Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbegrüße Sie alle herzlich.Bevor wir in die Tagesordnung eintreten können,müssen wir neue Mitglieder für den Verwaltungsrat unddie Vergabekommission der Filmförderungsanstaltwählen.Die Fraktion der CDU/CSU schlägt für den Verwal-tungsrat den Kollegen Wolfgang Börnsen und dieKollegin Dorothee Bär sowie die Kollegen PhilippMißfelder und Marco Wanderwitz als jeweilige Stell-vertreter vor. Vonseiten der SPD-Fraktion ist die Kolle-gin Monika Griefahn als ordentliches Mitglied und dieKollegin Angelika Krüger-Leißner als ihre Stellvertre-terin vorgesehen.In der Vergabekommission soll der Deutsche Bundes-tag durch die Kollegin Angelika Krüger-Leißner ver-treten werden. Als stellvertretendes Mitglied ist von derCDU/CSU-Fraktion die Kollegin Gitta Connemann be-nannt worden.Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? – Dasist offensichtlich der Fall. Dann sind die KolleginnenZZZRedetund Kollegen in den Verwaltungsrat bzw. die Vergabe-kommission der Filmförderungsanstalt gewählt.Die Kollegin Kristina Köhler hat ihr Amt als Schrift-führerin niedergelegt.
– Das ist ebenso unverständlich wie bedauerlich. Immer-hin gibt es einen Vorschlag für einen Nachfolger von derCDU/CSU-Fraktion, nämlich den Kollegen MichaelBrand. Sind Sie auch damit einverstanden? – Das ist of-fenkundig der Fall. Dann ist der Kollege Michael Brandhiermit zum Schriftführer gewählt.Interfraktionell ist vereinbart worden, didene Tagesordnung um die in der Zusatzpungeführten Punkte zu erweitern:
Dr. Volker Wissing, Dr. Hermann Otto Solms,Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der FDPSteuervollzug effektiver machen– Drucksache 16/11734 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschussb) Beratung der Unterrichtung durch die Bun-desregierungcht der Bundesregierung zur Auswär- Kulturpolitik 2007/2008cksache 16/10962 –e verbun-ktliste auf-Beritigen– Dru
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Präsident Dr. Norbert LammertÜberweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
SportausschussAusschuss für TourismusAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionAusschuss für Kultur und MedienZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten SibylleLaurischk, Uwe Barth, Cornelia Pieper, weitererAbgeordneter und der Fraktion der FDPLebensleistung von Migrantinnen und Mi-granten würdigen – Anerkennungsverfahrenvon Bildungsabschlüssen verbessern– Drucksache 16/11418 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
InnenausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendZP 5 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Einführung erst-instanzlicher Zuständigkeiten des Oberlandes-gerichts in aktienrechtlichen Streitigkeiten– Drucksache 16/9020 –Überweisungsvorschlag:RechtsausschussZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten ManuelSarrazin, Jürgen Trittin, Rainder Steenblock, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENEuropäische Arbeitszeitrichtlinie – Hohen Ar-beitnehmerschutz EU-weit sicherstellen– Drucksache 16/11758 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für GesundheitAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten IrmingardSchewe-Gerigk, Peter Hettlich, Dr. Thea Dückert,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENVersorgung für Geschiedene aus den neuenBundesländern verbessern– Drucksache 16/11684 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendHaushaltsausschussZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten UndineKurth , Bärbel Höhn, Krista Sager,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENExperimente zur Meeresdüngung dürfen ma-rine Ökosysteme nicht belasten– Drucksache 16/11760 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
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– Drucksachen 16/10532, 16/10582 –überwiesen:Ausschuss für Gesundheit
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungDer in der 199. Sitzung des Deutschen Bundestagesüberwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich demInnenausschuss zur Mitberatung über-wiesen werden.Beratung des Antrags der Abgeordneten VolkerBeck , Kerstin Andreae, Birgitt Bender,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENRehabilitierung und Entschädigung der nach1945 in Deutschland wegen homosexuellerHandlungen Verurteilten– Drucksache 16/11440 –überwiesen:Rechtsausschuss
InnenausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeIch darf offensichtlich auch zu diesen MitteilungenIhr Einverständnis feststellen.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 3 sowieZusatzpunkt 1:ZdrehsBwgkTMFbMzMiuPsKrsddt
Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin fürirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorenau zwei Wochen hat UNICEF die neuesten Statisti-en zur weltweiten Müttersterblichkeit vorgelegt. Proag enden weltweit mindestens 1 500 Geburten für dieütter mit dem Tod. Jede Minute stirbt weltweit einerau an den Folgen einer Schwangerschaft oder direktei der Geburt eines Kindes. Keines der globalenenschheitsziele droht auf so tragische Weise verfehltu werden wie die Verbesserung der Gesundheit vonüttern und Neugeborenen.Ich will einfach nicht glauben – ich denke, das kannch für uns alle sagen –, dass zur Rettung dieser Mütternd Kinder, zur Rettung der ärmsten Milliarde dieseslaneten, keine beherzte, kluge Intervention möglichein soll, die diese Leiden und Opfer verhindert.
Die Millenniumsentwicklungsziele dienen uns alsompass auf dem Weg zu einer gerechteren Globalisie-ung. Bereits vor 30 Jahren hat die Nord-Süd-Kommis-ion unter Willy Brandt eine neue, gerechtere Gestaltunger Welt gefordert. Zu Beginn dieses Jahrhunderts hatie Weltgemeinschaft diesen Gedanken endlich konkre-isiert. Mit den Millenniumsentwicklungszielen der Ver-
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Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeuleinten Nationen sind acht Gebote einer gerechten Glo-balisierung beschlossen worden, und es sind erstmalsGrößen- und Zielvorgaben verbindlich gemacht worden.Die Weltgemeinschaft hat erstens beschlossen, bis2015 den Anteil der Menschen, die in absoluter Armutleben, zu halbieren. Es hat in den letzten Jahren deutli-che Fortschritte dabei gegeben. Wir dürfen aber auchnicht vergessen: Die Krisen des letzten Jahres habenüber 100 Millionen Menschen wieder in Not und Elendzurückgeworfen.Wir haben im Rahmen der Millenniumsziele zweitensbeschlossen, bis 2015 für alle Kinder die allgemeine Pri-marschulbildung zu verwirklichen. Heute besuchenweltweit 83 Prozent der Kinder eine Grundschule. Seit2001 wurden in den Entwicklungsländern auch Dank derEntschuldungsinitiativen, die wir mit vorangebracht ha-ben, 34 Millionen Kinder zusätzlich eingeschult. Das istein Riesenfortschritt für sie, für ihre Länder und für unsalle. Aber leider ist es so, dass immer noch 75 MillionenKinder weltweit keinen Primarunterricht haben. Auchhier ist weiteres Handeln dringend notwendig.
Wir haben drittens beschlossen, bis 2015 die Gleich-stellung der Geschlechter – damit ist besonders die Stär-kung der Rolle der Frau gemeint – voranzutreiben. Invielen Ländern sind Fortschritte greifbar. Das Land mitdem höchsten Frauenanteil im Parlament ist mittlerweileRuanda mit 50 Prozent.
Das ist ein deutliches Zeichen. Auch bei der Bildung fürMädchen sind wir vorangekommen. Aber nach wie vorsind 70 Prozent der Menschen, die weltweit in Armutleben, Frauen. Dabei heißt Entwicklung voranzubringen– wer wüsste dies besser als Sie, die Sie sich in diesemBereich engagieren? –, doch vor allem die Frauen zustärken. Auch hier bleibt viel zu tun. Wir werden weiterdranbleiben.
Wir haben weiterhin beschlossen, dass insbesonderedie Kindersterblichkeit zurückgedrängt werden muss,die Gesundheit von Müttern und Kindern verbessertwerden muss, die Ausbreitung von Pandemien wie HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria zum Stillstand gebrachtwerden muss, dem Raubbau an unserem Planeten Ein-halt geboten werden muss, der Zugang zu lebenswichti-gen Ressourcen für alle Menschen sichergestellt werdenmuss sowie die Entwicklung als eine internationale Ge-meinschaftsaufgabe verstanden und umgesetzt werdenmuss.Um diese Ziele zu erreichen, hat sich die Bundesregie-rung mit anderen Industrieländern und mit den Entwick-lungsländern auf gemeinsame internationale Vereinba-rungen verständigt. Wir haben diese Politik maßgeblichmitgestaltet. Ich möchte an vier Beispielen kurz darstel-len, was erreicht worden ist, was möglich ist und zu waswir uns verpflichtet haben.sSUugwmDsigdrzzdr1busEahUstlflwünauwrdkFSindsg
ie Bundesregierung hat Einnahmen aus dem Emis-ionshandel bereits in den Haushalten 2008 und 2009 fürnternationalen Klimaschutz bereitgestellt. Dieses Enga-ement wird noch ausgebaut.Zweitens. Die Bundesregierung mobilisiert – auchas ist wichtig – in den Haushalten von BMU und unse-em Ministerium mehr als 1 Milliarde Euro für Vorhabenum Ausbau erneuerbarer Energien und für Energieeffi-ienz in den Partnerländern. Diese Woche hat IRENA,ie Internationale Agentur zur Förderung der Erneuerba-en Energien, eine Konferenz in Bonn durchgeführt.16 Länder haben daran teilgenommen; 75 Länder ha-en die Statuten unterzeichnet und werden sich personellnd finanziell beteiligen. Sie haben damit ein Signal ge-etzt, dass die Welt aus Friedensgesichtspunkten, ausnergiegesichtspunkten und aus Klimagesichtspunktenuf erneuerbare Energien setzen will. Wir können nuroffen, dass sich auch Länder wie China, Indien und dieSA, die zwar vertreten waren, aber noch nicht Mitgliedind, anschließen werden. Das ist eine ganz wichtige Ini-iative.
Drittens: die Bereiche Gesundheit und Bildung. Al-ein durch die Arbeit des Globalen Fonds zur Bekämp-ung von HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria ist es ge-ungen, 3 Millionen Menschenleben zu retten.Viertens. Im Bereich der Armutsbekämpfung habenir mit dem Ausbau der Mikrofinanzinstrumente alleinber die deutsche Zusammenarbeit mehr als 50 Millio-en Menschen erreicht – vor allen Dingen Frauen, dieuf diese Art und Weise ihre eigene Existenz aufbauennd Eigenständigkeit entwickeln konnten. Das wollenir fortsetzen.
Zieht man ein Fazit, kann man mit einer gewissen Be-echtigung sagen, dass die Staaten jeder Weltregion inen Jahren seit der Verabschiedung der Millenniumser-lärung und der Millenniumsentwicklungsziele wichtigeortschritte gemacht haben. Aber das ist nur die eineeite der Medaille. Vor allen Dingen bezogen auf Afrikast noch viel zu tun.Eine aktuelle Gefährdung der Umsetzung der Millen-iumsentwicklungsziele sehe ich vor allem angesichtser gegenwärtigen Krisen: der Finanzkrise und derchlimmer werdenden Ernährungskrise bzw. der stei-enden Preise für Nahrungsmittel. Bereits heute hungern
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Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeulwieder 1 Milliarde Menschen. Es besteht die große Ge-fahr, dass sich die wirtschaftliche Krise auf einem Konti-nent wie Afrika zu einer humanitären Katastrophe mitTausenden von Hungernden und Tausenden von Totenentwickelt. Deshalb müssen wir handeln. Deshalb ist esunsere Verpflichtung, in diesem Bereich nicht nachzu-lassen.
IWF und Weltbank haben unlängst ihre Wachstums-prognosen für die Entwicklungsländer drastisch nach un-ten korrigiert. Wir sollten uns erinnern – es ist drama-tisch –: 1 Prozentpunkt weniger Wachstum in diesenLändern bedeutet, dass 20 Millionen Menschen wiederin die Armut gedrängt werden. Direktinvestitionen inden Entwicklungsländern bleiben aus. Die Steuereinnah-men gehen zurück, und die Exportchancen werden ge-ringer. Die Infrastruktur ist gefährdet. Projekte für denBau von Krankenstationen und Bewässerungsprojektebleiben dann Reißbrettprojekte. Keine Hilfen, das be-deutet für immer mehr Menschen: kein Schulbesuch,keine ärztliche Betreuung bei der Geburt, keine Hebam-men, kein Entkommen aus der Armutsfalle.Uns allen möchte ich sagen: Die Wucht des System-versagens trifft die schwächsten Staaten und dieschwächsten Menschen am härtesten. Diese Menschensind keine Aktienbesitzer. Sie zahlen für den Kollaps anden Börsen nicht in Geldwerten, sondern in der hartenWährung ihrer täglich bedrohten Existenz; das solltenwir uns immer wieder in Erinnerung rufen.In diesem Monat hat die Bundesregierung ihr zweitesKonjunkturpaket, den Pakt für Deutschland, verab-schiedet. Das sind Investitionen in die Zukunft unseresLandes, die wichtig und notwendig sind. Aus gleicherPerspektive will ich an dieser Stelle betonen: Es istwichtig, den Infrastrukturfonds der Weltbank mit100 Millionen Euro aus diesem Konjunkturpaket zu stüt-zen.
Damit werden bestehende Infrastrukturprojekte gesi-chert und neue Investitionen in den Entwicklungsländernermöglicht. Das ist auch in unserem Interesse. IWF-ChefDominique Strauss-Kahn hat gesagt: Es ist doch einekrude Logik, dass manche glauben, man könne exportie-ren, wenn andere Länder arm würden. – Die Entwick-lungsländer haben in den letzten Jahren weltweit Stabili-tät gesichert. Dies war und ist in unserem Interesse. Wirkommen nur gemeinsam aus der Krise heraus.Zweiflern will ich sagen: Die BundesrepublikDeutschland hatte von allen OECD-Ländern die meistenAnteile bei den Aufträgen der Weltbank. Insofern ist esein gemeinsames Interesse, aus dieser Krise herauszu-kommen und die Mittel entsprechend einzusetzen.
Nach meiner festen Überzeugung brauchen wir einenneuen globalen Pakt für das 21. Jahrhundert, der fol-gende acht Punkte umfasst:ttcWmBskarwFgdbaEcdfdfAbEwmnIphtvfmVmdrAsue
ch habe vorhin von IRENA gesprochen. Entwicklungs-olitik und Klimaschutz müssen Hand in Hand vorge-en. Hier geht es vor allen Dingen um globale Gerech-igkeit: Diejenigen, die für den Klimawandel nichterantwortlich sind, werden davon am härtesten getrof-en. Deshalb ist es notwendig, dass wir mit dem Instru-ent des Emissionshandels, bei dem wir in Deutschlandorreiter sind, auch mit Blick auf die Kopenhagener Kli-akonferenz Impulse setzen.
Drittens müssen wir die WTO-Runde abschließen. Je-er sagt, die Krise dürfe nicht zu Protektionismus füh-en.
ber in Wahrheit muss das, was die Europäische Unionchon verwirklicht hat, nämlich den ärmsten Ländernngehinderten Zugang zu den Märkten zu ermöglichen,rst noch auf weitere Mitgliedstaaten der WTO ausge-
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Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeuldehnt werden. Ich persönlich unterstütze nachdrücklichden Vorschlag von WTO-Generaldirektor Lamy, imRahmen der Doha-Entwicklungsrunde den Marktzugangfür die ärmsten Entwicklungsländer und Regelungenzum Beispiel bei der Baumwolle vorzuziehen. LiebeKolleginnen und Kollegen, es ist eine Katastrophe, dassdie afrikanischen Länder hier immer noch unter hohenSubventionen der USA leiden müssen.
Viertens geht es um die Förderung von Frauen. WennFrauen in Entwicklungsländern bezahlter Arbeit nachge-hen, dann tun sie es mehrheitlich in exportorientiertenSektoren. Die Finanz- und Wirtschaftskrise trifft dieseSektoren ganz besonders. Deshalb sind die von mirschon erwähnten Mikrofinanzinstrumente und die ein-fachsten sozialen Sicherungssysteme, die Walter Riesteruns für die Entwicklungsländer sehr präzise skizzierthat, auszubauen. Eine weitere wichtige Voraussetzungist hier, den Frauen den Zugang zur Familienplanung zugeben.
Fünftens. Wir müssen die Zivilgesellschaft einbezie-hen. Wir brauchen – und darum bemühen wir uns be-reits – eine bessere Arbeitsteilung zwischen den ver-schiedenen Gebern, damit den Entwicklungsländern dermaximale Nutzen aus den Finanzmitteln zugutekommt.Das heißt nicht zuletzt: mehr Mitsprache von Bürgernund Bürgerinnen in den Entwicklungsländern, also mehrDemokratie. Die Zivilgesellschaft muss diesen globalenPakt mitgestalten. Nur so kann er gelingen.Sechstens. Wir müssen die Finanzierung sicherstellenund unsere Verpflichtung zur Steigerung der Mittel fürEntwicklungszusammenarbeit erfüllen. Wir stehen – dashabe ich vorhin schon deutlich gemacht – zu dem Stu-fenplan zur Steigerung der Mittel. Wir hoffen in diesemZusammenhang auch auf die angekündigte Initiative deramerikanischen Regierung.
