Anlage 8
Anlage 9
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22921
(A) )
(B) )
für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates Die Linke teilt deren Bedenken.
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
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Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
19.03.2009
Brüderle, Rainer FDP 19.03.2009
Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
19.03.2009
Granold, Ute CDU/CSU 19.03.2009
Hill, Hans-Kurt DIE LINKE 19.03.2009
Hinz (Essen), Petra SPD 19.03.2009
Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
19.03.2009
Dr. Keskin, Hakki DIE LINKE 19.03.2009*
Korte, Jan DIE LINKE 19.03.2009
Kunert, Katrin DIE LINKE 19.03.2009
Laurischk, Sibylle FDP 19.03.2009
Lehn, Waltraud SPD 19.03.2009
Lintner, Eduard CDU/CSU 19.03.2009*
Lips, Patricia CDU/CSU 19.03.2009
Merz, Friedrich CDU/CSU 19.03.2009
Reichenbach, Gerold SPD 19.03.2009
Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 19.03.2009
Schily, Otto SPD 19.03.2009
Dr. Schmidt, Frank SPD 19.03.2009
Scholz, Olaf SPD 19.03.2009
Segner, Kurt CDU/CSU 19.03.2009
Tauss, Jörg SPD 19.03.2009
Wolff (Wolmirstedt),
Waltraud
SPD 19.03.2009
Zimmermann, Sabine DIE LINKE 19.03.2009
(C
(D
Anlagen zum Stenografischen Bericht
nlage 2
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung
– des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung
des Datenschutzaudits und zur Änderung
datenschutzrechtlicher Vorschriften
– der Beschlussempfehlung und des Berichts
zu der Unterrichtung: Tätigkeitsbericht
2005 und 2006 des Bundesbeauftragten für
den Datenschutz und die Informationsfrei-
heit – 21. Tätigkeitsbericht –
(Tagesordnungspunkt 13 a und b)
Petra Pau (DIE LINKE): Darüber ist zu sprechen:
Erstens. Wir diskutieren heute über einen Bericht des
undesbeauftragten für Datenschutz. Der Bericht ist
und zweieinhalb Jahre alt, also asbach-uralt. Inzwischen
urde ein Datenskandal nach dem anderen publik. Wir
önnten also genauso über die Bundesligasaison 2005/
006 debattieren. Das wäre möglicherweise sogar span-
ender, aber ebenso brotlos.
Zweitens. Brotlos ist es auch deshalb, weil bisher
eine Debatte des Bundestages über einen Bericht des
undesbeauftragten für Datenschutz wirklich zu Konse-
uenzen geführt hat. Bestenfalls haben die Fraktionen
emeinsam Mängel beklagt. Aber immer nur nach dem
otto: „Gut, dass wir mal darüber geredet haben!“ Mehr
ar nie.
Drittens. Der Bericht des Datenschutzbeauftragten
nthält viele Warnzeichen. Ich nenne nur Stichworte:
orratsdatenspeicherung, Antiterrordatei, biometrische
aten in Ausweisen und Pässen. Ich könnte die Liste der
atenrisiken fortsetzen, aber übergreifend ist: Alle War-
ungen wurden verlässlich in den Wind geschlagen.
Viertens. Deshalb wiederhole ich für Die Linke nur
weierlei: Das Amt des Datenschutzbeauftragten muss
ufgewertet werden – politisch, personell und finanziell.
nd wir brauchen endlich ein Datenschutzrecht des
1. Jahrhunderts. Beides wird durch die Union und
urch die SPD bislang blockiert. Darüber wäre endlich
u sprechen.
Fünftens. Mit zur Debatte steht der Entwurf für ein
atenschutzauditgesetz. Dazu wird es demnächst auch
ine Anhörung von Experten geben. Heute mache ich le-
iglich darauf aufmerksam, dass vielen der Gesetzent-
urf nicht weit genug geht. Zu den Kritikern gehören
atenschützer und Verbraucherschützer. Die Fraktion
22922 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
(A) )
(B) )
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Faire Wettbewerbs-
bedingungen für Öffentlich Private Partner-
schaften schaffen (Tagesordnungspunkt 15)
Dr. Ole Schröder (CDU/CSU): Öffentlich-private
Partnerschaften, kurz ÖPP, verfolgen das Ziel, durch
eine langfristige Zusammenarbeit zwischen öffentlicher
Hand und privater Wirtschaft Infrastruktur effizienter
bereitstellen zu können. Sie sind die Alternative zur kon-
ventionellen Bereitstellung durch die öffentliche Hand
auf der einen und materieller Privatisierung auf der an-
deren Seite.
Andere Länder, allen voran Großbritannien, haben
mit dieser Form der Beschaffung sehr gute Erfahrungen
gemacht. In Deutschland stehen wir gerade auf Bundes-
ebene mit diesem Ansatz noch am Anfang. Das Poten-
zial ist längst noch nicht ausgeschöpft. Das Besondere
an öffentlich-privaten Partnerschaften ist der sogenannte
Lebenszyklusansatz. Das bedeutet, dass planen, bauen,
betreiben und finanzieren eines Projektes in einer Hand
liegen. Die Vorteile eines solchen Ansatzes sind offen-
sichtlich: Ist jemand nicht nur, wie im Fall der konven-
tionellen Beschaffung, für die Planung oder das Bauen
eines Gebäudes verantwortlich, sondern auch für das Be-
treiben, dann berücksichtigt derjenige auch die Heraus-
forderungen, die das Betreiben mit sich bringt. Das zeigt
sich zum Beispiel bei der Wahl der Fenster, die er reini-
gen lassen muss oder bei der Auswahl von langlebigen
Baumaterialien. Der Lebenszyklusansatz von ÖPP ver-
langt eine ausgewogene Risikoverteilung über die Ver-
tragslaufzeit. Wenn der Private über die gesamte Projekt-
laufzeit Risiken trägt, hat er ein eigenes Interesse an
optimierten Kosten, Terminen und Qualitäten. Das führt
zu Synergieeffekten und vor allem zu Kostenersparnis-
sen, von denen der Bund, die Länder und die Gemeinden
profitieren. Denn angesichts geringer finanzieller Spiel-
räume sind neue Wege und Lösungen gefragt, um den
Spagat zwischen einer guten Infrastruktur und soliden
Finanzen zu schaffen.
Aber ein ÖPP-Projekt bringt nicht nur Vorteile für die
öffentliche Hand, sondern vor allem auch für den Nut-
zer: Die Menschen können sich durch die vertraglichen
Regelungen auf eine zügige Umsetzung verlassen, und
gleichzeitig wird durch ÖPP langfristig eine Instandhal-
tung und Unterhaltung auf hohem Niveau sichergestellt.
Um die Vorteile, die ÖPP-Projekte bieten, wirkungs-
voll nutzen zu können, sind die Rahmenbedingungen für
ÖPP in den letzten Jahren verbessert worden: Im Som-
mer 2008 ist mit der Gründung der Partnerschaften
Deutschland ein weiterer Schritt zur Förderung von ÖPP
gemacht wurden. Die Kompetenzen und das Know-how
sollen dort gebündelt werden. Die Erfahrungen aus bis-
herigen Projekten können so effektiv genutzt werden.
Trotzdem gilt es, die Rahmenbedingungen weiter zu
verbessern, denn aufgrund der Effizienzvorteile von
ÖPP können auch die Haushaltsgrundsätze Sparsamkeit
und Wirtschaftlichkeit besser erfüllt werden. Deshalb ist
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s konsequent anzuregen, dass ÖPP auch in der Bundes-
aushaltsordnung ausreichend berücksichtigt werden:
ann immer geprüft wird, welches die wirtschaftlichste
ariante ist, muss auch die Möglichkeit einer öffentlich-
rivaten Partnerschaft mit einbezogen werden. Stellt sich
eraus, dass Private eine staatliche Aufgabe besser er-
ringen, müssen auch Private damit beauftragt werden.
Im Umkehrschluss bedeutet dies nicht, dass sich die
ffentliche Hand grundsätzlich für ÖPP entscheiden
uss. Es ist wichtig, dass ein sorgfältiger Vergleich auf
asis von Marktpreisen für alle Realisierungsvarianten
orgenommen wird. ÖPP muss aber eine dieser mögli-
hen Varianten sein. Insofern ist die Festschreibung in
er Bundeshaushaltsordnung, die der Antrag „Faire
ettbwerbsbedingungen für ÖPP schaffen“ vorsieht,
ichtig.
In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass
s sinnvoll ist, noch weitere Änderungen der Bundes-
aushaltsordnung vorzunehmen, um die Bedingungen
ür ÖPP zu erleichtern. Derzeit zwingt die Bundeshaus-
altsordnung dazu, die Finanzierungskosten von ÖPP in
em entsprechenden Fachetat zu etatisieren. Das führt zu
iner deutlichen Benachteiligung gegenüber der konven-
ionellen Beschaffung. Bei der konventionellen Variante
erden die gesamten Finanzierungskosten im Einzelplan
0 etatisiert. Diese Ungleichbehandlung muss beseitigt
erden. Sie führt in den einzelnen Ressorts dazu, dass
ich gegen ÖPP entschieden wird, da die Finanzierungs-
osten bei anderen Ausgaben eingespart werden müssen.
enn ÖPP eine mögliche Realisierungsvariante ist, dann
üssen wir auch dafür sorgen, dass die Wettbewerbsbe-
ingungen für alle Varianten gleich sind. An diesem
unkt besteht Nachholbedarf.
Aber nicht nur die Haushaltsordnung ist der Grund
ür die unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen.
ine weitere Benachteiligung fällt besonders ins Ge-
icht: Öffentlich-private Partnerschaften sind aufgrund
es Lebenszyklusansatzes mitunter effizienter als die
onventionelle Beschaffung. Trotzdem ist ÖPP für den
aushalt des Auftraggebers nicht immer die kostengüns-
igere Variante, weil die Finanzströme dem entgegenste-
en: Vergibt zum Beispiel eine Kommune personalinten-
ive Aufträge im Rahmen von ÖPP, muss Umsatzsteuer
ezahlt werden. Diese wird aber nicht vollständig an die
ommune zurückgeführt. Wenn die Kommune hingegen
igenes Personal beschäftigt, fällt keine Umsatzsteuer
n. Deshalb lohnen sich besonders personalintensive
PP-Projekte für die Kommune häufig nicht, obwohl sie
esamtstaatlich und auch für den Nutzer sinnvoll wären.
iese Umsatzsteuerproblematik ist ein eindeutiger Wett-
ewerbsnachteil für ÖPP. Wie groß diese Nachteile sind,
st derzeit nicht genau zu bestimmen. Aus diesem Grund
ird die Bundesregierung aufgefordert, in einem Mo-
ellversuch zu klären, in welchem Ausmaß es zu Be-
achteiligungen kommt, und zu prüfen, wie die Umsatz-
teuerproblematik bei ÖPP-Projekten gelöst werden
ann.
Der Antrag für faire ÖPP-Wettbewerbsbedingungen
at schließlich noch einen anderen Bereich im Auge, in
em die Wettbewerbsbedingungen für ÖPP verbessert
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22923
(A) )
(B) )
werden sollen. Bei der Finanzierung von Fernstraßen,
die von Privaten im Rahmen von ÖPP ausgebaut wer-
den, brauchen wir mehr Refinanzierungsflexibiliät. Über-
nimmt ein Privater den Ausbau und Betrieb eines Auto-
bahnabschnittes, bekommt er zur Refinanzierung für
diesen Abschnitt vom Staat die entsprechende Maut. Bei
besonders teuren Abschnitten rechnet sich das A-Modell
nicht. Um die Wirtschaftlichkeit zu erhöhen, ist es des-
halb sinnvoll, die mit einem Projekt in einem unmittel-
baren Zusammenhang stehenden Teilstücke eines Bau-
werkes oder einer Strecke in die Mautanteile mit
einzubeziehen und damit für die privaten Unternehmen
attraktiver zu gestalten.
Besonders im Fernstraßenbau zeigen sich die Vorteile
von ÖPP. Der private Projektträger hat aufgrund der Ab-
hängigkeit von den Mauteinnahmen ein großes Interesse
an einer schnellen Fertigstellung des gesamten Projek-
tes. Dies ist wiederum im besonderen Interesse des Nut-
zers, der ebenfalls durch den schnellen Ausbau profitiert
und keine jahrelangen Baustellen und Staus in Kauf neh-
men muss.
Es ist eindeutig, dass öffentlich-private Partnerschaf-
ten eine Vielzahl von Vorteilen für die öffentliche Hand,
die Privatwirtschaft und für die Nutzer bieten. Deshalb
müssen die Rahmenbedingungen für ÖPP weiter verbes-
sert werden, damit diese Vorteile auch wirklich genutzt
werden können.
Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Im
Sommer 2005 hat der Deutsche Bundestag ein ÖPP-Be-
schleunigungsgesetz beschlossen. Dieses Gesetz hat
wichtige Verbesserungen für die Betroffenen und Ent-
bürokratisierungen gebracht. Die Beschlussfassung fiel
noch unter die rot-grüne Regierungszeit, und ich erkenne
diese Leistung ausdrücklich an. Wir haben als damalige
Oppositionspartei den Gesetzgebungsprozess positiv be-
gleitet und eigene Anregungen eingebracht. Aber ein
wichtiger Punkt wurde damals vergessen oder besser
ausgedrückt: Wir hatten damals noch nicht den richtigen
Ansatz für die Lösung dieses speziellen Problems gefun-
den. Es ist das Problem der umsatzsteuerlichen
Ungleichbehandlung zwischen staatlich erbrachten
Dienstleistungen und den Dienstleistungen, die private
Unternehmen im Rahmen einer öffentlich-privaten Part-
nerschaft erbringen. Ein Wirtschaftlichkeitsvergleich
– und das wollen wir mit diesem Antrag erreichen – ist
für den Bauherren oder Auftraggeber aber nur dann
realisierbar, wenn diese steuerliche Ungleichbehandlung
aufgehoben ist.
Öffentliche-private Partnerschaften sind kein Allheil-
mittel. Damit sind nicht alle wirtschaftlichen und fiskali-
schen Probleme lösbar. Aber ich freue mich, dass sich in
fast allen Fraktionen die Kenntnis durchgesetzt hat, dass
der Staat nicht alles selber machen muss. Im Gegenteil.
Das Bauen von Gebäuden und deren Bewirtschaftung
können private Unternehmen in der Regel kostengünsti-
ger. Deswegen muss unser Denken und Handeln freier
werden. Wir brauchen Vorrang für privatwirtschaftliches
Handeln. Da, wo bürokratische, vergaberechtliche oder
steuerrechtliche Vorschriften eine Kooperation zwischen
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er öffentlichen Hand und einem privaten Investor, oder
was mir noch viel wichtiger ist – zwischen der öffentli-
hen Hand und einem privaten Betreiber behindern,
üssen wir als Gesetzgeber tätig werden und die Rah-
enbedingungen schnellstens verändern.
Angesichts der zu erwartenden erheblichen zusätzli-
hen Belastungen des Staates durch die Bewältigung der
eltwirtschaftskrise sind neue innovative, effizienzstei-
ernde und damit kostensparende Beschaffungsmetho-
en erforderlich, mit denen Pflichtaufgaben des Staates
inanziert und abgewickelt werden können.
Ich bitte den Bundestag heute um Zustimmung zu
iesem Antrag und bitte Herrn Bundesfinanzminister
eer Steinbrück, dass er anschließend einen entsprechen-
en Gesetzentwurf zügig vorlegt. Zusätzlich wollen wir
it der Änderung des Fernstraßenprivatfinanzierungsge-
etzes die Bedingungen für die Erstellung von Verkehrs-
onderbauten erleichtern. Auch dieses Gesetzesvorhaben
oll noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden.
ie Große Koalition wird bei diesem wichtigen Thema
hre Handlungsfähigkeit beweisen und im Interesse der
teuerzahler und der betroffenen Unternehmen schnell
andeln.
Dr. Michael Bürsch (SPD): Die derzeitigen Kon-
unkturprogramme mit ihren Investitionen in öffentliche
nfrastruktur werden nichts an der Erkenntnis ändern:
er Staat ist aktuell und auch künftig alleine nicht mehr
n der Lage, den erheblichen Bedarf an öffentlicher In-
rastruktur zu decken. Darum muss über die traditionelle
rbeitsteilung zwischen Staat und Privatwirtschaft neu
achgedacht und die Frage nach neuen Modellen gestellt
erden. Öffentliche-private Partnerschaften – kurz ÖPP –
eben hierauf eine Antwort.
ÖPP sind ein neuer und – bei sorgfältiger Planung
nd Durchführung – auch erfolgreicher Weg, öffentliche
nfrastruktur und Dienstleistungen effizienter bereitzu-
tellen. Internationale und inzwischen auch deutsche Er-
ahrungen bestätigen, dass durch ÖPP Effizienzgewinne
n Höhe von 10 bis 20 Prozent erzielt werden können,
hne die Qualitätsstandards zu reduzieren. Die Effi-
ienzsteigerungen entstehen vor allem durch Einsparun-
en bei den Kosten für den gesamten Lebenszyklus
Planung, Bau, Unterhalt, Verwertung –, durch Aus-
chluss von Kostenüberschreitungen und kürzere Bau-
eiten, durch kostengünstigeren Betrieb der ÖPP-Pro-
ekte während der Vertragslaufzeit sowie eine optimale
isikoverteilung.
Ziel und Voraussetzung für den Erfolg von ÖPP ist,
ass alle Beteiligten profitieren: die Politik, die Verwal-
ung, die Bürger, der private Investor, der private Betrei-
er. Wesentliche Instrumente für die erfolgreiche Gestal-
ung einer ÖPP sind ein Wirtschaftlichkeitsvergleich
öglicher Handlungsoptionen und eine interessenge-
echte und faire Vertragsgestaltung.
Um es klar zu sagen: ÖPP sind keine neue Form der
rivatisierung öffentlicher Aufgaben und sie haben über-
aupt nichts mit aberwitzigen, unverantwortlichen Steu-
rsparmodellen mancher Kommunen wie Cross Border
22924 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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Leasing zu tun, die jetzt zunehmend gegen die Wand
fahren. Sie sind vielmehr ein dritter Weg zwischen der
Bereitstellung öffentlicher Infrastruktur und Dienstleis-
tungen durch die öffentliche Hand selbst auf der einen
Seite und der reinen Privatisierung auf der anderen Seite.
Der Staat zieht sich bei ÖPP nicht aus der Verantwortung
zurück, für ein hohes Niveau öffentlicher Leistungen zu
sorgen. Der Staat entscheidet über die Art und den Um-
fang der Leistungen, er entscheidet über ihre Qualität. Er
setzt den Kostenrahmen fest. Auch während der gesam-
ten Projektlaufzeit behält er die Kontrolle über das mit
der ÖPP-Projektgesellschaft vereinbarte Leistungs-
niveau. Der Staat verfügt über eine abgestufte Palette
von Interventionsoptionen einschließlich Strafzahlungen
oder Ausstieg aus dem Vertrag für den Fall, dass Ver-
träge nicht eingehalten werden.
Ziel von richtig verstandener ÖPP ist eine Projekt-
realisierung vom Anfang bis zum Ende. Der gesamte Le-
benszyklus einer öffentlichen Leistungserstellung von
der Planung, dem Entwerfen, dem Bauen, Betreiben, In-
standhalten, Verwerten und Finanzieren wird Gegen-
stand der ÖPP. Durch den Wirtschaftlichkeitsvergleich
auf der Basis der konventionellen Realisierung ist die öf-
fentliche Verwaltung gezwungen, sich über die wahren
Kosten einer über den Lebenszyklus betrachteten Leis-
tungserstellung klar zu werden. Deshalb ist ÖPP auch
mehr als ein bloßes Finanzierungsinstrument. ÖPP ist ei-
ner der wesentlichen Treiber für die Modernisierung des
Staates.
Mit dem vorliegenden Antrag soll insbesondere ein
Problem aus dem Bereich des Umsatzsteuerrechts gelöst
werden. Erbringt die öffentliche Hand hoheitliche Leis-
tungen mit eigenem Personal, so unterliegen diese Leis-
tungen nicht der Umsatzbesteuerung. Werden derartige
Leistungen aber im Rahmen von ÖPP erbracht, so wer-
den sie beim privaten Projektpartner mit dem vollen
Umsatzsteuersatz von 19 Prozent belastet. Damit kommt
es zu einer Diskriminierung von ÖPP gegenüber der
konventionellen Leistungserstellung durch die öffentli-
che Verwaltung. Je höher der Personalkostenanteil an
der Leistungserstellung ist, desto stärker schlägt diese
Diskriminierung zu Buche.
Das nicht gelöste Umsatzsteuerproblem für ÖPP ist
verteilungspolitisch ungerecht, es werden dadurch fal-
sche Anreize gesetzt, eine Leistungssteigerung der öf-
fentlich Hand behindert, die Expansion von ÖPP auf
personalintensive Bereiche verhindert: Die Gemeinde,
die mit ÖPP effizienter arbeitet, Steuern spart und mehr
für ihre Bürgerinnen und Bürger herausholt, wird da-
durch „bestraft“, dass sie mit der gewählten ÖPP-Lö-
sung gleichzeitig Umsatzsteuermehrbelastungen zu tra-
gen hat, die anderen Gemeinden für eben dieselben
Leistungen nicht zu tragen haben. Da die Beschaffungs-
varianten „konventionelle Realisierung“ und „ÖPP“ im
Wettbewerb stehen, wird die ÖPP-Variante aufgrund der
Umsatzsteuermehrbelastung diskriminiert und es werden
Entscheidungen getroffen, die für alle Beteiligten nach-
teilig sind. Die Gemeinde, die den ÖPP-Weg wählt, trägt
zu einer zusätzlichen Finanzierung des Bundeshaushalts,
der Länderhaushalte und der Kommunalhaushalte bei.
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ie selber kann jedoch mit keinem nennenswerten Rück-
luss rechnen. Personalkostenintensive ÖPP werden
aum eine Chance haben, sich gegen konventionelle
eistungserstellungen der öffentlichen Hand durchzuset-
en, wenn sie aufgrund der Umsatzsteuermehrbelastun-
en bereits von Anfang an mit Kostennachteilen in der
rößenordnung von fünf und mehr Prozent rechnen
üssen. Faktisch wirkt die Umsatzsteuerpflicht für
PP-Projekte damit als Expansionshindernis, das nicht
m Interesse des Bürgers, des Steuerzahlers und auch des
taates sein kann.
Hier setzt das Modellprojekt an, das der Bund in den
ächsten fünf Jahren mit einigen Ländern durchführen
ird. Ziel ist die Erstattung von nachgewiesenen Um-
atzsteuermehraufkommen an private ÖPP-Projektträ-
er. Am Ende wird sich zeigen, ob auf diesem Wege
leiche Augenhöhe zwischen öffentlicher und privater
eistungserbringung erreicht werden kann.
Zusammen mit den beiden gesetzgeberischen Ele-
enten des Antrags im Bereich des Haushaltsrechts und
es Fernstraßenbaus verspreche ich mir von den geplan-
en Maßnahmen eine weitere Verbesserung der Rahmen-
edingungen für ÖPP. Ausgelöst durch die Wirtschafts-
nd Finanzkrise, hat im Moment die öffentliche Finan-
ierung von Infrastruktur deutlich Vorrang. Aber ich bin
icher: Der Ruf nach öffentlich-privaten Partnerschaften
ird bald schon wieder lauter erschallen. Denn der
odernisierungsbedarf in öffentlicher Infrastruktur in
eutschland beträgt über 700 Milliarden Euro.
Ulrike Flach (FDP): Als Liberale muss ich hier nicht
eweisen, dass wir ÖPP- und PPP-Modelle für wichtige
nstrumente zur kostengünstigen und effizienten Erbrin-
ung von Leistungen halten. Wir haben uns schon für
PP ausgesprochen, als auf der Seite der Sozialdemokra-
en noch der Untergang des Abendlandes befürchtet
urde, wenn der Staat nicht selbst ein Gebäude errichtet,
ondern es einen privaten Investor errichten lässt und
ann mietet.
Ihr Antrag, der vor zwei Tagen noch gar nicht vorlag,
rweckt den Eindruck, hier wird der Koalitionsvertrag
och einmal ausgekehrt und geschaut: Was hat man ver-
inbart? Was geht überhaupt noch in dieser Koalition der
rmatteten? Und da hat offenbar jemand im Koalitions-
ertrag (Seite 15) gelesen, dass die Koalition die Beseiti-
ung der Diskriminierung von PPP im Fernstraßenbau-
rivatisierungsgesetz vordringlich anpacken will. Na ja,
o vordringlich kann sie nicht gewesen sein, dass Sie da-
it so lange gewartet haben. Also wird das noch durch-
ewunken, das ist Kehraus-Politik kurz vor dem Son-
enuntergang.
Wir halten die Vorschläge, die Sie zur Änderung der
undeshaushaltsordnung machen, für akzeptabel, aber
ir sind sehr kritisch, was Ihr Modellprojekt angeht. Es
acht stutzig, dass dafür nur ein Betrag von 10 Millio-
en Euro jährlich eingestellt werden soll. Ich werde den
erdacht nicht los, dass Sie bereits ein konkretes Projekt
aben, das schnell noch abgesegnet werden soll. Der
ert ist so gering, das macht mich einfach misstrauisch.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22925
(A) )
(B) )
Und auch die Konstruktion des Modellvorhabens ist
nicht die ÖPP-Konstruktion, die wir uns vorstellen. Sie
schaffen nämlich einen Subventionstatbestand, indem
die Gebietskörperschaften, die am Modellprojekt teil-
nehmen, ihren PPP-Projektträgern die Umsatzsteuer-
Mehrbelastung als Projektförderung zurückerstatten.
Auch das wirkt, als ob es da sehr konkrete Bewerber
gibt. Auch die Festlegung, dass mindestens drei Länder
teilnehmen müssen, macht stutzig.
Wir wollen PPP als echte Wettbewerbspartnerschaft.
Es wäre doch ein Leichtes, eine bestimmte Leistung aus-
zuschreiben. Offenbar findet sich aber für die gesuchte
Leistung nur dann ein privater Partner, wenn er die Um-
satzsteuer zurückerhält oder wenn es sonst eine Subven-
tion gibt. Dies einen Modellversuch zu nennen, erscheint
mir äußerst verdächtig. Wenn Sie wirklich PPP steuer-
lich besserstellen wollen, dann ändern Sie das Umsatz-
steuergesetz und stellen die privaten PPP-Partner von
der Umsatzsteuer frei. Das wird aber Herr Steinbrück
nicht mitmachen, denn bei einer Investitionssumme von
875 Millionen Euro im Jahr 2007 würde das einen erheb-
lichen Umsatzsteuerverlust bedeuten. Was Sie jetzt ma-
chen, verzerrt aber den Wettbewerb, indem der Staat
dem Privaten die Steuern rückerstattet. Das verdirbt eher
die Sitten, als dass es PPP fördert. Wir lehnen deshalb
den Antrag ab.
Ulla Lötzer (DIE LINKE): Was Sie hier vorlegen mit
Ihrem Antrag zu öffentlich-privaten Partnerschaften, ist
schon ein starkes Stück. Weil eine Gebietskörperschaft
keine Umsatzsteuer zahlen muss, soll jetzt in einem Mo-
dellversuch den Privaten die Umsatzsteuer zurückerstat-
tet werden. Geht’s noch? Wie kann man ideologisch so
verbohrt sein, dass man auf Teufel komm raus öffentli-
che Gelder in die Taschen Privater umschaufeln will!
Bevor Sie hier weiter das Hohelied auf die Privatisie-
rung singen, sollten Sie sich endlich mit den realen
Folgen vor Ort auseinandersetzen. Öffentlich-private
Partnerschaften sind kein wirksames Instrument, den
„Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit
besser gerecht zu werden“, wie Sie in Ihrem Antrag
schreiben. ÖPP verteilen die Gewinne an die Privaten
und die Risiken auf die öffentliche Hand. Außer den In-
vestoren verdienen sich die Beraterfirmen eine goldene
Nase. Und ganz nebenbei wird die kommunale Demo-
kratie ausgehebelt und werden die Verträge als „streng
geheim“ eingestuft.
Die ÖPP-Projekte in Deutschland sind noch nicht so
alt, aber schon jetzt zeigt sich, dass die Versprechungen
vielfach gelogen sind. Nehmen wir das Bildungszentrum
Ostend in Frankfurt. Hier wurden Zusatzkosten ver-
schwiegen und es wurde billigst gebaut. Da die Stadt die
Strom-, Heiz- und Wasserkosten selbst zahlen muss,
wurde vom Investor kein Geld für Sparvorrichtungen
ausgegeben. Effiziente Verglasung, Bewegungsmelder,
Wasserstoppuhren – Fehlanzeige. Das ist kein Einzelfall:
Die Kölner Messehallen, die Schulsanierungen im Land-
kreis Offenbach, das Mautsystem von Toll Collect – im-
mer bleibt die öffentliche Hand auf den Zusatzkosten
und auf allen Risiken sitzen.
