstens will ich noch einmal ganz deutlich machen,ie dieser Kompromiss zustande gekommen ist: Alleonnten im Dezember nachlesen, dass nach sehr langerebatte auf europäischer Ebene die Kanzlerin und Herrarkozy bei einem Treffen der Regierungschefs mitei-ander vereinbart haben, in dieser Frage einen Kompro-iss zu schließen. Wir stehen zu diesem Kompromiss.ch halte es aber nicht für zulässig, den Anteil daran nur
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Parl. Staatssekretärin Nicolette Kressleinem Teil der Regierung zuzuordnen, wie es geradeteilweise passiert ist.Zweitens. Herr Kolbe, Sie haben ja recht, dass es sicheinem, wenn man sich den Inhalt der Schreiben desBMF vor Augen führt, geradezu aufdrängt, dass es zuVeränderungen kommen muss. Sie haben dann weiterhingesagt, das sei eine Glanzleistung unseres Hauses gewe-sen. Hier möchte ich einem Missverständnis vorbeugen:Ich weiß zwar, dass der Begriff „BMF-Schreiben“ im-mer den Eindruck vermittelt, es handle sich um einSchreiben des Bundesfinanzministeriums. Das ist abernicht so. Das wissen Sie wahrscheinlich. Hier geht es umeine Verwaltungsanordnung, die auf der Zustimmung ei-ner Mehrheit der Bundesländer beruht. Ich will das nurnoch einmal deutlich machen, damit nicht falsche Tönein die Debatte kommen. Das bedeutet also nicht, dasswir alles inhaltlich richtig finden,
sondern vielmehr, dass wir uns darum kümmern müssen,hier zu einer noch größeren Vereinheitlichung zu kom-men.Meine dritte Anmerkung betrifft die Ehrlichkeit indieser Debatte, insbesondere vonseiten der FDP: Wermehr Vereinheitlichung fordert, aber nicht zugleich allesmit dem halben Mehrwertsteuersatz belegen will, darfnicht den Parteien und Fraktionen, die sich für eine ent-sprechende Vereinheitlichung einsetzen, vorwerfen, sieerhöhten die Steuern. Ich ahne, wie Sie im Zweifel denParteien, die sich auf diesen Weg machen, die Worte imMund umdrehen. Die Ehrlichkeit gebietet es, in einerDebatte nicht nur schön über Systematik zu reden, son-dern auch zu sagen, auf was man sich einlässt.
Es ist so – wir haben es gehört –, dass das Experiment„ermäßigter Mehrwertsteuersatz auf arbeitsintensiveDienstleistungen“ auf europäischer Ebene für all dieMitgliedstaaten dauerhaft nutzbar wird, die es wollen.Nicht ohne Grund hat sich mittlerweile aber eine zuneh-mende Zahl von Mitgliedstaaten der Protokollerklärungangeschlossen und gesagt, dass sie das Instrument nichtnutzen werden. Das macht, wie ich glaube, auch Sinn.Hier vorschnell zu entscheiden – bei manchen Redebei-trägen hatte ich diesen Eindruck –, wäre unüberlegt. Dabin ich mir sicher.Die Prüfung der Mitgliedstaaten, ob sie diesen Wegmitgehen, sollte dabei unter dem Motto stehen: Bedenkedie Wirkung! Manche sagen ja, dass die einzige Wir-kung, die in diesem Fall sicher ist, die ist, dass es zuSteuermindereinnahmen kommt. Die Auswertung dereuropäischen Experimente hat doch gezeigt – ich sagedazu in Klammern: das deutet sich ja offensichtlich auchbei den Bergbahnen an –,dMVdidcDsdgdwmhEWdwtvdMenentudtb–BpHsAMlz
ass die Vorteile von im Laufe der Zeit reduziertenehrwertsteuersätzen so gut wie nie dauerhaft an dieerbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben wer-en.
Herr Burgbacher und Herr Wissing, bis heute hattech noch geglaubt, dass auch Sie der Meinung sind, dassie Einsparung an die Verbraucherinnen und Verbrau-her weitergegeben werden sollte.
avon haben Sie aber in keinem Ihrer Redebeiträge ge-prochen. Sie haben ausschließlich über den Gewinn iner Gastronomie gesprochen. Wir sollten noch einmalenau nachlesen, was Sie heute hier gesagt haben.
Die Aussage, dass noch nie eine Steuerersparnis anie Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegebenorden ist, ist nicht einfach nur dahergesagt. Es gibtehrere Studien dazu. Ich will nur kurz auf zwei einge-en. Die Europäische Kommission konnte 2003 in ihrervaluierung dieser „Experimente“ weder eine positiveirkung auf die Arbeitsplätze noch eine Eindämmunger Schwarzarbeit feststellen. In der gleichen Studieird ergänzt, dass mit einem Einsatz von Haushaltsmit-eln, die beispielsweise zur Senkung von Arbeitskostenerwendet werden, eine deutlich bessere Wirkung aufie Arbeitsplätze erzielt werden kann als mit reduziertenehrwertsteuersätzen.Herr Schick hat es schon erwähnt: 2007 gab es aufuropäischer Ebene die Studie des Kopenhagener Øko-omisk Instituts, in der deutlich festgestellt wird, dassrmäßigte Mehrwertsteuersätze das am wenigsten geeig-ete Mittel zur Verfolgung von Lenkungs- oder Entlas-ungszielen sind
nd dass eine direkte Förderung in jedem Fall besser ist.Das lässt mich den Bogen schlagen zu der Tatsache,ass die Bundesregierung und die beiden Koalitionsfrak-ionen genau diesen Weg beispielsweise bei der Absetz-arkeit von Handwerksleistungen von der Steuerschuld in dieser Legislaturperiode wurde der entsprechendeetrag verdoppelt – gegangen sind. Dies hat eine dop-elte zielgenaue Wirkung: Zum einen bekommen dieandwerker mehr Aufträge – alle Beteiligten haben ge-agt, dass diese Maßnahme zu einer Verbesserung deruftragslage geführt hat –, und zum anderen werden dieenschen nachvollziehbar und von uns überprüfbar ent-astet. Das wäre bei den ermäßigten Mehrwertsteuersät-en völlig anders.
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Parl. Staatssekretärin Nicolette KresslLassen Sie mich noch kurz auf die Steuerminderein-nahmen eingehen, die sich mit Sicherheit ergeben wür-den. Sie würden im Bereich der kleinen Reparaturleis-tungen 230 Millionen Euro betragen, 640 Millionen Eurobei Friseurdienstleistungen und geschätzte 3,7 Milliar-den Euro im Bereich der Restaurantdienstleistungen.
In einem ersten logischen Denkschritt können wir davonausgehen, dass die Steuerersparnis nicht weitergegebenwird. In einem zweiten logischen Denkschritt könnenwir erwarten, dass es Steuermindereinnahmen gibt. Diesführt uns zu einem dritten logischen Denkschritt, näm-lich dass wir diese Mindereinnahmen an anderer Stellekompensieren müssen. Das belastet aber auch die Men-schen, die nicht entlastet worden sind.
Das ist eine doppelte Bestrafung und somit nicht derrichtige Weg.
Ich will ganz deutlich sagen: Die Erkenntnis, dassbranchenbezogene Ausnahmen nicht der richtige Wegsind – auch die Bundeskanzlerin hat deutlich gemacht,dass sie es für falsch hält, in dieser Legislaturperiodenoch ein entsprechendes Gesetz auf den Weg zu bringen –,hat sich in der Bundesregierung durchgesetzt. Diese Ein-sicht ist aber nicht nur in der Bundesregierung vorhan-den. Ich freue mich darüber, dass der Deutsche Indus-trie- und Handelskammertag eine differenzierteStellungnahme dazu abgegeben hat. Er ist der Meinung,dass dies kein Weg ist, den man wirklich gehen sollte.Ich bin der Überzeugung: Wenn man auf Schnell-schüsse verzichtet, ehrlich ist und die von mir vorhin er-wähnten logischen Denkschritte geht, dann kommen wiram Ende der Debatten sicherlich zu dem Ergebnis, dassder von Ihnen vorgeschlagene Weg zur Entlastung desMittelstandes und der Verbraucher, die wir wollen,falsch ist.Vielen Dank.
Der Kollege Eckhardt Rehberg spricht jetzt für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abge-
ordneten! Wenn man ernst nimmt, was die Europäische
Union zum Thema Mehrwertsteuer beschlossen hat,
dann stellen sich neue Fragen: Was sind kleinere Repara-
turdienstleistungen an Fahrrädern? Was umfasst die Re-
novierung von und Reparaturen in Privatwohnungen mit
Ausnahme von Materialien, die einen bedeutenden Teil
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ir schaffen damit für weitere Bereiche Bedingungen,
ie es sie heute zum Beispiel im Fleischerfachgeschäft,
m Bäckerladen oder bei McDonald’s gibt. Derjenige,
er bei McDonald’s mit dem Auto vorfährt, zahlt eine
ehrwertsteuer von 7 Prozent, derjenige, der innen isst,
ine Mehrwertsteuer von 19 Prozent. Ich weiß nicht, wo
n dieser Stelle die Differenz von 12 Prozent bleibt.
enn wir uns diesem Thema ernsthaft widmen wollen,
ine Regelung das Hotel- und Gaststättengewerbe um-
assen soll und keine neue Bürokratie aufgebaut werden
oll, dann muss man an dieser Stelle beides ohne Wenn
nd Aber zusammenpacken.
Herr Kollege Burgbacher, Sie haben sehr stark auf die
uropäische Gastronomie abgehoben. Im Süden gibt es
das gebe ich zu – ein ungeheueres Problem. Ich möchte
ber nicht, dass in Mecklenburg-Vorpommern, Schles-
ig-Holstein und Niedersachsen der gleiche Mehrwert-
teuersatz wie in Dänemark und Schweden gilt. Dieser
iegt nämlich in diesem Bereich bei 25 Prozent. Wenn
ir uns dieses Themas annehmen – das ist meine klare
osition als Wirtschaftspolitiker –, dann müssen wir das
esamtheitlich und ohne Schnellschüsse regeln.
ir müssen insbesondere die Dummheiten, die es beim
hema Mehrwertsteuer gibt – ich habe einige beschrie-
en; man könnte weitere beschreiben –, beseitigen. Das
rundprinzip muss sein: weniger Bürokratie.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Esird eine spannende Debatte geben, zum Beispiel zumtichwort „Tierfutter“. Was machen wir mit den dorteltenden 7 Prozent, wenn wir ein Gesamtkonzept ange-en?Ich will aber die Baustellen des Mittelstandes be-chreiben, die den Mittelstand im Augenblick besondersedrücken. Das ist das Thema Zinsschranke.
as ist die Anrechnung der Kosten für Mieten, Leasingnd Pachten bei der Gewerbesteuer.
as ist das Thema Verlustvorträge. Hier kann ich an dieolleginnen und Kollegen der SPD nur appellieren, ihrelockadehaltung aufzugeben; denn das sind gerade in
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22777
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Eckhardt Rehbergdieser wirtschaftlich schwierigen Zeit Baustellen für denMittelstand.
Diese Baustellen müssen wir beheben. Die eine oder an-dere Unwucht, die es bei der Unternehmensteuerreformgegeben hat, müssen wir noch vor der Sommerpause be-heben;
denn wir werden danach keine Zeit mehr haben. Ich sageIhnen voraus – jetzt komme ich wieder zum Gastrono-mie- und Hotelbereich –: Gerade die Anrechnung derKosten für Mieten, Leasing und Pachten im Gewerbe-steuerbereich ist ein wesentliches Problem, auch für denEinzelhandel.
Die Herabsetzung auf eine Anrechnung von 65 Prozentbei Immobilien ist nicht ausreichend. Da müssen wirdeutlich unter 50 Prozent gehen.
Für die Zukunft ist auch die Frage berechtigt, was dieAnsatzpunkte sind, um Nachfrage zu generieren. Wir ha-ben in dieser Legislaturperiode einiges getan, geradebeim Konjunkturpaket II. Ich möchte an die Aufsto-ckung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von handwerkli-chen Leistungen, aber auch von haushaltsnahen Dienst-leistungen und Kinderbetreuungskosten erinnern. Icherinnere an die degressive AfA. Wenn man dies alles be-trachtet, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass wireine Menge getan haben, um den Mittelstand zu stärken.Wir alle sollten uns darüber klar sein – dies möchte ichbetonen –, dass all dies Steuermindereinnahmen bewirkt.Aber volkswirtschaftlich gesehen rechnet es sich lang-fristig.Ich bin sehr dafür – ich sage das für die Wirtschafts-politiker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion –:
– Die gibt es schon. – Wir brauchen ein Gesamtkonzept,was die Mehrwertsteuer betrifft. Wir brauchen insbeson-dere weniger Bürokratie. Wir brauchen eine Vereinfa-chung. Ich sage ausdrücklich: Arbeitsintensive Dienst-leistungen dürfen nicht mit einem ermäßigtenMehrwertsteuersatz belegt werden, während möglicher-weise auf der Gegenseite die steuerliche Abzugsfähig-keit von handwerklichen Dienstleistungen wegfällt. Wirmüssen uns sehr gut überlegen, was wir machen.Wir sollten uns vor Schnellschüssen, vor Aktionismushüten. Herr Kollege Burgbacher, es wird nicht auf frucht-baren Boden fallen, wenn man nur eine Branche – unddann noch selektiv die Gaststätten und nicht die Hotels –im Blick hat.Danke schön.KKdhfDphheKdegwRatmzstFDkSmzZDdkgetnfLd
Die letzte Rednerin in der Aktuellen Stunde ist die
ollegin Simone Violka für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Manchmal staunt man ja: Die FDP hat endlichie richtungsweisende Kompetenz Europas entdeckt! Ichätte mir gewünscht, dass die FDP genauso vehementür die Einführung der Antidiskriminierungsrichtlinie ineutschland eingetreten wäre. Auch das war eine euro-äische Entscheidung. Damals hat die FDP aber mit Ve-emenz dafür geworben, dass man sie nicht umsetzt. Sieat gesagt: Man sollte das nicht machen. Man sollte sichin Hintertürchen offen lassen.Nun hat die FDP plötzlich die richtungsweisendeompetenz von Europa entdeckt. Dabei stimmt das anieser Stelle noch nicht einmal. Es geht lediglich darum,inen Rahmen abzustecken, innerhalb dessen jedes Mit-liedsland nach eigenem Ermessen entscheiden kann,as es umsetzen will und was nicht. Aber es müssenahmenbedingungen gesetzt werden. Dann darf manuch keine Rosinenpickerei betreiben, wie es die FDPut.Ich nehme Frankreich einmal als Beispiel. Natürlichuss man fragen, ob die Höhe der Mehrwertsteuersätzeukünftig der einzige Unterschied zu Deutschland seinoll oder ob auch andere Rahmenbedingungen zu beach-en sind. Ich würde mir wünschen, dass die FDP sagt:rankreich hat den Mindestlohn. Lasst ihn uns ineutschland einführen, damit alle die gleichen Möglich-eiten haben. – Das sehe ich noch nicht.
Dieses Verhalten passt zur FDP. Im Landtag vonachsen hat die FDP in der letzten Woche noch vehe-ent dafür geworben, den Schülerverkehr kostenlos an-ubieten. In dieser Woche hat die FDP im Kreistag vonwickau aber selbst dagegen gestimmt.
as war ein SPD-Antrag. Wenn die FDP das möchte,ann muss sie das auf allen Ebenen durchhalten, dannann sie nicht da, wo sie in der Opposition ist, Forderun-en aufstellen, und sich dort, wo sie die Möglichkeit hat,twas zu entscheiden, zurückziehen, weil das Geld kos-et. So kann man doch keine Politik machen.
Herr Wissing, Sie haben recht: Das Steuersystem isticht logisch. Aber woran liegt das denn? Als es einge-ührt wurde, hatte es noch eine gewisse Logik. Dank desobbyismus ist es in vielen Jahren und Jahrzehnten zuem geworden, was es heute ist: eine recht unlogische
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Simone ViolkaGeschichte, die an vielen Stellen hinkt. Die FDP warviele Jahre lang an der Regierung beteiligt und ist dahermit dafür verantwortlich, dass Lobbyisten ihre Vorstel-lungen durchsetzen konnten.
Das darf man doch nicht vergessen.Natürlich entwickelt sich die Welt weiter, auchDeutschland. Als man die Regelungen eingeführt hat,gab es verschiedene Dinge noch nicht. Deshalb konntensie nicht aufgeführt werden. Mein Lieblingsbeispiel indiesem Zusammenhang ist der Vergleich zwischen Hör-buch und Buch. Als der ermäßigte Mehrwertsteuersatzbei Büchern eingeführt wurde, gab es noch keine Hörbü-cher. Ich gebe Ihnen recht: Das sollte man auf den Prüf-stand stellen und vergleichen, was vergleichbar ist. Da-bei kann man durchaus zu der Erkenntnis kommen, dassman einiges ändern muss. Zum Beispiel kann man zu derErkenntnis kommen, dass Hörbücher wie Bücher besteu-ert werden sollen. Dafür bin ich offen.Eine Harmonisierung bedeutet aber, dass es Plus undMinus gibt. Man darf also nicht sagen, dass alles, wasvon Lobbyisten bisher erkämpft worden ist, sozusageneine Eule auf der Stirn trägt und nicht angefasst werdendarf, dass also nur neue Sachverhalte aufgenommenwerden dürfen. Dann muss ich vielmehr auch bereit sein,die Eulen abzunehmen und die Dinge neutral zu betrach-ten.
Als das versucht worden ist, war es aber die FDP, diehier lautstark von Steuererhöhungen gesprochen hat.
– Nein, das ist nicht richtig. Es ging darum, zu schauen,ob die Regelung im Sinne des Gesetzgebers ist.
– Nein, das war kein Überraschungsei. Dabei ging es umviele Punkte. – Damals hat uns die FDP als erste vorge-halten, der Staat wolle durch die Hintertür Steuererhö-hungen durchsetzen.
Sie können doch nicht sagen: Wir wollen Harmonisie-rung – aber nur dann, wenn der Steuersatz nach untengeht.Wenn man so etwas vorhat – diesbezüglich bin ichmit vielen Kolleginnen und Kollegen d’accord –, mussauch die eine oder andere politische Entscheidung ge-troffen werden. Viele meiner ostdeutschen Kolleginnenund Kollegen aus der SPD zum Beispiel haben gesagt:Jawohl, wir möchten, dass bei der Schulspeisung der er-mäßigte Steuersatz zur Anwendung kommt, weil dieSchulspeisung eben nicht in Konkurrenz zu den Gast-stätten steht, sondern eher zu der Streuselschnecke vomBäcker, für die der ermäßigte Steuersatz gilt. Wenn wirfür unsere Kinder und Jugendlichen etwas machen wol-ldbamfPgkDMmzseDlIeeWsehtsP
ch glaube, dass wir alle uns zusammensetzen und völligmotionslos und unabhängig von Lobbyismus oder sonsttwas darüber reden müssen.
enn man ein vernünftiges System einführen möchte,ollte dies ohne Lobbyismus und vor allen Dingen ohneine Gewinnoptimierung auf Staatskosten, wie Sie eseute eingefordert haben, geschehen.
Damit schließe ich die Aussprache.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur verbes-serten steuerlichen Berücksichtigung von Vor-
– Drucksache 16/12254 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
RechtsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitHaushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GOHierzu ist verabredet, eine Dreiviertelstunde zu debat-ieren. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist daso beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort derarlamentarischen Staatssekretärin Nicolette Kressl.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Bundesverfassungsgericht hat im Februar 2008 ent-
schieden, dass Beiträge zu privaten Kranken- und Pfle-
geversicherungen bei der Einkommensteuer berücksich-
tigt werden müssen. Das ist heute noch nicht der Fall.
Die Bundesregierung legt daher den Entwurf eines Bür-
gerentlastungsgesetzes vor. Durch die Neuregelung wer-
den die Menschen in unserem Land ab 2010 um knapp
9,5 Milliarden Euro zusätzlich steuerlich entlastet. Die
hiermit freigesetzte Kaufkraft wird unsere Wirtschaft ne-
ben den beiden bereits verabschiedeten Konjunkturpake-
ten zusätzlich stimulieren können.
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass alle Aufwendungen
des Steuerpflichtigen für eine normale Kranken- und
Pflegepflichtversicherung künftig steuerlich berücksich-
tigt werden. Angesetzt werden allerdings nur diejenigen
Krankenversicherungsbeiträge, die für eine medizini-
sche Grundversorgung mit modernen und wissenschaft-
lich anerkannten Behandlungs- und Heilmethoden ge-
zahlt werden. Diese Beitragsanteile sind künftig
unbegrenzt abziehbar.
Die Beitragsanteile für eine Komfort- oder Luxusver-
sorgung hingegen können nicht steuerlich berücksichtigt
werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht nicht ge-
fordert, und wir haben ausdrücklich entschieden, dass
wir das aus gutem Grunde nicht tun. Denn es liegt auf
der Hand, dass der Allgemeinheit der Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler nicht zugemutet werden darf, für teure,
medizinisch nicht notwendige Zusatzleistungen in den
gemeinsamen Steuertopf einzahlen zu müssen.
Von dieser finanzwirtschaftlichen Sichtweise einmal ab-
gesehen wäre es auch sehr ungerecht; denn begünstigt
würden nur diejenigen, die sich die zum Teil sehr hohen
Beiträge für solche Tarife leisten können. Das will die
Bundesregierung nicht. Daher sieht der Gesetzentwurf
vor, dass eine Aufteilung der Beiträge erfolgen muss.
Auch wenn der Beschluss des Bundesverfassungsge-
richts sich ausschließlich auf die Beiträge eines privat
Versicherten bezogen hat, gelten diese Neuregelungen
gleichermaßen für gesetzlich wie privat Kranken- und
Pflegeversicherte. Es war eine für uns selbstverständli-
che politische Entscheidung, zu sagen, dass auch die
Beiträge zu gesetzlichen Krankenversicherungen steuer-
lich entsprechend berücksichtigt werden.
Wir wollen ausdrücklich, dass auch die Beiträge des
Steuerpflichtigen für seinen in der gesetzlichen Kran-
kenversicherung mitversicherten Ehegatten bzw. seinen
eingetragenen Lebenspartner und seine Kinder erfasst
werden. Insoweit sieht der Gesetzentwurf keine Begren-
zung der Beiträge vor. Damit wird dem Umstand Rech-
nung getragen, dass gerade Familien für ihre Absiche-
rung oft höhere Beiträge leisten müssen. Wie bei der
Berücksichtigung von Beiträgen zum Aufbau einer Ba-
sisversorgung im Alter werden nur die vom Steuer-
pflichtigen tatsächlich geleisteten Beiträge angesetzt.
Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass sich
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Auch Beamte und Selbstständige werden deutlich
ntlastet, Beamte im einem Umfang von 0,5 Milliarden
uro, Selbstständige um rund 1,6 Milliarden Euro. So
iel weniger Steuern müssen sie in Zukunft zahlen bzw.
o viel mehr Geld haben sie dann zur Verfügung. Ich
offe, dass wir nach den Beratungen im Parlament, nach
em parlamentarischen Verfahren und nach der Anhö-
ung in der zweiten und dritten Lesung zu einer großen
ehrheit für diese Entlastungen für die Menschen im
and kommen werden.
Vielen Dank.
Carl-Ludwig Thiele spricht jetzt für die FDP-Frak-
ion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenolleginnen und Kollegen! Dieses Gesetz trägt das Wort
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Carl-Ludwig Thiele„Entlastung“ in seinem Titel. Es führt aber nicht für alleBürger zu der vom Bundesverfassungsgericht geforder-ten Entlastung. Aus meiner Sicht ist es ein Steuererhö-hungsgesetz zulasten Vorsorge treibender Bürger.
Karlsruhe hat Entlastungen gefordert. Diese Entlastun-gen werden aber nur unzureichend gewährt; auf die Ein-zelheiten gehe ich gleich ein.Aus meiner Sicht setzt die Große Koalition mit die-sem Gesetz ihre Steuererhöhungspolitik fort, allerdingsklammheimlich. Insofern kann ich nur sagen: Die GroßeKoalition ist wieder einmal Weltmeister in SachenSprachschöpfung. Warum sie von einem „Bürgerentlas-tungsgesetz“ spricht, obwohl dieses Gesetz unter ande-rem vorsieht, dass Arbeitslosenversicherungsbeiträge inZukunft nicht mehr steuerlich berücksichtigt werdenkönnen, ist ihr großes Geheimnis.Die Anforderungen, die Karlsruhe an die Entlastungder Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge gestellthat, sind klar. Die Antwort der Großen Koalition lautet:Wenn wir auf der einen Seite entlasten müssen, dannmüssen wir auf der anderen Seite streichen. Streichenbedeutet in diesem Fall konkret: Steuererhöhungen fürandere.
– Eine Günstigerprüfung hat das Bundesverfassungsge-richt in seinem Urteil überhaupt nicht vorgesehen, HerrKollege Krüger.
Daran, dass Sie eine Günstigerprüfung vorsehen, wirdaus meiner Sicht eines deutlich: Bislang konnten Kran-kenversicherungsbeiträge nicht steuerlich berücksichtigtwerden. Auf Basis des geltenden Rechts hätte man sieallerdings zusätzlich berücksichtigen müssen. Das ist imGrunde genommen das, worum es geht.Um einige Grundsätze klarzustellen: Das Existenzmi-nimum muss steuerfrei sein. Es gibt einen weiteren ver-fassungsrechtlichen Grundsatz: Die erwerbsnotwendi-gen Aufwendungen, die Kosten zur Einnahmeerzielung,müssen steuerlich abgesetzt werden; das objektiveNettoprinzip muss also durchgesetzt werden.Es gibt einen weiteren Grundsatz: das subjektive Net-toprinzip. Er besagt, dass existenznotwendige Ausgabensteuerlich berücksichtigt werden müssen. Das sind Aus-gaben, denen ein Steuerpflichtiger nicht ausweichenkann.Jetzt möchte ich dem Hohen Hause und der Öffent-lichkeit erklären, was alles durch dieses Gesetz gestri-chen wird:Erstens: der Sonderausgabenabzug der Beiträge zurArbeitslosenversicherung. Die Arbeitslosenversicherungist eine notwendige Vorsorge für die Arbeitslosigkeit. Esist eine Zwangsabgabe, die entrichtet werden muss. Des-hmg–uhnblalvEWsrsdUatmHmrndRudntwogwkacamzDbpdd
as regt mich wirklich auf.Bei der Krankenversicherung soll der Sonderausga-enabzug der Beitragsanteile der Krankenversicherungs-rämien, die das Krankengeld absichern, gestrichen wer-en. Wer erhält denn Krankengeld? Das bekommt manoch nur, weil man krank ist und keine Einkünfte mehr
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Carl-Ludwig Thieleerzielt. Auch dort wird der Sonderausgabenabzug gestri-chen.Ich weiß gar nicht, ob das allen Mitgliedern diesesHohen Hauses bekannt ist. Was die Arbeitslosenversi-cherung anbelangt, gehe ich angesichts der verblüfftenGesichter der SPD-Fraktion davon aus, dass die meistendavon gar nichts wissen. Auch die anderen Punkte sindhier nicht bekannt.Frau Staatssekretärin, ich habe noch nie in einem Ge-setzentwurf so ein ärmliches Finanztableau gesehen wiein diesem. Sie weisen nur aus, wo entlastet wird. Sieweisen mit keinem Cent aus, wo gestrichen wird, wo ge-genfinanziert wird, wo Bürger belastet werden, die Vor-sorge betreiben. Das ist unsäglich. Das muss diskutiertwerden. Ich hoffe, dass im Rahmen der Diskussion vieleerkennen, dass hier bei den Krankenversicherungs- undPflegeversicherungsbeiträgen zwar Vorgaben des Verfas-sungsgerichts umgesetzt werden, das Gesetz aber inKombination mit dem, was gestrichen wird, für vieleschlecht ist und die nächsten verfassungsrechtlichen Pro-bleme hervorruft.Natürlich muss man sich gegen Arbeitslosigkeit ver-sichern. Warum das zukünftig aus versteuertem Einkom-men erfolgen muss, ist überhaupt nicht einzusehen. Dasmuss grundlegend überarbeitet werden. So kann dasüberhaupt nicht bleiben.
Der Kollege Klaus-Peter Flosbach hat jetzt das Wort
für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lieber Herr Thiele, ich schätze Sie als Kollegen sehr.Was Sie aber hier abgeliefert haben, ging weit an derWirklichkeit vorbei. Sie haben sehr überzogen.Hier wird ein Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem dieBürger ab dem 1. Januar 2010 um 9,3 Milliarden Euroentlastet werden. Sie aber reden von Steuererhöhungen.Das kann wirklich nicht wahr sein.
Mit diesem Bürgerentlastungsgesetz werden wir dieMenschen mit 9,3 Milliarden Euro bezuschussen, damitsie wieder mehr Geld in der Tasche haben und mehr dieKonjunktur ankurbeln können.
Das ist ein Impuls für die Wirtschaft. Das passt genau indie jetzige Lage.fnDHbdBfgGEklrk1Vwivdbw2ewtdtwSskveAfkMsnisacs
erzeit liegt das Existenzminimum bei 7 834 Euro.inzu kommen steuerfreie Pauschalen wie die Wer-ungskostenpauschale, der Altersentlastungsbetrag under Sparerpauschbetrag.Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Auch dieeiträge für eine Krankenversicherung müssen steuer-rei gestellt werden, sofern diese Beträge das sozialhilfe-leiche Niveau erreichen. – Das machen wir mit diesemesetz. Weil wir dies machen, kommen 9,3 Milliardenuro mehr bei den Bürgern an.Heute sieht die Situation so aus, Herr Thiele: Derzeitönnen Beiträge zur Krankenversicherung, zur Arbeits-osenversicherung, für eine Berufsunfähigkeitsversiche-ung, für eine Haftpflichtversicherung und für eine Risi-olebensversicherung in einer Größenordnung von500 Euro im Jahr geltend gemacht werden. Wenn dieorgaben des Bundesverfassungsgerichts umgesetzterden, wird dies anders sein.Nehmen Sie beispielsweise einen Arbeitnehmer, derm Monat 3 675 Euro und somit 44 100 Euro im Jahrerdient. Dies entspricht einem Einkommen in der Höheer Beitragsbemessungsgrenze. Heute kann dieser Ar-eitnehmer 1 500 Euro absetzen. Ab dem nächsten Jahrird er 4 024 Euro absetzen können. Er wird also524 Euro mehr absetzen können. Das bedeutet, dass ertwa 1 000 Euro netto mehr in der Tasche hat. Somiterden die Bürger durch unseren Gesetzentwurf entlas-et.
Dies ist auch kein Steuergeschenk, wie ich verschie-entlich gehört habe. Vielmehr wird deutlich festgehal-en, dass einige zu viel Steuern zahlen. Das ist also et-as, was wir den Bürgern zurückgeben, aber keinteuergeschenk.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen unter-cheiden zwischen dem Bereich der gesetzlichen Kran-enversicherung und dem Bereich der privaten Kranken-ersicherung. Die gesetzliche Krankenversicherungrhebt Beiträge nach dem Einkommen der Versicherten.ußerdem gibt es eine Mitversicherung für Ehepartner,ür Kinder und für Lebenspartner. In der privaten Kran-enversicherung ist das anders. Für jedes versicherteitglied muss ein eigener Beitrag gezahlt werden, derich nach dem Alter, nach dem Gesundheitszustand undach dem Geschlecht richtet.Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Es müssenn Zukunft alle Beiträge, die Beiträge der gesetzlich Ver-icherten, aber auch die Beiträge der privat Versicherten,nerkannt werden. Auch für die private Krankenversi-herung gilt, dass ein sozialhilfegleiches Niveau der Ver-orgung sichergestellt sein muss.
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Klaus-Peter FlosbachBesonders begrüße ich an diesem Gesetzentwurf, dassdamit der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts ge-folgt wird, dass Familien mit Kindern, die privat versi-chert sind, die Beiträge für ihre Kinder absetzen könnenmüssen. Das war bisher nicht der Fall. Das heißt, geradeFamilien mit vielen Kindern werden eine deutliche Ent-lastung erfahren.Wir haben hier also eine neue Kinderkomponente, diebisher nicht vorhanden war. Bisher konnten nur in dergesetzlichen Krankenversicherung Kinder ohne einen ei-genen Beitrag mitversichert werden. An dieser Stelle er-folgt also eine Kompensation der privat Versicherten.Zudem ist in der privaten Krankenversicherung vonBedeutung, dass der sogenannte Basistarif abgesetztwerden kann. Das ist der Tarif, der den Leistungen dergesetzlichen Krankenversicherung entspricht. Es gibtaber natürlich viele, die sich nicht für den Basistarif,sondern für eine private Vollversicherung entschiedenhaben. Hierbei gibt es in Deutschland über Zehntausendverschiedene Tarife. Es gab Überlegungen, nicht nur fürjeden Tarif, sondern für jeden einzelnen Versicherten he-rauszurechnen, was dem sozialhilfegleichen Niveau ent-spricht und was Zusatzversicherung ist.Ich glaube, hier wurde in dem Gesetzentwurf einesehr gute Lösung gefunden. Wir unterstützen es seitensder Union ausdrücklich, dass bei den Privatversichertenein pauschaler Abzug für alle vorgenommen wird. Sokönnen wir nämlich eindeutig Bürokratie verhindern.Ansonsten hätte dieser Gesetzentwurf eine Bürokratieohne Grenzen geschaffen. Das konnten wir Gott seiDank verhindern.Insgesamt müssen wir zunächst einfach einmal fest-halten, dass 60 Prozent der Bürger durch diesen Gesetz-entwurf um 9,33 Milliarden Euro entlastet werden. Dassind Menschen, die bisher zu viele Steuern für ihreKrankenversicherungsbeiträge gezahlt haben.Eines gefällt mir allerdings nicht – das will ich nocheinmal ausdrücklich erwähnen –, dass nämlich der bis-herige Abzugsbetrag für die Haftpflichtversicherung, dieUnfallversicherung und die Berufsunfähigkeitsversiche-rung gar keine Berücksichtigung mehr finden soll.
Wir müssen bedenken, dass gerade die Haftpflichtversi-cherung – so sagen es übrigens alle Verbraucherschützer,Verbraucherzentralen und auch die unabhängigen Bera-ter im Versicherungsbereich – eine der wichtigsten Ver-sicherungen ist,
weil zum einen der Schädiger geschützt wird, damit erdie Leistung überhaupt erbringen kann, und weil zumanderen vor allem auch der Geschädigte geschützt wird;denn wenn der Schädiger keine Versicherung hat, dannkann der Geschädigte seinen Anspruch auf Leistungnicht geltend machen – es sei denn, der Staat tritt ein.Deswegen gibt es in solchen Fällen Folgekosten für denStaat.SgdWlekaEwaBsRzdrrrBrnlKdSwzvkAhdNgugbeISbwzw
Das Zweite ist die Berufsunfähigkeitsversicherung.ie wird als die wichtigste individuelle Versicherung an-esehen. Warum ist das so? – In Deutschland beträgt dasiesbezügliche Durchschnittsniveau etwa 700 Euro.enn ein junger Mensch berufsunfähig wird, dann mussebenslang eine Leistung für ihn erbracht werden. Hat erine private Versicherung, so kann er dies kompensieren.Gerade der Abzugsbetrag von bisher nur 1 500 Euroam insbesondere Geringverdienern zugute. Sie konntenuch noch Teile – teilweise natürlich auch nur mit demingangssteuersatz – absetzen. Für sie war es einfachichtig, dass sie gerade in jungen Jahren – insbesondereuch Ledige – diesen Betrag absetzen konnten.
isher gibt es die Möglichkeit der Berücksichtigung die-er Versicherung nur im Rahmen der Riester- bzw.ürup-Rente, wenn man eine Altersversorgung einbe-ieht. Das können junge Leute normalerweise nicht, undas können vor allen Dingen diejenigen mit einem nied-igen Einkommen nicht.Deshalb sollten wir dieses Thema im Rahmen der Be-atungen noch einmal aufgreifen und prüfen, ob wir ge-ade hinsichtlich der Haftpflichtversicherung, dererufsunfähigkeitsversicherung und der Unfallversiche-ung hier nicht doch noch eine neue Lösung finden kön-en.
Es ist natürlich nicht unproblematisch, dass die recht-ichen Grundlagen für die Altersversorgung und für dierankenversicherung mit diesem Gesetzentwurf zumritten Mal in den letzten fünf Jahren geändert werden.ie wissen, dass es dann ab 2010 ein neues Recht gebenird. Mit dem Alterseinkünftegesetz haben wir ein spe-ielles Recht, und es besteht auch noch das alte Rechton 2004, weil es beispielsweise im Bereich der Kran-enversicherung und vor allen Dingen im Bereich derltersversorgung langfristige Verträge gibt.Wir begrüßen es seitens der Union ausdrücklich, dassier die sogenannte Günstigerprüfung eingeführt wird,as heißt, dass diese Gesetzesänderungen nicht zu einemachteil des Steuerpflichtigen führen dürfen. Deshalbibt es automatische Prüfungen seitens des Finanzamtes,nd für den einzelnen Steuerpflichtigen wird genau aus-erechnet, welcher Weg für ihn der günstigste ist. Wiregrüßen das außerordentlich.Diese Entlastung um 9,33 Milliarden Euro wird durchin Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorgegeben.ch glaube, das passt gut in die aktuelle konjunkturelleituation. Auch bei den anderen Konjunkturpaketen ha-en wir über dieses Thema diskutiert. Dieser Gesetzent-urf ist ein wichtiger Baustein, um den Menschen zueigen, dass sie nicht nur belastet, sondern auch entlasteterden.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22783
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Klaus-Peter FlosbachWir unterstützen die Bundesregierung seitens derUnion, damit diese Entlastung zum 1. Januar 2010 wirk-sam wird.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Barbara Höll für
die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom
Februar vergangenen Jahres das Grundprinzip bestätigt,
dass alle Aufwendungen, die die Menschen zur Sicher-
stellung ihres Existenzminimums brauchen, nicht be-
steuert werden dürfen, also steuerfrei zu stellen sind.
Dazu gehören auch die Aufwendungen für die private
Krankenversicherung und Pflegeversicherung. Aller-
dings – das wurde schon betont – schließt das nicht alle
Aufwendungen ein, sondern nur die Leistungen, die dem
Katalog der gesetzlichen Krankenkassen zur Erlangung
des sozialhilferechtlich gleichen Lebensstandards ent-
sprechen. Chefarztbehandlung und Einzelzimmer gehö-
ren also nicht dazu. Zum Glück folgt die Bundesregie-
rung in ihrem Gesetzentwurf genau dieser Logik.
Gleichzeitig zeigen sich aber die Schattenseiten des ge-
setzlichen Leistungskatalogs und damit die unsoziale
Gesundheitspolitik von rot-grüner und Großer Koalition:
Die Menschen müssen Brillen komplett selbst bezahlen;
sie sind nicht mehr im Leistungskatalog enthalten. Hör-
hilfen und Zahnersatz müssen zu großen Teilen selbst
bezahlt werden und sind nicht einmal voll steuerlich ab-
setzbar.
Wir als Linke begrüßen ausdrücklich, dass die Bei-
träge zur gesetzlichen Krankenversicherung in vollem
Umfang steuerlich berücksichtigt werden. Allerdings
– damit komme ich zum Knackpunkt, um den Sie he-
rumgeredet haben – wird die Neuregelung zu erhebli-
chen Steuerausfällen in Höhe von 9 Milliarden Euro pro
Jahr führen. Sie brüsten sich bereits damit. Aber ich
frage mich, wie das gegenfinanziert werden soll. Dazu
sagen Sie bisher sehr wenig.
In einer Pressemitteilung des Finanzministeriums
vom 16. Juli vergangenen Jahres heißt es:
Daher werden wir prüfen, welche Instrumente uns
zur Verfügung stehen und wo Handlungsspielräume
bestehen, um eine gerechte Finanzierung zu ge-
währleisten. Dies führt dazu, dass die Entlastung im
Bereich der höheren Einkommensbezieher kleiner
ausfällt, während sie bei den unteren und mittleren
Einkommen wenn möglich nicht von der Gegenfi-
nanzierung betroffen werden soll.
Wo ist das geblieben? Es ist nicht mehr zu finden. Im
Gegenteil: Herr Steinbrück sprach auch mal davon, dass
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22784 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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Es handelt sich hier um eine rein steuerliche Regelung.
Viele Bürgerinnen und Bürger erfahren aufgrund einer
verfehlten Gesundheitspolitik – Stichwort „Gesundheits-
fonds“ – erst einmal eine höhere Belastung. Die vorgese-
hene steuerliche Entlastung kompensiert die höhere Be-
lastung durch den Gesundheitsfonds zum Teil überhaupt
nicht. Das heißt, einige, die höhere Beiträge aufgrund
des Gesundheitsfonds zahlen müssen, werden trotz steu-
erlicher Entlastung unter dem Strich höher belastet. Man
muss das gesamte System berücksichtigen und darf nicht
isoliert die Steuerfrage betrachten.
Das Bundesfinanzministerium selbst schätzt, dass nur
57 Prozent der Steuerpflichtigen, also jeder Zweite, in
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Herr Flosbach, wenn ich auf das Schmierentheatervon Herrn Thiele hätte eingehen müssen, dann wäremeine Reaktion sicherlich nicht halb so moderat ausge-fallen wie Ihre. Dafür möchte ich mich herzlich bedan-ken.Herr Thiele hat sich hier hingestellt und alle Versiche-rungen, die man sich überhaupt nur vorstellen kann, auf-gezählt und so getan, als ob irgendjemand alle dieseVersicherungen gleichzeitig steuerlich geltend gemachthätte.
Er hat darüber hinaus so getan, als ob bisher alle dieseVersicherungen unbegrenzt abzugsfähig gewesen wären.Das stimmt doch gar nicht. Die meisten haben die Bei-träge für ihre Versicherungen treu und brav jedes Jahr inihr Steuererklärungsformular eingetragen.
Diese Beiträge hatten aber überhaupt keine Auswirkun-gen, weil die Krankenkassenbeiträge ausgereicht haben,um den Höchstbetrag der steuerlichen Absetzbarkeitauszuschöpfen.
Frau Kollegin, Herr Kollege Thiele möchte gerne eine
Zwischenfrage stellen.
Klar.
Frau Kollegin Frechen, mich überrascht schon, dass
Sie sagen, alles Mögliche könne geltend gemacht wer-
den. Nach der derzeitigen Rechtslage kann nicht alles
Mögliche geltend gemacht werden. Aber der Arbeitslo-
senversicherungsbeitrag kann geltend gemacht werden,
ebenso die Beiträge für die Erwerbsunfähigkeits- und
Berufsunfähigkeitsversicherung, die Unfallversicherung
und die Haftpflichtversicherung. Das ist doch nicht „al-
les Mögliche“.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat dem
Gesetzgeber mit keinem Wort vorgegeben, diese Rege-
lung zu streichen. Das Bundesverfassungsgericht hat
dem Gesetzgeber nur vorgegeben, dass die Einschrän-
kung bei der Berücksichtigung von Krankenversiche-
rungsbeiträgen, wie es das geltende Gesetz vorsieht,
nicht erfolgen darf. Warum verschwiegen wird, dass all
das gestrichen wird, was ich vorgetragen habe, können
Sie mir als Antwort auf meine erste Frage erklären. Wa-
rum Sie diese zu berücksichtigenden Ausgaben nicht ku-
mulativ behandeln, sondern ausschließen wollen, kön-
nen Sie mir als Antwort auf meine zweite Frage sagen.
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ber vielleicht hat sich in der Zwischenzeit das Publi-
um geändert. Auch die neuen Besucher müssen all die
ersicherungen kennen, die Sie vorhin genannt haben.
Auch das kann sein. Es ist sehr nett von Ihnen, dass Sie
uch die Präsidentin ins Bild setzen. Wir führen heute
ie erste Lesung durch.
err Flosbach, haben Sie verschwiegen, dass die sonsti-
en Vorsorgeleistungen gekürzt werden?
err Thiele hat gerade gesagt, Sie hätten das verschwie-
en. Ich habe das gehört.
Aber warum stellen Sie jetzt die Frage mit demselben
enor noch einmal?
Er hat es nicht verschwiegen, wir werden es nicht ver-
chweigen, und auch ich werde es sagen.
Selbstverständlich hat das Bundesverfassungsgericht
icht gesagt, dass irgendetwas gestrichen werden müsse.
o etwas macht das Verfassungsgericht auch nicht. Aber
ir sorgen mit diesem Gesetz dafür, dass bei Menschen,
ie nach dem neuen Gesetz schlechter gestellt würden,
ie alte Regelung mit den anderen Versicherungsleistun-
en wieder auflebt. Ich weiß jetzt nicht, wo Sie mir et-
as – –
Herr Kollege Thiele, die Rednerin beantwortet Ihrerage. Es wäre schön, wenn Sie zuhörten.
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22786 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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Solange die Uhr angehalten ist, dürfen Sie fragen,
was Sie wollen.
Wir haben schon gehört, dass das Bundesverfassungs-
gericht festgestellt hat, dass die steuerliche Behandlung
der Krankenversicherungsbeiträge von Privat-Versicher-
ten mit Kindern nicht verfassungsgemäß war. Dies wird
mit diesem Gesetz geändert. Das Urteil bezog sich im
Einzelfall auf Beiträge für Privat-Versicherte. Dass die
Umsetzung in gleicher Weise für gesetzlich Versicherte
gilt, ist selbstverständlich. Eine wie auch immer geartete
einseitige Regelung ist mit uns natürlich nicht zu ma-
chen.
Die Neuregelung wird zu Steuermindereinnahmen in
Höhe von 9,3 Milliarden Euro führen. Dies bedeutet, un-
technisch gesprochen, dass die Bürgerinnen und Bürger
ab dem kommenden Jahr diese Summe zusätzlich im
Geldbeutel haben werden. Wie Herr Thiele darauf
kommt, dass es Steuererhöhungen sein sollen, bleibt sein
Geheimnis. Wahrscheinlich hat es damit zu tun, dass er
die FDP immer als Steuersenkungspartei bezeichnet. In
Wirklichkeit ist die FDP nichts weiter als eine Steuersen-
kungsankündigungspartei.
Immer dann, wenn sie in der Opposition ist, fordert sie
Steuersenkungen. In den vielen Jahren, in denen sie an
der Regierung beteiligt war, ist nicht einmal eine Steuer
gesenkt worden. Schwups, kaum in der Opposition, for-
dert sie schon wieder Steuersenkungen.
Das war jetzt nur ein kleiner Ausflug in die Historie von
Herrn Thiele.
– Doch, das war genau zutreffend. Ich fertige einmal ein
Buch mit allen Steuersenkungen an, die die FDP in der
Zeit ihrer Regierungsbeteiligung mitbeschlossen hat. Da
werden wir sehr viel Papier sparen, weil in diesem Buch
kein einziges Blatt sein wird.
– Nein, das ist nicht an der Realität vorbei. Aber ich
habe vorausgesehen, dass Sie auch bei diesem Gesetz
wieder ein Haar in der Suppe finden und es ganz genüss-
lich spalten werden. Sie haben mich nicht enttäuscht,
was für mich natürlich auch eine Genugtuung ist.
Fakt ist, dass 80,2 Prozent der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer von diesem Gesetz profitieren. Allein
sie bekommen 7,2 Milliarden Euro zurück. Bei den
Selbstständigen sind es 1,6 Milliarden Euro, bei den Be-
amten 560 Millionen Euro. Die Arbeitnehmerinnen und
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Das ist die erste Lesung zum Bürgerentlastungsge-etz. Es geht um die steuerliche Behandlung der Kran-enversicherungsbeiträge, egal ob die Leute gesetzlichder privat krankenversichert sind, egal ob sie viel oderenig Gehalt beziehen. Die Frage, die Sie gerade ge-tellt haben, geht knapp am Thema vorbei.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22787
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Gabriele Frechen
– Es geht um die steuerliche Behandlung von Kranken-versicherungsbeiträgen. Sie haben doch gesagt, in steu-erlicher Hinsicht hätte ich recht. Somit bin ich für denMoment zumindest zufrieden.
– Ich glaube, Sie haben meine Antwort nicht verstanden,oder Sie wollten sie nicht verstehen. Wir sollten etwashöflicher miteinander umgehen.
– Ich kann Ihnen vielleicht nicht folgen, verstehen kannich Sie schon. Also das können Sie mir schon zutrauen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kolle-
gin Höll, Frau Kollegin?
Ja.
Liebe Frau Kollegin Frechen, das hat schon alles et-
was mit unserem Problem zu tun; denn es geht auch um
die Frage der Gegenfinanzierung und zugleich um die ei-
ner sozial gerechten Verteilung von Be- und Entlastung.