Ich will an dieser Stelle fragen: Wie wollten die Indus-triestaaten den armen Ländern erklären, dass sie ihrenFinanzanteil hinsichtlich der globalen Entwicklung nichtstemmen können, wenn gleichzeitig drei- bis vierstelligeMilliardenbeträge mobilisiert werden können, um denFinanz- und Bankensektor zu retten? Dass hier eine Ver-pflichtung existiert, ist völlig klar.Es gilt vielmehr, diese Krise zu nutzen, zum Beispielum ein neues, globales Regelwerk zu erstellen, damit diebisher durch Kapitalflucht und Steueroasen verloren ge-gangenen Steuermilliarden endlich sinnvoll und gerechteingesetzt werden können: für eine weltweit nachhaltigeEntwicklung im Sinne der skizzierten Ziele.
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uch die Bundeskanzlerin hat die Forderung nach einemeltwirtschaftsrat in den letzten Wochen und Monatenn mehreren Reden erhoben. Ich unterstütze diesen Vor-chlag nachdrücklich. Worum geht es? In dieser UN-In-titution wären alle Regionen hochrangig vertreten,benso die internationalen Finanzinstitutionen und dieTO. Wir brauchen einen Prozess der Gestaltung, derlle einbezieht, aber trotzdem Handlungsfähigkeit si-herstellt. Deshalb möchte ich diesen Vorschlag auch iniese Diskussion einbringen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die globalen Verän-erungsprozesse haben – ich habe es angesprochen, wirpüren es alle – durch den amerikanischen Präsidentenbama neuen Schwung erhalten. Greifen wir die Per-pektiven, die er aufgezeigt hat, auf: Setzen wir, wie ers formuliert hat, weltweit Hoffnung über Furcht, unsereemeinsame Willenskraft über Streit und Zwietracht,nd sagen wir denjenigen, die ihre Völker noch immernterdrücken, die Freiheit und Menschenrechte missach-en und nur ihr eigenes Fortkommen verfolgen, wie etwaugabe in Simbabwe: Auch ihr werdet fallen, auch eureölker werden die Freiheit gewinnen. Wir engagierenns bei der Verfolgung dieses Ziels.
arack Obama hat, wie ich finde, noch etwas sehr deut-ich ausgedrückt – ich zitiere ihn –: Die Menschen in eu-en Ländern werden euch daran messen, was ihr aufbaut,icht, was ihr zerstört.
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Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-ZeulIch freue mich, dass heute Vertreter und Vertreterin-nen aus dem Bereich der Durchführungsorganisationender Entwicklungszusammenarbeit, des zivilen Friedens-dienstes und des entwicklungspolitischen Freiwilligen-dienstes „weltwärts“ auf der Tribüne anwesend sind. Ichbegrüße Sie sehr herzlich. Sie leisten eine ganz wichtigeArbeit für eine gerechtere Welt.
Ich möchte an dieser Stelle allen danken, die sich füreine gerechte, solidarische Gestaltung unserer Welt undfür die Verwirklichung der Menschenrechte engagieren:den Entwicklungshelfern aus GTZ und KfW, DED undInwent, den vielen Expertinnen und Experten in denNichtregierungsorganisationen, den Soldatinnen undSoldaten, die dazu beitragen, dass in vielen Regionen derWiederaufbau eine Chance hat und Gewalt zurückge-drängt wird, den vielen lokalen Initiativen in Stadt undLand, den Kirchen und den Teilnehmern und Teilnehme-rinnen des zivilen Friedensdienstes sowie den jungenMenschen, die im Rahmen von „weltwärts“ ihren ent-wicklungspolitischen Freiwilligendienst – in diesem Jahrsind es 2 200 Jugendliche – leisten.
Sie alle tragen dazu bei, die Hoffnung über die Furcht zusetzen und die Welt gerechter zu machen.Ich danke Ihnen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Hellmut Königshaus für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeFrau Ministerin, keine Zwietracht – da haben Sie recht –,aber ein bisschen Streit muss schon sein, insbesondereda wir jetzt hier über das Weißbuch sprechen wollen,das – das muss man sagen – aufgrund der jüngsten Ent-wicklungen ein Schönwetterbericht vom letzten Sommerist. Es hat mit der aktuellen Krise nichts mehr zu tun.Die Rahmendaten haben sich komplett verändert. Dazuhaben wir von Ihnen gerade nichts Neues gehört.
Es wäre richtig gewesen, Frau Ministerin, dieses Weiß-buch zurückzuziehen und den tatsächlichen Gegebenhei-ten anzupassen.
Wo sieht denn die Bundesregierung jetzt beispielsweiseweltweit steigenden Wohlstand und weltweit steigendeUnternehmensgewinne, von denen der Bericht schon inder Einleitung ausgeht? Das klingt doch heute wie Sa-tire.wZagecsGiosmgoBkaerHZDdwdf––sDsdsswuvSedmm
Es geht zunächst um eine klare Analyse; dann könnenir an die Korrektur gehen. Wir haben hier aber nur eineustandsbeschreibung und keine Analyse gehört. Wirlle wurden von dieser Krise überrascht; das will icherne einräumen. Ich glaube, mehr als die Ministerinben hat gestern unser Präsident, Dr. Lammert, zur Ursa-henforschung beigetragen, als er uns in der Französi-chen Friedrichstadtkirche eine kleine Geschichte, einleichnis, erzählt hat. Mit seiner Genehmigung möchtech Ihnen das gerne vortragen, weil es einige Ursachenffenlegt.Er hat erzählt – das wird die Herren mit den Heu-chrecken freuen –, ein Investmentbanker sei zum Him-elstor gekommen, wurde aber abgewiesen mit der Be-ründung: Die Abteilung für solche Personen seihnehin sehr klein und jetzt überfüllt. Darüber war deranker sehr betrübt und sinnierte, wie er das ändernann. Er bat Petrus, doch wenigstens einen kleinen Grußn die Kollegen hineinrufen zu dürfen. Das wurde ihmrlaubt, und er rief: In der Hölle wurde Öl gefunden. Da-aufhin sprangen alle reflexartig auf und zogen in dieölle. Petrus war sehr überrascht und sagte mit einigemögern: Gut, jetzt ist Platz, jetzt kannst du reingehen.er Banker antwortete ihm: Wenn der gesamte Marktavon überzeugt ist, dass in der Hölle Öl gefundenurde, dann muss ich mitgehen. Dann ging auch er inie Hölle.Das sind die Mechanismen, die zeigen, wie so etwasunktioniert. Darauf müssen wir eingehen.
Wie bitte?
Ja, wenn Sie gestern da waren. Unser Präsident ist un-chlagbar in der Darstellung solcher Zusammenhänge.a kann ich nicht mithalten; das würde ich auch nie ver-uchen.
Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, Sie haben geradeavon gesprochen, dass ein weltweites Regelwerk ge-chaffen werden soll. Wie wollen Sie das angesichts die-er geradezu menschlichen Eigenschaften, die Staatenie Institutionen antreiben, erreichen? Etwa, indem Siensere potenziellen Partner dauernd mit starken Wortenerunsichern, wie es unser Bundesfinanzminister macht?o doch sicherlich nicht. Wenn wir die Leute, die wir fürine Veränderung brauchen, vor den Kopf stoßen, wer-en sie nicht auf uns eingehen.Meine Damen und Herren, die Entwicklungspolitikuss auf Fakten reagieren und darf nicht nur auf Stim-ungen basieren.
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Hellmut KönigshausDeshalb wird die FDP alles tun, was hilft, eine humani-täre Katastrophe nicht nur in Afrika, sondern auch in an-deren Ländern zu verhindern. Es nützt aber nichts, wennman, ohne konkrete Ursachen zu beschreiben und ohneauf sie einzugehen, einfach immer nur mehr Geld zurVerfügung stellt.Aus den Mitteln des Konjunkturpaketes II sollen nunauf einmal insgesamt 100 Millionen Euro für einenFonds der Weltbank herausgebrochen werden. FrauMinisterin Wieczorek-Zeul, Herr Minister Steinbrück,was hat das mit Stärkung der Binnenkonjunktur zu tun?Ich weiß, dass auch weltweit die Krise zu bekämpfen ist.Sie müssen allerdings die Grundsätze der Haushalts-wahrheit und Haushaltsklarheit beachten.
Die Mittel des Konjunkturpaketes II sind für die Stär-kung der deutschen Binnenkonjunktur vorgesehen, nichtdafür, dass, ähnlich wie im Hinblick auf die Autoindus-trie bereits geschehen, andere Industrienationen geför-dert werden. Das würden wir auch der Öffentlichkeitnicht erklären können. Mein Kollege Koppelin wird aufdiese Thematik noch eingehen.
Frau Ministerin, Sie haben deutlich gemacht, dass Sieder Weltbank Geld zur Verfügung stellen wollen, weilsie viel Gutes tue. Gestern haben wir im Ausschuss eineAnhörung durchgeführt. Dort wurde uns ganz klar ge-sagt, dass die Weltbank gar nicht in der Lage sei, ihreAufgaben wirklich zu erfüllen. Es hieß, sie sei viel zugroß angelegt und könne nur Großprojekte durchführen,die langfristig wirken. Durch solche Großprojekte kanndie gegenwärtige akute Krise aber nicht bewältigt wer-den. Gleichwohl wollen Sie der Weltbank Geld zur Ver-fügung stellen. Das halten wir für falsch, insbesondereauch deshalb, weil die Weltbank dieses Geld für allemöglichen Maßnahmen verwenden könnte. Wofür sie esim konkreten Fall verwenden wird, wissen aber wederSie noch wir. Deshalb lehnen wir das ab.
Was die Gründung der IRENA angeht, möchte ichfeststellen: Natürlich unterstützen auch wir einen ver-nünftigen Mix bei der Energiegewinnung; das ist garkeine Frage. Es gibt aber keinen Grund, besonders stolzdarauf zu sein, dass das Abkommen bereits von so vielenLändern unterzeichnet wurde. Wenn von vornherein40 Prozent des Budgets übernommen werden, bevor dieersten überhaupt eingetroffen sind, dann ist das ver-gleichbar mit einem Kneipier, der sich darüber freut,dass seine Kneipe voll ist, wenn er Freibier ausschenkt.Das ist also keine große Überraschung.
Wir haben die großen Schwellenländer immer unter-tützt. Das tun wir auch weiterhin, wenngleich in Gren-en. Kollege Ruck, die finanzielle Hilfe für China, nichtber für Indien und Südafrika, ist übrigens eingestelltorden.
as die Hilfe zum Beispiel für Afghanistan oder Dschi-uti angeht – auch dort leiden die Menschen –, mussan aber feststellen: Hier passiert nichts bzw. nur sehrenig. Auch diese Länder sind für uns sehr wichtig.ort muss mehr getan werden. Daran wollen wir arbei-en.Zu der grenzwertigen Erklärung des Kollegen Ruckom gestrigen Tage, die verständlicherweise keinen Nie-erschlag fand – er sagte, dass die Entwicklungspolitiker FDP an Dummheit grenze –,
ann ich nur sagen: Richtig ist, dass seine Aussage dieserenze bereits überschritten hat.
Meine Damen und Herren, wir brauchen einen inter-ationalen Diskurs darüber, wie wir mit unseren Mittelnine größere Wirksamkeit erzielen können. Dies ist iminne unseres Landes. Ihre Regierungserklärung hat unseider keinen Weg in diese Richtung gewiesen. Sie wol-en immer nur noch mehr Geld für falsche Entwick-ungspolitik ausgeben. Aber das hilft unseren Partnernicht, das hilft uns nicht, und das hilft erst recht nicht un-eren Steuerzahlern.Vielen Dank.
Dr. Christian Ruck ist der nächste Redner für die
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dientwicklungspolitik ist in einer kritischen Phase. Wir
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Dr. Christian Ruckhaben zwar in den letzten Jahren im Kampf um das Er-reichen der Millenniumsziele große Erfolge erzielt.Nach der Energie- und Nahrungsmittelkrise im letztenJahr droht nun in der Tat durch die weltweit zu beobach-tenden Negativtendenzen auf den Finanzmärkten und inden Volkswirtschaften ein dauerhafter Rückschlag.Vor allem ist zu konstatieren: Die Aufholjagd derSchwellenländer, deren Situation für die Bekämpfungder Armut von entscheidender Bedeutung ist – allein inIndien leben mehr Arme als in ganz Afrika südlich derSahara –, ist ins Stocken geraten. Dem Vernehmen nachstehen demnächst allein in Bangalore 1,6 Millionen Ar-beitnehmer auf der Straße. Mit einer gewissen Verzöge-rung wird diese Krise auch die ärmsten Länder erreichenund einen Teufelskreis von sinkenden Exporten, sinken-den Direktinvestitionen und sinkenden Überweisungender Arbeitsmigranten herbeiführen.Auch bei uns werden nun Stimmen laut, die sagen:Die EZ muss zurückgefahren werden, wir müssen zu-nächst das eigene Hemd retten. – In der Tat ist es so: Wirmüssen das eigene Haus in Ordnung halten, es nützt nie-mandem, wenn wir schwach werden; denn dann könnenauch wir weniger helfen. Das gilt übrigens auch im Hin-blick darauf, dass wir unsere Banken unterstützen. Mankann über Investmentbanker denken, was man will; aberdass wir unser Banksystem durch Bürgschaften rettenmüssen, ist vollkommen klar.Die EZ zurückzufahren, wäre jedoch ein schlimmesEigentor. Dafür gibt es mehrere Gründe: Die Verzah-nung der Volkswirtschaften ist stärker als je zuvor. Un-sere Exporte in die entsprechenden Länder haben sich inden letzten sieben Jahren mehr als verdoppelt. Der Haus-halt des BMZ ist mittlerweile der zweitgrößte Investi-tionshaushalt der Bundesrepublik Deutschland. Von ihmhängen allein in Deutschland zwischen 200 000 und300 000 Arbeitsplätze ab.Es ist auch richtig, Herr Königshaus, dass wir dieWeltbank bei ihren Sofortmaßnahmen, insbesondere beider Infrastrukturspritze, unterstützen, damit der Wachs-tumsfaden nicht reißt. Hinzu kommt – die Ministerin hates angedeutet –: Die deutschen Unternehmen bekommenseit vielen Jahren die mit Abstand meisten Aufträge ausden Programmen der Weltbank, Aufträge in einem Volu-men, das größer ist als der Betrag, den wir einzahlen.Deswegen habe ich davon gesprochen, dass es anDummheit grenzt – wohlgemerkt: grenzt –, die Zahlun-gen zurückzufahren.
Auch in anderer Hinsicht wäre das ein Eigentor. DieEntwicklungspolitik ist mittlerweile ein fester und wich-tiger Bestandteil unserer Sicherheitspolitik. Die Ent-wicklungspolitik soll soziale Sprengsätze entschärfen,sie soll die Ursachen von Massenflucht bekämpfen, siesoll zur Energiesicherung beitragen, sie soll dem Terro-rismus den Boden entziehen. Je mehr Menschen in denEntwicklungsländern in Schwierigkeiten geraten, destowichtiger wird der Sicherheitsaspekt. Deswegen ist es inunser aller Interesse, dass wir in unseren entwicklungs-politischen Anstrengungen nicht nachlassen.ewhewU–LwGdmdgs–wgkzgikdhwEDMgigwshwsddaads
Was wahr ist, muss wahr bleiben.Trotzdem stehen wir unter Druck; denn die Problemeachsen. Deswegen müssen wir uns wieder kritisch fra-en: Was bringt Entwicklung voran? Welchen Beitragönnen wir leisten? Sind unsere Haushaltsmittel effi-ient eingesetzt? Wir müssen dabei die Erkenntnis zu-runde legen, dass die Entwicklungszusammenarbeit inhrer Gesamtheit keine schlüsselfertige Welt liefernann. Wir können nur Impulse setzen, und wir solltenies auch in der Öffentlichkeit sagen.Deshalb müssen wir uns wieder auf Hilfe zur Selbst-ilfe und auf die Beantwortung der Frage konzentrieren,ie wir die schöpferischen Kräfte der Menschen in denntwicklungsländern zur Entfaltung bringen können.azu gibt es zwei Ansatzpunkte: zum einen direkt amenschen und zum anderen an den Rahmenbedingun-en.Der Schlüsselsektor für die Hilfe direkt am Menschenst die Bildung in all ihren Ausprägungen. Liebe Kolle-en von der SPD, lieber Sascha Raabe, ich bin froh, dassir es im parlamentarischen Verfahren zusammen ge-chafft haben, diesem Sektor mehr Gewicht zu verlei-en, und damit ein bisschen von dem nachgeholt haben,as wir im Koalitionsvertrag versäumt haben.