Sagt Ihnen das Instrument „Forfaitierung mit Ein-
redeverzicht“ etwas? Ich will Ihnen dieses gerne be-
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utzte Instrument mal erläutern: Im Rahmen eines ÖPP-
rojektes übernimmt der Investor den Bau oder die Sa-
ierung eines Gebäudes. Die Kommune verpflichtet sich
m Gegenzug dazu, 25 Jahre Miete an den Investor zu
ahlen. Kaum ist die Unterschrift der Kommune unter
em ÖPP-Vertrag, geht der Investor mit ihm zur Bank.
er Bank verkauft er die Forderung für die 25 Jahre
iete und lässt sie sich pauschal auszahlen. Das ist die
orfaitierung. Das heißt, obwohl die Kommune formal
icht selbst einen Kredit aufgenommen hat, steht sie
etzt bei der Bank in der Kreide und zwar zu den Zinssät-
en, die der Private zahlen muss, nicht etwa zu den güns-
igeren Bedingungen für Kommunalkredite. Die Kom-
une verpflichtet sich, im Gegenzug pünktlich immer
ie volle Miete zu bezahlen, unabhängig davon, ob der
nvestor mangelhaft arbeitet oder gar pleitegeht. Das ist
er Einredeverzicht. Wenn Sie das als Erfolg bezeichnen –
ch bezeichne das als Verlagerung von Problemen in die
olgenden Legislaturperioden und als eine Potenzierung
er Risiken und Kosten.
Eine Besonderheit der öffentlich-privaten Partner-
chaften ist das Cross Border Leasing. Mit diesem Ge-
chäftsmodell sind die Kommunen heute schon baden
egangen. Das Vorgehen war das gleiche: umfangreiche
eheimverträge, Verlagerung aller Risiken auf die deut-
chen Gebietskörperschaften. Warnungen, die es bei Ab-
chluss der Verträge gab, wurden einfach in den Wind
eblasen. Nun drohen infolge der Finanzkrise den Steu-
rzahlern zusätzliche Kosten in zigfacher Millionen-
öhe.
Aus Erfahrungen sollte man klug werden. Deshalb
ehnen wir Ihren Antrag ab und fordern Sie auf, die För-
erung von ÖPP-Projekten zu stoppen.
Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ffentlich-private Partnerschaften sind als Alternative
u herkömmlichen Beschaffungsformen der öffentlichen
uftraggeber in den vergangenen fünf Jahren erheblich
ichtiger geworden. Nach einer Veröffentlichung der
PP-Task-Force beim Bundesministerium für Verkehr,
au und Stadtentwicklung wurden bis Mai 2008 bundes-
eit 97 ÖPP-Projekte mit einem Investitionsvolumen
on 3,5 Milliarden Euro an Investoren vergeben.
Grundsätzlich halten wir ÖPPs für ein interessantes
odell zur effizienteren Umsetzung von Beschaffungs-
aßnahmen. Wir brauchen aber einen richtigen Ord-
ungsrahmen, um bei jedem Projekt genau zu prüfen,
ie es sich am wirtschaftlichsten umsetzen lässt. Dabei
ind wir für eine konkrete Betrachtung am jeweiligen
all: Ist ÖPP, ist rein privatwirtschaftliches oder ist rein
taatliches Handeln angebracht und wirtschaftlich?
Wir müssen sichere Investitionen ermöglichen und
ür Vertrauen sorgen. Oft kann ein Beschaffungsauftrag
ach Ausschreibung am effizientesten von einem Privat-
nternehmen durchgeführt werden. Aber auch durch ge-
uin staatliche Infrastruktur können Aufgaben häufig
parsam durchgeführt werden. Die Ergänzung der Bun-
eshaushaltsordnung, die Sie vorschlagen, unterstützen
ir in diesem Sinne. Es ist wichtig, einen einheitlichen
aßstab für Wirtschaftlichkeitsvergleiche zu schaffen.
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Auch die Umsatzsteuerfrage ist in diesem Zusam-
menhang von hoher Wichtigkeit. Die umsatzsteuerliche
Benachteiligung gegenüber staatlicher Eigenleistung ist
ein großes Problem bei ÖPP-Projekten. Ein Modellvor-
haben, wie Sie es in Ihrem Antrag fordern, ist daher mei-
nes Erachtens sinnvoll, um einen Umgang mit diesem
Problem zu finden.
Ein aktueller Bericht des Rechnungshofes in Baden-
Württemberg, der diese Woche vorgelegt wurde, zeigt
aber auch deutlich, dass die Effizienzrenditen von über
10 Prozent für ÖPP-Projekte, wie sie bisher wiederholt
angenommen wurden, in bestimmten Bereichen in Ba-
den-Württemberg kaum zu realisieren waren. Es liegt
nahe, anzunehmen, dass die Lage in Baden-Württem-
berg den einen oder anderen Rückschluss auf die Ge-
samtproblematik erlaubt.
ÖPP-Projekte können nicht von vornherein als die
wirtschaftlichere Variante angesehen werden. Deshalb
benötigt man eine belastbare Vergleichsbasis für die Ent-
scheidung zwischen einem ÖPP-Modell und einer staat-
lich durchgeführten Variante. Insbesondere bei den ÖPP-
Projekten der zweiten Generation, die neben Planung,
Finanzierung und Bauen auch den Betrieb umfassen, ist
es aufgrund der Kosten für die Risikovorsorge und der
langen Vertragslaufzeiten schwierig, Vergleiche mit ei-
ner Eigenrealisierung hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit
anzustellen. Daher muss ein sorgfältiger Vergleich auf
Basis von Marktpreisen für alle Realisierungsvarianten
vorgenommen werden. Der Rechnungshof kam zum Er-
gebnis, dass in Baden-Württemberg auch ÖPP-Projekte
umgesetzt wurden, obwohl diese letztendlich teurer wa-
ren als eine Eigenleistung des Staates. Außerdem warnt
er vor einer steigenden Vorbelastung künftiger Haushalte
durch ÖPP-Projekte bei Vertragslaufzeiten von üblicher-
weise 20 bis 30 Jahren, der sogenannten grauen Ver-
schuldung. Das muss uns bei der Diskussion um ÖPPs
bewusst sein.
Trotz unserer Zustimmung zu den Änderungen der
Bundeshaushaltsordnung und des Modellvorhabens leh-
nen wir den Antrag insgesamt ab: Durch die Novellie-
rung des Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes
doktern Sie an einem Problem herum, statt zuzugeben,
dass das F-Modell bisher gescheitert ist. Die Novellie-
rung wäre unnötig, wenn der Verkehrsfluss bei den Pro-
jekten realitätsnäher berechnet worden wäre. Eine an-
dere Möglichkeit sehe ich in Konzessionsmodellen mit
variabler Laufzeit. Durch den von Ihnen vorlegten Vor-
schlag kann die Wirtschaftlichkeit eines Projektes nur
unmaßgeblich verbessert werden.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts: Pakistan und Afghanistan stabilisie-
ren – Für eine zentralasiatische regionale
Sicherheitskonferenz (Tagesordnungspunkt 16)
Holger Haibach (CDU/CSU): Zum zweiten Mal in
Folge beschäftigen wir uns in einer Sitzungswoche des
Deutschen Bundestages mit Pakistan und Afghanistan.
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as ist gerade angesichts der schwierigen Lage und der
ich überschlagenden Ereignisse in Pakistan in den ver-
angenen Wochen und Tagen dringend geboten.
Ob der Antrag der Linken zu diesem Thema aller-
ings dabei sehr hilfreich ist, kann mit Recht bezweifelt
erden. Denn es ist hier wie mit allem: Die Lösung des
roblems beginnt mit der Betrachtung der Realität. Und
enn man da bereits die falschen Erkenntnisse gewinnt,
ann kann es auch keine richtigen Lösungen geben.
Was fordern Sie in Ihrem Antrag? Ich will es einmal
twas platt zusammenfassen: Wir setzen alle in dieser
egion an Konflikten beteiligten Staaten an einen Tisch,
ehmen noch die Paschtunen hinzu, lassen die alle mit-
inander beraten. Dann fügen Sie noch ein paar ziemlich
llgemeine und wohlklingende Forderungen wie die
ach der Unterstützung bei der Demokratisierung Pakis-
ans hinzu, mahnen väterlich das Ende von Rüstungs-
xporten an, würzen das Ganze mit der bei Ihnen obliga-
orischen USA-Kritik: Und schon herrscht himmlischer
rieden auf Erden.
Wohlgemerkt: Vieles von dem, was Sie hier vorschla-
en, ist nicht falsch. Aber das liegt daran, dass Ihre For-
erungen sehr allgemein sind, und nicht daran, dass man
ufgrund ihrer Gedankentiefe sofort zustimmen müsste.
Auf der anderen Seite wird Ihr Antrag aus meiner
icht auch nicht annähernd der Komplexität der Lage,
erade in Pakistan, gerecht. Worum geht es? Ihr Antrag
rägt zwar Afghanistan und Pakistan im Titel, beschäftigt
ich aber überwiegend mit der Lage in Pakistan und
ann mit ihren Auswirkungen auf die Situation in
fghanistan. Dagegen ist auch nichts einzuwenden.
enn man allerdings Pakistan in besonderer Weise in
en Blick nimmt, dann ergeben sich zwei Konsequen-
en: Erstens ist der Titel Ihres Antrags falsch, denn Pa-
istan liegt definitiv nicht in Zentralasien. Das wäre aber
och zu verschmerzen. Wichtiger ist, dass Sie bei dem
ext Ihres Antrags die inneren Verhältnisse in Pakistan
m Grunde überhaupt nicht in Betracht ziehen.
Dazu gibt es aber allen Grund. Pakistan ist durch das
inlenken von Präsident Zadari im Streit um die Wieder-
insetzung des Obersten Richters Chaudry gerade noch
inmal so an einem das gesamte Land lahmlegenden
treik und an vermutlich blutigen Auseinandersetzungen
wischen Truppen der Regierung und des Präsidenten
nd Anhängern Chaudrys und des Oppositionsführers
harif entgangen. Die Macht des gewählten Präsidenten
st so weit erodiert, dass nicht einmal der gegen Sharif
erhängte Hausarrest tatsächlich durchgesetzt wurde.
ach einer Umfrage des International Republican Insti-
ute sprechen sich inzwischen 59 Prozent der befragten
akistani für Oppositionsführer Sharif als Präsidenten
us, nur 19 Prozent für den Amtsinhaber.
Die wirtschaftliche Lage des Landes kann nur als ka-
astrophal bezeichnet werden. Ohne die Unterstützung
er internationalen Gemeinschaft wäre das Land nicht
ehr „lebensfähig“. Zudem musste die Zentralregierung
hre erfolglosen Bemühungen einstellen, die Taliban im
ande militärisch erfolgreich zu bekämpfen. Dies hatte
ur Folge, dass im Swat-Tal und anderen Regionen, das
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war Teil der Verhandlungslösung, die Scharia das seithe-
rige Rechtssystem abgelöst hat. Entgegen anderen Zusa-
gen haben dort die regionalen Führer – nicht durch die
Schließung, aber durch eine wesentlich effektivere
Methode, nämlich Abbrennen der Schulen – dafür ge-
sorgt, dass zum Beispiel der Unterricht für Mädchen er-
schwert wurde. Und es steht zu befürchten, dass dies erst
der Anfang der Repressalien ist.
Mit ein wenig regionaler Zusammenarbeit und ein
bisschen USA-Kritik ist es also nicht getan. Dafür bieten
Sie dann die Forderung auf: „Pakistan vermehrt bei sei-
nen Demokratisierungsbemühungen unterstützen.“ Eine
beeindruckende Forderung! Leider bleibt die Linke die
Antwort auf die Frage schuldig, wie dieses hehre Ziel er-
reicht werden soll. Und wieso „vermehrt“? In der Zeit, in
der dieser Antrag geschrieben wurde, hat diese Bundes-
regierung, unterstützt durch die sie tragenden Fraktionen
von CDU/CSU und SPD, gehandelt. Vertreter der Bun-
desregierung haben Vorschläge zur Verbesserung der
Lage gemacht, darüber hinaus wurden entsprechende
Mittel zur Demokratisierung aus den Etats der betroffe-
nen Ministerien zugesagt und bereitgestellt. Deutschland
arbeitet engagiert und an führender Stelle in der interna-
tionalen Gruppe der „Freunde des demokratischen Pa-
kistans“ mit.
Auch die Idee der „zentralasiatischen“ regionalen
Sicherheitskonferenz scheint noch sehr unausgegoren.
Im Antrag der Linken wird die Beteiligung aller mögli-
chen regionalen Akteure gefordert, bis hin zu den Pasch-
tunen. Gleichzeitig betonen Sie zu Recht die Existenz
ganz anderer, schon Jahrzehnte währender Konflikte,
wie etwa der Auseinandersetzung um und in Kaschmir.
Warum soll den Kaschmiris das verwehrt werden, was
den Paschtunen Ihrer Ansicht nach doch erlaubt sein
soll?
Weiterhin stellt sich die Frage, wie Sie sich die Ein-
bindung der internationalen Staatengemeinschaft vor-
stellen, deren Präsenz vor Ort Sie doch sonst immer kri-
tisieren. Welche Rolle sollen die USA, Großbritannien
und etwa Deutschland spielen? Welche Aufgabe hat die
UN hierbei?
Es ist völlig unbestreitbar, dass eine engere Einbin-
dung sämtlicher regionalen Akteure dringend geboten
ist, denn ohne diese werden sich stabile Verhältnisse in
der Region nicht herstellen lassen. Aber dazu braucht es
mehr als eine Idee oder Antrag im Deutschen Bundestag.
Wenn eine solche Konferenz, noch dazu als ständige
Einrichtung, durchgeführt werden soll, dann bedarf es
hierzu sorgfältiger Planungen und Konsultationen. Denn
eine Konferenz, die in einem Fehlschlag endet und dabei
vielleicht noch ohnehin vorhandene Differenzen ver-
schärft, wäre ein großer Rückschlag für die friedliche
Beilegung von Konflikten in dieser Region.
Schließlich stellt sich die Frage, ob es für eine solche
Einrichtung Vorbilder gibt. Man könnte dabei an die
KSZE/OSZE denken. Allerdings wäre auch hier zu er-
wägen, ob das, was in Europa funktioniert, ohne Weite-
res auch an anderer Stelle erfolgreich ist, zumal die Ver-
hältnisse in Europa der 70er-Jahre völlig andere waren
als die heutigen zwischen Pakistan, Afghanistan, Indien
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nd den anderen Partnern, die zu beteiligen wären. Stan-
en sich bei der KSZE zwei Machtblöcke und politische
ysteme gegenüber, die aber beide bereit waren, auf
affengewalt zu verzichten, so haben wir es im jetzigen
all mit einer Region zu tun, die gerade durch inner- und
wischenstaatliche kriegerische Auseinandersetzungen
ekennzeichnet ist.
Noch ein Wort zur Rolle der USA: Man mag zur Ver-
endung beziehungsweise zur Ausweitung der Verwen-
ung von Drohnen auf dem Staatsgebiet Pakistans in den
ogenannten Tribal Areas und darüber hinaus stehen,
ie man will. Aber eines darf jedenfalls festgehalten
erden: Als Pakistan in der vergangenen Woche und in
ieser Woche nahe am Rand von bürgerkriegsähnlichen
uständen mit unabsehbaren Folgen aufgrund der Nicht-
iedereinsetzung von Richter Chaudry war, hat der pa-
istanische Minister Nabeel Gaboo die Abwendung der
rise mit folgenden Worten kommentiert: „Die Eini-
ung haben Amerika, die Armee und Allah herbeige-
ührt.“ Und es ist der amerikanische Generalstabschef
ike Mullen gewesen, der seinen pakistanischen Amts-
ollegen mehr als einmal von einem gewaltsamen Ein-
reifen in die gegenwärtigen Konflikte abgehalten hat.
ancher von uns ist mit einer pauschalen Kritik an der
altung und den Handlungsweisen der USA schnell bei
er Hand. Manchmal wendet sich aber auch diese Pau-
chalität gegen den, der diese Kritik angebracht hat.
Wenn wir neben der „Afghan Ownership“ auch eine
Pakistan Ownership“ ernsthaft vorantreiben wollen,
ann ergeben sich daraus für mich drei Konsequenzen.
rstens dürfen wir die vor Ort Handelnden nicht aus der
erantwortung entlassen, indem wir Entscheidungen für
ie treffen. Zweitens müssen wir sie aber auch mit den
afür notwendigen Voraussetzungen ausstatten. Und
rittens bedarf es eines Ansatzes, der die regionalen
kteure und die internationale Gemeinschaft einbindet.
enau an dieser Stelle greift der vorliegende Antrag zu
urz. Er ist pauschal und wird den Aufgabenstellungen
icht gerecht. Deshalb werden wir ihn ablehnen.
Detlef Dzembritzki (SPD): Die Situation in Pakistan
ietet ohne Zweifel Anlass zu Sorge, aber auch – wenn
an die Entwicklungen der letzten Tage mit einbezieht –
u vorsichtigem und verhaltenem Optimismus.
Sosehr wir uns als Abgeordnete des Deutschen Bun-
estages – ich schließe hier ausdrücklich das ganze Haus
it ein – gefreut haben, dass der Übergang von einer
ilitär- zu einer zivilen Regierung im September 2008
n Pakistan gelungen ist, so sehr waren wir zumindest in
einer Fraktion von Anfang an in Sorge und zwar da-
über, dass sich die neuen „Koalitionsmehrheiten“ in Pa-
istan nicht mit Entschiedenheit um die eigentlichen He-
ausforderungen in ihrem Land gekümmert haben,
ämlich die Wirtschaftskrise, die Arbeitslosigkeit, den
nergiemangel und Infrastrukturdefizite. Der monate-
ange Streit zwischen Zardari und Sharif, zum Beispiel
m die Aufhebung der Amnestiegesetze und die Wieder-
insetzung der Richter, führte zu einem Entwicklungs-
tillstand und Verwerfungen zwischen den „Wahlsie-
ern“.
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Insofern möchte ich den Kolleginnen und Kollegen
von der Linkspartei durchaus zugestehen, dass auch sie
die ernste Sorge haben, dass der Weg in eine friedliche
Zukunft für dieses in der Region so wichtige Land
schwierig sein wird. Ich nehme dennoch für mich und
meine Fraktion in Anspruch, dass wir immer betont ha-
ben, dass nur mit einem regionalen Ansatz unter Einbe-
ziehung von Afghanistan, Pakistan, Iran, aber auch In-
dien und China eine Lösung der Konflikte möglich ist.
Es reicht nicht, jetzt so zu tun, als genüge es, sich auf
eine solche Konferenz zu fokussieren, als sei dies die
einzige Lösung. Es ist schon etwas komplizierter!
Natürlich haben auch wir ernste Sorgen um Pakistan.
Lassen Sie mich die Herausforderungen in einigen kur-
zen Sätzen skizzieren: Pakistan als Nuklearmacht wird
von seinen Nachbarn Afghanistan und Iran eher kritisch
betrachtet. Pakistan und Afghanistan teilen eine lange,
sehr schwierige Geschichte. Wenn man – wie sicher ei-
nige Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses – die Ge-
legenheit hatte, mit Vertretern dieser beiden Nationen zu
sprechen, so fällt das tiefsitzende Misstrauen auf beiden
Seiten sofort auf. Ohne die grundsätzliche Bereitschaft
beider Staaten, aufeinander zuzugehen, wird mittelfristig
kein regionaler Nachbarschaftsprozess gelingen. Wir ha-
ben in der Vergangenheit einige ermutigende Zeichen
auf diesem Weg gesehen, und wir hoffen, dass beide Sei-
ten diesen Weg weiter gehen.
Ich bin deshalb dankbar, dass Außenminister
Steinmeier bereits im Juni 2007 in Potsdam eine Initiative
gestartet hat, um beide Länder an einen Tisch zu bringen.
Es wird in Zukunft in der Region nur dann Frieden geben,
wenn beide Seiten bereit sind, Schritte zu gehen, die über
das hinausgehen, was momentan vorstellbar erscheint.
Dabei wird die gemeinsame, 2 400 Kilometer lange
Grenze, die faktisch nicht zu sichern ist, eine Rolle spie-
len. Fehler wurden in der Vergangenheit gemacht: Die
Grenze wurde willkürlich durch die Kolonialherren ge-
zogen. Dies kann aber nicht bedeuten, alte Streitigkeiten
wieder aufzuwärmen: Auch hier müssen Pakistan und
Afghanistan aufeinander zugehen. Es ist bekannt, dass
die Grenzgebiete als Rekrutierungsgebiete für afghani-
sche und pakistanische Taliban dienen. Es gibt darüber
hinaus auch Erkenntnisse, dass international operierende
Terrorgruppen diesen Rückzugsraum nutzen.
Unabhängig davon, wie wir als Parlamentarier die
neue pakistanische Regierung bewerten: Die Probleme
sind immens. Jede demokratische Regierung wird auch
in naher Zukunft mit den Problemen Islamisierung, Ein-
kommensunterschiede, Armut und wirtschaftliche
Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Die jetzige Regie-
rung Pakistans bietet zumindest die Chance, dass wir als
Europäer mit Unterstützung, Know-how und Ressourcen
dem Land beim eigenen Aufbau behilflich sind, aber
auch den regionalen Dialog weiter fördern, zum Beispiel
im Rahmen der Ende September 2008 gegründeten
Gruppe „Freunde des demokratischen Pakistans“. Ein-
seitige Militärschläge helfen sicher nicht weiter – sie
verstärken nur die ohnehin vorhandene Abneigung ge-
gen den Westen, die in Pakistan weit verbreitet ist und
sich insbesondere auf die USA bezieht.
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Wirtschaftlich steckt Pakistan in einer erheblichen
rise. Dank eines von der Bundesregierung mit Nach-
ruck unterstützten Beistandskredits des IWF in Höhe
on 7,6 Milliarden US-Dollar konnte im Herbst des Jah-
es 2008 ein finanzieller Zusammenbruch des Landes
bgewendet werden. Über die Bewältigung der Wirt-
chaftskrise hinaus wird die Überwindung der großen
inkommensunterschiede innerhalb des Landes – auch
wischen Stadt und Land – die zentrale Herausforderung
ür die demokratische pakistanische Regierung sein. Die
undesregierung ist durch die Gesellschaft für Techni-
che Zusammenarbeit, GTZ, auf diesen Gebieten schon
etzt mit Vorhaben zu Grundbildung, Gesundheit und
nergie tätig. Insgesamt wurde die deutsche Entwick-
ungszusammenarbeit mit Pakistan bei den Regierungs-
erhandlungen im vergangenen Jahr verdoppelt. Aus un-
erer Sicht setzt die Bundesregierung hier die richtigen
chwerpunkte: Hilfen für die Wirtschaft, insbesondere
urch Mikrokredite; Beratung der örtlichen Verwaltung
nd Investitionen in die Bildung. Gerade dem Bildungs-
ereich sollte aus unserer Sicht in Zukunft noch mehr
ufmerksamkeit gewidmet werden. Schließlich ist ein
ildungssystem für alle Heranwachsenden in Pakistan
ie beste Garantie gegen die Madrassen, islamistische
oranschulen, die bereits Kinder indoktrinieren und die
ft nur deshalb frequentiert werden, weil staatliche
chulen nicht existieren oder zu teuer sind. Armutsbe-
ämpfung, Entwicklung und Bildungsmöglichkeiten
ind die effektivsten, langfristig wirkenden Maßnahmen
egen eine drohende Radikalisierung der Bevölkerung.
Die EU hat letztes Jahr die Armutsbekämpfung zum
ichtigsten Ziel ihrer Länderstrategie in Pakistan er-
lärt. Dabei konzentriert sich die EU in ihrer Zusam-
enarbeit auf die ländliche Entwicklung, den nachhalti-
en Umgang mit natürlichen Ressourcen, den
ildungssektor und die Qualifizierung staatlichen Perso-
als.
Sosehr wir die Hand reichen zum Dialog und zur
ilfe, so sehr müssen wir unsere Ablehnung von gefähr-
ichen Kompromissen wie der Wiedereinführung der
charia im Swat-Tal zum Ausdruck bringen. Wir sind in
akistan wie in anderen Teilen der Welt für eine Ent-
icklungszusammenarbeit auf Augenhöhe, für Verhand-
ungen auch mit schwierigen Partnern, für Respekt ge-
enüber Traditionen und Werten. Dieser Ansatz findet
edoch da seine Grenzen, wo Menschenrechte unter an-
erem von Frauen und Minderheiten buchstäblich mit
üßen getreten werden.
In der Vergangenheit hat auch der pakistanische Ge-
eimdienst ISI eine sehr problematische Rolle gespielt.
eile des ISI bildeten einen Staat im Staat und unter-
tützten die Entstehung und Entwicklung der Taliban,
eil man sich von einem instabilen Afghanistan einen
ugewinn an Macht versprach und die Taliban als mög-
iche Bündnispartner für eine Auseinandersetzung mit
ndien sah. Bis heute ist nicht eindeutig festzustellen,
ie stark die Verbindungen zwischen Politik und ISI
ind und auf welchen Feldern der ISI nach wie vor ver-
ucht, seinen Einfluss zu sichern und die Entscheidun-
en der demokratisch gewählten Regierung Pakistans zu
eeinflussen. Hier bleibt die Bundesregierung aufgefor-
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dert, weiterhin energisch auf eine effektive Kontrolle des
Geheimdienstes zu dringen.
Sicherlich stellen die Stammesgebiete im Grenzgebiet
zu Afghanistan, die sogenannten Federally Admistered
Tribal Areas, FATA, neben der sehr schlechten Wirt-
schaftslage eine sehr große Herausforderung für Pakis-
tan dar. Das pakistanische Militär hat hier einen hohen
Preis bezahlt. Pakistanische Gesprächspartner, insbeson-
dere Vertreter der Regierung, verweisen immer wieder
auf diesen Beitrag im Kampf gegen den internationalen
Terrorismus. Aus unserer Sicht war das Vorgehen der
Regierung Musharraf und auch das der Bush-Adminis-
tration zu sehr auf militärisches Vorgehen beschränkt.
Auch ist die pakistanische Armee strukturell überhaupt
noch nicht auf die Herausforderungen des internationa-
len Terrorismus und der asymmetrischen Kriegsführung
eingestellt. Die pakistanische Armee ist immer noch auf
einen potenziellen Großkonflikt mit Indien ausgerichtet.
Ohne eine deutliche Neuausrichtung wird die pakistani-
sche Armee auch in Zukunft keinen Beitrag zu einer Be-
kämpfung von Terrorgruppen in den Stammesgebieten
leisten können.
Gleichzeitig sollte die Bundesregierung bei ihren
Kontakten zu den pakistanischen Partnern auch weiter-
hin mit Nachdruck darauf dringen, die Rückkehr der Ar-
mee in die Kasernen zu unterstützen und ihren direkten
Einfluss auf die Politik zurückzudrängen. Erfreulich
festzustellen ist, dass im aktuellen Konflikt zwischen
Opposition und Präsident das Militär sich nicht hat in-
strumentalisieren lassen. Das spannungsgeladene Ver-
hältnis zu Indien hat sich seit Amtsantritt der neuen pa-
kistanischen Regierung leicht verbessert. So hat die
pakistanische Regierung angekündigt, die Doktrin des
Ersteinsatzes von Nuklearwaffen nicht länger aufrecht-
zuerhalten. Weitere Signale deuten darauf hin, dass die
pakistanische Seite an einer Normalisierung der Bezie-
hungen zu Indien interessiert ist. Die Bundesregierung
sollte alles tun, um Pakistan auf diesem Wege zu unter-
stützen. Überhaupt könnte eine engere wirtschaftliche
Kooperation mit den Nachbarn – insbesondere mit In-
dien und China, aber auch mit den zentralasiatischen
Staaten sowie dem Iran – zur Stabilisierung der pakista-
nischen Wirtschaft beitragen. Diese Zusammenarbeit auf
wirtschaftlichem Gebiet könnte in Kombination mit Ko-
operation auf anderen Gebieten zum Schlüssel für ein
friedliches – oder zumindest friedlicheres – Miteinander
in der Region beitragen.
Aber auch auf politischem Terrain gibt es in der letz-
ten Zeit Anzeichen, die eine friedliche Lösung möglich
– oder möglicher – erscheinen lassen. Es gibt in Pakistan
zunehmend Kräfte, die die Islamisierung des Landes
nicht nur rhetorisch ablehnen, sondern auch bereit sind,
diesen Tendenzen mutig entgegenzutreten. Dazu gehört
für viele Experten auch Ministerpräsident Gilani, der
sich jüngst für die tatsächliche Wiedereinsetzung des
obersten Richters Chaudhry einsetzte. Präsident Zardari
hatte die zunächst im Wahlkampf versprochene Wieder-
einsetzung behindert. Auch ist ermutigend, dass Zehn-
tausende Richter und Anwälte nicht nur damals unter
Militärherrscher Musharraf demonstrierten, sondern
auch jetzt in der Demokratie bereit waren, für die freie
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erufsausübung ihrer Kollegen zu demonstrieren. Auch
as Militär hat diesmal hinter den Kulissen für Demo-
ratie und Rechtsstaat Partei ergriffen. So hat Armeechef
ayani seinem Präsidenten Zardari frühzeitig signali-
iert, dass dieser im Falle einer Eskalation nicht mit der
nterstützung durch die Armee rechnen könne. Dies ist
as erste Mal in der jüngsten pakistanischen Geschichte,
ass ein Armeechef aufseiten der Demokratie steht.
Bei aller Wachsamkeit gegenüber islamitischen Ten-
enzen sollten wir diese Anzeichen auch als Hoffnung
erstehen, dass Pakistan seine Angelegenheiten durch-
us aus eigener Kraft bewältigen kann. Wir sollten Pa-
istan auf diesem Wege weiter unterstützen.