Auf die Frage der sozial gerechten Verteilung der Belas-
tung konnten oder wollten Sie nicht antworten. Ich
möchte Sie fragen, welche Vorstellungen überhaupt zur
Gegenfinanzierung dieses Steuerentlastungspakets vor-
handen sind; denn bei anderen Diskussionen, die wir in
den vergangenen Jahren hatten, wurde uns erklärt, dass
zum Beispiel weder eine Erhöhung des Kindergeldsatzes
auf 200 Euro noch eine Anhebung der Hartz-IV-Regel-
sätze auf mindestens 435 Euro möglich ist, weil dafür
das Geld fehlt. Jetzt beschließen wir ein Gesetz mit ei-
nem Entlastungsvolumen von 9 Milliarden Euro, und
plötzlich ist das Geld da. Das verwundert mich etwas.
Darauf hätte ich gerne eine Antwort.
Liebe Frau Kollegin Höll, wir haben von Anfang angesagt, dass eine Gegenfinanzierung nicht vorgenom-men wird. Es war vielleicht kein von uns forciertes undauch nicht ein von uns gewünschtes Konjunkturpaket,aber in der jetzigen Situation halten ich, die Bundes-regierung und die Kolleginnen und Kollegen in derFraktion es für sinnvoll, für 2010 dieses von uns nichtpropagierte, aber jetzt von uns umzusetzende Konjunk-turprogramm wirken zu lassen.
Im Einzelnen heißt das: Ein verheirateter Alleinver-diener mit zwei Kindern und einem Einkommen von70 000 Euro, der 3 950 Euro für sich und seine Familiebezahlt, erhält eine Entlastung von 274 Euro. Gehenbeide Ehegatten arbeiten, zahlen sie bei gleichem Ein-kddsneaclHmozrdigaSBa–rstmdv–Fz–Ss–vs
Das muss ich noch gar nicht. Es ist nämlich ein Regie-ungsentwurf, Herr Thiele. Aus ganz grauer Vorzeit wis-en Sie vielleicht noch, was das bedeutet.
Ich möchte jetzt gern einen ganz anderen Punkt ver-reten – er liegt mir sehr am Herzen –: Wir werden ge-einsam – das steht noch nicht im Regierungsentwurf –as Schulstarterpaket ausweiten, und zwar auf die Zeitom 11. bis zum 13. Schuljahr.
Ja, ich konnte Sie überraschen. Das freut mich jetzt. –ür uns war nie verständlich, warum dieses Paket nur bisum 10. Schuljahr angeboten wurde.
Frau Höll, Sie sehen doch: Steter Tropfen höhlt dentein. Man kommt auch dann zum Ziel, wenn man nichto laut brüllt.Wir weiten dieses Paket jetzt aus.
Genau. – Durch dieses Gesetz werden auch die Kinderon Geringverdienern, die die Schulklassen 11 bis 13 be-uchen, mit dem Schulstarterpaket ausgestattet.
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Gabriele FrechenDarüber bin ich sehr erfreut. Das sind immerhin 250 000Schülerinnen und Schüler. Der Kreis der Empfangsbe-rechtigten wird auf die sogenannten Aufstocker ausgewei-tet. Damit haben wir einen weiteren Beitrag zur sozialenGerechtigkeit geleistet. Ich freue mich auf konstruktiveBeratungen.Herzlichen Dank.
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Antje Tillmann, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!„Mitmachen statt Miesmachen“ heißt das Motto unsererJugendorganisation. Die heutige Debatte zeigt wieder,dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Oppo-sition, das Miesmachen für Ihr politisches Programmhalten.
Das finde ich bedauerlich. Das wird uns aber nicht daranhindern, diesen Gesetzentwurf als gute Grundlage in dieDebatte einzubringen.
Herr Thiele hält Steuersenkungen in Höhe von9,5 Milliarden Euro für ein Steuererhöhungsprogramm.Die Linken haben den üblichen Beißreflex. Dass Leute,die höhere Beiträge zahlen, auch höher entlastet werden,kann aus ihrer Sicht natürlich nur unsozial und ungerechtsein. Ich bin froh, dass die Grünen ihre Position sehrausgewogen dargestellt haben, Frau Kollegin Scheel.Aus unserer Sicht ist dieser Gesetzentwurf eine sehr guteDiskussionsgrundlage.Wir beginnen heute mit der Beratung hier im Parla-ment; allerdings hat sich auf dem Weg vom Referenten-entwurf zum Gesetzentwurf schon einiges getan: Wirhaben den Kreis derjenigen, deren Krankenversiche-rungsbeiträge begünstigt werden können, ausgeweitet.Neben den Ehepartnern und den Kindern sind jetzt auchdie Lebenspartner aufgenommen. Für Geschiedene kön-nen Krankenversicherungsbeiträge künftig über den Un-terhaltsfreibetrag hinaus geltend gemacht werden. Ichdanke dem Ministerium dafür, dass dieses Ergebnis einerBeratung zum Referentenentwurf so schnell in den Ge-setzentwurf aufgenommen wurde.Liebe Kollegen von der Linken, wir haben uns in die-ser Legislaturperiode sehr ausführlich mit den Beziehernvon kleineren und mittleren Einkommen beschäftigt.Wir haben den Kinderbonus eingeführt. Wir haben dasKindergeld erhöht. Wir haben den Grundfreibetrag er-höht. Wir haben den Eingangssteuersatz gesenkt. Wirhaben die Regelleistungen für 6- bis 13-Jährige erhöht.VddbuthgSLbSUgdSKsfKctv1üBktImdwDwttsBlSzwnnvl
as wird in diesem Gesetzentwurf geändert. Das findenir richtig und gerecht.Zweites Beispiel. Ein besserverdienender Angestell-er zahlt nur deshalb so hohe Krankenversicherungsbei-räge, weil er mit seinen Beiträgen diejenigen unter-tützt, die sich aufgrund niedrigen Einkommens dieeiträge nicht leisten können. Das ist richtig. Das ist so-idarisch. Das ist in Ordnung. Nicht in Ordnung ist, dassie meinen: Weil er hohe Krankenversicherungsbeiträgeahlt – in Klammern: aus solidarischer Gesinnung undeil wir es gesetzlich so vorgesehen haben –, soll er sieicht steuerlich geltend machen dürfen. Wir könnenicht erst Solidarität einfordern und dann denjenigen,on dem wir die Solidarität einfordern, im Regen stehenassen.
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Antje TillmannDas wird durch diesen Gesetzentwurf geändert. Das istgerecht und solidarisch. Es ist auch nicht zu beanstan-den, dass jemand, der hohe Beiträge zahlt, diese Beiträgein voller Höhe steuerlich geltend machen kann.Frau Kollegin Frechen hat darauf hingewiesen, dasswir den vorliegenden Gesetzentwurf nutzen werden, umauch in einem anderen Fall, in dem es um finanziellschwächere Familien geht, nachzubessern, nämlich beimSchulstarterpaket. Ja, es ist so: Wir haben dafür längergebraucht. Wir wollten das auch für diejenigen vernünf-tig regeln, die nicht unter die Hartz-IV-Regelungen fal-len. Wir wollten das Schulstarterpaket auch den Fami-lien zugutekommen lassen, die ein bisschen mehr alsHartz IV haben, nämlich denjenigen, die den Kinderzu-schlag bekommen. Wir werden das mit diesem Gesetzumsetzen. Auch damit werden wir wieder diejenigenfördern, die keine Steuern oder nur ganz geringe Steuernzahlen.In diesem Gleichgewicht von Sozialleistungen – sol-che haben wir in dieser Legislaturperiode schon in hin-reichendem Maße auf den Weg gebracht – und Entlas-tung derjenigen, die unseren Sozialstaat finanzieren,steht der Gesetzentwurf. Wir werden ihn in den kom-menden Wochen beraten und natürlich darüber sprechen– Herr Kollege Flosbach hat es gesagt –, ob wir nicht ander einen oder anderen Stelle auch bei anderen Versiche-rungsbeiträgen, die jetzt nicht begünstigt werden, nach-bessern müssen.Dem Grunde nach stehen wir zu diesem Gesetzent-wurf. Wir finden, dass hier Gerechtigkeit hergestelltwird. Bisher – so sagt das Verfassungsgericht – bestehtsie ganz offensichtlich nicht.Ich danke Ihnen.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/12254 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Dritten Gesetzes zur Änderung des Opferent-
schädigungsgesetzes
– Drucksache 16/12273 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Tourismus
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Wir sollten auch da der gesellschaftlichen WirklichkeitRechnung tragen und eine klare Gesetzessprache ver-wenden. All diejenigen, die gemeint sind, sollten auchtatsächlich benannt werden und nicht etwa durch einenVerweis auf das Bundesversorgungsgesetz erfasst wer-den. Das müsste in den Beratungen, die vor uns liegen,eigentlich möglich sein.Was den Inhalt anbelangt, teile ich beide Zielrichtun-gen, die von Staatssekretär Brandner hier vorgestelltworden sind. Es hat sich spätestens in Mölln gezeigt,dass es sinnvoll ist, dass Personen, die in Deutschland zuBesuch sind und hier Opfer eines Terroranschlags wer-den, wie es beispielsweise bei einer türkischen Familieder Fall war, von den Bestimmungen erfasst werden.Dieses Ziel wird von uns ausdrücklich unterstützt.
Anschläge werden in einigen Urlaubsregionen verübt,weil sie dort aufgrund der geringeren Sicherheitsvorkeh-rungen leichter durchgeführt werden können. Das war inDjerba, auf Bali und zuletzt in Bombay der Fall. Wenndeutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger Opfer einessolchen Anschlages werden, dann handelt es sich umeine Art Aufopferung, auch wenn es rechtlich gesehennicht der Fall ist. Deshalb haben wir die Pflicht – schonin unserem Antrag aus dem Jahr 2002 haben wir diesesAnliegen geäußert –, uns um diese Menschen zu küm-mern.Ich habe immer ein schlechtes Gewissen gehabt, dassnach einer Härtefallregelung vorgegangen wurde unddass es keinen tatsächlichen Rechtsanspruch gab. VieleOpfer hatten das Gefühl, dass sie ein zweites Mal zumOpfer wurden, weil sie auf staatliche Nachsicht ange-wiesen waren und keinen wirklich begründeten Rechts-anspruch hatten.Herr Staatssekretär, Sie haben natürlich zu Recht da-rauf hingewiesen, dass es komplizierte Fragestellungendurchaus auch an Stellen gibt, wo, wie ich finde, derStaat nicht eintreten muss. Wir alle erinnern uns – diemeisten sind ja in einem Alter, dass man sich daran nocherinnern kann –, dass ein sehr bekannter bayerischer Po-litiker bei einem Besuch im New Yorker Nachtleben zuSchaden gekommen ist.
Es ist ganz selbstverständlich, dass die BundesrepublikDeutschland nicht einzustehen hat, wenn man sich ineine solche gefahrengeneigte Situation begibt, wie dasdamals der Fall war. Wie dem auch sei, es ist vollkom-men klar: Der deutsche Steuerzahler kann nicht in An-spruch genommen werden, wenn sich jemand selbst inGefahr begibt und dann dabei Schaden erleidet.–gemtCgfBhgIigOsWdtwddfoscC
Bitte sehr, Herr Kollege, wenn die Frau Präsidentin esestattet.
Ich gestatte es, Herr van Essen.
Herr Kollege Kauder, ich weiß, Sie müssen immer
ine Zwischenfrage stellen. Deshalb sage ich sofort im-
er Ja.
Herr Kollege Kauder, Sie reden ja danach und könn-
en in Ihrer Rede auf Herrn van Essen eingehen.
Zumal er frei redet.
Ich lasse die Zwischenfrage trotzdem zu.
Siegfried Kauder (CDU/
SU):
Das wäre dann aus dem Zusammenhang gerissen.
Herr Kollege van Essen, können wir uns darauf eini-
en, dass auch bei Inlandstaten Ausschlusstatbestände
ür denjenigen gegeben sind, der sich in Gefahr bringt?
ei der Auslandstat, die wir jetzt in das OEG einbezie-
en, gilt also nichts anderes.
So ist es. Sie haben es richtig dargestellt. Aber, wie
esagt, Sie hätten dies auch in Ihrer Rede tun können.
ch weiß ja, wie gerne Sie Zwischenfragen stellen, wenn
ch rede. Deshalb wollen wir es bei dieser Tradition
erne belassen.
Es ist gut, dass wir jetzt einen Rechtsanspruch in das
pferentschädigungsgesetz aufnehmen. Das findet un-
ere Unterstützung. Wir sollten uns – das ist mein
unsch – in den Beratungen insbesondere darüber Ge-
anken machen, wie wir das Ganze lesbarer ausgestal-
en. Aber, wie gesagt, die Zielrichtung des Gesetzent-
urfes ist richtig. Das ist ein erneutes Beispiel dafür,
ass im Bundestag nicht nur gestritten wird, sondern
ass man auch an einem Strang ziehen kann, wenn dies
ür die Menschen gut ist. Gerade wer Opfer einer Straftat
der Opfer eines Terroranschlages geworden ist, hat An-
pruch darauf, dass wir uns gemeinsam Gedanken ma-
hen, zu guten Lösungen zu kommen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Siegfried Kauder, CDU/SU-Fraktion.
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22792 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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Siegfried Kauder (CDU/CSU):Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Meine Damen und Herren! Jahr für Jahr werden inder Bundesrepublik Deutschland etwa 700 000 Men-schen Opfer schwerer Straftaten, Opfer von Attentaten,Opfer von Vergewaltigungen, Opfer von Körperverlet-zungen, Opfer von Freiheitsberaubungen und, wie wir esam 11. März 2009 in Winnenden erlebt haben, Opfer vonAmokläufen. Diese Menschen sind schwer traumatisiert.Das gilt auch für die Hinterbliebenen der Opfer vonStraftaten. Sie brauchen Hilfe, sie brauchen Unterstüt-zung, die sie – darüber sind wir sehr dankbar – teilweisevon ehrenamtlichen Helfern, von Institutionen wie derdes Weißen Ringes bekommen.
Das allein reicht aber nicht aus. Auch der Staat ist inder Pflicht. So wie bei der heute anstehenden Änderungwar es schon in den 70er-Jahren. Die Diskussion, ob derStaat eine staatliche Entschädigung an Opfer zahlensollte, entbrannte im Jahr 1971 und dauerte bis zum Jahr1976. Die Diskussion war durchaus kontrovers. Nochimmer geistert das Dogma durch die Diskussion, dasOpferentschädigungsgesetz sei geprägt von dem Gedan-ken, dass der Staat dann einzustehen habe, wenn es ihmnicht gelinge, innere Sicherheit zu gewährleisten, undwenn deshalb, weil das Gewaltmonopol nicht ziehe, einBürger Opfer einer Straftat werde. Dieses Dogma gab esnie. Wenn man in den Gesetzentwürfen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aus dem Jahr 1971 nachliest, kannman schon in den ersten einleitenden Sätzen feststellen,dass die Intention des Opferentschädigungsgesetzes derUmstand war, dass man Menschen, die durch eine Straf-tat in eine Notlage geraten sind, helfen solle. Deswegenist es auch kein Paradigmenwechsel, wenn wir heute sa-gen, wir wollen auch die Auslandstat einbeziehen.Mit diesem Gesetzentwurf wollen wir die Lückeschließen, die man schon 1976 beim Erlass des OEGhätte schließen können. Es ist eine etwas paradoxe Situa-tion, über die wir zu diskutieren haben: Eine deutscheFrau, die in Spanien vergewaltigt wird, bekommt nachdeutschem Opferentschädigungsrecht keine Opferrente.Wird aber eine spanische Frau zum Beispiel von einemItaliener in Deutschland vergewaltigt, bekommt diesespanische Frau in Deutschland wegen des europaweitgeltenden Diskriminierungsverbotes eine Opferentschä-digung. Das heißt, die deutsche Frau, das deutsche Opfersteht im Ausland schlechter da, als das ausländische Op-fer im Inland. Wir sind aufgerufen, dieses Problem zu lö-sen, diese Lücke zu schließen. Genau dazu ist dieser Ge-setzentwurf vorgesehen.Herr Kollege van Essen, ich verhehle nicht, dass ichgerne alle Fraktionen bei diesem Entwurf eingebundenhätte. Aber es gab – Sie haben das schon angesprochen –gewisse Friktionen, die ich nicht wieder entstehen lassenwollte, weil uns die Zeit davonläuft. Bis zum Ende derLegislaturperiode haben wir nur noch wenige Sitzungs-wochen. Deswegen mussten wir handeln. Ich bitte, dasnicht als Affront zu verstehen. Alle Fraktionen des Deut-ssdsguetedtsEOgtbDdwWdtshdLsns2ndtOgsumhkmguinA
Für uns war es außerordentlich wichtig, im Bereicher Entschädigung bei Auslandstaten etwas Beispielhaf-es einzuführen, über das wir genauer nachdenken müs-en: Ein Opfer, das traumatisiert ist, braucht sofort Hilfe.s braucht eine psychotherapeutische Begleitung. Daspfer muss wissen, wer diese psychotherapeutische Be-leitung bezahlt. Es gibt Fälle, in denen ein traumatisier-es Opfer für den Weg durch alle Instanzen sieben Jahrerauchte, ehe über die Entschädigung befunden wurde.as ist ein untragbarer Zustand. Deswegen müssen wirazu beitragen, dass die Verfahren unbürokratischererden und schneller abgewickelt werden können.
ir haben in diesem Gesetzentwurf daher vorgesehen,ass es bei Auslandstaten als Entschädigung Pauschalbe-räge gibt. Das Opfer kann ins Gesetz schauen und fest-tellen: Dieser Betrag steht mir zu. Auf diesen Betragabe ich einen Anspruch. Wir hoffen, dass dies zu einereutlich schnelleren Abwicklung führen wird.Wenn wir diesen Gesetzentwurf in zweiter und dritteresung verabschiedet haben, erleben wir eine Stern-tunde des Opferschutzes. Das finde ich gut. Es kommticht von ungefähr, dass wir gerade heute in erster Le-ung über dieses Gesetz beraten. In wenigen Tagen, am2. März 2009, findet, wie jedes Jahr, der Tag des Krimi-alitätsopfers statt. An diesem Tag sind wir aufgerufen,arüber nachzudenken, was wir für die Opfer von Straf-aten noch zu tun haben. Mit der Entscheidung über dasEG ist die Debatte über Hilfen, die wir den Opfern an-edeihen lassen müssen, noch lange nicht abgeschlos-en. Opferschutz ist immer in Bewegung. Wir werdenns weiterhin Gedanken darüber machen müssen, wiean die Privatsphäre eines Opfers in der Gerichtsver-andlung und gegenüber der Presse besser schützenann. Wir werden uns auch Gedanken darüber machenüssen, wie man die Videografie verbessern kann. Esibt also viele Felder des Opferschutzes, auf denen wirns betätigen können.Ich bin froh, dass die Politik den Blick viel stärker alsn früheren Jahren auf das Opfer richtet. Wir sind auf ei-em guten Weg.
lle sind eingeladen, mitzumachen.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22793
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Siegfried Kauder
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sevim Dağdelen,
Fraktion Die Linke.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Mit dem Entwurf der Koalitions-
fraktionen ereilt das Hohe Haus in dieser Legislaturperiode
die dritte Vorlage zur Änderung des Opferentschädi-
gungsgesetzes. Doch die Linke findet, es hat sich bisher
nichts Substanzielles geändert. Die Opferinteressen la-
gen bislang anscheinend außerhalb des großkoalitionä-
ren Blickfeldes. Nichts anderes bleibt mir als Schlussfol-
gerung übrig, vor allen Dingen in Anbetracht der
Tatsache – das hat mein Vorredner deutlich gemacht –,
dass man kurz vor Toresschluss einen Rumpfvorschlag
einbringt, der vor allen Dingen auf der betagten Initia-
tive von Bündnis 90/Die Grünen basiert.
Die Linke hat Initiativen zur Fortentwicklung der
Entschädigung von Opfern von Gewaltstraftaten jedes
Mal ausdrücklich begrüßt. Jedes Mal haben wir aber
– das kann man nachlesen – die gleichen Lücken fest-
stellen und beklagen müssen. Die Opfer bzw. deren Hin-
terbliebene warten bis heute vergeblich auf eine substan-
zielle Regelung.
Was bringt der vorliegende Entwurf? Er enthält de-
taillierte Regelungen zur Entschädigung unschuldiger
Opfer vorsätzlicher Angriffe im Ausland sowie etwaiger
Hinterbliebener. Das mag in der Sache ein Fortschritt
sein, allerdings wohl eher motiviert durch die Erkennt-
nis, dass deutsches Engagement im Kampf gegen den
sogenannten internationalen Terrorismus auch zu einem
erhöhten Risiko für deutsche Staatsangehörige im Aus-
land führt. Der richtige Grundgedanke dabei ist: Wenn
der Staat durch sein Tun die Bevölkerung gefährdet, soll
er für das erhöhte Risiko einstehen.
Aber für nichtdeutsche Gewaltopfer, die sich nur vo-
rübergehend in Deutschland aufhalten, bleibt alles beim
Alten. Der Vorschlag wächst nicht über den Entwurf der
Grünen hinaus. Zum Beispiel wird die Ungleichbehand-
lung von Opfern in Ost und West aufrechterhalten.
Hinsichtlich der Einbeziehung von Lebenspartnern – das
wurde auch schon vom Kollegen van Essen beklagt –
fällt der Entwurf durch beredtes Schweigen hinter den
Entwurf der Grünen zurück.
Die Linke lehnt diese beschränkte Sicht auf die Opfer
ab.
Lassen Sie mich dazu einige Anmerkungen machen.
Ungleichbehandlung ausländischer Gewaltopfer: Au-
ßerhalb des privilegierten Kreises derjenigen, die bis
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Frau Kollegin, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen,
ass die Lebenspartnerschaft bei Inlandstaten durch die
erweisung auf das BVG ohnehin schon immer einbezo-
en war und dass der Gesetzentwurf, über den wir jetzt
iskutieren, auch bei Auslandstaten die Verweisung auf
as BVG enthält? Ihr Problem ist gelöst. Sie haben es
ur nicht erkannt.
Das sagen Sie, Herr Kollege Kauder. Das Problem istoch nicht gelöst, weil es keine richtige Klarstellung fürpfer von tätlichen Angriffen gibt. Sonst hätte das hiererade erwähnt werden können.
Ich komme zum Schluss meiner Rede. Jeder, der ineutschland Opfer einer vorsätzlichen Gewalttat wird,
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22794 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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)Sevim DaðdelenSevim Dağdelenmuss den gleichen Anspruch auf Entschädigung haben.Die Ungleichbehandlung bei der Opferentschädigung– nach Staatsangehörigkeit und vor allen Dingen nachWohnsitz – muss beendet werden. Denn der Schutzan-spruch gegenüber dem Staat ist meines Erachtens unteil-bar. Der Anspruch auf Fürsorge bei Staatsversagen musses auch sein; auch er gilt als unteilbar.
Für Bündnis 90/Die Grünen gebe ich das Wort dem
Kollegen Jerzy Montag.
Danke sehr, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Am 29. Mai 1993 haben feige Mordbrenner in
Solingen ein Haus angezündet. Bei diesem Brandan-
schlag, der zu einem Mordanschlag wurde, sind Gürsün
Ince, 27 Jahre alt, Hatice Genç, 18 Jahre alt, Hülya
Genç, 9 Jahre alt, Saime Genç, 4 Jahre alt, und Gülüstan
Oztürk, 12 Jahre alt, verbrannt. Der damalige Bundes-
kanzler Kohl hat sich geweigert, die Überlebenden in
Solingen zu besuchen, und hat stattdessen den Außenmi-
nister hingeschickt. Denn es waren Ausländer; sie hatten
mit Deutschland scheinbar nichts zu tun.
Was hat das mit dem Opferentschädigungsgesetz zu
tun? Sehr viel. Denn die Hinterbliebenen dieser Frauen,
Mädchen und Kinder haben Anträge nach dem Opferent-
schädigungsgesetz gestellt. Das oberste deutsche Gericht
hat diese Anträge abgewiesen, mit der Begründung, dass
das Opferentschädigungsgesetz für diese Personen nicht
einschlägig ist.
Herr Staatssekretär Brandner, ich bin etwas anderer
Auffassung als mein Kollege Kauder. Ich glaube, dem
Aufopferungsanspruch liegt die Überlegung zugrunde,
dass der Staat das Gewaltmonopol hat und zumindest im
Inland für den Schutz der Menschen einzustehen hat;
denn er ist die letzte Instanz. Die Tatsache, dass er für den
Schutz aller Menschen – ich betone: aller Menschen –, die
sich in Deutschland befinden, zuständig ist, würde es ei-
gentlich erforderlich machen, dass wir mit dieser Kas-
kade der Ausschlüsse im OEG endlich Schluss machen.
Wir sollten mit einem einfachen Satz erklären: Der Staat
zahlt Opferentschädigungsansprüche unter den Voraus-
setzungen des OEG an alle, die Opfer einer Straftat in
Deutschland geworden sind.
Dass die Koalitionsfraktionen nur einen ersten Schritt
machen, haben sie in ihrem Gesetzentwurf mit fiskali-
schen Argumenten – das steht dort ausdrücklich so drin –,
also mit Haushaltsargumenten, begründet. Ich gestehe:
Auch wir Grüne haben mit unserem Gesetzentwurf nur
einen ersten Schritt gemacht und das Gesetz so weit aus-
geweitet, dass der Fall von Solingen davon umfasst wird.
Wir wollen nämlich den Erfolg dieses Gesetzes.
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Zum Schluss will ich noch eines erwähnen: Es gibt ei-
en Gesetzentwurf mit identischem Inhalt: den Gesetz-
ntwurf der Grünen vom 28. März 2006. Die Koalition
at viel Gehirnschmalz darauf verwendet, aus der in un-
erem Gesetzentwurf vorgesehenen Formulierung von
10 b OEG in ihrem Gesetzentwurf einen § 3 a zu for-
ulieren und den Schutz der Lebenspartner hinter einer
askadenverweisung zu verstecken.
Herr Kollege Kauder, Sie haben recht: Die Lebens-
artner sind nach Ihrem Gesetzentwurf so geschützt wie
erheiratete. Sie sind nur nicht erwähnt. Das ist ein biss-
hen beschämend und kleinlich, ebenso wie ihr Vorge-
en, den Gesetzentwurf alleine und nicht mit uns
emeinsam einzubringen, obwohl unser grüner Gesetz-
ntwurf schon seit drei Jahren auf dem Tisch liegt.
enn es der Wahrheitsfindung dient: Wir werden Ihrem
esetzentwurf zustimmen.
Nächster Redner ist der Kollege Gregor Amann,PD-Fraktion.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22795
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Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen undKollegen! Am vergangenen Wochenende hat die Interna-tionale Tourismus-Börse in Berlin geschlossen. DieDeutschen reisen gerne und viel, und das ist auch gut so.Reisen bildet. 99 Prozent aller Deutschen, die privatoder beruflich ins Ausland fahren, kehren wohlbehaltennach Deutschland zurück, reicher an Erfahrung und Er-kenntnissen, vielleicht auch mit neuen Freundschaften.Das Fernweh der Deutschen ist einer der Gründe für dieNovellierung des Opferentschädigungsgesetzes. Ichmöchte vorweg sagen: Ich halte den vorliegenden Ge-setzentwurf für notwendig, aber auch für gut und sinn-voll.Ein beliebtes Ziel deutscher Touristen ist die tunesi-sche Insel Djerba. Es gibt dort Sonne, Strand und Meer,und man kann die berühmte Al-Ghriba-Synagoge be-sichtigen. Am 11. April 2002 jagte ein Selbstmordatten-täter der Terrororganisation Al-Qaida einen mit Gas be-ladenen Tankwagen vor dieser Synagoge in die Luft.21 Menschen, darunter 14 Deutsche, wurden getötet.17 Menschen erlitten schwere Verbrennungen.In unserer heutigen Medienwelt jagt eine Sensationdie andere. Schon wenige Tage nach einem solchen An-schlag gehen die Medien auf die Suche nach neuen Sen-sationen. Ein grausamer Anschlag wie der in Djerba hin-terlässt aber auch Opfer sowie die Hinterbliebenen undAngehörigen, deren Leben sich durch ein solches Ereig-nis für immer verändert. Die Überlebenden sowie dieHinterbliebenen und Angehörigen sind dann meist fürden Rest ihres Lebens durch physische und psychischeVerletzungen gekennzeichnet. Sie brauchen Fürsorgeund Hilfe, auch vonseiten des Staates.Die deutschen Opfer von Djerba bzw. ihre Hinterblie-benen und Angehörigen hatten keinen Anspruch auf Ent-schädigung, der über die normalen Leistungen unserersozialen Sicherungssysteme hinausgeht. Das Opferent-schädigungsgesetz – Staatssekretär Brandner hat es be-reits erläutert – regelt die eigenständige staatliche Ent-schädigungspflicht für Opfer von Gewaltdelikten, dieder Staat nicht vor dieser Tat schützen konnte. Insoweitist das Opferentschädigungsgesetz ein wichtiges Sozial-staatselement, auf das wir stolz sein können.Das bisherige Gesetz basiert allerdings auf dem Terri-torialprinzip. Das heißt, es gilt bisher nur in Fällen, indenen eine Gewalttat auf deutschem Staatsgebiet verübtwurde. Es gewährt auch keinen Schutz für Personen, diesich nur vorübergehend in Deutschland aufhalten undnicht mit Deutschen oder hier dauerhaft lebenden Aus-ländern verheiratet oder unmittelbar verwandt sind.Nach dem Attentat in Djerba, dem 11. September2001 in New York, aber auch den beschämenden auslän-derfeindlichen Anschlägen in Mölln und Solingen – HerrMontag, Sie haben es schon erwähnt – ist endgültig klar:Auch bei Gewalt und Verbrechen hat eine Globalisie-rung stattgefunden. Wir müssen hier über nationaleGrenzen hinaus denken. Terrorismus ist international.Deutsche können weltweit zu Zielen von Terrorismusund Verbrechen werden. Leider können auch in Deutsch-lbtGOgsvDissCEerkstanszmhOtltfeKsBhiwguceZsvea
Die eingetragenen Lebenspartnerschaften sind im Ge-etz nicht wörtlich erwähnt, aber über den Bezug auf dasundesversorgungsgesetz sind sie doch einbezogen. Wiraben bei der Gleichstellung von Schwulen und Lesbenn den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht,as die Pflichten angeht. Wir sind aber noch nicht sehrut, was die Rechte angeht.Wir Sozialdemokraten glauben, dass alle Menschennabhängig von ihrer sexuellen Orientierung die glei-hen Rechte haben sollten. Das muss auch für die Opfer-ntschädigung gelten.
Ich glaube, unser Gesetzentwurf ist auf der Höhe dereit. Das Opferentschädigungsgesetz wird zu einem Ge-etz, das Ansprüche von Opfern und Hinterbliebenenernünftig regelt, und zwar in dem Umfang, der heuterforderlich ist. Hoffen wir, dass wir es möglichst wenignwenden müssen.
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22796 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Paul
Lehrieder, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauer auf der Tribüne
und an den Fernsehgeräten! Heute Morgen auf dem Weg
in mein Büro bin ich an einem großflächigen Plakat vom
Weißen Ring vorbeigekommen, das an einer S-Bahn-
Station hing und auf dem sinngemäß stand: Wenn alle
den Täter verfolgen, wer kümmert sich dann um das Op-
fer? – Genau um dieses Thema geht es heute in der De-
batte über das Opferentschädigungsgesetz, das wir refor-
mieren wollen.
Zunächst ein paar Richtigstellungen, Herr Kollege
Amann, Herr Kollege Montag. Bei Ihnen kann ich es
verstehen, Herr Kollege Amann. Sie gehören ähnlich
wie ich in dieser Legislaturperiode zum ersten Mal die-
sem Hohen Hause an. Herr Montag, Sie aber müssten
doch wissen, dass wir bereits in der bisherigen Form des
Opferentschädigungsgesetzes den Verweis auf das BVG
haben, wo genau diese Frage der Lebenspartnerschaften
bereits mit Verweis geregelt ist.
– Frau Präsidentin, er hat vorhin selber gesprochen.
Wenn Sie Wert auf seine Frage legen, würde ich sie zu-
lassen. Aus meiner Sicht ist dies aber nicht erforderlich.
Wir sind eh schon genug im Verzug.
Ich frage Sie trotzdem: Lassen Sie die Zwischenfrage
des Kollegen Montag zu?
Ich bin nett und lasse sie zu, weil er gesagt hat, dass er
bei dem Gesetz mitmacht.
Ganz herzlichen Dank, Frau Präsidentin und Herr
Kollege Lehrieder. – Ich möchte Sie fragen, ob Sie die
Zeit finden und die Lust haben, sich mit mir nach dieser
Debatte für 15 Minuten zusammenzusetzen, damit ich
Ihnen erklären kann, dass es an einer Stelle im Opferent-
schädigungsgesetz einen Verweis auf das Bundesversor-
gungsgesetz gibt, dass aber die Bezugnahme, die wir
zurzeit haben, genau die beiden Fälle bisher nicht abge-
deckt hat, in denen Lebenspartner nicht wie Verheiratete
behandelt worden sind, und dass deswegen eine weitere
Bezugnahme an zwei Stellen notwendig ist, die in die-
sem Gesetzentwurf zusätzlich hinzugekommen ist, da-
mit es eine volle Angleichung gibt?
Sind Sie damit einverstanden, dass ich Ihnen das noch
einmal privatissime erkläre?
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In den Ausführungen der Vorredner ist bereits sehreutlich geworden, dass uns allen gemeinsam ist, denpfern von Gewalttaten auch dann zu helfen, wenn esach der bisherigen Form des Opferentschädigungsge-etzes nur unzureichend möglich war.Wie bereits gehört, gilt das Opferentschädigungs-esetz nicht für Menschen, die im Ausland Opfer vonewalttaten wurden. Auch für die Personen, die sich nurorübergehend in Deutschland aufhalten und weder miteutschen noch mit dauerhaft hier lebenden Personenerheiratet oder in gerader Linie verwandt sind, bietetas bisherige Opferentschädigungsgesetz keinen ausrei-henden Schutz. Daraus ergeben sich zwingend folgenderagen:Erstens. Ist es gerade vor dem Hintergrund der verän-erten weltpolitischen Rahmenbedingungen noch rich-ig, dass das Opferentschädigungsgesetz im Hinblick aufein Territorialprinzip diese Opfer ausklammert?Zweitens. Ist es richtig, dass Opfer nur auf die bisherchon möglichen Härtefallleistungen verwiesen werden?Drittens. Muss die staatliche Opferentschädigung hiericht weiterentwickelt werden?Gerade die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat in denergangenen Jahren im Sinne der Opfer nach Antwortenuf diese Fragen gesucht und tragfähige Lösungen ange-oten. Umso mehr freut es mich, dass wir nun gemein-am mit unserem Koalitionspartner – wie ich gehörtabe, auch mit der FDP und mit den Grünen – ein Gesetzuf den Weg bringen können, das die bisherige Lücke impferentschädigungsgesetz schließen wird.Ich möchte kurz die Regelungen im Einzelnen be-euchten. Zunächst zu den Deutschen, die im Auslandpfer von Straftaten wurden. Bei den zu erbringendeneistungen steht die schnelle medizinische Hilfe zusam-en mit der psychotherapeutischen Betreuung im Vor-ergrund. Bei den vorgesehenen Geldzahlungen handelts sich um Einmalzahlungen.Die Höhe der Einmalzahlung ist nach dem Grad derchädigungsfolgen gestaffelt. Bei einem Grad der Schä-igungsfolgen von 30 Prozent bis 40 Prozent entsprichtie beispielsweise dem Jahresbetrag der bei Inlandstatenei gleichem Schädigungsgrad gezahlten Grundrente,lso 1 428 Euro. Bei einem Grad der Schädigungsfolgenon 50 Prozent bis 60 Prozent beträgt die Einmalzahlung256 Euro. Es geht hoch bis zu einem Schädigungsgradon 100 Prozent, bei dem die Einmalzahlung 14 976 Euroeträgt.In § 3 a des Gesetzentwurfs zur Änderung des Opfer-ntschädigungsgesetzes werden die Leistungen für Hin-
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22797
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Paul Lehriederterbliebene geregelt. Hinterbliebene – einschließlich derEltern, deren minderjährige Kinder an den Folgen einerGewalttat im Ausland verstorben sind – sollen einen An-spruch auf notwendige psychotherapeutische Maßnah-men haben. Davon abgesehen haben sie Anspruch aufeine Einmalzahlung von bis zu 4 488 Euro. Auch dasmuss gesagt werden: Zu den Beerdigungs- und Überfüh-rungskosten wird ein Zuschuss von bis zu 1 506 Eurogewährt. Leistungsansprüche aus anderen öffentlichenund privaten Versorgungssystemen sind auf die Leistun-gen nach Abs. 2 und 3 anzurechnen.Nun zu den Menschen, die sich nur vorübergehend inDeutschland aufhalten. Von meinen Vorrednern wurdebereits auf den Fall Solingen hingewiesen. Der Schutz-bereich in § 1 Abs. 6 des Opferentschädigungsgesetzeswird vor allem auf Verwandte bis zum dritten Grad aus-gedehnt, die ihre dauerhaft in Deutschland lebendenAngehörigen besuchen. Bislang konnten diese Gruppenlediglich einen Härtefallausgleich nach § 10 b des Opfer-entschädigungsgesetzes erhalten. Es war zwar schon da-mals möglich, eine Entschädigung zu erhalten, aller-dings gab es keinen Rechtsanspruch darauf. Herr Kol-lege Montag, Sie haben zutreffend darauf hingewiesen.Jetzt ist sichergestellt, dass Geschädigte bei der Ver-sorgung gegenüber Hinterbliebenen nicht schlechter ge-stellt werden. Allerdings soll der Schutzbereich desOpferentschädigungsgesetzes aus Gründen der Finan-zierbarkeit gerade nicht generell für alle Touristen undGeschäftsreisenden gelten. Gerade der letztgenanntePersonenkreis dürfte oft schon anderweitig, zum Bei-spiel durch eine private Versicherung, abgesichert sein.Ich freue mich, dass die Gesetzesberatungen in denAusschüssen, die nach dieser heutigen ersten Lesung er-folgen werden, offensichtlich von der großen Mehrheitder Oppositionsfraktionen mitgetragen werden. Von zweiFraktionen habe ich schon Zustimmung signalisiert be-kommen, bei der dritten Oppositionsfraktion habe ichnoch meine Zweifel. Man wird sich überraschen lassen,ob Sie auch zustimmen können, liebe Freunde von denLinken.
Ich wünsche uns gute Beratungen und hoffe, dass wirnoch in dieser Legislaturperiode das Gesetz auf den Wegbringen können.Danke für die Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/12273 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
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Bahr , Heinz Lanfermann, Dr. Konrad
Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Moratorium für die elektronische Gesund-
heitskarte
– Drucksache 16/11245 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgitt
Bender, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Harald
Terpe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Das Recht auf informationelle Selbstbestim-
mung bei der Einführung der elektronischen
Gesundheitskarte gewährleisten
– Drucksache 16/12289 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Innenausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
raktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. – Ich höre
einen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
aniel Bahr, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ingangs dieser Debatte will ich ausdrücklich festhalten,ass die FDP die Chancen, die im Einsatz der Informa-ionstechnologie für das Gesundheitswesen liegen, aus-rücklich begrüßt.Grundsätzlich eröffnet die Telematik im Gesundheits-esen gute Perspektiven für eine bessere Versorgungnd bessere Abläufe. Jedem hier im Hause ist doch völ-ig klar, dass die moderne Informationstechnologie auchingang ins Gesundheitswesen erhalten muss, wodurcher Ablauf und die Zusammenarbeit verbessert werdenönnen, weil nicht mehr nur auf Papier und alten Wegenearbeitet wird.Gerade im Gesundheitswesen müssen wir aber beson-ers die Risiken berücksichtigen, die nun einmal damiterbunden sind, erst recht wenn es sich um solch sen-ible Daten wie die Gesundheitsdaten handelt. Dabeiarf man die Risiken nicht außer Acht lassen.Im Rahmen der damaligen Gesundheitsreform Seehofer/chmidt haben CDU/CSU, SPD und Grüne mit eineranz großen Koalition und gegen die Bedenken der FDPereis 2003 im Gesundheitsmodernisierungsgesetz dieinführung der elektronischen Gesundheitskarte be-chlossen. Die Realisierung, die mehrfach angekündigturde, lässt noch auf sich warten, da ein solch umfas-
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22798 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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Daniel Bahr
sendes System der elektronischen Gesundheitskarte al-lein technisch, aber auch aus Datenschutzgründen ebennicht so einfach einzuführen ist.
Wenn es um die Speicherung von Gesundheitsdatengeht, sollte besondere Vorsicht gelten. Ich will nieman-dem im Hause in Abrede stellen, dass damit keine gutenZiele verfolgt werden. Man stelle sich nur einmal vor,der Arbeitgeber bekäme Kenntnis über die Gesundheitseiner Mitarbeiter oder wüsste von der Erkrankung einesBewerbers, die potenziell dessen Leistungsfähigkeit ein-schränkt. Es ist wohl klar, dass Bürger nicht wollen, dassUnbefugte Zugriff auf ihre Gesundheitsdaten erhalten.Ich möchte noch ein anderes Beispiel nennen. AlsUnion und SPD den Behörden unter bestimmten Bedin-gungen den Zugriff auf die Computer der Bürger ermög-lichten, war der Aufschrei in der Bevölkerung zu Rechtgroß. Die Möglichkeit des Einblicks in intimste Datender Gesundheit eines Menschen ohne dessen Wissen undEinwilligung dürfte noch eine Steigerung darstellen.Deshalb muss man bei einem so umfassenden Systemder elektronischen Gesundheitskarte besonders aufmerk-sam und skeptisch werden, wenn ich auch weiß, dass derDatenschutzbeauftragte bisher die hohen Kriterien desDatenschutzes immer wieder angesprochen hat und auchin die Umsetzung eingebunden ist.Für uns als Liberale ist das Ziel: Wir wollen keinengläsernen Patienten.
Für die FDP ist Voraussetzung, dass der Versicherte stetsHerr über seine eigenen Daten ist und bleibt. Er soll da-rüber entscheiden, wer welche seiner Gesundheitsdatenzu welchem Zweck nutzen darf. Die Speicherung derNotfalldaten sowie in weiteren Ausbauschritten die elek-tronische Arzneimitteldokumentation und die elektroni-sche Patientenakte müssen dabei auf Freiwilligkeit beru-hen. Der Versicherte kann, muss aber nicht entsprechendeDaten zu diesen Zwecken speichern lassen.Ich sage Ihnen eines voraus: Ohne die Freiwilligkeitwird dieses Projekt wohl kaum die zum Gelingen erfor-derliche breite Akzeptanz finden. Das sehen wir an demUnmut, der bei den Leistungserbringern und Patientenderzeit bei der Umsetzung der elektronischen Patienten-akte in Deutschland festzustellen ist.Studien haben aber gezeigt, dass sich das gesamteProjekt um die elektronische Gesundheitskarte erst dannrechnet, wenn diese freiwilligen Zusatzanwendungenauch genutzt werden. Ansonsten übersteigen nämlich dieKosten des Aufbaus einer geeigneten Infrastruktur denaus dem Projekt entstehenden Nutzen, wie die Studiendarlegen.Schon häufig konnte man in anderen Bereichen erle-ben, wie hohe Datenschutzstandards aufgeweicht wur-den. Freiwillige Anwendungen können schnell zu Pflicht-anwendungen werden, wenn damit in einem finanziellstets auf Kante genähten Gesundheitssystem Kosten ein-gczbkdSlsflnsanThbPdzivshDfnjzRdvwawddjeÄgasrPKgzdnw
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22799
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Die Fraktion der Grünen nutzt die Gelegenheit, kurzfris-tig einen Antrag zur elektronischen Gesundheitskartenachzuschieben. Im Wesentlichen wird darin gefordert,was bereits in dem von Ihnen geforderten Sinne geregeltbzw. selbstverständlich ist. Nur ein Beispiel: Sie findenlobende und anerkennende Worte für die Vorkehrung zurDatensicherheit bei der E-Karte. Sie fügen hinzu: Somuss es bleiben. – Neu ist allerdings die absolut unrea-listische Forderung, dass es den Leistungserbringern,den Arztpraxen, freigestellt sein soll, an der Nutzung derE-Card teilzunehmen. Es liegt auf der Hand, dass das sonicht funktionieren kann.Die zentrale Forderung der FDP lautet, die Einfüh-rung der E-Card auf Eis zu legen, weil – so befürchtenSie – die Erfüllung zentraler Anforderungen wie die Da-tensicherheit, die Freiwilligkeit und die Gewährleistungeines vertrauensvollen Arzt-Patienten-Verhältnisses nichtgarantiert sei. Ich kann Ihnen versichern, dass die Uniondie in Ihrem Antrag geäußerten Anliegen und Sorgensehr ernst nimmt. Für uns, die CDU/CSU, haben die Da-tensicherheit bei der Einführung der elektronischen Ge-sundheitskarte und die Selbstbestimmung des Patientenüber seine Daten absolut oberste Priorität.
Es ist auch für uns eine Selbstverständlichkeit, dassdie Alltagstauglichkeit der E-Card eine unverzichtbareVoraussetzung für die Einführung in die ärztliche Praxisist. Wir wissen aber auch und sollten es ehrlich eingeste-hen, dass anspruchsvolle und hochkomplexe technischeNeuerungen nur selten von heute auf morgen perfektfzduIdtnt–rfiegbmttfGsDtsEetwQsbrfnwBdmsdllEmwdVvm
Das ist ein gutes Beispiel, das auch durch Zwischen-ufe nicht schlecht gemacht werden kann.Der Vorwurf einer übereilten und unbedachten Ein-ührung mutet in dieser Situation nahezu absurd an. Esst Ihnen doch bekannt – falls nicht, möchte ich es nochinmal in Erinnerung rufen –, dass die bundesweiten Or-anisationen der Selbstverwaltung im Gesundheitswesenereits seit Ende der 90er-Jahre als Aktionsforum „Tele-atik im Gesundheitswesen“ mit dem Thema der elek-ronischen Gesundheitskarte und den möglichen Inhaltenelematischer Anwendungen befasst sind. Schon vorünf Jahren, im Jahre 2004, wurde bereits die rechtlicherundlage für die E-Card mit dem Gesetz zur Moderni-ierung der gesetzlichen Krankenversicherung gelegt.ie Anforderungen an die Datensicherheit und die Funk-ionen der E-Card sind im SGB V verankert. Die ur-prünglich für das Jahr 2006 geplante flächendeckendeinführung der E-Card wurde verschoben. Die Test-rgebnisse zeigten damals noch viele Unzulänglichkei-en, die zwischenzeitlich behoben sind.Die flächendeckende Einführung erfolgt jetzt schritt-eise, über einen längeren Zeitraum gestreckt. Im erstenuartal 2009 hat der sogenannte Roll-out der elektroni-chen Gesundheitskarte in der KV-Region Nordrheinegonnen. Die Einführung der E-Card wird sich in meh-eren Etappen vollziehen. Die verschiedenen Karten-unktionen werden in verschiedenen Ausbaustufen erstach und nach zum Einsatz kommen. Die letzte Stufeird die umfassende elektronische Patientenakte sein.ei allen Stufen vorher geht es überhaupt nicht darum,ass sensible Patientenakten öffentlich verfügbar ge-acht werden. Es ist sichergestellt, dass die Patientenelber und in eigener Verantwortung darüber entschei-en, in welchem Umfang Daten gespeichert oder ge-öscht werden sollen und wem sie diese Daten zugäng-ich machen wollen.
s gilt das Prinzip der Freiwilligkeit. Jeder Versicherteuss wissen, dass es allein seine persönliche und frei-illige Entscheidung ist, welche Daten gespeichert wer-en und wer sie lesen kann. Es besteht kein Anlass, dieersicherten und Patienten zu verunsichern; denn dieerpflichtend auf der E-Card hinterlegten Daten stim-en im Wesentlichen mit den Informationen überein, die
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22800 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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Dr. Rolf Koschorrekauf der bisherigen Krankenversichertenkarte gespeichertsind:
Name, Geburtsdatum, Geschlecht, Anschrift und Kran-kenversicherungsnummer. Als zusätzliche verpflich-tende Funktion kommt das elektronische Rezept hinzu.Darüber hinaus können die Versicherten und Patien-ten freiwillig persönliche Gesundheitsdaten speichernlassen. Es ist sichergestellt, dass für diesen freiwilligenBereich strenge Datenschutzregeln gelten. Der Zugriffauf die Daten ist nur mit der Kombination aus persönli-cher Geheimnummer des Patienten und elektronischemHeilberufeausweis möglich, der zentraler Bestandteildes Sicherheitskonzepts der E-Card ist. Nur mit dieserLegitimation ist es möglich, Daten von der Gesundheits-karte zu lesen oder elektronische Rezepte und medizini-sche Daten zu speichern bzw. zu lesen.Wer trotz aller Vorkehrungen und Maßnahmen zumSchutz der Daten gleichwohl Bedenken hat, wird in eineSpeicherung seiner Gesundheitsdaten sicherlich nichteinwilligen. Für diejenigen bleibt hinsichtlich der Kom-munikation, Dokumentation, Bereitstellung und Nut-zung ihrer Gesundheitsdaten alles wie bisher. Das Prin-zip der Freiwilligkeit ist in diesem System elementar; eswird auch künftig nicht infrage gestellt.