Ich bin auch der Meinung, dass in diesem Schlüssel-ektor unabhängig von der Länderliste etwas getan wer-en muss. Bildung und Ausbildung sollten wir überallort vorantreiben, wo wir die Gelegenheit dazu haben,uch in Schurkenstaaten und in fragilen Staaten, und dasls Investition für die Zukunft betrachten, wenn unsann hoffentlich wieder ein Zeitfenster zur Verfügungteht. Ich glaube, das muss unser Prinzip sein.
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Dr. Christian RuckLieber Sascha Raabe, ähnlich verhält es sich bei derländlichen Entwicklung. Ich glaube, auch hier habenunsere Arbeitsgruppen gemeinsam eine gute Arbeit ge-leistet.
Auch die ländliche Entwicklung hat etwas mit den Men-schen zu tun; denn wenn Kinder und Jugendliche hun-gern oder krank sind, dann können sie ihre schöpferi-schen Kräfte mitnichten entfalten.Entscheidend sind aber auch die Rahmenbedingun-gen. Wir können in manche Länder noch so viel Geldgeben: Es wird nichts nützen. Ganz im Gegenteil! Ichmöchte – die Ministerin hat acht Punkte genannt – in al-ler Kürze fünf Faktoren nennen, die für mich unabding-bar sind, wenn wir eine Chance zur Erreichung der Mil-lenniumsentwicklungsziele haben wollen.Erstens. Wichtig ist eine gute Regierungsführung.Wenn wir es mit Empfängern bzw. Partnern zu tun ha-ben, die legitimiert und entwicklungsorientiert sind,dann ist der Rest Formsache. Dann geht es nur noch umdie Technik und zum Beispiel um die Frage, ob man hierden Hafen oder dort die Straße baut. Hier können wir na-türlich schneller und unbürokratischer reagieren; das istklar. Hier können wir uns auch nach den Vorstellungender Partner richten. Je unlegitimierter, inkompetenterund korrupter unsere Gegenüber aber sind, desto mehrmüssen wir auf unseren Wertvorstellungen bestehen, undzwar auch im wohlverstandenen Interesse der Menschendort.
Deshalb ist Ownership kein Freibrief und keine Ein-bahnstraße. Genau das müssen wir im Klartext zum Bei-spiel auch der afghanischen Regierung sagen. Bei denOpfern, die wir für sie bringen, muss sie sich im Kampfgegen Inkompetenz und Korruption im eigenen Landmehr einbringen.
In diesem Zusammenhang brauchen wir auch eineOffensive gegen schlechte Regierungsführung. Dabeisind alle gefordert. Hierfür brauchen wir natürlich auchdie Unterstützung der Außenpolitiker. Vor allem brau-chen wir hierfür aber vor Ort die Unterstützung unsererKirchen, und wir brauchen auch die Unterstützung derStiftungen und der engagierten NGOs. Das ist etwas,worauf wir, die Zivilgesellschaft, in der Entwicklungs-zusammenarbeit nicht verzichten können.Zweitens. Ohne Wirtschaftswachstum in den betrof-fenen Ländern haben wir keine Chance, die Entwick-lungsziele zu erreichen. Darauf wird der Kollege Klimkenoch eingehen. Wir brauchen in diesen Ländern eineWirtschaftsorientierung, aber eine Wirtschaftsorientie-rung, die mit Armutsbekämpfung einhergeht. Es gibt zuviele Länder, die zwar ein hohes Wachstum aufweisen,in denen dieses aber der breiten Bevölkerung nicht zugu-tekommt. Darum ist es richtig, dass man zum BeispieladazlMkzsvVbKwmwfewggsZHWEnsngaslbdBEaHsmgnvssg
Viertens. Der größte Feind der Entwicklung ist derrieg. Umgekehrt gibt es keine Sicherheit ohne Ent-icklung. Wir brauchen mehr Möglichkeiten und auchehr Mut, um gerade in Entwicklungsländern und Ent-icklungsregionen bessere Formen der Friedensschaf-ung durchzusetzen – darauf wird Kollege Fischer nochingehen –; das ist ganz essenziell, weil sonst alle Ent-icklungsbemühungen vergeblich wären. Das gilt übri-ens auch für Palästina.Fünftens. Koordination und Arbeitsteilung. Das be-innt im eigenen Land mit einer uneigennützigen Res-ortzusammenarbeit und geht über eine schlagkräftigeusammenarbeit der Entwicklungsinstitutionen vomaupt bis zu den Gliedern bis hin zur EU.
ir freuen uns über die Grundsatzvereinbarungen in derU, Frau Ministerin. Aber ich glaube, wir brauchenoch viel mehr Kraft und Energie, um sie auch durchzu-etzen. Davon sind wir noch weit entfernt. Im internatio-alen Bereich gibt es sogar groteske Entwicklungen: Esibt eine Vielzahl von Gebern, die in vielen Fällen diermen Administrationen der Entwicklungsländer er-chlägt. Es gibt 34 für Gesundheit und 37 für Entwick-ung und Umwelt zuständige UN-Organisationen. Wirefinden uns allmählich in einem Hamsterrad der Koor-ination und müssen auch in diesem Punkt wieder zuresinnung kommen.
Wir sind inzwischen der zweitgrößte internationalentwicklungshilfegeber. Wir müssen unseren Einflussuch dahin gehend geltend machen, dass wir die gesamteilfsarchitektur vom Kopf auf die Füße stellen. Dabeiind die genannten Vorschläge sehr hilfreich. Aber wirüssen hier zu Potte kommen.Ich möchte eine Anregung geben. Die japanische Re-ierung, die US-amerikanische Regierung – auch dieeue amerikanische Regierung; das hat Hillary Clintonor kurzem bestätigt – und zum Beispiel auch die israeli-che Regierung sind hochinteressiert daran, mit uns ver-tärkt zu Dreieckskooperationen zu kommen. Ichlaube, wenn wir uns auf einen solchen Prozess eines
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Dr. Christian RuckTrainings on the Job verständigen könnten, dann könn-ten wir zusammen noch viel mehr Gewicht für eine kon-zentriertere Entwicklungspolitik in unserem Sinne auf-bringen. Dafür plädiere ich.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir hattenam Dienstag eine Gedenkstunde, in der es sehr ein-drucksvoll um das Motto „Die Würde des Menschen istunantastbar“ ging.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die deutlich über-
schrittene Redezeit.
Jawohl, ich komme zum Schluss. – Diese Würde wird
in vielen Entwicklungsländern, gerade auch Kindern ge-
genüber, mit Füßen getreten. Deswegen gibt es für uns
nicht nur rationale Gründe, sondern aus christlich-
abendländischem Denken auch eine moralische Ver-
pflichtung, die Entwicklungspolitik aufrechtzuerhalten.
Ich möchte mit einem Satz schließen, den der japani-
sche Botschafter diese Woche gesagt hat: Deutschland
und Japan haben eine Kultur gemeinsam, nämlich die
Kultur, ihre Versprechen zu halten.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Aydin, Fraktion
Die Linke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Heute geht es umweit mehr als um die Entwicklungszusammenarbeit. Wirsprechen über die Gestaltung der Innen- und Sozialpolitikin der einen Welt, in der wir leben. Die Verwirklichungder Millenniumsziele ist nicht nur entwicklungspolitischgeboten, sondern von entscheidender Bedeutung für dieregionalen Sicherheiten, den Frieden auf der Welt unddas wirtschaftliche Miteinander der Weltgemeinschaft.
Extremismus, Kriege und Gewalt können sich beson-ders gut dort entfalten, wo den Menschen politische, so-ziale und humanitäre Rechte verweigert werden. Wirbrauchen daher die Überwindung der extremen globalenPolarisierung zwischen wenigen Reichen und vielen Ar-men.Wie uns in diesen Tagen auf der italienischen InselLampedusa dramatisch vor Augen geführt wird, treibtder Ernst der Lage auf unserem Nachbarkontinent Afrikaimmer mehr Menschen in die Flucht. Obwohl die Fahrtüber das Mittelmeer aufgrund der rigiden Abschottungs-politik der Europäischen Union jedes Jahr für Hundertetödlich endet, treten sie diese Fahrt an, weil Hunger, Ar-mut, Perspektivlosigkeit den Alltag in ihren Ländernp11bmEdAhdbwAg2biAailDdwBEzwSStdDtBt2zshekwLEsEtw
Auch die NGOs haben uns vorgerechnet, dass dereitrag der Bundesregierung zur Grundbildung weit hin-er dem zurückliegt, was eigentlich erforderlich wäre.006 wurde für die Grundbildung gerade einmal 1 Pro-ent der gesamten öffentlichen Entwicklungshilfe einge-etzt. Das ist viel zu wenig; denn von besserer Bildungängt die Verwirklichung der anderen Entwicklungszielentscheidend ab.Die Welt bleibt auch durch tiefe soziale Ungerechtig-eit geprägt. Jene rund 2,6 Milliarden Menschen welt-eit, die täglich weniger als 2 US-Dollar pro Tag zumeben haben, verfügen nur über 5 Prozent des globaleninkommens. Die Reichsten der Welt hingegen – dasind 20 Prozent – besitzen über drei Viertel des globaleninkommens. In Afrika ist die Situation am schlimms-en. Ein Drittel aller Menschen lebt hier in Armut. 1990ar es noch ein Fünftel. Doch nicht nur in Afrika, son-
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Hüseyin-Kenan Aydindern überall in der Welt vertieft sich der Graben zwi-schen Reich und Arm. Es ist darum gut und richtig, dasssich die Staatengemeinschaft mit den Millenniumszielenkonkrete Vorgaben gegeben hat.Doch Entwicklungszusammenarbeit muss besser fi-nanziert werden, auch von Deutschland, das weiter hin-ter seinen Zusagen zurückbleibt. Aber mit mehr Geld al-lein werden die sozialen und wirtschaftlichen Problemedes Südens nicht überwunden werden. Dringend gebotensind strukturelle Veränderungen in den ungleichenWirtschafts- und Handelsabkommen, eine Regulierungder Finanzmärkte im Sinne der Entwicklungsländer unddie Demokratisierung der internationalen Finanzorgani-sationen.
Lassen Sie mich dies verdeutlichen. In Monterrey imJahr 2002, in Paris im Jahr 2005 sowie zuletzt in Accraund in Doha versprachen die Geber, ihre Entwicklungs-politiken nicht länger von Wirtschafts- und Handelsinte-ressen konterkarieren zu lassen. Trotzdem kann manbeim besten Willen nicht erkennen, dass die Entwick-lung politisch kohärent ist. Ein Dauerbrenner ist hier dieLandwirtschaft.Jüngstes Beispiel: Die EU will die ausgesetzten Ex-porterstattungen für Milchprodukte wieder aufnehmen.Diese Politik ruiniert die Landwirtschaft im Süden; dasdarf nicht passieren.
Wir fordern daher: Weg mit den Exportsubventionenfür die europäische Landwirtschaft! Besseren Marktzu-gang für die Produkte aus Entwicklungsländern!
Die letzte Nahrungsmittelkrise 2008 war auch einResultat der jahrzehntelangen Landwirtschaftspolitikund -förderung, die im Süden auf Exportorientierungsetzt, anstatt sich auf den lokalen Bedarf zu konzentrie-ren. Zahlreiche Experten, unter anderem der Weltagrar-rat, betonen, dass stattdessen die Unterstützung derKleinbäuerinnen und Kleinbauern entscheidend fürdie Nahrungsmittelsicherheit ist.Wichtig sind darüber hinaus Landreformen. In vie-len Ländern des Südens birgt die Landfrage erheblichensozialpolitischen Sprengstoff. Unklare Rechtsverhält-nisse und die ungebrochene Kommerzialisierung derLandwirtschaft führen zur Verdrängung kleiner einhei-mischer Produzenten und vor allem indigener Völker.Massive Landkäufe von Privatinvestoren und Regierun-gen aus der OECD-Welt, aus Asien und jüngst auch ausder arabischen Welt zur Deckung des eigenen Nahrungs-mittelbedarfs oder für den Anbau sogenannter Biokraft-stoffe haben die Landfrage vor allem in Afrika und Süd-amerika deutlich zugespitzt. Ob diese Konfliktegewaltsam oder demokratisch gelöst werden, hängt auchvon den OECD-Staaten ab. Die Menschen Boliviensmachten beispielsweise im Referendum am letzten Wo-crDBsediAazVdwtgEwddisErMEIDDdeZwnndSvaweWnDsi
udem sind eine Reduzierung der Entwicklungshilfe so-ie der Abzug oder die Zurückstellung von Investitio-en zu befürchten.
Vor diesem Hintergrund hat die Regulierung der Fi-anzmärkte höchste Priorität. Notwendig sind unter an-erem ein Verbot der Nahrungsmittelspekulation, diechließung der Steueroasen und die strenge Kontrolleon Private Equity Fonds sowie Hedgefonds. Es mussußerdem ein internationales Insolvenzrecht geschaffenerden, das zahlungsunfähigen Staaten eine Mitspracheinräumt. Illegitime Schulden müssen erlassen werden.er an Diktatoren oder korrupte Betrüger verleiht, sollicht mit der Rückzahlung seiner Gelder rechnen dürfen.ie Umsetzung dieser Forderung setzt die Demokrati-ierung der internationalen Finanzdienstleistungs-nstitutionen voraus. Es kann nicht angehen, dass IWF
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Hüseyin-Kenan Aydinund Weltbank von den OECD-Staaten dominiert werden,während die Entwicklungsländer die Zeche für derenverfehlte Politik zahlen müssen.
Die Nahrungsmittelkrise in Haiti ist dafür ein Beispiel.Über Jahrzehnte wurden auf Geheiß von Weltbank undIWF die Zölle gesenkt und Billigimporte ins Land ge-holt. Heute ist Haiti ein Nahrungsmittelimportland ge-worden.
Herr Kollege, würden auch Sie freundlicherweise auf
die Zeit achten?
Herr Präsident, ich komme zum Ende. – Entwick-
lungspolitik ist kein Nebenschauplatz der internationalen
Beziehungen. Sie hat eine zentrale Aufgabe bei der Ge-
staltung einer gerechten Weltordnung. Sie ist ein wesent-
licher Bestandteil einer internationalen Sozialpolitik, für
die die Linke einsteht, Herr Müntefering.
Das Wort hat nun der Kollege Ludwig Stiegler für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habemich nicht in die Debatte verirrt, sondern vertrete hiermeinen Kollegen Walter Kolbow, der einem gutenFreund die letzte Ehre erweisen muss.Den Auftrag, hier für ihn zu reden, habe ich gernübernommen, weil ich zu denen gehöre, die von der Po-litik unserer Entwicklungsministerin Heidi Wieczorek-Zeul begeistert sind, und zwar seit Jahrzehnten.
Ich möchte ihr ganz herzlich für das Beispiel, das sie unsallen gibt, danken. Wir alle sind mal kurz bewegt undbegeistert, aber dann legt sich das wieder, währendHeidemarie Wieczorek-Zeul über Jahre und Jahrzehntemit konstanter Güte – mit konstanter Bosheit, könnteman fast sagen – ihren Auftrag verfolgt und seit der Ein-setzung der Nord-Süd-Kommission an seiner Umset-zung gearbeitet hat.
Ich habe an vielen Stellen erlebt, wie sie mit List, mitAusdauer und mit Beharrlichkeit die stursten Böckeüberzeugt hat.
Das ist eine bewundernswerte Leistung. HeidemarieWieczorek-Zeul ist für uns alle, die wir diesen Geschäf-ten nachgehen, oft eine Entlastung, weil wir wissen, dasswHcWtduwehezDWWn3DsdKdumhwbdvdMbvcriWs
Wir erleben auf der anderen Seite eine bemerkens-erte Regression der FDP, die einmal mit Walter Scheelinen nicht unbedeutenden Entwicklungspolitiker gehabtat. Jetzt kommen Herr Niebel und Herr Königshaus mitinem Horizont, der nicht einmal ein Kirchturmshori-ont ist, sondern der Horizont einer Waldkapelle, die vonornen und Stauden überwuchert ist.
ie kann man nur so sein? Bitte gehen Sie einmal zualter Scheel auf ein Glas Wein, damit er Sie auf deneuesten Stand oder wenigstens auf den Stand von vor0 Jahren bringt.
as ist dieser Partei nicht würdig. Sie waren schon we-entlich weiter, und Sie können jetzt in der Krise nicht iniese Regression verfallen. Das geht einfach nicht. Derollege Ruck hat Ihnen schon das Notwendige gesagt.Wir müssen gerade in diesen Zeiten, in denen alle ausen Entwicklungsländern davonrennen – früher habennsere Anleger diese Länder mit Geld überschwemmt;
ittlerweile flüchten sie alle in die sicheren Häfen –, Be-arrlichkeit und Beständigkeit beweisen. Dazu solltenir unseren Beitrag leisten. Ich bin froh, dass die KfWei der Mikrofinanzierung einer der besten Player aufer Welt ist. Herzlichen Dank für die Zusammenarbeiton Heidi Wieczorek-Zeul und Ingrid Matthäus-Maier,ie das angepackt haben!
an sollte für das, was diese Menschen begonnen ha-en, dankbar sein.