Hellmut Königshaus (FDP): Der Ansatz des hier
ingebrachten Antrages ist nicht falsch. In Afghanistan
aben wir es nicht mit einem nur nationalen Konflikt zu
un, der an den Grenzen des Landes endet. Nicht zuletzt
akistan fällt dabei eine bedeutende Rolle zu. Das Land
st ein entscheidender Faktor bei der politischen Stabili-
ierung Afghanistans. Die pakistanische Regierung hat
erzeit offenkundig keine wirksame Kontrolle über die
ordwestlichen Grenzprovinzen, in denen 3,5 Millionen
inwohner leben. Stattdessen üben diese Kontrolle ex-
remistische, terroristische und kriminelle Kräfte aus, die
us dem Grenzgebiet auch nach Afghanistan eindringen,
m dort ebenfalls ihren Einfluss auszubauen. Der Ver-
uch der pakistanischen Regierung, diese Gebiete militä-
isch wieder zurückzugewinnen, ist zumindest vorerst
escheitert. Trotz seiner komplizierten innenpolitischen
age darf Pakistan die Kontrolle über diese Region je-
och nicht dauerhaft aus der Hand geben. Der Afghanis-
an-Konflikt ist zwar ein regionaler Konflikt, aber seine
rsachen sind im gesamten zentralasiatischen Raum an-
esiedelt, und er entfaltet auch dort seine Wirkungen.
Eine Sicherheitskonferenz für die Region kann inso-
eit zur Lösung der dortigen Probleme beitragen, aber
icherlich nicht allein. Dem Antrag fehlen insoweit er-
änzende Maßnahmen und Schritte, die über die Einbe-
ufung einer Sicherheitskonferenz hinausgehen. Auch
ktuelle Bezüge und geopolitische Konsequenzen feh-
en. Zudem ist der Antrag mit seiner verkürzenden Art
er Darstellung auch ungeeignet, die Probleme hinrei-
hend zu beschreiben und die vorgeschlagenen Lösungs-
nsätze nachzuvollziehen.
Die neue US-Administration hat begriffen, dass der
onflikt in Afghanistan längst kein ausschließlich af-
hanischer mehr ist und dass die gesamte Region in der
efahr steht, politisch zu kollabieren. Deshalb spricht
ie mittlerweile von „AfPak“, wenn sie auf die Region
chaut. Das Engagement der US-Administration zeigt
och einmal deutlich, dass Pakistan essenziell für die
tabilität der gesamten Region ist. Nicht zuletzt mit
lick auf die pakistanischen Nuklearwaffen müssen wir
it unseren Partnern gemeinsam handeln, neue Kon-
epte entwickeln und umsetzen.
Dafür müssen wir aber zunächst die gleiche Sprache
prechen. Dieser Ansatz ist auch im vorliegenden Antrag
u finden. Allerdings ignoriert er die Möglichkeit, dass
ine solche Konferenz auch scheitern könnte. Und er
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geht auch nicht hinreichend auf die nachfolgenden
Schritte ein, sollte eine solche Sicherheitskonferenz für
die Region erfolgreich verlaufen. Welche Bedeutung
werden die erreichten Ergebnisse haben? Wer verfolgt
die Umsetzung der Vorgaben? Welche Konsequenzen
hat die Nichteinhaltung der vereinbarten Vorgaben?
Und damit sind wir bei einem Kernproblem der deut-
schen Politik in diesem Bereich; während die USA mit
der Ernennung Richard Holbrookes zum Sonderbeauf-
tragten für Pakistan und Afghanistan auf diese Kompe-
tenzfrage reagiert haben, schafft es die Koalition nicht
einmal, sich auf einen Sondergesandten für die Region
zu einigen, der für die gesamte Bundesregierung spricht
und handelt. Im Ergebnis haben wir jetzt einen „Beauf-
tragten des Auswärtigen Amtes“, der nur für seinen Mi-
nister und sich selbst sprechen darf. So sieht also die
vielbeschworene „vernetzte Sicherheit“ in der Realität
dieser Bundesregierung aus. Das hat auch der Beauf-
tragte selbst, der ein hervorragender Diplomat ist, so
nicht verdient. Es ist traurig, dass ein so wichtiges
Thema ganz offenkundig allein zu Wahlkampfzwecken
missbraucht wird. Insgesamt lähmt der Wahlkampf mitt-
lerweile offenbar die Bundesregierung so stark, dass un-
sere außenpolitische Handlungsfähigkeit gefährdet ist.
Wir werden so zum Gespött unserer Partner. Das darf so
nicht weitergehen.
Eine Sicherheitskonferenz, wie der Antrag sie fordert,
kann nur mit einer durchsetzungsfähigen Leitung von
Erfolg gekrönt sein. Hillary Clinton hat beispielsweise
für den nächsten NATO-Gipfel gleich auch eine Afgha-
nistan-Konferenz einberufen. Diese Handlungsfähigkeit
vermisst man leider bei der Bundesregierung. Wir brau-
chen jetzt aber gemeinsames und entschlossenes Han-
deln aller Partner, um in der Region Fortschritte zu erzie-
len. Denn Afghanistan entwickelt sich zurzeit nicht in
die richtige Richtung. Auch sieben Jahre nach dem Sturz
der Taliban kommt Afghanistan nicht zur Ruhe. Nach ei-
nigen vielversprechenden Ansätzen zur Demokratisie-
rung und Stabilisierung droht das Land unter den An-
schlägen der islamistischen Kämpfer wieder im Chaos
zu versinken. Die allgegenwärtige Gewalt und die wirt-
schaftliche Stagnation haben in der Bevölkerung ein
Klima der Hoffnungslosigkeit geschaffen. Eine aktuelle
Umfrage zeigt die Zweifel der Afghanen. Unter der all-
täglichen Erfahrung von Krieg, Gewalt, Korruption und
Armut ist auch das anfangs große Vertrauen in USA und
NATO in Resignation umgeschlagen. Das ist das Ergeb-
nis einer großen repräsentativen Umfrage, die das
Afghan Institute for Social and Public Opinion Research
im Auftrag von ARD, ABC und BBC durchgeführt hat.
Es ist zu befürchten, dass sich die Lage im Laufe des
Jahres noch einmal verschlimmert, wenn nicht entschie-
den gegengesteuert wird.
Der Präsidentschaftswahlkampf macht 2009 zu einem
Entscheidungsjahr für Afghanistan. Die neue US-Admi-
nistration hat auf die veränderten Vorzeichen bereits re-
agiert und ein deutlich verstärktes Engagement in
Afghanistan angekündigt. Nun ist auch die Bundesregie-
rung gefordert, ihre Afghanistanpolitik zu verstärken,
damit 2009 zu einem erfolgreichen Jahr für das Land
und für die Region wird.
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Die UN-Hilfsorganisationen legten Ende 2008 einen
berblick über die humanitäre Situation in Afghanistan
or. Die Situation der afghanischen Bevölkerung habe
ich 2008 verschlechtert, heißt es darin. Die Gründe für
ie Verschlechterung seien in der Hauptsache in der
unahme der Kämpfe, den gestiegenen Nahrungsmittel-
reisen und einer akuten Dürre zu sehen. Zu den
ekannten Schwierigkeiten tritt verschärfend das Trink-
asserproblem hinzu. Es ist also eindeutig, dass das in-
ernationale Engagement für den Wiederaufbau nicht
usreicht. Auch die deutschen Beiträge sind im Ver-
leich zu den Leistungen anderer Geber, etwa Kanadas,
mmer noch viel zu gering. Eine verstärkte entwick-
ungspolitische Zusammenarbeit würde auch die Akzep-
anz für die deutsche Präsenz in Afghanistan erhöhen
nd damit auch die Sicherheit unserer Soldatinnen und
oldaten.
Der Ernst der Lage in Afghanistan zeigt, dass wir alle
eine Zeit zu verlieren haben. Die Bundesregierung
uss Schluss machen mit ihrem Wahlkampfgezänk und
ich gemeinsam und verstärkt für Afghanistan und die
egion einsetzen. Der Antrag der Linken ist dabei leider
eine wirkliche Hilfe.
Dr. Norman Paech (DIE LINKE): Gerade einen
onat ist es her, dass wir im Bundestag über einen An-
rag des Bündnisses 90/Die Grünen diskutiert haben, der
och zur Zeit der Bush-Administration konzipiert war
nd die gleiche Frage wie heute aufwarf: Was ist für die
tabilisierung Pakistans notwendig? Ein Jahr zuvor hatte
s demokratische Wahlen in Pakistan gegeben, die
benso hoffen ließen wie der Wahlsieg Barack Obamas.
och nichts ist von dieser Hoffnung geblieben. Pakistan
st in keiner guten Verfassung, aber nicht erst seit der Er-
ordung Benazir Bhuttos, den Attentaten, die bis auf
en Norden Indiens übergreifen, der Einrichtung der
charia in den Grenzgebieten zu Afghanistan auf Druck
er Taliban und der Wiedereinstellung der aus dem Amt
ejagten Richter unter dem Druck der Straße. Das ist nur
er oberflächliche Ausdruck einer seit langem schwelen-
en tiefen Krise dieses Landes. Pakistan ist seit langem
ezeichnet durch eine dramatische Abwärtsentwicklung
er Wirtschaft und das ebenso dramatische Anwachsen
er Auseinandersetzungen zwischen muslimischen Fun-
amentalisten in den Grenzgebieten zu Afghanistan. Da-
inter tritt der immer noch ungelöste Streit mit Indien
m Kaschmir zurzeit in den Hintergrund – er kann jeder-
eit zu neuer gefährlicher Gewalt eskalieren. Pakistan,
on den USA als wichtigster Verbündeter gegen den in-
ernationalen Terrorismus finanziert und hochgerüstet,
st selbst schon lange zur Quelle des Terrorismus gewor-
en.
Es ist klar, dass nicht nur die USA ein vitales Inte-
esse daran haben müssen, dass dieser instabile Staat
icht noch weiter zerfällt und sich durch einen erneuten
ilitärputsch radikalisiert. Denn dieser Prozess bleibt
icht auf Pakistan begrenzt. Der Souveränitätszerfall Pa-
istans würde auch die Desintegration Afghanistans be-
chleunigen und die Gewalt in der Region würde enorm
skalieren. Die Folge wäre die zwangsläufige Auswei-
ung der Interventionen auf weitere Provinzen Pakistans,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22931
(A) )
(B) )
wie sie die USA soeben schon für den Einsatz von
Kampfdrohnen angekündigt haben.
Was kann man dagegen tun? Aus den USA kommt
wieder das alte Rezept: 4 bis 5 Milliarden US-Dollar
seien unmittelbar notwendig, 1 Milliarde davon für Poli-
zei und Militär. Gerade hatte Pakistan 7,6 Milliarden
US-Dollar vom Internationalen Währungsfonds bekom-
men. Alle Militärputsche sind mit Milliarden US-Dollar
für die Rüstung belohnt worden. Eines ist daher sicher:
Weitere Finanzmittel werden in einem Land mit
170 Millionen Einwohnern, in dem eine schmale Schicht
über märchenhaften Reichtum verfügt, die Mehrheit
aber in sozialem Elend lebt, nicht die erhoffte Stabilisie-
rung bringen. Eine solche Gesellschaft kann man nicht
mit Geld sanieren.
Man wird dieser Gesellschaft darüber hinaus auch
nicht mehr Sicherheit geben, wenn man weitere
17 000 Soldaten in das benachbarte Afghanistan sendet
und gleichzeitig die Kampfzonen auf pakistanischem
Territorium ausweitet. Was Afghanistan in sieben Jahren
Krieg nicht sicherer gemacht hat, wird auch Pakistan
keine Sicherheit bringen.
Viele soziale, ökonomische und politische Maßnah-
men wären notwendig, um Pakistan die notwendige ge-
sellschaftliche Stabilität zu bringen. Allerdings be-
schränken sich Instabilität und steigende Gewalt nicht
auf Pakistan, sondern haben die ganze Region ergriffen.
Deshalb wird Pakistan nicht so schnell aus sich selbst
heraus Stabilität entwickeln – die Probleme sind zu kom-
plex und eben nicht auf seine Grenzen beschränkt.
Von außen gibt es bestimmt kein Patentrezept. Eine
Krise, die nicht auf ein nationales Territorium begrenzt
ist, muss mit einem internationalen Konzept bekämpft
werden. Es müssen die Staaten zusammengeführt wer-
den, die direkt oder indirekt von dieser Krise gefährdet
werden. Deshalb erneuern wir noch einmal unseren Vor-
schlag einer Konferenz, die die Staaten der Region von
Iran über Afghanistan bis China und Indien mit Pakistan
an einen Tisch holt, um ein gemeinsames, auf wechsel-
seitiger Unterstützung basierendes Sicherheitskonzept
zu entwickeln. – Übrigens wurde solch eine Konferenz
jüngst auch in einem Bericht eines US-amerikanischen
Think Tanks zu Pakistan gefordert. Sicherheit kann nur
mithilfe und der Verpflichtung der Staaten der gesamten
Region erreicht werden. Und nehmen Sie die neue Ge-
sprächsbereitschaft der US-Administration ernst und sa-
gen Sie ihr, sie möge die Souveränität Pakistans achten
und von der Ausweitung ihrer Kampfeinsätze Abstand
nehmen – aus politischen und aus rechtlichen Gründen.
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Vor einem halben Jahr hatten wir Grüne an dieser Stelle
eine Aktuelle Stunde beantragt mit dem Titel „Pakistan
stabilisieren, Völkerrecht beachten“. Damals gab es
Hoffnung. Es hatte einen demokratischen Machtwechsel
im Land gegeben. Wir alle warben um Unterstützung der
internationalen Gemeinschaft dafür, die Regierung
Zardari-Gilani handlungsfähig zu machen. Die Hoffnung
ist noch da, die Euphorie von damals ist allerdings sehr
schnell vergangen – vor allem in Pakistan selbst.
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Im Nordwesten von Pakistan, im Swat-Tal, bestim-
en inzwischen Scharia-Gerichte anstatt staatlicher In-
titutionen, was richtig und was falsch ist. In Waziristan
rleben wir eine zunehmende Talibanisierung und einen
erfall der staatlichen Strukturen, keine 200 Kilometer
on Islamabad entfernt. Aber auch in der Hauptstadt
eigt sich Erschreckendes. Die erbitterten Kämpfe zwi-
chen den beiden verfeindeten Parteien, der Pakistan
eoples Party (PPP) und der Muslim Liga, lähmen die
nnenpolitik.
Es ist unglaublich: Bislang haben wir gehofft, Gene-
al Musharraf zugunsten demokratischer Kräfte ein für
llemal los zu sein. Jetzt scheint die Situation so verfah-
en, dass ausgerechnet er sich wieder als „Retter in der
ot“ anbieten kann. Ich appelliere an den Präsidenten
ardari und an den Oppositionsführer Sharif, ihre alten
rabenkämpfe endlich ruhen zu lassen und sich zum
ohle Pakistans zu einer demokratischen Zusammenar-
eit durchzuringen!
Wenn man der gestrigen Ausgabe der New York Times
lauben darf, droht allerdings noch mehr Ungemach.
ort wird von geradezu kontraproduktiven Planungen
er US-Administration berichtet. Angeblich will sie die
isherigen völkerrechtswidrigen Luftschläge in Pakistan
icht nur fortsetzen, sondern sie sogar auf weitere Ge-
iete des Landes ausweiten. Gegen diese Luftschläge ha-
en wir uns in zahllosen Anträgen und nicht zuletzt in
er Aktuellen Stunde ausgesprochen. Eine Ausweitung
ieser Angriffe würde zu nichts anderem als zu einer
eiteren Eskalation der Gewalt und einer weiteren
chwächung der staatlichen Institutionen Pakistans füh-
en.
In dem hier zu beratenden Antrag macht es sich die
inke sehr einfach. Sie fordern eine Regionalkonferenz.
hne Zweifel muss eine solche Konferenz Bestandteil
es regionalen Lösungsansatzes sein, keine Frage. Aller-
ings wurde der Antrag inzwischen von der Realität
berholt: Eine Afghanistan-Konferenz findet statt, Ende
es Monats in Den Haag. Mit dabei werden viele Ak-
eure aus der Region sein, nicht nur Staaten, sondern
uch Nichtregierungsorganisationen und Hilfsorganisa-
ionen. Die Zusammensetzung dieser Konferenz zeigt
umindest eine teilweise Abkehr von der bisherigen Au-
enpolitik der Bush-Ära durch den US-Präsidenten
arack Obama und seine Außenministerin Hillary
linton. Die Vereinten Nationen spielen eine wichtigere
olle als bisher. Der Ansatz ist tatsächlich regional und
ichtig, das heißt, man sucht gemeinsam mit den Betei-
igten und deren Nachbarn nach einer Lösung. Und dies
offentlich unter Beteiligung Irans.
Eine Konferenz alleine wird allerdings nicht ausrei-
hen, um die zahlreichen und unterschiedlichen Streit-
ragen im Verhältnis zwischen Pakistan und Afghanistan
owie zwischen Pakistan und Indien zu lösen. Dazu sind
angfristiger angelegte regionale Initiativen notwendig,
ie Vertrauen schaffen. Und es braucht übergreifende
berlegungen zu regionalen Entwicklungsstrategien,
ersöhnungsinitiativen und eine dauerhafte Sicher-
eitskooperation in der Region.
22932 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
(A) )
(B) )
Es wäre völlig falsch, Pakistan ausschließlich aus der
Perspektive der Situation in Afghanistan zu betrachten.
Pakistan ist ein selbstständiges Land mit über 160 Mil-
lionen Einwohnern, ein sehr wichtiges Land in der Re-
gion und nicht zuletzt eine Atommacht. Sie aber, meine
Damen und Herren von der Linksfraktion, machen wie-
der einmal deutlich, dass Sie in der Außenpolitik kein
Interesse für Details haben. Sie nutzen das Thema vor al-
lem, um Ihre populistische Forderung nach dem soforti-
gen und unverantwortlichen Abzug der Bundeswehr aus
Afghanistan zu transportieren. Das ist weder sachge-
recht, noch ist es der Ernsthaftigkeit der Situation in Pa-
kistan angemessen. Wir lehnen Ihren Antrag daher ab.
Diese Substanzlosigkeit des Antrags der Linksfration
entlässt die Bundesregierung allerdings nicht aus der
Pflicht, uns endlich zu erklären, welche Strategie sie für
Pakistan verfolgt. Doch die Koalition ist mittlerweile au-
genscheinlich in allen Feldern handlungsunfähig. Es
steht zu befürchten, dass sie auch diese wichtige Frage
nicht beantwortet.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines … Gesetzes
zur Änderung des Strafgesetzbuches – Anhe-
bung der Höchstgrenze des Tagessatzes bei
Geldstrafen (Tagesordnungspunkt 17)
Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/
CSU): Wie ein Lindwurm schlängelt sich die Bezeich-
nung des Gesetzes, das wir in erster Lesung beraten,
über zwei Zeilen: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
des Strafgesetzbuches – Anhebung der Höchstgrenze des
Tagessatzes bei Geldstrafen. Zwei Zeilen, die auf den
Punkt gebracht bedeuten: mehr Belastungsgleichheit bei
Geldstrafen. Eine Geldstrafe, die ein Strafgericht fest-
setzt, ist nur dann gerecht, wenn sie bei gleicher Tat den
„kleinen Mann“ nicht stärker belastet als den gut Situier-
ten.
Das geltende Recht nimmt bei der Verhängung von
Geldstrafen ohnehin schon Ungleichgewichtigkeiten in
Kauf. Wird ein Familienvater zu einer Geldstrafe verur-
teilt, wird der unschuldige Rest der Familie mitbelastet.
Außerdem besteht die Möglichkeit, das Strafübel der
Geldstrafe straflos auf Dritte abzuwälzen. Wer eine frei-
giebige, vermögende Tante hat, spürt die Last einer
Geldstrafe nicht. Außerdem wird das Vermögen privile-
giert. Es darf bei der Bemessung der Geldstrafe nur ein-
geschränkt herangezogen werden (Bay NJW87, 2029).
Eine Ungleichgewichtigkeit besteht aber auch in der
Privilegierung von Straftätern mit außergewöhnlich ho-
hem Einkommen, sofern sie zu einer Geldstrafe verurteilt
werden. Das bei der Geldstrafenbildung zu berücksichti-
gende Tagesnettoeinkommen ist nämlich bei 5 000 Euro
gedeckelt. Bis zum 2. StrRG vom 4. Juli 1969 wurde
eine Geldstrafe als sogenannte Geldsummenstrafe aus-
geworfen. Die Bürger verstanden nicht, warum bei glei-
cher Tat ein Verurteilter 500, der andere 5 000 DM zah-
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en musste. Seit dem Jahr 1969 gilt nunmehr das
ogenannte Tagessatzprinzip. Die Geldstrafe wird nicht
ehr in einem Betrag festgesetzt, sondern in Tagen ge-
äß § 40 Abs. 1 des Strafgesetzbuches von fünf Tagen
is 360 Tagen. Nach diesem ersten Zumessungsschritt
olgt der zweite, in dem das tägliche Nettoeinkommen
es zu Verurteilenden ermittelt wird. Dabei sind Unter-
altsverpflichtungen zu berücksichtigen, aber Belastun-
en aus Vermögensbildung nicht und Erträge aus
ermögen nur eingeschränkt. Das Gericht kann die Ver-
ögens- und Einkommenslage schätzen (§ 40 Abs. 3 des
trafgesetzbuches). Durch den zweiten Zumessungs-
chritt wird sichergestellt, dass Gering- und Besserver-
ienende ihren Einkommensverhältnissen angemessen
leiche Vermögensopfer erbringen müssen.
Die Höhe eines Tagessatzes beträgt mindestens 1,
öchstens 5 000 Euro. Bei den höchstmöglich verhäng-
aren 360 Tagessätzen ergibt sich daraus eine gesetzli-
he Höchstgeldstrafe von 1,8 Millionen Euro, der rech-
erisch ein Monatsnettoeinkommen von 150 000 Euro
ugrunde liegt. Nun gibt es aber immer mehr Personen,
eren Monatsnettoeinkommen diesen Betrag deutlich
bersteigt. So entsteht eine Belastungsungleichheit zwi-
chen Arm und Reich. Während selbst der Sozialhilfe-
mpfänger von seinem eigentlich pfändungsfreien Ein-
ommen zur Geldstrafenzahlung herangezogen werden
ann, profitiert der Großverdiener von der Deckelung
er Tagessatzhöhe auf 5 000 Euro. Dieses Ungleichge-
icht beseitigt der Gesetzentwurf dadurch, dass die
bergrenze der Tagessatzhöhe nach § 40 Abs. 2 Satz 3
es Strafgesetzbuches von 5 000 auf 30 000 Euro ange-
oben wird. Damit kann Belastungsgleichheit bis zu ei-
em monatlichen Nettoeinkommen von 600 000 Euro
ergestellt werden.
Dieses Gesetz wird zu nicht unerheblichen Mehrein-
ahmen bei den Ländern führen. Die Höhe der Mehrein-
ahmen lässt sich nicht einmal grob schätzen. Führt aber
ie Gesetzesänderung in Deutschland auch nur in fünf
ällen zu einer fiktiven Verurteilung von 180 Tagessät-
en á 30 000, Euro ergibt sich daraus eine Mehrein-
ahme von 27 Millionen Euro. Damit lässt sich eine von
en Ländern nachhaltig abgewiesene Forderung der Op-
erschutzorganisation Weißer Ring umsetzen, dass näm-
ich auf der Grundlage von Art. 13 Abs. 1 des EU-Rah-
enbeschlusses vom 15. März 2001 10 Prozent der
eldstrafen Opferschutzzwecken zugeführt werden soll-
en. Das wäre nicht nur vor dem Hintergrund des am
2. März jedes Jahres anstehenden Tages des Kriminali-
ätsopfers eine nicht nur noble Geste. Finanzierbar wäre
ber auch die von Kollegen Danckert und mir in unseren
eden im Deutschen Bundestag vom 12. Februar 2009
rhobene Forderung, einem in U-Haft genommenen Be-
chuldigten ab dem Zeitpunkt seiner polizeilichen Fest-
ahme (und nicht wie nach bestehendem Recht des
140 Abs. 1 Ziff. 5 StPO erst nach dreimonatiger Unter-
uchungshaft) einen Pflichtverteidiger beizuordnen.
ies sind zwei rechtspolitische Forderungen, denen mei-
es Erachtens der Vorrang vor fiskalischen Interessen
er Länder eingeräumt werden muss. Darauf sollten wir
n der Ausschussberatung unser Augenmerk lenken.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22933
(A) )
(B) )
Dr. Peter Danckert (SPD): Wir beraten heute Abend
in zweiter und dritter Lesung den „Gesetzentwurf der
Bundesregierung zur Anhebung des Tagessatzes bei
Geldstraftaten“. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
soll die Obergrenze eines Tagessatzes bei Geldstrafen
von bisher 5 000 Euro auf maximal 20 000 Euro angeho-
ben werden. Im Zuge der parlamentarischen Beratungen
haben wir die Obergrenze sogar noch auf 30 000 Euro
erhöht. Damit stellen wir sicher, dass es auch in Zukunft
kein Gerechtigkeitsdefizit im Bereich der Geldstrafen
gibt.
Das Tagessatzsystem basiert auf dem Gedanken der
Belastungsgleichheit und damit dem Grundsatz der ma-
teriellen Gerechtigkeit. Die Anzahl der Tagessätze spie-
gelt den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat wider. Bei
einer Einzeltat kann das Gericht maximal 360 und meh-
reren Taten maximal 720 Tagessätze verhängen. Die
Höhe des Tagessatzes soll die Belastungsgleichheit si-
cherstellen und bemisst sich an den wirtschaftlichen Ver-
hältnissen des Täters. Ein Tagessatz entspricht daher in
der Regel dem Nettoeinkommen, das dem Täter durch-
schnittlich an einem Tag zur Verfügung steht.
Was ist der Hintergrund für diese in meinen Augen
notwendige Initiative von Bundesjustizministerin Bri-
gitte Zypries zur Anhebung der Höchstgrenze eines Ta-
gessatzes bei Geldstrafen? Im Kern geht es darum, Täter
mit sehr hohen Einkünften bei der Bemessung der Geld-
strafe angemessen erfassen zu können. Seit 1975 ist das
sogenannte Tagessatzsystem, mit dem die Höhe einer
Geldstrafe festgelegt wird, nicht verändert worden. Vor
dem Hintergrund der Einkommensentwicklung in den
letzten gut 30 Jahren ist die Höchstgrenze des Tagessat-
zes von 5 000 Euro nicht mehr zeitgemäß und angemes-
sen. Während 1975 ein Tagesnettoeinkommen oberhalb
dieser Grenze (damals 10 000 DM) die große Ausnahme
darstellte, mehren sich heute die Fälle, in denen das Ein-
kommen des Täters dieses Höchstmaß überschreitet –
und zwar deutlich. Spitzenverdiener mit einem Jahres-
nettoeinkommen von 6 Millionen Euro trifft somit die
Geldstrafe weniger hart als einen Geringverdiener. Das
ist nicht gerecht! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
schaffen wir die Voraussetzung, dass die Geldstrafe je-
den Täter mit gleicher Wirkung trifft. Wir wollen, dass
die Strafe den unterschiedlichen wirtschaftlichen Ver-
hältnissen der Täter angepasst wird. Es ist in meinen Au-
gen nur gerecht, wenn dem einkommensstarken Täter
grundsätzlich ein vergleichbares finanzielles Opfer ab-
verlangt wird wie dem einkommensschwachen Täter.
Aufgrund von verfassungsrechtlichen Bedenken ha-
ben wir davon abgesehen, die Obergrenze für einen Ta-
gessatz ganz aufzuheben. Im Rahmen der parlamentari-
schen Beratungen haben wir allerdings die derzeitige
Obergrenze von 5 000 Euro nicht nur wie im Regie-
rungsentwurf vorgesehen auf 20 000 Euro, sondern auf
30 000 Euro erhöht. Durch eine Anhebung der Höchst-
grenze auf ein Tagesnettoeinkommen von 30 000 Euro
werden auch Täter der höchsten Einkommensgruppe an-
gemessen erfasst. Zukünftig kann als höchste mögliche
Geldstrafe ein Betrag in Höhe von 10,8 Millionen Euro
bei einer Einzeltat und von 21,6 Millionen Euro bei
mehreren Taten verhängt werden; die bisherigen Höchst-
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renzen liegen bei 1,8 bzw. 3,6 Millionen Euro. Dank
er Neuregelung geht es auch Besserverdienenden an
en Kragen. Und das ist auch gut so!
An dem Grundsatz, dass die schuldangemessene
trafe nach der Anzahl der Tagessätze zu bemessen ist
nd nicht nach deren Höhe, ändert der vorliegende Ge-
etzentwurf nichts. Was sich ändert, ist, dass jetzt auch
in Generaldirektor mit einem Jahresnettoeinkommen
on mehreren Millionen Euro, der Steuern in größerem
mfang hinterzogen hat, eine Geldstrafe zu zahlen hat,
ie auch ihn – jedenfalls im Ansatz – schmerzhaft trifft.
amit schaffen wir mehr Gerechtigkeit.
Gestatten Sie mir zum Abschluss noch folgende Be-
erkung. Die Financial Times titelte gestern „Fall
umwinkel schreckt ab“. Die Steuerskandale des ver-
angenen Jahres haben bei den Deutschen zu einer leicht
erbesserten Steuermoral geführt: Mittlerweile 57 Pro-
ent der Bevölkerung sagen, sie würden „auf keinen Fall
teuern hinterziehen“. Vor allem die Angst vor Entde-
kung und Strafe schrecke ab. Das ist doch mal eine
eldung, die die Gerichte, die Staatskasse und nicht zu-
etzt uns Rechtspolitiker freuen dürfte.