Für die Weiterentwicklung unseres Gesundheitswe-sens, für die Patienten und Leistungserbringer bringt dieVernetzung von Gesundheitsdaten, wie sie mit der Ein-führung der elektronischen Gesundheitskarte möglichist, eine ganze Reihe von Vorteilen. Belastende und teureMehrfachuntersuchungen wie doppeltes Röntgen oderdoppelte Laboruntersuchungen können vermieden wer-den. Ärzte und Patienten haben einen schnelleren undbesseren, vollständigen Überblick über den Gesund-heitsstatus, zum Beispiel hinsichtlich Grunderkrankun-gen, Impfungen, Allergien, Vorsorgeuntersuchungen,des Verlaufs chronischer Erkrankungen und individuel-ler Risiken des Patienten. Das mühsame und zeitaufwen-dige Dokumentieren bzw. Suchen von Vorbefunden ent-fällt. Die Behandlungsqualität kann verbessert werden,wenn die Behandlungen besser aufeinander abgestimmtwerden und sich sinnvoll ergänzen. Mit der Arzneimit-teldokumentation werden Kontraindikationen und Dop-pelverordnungen vermieden. Im Notfall sind wichtigeDaten deutlich schneller verfügbar.
Wir sind als Politiker dafür verantwortlich, dass dieneuen technischen Möglichkeiten mit all ihren Vorteilenfür die Bürger genutzt werden. Zugleich setzen wir unsfür größtmögliche Datensicherheit ein und verfolgenkonstruktiv und kritisch die Aktivitäten der gemeinsa-men Selbstverwaltung, die in der Gesellschaft Gematikgebündelt sind. Weil wir die Kritik und die Sorgen hin-sichtlich der Datensicherheit ernst nehmen, tun wir allesdseBwestlBhIsckLtslEBseuedgsmnrstMKTSnserfEw
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22801
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Überall, wo auf zentralen Servern viele sensible Datengespeichert sind, wachsen natürlich Begehrlichkeiten.Durch die Onlinevariante wird es bei allem Datenschutzmöglich, darauf zuzugreifen. Der Schlüssel dazu wirdbei der Ausgabe der Karte von der Krankenkasse erzeugtund an den Kartenhersteller ausgeliefert. Er wird zudemfür den Fall des Verlustes der Karte bei einem soge-nannten Treuhänderdienst hinterlegt. An diesen dreiStellen – Kassen, Kartenhersteller und Treuhänder-dienst – finden sich Angriffspunkte für Interessenten anden Daten. Aber zumindest Krankenkassen, Arbeitge-bern und Versicherungen darf man durchaus ein gewis-ses wirtschaftliches Interesse an diesen Daten unterstel-len.Am Horizont sehe ich auch schon Herrn Schäubleauftauchen, der diese Daten möglicherweise zur Terror-bekämpfung haben möchte.
Mit dem jetzt vorhandenen Gesetz ist nach meiner Auf-fassung nicht gewährleistet, dies zu verhindern. Die Vor-ratsdatenspeicherung der Telefon- und E-Mail-Verbin-dungsdaten zeigt schon jetzt, wie einfach es ist, Daten,die zunächst für Rechnungszwecke gespeichert wurden,nun zur Bekämpfung von Kriminalität heranzuziehen.Wenn man an der Onlinevariante der Gesundheits-karte festhält, dann muss nach meiner Auffassung we-nigstens der Schutz der Daten Verfassungsrang haben.Dieses Problem könnte mit einer dezentralen Offlineva-riante der Karte, zum Beispiel einem USB-Stick, gelöstwerden. Die Firma Gematik hat im Oktober 2008 derÄrzteschaft zugesagt, diese dezentrale Speichermöglich-keit zu erproben. Das ist bislang nicht geschehen. Ichvermute, dass eine ernsthafte Prüfung auch nicht mehrstattfinden wird; andernfalls schaffte man in Nordrheinkeine vollendeten Tatsachen.
Für die gesetzlich vorgesehenen Funktionen der Kartebenötigt man keine zentralen Onlineserver. Aber manwill sie durchsetzen, weil man sie für die sogenanntenMehrwertdienste nutzen will. Dahinter verbergen sichviele Anwendungen, mit denen private Firmen Gewinnerzielen können. Ob diese Anwendungen der Gesundheitnutzen, ist nach meiner Auffassung sehr fraglich.shDmddwm1AgcdsBInfJmFDkuGwFwgBSs
ußerdem muss die dezentrale Offlinelösung tatsächlichetestet werden. Erst danach darf über eine flächende-kende Ausgabe der Gesundheitskarte verhandelt wer-en.
Nächste Rednerin ist die Parlamentarische Staats-
ekretärin Marion Caspers-Merk.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ch muss schon ein bisschen über die Einlassungen stau-en, die vonseiten der FDP und vonseiten Herrn Spiethsür die Linke vorgetragen wurden. Wir haben doch überahre hinweg darüber diskutiert, dass die Missbrauchs-öglichkeiten der jetzigen Karte enorm sind. Gerade imachausschuss wurde immer wieder kritisiert, dass dieatenunsicherheit der jetzigen Krankenversicherten-arte, die nicht spezifisch gesichert ist, groß ist
nd dass wir aus diesem Grunde eine neue elektronischeesundheitskarte brauchen, die einen deutlichen Mehr-ert hat. Darin waren wir uns einig.Interessant ist doch, dass selbst die Dinge, die imachausschuss klar waren – der Datenschutzbeauftragtear doch bei uns –, von Ihnen überhaupt nicht mehr dar-estellt werden. Ich zitiere Ihnen gerne aus dem jüngstenrief des Datenschutzbeauftragten an Frau Pfeiffer vompitzenverband Bund der Krankenkassen, in dem erchreibt:Im Zusammenhang mit der Roll-out-Planung sindin den letzten Wochen einige Fragen mit erhebli-cher datenschutzrechtlicher Brisanz diskutiert wor-den. Vor allem die Frage der Verbesserung desSchutzniveaus der Versichertendaten durch dieelektronische Gesundheitskarte war Gegenstandzahlreicher Schreiben. Dabei habe ich deutlich ge-macht, dass mein Anliegen die schnellstmögliche
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22802 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-MerkBeseitigung des technologisch begrenzten Schutz-niveaus der derzeitigen Krankenversichertenkarteist. Ich sehe durch die Einführung der elektroni-schen Gesundheitskarte sowohl in diesem konkre-ten Fall als auch in anderen Fällen eine großeChance, eine generelle Verbesserung des Daten-schutzniveaus zu erreichen.Das rückt die Dinge doch wieder zurecht.Die neue Karte hat ein höheres Schutzniveau, und sielöst die alte Karte mit einem niedrigeren Schutzniveauab. Was will die FDP? Sie will ein innovations- und fort-schrittsfeindliches Moratorium. Sie springen von einemfahrenden Zug ab, nur um sich Überschriften zu sichern.
Das kann von uns auf keinen Fall gutgeheißen werden.
Wenn man sich Ihren Antrag anschaut, dann muss manFolgendes feststellen: Sie haben auf der einen Seite – –
– Herr Bahr, Sie können gerne eine Zwischenfrage stel-len. Das verlängert meine Redezeit. Ich bin dazu bereit.
Herr Kollege Bahr, überwiegend hat in einer Debatte
die Rednerin das Wort. Wenn Sie etwas sagen wollen,
dann stellen Sie eine Zwischenfrage.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
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Gerne.
Frau Staatssekretärin, Sie erwecken den Eindruck, als
ob alles fantastisch läuft. Ich möchte nur einmal an die
Nachrichten der letzten Tage erinnern. Der Verband der
privaten Krankenversicherung hat öffentlich gesagt, dass
er aussteigt. Vertreter der gesetzlichen Krankenkassen
lassen sich mit der Aussage in den Zeitungen zitieren,
das Projekt der elektronischen Gesundheitskarte sei poli-
tisch tot. Die AOK Rheinland weigert sich, in Nord-
rhein, wo die erste Umsetzung dieses Projektes stattfin-
den soll, die Karten weiter auszugeben, weil wesentliche
Fragen aus Sicht der AOK Rheinland noch nicht geklärt
sind. Sie tun so, als ob alles funktioniert und die FDP nur
einen Schauantrag stellt. Das entspricht doch überhaupt
nicht der Nachrichtenlage der letzten Tage.
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Überhaupt nicht begreifen kann ich, dass Sie dashema PIN noch einmal problematisieren. Gerade dieIN und der doppelte Schutz durch die beiden Zugangs-chlüssel war der Grund, warum der Datenschutzbeauf-ragte von einem hohen Schutzniveau sprach. Jetzt pro-lematisieren Sie die PIN, die sich eigentlich überallewährt hat. Ich kann Sie da nicht ganz verstehen. Wasollen Sie denn nun: ein höheres oder ein niedrigereschutzniveau?
Frau Kollegin Bender, Sie haben nach mir die Gele-enheit, uns den Gesinnungswandel der Grünen ausführ-ich zu erläutern.
ch muss mich schon sehr wundern: Die einen sagen, wirrauchen ein Moratorium, weil noch gar nicht klar ist, zuie vielen Anwendungen es wirklich kommt und ob esich rechnet, und Sie sagen jetzt, die Anwendungen sindei den Leistungserbringern freiwillig. Bei Freiwilligkeiter Nutzung der Versichertendaten sind die Kosten desechnologischen Projektes überhaupt nicht effizient zuerechnen. Was ist das für eine Haltung?
chließlich haben Sie an der Einführung mitgewirkt.an staunt schon über die verschiedenen Roll-backs, dieir bei der elektronischen Gesundheitskarte zu verzeich-en haben.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist ein wichtiges Projekt, das mit
Innovationen für Patientinnen und Patienten verbunden
ist. Wir können nicht zurück in die technologische Stein-
zeit, sondern wir müssen dahin kommen, dass der Pa-
tient und die Patientin letztlich darüber entscheiden, wie
ihre Daten verwendet werden. Sie müssen in die Lage
versetzt werden, zum Beispiel ihre elektronische Patien-
tenakte einzusehen oder dafür zu sorgen, dass die Infor-
mationen zwischen den einzelnen Arztgruppen fließen.
Dieser Mehrwert für die Patientinnen und Patienten kann
einfach nicht hoch genug angesetzt werden.
Ich muss Sie jetzt fragen, ob der Kollege Spieth noch
eine Zwischenfrage stellen darf?
M
Ich habe meine Redezeit schon überschritten.
Nein, Sie sind noch in Ihrer Redezeit; sonst würde ich
die Zwischenfrage nicht zulassen.
M
Dann gerne.
Herzlichen Dank für die Zulassung meiner Zwischen-
frage.
Frau Staatssekretärin, zwei konkrete Fragen. Erstens.
Das BMG hat 2006 ein vierstufiges Testverfahren fest-
gelegt, das vor der flächendeckenden Einführung der
Gesundheitskarte zu realisieren ist. Der letzte Test, ge-
nauer: drei Tests mit 100 000 Versicherten, die in drei
Regionen in Deutschland durchgeführt werden sollten,
werden offenkundig nicht mehr durchgeführt. Ist das
richtig oder falsch?
Zweitens. Ist die Zusage der Selbstverwaltung gegen-
über der deutschen Ärzteschaft, dass eine USB-Stick-
Lösung, also eine Lösung, die eine dezentrale Speiche-
rung vorsieht, gefunden werden soll, eine Zusage, die
vor einer flächendeckenden Ausrollung der Gesund-
heitskarte eingehalten werden muss und wird, ja oder
nein?
M
Herr Kollege Spieth, gerne beantworte ich Ihnen
diese Fragen. Sie hatten bereits Gelegenheit, mit der
Fachabteilung unseres Hauses genau diese beiden Fra-
gen zu erörtern. Vor 14 Tagen fand dazu ein Treffen mit
dem zuständigen Referatsleiter statt.
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ch beantworte diese Fragen aber gern noch einmal im
lenum.
Zur ersten Frage. Wir haben Ihnen schon damals er-
äutert, dass die 100 000er Testphase durchgeführt und
n die Roll-out-Phase integriert wird.
eswegen liegt unseres Erachtens kein Rechtsverstoß
or.
Zur zweiten Frage. Das Thema USB-Stick wird be-
ertet werden. Es gibt grundsätzliche Bedenken hin-
ichtlich der Datensicherheit. Deshalb ist die Frage der
nwendung anders als die Frage der Bewertung von
hancen und Risiken. Eine solche Bewertung wird
elbstverständlich vorgenommen. Auch das habe ich Ih-
en bereits vor 14 Tagen erläutert.
Schönen Dank.
Frau Kollegin, mir liegt ein weiterer Wunsch nach ei-
er Zwischenfrage vor, und zwar des Kollegen Ströbele.
M
Gerne.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, dass ich noch dieelegenheit zu dieser Frage bekomme.Ich bestreite nicht, dass es Überlegungen gibt, die da-ür sprechen, eine solche Gesundheitskarte einzuführen.
as sagen Sie zu dem sogenannten Mautdateien-Argu-ent – es spielt in der öffentlichen Diskussion eine ganzrhebliche Rolle, gerade bei den Datenschützern, bei be-orgten Initiativen –, dass dann, wenn Daten in einer Da-ei gespeichert und verfügbar sind, immer wieder Be-ehrlichkeiten geäußert werden, diese Daten für alleöglichen anderen Zwecke zu nutzen,
nd dass das Vertrauen der Bevölkerung darauf, dass einolcher Missbrauch, also eine Nutzung dieser Daten fürnderweitige Zwecke, durch ein Gesetz ausdrücklichusgeschlossen ist, zutiefst erschüttert ist, seitdem dermgang der Bundesregierung mit der Mautdatei be-annt geworden ist?
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Hans-Christian StröbeleNachdem der entsprechende Gesetzentwurf verabschie-det und diese Datei angelegt worden war, hat die Bun-desregierung das Gesetz geändert, um die zu einem ganzanderen Zweck – zum Erheben von Gebühren – erhobe-nen Daten anderen Zwecken zuführen.
Seitdem ist nicht mehr das nötige Vertrauen in die Poli-tik und in den Gesetzgeber vorhanden, dass einmal ange-legte Dateien sicher sind. Was sagen Sie dazu?M
Sehr geehrter Herr Kollege Ströbele, das gibt mir Ge-
legenheit, Ihnen noch einmal zu erläutern, dass seit 2004
ein Zugriffsverbot gesetzlich geregelt ist.
Dieses Verbot kann nicht umgangen werden. Wer illega-
lerweise auf Daten zugreift, macht sich strafbar. Weil es
sich um sensible Patientendaten handelt, haben wir das
im Gesetzgebungsverfahren mit einem hohen Sicher-
heitsniveau verankert. Ich bin Ihnen für die Frage wirk-
lich sehr dankbar. Mit dieser Patientendatenstruktur ha-
ben wir ein hohes Schutzniveau sichergestellt. Man
braucht zwei Schlüssel, um an die Daten heranzukom-
men, nämlich vom Patienten und vom Leistungserbrin-
ger, der den elektronischen Heilberufsausweis hat. Mit
der PIN gibt es einen zusätzlichen Schutz. Wir haben im
Gesetzgebungsverfahren geregelt, dass die Daten nicht
für andere Zwecke an Dritte, weder an Arbeitgeber noch
an staatliche Stellen, weitergegeben werden dürfen. Da-
mit haben wir sehr frühzeitig und in enger Kooperation
mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten für ein hohes
Datensicherheitsniveau gesorgt.
Herr Kollege Ströbele, das geht jetzt nicht mehr.
Das Wort hat die Staatssekretärin Caspers-Merk. Oder
sind Sie mit Ihrer Rede am Ende?
M
Ja. Das war eigentlich keine Zwischenfrage, sondern
eine Frage am Ende meiner Rede. Ich habe natürlich
sehr gern die Gelegenheit genutzt, die Redezeit zu ver-
längern. Vielen Dank, Herr Kollege Ströbele.
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ngebote privater Firmen, die durch ihre Anbindung anas Internet höchst unsicher sind und keine Gewähr da-ür bieten, dass die Patientendaten nicht kommerzielleiterverwendet werden, wollen wir nicht. Im Vergleichazu sind die Regelungen für die E-Card unter daten-chutzrechtlichen Aspekten nahezu vorbildlich.
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Birgitt Bender
Das ändert aber nichts daran – daran kann man politischnicht vorbeigehen –, dass es in Teilen der Ärzteschaftund auch unter Bürgerrechtlern Befürchtungen im Hin-blick auf den Datenschutz gibt.
Die notwendige Akzeptanz für die Karte wird deshalbnur zu erreichen sein, wenn die Bundesregierung wirk-lich glaubhaft machen kann, dass die gesetzlichen Ga-rantien für den Datenschutz strikt eingehalten werden.
In diesem Zusammenhang, lieber Herr KollegeKoschorrek, war Ihr Vergleich mit dem Mautgesetz nichtpassend. Da war es doch genau so, dass der liebe HerrSchäuble, kaum dass die Datei existierte, schon Zugriffauf die Daten nehmen wollte.
Für die Gesundheitsdaten muss daher gelten: Sie müssenfür alle Zeiten vor der Datenkrake Schäuble sicher sein.Dafür werden wir kämpfen.
Datenschutz ist eben keine unzulässige Zumutung ge-genüber dem reibungslosen Betrieb der Informa-tionstechnik, sondern ein Grundrecht der Bürgerinnenund Bürger.In der Diskussion um diese Karte dominieren bishertechnische, gesundheitspolitische, auch industriepoliti-sche Aspekte. Wenn die Gesundheitskarte aber tatsäch-lich das halten soll, was sich viele von ihr versprechen,muss für ihre weitere Ausgestaltung die Patientenper-spektive zu einem entscheidenden Kriterium werden.Dann müssen sich auch verschiedene Gruppen von Pa-tientinnen und Patienten darin wiederfinden können,nicht nur der junge IT-Freak, der mit einer solchen Kartesicherlich gut zurechtkommt, sondern auch ältere oderbehinderte Menschen. Vor diesem Hintergrund mussauch der Grundsatz der Barrierefreiheit beachtet werden.Probleme mit der praktischen Handhabbarkeit derKarte, die wir bereits erlebt haben, müssen vor der Onli-neschaltung der Karte ausgeräumt werden. Die Patien-tinnen und Patienten müssen Beratungsangebote erhal-ten. Die Patientenverbände müssen einbezogen werden.Kurzum, hier wird ein dialogischer Prozess mit den be-troffenen Gruppen stattfinden müssen. Diese meine Auf-fassung unterscheidet sich allerdings deutlich, Herr Kol-lege Bahr –
Frau Kollegin Bender.
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erade so sehen wir das nicht. Wir wollen, dass es unter
inbeziehung der betroffenen Gruppen weitergeht, da-
it aus der E-Card etwas Gutes wird, was den Patienten
ützt.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Eike
overmann, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Ich möchte mich zuerst an die wenden, die dieatensicherheit beklagen. Als einer der größten Kennern puncto Datensicherheit weiß ich, wie viele Millionennd Milliarden Daten ungeschützt vagabundieren oderuf Datenfriedhöfen liegen. Das gilt insbesondere auchür das alte System. Wenn nun ein Kollege beklagt, dasss Interesse daran gibt, auf die Daten des neuen Systemsuzugreifen, hat er offensichtlich in seiner jahrelangenarlamentarischen Arbeit nicht begriffen, dass das bishe-ige System – ich wiederhole es – so löchrig war wie einchweizer Käse und bisher im Grunde genommen allenöglichen Interessen offengestanden hat.
Zweite Bemerkung zu diesem Thema: Wir solltenine möglichst produktive Diskussion führen. Ich habeber das Gefühl – es wäre schön, wenn mich an diesertelle mein Gefühl trügen würde –, dass sie mittlerweilechon in den Strudel des Wahlkampfes der Wahl im Sep-ember 2009 gerät.Dritte Anmerkung: Die Datensicherheit im neuenystem wird dank der Chipkarte und der anderen Instru-ente, die hier schon geschildert worden sind, um einielfaches höher liegen als früher; aber man kann natür-ich nicht sagen, dass es überhaupt nicht anfällig ist.
s wird immer entsprechende Interessen geben. In An-örungen wurde uns ja von Verbänden mitgeteilt, dassackerklubs, zum Beispiel in Dortmund, bisher fast je-es System geknackt haben. Es besteht natürlich auchetzt ein hohes Interesse, dieses System mit seinen vielenaten zu knacken.Im Rahmen der Diskussion ist etwas Wertvolles ge-chehen: Wir haben mit den Patientenbeauftragten, den
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22806 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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Eike HovermannDatenschützern – ein Vertreter eines Hackerklubs warübrigens auch dabei – und Vertretern von verschiedenenSpitzenorganisationen die Frage diskutiert, wie wir dieDaten in einem sich immer weiter verbessernden Prozessso schützen können, dass der Zugriff auf diese nicht sofürchterlich leicht möglich ist, wie es bisher der Fallwar; ich könnte dafür mehrere Beispiele bringen.Herr Bahr, Sie lesen die Welt sicherlich mehr als ich.
– Diese Zeitung ist Ihnen geneigter als vielleicht die taz. –Ich will auf die Anzeige eingehen, die dort in der Aus-gabe vom Montag dieser Woche abgedruckt war. LesenSie sie einmal nach. Der Spitzenverband Bund vergrö-ßert die Abteilung, die sich mit diesem Thema befasst,extensiv, und zwar in dem Wissen, dass in Richtung Mo-dellverträge und Strukturverträge – beides wollen Sie –und im Hinblick auf § 140 a SGB V, Integrierte Versor-gung, diese Chipkarte ein unverzichtbares Instrument ist,um das Ziel, die Segmentierung in ambulant und statio-när zu überwinden – auch das wollen Sie –, auch nur an-nähernd zu erreichen.
– Da haben Herr Hess, die Vertreter des Spitzenverban-des Bund und der Deutschen Krankenhausgesellschaftwohl unrecht. Herr Bahr, wir nehmen Ihre Meinung zurKenntnis.Frau Kollegin Bender, Sie haben vorhin die Finanzie-rung angesprochen und das Schlagwort vom „gläsernenPatienten“ benutzt.
– Dann war es Herr Bahr.
– Irgendeiner hat es mit „gläsernem Arzt“ verwechselt.Aber lassen Sie mich diesen Gedanken zu Ende führen,weil ich nicht mehr so viel Redezeit habe.Die Diskussion außerhalb der Verbände zeigt sehrdeutlich, dass im Zuge einer E-Card Behandlungspfadeverfolgt werden können und nachgewiesen werden kann,was im Rahmen einer Behandlung vielleicht falsch ge-laufen ist. Das haben manche Ärzte nicht so gerne undwollen dies verhindern, indem sie – aus Angst vor dem„gläsernen Arzt“ – vor dem „gläsernen Patienten“ war-nen, also die Argumentation verdrehen.Die anderen Argumente gegen die E-Card haben ei-nen etwas tieferen Hintergrund. Sie betreffen nämlichdie Frage der Finanzierung. Es ist wohl richtig, dass imambulanten Bereich ein übergroßer Anteil der Finanzie-rung von den Ärzten in den einzelnen Praxen aufge-bracht werden muss. Dagegen wird im stationären Be-reich – wir sollten offen darüber reden; es sei denn, Sielegen darauf keinen Wert – ein Großteil des EquipmentsüfednsehnsSsDidTOb
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22807
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– Überhaupt nicht. – Mit dem Stichwort der Steuerver-einfachung ist die Absicht verbunden, den kleinen Leu-ten, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern – sei esbei der Steuerfreiheit der Zuschläge für Nachtschichtenund für Sonntagsarbeit, sei es bei der Pendlerpauschale –an den Geldbeutel zu gehen.kdldKjdudh––slBifdSzsCG–gDaTdw
Als Sozialdemokraten haben wir in dieser Frage einelare Position gehabt. Wir waren für die Beibehaltunger Pendlerpauschale in der bisherigen Form.
Die Grünen haben zur Pendlerpauschale die Vorstel-ung entwickelt, sie um die Hälfte zu reduzieren. Auchies war verfassungswidrig, weil diese die tatsächlichenosten nicht mehr abgedeckt hätte. Dieser Grundsatz istedoch bei der Gewährung einer Pauschale einzuhalten.Vor dem Hintergrund dieser Auseinandersetzung sindann die letzten Bundestagswahlen bestritten worden.In der Koalitionsverhandlung zwischen CDU/CSUnd SPD haben sich die Sozialdemokraten an verschie-enen Punkten durchgesetzt. Bei der Pendlerpauschaleat sich überwiegend die CDU/CSU durchgesetzt.
Das kann jeder nachlesen.
Sie kennen offenbar die Geschichte nicht. Man brauchtie nicht zu klittern, sondern muss sie einfach so erzäh-en, wie sie ist.Dann hatten wir im Finanzausschuss des Deutschenundestages eine Anhörung,
n der kein Einziger der dort anwesenden Fachleute sichür die Lösung ausgesprochen hat, die die CDU/CSU iner Koalition durchgesetzt hat. Dann haben wir von derPD den Versuch unternommen, die geplante Regelungu ändern. Dies ist vehement abgelehnt worden, insbe-ondere von der CSU. Dann haben wir die Lösung derDU/CSU in Treue zur Koalitionsverabredung in dasesetz übernommen.
Sie wissen schon, wer der Gesetzgeber ist, Frau Kolle-in Scheel.
ie Verantwortung müssen natürlich wir als Gesetzgeberuf uns nehmen. Das haben wir in diesem Fall gemacht.rotz großer Bedenken haben wir diese Lösung dann inas Gesetz geschrieben.Dann gab es die ersten Urteile der Finanzgerichte. Siearen unterschiedlich. Seitens der sozialdemokratischen
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Florian PronoldFraktion haben wir dann noch einmal einen Anlauf un-ternommen und gesagt: Lasst uns nicht das Bundesver-fassungsgerichtsurteil dazu abwarten, sondern lasst unsdie Regelung gleich ändern. Das alles ist dokumentiert;das kann man nachlesen.
Dann ist es leider wieder an unserem Koalitionspartnergescheitert.
– Nein, an ihm ist es nicht gescheitert. Das steht alles inder Zeitung. An anderer Stelle können Sie die Fakten,die Sie brauchen, immer sehr gut herausfinden. Viel-leicht lesen Sie auch einmal das, was Ihnen nicht in denKram passt und was die Wahrheit ist. In diesem Fall istdas alles sehr gut dokumentiert. In den Veröffentlichun-gen vom November 2007 kann man das alles nachlesen.Nach der bayerischen Kommunalwahl wurde es aufeinmal spannend. Derselbe Erwin Huber, der vorher derTotengräber der Pendlerpauschale war,
hat sich als Voodoo-Priester geriert und wollte sie wiederzum Leben erwecken. Das war ein durchaus spannenderund erhellender Moment.
Aber es war wiederum die Führung der CDU/CSU-Frak-tion, die das Ansinnen der Sozialdemokraten, die Rege-lung sofort zu ändern und das Bundesverfassungs-gerichtsurteil nicht mehr abzuwarten, abgelehnt hat.
Als das Bundesverfassungsgerichtsurteil vorlag, wardie spannende Frage: Was machen wir jetzt? Greifen wirdas Thema auf und regeln es sozusagen für die Vergan-genheit, um absolute Rechtssicherheit zu schaffen, oderschaffen wir diese Rechtssicherheit im Zuge der Neu-regelung einer Pendlerpauschale, die angesichts der un-terschiedlichen Ansichten in diesem Haus und innerhalbder Koalition im Hinblick auf die Zukunft nicht hinzube-kommen ist? Wir Sozialdemokraten haben dazu gesagt:Lasst nicht zu, dass die Steuerbescheide vorläufig erge-hen. Dazu hieß es wiederum: Das ist alles ganz klar; dieRückwirkung brauchen wir nicht zu regeln; lasst uns einEilgesetz machen; wenn wir das für die Zukunft regeln,dann lasst uns das auch für die Vergangenheit regeln; dieLeute bekommen ihr Geld. – Dieselben Kollegen vonder CSU, die es in der Finanz-AG abgelehnt haben, dieseSache zu regeln, haben über Herrn Seehofer eine Bun-desratsinitiative eingebracht, um Rechtssicherheit zuschaffen.ObSpzdsdRWadhntnvDprsSwFbgi
bwohl die Kollegen es in der Finanz-AG abgelehnt ha-en, das so zu regeln, wie wir das wollten, hat Herreehofer einen gleichlautenden Antrag eingebracht.Die entscheidende Frage ist eigentlich nicht: Pendler-auschale – ja oder nein?, sondern: Wer hat den Schwar-en Peter? In diesem Fall gibt der Name einen Hinweisarauf, wo er hingehört. Wer sich die Entwicklung an-chaut – angefangen beim Wahlprogramm –, stellt fest,ass der Schwarze Peter bei den Schwarzen ist.
Heute beenden wir diese Debatte und schaffenechtssicherheit.
ir sorgen dafür, dass die Menschen, die lange Wegeuf sich nehmen, um zum Arbeitsplatz zu kommen, wie-er die Pendlerpauschale erhalten. Debatte hin, Debatteer, das ist ein gutes Ende, über das sich alle freuen kön-en.Herzlichen Dank.
Volker Wissing hat jetzt das Wort für die FDP-Frak-
ion.
Frau Präsidentin, ich danke Ihnen. – Liebe Kollegin-en und Kollegen! Es ist schon erstaunlich, was wir unson der Großen Koalition bieten lassen müssen.
ie einen behaupten, die CDU/CSU hätte die Pendler-auschale abgeschafft; gleich werden wir von den ande-en hören, dass die SPD die Pendlerpauschale abge-chafft hat.
ie waren das beide! Sie haben beide zugestimmt. Siearen beide anwesend, als alle Sachverständigen iminanzausschuss unisono – auch die, die Sie benannt ha-en – erklärt haben, dass Ihre Regelung mit dem Grund-esetz der Bundesrepublik Deutschland nicht vereinbarst, dass sie keinen Bestand haben kann.
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Dr. Volker WissingWenn man die Sachverständigen der Koalition gefragthat, ob das verfassungskonform ist – ich erinnere michnoch genau daran –, dann lautete die Antwort: Natürlichnicht! Es gab nur einen in Deutschland, der wieder ein-mal alles besser wusste, und das war der sozialdemokra-tische Finanzminister, der darauf bestanden hat, dass dieRegelung verfassungskonform sei, und sie durchgesetzthat, und zwar auch mit den Stimmen der SPD, HerrPronold. Sich jetzt hier hinzustellen und so zu tun, alshabe man das gar nicht gewollt, das finde ich schon sehrscheinheilig.
– Dieser Einwand ist richtig. Roland Koch hat mitge-macht. Auch die CSU hat mitgemacht. Es ist doch so:Ohne die CSU hätte es die Kürzung der Pendlerpau-schale nie gegeben. Die Wiedereinführung der vollenPendlerpauschale erfolgt jetzt allerdings ohne die CSU,nämlich auf dem Umweg über das Bundesverfassungs-gericht. Das finde ich äußerst bedauerlich, meine liebenKolleginnen und Kollegen.Diese Regierung ist eine Regierung der Superlative.Nach der größten Steuererhöhung in der Geschichte un-seres Landes kommt jetzt der größte Schuldenberg. Wirberaten heute den größten anzunehmenden Unfug, einenSuper-GAU dieser Großen Koalition.In der Öffentlichkeit ist bekannt, dass unser Bundes-finanzminister eine Vorliebe für Nashörner hat. So be-treibt er auch Finanzpolitik: Kopf runter und losstürmenstatt innehalten und nachdenken. Wir haben umfangrei-che Sachverständigenanhörungen durchgeführt und ge-hört, dass das nicht verfassungskonform ist. Ich meine,das war relativ leicht nachzuvollziehen. Aber nein, Siewollten das unbedingt. Diese Nashornfinanzpolitik magja unterhaltsam sein; im Interesse der Bürgerinnen undBürger unseres Landes ist sie aber nicht. Während derBundesfinanzminister seinen Egotrip locker fortgesetzthat, haben die Finanzgerichte – eines nach dem anderen –die Regelung nicht angewandt. Sie haben Vorlage-beschlüsse gefasst und erklärt, dass das auf dem Bodendes Grundgesetzes so nicht machbar sei. Auch wir habenIhnen das vorher gesagt.Diese Politik ist äußerst bedauerlich. Wenn wir heuteschon darüber reden, will ich dieses schöne Beispiel nut-zen, um zu zeigen, wo wir am Ende dieser Legislatur-periode der Großen Koalition stehen: Diese Koalition,diese Regierung hat unser Land nicht einen Millimetervorangebracht. Wir führen jetzt genau das wieder ein,was wir hatten, bevor wir Sie hatten.
Wir erleben in diesen Tagen auch auf internationalerEbene Steinbrück’sche Nashornpolitik. Die Schweiz be-kommt es diesmal ab. Dort werden die siebte Kavallerievon Yuma oder die Peitsche angedroht. Ich finde das,ehrlich gesagt, peinlich.
–pIdZDuMdIcMnBapnShKrtl–hSwdtdiSSrml
enn man kann auch gegen Steuerhinterziehung seinnd sich auf internationalem Parkett wie ein normaleritteleuropäer benehmen und nicht wie ein Nashorn,as anderen Ländern Vorwürfe unter Niveau macht.
ch glaube, dass die Menschen in Deutschland diese Bra-hialrhetorik des Finanzministers langsam leid sind.
an kann sie auch nicht gutheißen.Das Hickhack um die Entfernungspauschale war ge-auso peinlich wie unnötig, aber auch lehrreich. Dieürgerinnen und Bürger konnten erfahren, wie schnellus einer Regierungspartei in Berlin eine Oppositions-artei in München werden kann. Die CSU hat sich hiericht mit Ruhm bekleckert. Ich erinnere mich noch, dassie im Wahlkampf in Bayern Unterschriften gesammeltaben mit dem Hinweis: Unterschreiben Sie gegen dieürzung der Pendlerpauschale, sie ist verfassungswid-ig! Kurze Zeit davor hatten Sie im Deutschen Bundes-ag die Hand für die Kürzung gehoben. Das ist eine pein-iche Veranstaltung, die heute beendet wird.
Ja, es ist für Sie vielleicht unangenehm, das zu hören.Sie stehen da wie begossen. Das muss man einmal se-en.
ie führen jetzt das wieder ein, vor dessen Abschaffungir immer gewarnt haben. Erst schaffen Sie etwas ab,ann führen Sie es wieder ein. Am Ende dieser Legisla-urperiode kommen wir zurück auf den Anfang. Schade,enn es ist vertane Zeit für dieses Land. Wir haben hierm Deutschen Bundestag unnötige Debatten geführt.
ie haben ohne Grund die Finanzverwaltung belastet.ie hatten unrecht. Genauso haben Sie auch in den ande-en finanzpolitischen Positionen, die der Bundesfinanz-inister mit Vehemenz und der ihm eigenen Selbstgefäl-igkeit vertritt, schlicht und einfach unrecht.
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22810 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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Dr. Volker Wissing
Wir werden noch vieles abwickeln müssen, was Sie alsGroße Koalition auf den Weg gebracht haben. Schön,dass wir heute einen Schritt weiter sind. Wir sind da, wowir ohne Sie schon einmal waren.Vielen Dank.
Das Wort hat als Nächster der Kollege Olav Gutting
für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine werten Kolleginnen undKollegen! Seit das Bundesverfassungsgericht über dieVerfassungswidrigkeit der gekürzten Pendlerpauschaleentschieden hat, ist ungefähr ein gutes Vierteljahr ver-gangen. In dieser Zeit hat es bei den über 15 MillionenPendlerinnen und Pendlern immer wieder viel unnötigeVerwirrung und Aufregung gegeben.
Dies lag vor allem an dem Vorläufigkeitsvermerk, derin den geänderten Steuerbescheiden gedruckt war.
Rein formal ist dieser Vermerk nicht zu beanstanden.Man muss dazu sagen, dass in den Bescheiden versuchtwurde, die Vorläufigkeit zu erklären. Die Ursachen derVorläufigkeit waren abgedruckt. Trotzdem hat dieserVermerk bei vielen Menschen die Angst geweckt, dassdie Finanzämter die mit den neuen Steuerbescheidenausgezahlten Steuererstattungen später wieder eintreibenkönnten. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zuRecht, dass der Bundestag nun ein Gesetz verabschiedet,welches die vor dem 1. Januar 2007 bestehende Rege-lung aufgreift und formal Rechtssicherheit schafft.
Die punktgenaue und unbefristete Wiederherstellungder alten Entfernungspauschale ist nach dem Urteil desBundesverfassungsgerichts der richtige und konsequenteSchritt. Es war die Große Koalition – es waren die SPDund die Union; es war der SPD-Finanzminister –, die vordem Bundesverfassungsgericht verloren hat. Ich meine,das sollten wir akzeptieren. Ich bedaure wirklich, dassdie SPD jetzt versucht, sich davonzuschleichen.
Erlauben Sie mir den Hinweis, dass die im Jahr 2006beschlossene unpopuläre Änderung der Pendlerpau-sDgdGDlsecddddlfdlidavscsksuDrSAdRfS
as strukturelle Defizit betrug damals fast 60 Mil-iarden Euro.Manch einer wirft uns jetzt eine gewisse Einfallslo-igkeit vor: Wie langweilig und unspektakulär, dass wirinfach die alte Rechtslage wiederherstellen; wir drü-ken sozusagen auf den Reset-Knopf. Das ist aber genauas, was die Menschen wollen. Genau das halten wir inieser Situation für richtig. Denn die Wahrheit ist: Wir,ie Union, haben bereits kurz nach der Urteilsverkün-ung die Wiederherstellung der alten gesetzlichen Rege-ung verlangt.
Es geht darum, die vorläufige Regelungslage zur Ent-ernungspauschale in Anbetracht des Urteils des Bun-esverfassungsgerichts durch eine gesetzlich klar festge-egte Regelung zu ersetzen. Das erwarten die Menschenn diesem Land. Sie erwarten von der Politik zu Recht,ass sie für Rechtssicherheit und Planbarkeit sorgt. Jedendersgeartete Neugestaltung der Pendlerpauschale hätteor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfas-ungsgerichts nur für noch mehr Verwirrung und Unsi-herheit gesorgt.
Von einer isolierten Überarbeitung der Pendlerpau-chale halte ich sowieso nichts. Was wir brauchen, istein weiteres Herumbasteln und Herumdoktern am be-tehenden System, sondern ein einfaches, transparentesnd damit gerechteres Einkommensteuerrecht.
as ist auch die Vorgabe des Bundesverfassungsge-ichts:Einen zulässigen Systemwechsel kann es ohne einMindestmaß an neuer Systemorientierung nicht ge-ben.o äußerte sich das Bundesverfassungsgericht wörtlich.ußerdem stellte das Gericht fest, dass eine Änderunger Einbettung in ein Grundkonzept bedarf.Die Union will in der nächsten Legislaturperiode eineeform der Einkommensteuer durchführen. Sie soll ein-acher, transparenter, gerechter und damit unter demtrich auch niedriger werden.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22811
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Olav GuttingEs ist gut, dass wir bis zur Wiederherstellung der altenRegelung zumindest diejenigen entlasten bzw. denjeni-gen etwas zurückgeben, die jeden Morgen früh aufste-hen, um teilweise weite Strecken zu ihrer Arbeitsstätteauf sich zu nehmen, und die mit der Lohnsteuer, die siezahlen, einen entscheidenden Beitrag zur Finanzierungunseres Gemeinwesens leisten.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Barbara Höll für
die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Das Bundesverfassungsgericht hat dem Bundesfinanz-minister, SPD, im Dezember letzten Jahres die Levitengelesen: Die 2006 beschlossene Abschaffung der altenPendlerpauschale ist verfassungswidrig. Das war eineschallende Ohrfeige für den Mann, der versucht hat, einbestätigtes Steuerprinzip, wonach alle beruflich beding-ten Kosten vom Einkommen der Steuerpflichtigen abzu-ziehen sind, zu untergraben. Nicht zu vergessen ist auchdas Hickhack in der Großen Koalition im Hinblick aufdie Pendlerpauschale: Keiner wollte und will für ihreAbschaffung verantwortlich sein, die SPD nicht, dieCDU nicht und die CSU erst recht nicht. Alles in allemist das ein Armutszeugnis für die Große Koalition.
Auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtshalten sich die Koalitionsparteien offen, die Pendlerpau-schale nach der nächsten Bundestagswahl abzuschaffenoder zu kürzen. Noch am Tag der Urteilsverkündungstellte der Bundesfinanzminister sofort klar:Wir werden uns das Geld nicht an anderer Stelle zu-rückholen. Das verträgt die derzeitige Konjunktur-lage nicht.Was heißt das für die Zukunft? Dass zu Beginn desJahres nur vorläufige Bescheide erlassen wurden, sprichteine deutliche Sprache.
Am 6. Februar dieses Jahres verlautbarte das Bundes-finanzministerium:… eine gesetzliche Neuregelung … ist auch fürdiese Legislaturperiode nicht vorgesehen … Wieeine künftige endgültige Regelung der Pendlerpau-schale aussieht, hängt von den Entscheidungen desnächsten Bundestages ab.Damit wären die Steuerzahlerinnen und Steuerzahlerrechtlich weiterhin im Unklaren gelassen worden – alsob die Menschen aufgrund der dramatischen Wirt-schafts- und Finanzkrise nicht ohnehin verunsichert ge-nug wären.afrdSdudOvsKfsEIhzJ2W6nkpzvDseFSso–
eit Juni 2006 haben wir Ihnen in diesem Hause dreimalie Möglichkeit gegeben, gegen die verfassungswidrigend ungerechte Abschaffung zu stimmen. Wir haben dasreimal gefordert, auch in namentlicher Abstimmung.bwohl die CSU vorher so laut getönt hat, hat sie imergangenen Jahr gegen ihre eigene Unterschriften-ammlung gestimmt. Auch Sie von der SPD sind demoalitionsduktus gefolgt.Jetzt bestünde die Chance für eine gerechte und ver-assungsmäßige Neuregelung. Von der alten Pendlerpau-chale profitieren besonders Steuerpflichtige mit hoheminkommen. Das ist bei der Progression nun einmal so.ch stelle dies anhand eines Beispieles dar: Ein alleinste-ender Maurer hatte 2008 einen Weg von 40 Kilometernur Arbeit zurückzulegen. Er arbeitete an 220 Tagen imahr. Bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von0 000 Euro erhält er eine Erstattung von 736 Euro.
äre er Journalist mit einem Jahreseinkommen von0 000 Euro, würde er 1 108 Euro sparen.An diesem Beispiel sehen wir, dass die Entlastungicht gleichmäßig ist. Wer so wenig verdient, dass er gareine Steuern zahlt, hat sowieso nichts von der Pendler-auschale. Die Besserverdienenden wären hiermit bevor-ugt. Deshalb schlagen wir Ihnen eine andere Regelungor, und zwar den direkten Abzug von der Steuerschuld.
amit bekäme jeder Steuerpflichtige, unabhängig voneinem Einkommen, den gleichen Betrag pro Kilometerrstattet.
ür eine wirklich gerechte Lösung wäre das ein ersterchritt.Aber eines ist klar: Ohne eine Neuregelung, die dafürorgt, dass die Menschen für die Arbeit, die sie leisten,rdentlich bezahlt werden, ohne einen Mindestlohnwir fordern einen Mindestlohn von 8,71 Euro –,
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vernünftige Löhne und ordentliche Lohnsteigerungenwird es an den notwendigen Stellen keine Entlastung ge-ben. Die Pendlerpauschale ist kein Ruhmesblatt der Gro-ßen Koalition, besonders nicht des Bundesfinanzminis-ters. Wir sind aber froh, dass heute wenigstens in diesemPunkt eine gewisse Klarheit erzielt wird.Ich danke Ihnen.
Jetzt spricht die Kollegin Christine Scheel für Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Es ist schon bedauerlich, dass es innerhalb der Großen
Koalition ein monatelanges Schauspiel gegeben hat,
dass es Schuldzuweisungen bei der Frage gab, wer denn
das eine oder das andere fordert – Herr Pronold hat ge-
rade wieder ein Beispiel dafür gegeben –, und dass diese
ganze Auseinandersetzung dazu geführt hat, dass das
Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in eine ernsthafte
Politik ziemlich erschüttert wurde. Die Leute haben die
permanenten Schuldzuweisungen einfach satt. Sie wol-
len eine Politik, die verfassungskonform ist, die keine
verfassungswidrigen Entscheidungen trifft, und sie wol-
len auch nicht, dass man sich gegenseitig den Schwarzen
Peter zuschiebt. Die Bürger sehen das Ganze eher als
peinlich an.
Dieses Schauspiel ist am Ende so ausgegangen – das
haben wir gerade gehört –, dass das Bundesverfassungs-
gericht einschreiten musste, obwohl viele der Beteiligten
sehr wohl wussten, dass diese Regelung verfassungswid-
rig ist. Es ist schlimm, wenn man immer wieder abwar-
ten muss, bis das Verfassungsgericht die Anweisung
gibt, wie denn zu handeln ist, nur weil in der Großen Ko-
alition keine Einigung herrscht.
Dies ist heute schon der zweite Tagesordnungspunkt, auf
den das zutrifft. Ich finde, das ist nicht gerade ein gutes
Zeugnis für die politische Arbeit dieser Großen Koali-
tion.
Die Bürgerinnen und Bürger haben jetzt Rechtssi-
cherheit; das begrüßen wir. Wir sehen auch, dass das
Chaos, das Sie an den Finanzämtern angerichtet haben,
endlich beendet ist. Auch die Verunsicherung von Milli-
onen von Berufspendlern ist jetzt beendet. Sie haben
aber in der Konsequenz im Hinblick auf die Haushalts-
lage etwas ausgelöst, was sich für die gesamte Politik als
sehr schwierig gestaltet. Wir haben nämlich im Jahr
2009 ungeplante Steuerausfälle für Bund, Länder und
Gemeinden in einer Größenordnung von bis zu
6 Milliarden Euro. Dies war in der gesamten Finanzpla-
nung so nicht vorgesehen. Das heißt, dass aufgrund Ihrer
chaotischen Politik die Neuverschuldung in diesem Jahr
noch einmal ansteigt. Das ist eine Belastung für die
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Als nächstes hat der Kollege Dr. Hans Michelbach für
ie CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Heutest ein guter Tag für unsere Pendler und für unsere leis-ungsbewussten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.ch freue mich, dass die Gesetzeslage von 2006 hinsicht-ich der Entfernungspauschale wieder gilt. Das ist einichtiger Weg. Ich betone, dass die CSU für die Wieder-inführung der Pendlerpauschale ab dem ersten Kilome-er geworben hat.
ir haben auch dafür gekämpft. Nach Inkrafttreten desesetzes wurden anhand vieler Beispiele die Benachtei-
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Dr. h. c. Hans Michelbachligung und der Verlust der Leistungsgerechtigkeit fürPendler deutlich. Es war in der Tat ein Fehler, die Pend-lerpauschale derart zu gestalten.
– Herr Pronold, es gehört zur politischen Kultur, zuge-ben zu können, dass man einen Fehler begangen hat. Esnützt Ihnen deshalb nichts, Ablenkungsmanöver, Ge-schichtsklitterung und Märchenstunden zu veranstalten.
Tatsache ist, dass jetzt eine Lösung gefunden wurde.Bundesfinanzminister Steinbrück, der dafür zuständigist, hat damals gesagt: Ich halte das Werkstorprinzip fürdie einzig richtige Bewertung. – Die Betrachtung desHaustürprinzips ist richtig.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom9. Dezember vergangenen Jahres, das die Neuregelungder Pendlerpauschale ab 2007 für verfassungswidrig er-klärt hat, war gesetzgeberisches Handeln noch in dieserLegislaturperiode geboten.
Ich muss ganz deutlich sagen: Wir hatten der Argu-mentation des Bundesfinanzministers Glauben ge-schenkt, dass die Veränderung der Pendlerpauschale ver-fassungsgemäß sei. Alle Bedenken wurden imFinanzausschuss immer wieder vom Tisch gewischt.
Diese Erfahrung habe ich immer wieder gemacht.
Mit der gesetzlichen Wiederherstellung der altenPendlerpauschale wird heute ein unnötig lange andau-ernder Unsicherheitsfaktor beseitigt. Wir schaffen heuteRechtssicherheit für die vielen Berufspendler in unseremLand. Der wesentliche Punkt ist, dass wir hier wieder aneinem Grundprinzip festhalten.