Herr Königshaus hat versucht, den Statusberichtom Sommer, also von vor der Krise, lächerlich zu ma-hen. Das ist falsch. Sie sollten sehen: Dieser Statusbe-icht zeigt, was wir erreicht haben, was jetzt gefährdetst. Wir sollten auf die Weltbank, auf den Internationalenährungsfonds und andere Beteiligte hören: Jetzt müs-en wir zusammenstehen, um das Erreichte zu erhalten
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Ludwig Stieglerund zu bewahren. Nur gemeinsam kommt die Welt ausder Krise. Keiner kann das für sich allein.
Stichwort „Weltbank“: Frau Bundeskanzlerin, wennSie Herrn Obama wieder treffen oder wieder mit ihm te-lefonieren, dann erinnern Sie ihn bitte daran, dass wirvor einer Verdoppelung der Sonderziehungsrechte ste-hen. Der Bundestag hat die Sonderziehungsrechte schonmit beschlossen. Das Ganze hängt noch an der Zustim-mung der Amerikaner. Es wäre gut, wenn den schönenSprichworten über das Wagnis der Zukunft Taten folgtenund wir unsere Sonderziehungsrechte beim Internationa-len Währungsfonds verdoppelten; damit wäre der gan-zen Welt erheblich geholfen.
Mich bewegt seit meiner Pennälerzeit ein Gedichtvon Hugo von Hofmannsthal.
Dieses Gedicht sagt uns zu diesem Thema einiges. Eslautet:Manche freilich müssen drunten sterben,wo die schweren Ruder der Schiffe streifen,andere wohnen bei dem Steuer droben,kennen Vogelflug und die Länder der Sterne.Manche liegen mit immer schweren Gliedernbei den Wurzeln des verworrenen Lebens,anderen sind die Stühle gerichtetbei den Sibyllen, den Königinnen,und da sitzen sie wie zu Hause,leichten Hauptes und leichter Hände.Doch ein Schatten fällt von jenen Lebenin die anderen Leben hinüber,und die leichten sind an die schwerenwie an Luft und Erde gebunden.Ganz vergessener Völker Müdigkeitenkann ich nicht abtun von meinen Lidern,noch weghalten von der erschrockenen Seelestummes Niederfallen ferner Sterne.Viele Geschicke weben neben dem meinen,durcheinander spielt sie all das Dasein,und mein Teil ist mehr als dieses Lebensschlanke Flamme oder schmale Leier.Unser Teil ist mehr als unser individuelles Leben hier.Wir sind mit den anderen verbunden. Wir sind in dieseweltweite Verantwortlichkeit, in die internationaleKooperation einzubinden. Armutsbekämpfung ist Zu-kunftsinvestition. Armutsbekämpfung ist Friedenspoli-tik. Dafür danke ich der Bundesministerin, der Bundes-regierung. Diese Politik unterstützen wir.
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ie ist ein Schlag gegen alle Bemühungen, mehr globaleerechtigkeit herzustellen, und zementiert die Praxis un-eres unfairen Handelssystems.Aber, liebe Heidemarie Wieczorek-Zeul, die Europäi-che Union ist kein virtuelles Konstrukt, sondern gibt dieeinung souveräner Staaten wieder. Die Bundesregie-ung sitzt da mit am Tisch. Sie begrüßt und unterstütztiese Entscheidung. Sie sind Mitglied der Bundesregie-ung – und das nicht erst seit heute. Ich bin das EU-ashing leid; es sind doch die Nationalstaaten, die anen Pranger gehören.
Eben haben wir eine Regierungserklärung der Bun-esregierung zum Thema Entwicklungspolitik gehört.un wird es schwierig. Das Mitglied der Bundesregie-ung Wieczorek-Zeul kritisiert die Entscheidungen desabinetts.
it Verlaub, Sie sitzen da doch mit am Tisch. Sie ent-cheiden, und jetzt versuchen Sie, die eigene, nämlichm Kabinett gefallene Entscheidung als Fehlentschei-ung darzustellen. Mit dieser Nummer lassen wir Sieicht durchkommen. Wir entlassen Sie nicht aus Ihrererantwortung.
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Ute KoczyAuch wenn Sie glauben, es merke keiner: Sie tragenals Entwicklungsministerin mit die Verantwortung dafür,dass mithilfe der deutschen Bundesregierung die Exis-tenz der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in den Ent-wicklungsländern vernichtet wird und eine falsche, kata-strophale Subventionspolitik der Europäischen Unionzum wiederholten Male fortgesetzt wird.
Sie sind dafür verantwortlich – sonst niemand –; da kön-nen Sie so viele Interviews geben, wie Sie wollen. Letzt-lich lenken Sie davon ab, was in Berlin wirklich gespieltwird. Sie verkaufen die Leute für dumm.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, warum gehe ichauf diesen Punkt so ausführlich ein? Weil ich es einfachleid bin, dass wir in der Entwicklungspolitik – – Oh, derPräsident meldet sich.
Ja, er meldet sich, um Sie zu fragen, ob Sie geneigt
sind, eine Zwischenfrage des Kollegen Müller zu beant-
worten.
Selbstverständlich.
Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, dass die Entwick-
lungsländer komplett freien Zugang zum Markt der Eu-
ropäischen Union haben, dass sie damit privilegiert sind
und dass wir dazu auch stehen? Ist Ihnen weiterhin be-
kannt, dass die von Ihnen so gegeißelten sogenannten
Exporterstattungen für Milch in keinem Fall in ein Land
Afrikas oder Lateinamerikas gehen, wie Sie behauptet
haben? Es gelangt kein einziger Liter Milch und kein
Kilo Produkt mit Exporterstattung in die von Ihnen ge-
nannten Staaten.
Herr Kollege Müller, dann frage ich Sie:
Warum, wenn das so zuträfe, stellt sich die Ministerinhin und sagt, dass diese Entscheidung die Existenz derBäuerinnen und Bauern in Afrika und Lateinamerikaruiniert?
– Das hat sie gesagt. Das kann man in dem Interviewnachlesen. Sie sagt es, weil sie weiß, dass sie recht hat.Jetzt streiten Sie mit ihr einmal darüber, was daraus anKonsequenzen erwächst!gFNnrnGttdcbbsmsTklwEmoVdEAwptdgOeJAtDrdlosi
Wir stehen in der Entwicklungspolitik für den Kampfegen die Armut. Das finden alle immer ganz toll. Aberrau Merkel regiert, um in Deutschland die Leute an derase herumzuführen und es einfach zuzulassen, dassicht Werte, sondern harte Lobbyinteressen die schwarz-ote Politik bestimmen. Herr Kollege Stiegler, es nütztichts, die Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul zuralionsfigur zu machen, wenn auf dem Schiff gleichzei-ig Meuterei herrscht.
Eine Regierungserklärung zu den MDGs, zu den Jahr-ausendentwicklungszielen der Vereinten Nationen, undem schon vielfach gegebenen Versprechen zur Aufsto-kung der Mittel kann keine entwicklungspolitische De-atte im engeren Sinne sein; das ist richtig. So eine De-atte steht im Kontext der Finanzkrise. Das letzte Jahrtellt eine Zäsur dar. Das Jahr 2008 wird als ein Jahr derultiplen Krise in die Geschichte eingehen: Klimakata-trophe, Ernährungskrise – darauf wird mein Kollegehilo Hoppe noch eingehen –, Energie-, Öl- und Finanz-rise sowie die jetzt kommende Wirtschaftskrise. Das al-es ist eine Gemengelage, von der wir noch nicht wissen,ie alles miteinander zusammenhängt.Vor diesem Hintergrund frage ich: Was wird aus denntwicklungszielen? Was wird aus den Zielen, die Ar-ut zu halbieren, die Müttersterblichkeit zu bekämpfender die Qualität der Bildung zu verbessern? Wo bleibeneränderungen in den ungerechten Handelsstrukturen, iner wirtschaftlichen Zusammenarbeit? Was wird aus denrkenntnissen, dass erneuerbare Energien gerade infrika die Basis zur Armutsbekämpfung legen? Wasird aus dem Ziel von 0,7 Prozent des Bruttonational-rodukts?Wir befinden uns momentan in der absurden Situa-ion, dass mit ein wenig Zahlenspielerei eine Erhöhunger ODA-Quote denkbar ist, ohne dass neues Geld ein-esetzt wird. Wenn die Wirtschaftsleistung sinkt und dieDA-Quote stagniert, dann wirkt es auf dem Papier wieine Erhöhung. Wir brauchen jedoch reale Zuwächse.etzt rächen sich die Versäumnisse von Schwarz-Rot.Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, Sie haben in Ihrermtszeit nicht vorgesorgt. Sie haben es versäumt, Struk-uren zu reformieren, damit die Entwicklungspolitikeutschlands für die Herausforderungen der Zukunft ge-üstet ist. Genauso wenig, wie es dieser Regierung mitem Finanzminister Steinbrück in den guten Tagen ge-ungen ist, Rücklagen zu bilden, Schulden abzubauender auch zu sparen, genauso wenig haben Sie es ge-chafft, frisches Geld durch innovative Finanzierungs-nstrumente zu organisieren.
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Ute KoczyIch beziehe mich auf die Regierungserklärung. Dort istzwar von innovativen Finanzierungsinstrumenten dieRede, aber Sie stehen komplett mit leeren Händen da.Nichts davon wurde realisiert: weder die Flugticket-Ab-gabe, noch die Kerosinsteuer, noch die Finanztransak-tionsteuer. Das sind alles Vorschläge, die wir Grünen seitJahren einfordern.
Sie wurden alle nicht durchgeführt. Man hat sich zwaretwas bewegt und es verbalisiert, aber es kommt nichtsrüber. Damit stecken wir haushaltspolitisch in der Sack-gasse. Das haben Sie also auch vergeigt, und es gibt kei-nen Grund, Sie zu loben.Frau Ministerin, Sie haben in der Saarbrücker Zei-tung gesagt: Wenn es möglich sei, mit Milliarden die Fi-nanzmärkte zu stabilisieren, müsse es auch möglich sein– ich zitiere –, „die Welt vor Armut und Hunger, Arbeits-losigkeit und dem Klimawandel zu retten.“ Ja, das sehenwir auch so. Aber im Gegensatz zur FDP sagen wir, dassdie 100 Millionen Euro nicht ausreichen, die Sie ausge-ben wollen.
Das ist zu wenig. Es müsste viel mehr Geld in die Händegenommen werden. Deswegen sprechen wir uns dafüraus, dass wir einen echten grünen New Deal bekommen,nicht den, den die Koalition vorträgt – kleinfüßig undimmer wieder torpediert. Am Beispiel Kfz-Steuer siehtman doch, was dabei herauskommt.Wir brauchen einen echten grünen New Deal. Nur erist der Weg. Daran müssen wir arbeiten, nicht an dem,was die schwarz-rote Regierung hier vorgestellt hat.Danke.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sibylle Pfeiffer,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Warum wird die Qualität der Entwicklungszusammenar-beit mit der Höhe der verfügbaren Mittel in Zusammen-hang gestellt? Lieber Herr Stiegler, was Ihre hochgelobteKollegin Wieczorek-Zeul betrifft
– das habe ich, ich bin auch sehr zufrieden mit ihr –: Allihre Mahnungen und Wünsche sind erst dann in Erfül-lung gegangen, als es im Kanzleramt zum Glück zu einerVeränderung kam.
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Liebe Ute Koczy, zu deinen Auslassungen bezüglichiner rot-schwarzen Regierungsführung im Zusammen-ang mit der EZ möchte ich anmerken: Für alles, was dungeprangert hast, habt ihr sieben Jahre zur Umsetzungeit gehabt.
ährend dieser Zeit sind diese Forderungen, das weißch, auch gekommen. Warum sind sie nicht umgesetztorden?
rst mit einer Änderung im Kanzleramt kann man dieinge umsetzen, die man gerne möchte.
Aber, liebe Freunde, was passiert eigentlich? Wir Par-amentarier heben die Hand zu enormen Erhöhungen innserem Entwicklungshaushalt, und reflexartig werdenir mit Briefen von NGOs, der großen Gemeinde derutmenschen dieser Welt, überschüttet, in denen wir ge-ragt werden, warum wir so wenig Geld zur Verfügungtellen. Das ist ein Reflex. Tust du nichts, wirst du be-chimpft; tust du was, wirst du auch beschimpft. Das är-ert mich. Mich ärgert, dass wir diejenigen sind, die pu-hen und powern und trotzdem beschimpft werden.
ußerdem frustriert es mich. Ich fühle mich da zu Un-echt kritisiert, und das gefällt mir nicht.Natürlich machen sich die Entwicklungsministerinnd wir uns als Entwicklungspolitiker viele Freunde,enn wir viel Geld verteilen. Das ist einfach. Aber hilftiel eigentlich auch wirklich viel?
irgends ist – das müssen wir uns einmal vorstellen,iebe Freunde – mit Zahlen belegt, wie viel Geld eigent-ich in diesem System steckt. Die OECD spricht vontwa 110 Milliarden Euro, die dort ankommen, wo sieingehören, nämlich bei den Menschen vor Ort. Manchätzt, dass derselbe Betrag irgendwo anders hinfließt.eshalb sage ich, lieber Kollege Aydin, jetzt einmal et-as, was du von mir nicht erwartet hättest: Hier könntenir eine Verteilung von oben nach unten vornehmen.
n diesem Fall wäre das angebracht. Wir sollten uns ganzenau anschauen: Wie sind die Mittel eingesetzt? Woind sie eingesetzt? Wie effizient sind sie eingesetzt?
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Sibylle Pfeiffer
Entwicklungszusammenarbeit kostet viel Geld. Ichglaube, wir können es uns nicht leisten, über Kürzungenim EZ-Haushalt zu beraten.
Wir müssen aber die Krise als Chance begreifen und unsüberlegen, wie wir die Mittel einsetzen. Lassen Sie michin der Kürze der Zeit ein Beispiel nennen, das meinerMeinung nach zeigt, dass wir auch mit wenig Mittelnsehr effizient arbeiten können.Nicht umsonst sind vier der acht MDGs auf Frauenabgestellt. Frauen sind in der Entwicklungszusammenar-beit unerlässlich. Auf der Arbeit der Frauen baut eine er-folgreiche Entwicklungszusammenarbeit auf. Ich denke,da gibt es zahlreiche Ansatzpunkte. Ich nenne einigeBeispiele, wie man die Frauen effizient stärken kann.Wir reden von Landrechten. Lieber Kollege Aydin, auchdas sehe ich im Zusammenhang mit den Rechten derFrauen; ich sehe die Landrechte der Frauen.
Auch das Erbrecht ist als Recht der Frauen von Bedeu-tung. Das Thema „Rechte der Frauen“ ist meiner Mei-nung nach überhaupt ein Thema, das sehr kostengünstigist. Um da etwas zu bewirken, bedarf es nur des politi-schen Willens. Ich rede hier weder von Gender-Main-streaming noch von Gender-Budgeting oder Ähnlichem.
Ich rede von nichts anderem als von Good Governance.Das kostet kein Geld, ist aber effektiv.Daraufhin müssen wir unsere Haushalte einmal über-prüfen. Wir müssen schauen, wie wir die Prioritäten ge-setzt haben. Es ist richtig, dass wir mit dem aktuellenHaushalt auch die Programme stärken, die sich haupt-sächlich mit dem Empowerment von Frauen beschäfti-gen, zum Beispiel UNFPA, IPPF. Wenn wir uns um die-ses Thema verstärkt bemühen, dann tun wir dasRichtige. Wir müssen dort ansetzen, wo es nachhaltigund effizient ist, wo es wenig Geld kostet, aber einen ho-hen Ertrag bringt.