Jörg van Essen (FDP): Mich wundert, dass wir
eute über ein Gesetz eine Debatte führen müssen, bei
em wir in den Beratungen Einigkeit hatten. Mehr noch:
ie in der letzten Sitzungswoche vom Bundesjustiz-
inisterium vorgelegte Formulierungshilfe passierte den
echtsausschuss ohne Debatte. Alle Fraktionen haben
ugestimmt – nur Die Linke hat sich enthalten. Wieso
un die heutige Debatte? Ist es nicht so, dass wir sehr
iel dringendere Dinge haben als die – in der Tat überfäl-
ige – Angleichung von Geldstrafen an die heutige Le-
enswirklichkeit?
Selbstverständlich – daran möchte ich hier keinen
weifel lassen – sieht auch die FDP-Bundestagsfraktion
ie Notwendigkeit einer Anpassung der Höchstgrenze
ür Geldstrafen. Der Tagessatz liegt derzeit bei höchs-
ens 5 000 Euro. Diese Höchstsumme ist seit Jahrzehn-
en gleich geblieben. Die 1975 eingeführte Regelung ist
m Lichte der Lebenswirklichkeit im Jahr 2009 damit in
er Tat ungerecht. Dabei soll das in § 40 StGB normierte
weiaktige System der Festlegung der Zahl der verwirk-
en Tagessätze und ihrer Höhe gerade sicherstellen, dass
ie Geldstrafe nicht nur dem Unrechts- und Schuldgehalt
er Tat entspricht, sondern diese Strafe jeden Täter unge-
chtet seiner finanziellen Leistungskraft grundsätzlich
it gleicher Wirkung trifft. Es ist daher nur recht und
illig, einem Täter mit einem hohen Nettoeinkommen
in vergleichbares finanzielles Opfer abzuverlangen wie
inem einkommensschwachen Täter. Die Anhebung der
trafrechtlichen Tageshöchstsätze ist somit folgerichtig.
amit wird der Entwicklung der vergangenen Jahre
echnung getragen, dass die Menschen heute über ein
eitaus höheres Nettoeinkommen verfügen, als dies
och in den 70er-Jahren der Fall war.
Ich verhehle nicht, dass ich im Lichte des zuvor Ge-
agten auch Sympathien für den Ansatz des Bundesrates
nd auch des DAV hatte, die Obergrenze vollkommen
ufzuheben. Dies hätte den Vorteil, dass eine erneute
22934 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
(A) )
(B) )
Anpassung des § 40 StGB künftig nicht mehr notwendig
werden würde. Auch würden mit der vollständigen Auf-
hebung der Obergrenze alle Straftäter – auch mit extrem
hohen Einkommen – nach ihrer vollen Leistungsfähig-
keit belastet werden. Die FDP-Bundestagsfraktion
nimmt aber den Hinweis der Bundesregierung auf
Art. 103 Abs. 2 GG – Bestimmtheitsgrundsatz – sehr
ernst. Es wäre nichts erreicht, wenn wir hier eine Rege-
lung schaffen würden, die Gefahr liefe, mit dem Grund-
gesetz unvereinbar zu sein. Der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts ist unbedingt Rechnung zu
tragen.
Der von dem Bundesjustizministerium vorgelegte
Kompromissvorschlag ist ein guter und gangbarer Weg.
Mit der jetzt gefundenen Regelung steigt der mögliche
Höchstbetrag einer Geldstrafe auf 10,8 Millionen Euro
bei einer Einzeltat und auf 21,6 Millionen Euro bei Tat-
mehrheit. Das sind keine Peanuts!
Ich möchte die Gelegenheit aber nutzen, auf die in der
letzten Woche von dem Deutschen Institut für Wirt-
schaftsforschung, DIW, vorgestellte Studie zu 40 Jahren
Strafrechtsreform zu sprechen kommen. Diese zeigt zum
einen die weiter zunehmende Bedeutung von Geldstra-
fen. Sie zeigt damit, dass dieses Gesetzgebungsverfahren
in der Praxis Bedeutung hat. Zum anderen kommt die
Studie aber in meinen Augen zu einem sehr alarmieren-
den Befund: Die Autoren der Studie kamen so unter an-
derem zu dem klaren Schluss, dass es auf Täter negativ
wirke, dass zunehmend Verfahren eingestellt werden.
Das Problem ist: Seit der Strafrechtsreform 1969 hat die
Zahl der Verfahrenseinstellungen massiv zugenommen.
Vor diesem Ergebnis dürfen wir die Augen nicht ver-
schließen! Die Überschrift „Verbrechen lohnt sich zu
oft“ einer Tageszeitung zu der Studie hat mich sehr be-
unruhigt.
Abschreckend wirken nach Erkenntnissen der Studie
vor allem hohe Aufklärungs- und Verurteilungsraten.
Daher ist es essenziell, dass wir bei den Ermittlungsbe-
hörden nicht den Rotstift ansetzen. Dass dabei gar nicht
so sehr die Härte des Urteils die Kriminalitätsentwick-
lung beeinflusst – das sage ich ganz bewusst in Richtung
der Vertreter der Unionsfraktionen –, habe ich übrigens
mit großem Interesse gelesen. Dieses werden wir bei
manch kommender Diskussion über Strafrahmenver-
schärfungen im Hinterkopf haben müssen. Vielmehr
kommt die Studie zu dem klaren Ergebnis, dass Strafver-
urteilung dann wirkt, wenn auf die Straftat die Strafe auf
dem Fuße folgt. Eine Feststellung, die ich auch aufgrund
meiner Erfahrung als früherer Oberstaatsanwalt nur un-
eingeschränkt bestätigen kann. Hoher Verfolgungsdruck
wirkt besser als hohe Strafrahmen. Wichtig ist gerade bei
jungen Menschen, dass die Strafe auf dem Fuße folgt.
Umso schlimmer ist es, wenn bei leichten und mittle-
ren Delikten laut der Studie immer mehr Verfahren ein-
gestellt werden. Die hohen Zahlen der Verfahrenseinstel-
lungen sehe ich mit großer Sorge. Vorschnelle
Verfahrenseinstellungen sind das falsche Signal an die
Täter und ein Schlag ins Gesicht für die Opfer. Dies gilt
umso mehr, als im Bereich der „kleinen Sünden“, also
im Ordnungswidrigkeitenrecht, unbarmherzig zuge-
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chlagen wird. Es ist heute leichter, bis in den Bereich
er mittleren Kriminalität ungeschoren mit einer Verfah-
enseinstellung wegen Geringfügigkeit ohne Geldauf-
age davonzukommen als nach einem völlig belanglosen
leinen Verstoß im Straßenverkehr. Auch da wird die
erechtigkeit auf den Kopf gestellt. Es wird Zeit, dass
ir den Abschnitt Rechtsfolgen der Tat im Strafgesetz-
uch und im Ordnungswidrigkeitenrecht noch einmal
enauer unter die Lupe nehmen. Hier besteht Hand-
ungsbedarf.
Ulrich Maurer (DIE LINKE): Mit dem vorliegenden
esetzentwurf der Bundesregierung sollte das Höchstmaß
ür einen Tagessatz bei einer Geldstrafe von 5 000 Euro
uf 20 000 Euro angehoben werden. Die Beschlussemp-
ehlung des Rechtssauschusses sieht nunmehr eine An-
ebung auf 30 000 Euro vor. Wir werden uns enthalten,
eil nicht einsichtig ist, warum es überhaupt eine Ober-
renze gibt und weiter geben soll. Richtig wäre deren er-
atzlose Streichung gewesen.
Die Höhe eines Tagessatzes orientiert sich an den per-
önlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters.
abei soll das Gericht in der Regel das durchschnittliche
ettoeinkommen, das der Täter an einem Tag hat oder
aben könnte, zugrunde legen. Dies zielt auf die Herstel-
ung von Opfergerechtigkeit bzw. -gleichheit. Der „Rei-
he“ soll durch die Strafe möglichst gleich hart getroffen
erden wie der „Arme.“ Dieses Ziel – das hat die Bun-
esregierung zutreffend erkannt – ist mit einem Höchst-
etrag von 5 000 Euro nicht zu erreichen. Man braucht
ich lediglich die absurden Auswüchse bei der Manager-
ergütung in Erinnerung zu rufen. Es gibt Menschen, die
eutlich mehr als 5 000 Euro pro Tag verdienen.
Es gibt aber (leider) auch Menschen, die mehr als
0 000 Euro pro Tag verdienen, besser gesagt: bekom-
en. Dass diese Menschen nicht nach ihrer tatsächlichen
eistungsfähigkeit belangt werden sollen, ist grob unge-
echt. Die materiell Privilegiertesten in dieser Gesell-
chaft werden durch die künstliche Deckelung der
öchstgrenze nochmals begünstigt. Dabei wird der
Reiche“ die Geldstrafe ohnehin stets leichter verkraften
ls der „Arme“, weil er über Möglichkeiten verfügt, die
er „Arme“ nicht hat. Er hat Rücklagen und Ersparnisse,
insetzbares sonstiges Vermögen, Sicherheiten für eine
reditaufnahme und so weiter. Warum also die unan-
tändig Reichen durch eine Obergrenze zusätzlich privi-
egieren? Für unsere Fraktion sind keine überzeugenden
ründe erkennbar.
Die von der Bundesregierung vorgebrachten verfas-
ungsrechtlichen Scheinargumente wurden vom Bundesrat
seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf aus zutreffen-
en Gründen zurückgewiesen. Die in Bezug genommene
ntscheidung des Verfassungsgerichts zur Vermögens-
trafe lässt sich auf den hier interessierenden Bereich
icht übertragen. Die Haltung der Bundesregierung wäre
ur verständlich, wenn sie annähme, dass Menschen mit
inem Tageseinkommen von über 30 000 per se nicht
riminell werden oder sich jedenfalls der Strafverfol-
ung erfolgreich entziehen können.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22935
(A) )
(B) )
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eine
von einem Strafgericht verhängte Freiheitsstrafe trifft je-
den Straftäter gleich. Ein Jahr Freiheitsentzug belastet
jeden gleich, zumindest dem Grundsatz nach; denn Frei-
heit und Lebenszeit sind grundsätzlich gleich viel wert.
Bei einer Geldstrafe ist dies völlig anders. 1 000 Euro
Geldstrafe sind für einen Armen sehr viel und für einen
Reichen sehr wenig. Deshalb haben wir in Deutschland
ein zweistufiges Geldstrafensystem. Zuerst wird die
Geldstrafe einem Freiheitsentzug angenähert und erst in
einer zweiten Stufe in Geld umgerechnet. In der ersten
Stufe entscheidet das Gericht über die schuldangemes-
sene Strafe von – in diesem Fall – 100 Tagen bzw. Ta-
gessätzen. Danach wird das Tagesnettoeinkommen er-
mittelt und mit der Anzahl der Tage multipliziert. Im
Ergebnis ist ein Jahr Freiheitsstrafe immer ein Jahr Frei-
heitsstrafe, aber 1 000 Euro Geldstrafe für einen können
sehr wohl das Gleiche sein wie 15 000 Euro für einen
anderen.
Das geltende Recht kennt eine Höchstgrenze der Ta-
gessätze von 360 und eine Höchstgrenze eines einzelnen
Tagessatzes, also ein höchstes zu berücksichtigendes Ta-
gesnettoeinkommen von 5 000 Euro. Diese Regelung
bevorzugt alle Straftäter, die mehr als 5 000 Euro täglich
netto einnehmen. Dies war vor Jahren ein Randproblem,
ist es aber heute nicht mehr. Deshalb begrüßen wir Grü-
nen den Gesetzentwurf, mit dem die Höchstgrenze des
Tagesnettoneinkommens auf 30 000 Euro angehoben
wird.
Auf eine völlige Aufhebung der Obergrenze des
Höchstsatzes hat die Bundesregierung verzichtet, um
eventuellen Zweifeln an dem Bestimmtheitsgrundsatz
im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG und der diesbezügli-
chen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
Rechnung zu tragen, obwohl sie selbst von diesen Zwei-
feln nicht sehr überzeugt ist.
Das sehen der Deutsche Richterbund und der Deut-
sche Anwaltsverein anders. Sie meinen, dass eine zif-
fernmäßige Begrenzung der Tagessatzhöhe nicht erfor-
derlich sei und auch vom Bundesverfassungsgericht
nicht gefordert werde. Zur Vorhersehbarkeit der Strafe
reiche es aus, wenn die Tagessatzanzahl durch das Ge-
setz bestimmt bleibe. Der DAV sieht bei Beibehaltung
der Obergrenze sogar die Gefahr, dass auf unbeschränkte
Geldauflagen ausgewichen wird und damit wieder mehr
kurze Freiheitsstrafen verhängt werden.
Verlassen wir doch einmal die intellektuell hochinteres-
sante Verfassungsdebatte und mühen uns hinab in die Re-
alität der Praxis. Bei einer Tagessatzhöhe von 30 000 Euro
sprechen wir von einem monatlichen Nettogehalt von
900 000 Euro. Das entspricht einem Jahreseinkommen
von 10 800 000 Euro netto. Dieses Einkommen hat weder
ein Josef Ackermann mit einer Jahresvergütung von brutto
13,2 Millionen Euro noch ein Klaus Zumwinkel mit einem
Einkommen von gut 4 Millionen Euro brutto. Selbst an-
dere Spitzenmanager mit einem Jahresnettoeinkommen
von 6 Millionen Euro bleiben mit einem Tagessatz von
16 667 Euro weit unter der Höchstgrenze im Gesetzent-
wurf; nicht zu vergessen, dass wir hier von Gehältern
sprechen, die 0,001 Prozent der Bevölkerung erhalten.
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b diese Spitzengehälter auch verdient sind, will ich in
ieser Debatte nicht bewerten.
Eine Anhebung der Höchstsätze ist wichtig und rich-
ig. Die Höchstgrenze von 30 000 Euro reicht aus, um
elbst sehr hohe Einkommen abzudecken und eine ge-
echte Strafe zu verhängen. Wir werden diesem Gesetz
eshalb zustimmen.
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
esministerin der Justiz: Mit dem Ihnen heute vorliegen-
en Gesetzentwurf wollen wir die Höchstgrenze des Ta-
essatzes bei Geldstrafen von 5 000 auf 30 000 Euro
nheben. Hierbei handelt es sich nur scheinbar um eine
her unbedeutende Änderung in unserem Sanktionensys-
em. Tatsächlich bedeutet diese Änderung: wieder mehr
erechtigkeit bei der Verhängung von Geldstrafen und
amit mehr Gerechtigkeit bei der Anwendung unseres
trafrechts. Ich freue mich daher, dass der Entwurf bei
en Beratungen im Rechtsausschuss eine breite und über
ie Koalitionsgrenzen hinausgehende Zustimmung er-
ahren hat.
Was ist nun der Hintergrund der Anhebung des soge-
annten Tagessatzes? Wir wollen mit der Anhebung der
öchstgrenze des Tagessatzes auch Täter mit sehr hohen
inkünften bei der Bemessung der Geldstrafe wieder an-
emessen erfassen können. Es handelt sich hierbei um
in Vorhaben, das wir unter anderem vor dem Hinter-
rund des „Mannesmann-Verfahrens“ und der „Liech-
enstein-Affäre“ angestoßen haben. Sollte sich aber he-
ausstellen, dass strafrechtlich relevantes Fehlverhalten
on Spitzenmanagern mitursächlich war für die aktuelle
inanz- und Wirtschaftskrise, wäre dies ein weiterer Be-
eg dafür, dass die vorgeschlagene Änderung notwendig
st, um künftige Vorkommnisse dieser Art – Strafver-
chärfungen können natürlich immer nur für die Zukunft
irken – noch angemessener ahnden zu können.
Dabei möchte ich allerdings gleich zu Beginn ein
ögliches Missverständnis ausräumen: Selbstverständ-
ich ändert der Entwurf nichts an der geltenden Rechts-
age, wonach bei besonders schweren Taten eine Frei-
eitsstrafe zu verhängen ist. Es geht also nicht etwa
arum, dass sich reiche Täter von einer an sich gebote-
en Freiheitsstrafe „freikaufen“ können. Mit dem Vor-
chlag stellen wir vielmehr sicher, dass in den Fällen, in
enen das Gericht eine Geldstrafe für angemessen und
usreichend hält, es auch in Zukunft kein Gerechtig-
eitsdefizit hinsichtlich der konkreten Höhe dieser Strafe
ibt.
Zum Verständnis der Änderung möchte ich kurz das
m deutschen Strafrecht seit langem geltende sogenannte
agessatzsystem erläutern: Eine gerechte Geldstrafe hat
icht nur dem Schuldgehalt der Tat zu entsprechen, sie
oll auch jeden Täter gleich schwer treffen. Deshalb
uss der einkommensstarke Täter für dieselbe Tat eine
nsgesamt höhere Geldstrafe zahlen als der einkommens-
chwache. Daher bemisst das Gericht bei der Bestim-
ung der Geldstrafe die Zahl der Tagessätze am
nrechts- und Schuldgehalt der Tat; die Höhe des Tages-
atzes legt es hingegen unter Berücksichtigung der wirt-
chaftlichen Verhältnisse des Täters fest. Dabei geht es
22936 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
(A) )
(B) )
in der Regel von dem Nettoeinkommen aus, das der Tä-
ter durchschnittlich an einem Tag erzielt oder erzielen
könnte.
Belastungsgleichheit und damit materielle Gerechtig-
keit können wir hier nur erreichen, solange nicht das täg-
liche Nettoeinkommen des Täters die Obergrenze eines
Tagessatzes – womöglich deutlich – übersteigt. Ein Spit-
zenverdiener mit einem Jahresnettoeinkommen von über
3 Millionen Euro und damit einem Tagesnettoeinkom-
men von fast 9 000 Euro kann den derzeitigen Höchst-
satz von 5 000 Euro in der Regel zwar auch nicht aus der
berühmten „Portokasse“ bezahlen. Diese Sanktion ist für
ihn aber nicht mehr vergleichbar spürbar wie für einen
durchschnittlich verdienenden Täter, dessen Tagesnetto-
einkommen von, sagen wir, 100 Euro durch einen ent-
sprechenden Tagessatz von 100 Euro voll aufgezehrt
wird.
Die Erhebungen des Statistischen Bundesamts bele-
gen nun – zusätzlich zu den eingangs erwähnten Ein-
zelfällen –, dass die seit 1975 im Kern unveränderte
Tagessatzobergrenze von 5 000 Euro – 1975 waren es
10 000 DM – der heutigen Entwicklung von Spitzenein-
kommen nicht mehr gerecht wird. Danach kann man
selbst bei zurückhaltender Bewertung davon ausgehen,
dass sich die Zahl der Personen, die über ein tägliches
Nettoeinkommen von mehr als 5000 Euro verfügen, in
den letzten dreißig Jahren mindestens verachtfacht hat.
Während 1974 nur das Einkommen von 88 Steuerpflich-
tigen klar über dieser Grenze lag, waren dies in den letz-
ten Jahren deutlich mehr als 700 Personen. Natürlich
wird es trotz dieses Anstiegs auch in Zukunft nur wenige
Einzelfälle geben, in denen wir es mit Straftätern in die-
ser extremen Einkommensklasse zu tun haben. Ich halte
es aber für wichtig, dass unser Strafrecht gerade auch bei
diesen wenigen, zumeist sehr publikumswirksamen Ein-
zelfällen verdeutlicht, dass es besonders einkommens-
starke Täter keinesfalls privilegiert, sondern auch hier
eine angemessen hohe Strafe ermöglicht.
Die vorgesehene Versechsfachung der Tagessatzober-
grenze von 5 000 auf 30 000 Euro wird dies gewährleis-
ten. Sie wird im Ergebnis dazu führen, dass als höchste
mögliche Geldstrafe zukünftig ein Betrag von 10,8 Mil-
lionen Euro bei einer Einzeltat und von 21,6 Millionen
Euro bei mehreren Taten verhängt werden kann. Nur als
Vergleich, ohne dass ich damit natürlich diese Berufs-
gruppe unter den Verdacht stellen will, eine potenzielle
Tätergruppe zu sein: Nach einer aktuellen Studie des
Bundesanzeigers liegt das durchschnittliche Bruttoein-
kommen eines Vorstandsvorsitzenden eines DAX-Unter-
nehmens doch deutlich darunter, nämlich bei etwa
5 Millionen Euro, inklusive Boni, was bei steuerlichen
Abzügen von etwa der Hälfte circa 2,5 Millionen Euro
netto bedeuten dürfte.
Von einer völligen Aufhebung der Obergrenze haben
wir hingegen bewusst abgesehen. Wir wollen damit et-
waige Zweifel an der hinreichenden Bestimmtheit der
Neuregelung von vorneherein ausschließen. In seiner
recht restriktiven Entscheidung zur Vermögensstrafe
– BverfG-Urteil vom 20. März 2002 (2 BvR 794/95) –
hat das Bundesverfassungsgericht nämlich verlangt, dass
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er Gesetzgeber dem Strafrichter bei der Strafzumes-
ung grundsätzlich eine „fallunabhängige abstrakte Be-
astungsobergrenze“ vorgeben müsse. Konkret zu § 43 a
tGB hat das Bundesverfassungsgericht seinerzeit mo-
iert, dass dieser auf einen „seinem Betrag nach von
ornherein festgelegten Strafrahmen“ verzichte. Zwar
prechen gute Gründe dafür, dass trotz dieser Vorgaben
uch eine völlige Aufhebung der Obergrenze keinen
erstoß gegen das Bestimmtheitsgebot darstellen würde.
enn die vom Bestimmtheitsgrundsatz geforderte Fest-
egung der Grenzen der Rechtsfolgen wird bei der Geld-
trafe in erster Linie durch die Vorgabe eines festen
ahmens für die Zahl der Tagessätze erfüllt. Dennoch
ollten wir hier kein Risiko eingehen, zumal die jetzt
orgesehene deutliche Erhöhung – ich hoffe, dies haben
eine Ausführungen verdeutlicht – auch bei Tätern mit
ehr hohen Einkommen in Zukunft wieder eine weitest-
ehend belastungsgleiche Bestrafung ermöglichen wird.
nlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung:
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Einlagensicherungs- und Anlegerentschädi-
gungsgesetzes und anderer Gesetze
– Antrag: Reform der Anlegerentschädigung
in Deutschland
– Beschlussempfehlung und Bericht: Verbrau-
cherschutz auf den Finanzmärkten stärken
(Tagesordnungspunkt 19 a bis c)
Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Den uns
orliegenden Gesetzesentwurf möchte ich in zwei
bschnitte unterteilen: Der erste Teil ist die Umsetzung
iner EU-Richtlinie vom Dezember 2008. Mit ihr soll-
en, vor dem Hintergrund der Finanzkrise, Anleger von
parguthaben und anderer Einlagen besser abgesichert
erden. Ein wichtiger Schritt dazu ist die Aufstockung der
esetzlichen Mindestdeckung für diese Einlagen. Sie soll
b dem 30. Juni 2009 50 000 Euro statt zuvor 20 000 Euro
etragen. Die bisherige 10-prozentige Selbstbeteiligung
ällt komplett weg. Des Weiteren prüft die EU eine wei-
ere Erhöhung der Mindestabdeckung auf 100 000 Euro.
Eine zusätzliche Maßnahme wird sein, dass die Aus-
ahlungsfristen an Sparer im Entschädigungsfall stark
erkürzt werden sollen, von zuvor drei Monaten auf nun
0 Werktage, in besonderen Fällen höchstens 30 Werk-
age.
Dieser Teil des Entwurfes entspricht größtenteils der
U-Richtlinie und ist also entsprechend umzusetzen. In
einen Augen ist das nicht sehr problematisch, Lassen
ie mich aber trotzdem noch ein paar Anmerkungen
azu machen.
Erstens. Ich bin der Meinung, der komplette Wegfall der
ns bekannten Selbstbeteiligung in Höhe von 10 Prozent
m Falle einer Entschädigung sollte zumindest diskutiert
erden. Die Abschaffung lähmt meiner Meinung nach
ie Eigenverantwortung bei der Auswahl der Finanz-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22937
(A) )
(B) )
anlage. Es werden beim Kauf bestimmter Produkte Garan-
tieversprechungen suggeriert, die nur die Bereitschaft
stärken, ein höheres Risiko einzugehen. Eine Entschädi-
gungseinrichtung werde im Notfall ja schon einspringen.
Ich sehe hier eine ganz problematische Denkweise! Die
Pleite des Wertpapierhandelsunternehmens Phoenix ist
dafür das beste Beispiel. Auch hier wurden Anleger mit
unseriösen Garantieversprechungen gelockt und betro-
gen.
Zweitens. Die Verkürzung der Frist, in der eine Insol-
venz durch die Behörden festgestellt wird, soll sich auf
fünf Tage reduzieren. Das finde ich schon sehr knapp. Das
gilt auch für die Auszahlungsfrist von maximal 30 Tagen.
Es ist zu prüfen, ob ein geordnetes Entschädigungsver-
fahren mit dieser kurzen Frist überhaupt möglich ist.
Lassen Sie mich nun zum zweiten Teil des Entwurfes
kommen, zur Reform der Entschädigungseinrichtungen
in der deutschen Finanzwirtschaft. In meinen Augen
sollte dieser Teil von der doch relativ unproblematischen
Umsetzung der EU-Richtlinie getrennt und in einem ei-
genen Gesetz verabschiedet werden. Warum?
Ich sehe hier noch einigen Diskussionsbedarf, denn das
Thema Anlegerentschädigung ist einfach sehr komplex.
Außerdem ist das Problem Phoenix, bei dem Anleger auf
betrügerische Weise getäuscht und mit Garantieverspre-
chungen gelockt wurden, immer noch nicht gelöst. So
lange können wir auch nicht eine Anlegerentschädigungs-
einrichtung – genauer die Entschädigungseinrichtung für
Wertpapierhandelsunternehmen, kurz EdW – reformieren.
Mindestens drei gerichtliche Verfahren sind noch anhän-
gig und die Entschädigungsmodalitäten immer noch
nicht richtig geklärt. Erst muss dieses Problem gelöst sein,
dann kann auch die entsprechende Einrichtung reformiert
werden.
Dieser Teil des Gesetzesentwurfes hat noch einige
weitere kritische Punkte: Erstens. Es soll unter anderem
ein sogenanntes risikoorientiertes Beitragssystem einge-
führt werden, mit dem sich die Entschädigungseinrichtun-
gen in Zukunft finanzieren sollen. Eine gute Idee, aber
welche Höhe werden diese Beiträge wohl haben? Gibt es
einen Grundbeitrag plus einen Anteil vom Umsatz? Aber
was ist mit den kleinen Wertpapierunternehmen? Zu hohe
Beiträge können schnell die Existenz gefährden. Das
könnte kritisch werden. Deshalb sollte uns recht bald ein
Vorschlag für eine geplante Beitragsordnung vorliegen.
Zweitens. Der Entwurf enthält keine Versicherungs-
lösung für Vermögensverwalter. Das sind Institutionen,
die im Auftrag Vermögen verwalten und anlegen. Wa-
rum keine Versicherungslösung? Nach Aussagen des
Bundesfinanzministeriums wäre diese nicht konform mit
EU-Recht. Das ist nach meinen Informationen nicht nach-
vollziehbar. Eine Zwangsmitgliedschaft für Vermögens-
verwalter, wie sie die EU-Richtlinie vorsieht, bedeutet
doch nicht, dass diese nicht durch eine Versicherung er-
setzt werden könnte. Solch eine Haftpflichtversicherung
ist in den meisten freien Berufen schon längst üblich und
vorgeschrieben. Das wäre auch für die Vermögens-
verwalter ein geeignetes Modell. Eine solche Haft-
pflichtversicherung muss weiter geprüft werden.
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Drittens. Wie sieht es mit der Nachhaftung für ausge-
chiedene Mitglieder aus? Was passiert nach Festsetzung
es Entschädigungsfalls? Dieser Punkt ist weiter unklar.
Die nächsten Gespräche werden zeigen, wie wir in
eutschland die Einlagensicherung und Anlegerentschä-
igung noch besser reformieren können.
Jörg-Otto Spiller (SPD): Der große Themenkom-
lex „Lehren aus der Finanzmarktkrise“, also etwas pau-
chal gesagt: die Frage nach dem international zu verab-
edenden und national umzusetzenden Regelwerk, das
ur Wiederherstellung von Stabilität und Vertrauen ge-
ignet ist, wird den Bundestag in den nächsten Monaten
nd vermutlich über die Wahlperiode hinaus noch aus-
iebig beschäftigen. Bei dem Teilaspekt des Sparer- und
inlagenschutzes, um den es im vorliegenden Gesetzent-
urf geht, ist der Entscheidungs- und Handlungsbedarf
rfreulicherweise weitaus geringer. Denn die Kunden-
inlagen bei deutschen Kreditinstituten sind seit langem
o gut abgesichert wie kaum irgendwo sonst auf der
elt. Bei nahezu allen deutschen Kreditinstituten geht
ie Einlagensicherung auch wesentlich über das Maß hi-
aus, das Gesetz und EU-Richtlinie als Mindestabsiche-
ung vorschreiben.
Einer unbeschränkten Garantie unterliegen die Kun-
enforderungen an Sparkassen und Genossenschaftsban-
en. Denn alle Sparkassen haben sich verpflichtet, falls
ötig, füreinander einzustehen und keine Sparkasse in-
olvent werden zu lassen. In diesen Haftungsverbund
ind übrigens auch die Landesbausparkassen einbezo-
en. Ganz ähnlich konzipiert ist die Bestandssicherung
er Genossenschaftsbanken. Die meisten – allerdings
icht alle – privaten Banken gehören freiwillig dem Ein-
agensicherungsfonds des Bundesverbandes deutscher
anken an. Auch er bietet ein sehr hohes Maß an Absi-
herung. Geschützt sind alle Einlagen von sogenannten
ichtbanken, also von Privatpersonen, Wirtschaftsunter-
ehmen und öffentlichen Stellen. Zu den gesicherten
uthaben gehören neben den Sicht-, Spar- und Termin-
inlagen auch auf den Namen lautende Sparbriefe, aller-
ings keine Inhaberpapiere wie zum Beispiel Inhaber-
chuldverschreibungen und -zertifikate.