Dieses Grundprinzip ist für uns gerade in der Steuer- undFinanzpolitik unabdingbar und muss immer lauten: Leis-tung muss sich lohnen.
Wir haben hier leistungswillige Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer nicht leistungsgerecht behandelt. DasieürBWsn1gtmtVihKKhrEFGbewDsttuF
ir müssen hinsichtlich der Einkommen- und der Lohn-teuer eine weitere Reform auf den Weg bringen, weil esicht sein kann, dass man nach einer Lohnerhöhung umProzent 2 Prozent mehr Steuern zahlen muss. Ichlaube, dass wir mit der Pendlerpauschale auf einem gu-en Weg hin zu mehr Leistungsgerechtigkeit sind.
Wir alle müssen jetzt dafür arbeiten, dass zwingendehr Netto vom Brutto übrig bleibt, damit die Leis-ungsträger in unserem Land motiviert anpacken undertrauen in unser Gemeinwesen zurückgewinnen. Dasst die entscheidende Frage.Die Menschen wollen jetzt keinen Wahlkampf. Sieaben einen Anspruch auf Sacharbeit und erfolgreichesrisenmanagement. Das ist der entscheidende Punkt.risenmanagement jetzt erfolgreich gestalten: Dazu ge-ört die Entlastung bei Steuern und Abgaben. Das ist derichtige Weg. Deswegen sollten wir stolz auf die heutigentwicklung sein.Meinen herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von denraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachtenesetzentwurf zur Fortführung der Gesetzeslage 2006ei der Entfernungspauschale.Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-mpfehlung auf Drucksache 16/12299, den Gesetzent-urf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD aufrucksache 16/12099 anzunehmen. Wer stimmt für die-en Gesetzentwurf? – Die Gegenstimmen? – Die Enthal-ungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Bera-ung bei Zustimmung der Großen Koalition, der FDPnd der Fraktion Die Linke und Gegenstimmen derraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
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Vizepräsidentin Katrin Göring-EckardtDritte Beratungund Schlussabstimmung. Wer für den Gesetzentwurf ist,der möge sich bitte erheben. – Die Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritterBeratung bei gleichem Stimmenverhältnis wie vorherangenommen.Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 auf:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Familie, Senioren,Frauen und Jugend
– zu dem Antrag der Abgeordneten IrmingardSchewe-Gerigk, Volker Beck , BrittaHaßelmann, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENDurchsetzung der Entgeltgleichheit vonFrauen und Männern – Gleicher Lohn fürgleichwertige Arbeit– zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke,Sibylle Laurischk, Miriam Gruß, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der FDPGleicher Lohn für gleichwertige Arbeit –Für eine tatsächliche Chancengleichheit vonFrauen und Männern– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. BarbaraHöll, Dr. Kirsten Tackmann, Klaus Ernst, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEEntgeltgleichheit zwischen den Geschlech-tern wirksam durchsetzen– Drucksachen 16/8784, 16/11175, 16/11192,16/12265 –Berichterstattung:Abgeordnete Michaela NollCaren MarksSibylle LaurischkJörn WunderlichIrmingard Schewe-GerigkEs ist vorgesehen, hierüber eine halbe Stunde zudebattieren. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dannist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Die erste Rednerin ist dieKollegin Dr. Eva Möllring für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Woran liegt es, dass Frauenin Deutschland so viel weniger verdienen als Männer?Ich sage Ihnen erst einmal, woran es nicht liegt, nämlichnicht daran, dass Frauen weniger arbeiten als Männer.
Ich finde es nicht in Ordnung, dass manche Damenund Herren von den Sozialdemokraten und auch von denGttsD–DnVDNvds„ddM–nGnDdiwsIdmw
as ist unredlich.
Hören Sie zu! Das scheint ja zu sitzen.
er Einkommensunterschied zwischen Frauen und Män-ern von 23 Prozent bezieht sich auf den Vergleich vonollzeitstellen und steigt beim Stundenlohn noch an.eswegen ist es eine Unverschämtheit, was Sie erklären.eulich bin ich bei einem Interview mit einer Kolleginon Ihnen zusammengetroffen, Frau Scheel, die genauas gesagt hat. Ich nenne jetzt ihren Namen nicht, aberpäter kann ich das gerne tun.Es ist eine Unverschämtheit, den Frauen zu sagen:Jetzt arbeitet mal ordentlich! Dann verdient ihr auch or-entlich Geld.“ Die Gründe liegen woanders. Ich nennerei entscheidende Punkte.Erstens die Berufswahl von Frauen einerseits undännern andererseits.
Hören Sie einfach einen Moment zu! Das kann Ihnenicht schaden.
erade im Bereich der Berufswahl von Frauen und Män-ern ist in letzter Zeit Erhebliches erreicht worden.
enn wer sich damit befasst, was in den Kommunen inen Kindertagesstätten, in der frühkindliche Erziehung,n den Schulen, bei der Expo und der CeBIT dafür getanird, um Frauen für technische Berufe zu begeistern, derieht, dass wir erhebliche Fortschritte gemacht haben.
ch danke an dieser Stelle ausdrücklich der CDU-Bun-esbildungsministerin, Frau Schavan, die diese Maßnah-en finanziell und ideell sehr stark unterstützt.
Zweitens die Arbeitsbewertung. Dabei sind die Ge-erkschaften gefragt. Es ist eine erhebliche Herausfor-
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Dr. Eva Möllringderung, zu einem gerechten Bewertungssystem zu kom-men, weil auch in den Gewerkschaften sehr wenigeFrauen an der Spitze sind.Drittens Frauen in Führungspositionen. Rollenkli-schees sind durch das Elterngeld und die Partnermonategebrochen worden. Das ist ein hervorragender Ansatzvon unserer Ministerin von der Leyen, der in der nächs-ten Wahlperiode noch verstärkt werden muss.
– Genau. Sie haben mitgestimmt.Auch das Vergaberecht richtet sich an der Förderungvon Frauen aus. Die entscheidende Baustelle ist noch dieFörderung von Führungspositionen in Teilzeit. Dafürmuss einiges getan werden. Der Arbeitgeber muss in diePflicht genommen werden, mit den Teilzeit arbeitendenArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Gespräche zuführen, um zu testen, wie man Frauen noch besser inVerantwortung bringen und vor allem nach Auszeitenwieder in den Beruf und in verantwortliche Positionenhineinbringen kann.Ihre Lösungen scheinen dagegen nicht weiterzufüh-ren. Dazu zählt erstens die Quote. Über die Quote vonAufsichtsräten können wir gerne diskutieren.
Aber was hilft es der Frau am Schreibtisch, die nicht dieChance hat, in einem Aufsichtsrat zu landen, sondern dieselber nur eine Position höher kommen will?
Ihr zweiter Lösungsansatz ist der Mindestlohn. DasLand in Europa, in dem die geringsten Einkommensun-terschiede zwischen Frauen und Männern bestehen – erbeträgt 4,4 Prozent –, ist Italien. Italien hat keinen Min-destlohn. An zweiter Stelle steht Malta, das imJanuar 2009 einen Mindestlohn von 3,67 Euro festge-setzt hat. Das dritte Land ist Polen. Polen hat im Januardieses Jahres einen Mindestlohn von 2,10 Euro festge-setzt.Nun können Sie selber die Frage beantworten, ob derMindestlohn Frauen in Führungspositionen bringt.
– Also wirklich, Sie können überhaupt nicht mehr zuhö-ren.
Ihre dritte Lösung betrifft das Verbandsklagerecht.Das Problem bei den Klagen um einen besseren Lohn istnicht die Tatsache, dass die Frauen keine juristischenMöglichkeiten haben, sondern dass ihr persönlicher Falloffenkundig wird und sie dann im Arbeitsverhältnisgroße Schwierigkeiten bekommen werden. Dieses Pro-blem werden Sie auch nicht durch das Verbandsklage-rrmDdlsWta2EdDuvs3znb2svsnfhlBancWiDtutgbbnm
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Wer auch immer von der SPD gleich redet, kann gerneetwas gegen meine Argumente sagen. Aber ich finde, essoll jetzt endlich etwas passieren.Ein weiterer Punkt ist die fehlende Familienfreund-lichkeit in den Betrieben. Flexible Arbeitszeiten sindwichtig. Elterngeld und Elternzeit muss es auch fürjunge Väter geben. Die Steuer- und Sozialversicherungs-freiheit bei den Kinderbetreuungskosten muss auch fürden öffentlichen Dienst gelten; das ist bisher nicht derFall. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertaghat in einer Broschüre super Vorschläge gemacht.
Diese können umgesetzt werden, Frau Schewe-Gerigk.Oft ohne finanziellen Mehraufwand können die Betriebefür die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sorgen. Dortwerden wirklich gute Beispiele genannt, die einfach sindund die jeder versteht.Die Baustellen in Deutschland bei der Schaffung ech-ter Entgeltgleichheit zwischen den Geschlechtern sindvon den Tarifparteien, insbesondere von der Politik undder Wirtschaft sowie manches Mal – das will ich deut-lich sagen – von den Frauen selbst zu beseitigen. Heutehat die Familienministerin einen Vorschlag aus derSchweiz übernommen und zum Einsatz des Selbsttest-instruments Logib in Deutschland aufgefordert.
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Renate Gradistanac
ür die Fraktion der SPD.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Werte Kolleginnen! Werte Kollegen! Derchauspieler Mario Adorf sagte:Ein erfolgreicher Mann ist ein Mann, der mehr ver-dient, als seine Frau ausgeben kann. Eine erfolgrei-che Frau ist eine, die so einen Mann findet.
Man sollte meinen, dass solch eine verstaubte Äuße-ung als schlechter Witz belächelt wird, aber von wegen!ie Vorsitzende der Gruppe der Frauen der CDU/CSU-raktion, Frau Fischbach, meinte kürzlich:Die männlichen Kollegen sehen sich eher in der Er-nährerrolle und können nicht alles mittragen.
Frau Fischbach, es wird Zeit, dass Sie und Ihre Kolle-en von der CDU/CSU die verstaubten Rollenbilder mo-ernisieren. Frauen wollen keine Anhängsel ihrer Män-er sein; Frauen wollen ihren Lebensunterhalt selbsterdienen.
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Renate GradistanacFrau Möllring und ich haben ein Dreivierteljahr lang– ich wiederhole: ein Dreivierteljahr – intensiv über ei-nen Antrag zum Thema Entgeltgleichheit verhandelt.Dann wurde nicht einmal ein minimaler Konsens gefun-den. Ihre Rede heute war natürlich auch für die Katz.
– Da hätte ich schon mehr erwartet, nachdem wir uns inTeilen einig waren.
Herr Singhammer, Sie waren als frauenpolitischerSprecher der CDU/CSU nicht bereit, für diesen Antragzu kämpfen, und haben kläglich versagt. Ich bin da auchpersönlich sehr enttäuscht.
Ihr Versagen zeigt sich auch in Ihrem Fraktionsbeschlusszur Bekämpfung der Entgeltungleichheit. Appelle undfreiwillige Vereinbarungen – das haben wir jetzt wirklichgelernt – führen nicht zum Erfolg.
Bei der Frauenrechtskommission der Vereinten Natio-nen in New York haben wir über die für Männer undFrauen unterschiedlichen Auswirkungen der Finanz- undWirtschaftskrise gesprochen. Die Internationale Arbeits-organisation, ILO, geht davon aus, dass Frauen gegen-über Männern eine schwächere Position haben, wenn esdarum geht, sich der Finanz- und Wirtschaftskrise zu wi-dersetzen. Ursachen hierfür sind die geringe Erwerbs-quote von Frauen, ihre schwächere Kontrolle über Ei-gentum und Ressourcen und die Konzentration vonFrauen in informeller und gefährdeter Beschäftigung mitgeringeren Verdiensten und geringerem sozialemSchutz.Für den sozialdemokratischen EU-Kommissar Spidlaist die Angleichung der Löhne von Frauen und Männernnicht nur in der Krise ein moralisches und ökonomischesGebot. Deshalb brauchen wir verbindliche Regelungenund Gesetze. Zu dieser Ansicht kommt übrigens auchder CEDAW-Ausschuss.
Nur durch eine aktive Gleichstellungspolitik könnenwir die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern end-lich schließen. Es gibt genügend Berichte und Analysenzu den Ursachen des Unterschiedes von circa 23 Pro-zent. Deswegen bekommen Frauen übrigens auch deut-lich weniger Rente als Männer und haben im Alter einhöheres Armutsrisiko.Wir von der SPD-Fraktion fordern deshalb erstens dieVeränderung von Strukturen mit den Instrumenten Gen-der Mainstreaming und Gender Budgeting.
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m gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeiturchzusetzen, fordern wir fünftens einen Diskriminie-ungscheck für Lohnverträge
nd sechstens – dies wird Sie jetzt nicht verwundern –in schärferes Antidiskriminierungsgesetz.
Angesichts des morgigen Equal Pay Days, bei demie Frauenministerin ihren großen Auftritt hat, gebe ichhnen ein Zitat von Abraham Lincoln mit auf den Weg dies ist besonders an Sie gerichtet, meine Damen underren von der CDU/CSU –:Wenn du nur das tust, was du immer getan hast,wirst du auch nur das bekommen, was du schon im-mer bekommen hast.
Dass Frauen im Jahr 2009 in unserem Land imurchschnitt fast ein Viertel weniger verdienen als Män-er, ist eine Schande.Danke schön.
Die Kollegin Dr. Barbara Höll hat nun das Wort für
ie Fraktion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Damen underren! Bis zum Jahr 1957, in dem ich geboren wurde,ussten sich Frauen in der Bundesrepublik Deutschlandhren Arbeitsvertrag von ihrem Ehemann genehmigenassen. Bis zum Jahr 1977 waren Frauen verpflichtet,ich um das Hauswesen zu kümmern. Heim und Herdaren eine Domäne der Frau, Arbeit war eine Domänees Mannes. So war das Familien- und Ehebild in derundesrepublik: eine heterosexuelle Idylle unter demegime des Mannes. Schön, nicht, Herr Singhammer?ie nicken so.
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Dr. Barbara Höll
1957 besann man sich zum Glück auf den Gleichstel-lungsauftrag des Grundgesetzes. Die Bundesrepublikverpflichtete sich in jenem Jahr zur Entgeltgleichheitvon Mann und Frau. Man kann es kaum glauben:52 Jahre später sind wir von diesem Ziel weit entfernt.Konkret heißt dies beispielsweise, dass in die Bewertungder Arbeit einer Altenpflegerin ihre körperliche Belas-tung nicht mit einfließt, in die Bewertung der Arbeit ei-nes Hausmeisters sehr wohl; er erhält mehr Entgelt. Tä-tigkeiten, die zumeist selbstverständlich von Frauenausgeübt werden, werden nicht in gleicher Weise bewer-tet und damit auch nicht in gleicher Weise entlohnt wiedie Tätigkeiten ihrer männlichen Kollegen. Im Jahr 2009ist dies immer noch die bittere Wahrheit.Fakt ist, die Lohnschere zwischen Frauen und Män-nern ist in den letzten Jahren sogar noch weiter auseinan-dergegangen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand:Viele Frauen arbeiten in ungesicherten Beschäftigungs-verhältnissen, viele Frauen arbeiten in Teilzeitjobs, vieleFrauen werden in ihrer Karriere benachteiligt, und vieleFrauen arbeiten im Niedriglohnsektor.Meine Damen und Herren von der Großen Koalition– dies gilt auch für die Vorgängerregierung, die rot-grüneKoalition –, Sie sind an dieser Entwicklung mitschuldig:
Ihre Arbeits- und Sozialpolitik führte zum Ausbau desNiedriglohnsektors. Ihre Einführung von Hartz IV hatdas Lohnniveau in den unteren Beschäftigungsverhält-nissen nach unten gedrückt.
Ihre Politik hat zu einer Umgehung des Kündigungs-schutzes und zu einem Ausbau ungesicherter Arbeitsver-hältnisse geführt. Ihre Sozialpolitik ging und geht zulas-ten von Frauen. Sie haben die Lohnschere weitergeöffnet.
Frau Möllring, Sie haben sich heute nicht einmalmehr die Mühe gemacht, irgendwelche Ansätze zu for-mulieren. Ich habe darauf gewartet, dass Sie Appelle andie Wirtschaft richten, freiwillige Vereinbarungen abzu-schließen, oder Ähnliches. Nichts.
Ihre Bundesregierung hat sich im Vorjahr zur nationalenNachhaltigkeitsstrategie und dazu verpflichtet, den Ent-geltabstand bis zum Jahr 2010 auf 15 Prozent zu verrin-gern. Bis zum Jahr 2015 soll er nur noch 10 Prozent be-tragen. Wie denn, bitte schön? Antworten gehören aufden Tisch.
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er bald auf 10 Euro angehoben werden muss. Wir brau-hen ein sogenanntes proaktives Gesetz, das die Tarif-arteien zu einer diskriminierungsfreien Entgeltbewer-ung verpflichtet. Die Tätigkeiten müssen tatsächlichiskriminierungsfrei bewertet werden.
ir brauchen ein Verbandsklagerecht im Allgemeinenleichbehandlungsgesetz, damit das AGG nicht weiterin zahnloser Tiger bleibt. Wir benötigen eine Antidis-riminierungsstelle, die vom Familienministerium abge-oppelt wird und ihrer Aufgabe tatsächlich gewachsenst.
Heute liegen drei Anträge der Opposition vor. DiePD hat verkündet, was sie will. Ich frage Sie: Mit wemollen Sie das umsetzen? Dieser Frage müssen Sie sichtellen. In den letzten Jahren sind Sie hier Antwortenchuldig geblieben. Sie haben es in Ihrer Koalition nichteschafft, etwas durchzusetzen, im Gegenteil. Heute hät-en Sie die Möglichkeit, unserem Antrag zuzustimmen.as wäre ein wesentlicher Schritt in die richtige Rich-ung.Danke.
Jetzt spricht Irmingard Schewe-Gerigk für die Frak-ion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ie Frau Ministerin ist nicht da, sie will dieser wichtigenebatte fernbleiben.
Anlässlich des Equal-Pay-Day demonstrieren morgenrauen mit roten Taschen gegen rote Zahlen und dage-en, dass Frauen im 21. Jahrhundert immer noch 23 Pro-ent weniger Geld bekommen als Männer. Mit demotto „Wer etwas ändern will, muss auch handeln“ sindir angesprochen, liebe Kolleginnen und Kollegen, aberanz besonders die Regierung. Das Regierungshandelneschränkt sich auf das Schreiben von Pressemitteilun-en und auf das Erstellen von Computerprogrammen. Esst gut, dass die Grünen nicht mehr die Einzigen sind, dieas Thema Entgeltgleichheit immer wieder auf die Ta-esordnung bringen.
uch EU-Arbeitskommissar Spidla wiederholt es gera-ezu gebetsmühlenartig: Die Lohnunterschiede zwi-chen Frauen und Männern liegen in der EU bei
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Irmingard Schewe-Gerigk17 Prozent. Deutschland schafft es auf einen der hinters-ten Plätze mit 23 Prozent. Jetzt endlich will die EU ge-setzliche Regelungen prüfen. Überfällig, kann ich da nursagen.
Auf Initiative der Grünen hatten wir im Januar eineAusschussanhörung zu unserem Antrag zur Entgelt-gleichheit. Dabei wurde deutlich, dass die extremenLohnunterschiede in Deutschland nicht nur eine Ursachehaben. Darum brauchen wir eine Vielzahl von Maßnah-men. Aber klar ist: Ohne gesetzliche Regelungen, wiewir sie fordern, wird es nicht gehen. Darum muss dieBundesregierung endlich aktiv werden. Wir Grünen for-dern, die Eingruppierungskriterien in den Tarifverträgenauf Diskriminierung zu prüfen.
Hier muss der öffentliche Dienst eine Vorbildfunktionübernehmen.
Wir stehen zur Tarifautonomie, aber so kann es nichtweitergehen. Arbeitgeber wie Gewerkschaften müssendiese Aufgabe endlich ernst nehmen. Gleichstellung aufdem Arbeitsmarkt kann nur durch die Zusammenarbeitaller Verantwortlichen erreicht werden. Da muss ich einetraurige Bilanz in diesem Hause ziehen: Die letzten vierJahren waren frauenpolitisch eine verlorene Zeit.
Es gab nicht ein Gesetz zum Thema Frauenrechte, Siehaben nicht einen Gesetzentwurf vorgelegt. Unsere An-träge haben Sie ständig abgelehnt. Ein gesetzlicher Min-destlohn wäre ein sinnvoller Schritt zur Verringerung desLohngefälles. Immerhin würde davon jede vierte Frauprofitieren. Das heißt, jede vierte Frau verdient wenigerals 7,50 Euro. Wir brauchen aber auch ein Verbandskla-gerecht, damit Arbeitnehmerinnen gegen kollektiveLohndiskriminierungen nicht immer nur individuell kla-gen müssen. All diese Forderungen haben Sie am Mitt-woch im Ausschuss abgelehnt. Von Ihnen kam nicht eineinziger Vorschlag.Es gibt noch einen anderen Ursprung der Schieflage:Bei uns hapert es schlicht und einfach an der Verände-rung der Geschlechterrollen. Auch im Jahr 2009 ist dieForderung nach einer gerechten Aufteilung von Haus-und Familienarbeit zwischen Frauen und Männern so ak-tuell wie eh und je. Der europäische Mann arbeitet imSchnitt sechs Stunden im Haushalt, die Frau 25 Stunden.Deutschland hat einen extrem hohen Anteil von Frauen,die Teilzeit arbeiten. Warum? Weil unsere Kinderbetreu-ung, unser Schulsystem und selbst unsere Versorgungder alten Menschen darauf basieren, dass Frauen ein-springen.In diesem Zusammenhang werde ich bei einem Blickin die USA ganz neidisch. Das erste Gesetz, das Präsi-dent Obama nach seinem Amtsantritt unterzeichnete, derFair Pay Act, soll dort eine faire Bezahlung sicherstellen.EkrASgGlBrDdjggnkRldWsidt–GGsdgSßsk
In unserem Land scheint das Thema Geschlechterge-echtigkeit nur in Zeiten des Wahlkampfs auf dergenda zu stehen. Ich muss jetzt die Kollegin von derPD ansehen: Dass Franz Müntefering im Wahlkampf-etöse fordert, dass die Entgeltgleichheit sogar insrundgesetz geschrieben wird, ist bestenfalls scheinhei-ig. Dass morgen der SPD-Generalsekretär vor demrandenburger Tor gegen ungleiche Löhne demonstrie-en wird, das halte ich nun wirklich für eine Dreistigkeit.emonstriert er eigentlich gegen sich selbst? Sie sind iner Regierung, Sie hätten etwas machen können, undetzt demonstrieren Sie da.Die Ministerin hat heute ein Computerprogramm vor-estellt, das die Firmen freiwillig anwenden können. Ichlaube, mit diesem Computerprogramm werden wiricht für Lohngerechtigkeit sorgen können. Wir sehenein konkretes Handeln. So kann es nicht weitergehen.egieren via Pressemitteilung ist zu wenig. Tun Sie end-ich Ihre Arbeit!
Ingrid Fischbach hat jetzt das Wort für die Fraktion
er CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!enn ich jetzt am Fernseher oder hier oben auf der Be-uchertribüne sitzen würde, würde ich mich fragen: Wasst das eigentlich für eine Debatte?
Es geht um Frauen, es geht um berechtigte Anliegener Frauen, und bis jetzt habe ich nur Gezank und Geze-er gehört.
Ich werde es jetzt präzisieren, Frau Lenke. Frauradistanac, Ihre Rede bestand aus nichts anderem alsezeter und einer 50-sekündigen Aufzählung. Da Sieich erlaubt haben, sich zur Rede der Kollegin zu äußern,arf ich das ebenfalls, obwohl ich das eigentlich nichtut finde, und deswegen beende ich das jetzt auch.Mich hat gewundert, dass Sie so genau wissen – Frauchewe-Gerigk hat gerade in das gleiche Horn gesto-en –, was alles richtig und was falsch war. Als Sie zu-ammen in der Regierung waren, hätten Sie etwas tunönnen. Ich muss mich fragen: Haben Sie es damals
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Ingrid Fischbachnicht ernst gemeint, oder haben Sie heute neue Erkennt-nisse? Das würde bedeuten, dass man erst einmalschauen muss, was woanders passiert, und dass man da-raus Lehren für das eigene Handeln ziehen muss.
– Wir sind an der Regierung, und deshalb werden wir,Frau Schewe-Gerigk, uns dazu äußern; wir haben es be-reits getan.
Die heutige Debatte findet auch aufgrund des Equal PayDays, den wir eingeführt haben, statt.
– Wenn Sie eine Frage haben, dann melden Sie sich zueiner Zwischenfrage. Ich kann dann ein bisschen längerreden. Bis jetzt muss ich meine Redezeit auf vier Minu-ten beschränken.Ihre Antwort, „Ein Gleichstellungsgesetz wird esbringen“, bringt es nicht auf den Punkt; denn die Ursa-chen sind vielfältig. Das haben Sie alle gesagt. Wir wis-sen, dass es in der finanziellen Bewertung der Arbeitganz unterschiedliche Ansätze gibt. Angesichts dessenmuss das uns und vor allen Dingen den Tarifparteien einAnliegen sein. Hier spreche ich die Gewerkschaften an,die sich immer für Arbeitnehmerinteressen einsetzen;wahrscheinlich tun sie es nur für Arbeitnehmerinteressenund nicht für Arbeitnehmerinneninteressen. Es ist an derZeit, dass auch in ihrer Spitze mehr Frauen sind, die sichdafür einsetzen, dass das Gefälle bei den Löhnen derFrauen beseitigt wird. Das wäre wichtig.
Warum wird die Pflege schlechter bezahlt als einekörperliche Tätigkeit auf dem Bau? Das kann ich über-haupt nicht nachvollziehen. Wenn dieser Unterschied be-seitigt wird, dann hätten wir schon einmal eine zentraleBaustelle weniger.Sie haben gerade das Computersystem Logib lächer-lich gemacht. Wenn Sie sich in anderen Ländern ein we-nig umhören – das haben Sie auch bei der Quote getan;Sie nehmen Norwegen als Beispiel –, dann erfahren Sie,dass die Schweiz freiwillige Lohntests eingeführt hat.Diese Tests haben sehr gut eingeschlagen.Das heißt, die Unternehmen haben sich beteiligt. Die-jenigen, die sich da noch nicht beteiligt haben, kamen sounter Druck, dass sie es tun mussten. Das ist ein Weg,den auch wir einschlagen müssen. Das ist richtig undwichtig.
Wir müssen an zwei weiteren Punkten ansetzen. Ers-tens geht es um den Fall, dass junge Frauen ihre Er-werbstätigkeit unterbrechen, weil sie Kinder bekommen.Ich war erstaunt, dass Sie, Frau Gradistanac, wissen, wasdie Frauen alles wollen. Ich erfahre bei meinen ReisendFraTLanwPbwdFingdsCstnd–msmWnWwldseg–
Anders als Sie, Frau Schewe-Gerigk – Sie bölken im-er dazwischen –, werden wir uns die Anwendung die-es Kodexes anschauen, wenn dieser Punkt aufgenom-en ist.
ir werden zur gegebenen Zeit reagieren; wir werdenicht Jahre warten wie Sie, um etwas zu verändern.enn die Zahl der Frauen nicht entsprechend erhöhtird, werden wir sicherlich ganz schnell andere Rege-ungen treffen.Herzlichen Dank.
Liebe Frau Fischbach, ich bin mir nicht ganz sicher,ass das Wort „dazwischenbölken“ ein parlamentari-cher Ausdruck ist. Ich nehme einmal an, Sie wollten sotwas wie „rufen“ oder „brüllen“ zum Ausdruck brin-en.
Gut.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22821
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Vizepräsidentin Katrin Göring-EckardtIch erteile das Wort dem Kollegen Sönke Rix für dieSPD-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau
Lenke, weil Sie mich vorhin so nett gleich als Erstes an-
gesprochen haben, mache ich das jetzt umgekehrt auch.
Frau Lenke, Sie haben betont, Ihre Redezeit sei zu kurz;
sonst wären die Antworten auf die Frage, die auch ich
Ihnen jetzt stellen muss, gekommen.
– Ich weiß. Ich habe ihn auch gelesen. Darin sind sehr
viele Appelle und sehr viele Maßnahmen, die auf Frei-
willigkeit der Arbeitgeber und der Tarifparteien setzen.
Das haben wir seit Jahren gefordert. Das haben wir seit
Jahren praktiziert. Trotzdem sind wir im EU-Vergleich
immer noch auf einem der letzten Plätze.
Deshalb glaube ich, dass freiwillige Lösungen nicht
mehr tragen.
Sehr geehrte Frau Höll, Sie haben gesagt, dass die
SPD keine Lösungen vorgeschlagen hat, bzw. gefragt,
warum wir das, was wir vorgeschlagen haben, nicht ma-
chen. Ich muss dazu sagen: Es gibt Zeiten, da sind Ge-
meinsamkeiten in einer Koalition aufgebraucht. Das ha-
ben wir bei der Debatte heute deutlich gemerkt. Die SPD
hat klar Position bezogen. Sie haben gefragt, wann wir
das machen wollen. Wir machen das nach der nächsten
Bundestagswahl, wenn wir mit den Grünen – da haben
wir nämlich viele Gemeinsamkeiten – die Mehrheit ha-
ben.
Wir haben schon in der vergangenen Legislatur-
periode ein Gleichstellungsgesetz für den öffentlichen
Dienst auf den Weg gebracht.
Ich glaube, dass es tatsächlich nicht an allen Stellen et-
was gebracht hat, aber für die freie Wirtschaft wäre ein
solches Gesetz ein kleiner, aber wichtiger Schritt, um
auch hier Lohngleichheit und mehr Gleichberechtigung
zu erreichen.
Frau Fischbach, Sie haben gesagt, dass meine Kolle-
gin Gradistanac keine Punkte genannt hat. Sie hat angeb-
lich nur – ich will diesen Begriff jetzt nicht noch einmal
gebrauchen – irgendwie negativ gerufen; so will ich es
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ie habe ich in Ihrer Rede vermisst. Sie haben zwar die
orredner kritisiert und zwei Punkte angeführt. Bei die-
en setzen Sie jedoch auch wieder auf Freiwilligkeit. Ich
rage mich da, was das soll. Wir sind hier das Parlament
nd dazu da, Gesetze zu verabschieden.
eshalb wäre es ganz sinnvoll, nicht nur Appelle zu ver-
reiten, weil morgen ein besonderer Tag ist, und für die
ntsprechenden Aktionen zu werben, sondern auch die
erantwortung als Gesetzgeber deutlich wahrzunehmen
nd entsprechende Maßnahmen umzusetzen.
Wir sollten bei all dem, was wir schon gemeinsam auf
en Weg gebracht haben, liebe Kolleginnen und Kolle-
en aus der Koalition, unser Licht nicht unter den Schef-
el stellen. Frau Möllring hat zwar das Elterngeld er-
ähnt, aber die Initiative hierzu Frau von der Leyen
ugeschrieben. Ich will jetzt nicht noch einmal dieses
ass aufmachen, sondern halte nur fest: Die Idee dazu
am eigentlich von der Sozialdemokratin Renate
chmidt. Ich bin ja ganz dankbar, dass die Union diesen
nsatz trotz Widerstandes aus den eigenen Reihen mit-
etragen hat. Auch der gemeinsam auf den Weg ge-
rachte Ausbau der Kinderbetreuung ist ein wichtiger
unkt. Von daher sollten wir angesichts der Maßnahmen,
ie wir gemeinsam ergriffen haben, unser Licht nicht un-
er den Scheffel stellen. Ich würde mir wünschen, wir
ürden noch mehr Dinge gemeinsam umsetzen, aber ich
laube, das ist in dieser Legislaturperiode nicht mehr
öglich.
o bleibt aber wenigstens ein bisschen Vorfreude auf die
ächste Legislaturperiode.
Schönen Dank.
Hiermit schließe ich die Aussprache.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-chusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aufrucksache 16/12265. Der Ausschuss empfiehlt unterr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung desntrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-ache 16/8784 mit dem Titel: „Durchsetzung der Ent-eltgleichheit von Frauen und Männern – Gleicher Lohnür gleichwertige Arbeit“. Wer stimmt für diese Be-chlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
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Vizepräsidentin Katrin Göring-EckardtDamit ist die Beschlussempfehlung bei Zustimmung derKoalitionsfraktionen und der FDP, Gegenstimmen in derFraktion Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung derFraktion Die Linke angenommen.Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung desAntrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/11175mit dem Titel: „Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit –Für eine tatsächliche Chancengleichheit von Frauen undMännern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen,der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen bei Gegenstimmen der Fraktion der FDP ange-nommen.Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 sei-ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antragsder Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/11192 mitdem Titel: „Entgeltgleichheit zwischen den Geschlech-tern wirksam durchsetzen“. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –Damit ist die Beschlussempfehlung bei Zustimmung derKoalitionsfraktionen, der FDP und Bündnis 90/Die Grü-nen und Ablehnung der Fraktion Die Linke angenom-men.Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 11 a bis 11 cauf:a) Erste Beratung des von den AbgeordnetenDr. Carola Reimann, Detlef Parr, Frank Spiethund weiteren Abgeordneten eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes zur diamorphingestütztenSubstitutionsbehandlung– Drucksache 16/11515 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugendb) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes über die diamorphin-gestützte Substitutionsbehandlung– Drucksache 16/7249 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugendc) Beratung des Antrags der Abgeordneten JensSpahn, Maria Eichhorn, Dr. Hans Georg Faustund weiterer AbgeordneterAusstiegsorientierte Drogenpolitik fortführen –Künftige Optionen durch ein neues Modell-projekt zur heroingestützten Substitutionsbe-handlung Opiatabhängiger evaluieren– Drucksache 16/12238 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendsssKHwldfsskdhllDdgespbudwjsadtrdLdGgHBwmeVf
arauf warten die betroffenen Schwerstabhängigen undiejenigen, die sich in den Projekten engagieren undute Arbeit leisten. Es wird deshalb höchste Zeit, dassin solches Gesetz kommt.
Die Modellprojekte und die damit verbundene klini-che Studie haben klar nachgewiesen, dass die Diamor-hinbehandlung den Gesundheitszustand und die Le-ensumstände von Schwerstopiatabhängigen verbessert,nd zwar mit signifikant besseren Ergebnissen als beier Methadonbehandlung. Bei den Betroffenen – dasill ich an dieser Stelle sagen – handelt es sich um lang-ährig schwerstabhängige Menschen in äußerst kriti-chem Gesundheitszustand. Durch die jahrelange Heroin-bhängigkeit ist ihr Körper schwer gezeichnet. Für sie istie Behandlung mit Diamorphin die letzte Therapieop-ion, eine allerletzte Chance, in ein geregeltes Leben zu-ückzukehren. Es besteht kein Zweifel: Durch die Mo-ellprojekte haben Schwerstabhängige wieder zurück inseben gefunden.
Wir brauchen jetzt eine gesetzliche Grundlage, damitiese Versorgung auch fortgesetzt werden kann. Mit demesetzentwurf wollen wir die rechtlichen Voraussetzun-en dafür schaffen, dass Diamorphin, also künstlicheseroin, im Falle seiner Zulassung als Arzneimittel zurehandlung von Schwerstopiatabhängigen eingesetzterden kann. Dazu ist es notwendig, dass erstens Dia-orphin als verschreibungsfähiges Betäubungsmittelingestuft wird und zweitens strenge Kriterien für dieerwendung von Diamorphin zur Substitution einge-ührt werden.
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Dr. Carola ReimannUns ist völlig klar, dass es sich hier um eine beson-dere Substanz und Behandlungsmethode handelt. Des-halb befinden sich im Entwurf für die kontrollierte Ab-gabe auch strikte Vorgaben zum Personenkreis:
Die Diamorphinbehandlung kommt nur für Schwerst-opiatabhängige infrage. Das heißt, eine Abhängigkeitmuss seit mindestens fünf Jahren bestehen, verbundenmit schwerwiegenden körperlichen und psychischenStörungen. Vor Beginn einer solchen Behandlung müs-sen mindestens zwei andere Therapien versucht wordensein, die erfolglos waren. Außerdem muss der Patientmindestens 23 Jahre alt sein. Die an den Projekten Betei-ligten sind häufig sehr viel älter. Hinzu kommt, dass dieBehandlung nur in bestimmten Einrichtungen und Zen-tren vorgenommen werden darf, die besondere Anforde-rungen erfüllen müssen, insbesondere im Hinblick aufdie Sicherheit. Weitere Maßnahmen sind ein Sonderver-triebsweg und eine entsprechende Qualifikation derÄrzte.Der Gesetzentwurf trägt also den Bedürfnissen derSchwerstabhängigen Rechnung und enthält zugleich dienotwendigen strengen Sonderregelungen, die wir beimUmgang mit dieser besonderen Substanz brauchen.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, kann ich nicht nachvollziehen, warum Sie sich sovehement gegen diesen Gesetzentwurf sträuben.
Ihr Antrag, den Sie nach langem Zögern – besser gesagt:nach langem Verzögern – vorgelegt haben, wiederholtalte und unzutreffende Zweifel an den Studienergebnis-sen
und erweckt in unverantwortlicher Art und Weise denEindruck, dass künftig Zehntausende von Abhängigenfür die Substitutionsbehandlung Schlange stehen wer-den. Das ist nicht wahr. Er belässt außerdem Betroffenewie auch Mitarbeiter in den Projekten in unsicheren Pro-visorien.
Dieser halbherzige und unzureichende Antrag ver-stärkt bei mir den Eindruck, dass Ihre Ablehnung nichtaus fachlichen, sondern aus rein ideologischen Gründenerfolgt.
Überzeugende und stichhaltige Argumente, die gegenunseren Gesetzentwurf sprechen, kann ich in Ihrem An-trag nicht entdecken. Stattdessen sprechen Sie blumigvon offenen Fragen, die noch geklärt werden müssen.NdusJGzEgedcdizdJSChtSBzWzbesalnls
etzt ist es Zeit, dass wir endlich eine sichere gesetzlicherundlage zur Weiterführung der Projekte schaffen.
Der Gesetzentwurf wird durch eine breite Unterstüt-ung interfraktionell getragen. Er wird von zahlreichenxperten, Verbänden und Politikern vor Ort – im Übri-en auch von CDU-Kollegen – unterstützt. Er wirdbenfalls unterstützt von Praktikern und Fachleuten inen Einrichtungen vor Ort, ja mehr noch: seit vielen Wo-hen und Monaten gefordert. Deshalb werbe ich dafür,en Gesetzentwurf nun zügig zu beraten, damit wir nochn diesem Frühjahr eine sichere gesetzliche Grundlageur Weiterführung dieser Versorgung schaffen.Danke.
Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Detlef Parr für
ie FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!obcenter gestern: Union gegen Union; Hilfe fürchwerstabhängige heute: Union gegen Union. DieDU/CSU ist dabei, nur noch Eigentore zu schießen.
Lassen Sie mich kurz erklären, warum. Wir berateneute unter anderem einen Gesetzentwurf, der auf An-rag der Länder Hamburg, Hessen, Niedersachsen, desaarlandes und des Landes Nordrhein-Westfalen imundesrat beschlossen wurde. Ich brauche Ihnen nichtu sagen, wer in Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-estfalen mit der FDP regiert. Die Zusammenarbeitwischen den Ländern und dem Bund funktioniert offen-ar nicht mehr.Die CDU/CSU setzt noch einen obendrauf, nämlichinen eigenen Antrag, der die guten und richtigen Vor-chläge sowohl im Gesetzentwurf des Bundesrates alsuch in unserem interfraktionellen Gesetzentwurf, end-ich die schon lange fälligen Regelungen für die Auf-ahme der diamorphingestützten Substitutionsbehand-ungen in die gesundheitliche Regelversorgung zuchaffen, konterkariert. In einigen Städten und Ländern,
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Detlef Parrzum Beispiel in Karlsruhe, hat die CDU dagegen bewie-sen, dass sie aus den dort seit 2002 durchgeführten Mo-dellprojekten die richtige Schlussfolgerung gezogen hat,den therapeutischen Weg für eine Diamorphinbehand-lung für Schwerstabhängige freizumachen.
Es geht nicht darum – wie uns die Union im Bundes-tag glauben machen möchte –, großflächig Manna anDrogenabhängige zu verteilen. Vielmehr geht es darum,einer kleinen Gruppe von Menschen – sie wird nicht insUnermessliche wachsen, weil wir eine vernünftigeSucht- und Drogenpolitik machen, die, Frau Drogenbe-auftragte, natürlich noch ein bisschen verbessert werdenkönnte; wir haben viele Gemeinsamkeiten in diesem Be-reich –, die heroinabhängig ist und die mit den bisheri-gen Hilfsangeboten nicht erreicht werden konnte, zu hel-fen, in den Alltag des Lebens zurückzufinden.Der Bundesrat hat bereits am 21. September 2007 fürden Gesetzentwurf gestimmt. Weil die CDU/CSU diesenblockiert hat, befassen wir uns erst heute, eineinhalbJahre später, mit dieser Initiative. Das ist eine lange Zeit,die ungenutzt verstrichen ist und die die Betroffenen ingroße Unsicherheit versetzt hat.
Leider verweigert sich die CDU/CSU-Bundestags-fraktion nach wie vor der uneingeschränkten Unterstüt-zung von Menschen, bei denen eine herkömmliche Sub-stitutionsbehandlung nicht erfolgreich verläuft oder dievon anderen Maßnahmen der Suchtbehandlung gar nichtmehr erreicht werden
– Entschuldigung, Herr Kollege, das alles sind Fakten –,
von Langzeitabhängigen, deren Alter über zehn Jahrehöher ist als das eines durchschnittlichen Drogenabhän-gigen in Deutschland, und von Schwerstbetroffenen, fürdie es oft nur noch ums nackte Überleben geht.
Sie wollen die gesicherten Ergebnisse nicht zur Kenntnisnehmen, wie die deutliche Verbesserung des gesundheit-lichen Zustands der Patienten.
– Je lauter Sie rufen, umso weniger überzeugend sindIhre Argumente, Herr Kollege.
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Deshalb bin ich der SPD dankbar, liebe Fraueimann, dass wir einen Gruppengesetzentwurf auf deneg bringen konnten, der interfraktionell großen Zu-pruch fand und noch immer findet. Wer ihn genau liest,tößt immer wieder auf Brücken, die wir der Union ge-aut haben.
s sind zahlreiche Sonderregelungen vorgesehen. Soarf Diamorphin ausschließlich zur Substitutionsbe-andlung verschrieben werden und nicht zur Schmerzbe-andlung. Der Vorwurf, es gebe Heroin auf Kranken-chein, läuft also ins Leere.
ie Behandlung darf nur in bestimmten Einrichtungenorgenommen werden, die einer Erlaubnis der Landes-ehörde bedürfen und die eine besondere personelle undächliche Ausstattung vorweisen müssen. Auch die Si-herheitsbedingungen sind sehr hoch angesetzt. Das be-ötigte Diamorphin darf nur auf einem Sondervertriebs-eg geliefert werden; um einige Beispiele zu nennen.Die Bundesärztekammer, liebe Kolleginnen und Kol-egen der Union, hat so viel Vertrauen in diese Behand-ungsmethode, dass sie sie in ihre Substitutionsrichtli-ien und ihr Fortbildungsprogramm einarbeiten will.
Bedenkenträger bleibt allein die CDU/CSU. Sie kannich nur zu einer müden Fortführung des Modellprojektsurchringen. Damit spielt sie weiter auf Zeit und lässtchwerstabhängige Menschen im Stich. Das Gewissenird scheinbar beruhigt, aber die Probleme bleiben un-elöst.
Das wollen wir nicht mitmachen. Wir brauchen dieufnahme in die Regelversorgung jetzt. Das duldet kei-en Aufschub mehr.
50 Kolleginnen und Kollegen haben den Gesetzentwurfis heute unterschrieben.
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Detlef Parr
Es fehlen nicht mehr viele bis zur Mehrheit. Machen Sie,liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, dieÜberlebenshilfe auch zu Ihrer Sache! Folgen Sie Ihrerinneren sozialen Stimme
und lassen Sie endlich einmal Fraktionszwang Frak-tionszwang sein!Danke.
Jetzt hat Maria Eichhorn das Wort für die Fraktion der
CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Nach dieser Rede ist es schwer, sachlich zu bleiben. Ichwerde mich trotzdem darum bemühen, auch wenn Siediese Sachlichkeit haben vermissen lassen.
In Deutschland leben zurzeit schätzungsweise140 000 Opiatabhängige. Das sind 140 000 Menschen,die nicht mehr von der Droge loskommen und daher un-serer Hilfe bedürfen. Von den 140 000 Abhängigen be-finden sich 60 000 in Behandlung, 90 Prozent davon inSubstitutionsprogrammen. Das ist kein schlechter Wert,wenn man das mit der Versorgungslage bei anderen Ab-hängigkeiten vergleicht. Studien belegen zum Beispiel,dass nur 5 bis 10 Prozent der Alkoholabhängigen behan-delt werden.1998 vereinbarte die rot-grüne Bundesregierung imKoalitionsvertrag einen Modellversuch zur heroinge-stützten Behandlung Opiatabhängiger. Dadurch sollteüberprüft werden, ob sich der Gesundheitszustand derPatienten verbessert, wenn ihnen Heroin statt Methadonverabreicht wird. Auch die Auswirkung der Heroinsub-stitution auf den Konsum von Straßenheroin war Unter-suchungsgegenstand.Im vorliegenden Gesetzentwurf der Gruppe um dieKollegen Reimann, Parr und andere sowie im Gesetzent-wurf des Bundesrates wird nun gefordert, im Zuge die-ses Modellprojekts die Diamorphinbehandlung in dieRegelversorgung zu überführen. Die Bundestagsfraktionder CDU/CSU hat sich mit Beschluss vom 26. Novem-ber 2007 aus guten Gründen dagegen ausgesprochen.Stattdessen haben wir vorgeschlagen, die Heroinbehand-lung im Rahmen eines neuen Modellvorhabens mit demZiel weiterzuführen, die offenen Fragen zu klären. VieleFachleute unterstützen uns in dieser Haltung.DuagtDdsDErübdsdsflt–tEtnBsGkdOrdasssdmwdD
Für die Entscheidung der Union waren schwerwie-ende fachliche Argumente gegen die Heroinsubstitu-ion ausschlaggebend.
iese wurden von Sachverständigen der Wissenschaft,er Ärzte und der Krankenversicherungen – Sie warenelbst dabei – im September 2007 in einer Anhörung imeutschen Bundestag zum Ausdruck gebracht. Für vielexperten lassen die Ergebnisse der Studie keinen siche-en Schluss auf eine Überlegenheit von Heroin gegen-ber Methadon bei Schwerstabhängigen zu. Bei der Ver-esserung des Gesundheitszustandes der Patienten undem Rückgang des illegalen Drogenkonsums ergabenich zwar statistisch signifikante Unterschiede zugunstener Heroinsubstitution; diese sind jedoch so gering, dassie nach Meinung der Experten
ür die Praxis kaum von Bedeutung sind und eine erheb-iche Zunahme der Heroinsubstitution zulasten der Me-hadonsubstitution nicht rechtfertigen.
Ich komme darauf noch zu sprechen.Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund einer un-erschiedlichen Erwartungshaltung bei den Patienten.rfahrene Substitutionsärzte weisen darauf hin, dass Pa-ienten oft bereits in Erwartung der Behandlung von ei-em besseren Gesundheitszustand berichten, wennehandlungsmethode und Behandlungsziel ihren Wün-chen entsprechen.Vergessen werden darf auch nicht, dass die starkeiftwirkung des Heroins zu einer erheblichen Kompli-ationsrate führt, die es bei Methadon nicht gibt. Atem-epressionen sind die häufigste Todesursache beipiatsüchtigen. Sie traten im Modellprojekt bei 23 He-oinpatienten und nur bei einem Patienten der Metha-ongruppe auf. Krampfanfälle gab es bei 63 Heroin-,ber nur bei einem Methadonpatienten. Die Liste ließeich fortsetzen.Auch der Beikonsum illegaler Drogen wie Kokain hatich im Vergleich zur Methadonsubstitution nicht we-entlich verändert. So stellt sich die Frage, warum jederritte Heroinpatient weiterhin illegal Drogen konsu-ierte, obwohl ihm Heroin legal zur Verfügung gestellturde. Dies geschieht – zugespitzt gesagt – ganz nachem Motto: Eine Ration vom Staat und eine Ration vomealer.
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Maria Eichhorn
– Herr Parr, da Sie ständig unsachlich waren, darf auchich einmal einen etwas emotionaleren Satz sagen.