Natürlich hätte auch ich gerne mehr Geld im System,nicht dass wir uns falsch verstehen. Wir benötigen natür-lich Geld, wahrscheinlich auch mehr Geld. Aber bittelasst uns die Krise, die wir zurzeit haben und nicht weg-diskutieren können, auch als Chance begreifen, selbst-kritisch zu hinterfragen: Wie setzen wir die Mittel ein?Setzen wir sie richtig ein? Wo können wir besser und ef-fektiver werden?
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ch bin der Kollegin Sibylle Pfeiffer insofern sehr dank-ar, dass sie endlich konkret geworden ist. Es war eineusgesprochen gute Rede, der auch meine Fraktion Bei-all gespendet hat. Gratulation, liebe Kollegin!
Die Kollegin hat sich mit dem Thema, nämlich miten Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise aufie Entwicklungsländer, beschäftigt und hat sich konkretazu geäußert. Bis dato hatte ich darüber – auch von derinisterin – nur sehr wenig gehört.Lassen Sie mich zu Beginn sagen: Der UN-General-ekretär hat die internationale Gemeinschaft aufgefor-ert, keine Ausgaben für Entwicklungshilfe wegen derinanzkrise zu kürzen. Diese Auffassung teilen wir. Ichenke, wir sind uns alle einig, dass wir das nicht tunollen, auch wenn bei uns die Mittel knapper gewordenind.Im Zusammenhang mit dem 100-Millionen-Euro-aket für die Weltbank darf ich aber daran erinnern,ass wir für dieses Geld Schulden machen müssen. Wiraben es nicht irgendwo liegen und geben es einfach dereltbank, sondern wir nehmen dafür Schulden auf undelasten somit unseren Haushalt.Beim Stichwort Haushalt möchte ich eine Bemerkungachen. Frau Ministerin, mir muss jemand einmal erklä-en, warum die 100 Millionen Euro nicht aus dem Bun-eshaushalt, sondern aus einem Sonderfonds, der jetztebildet wird, kommen. Früher, als Rot-Grün die Regie-ung stellte, haben Sie das Schattenhaushalte genannt,ie abgeschafft werden müssten. Jetzt schaffen Sie selbstolche Schattenhaushalte, in denen Sie diese 100 Millio-en Euro verstecken. Es wäre besser, dieses Geld ord-ungsgemäß in den Haushalt einzustellen und sich dazuu bekennen, anstatt es in einen Schattenhaushalt zu ste-ken.Die 100 Millionen Euro haben eine Geschichte. Dieundeskanzlerin hat dieses Geld einmal auf einem G-8-ipfel zugesagt. Wir als Haushälter haben dann hinter-ragt, was die Weltbank mit diesem Geld macht. Das Er-ebnis war, dass uns das keiner aus der Bundesregierungrklären konnte; die Ministerin wird sich noch an dieuseinandersetzung im Haushaltsausschuss erinnern.ir, die Mitglieder des Haushaltsausschusses – undwar die Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU,
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Jürgen KoppelinSPD und FDP, aber auch die Grünen –, haben in den Be-ratungen zum Haushalt 2008 diese 100 Millionen Euroabgelehnt; sie sind auch später nicht hineingekommen.Im Zuge der Krise will man nun das damals abgegebeneVersprechen einlösen und die 100 Millionen Euro bereit-stellen. Dieses Geld findet sich plötzlich in einem Schat-tenhaushalt wieder. Das ist unehrlich. Wie gesagt: Fürdiese 100 Millionen Euro, die die Bundesregierung derWeltbank plötzlich wieder zugesagt hat, müssen wirSchulden aufnehmen. Das sage ich, damit alle wissen,worum es geht.Frau Ministerin, bei der Debatte kommt mir folgendeUnterscheidung ein bisschen zu kurz: Wie ist die Situa-tion aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise in Af-rika, und wie ist sie in Asien? Man sollte nicht alle Län-der in einen Topf werfen. Ich sehe, dass Länder inSüdostasien durchaus besser mit dieser Krise fertig wer-den. Das ist auch klar; denn sie haben ihre große Finanz-krise schon gehabt, haben entsprechende Erfahrung ge-sammelt und ihre Lehren daraus gezogen. Wir könntenvielleicht sogar von diesen Ländern lernen. In Afrikasieht die Situation wieder ganz anders aus, weil die Ban-ken dort international nicht so stark verflochten sind unddaher von dieser Krise nicht so viel zu spüren bekom-men. Man muss sich also die einzelnen Länder und dieeinzelnen Kontinente wie Afrika anschauen, bevor mansagt, dass man etwas pauschal für alle macht. Ich bin füreine differenzierte Betrachtung.Ich hoffe und erwarte, dass wir noch mehr Informa-tionen darüber bekommen, ob es vonseiten der Regie-rungen dieser Länder eine Kapitalflucht nach dem Motto„Bringen wir unser Geld in Sicherheit!“ gibt. Damitmüssten wir uns allerdings ebenfalls beschäftigen. Wennwir über die Krise und die Folgen für die Entwicklungs-länder sprechen, müssen wir auch darüber reden, wie dieAbhängigkeit von ausländischen Finanzierungen ist undwie hoch die Devisenreserven sind. Es gibt durchausStaaten in Asien, die hohe Devisenreserven haben. Mansollte berücksichtigen, welche Folgen die Krise für diedortige Währungspolitik hat. Außerdem sollte man dieeinzelnen Länder nach ihrer wirtschaftlichen Leistungs-fähigkeit beurteilen.Ich sehe den Kollegen von der Linken im Momentnicht, der vorhin gesprochen hat.
– Das ist okay. – Sein Beitrag über Bolivien war so dane-ben, dass ich den Eindruck hatte, er hat von diesem Landnull Ahnung. Ansonsten hätte er sich nicht hier hinstel-len und einen solchen Unsinn verbreiten können. Dasmöchte ich bei dieser Gelegenheit sagen.
Grundsätzlich sind wir der Auffassung, dass wir unsmit diesem Thema sowohl im entsprechenden Fachaus-schuss als auch im Haushaltsausschuss beschäftigenmüssen. Ich sage Ihnen allerdings: So pauschal, wie dashier heute abgehandelt worden ist, sollten wir diesesThema nicht behandeln. Kollege Ruck, vielleicht infor-mieren Sie sich noch einmal bei Ihrer Kollegin SibyllePaSHmlaItwevUviGNidsWtWmbgdRme1wh„4zmvddd
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Ich finde es erstaunlich, Herr Kollege Koppelin,it welcher Überheblichkeit Sie die Reden meiner Kol-egen aus dem Fachausschuss – die von Herrn Ruck undnderen – kritisieren angesichts dessen, dass ein Kollegehrer Fraktion zu Beginn der Debatte Scherze über Pe-rus gemacht hat bzw. erzählt hat, wer in die Hölle under in den Himmel kommt, und die Debatte damit aufin Niveau gebracht hat, das ein bisschen an den Karne-al erinnert.
nsere Fachpolitiker brauchen sich vor der FDP nicht zuerstecken. Wir machen eine sachlich gute Politik. Dasst bisher deutlich geworden.
Die Debatte heute hat in erster Linie die Frage zumegenstand, wo wir angesichts der Finanzkrise und derahrungsmittelkrise, die die ärmsten Menschen schonm Vorfeld der Finanzkrise ganz hart getroffen hat, beier Umsetzung der Millenniumsentwicklungszieletehen. Man kann sich fragen, ob das berühmte Glasasser halb voll oder halb leer ist. Auch wenn das wich-igste Ziel, das sich die Vereinten Nationen bzw. dieeltgemeinschaft gegeben haben, ist, den Anteil der Ar-en an der Weltbevölkerung bis zum Jahr 2015 zu hal-ieren, sollte man sich einmal die absolute Zahl vor Au-en führen. Es ist in der Tat erschreckend und schlimm,ass aufgrund der Nahrungsmittelkrise und ein paarückschlägen jetzt wieder 1 Milliarde Menschen in Ar-ut lebt.Man kann natürlich zu Recht darauf hinweisen, dasss, gemessen an der Weltbevölkerung – sie steigt seit990; zu diesem Zeitpunkt gab es mehr als 1 Milliardeeniger Menschen; das Bevölkerungswachstum findetauptsächlich in den Entwicklungsländern statt –, heutenur noch“ 26 Prozent arme Menschen im Vergleich zu2 Prozent im Jahre 1990 gibt. Das sind immer noch vielu viele. Ich sage das aber deswegen, damit wir uns Mutachen und sehen, dass die Mittel wirken, die wir auchon deutscher Seite dank unserer Ministerin, aber auchank der Koalition, die sie beschließt, einsetzen. Jeder,em wir geholfen haben, wieder zur Schule zu gehen, je-er mit einer tödlichen Infektionskrankheit, dem wir ge-
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Dr. Sascha Raabeholfen haben, wieder am Leben teilnehmen zu können,war das wert.
Wir sollten also stolz sein auf das, was wir erreicht ha-ben.Wir sind mit Haushaltsmitteln von insgesamt 10 Mil-liarden Euro – davon fast 6 Milliarden Euro im Einzel-plan 23, im entwicklungspolitischen Haushalt – derzweitgrößte Geber weltweit. Wir haben die Quote derMittel für die Entwicklungszusammenarbeit von0,26 Prozent – diesen Wert haben wir, Frau Pfeiffer, vonder Regierung Kohl übernommen – auf 0,38 Prozent desBruttonationaleinkommens steigern können. Sicherlichwünschen wir uns alle – auch die Kollegen von derCDU/CSU –, dass wir weitere Schritte machen können.Diese sind auch notwendig.Wenn man aber nur auf die Zahlen blickt, übersiehtman leicht die Durchschlagskraft, die, wie Frau Pfeifferes gesagt hat, in den Themenfeldern liegt, die nicht nurmit Geld zu bemessen sind. Neben dem Einsatz finan-zieller Mittel haben wir das zuständige Ministerium seit1998 dahin gehend umgewandelt, dass es sich auch mitFragen der globalen Strukturpolitik beschäftigt. Daswar immer ein großes Anliegen unserer Ministerin. Sieerhebt ihre Stimme eben nicht nur auf den Fachtagungender Entwicklungspolitiker, sondern auch dann, wenn esdarum geht, bei der Welthandelsorganisation
für gerechte Handelsbedingungen zu kämpfen.Wie wir damit umgehen, dass noch Handelsbarrierenvorhanden sind, dass viele Entwicklungsländer in ersterLinie noch Rohstofflieferanten sind, wird die entschei-dende Zukunftsfrage sein. Denn es reicht doch nicht,Menschen in die Lage zu versetzen, ihre Felder zu be-stellen, wenn sie keine Möglichkeiten haben, ihre Pro-dukte auf den lokalen Märkten zu verkaufen oder sie zuexportieren. Bei aller Einigkeit, die wir als Entwick-lungspolitiker der CDU/CSU und der SPD haben, müs-sen wir darauf achten, dass nicht wieder Exportsubven-tionen auf europäischer Ebene eingeführt werden. Ichhalte auch die jetzt vorgesehenen Milchexportsubventio-nen für falsch. Eine Frage ist, ob sie direkt bezahlt wer-den sollen, wenn sie in Entwicklungsländer gehen; eswäre gut, wenn dies nicht geschähe. Aber es gibt auch ananderer Stelle Marktverzerrungen, weil Drittmärkte ge-stört werden und weil es einen Quersubventionierungs-effekt gibt, der auch wieder Märkte stören kann. In die-sem Sinne sind unsere hier im Deutschen Bundestaggefassten Beschlüsse eindeutig gewesen, und ich binauch sicher, dass wir gemeinsam dafür sorgen werden,dass die Beschlüsse von Hongkong – Frau Ministerin hatschon erwähnt, dass 2013 die Exportsubventionen fallensollen – umgesetzt werden, und zwar je schneller destobesser.
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iner solchen Argumentation sollten wir in diesemause die rote Karte zeigen.
Es ist, wie Herr Kollege Stiegler gesagt hat, makro-konomisch völlig falsch, als Exportnation zu glauben,ir könnten zusehen, wie der Rest der Welt um uns he-um zusammenbricht. Dies hätte nicht nur sicherheitspo-itische, sondern insbesondere weltweite ökonomischeuswirkungen. Wir sind darauf angewiesen, dass Men-chen nicht in Hunger und Armut leben, sondern unsererodukte kaufen und selbst etwas produzieren können.eht es den Menschen in den Entwicklungsländern gut,eht es auch uns gut. Wir sind in einer Welt miteinandererbunden und müssen über den eigenen Tellerrand hi-ausblicken.In diesem Sinne wünsche ich mir, dass wir gemein-am erkennen, dass wir in einer Welt leben, und die Mil-enniumsentwicklungsziele sachlich und engagiert errei-hen. Ich hoffe, dass wir, wenn wir im Jahre 2015arüber debattieren werden, werden sagen können, dass
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Dr. Sascha Raabewir vielleicht nicht alles erreicht haben, aber doch einengroßen Schritt vorangekommen sind.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun der Kollege Thilo Hoppe, Bündnis 90/
Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Sascha, natürlich muss man auch die Erfolge
würdigen; man sollte auch auf das halb volle Glas und
nicht nur auf das halb leere Glas schauen. Gleichwohl
vermisse ich bei der Bilanz einen lauten Aufschrei. Es
gibt bei einigen Millenniumszielen Erfolge, etwa bei
Bildung und Gesundheit, aber einen grandiosen Miss-
erfolg bei dem Millenniumsziel, die Zahl der Hungern-
den zu halbieren. Hier hilft jetzt auch nicht der statisti-
sche Trick, dass man den Anteil der Hungernden an der
Weltbevölkerung vorrechnet. Vielmehr kommt es auf die
absoluten Zahlen an: Eine Milliarde Menschen sind
chronisch unterernährt. Das ist ein historischer Höchst-
stand. Dies bedeutet, eine Milliarde Menschen, die
Schmerzen leiden und um ihr tägliches Überleben kämp-
fen. Auf diese große Herausforderung müssen wir rea-
gieren; wir dürfen sie weder schönreden noch bagatelli-
sieren.
Ich war am Montag und Dienstag auf der Welternäh-
rungskonferenz der Vereinten Nationen in Madrid.
Momentan gibt es viele Konferenzen, die diesen Titel
führen. Auch die Bundesregierung hat anlässlich der
Grünen Woche eine solche Konferenz, eine Art Joint
Venture mit der Nahrungsmittelindustrie und dem Bau-
ernverband durchgeführt und die Konferenz so bezeich-
net. Auf dieser Konferenz ist noch einmal klargeworden,
dass die internationale Gemeinschaft grandios versagt
hat und die Herausforderungen immer noch nicht wirk-
lich erkannt hat. Im Mai letzten Jahres fand ein Welter-
nährungsgipfel in Rom statt. Dort gab es große Betrof-
fenheitsbekundungen von Herrn Sarkozy und anderen.
Doch jetzt wurde vorgerechnet, dass gerade einmal
25 Prozent der Mittel, die damals zugesagt wurden, tat-
sächlich gezahlt worden sind. Es bedarf einer wirklichen
Kurskorrektur und nicht der Heuchelei, die man auf sol-
chen Konferenzen sehr häufig hören und erleben kann.
Leider kann man auf diesen Konferenzen auch viele
Scheinlösungen hören. Da wird gesagt: It’s very simple,
wir düngen die ganze Welt, wir überziehen die Welt mit
Stickstoffdünger, mit Pestiziden und Insektiziden.
Damit kann man kurzfristig vielleicht die Produktion
steigern, aber zu welchem Preis? Die Böden werden aus-
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Das sind nicht nur Schlagzeilen. Lesen Sie bitte auch
as, was uns die Fachleute in einer Anhörung im Ent-
icklungsausschuss gesagt haben. Nahezu alle Experten
aben uns gesagt: Wir brauchen jetzt eine nachhaltige
tärkung der Landwirtschaft in den Entwicklungslän-
ern, bei der die Kleinbauern in den Mittelpunkt gestellt
erden.
Eine Zwischenfrage, Herr Präsident.
Ich rufe die bestellte Zwischenfrage des Kollegen
üller auf.
Ich habe die Zwischenfrage nicht bestellt. Ich habe
ur bemerkt, dass ihm etwas unter den Nägeln brennt
nd er etwas sagen möchte.
Herr Kollege, nachdem Sie mich angesprochen ha-en, möchte ich Sie Folgendes fragen: Ist Ihnen bekannt,ass die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2030 bei abneh-ender Fläche auf circa 9 Milliarden Menschen anstei-en wird?