Summenmäßig gibt es formal eine Begrenzung. Pro
unde werden Einlagen bis zu insgesamt 30 Prozent des
aftenden Eigenkapitals seiner Bank garantiert. In der
raxis heißt das, der Schutz ist summenmäßig so gut wie
nbegrenzt. Denn schon die kleinste Bank in Deutsch-
and benötigt, um überhaupt zugelassen zu werden, ein
igenkapital von 5 Millionen Euro. Selbst bei einem so
leinen Institut gilt also ein Schutz von 1,5 Millionen
uro pro Kunde. Die gesetzlich bisher vorgeschriebene
indestgarantie von bis zu 20 000 Euro pro Kunde ist
esentlich geringer. Für die Kunden der meisten deut-
chen Banken wird sich materiell also durch die Neure-
elung nichts ändern.
Vor allem soll mit dem Gesetzentwurf die Änderung
er EU-Einlagensicherungsrichtlinie in deutsches Recht
mgesetzt werden, auf die sich die EU im Dezember
008 aufgrund der weltweiten Finanzmarktkrise geeinigt
at. Spätestens ab dem 30. Juni 2009 soll die Mindest-
22938 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
(A) )
(B) )
deckung für Einlagen auf 50 000 Euro angehoben und
die bisherige Selbstbeteiligung von Anlegern in Höhe
von 10 Prozent abgeschafft werden. Ab dem 31. Dezem-
ber 2010 ist eine weitere Anhebung auf 100 000 Euro
und eine Verkürzung der Auszahlungsfrist auf höchstens
30 Arbeitstage vorgesehen.
Der Gesetzentwurf zielt auch darauf ab, die Entschädi-
gungseinrichtungen in Deutschland krisenfester zu ma-
chen. Er enthält verbesserte Regelungen zur Früherken-
nung von Risiken und der Schadensprävention. Um die
Gefahr des Eintritts eines Entschädigungsfalls besser
einzuschätzen, werden die Entschädigungseinrichtun-
gen verpflichtet, bei den ihnen zugeordneten Instituten
regelmäßig Prüfungen vorzunehmen.
Frank Schäffler (FDP): Vor etwas mehr als einem
Jahr haben wir hier den Antrag der FDP-Fraktion „Kon-
sequenzen aus dem Entschädigungsfall Phoenix GmbH“
– Bundestagsdrucksache 16/5786 – diskutiert. Die An-
legerentschädigungsrichtlinie der EU, die Grundlage für
das deutsche System der Anlegerentschädigung ist, be-
trifft die Verbindlichkeiten aus Wertpapiergeschäften.
Die deutsche Umsetzung im Einlagensicherungs- und
Anlegerentschädigungsgesetz ist jedoch nicht tragfähig,
wie der Fall Phoenix zeigt. Bereits vor einem Jahr war
die Untätigkeit der Koalition in diesem Entschädigungs-
fall mit 30 000 betroffenen Anlegern skandalös. Den-
noch wurde unser Antrag von allen Fraktionen abge-
lehnt. Seitens der Koalition wurde auf ein Gutachten
verwiesen, das man abwarten wolle. Sie haben das Gut-
achten nicht nur abgewartet, sondern direkt nach der
Vorlage des Gutachtens, das umfassenden Reformbedarf
bei der Anlegerentschädigung nachgewiesen hat, weiter
gewartet.
Was die Bundesregierung für die heutige Beratung
vorgelegt hat, ist – soweit es die Anlegerentschädigung
betrifft – ein reines Mini-Reparaturgesetz. Die Bundes-
regierung hat in Person der Entschädigungseinrichtung
der Wertpapierhandelsunternehmen, EdW, vor dem
Verwaltungsgericht Berlin im September 2008 eine kra-
chende Niederlage erlitten. Die Erhebung der Sonderbei-
träge bei den Zwangsmitgliedern der EdW ist rechtswi-
drig. Darauf reagiert die Bundesregierung nun mit
kleinen Korrekturen im Bereich der Anlegerentschädi-
gung. Das Grundproblem, dass die EdW nicht tragfähig
ist, wird dadurch nicht gelöst. Selbst wenn die Erhebung
der Sonderbeiträge auf dieser Grundlage vor Gericht Be-
stand hätte, wäre die EdW dennoch nicht in der Lage, die
Entschädigung im Fall Phoenix zu finanzieren. Wir for-
dern daher eine umfassende Reform der Anlegerentschä-
digung.
Wir fordern aber auch, dass die Bundesregierung end-
lich ein Konzept vorlegt, wie der Fall Phoenix gelöst
werden kann. Die Bundesregierung steht deshalb in der
Verantwortung, weil sie das unzureichende deutsche
Anlegerentschädigungsgesetz und die Schlamperei der
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin,
politisch zu vertreten hat. Sie muss handeln, damit die
Unsicherheit über drohende existenzgefährdende Son-
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erbeiträge endlich von den EdW-Mitgliedern genom-
en wird.
Sie muss auch handeln, damit die betroffenen Anleger
ndlich ihr Geld bekommen. Diese Menschen wollten
uf Nummer sicher gehen und haben sich auf die Aus-
age, 20 000 Euro seien gesetzlich geschützt, verlassen.
iese Anleger dürfen Sie nicht länger im Regen stehen
ssen. Das Verhalten seitens der Bundesregierung und der
oalition ist nicht hinnehmbar: Statt einer vernünftigen
ntschädigung gibt es nur Teilentschädigungen, die wie
m Lotterieverfahren innerhalb von zweieinhalb Jahren
usgezahlt werden sollen. Wer Glück hat, bekommt sein
eld jetzt, wer Pech hat, muss warten. Aber das
chlimmste ist, dass Sie tatenlos zusehen, wie diese Bür-
er nun Post vom Finanzamt bekommen: Sie sollen ihr
erlorenes Geld auch noch versteuern. Das zeigt die Ab-
urdität der Politik dieser Koalition.
Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Die Bundesregierung
ill die gesetzlich gesicherte Mindestsumme für Spar-
inlagen und Wertpapiere erhöhen. Ab dem 30. Juni
009 sollen 50 000 Euro pro Person garantiert sein, ab
em 1. Januar 2011 sogar 100 000 Euro. Bisher lag der
esicherte Betrag bei maximal 20 000 Euro.
Gewöhnlich mag man denken, wir hätten es mit ei-
em Fortschritt zu tun. Tatsächlich jedoch ist es nicht der
erbraucherschutz, der dieses Gesetz angestoßen hat.
ir laufen sogar Gefahr, als Steuerzahlerinnen und Steu-
rzahler zur Kasse gebeten zu werden. Um diesen
usammenhang zu verdeutlichen, erzähle ich zunächst
twas zum Hintergrund des Gesetzes. Anschließend
omme ich auf die entscheidende Frage, wie zahlungsfä-
ig die Einlagen- und Wertpapiersicherung ist. Diese
rage bekommt umso mehr Gewicht, als wir uns in einer
rise befinden.
Zum Hintergrund des Gesetzes: Die Finanzwelt steckt
ereits mitten in der Krise, da verkündet Kanzlerin
ngela Merkel in ihrer Regierungserklärung: „Kein Spa-
er muss um seine Einlagen fürchten. Diese Zusage gilt.“
as war am 7. Oktober 2008. Nach diesem Versprechen
rage ich mich, warum wir über ein Gesetz reden, das
inter diese Zusage zurückfällt. Aber es soll nicht meine
ufgabe sein, die Widersprüche der Regierung zu recht-
ertigen. Fakt ist: Die Europäische Kommission will nun
inen Wettlauf um die besten Garantien verhindern und
eshalb die Mindestsumme europaweit anheben. Das
iel dabei lautet: Bürgerinnen und Bürger zu beruhigen,
amit sie ihr Geld bei den Banken lassen. Denn für die
anken wäre es möglicherweise fatal, würden Kundin-
en und Kunden zuhauf ihre Konten räumen.
Doch unumgänglich stellt sich hier die folgende
rage: Wie zahlungsfähig ist die Einlagen- und Wertpa-
iersicherung? Und: Wer zahlt, wenn der Sicherungs-
onds erschöpft ist? Alle deutschen Einlagensicherungen
usammengenommen – gesetzliche wie freiwillige –
önnten keinen Einlagenverlust bei der Deutschen Bank
uffangen. Weltweit ist kein Einlagensicherungssystem
n der Lage, Schieflagen bei größeren Geldhäusern zu
eheben. Die Fonds sind einzig dazu angelegt, Schwie-
igkeiten bei kleinen und mittleren Instituten auszuglei-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22939
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chen. Wie sollen sie da krisentauglich sein? Der Jahres-
beitrag je Kreditinstitut ist hierzulande nicht mehr als ein
symbolischer Obolus: 0,008 Prozent der Verbindlichkei-
ten gegenüber Kundinnen und Kunden. Bei der Wertpa-
piersicherung ist es ähnlich.
Symbolisch bleiben auch die im Gesetzentwurf vor-
gesehenen Nachbesserungen zum Fondsvolumen der ge-
setzlichen Einlagensicherung. Zwar soll der Fonds Son-
derbeiträge fordern und Kredite aufnehmen dürfen. Für
anfallende Zins- und Tilgungszahlungen können wie-
derum Sonderzahlungen erhoben werden. Doch alles zu-
sammen darf das Fünffache des Jahresbeitrags nicht
überschreiten. Mehr sei nicht zumutbar. Der unbe-
schränkte Rest wird stattdessen den Steuerzahlerinnen
und Steuerzahlern zugemutet, wenn verlorene Einlagen
eingefordert werden. Geht es um Bürgerinnen und Bür-
ger, handelt die Regierung nach dem Motto: Den letzten
beißen die Hunde. Geht es um die Regulierung von Ban-
ken, handelt sie – trotz blumiger Rhetorik – zahnlos.
Die Linke hat einen zusätzlichen Sicherungsfonds für
private Finanzinstitute vorgeschlagen, den diese selbst
finanzieren: Die Finanzinstitute könnten sich untereinan-
der vor Insolvenz schützen und damit automatisch zum
Erhalt der Einlagen beitragen. Alle anderen Parteien ha-
ben diesen Antrag als unnötig abgelehnt. Wer allerdings
Stabilität will, kommt nicht umhin, glaubwürdig und
konsequent zu regulieren. Er kommt nicht umhin, Ein-
kommen sozial gerecht zu verteilen, statt Vermögensbla-
sen zu produzieren und zu erhalten. Er kommt nicht um-
hin, die Sozialisierung von Verlusten zu verhindern. Das
wäre wahrer Schutz der Bürgerinnen und Bürger, ob als
Verbraucherin oder als Steuerzahler.
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Der vorliegende Entwurf der Bundesregierung eines Ge-
setzes zur Änderung des Einlagensicherungs- und Anle-
gerentschädigungsgesetzes (EAEG) macht es sich zur
Aufgabe, das deutsche System der Sicherungseinrich-
tungen auf eine europarechtskonforme und finanziell
tragfähige Grundlage zu stellen. Dazu sollen einerseits
die aktuellen Vorgaben der europäischen Richtlinie
2009/14/EG vom 11. März 2009 zur Änderung der Ein-
lagensicherungssysteme im Hinblick auf die Deckungs-
summe und Auszahlungsfrist umgesetzt werden. Ande-
rerseits sollen neben der Einlagensicherung auch
Nachbesserungen am System der Anlegerentschädigung
bei Wertpapierdienstleistungen erfolgen.
Diese Zielvorgaben begrüßen wir außerordentlich.
Eine Reform des unübersichtlichen und unpraktikablen
Systems der deutschen Einlagensicherungs- und Anleger-
entschädigung fordern wir Grüne seit langem. Sie ist
überfällig. Im Bereich der Anlegerentschädigung durch
die Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandels-
unternehmen (EdW) hat die Bundesregierung bereits in
Ausschusssitzungen im Frühjahr 2007 konzediert, das
EAEG sei unzulänglich. Seitdem ließen Nachbesserun-
gen auf sich warten.
Bei der Einlagensicherung hat die Finanzmarktkrise
eindrucksvoll bewiesen, dass das bestehende System
ebenfalls mangelhaft ist und einer grundlegenden Über-
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rbeitung bedarf. Die politische Erklärung der Bundes-
egierung einer Garantie für die Spareinlagen der Bürge-
innen und Bürger im Oktober 2008 mochte vorläufige
icherheit suggerieren. Sie ersetzt aber keinesfalls eine
echtlich verbindliche Lösung zugunsten der Bürgerin-
en und Bürger. Auch enthält eine solche politische Zu-
icherung keinerlei Aussage darüber, auf welchem Wege
ine solche Absicherung sinnvoll und über die akute
otlage hinaus tragfähig installiert werden kann.
Der nun im Gesetzentwurf vorgeschlagene Weg zur
erbesserung des jetzigen Systems der Einlagensiche-
ung und Anlegerentschädigung vermag in keiner Weise
u überzeugen. Diese punktuellen Änderungen sind
lickschusterei und Garant dafür, dass das System beim
ächsten Ausfall eines Institutes aus dem Einlagen- oder
ertpapieranlagebereich erneut kollabiert. Leidtra-
ende solcher halbherzigen Änderungsvorschläge sind
ie Bürgerinnen und Bürger, Investoren und Kommu-
en, die bei kommenden Turbulenzen um die Sicherheit
hres Geldes bangen müssen, statt sich auf eine zeitnahe
ntschädigung verlassen zu können.
Lassen Sie mich zunächst einige Punkte hinsichtlich
er vorgesehenen Änderungen im Bereich der Einlagen-
icherung ausführen, bevor ich mich den Vorschlägen
ur Reformierung der EdW zuwende. Dass die De-
kungssumme von der EU zunächst auf 50 000 Euro
ochgesetzt wird und insbesondere der Selbstbehalt der
parer von 10 Prozent entfällt, ist eine vertrauensbil-
ende Maßnahme, die wir begrüßen. Auch dass die Aus-
ahlungsfrist verkürzt wird, sehen wir als positive Stär-
ung des Verbraucherschutzes auf Finanzmärkten.
Fraglich ist jedoch, ob eine schlichte Anhebung der
eckungssumme – ohne die Tragfähigkeit des Systems
u überdenken – eine geeignete Lösung des Problems
arstellt. Diese Frage stellt sich insbesondere bei der
eiteren vorgesehenen Anhebung auf 100 000 Euro ab
em Jahr 2011. Es mutet fast wie ein Freud’scher Ver-
precher an, wenn die EU-Richtlinie 2009/14/EG dazu
n Erwägungsgrund drei ausführt, dass diese Aufsto-
kung davon abhängig gemacht wird, ob eine zu erstel-
ende Folgenabschätzung zu dem Schluss gelangt, dass
ine solche Erhöhung für alle Mitgliedstaaten finanziell
ragbar ist. Hier zeigt sich implizit die Annahme, dass
olche Summen die Tragfähigkeit der Sicherungssys-
eme überfordern könnten und im Zweifel doch wieder
er Staat einzuspringen hat. Wir werden uns hier im par-
amentarischen Verfahren dafür einsetzen, dass konkret
estgelegt wird, wie ein System auszusehen hat, das aus
igener Kraft solche Entschädigungssummen bewerk-
telligen kann.
Dass es gegenwärtig jedenfalls nicht funktioniert, hat
er Fall der Lehman Brothers Bankhaus AG offenbart,
u dessen Behebung der Einlagensicherungsfonds der
eutschen Banken Garantien des Sonderfonds Finanz-
arktstabilisierung (SoFFin) in Anspruch nehmen
usste. Und auch die aktuellen Probleme bei der Aus-
ahlung der Gelder von deutschen Kundinnen und Kun-
en der isländischen Kaupthing Bank führen vor Augen,
ass das System nicht ausreichend durchdacht ist bezie-
ungsweise schlichtweg nicht adäquat funktioniert. Zu-
22940 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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gegeben ist der Staatsbankrott Islands und die Finanz-
marktkrise eine außergewöhnliche Situation. Aber das
Mindeste, was man von der Bundesregierung fordern
muss, ist, dass die gesammelten Erfahrungen genutzt
und für eine Reform des EAEG fruchtbar gemacht wer-
den. Diese Konsequenzen sucht man im vorliegenden
Gesetzentwurf indes vergeblich.
Das gleiche Bild ergibt sich bei Betrachtung desjeni-
gen Teils des EAEG, der die Änderungen bei der Ent-
schädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunterneh-
men, EdW, enthält. Hier muss bei Nachbesserungen der
Präzedenzfall Phoenix Kapitaldienst GmbH den Orien-
tierungsmaßstab bilden. Die Anleger von Phoenix
warten seit über vier Jahren auf die Entschädigungsleis-
tungen durch die EdW, und die EdW-pflichtigen Wert-
papierdienstleister wurden durch plötzlich erhobene
Sonderbeiträge oder die nunmehr angedachte Finanzie-
rung mittels Darlehensaufnahme an den Rand der Insol-
venz geführt. Dass ein solches System dem Grunde nach
völlig verkehrt und mit hoher Wahrscheinlichkeit gar eu-
roparechtswidrig konzipiert ist, muss auf der Hand lie-
gen. Die Bundesregierung beschreibt den Handlungsbe-
darf allerdings überraschend wie folgt: „Auch hat die
Entschädigungspraxis gezeigt, dass eine Konkretisie-
rung der bestehenden Regelungen über die Finanzierung
der Entschädigungseinrichtung sinnvoll ist.“ (Gesetzent-
wurf Seite 1, A. Problem und Ziel). Das ist eine Verken-
nung der Tatsachen. Es bedarf keiner Konkretisierungen
bestehender Regelungen. Es bedarf eines kompletten
Überdenkens der bestehenden Strukturen des deutschen
Sicherungssystems zumindest im Bereich der Entschädi-
gungseinrichtung für Wertpapierhandelsunternehmen.
Die EdW scheint für sich gesehen nicht finanziell tragfä-
hig. Das aber war und ist Vorgabe der EU-Richtlinie. In-
dem die Bundesregierung die explizite Möglichkeit der
Kreditaufnahme bei fehlender Entschädigungsmasse
vorsieht, wird das Problem lediglich in die Zukunft ver-
lagert. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Bundes-
regierung hier diverse aufgezeigte Lösungsansätze eines
eigens in Auftrag gegebenen Gutachtens nicht berück-
sichtigt.
Auch ein weiteres Zuwarten unter Verweis auf derzeit
laufende Konsultationsverfahren der EU im Bereich der
Entschädigungseinrichtung bei Wertpapierdienstleistern
verbietet sich. Denn erstens resultieren die Probleme der
EdW vor allem aus den nationalen Besonderheiten des
grundsätzlich sinnvollen Aufbaus des Bankensystems in
drei Säulen. Und zweitens ist durch die Finanzmarkt-
krise die Wahrscheinlichkeit gestiegen, dass es bei den
der EdW zugehörigen Unternehmen zeitnah zu weiteren
Ausfällen kommt. Schließlich zeigt der Gesetzentwurf
zur Änderung des EAEGs auch keine Lösung für das
Problem, dass die Entschädigungszahlungen im Fall
Phoenix auch deshalb seit vier Jahren auf sich warten
lassen, weil Auszahlungen unter Hinweis auf das noch
laufende Insolvenzverfahren zurückgehalten wurden.
Das EAEG muss dringend festschreiben, dass Auszah-
lungen unabhängig von laufenden Insolvenzverfahren
möglich sind. Es ist den Betroffenen nicht zumutbar,
Jahre auf die Entschädigung zu warten, nur weil Rechts-
streitigkeiten im Insolvenzverfahren noch anhängig sind;
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ies schon deshalb nicht, weil Forderungen aus der In-
olvenzmasse erfahrungsgemäß nur zu marginalen Tei-
en befriedigt werden können.
Kurzum, wir begrüßen den Ansatz der EU, durch eine
eform der Einlagensicherung das durch die Finanz-
arktkrise gebeutelte Vertrauen der Bürgerinnen und
ürger wieder herzustellen. Der vorliegende Gesetzent-
urf der Bundesregierung enthält aber nicht die notwen-
igen Konzeptverbesserungen, um die ambitionierten
orgaben der EU – höhere Einlagendeckung und kurz-
ristige, unbürokratische Auszahlungen – praxistauglich
mzusetzen. Auf diesem Weg geht man nicht gestärkt
us der Krise hervor, sondern zementiert Strukturen auf
öherem Niveau, die sich bereits als nicht funktionsfähig
ntlarvt haben.
Der Vollständigkeit halber sei abschließend ange-
erkt, dass wir die vorgesehene Neuregelung in § 7
ertpapierhandelsgesetz begrüßen, die den grenzüber-
chreitenden Informationsaustausch der Aufsichtsbehör-
en bezüglich der Handelsplätze für Strom, Gas und an-
ere Waren stärkt. Eine rein nationale Aufsicht wird der
truktur dieser Märkte nicht gerecht.
nlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Stärkung der Sicherheit in der Informationstech-
nik des Bundes (Tagesordnungspunkt 21)
Clemens Binninger (CDU/CSU): Wir zählen heute
ehr als 1,4 Milliarden Internetnutzer weltweit – weit
ber 40 Millionen davon in Deutschland. Damit hat sich
ie Zahl der Menschen, die regelmäßig im Internet un-
erwegs sind, seit 2000 weit mehr als verdoppelt. Allein
as zeigt, wie stark sich die Informations- und Telekom-
unikationswelt in den letzten Jahren verändert hat.
irtschaftliche Aktivitäten und staatliches Verwaltungs-
andeln sind in hohem Maße von einer funktionierenden
T-Infrastruktur abhängig. Genau das trifft auch auf die
rivate Nutzung zu. Die Informations- und Kommunika-
ionstechnologie ist mittlerweile eine zentrale Vorausset-
ung für das Funktionieren unseres Gemeinwesens. Von
hr sind weitere Infrastrukturen etwa in den Bereichen
nergie- und Wasserversorgung oder auf dem Verkehrs-
ektor abhängig. Deshalb stellen gezielte kriminelle An-
riffe auf die IKT-Infrastruktur eine ganz erhebliche Ge-
ahr dar. Die Attacke auf das Computersystem Estlands
007 zeigt, welch schwerwiegende Folgen solche An-
riffe haben können. Vor zwei Jahren wurden in Estland
ie Websites von Regierung und Parlament manipuliert
nd lahmgelegt. Außerdem wurde das IT-System einer
er größten Banken des Landes gestört, sodass der Zah-
ungsverkehr für zwei Tage ausgesetzt werden musste.
eitere Bereiche waren betroffen.
Das Bundesamt für Sicherheit in der Informa-
ionstechnik – über das wir heute sprechen – ist als IT-
ienstleister des Bundes für die IT-Sicherheit in
eutschland zuständig. Das Bundesamt für Sicherheit in
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22941
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der Informationstechnik untersucht und bewertet Sicher-
heitsrisiken und schätzt vorausschauend auch die Auswir-
kungen neuer Entwicklungen ab. Dazu muss es auch zu-
künftig die notwendigen Kompetenzen haben. Internet-
Banking, e-Commerce, e-Government, diverse Kommu-
nikationsplattformen und soziale Netzwerke im Internet
sind neben der reinen Informationsbeschaffung schon
lange Bestandteil fester Alltagsgewohnheiten rund um
den Erdball. Angesichts der rasanten Entwicklung der
letzten Jahre auf diesem Sektor ergeben sich Aufgaben
und Erwartungen an das BSI, die sich in der heute gülti-
gen gesetzlichen Grundlage nicht mehr widerspiegeln.
Das BSI-Errichtungsgesetz wurde 1990 verabschiedet,
ist 1991 in Kraft getreten und seither im Wesentlichen
unverändert geblieben. Deshalb wollen wir mit dem
heute von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzent-
wurf die Rechtsgrundlage für die Arbeit des BSI refor-
mieren und an die Anforderungen von heute und morgen
anpassen. Damit wird das BSI auch in Zukunft zu einem
hohen Sicherheitsstandard für die IT-Struktur des Bun-
des und darüber hinaus beitragen können.
Sichere und verfügbare Kommunikationsnetze sind
für staatliches Verwaltungshandeln unverzichtbar, des-
halb schaffen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
die Grundlage für einheitliche Sicherheitsstandards und
klare Kompetenzen im Bereich IT-Systeme innerhalb
der Bundesverwaltung.
Das BSI wird befugt, technische Vorgaben und ver-
bindliche Mindeststandards für die Sicherung der Infor-
mationstechnik innerhalb der Bundesverwaltung zu ma-
chen. Das betrifft auch Richtlinien für die Beschaffung
von IT-Produkten. Darüber hinaus werden die heute
schon existierenden Regelungen zur Zertifizierung durch
das BSI modernisiert und neben der reinen Produktzerti-
fizierung auch auf die Zertifizierung von Personen und
Dienstleistungen ausgeweitet. Das BSI kann so private
IT-Dienstleister prüfen und zertifizieren sowie deren
Eignung und Zuverlässigkeit bestätigen. Das ist für
Wirtschaft und Verwaltung gleichermaßen von Bedeu-
tung, kaufen doch Unternehmen und zunehmend auch
Behörden Komplettlösungen, die bis zur vollständigen
Auslagerung der IT reichen. Die Prüfung von Kompe-
tenz und Vertrauenswürdigkeit eines Dienstleisters wird
hier einen erheblichen Qualitätsschub bewirken.
In diesem Zusammenhang mit diesen Vorgaben wird
das BSI innerhalb der Bundesverwaltung Maßnahmen
umsetzen können, um Gefahren, die von Schadprogram-
men auf die Kommunikationsinfrastruktur von Bundes-
behörden ausgehen, abzuwehren. Bisher war das BSI
lediglich beratend tätig ohne eigene Befugnisse, die es
ermöglichen würden, ohne Anforderung aktiv zu wer-
den. Das soll jetzt geändert werden. Darüber hinaus soll
das BSI als zentrale Meldestelle des Bundes für IT-
Sicherheit Informationen über Sicherheitslücken, Schad-
programme und neue Angriffsmuster sammeln und aus-
werten und diese Erkenntnisse an die betroffenen Stellen
weitergeben.
Die Entwicklung der Informations- und Kommunika-
tionssysteme hat nicht nur positive Seiten – darüber le-
sen wir jeden Tag. 1983 wurde im Rahmen einer wissen-
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chaftlichen Arbeit das erste Computervirus entwickelt,
as dann – einmal eingespeist – Programme eigenstän-
ig veränderte. Heute wird davon ausgegangen, dass
wischen 60 000 und 100 000 Computerviren existieren,
ie sich über das World Wide Web innerhalb kurzer Zeit
erbreiten können. Hinzu kommen weitere Computer-
chädlinge wie Trojanische Pferde oder Würmer. Nicht
ur die Zahl von Schadprogrammen ist aus meiner Sicht
esorgniserregend, sondern auch ihre neue Qualität. Im-
er häufiger werden Schadprogramme nicht mehr dazu
erwandt, unmittelbaren Schaden anzurichten, der be-
erkbar wird. Vielmehr verbreiten sich solche Pro-
ramme unbemerkt und zielen darauf, Daten dauerhaft
uszuspionieren, um etwa Passworte, Kreditkarteninfor-
ationen oder Zugangsdaten zu erhalten, die dann bei-
pielsweise an andere Kriminelle verkauft werden. Der
ekämpfung dieser Form der Internetkriminalität wird
n einer Zeit, in der digitale Informationen eine immer
rößere Bedeutung haben, notwendigerweise ein höhe-
er Stellenwert zukommen müssen.
Deshalb sieht der vorliegende Gesetzentwurf auch
nderungen des Telekommunikationsgesetzes und des
elemediengesetzes vor. Im Telekommunikationsrecht
ird die Bundesnetzagentur im Benehmen mit dem BSI
nd dem Bundesdatenschutzbeauftragten in der Lage
ein, Sicherheitsanforderungen für Anbieter von Tele-
ommunikations- und Datenverarbeitungssystemen zu
rstellen. Diese sollen Grundlage für die Sicherheitskon-
epte von Telekommunikationsprovidern werden. Hier-
urch soll der Schutz des Fernmeldegeheimnisses auch
urch technische Maßnahmen gewährleistet werden.
Durch eine Änderung des Telemediengesetzes wird
elemediendienstanbietern die Befugnis eingeräumt,
utzungsdaten für Zwecke der Sicherheit ihrer techni-
chen Einrichtungen zu erheben und zu verwenden. Im
egensatz zu den Telekommunikationsprovidern, die
ntsprechende Daten zum Erkennen, Eingrenzen oder
eseitigen von Störungen erheben können, besteht hier
ei den sogenannten Telemedienanbietern, also etwa
uch den Betreibern von Internetseiten, eine Rechtslü-
ke. Das ist ein erhebliches Problem, das immer mehr an
edeutung gewinnt, denn Angriffe auf Telemedienange-
ote nehmen zu, sei es, um Internetangebote zu manipu-
ieren oder angebotene Leistungen zu stören. Eine erheb-
iche Gefahr besteht hier aber nicht nur durch die
chädigung von angebotenen Diensten. Vielmehr sind
mmer häufiger sogenannte Drive-By Infections zu
eobachten, also dass auf PCs der Besucher einer Seite
eimlich Schadprogramme installiert werden, die sich
ann weiter verbreiten. Das heißt, die Angriffsstrategien
erändern sich und damit auch die Sicherheitsziele von
ienstanbietern. Es geht nicht mehr nur um Selbstschutz
egen Manipulationen oder Verfügbarkeitsstörungen,
ondern heute müssen Systeme auch gegen Angriffe ge-
chützt werden, die diese Systeme nur als Zwischensta-
ion nutzen. Zur Erkennung und Abwehr bestimmter
ngriffe ist also die kurzfristige Speicherung und Aus-
ertung der Nutzungsdaten notwendig. Durch die Ände-
ung des Telemediengesetzes soll auch für diese Fälle
echtssicherheit geschaffen werden. Die strenge Zweck-
indung der Daten nach dem Telemediengesetz bleibt
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dabei unangetastet. Eine Datenverarbeitung ist nur zu-
lässig, soweit und solange dies für die Absicherung der
Technik tatsächlich erforderlich ist.