Damit bleibt – entgegen den Behauptungen der Ver-treter des Modellprojektes – trotz Heroinsubstitution eingroßer Teil der Patienten in der Drogenszene.Darüber hinaus sind weitere Aspekte ungeklärt. Fach-leute weisen darauf hin, dass die Kriterien für die Auf-nahme der Diamorphinbehandlung zu ungenau sind. Diemeisten der heute in Behandlung befindlichen Metha-donpatienten würden die vorgegebenen Kriterien zurHeroinbehandlung erfüllen.Die Zahlen gehen weit auseinander. Wer sich für dieHeroinsubstitution ausspricht, redet die Zahl möglichstklein. In der Anhörung dagegen haben die Krankenkas-sen – Sie haben es selbst gehört – von einer Zahl von biszu 80 000 Personen gesprochen.
Damit bestünde nicht nur die Gefahr einer unsachgemä-ßen Ausweitung der Behandlung mit Heroin, sondernauch die Kosten für die Krankenkassen würden in einefür die Beitragszahler nicht zumutbare Größenordnungsteigen.
Eine Heroinbehandlung kostet dreimal so viel wie eineBehandlung mit Methadon. Die Möglichkeiten, die weit-aus günstigere Methadonbehandlung auszubauen, sindlängst nicht ausgeschöpft.
So werden in der Schweiz zwei Drittel der Heroinabhän-gigen mit Methadon behandelt, bei uns nur ein Drittelbis zur Hälfte. Das ist Tatsache.
Frau Eichhorn.
Sofort. – Deswegen fordern wir in unserem Antrag
eine klare Definition der Aufnahmekriterien, damit die
Behandlung mit Diamorphin tatsächlich nur als Ultima
Ratio durchgeführt wird. – Bitte sehr.
Der Kollege Nouripour würde gerne eine Zwischen-
frage stellen. – Bitte schön.
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–
Herr Kollege, Sie können davon ausgehen, dass icheine Arbeit so verstehe, dass ich mich vor Ort, dort, woie Praxis die Tagesordnung bestimmt, immer infor-iere. So habe ich mich zum Beispiel in München, woin Heroinsubstitutionsmodellprojekt betrieben wird, er-undigt und mit den Abhängigen gesprochen. Ich habeber auch erfolgreiche Einrichtungen zur Methadonsub-titution besucht.
ch habe festgestellt – das ist klar –: Derjenige, der He-oin bekommt, will es weiterhin haben. Ich habe auchestgestellt, Herr Kollege, dass diejenigen, die vom He-oin losgekommen sind und es geschafft haben, wiederin eigenständiges Leben zu führen, darüber todfroh wa-en.
ch gestehe Ihnen zu, dass mich das sehr bewegt hat.
ch habe die Entscheidung meiner Fraktion nicht auf dieeichte Schulter genommen. Es geht darum, den Men-chen zu helfen, ein Leben ohne Heroin führen zu kön-en; die meisten wollen das auch. Das können wir auchurch eine gute Methadonbehandlung erreichen. Hierind viele Möglichkeiten noch nicht vollständig ausge-chöpft.
Oberstes Ziel jeder Drogentherapie ist und bleibtdas ist nicht nur die Auffassung unserer Fraktion – der
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22827
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Maria EichhornAusstieg aus dem Drogenkonsum. Jeder Heroinabhän-gige wird Ihnen, wenn sie ihn fragen, bestätigen, dass ervon der Droge loskommen will. Nach § 5 Betäubungs-mittel-Verschreibungsverordnung dient die Substitu-tionsbehandlung dem Ziel der schrittweisen Wiederher-stellung der Abstinenz einschließlich der Besserung undStabilisierung des Gesundheitszustands.Durch die Diamorphinvergabe im Rahmen des Mo-dellprojekts konnten nur 8 Prozent der teilnehmendenDrogenabhängigen in eine Abstinenztherapie überführtwerden. Daher fordern wir, dass eine neue Studie durch-geführt wird, in der es auch um die Frage geht, inwie-weit sich die Gabe von Diamorphin mit dem Ziel desAusstiegs aus der Sucht vereinbaren lässt.Im vorliegenden Gesetzentwurf der Gruppe um FrauReimann wird behauptet, es gebe zur Diamorphinbe-handlung keine Alternative. Dies sehen viele Expertenund die CDU/CSU-Bundestagsfraktion anders. VieleSachverständige vertreten die Meinung, dass mit psy-chosozialer Betreuung bei der Methadonsubstitutionähnlich gute Erfolge erzielt werden können wie mit derHeroinsubstitution; davon habe ich mich vor Ort über-zeugt. Daher fordern wir den Ausbau der Methadonbe-handlung und der psychosozialen Betreuung, und zwarim gleichen Umfang, wie sie im Rahmen der Studie beider heroingestützten Behandlung erfolgt ist.Meine Damen und Herren, für übereilte Entscheidun-gen besteht keine Veranlassung.
Frau Kollegin, es gibt den Wunsch nach einer weite-
ren Zwischenfrage, diesmal von Frau Caspers-Merk.
Bitte.
Liebe Frau Kollegin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, dass im Rahmen des Modellprojekts, das eine
klare Überlegenheit im Hinblick auf die Überlebensrate
und im Hinblick auf die gesundheitliche Struktur der
Abhängigen zum Ergebnis hatte,
je zur Hälfte klassische Methadonsubstitution und Dia-
morphinsubstitution durchgeführt wurde
und dass in beiden Fällen dieselbe psychosoziale Be-
handlung stattgefunden hat,
sodass Ihre Forderung, die Methadonbehandlung mit ei-
ner verbesserten psychosozialen Behandlung zu kombi-
nieren, unsinnig ist?
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as war einer der Gründe, warum diese Studie zu diesen
rgebnissen führte. Das können auch Sie nicht kleinre-
en.
Frau Abgeordnete, natürlich weiß ich, dass die Me-
hadon- und die Heroinsubstitution unter gleichen Be-
ingungen durchgeführt wurden. Wie ich bereits darge-
egt habe, waren die Unterschiede aber nicht so groß,
ass es gerechtfertigt wäre, die Diamorphinbehandlung
n die Regelversorgung zu überführen;
as ist der erste Aspekt. Hier setzen wir an.
Der zweite Punkt, den ich betonen will, ist, dass bei
er Methadonsubstitution in der heutigen Praxis in den
eisten Fällen keine psychosoziale Betreuung stattfin-
et. Aus diesem Grunde kommen viele Betroffene in
ine schwierige Lage. In diesem Fall verlangen sie eine
eroinsubstitution, obwohl ihnen schon vorher mit einer
uten Methadonbehandlung hätte geholfen werden kön-
en.
Für übereilte Entscheidungen besteht keine Veranlas-
ung. Auch ohne Mitfinanzierung durch den Bund ist die
ersorgung der bisherigen Heroinpatienten durch die
tädte gesichert; auch das Bundesgesundheitsministe-
ium hat dies bestätigt.
ie Patienten werden seit dem 1. Januar 2007 und auch
eiterhin auf der Basis einer Ausnahmeerlaubnis mit
iamorphin behandelt. Kein einziger Patient musste auf
eine Behandlung verzichten.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
Karlsruhe, Köln und Frankfurt haben sogar Genehmi-ungen für die Aufnahme neuer Patienten erhalten. Des-egen ist es ungeheuerlich, wenn gesagt wird, dass aus
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22828 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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Maria Eichhornchristlicher und moralischer Perspektive die Haltung derUnion nicht vertretbar sei.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
Wir wollen in erster Linie den Ausstieg aus der
Droge. Das ist die beste Hilfe für die Heroinsüchtigen.
Der Kollege Frank Spieth hat jetzt für die Fraktion
Die Linke das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Über
250 Kolleginnen und Kollegen haben den Gesetzentwurf
zur diamorphingestützten Substitutionsbehandlung un-
terstützt und unterschrieben. Zugegebenermaßen hat er
einen sperrigen Titel, der sich nicht ohne Weiteres er-
schließt. Ich frage mich schon die ganze Zeit, ob die Da-
men und Herren hier und die Zuschauer neben den takti-
schen Geschichten, die hier im Plenum deutlich werden,
nachvollziehen können, um was es geht.
Ich möchte anhand eines ganz konkreten Falles versu-
chen, dem Ganzen ein Gesicht zu geben: Der 48-jährige
Herbert S. wurde von den Mitarbeitern der Studienam-
bulanz in der Grünen Straße in Frankfurt am Main buch-
stäblich von der Straße aufgelesen. 20 Jahre lang war er
heroinsüchtig und die letzten fünf Jahre obdachlos. Er ist
1,81 Meter groß, wog aber zu Beginn der Therapie nur
41 Kilogramm. Sein Gesundheitszustand war miserabel.
Bei der Aufnahmeuntersuchung zeigte sich, dass er
seine Schuhe nicht mehr ausziehen konnte. Das hatte ei-
nen Grund: Er trug mehrere Socken übereinander; die
Füße waren voller Wunden, und das unterste Paar So-
cken klebte an diesen Wunden fest. Herbert S. war äu-
ßerst kontaktscheu, ein typischer Einzelgänger, von der
Straße gezeichnet. Bisher hatte er aus Angst vor dem
Entzug jede Therapie abgelehnt.
Eine Methadontherapie, die den Entzug lindern kann,
kam für ihn nie infrage. Denn er hatte sich auf dem
Schwarzmarkt bereits illegal Methadon beschafft und
wusste, wie es wirkt. Unter Methadon fühlte er sich
schlecht, antriebslos und depressiv. Methadon führte bei
ihm dazu, dass er immer wieder maßlos Schnaps und
Wein trank. Da aber die Kombination Alkohol und Me-
thadon die Atmung lähmen kann – dies wird von den
meisten Therapeuten bestätigt –, kommt es beim Betrof-
fenen zu problematischen Folgen: Die mit Heroinkon-
sum verbundenen Entzugserscheinungen haben solche
Auswirkungen, dass er letztendlich aus der Entzugsmaß-
nahme aussteigt und in der letzten Konsequenz wieder
an der Nadel hängt. Es handelt sich also um einen Teu-
felskreis.
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Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
DU/CSU, meine ich, dass die Erkenntnisse aus den Un-
ersuchungen und die konkreten praktischen Erfahrungen
ine andere Behandlung für diesen begrenzten Kreis von
ersonen – im Sinne einer Ultima Ratio – überhaupt
icht mehr zulassen. Dem muss endlich gefolgt werden.
Ich unterstelle Ihnen überhaupt nichts. Ich weiß, dass
ehr viele von Ihnen sehr starke christliche und soziale
urzeln haben. An dieser Stelle habe ich aber erhebli-
he Zweifel; denn die Forderungen, die Sie hier aufstel-
en, sind in sich nicht schlüssig. Ihr Antrag ist im Kern
ichts anderes als ein taktisches Reagieren auf diesen
esetzentwurf. Das finde ich nicht erträglich.
Sie müssten jetzt bitte zum Ende kommen.
Ich bin sofort fertig.Ich kann mich insofern nur meinen Vorrednerinnennd Vorrednern anschließen. Heben Sie den Fraktions-wang auf und machen Sie diese Entscheidung zur Ge-issensentscheidung!
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22829
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Das Wort hat nun Dr. Harald Terpe für Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Die Chancen stehen gut, dass wir endlich zu einer
gesetzlichen Regelung die Diamorphinbehandlung für
schwerkranke Opiatabhängige betreffend kommen. Be-
troffene Patientinnen und Patienten werden dankbar da-
für sein und aufatmen, genauso wie die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter in den Drogenambulanzen der betroffe-
nen Kommunen.
Mit unserem breit unterstützten Gesetzesvorschlag
werden im Gegensatz zum Antrag der Union die richti-
gen Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen des Mo-
dellprojektes gezogen. Ich will die Ergebnisse nicht in
allen Einzelheiten wiederholen. Der Gesundheitsaus-
schuss hat sich mit gebotener Gründlichkeit mit den wis-
senschaftlichen Ergebnissen beschäftigt.
Ich will einen kleinen Ausflug in die Wissenschaft
machen. In der Argumentation von Frau Eichhorn haben
wir immer wieder von den vielen Experten gehört. Ich
kenne aus dem Kinderreim: Eins, zwei, viele. Wenn es
aber darum geht, signifikante Ergebnisse anzuerkennen,
ist bei Ihnen offenbar Fehlanzeige.
„Signifikanz“ ist ein Begriff aus der Wissenschaft.
Deshalb kann man nicht einfach argumentieren, dies sei
kein Ergebnis. Das ist ein signifikantes Ergebnis.
Die Ergebnisse der Studie sind durchweg positiv und
sprechen eindeutig dafür, dass die Behandlung in die Re-
gelversorgung für den kleinen Kreis schwer Opiatabhän-
giger übernommen werden muss.
Wenn man den vorliegenden Antrag der Unionsabge-
ordneten liest, bekommt man das Gefühl, als hätten die
Autoren dieses Antrags eine völlig andere Studie gelesen
oder an einer anderen Anhörung teilgenommen.
Obwohl die Studienergebnisse eindeutig sind, be-
zweifeln oder leugnen die Unionsabgeordneten in ihrem
Antrag die Vorteile der Diamorphinbehandlung. Sie be-
haupten auch, dass es einen Ansturm von 80 000 Abhän-
gigen auf die neue Behandlungsform geben werde, ob-
wohl in der Anhörung nahezu alle Sachverständigen
gerade das ausgeschlossen haben.
Es muss noch einmal festgehalten werden: 80 Prozent
der Patientinnen und Patienten haben sich in ihrer ge-
sundheitlichen Situation verbessert. Bei 70 Prozent der
Patientinnen und Patienten wurde der illegale Drogen-
konsum verringert. Die Diamorphinbehandlung soll im
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Sie führt auch nicht zur Abstinenz, aber sie schafft es,
ie zwingenden Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass
ie Patientinnen und Patienten für eine weiterführende
ubstitutions- und Abstinenztherapie erreichbar wer-
en, nämlich die gesundheitliche und soziale Stabilisie-
ung – das hat Herr Kollege Spieth sehr eindrucksvoll
nhand eines Patientenfalls geschildert – und die Loslö-
ung aus der Drogenszene.
Allein in der Stadt Frankfurt wechselten 50 Prozent
er Studienteilnehmer in eine weitergehende Substitu-
ions- oder gar Abstinenztherapie.
Nun fordern die Unionsabgeordneten in ihrem Antrag
in weiteres Modellprojekt. Dabei gehört die Diamor-
hinbehandlung national wie international zu den am
esten untersuchten Therapien in der Suchtmedizin. Ne-
en der deutschen Studie kommen vier große Studien
ur Diamorphinbehandlung in der Schweiz, in den Nie-
erlanden, in Spanien und in Großbritannien ebenfalls
u durchweg positiven Ergebnissen. Ich wäre froh, wenn
s für alle Teile des Leistungskatalogs der gesetzlichen
rankenkassen gelingen würde, eine derart gute Evidenz
achzuweisen.
Herr Kollege, obwohl die Redezeit fast abgelaufen
st, haben Sie die einmalige Chance, eine Zwischenfrage
on Herrn Dr. Eisel zuzulassen.
Ja, gern.
Bitte schön.
Herr Kollege, gerade weil ich aus einer der betroffe-en Städte komme, nämlich aus Bonn, stelle ich Ihnenie Frage, ob Sie nicht bereit sind, anzuerkennen, dass esowohl von den Experten bei dem Expertenhearing alsuch von Ärzten – übrigens auch von Ärzten aus mei-em Wahlkreis in Bonn – unterschiedliche Bewertungener Ergebnisse dieser Studie gab bzw. gibt.Akzeptieren Sie nicht, dass es vor diesem Hinter-rund auch eine verantwortliche Haltung sein kann, zu-ächst die unbeantworteten Fragen durch eine weiteretudie beantworten zu lassen, bevor man eine umstrit-ene Behandlungsmethode zur Regelbehandlungsme-hode macht, und dafür zu sorgen, dass, wenn diese wei-ere Studie stattfindet, all diejenigen, die sich jetzt in der
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22830 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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Dr. Stephan EiselBehandlung befinden, auch künftig in der Behandlungverbleiben können?
Herr Kollege, ich muss darauf Folgendes antworten:
Mir ist durchaus bekannt, dass die Ergebnisse wissen-
schaftlicher, evidenzbasierter Studien häufig in Zweifel
gezogen werden, und zwar meistens von den Leuten, die
beispielsweise den Begriff „Signifikanz“ nicht anerken-
nen.
Es ist also kein ausreichendes Argument, dass es Leute
gibt, die das nicht so sehen.
– Solche gibt es auch unter den Ärzten.
– Herr Spahn, wir sind hier jetzt nicht in der Schule und
erklären uns nicht den Begriff „Signifikanz“.
Das ist meine Antwort darauf: Es gibt immer wieder
Leute, die wider besseres Wissen Studienergebnisse in
Zweifel ziehen.
Ich glaube, der wesentliche Irrtum der Unionsabge-
ordneten besteht darin, dass sie die Opiatabhängigkeit in
erster Linie noch immer als moralische Angelegenheit
und nicht als eine schwere chronische Erkrankung be-
trachten.
Genau genommen verwundert mich die Haltung der
Union auch nicht mehr sonderlich; denn seit Mitte der
90er-Jahre, seitdem der Bundesrat erstmalig ein Modell-
projekt für die Diamorphinbehandlung gefordert hat,
laufen Sie Sturm gegen diese Diamorphinbehandlung,
und zwar mit allen Kräften, aber auch, wie man eben von
Ihnen gehört hat, mit schlechten Argumenten.
Ich hoffe jedenfalls, dass sich die Mehrheit des Bun-
destages davon nicht beirren lässt und die Chance zur
Einführung der Diamorphinbehandlung nutzt; denn nichts
spricht ernsthaft dagegen.
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Sabine Bätzing spricht jetzt für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Lassen Sie mich als letzte Rednerin der De-atte noch einmal zusammenfassen, um was es bei die-em Gesetzentwurf eigentlich geht. Es geht um das Le-en von schwerstkranken Menschen.
s geht um langjährig Heroinabhängige, die trotz viel-ältiger Versuche keinen Ausstieg aus dem Teufelskreiser Sucht geschafft haben – weder durch drogenfreieherapien noch durch eine Methadonbehandlung.Was sind das für Menschen? Es handelt sich um Men-chen, die über 20 Jahre heroinabhängig sind, zahlreicheegleiterscheinungen aufweisen und zum Teil mitepatitis C oder HIV infiziert sind. Viele haben post-raumatische Gewalterfahrungen gemacht oder habenehrfache psychische Erkrankungen.Bei dieser Gruppe von Schwerstabhängigen schlagenie gängigen Substitutionsmedikamente nicht an, oderie haben das Hilfesystem bislang überhaupt noch nichtn Anspruch genommen.
enau für diese Patienten werden durch die Diamor-hinbehandlung eindeutig wissenschaftlich-signifikantessere Ergebnisse erzielt.
en Menschen werden dadurch wieder Perspektiven ge-eben. Durch die Diamorphinbehandlung wird dasberleben dieser Menschen gesichert.An die Kolleginnen und Kollegen von der Union:uch wenn es um die Abstinenz geht, kann die Diamor-hinbehandlung sehr gute Ergebnisse vorweisen.
on allen Patienten, die nach vier Jahren die diamor-hingestützte Behandlung beendet haben, wechselteund ein Drittel in eine andere Substitutionsbehandlung.eitere 13 Prozent dieser Patienten, die wir früher nichtrreicht haben, haben eine abstinenzgestützte Behand-ung aufgenommen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22831
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Sabine Bätzing
Frau Bätzing, möchten Sie eine Zwischenfrage von
Frau Widmann-Mauz zulassen?
Ja, gerne, Frau Widmann-Mauz.
Frau Kollegin Bätzing, Sie haben uns gerade erklärt,
dass die Schwerstabhängigen nicht durch gängige Me-
thadonbehandlungen und -substitution erreichbar gewe-
sen seien. Wie erklären Sie es sich dann, dass in der
Kontrollgruppe zu den mit Diamorphin Behandelten im
Modellvorhaben – nämlich der Kontrollgruppe, die mit
Methadon weiterbehandelt wurde – zu 75 Prozent die-
selben Erfolge erreicht wurden wie mit Heroin? Kann es
nicht daran liegen, dass nicht der Stoff – in dem Fall He-
roin – den Erfolg bringt, sondern mehr die psychosoziale
Betreuung, die in diesem Modellvorhaben so elementar
gut ist, dass es dann auch mit Methadon zu den entspre-
chenden Erfolgen kommt? Wenn Ihre Grundannahme
richtig wäre, hätte doch in der Methadonkontrollgruppe
kein Erfolg mehr erzielt werden können.
Nein, liebe Kollegin Widmann-Mauz, das kann nicht
daran liegen. Frau Caspers-Merk hat das vorhin sehr
deutlich gemacht. Die psychosoziale Begleitung war in
beiden Gruppen gleich. Wir können selbstverständlich
die Methadonbehandlung verbessern,
– das schließt ja nicht aus, dass wir das tun –, aber es
sind immer noch 25 Prozent, die überhaupt nicht erreicht
werden. Sind Ihnen diese 25 Prozent egal? Uns sind sie
nicht egal. Wir wollen auch diesen Menschen das Über-
leben sichern.
Frau Kollegin, es gibt noch eine Zwischenfrage der
Kollegin Monika Knoche.
Gerne, Frau Knoche.
Sehr verehrte Frau Kollegin, glauben Sie nicht auch,
dass es der Versachlichung der Debatte auch im Sinne
Ihrer Argumentation dienlich wäre, dem Plenum und der
Öffentlichkeit darzulegen, dass es sich um eine Arznei-
mittelstudie handelt und dass es um die Frage geht, wel-
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Ich habe viele abhängige Menschen vor Ort kennen-elernt und habe fast alle Ambulanzen besucht. Manann es nicht hoch genug einschätzen, wie positiv sichas Leben dieser Menschen verändert hat. Eindrucksvol-er als Kollege Spieth kann man das sicherlich nicht dar-tellen.Wir wollen, dass diesen schwerstkranken Menschenine Möglichkeit geboten wird, wieder menschenwürdigu leben
nd, auch wenn es nicht einfach ist, ihre Sucht zu über-inden. Die Unionsfraktion, die den alternativen Antragingebracht hat, befürchtet dagegen – das hat sie heuteehrfach wiederholt –, dass die Nachfrage nach Dia-orphinbehandlungen sprunghaft zunimmt. Diese Angstst völlig unbegründet.
ie Horrorzahl von bis zu 80 000 Diamorphinpatienteneistert schon seit Monaten durch die Medien. Sie istber eine reine Erfindung der Union.
ealistisch ist – das bestätigen die Erfahrungen aus derchweiz –, von 2 000 bis 3 000 Schwerstabhängigenuszugehen, die die Behandlung in Anspruch nehmenönnten und denen nicht anders geholfen werden kann.Es gibt also für uns keinen Grund, jetzt ein positiv ab-eschlossenes Modellprojekt fortzuführen und weiterbzuwarten. Was soll mit einer Verlängerung eines Mo-ellprojektes erreicht werden? Die Forschungsergeb-isse sind eindeutig, auch was die angeblich offenenragen der Union angeht.
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22832 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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Sabine Bätzing
Die Fortsetzung des Modells ist weder durchdacht nochfinanzierbar; denn die Antragsteller haben sich bislangnoch nicht einmal um zusätzliche Finanzmittel geküm-mert. Das ist unredlich und unseriös.
Wir brauchen für die betroffenen Schwerstabhängi-gen eine langfristige Perspektive, ihr Leben wieder inden Griff zu bekommen. Deshalb ist jetzt die Über-nahme der erfolgreichen diamorphingestützten Substitu-tionsbehandlung in die Regelversorgung notwendig. Ichappelliere abschließend an die Kolleginnen und Kolle-gen der Union: Geben Sie Ihrem Gewissen Freiheit! Ent-scheiden Sie sich auch aus christlicher Nächstenliebe fürdiese schwerkranken Menschen und unterstützen Sie un-seren Gesetzentwurf!Danke schön.
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Jens Spahn
das Wort.
Frau Kollegin Bätzing, wir können darüber streiten,
wie wir den Menschen helfen. Aber eines lasse ich mir
persönlich und lassen wir uns als Fraktion nicht abspre-
chen, nämlich dass wir genau das gleiche Bemühen an
den Tag legen, wenn es darum geht, Schwerstabhängi-
gen eine Perspektive zu geben. Wir haben genau das
gleiche Ziel, diesen Menschen eine Chance zu geben
und den Weg zurück in die Unabhängigkeit zu ermögli-
chen, damit sie ihr Leben selber gestalten können. Wir
streiten nicht über das Ziel, sondern über das Wie. Etwas
anderes sollten Sie nicht unterstellen.
Herr Kollege Terpe, ich möchte aufgreifen, was Sie
gesagt haben; das hat auch die Kollegin Bätzing ange-
sprochen. Wir bestreiten nicht die Ergebnisse der Studie.
Wir ziehen aber andere Schlussfolgerungen aus der Stu-
die als Sie. Es gibt noch zahlreiche offene Fragen, wie
die Frage des Beikonsums – warum also weiterhin Ko-
kain, Alkohol und Cannabis konsumiert werden – und
die Frage der Ausstiegsorientierung.
Frau Kollegin Bätzing, die Zahl 80 000 wurde nicht
von der Union erfunden, sondern von der KBV und den
Krankenkassen, also von den Kostenträgern und der ver-
sammelten Ärzteschaft, in der Anhörung genannt. Die
Kostenträger und die versammelte Ärzteschaft – man
kann sie auch Experten nennen – haben gesagt, gemäß
der von ihnen definierten Kriterien kämen 80 000 Men-
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Zur Erwiderung hat die Kollegin Bätzing das Wort.
Herr Kollege Spahn, ich möchte nur auf einen Punktingehen. Ich glaube, die Debatte hat gezeigt, dass wirtichhaltige Argumente haben, die wissenschaftlich be-egt sind. Die Ergebnisse kann man auch nicht andersuslegen; denn die Fakten sprechen eine klare Sprache.
Ich möchte lediglich etwas zu Ihrem Kompromissan-ebot sagen. Ich halte es für einen faulen Kompromiss,en Sie uns anbieten. Sie hatten vier Jahre Zeit.
o lange liegt das endgültige Ergebnis der Studie vor.ir haben zu zahlreichen Gesprächsrunden und Besu-hen vor Ort eingeladen. Wir haben mit Ihnen über Ge-etzentwürfe diskutieren wollen. Aber nie gab es einompromissangebot. Jetzt, wo es nicht mehr anderseht, bringen Sie einen Antrag ein. Aber Sie macheneine Finanzierungsvorschläge. Das ist nichts anderesls reine Verzögerungstaktik. Für uns ist das ein faulerompromiss, dem wir uns nicht anschließen werden.
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Nun hat noch der Kollege Terpe das Wort.
Herr Kollege Spahn, Sie haben eben gesagt, Sie wür-
den die Ergebnisse der Studie nicht bestreiten, nur an-
dere Schlussfolgerungen daraus ziehen. Das deckt sich
nicht ganz mit dem, was Frau Kollegin Eichhorn gesagt
hat.
Von ihr habe ich nur gehört, dass beispielsweise das Sig-
nifikanzkriterium in Zweifel gezogen wird. Wir können
uns natürlich noch einmal darüber unterhalten, was ich
unter Signifikanz verstehe. Ich habe als Arzt damit gear-
beitet und eine Menge an Erfahrungen gesammelt. Ich
nehme Ihnen Ihr Argument nicht ab, dass Sie die Studien-
ergebnisse zwar anerkennen, aber andere Schlussfolge-
rungen ziehen.
Sie haben gerade etwas zur Ideologie gesagt. Ich kann
mich an die Bemerkung „Kiffen auf Krankenschein“ er-
innern. Ich weiß nicht, ob eine solche Formulierung
nicht zur Ideologisierung einer Diskussion beiträgt, bei
der es ganz konkret um Patienten geht, die zu behandeln
sind, und zwar um schwerkranke Patienten.
– Ja, das haben wir gehört.
– Die Argumente waren ja scheinheilig.
– Wenn man an anderer Stelle ganz andere Äußerungen
hört, dann fragt man sich, ob die Argumente in sich
schlüssig sind.
– Das liest man in der Zeitung. Jeder weiß es.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufden Drucksachen 16/11515, 16/7249 und 16/12238 andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor-schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derFall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.AFssDGNWddÜdWfzpüwnBdvjwstdejUFfaeEg
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!enn man sich die Agenden der Gipfeltreffen sowohl iner EU als auch auf internationaler Ebene anschaut,ann erkennt man, dass ein Element, das nach unsererberzeugung nicht fehlen darf, bisher nicht Gegenstander Verhandlungen ist.
ir wollen dieses Element heute voranbringen und hof-en, dass Sie mitziehen; wir werben um Ihre Unterstüt-ung.Es geht um die Finanzumsatzsteuer, die wir auf euro-äischer Ebene einführen wollen. Das ist ein Projekt,ber das auch in anderen Ländern Europas diskutiertorden ist. Wir glauben, es ist notwendig, dass es nichtur politische Meinungsäußerungen dazu gibt – zumeispiel des Außenministers und des Finanzministers;ie können wir in dem Papier, das die beiden Ministerorgelegt haben, nachlesen –, sondern dass dieses Pro-ekt auf europäischer Ebene auch wirklich vertretenird.
Wir wollen uns für eine EU-weite Finanzumsatz-teuer einsetzen. Natürlich müssen wir uns darüber un-erhalten – wir sollten das im Ausschuss tun –, welcheie bessere Variante ist: eine Börsenumsatzsteuer oderine allgemeine Finanzumsatzsteuer. Notwendig ist aufeden Fall, dass wir zu einer sinnvollen Besteuerung vonmsätzen auf den Finanzmärkten kommen.Warum? Es ist ein Gebot der Gerechtigkeit und derairness. Die Umsetzung unseres Vorschlags würde dazuühren, dass die Gewinner des Finanzbinnenmarktes,lso diejenigen, die hohe Umsätze generieren, de factoinen Teil der Ausgaben tragen, die auf europäischerbene – über den Sozialfonds und die Regionalmittel –etätigt werden, um die Verlierer der Entwicklung zu
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22834 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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Dr. Gerhard Schickkompensieren. Das sollte in einem sinnvollen Verhältnisstehen. Häufig wird das Argument vorgetragen, diesführe zu Belastungen bei der Altersvorsorge und im Ak-tienhandel. Im Gegensatz zur Börsenumsatzsteuer be-zieht sich eine allgemeine Finanzumsatzsteuer nur zu6 Prozent auf Umsätze mit Aktien und zu 94 Prozent aufDerivate, Optionen und Futures verschiedener Arten.Das heißt, das Gros der Belastung betrifft nicht denje-nigen, der sich Aktien kauft, um für das Alter vorzusor-gen. Es soll vielmehr auf die Teile des Finanzmarkts ab-gezielt werden, wo ein sehr schneller Umschlag herrscht.Alle beklagen, dass das Verhältnis von Realwirtschaftund Finanzwirtschaft nicht mehr stimmt. Das muss wie-der hergestellt werden. Es handelt sich daher um einesinnvolle Steuer, die auch stabilisierend wirkt. Klar, dieSteuer hätte die jetzige Krise nicht verhindert. DieserEinwand gilt aber für jeden einzelnen Vorschlag. Abersie wirkt stabilisierend auf die Finanzmärkte, weil essich nicht mehr lohnt, minimale Preisunterschiede aus-zunutzen.
Es wird manchmal gesagt, das gehe rechtlich nicht.Das stimmt nicht. Es ist auf europäischer Ebene durcheine Richtlinie festgelegt, dass das machbar ist.
Wir sollten das tun. Das, was wir vorschlagen, ist auchkeine Steuererhöhung. Unser Vorschlag geht dahin, dassim Gegenzug die Mitgliedsbeiträge in die nationalenHaushalte zurückgeführt werden. Damit hätten wir einesinnvolle Finanzierung der europäischen Aufgaben überein europäisches Finanzierungsmodell.
Andere europäische Staaten haben uns vorgemacht,dass nationale Parlamente diese Diskussion anstoßenkönnen. Frankreich und Belgien haben entsprechendeBeschlüsse gefasst. Sie sind bereit, wenn andere Staatenmitziehen, so etwas europaweit zu realisieren.
Es ist an der Zeit, das Deutschland nicht nur allgemeineMeinungsäußerungen dazu abgibt, sondern als größteVolkswirtschaft mitzieht und diesen Vorschlag weiter-verfolgt. Es gibt ein gutes Vorbild, das sich die GroßeKoalition anschauen sollte. In einer Studie des Wirt-schaftsinstituts in Wien wurde eine Finanzumsatzsteuerauf europäischer Ebene in der Form, die wir aufgegriffenhaben, vorgeschlagen. Nehmen Sie sich ein Vorbild ander Großen Koalition in Österreich. Es gibt auch GroßeKoalitionen, die Sinnvolles in die europäische Diskus-sion einbringen. Wir hoffen, dass wir in den Ausschuss-beratungen zu einer gemeinsamen Position kommen.Dann müssen die europäischen Regierungen gemeinsamso etwas voranbringen; denn eines ist klar: Es darf nichtpassieren, dass für die Belastungen der jetzigen Krisewieder alle Menschen über die Erhöhung der Mehrwert-steuer – das haben Sie schon einmal gemacht – bezahlen.Wir wollen, dass die Gewinner an den FinanzmärktendElHNlwdiidmudvBnslnmcnknazdb2gbSseoK
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
a ja, wenn Österreich das vorschlägt, dann sind eigent-
ich alle großen Finanzmärkte der Welt dabei, oder?
Ich glaube, Ihre Überlegung, dass eine Steuer, wenn
ir sie in diesem Bereich brauchen, nicht nur die Pro-
ukte umfassen darf, die an der Börse gehandelt werden,
st gar nicht falsch. Darüber kann man reden. Die Frage
st nur, wie Sie das machen wollen. Woran wollen Sie
as festmachen? Was nehmen Sie alles mit hinein? Neh-
en Sie Überweisungen dazu, Schuldverschreibungen
nd alles, was dazu gehört? Sie haben in Ihrem Antrag,
er in dieser Beziehung sehr dünn ist, Aktien und Deri-
ate aufgeführt. Es gäbe noch mehr. Diejenigen, die die
örsenumsatzsteuer fordern, tun das meiner Meinung
ach deshalb, weil sie wissen, dass es schwierig genug
ein wird, diese Steuer letztendlich einzuziehen.
Sie wollen große Finanzmärkte und Akteure kontrol-
ieren. Trotzdem enthält Ihr Vorschlag eine Steuer von
ur 0,01 Prozent. Man kann dafür oder dagegen sein,
an kann sich für 1 Prozent oder 0,01 Prozent ausspre-
hen, aber, ehrlich gesagt, viel werden Sie damit am Fi-
anzmarkt nicht bewegen. Sie werden diejenigen, die
urzfristige und risikoreiche Spekulationen durchführen,
icht bremsen können. Sie werden auf der anderen Seite
uch nicht die Einnahmen, die Sie sich versprechen, er-
ielen, wenn Sie es technisch überhaupt hinbekommen,
iese Steuer einzuziehen. Die Einnahmen werden nicht
esonders hoch sein. 70 Milliarden Euro verteilt auf
7 Mitgliedsländer sind nicht viel. Sie wollen das Geld
leich bei der EU belassen. Dazu muss ich sagen: Worin
esteht denn dann der Anreiz für die Länder, diese
teuer zu erheben? Jedes Land, das eine höhere Wert-
chöpfung als Österreich hat, wird das sein lassen, weil
s auf die Einnahmen verzichten kann und über die EU
hnehin Gelder fließen.
Kollegin Hauer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Schick?
Ja.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22835
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Unser Antrag enthält einen Hinweis darauf, dass dasösterreichische Wirtschaftsforschungsinstitut in Wien ineiner Studie von einem Steuersatz von 0,01 Prozent aus-geht; daraus ergebe sich ein EU-weites Steueraufkom-men von gut 70 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist sehrkonservativ geschätzt. Wir haben als Benchmark für dieDiskussion ganz bewusst die vorsichtigste Schätzung ge-nommen. Wir sind gern bereit, darüber zu diskutieren,welcher der richtige Satz ist.Sie haben auch gesagt, das sei wenig Geld. Wenn Siediesen Betrag ins Verhältnis setzen zum Haushalt derEuropäischen Union, sind Sie dann bereit, anzuerken-nen, dass diese 70 Milliarden Euro mehr als die Hälftedes derzeitigen Volumens des europäischen Haushaltessind und dass dieser Betrag angesichts dessen keine ge-ringe, sondern eine sehr relevante Größe ist?
Herr Dr. Schick, welche Zahl größer ist, kann manleicht feststellen. Die Frage lautet allerdings: Bekommtman diese Einnahmen überhaupt? Dazu steht in IhremAntrag überhaupt nichts. Wie soll die rechtliche Grund-lage für das Erheben dieser Steuer aussehen?
Auf welche Produkte soll diese Steuer erhoben werden?Wer soll das kontrollieren?Das, was Sie im Hinblick auf den EU-Haushalt vorha-ben, ist, wie ich finde, politisch schwierig zu erklären.
Gerade in der jetzigen Situation – wir geben Finanzun-ternehmen Bürgschaften, um deren Existenz zu sichern –ist den Leuten schwer zu erklären, dass sie von diesenSteuereinnahmen nichts haben sollen, weil sie in denEU-Haushalt fließen. Da Sie das offensichtlich wissen,haben Sie gleichzeitig den Vorschlag gemacht, dieseEinnahmen wieder an die Mitgliedstaaten zu verteilen.Wie soll das gehen? Das hat mit der eigentlichen Steueram Ende überhaupt nichts mehr zu tun.
– Wir reden hier aber über die Finanzumsatzsteuer. Sowie dieser Antrag formuliert ist, kann eine solche Steuerdoch nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden.Das Bemerkenswerte ist, dass auf unserem Finanz-markt nicht nur Hedgefonds und kurzfristige Spekulan-ten agieren. Auf unserem Finanzmarkt geht es vor allenDingen darum, den Unternehmen Kapital zur Verfügungzu stellen und es Anlegern zu ermöglichen, Altersvor-sorge und Vermögensbildung zu betreiben.WvüIvndmseslKRwwdngwwardAsakSvPÜdblwumgksPwdnfesm
ie soll das funktionieren, wenn die Finanzprodukteerteuert werden?Sie schreiben, das würde sich auf die Altersvorsorgeber Kapitalanlagen unwesentlich auswirken.
ch muss Ihnen ehrlich sagen, dass ich mir das kaumorstellen kann. Wenn jemand eine Kapitalanlage wie ei-en Fonds wählt, dann hat er ein Interesse daran, dassieser Fonds wächst; sonst ist sein Geld am Ende nichtsehr wert. Dieser Fonds wächst aber nur, wenn manchnell auf den Kapitalmarkt reagieren kann. Wenn manine zusätzliche Steuer schafft, dann wird das Ergebnisein, dass es Fonds für diejenigen gibt, die sich nicht vieleisten können. Sie werden diesen Steuersatz zahlen. Einursgewinn von 3 Prozent würde nach Steuern nur eineendite von 2 Prozent bringen; nach Ihrer Rechnungären es 2,9 Prozent, aber das ist nicht viel mehr. Sieollen diejenigen, von denen wir, die Politik, glauben,ass sie einen Finanzmarkt brauchen, der gut funktio-iert und sicher ist – ich meine die ganz normalen Anle-er und Anlegerinnen –, die Zeche zahlen lassen. Sieollen, dass die für sie gedachten Produkte verteuerterden. Sie bewirken, dass diese Menschen in Kapital-nlagen investieren, deren Fondsmanager wenig Inte-esse daran haben, möglichst viel zu handeln, weil sieafür viel bezahlen müssen.
ber diejenigen, die international agieren, die ganzchnell aussteigen und an einer anderen Börse, auf einernderen Plattform oder außerhalb von beidem handelnönnen, lassen Sie heraus. Diese Personen werden dieteuer am Ende nicht zahlen; sie werden nicht zu denon Ihnen geplanten Einnahmen beitragen, sondern ihreapiere schlicht und ergreifend woanders handeln.Ich sage gar nicht, dass wir das aus grundsätzlichenberlegungen nicht wollen. Die ganze Debatte überiese Art der Besteuerung dreht sich um die Fragen: Wieekommen wir diese Steuereinnahmen? Welche Effekteöst das aus? Sind das volkswirtschaftliche Effekte, dieir erzielen wollen? Oder ist es nicht vielmehr so, dassnser Finanzmarkt von beiden Teilen leben muss? Eruss davon leben, dass sich Unternehmen Geld besor-en. Er soll in diesen schwierigen Zeiten und auch in Zu-unft davon leben, dass die Leute einen Teil dessen, wasie an Vermögen bilden wollen, am Finanzmarkt zu fairenreisen sicher anlegen können, und zwar so, dass sie er-arten können, dass ihre Produkte gut gemanagt wer-en. Das würden wir mit dem von Ihnen vorgeschlage-en Vorgehen kaputtmachen. Würden wir Ihrem Antragolgen, ließen wir diejenigen außen vor, die diese Steuerigentlich zahlen könnten, und würden am Ende dafürorgen, dass der Finanzmarkt für normale Anleger nichtehr zu erreichen ist.
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Nina HauerVielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Frank Schäffler für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Den Worten von Ihnen, Frau Hauer, kann ich ei-
gentlich nur zustimmen.
Alles, was Sie gesagt haben, ist richtig. Nur, Ihr eigener
Kanzlerkandidat fordert eine Börsenumsatzsteuer und
will den Finanzmarkt stärker mit Steuern überziehen.
Von daher haben Ihre Worte in Ihrer eigenen Partei si-
cherlich nicht so richtig eine Mehrheit gefunden.
Ich möchte auf den Antrag der Grünen zu sprechen
kommen. Herr Schick, ich glaube, Sie haben die Lehren
aus der Finanzkrise noch nicht richtig durchdrungen. Ich
glaube, die Weltwirtschaftskrise Anfang der 30er-Jahre
wurde im Wesentlichen dadurch verschärft, dass die
Länder dieser Welt damals die Steuern erhöht und
gleichzeitig die Zölle angehoben haben. Das war letzt-
endlich die Ursache dafür, dass die Weltwirtschaftskrise
über so lange Zeit eine verheerende Wirkung zeigen
konnte. Wenn Sie jetzt genau das Gleiche fordern, dann
haben Sie aus der Geschichte nichts gelernt.
Sie haben auch aus den internationalen Erfahrungen
mit Börsenumsatzsteuern – so sage ich jetzt einmal –
nichts gelernt.
Wir haben international im Kern eigentlich eine sehr er-
freuliche Entwicklung. Überall wird die Börsenumsatz-
steuer oder die Besteuerung von Aktienumsätzen abge-
schafft. Dänemark hat die Börsenumsatzsteuer 1999
abgeschafft. Deutschland hat 1991, als wir in der Koali-
tion noch Steuern gesenkt haben, die Börsenumsatz-
steuer abgeschafft. Italien hat 2008 die Börsenumsatz-
steuer abgeschafft, die Niederlande
1990, Österreich 2000,
Schweden 1991, Spanien 1988. Überall auf dieser Welt
wird die Börsenumsatzsteuer abgeschafft, und Sie von
den Grünen wollen wieder eine neue Steuer einführen.
Das passt nicht ins Bild.
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Die internationalen Erfahrungen, die wir dazu haben,
ind verheerend. Schweden hat die Börsenumsatzsteuer
985 eingeführt. Daraufhin ist der Markt für festverzins-
iche Wertpapiere um 85 Prozent eingebrochen. Das
andelsvolumen bei anderen Produkten an der Börse ist
m 98 Prozent zurückgegangen. Die Einnahmen, die
chweden damals unterstellt hat, nämlich etwas über
65 Millionen Euro, sind nicht erzielt worden. Innerhalb
on wenigen Jahren sind sie auf 9 Millionen Euro gesun-
en. Wenn Sie also Arbeitsplätze in diesem Land ver-
ichten wollen, auch am Finanzstandort Frankfurt, dann
üssen Sie die Finanzumsatzsteuer einführen.
Lassen Sie mich direkt auf Ihren Antrag eingehen.
enn man einen Antrag formuliert und wissenschaftli-
he Quellen nennt, auf die man sich bezieht, dann sollte
an wenigstens ordentlich abschreiben. Sie haben in Ih-
em Antrag auf das österreichische Wirtschaftsfor-
chungsinstitut WIFO verwiesen – Sie haben es gerade
ieder getan –, haben einen Steuersatz von 0,01 Prozent
rwähnt und Steuereinnahmen in Höhe von 70 Milliar-
en Euro pro Jahr prognostiziert. Es ist immer ganz
chön, wenn man einmal nachschaut, ob alles das, was
a hineingeschrieben wurde, auch zutrifft.
Ich habe mir vorhin erlaubt, diese Studie herunterzu-
aden. Auf Seite 71 können Sie das gern noch einmal
achlesen. Da ist genau beschrieben, welche Annahmen
etroffen worden sind. Es ist beispielsweise angenom-
en worden, dass bei diesem Steuersatz die Aktienum-
ätze oder Börsenumsätze um 15 bis 35 Prozent zurück-
ehen. Es wird tendenziell das dargestellt, was ich für
chweden gerade vorgetragen habe. Unterstellt werden
icht Steuereinnahmen in Höhe von 70 Milliarden Euro,
ie Sie geschrieben haben, sondern von 28,6 Milliarden
S-Dollar. Das ist wesentlich weniger als das, was Sie
ngenommen haben. Das passt wieder zu dem Bild, das
ch für Schweden gezeichnet habe. Zwischen dem, was
an ursprünglich annimmt, und dem, was dann tatsäch-
ich eintritt, besteht ein himmelweiter Unterschied.
Deshalb fordere ich Sie auf: Nehmen Sie davon Ab-
tand! Ziehen Sie die Lehren aus der Finanzkrise! Diese
ird eben nicht dadurch bewältigt, dass man Steuern
nd Zölle erhöht sowie Mauern aufbaut, sondern da-
urch, dass man Mauern abbaut und Freihandel zulässt.
as ist die richtige Antwort auf diese Finanzkrise.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Leo Dautzenberg für dienionsfraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Schick, eswäre vielleicht sinnvoller gewesen, wenn Sie zu diesemTagesordnungspunkt Ihren ursprünglichen Antrag mitdem Titel „Finanzmärkte besser regulieren – Krisenkünftig verhindern“ eingebracht hätten. Da hätte es vieleSchnittmengen gegeben; da wären wir in vielen Punktendurchaus gemeinsamer Auffassung gewesen und hätten dasauch gemeinsam nach vorne bringen können. Sie habensich – aus nachvollziehbaren Gründen – jetzt rein auf dieEinführung einer Finanzumsatzsteuer konzentriert, weilSie mit Ihrem Finanzmarktpapier wahrscheinlich aucheine Antwort auf die SPD-Forderung nach Einführungeiner Börsenumsatzsteuer geben wollten.Vor Wochen zumindest lehnte Finanzminister Steinbrückdie Einführung einer Börsenumsatzsteuer ab. Die jetztim Finanzmarktpapier der SPD erhobene Forderung istwahrscheinlich der Tatsache geschuldet, dass er mehr inseiner Eigenschaft als stellvertretender SPD-Vorsitzenderund weniger als zuständiger Finanzminister agiert. Dassollte Sie, Herr Schick, nicht veranlassen, die durchausguten Vorstellungen, die Sie in Ihrem Finanzmarktpapierentwickelt haben, nicht mehr weiterzuverfolgen und sicheinseitig auf eine unnötige Belastung des Finanzmarktesdurch Einführung einer solchen Finanzumsatzsteuer zukonzentrieren.Ich habe mit Respekt und in gewisser Weise auchüberrascht die Ausführungen der Kollegin Hauer gehört,die sich im Grunde genommen nicht nur gegen die Ein-führung einer Finanzumsatzsteuer ausgesprochen hat,sondern indirekt auch gegen die im Finanzmarktpapierder SPD geforderte Einführung einer Börsenumsatz-steuer. Vor diesem Hintergrund gibt es in dieser Debattezwischen uns durchaus einige Gemeinsamkeiten.Wenn Sie, Herr Schick, sagen, mit Ihrem Vorhabenginge keine Belastung der privaten Altersvorsorge einher,dann muss ich Ihnen entgegnen – darauf hat sich FrauKollegin Hauer auch schon bezogen –: Wenn eine Belas-tung da ist, wird sie sich in kleinen Schritten kumuliertüber die Zeit negativ auf die Rendite des Anlegers aus-wirken. Wenn eine Anlage auf diese Weise über 20 Jahrebelastet wird, dann hat das durchaus nennenswerte Aus-wirkungen auf den Anlageprozess zur Folge.Die Einführung einer solchen Steuer muss auch imHinblick auf Aktienkultur und Aktienanlagen gesehenwerden: Aktien, die durch die Abgeltungsteuer jetztschon stärker als beispielsweise Inhaberschuldverschrei-bungen oder Anleihen belastet sind, würden zusätzlichbelastet. Das würde dazu führen, dass vernünftige Unter-nehmensfinanzierungen über den Aktienmarkt immerschwieriger würden.