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Dr. Gerd MüllerIst Ihnen bekannt, dass darauf nur mit einer neuen Agrar-entwicklungspolitik und einer neuen Agrarentwick-lungskooperation mit den Staaten, in denen noch Poten-ziale vorhanden sind, reagiert werden kann? Ist Ihnenbekannt, dass wir bis zum Jahr 2030 zur Ernährung dieser3 Milliarden zusätzlichen Menschen und der 1 Milliardehungernden Menschen die Nahrungsmittelproduktionin der Welt um 50 Prozent erhöhen müssen? Können Siemir mitteilen, wie Sie die Nahrungsmittelproduktion um50 Prozent erhöhen wollen? Kennen Sie das neue Kon-zept des Bundeslandwirtschaftsministeriums zur Agrar-entwicklungspolitik?
Herr Staatssekretär, wir haben im Entwicklungsaus-
schuss vor kurzem eine Anhörung durchgeführt. Meh-
rere Experten, auch diejenigen, die von der Union be-
nannt wurden, wie beispielsweise Herr Professor
Dr. Theo Rauch, haben dargelegt, dass sich die Produk-
tion mit standortgerechten, angepassten und ökologisch
vertretbaren Anbaumethoden bei einem geringen Risiko
verdoppeln lässt. Wenn man das macht, was das Agro-
business tun will, und die Welt mit Stickstoffdünger, mit
Hochleistungssaatgut, mit gentechnisch verändertem
Saatgut überzieht, lässt sich die Produktion verdreifa-
chen oder sogar verfünffachen, aber auch das Risiko
wäre 50 Prozent höher. Die Folgen wären ausgelaugte
Böden und große ökologische Schäden. Damit würden
wir dem Ziel, Ernährungssicherheit zu erreichen, einen
Bärendienst erweisen.
– Aber gerne. Wir können den Fachaustausch gern weiter
vertiefen.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu dem Schlagab-
tausch über die Pressemitteilungen gestern zwischen
FDP und Union sagen. Die Intervention von Herrn
Niebel wurde hier schon von mehreren Rednern er-
wähnt. Ich finde auch die Antwort der Union bezeich-
nend. Der FDP wurde gesagt: Ja, aber das, was man in
die Entwicklungszusammenarbeit investiert, kommt
doppelt und dreifach zurück und dient unserer Export-
industrie.
Was ist denn das für eine Begründung? Was für ein
Bild haben Sie von den Bürgerinnen und Bürgern in un-
serem Lande? Ich bekomme E-Mails und Anrufe von
Menschen, die sagen: Wir bekommen schon Albträume,
wenn wir uns die 1 Milliarde Hungernder vorstellen. –
Wir wollen, dass denen geholfen wird. Wir wollen nicht,
dass man Entwicklungshilfe damit begründen muss, dass
das Zweifache und Dreifache zurückkommt und wir
letztendlich daran verdienen. Das kann in einzelnen Fäl-
len ein positiver Nebeneffekt sein; aber das ist doch
keine Motivation dafür, Solidarität und Gerechtigkeit an-
zustreben und den Ärmsten der Armen zu helfen.
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Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Klimke,
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebeolleginnen und Kollegen! Es ist mehrfach zitiert wor-en: 1 Milliarde Menschen muss vermutlich künftig un-er Hunger leiden. Was müssen wir aufgrund unsererlobalen und unserer sozialen Verantwortung tun, umegenzusteuern? Wir brauchen eine konsequente Mittel-rhöhung; das ist hier ziemlich einvernehmlich. Wirüssen auch die Rahmenbedingungen unserer themati-chen Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländernerändern.Das gilt aus meiner Überzeugung insbesondere füren Bereich, der sehr entwicklungsrelevant ist, nämlichür die nachhaltige Wirtschaftsförderung in unserenartnerländern. Leitlinie unserer Philosophie muss sein,ass Wirtschaftswachstum der einzige Schlüssel zuronsequenten Armutsbekämpfung in den Entwicklungs-nd Schwellenländern ist.
eshalb streben wir in der CDU/CSU im Rahmen unse-er entwicklungspolitischen Strategie an, mehr Rechts-nd Investitionssicherheit zu entwickeln, mehr Infra-truktur zu gewährleisten, die Energieentwicklung vo-anzutreiben und vor allen Dingen den Mittelstand stär-er zu berücksichtigen. Dabei lautet unser vorrangigesiel, Wirtschaftswachstum in den Entwicklungs- undchwellenländern so zu gestalten, dass es direkte Effekteuf die Armutsbekämpfung hat.
as heißt, die Menschen müssen direkt davon profitie-en, zum Beispiel durch gerechtere Steuer- und Abga-ensysteme. Pflicht ist eine Refinanzierung des Wirt-chaftswachstums; es muss in der Bevölkerung spürbarein.Ziel unserer Politik der Entwicklungszusammenarbeituss sein, wirtschaftliche Kompetenz in Entwick-ungsländer zu vermitteln, dort regionale Märkte auf-ubauen und mittelständische Strukturen zu entwickeln,odass diese Partnerländer dann vielleicht künftig in derage sind, ohne die Unterstützung der Entwicklungszu-ammenarbeit selbstständig zu wirtschaften. Notwendigind also die Stärkung der regionalen Märkte durch ei-en Know-how-Transfer sowie die Schaffung von Ar-eitsplätzen vor Ort durch eigene Leistungsfähigkeit.Das fängt bei der von der Ministerin angesprochenenikrofinanzierung und der Mikroversicherung gerade
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Jürgen Klimkeim ländlichen Raum an und geht damit weiter, dass dieEntwicklungspolitik in Zukunft insbesondere für dendeutschen Mittelstand einen Rahmen für wirtschaftli-che Betätigung in den Entwicklungsländern bietenmuss. Das heißt, die deutschen Kammern müssen nochintensiver einbezogen werden, und andere privatrechtli-che wirtschaftliche Organisationen müssen dabei helfen,die Grundstrukturen für einen Aufschwung in den Part-nerländern zu legen. Hierbei spielt auch die Frage derBildung und Ausbildung eine Rolle, zum Beispiel imZusammenhang mit der beruflichen Bildung, mit demdualen System, das weltweit nachgefragt ist und das wirstärker fördern sollten.
Ein weiterer Kernaspekt ist, dass MittelständlerRisikofinanzierungen brauchen.
Hier hat die staatliche Unterstützung eine wichtige Rollezu spielen, vor allem durch die DEG und durch dasBMZ, das nach unserer Auffassung die wirtschaftlicheEntwicklungszusammenarbeit – so heißt das Ministe-rium ja auch – mit den Entwicklungsländern stärker ko-ordinieren und steuern sollte, natürlich immer auf Au-genhöhe mit den Ländern.
Meine Damen und Herren, es ist nach wie vor so, dasssich mittelständische Unternehmen mit Investitionen inEntwicklungsländern schwertun. Nicht wenige laufenGefahr, sich zu überheben. Eine Konzentration der staat-lichen Unterstützung auf den Mittelstand ist deswegenvorrangig. Die Entwicklungsorientierung der Wirtschaftist jedoch auch Voraussetzung für derartige Ansätze.Wie schaffen wir das? Mit mehr Transparenz und Un-terstützung der deutschen Unternehmen bei internationa-len Ausschreibungen, damit sie sich daran noch intensi-ver und erfolgreicher beteiligen und dann in denEntwicklungsländern investieren können.
Herr Kollege.
Es ist wichtig, dass die KfW und die GTZ ihren Fokus
auf die Infrastrukturentwicklung legen. Die Rahmenbe-
dingungen für Auslandsinvestitionen sollten mittel-
standsfreundlicher gestaltet werden.
Herr Kollege, ich glaube, Sie haben die Uhr nicht
richtig im Blick.
Ich komme zum Ende, Herr Präsident.
Die wirtschaftliche Zusammenarbeit im BMZ sollte
erweitert werden. Eines muss allerdings klar sein – das
möchte ich betonen –: Der Schlüssel für die erfolgreiche
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Gabriele Groneberg ist die nächste Rednerin für die
PD-Fraktion.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnennd Kollegen! Ich will mich mit zwei Bereichen be-chäftigen, die von der Ministerin angesprochen wordenind, von allen anderen Kolleginnen und Kollegen, dieisher gesprochen haben, aber nicht. Es handelt sich umwei Themen, die zur Erreichung der acht Millenniums-iele von großer Bedeutung sind. Sie finden in der For-ulierung jedes einzelnen Ziels ihren Niederschlag, las-en sich unter der Überschrift „Sicherung derkologischen Nachhaltigkeit“ allerdings auch direkt Zielieben zuordnen.Herr Koppelin, es geht nicht nur um die Finanzkrisezw. um Finanzthemen, sondern auch um das Erreichener Millenniumsziele. Dafür sind Wasser und Energienabdingbar notwendig.
enn beides nicht bzw. nicht in ausreichendem Maßeorhanden ist, wird man die Millenniumsziele auch iminblick auf die anderen Vorhaben nicht erreichen. Dassasser die Grundlage ist, um leben, ja überleben zu kön-en, brauche ich nicht weiter zu erläutern; ich denke, dasst jedem klar. Geht es aber um Abwässer und Fäka-ien, die zwangsläufig auch anfallen, ist die Sache schonine andere.Weltweit haben 42 Prozent der Menschen keine ange-essene Toilette. Es ist nicht nur so, dass eine einiger-aßen hygienische Verrichtung der Notdurft zur Ach-ung der Menschenwürde gehört. Ebenso gravierendind die Auswirkungen fehlender Siedlungshygiene undehlenden Abwassermanagements. In den Ländern, inenen diese notwendigen Dinge fehlen, sind Krankhei-en und verseuchtes Trinkwasser an der Tagesordnung.ie stellen für die Entwicklung der betroffenen Länderin gravierendes Hindernis dar. Ich erinnere an diesertelle nur an die Choleraepidemie in Simbabwe.Der gesicherte Zugang zu Energie ist ebenfalls einnerlässliches Element im Kampf gegen die Armut undbenso wichtig wie der Zugang zu Wasser. Man mussissen, dass weltweit 1,6 Milliarden Menschen keinenugang zu elektrischer Energie haben. Diese Situationu ändern, ist eine zentrale Voraussetzung, um die Le-ens- und Produktionsbedingungen in den Entwick-ungsländern zu verbessern. Das Vorhandensein von
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Gabriele GronebergEnergie ist für die Stabilität eines Landes und einerVolkswirtschaft bedeutsam und beeinflusst in erhebli-chem Maße nicht nur die Lebensverhältnisse der Men-schen, sondern wirkt sich auch positiv auf das von HerrnKlimke erwähnte Wirtschaftswachstum aus.Ohne erneuerbare Energien werden wir nicht nur anunserem Ziel, für alle Menschen Energie bereitzustellen,scheitern. Ohne nachhaltige Energieerzeugung und auf-grund der daraus folgenden klimapolitischen Sündenwürden wir uns buchstäblich auch unserer eigenen Le-bensgrundlagen berauben. Unsere Entwicklungszusam-menarbeit hilft den Entwicklungs- und Schwellenländern,ihren Zugang zu nachhaltiger Energie sicherzustellen undsich aktiv am Klimaschutz zu beteiligen.Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einigeAusführungen zur Nutzung von Biomasse machen. DieDimension, die die Nutzung von Biomasse hat, wird da-ran deutlich, dass allein in Subsahara-Afrika 547 Millio-nen Menschen – Tendenz steigend – ohne Zugang zurStromversorgung leben. Diese Menschen müssen60 Prozent ihres Primärenergiebedarfs durch die Nut-zung herkömmlicher Biomasse decken. 80 Prozent die-ser Biomasse sind Holz. Dies verstärkt die Abholzungder Wälder – mit verheerenden Folgen für Mensch, Um-welt und Klima. Das Einatmen des Qualms, der entsteht,wenn das Holz in den engen Hütten verbrannt wird, führtzu enormen Gesundheitsschäden. Wir können dem wirk-sam begegnen, indem wir dafür sorgen, dass effizienteund emissionsarme Kochherde benutzt werden. Mit die-sem einfachen Mittel kann man die Menschen in dieLage versetzen, ihre Gesundheit, das Klima und die Bio-diversität vor Ort zu schützen.Aber auch andere Nutzungen von Biomasse sind inte-ressant. Ich nenne nur die Stichworte Biogas und – mitt-lerweile ein Reizwort – Biosprit. Was abstrakt klingenmag, wird konkret, wenn man den Bogen dazu schlägt,wie wir in Deutschland Biomasse als Beitrag zu einerklimafreundlichen Energieversorgung nutzen. Mit derBeschränkung auf die Gegenüberstellung von „Tank“und „Teller“ wird die Konkurrenz bei der Nutzung vonBiomasse polemisch zugespitzt. Doch die Nutzung vonBiomasse hat viele Facetten, sie birgt sowohl für die In-dustrieländer als auch für die Schwellenländer und fürdie Entwicklungsländer Chancen wie Risiken:Einerseits führt die Zunahme der Biomasseimporteaus Schwellen- und Entwicklungsländern zu steigendenExporterlösen. Das ist wünschenswert. Die Produktionvon Biomasse kann zu einer Erhöhung der Wertschöp-fung und der Beschäftigung im ländlichen Raum beitra-gen. Landwirtschaft kann sich wieder lohnen. Damitsind Chancen zur Verminderung der Armut verbunden.Andererseits ist die Produktion von Biomasse mit Ri-siken im ökologischen und im sozialen Bereich verbun-den. Es stellen sich die Frage des Schutzes der Biodiver-sität und die Frage der Klimarelevanz der Produktionvon Biomasse. Allein die Umwandlung natürlicher Öko-systeme in Anbauflächen setzt erhebliche Mengen anTreibhausgasen frei. Ferner hat sich bereits gezeigt – unddas dürfen wir nicht negieren –, dass der Anbau vonEnergiepflanzen, weil er in Konkurrenz zu einem AnbauvNkRDmzmgsBdfJoEzfAhoIedDJMirrmDbMbPnBketkC
as betrifft alle Teile der Bevölkerung, nicht nur die Ar-en.Um Fehlentwicklungen bei der Nutzung von Biomasseu vermeiden, brauchen wir ein Zertifizierungssystem,it dem Nachhaltigkeit bei Anbau und Produktion sicher-estellt wird. Wir wollen unserer Verantwortung in die-em Bereich nachkommen und arbeiten deshalb an eineriomasse-Nachhaltigkeitsverordnung, in der wir Anfor-erungen für die Nutzung von Biomasse in Deutschlandestlegen. Ich hoffe, dass diese Verordnung noch diesesahr in Kraft treten kann und dass der Inhalt dieser Ver-rdnung EU-Standard wird.
s ist wichtig, dass die Standards, die wir für die Nut-ung von Biomasse in Europa mithilfe wirksamer Zerti-izierungssysteme festlegen werden, auch internationalnwendung finden können. Mir ist klar, dass es bis da-in noch ein weiter Weg ist. Aber ich habe gute Gründe,ptimistisch zu sein. Die Gründungskonferenz dernternationalen Agentur zur Förderung der Erneu-rbaren Energien, kurz: IRENA, ist ein gutes Beispielafür. Die Idee zu dieser Initiative ist maßgeblich hier imeutschen Bundestag geboren worden. Es hat einigeahre gedauert, bis man so weit gekommen ist; aber amontag sind 75 Staaten dieser Initiative beigetreten. Dasst ein Zeichen, dass, wenn sich alle einig sind, viel er-eicht werden kann. Das gilt genauso für die Zertifizie-ung von Biokraftstoffen oder andere Formen von Bio-asse.
ie Internationale Agentur zur Förderung der Erneuer-aren Energien wird zum Erreichen von Ziel sieben derillenniumserklärung – ökologische Nachhaltigkeit –eitragen. Deutschland kann also Motor sein für eineolitik, die Vorbild ist, die Möglichkeiten in Anspruchimmt, die Vorzeigefunktion hat. Wenn wir in unserenemühungen nicht nachlassen, werden wir eines Tageseine Erste, Zweite und Dritte Welt mehr haben, sondernine Welt, eine Welt, für die alle zusammen Verantwor-ung tragen. Dieser Aspekt ist mir heute manchmal zuurz gekommen.
Nächster Redner ist der Kollege Hartwig Fischer,DU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Ministerin, Sie haben das Thema UNICEF und dieMüttersterblichkeit angesprochen. Ich will das noch ein-mal ergänzen.Wir alle wissen, dass täglich 30 000 Kinder auf dieserWelt aufgrund von Armut, schlechtem Wasser, Hungerund Ähnlichem sterben. Ich bin mit Ihnen darin absoluteinig und dankbar dafür, dass der Bundespräsident die-ses Thema immer wieder zum Schwerpunkt macht, aberich ziehe andere Schlüsse als Ihre Fraktion daraus undunterstütze diesen Bundespräsidenten deshalb auch beiseiner nächsten Wahl.
Zum Anspruch und zur Haushaltswirklichkeit derEntwicklungspolitik. Ich finde es gut, dass die Kolle-ginnen und Kollegen eben von dem Aufwuchs seit 1998gesprochen haben, aber die 50 Prozent Aufwuchs hat esin den letzten drei Jahren gegeben.