IT-Sicherheit ist eine dynamische Aufgabe mit sich
verändernden Anforderungen und Problemen. Mit dem
vorliegenden Gesetz zur Stärkung der Sicherheit in der
Informationstechnik des Bundes stellen wir sicher, dass
das BSI in Zukunft in der Lage ist, seine Aufgabe erfolg-
reich zu erfüllen. Es wird ein Beitrag geleistet zu mehr
Sicherheit in der Informations- und Kommunika-
tionstechnologie.
Frank Hofmann (Volkach) (SPD): Jeder von uns hat
gemerkt, ohne PC läuft hier nichts. Das gilt aber nicht
nur für den Bundestag, das gilt für unsere gesamte Ge-
sellschaft, für die Verkehrsmittel (siehe Ausfall der
Computer bei der Deutschen Bahn im Februar), für un-
sere bargeldlosen Zahlungen, für die Versorgung mit
Energie oder Wasser.
Wir sind abhängig von der Sicherheit unserer Infor-
mations- und Kommunikationstechnologie. Und wer
kümmert sich maßgeblich um diese Sicherheit? Soweit
es den Bund und die Bundesbehörden betrifft: das BSI.
Was ist das? Das Bundesamt für Sicherheit in der Infor-
mationstechnologie. Kurz gesagt BSI. Das BSI wurde
1991 gegründet. Vorläufer war Mitte der 1950er-Jahre
die Zentralstelle für das Chiffrierwesen, die dem BND
unterstellt war. Und direkter Vorgänger war die Zentral-
stelle für die Sicherheit in der Informationstechnik, die
1989 aus der Zentralstelle für das Chiffrierwesen (ZfCh)
hervorging. Seit 1991 heißt diese Bundesbehörde nun
BSI, ist mit 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dem
Bundesministerium des Innern (BMI) unterstellt und be-
schäftigt sich mit der Sicherheit in Anwendungen, kriti-
schen Infrastrukturen und dem Internet, mit Kryptogra-
fie und Abhörsicherheit, mit Zertifizierung, Zulassung
und Konformitätsprüfungen sowie mit neuen Technolo-
gien.
Nun hat sich seit 1991 der Internetverkehr und die
Gefahrenlage quantitativ und qualitativ verändert. Das
Schadens- und Katastrophenpotenzial, die Verletzlich-
keit des Staates und der Gesellschaft ist immens ange-
stiegen. Verändern muss sich deshalb auch der Schutz
vor Computerattacken. Der vorliegende Gesetzesent-
wurf will darauf eine Antwort geben.
Dass die Bundesregierung die Chance ergreift, sich
gegen Cyberattacks zu wehren, ist notwendig und erfor-
derlich. Dass man neuartige, bisher unbekannte An-
griffsmuster erkennen muss, steht ebenfalls außer Zwei-
fel. Es ist deshalb ein sinnvolles Vorhaben, dafür neue
Grundlagen zu legen. Die erste Frage muss sein: Kann
der Bund seine EDV so aufstellen, dass eine möglichst
geringe Gefahr durch Schadprogramme entsteht?
Ist eine Bündelung der EDV richtig, wie wir sie bei
der Telekommunikationsüberwachung nunmehr im Bun-
desverwaltungsamt vornehmen? Wird dadurch der Staat
nicht noch stärker angreifbar? Damit will ich zum Aus-
druck bringen, dass man präventiv nicht erst ansetzen
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uss bei Befugnissen für das BSI, sondern bereits im
orfeld.
Mit diesem Gesetzesentwurf wird das ganze BSI-Er-
ichtungsgesetz abgelöst. Es soll etwas völlig Neues ent-
tehen. Das BSI soll Gefahrenabwehrbehörde, Prüfbe-
örde, Zertifiziererbehörde und Anbieter von IT-
icherheitsprodukten sein. Alles wird beim BSI zentrali-
iert. Kann das richtig sein? Der Gesetzesentwurf geht
avon aus, dass alle eingehenden Datenverkehre bei
undesbehörden (mit Ausnahme Bundespräsidialamt,
undestag, Bundesrechnungshof etc.) automatisch ge-
cannt werden und die Protokolldaten für eine gewisse
eit gespeichert werden. Ist es notwendig, dass diese
atenverkehre offen gespeichert werden, oder könnten
iese nicht auch pseudonymisiert oder anonymisiert
erden? Geht es in erster Linie um die Gefahrenabwehr,
ann kommt es weniger auf den Adressaten an. Geht es
m die Feststellung der Täter und deren Hintermänner,
ann muss man natürlich die Adressaten rückverfolgen
önnen. Der vorliegende Gesetzesentwurf hat dies nicht
efriedigend gelöst.
Soll das BSI bei der Weitergabe von Daten an Straf-
erfolgungsbehörden und Verfassungsschutz (§ 5
bs. 4) so weit gehen dürfen, dass auch nicht erhebliche
traftaten gemeldet werden können, wenn sie mittels Te-
ekommunikation begangen wurden? An welche Krimi-
alitätsbereiche denkt man hierbei? Ist hier nicht eine
ushöhlung von Art. 10 GG zu erwarten?
Interessant finde ich, dass auch die Datenverkehre des
undesamtes für Datenschutz und Informationstechnik
escannt werden sollen. Hier fehlt das Fingerspitzenge-
ühl. Der Bürger muss mit dem Datenschutzbeauftragten
neingeschränkt und unbeeinträchtigt kommunizieren
ürfen. Deshalb muss man hier für andere Lösungen sor-
en.
In § 5 Abs. 6 regelt der Gesetzentwurf den Kernbe-
eich privater Lebensgestaltung. Danach soll das BMI
iesen Kernbereichsschutz gewährleisten. Es wird keine
enaue Funktionsstelle genannt. Es kann aber doch nicht
ein, dass es irgendjemand aus dem Innenministerium
acht, Fahrbereitschaft oder Pforte. Hier ist der Gesetz-
ntwurf schlampig. Mit diesem minimalen Kernbe-
eichsschutz fällt man in Zeiten zurück, in denen dies
or dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur
nlinedurchsuchung Rechtsauffassung im Innenministe-
ium gewesen sein könnte. Aber heute ist das doch
ängst überholt. Weshalb man im Zusammenhang mit
iesem Gesetzesentwurf in Art. 3 auch noch das Teleme-
iengesetz ändern will, ist für mich nicht nachvollzieh-
ar. Eine pauschale Befugnisnorm für Diensteanbieter
ollte vermieden werden. Ohne intensive und breite Aus-
inandersetzung, juristisch, technisch und ökonomisch,
ann ich diesem Gesetzesentwurf nicht zustimmen.
Petra Pau (DIE LINKE): Kein Freibrief zur Überwa-
hung.
Erstens. Man versuche sich unsere Gesellschaft, ins-
esondere die Wirtschaft, aber auch die Verwaltung ohne
oderne Informationstechnik vorzustellen. Es wird
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22943
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nicht gelingen. Denn ohne moderne Informationstechnik
ständen „alle Räder still“, um ein altes Bild zu bemühen.
Deshalb ist es nachvollziehbar, dass der Bund für seine
Informationstechnik höchste Sicherheitsstandards an-
strebt.
Zweitens. Das ist der Sinn des vorliegenden Gesetz-
entwurfs und des Bundesamtes für Sicherheit in der In-
formationstechnik (BSI). Der Gesetzentwurf umfasst in
vier Artikeln zwölf Paragrafen mit zahlreichen Unter-
punkten. Sie alle scheinen einleuchtend, auch wenn sie
nicht auf den ersten Blick überschaubar sind. Insofern
könnte man meinen: „Je sicherer, desto besser!“ Wäre da
nicht ein versteckter Pferdefuß.
Drittens. Fast alles, was geregelt werden soll, betrifft
die interne Informationstechnik und die inneren Infor-
mationssysteme des Bundes. Sofern weitere Behörden
betroffen sein könnten, werden die Kompetenzen des
BSI beschrieben bzw. Grenzen gesetzt. Auch das klingt
vertrauenswürdig. Allerdings nur bis zum Verweis auf
das Telemediengesetz, konkret § 15 Abs. 9.
Viertens. Dort heißt es:
Soweit erforderlich, darf der Diensteanbieter Nut-
zungsdaten zum Erkennen, Eingrenzen oder Besei-
tigen von Störungen seiner für Zwecke seines
Dienstes genutzten technischen Einrichtungen erhe-
ben und verwenden.
Hier geht es nicht mehr um interne Systeme von Bundes-
behörden, sondern um allgemeine Anbieter von Internet-
leistungen, und die können Google, Yahoo oder anders
heißen.
Fünftens. Im Klartext: Das Gesetz zur internen
Sicherheit des Bundes ermächtigt externe Anbieter, Nut-
zungsdaten zu erheben, zu speichern und gegebenenfalls
weiterzumelden. Damit würde das Surfverhalten von In-
ternetnutzern registriert und kontrolliert, und das alles
ohne konkreten Verdacht. Das wäre ein Freibrief zur
Überwachung aller Internetnutzer. Einem solchen Ge-
setzentwurf wird die Fraktion Die Linke nicht zustim-
men.
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die Ära Schäuble wird als die Ära der neuen zentralen
Überwachungs- und Kontrollbehörden in die Annalen
eingehen. Das belegt auch dieses vorliegende Gesetz.
Bisher war das Bundesamt für die Sicherheit in der
Informationstechnik vor allem für die Prüfung von IT-
Strukturen, von Programmen und Geräten zuständig. Es
hatte also vor allem eine forschende und beratende
Funktion. In dieser Funktion hat das Amt auch weithin
anerkannte Arbeit geleistet und zur Verbesserung der
Sicherheit der Informationsverarbeitung im öffentlichen,
aber auch im privaten Bereich viel beigetragen.
In seinem angestammten Bereich soll das BSI neue
Kompetenzen bekommen. Es soll Warnungen zu be-
kannten Sicherheitsproblemen veröffentlichen, Vorga-
ben für IT-Systeme des Bundes machen und nationale
Zertifizierungsstelle im IT-Bereich werden. Das ist im
Prinzip zu begrüßen, denn eine Stärkung der IT-Sicher-
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eit ist angesichts der Sensibilität der verarbeiteten Da-
en und des immer noch wachsenden IT-Einsatzes ein
ichtiges Ziel. Aber schon hier stellen sich Fragen: Das
SI „kann“ nach dem Entwurf Warnungen zu Sicher-
eitslücken veröffentlichen. Es sollte doch zumindest
er Regelfall sein, dass es über solche Lücken infor-
iert! Natürlich sind gewisse Ausnahmen und eine ge-
isse Flexibilität im Verfahren erforderlich – zum Bei-
piel zuerst den Hersteller zu warnen und eine Lösung zu
ntwickeln. Es fragt sich auch, warum der Rat der IT-Be-
uftragten der Ministerien eine so starke Rolle bekom-
en soll. Es muss doch selbstverständlich sein, dass
undesbehörden in der Pflicht sind, die Vorgaben des
SI, die ja nicht leichtfertig gemacht werden, umzuset-
en. Hier ist zu befürchten, dass ressorteigene Prioritäten
llzu oft über die Sicherheitsbelange gestellt werden.
enn man IT-Sicherheit ernst meint, ist das zu wenig.
Besonders kritisch müssen aber die neuen Analyse-
nd Überwachungskompetenzen des BSI gesehen wer-
en. Das Amt erhält zur Gefahrenabwehr weitgehende
echte, um die in der Kommunikation mit den Bundes-
ehörden anfallenden Daten zu analysieren. Aber da
eht es nicht nur um harmlose Dinge, zum Beispiel um
-Mails von Bürgerinnen und Bürgern an Behörden.
ier weiß der Bürger, dass er mit dem Staat kommuni-
iert. Doch die Struktur des Internet ist so, dass die an
en sogenannten Schnittstellen der Kommunika-
ionstechnik des Bundes anfallenden Daten auch ohne
eden Zusammenhang mit den Bundesbehörden sein
önnen. Die gutwillige Lesart ist: Hier wird eine auto-
atisierte Auswertung vorgesehen – sprich, die Kon-
rolle eingehender Post durch Virenscanner. Wird etwas
efunden, darf der Absender identifiziert werden. Nur,
enn man genau das meint, dann muss man das auch so
ormulieren. Aber so wie es in diesem Entwurf steht,
ind auch weit weniger harmlose Eingriffe möglich. Und
enn das gewollt ist, dann stimmt der häufig gemachte
orwurf, dass hier eine allgemeine E-Mail-Überwa-
hungsbehörde geschaffen werden soll.
Und selbst bei dieser gutwilligen Lesart gibt es reich-
ich Kritikpunkte: Warum werden die persönlichen Da-
en nicht pseudonymisiert? Wieso gibt es für die nicht-
utomatisierte Verarbeitung der persönlichen Daten kei-
en Richtervorbehalt? Wir sprechen hier immerhin vom
esen persönlicher Post, es geht also potenziell um kern-
ereichsrelevante Inhalte! Und – ganz besonders frag-
ürdig – warum um alles in der Welt soll ausgerechnet
as BMI berechtigt werden, in Zweifelsfällen zu ent-
cheiden, ob der Kernbereich betroffen ist oder nicht?
a fällt kaum noch auf, dass auch die Benachrichtigung
er Betroffenen viel zu lax gehandhabt wird.
Es fragt sich auch ganz generell: Warum wird in die-
em Gesetz sehr wenig über die Pflicht der Behörden ge-
agt, zunächst die eigenen IT-Systeme optimal zu schüt-
en? Denn ob Schadsoftware oder sonstige Angriffe
irken, hängt doch zuallererst davon ab. Da sollte es
icht die erste Maßnahme sein, den eingehenden Daten-
erkehr zu filtern, sondern die Angriffsfläche zu reduzie-
en. Dann sind auch viel weniger Abwehrmaßnahmen
nd Eingriffe in den Datenverkehr erforderlich! Die per-
onenbezogenen Daten, die das BSI so erhebt, dürfen
22944 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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auch an Polizei- und Geheimdienstbehörden weitergege-
ben werden. Das Problem liegt darin: Die Schwelle ist
hier viel zu niedrig gewählt! Denn es geht dabei nicht
nur um schwere Verbrechen, sondern um jede Straftat,
die mittels Telekommunikation begangen wird! Da wird
dann aus der Behörde, die IT-Expertise sammeln sollte,
endgültig eine Hilfsbehörde zur Strafverfolgung!
Neben diesen systematischen Mängeln springen zwei
weitere Einzelpunkte ins Auge: Warum werden manche
unabhängigen Bundesbehörden wie das Bundespräsi-
dialamt und der Rechnungshof ausgenommen – der ganz
besonders auf vertrauliche und integere Kommunikation
angewiesene Bundesdatenschutzbeauftragte aber nicht?
Schließlich enthält das Gesetz eine Änderung des Tele-
mediengesetzes, die es Dienstanbietern erlaubt, Nut-
zungsdaten über die normalen Zwecke hinaus zu spei-
chern und zu verarbeiten, auch wieder begründet mit der
Abwehr von Schadprogrammen und Ähnlichem, aber
auch wieder zu weit und zu offen formuliert. Denn so,
wie es jetzt im Entwurf steht, ist auch die Erstellung von
Surfprofilen möglich.
In dieser Form ist das Gesetz abzulehnen. Es hat zu
viele Lücken und bietet unzulänglichen Schutz für die
Bürgerinnen und Bürger.
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer
„Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden
Europas“ (Tagesordnungspunkt 39 e)
Monika Grütters (CDU/CSU): Vor zehn Jahren be-
schloss der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Errich-
tung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas.
Vor zehn weiteren Jahren bereits war der „Förderkreis
zur Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden
Europas“ gegründet worden. Heute debattieren wir da-
rüber, die Verantwortung der daraus entstandenen Stif-
tung um das Denkmal für die im Nationalsozialismus
verfolgten Homosexuellen und das Denkmal für die
Sinti und Roma zu erweitern sowie die Stiftung in die
übliche Struktur vergleichbarer Institutionen zu überfüh-
ren.
Nach mehr als zehn Jahren kontroverser Debatte über
die Notwendigkeit eines eigenständigen Holocaust-
Mahnmals in Berlin, über den Ort und die Form des Ge-
denkens sowie nach fast vier Jahren seit der Eröffnung
ist die öffentliche Meinung einhellig: Weltweit gilt das
Denkmal für die ermordeten Juden Europas mittlerweile
als Erfolg.
1,7 Millionen Gäste haben seit der Eröffnung im Mai
2005 bis Ende letzten Jahres den Ort der Information des
Holocaust-Mahnmals besucht. Im Spätsommer 2009
wird der zweimillionste Besucher in der Ausstellung er-
wartet. Die Zahl der täglichen Besucher des Stelenfeldes
kann die Stiftung schon lange nicht mehr zählen. Seit
2006 kamen rund 460 000 Besucher jährlich in den un-
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erirdischen Ort der Information. Mehr als die Hälfte der
nteressierten kommt aus Deutschland, die anderen vor
llem aus Israel, Polen und den USA. An einigen Tagen
ind es weit mehr als 2 000 Gäste, die die Ausstellung
esichtigen. 2 300 Führungen, Workshops und Projekt-
age wurden in den vergangenen zwei Jahren an Schüler-
nd Erwachsenengruppen vermittelt.
Zum Vergleich: Zwischen 500 000 und 600 000 schätzt
ie Stiftung der Gedenkstätte Buchenwald die Zahl der
ährlichen Besucher ihrer weiträumigen Anlage. Das In-
eresse an betreuten Besuchen ist von 2002 bis 2008
ontinuierlich um 15 000 Teilnehmer angestiegen. Auch
ie geschätzte Besucherzahl der Gedenkstätte Sachsen-
ausen in unmittelbarer Hauptstadtnähe ist im vergange-
en Jahr von 350 000 auf mehr als 400 000 gestiegen.
ie Anzahl der Führungen, der Teilnehmer insgesamt
nd der Anteil ausländischer Besucher haben sich eben-
alls signifikant erhöht. Die Befürchtungen, die Errich-
ung eines zentralen Holocaust-Mahnmals könne
egative Auswirkungen auf die Wahrnehmung der au-
hentischen Orte des nationalsozialistischen Verbrechens
aben, haben sich also keinesfalls bestätigt. Das Gegen-
eil lässt sich eher vermuten: Wer die Berliner Mitte be-
ichtigt, besucht heute selbstverständlich auch das
ahnmal für die ermordeten Juden. Das sind natürlich
eit mehr Gäste, als diejenigen, die die außerhalb touris-
ischer Zentren liegenden KZ-Gedenkstätten besuchen.
s ist naheliegend, dass das Interesse des einen oder an-
eren Besuchers des Mahnmals für die KZ-Gedenkstät-
en erst durch dieses Erlebnis in Berlin geweckt wurde.
Eindrucksvoller als nüchterne Besucherzahlen berich-
en jedoch die Einträge im Gästebuch der Stiftung vom
rfolg ihrer Erinnerungs- und Versöhnungsarbeit:
Thanks for this impressing and shocking visit. Every
tudent, every people should be here once, to not forget“,
chrieb der damalige EU-Kommissar Franco Frattini.
Erschütternd und zutiefst beeindruckend! Die persönli-
he Nähe durch die Dokumentation einzelner Opfer war
ür mich am prägendsten“, notierte eine deutsche Besu-
herin. „Thank you for doing this, even though I believe
his matter could never be forgotten“, hinterließ die
nkelin von Isac Weizman aus Tel Aviv. Kindern des
indertransports hat der Besuch in der Ausstellung Auf-
chluss über das Todesdatum der Eltern gegeben.
Auch das Ergebnis einer Schülerumfrage im Sommer
006 bestätigt das Denkmalsanliegen: Neun von zehn
ugendlichen werteten den Mahnmalsbau als Zeichen
on Stärke und Selbstbewusstsein im Umgang mit der
eutschen Schuld. Der unterirdische Ort der Information
eherbergt eine der eindrucksvollsten Gedenkstätten
erlins. In der Konzentration auf Namen, Familienbio-
rafien und Orte wird hier jüdisches Leben in ganz
uropa ebenso vergegenwärtigt wie dessen Zerstörung
nd Auslöschung. Unterstützt mit Mitteln des privaten
ördervereins konnte die Stiftung inzwischen insgesamt
400 Biografien recherchieren, die im Raum der Namen
or dem Vergessen bewahrt werden und auch im Internet
ugänglich sind.
Ende vergangenen Jahres eröffnete die Stiftung das
ideoarchiv mit den Geschichten betroffener Zeitzeu-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22945
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gen. Rund tausend Videozeugnisse der in der Universität
Yale gesammelten Erinnerungen Überlebender in der
ganzen Welt sind hier nun aufgearbeitet und digitalisiert
einzusehen. Diese aktive Erinnerungsarbeit ist ebenso
wichtig wie das stille Gedenken. Denn der Moment ist
nicht mehr fern, an dem der letzte Überlebende ver-
stummt sein wird.
In der kurzen Zeit des Dauerbetriebes beteiligte sich
die Stiftung darüber hinaus an der Erarbeitung zweier
Sonderausstellungen gemeinsam mit anderen Gedenk-
stätten und Einrichtungen und veranstaltete eindrucks-
volle Vortrags-, Gesprächs- und Zeitzeugen-Abende.
Sechs verschiedene Workshops für Schülergruppen und
zwei für größere Zielgruppen stehen neben Führungen
und Projekttagen für das museumspädagogische Ange-
bot des Denkmals.
Es ist nur folgerichtig, endlich umzusetzen, was be-
reits seit Gründung der Stiftung vorgesehen war: die
Geschäftsordnung der anderen Denkmale durch die
„Stiftung für das Denkmal für die ermordeten Juden
Europas“ erledigen zu lassen. Mit der Kabinettsvorlage
vom 14. Januar dieses Jahres sollen demnach in die
überzeugende Stiftungsarbeit zur Erinnerung und Ver-
söhnung mit den Opfern des nationalsozialistischen Ter-
rors und ihren Angehörigen nun auch das räumlich und
gestalterisch korrespondierende Mahnmal für die vom
Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen und das
entstehende Mahnmal für die Sinti und Roma am nord-
östlichen Rande des Tiergartens in die Denkmalsarbeit
der vorhandenen Stiftung mit einbezogen werden.
Faktisch betreut die Stiftung bereits das Denkmal für
die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen.
Die Feier zur Übergabe an die Öffentlichkeit am 27. Mai
2008 wurde von der Stiftung organisiert. Technisch unter-
stützt sie die dort im Rahmen des Berliner Christopher
Street Days und des Gedenktages am 27. Januar stattfin-
denden Veranstaltungen. Darüber hinaus zeichnet die
Stiftung für Begleitmedien (Faltblatt und Materialien-
band) verantwortlich und bemüht sich, das Denkmal in
Zusammenarbeit mit dem Schwulen Museum Berlin und
dem LSVD in die Bildungsarbeit der Stiftung einzube-
ziehen.
Das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermor-
deten Sinti und Roma soll bis September 2009 errichtet
und der Öffentlichkeit übergeben werden. Der offizielle
Baubeginn am 19. Dezember 2008 wurde von der Stif-
tung organisiert. Ein entsprechendes Faltblatt zum
Denkmal erstellt sie in Absprache mit BKM und dem
Künstler Dani Karavan bis zur Eröffnung.
Die Errichtung eigener Gedenkstätten für unter-
schiedliche Opfergruppen des Nationalsozialismus folgt
dem Respekt vor den Betroffenen und ihrem Wunsch
nach einer eigenen Form des Erinnerns und Gedenkens.
Sowohl das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas
als auch die Denkmäler für die verfolgten Homosexuel-
len und Sinti und Roma verdanken ihre Entstehung und
Umsetzung in staatlicher Verantwortung jeweils einer
bürgerschaftlichen Initiative und der engagierten Vertre-
tung durch die Betroffenengruppen.
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Dieses notwendige Miteinander gesellschaftlicher
räfte macht politisches Agieren auf dem Feld des Ge-
enkens und Erinnerns aber auch so anspruchsvoll; denn
ier sollte immer auch ein parteiübergreifender Aus-
leich der Ansichten und Interessen gesucht werden.
ber alle strittigen Diskussionen über das Wie des Ge-
enkens hinweg sollte der mittlerweile stabile Konsens
icht übersehen werden, in dem die Auseinandersetzung
it der Vergangenheit heute in der Bundesrepublik grün-
et. Ich möchte dazu nur an die gemeinsame Entschlie-
ung der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP
nd Bündnis 90/Die Grünen zur „Fortschreibung der Ge-
enkstättenkonzeption des Bundes“ durch den Beauf-
ragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im
erbst vergangenen Jahres erinnern. Bei der organisato-
ischen Einbindung der Denkmale für die verfolgten
omosexuellen sowie die Sinti und Roma in die „Stif-
ung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ müs-
en natürlich die Vertreter der Opfergruppen gehört wer-
en. Grundsätzlich sind jedoch eine gemeinsame
erwaltung, der Betrieb und die Pflege der Mahnmale
ine naheliegende Lösung. Die Individualität des jewei-
igen Gedenkens für die Betroffenengruppen und die öf-
entliche Wahrnehmung bleiben davon unberührt.
Über die Art der Einbindung der Vertreter einzelner
pfergruppen in die betreuenden Gremien der Stiftung
ollte noch einmal gemeinsam nachgedacht werden.
ine von einigen angeregte Änderung des Namens der
tiftung kann ich mir allerdings nicht vorstellen.
Gleichzeitig mit der Erweiterung der Verantwortung
oll die Stiftung durch die Gesetzesänderung nach Been-
igung der Aufbauphase des Denkmals für die ermorde-
en Juden Europas nun in die Organisationsstruktur ver-
leichbarer Einrichtungen überführt werden.
Der im Stiftungszweck formulierte gesetzliche Auf-
rag, den Entwurf des Stelenfeldes von Peter Eisenman
nd den ergänzenden Ort der Information zu verwirkli-
hen, wurde inzwischen in vollem Umfang umgesetzt.
ur Fortführung der erfolgreichen Stiftungsarbeit soll
as Gesetz in einigen Punkten geändert und den Erfor-
ernissen des Dauerbetriebes angepasst werden.
Dazu gehört neben anderem die Abschaffung des
reiköpfigen Vorstands. Seine Aufgaben sowie die der
isherigen Geschäftsführung sollen nun in dem neuen
rgan des Direktors oder der Direktorin zusammenge-
ührt werden. Damit wird die Stiftung wie auch an ande-
er Stelle üblich zukünftig von drei Organen geleitet:
em Kuratorium, einem Direktor oder einer Direktorin
nd dem Beirat. Darüber hinaus wird der engagierten,
umeist auf der Grundlage eingeworbener Spendenmit-
el des „Förderkreises Denkmal für die ermordeten Ju-
en Europas“ bereits geleisteten Arbeit im Stiftungs-
weck Rechnung getragen. Die Stiftung erhält nun den
esetzlichen Auftrag, wechselnde Sonderausstellungen,
ortrags- und Seminarveranstaltungen durchzuführen
nd begleitende Publikationen im notwendigen Umfang
u erstellen. Damit erkennt die Bundesregierung die bis-
erigen Stiftungsaktivitäten ausdrücklich an.
Die Auseinandersetzung um die Denkmale der ver-
chiedenen Opfergruppen des nationalsozialistischen
22946 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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Terrorregimes macht deutlich: Nationales Gedenken
lässt sich weder amtlich formulieren, noch behördlich
regeln. Gleichwohl sind Erinnern und Gedenken weder
Privatsache noch rein bürgerschaftlich zu bewältigen.
Sie sind immer eine öffentliche Angelegenheit, und das
heißt in staatlicher Gesamtverantwortung. In der Bun-
desrepublik Deutschland ist mittlerweile eine zukunfts-
weisende Erinnerungskultur gewachsen, die nicht selten
auch einen parteiübergreifenden Charakter zeigt. Das
sollte auch in diesem Falle unser Anspruch sein.
Die Art und Weise, wie eine Nation, wie ein Staat sein
Verhältnis zur Geschichte formuliert, gibt Auskunft über
sein Selbstverständnis und prägt seine Identität. Mit
Konrad Adenauer möchte ich schließen, der 1952 dazu
bekannte: „Man muss das Gestern kennen, man muss
auch an das Gestern denken, wenn man das Morgen
wirklich gut und dauerhaft gestalten will. Die Vergan-
genheit ist eine Realität. Sie lässt sich nicht aus der Welt
schaffen, und sie wirkt fort, auch wenn man die Augen
schließt, um sie zu vergessen.“ Deshalb ist die Bewah-
rung der Erinnerung, das nationale Gedächtnis, eine
politische, also eine gemeinsame Aufgabe über Partei-
und Fraktionsgrenzen hinweg.
Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD): Vor zehn Jahren
haben wir die Errichtung des Denkmals für die ermorde-
ten Juden Europas in Berlin beschlossen – eine der letz-
ten Entscheidungen, die noch in Bonn getroffen wurden.
Vorausgegangen war dem Beschluss eine langjährige
Debatte – die sich gelohnt hat, wie man wenige Hundert
Meter von hier entfernt besichtigen kann. Im Mai 2005
wurde das Denkmal eröffnet. Bereits im ersten Jahr be-
suchten mehr als eine Million Gäste das Stelenfeld.
Streitpunkt der Diskussion und ein wichtiger Punkt
des damaligen Beschlusses war die Ergänzung des
Denkmals durch einen Ort der Information. Selbst der
Architekt Peter Eisenman, der ursprünglich gegen diese
Erweiterung war, ist mittlerweile längst von der Richtig-
keit dieser Entscheidung überzeugt. Ohne den Ort der
Information hätte das Denkmal nicht seine Wirkung und
seine Anziehungskraft entfalten können. Den Mitarbei-
tern der Stiftung ist es auf sehr eindrückliche Art gelun-
gen, an diesem nicht authentischen Ort an die Schrecken
des NS-Terrors zu erinnern und ihn zu vergegenwärti-
gen. Die jüdischen Opfer bekommen Namen und Ge-
sicht, sodass das Grauen gerade für die jüngeren Genera-
tionen nachvollziehbar wird. Mit dem Projekt „Leben
mit der Erinnerung. Überlebende des Holocaust erzäh-
len“ werden das Wissen und die Erfahrungen der Zeit-
zeugen, deren Zahl immer weiter abnimmt, gesichert
und an die nachfolgenden Generationen vermittelt.
Die Sorge übrigens, das Mahnmal im Herzen der
Hauptstadt würde Besucher von den authentischen Ge-
denkorten abziehen, hat sich nicht als zutreffend erwie-
sen. Im Gesetz zur Errichtung der Stiftung wurde als
Stiftungszweck im Abs. 1 die „Verwirklichung des
Grundsatzbeschlusses des Deutschen Bundestages vom
25. Juni 1999 (Drucksache 14/1238) zur Errichtung ei-
nes Denkmals für die ermordeten Juden Europas“ festge-
schrieben. Der Bundestagsbeschluss ist umgesetzt, das
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enkmal seit vier Jahren fertiggestellt. Der ursprüngli-
he Stiftungszweck ist damit hinfällig und es ist an der
eit, das Stiftungsgesetz entsprechend anzupassen. Das
st das Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfs.
„Zweck der Stiftung ist die Erinnerung an den natio-
alsozialistischen Völkermord an den Juden Europas.
ie Stiftung trägt dazu bei, die Erinnerung an alle Opfer
es Nationalsozialismus und ihre Würdigung in geeigne-
er Weise sicherzustellen“, heißt es jetzt im § 2 des
esetzentwurfs. Aufgabe der Stiftung ist auch die Be-
reuung des Denkmals für die im Nationalsozialismus
erfolgten Homosexuellen, das im letzen Jahr einge-
eiht wurde, und des Denkmals für die im National-
ozialismus ermordeten Sinti und Roma, das, hoffent-
ich, in diesem Jahr fertiggestellt wird.
Die anderen Änderungen sind im Wesentlichen An-
leichungen an die Strukturen vergleichbarer Einrich-
ungen. So wird der dreiköpfige Vorstand abgeschafft
nd die Aufgaben des bisherigen Vorstands und der Ge-
chäftsführung werden in dem neuen Organ „Direktor
der Direktorin“ zusammengeführt. Allerdings müsste
analog zu vergleichbaren Einrichtungen – die Bestel-
ung des Direktors für fünf statt für vier Jahre erfolgen.
Über diesen Punkt und über den Sinn einer Änderung
es Stiftungsnamens und der Besetzung des Kuratoriums
wie von den Grünen vorgeschlagen – sollten wir im
usschuss diskutieren.
Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Die „Stif-
ung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ bedarf
er Erweiterung. Wir setzen damit einen weiteren Stein
n das Mosaik der Erinnerungs- und Gedenkstättenarbeit
eutschlands ein. Die Wurzeln der heutigen Erweite-
ung der „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden
uropas“ liegen im Denkmalsbeschluss des Bundestages
om 25. Juni 1999. Damals beschloss der Deutsche Bun-
estag das Holocaust-Mahnmal. Wie kaum ein zweites
esellschafts- und geschichtspolitisches Ereignis in der
undesrepublik hat dieses Vorhaben in einer elf Jahre
auernden Diskussion die Gemüter durch alle politi-
chen Lager und sozialen Schichten bewegt.
Mit seinem Beschluss stellte der Deutsche Bundestag
leichzeitig fest: „Die Bundesrepublik Deutschland
leibt verpflichtet, der anderen Oper des Nationalsozia-
ismus würdig zu gedenken.“ Dies ist die Grundlage des
enkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten
inti und Roma und des Denkmals für die im National-
ozialismus verfolgten Homosexuellen.
Vor fast auf den Tag genau neun Jahren – am
7. März 2000 – wurde die „Stiftung Denkmal für die er-
ordeten Juden Europas“ errichtet. Stiftungszweck war
amals die Errichtung und Unterhaltung des Denkmals,
ines Ortes der Erinnerung und des Gedenkens an bis zu
Millionen Opfer. Nachdem die Stiftung in den Jahren
003 bis 2005 die Bauherrenfunktion ausübte, ist sie
unmehr für den Betrieb des Denkmals als Ort des Ge-
enkens, der Aufklärung und der Begegnung zuständig.
eit seiner Eröffnung im Jahr 2005 ist das Stelenfeld des
rchitekten Peter Eisenman eine wahrlich vielbesuchte
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Stätte. Über 5,3 Millionen Menschen besuchten bisher
das Mahnmal und schon 1,5 Millionen Menschen waren
Gast des Dokumentationszentrums, welches erst im
Sommer 2008 durch das Videoarchiv ergänzt wurde.
Mitte Mai 2008 konnte das Denkmal für die im Natio-
nalsozialismus verfolgten Homosexuellen der Öffent-
lichkeit übergeben werden. Im Sommer 2009 wird das
Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten
Sinti und Roma endlich vollendet sein. Die „Stiftung
Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ bekommt
damit neue Aufgaben; das Stiftungsgesetz muss durch
die Neuzugänge aktualisiert und an die Erfordernisse des
Dauerbetriebs angepasst werden.
Neben technischen Details, die ich hier nicht vertiefen
möchte, sind zwei Punkte hervorzuheben, die im neuen
Stiftungsgesetz verankert werden müssen und sicherlich
unstrittig sind:
Erstens: Selbstverständlich muss der Stiftungszweck
an seine erweiterten Aufgabenstellungen angepasst wer-
den. Dagegen ist nichts einzuwenden. Zum einen ist es
notwendig, den Stiftungszweck beim Denkmal für die
ermordeten Juden um die ständige Ausstellung im Ort
der Information sowie Vortrags- und Seminarveranstal-
tungen zu erweitern. Zum anderen müssen die beiden
neuen Denkmäler mit unter die Obhut der Stiftung fal-
len.
Zweitens wird der bisher neben dem Kuratorium exis-
tierende Vorstand aufgelöst, und der ehemalige Vorstand
sowie die Geschäftsführung werden im neuen Organ
„Direktorin oder Direktor“ zusammengeführt.
Zwei Punkte, die durch den Gesetzesentwurf nicht an-
gepackt wurden, bedürfen jedoch noch einmal einer Ver-
tiefung:
Erstens gilt es, noch einmal zu überdenken, ob durch
die Erweiterung des Stiftungszweckes auch der Name
der Stiftung geändert werden müsste. Hier hat sich die
FDP-Fraktion noch kein abschließendes Urteil gebildet.
Die Für und Wider werden wir sicherlich eingehend im
Ausschuss diskutieren und die Argumente der sich jetzt
schon positionierenden Gruppen einbeziehen.
Zweitens gilt es, zu bedenken, ob das Kuratorium mit
Erweiterung des Stiftungszwecks durch neue Mitglieder
ergänzt werden muss. Persönlich erachte ich es als prü-
fenswert, ob das bisher schon 23-köpfige Gremium des
Kuratoriums erweitert werden sollte. Schon jetzt sitzen
im Kuratorium alle Fraktionen des Deutschen Bundesta-
ges, die Bundesregierung, das Land Berlin, der Förder-
kreis Denkmal für die ermordeten Juden Europas e.V.,
der Zentralrat der Juden in Deutschland, die Stiftung
Topographie des Terrors, um nur einige zu nennen. Wird
dieser Kreis erweitert, ist die Arbeitsfähigkeit des Gre-
miums infrage zu stellen. In den kommenden Wochen
freue ich mich auf eine konstruktive Diskussion im fe-
derführenden Ausschuss für Kultur und Medien.
Petra Pau (DIE LINKE): Die Linke stimmt zu. Das
Gesetz über die „Stiftung Denkmal für die ermordeten
Juden Europas“ soll verändert werden. De facto geht es
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arum, den Stiftungszweck zu erweitern. Er soll
usätzlich das Denkmal für die durch das NS-Regime er-
ordeten Homosexuellen umfassen, ebenso das für die
rmordeten Sinti und Roma. Außerdem soll die interne
truktur der Stiftung „verschlankt“ werden. Auch das
ntspricht den Vorschlägen, die das Kuratorium für die
tiftung bereits vor Jahresfrist beschlossen hatte. Sie
ind plausibel begründet. Die Fraktion Die Linke wird
em Gesetzentwurf daher zustimmen.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ie Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unterstützt durch-
us die Zielsetzung des zugrunde liegenden Gesetzent-
urfes: Die Aktualisierung des Stiftungszweckes im
inne einer Ausdehnung auf die Betreuung des Denk-
als für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti
nd Roma sowie des Denkmals für die im Nationalsozia-
ismus verfolgten Homosexuellen ist sinnvoll. Auch die
trukturveränderung bei der Organisation der Stiftung
alten wir grundsätzlich für richtig.
Gleichwohl bin ich irritiert, dass der Gesetzentwurf
eder mit der Opposition noch mit dem Zentralrat der
uden, dem Verband der Sinti und Roma oder dem Les-
en- und Schwulenverband besprochen wurde: Ich hatte
ereits in der letzten Kuratoriumssitzung zur Denkmals-
efassung angeregt, dem neuen Aufgabengebiet auch
urch eine Anpassung des Namens der Stiftung Aus-
ruck zu verleihen. Ich gehe davon aus, dass wir diesen
unkt im anschließenden Ausschussverfahren erörtern
nd gemeinsam lösen werden.
Im Ausschussverfahren muss auch geklärt werden,
ie die von der Aufgabenerweiterung betroffenen Initia-
iven und Verbände im Kuratorium angemessen einge-
unden werden. Der Gesetzentwurf gibt hier bedauerli-
herweise keinerlei Hinweis. Er ist insofern aus meiner
icht lückenhaft. Das Kuratorium muss entsprechend er-
eitert werden.
Die Gesetzesänderung muss auch haushalterische
onsequenzen haben: Denn wenn die Stiftung tatsäch-
ich zwei neue Denkmäler zur Betreuung hinzugewinnt,
o muss sich dies auch bei der Mittelausstattung nieder-
chlagen. Der Gesetzentwurf verliert auch darüber kein
ort.
Ich gehe davon aus, dass wir die von mir angespro-
henen Punkte im Ausschussverfahren einvernehmlich
iner Lösung zuführen werden. Der Gegenstand des Ge-
etzentwurfes eignet sich aus meiner Sicht ganz und gar
icht für parteipolitische Reibereien.
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Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Programm „Stadt-
umbau Ost“ – Fortsetzung eines Erfolgspro-
gramms (Zusatztagesordnungspunkt 6)
Volkmar Uwe Vogel (CDU/CSU): Das Programm
Stadtumbau Ost“ hat sich bewährt. Bisher haben Bund,
änder und Gemeinden 2,5 Milliarden Euro aufgewen-
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det, um der spezifischen Probleme der ostdeutschen
Wohnungswirtschaft Herr zu werden. Mit diesen Mitteln
ist es gelungen, einen großen Schritt zum ansehnlichen
und bezahlbaren Wohnraum, auch in Zeiten der Verstäd-
terung und des Wegzugs, zu machen. So wurden allein
von 2002 bis 2007 circa 220 000 Wohnungen vom Markt
genommen, die jetzt nicht mehr bewirtschaftet werden
müssen oder erhöhte Kosten bei den Vermietern und da-
mit bei den Mietern verursachen.
Der Wegzug und der damit verbundene Wohnungs-
leerstand haben nicht nur zur Folge, dass die Vermieter
und Wohnungsgesellschaften Einnahmen einbüßen müs-
sen. Auch die technische Infrastruktur muss den neuen
Bedingungen angepasst werden, um die Kosten im Griff
zu behalten. Und auch die soziale Infrastruktur ist davon
betroffen. Kindertagesstätten, Schulen, Arztpraxen und
Freizeiteinrichtungen müssen wegen mangelnder Aus-
lastung oder Rentabilität geschlossen werden. Das sind
Faktoren, die die Lebens- und Wohnqualität negativ be-
einflussen und den Wegzug noch beschleunigen.
Aber mit dem aktuell laufenden Programm ist es
gelungen, nach und nach die Situation in den Griff zu
bekommen. Nach Anfangsschwierigkeiten waren die
Kommunen und Wohnungsunternehmen immer besser
in der Lage, mit dem Programm umzugehen.
Dabei müssen wir eine wesentliche Fehlentwicklung
der DDR-Wohnungspolitik korrigieren. Die Mangel-
wirtschaft hatte zur Folge, dass nur noch schnell mit
minimalem Aufwand Plattenbausiedlungen an den
Stadträndern hochgezogen wurden. Stadtkerne und in-
nerstädtische Wohnbebauung wurden dem Verfall preis-
gegeben. Das ist ein Grund dafür, warum das Programm
„Stadtumbau Ost“ von Anfang an als „lernendes Pro-
gramm“ angelegt wurde.
In den vergangenen Jahren lag der Schwerpunkt auf
dem Abriss, was vorrangig von großen Wohnungsunter-
nehmen genutzt wurde, die Plattenbauten zu bewirt-
schaften hatten. Der Abriss wird auch in Zukunft ein
wichtiger Faktor sein, aber nicht mehr so absolut im
Vordergrund stehen.
Trotzdem sind die strukturellen Probleme zwischen
westdeutschen und ostdeutschen Kommunen bzw. der
Wohnungswirtschaft noch zu unterschiedlich, um beide
Programme zusammenzuführen – zu vereinigen. Es bleibt
aber für uns das Ziel! Wichtig ist der intensive Erfah-
rungsaustausch, damit sich Fehler nicht wiederholen.
Wir wollen das Programm flexibler gestalten, damit
eine zielgenaue Gestaltung zwischen Abriss und Aufwer-
tung möglich ist. Außerdem eröffnen wir den Kommunen
und Wohnungsunternehmen die Möglichkeit, nach Ihrer
spezifischen Situation vor Ort zu handeln.
Ein Manko der letzten Jahre waren auch die nicht vor-
handene Verbindlichkeit der Stadtentwicklungskonzepte
und die Beteiligungsverfahren betroffener Akteure. Auch
unter diesem Aspekt werden wir das – ich erwähnte es be-
reits – „lernende Programm“ fortentwickeln.
Die aktuelle Evaluierung untermauert, dass die Innen-
städte mit Aufwertungs- und Umgestaltungskonzepten
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tärker berücksichtigt werden sollten. Dort sind auch die
leinteiligen Eigentümerstrukturen zu finden, die unter
nderem die Urbanität einer Innenstadt ausmachen.
aher muss das Programm auch für den privaten Eigen-
ümer besser nutzbar gemacht werden. Eine Möglich-
eit, die es zu prüfen gilt, ist die Wiederbelebung der
nvestitionszulage für diesen Bereich.
Zum Schluss möchte ich Sie darauf aufmerksam ma-
hen, dass bisher 390 Kommunen in Ostdeutschland von
em Programm profitiert haben. Die graue Platte einer
iktatur – eines Unrechtsstaates – ist verschwunden. Die
erbliebenen Wohnviertel wurden attraktiv, bunt und
reundlich – so wie die Freiheit. Es ist auch gelungen,
en der Heimat treu gebliebenen Bürgern nicht nur noch
öhere Lebenshaltungskosten zu ersparen – nein, wir
onnten das gesamte Stadt- bzw. Lebensumfeld in den
ommunen positiv beeinflussen.
Mit dem vorliegenden Antrag will meine Fraktion das
rogramm „Stadtumbau Ost“ bis in das Jahr 2016
eiterführen und die einzelnen Instrumente weiterentwi-
keln. Ich möchte dafür werben, dass die nachfolgenden
iskussionen in den beteiligten Gremien zügig zum
nde gebracht werden. Das jetzige Programm läuft 2009
us, und die Fortschreibung ist, das habe ich auch in den
esprächen mit Kollegen gespürt, unstrittig. Deswegen
ommt es jetzt darauf an, die Finanzierungsgrundlage im
aushalt ab 2010 festzuschreiben. Dabei muss auch die
ltschuldenproblematik der Wohnungsunternehmen, un-
bhängig von der jetzigen Regelung bis 2013, weitere
eachtung finden.
Ich hoffe auf konstruktive und zielführende Beratun-
en in den Ausschüssen.
Ernst Kranz (SPD): Die ostdeutsche Wohnungswirt-
chaft hatte mit der deutschen Einheit große Herausfor-
erungen zu bewältigen. Die von den Kommunen über-
ommenen Wohnungsbestände waren mit Altschulden
elastet und zum Teil sanierungsbedürftig. Arbeits-
arktbedingte Abwanderungen und allgemeiner Bevöl-
erungsrückgang führten zu überdurchschnittlichen
ohnungsleerständen. Diese Entwicklung war für die
ohnungsunternehmen nicht vorhersehbar und häufig
uch nicht zu beeinflussen, für den Wohnungsmarkt war
ine solche Situation ebenfalls neu.
Die Bundesregierung hat deshalb im Jahr 2002 das
rogramm „Stadtumbau Ost“ aufgelegt. Im Vorfeld hat
ie Bundesregierung die Kommission für den woh-
ungswirtschaftlichen Strukturwandel, auch Lehmann-
rube-Kommission genannt, einberufen, die die Situa-
ion analysiert und den Handlungsbedarf ermittelt hat.
ie Kommission hat sehr klar die Forderung nach einer
mfassenden Abbruchförderung durch Bund und Land
rhoben.
So stellten Bund und Länder im Rahmen des Pro-
ramms finanzielle Mittel für den Rückbau von Woh-
ungen bereit; ebenso für die Aufwertung von Stadt-
uartieren, wofür die Kommunen einen eigenen Anteil
eisten müssen. Damit konnte die Lösung der Probleme
n Angriff genommen werden, die die Kommunen und
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22949
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ihre Wohnungsunternehmen alleine nicht hätten bewälti-
gen können. Bis Ende 2007 haben sich 390 Kommunen
mit über 820 Stadtumbaugebieten beteiligt. Inzwischen
hat sich der Wohnungsmarkt sichtbar stabilisiert. Bis
Ende 2007 wurden rund 220 000 der 350 000 geplanten
Wohnungen vom Markt genommen. In den Quartieren
ist eine neue Lebensqualität entstanden und die Bevölke-
rung steht nach anfänglichen Zweifeln zum Abrissvolu-
men nun hinter dem Programm. Dies ist das Ergebnis
sowohl der Gutachter als auch der parallel vom Ministe-
rium eingesetzten Lenkungsgruppe, die im Auftrag des
Bundesministeriums das Programm rechtzeitig vor sei-
nem Ablauf im Jahr 2009 evaluiert haben. Deren Auf-
gabe war es, Empfehlungen zu formulieren für die
laufende Umsetzung des Programms und dessen Fortset-
zung sowie zukünftige Handlungsfelder und spezifische
Schwerpunkte des Programms für die Fortsetzung aufzu-
zeigen. Laut Lenkungsgruppe hat die Anzahl leer-
stehender Wohnungen kontinuierlich abgenommen, die
wirtschaftliche Situation der Wohnungsunternehmen hat
sich spürbar verbessert und indirekt hat sich dadurch
auch die wirtschaftliche Situation privater Einzeleigen-
tümer verbessert.
Zur Verbesserung der Gesamtsituation hat auch die
Investitionszulage zur Modernisierung innerstädtischer
Altbauquartiere in den Jahren 2002 bis 2004 beigetra-
gen; genauso die befristete Befreiung von der Grunder-
werbsteuer bei Fusionen von Wohnungsunternehmen in
den Jahren 2004 bis 2006 sowie die Verankerung des
Stadtumbaus im Baugesetzbuch. Bei der Wohnumfeld-
verbesserung durch Aufwertungsmaßnahmen war es ent-
scheidend, dass die Mittel überwiegend für die Gestal-
tung des Wohnumfelds und des öffentlichen Raums
inklusive der durch Rückbau freigewordenen Flächen
und für Maßnahmen der Infrastruktur verwendet wur-
den.
Die Lenkungsgruppe hat weiterhin festgestellt, dass
es in unsanierten Gründerzeitgebieten deutliche Ent-
wicklungsdefizite gibt. Es besteht weiterhin ein gesamt-
städtischer Aufwertungsbedarf in den Handlungsfeldern
öffentliche Räume, Grün-, Verkehrsflächen und Stadt-
bildpflege; Aufwertungsprozesse benötigen ausreichend
Zeit, deshalb ist die Programmfortführung wichtig. Oft
fehlen sinnvolle Nachnutzungen oder Investoren, Über-
gangssituationen und Zwischennutzungen stellen ein
Planungsprinzip dar.
Die Lenkungsgruppe hat auch diskutiert, inwieweit
eine Zusammenführung der Programme Ost und West
sinnvoll ist, und kam zu dem Ergebnis, dass mit den ho-
hen Leerständen aufgrund einst überzogener Wachstums-
erwartungen und mit der jahrzehntelang verschleppten
Sanierung von Altbauten noch vereinigungsbedingte
Sonderbedingungen vorhanden sind, die spezieller Re-
gelungen bedürfen.
Wichtig für den Erfolg des Programms war, dass das
Programm als „lernendes Programm“ angelegt war, so
konnte auf neu entstandene Probleme flexibel reagiert
werden: Es gab die Möglichkeit, Aufwertungsmittel für
den Rückbau einsetzen zu können. Es gab weiterhin die
Möglichkeit der Übernahme des kommunalen Anteils
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urch private Investoren; so konnten die Kommune ent-
astet und private Investoren einbezogen werden. In be-
onders begründeten Einzelfällen konnte der kommunale
igenanteil auf mindestens 10 Prozent reduziert werden.
ür sanierungsbedürftige innerstädtische Altbauten, die
us stadtplanerischen und Denkmalschutzgründen nicht
bgerissen werden sollten, wurde eine Soforthilfe einge-
ichtet, indem 2005 und 2006 bis zu 3 Prozent, 2007 bis
u 5 Prozent und seit 2008 bis zu 15 Prozent des Förder-
olumens des Bundes auch für Sicherungsmaßnahmen
n Altbauten ohne kommunalen Eigenanteil verwendet
erden können. Damit wird der Altbau vor dem Zerfall
erettet und Zeit gegeben, um eine geeignete Lösung zu
inden.
Für die stadtumbaubedingte Anpassung der sozialen
nd technischen Infrastruktur hat der Bund für die Pro-
rammjahre 2006 und 2007 zusätzlich je 20 Millionen
uro zur Verfügung gestellt. Für das Jahr 2008 wurden
5 Millionen Euro und für das Jahr 2009 werden 10 Mil-
ionen Euro für diesen Zweck bereitgestellt.
Es ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung die Ab-
issfrist bei der Altschuldenhilfe verlängert hat. Für die
ereits genehmigten Anträge sollten die Gebäude ur-
prünglich bis Ende 2010 abgerissen werden. Diese Frist
ird nun bis zum 31. Dezember 2013 verlängert, um den
nternehmen die erforderliche Zeit einzuräumen. Mit
nderung der Altschuldenhilfeverordnung ist jetzt auch
er Abriss von solcher Wohnfläche in die Entlastung mit
inbezogen worden, die nach dem für die ursprüngliche
ltschuldenhilfe maßgeblichen Stichtag, dem 1. Januar
993, erworben wurde. Dabei geht es vor allem um
älle, in denen das kommunale Wohnungsunternehmen
m Interesse und im Auftrag der Stadt Immobilien er-
orben hat, die entsprechend dem integrierten Stadtent-
icklungskonzept abzureißen sind, deren Eigentümer
ber hierzu nicht bereit oder in der Lage waren. Die Un-
ernehmen erhalten somit mehr Flexibilität bei der An-
assung ihrer Abrissplanungen an den Stadtumbaube-
arf.
In dem vorliegenden Antrag erkennen wir die Erfolge
es Programms an. Jetzt geht es darum, anhand der Be-
tandsaufnahme durch die Gutachter und die Lenkungs-
ruppe sich Gedanken zu machen, was noch zu erledi-
en ist, das nicht ohne finanzielle Mittel vom Bund
ewältigt werden kann. Im Großen und Ganzen halte ich
s für sinnvoll, das Programm, so wie es bislang ausge-
taltet war, fortzuführen. Dabei sind die Erfahrungen, die
emacht wurden, genauso mit einzubeziehen wie der er-
ittelte weitere Bedarf. So ist das Programm mindestens
is zum Jahr 2016 fortzuführen. Der finanzielle Förder-
ahmen sollte so ausgestaltet werden, dass die genannten
ufgaben des für notwendig erachteten Rückbaus von
ohnungen, der Aufwertung von innerstädtischer Alt-
austruktur sowie der Pflege des Stadtbildes bewältigt
erden können.
Die bisherigen Ansätze zur Flexibilisierung des Pro-
ramms sollten weiter verstärkt werden, um mit regio-
alspezifischen Vorgehensweisen auf die jeweilige örtli-
he Situation eingehen zu können. Ich erachte es als
innvoll, dass eine bedarfsgerechte Quote für die einzel-
22950 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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nen Städte und Kommunen weiter ermöglicht wird. Der
Verteilungsschlüssel ist stärker problemorientiert festzu-
legen. Neben den bisherigen Kriterien Wohnungsbestand
und Einwohner sind Indikatoren zu verwenden, die die
Bevölkerungsentwicklung in geeigneter Weise abbilden.
Dabei ist stets die gesamte regionale Entwicklung mit
einzubeziehen. Die Stadtumbauziele sind im Rahmen ei-
ner überörtlichen Kooperation abzustimmen und in den
Planungen verbindlich zu berücksichtigen. Es ist ein ge-
eigneter Weg zu finden, den immer noch großen Nach-
holbedarf bei der Sanierung innerstädtischer Altbauquar-
tiere zu bewältigen. Ziel muss es sein, die Identität der
Gesamtstadt aufzuwerten. Das erhöht nicht nur die
Standortqualität für die Bewohner, sondern gibt auch der
Wirtschaft wichtige Impulse.
Die Fördermittel sind möglichst effizient einzusetzen.
Die Kommunen sind anzuhalten, ein gut durchdachtes
Umbaumanagement zu schaffen. Die „Transferstelle
Stadtumbau Ost“ sollte dies auch weiterhin aufmerksam
begleiten. Die „Experimentierklausel“, die die Über-
nahme des kommunalen Anteils durch Dritte erlaubt,
sollte dauerhaft in die Verwaltungsvereinbarung aufge-
nommen werden. Neben den Wohnungsunternehmen
sind die privaten Investoren künftig in geeigneter Weise
stärker mit einzubeziehen. Die Länder sind dazu anzu-
halten, die Mittel im Rahmen der Wohnungsbauförde-
rungsprogramme so einzusetzen, dass innerstädtisches
Wohneigentum in Neubau und Bestand sowie generatio-
nengemischte Stadtquartiere gefördert werden und er-
gänzend zum Stadtumbau wirken.
Ein mir besonders wichtiger Punkt ist es, die Verbind-
lichkeit der Stadtentwicklungskonzepte insgesamt weiter
zu stärken, um die Planungssicherheit für alle beteiligten
Akteure, insbesondere auch für die privaten Grundstücks-
eigentümer und die Träger der Infrastruktureinrichtun-
gen, zu erhöhen. Hierzu müssen die integrierten Stadt-
entwicklungskonzepte unter Beachtung der dauerhaft
weiter benötigten Wohnungsbestände und der Entwick-
lung der Städte insgesamt weiter fortgeschrieben wer-
den. Aufbauend auf dem integrierten Planungsansatz,
der dem Stadtumbau zugrunde gelegt wurde, sind geeig-
nete Beteiligungsverfahren zu finden, um zum einen den
Bürgerinnen und Bürgern die Rückbaumaßnahmen früh-
zeitig zu erläutern und zum anderen die unterschiedli-
chen Bedürfnisse von Bewohnern, Gewerbetreibenden,
Händlern und anderen im Rahmen des Stadtumbaus stär-
ker berücksichtigen zu können.