Weiterhin würde eine solche Steuer eine Störung derMobilität des Finanzkapitals mit sich bringen. Sie würdein einer Krise darüber hinaus prozyklisch wirken.
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as ist ein Widerspruch. Wenn Sie eine solche Steueruf europäischer Ebene einheitlich erheben wollen, dannönnen Sie die nationale Zuständigkeit für bestimmteereiche nicht beibehalten. Daher der Hinweis: Ihr ur-prünglicher Antrag war in diesem Punkt sehr viel besser.Heute Morgen gab es – auch von unserer Kanzlerin –ervorragende Debattenbeiträge dazu, welche Erforder-isse sich für die Finanzmarktstabilisierung auf internatio-aler und auf europäischer Ebene in den nächsten Monaten
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Leo Dautzenbergergeben werden. Darauf sollten wir uns konzentrieren.Wir sollten – ausgehend von den G-20-Beschlüssen vom15. November – die fünf Leitprinzipien, die bis zu 47 Ein-zelmaßnahmen im Hinblick auf den internationalen Finanz-markt und seine Stabilisierung nach sich ziehen, nichtnur als Ankündigung sehen, sondern auch dafür sorgen,dass sie in den nächsten Monaten Schritt für Schritt um-gesetzt werden.Wir sollten einen Teilbereich besonders beachten. An-gesichts der europäischen Einigkeit, was Elemente derFinanzmarktstabilisierung betrifft, sollten wir gemein-sam mit den USA und dem gesamten angelsächsischenBereich diese Beschlüsse umsetzen, weil jetzt das Zeit-fenster gegeben ist. Wenn diese Krise in einigen Jahrenüberstanden ist, dann werden wir uns in einem Zustandwiederfinden, den es vor zwei bis zweieinhalb Jahrengegeben hat, als in diesem Bereich wenig Sensus fürRegulierung und für Elemente der Finanzmarktstabili-sierung vorhanden war.Es geht um Transparenz, um mehr Rechenschafts-pflichten und um die Verbesserung der Regulierung. Esmuss das Ziel sein, dass es weltweit keine weißen Fleckenmehr gibt, was die Regulierung von Finanzmarktproduk-ten anbelangt. Dazu gehört auch die Austrocknung vonSteueroasen. Dies muss aber in gegenseitigem Respektgeschehen und nicht mit dem Einsatz von verbalenMachtinstrumenten. Dazu gehört auch die Forderung,die Integrität des Finanzmarktes zu wahren, die internatio-nale Zusammenarbeit zu stärken und Institutionen wie IWFund das Financial Stability Forum mit den Kompetenzenauszustatten, die es ihnen ermöglichen, die angestrebtenZiele zu erreichen.Deshalb sind für uns – im Gegensatz zu Ihnen – dieStabilisierung und Weiterentwicklung der internationa-len Finanzarchitektur eine sinnvolle Zielsetzung. Daraufsollten wir uns konzentrieren und nicht auf eine zusätz-liche Belastung der Finanzmärkte durch die von Ihnenvorgeschlagene Steuer. Wenn es Europa auf dem Londo-ner Gipfel gelingt, mit einer Stimme zu sprechen, dannbietet sich damit eine hervorragende Grundlage, interna-tionale Vereinbarungen zu treffen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Roland Claus für die Frak-
tion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Der uns vorliegende Antrag ist gewissermaßenein Symbol für eine sehr interessante momentane Ent-wicklung. Ich will sie mit folgenden Worten beschreiben:Wir müssen etwas gegen den Finanzkapitalismus tun;aber das darf ihm nicht wehtun. – Wir halten das aus-drücklich für falsch. Wenn Union und FDP gar einemfinanzpolitischen Weiter-so, wie es soeben erfolgt ist,dlddgCtdsRSzimASeczVamnTvnKmdmgwuGAFtkpsdmr
Ich hoffe, dass dabei nicht die Analyse Pate stand,ass die Partei der Grünen die Wählerinnen und Wählerit den höchsten Einkommen hat, inzwischen Empfän-erin von Spenden aus der Finanzwirtschaft ist – ebensoie CDU, CSU, FDP und SPD –
nd nur 1 Prozent der Bevölkerung sagt, dass sich dierünen in der Krise um sozial Benachteiligte kümmern.uch ist immer noch das Wort Ihres Übervaters Joschkaischer aus dem Jahre 2003 nachzulesen, der seiner Par-ei meinte ins Stammbuch schreiben zu müssen: Wirönnen nicht Politik gegen die Finanzmärkte machen.In dem vorliegenden Antrag gibt es ein sehr großesraktisches Problem. Es wird nichts zur Höhe der vorge-chlagenen Steuer gesagt. Kollege Schick hat nun etwasazu dargestellt. Aber wer Steuerforderungen erhebt,uss, weil Steuern nun einmal etwas mit den vier Grund-echenarten zu tun haben, auch etwas zur Höhe sagen;
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Roland Clausdenn die Höhe hat sehr wohl Einfluss auf die Qualität.Nur wenn eine bestimmte angemessene Höhe erreichtwird, wird auch das Ziel, Kapital investiv und nicht spe-kulativ anzulegen, erreicht werden. Bleibt der Satz aberso gering – möglicherweise so gering, wie Sie ihn imZusammenhang mit einem Vergleich angeben, nämlichein 100stel Prozent –, dann orientiert sich das, was wir mitdieser Steuer erreichen wollen, am Umsatz. Sie zielen da-mit gewissermaßen darauf, am Geschäft des Kasinos einbisschen mitzuverdienen. Insofern sage ich: Der Antragspiegelt die Situation wider, mit der wir es jetzt zu tunhaben. Er ist zwar nicht falsch, aber auch nicht konse-quent genug.Leider stellen wir auch fest, dass sich Bundesfinanz-minister Steinbrück am Krebsgang orientiert. Er hatnoch vor kurzem die lückenlose Kontrolle der Hedge-fonds gefordert. Jetzt erfahren wir: Von 9 000 weltweitagierenden Hedgefonds sollen gerade einmal 100 indiese Kontrolle einbezogen werden. Seine Forderungnach Einführung einer Börsenumsatzsteuer hat er aus-drücklich im Zusammenhang mit dem SPD-Wahlpro-gramm bekannt gegeben und nicht in seiner Funktion alsBundesminister. Was das bei der SPD bedeutet, wissenwir von Franz Müntefering, der es schlicht und einfachunfair nannte, dass man ihn nach der Wahl daran erin-nert, was er vor der Wahl gesagt hat.Zurück zur Fraktion der Grünen.
Kollege Claus, Sie müssen bitte zum Schluss kom-
men.
Komme ich auch, Frau Präsidentin. – Mein Fazit ist:
Schlecht regieren konnten die Grünen gut. Gute Opposi-
tion müsst ihr noch üben.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/12303 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Rege-
lung des Datenschutzaudits und zur Änderung
datenschutzrechtlicher Vorschriften
– Drucksache 16/12011 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
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richts des Innenausschusses zu der
Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für
den Datenschutz und die Informationsfreiheit
Tätigkeitsbericht 2005 und 2006 des Bundes-
beauftragten für den Datenschutz und die In-
formationsfreiheit
– 21. Tätigkeitsbericht –
– Drucksachen 16/4950, 16/12271 –
Berichterstattung: Abgeordnete Beatrix Philipp
Dr. Michael Bürsch
Gisela Piltz
Petra Pau
Silke Stokar von Neuforn
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
azu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich begrüße ganz ausdrücklich den Bundesbeauftrag-
en für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, der
n dieser Debatte über seinen Tätigkeitsbericht und den
esetzentwurf teilnimmt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
in Beatrix Philipp für die Unionsfraktion.
Du kannst immer bei mir klatschen, weil ich vernünf-ige Sachen sage. – Frau Präsidentin! Meine Damen underren! Zum 21. Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftrag-en für den Datenschutz liegt Ihnen eine fraktionsüber-reifende Entschließung vor, die den sogenanntenleinsten gemeinsamen Nenner aller Beteiligten dar-tellt.
Es ist der kleinste, aber immerhin, Herr Bürsch. Wenniele Arbeitsgruppen und Berichterstatter das schaffenürden, wären wir in der Bevölkerung vielleicht erheb-ich besser angesehen, als das im Augenblick der Fall ist.
Herr Bürsch, fraktionsübergreifend sind wir uns da-über einig, dass angesichts der technologischen Ent-icklung der vergangenen Jahre immer deutlicher wird,ass wir unser Datenschutzrecht in seiner Gesamtheitberdenken und überarbeiten müssen. Es wird wesent-ich darauf ankommen, zu verhindern, dass es am Endenendlich viele Einzelregelungen und bereichsspezifi-che Sonderregelungen gibt. Wir brauchen ein stringen-es Datenschutzrecht aus einem Guss.
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Beatrix Philipp
Zur Ehrlichkeit gehört natürlich auch, zuzugeben,dass es im Bereich des Vollzugs der Datenschutzaufsichtund wohl auch im Bereich des Arbeitnehmerdatenschut-zes erhebliche Defizite gibt.
Hier sind die Länder besonders gefordert. Intensive Ge-spräche zu diesen Themen wurden dort bereits auf denWeg gebracht.Es ist guter Brauch, an dieser Stelle dem Bundesda-tenschutzbeauftragten und seinen Mitarbeiterinnen undMitarbeitern für ihre Arbeit Dank zu sagen. Ich tue dasim Namen meiner Fraktion auch in diesem Jahr aus-drücklich und freue mich, dass ich das durch Augenkon-takt unterstreichen kann. Das ist ja einmal etwas Nettes.
Bei der heutigen Debatte liegt das Hauptaugenmerkzweifellos auf dem Gesetzentwurf zur Regelung des Da-tenschutzaudits und zur Änderung datenschutzrechtli-cher Vorschriften. Das Ausmaß der öffentlichen Diskus-sion über die in diesem Gesetzentwurf enthaltenenRegelungen und die sich bereits jetzt abzeichnendenKonsequenzen für ganze Branchen verlangen nach einerintensiven, ernsthaften und ausgewogenen Auseinander-setzung mit den Betroffenen und den Interessengruppen.Ich habe ebenso wie viele von Ihnen in den vergange-nen Monaten sehr viele Einzelgespräche mit Unterneh-mern, Verbandsvertretern, mit Vertretern unterschied-lichster Branchen, aber auch mit Datenschützern undVerbraucherschützern geführt. Ich wiederhole hier des-halb sehr eindringlich, vor allem nach unserer fraktions-internen Anhörung in der vorigen Woche: Das Ende derÜberlegungen und der Auseinandersetzungen mit die-sem heiklen Thema sehe ich noch lange nicht.
Die Abschaffung des Listenprivilegs und die gleich-zeitig geplante Einführung eines umfassenden, ver-pflichtenden Opt-in sind die wesentlichen Streitpunkte.Nach derzeitiger Rechtslage ist die Weitergabe und Nut-zung von Name, Adresse, Geburtsdatum und Berufsbe-zeichnung verbunden mit jeweils einem zusätzlichenMerkmal gestattet. Nach dem sogenannten Listenprivi-leg ist dies immer dann rechtlich zulässig, wenn es sichnicht um Daten einzelner Personen handelt, sondern umlistenmäßig zusammengefasste Daten. Ich glaube sogar,daher stammt dieser Begriff.
– Das muss einmal gesagt werden, Herr Bürsch.
Damit nähern wir uns den Realitäten erheblich. – In die-sem Fall müssen die Betroffenen zwar nicht über dieWeitergabe oder Nutzung informiert werden, sie habenaRcgdnKcudDczireth–khwsmtvullisDasmAggEamddt3
Nein, ich glaube nicht alles, Frau Stokar, sondern ichann mir, weil der gesunde Menschenverstand selteninderlich ist, ausmalen, wie sich Werbung vollzieht,enn nicht mehr personifiziert geworben werden kann,ondern flächendeckend geworben wird. Dann habe ichehr Werbung im Briefkasten als jetzt, nur mit dem Un-erschied, dass meine Adresse nicht mehr draufsteht.Es gibt noch andere Möglichkeiten. Es wird wiederermehrt Drückerkolonnen geben, die zu passenden odernpassenden Zeiten an der Haustür klingeln und uns be-ästigen; ich empfinde das jedenfalls so. Es wird natür-ich, auch wenn es inzwischen gesetzlich eingeschränktst, zu vermehrter Telefonwerbung kommen.
Also müssen wir uns fragen, ob wir das wollen und obich tatsächlich etwas für den Verbraucher verbessert.as finde ich jedenfalls mehr als fraglich. Schon jetzt istbsehbar, dass ein verpflichtendes Opt-in aus unter-chiedlichsten Gründen das künftig verfügbare Adress-aterial erheblich reduzieren wird. Da helfen auch keineusnahmen für etwaige Sondergruppen wie Spendenor-anisationen. Denn die Zahl der Adressen, auf die sie zu-reifen können, wird so reduziert sein, dass sie in ihrerxistenz bedroht sein werden und ihre Arbeit eigentlichuch sein lassen könnten. Man muss sich überlegen, oban das in unserer Gesellschaft möchte.
Der nächste Punkt. Die Auswirkungen werden auchie deutsche Wirtschaft treffen. Ich meine, dass das iner derzeitigen Wirtschaftssituation kaum zu verantwor-en ist. Ich will auf Folgendes aufmerksam machen:37 000 Anwender haben sich 2007 des Marketing-
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Beatrix Philippinstruments der volladressierten Werbesendung mit ei-nem Aufwendungsvolumen von 11,5 Milliarden Eurobedient. Man kann sagen, dass das unheimlich viel ist;aber ich weise darauf hin, dass die Alternativen andersaussehen. Die Zahlen sprechen im Hinblick auf gesamt-wirtschaftliche Konsequenzen und Arbeitsplätze fürsich. Man kann nicht sagen, das erzähle immer die Wirt-schaft; es liegt eigentlich auf der Hand und muss erhebli-che Berücksichtigung finden.Ohne wesentliche Änderungen zeichnen sich für ei-nen Großteil der Wirtschaft Konsequenzen in einemAusmaß ab, wie ich es für nicht akzeptabel halte: für dieUnternehmen, die auf ständige Neukundengewinnungangewiesen sind – jeder im Versandhandel und bei Zeit-schriftenverlagen sagt Ihnen, dass sie jedes Jahr10 Prozent Neukunden brauchen, um den Verlust anKunden auszugleichen –, für die Werbung und die Di-rektmarketingbranche, für Firmen und für Existenzgrün-der. Im April dieses Jahres findet die 60. Meisterfeier beider Handwerkskammer in Düsseldorf statt. Der Hand-werksmeister, der mit dem Meisterbrief nach Hause gehtund beschließt, all die anzuschreiben, die er gut bedienenund beraten könnte, hat diese Möglichkeit demnächstnicht mehr, weil ihm die Adressen fehlen. Man musssich genau überlegen, ob man das will.Nicht zuletzt gibt es erhebliche Konsequenzen fürSonderbereiche, denen man bereits durch entsprechendeSonderregelungen entgegenzukommen versucht. Manhat schon gesehen, dass es da Probleme gibt. Aber wiegesagt: Die Ausgangslage ist, dass das Adressenmaterialerheblich reduziert sein wird. Den Bereich der Markt-und Meinungsforschung wird es in dieser Zuverlässig-keit nicht mehr geben. Im Bereich der Versicherungenwird ein verpflichtendes Opt-in aufgrund des gesetzlichvorgeschriebenen versicherungsspezifischen Sparten-prinzips zu einer erheblichen Belastung; und wir sehenKorrekturbedarf für den Bereich der Fachpresse.Schließlich – ich will mich jetzt beschränken, weilwir in der nächsten Woche eine Anhörung durchführen –glaube ich, dass wir uns auf die Dinge konzentrierensollten, für die ich mich von Anfang an eingesetzt habe.Ich sage: Wir brauchen mehr Datensicherheit und nichtnur mehr Datenschutz. Die Abschaffung des Listenprivi-legs muss grundsätzlich überdacht werden inklusive derProblematik, die mit einem juristisch einwandfreienOpt-in verbunden ist, das vor Gericht Bestand hätte. Dasgibt es nämlich noch nicht; auch darauf sind wir auf-merksam gemacht worden. Das Kopplungsverbot mussuneingeschränkt gelten. Wir brauchen eine große Robin-sonliste und eine firmeninterne kleine Robinsonliste miteiner Hinweispflicht durch die Unternehmen. Wir brau-chen eine Kennzeichnungspflicht bezogen auf die letzteQuelle der Daten. Wie gesagt: Der Vollzug muss verbes-sert werden. Dies ersetzen wir nicht mit der bisher vor-gesehenen Auditregelung.Meine Damen und Herren, wir bewegen uns in einemsensiblen Bereich, in dem man sehr genau überlegenmuss, an welchen Stellschrauben man dreht, wenn manunerwünschte Ergebnisse, zum Beispiel die Abwande-rung von Firmen ins Ausland, vermeiden möchte.cbamgnwgwzAFWdhfnKKdbhgldHtcbgeedddAhb
Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz für die FDP-
raktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!as lange währt, wird endlich gut. Vor dem Hintergrundes Themas, über das wir heute diskutieren, sollte maninter diesem Satz eher ein Fragezeichen als ein Ausru-ezeichen setzen. Denn um dieser Aussage zumindestoch ansatzweise gerecht zu werden, läuft Ihnen, liebeolleginnen und Kollegen von der sogenannten Großenoalition, langsam die Zeit davon.Sie haben lange – ich finde: zu lange – gebraucht, umafür zu sorgen, dass wir dieses Thema debattieren. Ichin gespannt, wie es weitergeht. Denn aus meiner Sichtätte die Debatte über die Vorschriften, um die es heuteeht, schon längst geführt werden können, sogar schonängst geführt werden müssen.
Nicht erst die jüngsten Datenskandale zeigen ein-rucksvoll, dass dem gewissenlosen Umgang und demerumvagabundieren von Daten – heute kann man Da-en ohne Probleme im Internet kaufen – durch gesetzli-he Regelungen schon längst ein Riegel hätte vorgescho-en werden müssen.In der kurzen mir zur Verfügung stehenden Redezeitehe ich auf zwei wichtige Punkte des Gesetzentwurfesin. Zunächst möchte ich ein paar Worte zum Entwurfines Datenschutzauditgesetzes verlieren. Das Bundes-atenschutzgesetz sieht diese Möglichkeit schon seitem Jahre 2001 vor. So lange haben Sie gebraucht, umies in die Wege zu leiten. Das sage ich auch an diedresse der Grünen, die dafür ebenfalls viel Zeit gehabtätten. Wenn dieses Parlament für alles neun Jahreraucht, mache ich mir wirklich Sorgen.
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Gisela PiltzObwohl die Bundestagsfraktion der FDP schon langedie Etablierung eines Datenschutzsiegels fordert, kannich Ihrem Gesetzentwurf, abgesehen von seiner Zielset-zung, nicht furchtbar viel abgewinnen. Er lässt klarePrüfungsmaßstäbe vermissen. Des Weiteren fehlt dieMöglichkeit, neben Unternehmen auch Produkte,Dienstleistungen und Verfahren zu auditieren. MeinHauptkritikpunkt ist der unwahrscheinlich große büro-kratische Aufwand, den der Gesetzentwurf mit sichbringt. Mit diesem bürokratischen Monstrum wird dieZielsetzung, einen unbürokratischen Datenschutz zu eta-blieren, geradezu konterkariert.
Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang an IhrenKoalitionsvertrag erinnern – ich weiß, dass Sie sich nichtdaran erinnern wollen; wir erinnern Sie aber gerne –, indem steht:Das Datenschutzrecht bedarf vor dem Hintergrundder technischen Entwicklungen der Überprüfungund an verschiedenen Stellen der Überarbeitungund Fortentwicklung. Bei dieser Aufgabe werdenwir auch prüfen, ob im Hinblick auf den Abbauüberflüssiger Bürokratie Änderungen vorgenom-men werden können.Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Gemessen an diesem Satzhaben Sie das Ziel Ihres Gesetzentwurfes wirklich ver-fehlt.
Das zweite zentrale Anliegen des Gesetzentwurfes– dazu hat sich Frau Philipp ausführlich geäußert; siehatte auch mehr Zeit als ich – ist die Etablierung des so-genannten Opt-in-Verfahrens und die Abschaffung desgenerellen Listenprivilegs. Wenn man dem, was man im-mer wieder hört, Glauben schenken kann,
ist dies wohl ein schwieriges Thema.
Ich finde es interessant, dass Sie, Frau Philipp, die ge-samte Redezeit Ihrer Fraktion für sich beanspruchthaben. Ich hätte gerne auch gewusst, was der Bundesin-nenminister, die Staatssekretärin im Verbraucherschutz-ministerium und die verbraucherschutzpolitischen Fach-leute Ihrer Fraktion dazu sagen. Dazu haben Sie sichallerdings nicht geäußert. Das bedaure ich außerordent-lich.Ich weise Sie darauf hin, dass jeder Haushalt137 Werbebriefe pro Jahr erhält, die er möglicherweisegar nicht bekommen möchte. Falls Sie in diesem Zusam-menhang Drückerkolonnen im Blick haben, frage ichmich, ob die CDU/CSU-Fraktion das EU-Recht ändernoder das Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften ein-schränken möchte. Das wäre nämlich das Szenario, dasSie an die Wand gemalt haben.LDdEltshnnngnwAusaiGbhmhmBsbfefbmSshdbhS
Noch kurz zum Tätigkeitsbericht des Bundesdaten-chutzbeauftragten, der aus meiner Sicht eine eigene De-atte verdient hätte: Ich bin froh, dass wir die Traditionortsetzen konnten; das teile ich, Frau Philipp. Ich fändes aber auch schön, wenn die Regierung dem Parlamentolgen würde und nicht zum wiederholten Male – wieeim Arbeitnehmerdatenschutz – unsere Forderungenissachtet. Vielleicht wird einmal alles besser. Diekandale haben schließlich gezeigt: Es besteht Nachbes-erungsbedarf.Zum Schluss gilt mein Dank in diesem Zusammen-ang den Mitberichterstattern, unseren Mitarbeitern undem Bundesdatenschutzbeauftragten und seinen Mitar-eitern. Ich bin stolz, dass wir das wieder hinbekommenaben.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Manfred Zöllmer für diePD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Datenschutz ist heutzutage Verbraucherschutz.
Dies wird nicht zuletzt durch eine Studie des Nürnberger
Marktforschers GfK deutlich. Danach haben im vergan-
genen Jahr 29,5 Millionen Verbraucherinnen und Ver-
braucher im Internet eingekauft. Das sind 12 Prozent
mehr als 2007. Der Umsatz der Onlineshops stieg damit
2008 um erstaunliche 19 Prozent und hat sich seit 2003
mehr als verdoppelt.
Bei all diesen virtuellen Einkäufen hinterlassen die
Verbraucherinnen und Verbraucher ihre E-Mail-Adresse,
tippen ihre Kontoverbindung ein oder geben ihre Kredit-
kartennummer preis. Wer einen Job sucht, stellt seinen
Lebenslauf online. Wer Freunde treffen will, bewegt sich
in sozialen Onlinenetzwerken. Wer einen Partner sucht,
wird in seiner Darstellung zwangsläufig sehr persönlich.
Das Datenschutzrecht muss deshalb modernisiert wer-
den. Es muss auf der Höhe der rasanten technischen Ent-
wicklung bleiben. Missbräuche müssen drastisch redu-
ziert werden.
Zum Glück ist unsere Rechtsprechung eindeutig. Es
gilt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Da
hat sich in der Vergangenheit einiges verschoben. Ich er-
innere an die vielfältigen Skandale, die es gab. Das muss
wieder ins Lot gebracht werden. Deshalb begrüßen wir
den vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung
grundsätzlich. Es ist richtig, wenn das bestehende Lis-
tenprivileg modifiziert wird. Dieses Privileg hat leider
dazu beigetragen, dass persönliche Daten weitläufig und
für den Einzelnen nicht mehr nachvollziehbar und über-
prüfbar verstreut werden. Dies entspricht nicht dem er-
wähnten Grundrecht.
Folgendes sage ich auch als Verbraucherpolitiker.
Fakt ist: Ein funktionierendes Wirtschaftssystem und ein
funktionierender Wettbewerb brauchen nun einmal die
Werbung. Gerade junge und kleine Unternehmen müs-
sen in der Lage sein, Kunden zu akquirieren, um sich am
Markt zu behaupten. Es ist auch nicht verwerflich, wenn
Werbung zielgruppengerecht erfolgt. Deshalb sollten wir
es im weiteren Beratungsverfahren möglich machen,
beim Listenprivileg zu einer vernünftigen Lösung zu
kommen. Durch diese Lösung muss auf der einen Seite
Datenmissbrauch zukünftig verhindert und darf auf der
anderen Seite der Wettbewerb der Unternehmen nicht
behindert, sondern soll letztendlich gefördert werden.
Es darf nicht sein, dass bei vielen Produktbestellungen
im Internet ein Datenstriptease nötig ist, um die Bestel-
lung zu realisieren. Deshalb brauchen wir ein wirksames
Kopplungsverbot. Das Prinzip der Datensparsamkeit
muss auch hier gelten.
Für unsere Verbraucherpolitik gilt das Prinzip der
gleichen Augenhöhe. Deshalb plädiere ich eindeutig und
nachdrücklich dafür, dass wir die rechtliche Position der
Verbraucherinnen und Verbraucher bei Verstößen gegen
den Datenschutz deutlich verbessern. Dies muss durch
eine Erweiterung des Verbandsklagerechts für Verbrau-
c
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G
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Wenn mögliche Gremien etabliert werden, dann sollte
arin auch die Verbraucherseite Berücksichtigung fin-
en.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der aktuelle Gesetz-
ntwurf ist ein guter Schritt in die richtige Richtung. An-
onsten gilt wie immer für uns das Struck’sche Gesetz.
Vielen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Redeliste weistus, dass die Fraktion Die Linke wollte, dass die Ab-eordnete Petra Pau jetzt spricht. Aus nachvollziehbarenründen bin ich anderweitig beschäftigt. Deshalb neh-en wir diesen Beitrag für die Fraktion Die Linke zurotokoll1).Das Wort hat die Kollegin Silke Stokar von Neufornür die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gernürde ich die Redezeit der Präsidentin übernehmen;enn ich stehe jetzt vor der Aufgabe, innerhalb von vierinuten vier sehr komplexe Datenschutzthemen zu be-erten. Deswegen das Wichtigste zuerst.Mein Dank geht an Peter Schaar und sein Haus für dieorlage des 21. Tätigkeitsberichts, aber natürlich nichtur für diesen Bericht, sondern auch für die engagierterbeit für den Datenschutz. Wenn wir nur ein paarmpfehlungen des Bundesdatenschutzbeauftragten mitehrheit im Parlament beschließen würden, dann wärenir alle ein Stück weiter.
Meine Geduld an der Gemeinsamkeit, dass wir Jahrür Jahr feststellen, dass beim Thema Datenschutz etwaseschehen muss, aber diejenigen, die jetzt regieren, sicheinen Millimeter bewegen wollen, hat ein Ende gefun-en. Anlage 2
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Silke Stokar von Neuforn
Ich habe heute hier etwas erlebt, was ich bisher nochnie erlebt habe, nämlich den Verriss eines Gesetzent-wurfs von Bundesinnenminister Schäuble durch dieCDU/CSU-Fraktion, wie es schlimmer eigentlich nichtmehr gehen kann. Der Bundesinnenminister, den ich sel-ten lobe, hat ein durchaus ambitioniertes Datenschutzge-setz für den privaten Bereich vorgelegt, nicht freiwillig,sondern als Antwort auf zahlreiche Datenschutzskandaleund sicherlich auch – ich kenne ihn schließlich gut –, umsich gegenüber der Öffentlichkeit zu entlasten und umim Windschatten der Debatte um Datenschutz in der Pri-vatwirtschaft die staatliche Überwachung weiter auszu-bauen. Dass Sie, meine Damen und Herren von derCDU, durch Ihre Kollegin Frau Philipp dieses Daten-schutzgesetz in der Plenardebatte jedoch öffentlich inGrund und Boden stampfen, das ist schon ein besonderesEreignis.Ich habe es so vernommen, dass Opt-in mit dem heu-tigen Abend gestorben ist. Von der SPD war hierzu we-nig zu hören. Herr Bürsch hat sich gegenüber dem Han-delsblatt ähnlich geäußert.Deswegen möchte ich Ihnen noch einmal erklären,worum es eigentlich geht. Es geht nicht um eine Belästi-gung durch Werbeflut. Vielmehr geht es darum, dasshinter meinem Rücken mit meinen Daten, die ich für ei-nen bestimmten Zweck zur Verfügung gestellt habe, weilich im Internet etwas kaufen wollte, Kundenprofile vonmir erstellt werden und dass diese Kundenprofile von ei-nem Unternehmen an ein anderes Unternehmen weiter-verkauft werden und dass ich diesbezüglich keine Trans-parenz habe und ich mich auch nicht dagegen wehrenkann.
Opt-in ist im Internetzeitalter überhaupt kein Pro-blem. Mit einem Mausklick erklärt man sich damit ein-verstanden, dass einem weitere Informationen zuge-schickt werden, oder nicht einverstanden. Das ist seitdem Volkszählungsurteil ein Grundsatz des Datenschut-zes. Ich bestimme über meine Daten. Meine persönli-chen Daten sind keine beliebige Ein-Euro-Ware. Sie vonder CDU/CSU machen sie erneut dazu und tragen damitauch die Verantwortung für die weiteren Skandale in derPrivatwirtschaft.
Ich kann jetzt nur noch ein paar Worte zum Daten-schutzaudit sagen. In der Anhörung im Innenausschusswerden wir intensiv darüber reden. Seit zehn Jahren wol-len wir dieses Datenschutzaudit, das heißt, wir wollenein Gütesiegel für diejenigen, die einen vorbildlichenDatenschutz betreiben. Auch hier: Auf Ihrem Gesetzent-wurf steht Datenschutzaudit, aber ein Datenschutzgüte-siegel ist noch lange nicht darin enthalten.Wir sind gerne bereit, an der Verbesserung dieses Ge-setzentwurfs mitzuwirken. Wir wollen Qualitätsstan-dards, die staatlich gesetzt werden und eingehalten wer-dSbltSGzDedeDgefamWrtGmNBmh
en Arbeitnehmerdatenschutz haben Sie ja schon be-rdigt. Ich bedaure dies und hoffe, dass wir das Thema iner nächsten Legislaturperiode mit anderen Leutenrneut angehen.Danke schön.
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege
r. Michael Bürsch das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-en! Jetzt ist vielleicht die Gelegenheit, mal wiedertwas Ruhe und Abgeklärtheit in der Debatte zu schaf-en.
Verehrte Kollegin Stokar, wenn es um die Große Ko-lition und ihre Vorhaben geht, dann halte ich mich aneinen und unseren Innenminister. Innenministerolfgang Schäuble hat gesagt, er schließe Nachbesse-ungen zwar nicht aus, er warne aber vor einem Schei-ern. Ich zitiere:Wir müssen den Datenschutz im privaten Bereichnoch stärker durchsetzen. Daher müssen wir hierauf jeden Fall noch etwas in dieser Legislaturpe-riode tun.enau so wird es geschehen.Frau Philipp hat ein paar kritische Anmerkungen ge-acht. Das ist wohl erlaubt.
ach dem Motto „Wo bleibt das Positive?“ sage ich:itte schön, jetzt nenne ich einige Punkte, die wir unsit dieser Datenschutznovelle und dem ganzen Drum-erum vornehmen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22845
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Dr. Michael BürschZunächst einmal zum wichtigsten Punkt. Die SPD,die Grünen und ich weiß nicht, wer noch alles, haben inder Tat schon vor Jahren bzw. Jahrzehnten gefordert,dass ich nicht mehr, wie das bislang üblich war, widerru-fen muss, wenn jemand meine persönlichen Daten ver-wendet, sondern ich vorher einwilligen muss: vorherigeEinwilligung statt Widerruf.Frau Stokar von Neuforn, Frau Piltz und all die ande-ren, die sich hier kritisch geäußert haben, es ist dochauch nach Ihrer Einschätzung ein Paradigmenwechsel,dass dies in den Vordergrund gerückt wird und dass wirdies auch aufgrund der Lehren, die wir aus den Daten-schutzskandalen gezogen haben, ernst nehmen. Das istdie Richtschnur, die uns bei allem, was in dem Gesetz-entwurf enthalten ist und was wir noch umsetzen wollen,leiten wird. Es geht um Einwilligung statt Widerruf.Im zweiten Schritt rede ich gerne über Listenprivilegund all die Begriffe, die kaum jemand hier kennt. Auchwenn wir jetzt um 20.15 Uhr nur noch unter Eingeweih-ten hier sitzen, rate ich sowie einmal dazu, dass man dieganze Debatte so führt, dass andere sie auch verstehen.
Wer weiß, was ein Audit ist, wer weiß, was ein Kopp-lungsverbot ist, und, Kollege Zöllmer, wer weiß, was dasStruck’sche Gesetz ist?Ich erläutere zumindest das: Das Struck’sche Gesetzstammt von Peter Struck und bedeutet: Kein Gesetzkommt so aus diesem Bundestag heraus, wie es als Ent-wurf hineingekommen ist. Genau das ist die Devise,nach der ich an dieses Gesetz herangehe. Nach den37 Gesprächen und all den Treffen mit Verbänden undVereinen, die ich gehabt habe – wie wahrscheinlich vieleandere hier auch –, bin ich mir ganz sicher, dass wirWege finden werden.Wir haben im letzten halben Jahr viel dazugelernt,und wir werden Lösungen finden. Wir werden unsereAufgabe erfüllen, die darin besteht, verehrte Frau Stokar,als Gesetzgeber einen Interessenausgleich zu finden. Dasist unsere Aufgabe: auf der einen Seite ein Interessenaus-gleich zwischen einem enormen Fortschritt im Daten-und Verbraucherschutz – das will ich, und das will auchdie SPD –, aber auf der anderen Seite mit Augenmaß,was die Risiken, Wirkungen und Nebenwirkungen angeht.Das ist keine große Einschränkung der dritten Art,sondern es bedeutet, dass wir nicht nur den Datenflusswollen – wir leben im 21. Jahrhundert –, sondern auchden Datenschutz. Dabei ist für mich maßgeblich, waswir im Gesetzentwurf vorgesehen haben und was für unsalle die Richtschnur sein muss, nämlich Einwilligungstatt Widerruf.Wir werden auch den Datenschutz in der Wirtschaftverbessern. Das ist die Zielsetzung, die wir im Grunde inden vielen Gesprächen mit der Wirtschaft verabredet ha-ben. Damit ist mir allerdings etwas anderes wichtiger alsdas, was mit einem freiwilligen Zertifizierungsverfahrengemeint ist. Mir ist viel wichtiger, was schon im Gesetzsteht, aber in der Praxis noch nicht stattfindet, nämlichdass wir viel stärker darauf achten, wie die Daten, mitdswBDvmkkDidhsguWewzmDbwngkDtnWbBmml
Die Möglichkeiten der Verschlüsselung werden beieitem noch nicht genutzt, im Gegenteil. In § 3 a desundesdatenschutzgesetzes ist das wunderbar geregelt.anach sollen Daten anonymisiert oder mit Pseudonymenersehen werden, wie die Fachleute es nennen, sodassan die personenbezogenen Angaben nicht direkt lesenann.Die ganzen Skandale der letzten Monate bei der Tele-om und wo auch immer wären nicht passiert, wenn dieaten ordnungsgemäß verschlüsselt worden wären. Dasst für mich der Schlüssel zu dem, was Datenschutz iner Wirtschaft bedeutet. Das werden wir angehen.Verehrter Herr Schaar, auch von unserer Seite ganzerzlichen Dank für die Zusammenarbeit, für viele kriti-che Anmerkungen, aber auch für die konstruktive Be-leitung dessen, was wir erreichen wollen. Wir wollennd müssen den Datenschutzbeauftragten stärken.
enn wir – wie es im Gesetzentwurf vorgesehen ist –ine stärkere Kontrolle durch die Aufsichtsbehördenollen, dann müssen wir ihm jetzt endlich – es ist schonu viel Zeit vergangen; damit bin ich ganz bei Ihnen –ehr Personal und mehr Eigenständigkeit ermöglichen.as gilt genauso für den betrieblichen Datenschutz-eauftragten. An dieser Stelle müssen wir nachbessern.Ich bin der Meinung, wir können auf dem Gesetzent-urf aufbauen. Wir werden nach der Anhörung in derächsten Woche mit den sich daraus ergebenden Anre-ungen ein Gesetz machen können, das sich sehen lassenann. Das ist meine feste Überzeugung. Wir werden denatenschutz voranbringen. Ich lade alle dazu ein, die gu-en Sinnes sind und das auch erreichen wollen, statt esur kritisch zu begleiten und am Rande zu kläffen.
Alle, die dabei mitmachen wollen, sind dazu eingeladen.ir können den Datenschutz vielleicht gemeinsam ver-essern, wie wir auch eine gemeinsame Erklärung zumericht des Datenschutzbeauftragten abgegeben haben.Danke schön.
Ich schließe die Aussprache und gehe davon aus, dassit der letzten Bemerkung kein Mitglied des Hauses ge-eint war und sich damit auch nicht angesprochen füh-en muss.
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Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/12011 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Innenaus-
schusses zu dem Tätigkeitsbericht 2005 und 2006 des
Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informa-
tionsfreiheit. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/12271, in Kenntnis des
genannten Berichts auf Drucksache 16/4950 eine Ent-
schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig
angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Meierhofer, Michael Kauch, Angelika Brunkhorst,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Mobilfunkforschung verantwortlich begrün-
den
– Drucksache 16/10325 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lutz
Heilmann, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Mobilfunkstrahlung minimieren – Vorsorge
stärken
– Drucksache 16/9485 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Horst Meierhofer für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der Mobilfunk ist aus dem öffentlichen Leben nichtmehr wegzudenken. Das merkt man allein daran, dass esmittlerweile in Deutschland mehr Handys als Bürgergibt. Man merkt es aber auch daran, dass das Handyzunehmend leistungsfähiger wird und teilweise schonmwEdVBsFtsIDeVdehgwklfEMAlmzahdsSgawwAIindsfSüzkFdDg
Ich halte Ihren Ansatz auch aus einem anderen Grundür nicht richtig. Die Ergebnisse der Reflexstudie, dieie anführen, können eigentlich nicht auf den Menschenbertragen werden. Die Europäische Umweltagentur hatudem selbst eingestanden, dass sie eigentlich übereinerlei Expertise im Bereich der elektromagnetischenelder verfügt. Trotzdem verweisen Sie auf die Studieieser Umweltagentur. Das halte ich für nicht anständig.amit sorgt man nur für mehr Verunsicherung und weni-er Transparenz. Damit erreicht man nicht das, was wir
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Horst Meierhoferalle wollen, nämlich eine bessere Information allerBevölkerungsschichten.
Im Gegensatz zu Ihnen wollen wir eine transparenteForschung und eine paritätische Finanzierung. Das heißt,wir wollen keine reine staatliche, öffentliche Finanzierung,sondern drei Säulen. Dann könnten wir die Problemeeinigermaßen lösen. Das Deutsche Mobilfunk-Forschungs-programm hat zu der Erkenntnis geführt, dass akute oderchronische Wirkungen der nichtionisierenden Strahlung– also der von Handys und anderen strahlenden Geräten –weder unter Laborbedingungen noch in epidemiologi-schen Studien erfasst werden konnten.
Das ist eine gute Nachricht. Die Ängste waren in diesemBereich also unbegründet. Es konnte kein Zusammen-hang festgestellt werden. Das nimmt Ängste.
Noch ist aber nicht alles untersucht. Es gibt drei Berei-che, die wir in einem weiteren Schritt untersucht wissenmöchten. Das sind die Auswirkungen der Strahlung aufSchwangere, kleine Kinder und Heranwachsende. Dasalles konnte bislang nicht erforscht werden, genauso wenigwie die langfristigen Folgen der Strahlung. Diese dreiBereiche sollten aus unserer Sicht noch weiter unter-sucht werden. Deswegen haben wir unseren Antrag ge-stellt. Man sollte auch die Auswirkungen der Additionvon Strahlungen untersuchen. Mittlerweile sind oft ver-schiedene Strahlungsgeräte gleichzeitig im Einsatz.Viele haben zu Hause WLAN, ein schnurloses Telefonund ein Handy. Darüber, wie verschiedene Strahlungs-quellen zusammenwirken, gibt es noch zu wenige Infor-mationen. Diese Bereiche sollte man unserer Meinungnach endgültig und befriedigend untersuchen. Wenn unsdas gelingt, gibt es, glaube ich, weniger Probleme.Die Struktur sollte verbessert werden. Die Erkennt-nisse sind valide. Die Erkenntnisse des DeutschenMobilfunk-Forschungsprogramms sind sicherlich allerEhren wert. Trotzdem gab es das eine oder andere MalKritik. Man will mehr Objektivität durch einen unabhän-gigen Projektleiter. Das war bei diesem Forschungs-programm nicht der Fall. Wenn man beim nächsten Maldafür sorgen würde, wäre das der letzte kleine Stein, dernoch fehlt, um eine optimale Information der Bevölke-rung zu erreichen.Wir haben für den Bereich der Erforschung nichtioni-sierender Strahlung 1,6 Millionen Euro in den Bundes-haushalt für 2009 eingestellt. Was damit aber gemachtwerden soll, steht leider noch nicht fest; wir konnten dasbisher nicht erfahren. Wir glauben, dass man das konkre-ter angehen sollte. Wir sollten deswegen diese Bereicheerforschen und das Programm abschließen.Neben dem Staat sollten auch die Netzbetreiber in dieFinanzierung einbezogen werden – das war bisher schonder Fall –, aber auch die Handyhersteller, die Herstellerder Endgeräte – sie wurden bisher noch nicht einbezogen –,ddnwHmürzmKdWSBZnfHgkBHdEluWMsDtg1mTBcgOgLu
ieses Segment ist also sehr wichtig. Die Mobilfunk-echnologie wird von uns allen genutzt. In Deutschlandibt es mehr Handys als Bürger. Im Jahr 2006 kamen auf00 Menschen 104 Handys; es werden praktisch täglichehr. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, über dieseshema zu diskutieren.Gleichzeitig nimmt die Strahlenexposition zu. In derevölkerung gibt es Ängste und Sorgen wegen mögli-her gesundheitlicher Gefährdungen. Vor diesem Hinter-rund beraten wir heute über zwei Anträge aus derpposition: über den Antrag der FDP-Fraktion, der unserade vorgestellt wurde, und über den Antrag derinksfraktion. Die beiden Anträge könnten gar nichtnterschiedlicher sein.
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Jens KoeppenSie von der FDP gehen in Ihrem Antrag von der großenBedeutung der Mobilfunktechnologie aus. Sie sagen, diebestehenden Vorbehalte müssten erforscht werden, um dieÄngste und Risiken auszuräumen; es bestehe weitererForschungsbedarf. Sie fordern eine Langzeitstudie zuden Auswirkungen auf Kinder usw. Das sind Vorschläge,über die wir beraten sollten. Ich finde, der Antrag gehtabsolut in die richtige Richtung: Er ist sachbezogen,ergebnisorientiert und objektiv. Vielleicht haben Sie teil-weise von uns abgeschrieben.Allerdings ist Ihr Antrag nicht mehr ganz zeitgemäß; erenthält Forderungen, die wir im Deutschen Mobilfunk-Forschungsprogramm bereits erarbeitet und umgesetzthaben bzw. umsetzen werden. Die Ergebnisse sprecheneindeutig dafür, diese Forschung weiterzuführen.Sie fordern auch, die Kommunikation zu verbessern.Hier erinnere ich nur an das Informationszentrum Mobil-funk, das eine sehr gute Informationsbasis bietet, und andie Internetseite www.mobilfunk-baukasten.de, wo unteranderem die Kommunen sachlich und verbraucherorien-tiert informiert werden.Im Gegensatz zum Antrag der FDP spielt der Antragder Linken mit den Sorgen der Menschen. Das ist abso-lut unredlich. Er basiert auf reinen Behauptungen, diewissenschaftlich überhaupt nicht fundiert sind und vonder Forschung nicht gedeckt werden. Aber so sind nuneinmal die Anträge, die Sie stellen. Sie basieren auf Un-wissenheit. Statt in populistischer Weise diffuse Ängstevor Mobilfunk, die es in Teilen der Bevölkerung gibt, zuschüren, sollten wir durch Forschung und Aufklärung zueiner Versachlichung der Debatte beitragen. Das wäreder richtige Weg.
Die Koalition nimmt ihre Verantwortung wahr. Sie tutviel, um die Folgen der Mobilfunktechnik zu untersu-chen und mögliche Gefahren zu erkennen. Das ersteDeutsche Mobilfunk-Forschungsprogramm hat die Auf-gabe, herauszufinden, ob die geltenden Grenzwerte, diedie Bevölkerung vor der Mobilfunkstrahlung ausrei-chend schützen sollen, noch in Ordnung sind. Die Bun-desregierung hat in den Jahren 2002 bis 2007 8,5 Mil-lionen Euro in dieses Forschungsprogramm gesteckt,weitere 8,5 Millionen Euro gaben die Mobilfunknetzbe-treiber dazu. Es gibt kein Programm, in dessen Rahmenumfangreicher und gründlicher geforscht wurde als die-ses. Das ist eine sehr gute Sache. Ich bin sehr froh, dasswir dieses Programm erfolgreich zu Ende führen konn-ten.
Weltweit gab es mittlerweile über 20 000 Untersu-chungen auf diesem Gebiet. Nach Aussagen der Weltge-sundheitsorganisation besteht kein begründeter Zusam-menhang zwischen Mobilfunkstrahlung und demsteigenden Risiko einer Erkrankung – das sollten wir denMenschen auch so deutlich sagen –, und das müssen wiranerkennen. Die Ergebnisse des Programms sind zuersteinmal beruhigend. Die Strahlenschutzkommission unddas Bundesamt für Strahlenschutz haben übereinstim-mend festgestellt, dass es keine Erkenntnisse gibt, nachdmfFdvbrztdwthwgbg2ÄKwdwsnzzdFKwGbmSbhgGSLsdzuB
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Jens KoeppenDann kann jeder, der unter Elektrosensibilität leidet, fürsich entscheiden, ob er einer Vorsichtsmaßnahme folgtoder nicht.
Das Handy ist aus unserer mobilen Informationsge-sellschaft nicht mehr wegzudenken. Wir müssen dieseTechnologie stetig verbessern und verfeinern. Wir müs-sen die Sorgen der Bevölkerung ernst nehmen; das ma-chen wir auch. Wir dürfen die Emotionen nicht verharm-losen; das machen wir auch nicht. Wir müssen gezieltforschen, ohne Aktionismus und ohne böse Beschuldi-gungen. Wir müssen die Wissensbasis verbreitern unddurch eine transparente und verständliche Kommunika-tion zu einer Versachlichung der Debatte beitragen. Dasist der richtige Weg.Danke.
Das Wort hat der Kollege Lutz Heilmann für die Frak-
tion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Werte Gäste! Mit dem Antrag, den die FDP vorgelegthat, macht sie wieder eines deutlich: dass sie stramm ander Seite der Mobilfunkbetreiber und Mobilfunkherstel-ler steht.
Irgendwann danach kommen auch einmal die Verbrau-cherinnen und Verbraucher an die Reihe.
Kollege Koeppen, Ihre Ausführungen kann ich sonicht stehen lassen. Erst sagten Sie, es sei alles wunder-bar, es sei alles in Butter, es sei alles rosarot. Trotzdemhaben Sie am Ende gesagt: Ja, wir müssen weiterfor-schen,
um Langfristigkeit herzustellen. Dann erwähnen Siedoch ganz einfach, dass das Deutsche Mobilfunk-For-schungsprogramm über fünf Jahre lief und dass in diesenfünf Jahren überhaupt keine Langzeitforschung erfolgenkonnte. Deswegen ist es ganz einfach notwendig, diesesProgramm fortzuführen. Genau das haben wir in unserenAntrag geschrieben.
Aber diese Fortführung lehnen Sie ab. Darüber habenwir im Umweltausschuss diskutiert. Schauen Sie sichdas Protokoll ganz einfach an!oMDUPdwddgoIclsbAhdwizF–sdhzDdgsfFfdrbndwS
Kollege Meierhofer, zu Ihrem Vorhalt: Ich weiß nicht,b Sie unseren Antrag nicht gelesen haben oder ob Ihritarbeiter Ihnen das nicht richtig aufgeschrieben hat.as, was Sie mir vorgehalten haben, steht darin nicht.nser Antrag enthält ganz konkrete Punkte. Dieseunkte will ich Ihnen gleich näher erläutern.Ihr Antrag enthält kein einziges Wort zu den Risikenes Mobilfunks. Diese Risiken gibt es; das ist so sicherie das Amen in der Kirche. Das hat man auch Ihren Re-ebeiträgen entnehmen können. Der Präsident des Bun-esamtes für Strahlenschutz hat das ebenfalls deutlichemacht. Er empfiehlt zum Beispiel, dass Kinder nichtder nur sehr wenig mit dem Handy telefonieren.
ch möchte Sie ganz einfach dazu auffordern, ein biss-hen mehr zu recherchieren.Um es klarzustellen: Die Linke steht für einen techno-ogischen Fortschritt im Interesse der Menschen. Daschließt eine verantwortungsbewusste Nutzung von Mo-ilfunk ausdrücklich ein.
ber die Forderungen, die Ihr Antrag enthält, sind weitinter dem, was möglich ist. Sie schreiben zum Beispiel,ass es zu einer Reduzierung der Strahlen kommen soll,enn man das Handtelefon in die Basisstation steckt. Esst möglich, dass die Strahlenbelastung vollständig redu-iert wird. Warum schreiben Sie keine entsprechendeorderung in Ihren Antrag?