Deshalb kann man, wenn man die Zeit ab 1990 betrach-tet, natürlich auch Stagnation feststellen.Frau Ministerin, es gibt einen Punkt, den ich doch kri-tisieren möchte, weil ich glaube, dass dadurch nur Vorur-teile bedient werden. Sie haben das Thema Banken unddie Bankenbürgschaften angesprochen. Das ist etwas an-deres, als Barmittel zur Verfügung zu stellen. Wir habenalle gemeinsam – auch Sie im Kabinett – diesem Schirmzugestimmt, weil wir wissen, dass er dringend notwen-dig ist. Das kann man nicht im Verhältnis zu den Barmit-teln sehen, die wir im Entwicklungshaushalt brauchen.
Ich bin absolut mit Ihnen darin einig, dass wir auch inZukunft Aufwüchse brauchen. Dazu gehört aber auch– wir sind einer der größten Zahler in der Entwicklungs-community und in den internationalen Organisationen –,dass wir zukunftsorientierte Organisationen brauchen;dazu gehört IRENA, darüber besteht gar kein Zweifel.Ich bin jedoch der festen Überzeugung, dass wir Paral-lelstrukturen abbauen müssen.Es gibt erhebliche Parallelstrukturen im Bereich derinternationalen Organisationen, zum Beispiel im Ge-sundheitswesen. Dadurch werden Mittel verschleudert.Hiergegen müssen wir gerade in schwierigen ZeitenSpeerspitze sein, damit die Mittel effektiver eingesetztwerden können.
Liebe Kollegin Koczy, weil Sie wieder das Thema Ti-cket Tax angesprochen haben,
möchte ich Sie doch noch einmal kurz fragen: Haben Siegar nicht gemerkt, dass das eine olle Kamelle ist unddass es inzwischen einen Emissionshandel gibt, bei demein ganz anderer Aufwuchs zu verzeichnen ist, sodassewDkdlsuigigtvgwhgtudpawn3MaKtmdgRmwrvddId
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie können sichenken, dass ich mein Spezialthema Kongo – der Kol-ege Ruck hat das Thema Frieden angesprochen – an-preche, wenn ich am Rednerpult stehe.Frau Ministerin, Sie sind mit uns im Kongo gewesennd haben danach gesagt: Wir legen einen Friedensfondsm Umfang von 50 Millionen Euro auf. – Das ist für eineewisse Zeit leider blockiert worden – nicht durch Sie;ch will das nicht vertiefen –, aber jetzt steht er zur Verfü-ung. Die Ersten, die mit dafür sorgen, dass Infrastruk-urmaßnahmen durchgeführt werden, sind jetzt dort.Nachdem wir die Wahl begleitet haben, Herr Lubangaor dem Internationalen Gerichtshof wegen Verbrechenegen die Menschlichkeit und gegen Kinder angeklagturde und Herr Nkunda durch Ruanda verhaftet wurde,aben wir jetzt im Augenblick nach meiner Überzeu-ung ein kleines Zeitfenster für den Frieden. Frau Minis-erin, ich bitte Sie – ich werde auch unsere Kanzlerinnd den Außenminister noch einmal darum bitten –, dassie europäischen Geber jetzt gemeinsam einen Schwer-unkt im Ostkongo setzen.Ich will noch einmal sagen, wie dieser Schwerpunktussehen muss:Punkt 1. Wir werden dort keinen Frieden schaffen,enn Rechtsstaatlichkeit nicht hergestellt wird. Es nütztichts, wenn es Gerichte gibt, bei denen der Präsident0 Dollar verdient, aber Leute verurteilen muss, die imonat durch Schmuggel und Ähnliches 10 000 Dollaruf die Seite schaffen und dann versuchen, sich durchorruption freizukaufen. Wir brauchen also eine funk-ionierende Justiz und Polizei sowie das Militär. Hierüssen wir uns als Europäer gemeinsam anstrengen.Punkt 2. Wir können das nicht nacheinander tun, son-ern hier muss man jetzt im Interesse des Friedens in demesamten Bereich der Großen Seen – Uganda, Burundi,uanda und insbesondere Ostkongo – die Infrastruktur-aßnahmen umsetzen: Straßen, Schulen, Gesundheits-esen.Wir müssen auch das gemeinsam fortsetzen, was be-eits angefangen worden ist, nämlich die Zertifizierungon Rohstoffen, die seit zehn Jahren in Botswana wun-erbar funktioniert. Sie bringen die Wertschöpfung inen eigenen Haushalt ein und können die Mittel dann fürnfrastrukturmaßnahmen nutzen.
Wir brauchen auch ein ökonomisches Netzwerk, so-ass wir ihnen durch deutsche Unternehmen und mit
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Hartwig Fischer
PPP-Projekten gemeinsam helfen können. Das müssenwir dort partnerschaftlich vereinbaren. Wir können dortbeim Einsatz der Mittel auch zwischen Ituri und Südkivuunterscheiden, da wir sehen, dass es dort nicht mehr denUmfang an Korruption wie bei dem Gouverneur inNordkivu gibt. Dann merken die Menschen, dass es sichfür sie auszahlt, in den Provinzen, die ich eben genannthabe, eine Regierung zu unterstützen.Das heißt, wenn wir jetzt nicht halbherzig vorgehen,sondern mit der internationalen Gemeinschaft gemein-sam handeln, dann können wir in Afrika ein Signal fürdiesen wichtigen Bereich setzen. Ich befürchte aber, dasswir weiter in die internationalen Haushalte einzahlen.Dieser Bürgerkrieg im Ostkongo kostet jedes Jahr al-lein für den Militäreinsatz MONUC über 1,2 MilliardenEuro, an denen wir mit fast 10 Prozent beteiligt sind.Wenn wir dauerhaft Frieden schaffen könnten, dannkönnte man diese Summe langsam, aber sicher herunter-fahren und gleichzeitig Kapazitäten freisetzen, die inDarfur oder in Somalia zur Unterstützung von AMISOMgebraucht werden, wo derzeit nur 2 400 von 8 000 Stel-len der Friedenstruppe besetzt sind.Ich glaube, wir haben die Chance zu friedenschaffen-den Maßnahmen. Wir müssen sie nur gemeinsam mitden anderen europäischen Ländern ergreifen.
Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat das Wort die
Kollegin Bärbel Kofler für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! In dieser Debatte war viel von Haushaltsmitteln undihrer internationaler Verwendung die Rede. Manchmalgeht es in der Diskussion auch darum, dass Haushalts-mittel angeblich falsch eingesetzt werden. Das bin ichmittlerweile wirklich leid, weil es in der Öffentlichkeitein falsches Bild auf die Entwicklungspolitik wirft undso getan wird, als hätten wir als Entwicklungspolitiker,aber auch die Ministerin und das Ministerium ein Inte-resse daran, Steuermittel falsch einzusetzen. Darum gehtes aber nicht. Das möchte ich anhand von einigen Punk-ten deutlich machen, die auch heute genannt wordensind.Das Thema Landreform ist angesprochen worden.Wofür verwenden wir Haushaltsmittel? Sie fließen zumBeispiel in die Finanzierung der Haushalte der entspre-chenden Staaten. Wir unterstützen den Aufbau von Jus-tizsystemen und die Durchführung von Landreformen,zum Beispiel in Ghana, indem Mittel in den ghanaischenHaushalt hineinfließen. Ich glaube, das sind wichtigeBeiträge zur Strukturpolitik. Es ist richtig – KollegeRaabe hat es angesprochen –: Entwicklungspolitik istStrukturpolitik.
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Noch sind wir in einer Situation, in der weltweit00 Millionen Menschen jährlich wieder in Armut zu-ückfallen, weil sie aufgrund von Erkrankungen der ei-enen Person oder innerhalb ihrer Familien Verdienst-usfälle haben, ihre Arbeit nicht ausüben können und ihrieh bzw. ihre Lebensgrundlage verkaufen müssen.ass das nachhaltiger Armutsbekämpfung und allen Zie-en, die heute genannt wurden, entgegensteht, ist sicher-ich für jeden ersichtlich. Das bedeutet aber auch, dassir das tun müssen, was wir zum Beispiel in Ruanda ge-acht haben: Dort haben wir uns mit der Regierung zu-ammengesetzt und gemeinsam Pläne entwickelt, wieachhaltig Einkommen in den Ländern generiert undteuersysteme aufgebaut werden können. Nebenbei be-erkt: Dank der viel gescholtenen Budgethilfe werdenn Ruanda Steuersysteme aufgebaut. Das hat dazu ge-ührt, dass sich die Steuerquote in Ruanda in den letztenehn Jahren versechsfacht hat.
Diese Gelder sind dann aber auch für nachhaltige Ar-utsbekämpfung einzusetzen, zum Beispiel für denufbau von Krankenstationen, für die Unterstützung des
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Dr. Bärbel KoflerGesundheitswesens, für die Schaffung von Zugängen fürdie Bevölkerung zum staatlichen Versicherungswesenund für die Einführung von Dezentralisierung.Diesen richtigen Ansatz wollen und müssen wir wei-terhin verfolgen und unterstützen. Der Antrag mit derForderung, soziale Sicherungssysteme auszubauen, istdeshalb sehr gut. Die Internationale Arbeitsorganisation,ILO, bescheinigt uns, dass dieser Antrag einen machba-ren und finanzierbaren Ansatz enthält und maßgeblichzur Bekämpfung der Armut in der Welt beitragen würde.Ich bin sehr dankbar, dass das BMZ nicht nur entspre-chende Mittel, sondern auch Personal und Logistik zurVerfügung stellt. Wir haben alle im Ausschuss gehört,dass das Ministerium dieses Thema in den entsprechen-den Regierungsverhandlungen prominent vertritt undsich dafür einsetzt.
Ich glaube, wir alle im Haus sind uns beim ThemaBildung einig. In dem entsprechenden Antrag dazu wirddie nachhaltige Entwicklung unterstützt und aufgezeigt,dass wir hier in den nächsten Jahren noch viel tun müs-sen. Es ist nach wie vor so, dass weltweit 77 MillionenKinder keinen Zugang zu Bildungssystemen, keinen Zu-gang zu Schulen haben. Wie im UNESCO-Weltbil-dungsbericht vom letzten Jahr ausgeführt wird – auchdieses Thema müssen wir angehen –, ist für die Herstel-lung von Chancengleichheit die weltweite Abschaffungvon Schulgebühren nötig. Daran zu arbeiten und dazubeizutragen, dass die Primärschulausbildung für die Kin-der kostenfrei ist, muss unser aller Anliegen sein.
Wer Bildung stärkt, stärkt damit natürlich alle von Ar-mut Betroffenen und insbesondere die Frauen. Damitwird ein entscheidender Beitrag zur Bekämpfung vonArmut und Hunger sowie zum nachhaltigen Aufbau vonfriedlichen Strukturen geleistet. Man muss sich einmalansehen, wie man mit einem qualitativ verbesserten Bil-dungswesen Partizipation und gesellschaftliche Teilhabestärken kann. Ich habe das letztes Jahr auf meiner Reisein den Ostkongo erlebt. Wir haben dort bereits vieles inAngriff genommen, aber es ist noch sehr viel zu tun. Werdie Bilder der letzten Wochen gesehen hat, dem ist dasbewusst geworden.Wir haben aber auch begonnen, partizipativen Unter-richt zu unterstützen, gesellschaftliche Teilhabe vonKindern zu fördern und damit auch einen Beitrag zurÜberwindung von Kriegsfolgen und Kriegstraumata zuleisten. Dazu gehört auch die Arbeit – das möchte ich andieser Stelle ausdrücklich loben und erwähnen – des Zi-vilen Friedensdienstes. Die von uns entsandten Entwick-lungshelfer leisten in den Krisenregionen unter hohempersönlichen Einsatz und Risiko hervorragende Arbeit.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.
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ber über wichtige Themen zur Weiterentwicklung der
rmutsbekämpfung sprechen will. Es bleibt im Bereich
ildung viel zu tun. Leider habe ich nicht mehr die Zeit,
m auf die Qualität der Lehrerausbildung, auf unser ge-
teigertes Engagement in der Grundbildung, die berufli-
he Bildung und die vielen Hochschulpartnerschaften
inzugehen, die hier tolle wissenschaftliche Transferleis-
ungen erbringen.
Ich möchte mich noch einmal für das Engagement
nd die Arbeit aller Beteiligten, auch des Ministeriums,
n den letzten Jahren bedanken. Ich wünsche mir eine
ontinuierliche Fortsetzung dieser Arbeit und auch kon-
inuierlich aufwachsende Haushaltsmittel.
Danke.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufrucksache 16/10038 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie ein-erstanden. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 4 sowie Zu-atzpunkt 2 auf:4 Beratung des Antrags der Abgeordneten BrigittePothmer, Markus Kurth, Britta Haßelmann, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENGerechtigkeit und Chancen statt Ausgrenzungund Armut– Drucksache 16/11755 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und SozialesP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten KlausErnst, Dr. Lothar Bisky, Dr. Martina Bunge, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKESozialen Absturz von Erwerbslosen vermeiden– Vermögensfreigrenzen im SGB II anheben– Drucksache 16/11748 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
HaushaltsausschussEs ist verabredet, hierzu eineinhalb Stunden zu debat-ieren. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist daso beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demollegen Markus Kurth für Bündnis 90/Die Grünen.
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Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir befinden uns in der größten Wirtschafts-krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Es ist nicht verwegen,anzunehmen, dass das, was noch als konjunkturelleKrise begriffen wird, den Auftakt eines tiefgreifendenund langanhaltenden Strukturwandels darstellen wird.Es ist die historische Verantwortung dieses Hauses, die-sen Strukturwandel zu gestalten und mitzubestimmen.Immerhin hat sich – außer bei der FDP – die Erkenntnisdurchgesetzt, dass die vielbeschworene unsichtbareHand des Marktes ungezügelt durchaus in der Lage ist,ganze Volkswirtschaften zu erwürgen. Eine Summe vongut 80 Milliarden Euro, wie in den beiden Konjunktur-paketen vorgesehen, böte die Chance, den Umbau hin zueiner ökologischen Wirtschaft und sozial gerechterenWissensgesellschaft einzuleiten. Vor allem aber bötesich die Chance, eine der größten Wachstumsbremsendieses Landes aufzulösen, nämlich die verfestigte sozialeSpaltung und die in den letzten Jahren verschärfte sozialeAusgrenzung ganzer Bevölkerungsschichten.
Vielleicht wundert es manchen, dass ich von Armutund Arbeitslosigkeit als Wachstumsbremse spreche.Doch ich finde, es lohnt sich, das Phänomen Armut untervolkswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu betrachten;denn dauerhafte Armut ist teuer, und das nicht nur we-gen der Kosten für das Arbeitslosengeld II und ebenfallsnicht nur wegen der Folgekosten von Armut, etwa auf-grund der steigenden Zahl psychischer Erkrankungen ar-mer Menschen. Viel schwerer wiegt, dass diese Gesell-schaft auf die Potenziale von Millionen Menschenverzichtet, ja diese geradezu missachtet. Diese Vergeu-dung droht sich fortzusetzen. Wer von dem engen Zu-sammenhang zwischen Einkommensarmut und Bil-dungsabschluss weiß, der muss angesichts von 2,5 Mil-lionen armen Kindern und Jugendlichen in diesem Landauf das Äußerste alarmiert sein.
Vor dem Hintergrund des zu erwartenden Struktur-wandels ergibt sich geradezu die Verpflichtung im Rah-men der Konjunkturprogramme, den Umbau hin zurökologisch wirtschaftenden Wissensgesellschaft eng mitoffensiver Armutsbekämpfung zu verbinden.
Investitionschancen gibt es reichlich. Allein im Bil-dungssektor fehlen in Deutschland 23 Milliarden Euro,um wenigstens den Durchschnitt der OECD-Länder zuerreichen. Es gibt ebenfalls reichlich Chancen, schnellwirkende konjunkturelle Maßnahmen zu ergreifen undgleichzeitig soziale Notlagen zu verringern. Die sozial-politisch längst überfällige Anhebung des Arbeitslosen-geldes II auf 420 Euro würde beispielsweise die Binnen-nachfrage unmittelbar um 10 Milliarden Euro erhöhen.