Aufgrund des Erfolgs der bereits früher vorhandenen
ergänzenden Instrumente sollte geprüft werden, inwie-
weit und in welchem Rahmen diese aufgelegt werden
können, um den Effekt des Programms „Stadtumbau Ost“
insbesondere in den Kernproblemen zu erhöhen. Dies
gilt für die Härtefallregelung nach § 6a Altschuldenhilfe-
verordnung sowie für die Investitionszulage für Moder-
nisierungsinvestitionen im Altbaubestand. Darüber hi-
naus könnten dazu beitragen: eine bessere Information
der privaten Eigentümer und Investoren über die bereits
vorhandenen Möglichkeiten zur steuerlichen Absetzbar-
keit sowie das Lösen der steuerlichen Probleme der
Versorgungsunternehmen, wie zum Beispiel der Abzugs-
fähigkeit von Rückbaumaßnahmen, der Bildung von
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ückstellungen, und zwar aufgrund ihrer Zuständigkeit
usammen mit den Finanzministerien der Länder, oder
uch eine bessere Verzahnung der Förderprogramme der
fW mit den Förderinstrumenten der Stadtentwicklung
insbesondere gilt dies für das KfW-Wohneigentums-
rogramm und das Wohnraummodernisierungspro-
ramm sowie für die energetische Sanierung – und
chließlich die Möglichkeit der Mobilisierung von priva-
em Kapital über neue Finanzierungsinstrumente für den
tadtumbau.
Darüber hinaus fordern wir von den Ländern einen
ericht über die Durchführung der Maßnahmen. In die-
em Bericht sollen nicht nur die besonders positiven Bei-
piele der Zusammenarbeit im Rahmen des Stadtumbaus
eschildert werden, sondern auch angegeben werden, wo
ie Hürden liegen. Für das Jahr 2012 empfehlen wir der
undesregierung, einen Zwischenbericht vorzulegen,
amit das Programm gegebenenfalls korrigiert werden
ann. Und rechtzeitig vor Ablauf des Programms, also
m Jahr 2015, sollte wiederum eine Evaluierung durch-
eführt werden, um Bilanz zu ziehen und das weitere
orgehen diskutieren zu können.
Zusammenfassend und abschließend möchte ich sa-
en, das Programm „Stadtumbau Ost“ ist ein Erfolgspro-
ramm, und dennoch sind in den nächsten Jahren noch
iele Aufgaben zu lösen. Ich halte eine Fortsetzung bis
016 deshalb für notwendig.
Joachim Günther (Plauen) (FDP): Wir sprechen
eute über das bislang sehr erfolgreiche Bund-Länder-
rogramm „Stadtumbau Ost“, das seit seiner Einführung
m Jahr 2002 eines der wichtigsten Instrumente der
tadtentwicklungspolitik in den neuen Ländern ist. Da-
ei stehen die Innenstadtentwicklung, der bedarfsorien-
ierte Umbau, die Aufwertung der Stadtquartiere, aber
uch immer noch der Wohnungsrückbau im Mittelpunkt
iner nachhaltigen Strategie.
Die Evaluierung durch das Deutsche Institut für Ur-
anistik (Difu) und das Institut für Stadtforschung und
trukturpolitik (IfS) bekräftigt, dass sich das Programm
Stadtumbau Ost“ in der Praxis bewährt hat. Dem
chließt sich auch die Stellungnahme der Lenkungs-
ruppe an, die aus Vertretern von Bund, Ländern,
emeinden, Verbänden, Wohnungsunternehmen und
ietorganisationen besteht. Nun gilt es, das Stadtum-
auprogramm entsprechend der Evaluierungsergebnisse
nzupassen, weiterzuentwickeln und die Förderrahmen
u überprüfen. Gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise
ann es wesentlich zur Stabilisierung von Arbeitsplätzen
eitragen. Ich begrüße die Empfehlung der Gutachter
nd der Lenkungsgruppe, das Stadtumbauprogramm Ost
ls eigenständiges Programm im Bereich der Städte-
auförderung mindestens bis zum Jahr 2016 fortzuset-
en.
Für die FDP war und ist das Bauen im Bestand sowie
ie Umnutzung leerstehender Gebäude verstärkt förde-
ungswürdig. Vorhaben wie Abriss und Aufwertung
üssen dabei immer auf ihre Demografiefestigkeit über-
rüft werden. Rückbau ist nach wie vor wichtig, um den
ohnungsleerstand nicht wieder ansteigen zu lassen,
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wobei Wohnungsleerstände inzwischen sowohl in den
neuen als auch den alten Bundesländern ein regionales
Problem sind. Bisher konnte der Leerstand in den Be-
ständen des DDR-Wohnungsbaus reduziert und das Ent-
stehen zusätzlicher Leerstände verhindert werden. Aus
den mittelfristigen Prognosen zur Bevölkerungs- und
Haushaltsentwicklung wird jedoch deutlich, dass insge-
samt auf dem Wohnungsmarkt ein erneutes Ansteigen
der Leerstände droht, wenn der Rückbau nicht im selben
Maße fortgesetzt wird. So begrüße ich die Empfehlung
der Gutachter und Lenkungsgruppe – zusätzlich zu den
aus dem bisherigen Stadtumbauprogramm noch offenen
Rückbauzahlen – bis 2016 den Rückbau von weiteren
200 000 bis 250 000 Wohnungen aus Mitteln der Städte-
bauförderung zu unterstützen.
Nachdem die bisherigen Stadtumbauprogramme vor
allem den Rückbau im Blick hatten, muss nun verstärkt
die Aufwertung der städtischen Kerne und Stadtquartiere
zum Ziel werden. Bei der Aufwertung der Innenstädte
und des innerstädtischen Altbaus können mittlerweile
sichtbare Erfolge festgestellt werden. Die eingetretenen
Aufwertungseffekte in verschiedenen städtebaulich be-
deutenden Teilräumen, zu denen auch zukunftsfähige
Plattenbaugebiete zählen, beginnen vielerorts auf das ge-
samte Stadtbild auszustrahlen. Innerstädtische Stadt-
quartiere durchlaufen eine differenzierte Entwicklung.
Trotz erster positiver Effekte besteht weiterer gesamt-
städtischer Aufwertungs- und Gestaltungsbedarf.
Insbesondere der demografische Wandel bedeutet
eine Herausforderung, aber auch eine Chance für die
Stadtentwicklung. Eine Fortschreibung der gegenwärti-
gen Entwicklung bedeutet, dass die Gesamtbevölkerung
bis zum Jahr 2050 auf circa 68,5 Millionen sinkt. Drei
von vier deutschen Kreisstädten werden bereits im Jahr
2020 weniger Einwohner zählen als heute. Noch stärker
fällt die Entwicklung außerhalb der Städte aus. Zugleich
verschiebt sich bis zum Jahr 2050 die Relation der im
Arbeitsleben stehenden Bevölkerung zwischen 20- und
64- zu den über 65-Jährigen dramatisch. Der Anteil von
20- bis 64-Jährigen an der Gesamtbevölkerung wird
dann nur noch 60 Prozent, der Anteil der über 65-Jähri-
gen hingegen bereits über 30 Prozent betragen. In
diesem Zusammenhang wird es eine große Herausforde-
rung sein, vor allem altersgerechtes Wohnen zu garantie-
ren.
Vor allem strukturschwache Städte und Regionen
werden von dieser Entwicklung betroffen sein, wo sich
diese Trends durch Abwanderung verstärken. Zugleich
werden insbesondere wirtschaftlich starke Regionen
weiter wachsen. Die Stadtentwicklungsprogramme müs-
sen in diesem Sinne angepasst und flexibilisiert werden.
Wachstum und Schrumpfung bedeuten jeweils verschie-
dene Herausforderungen, die es politisch zu gestalten
gilt. Ziel muss es sein, die Zentren zu stärken, schrump-
fende Städte zu stabilisieren und generell die Attraktivi-
tät städtischen Wohnens und Arbeitens und damit die un-
ter den Bedingungen des demografischen Wandels aus
ökologischen, ökonomischen und sozialen Gründen
sinnvolle und notwendige Reurbanisierung zu erleich-
tern.
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In vielen Fällen überschneiden sich die Stadterneue-
ungsprogramme „Allgemeine Städtebauförderung“,
Stadtumbau Ost und West“, „Soziale Stadt“. Sie müs-
en hinsichtlich ihrer Zielsetzung, Zielerreichung und
msetzung neu überprüft und sollten zu gegebener Zeit
u einem modernen Stadt- und Raumentwicklungspro-
ramm zusammengefasst werden. Zur Beantragung ei-
er Förderung durch Mittel des Bundes genügt ein abge-
timmtes Stadt- und/oder Raumentwicklungskonzept,
as die lokale Situation und Entwicklungsmöglichkeiten
bbildet. Die Förderung erfolgt pauschal, der Einsatz der
ittel obliegt den Kommunen. Eine Mitfinanzierung der
rojekte durch Private ist wünschenswert und kann den
ommunalen Eigenanteil ersetzen. – So weit zu unseren
orschlägen.
Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Im vorliegenden An-
rag der Koalitionsfraktionen finden sich schon im Titel
rei Schlüsselwörter. Diese Schlüsselwörter sind „Stadt-
mbau Ost“, „Erfolgsprogramm“ und „Fortsetzung“. In
er Logik der Regierungsfraktionen stellt sich das 2002
egonnene Programm „Stadtumbau Ost“ als ein Er-
olgsprogramm dar, das sich in der Praxis bewährt habe
nd das in diesem Sinne folgerichtig bis zum Jahr 2016
ortgesetzt werden solle – wenn auch mit einigen Ände-
ungen wie einer stärkeren Flexibilisierung des
rogramms, einem stärker problemorientierten Vertei-
ungsschlüssel und einer dauerhaften Aufnahme der
Experimentierklausel“ in die Verwaltungsvereinbarung,
elche die Übernahme des kommunalen Anteils durch
ritte erlaubt. Das alles klingt auf den ersten Blick
chlüssig und glatt, sehr glatt sogar. Aber ist es auch so?
Wenden wir uns noch einmal den bereits erwähnten
chlüsselwörtern im vorliegenden Antrag zu, und gehen
ir ans Entschlüsseln. Dazu habe ich jetzt ein paar Fra-
en: Stimmt die generelle Beschreibung des „Stadtum-
au Ost“ als Erfolgsprogramm überhaupt? Sollte es wie
isher fortgesetzt werden? Oder braucht es deutliche Än-
erungen? Und vor allem frage ich: Erfolg für wen?
Ziel des zunächst für den Zeitraum 2002 bis 2009 an-
elegten Stadtumbauprogramms Ost war es, die Attrak-
ivität der Städte in den neuen Bundesländern zu erhöhen
nd das damalige Überangebot an Wohnraum durch den
briss von 350 000 Wohnungen zu reduzieren – euphe-
istisch als „Rückbau“ bezeichnet. Vor dem Hinter-
rund rückläufiger Bevölkerungszahlen und hoher Leer-
tände sollte die Kombination beider, sich allerdings
um Teil widersprechender Ziele die Zukunftsfähigkeit
er ostdeutschen Städte sichern.
Aber schon zu Beginn des Stadtumbauprogramms äu-
erten Praktiker die Meinung, dass das, was aus woh-
ungswirtschaftlicher Sicht sinnvoll ist, sich aus stadt-
lanerischer Sicht als eine Katastrophe erweisen kann –
nd umgekehrt. Zur Frage nach dem Erfolg des Pro-
ramms gehört also auch die Frage, ob und, wenn ja, wie
ieser dem Programm von Anfang an innewohnende
ielkonflikt gelöst wurde. Denn natürlich kann Abriss
uch eine Chance sein, wenn er sich denn einem sinnvol-
en gesamtstädtischen Leitbild unter- oder besser in ein
olches einordnet. Unter „sinnvoll“ verstehe ich in die-
22952 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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sem Zusammenhang das Nutzen sich bietender Chancen –
so zum Beispiel die Chance, die freiwerdende Fläche am
Stadtrand der Natur zurückzugeben, die jetzt verklei-
nerte Stadt überirdisch als Stadt der kurzen Wege zu or-
ganisieren und unterirdisch auch die technische Infra-
struktur zurückzubauen. Das verringert letztlich die
finanziellen Belastungen ihrer Bewohnerinnen und Be-
wohner.
Zudem darf man bei der Betrachtung des Stadtum-
baus Ost und bei seiner Bewertung die große Dimension
der Herausforderung nicht vergessen: Fast ein Drittel der
Kommunen, die sich an diesem Programm beteiligen,
hatten es mit einem gesamtstädtischen Wohnungsleer-
stand von mehr als 15 Prozent zu tun. In 37 Städten stan-
den sogar mehr als 20 Prozent, also ein Fünftel, aller
Wohnungen leer. Und obwohl inzwischen insgesamt
mehr als 250 000 Wohnungen abgerissen wurden, wurde
bisher lediglich ein weiteres Anwachsen des Leerstandes
verhindert – womit wir wieder bei der Frage nach dem
Erfolg wären. Denn der Erfolg des Stadtumbaupro-
gramms Ost – was ja nicht ohne Grund so und nicht etwa
„Abrissprogramm Ost“ heißt – kann nicht allein quanti-
tativ und an wohnungswirtschaftlichen Kennzahlen
orientiert gemessen werden, sondern es ist vor allem
nach den qualitativen Ergebnissen gleich in doppelter
Hinsicht nach dem Platz des Menschen in diesem Pro-
gramm zu fragen: Wie wurden und werden die Einwoh-
nerinnen und Einwohner in die Vorbereitung und Reali-
sierung des Stadtumbaus Ost einbezogen? Werden auch
die gehört, die letztlich in und mit den Resultaten leben
werden? Und: Haben sich die Standortfaktoren verbes-
sert? Was hat sich für die Menschen, für die Bewohne-
rinnen und Bewohner, für die Mieterinnen und Mieter,
konkret getan? Wie lebt es sich in den umgebauten Städ-
ten in den neuen Bundesländern?
Insgesamt gesehen erweist sich die qualitative Bewer-
tung in der Praxis als schwierig, aber dennoch machen
auch aus linker Sicht eine Reihe überzeugender Stadt-
umbauten wie in der Lutherstadt Wittenberg, in Cottbus,
in Güstrow und Schwerin oder auch in Schwedt an der
Oder Mut und lassen an den Erfolg des Programms glau-
ben. So hat sich gerade Dagmar Enkelmann, Erste Parla-
mentarische Geschäftsführerin unserer Bundestagsfrak-
tion, bei einer mehrstündigen Visite in Schwedt von den
positiven Seiten des Stadtumbaus Ost überzeugen kön-
nen. Frau Dr. Enkelmann fügte hinzu: Angesichts des
demografischen Wandels und eines anhaltenden Weg-
zugs unter anderem aus Schwedt bleibt die Aufgabe, den
Stadtumbau finanziell zu fördern, aktuell. Kommunale
Wohnungsgesellschaften beziehungsweise -genossen-
schaften allein wären damit überfordert.
Unsere Vorschläge resultieren aber nicht nur aus Stu-
dienreisen, sondern sind vor allem das Ergebnis intensi-
ver Diskussionen auf drei Stadtumbaukonferenzen, die
die Fraktion Die Linke in dieser Legislaturperiode in
zwei ostdeutschen Städten – Bitterfeld und Eisenhütten-
stadt – sowie in Essen durchgeführt hat. Alle drei haben
bestätigt, dass Stadtumbau nicht nur als wohnungs-
wirtschaftliche Aufgabe gesehen werden kann, sondern
als gesamtgesellschaftliche Herausforderung verstanden
und behandelt werden muss.
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Insgesamt gesehen kann der Stadtumbau Ost nur dann
ls eine Erfolgsgeschichte gelesen werden, wenn Zu-
unft nicht allein aus dem Abriss gewonnen werden soll.
s geht vielmehr um positive und für die Einwohnerin-
en und Einwohner nachvollziehbare Perspektiven ihrer
eweiligen Heimatstadt. Es geht um strategische gesamt-
tädtische Entscheidungen. Es geht um das Gestalten
nd um das Erhalten und Schaffen von Identität. Und es
eht nicht zuletzt um das Thema Altschuldenentlastung.
n diesem Zusammenhang nehmen wir die Formulierung
es vorliegenden Antrags sehr aufmerksam zur Kennt-
is, wonach die Bundesregierung auch aufgefordert
ird, zu prüfen, „ob eine neue Antragstellung ähnlich
er Härtefallregelung nach § 6 a Altschuldenhilfeverord-
ung für eine befristete Zeit erforderlich und finanzier-
ar ist“. An dieser Stelle möchte ich natürlich daran erin-
ern, dass meine Fraktion gerade erst einen Antrag zur
ntschuldung der ostdeutschen Wohnungsunternehmen
ingebracht hat, dem Sie, meine Damen und Herren von
er Koalition, im Laufe des parlamentarischen Verfah-
ens gern noch zustimmen können.
Auch wenn wir nicht in allen Fragen unbedingt einer
einung mit dem Bundesverband deutscher Wohnungs-
nd Immobilienunternehmen, GdW, sind, teilen wir aus-
rücklich dessen Auffassung, dass die entscheidende
lankierung einer Neuauflage des Programms eine ab-
chließende Regelung der Altschulden der Wohnungs-
nternehmen sein müsse. Ohne eine Streichung der Alt-
chulden bei Abriss der damit belasteten Wohnungen
ürden die Wohnungsunternehmen nur in seltenen Aus-
ahmefällen in der Lage sein, sich weiter am Stadtum-
au zu beteiligen. Die mögliche Folge aus GdW-Sicht:
as gewünschte neue Stadtumbauprogramm könnte
eine Wirkung nicht entfalten, und ganze Wohnquartiere
ürden sowohl baulich als auch sozial erodieren.
Alles in allem bedeutet Erfolg im Stadtumbau Ost,
olche Städte zu entwickeln, deren kommunale Struktu-
en funktionieren und in denen man gern bleiben will.
as ist das wohl wichtigste Kriterium für die Bewertung
es Stadtumbauprogramms. Und daher kann die Haupt-
rage auch nur lauten: Ist es mit diesem Programm ge-
ungen, Zukunft für die beteiligten Städte zu organisie-
en?
Aus unserer Sicht, aus Sicht der Bundestagsfraktion
ie Linke, sollte das Programm „Stadtumbau Ost“ wie
eantragt als eigenständiger Bereich der Städtebauförde-
ung auch über das Jahr 2009 hinaus und mindestens bis
016 fortgesetzt werden. Gerade im Interesse der Zu-
unftsfähigkeit ostdeutscher Städte, gleichsam im Inte-
esse urbaner Landschaften, sollte mehr als bisher Wert
uf die menschliche und soziale Dimension dieses Um-
aus gelegt werden. Im Sinne des auch von den Antrag-
tellern hervorgehobenen „lernenden Programms“ ist
mmer wieder nach der Aufwertung der städtischen
uartiere zu fragen, statt lediglich Abrisszahlen zusam-
enzuzählen.
Aus unserer Sicht darf bei aller Bedeutung finanziel-
er Fragen nicht allein das Geld die künftige Entwick-
ung der Städte in Ostdeutschland bestimmen. Erste
riorität müssen vielmehr die Ansprüche, Bedürfnisse
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009 22953
(A) )
(B) )
und Lebensgewohnheiten der Menschen, der Einwohne-
rinnen und Einwohner, haben. Von einem Erfolg des
Programms kann dann gesprochen werden, wenn solche
Meinungen zu hören sind wie aus Cottbus, wo sich eine
Vertreterin des Mieterbundes folgendermaßen über den
Stadtumbau in Cottbus-Sachsendorf äußerte: Die Men-
schen, die hier wohnen, wollen nicht mehr weg, weil sie
sich wohlfühlen.
Im Übrigen sind sinkende Einwohnerzahlen und da-
her leerstehende Wohnungen schon längst kein allein
ostdeutsches Problem mehr. Nach Expertenangaben
dürfte spätestens in zwei Jahrzehnten jede zweite deut-
sche Stadt mit sinkenden Einwohnerzahlen konfrontiert
sein. Daher erscheint es auch aus unserer Sicht durchaus
angebracht, beide Programme, „Stadtumbau Ost“ und
„Stadtumbau West“, weiterzuentwickeln. Genügend Er-
fahrungen aus den neuen Bundesländern, Erfolgsge-
schichten und solche, die erst noch zum Erfolg geführt
werden müssen, bringt Ostdeutschland mit. Und hier
gibt es einmal die Chance, dass der Osten Vorreiter für
den Westen sein kann.
Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist
schon ein Kreuz mit dieser Großen Koalition. Einerseits
müsste sie ja angesichts ihrer satten Mehrheit im Bun-
destag vor Kraft und Energie strotzen und die Republik
durcheinanderwirbeln. Aber davon kann bei Schwarz-
Rot keine Rede sein: Beide Körperhälften bewegen sich
schon lange nicht mehr synchron zu- und miteinander.
Und das führt bekanntermaßen zu dem Stillstand, den
wir schon seit vielen Monaten erleben und erleiden müs-
sen.
Und der betrifft auch das wichtige Thema „Stadtum-
bau Ost“. Um der Legendenbildung vorzubeugen: Ich
brauche nicht zu betonen, dass meine Fraktion dieses
Programm entscheidend mit initiiert und geprägt hat.
Wir haben uns immer dazu bekannt, dass das Programm
auch über das Jahr 2009 verlängert werden muss. Aber
das bedeutet nicht, dass wir allem zustimmen, was zum
Beispiel diese Koalition zum „Stadtumbau Ost“ zu sagen
hat bzw. zu tun gedenkt. So frage ich mich, warum neun
Monate seit der Evaluierung vergehen mussten, bevor
wir uns wieder mit diesem Thema im Ausschuss be-
schäftigen. Und ich frage mich des Weiteren, warum der
heute debattierte Antrag es wieder einmal erst fünf Mi-
nuten vor der Angst als Zusatzpunkt – und dazu noch als
Protokollrede – auf die Tagesordnung geschafft hat.
Als die Lehmann-Grube-Kommission 2001 ihre Zah-
len über die Wohnungsleerstände in Ostdeutschland prä-
sentierte, herrschte blankes Entsetzen, denn eine derartig
katastrophale Situation hatte niemand erwartet. Insofern
war es auch richtig, die Schwerpunkte in den ersten Jah-
ren dort zu setzen, wo die Not am größten war. Das wa-
ren die Leerstände der großen kommunalen und genos-
senschaftlichen Wohnungsgesellschaften, die kurz vor
dem wirtschaftlichen Ende standen. Dabei kamen natür-
lich einige Aspekte wie zum Beispiel die Aufwertung
„unter die Räder“, die zwar von Anfang an im Pro-
gramm angelegt waren und die für meine Fraktion min-
destens genauso wichtig waren und sind. Diese Finan-
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ierungsmöglichkeiten spielten eine geringere Rolle,
eil bestimmte Vorgaben (zum Beispiel der zu hohe Ko-
inanzierungsanteil der Kommunen) nicht praxistauglich
aren und erst durch die Erfahrungen vor Ort im Rah-
en der jährlich mit den Ländern ausgehandelten Ver-
altungsvereinbarungen angepasst werden mussten. Das
ar und ist der Vorteil eines „lernenden“ Programms,
nd ich wünschte mir, dass wir auch bei anderen Pro-
rammen und Gesetzen diesen „lernenden“ Charakter
tärken würden.
Eines ist jedoch Fakt, und daran wird auch die Verlän-
erung des Programms bis 2016 nichts ändern: Der
eerstandsdruck wird hoch bleiben, möglicherweise
erden der demografische Wandel und der weitere Zu-
achs an Wohngebäuden den Bedarf an Rückbaumaß-
ahmen sogar noch erhöhen. Trotz dieser Erkenntnisse
ördert Schwarz-Rot weiterhin den Wohnungsneubau
uf der grünen Wiese durch Eigenheimbau, sprich
ohnriester. Und Kommunen leisten sich einen ruinösen
ettbewerb um Zuzüge, indem Wohngebiete und billige
augrundstücke in direkter Nachbarschaft, Stichwort:
Speckgürtel“, miteinander konkurrieren. Dies alles ge-
chieht mit Steuergeldern, die andererseits dann auch in
ie Hand genommen werden, wenn die dadurch indu-
ierten Leerstände später vom Markt bereinigt werden.
as ist doch der Wahnsinn im Quadrat! Und ich will die
robleme des ungebremsten Flächenverbrauchs und der
mmer geringeren Tragfähigkeit öffentlicher Infrastruk-
ureinrichtungen hier überhaupt nicht ansprechen.
Der Leerstand wird in Ostdeutschland unser ständiger
egleiter und auch eine stete Erinnerung an unser Hand-
ungsversagen sein. Er wird uns viel mehr Geld kosten,
ls wir es heute auszusprechen wagen, und er wird uns
aher in den kommenden Jahren zwingend neue Lösun-
en abverlangen. Spätestens zu Beginn der nächsten
örderperiode 2009 bis 2016 muss nämlich geklärt wer-
en, wie eine Regulierung des Wohnungsmarktes in
chrumpfenden Regionen ohne überbordende Staatsin-
ervention und den übermäßigen Einsatz von Steuergel-
ern machbar ist.
Was Schwarz-Rot in diesem Zusammenhang immer
ieder verschweigt, ist die Tatsache, dass die Mittel des
Stadtumbaus Ost“ zu einem großen Teil aus den über-
roportionalen Leistungen des Bundes aus dem Korb II
es Solidarpakts II stammen. Das heißt, die Bundes-
egierung und die Große Koalition bejubeln sich für die
ortführung des Programms, aber sie verwenden Mittel,
ie für die Herstellung einer nachhaltigen und selbststän-
igen wirtschaftlichen Entwicklung in Ostdeutschland
orgesehen waren. Das Geld ist zu schade, um hausge-
achte Fehlentwicklungen auf dem Wohnungsmarkt zu
orrigieren. Wie stellen Sie sich das eigentlich nach dem
uslaufen des Solidarpaktes im Jahre 2019 vor, und wie
asst das mit einer rigiden Sparpolitik zusammen, die
pätestens nach dem Überstehen der aktuellen Wirt-
chafts- und Finanzkrise keinen Haushalt ungeschoren
avonkommen lassen wird?
Wir müssen uns also der Frage stellen: Was kann ab
016 eigentlich noch der Staat und was müssen die
igentümer, das heißt kommunale, genossenschaftliche
(A) (C)und freie Wohnungsbaugesellschaften und private
Wohngebäudeeigentümer aus eigener Kraft leisten? Ge-
rade die letztgenannte Gruppe ist mein großes Sorgen-
kind und war häufig Leidtragende im bisherigen
Prozess, da sie häufig nicht einmal die benötigten Eigen-
mittel zur Verfügung hatte, um am „Stadtumbau Ost“
teilzunehmen. Die starken kommunalen und genossen-
schaftlichen Akteure betrieben zudem zum Teil ihre
Leerstandspolitik ohne Rücksicht auf die privaten Eigen-
tümer, sodass in einigen Städten zum Teil absurd perfo-
rierte Straßenzüge und Quartiere entstanden sind.
Eigentlich hätte eine bessere Abstimmung zwischen den
Betroffenen im Rahmen von integrierten Stadtentwick-
lungsplänen solche Fehlentwicklung ausschließen müs-
sen. Unsere Beobachtung war und ist jedoch, dass es
zwar Stadtentwicklungspläne gab und gibt, aber dass
sich viele Akteure nicht danach richten bzw. nicht da-
nach gerichtet haben. Diese Missachtung der eigenen
Planung und die mangelhafte Partizipation der Betroffe-
nen hat in vielen Orten zu Recht zu Protesten und erheb-
lichen Konflikten geführt, die auch dadurch nicht gelöst
werden konnten, dass das Verhältnis zwischen Abriss
und Aufwertung deutlich zugunsten der Aufwertung ver-
schoben wurde. Denn damit bleiben die Probleme des
künftigen Leerstandes ungelöst.
Der „Stadtumbau Ost“ könnte allerdings durch die ge-
stärkte Aufwertungskomponente eine wirkliche Chance
sein, den ökologischen und klimagerechten Umbau der
ostdeutschen Städte zu befördern. Nur lebenswerte
Städte werden in Zukunft eine Überlebenschance haben,
und das heißt auch, dass wir sie demografiefest und ge-
nerationengerecht gestalten müssen. Dafür müssen die
Aufwertungsmittel verwendet werden, denn es nützt uns
nicht, wenn wir damit schön sanierten Leerstand in Alt-
bauquartieren schaffen. Die Lebensbedingungen insbe-
sondere für die schwächeren Stadtbewohner wie Kinder
und Alte müssen daher signifikant verbessert und die At-
traktivität der Klein-, Mittel- und Großstädte erhöht wer-
den. Wir brauchen daher endlich den Paradigmenwech-
sel weg von der autofreundlichen hin zur menschen- und
bürgerfreundlichen Stadt. Ansonsten werden wir schnell
an die Grenzen der Aufwertung stoßen, denn diese kann
nur unter Beachtung aller Teilaspekte einer lebenswerten
Stadt erfolgreich sein.
Zu guter Letzt möchte ich noch auf das Dauerthema
„Altschuldenhilfe“ im „Stadtumbau Ost“ eingehen. Wir
werden uns auch mit den gut gemeinten Vorschlägen aus
dem Antrag der Großen Koalition dieses ewige Ärgernis
nicht vom Hals schaffen. Der grundsätzliche Webfehler
aus dem Einigungsvertrag bleibt erhalten und die beste-
henden Rest-Altschulden werden durch Zins und Zinses-
zins schon dafür sorgen, dass sie ein Dauerthema blei-
ben. Hier fehlt einfach der Mut aufseiten der Großen
Koalition, einzugestehen, dass nur ein radikaler und ein-
maliger schmerzhafter Schnitt dazu führen kann, dass
diese überflüssige Belastung ein für allemal der Vergan-
genheit angehört. Ohne eine dauerhafte Klärung der Alt-
schuldenproblematik wird es keine eigenwirtschaftliche
Lösung der Leerstandsproblematik geben. Daher werden
Bund und Länder immer wieder dafür in die Verantwor-
tung gezogen. Und das wird uns noch viel Geld kosten.
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22954 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
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211. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 19. März 2009
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9