Ihr Antrag ist von der Wirklichkeit überholt. Dastimmt allerdings.Fakt ist, dass der Ausbau des Handynetzes, insbeson-ere des UMTS-Netzes, voranschreitet, was zweifellosöhere Belastungen mit elektromagnetischen Feldernur Folge hat; das hat auch Kollege Koeppen bestätigt.a damit insbesondere gesundheitliche Risiken steigen,a die geltenden Grenzwerte nicht ausreichend sind, daerade die thermischen Effekte der Handystrahlung um-tritten sind, da WLAN-Netze immer mehr Verbreitunginden – schauen Sie in die Schulen, schauen Sie in dielughäfen, schauen Sie in die Bahnhöfe –, da für Mobil-unkanlagen nur eine Standortgenehmigung nötig ist unda Gesichtspunkte des Immissionsschutzes völlig unbe-ücksichtigt bleiben – wie gesagt, ist das Deutsche Mo-ilfunk-Forschungsprogramm 2007 ausgelaufen –, istach Auffassung der Linken Folgendes notwendig:Erstens. Die Grenzwerte müssen so weit gesenkt wer-en, dass gesundheitliche Auswirkungen ausgeschlossenerden können. Das ist möglich. Kollege Meierhofer,ie haben es erwähnt: Warum lassen sich die Mobilfunk-
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Lutz Heilmannhersteller darauf nicht ein? Die entsprechenden Techni-ken gibt es schon.
Insofern ist das unverständlich.Zweitens. Ein allgemein öffentlich zugänglichesStrahlenkataster muss geschaffen werden.Drittens. Genehmigungen für Mobilfunkanlagen sindnur befristet zu erteilen, und der Immissionsschutz istdarin aufzunehmen.Viertens. Es ist darauf hinzuwirken, dass schnurloseTelefone – hören Sie jetzt einfach zu, KollegeMeierhofer! – so zu bauen sind, dass die Funkverbin-dung zwischen Basisstation und Mobilteil unterbrochenwird, sobald das Gerät in der Basis ist.Fünftens. Das Deutsche Mobilfunk-Forschungspro-gramm ist auch unabhängig von einer Beteiligung derMobilfunkbetreiber fortzusetzen.Sechstens. Die Untersuchungen hinsichtlich der Ge-fährlichkeit sind auf Tiere und Pflanzen auszudehnen.Abschließend Folgendes: Künftig müssen alle Han-dys gefahrlos zu nutzen sein. Das ist der Anspruch, denwir an die Industrie stellen. Darunter machen wir esnicht.Ich wünsche einen schönen Abend und danke für dieAufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Detlef Müller für die SPD-
Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Liebe Nutzerinnen und Nutzer vonMobiltelefonen – das werden wir wohl alle sein –, waskann man heute nicht alles mit modernen Handys, dielängst Lifestyle-Symbole sind, machen? Fotografieren,Bilder senden und empfangen, Videos anschauen, Nach-richten schreiben und lesen, E-Mails abrufen, Dateienerstellen und verwalten. Auch als Navigationssystemwerden sie schon genutzt. Die eigentliche Aufgabe, dasTelefonieren, wird dabei fast zur Nebensache.Es gab von Anfang an in Teilen der Bevölkerung auchkritische Stimmen, die fragten, ob die Nutzung der Mo-bilfunktechnologie nicht gesundheitliche Schäden durchelektromagnetische Felder hervorrufe. Der Bundesregie-rung, dem Bundesumweltministerium sowie den Netz-betreibern war klar, dass diese Vorbehalte nur dann aus-geräumt werden können, wenn Gesundheitsrisiken durchunabhängige Forschung ausgeschlossen werden kön-nen. Dieser Zwiespalt – eine hohe Zunahme der Nutzer-zahlen, aber auch eine wachsende Verunsicherung bei ei-nigen Bürgern, verbunden mit Forderungen nachAzsTAhbkbswAghpHdddEd2sggEwsuGbsnggkssZshdFfswsndg
Grundsätzlich steht die Politik beim Thema Mobil-unk vor einem Dilemma: Die Ergebnisse des For-chungsprogramms beziehen sich auf den aktuellenissenschaftlichen Kenntnisstand. Die zukünftige Un-chädlichkeit einer Technologie kann wissenschaftlichie bewiesen werden. Die Bundesregierung hat sich beier Grenzwertfestlegung auf die aktuellen Ergebnisseestützt, während die Mobilfunkgegner oder -kritiker
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Detlef Müller
vorhandene gesundheitliche Beschwerden auf elektro-magnetische Felder des Mobilfunks zurückführen. DiePolitik steckt deshalb in der Klemme zwischen Wissen-schaft und teilweiser öffentlicher Wahrnehmung.
Natürlich sind wir uns bewusst, dass auch durch in-tensivste wissenschaftliche Forschung mögliche Risikennicht völlig ausgeschlossen werden können. Vorbeu-gende Maßnahmen sind deshalb weiterhin sehr sinnvoll.
Fakt ist, dass das Forschungsprogramm primär auf denMobilfunk ausgerichtet war, andere Funktechnologienwie zum Beispiel digitales Fernsehen oder auch dieWLAN-Technologie nur am Rande betrachtet wurden.Insbesondere die Auswirkungen auf Kinder sind nochnicht endgültig erforscht. Kinder sind eben keine kleinenErwachsenen. In diesem Bereich sind noch dringendspezifische Untersuchungen erforderlich. Wir als SPD-Fraktion unterstützen dieses Anliegen.
Hinzu kommt, dass Kinder möglichen Risiken längerausgesetzt sind, weil sie – leider – schon seit ihrer Kind-heit Handys benutzen. Auch ist nicht auszuschließen,dass Kinder möglicherweise auch empfindlicher auf-grund einer vergleichsweise höheren Eindringtiefe derStrahlung in den Körper reagieren. In diesem Bereichmuss die Forschung intensiviert werden.Nur unbefriedigend kann die Frage beantwortet wer-den, ob die Gefahr für gesundheitliche Folgen bei derNutzung über Zeiträume von länger als zehn Jahren zu-nimmt. Durch Untersuchungen konnten bisher gesund-heitliche Auswirkungen des Mobilfunks nicht belegtwerden, da die Anzahl der Personen, die Mobiltelefoneseit mehr als zehn Jahren nutzten, zu gering war, um sta-tistisch belastbare Daten zu liefern. Zu Fragen möglicherLangzeitwirkungen wurden im Rahmen des Forschungs-programms allerdings zahlreiche tierexperimentelleLangzeitstudien durchgeführt. Insgesamt stützen dieseErgebnisse nicht die Vermutung, dass chronische Ein-wirkungen zu einer Risikoerhöhung führen.Dagegen können wir durch die Vorlage des Gesetzeszum Schutz vor nichtionisierender Strahlung, welcheswir morgen hier in den Deutschen Bundestag einbringenwerden, eine wichtige Rechtslücke schließen. Damitwird der gesetzliche Rahmen geschaffen, um auch inDeutschland die Grenzwerte der EU-Ratsempfehlung fürelektrische, magnetische und elektromagnetische Felderüber den gesamten Frequenzbereich von 0 Hertz bis300 Gigahertz umsetzen zu können. So wird sicherge-stellt, dass es durch die gleichzeitige Anwendung unter-schiedlicher Quellen nicht zur Verletzung gesundheits-bezogener Grenzwerte kommt.Aber wir müssen leider feststellen, dass die geltendenRegelungen noch nicht alle Aspekte des Schutzes derBevölkerung vor Strahlen aus diesem Bereich abdecken.FngQVdbRmnZBSdfwWuTrznswdIddrTTdgFsgfBFFsdItd
n diesem Zusammenhang nehmen wir auch zum wie-erholten Mal die Herstellerfirmen bzw. Netzbetreiber inie Pflicht, zukünftig verstärkt strahlungsärmere Endge-äte anzubieten und aktiv zu bewerben.
Sehr geehrte Damen und Herren, wir nehmen dashema Mobilfunkstrahlung ernst und sind uns beimhema Mobilfunk unserer Verantwortung für den Schutzer Bevölkerung sehr bewusst. Wir als SPD-Fraktion be-rüßen die grundsätzlichen Ansätze der Anträge derDP und der Linken. Auch wir haben weiteren For-chungsbedarf zur Beantwortung der noch offenen Fra-en gesehen. Dem wird mit der Fortsetzung des Mobil-unk-Forschungsprogramms Rechnung getragen. DasMU und das Bundesamt für Strahlenschutz werden dieorschung zur weiteren Aufklärung der noch offenenragen fortsetzen. Hierzu wurde ein dreijähriges For-chungsprogramm erstellt. Die Finanzierung soll anteiligurch Mittel des BMU und der Netzbetreiber erfolgen.
nsofern ist der FDP-Antrag entbehrlich, weil ein Groß-eil der Forderungen im Antrag bereits umgesetzt wird.Mit dem alle zwei Jahre erfolgenden Bericht der Bun-esregierung an den Deutschen Bundestag zur Mobil-
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Detlef Müller
funkforschung werden wir als Parlamentarier über dieneuesten Forschungsergebnisse zeitnah informiert.Gestatten Sie mir abschließend noch ein paar Wortezum Antrag der Linken. Wir teilen die dort angeführtenFeststellungen zu diesem Thema nicht. So entstammendie im Antrag zur Begründung angeführten Behauptun-gen zu Folgen und Risiken des Mobilfunks wie zum Bei-spiel gentoxische Effekte, erhöhtes Hirnturmorrisikooder auch niedrigere Lebenserwartung in der Nähe vonMobilfunkbasisstationen einer selektiven Wiedergabeder wissenschaftlichen Literatur.Sie geben aber nicht den heutigen wissenschaftlichenKenntnisstand wieder. Eine derartige einseitige Wieder-gabe des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes ist aller-dings keine fundierte Basis für die Ableitung weiter-gehender Anträge. Herr Heilmann, es geht nicht darum,Technologien wie WLAN abzulehnen oder zu verbieten,sondern es geht darum, sie zu verbessern.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir haben beim Mobilfunk ein Dilemma. Wir haben dasBedürfnis einer Mehrheit in der Gesellschaft nach mobi-ler Kommunikation – möglichst überall und zu jeder Zeit –,und wir haben die Elektrosensibilität einer Minderheit.Was dieses Dilemma angeht, ist es überhaupt nicht wich-tig, ob die Elektrosensibilität nachgewiesen werdenkann. Entscheidend ist, ob die Betroffenen sie empfin-den.Forschung ist wichtig; auch wir wollen sie. Das Pro-blemfeld Kinder und Jugendliche einerseits und Lang-zeitwirkungen andererseits ist von allen benannt worden.Aber, Herr Meierhofer, die Forschungen helfen Elektro-sensiblen nicht, solange die Schädlichkeit nicht nachge-wiesen ist. Dass auch die Unschädlichkeit bisher nichtbeweisbar ist, befreit die Menschen nicht von den Beein-trächtigungen, die sie spüren.
Diese Menschen sind aber zu wenige, und sie habenkeine Lobby. Unsere Antwort ist daher vor allem Mit-sprache. Die freiwillige Selbstverpflichtung der Mobil-funkbetreiber hat nicht das gebracht, was sie sollte. Vorallem in kleinen Kommunen funktioniert die Einbindungder Bürgerinnen und Bürger nur suboptimal. Das Bau-recht erlaubt nur in reinen Wohngebieten, Sendemastenzu verhindern. Die öffentliche Standortdatenbank warein erster guter Schritt. Jetzt braucht es zentrale Anlauf-stellen für Bürger und Bürgerinnen. Solche Stellen müs-sen die Anwohner von sich aus über geplante Anlageninformieren und runde Tische organisieren. EinzelneKommunen gehen da schon mit gutem Beispiel voran.ArOKmwPwidKdtMpAddFn–uvsWnEhsvbglnWnsguwDbnSg
ei denen die Begeisterung für die Chancen die Risikenern übersehen lässt. Das gilt gerade für Ihre Partei, Kol-ege Meierhofer.Es ist auch überfällig, dass wir aufhören, jeden einzel-en Emittenten isoliert zu betrachten und die kumulativeirkung zu ignorieren. Grundsätzlich ist Kennzeich-ung, also auch die Kennzeichnung der Strahlungsinten-ität beim Handy, der erste Schritt zum mündigen Bür-er. Es ist unverständlich, dass die Große Koalitionnseren Antrag vor zwei Jahren abgelehnt hat. Machenir also einen neuen Versuch!
Auch beim Antrag der FDP stoße ich mich neben demuktus so richtig nur an einer Stelle, nämlich an der Le-ensretterfunktion des Handys beim Kind. Solange wiricht wissen, ob die Nutzung von Handys aufgrund ihrertrahlung bei Kindern zu gesundheitlichen Beeinträchti-ungen führen kann – da gibt es noch keine Forschungs-
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Sylvia Kotting-Uhlergebnisse –, sind Handys in Kinderhänden für mich amfalschen Platz.
Die beiden Anträge sind in ihren Forderungen nichtso gegensätzlich, wie Sie, Herr Koeppen, sagen. Beidewollen Forschung, beide wollen Kennzeichnung. Ob dieeinen die Forschung wollen, weil sie aufklären wollenoder weil sie davon überzeugt sind, dass diese For-schung die gesundheitliche Schädigung nachweist, oderob die anderen die Forschung wollen, weil sie davonüberzeugt sind, dass durch sie die Unschädlichkeit nach-gewiesen wird, ist mir relativ egal. Die Hauptsache ist,dass wir alle Forschung fordern und die Bundesregie-rung bewegen, sie in die Wege zu leiten.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufden Drucksachen 16/10325 und 16/9485 an die in derTagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dannsind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten ChristianFreiherr von Stetten, Dr. Hans-Peter Friedrich
, Georg Brunnhuber, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSUsowie der Abgeordneten Dr. Michael Bürsch, UteBerg, Klaas Hübner, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der SPDFaire Wettbewerbsbedingungen für ÖffentlichPrivate Partnerschaften schaffen– Drucksache 16/12283 –Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zudiesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. –Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sichum die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Dr.Ole Schröder und Christian Freiherr von Stetten für dieUnionsfraktion, Dr. Michael Bürsch für die SPD-Frak-tion, Ulrike Flach für die FDP-Fraktion, Ulla Lötzer fürdie Fraktion Die Linke und Alexander Bonde für dieFraktion Bündnis 90/Die Grünen.1)Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag derFraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache16/12283. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit denStimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion ge-gen die Stimmen der FDP-Fraktion, der Fraktion DieLinke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-nommen.dIudFDNgmFrftWseSnL1) Anlage 3 2)
Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und derFraktion DIE LINKEPakistan und Afghanistan stabilisieren – Füreine zentralasiatische regionale Sicherheits-konferenz– Drucksachen 16/10845, 16/11249 –Berichterstattung:Abgeordnete Bernd SchmidbauerJohannes PflugHarald LeibrechtWolfgang GehrckeMarieluise Beck
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zuiesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. –ch sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sichm die Reden folgender Kollegen: Holger Haibach fürie Unionsfraktion, Detlef Dzembritzki für die SPD-raktion, Hellmut Königshaus für die FDP-Fraktion,r. Norman Paech für die Fraktion Die Linke, Omidouripour für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.2)Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-en Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linkeit dem Titel „Pakistan und Afghanistan stabilisieren –ür eine zentralasiatische regionale Sicherheitskonfe-enz“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-ehlung auf Drucksache 16/11249, den Antrag der Frak-ion Die Linke auf Drucksache 16/10845 abzulehnen.er stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wertimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-mpfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, derPD-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Fraktion Bünd-is 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Dieinke angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines … Geset-zes zur Änderung des Strafgesetzbuches – An-hebung der Höchstgrenze des Tagessatzes beiGeldstrafen– Drucksache 16/11606 –Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses
– Drucksache 16/12143 –Berichterstattung:
Joachim StünkerJörg van EssenWolfgang NeškovićJerzy Montag Anlage 4
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Vizepräsidentin Petra PauInterfraktionell wird auch hier vorgeschlagen, die Re-den zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu ge-ben. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handeltsich um die Reden folgender Kollegen: Siegfried Kauderfür die Unionsfraktion, Dr. Peter Danckert für die SPD-Fraktion, Jörg van Essen für die FDP-Fraktion, UlrichMaurer für die Fraktion Die Linke, Jerzy Montag für dieFraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Parlamentari-sche Staatssekretär Alfred Hartenbach für die Bundesre-gierung.1)Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsaus-schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufDruck-sache 16/12143 den Gesetzentwurf der Bundes-regierung auf Drucksache 16/11606 in der Ausschuss-fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmenwollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit inzweiter Beratung mit den Stimmen der Unionsfraktion,der SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion und der FraktionBündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion DieLinke angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-entwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, derSPD-Fraktion, der FDP-Fraktion und der FraktionBündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion DieLinke angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf:a) Beratung der Großen Anfrage der AbgeordnetenJosef Philip Winkler, Volker Beck , KaiGehring, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENSituation in deutschen Abschiebehaftanstalten– Drucksachen 16/9142, 16/11384 –b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Innenausschusses zudem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen,Wolfgang Nešković, Petra Pau, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion DIE LINKEGrundsätzliche Überprüfung der Abschie-bungshaft, ihrer rechtlichen Grundlagen undder Inhaftierungspraxis in Deutschland– Drucksachen 16/3537, 16/12020 –Berichterstattung:Abgeordnete Reinhard GrindelRüdiger VeitHartfrid Wolff
Sevim DağdelenJosef Philip WinklerNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei dieFssJNuAdnslgZlkzsnAHefeAuswDTdnboFdsvbedde23d1) Anlage 5
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnennd Kollegen! Die deutsche Praxis der Verhängung vonbschiebehaft und des Vollzuges ist im Sinne einer anen Menschenrechten orientierten Flüchtlingspolitikicht länger hinnehmbar.Bei den Betroffenen handelt es sich nicht um Men-chen, die sich eine Straftat haben zuschulden kommenassen, sondern um Personen, die in Deutschland Schutzesucht haben. Die Inhaftierung von Menschen zumwecke der Sicherung einer reinen Verwaltungshand-ung widerspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßig-eit. Nur zur Erklärung: Abschiebehäftlinge können bisu 18 Monate inhaftiert werden, ohne einer Straftatchuldig gesprochen worden zu sein oder überhaupt ei-er verdächtig zu sein. Ein Abschiebehäftling hat nachnordnung der Haft kaum Möglichkeiten, gegen dieaft juristisch vorzugehen. Ein Haftprüfungstermin, wier bei Untersuchungshäftlingen Anwendung findet, istür Abschiebehäftlinge ebenso wenig vorgesehen wiein Pflichtverteidiger.Demzufolge wäre eigentlich davon auszugehen, dassbschiebehaft nur im Ausnahmefall angeordnet wirdnd bei der Anordnung durch das Amtsgericht eine sehrorgfältige Prüfung stattfindet, ob die Haft wirklich not-endig ist.
as Gegenteil ist jedoch der Fall: Im Zehn-Minuten-akt werden die Abschiebehaftbeschlüsse verfasst, undie gesetzlich vorgesehene Anhörung findet de factoicht statt. Den Angaben in den Anträgen der Ausländer-ehörden auf Anordnung der Abschiebehaft wird allzuft ungeprüft Glauben geschenkt.Die belastenden Haftbedingungen sollen auf dielüchtlinge abschreckend wirken und darauf hinwirken,ass sie Deutschland vorzeitig und „freiwillig“ verlas-en. Auch nach Einschätzung vieler Flüchtlingsinitiati-en, die in den Gefängnissen Besuchsdienste leisten, ha-en Abschiebegefängnisse gleichsam den Charakteriner Beugehaft. Das kann nicht länger so bleiben.
All dies wird in der Antwort der Bundesregierung aufie Große Anfrage meiner Fraktion zur Situation in deneutschen Abschiebehaftanstalten deutlich. Besondersrschütternd war für uns, dass es in den Jahren zwischen005 und 2007 mindestens zwei Selbstmorde und9 Selbstmordversuche gab, wobei nicht alle Bundeslän-er der Bundesregierung Auskunft über die Zahlen in ih-
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Josef Philip Winklerrem Land gegeben haben. Dies ist für einen Rechtsstaatwirklich unerträglich
und zeigt, dass die Situation nicht länger so bleibenkann, wie sie derzeit ist.Hinter diesen Zahlen verbergen sich unfassbaremenschliche Dramen. Ich habe die Zahlen der Selbst-morde und der Selbstmordversuche in den Mittelpunktgestellt. Es gibt aber noch eine Vielzahl anderer Grup-pen, die man erwähnen könnte: Schwangere Frauen wa-ren zum Teil mehr als 100 Tage in Abschiebehaft, zumTeil sogar noch am Tag der Entbindung. Auch Minder-jährige befinden sich in den Abschiebehaftanstalten.Darüber haben wir im Innenausschuss ausführlich debat-tiert. All das kann ich hier jetzt nicht noch einmal aus-führlich darstellen.Diese Zahlen können uns als Bundestag nicht beruhi-gen. Ganz im Gegenteil: Der Bundesinnenminister wäregefordert – Herr Staatssekretär, Sie können es ihm jaausrichten –, endlich seiner Verantwortung gerecht zuwerden. Das Problem von Suiziden und Suizidversuchenund die Ursachen dieser Misere müssen endlich ernst ge-nommen werden, statt wie bisher im wahrsten Sinne desWortes totgeschwiegen zu werden. Zwar ist der Vollzugder Abschiebehaft Ländersache; die gesetzliche Grund-lage ist aber in § 62 des Aufenthaltsgesetzes, einem Bun-desgesetz, geregelt. Zusammen mit den Bundesländernwäre der Innenminister hier gefordert, zum Beispiel aufGrundlage der Daten dieser Großen Anfrage über Refor-men und humanitäre Verbesserungen zu beraten. EinAnlass hierzu könnten die Beratungen über die Verwal-tungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz sein.Unserer Auffassung nach sollte § 62 des Aufenthalts-gesetzes so modifiziert werden, dass dieser schwerwie-gende Eingriff in die Freiheitsrechte des Einzelnen aufabsolute Ausnahmefälle beschränkt wird. Im Übrigenbewegen wir uns da auf der Linie des Bundesverfas-sungsgerichtes, das am 15. Dezember 2000 in einer Ent-scheidung klar gesagt hat, dass die bisher übliche Haft-dauer bis zu einem Maximum von 18 Monaten nichtverhältnismäßig ist. Änderungen sind hier also überfäl-lig.
Wir fordern, dass im Rahmen der jetzt anstehendenBeratungen zu den Verwaltungsvorschriften zum Auf-enthaltsgesetz Konkretisierungen und verbindliche Re-gelungen insbesondere für Minderjährige und Traumati-sierte vorgelegt werden. Leider Gottes ist ein Befund desVorsitzenden Richters am Verwaltungsgerichtshof Hes-sen, Herrn Göbel-Zimmermann, aus dem Jahre 1996 im-mer noch aktuell – ich zitiere und komme dann zumEnde –:Abschiebungshaft wird teilweise zu schnell und zuoft beantragt und angeordnet sowie zu lange vollzo-gen. Das Abschiebungshaftverfahren ist häufig mitgerichtsorganisatorischen Mängeln, Verfahrensfeh-lern und Fehleinschätzungen der Rechtslage belas-CKdtBdsdsAzzGglIKhlwDvlnmgsUA
Das Wort hat jetzt der Kollege Stephan Mayer von der
DU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenollegen! Sehr verehrte Kolleginnen! Es mutet an wie inem Spielfilm Und täglich grüßt das Murmeltier. In ste-er Regelmäßigkeit müssen wir uns hier im Deutschenundestag auf Betreiben der Oppositionsfraktionen miten Themen Abschiebung und Abschiebungshaft be-chäftigen.
Meine sehr verehrten Kollegen von der Opposition,er Mehrwert und der Neuigkeitswert dieser Debattenind leider Gottes außerordentlich gering.Eines bleibt klar festzuhalten: Abschiebungen undbschiebungshaft sind notwendige Mittel zur Durchset-ung rechtmäßiger Ausweisungen. Ich möchte außerdemu Beginn klarstellen: Das deutsche Recht wird demrundsatz der Verhältnismäßigkeit in vollem Umfangerecht, indem Abschiebungen Ultima Ratio, das aller-etzte Mittel einer notwendigen Rückführung sind.
ch darf auch darauf hinweisen: Es handelt sich bei demreis der Betroffenen um Personen, die keinen Aufent-altstitel in Deutschland haben und Deutschland eigent-ich verlassen müssten, aber aus diversen Gründen – teil-eise humanitären, teilweise tatsächlichen Gründen –eutschland bislang nicht verlassen konnten und nichterlassen haben.
Die §§ 58 ff. des Aufenthaltsgesetzes genügen in vol-em Umfang den rechtsstaatlichen und meiner Meinungach auch den humanitären Anforderungen. Dies istehrmals, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kolle-en, insbesondere von der Opposition, durch die Recht-prechung des Bundesverfassungsgerichtes und vielerteile bestätigt worden.Es gibt einen klaren Grundsatz, der besagt, dass diebschiebung das letzte Mittel der notwendigen Rück-
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Stephan Mayer
führung ist. Es gibt im Vorfeld mildere Mittel, die weit-aus häufiger angewandt werden.
Die freiwillige Ausreise hat den absoluten Vorrang. Derüberwiegende Teil der Personen, die nun einmal keinenAufenthaltstitel für Deutschland haben und Deutschlandverlassen müssen, verlässt Deutschland freiwillig. Wenneine Abschiebung notwendig wird, muss sie im Vorfelderst einmal angedroht werden. Für den Fall, dass sie tat-sächlich erforderlich ist, bedarf es einer richterlichenAnordnung der Abschiebung. Eine Abschiebung bedarfalso der Anordnung durch ein unabhängiges gerichtli-ches Organ.Des Weiteren gibt es diverse Möglichkeiten, die dazubeitragen, dass auf das Mittel der Abschiebung verzich-tet wird. Wenn der Betroffene, also die Person, die aus-reisepflichtig ist, glaubhaft macht, dass er Deutschlandentweder freiwillig verlassen oder sich der Abschiebungbeugen wird, dann bedarf es nicht der Anordnung derAbschiebungshaft. Das europäische Recht ist mit demdeutschen Recht schon in vollem Umfang in Einklanggebracht worden.
Der Rat der Europäischen Union hat die sogenannteRückführungsrichtlinie am 16. Dezember letzten Jahresverabschiedet, und am 13. Januar dieses Jahres ist sie inKraft getreten.
Viele andere Länder in der Europäischen Union habenim Hinblick auf die EU-Rückführungsrichtlinie weitausgrößeren Nachbesserungsbedarf als Deutschland.
In Art. 15 der Rückführungsrichtlinie sind Abschie-bung und Abschiebungshaft als letztes Mittel, als UltimaRatio, vorgesehen. Wie im bisher geltenden deutschenAufenthaltsgesetz wird auch hier der freiwilligen Aus-reise Vorrang eingeräumt. Im Rahmen von Art. 7 derEU-Rückführungsrichtlinie gibt es diverse Möglichkei-ten, unter bestimmten Auflagen auf die Anordnung einerAbschiebung zu verzichten.
Herr Kollege Mayer, würden Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Dağdelen zulassen?
Selbstverständlich, sehr gerne.
Bitte schön.
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Sie haben gesagt, die Rückführungsrichtlinie sei
chon in nationales Recht umgesetzt worden. Dazu habe
ch eine Frage. Nach Art. 16 der Rückführungsrichtlinie
st es nicht zulässig, Menschen, die zur Ausreise ver-
flichtet worden sind, in Straf- bzw. Haftanstalten unter-
ubringen; in 14 der 16 Bundesländer ist dies aber noch
sus. Außerdem sind nach der beschlossenen Rückfüh-
ungsrichtlinie keine Inhaftierungen allein aufgrund ei-
er illegalen Einreise mehr erlaubt. Ich frage Sie, ob Sie
ur Kenntnis nehmen, dass diese zwei Regelungen der
ückführungsrichtlinie noch nicht in nationales Recht
mgesetzt worden sind, und ob die Bundesregierung ge-
enkt, auch diese Regelungen in nationales Recht umzu-
etzen.
Sehr verehrte Frau Kollegin Dağdelen, ich kann nurür meine Fraktion und für mich, aber nicht für die Bun-esregierung sprechen. Ich gehe natürlich davon aus,ass die Bundesregierung, insbesondere wenn die CDU/SU an ihr beteiligt ist, der Vorgabe der EU-Rückfüh-ungsrichtlinie in vollem Umfang Genüge tun wird,
odass die EU-Rückführungsrichtlinie bis zum 24. De-ember 2010 im Wortlaut umgesetzt wird.Nun zum ersten Teil Ihrer Frage, Frau Kollegin. Ichabe die Antwort der Bundesregierung auf die Großenfrage der Fraktion der Grünen sehr intensiv gelesen.ie haben sich gerade auf Frage 3 der Großen Anfrageezogen, die, wenn ich das so sagen darf, sehr perfideestellt ist; darauf möchte ich gerne eingehen.
Ja, oder schlau. – Leider kenne ich den genauen Wort-aut nicht auswendig. Sinngemäß lautet die Frage: Inelchen Bundesländern werden Abzuschiebende auch inustizvollzugsanstalten untergebracht? – Natürlich wer-en Abzuschiebende in den Bundesländern, in denenies der Fall ist, nicht ausschließlich in JVAs unterge-racht. Das ist also eine Fragestellung, der man sehr ge-au auf den Grund gehen muss. Meines Wissens werdenie Abzuschiebenden in fast allen Bundesländern fast
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Stephan Mayer
ausschließlich in gesonderten Haftanstalten unterge-bracht, sodass dem Art. 16 der EU-Rückführungsrichtli-nie schon Genüge getan wird.
Diese Fragestellung sollte man erst einmal genau hinter-fragen. Die Antwort auf diese Frage ist in Anbetracht derFragestellung natürlich relativ.
Frau Kollegin, auch Sie sollten sich diese Fragestellungnoch einmal genau zu Gemüte führen.
Ich fasse zusammen: Art. 16 der EU-Rückführungsricht-linie ist umzusetzen. Es ist davon auszugehen, dass diesgeschieht.Ich möchte betonen, dass diejenigen, für die Abschie-bungshaft angeordnet wurde, in allen 16 Bundesländernin den meisten Fällen bereits heute in gesonderten undspeziellen Hafteinrichtungen untergebracht werden. Dasist auch vollkommen richtig, Frau Kollegin, weil ein Ab-zuschiebender in den allermeisten Fällen nichts mit ei-nem Straftäter oder einem Straffälligen zu tun hat. Des-wegen ist es auch richtig, dass es zwei verschiedeneHaftanstalten gibt, zum einen für Straftäter und zum an-deren für Abzuschiebende.Frau Kollegin, lassen Sie mich bei dieser Gelegenheitauf Ihren Antrag zu sprechen kommen. Sie haben dieweitestgehende Forderung gestellt, nämlich dass die Ab-schiebehaft komplett abzuschaffen ist. Dies ist in vollemUmfang weltfremd und unrealistisch.
Es gibt Fälle, in denen es einer zwangsweisen Abschie-bung und auch der Anordnung einer Abschiebehaft be-darf.
– Herr Kollege Winkler, natürlich handelt es sich bei denAbzuschiebenden nicht immer um Straftäter. Es gibtaber durchaus Fälle, bei denen es sich um Straftäter han-delt. Ich möchte nur an die brutalen und menschenver-achtenden Schläger in der Münchener U-Bahn erinnern,die kurz vor Weihnachten 2007 einen über 70-jährigenRentner fast totgeschlagen haben.
Leider sind die rechtsstaatlichen Grundsätze immer nochzu hoch – das sage ich ganz offen –,
uIarAfDstsVgAslsfdbdssggstnbAMbGrlFleIgzAnkD
n Einzelfällen besteht aber natürlich die Notwendigkeit,usländische Straftäter abzuschieben.Des Weiteren ist Ihre Forderung, die Verwaltungsge-ichte in vollem Umfang als zuständige Gerichte für dienordnung der Abschiebehaft einzusetzen, ebenso welt-remd und unrealistisch.
ies wäre ein logischer Bruch in unserem Prozessrechts-ystem. Haft wird nun einmal von ordentlichen Gerich-en angeordnet. So muss es auch bei der Abschiebehaftein. Das bis dahin stattfindende Verfahren wird von denerwaltungsgerichten in ordnungsgemäßer Weise durch-eführt. Dies gilt für die Rückweisung und auch für dienordnung der Abschiebung. Die Anordnung der Ab-chiebehaft muss aber selbstverständlich von den ordent-ichen Gerichten angeordnet werden, und daran sollteich auch nichts ändern.Ebenso vollkommen überzogen ist Ihre Forderung,ür abzuschiebende Personen generell eine Pflichtvertei-igung und eine kostenlose anwaltliche Vertretungereitzustellen. Dies entspricht in keiner Weise demeutschen Prozessrecht. Wenn die entsprechenden per-önlichen Verhältnisse der Person nicht zulassen, dassie sich selbst vertreten kann, und sie auch nicht die nöti-en finanziellen Mittel für einen Rechtsbeistand aufbrin-en kann,
ieht es das deutsche Prozessrecht in bestimmten berech-igten Fällen vor, dass dann die Möglichkeit der Anord-ung eines Pflichtverteidigers unter Prozesskostenhilfeesteht. Dies gilt aber nur für diese Ausnahmefälle. Eineusnahme ist meines Erachtens richtigerweise, dassinderjährigen selbstverständlich ein Pflichtverteidigereigeordnet wird.Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, dieroße Koalition hat in den vergangenen dreieinhalb Jah-en in Sachen Reduzierung der sich illegal in Deutsch-and aufhaltenden Personen durchaus bemerkenswerteortschritte gemacht. Wir haben eine Bleiberechtsrege-ung geschaffen, eine Altfallregelung in § 104 a des Auf-nthaltsgesetzes, die wirklich wegweisend ist. Auch diennenministerkonferenz hat eine Bleiberechtsregelungeschaffen, von der durchaus und in nicht zu unterschät-ender Art und Weise Gebrauch gemacht wird.
m Ende des Tages müssen wir aber einfach zur Kennt-is nehmen, dass es in Deutschland Personen gibt, dieeinen Aufenthaltstitel haben. Diese Personen müsseneutschland dementsprechend verlassen. Wenn sie das
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Stephan Mayer
nicht freiwillig tun, dann muss dies eben mit den Mittelnder Abschiebung und der Abschiebehaft geschehen.Wie schon eingangs erwähnt, beschäftigen wir uns insteter Regelmäßigkeit mit solchen Anträgen, die keinenNeuigkeitswert zutage fördern. Deswegen kann ich unsnur empfehlen, die interessanten Antworten der Bundes-regierung auf die Große Anfrage der Grünen-Fraktionzur Kenntnis zu nehmen und den vollkommen weltfrem-den, überzogenen und unrealistischen Antrag der Links-fraktion abzulehnen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Hartfrid Wolff von der
FDP-Fraktion.
Hartfrid Wolff (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Um-
gang mit sich illegal in Deutschland aufhaltenden Men-
schen betrifft durchaus das Selbstverständnis einer frei-
heitlichen Gesellschaft und die grundsätzlichen Fragen
der Durchsetzung unserer rechtsstaatlichen Ordnung.
Die Abschiebehaft ist ein Instrument des Ausländer-
rechts, mit dem man sich auf eine seriöse Art und Weise
beschäftigen sollte, gerade dann, wenn man die humani-
tären Themen angehen möchte.
Der Antrag der Linken kommt mit humanitärer Ab-
sicht daher, verschweigt aber konsequent seine Folgen
für die deutsche Zuwanderungspolitik. In entlarvender
Weise fordern die Linken die Aufgabe der staatlichen
Durchsetzungsmöglichkeiten und quasi die Einstellung
jeglicher Abschiebung aus Deutschland. So einfach kann
man sich das nicht machen.
Auch die Forderungen nach weiteren kostenlosen
Leistungen sind unverhältnismäßig. Die Privilegierung
illegal oder zumindest ohne Rechtsgrundlage Eingewan-
derter gegenüber legal eingewanderten Menschen und
auch jedem deutschen Staatsbürger gegenüber ist frag-
würdig.
Zu Ende gedacht ruft die Linkspartei unter dem Vor-
wand der Menschenrechte zu einer weitgehenden Ab-
schaffung jeglicher Migrationssteuerungsinstrumente
auf. Gleichzeitig aber schimpft sie über Integrations-
mängel, Schwarzarbeit sowie die Spannungen auf dem
Arbeitsmarkt und in den sozialen Sicherungssystemen.
Das ist unlogisch und unredlich.
Ich habe manchmal den Eindruck, dass bei den Ver-
tretern der Linken eine naive Freude an unkontrollierter
und unsteuerbarer Zuwanderung besteht.
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enerell aus dem deutschen Zuwanderungsrecht einen
erstoß gegen die Menschenrechte abzuleiten, ist infam.
ei jeder Abschiebung liegt ein Verstoß gegen geltendes
emokratisches Aufenthalts- oder Zuwanderungsrecht
or.
Bei aller Kritik, die in manchem Einzelfall angebracht
ein mag: Die pauschale Herabsetzung rechtsstaatlichen
andelns, die die Linke hier vornimmt, ist unanständig.
it diesen überzogenen Forderungen der Linken wird
em an sich berechtigten Anliegen, eine verhältnismä-
ige und humanitäre Abschiebepraxis zu gewährleisten,
in Bärendienst erwiesen.
Es gilt auch aus liberaler Sicht,
ass mit dem Instrument der Abschiebehaft sehr zurück-
altend und sehr behutsam umgegangen werden muss.
s gibt eine ganze Reihe von Verbesserungsmöglichkei-
en, die umgesetzt werden müssen. Auch in diesem Be-
eich sehen wir durchaus Handlungsbedarf. Grundsätz-
ich halten wir die Abschiebehaft jedoch für notwendig.
Insofern haben wir die detaillierte Antwort der Bun-
esregierung auf die Große Anfrage der Grünen positiv
esehen. Außerdem ist es grundsätzlich sehr gut, dass
ie Grünen diese Große Anfrage gestellt haben
nd wir damit eine Grundlage bekommen, um uns sach-
ich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Ich muss
llerdings auch sagen: Einige Teilaspekte sind angespro-
hen worden; der Gesamtzusammenhang fehlt jedoch
eider.
Herr Kollege Wolff, erlauben Sie eine Zwischenfragees Kollegen Winkler?Hartfrid Wolff (FDP):Nein, jetzt nicht.
Dabei hatten die Grünen bereits im Jahr 1998, lieberosef, im Koalitionsvertrag unterschrieben, die Praxiser Abschiebehaft – ich zitiere – „im Lichte des Verhält-ismäßigkeitsgrundsatzes“ zu prüfen.
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Hartfrid Wolff
Sie hatten sieben Jahre lang Zeit, liebe Kollegen von denGrünen, das zu tun, was Sie für besser gehalten haben.Was ist daraus geworden? Der Kollege Veit wird jetztüberlegen, ob er derjenige war, der verhindert hat, dassIhre großen, hehren Ziele umgesetzt wurden.
Jedenfalls hatten Sie die Möglichkeit, sie umzusetzen.Die FDP stimmt den drei essenziellen Aspekten zu,die auch die EU-Kommission beschlossen hat. Demnachmüssen das Primat der freiwilligen Rückkehr gestärkt,verfahrensrechtliche Mindestgarantien gesichert – ausmeiner Sicht auch ausgebaut – und die Verhältnismäßig-keit gewahrt werden. Gerade dann, wenn wir auf europäi-scher Ebene weiterkommen wollen, kann die Rückfüh-rungsrichtlinie, so notwendig sie auch war, nur einAnfang sein.Meine Damen und Herren, der vorliegende Antragder Linken zeigt zwar Probleme auf – der eine oder an-dere Satz zeigt auch das Niveau –; die Antragsteller bie-ten als scheinbare Lösung jedoch nur eine weitgehendeErschwerung von oder einen Verzicht auf Abschiebun-gen. Damit ist niemandem gedient, insbesondere denMenschen nicht, die legal und unter Beachtung der Ge-setze der Bundesrepublik Deutschland hierher einge-wandert sind und sich rechtmäßig im Lande aufhalten.Eine individuelle Bewertung ist notwendig. Institutio-nalisierte, ritualisierte oder automatische Nachsicht mitdenen, die sich nicht an unsere Rechtsordnung halten,kann das Ansehen aller Zuwanderer beeinträchtigen unddie Rechtstreue im Alltag aushöhlen. Zuwanderung istaber etwas, was wir brauchen. Deshalb sollten wir sehrvorsichtig mit den verschiedenen Vorgaben umgehen.Auch deswegen bleibt die Abschiebehaft ein letztes,aber legitimes Mittel, den Abschiebevollzug sicherzu-stellen, wenn es darum geht, eine Rechtsordnung zu ver-teidigen, die demokratisch entstanden ist.
Das Wort hat der Kollege Rüdiger Veit von der SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren Kollegen! Nicht selten liegen Wahrheit und Rea-lität in der Mitte – auch bei einigen Beiträgen, die hierund heute schon gehalten worden sind. Ich will mich be-mühen, möglichst angemessen und nicht emotional aufdie Problematik einzugehen.Wir können den Antrag der Linksfraktion nicht unter-stützen, weil er zum einen aufgrund der Rückführungs-richtlinie, die aktualisiert wurde, völlig veraltet und inkeiner Hinsicht mehr aktuell ist
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iese pauschale Schelte für alle daran beteiligten Ver-altungsbehörden oder auch Gerichte kann ich so nichttehen lassen.
Da ich die Pflicht hatte, zwölf Jahre lang politischauptverantwortlich einer Ausländerbehörde und da-über hinaus weitere sechs Jahre lang einer zentralen Ab-chiebebehörde vorzustehen, könnte ich Ihnen durchausiniges aus der Praxis erzählen – übrigens auch von denanchmal extremen emotionalen Belastungen, denenie Mitarbeiter ausgesetzt sind, die unsere Rechtsord-ung vollziehen müssen. Das betrifft nicht nur die poli-isch Hauptverantwortlichen, sondern auch einzelne Mit-rbeiterinnen und Mitarbeiter und natürlich die davonetroffenen Menschen.Um das ganz klar zu sagen: Dass als Ultima Ratiobschiebung als solche und Abschiebehaft von irgendje-andem in unserem Staatswesen – Verwaltungsbeam-en, Gerichten oder sonstigen Beteiligten – mit großerreude und Überzeugung vollzogen würden, kann manun weiß Gott nicht sagen. Das ist für alle Beteiligten iner Regel eine quälende Belastung. Es ist aber im Aus-ahmefall notwendig, dass die Rechtsordnung durchge-etzt wird.
Vielleicht von „zu häufig“. Aber auch das „häufig“asse ich nicht gelten.Der Kollege Wolff hat die Koalitionsvereinbarungon SPD und Bündnis 90/Die Grünen aus dem Jahr 1998brigens nicht ganz vollständig zitiert. Darin hieß esämlich, dass sowohl die Abschiebehaft als auch daslughafenverfahren im Lichte der Verhältnismäßigkeitu überprüfen seien. Lieber Kollege Winkler und alle,ie damals schon daran beteiligt waren – wenn ich esichtig sehe, dann war das auf der Seite der Grünen nurer Kollege Hans-Christian Ströbele –, wir hätten gegen-ber unserer eigenen Regierung unter Umständen einisschen erfolgreicher sein können. Ich will das einmalo freundlich umschreiben.
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Rüdiger Veit
Hinsichtlich der Flughafenverfahren gab es ja immer-hin Erfolge. Nachdem die neue Unterkunft fertiggestelltworden war – ich habe das hier schon mehrfach gesagt –,waren die Bedingungen sowohl für die Betroffenen alsauch für die Mitarbeiter wesentlich besser und die Zahlder Beschwerden über diesen ganzen Komplex und dieerheblichen Belastungen wesentlich geringer. Trotzdemsollten wir nicht aufhören, auch darauf zu achten. Ichkomme noch einmal darauf zurück.Wir haben damals erreicht – jedenfalls in den Jahren1999, 2000 und 2001 –, dass zumindest die unbegleite-ten Minderjährigen – und hierbei vor allem die Kinder –entweder nur ganz kurz oder überhaupt nicht in der Flug-hafenunterkunft untergebracht worden sind. Mir sindvon meinen Mitarbeitern Zahlen vorgelegt worden, ausdenen hervorgeht, dass sich diese Tendenz leider wiederumgedreht hat, sodass sich heute wieder mehr Jugendli-che und sogar Kinder in der Flughafenunterkunft aufhal-ten. Meine Mitarbeiter haben mir zum Beispiel von ei-nem Fall berichtet, bei dem ein Minderjähriger über32 Tage dort war. Das geht nicht in Ordnung.Hier ist die Bundesregierung in ihrer Eigenschaft alsDienstherr sowohl der Bundespolizei als auch des Bun-desamtes für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg auf-gefordert und gebeten, darauf hinzuwirken, dass Kinderund Jugendliche allenfalls nur wenige Stunden auf demFlughafen in Frankfurt verbleiben und dann kind- bzw.jugendlichengerecht untergebracht werden.Gerade für die Kinder gilt – es ist vielleicht eines derVerdienste von Bündnis 90/Die Grünen, dass sie dieseDaten mit ihrer Anfrage noch einmal zutage geförderthaben –: Sie kommen in ein Land, von dem sie sich Si-cherheit und Schutz vor Verfolgung im Herkunftslanderhofft haben, und erleben dann möglicherweise schwie-rigste und nicht kindgerechte Haftbedingungen oderAufenthaltsbedingungen, zum Teil und gerade in der un-mittelbaren Nachbarschaft von Erwachsenen. Sie erlei-den allein schon durch dieses Schicksal möglicherweisezusätzliche Traumata, die wir als humanitärer Rechts-staat eigentlich vermeiden sollten. Nicht ohne Grundgeht aus Art. 37 der Kinderrechtskonvention klar hervor,dass Freiheitsentziehungen bei einem Kind nur als aller-letztes Mittel und für die denkbar allerkürzeste Zeitangeordnet werden können. Der Hohe Flüchtlings-kommissar der Vereinten Nationen interpretiert dieUN-Kinderrechtskonvention so, dass Abschiebehaft beiKindern unter 16 Jahren überhaupt nicht und bei Jugend-lichen unter 18 Jahren nur als letztes Mittel verhängtwerden darf.Damit sind wir bei einem anderen Thema, das unsschon häufiger beschäftigt hat, nämlich die von der Bun-desregierung immer noch erklärten Vorbehalte gegenüberder Akzeptanz der Kinderrechtskonvention. Es ist nurnoch ein einziger Punkt offen. Alle anderen sind erledigt.Dabei geht es um die Frage der Asylmündigkeit und derBehandlung von Jugendlichen unter 18 Jahren als Asyl-sduwnMePDAMi–eüKIaialiPDsdadBbddGlA1UAdMzwTAbBEd
abei bin ich mir darüber im Klaren, Herr Staatssekretärltmaier, dass das Problem bei den Bundesländern liegt.it dieser Frage werden wir uns vielleicht noch einmalm Ausschuss fachlich auseinandersetzen.Aber nicht nur im Lichte der Kinderrechtskonvention es wird wirklich langsam Zeit, dass wir den Vorbehaltndlich ausräumen –, sondern auch im Lichte anderenbergeordneten Rechtes haben wir Veranlassung, lieberollege Mayer, unser eigenes Rechtssystem zu überprüfen.nsoweit ist unser Anliegen doch aktuell. Ich denke dabein die Aufnahmerichtlinie und – wie versprochen kommech jetzt darauf zurück – an die Rückführungsrichtlinieus dem Januar dieses Jahres.Um es klipp und klar zu sagen: Die Rückführungsricht-nie ist weder für die Sozialdemokraten im Europäischenarlament noch für die sozialdemokratische Fraktion imeutschen Bundestag ein besonders fortschrittliches In-trument der Migrationspolitik. Aber sie bildet sozusagenen Mindeststandard – nur den Mindeststandard – fürlle Mitgliedstaaten der EU. Darunter waren auch einige,ie noch sehr viel problematischere Bedingungen imereich von Abschiebung, Rückführung und Abschie-ungshaft hatten. Insoweit muss man feststellen: Wennas Mindeststandards für alle EU-Staaten sind, dann istas insoweit ein Erfolg. Das darf uns als deutschenesetzgeber nicht daran hindern, an günstigeren Rege-ungen festzuhalten oder sie zu schaffen.Wir müssen aber – damit sind wir wieder bei dersylmündigkeit und den Richtlinien für Kinder unter8 Jahren – alles daransetzen, sowohl was die Frage dernterbringung der Kinder und Jugendlichen – Stichwortufnahmerichtlinie – als auch ihre angebliche Asylmün-igkeit ab 16 Jahre angeht, unser deutsches Recht diesenindeststandards anzupassen, um nicht dahinter zurück-ubleiben. Das wäre ein gemeinsames Anliegen, an demir weiter arbeiten sollten.Wenn dazu die Antwort der Bundesregierung mit zumeil nicht so erfreulichen Zahlen über den Vollzug vonbschiebungshaft und vor allen Dingen von ganzestimmten besonders schutzwürdigen Gruppen eineneitrag geleistet hat, dann wäre das immerhin ein kleinerrfolg. Ansonsten sind wir alle gefordert, in der geschil-erten Weise auch gesetzgeberisch tätig zu werden.Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22861
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Das Wort hat jetzt der fraktionslose Kollege Henry
Nitzsche.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist
schon erstaunlich, mit was man sich als deutscher Volks-
vertreter so herumschlagen muss. Das meiste Kopfschüt-
teln rufen bei mir regelmäßig die Anfragen und Anträge
der Grünen hervor.
Ich will einige Beispiele nennen: die Große Anfrage
„Zur Lage der Menschenrechte von Lesben, Schwulen,
Bisexuellen und Transgender“ vom Juni 2006, die
Kleine Anfrage zur „Lage der Homosexuellen auf Ja-
maika“ vom Juni 2008 oder der Antrag zur Rechtssituation
von Homosexuellen in Nigeria Anfang dieses Monats.
Das sind die Nöte und Sorgen, die die Menschen in
unserem Land bewegen.
Jetzt sorgen Sie sich also um die Situation in deut-
schen Abschiebehaftanstalten, wo es wahrscheinlich
zugehen muss wie in Guantánamo. Gehen Sie doch bitte
einmal zum Hauptportal herein, und schauen Sie nach
oben. Dort steht „Dem deutschen Volke“ geschrieben.
Zeigen Sie dafür doch endlich einmal Verantwortung!
Kommen wir zu Ihrer Großen Anfrage. Es ist
bezeichnend, dass Sie sich auf die zweifelhafte Antiras-
sistische Initiative Berlin beziehen.
Bei dieser handelt es sich nämlich um eine Gruppierung
mit besten Kontakten zum Linksextremismus.
Da haben Sie wahrlich den Bock zum Gärtner gemacht!
Diese Gruppierung behauptet auf ihrer Internetseite, die
Polizei veranstalte in Deutschland Menschenjagden, und
fordert wörtlich offene Grenzen, Bleiberecht für alle und
gleiche Rechte für alle. Darauf wollen Sie sich beziehen?
Da brauchen Sie sich nicht zu wundern, dass der von Ihnen
angeführte Selbstmord eines sich in Abschiebehaft befind-
lichen Asylbewerbers nicht den Tatsachen entspricht.
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Schauen wir uns einmal an, woher die Asylbewerber
tammen, die in Abschiebehaft sitzen. Wir finden darun-
er Nationalitäten, die durchaus verwundern. Darunter
ind Menschen aus Litauen, Portugal, Israel oder Polen.
a frage ich mich schon: Warum haben die bitte Asyl
eantragt? Noch etwas fällt auf: Ein Großteil der Asyl-
ewerber stammt aus der Türkei. Demnach müssen die
erhältnisse in diesem Land – gerade in Bezug auf die
inhaltung der Menschenrechte – deutlich zu wünschen
brig lassen. Wie können Sie da die Aufnahme der Tür-
ei in die EU verantworten, meine Damen und Herren
on den Grünen? Erklären Sie das hier bitte einmal!
In Wahrheit geht es Ihnen doch gar nicht um die Ver-
esserung der Situation in deutschen Abschiebegefäng-
issen. Sie wollen das Instrument der Abschiebehaft
anz abschaffen. Um das zu erkennen, genügt ein Blick
n Ihr Wahlprogramm. Ich zitiere:
Menschen, die nichts weiter getan haben, als in
Deutschland Zuflucht zu suchen, sitzen in Abschie-
behaft. Wir setzen uns für die Beendigung dieser in-
humanen Situation ein.
ch muss Sie fragen: Sind Sie noch ganz bei Trost? Sie
issen doch ganz genau, was los wäre, wenn man die
bschiebehaft abschaffen würde. Die abgelehnten Asyl-
ewerber würden schnurstracks in die westdeutschen
roßstädte, in die Gettos, abtauchen.
Liebe Kollegen von den Grünen, ich weiß, Sie sind
mmer große Freunde präventiver Ansätze. Ich will Ih-
en einen solchen Ansatz einmal vorstellen. Die Frage
st nicht, wie die Situation in der Abschiebehaft verbes-
ert werden kann, sondern wie verhindert werden kann,
ass überhaupt Personen in Abschiebehaft gelangen. Die
sylanerkennungsquote in Deutschland liegt etwa bei
Prozent.
as heißt, 99 Prozent der Asylanträge werden abgelehnt,
nd die Asylbewerber müssen das Land wieder verlas-
en. Daher wäre es doch sinnvoll, sich einmal Gedanken
arüber zu machen, wie wir das ändern könnten. Wie
äre es zum Beispiel mit einem Sicherungssystem der
U-Außengrenzen und einer verstärkten Kontrolle an
en Grenzen zu Deutschland?
Herr Kollege Nitzsche, denken Sie an die Zeit, bitte.
Herr Präsident, ich komme zum letzten Satz. – Dannösen sich die Probleme in den Abschiebehaftanstaltenon ganz alleine.
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22862 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
)
)
Henry NitzscheIm Übrigen, Herr Präsident, ist das Plenum nicht be-schlussfähig.
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat das Wort die Kollegin Sevim Dağdelen von der Frak-
tion Die Linke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Dieser rassistische, menschenverachtende und
auch menschenfeindliche Unsinn meines Vorredners
spricht für sich selbst. Ich möchte das nicht weiter kom-
mentieren.
In der ersten Beratung über unseren Antrag am
29. März 2007 haben die Regierungsfraktionen und die
FDP eines deutlich gemacht: Abschiebungshaft ist ein
Instrument der Abschreckungspolitik. Denn der Verzicht
auf Abschiebungshaft würde – ich zitiere Herrn Wolff
von der FDP – einen massiven Anreiz zur illegalen
Zuwanderung darstellen. Der Kollege Veit von der SPD
malte in der ersten Beratung das Gespenst eines nicht zu
bewältigenden Zustroms an die Wand, würde sich – ich
zitiere erneut – unter den vielen Millionen Menschen in
der Welt, die in Armut und Elend leben, oder den zig
Millionen bereits auf der Flucht befindlichen Menschen
herumsprechen, dass, wer immer deutschen Boden
erreicht, auch hier leben kann.
Ich finde, das hat mit Humanismus nichts mehr zu
tun, auch nichts mit einem Bewusstsein für die Flucht-
ursachen und -gründe der Flüchtlinge, für die wir wegen
der Zerstörung der Lebensgrundlagen von Millionen von
Menschen mitverantwortlich sind. Außerdem ist nicht zu
ersehen, woher eigentlich diese Sorge kommt. Die letz-
ten Bundesregierungen haben maßgeblich dafür gesorgt,
dass die Chance, die EU lebend zu erreichen, minimiert
wird. So sinken auch die Zahlen derjenigen, die es über-
haupt noch bis nach Deutschland schaffen. Wir alle ken-
nen die Bilder vom Mittelmeer oder aus dem Westen
Afrikas. Für die Linke darf ich feststellen: Für uns ist
kein Mensch illegal. Deshalb plädieren wir für mehr
Humanität.
Es ist einer der zynischen Höhepunkte der Abschiebe-
praxis in Deutschland, dass Abschiebungshäftlinge für
die Kosten der Haft und der Abschiebung auch noch
zahlen müssen. Zynisch ist auch, dass Menschen für eine
solche Abschreckungspolitik persönlich herhalten müssen.
Einige zahlen dafür nicht nur sprichwörtlich Blutzoll;
Herr Winkler hat es noch einmal deutlich gemacht. Ich
wiederhole: Seit 1993 töteten sich 150 Flüchtlinge an-
gesichts ihrer drohenden Abschiebung oder starben bei
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Aus der Antwort der Bundesregierung auf die Große
nfrage der Grünen geht auch hervor, wie leichtfertig
ie Abschiebungshaft verhängt wird. Etwa der Hälfte
er Abschiebungen ging eine Abschiebungshaft voraus.
twa 15 Prozent aller Inhaftierten mussten wieder ent-
assen werden. Ich finde, diese Menschen hätten erst gar
icht ihrer Freiheit beraubt werden dürfen, da bereits im
orfeld klar war, dass eine Abschiebung unmöglich ist.
Zwischen 2005 und 2007 wurden unbegleitete Minder-
hrige für bis zu 142 Tage in Haft gehalten, Schwangere
ür bis zu 132 Tage. Das zeigt noch einmal deutlich, dass
s Ihnen um die Abwehr von Flüchtlingen geht und nicht
m den Schutz bedrohter Menschen in diesem Lande.
Ich erinnere Sie gern noch einmal daran, dass Heiko
auffmann von Pro Asyl die Abschiebungshaft als eine
demokratisch abgesicherte Barbarei“ bezeichnet hat.
ünter Wallraff bezeichnet Abschiebegefängnisse als
Institutionen der Unmenschlichkeit“.
Die Humanität einer Gesellschaft zeigt sich besonders
m Umgang mit den Schwächsten einer Gesellschaft, mit
lüchtlingen, Migrantinnen und Migranten. Folgen Sie
lso unserem Antrag und schaffen Sie die immer rigoro-
er und unmenschlicher werdende Abschiebungshaft ab!
chaffen Sie, um dieses Ziel zu erreichen, eine gesetzliche
rundlage für die Wahrung von Mindeststandards bei
er Inhaftierungspraxis!
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Innenaus-chusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit demitel „Grundsätzliche Überprüfung der Abschiebungs-aft, ihrer rechtlichen Grundlagen und der Inhaftierungs-raxis in Deutschland“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-er Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12020, denntrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3537
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22863
)
)
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der
Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a bis 19 c auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Einlagensicherungs- und Anlegerent-
schädigungsgesetzes und anderer Gesetze
– Drucksache 16/12255 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Rechtsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank
Schäffler, Hans-Michael Goldmann, Dr. Hermann
Otto Solms, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP
Reform der Anlegerentschädigung in Deutsch-
land
– Drucksache 16/11458 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses zu
dem Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch,
Dr. Gerhard Schick, Cornelia Behm, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Verbraucherschutz auf den Finanzmärkten
stärken
– Drucksachen 16/11205, 16/12184 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Leo Dautzenberg
Ortwin Runde
Dr. Gerhard Schick
Es ist interfraktionell vorgesehen, dass die Redebei-
träge zu Protokoll genommen werden. Es handelt sich
um die Beiträge der Kollegen Klaus-Peter Flosbach,
CDU/CSU, Jörg-Otto Spiller, SPD, Frank Schäffler,
FDP, Dr. Axel Troost, Die Linke, und Dr. Gerhard
Schick, Bündnis 90/Die Grünen.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 16/12255 und 16/11458 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanz-
ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen mit dem Titel „Verbraucherschutz auf den Fi-
nanzmärkten stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
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t1) Anlage 6
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22864 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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)
ltere Wohngebäude mit mehr als fünf Wohneinheiten undhnlich große Nichtwohngebäude. Ein größerer Anwen-ungsbereich ist den Betroffenen gegenwärtig wirtschaft-ich unzumutbar. Härtefallklauseln sollen sicherstellen,ass niemand persönlich, wirtschaftlich oder finanziellberfordert wird. Bundesregierung und Koalition beab-ichtigen jedoch, in den nächsten Jahren den Austauschm Rahmen des CO2-Gebäudesanierungsprogrammsach Maßgabe der durch den Haushalt zur Verfügung ge-tellten Mittel zu fördern.Ich glaube, dies macht deutlich, dass es nicht um denntergang des Abendlandes geht. Ich kann der FDP aberenigstens eine kleine Hoffnung machen, dass es 2020och nicht zu dem sanktionsbewehrten Verbot kommenuss. Die Preiskalkulation für Strom für elektrische Wi-erstandsheizungen beruht insbesondere auf einem ex-rem niedrigen Wert für Netznutzungsentgelte – im Bun-esschnitt 2 Cent/kWh, weit weniger als ein Drittel deregulären Netznutzungsentgelte im Niederspannungsbe-eich. Dies dürfte sich aus rechtlichen, betriebswirt-
nbieter haben bereits ihre Tarife nach oben korrigiertzw. preisgünstige Sondertarife nicht verlängert. Einealistisch kalkulierter Preis für Elektroheizungen müssteei 15 bis 16 Cent/kWh liegen. Das liegt jenseits der
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22865
Rainer Fornahlgebene Reden
)
)
Energiepreise, die für die sonst üblichen Heizsysteme an-zusetzen sind .Würden die Strompreise für Elektroheizungen auf diesesNiveau angehoben, würde sich der Druck stark erhöhen,diese Heizungen schnellstmöglich zu ersetzen. Ganz imSinne der FDP würde der Markt die Frage des Verbotsbeantworten.Ich befürchte allerdings, dass dann der Mieter dasNachsehen hätte. Deshalb ist die gefundene Regelung,mit der über einen langen Zeitraum geplant werden kann,sinnvoll und vernünftig und im Sinne von Energieeffizienzund Klima-Verantwortung ohne ernsthafte Alternative.Deshalb lehnt die SPD-Bundestagsfraktion den vorlie-genden FDP-Antrag ab.
Die Bundesregierung will den Ersatz der von ihr als
„extrem klimaschädlich“ empfundenen Nachtstromspei-
cherheizungen in Wohnhäusern rechtlich erzwingen. Es
reicht ihr dabei nicht, einfach nur den weiteren Zubau
von Nachtstromspeicherheizungen zu verbieten, vielmehr
sollen auch die im Gebäudebestand bereits in Betrieb be-
findlichen Nachtstromspeicherheizungen entfernt werden
müssen.
Mit dem verabschiedeten Energieeinspargesetz hat die
Koalition die rechtliche Grundlage für ihr geplantes Ver-
bot geschaffen. Dabei ließ sie die Ergebnisse einer zu die-
sem Thema durchgeführten parlamentarischen Experten-
anhörung außer Betracht. Dies ist auch nachvollziehbar;
denn die Anhörung ergab gravierende Zweifel am klima-
und energiepolitischen Sinn der Maßnahme.
Eine erzwungene Außerbetriebnahme von Nacht-
stromspeicherheizungen ist aus mehreren Gründen abzu-
lehnen; denn sie ist sowohl aus der Perspektive der Res-
sourcenschonung als auch des Klimaschutzes sinnlos und
kontraproduktiv. Eine Außerbetriebnahme von Nacht-
stromspeicherheizungen führt in der Gesamtbetrachtung
nicht zu einer Emissionssenkung. Nein, im Gegenteil!
Diejenigen Haushalte, in denen Nachtstromspeicherhei-
zungen außer Betrieb genommen werden, würden sich ge-
zwungen sehen, neue Heizungsanlagen einzubauen. In
den Fällen, in denen diese mit fossilen Brennstoffen be-
trieben würden, entstünden dann zusätzliche CO2-Emis-
sionen. Denn Emissionen von Gasheizungen sind nicht
durch den Emissionshandel mit seinen festen CO2-Ober-
grenzen erfasst – der Strom für die Nachtspeicherheizun-
gen schon. Im Ergebnis werden deshalb die CO2-Emis-
sionen kurzfristig ansteigen, wenn die Bundesregierung
die Verordnungsermächtigung in die Tat umsetzt. Das
Verbot steht damit in unmittelbarem Widerspruch zu dem
Ziel, das es vorgibt, erreichen zu wollen. Eine effiziente
Nutzung von modernisierten Nachtstromspeicherheizun-
gen in einem schlüssigen Konzept aus Energiespeiche-
rung und modernem Lastmanagement würde dagegen zur
Optimierung der Energieausbeute beitragen. Schließlich
erscheint eine Modernisierung bestehender Nachtstrom-
speicherheizungen deutlich kostengünstiger und auch
energiepolitisch sinnvoller als deren aufwendige Entfer-
nung.
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Zu Risiken und Nebenwirkungen der Telekommunika-tion für die Menschen fragen Sie bitte Ihr freundlichesBMI! Ich glaube, so hat sich das Bundesverfassungsge-richt das wirklich nicht vorgestellt.
Da steht nichts von einer unabhängigen richterlichenKontrolle. Da steht nichts davon, dass Eingriffe in denKernbereich erst einmal zu unterbleiben haben, so wie esuns das Bundesverfassungsgericht auf den Weg gegebenhat. Erst einmal wird automatisch aufgezeichnet. Wieaus der Antwort auf unsere Kleine Anfrage spricht da-raus: Die Bundesregierung hält den Kernbereichsschutzoffensichtlich nur für ein Beweisverwertungsverbot.Auch da haben Sie das Bundesverfassungsgericht falschverstanden.Immerhin hat das der Bundesrat in seiner bemerkens-werten Stellungnahme deutlich hervorgehoben. Bei derGegenäußerung der Bundesregierung muss aus meinerSicht hingegen von einem vorgezogenen Aprilscherzausgegangen werden. Da steht:Die Daten werden auch nicht anlasslos erhoben,sondern nur, um Gefahren für die Informationstech-nik des Bundes abzuwehren.IvfcVwvvFltgdbDSliwsdskdTdmMtCPDwdsnnat–m1)
Damit schließe ich die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-urfs auf den Drucksachen 16/11967 und 16/12225 anie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-chlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das isticht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Das war eben zwar die letzte Rede, aber wir habenoch eine ganze Reihe von Tagesordnungspunkten abzu-rbeiten. Ich bitte, mich dabei noch ein wenig zu beglei-en; denn allein kann ich das nicht machen.
Im Übrigen brauche ich Sie auch noch zur Abstim-ung. Anlage 7
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22870 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsIch rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. PetraSitte, Monika Knoche, Heike Hänsel, weitererAbgeordneter und der Fraktion DIE LINKEÖffentlich finanzierte Pharmainnovationenzur wirksamen Bekämpfung von vernachläs-sigten Krankheiten in den Entwicklungslän-dern einsetzen– Drucksache 16/12291 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für GesundheitAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungWir nehmen die Reden zu Protokoll. Es handelt sichum die Reden der Kolleginnen und Kollegen MichaelKretschmer, CDU/CSU, René Röspel, SPD,Dr. Wolfgang Wodarg, SPD, Dr. Karl Addicks, FDP,Dr. Petra Sitte, Die Linke, und Ute Koczy, Bündnis 90/Die Grünen.
Gesundheit ist im wahrsten Sinn des Wortes ein kost-
bares und kostspieliges Gut. Die Bundesregierung inves-
tiert in den pharmazeutischen und biomedizinischen Be-
reich in beträchtlichem Umfang. Allein für die vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung eingelei-
tete „Pharma-Initiative“, die die Erforschung und Ent-
wicklung von neuen Medikamenten zum Ziel hat, werden
bis zum Jahr 2011 über 800 Millionen Euro investiert.
Und gerade für den Bereich der vernachlässigten Krank-
heiten gibt es seit Jahren viele internationale Initiativen.
So stellen wir uns einmal mehr die Frage, wieso wir
gerade im Kampf gegen vernachlässigte Krankheiten nur
langsam vorankommen. Dabei geht es immerhin um das
Leiden und Sterben von vielen Millionen Menschen jähr-
lich. Nicht nur an den drei großen todbringenden Krank-
heiten – Tuberkulose, Malaria und Aids – sterben jährlich
6 Millionen Menschen. Auch an scheinbar banalen
Durchfall- und Atemwegserkrankungen und an armuts-
bedingten Tropenkrankheiten, wie etwa der Schlafkrank-
heit oder Lepra, sterben Millionen Erwachsene und Kin-
der.
Laut Bericht der WHO sind mehr als eine Milliarde
Menschen mit einer oder mehreren vernachlässigten
Krankheiten infiziert. Der Grund: Neben unsauberem
Trinkwasser und mangelnden sanitären Anlagen fehlt es
in vielen Teilen der Welt immer noch an einer hinreichen-
den gesundheitlichen Versorgung. Immer noch ist ein
Drittel der Weltbevölkerung von einer essenziellen medi-
zinischen Versorgung ausgeschlossen. Eine der Hauptur-
sachen ist der enorme finanzielle und zeitliche Aufwand
für die Entwicklung von Medikamenten wie Impfstoffen.
Das Risiko, dass sie es nicht bis zur Produktionsreife
schaffen, ist dabei so hoch, dass viele Pharmaunterneh-
men die Finger davon lassen.
Der Markt für Impfstoffe gegen Armutskrankheiten ist
hiervon besonders betroffen. Pharmafirmen sehen hier
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22872 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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22874 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22875
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ufgaben besser koordinieren und ihre jeweiligen Zu-tändigkeiten auch für Außenstehende klarer definieren.Armutskrankheiten müssen endlich als eine globaleufgabe angesehen werden und auch als solche angegan-en werden. Das erfordert eine kooperative Zusammen-
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22876 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
Dr. Petra Sittegebene Reden
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22877
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)
Ute Koczyarbeit von staatlichen und multilateralen Institutionen,von Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/12291 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlos-
sen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend zu dem An-
trag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
Bürgerschaftliches Engagement umfassend
fördern, gestalten und evaluieren
– Drucksachen 16/11774, 16/12202 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Markus Grübel
Sönke Rix
Sibylle Laurischk
Elke Reinke
Ekin Deligöz
Die Reden der Kolleginnen und Kollegen Markus
Grübel, CDU/CSU, Sönke Rix, SPD, Sibylle Laurischk,
FDP, Elke Reinke, Die Linke, Britta Haßelmann, Bünd-
nis 90/Die Grünen, nehmen wir zu Protokoll.
Es gibt mehr als 23 Millionen freiwillig engagierte
Menschen in Deutschland. Dies entspricht 36 Prozent der
über 14-jährigen Bürgerinnen und Bürger. Ohne sie
würde das Zusammenleben, wie wir es kennen, nicht
funktionieren. Das klingt gut; wenn man jedoch genau
hinsieht, muss man feststellen, dass sich das klassische
Ehrenamt in einer Krise befindet. Immer weniger Men-
schen sind bereit, sich langfristig und zeitaufwendig in
Verbänden, Vereinen, in kirchlichen Institutionen etc. zu
binden bzw. freiwillig zu engagieren. 53 Prozent der Be-
völkerung sind in keiner Organisation Mitglied.
Für diese Menschen müssen neue Anreize, Möglich-
keiten geschaffen werden, sich einzubringen. Gerade
beim Engagement der Jugend liegen große Potenziale.
Jedoch engagieren sich von den 16-Jährigen gerade ein-
mal 20 Prozent freiwillig. Bei den 14-Jährigen sind es so-
gar nur 18 Prozent. Bei den älteren Jugendlichen zeichnet
sich wieder ein höheres Interesse ab, zumindest wenn
man das Interesse an den Jugendfreiwilligendiensten, die
wir im letzten Jahr gesetzlich neu geregelt haben, zu-
grunde legt. 23 000 junge Menschen engagieren sich hier.
Darüber hinaus müssen wir die Potenziale der Rent-
ner und Pensionäre verstärkt mit einbeziehen. Statistisch
gesehen, verbringt ein Rentner ein Viertel seines Lebens
im Ruhestand. Viele Menschen, auch im hohen Alter, wol-
len gesellschaftliche Aufgaben übernehmen. Wir benöti-
gen also die „aktiven Alten“. Heute sind bereits über
30 Prozent von ihnen freiwillig engagiert. Weitere
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22879
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22880 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22881
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rünen nicht wieder. Das ginge auch nicht, weil er näm-ich erklärt, dass die geforderte Einbeziehung von Um-eltkosten mit den von den Grünen vorgeschlagenen In-ikatoren nicht möglich ist. Prima wäre jetzt gewesen,enn der Sachverständigenrat selbst eine Lösung vorge-chlagen hätte, wenn er das Problem doch wenigstens er-ennt.Das große Problem ist immer noch, dass Umweltver-rauch keinen bezifferbaren Wert hat. Das liegt an dericht vollständig vorhandenen Festlegung, welche Wertend Orientierungen im Zusammenhang mit der umwelt-konomischen Gesamtrechnung als nachhaltig angese-en werden. Zusätzliche normative Vorgaben, die lautahresgutachten notwendig sind, machen den Unter-chied zum volkswirtschaftlichen Rechnungswesen ausnd machen es deshalb schwierig, „bei der Diagnose deresamtwirtschaftlichen Entwicklungen die Ergebnisseer umweltökonomischen Gesamtrechnungen zu berück-
Es hat den Anschein, als seien die von den Grünen vor-eschlagenen Indikatoren nicht geeignet, eine Umweltbe-ichterstattung außerhalb der umweltökonomischen Ge-amtrechnung zu gewährleisten. Diese zu finden, ist dieerausforderung der nächsten Zeit.Richtig ist aber, dass Umweltverbrauch und Umwelt-erschmutzung einen negativen Wert bekommen müssen,enn die Entwicklung eines Landes analysiert wird undaraus Folgerungen für die Zukunft geschlossen werdenollen.Dafür sollte aber in den Ausschussberatungen geprüfterden, ob neue und qualitativ angelegte Indikatoren fürine Umweltberichterstattung herangezogen und dannpäter für Prognosen und Analysen verwendet werdenönnen oder aber normativ Werte festgesetzt werden müs-en, mit denen Umweltverbrauch in den Gesamtrechnun-en zu berücksichtigen ist. Der Sachverständigenrat istingeladen, mitzudenken.
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22882 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
Dr. Michael Fuchsgebene Reden
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Das Ziel des Sachverständigenrates ist die Beobach-
tung des Vierecks aus Stabilität des Preisniveaus, hohem
Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleich-
gewicht bei stetigem und angemessenem Wachstum.
Demgegenüber dokumentieren die Umweltökonomischen
Gesamtrechnungen , inwieweit die Natur durch die
Wirtschaft und die privaten Haushalte verbraucht, ent-
wertet oder gar zerstört wird. Hier wird bereits das
Kernproblem dieses Antrags von Bündnis 90/Die Grünen
klar: Die monetäre Bewertung von Umweltvermögen und
-schäden usw. ist sehr schwierig, da keine Marktpreise
existieren. Die Grundverschiedenheit in den Ansätzen
macht deutlich, dass eine Erweiterung der Aufgabe des
Sachverständigenrates keinen zusätzlichen Erkenntnis-
gewinn bringen würde. Ist ein Null- oder Minuswachstum
bei hoher Arbeitslosigkeit deswegen erträglicher, weil die
UGR ein positives Ergebnis zeigen?
Ich halte die Einbeziehung in die Volkswirtschaftlichen
Gesamtrechnungen bzw. die Gemeinschafts-
diagnose für nicht sinnvoll. Eine gemeinschaftliche Kon-
junkturprognose, die führende deutsche Wirtschaftsfor-
schungsinstitute jeweils im Frühjahr und im Herbst eines
Jahres erstellen, kann in Zukunft schwerlich vorhersehen,
wie viel Natur durch das prognostizierte Wachstum ver-
braucht wird. In diesem Fall müsste es einen klaren Zu-
sammenhang zwischen größerer Wertschöpfung bzw.
Wirtschaftswachstum und Naturverbrauch geben. Die
Entwicklung des Energieverbrauchs zeigt, dass es diesen
Zusammenhang nicht gibt. Der Energieverbrauch ist im
Laufe der Zeit weniger stark angestiegen als das BIP.
Diese Entkopplung zeigt, dass aus mehr Wachstum ge-
rade nicht auf mehr Verbrauch an „sauberer Luft“ oder
an Ressourcen geschlossen werden kann.
Das Bruttoinlandsprodukt als zentraler Schwer-
punkt der VGR ist natürlich kein vollkommen befriedigen-
der Wohlfahrtsindikator. Die Gründe dafür liegen aber
nicht nur an den von Bündnis 90/Die Grünen formulierten
Schwächen. Für im BIP unberücksichtigte Faktoren wie
wohlfahrtssteigernde Bildungsmöglichkeiten oder die
Gesundheitsversorgung wurden allerdings extra Sozial-
indikatoren von der OECD entwickelt.
Neben den „Wirtschaftsweisen“ gibt es zudem bereits
einen Sachverständigenrat für Umweltfragen. Die Ergeb-
nisse der UGR werden überdies ohnehin veröffentlicht
und können zur Bewertung einzelner Sachverhalte bei
Bedarf herangezogen werden. Vor diesem Hintergrund
sollten die Gutachten der Wirtschaftsweisen und der Kon-
junkturinstitute nicht überfrachtet werden.
Die Erfassung von Umweltschäden und deren monetäre
Bewertung sind schwierig, da keine realen Marktpreise
existieren. Dementsprechend ließen sich wirklichkeits-
fremde Berechnungen durch ungenaue Schätzungen und
Fehler beim Erstellen der UGR nicht vermeiden. Würden,
wie es Bündnis 90/Die Grünen hier vorschlägt, diese Be-
rechnungen dennoch mit einbezogen, führte dies unwei-
gerlich zu unsichereren Ergebnissen statt zu einer präzi-
seren Gemeinschaftsdiagnose bzw. Begutachtung der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Erschwerend
kommt hinzu, dass anders als bei den VGR, bei den UGR
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22884 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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. Auch jetzt, in der Wirtschaftskrise, starren wir
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Die Zeiten ändern sich, löste die Volkszählung 1983och eine große Protestbewegung aus, so können wireute in der entwickelten Informationsgesellschaft unauf-eregt über den europaweiten Zensus 2011 reden. Dieundesregierung hat dazugelernt, die staatlichen Zählerringen nicht mehr mit Fragebögen in die Wohnungener Bürgerinnen und Bürger ein und stellen Fragen, dieief in das Privatleben eindringen. Die Volkszählungsboy-ottbewegung hat damals das Volkszählungsurteil erstrit-en, und das war gut so. Wir haben heute das Grundrechtuf informationelle Selbstbestimmung, und auf dieserrundlage findet der Zensus 2011 statt.Der Staat braucht statistische Informationen, um Poli-ik für die Zukunft planen zu können. Der Staat verfügteute über eine große Menge von Datenmaterial – mehrls uns manchmal lieb ist –, und es ist richtig, dass nicht
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22898 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
Gisela Piltzgebene Reden
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Silke Stokar von Neufornalles neu erfasst wird, sondern auf das vorhandene Mate-rial zurückgegriffen wird. Im Zensusvorbereitungsgesetzist festgelegt, dass die Daten zur Volkszählung 2011 ausden Melderegistern der Kommunen und aus dem Daten-bestand der Bundesagentur für Arbeit entnommen wer-den sollen. Länder und Kommunen sind mit dem Zensus-vorbereitungsgesetz aufgefordert, ihre Daten auf einenaktuellen Stand zu bringen und an den Bund zu liefern. Zu-sätzlich werden 25 Millionen Einwohner, davon 17,5 Mil-lionen Wohnungseigentümer, persönlich befragt. Nachder vorläufigen Kalkulation des Statistischen Bundesam-tes und der statistischen Ämter der Länder werden wahr-scheinlich 527,81 Millionen Euro an Gesamtkosten ent-stehen. Davon will der Bund 44,81 Millionen Eurotragen, die Länder sollen 483 Millionen Euro der Ge-samtkosten übernehmen. Lassen Sie mich an dieser Stellesagen, wir sehen in der Frage der Kostenaufteilung wei-teren Klärungsbedarf und haben sehr wohl Verständnisfür die Forderungen aus dem Bundesrat, dass die Kostenzwischen Bund und Ländern hälftig geteilt werden. Wirsetzen uns für eine faire Kostenverteilung zwischen Bundund Ländern ein und fordern, dass das Bundesamt fürStatistik die analysierten Daten so bald wie möglich denLändern und Kommunen zur Verfügung stellt.Der Bundesrat sieht auch inhaltlichen Korrekturbe-darf, wir sollten in der geplanten Anhörung des Innen-ausschusses die Anregungen aus den Ländern und natür-lich aus dem Bereich des Datenschutzes sorgfältig prüfen.Eine formale Eins-zu-eins-Umsetzung des EU-Beschlus-ses darf schon angesichts der enormen Kosten, die derZensus 2011 verursacht, nicht dazu führen, dass wichtigeInformationen, die wir national für erforderlich halten,nicht erhoben werden. Ich möchte hier insbesondere aufden Migrationsbereich verweisen. Eine gezielte Integra-tionspolitik braucht wissenschaftlich analysiertes Zah-lenmaterial, und hier muss sorgfältig geprüft werden, obnicht das eine oder andere Merkmal zusätzlich abgefragtwerden soll. Wenn wir Anonymisierung und Datenschutzsicherstellen, spricht nichts dagegen, Informationen überEinbürgerungen, Herkunftsländer oder Bildungsab-schlüsse für Eingewanderte auszuwerten, und auch derstrittige Punkt der Aufnahme der Religion als Merkmalmuss erneut sachlich diskutiert und bewertet werden.Politik braucht Planungsdaten, und dazu gehört alsFundament eine verlässliche Bevölkerungsstatistik. DieZahl der Einwohnerinnen und Einwohner in unserenKommunen entscheidet über die Zuschnitte von Bundes-tagswahlkreisen, sie ist Grundlage für eine gerechte Ver-teilung der Steuerlasten, sie ist Berechnungsgrundlagefür den kommunalen Finanzausgleich, und sie regelt denFinanzausgleich zwischen Deutschland und Europa. Beider zusätzlich geplanten Gebäudeerhebung ist allerdingsdarauf zu achten, ob diese Daten wirklich alle gebrauchtwerden.Wir werden beim Zensus 2011 darauf achten, dass derGrundsatz der „Einbahnstraße“ von statistischen Datengewahrt bleibt, es keine Speicherung über den erforderli-chen Zeitraum hinaus gibt und Zugriffe Dritter auf dieDaten ausgeschlossen bleiben. Wir erwarten, dass derDatenschutzbeauftragte des Bundes und die Daten-sZt2wneshgCSWPd
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
– Drucksache 16/12280 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung luftverkehrsrechtli-
cher Vorschriften
– Drucksache 16/12279 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errich-
tung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsi-
cherung und zur Änderung und Anpassung
weiterer Vorschriften
– Drucksache 16/11608 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss
Auch die Reden hierzu nehmen wir zu Protokoll. Es
andelt sich um die Reden der Kolleginnen und Kolle-
en Clemens Binninger und Norbert Königshofen,
DU/CSU, Klaus Uwe Benneter und Uwe Beckmeyer,
PD, Jan Mücke, FDP, Dorothée Menzner, Die Linke,
infried Hermann, Bündnis 90/Die Grünen, und des
arlamentarischen Staatssekretärs Ulrich Kasparick für
ie Bundesregierung.
)
)
Der Einheitliche Europäische Luftraum hat zum Ziel,
die bisherige, weitgehend nationale Einteilung der Luft-
räume in ein europaweites System zu überführen. Mit dem
Einheitlichen Europäischen Luftraum können von Flug-
gesellschaften verstärkt direkte Flugkorridore verwendet
werden. Das erspart Umwege und Zeit, Kerosin und Geld.
Letztlich können dadurch bis zu 12 Prozent der CO2-
Emissionen – also etwa 11,2 Millionen Tonnen – einge-
spart werden. Der Einheitliche Europäische Luftraum
stellt also ein wichtiges Element zur Verbesserung der
Gesamtwirtschaftlichkeit und Effizienz des Flugverkehrs
dar, wie auch zur Reduktion von Treibhausgasen.
Die wesentlichen Vorschriften zum Single European
Sky stammen aus dem Jahr 2004. Heute beraten wir die
notwendigen Gesetzänderungen, um die Vorgaben für
den Einheitlichen Europäischen Luftraum in Deutsch-
land umzusetzen.
Zu diesen notwendigen Rechts- und Strukturanpassun-
gen gehört auch eine Änderung des Art. 87 d Grundge-
setz, die wiederum die Voraussetzung für die Änderung
verschiedener luftverkehrsrechtlicher Vorschriften und
Gesetze ist.
Mit der Änderung des Art. 87 d wird erstens klarge-
stellt, dass die Luftverkehrsverwaltung allgemein der
Bundesverwaltung zugeordnet ist. Damit bleibt sie Ho-
heitsaufgabe – soweit dem das Recht der Europäischen
Gemeinschaft nicht entgegensteht. Sie muss aber nicht
mehr durch Behörden der unmittelbaren Bundesverwal-
tung oder von der bundeseigenen Verwaltung zugerech-
neten organisationsprivatisierten Einrichtungen durch-
geführt werden. Vielmehr können damit Aufgaben der
Luftverkehrsverwaltung auch durch die mittelbare Bun-
desverwaltung einschließlich privater Beliehener durch-
geführt werden. Dies ist nicht nur aus fachlicher Sicht un-
verzichtbar, sondern entspricht auch der aktuellen Praxis
unter anderem bei Flugsicherungsbetriebsdiensten sowie
Flugwetterdiensten an kleineren Flughäfen und ist auch
vom Gemeinschaftsrecht so vorgesehen. Darüber hinaus
wird die Möglichkeit geschaffen, technische Unterstüt-
zungsdienste, insbesondere sogenannte CNS-Dienste
– also Communication, Navigation, Surveillance –, aus
der hoheitlichen Luftverkehrsverwaltung herauszuneh-
men, wie es das geltende europäische Recht schon heute
vorsieht.
Zweitens schaffen wir die Voraussetzungen, um gemäß
der Single-European-Sky-Verordnungen funktionale Luft-
raumblöcke einrichten zu können. Dies wird über staats-
vertraglich vereinbarte Kooperation zwischen den
Mitgliedstaaten geschehen. Zur Einrichtung dieser Luft-
raumblöcke muss die grenzüberschreitende Zusammen-
arbeit von nationalen Flugsicherungsorganisationen er-
möglicht und intensiviert werden. Dazu ist es notwendig,
dass auch ausländischen, nach EU-Recht zugelassenen
Flugsicherungsorganisationen entsprechende Flugsiche-
rungsaufgaben in Deutschland übertragen werden kön-
nen. Eine solche Kooperation kann darüber hinaus auch
unabhängig von europarechtlich zwingenden Vorgaben
geschehen, wenn es zum Beispiel aus technischer oder
praktischer Hinsicht etwa bei Regionalflugplätzen oder
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Zu Protokoll ge
Das bisherige, national organisierte System der Flug-icherung ist bereits vor geraumer Zeit an seine Grenzenestoßen. Schon seit Jahren haben wir auch in Deutsch-and eine grenzüberschreitende Flugsicherung; so wirdeispielsweise der an die Schweiz grenzende südwest-eutsche Raum durch die schweizerische Skyguide kon-rolliert. Seit 2007 nehmen Lotsen der österreichischenustro Control Flugverkehrskontrolldienste an einereihe deutscher Regionalflughäfen wahr. Beides ist beitrenger Auslegung des Grundgesetzes nicht verfassungs-onform.Der Flugverkehr hatte in den letzten Jahren außeror-entliche Wachstumsraten. Allgemein geht man davonus, dass unabhängig von der derzeitigen Wirtschafts-nd Finanzkrise sich die Flüge in Europa bis zum Jahr
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22900 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
gebene Reden
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2020 gegenüber 2005 an Zahl verdoppeln werden. Schonheute ist der Himmel über Mitteleuropa hoffnungslosüberlastet. Besonders führen die Kapazitätsengpässerund um die Drehkreuze Paris, Frankfurt und London im-mer häufiger zu Ehrenrunden in der Luft und Stauungenam Boden.Nach Berechnungen der International Air TransportAssociation summierten sich allein im Jahr 2007die durch die fragmentierte Überwachung verursachtenVerspätungen auf eine Dauer von 40 Jahren. Das bedeu-tet 468 Millionen unnötige Flugkilometer oder 16 Millio-nen Tonnen unnütz in die Atmosphäre geblasene Abgase.Daher soll ein einheitlicher europäischer Luftraumgeschaffen werden, indem aus den derzeitig 60 Luftraum-kontrollstellen der 27 nationalen Flugsicherungenmehrere große Einheiten gebildet werden, sogenannteFunctional Airspace Blocks . Neben dem ökonomi-schen Aspekt ist hier auch der ökologische Nutzen her-vorzuheben. So kann der CO2-Ausstoß laut Berechnun-gen um rund 1 800 000 Tonnen verringert werden.Deutschland, Belgien, Frankreich, Luxemburg, dieNiederlande sowie die Schweiz wollen den „FunctionalAirspace Block European Central“ bilden. Da-für ist es allerdings notwendig, dass wir auch in Deutsch-land eine europarechtskonforme Ausgestaltung der Flug-sicherung durch die Regelung des Luftverkehrsgesetzesermöglichen. Neben der Deutsche Flugsicherung GmbH
müssen auch andere ausländische – nach dem
Recht der Europäischen Gemeinschaft zertifizierten –Flugsicherungsorganisationen in die Luftverkehrsver-waltung des Bundes eingebunden werden können, so wiedie DFS auch jenseits der deutschen Grenze tätig werdenkönnen soll. Um dies zu ermöglichen und den gesetzwid-rigen Zustand in Deutschland zu beseitigen, müssen wirdie Vorschrift, dass die Luftverkehrsverwaltung in bun-deseigener Verwaltung geführt wird, im Art. 87 d desGrundgesetzes durch eine europarechtskonforme Fas-sung ersetzen.Ich bitte Sie dringend, der Anpassung des Grundgeset-zes und der übrigen Änderungen luftverkehrlicher Vor-schriften zuzustimmen. Es ist ein wichtiger unverzichtba-rer Schritt auf dem Weg zur Schaffung eines einheitlichkontrollierten europäischen Luftraums.
Der vorliegende Gesetzentwurf hat den Zweck, dieLuftverkehrsverwaltung in Deutschland den Realitätenund den Vorgaben der europäischen SES-Verordnungenanzupassen. Dazu soll – man ist fast versucht zu sagen:wieder einmal – das Grundgesetz geändert werden.Zurzeit verpflichtet uns Art. 87 d GG, die Luftverkehrs-verwaltung in bundeseigener Verwaltung zu führen. Wasbedeutet das? Wir müssen feststellen: Schon in der Aus-legung dieses Begriffes ist man sich nicht einig. Die Ver-fassungsliteratur versteht diesen Begriff weit. Sowohl dieunmittelbare als auch die mittelbare Staatsverwaltungsoll davon umfasst sein. Damit könnte die Flugsicherungin Deutschland durch eigene und rechtlich unselbststän-dudfVkltDaxldudtizbdnVeFZnrgprVKuatdrGrkslftlbsmiUAowZu Protokoll ge
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gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neure-
gelung der abfallrechtlichen Produktverant-
wortung für Batterien und Akkumulatoren
– Drucksachen 16/12227, 16/12301 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Schadstoffbelastung durch Batterien begrenzen
– Drucksache 16/11917 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Auch die Reden zu diesen Tagesordnungspunkten
ehmen wir zu Protokoll. Es handelt sich um die Reden
er Kolleginnen und Kollegen Michael Brand, CDU/
SU, Gerd Bollmann, SPD, Horst Meierhofer, FDP, Eva
ulling-Schröter, Die Linke, Sylvia Kotting-Uhl, Bünd-
is 90/Die Grünen.
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Mit der Umsetzung der Richtlinie der EU aus demJahre 2006 durch die Neuregelung des Gesetzes zur Neu-regelung der abfallrechtlichen Produktverantwortung fürBatterien und Akkumulatoren wird ein weiterer und einwichtiger Schritt beim umweltschonende Umgang mitden für den Verbraucheralltag wie für die Industrie dyna-misch an Bedeutung zunehmenden Einsatz von mobilerVersorgung mit elektrischer Energie durch Batterien undAkkus getan.Dass wir angesichts aktueller umweltrelevanter De-batten um Umweltprämien, Energiesparleuchten undBiokraftstoffe auch die kleinen und großen „Helferlein“im privaten und wirtschaftlichen Alltag mit besondererSorgfalt im Blick auf deren Lebensende – oder neu-deutsch „end of cycle“ – betrachten, gehört zu denGrundvoraussetzungen einer von der CDU/CSU verfoch-tenen Linie, die eine Fortentwicklung der auf Ressour-censchonung und ökologische Sensibilität ausgerichtetensozialen Marktwirtschaft verfolgt.Dazu zählt auch die weitere Reduzierung der Schad-stoffgehalte in den Produkten, hier Cadmium, sowie dieKennzeichnungspflicht, die für die Käufer eine klare An-gabe zu Schadstoffgehalt und Kapazität beinhaltet.Den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen werden wir indiesem Zusammenhang ebenso im Ausschuss beraten.Wie nicht selten sind in diesen Anträgen prinzipiell rich-tige mit operativ falschen Ansätzen und Zielen vermischtworden. Doch dazu wird man sich im Ausschuss und beiden Schlussberatungen näher austauschen können.Da beim Stand der Technik bei der Produktion vonBatterien und Akkus wertvolle, knappe sowie sehr um-weltschädliche Ressourcen verbraucht werden, sollen mitder Umsetzung der EU-weit gültigen Richtlinie Abfall-stoffe besser als bislang erfasst werden, um Ressourcendurch Rohstoffrückgewinnung zu schonen und hohe Um-weltbelastungen deutlich zu reduzieren. So werden durchdie vorgesehene Steigerung der Sammelquote bereits bis2012 auf mindestens 35 Prozent sowie bis 2016 auf dann45 Prozent weitere, zusätzliche regulatorische Anreizezur Sammlung und Wiederverwertung gegeben und einedie Umwelt belastende Entsorgung von Altbatterien wei-ter eingeschränkt.Dass wir in Deutschland dabei auf ein seit 10 Jahrenerprobtes System der GRS aufsetzen können, in dem pri-vate Wirtschaft und kommunale Entsorgungsträger eineinsgesamt gut funktionierende, wenn auch verbesse-rungsfähige Erfassungs- und Sammelstruktur für Altbat-terien installiert und im Dauerbetrieb umgesetzt haben,kann in diesem Zusammenhang positiv verbucht werden.Wenn in der Umsetzung des Gesetzes nun Fragen sei-tens der Produzenten aufgeworfen werden und von dieserSeite eine Beibehaltung der von den Kommunen bzw. denöffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern heute er-brachten Leistungen im Zusammenhang mit der Samm-lung von Altbatterien verlangt wird, ist dies eine interes-sante ordnungspolitische Einlassung, der wir in denAusschussberatungen im Detail noch werden nachgehenmüssen.LleUsHfHbtaHvwpsolicsvwbdDdlReglwugBwgurmtsweszbgDwansZu Protokoll ge
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22916 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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(C)
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Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 16/12230 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es20 Prozent zu kompensieren, ist lediglich ein Zuwachsvon 2 bis 3 Prozent an wieder aufladbaren Batterien er-forderlich. Die Substitution von Einweg- durch Mehrweg-batterien ist zudem ganz im Sinne der EU-Richtlinie zurVermeidung der Umweltverschmutzung, IVU, und desKonzeptes der Integrierten Produktpolitik. Beide Regel-werke sind darauf angelegt, Umweltbelastungen entlangder ganzen Herstellungslinie zu reduzieren.Alte Batterien sollen umweltverträglich verwertet wer-den. Dazu ist eine Verdoppelung der bisherigen Sammel-quote erforderlich. Deutschland kann das schaffen. Eslässt sich leicht erreichen, wenn ein Pfand erhoben wird,so wie wir es in unserem Antrag „Schadstoffbelastungdurch Batterien begrenzen“, Drucksache 16/11917, vor-schlagen.Was die wirklich zweckdienlichen Schritte zur abfall-rechtlichen Produktverantwortung bei Batterien und Ak-kumulatoren wären, haben wir in dem hier zur Debattegestellten grünen Antrag benannt. Den Entwurf des Bat-teriegesetzes lehnen wir in der vorgelegten Form ab. Diegröbsten Mängel am Gesetzentwurf werden die Grünendurch Änderungsanträge im Fachausschuss zu heilenversuchen, und ich freue mich auf eine hoffentlich inhalt-lich getragene parlamentarische Auseinandersetzung.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 16/12227, 16/12301 und 16/11917 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 39 e auf:
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Gesetzes zur Errichtung einer „Stif-
tung Denkmal für die ermordeten Juden
Europas“
– Drucksache 16/12230 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
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1)
2)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 16/12284 an die in der Tagesordnung aufge-
ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
o beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf morgen, Freitag, den 20. März 2009, 9 Uhr,
in.
Die Sitzung ist geschlossen.