Was aber tut diese Regierung? Hat sie erkannt, dass eswohl nicht reichen wird, eine Abwrackprämie für Alt-autos aufzulegen, um die Zukunftsbranche Schrotthan-dsLn1sdtednaaGgWzrsEdaEsfnddASrnDsEtddRSNEzPR
m peinlichsten ist jedoch, dass jetzt Bundesministercholz, sekundiert von Ludwig Stiegler, erklärt, die Ge-ichtsentscheidung träfe sich gut mit der Einführung dereuen Altersklasse; denn jetzt seien die Mängel behoben.em Bundesrat bescheiden sie dann auch so nebenbei,ie hätten jetzt seiner Aufforderung Rechnung getragen.ine solche Sicht der Dinge ist geradezu unverfroren.
Ein weiteres Beispiel für die falsche Verteilungspoli-ik der Regierung sind die Steuersenkungen. Das Bun-esfinanzministerium selbst gibt an, dass der Großteiler Steuerentlastungen bei den Gutverdienern landet.
und 1,5 Milliarden Euro fließen an diejenigen, die dempitzensteuersatz unterliegen, während Bezieher voniedrigeinkommen gerade einmal um 150 Millionenuro entlastet werden. Diese Schieflage ist nicht nur so-ial ungerecht, sie ist auch ökonomisch blanker Unsinn.
eer Steinbrück selbst hat gestern auf meine Frage in deregierungsbefragung geantwortet – ich zitiere –:
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Markus KurthSie haben völlig recht, dass der Massenkonsum,den man durch Steuersenkungen erreichen will,nicht befördert wird, weil die Steuerbelastung inden unteren Einkommensetagen nicht das großeProblem ist … Für die oberen Einkommensetagenist … klar belegt, dass diejenigen, die ein monatli-ches Nettoeinkommen von über 3 500 Euro haben,eine Sparquote von weit über 20 Prozent … aufwei-sen.Trotz besseren Wissens machen Sie diesen Unsinn.
Schließlich versäumt es die Koalition, die richtigen Rah-menbedingungen für eine Stärkung der Binnennachfragezu schaffen. Hierzu würde zuvörderst ein wirksamerMindestlohn gehören. Das, was Sie in der letzten Wo-che vorgelegt haben, ist mit Verlaub alles andere als eineumfassende Absicherung gegen Lohndumping.
Jetzt, so war gestern in der Zeitung zu lesen, geben Sieauch noch den Versuch auf, für die 700 000 Menschen inder Zeitarbeitsbranche einen Mindestlohn einzuführen –und das in einer Phase, in der bald krisenbedingt derLohndruck noch zunehmen wird.
Wie unzulänglich, ja geradezu kontraproduktiv dieRegierung auf die Krise reagiert, zeigt sich auch an denkleinen Dingen, von denen es einige durchaus verdienen,öffentlich gemacht zu werden. Hierzu gehört zum Bei-spiel die Vergabeordnung für Bauleistungen, die Sieneu gefasst haben. Nach den bisherigen Plänen will dasBundesbauministerium eine VOB, Vergabeordnung fürBauleistungen, in Kraft treten lassen, die es gemeinnüt-zigen Unternehmen verbieten soll, in Wettbewerb mitgewerblichen Anbietern zu treten. Das heißt, zahlreichenBeschäftigungsträgern, die sich um die Integration vonLangzeitarbeitslosen kümmern, bräche ein wichtigesGeschäftsfeld weg. Meine Damen und Herren von derRegierungskoalition, Ihre Regierung hat offenbar nichteinmal bemerkt, dass sie mit dieser Neuordnung denjeni-gen die Beine wegschlägt, die sie selbst zur Umsetzungihrer arbeitsmarktpolitischen Programme braucht.
Das geschieht zu einem Zeitpunkt, wo immerhin durchdas Konjunkturpaket wieder in größerem Umfang öf-fentliche Bauaufträge anstehen. Es sind diese Schildbür-gergeschichten, die ich mangels Redezeit gar nicht alledarstellen kann, die das ganze Ausmaß der Desorientie-rung dieser Regierung zeigen.
Die von der Bundesregierung unterlassene Armutsbe-kämpfung und die Fehlleitung von Geldern durch unsin-nige Steuersenkungen für die Falschen sind auch deshalbso bedrückend, weil die Ausgaben schuldenfinanziertsind und dadurch der künftige Spielraum für unabweis-bar notwendige Investitionen in den Bildungsbereichund in den Sozialschutz verringert wird.ssmfdadsdmCsöszgdbMGdwdIDjSleudridgbw
Der Kollege Karl Schiewerling hat jetzt das Wort für
ie CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! „Ge-echtigkeit und Chancen statt Ausgrenzung und Armut“st der Titel des Antrags von den Grünen, den wir geradeiskutieren. Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Der fol-ende Text hält nicht, was der Titel verspricht.
Die Rede, die Sie, Herr Kollege Kurth, gehalten ha-en, hat mit dem Antrag, den Sie gestellt haben, relativenig zu tun.
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Karl SchiewerlingIn Ihrem Antrag wird das Konjunkturpaket II einschließ-lich Abwrackprämie mit dem Arbeitnehmer-Entsende-gesetz und dem Mindestarbeitsbedingungengesetzverwurstelt. Dann geht es auch noch darum, sozialversi-cherungsrechtliche Regelungen von Minijobs auf Ar-beitsverträge bis zu 2 000 Euro auszudehnen und so dasbeitragsfinanzierte Solidarsystem mit steuerfinanziertenAnteilen weiter zu durchlöchern.Mit dem einen oder anderen Punkt der Anträge, diedie Grünen früher eingebracht haben, haben Sie michdurchaus – das will ich Ihnen gerne zugestehen – in ar-gumentative Schwierigkeiten gebracht. Der vorliegendeAntrag ist für mich in dieser Hinsicht eine herbe Enttäu-schung.
Sie zeigen in diesem Antrag und auch in Ihrer Redekeine einzige Lösung auf;
vielmehr beschreiben Sie die Gesamtsituation, fügen al-lerhand Dinge zusammen, ohne dass irgendwo deutlichwird, wie Sie den Menschen in dieser Situation ganzkonkret helfen wollen.
Ich greife den Titel des Antrags der Grünen auf, weilich ihn richtig finde; er deckt sich nämlich mit den Zie-len der Großen Koalition und der CDU/CSU: Gerech-tigkeit und Chancen statt Ausgrenzung und Armut. Dasist richtig; das wollen wir auch. Grundlage ist, dass jederdie Möglichkeit haben muss, mit seines Kopfes und sei-ner Hände Arbeit den Lebensunterhalt für sich und seineFamilie zu verdienen. Erwerbsarbeit ist der beste Schutz,um aus Armut herauszukommen, dieser vorzubeugenoder sich vor ihr zu schützen.Das Konjunkturpaket II, das Sie gerade so heftigkritisiert haben, will genau dies erreichen: die Wirtschaftstabilisieren, um Arbeitsplätze zu erhalten, vor allemdort, wo durch unverschuldete Einflüsse des Finanz-marktes Arbeitsplätze verloren zu gehen drohen. Andersals früher muss und wird es den Betrieben darum gehenmüssen, Fachkräfte zu halten. Deswegen haben wir ge-gengesteuert und das getan, was zwingend notwendigist, nämlich durch das Angebot von KurzarbeitergeldMenschen in Beschäftigung, zumindest am Arbeitsplatz,zu halten und durch eine Ausweitung der Qualifizierungdie Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass alle guteStartbedingungen haben, wenn es wieder aufwärts geht.
Zu nennen ist weiter die Stabilisierung des Beitrags-satzes zur Arbeitslosenversicherung auf 2,8 Prozent, umdie Lohnnebenkosten nicht weiter steigen zu lassen.Gerechtigkeit und Chancen sowie die Verhinderungvon Ausgrenzung und Armut, das beginnt bei stabilenfamiliären Strukturen. Hier werden wichtige, wennnddenztf9tflsKAsEKDmkaRlgavSMzdzndrwdwsfwaz–wgdm
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Es ist übrigens auch eine Aufgabe der Schule, für Aus-gleich zu sorgen. Ich halte das für eine wichtige Auf-gabe.Ich stimme zu, dass wir im Bereich der Bildungspoli-tik mehr tun müssen. Die PISA-Ergebnisse zeigen dieWissensdefizite auf. Es geht aber nicht nur um Wissen,sondern es geht auch um Bildung, und es geht um dieBildung, für die letztendlich im Elternhaus die Grund-lage gelegt wird. Deswegen ist es wichtig, dass wir denErziehungsauftrag der Schulen stärken und in Schulenund Schulgebäude investieren, um vernünftige Rahmen-bedingungen zu setzen.
Dennoch – ich wiederhole das –: Die Eltern tragendie Verantwortung für die Erziehung der Kinder, nichtder Staat. Es gibt Eltern, die überfordert sind und esnicht alleine schaffen. In diesem Bereich muss Hilfe an-setzen; hier muss investiert werden, um Hilfe zur Erzie-hung in den vielfältigsten Formen und Gestaltungsmög-lichkeiten, die wir heute kennen, zu gewährleisten. WennKinder ohne Frühstück zur Schule kommen, wenn esKinder gibt, die bevorzugt Fast Food essen, dann ist daskein Zeichen von wirtschaftlicher Notlage, sondern danndeutet das möglicherweise auf soziale und kulturelleSchieflagen hin.In unserem Staat gibt es viel Hilfe. Damit meine ichden Sozialstaat, das Gesundheitswesen, den Bereich derGrundsicherung, den Bereich der Kinder- und Jugend-hrdcskimWpumIudAtpdbmfKpFhgmÜDgsdsw
ch weiß, wie schwierig das ist, weil Kommunen, Bundnd Länder betroffen sind. Aber ich glaube, dass es aner Zeit ist, daran zu arbeiten.Gerechtigkeit und Chancen statt Ausgrenzung undrmut – das wollen wir von der CDU/CSU. Daran arbei-et die Große Koalition. Damit sind wir im Konjunktur-aket II ein Stück weitergekommen. Ich denke, dass dortie konkreten Hilfen verankert sind, die die Menschenrauchen, damit sie nicht in Armut geraten bzw. aus Ar-ut wieder herauskommen.Herzlichen Dank.
Der Kollege Heinz-Peter Haustein hat jetzt das Wort
ür die FDP-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Werte Zuschauer! Ist es Ihnen schon einmalassiert, dass Sie ins Kino gehen, um einen James-Bond-ilm zu sehen, doch dann kommt Biene Maja? Daranabe ich gedacht, als ich den Antrag der Grünen durch-earbeitet habe. Er ist vollkommen daneben, ein Sam-elsurium, ein wirres Durcheinander, und auch dieberschrift passt überall.
as Papier heißt: „Gerechtigkeit und Chancen statt Aus-renzung und Armut“.
Das ist ein Titel, den jeder in diesem Haus unter-chreibt. Der Vorteil einer solchen Überschrift liegt aufer Hand. Man kann damit alles überschreiben und Zu-timmung ernten. Dem Leser erschließt sich nicht, wasirklich dahintersteht.
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Heinz-Peter Haustein
Leider muss ich im Zusammenhang mit dem Antragauch an das Konjunkturpaket denken, das auch etwasdurcheinander ist. Aber das nur nebenbei.Sie haben eine Allerweltsüberschrift gewählt und kri-tisieren in Ihrem Antrag eigentlich alles, was zu kritisie-ren ist:
die Neuverschuldung, die umweltschädliche Kfz-Steuerund die Tatsache, dass Schulden für den Konsum aufge-nommen werden.Ich will auf drei Punkte eingehen. Erstens fordern SieInvestitionen in die Verkehrsinfrastruktur. Das ist inOrdnung. Schon seit Jahren legt die FDP durchdachteAnträge vor, um mehr für die Infrastruktur zu tun. DasSchienennetz muss erneuert werden, und auch für dieStraßen muss etwas getan werden. In diesem Zusam-menhang fällt mir die Bahnstrecke zwischen Berlin undDresden ein. 1934 ist man mit der DampflokomotiveBR 01 anderthalb Stunden schneller gefahren als heute.Da fällt mir ferner ein: Auf der Bundesstraße 170 vonDresden ins Erzgebirge können bestenfalls noch dieFuhrwerke fahren, für die sie damals gebaut wurde,nämlich Pferdekutschen. Sie hat immer noch die gleicheGradiente, bergauf, bergab, Kurve rechts, Kurve links.Dort wollen wir investieren. Aber gerade Sie von denGrünen verhindern mit Ihren überzogenen ideologischenForderungen einen schnellen Bau, ein sicheres, schnellesVorgehen.
Baumaßnahmen werden verzögert und verteuert.Darin liegt auch der Widerspruch in Ihrer Politik. Inder Universitätsstadt Freiberg in Sachsen soll eineOrtsumgehung gebaut werden. Da hat man vor zehn Jah-ren das letzte Mal eine Fledermaus gesehen; aber wegendieser Fledermaus müssen zunächst Gutachten erstelltwerden, und es darf nicht gebaut werden. So kann esnicht gehen. Das ist der Widerspruch in Ihrer Politik: Siefordern Infrastruktur, verhindern diese aber gleichzeitigmit überzogenen ideologischen grünen Barrieren.
Der zweite Punkt in Ihrem Antrag ist – das ist wenigs-tens ein sozialpolitischer Bezug – die Forderung nachhöheren Regelsätzen bei Hartz IV und Sozialhilfe. Be-gründet wird dies mit der Notwendigkeit, die Binnen-nachfrage zu stärken; dafür soll die Kaufkraft gefördertwerden. Nun haben die Grünen aber doch gerade in die-ssAhrShIzkFbmpDsahlüEdmddHfmLDDmdtSu
uch das ist ein Widerspruch. Diese Widersprüche zie-en sich durch Ihren Antrag wie ein roter Faden.Bei der Regelsatzerhöhung kommt es doch auf denichtigen Weg an.
ie fordern mehr Geld, fragen aber nicht, wo das Gelderkommt.
ch möchte Ihnen einmal sagen, was alles vom Staat be-ahlt wird. Jeder bekommt eine Wohnung, und jeder be-ommt die Heizkosten bezahlt; auch dann, wenn er dasenster auflässt, werden die Heizkosten voll vom Staatezahlt. Die monatliche Hartz-IV-Leistung einer Familieit zwei Kindern über 15 Jahre beträgt circa 1 600 Eurolus 439 Euro für Sozialabgaben, die der Staat bezahlt.as muss man erst einmal verdienen.
Wichtig ist eines: Wir müssen in unserem Land denozialen Frieden sichern. Jeder muss wissen, dass er hierbgesichert ist. Daran dürfen wir nicht rütteln. Dafür ste-en wir als FDP. Aber ist Ihnen schon einmal aufgefal-en, dass wir im Bundestag immer und immer wiederber das Geldverteilen reden und über die Hartz-IV-mpfänger, die das Geld bekommen, aber nicht über die,ie es erwirtschaften müssen? Auch die müssen Sie ein-al fragen. Das sind die vielen fleißigen Handwerker,ie Facharbeiter, die Beamten, die Angestellten,
ie von früh bis abends schuften und das Geld für dieartz-IV-Empfänger aufbringen. Jeder Hartz-IV-Emp-änger, der keine Arbeit bekommt, tut mir leid. Trotzdemüssen wir beide Seiten sehen. Es geht auch darum, dasohnabstandsgebot zu stärken.
enn irgendwann sind die, die arbeiten, die Dummen.azu darf es in diesem Land nicht kommen, meine Da-en und Herren.
Drittens holen Sie in Ihrem Antrag noch den Min-estlohn aus der Kiste, um die Leute mit Halbwahrhei-en zu verwirren. Wir sagen: Lohnverhandlungen sindache der Tarifparteien, nicht der Politik. Es ist wichtignd richtig, dass jeder ordentlich bezahlt wird, damit er
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Heinz-Peter Hausteinvon seiner Arbeit leben kann. Doch ein Mindestlohn,wie hier gefordert, ist ordnungspolitisch denkbar falsch.
Ist er zu hoch, vernichtet er Arbeitsplätze, ist er zu nied-rig, wirkt er nicht. Wir sehen also: Die Grünen haben inihrem Antrag wieder Dinge zusammengerührt, die nichtzusammenpassen.
Aus Zeitgründen kann ich Ihnen zu diesem Antragnur noch eines sagen: Notwendig ist eine liberale Politik,ein liberales Bürgergeldkonzept in Verbindung mit einerReform des Steuersystems, das einfach, niedrig und ge-recht gestaltet werden muss, eine Lösung aus einemGuss, die Anreize schafft. Das müssen wir machen. Wirbrauchen auch betriebliche Bündnisse für Arbeit, in de-nen Tarifpartner betriebsspezifische Lösungen findenkönnen. Wir haben Gott sei Dank unseren leistungsstar-ken Mittelstand, der Innovationen bringt.
Dort entstehen Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze,und dort müssen wir Anreize verstärken; dort müssenwir entlasten, damit Arbeitsplätze entstehen. Packen wires an! Es gibt viel zu tun. Lasst uns Deutschland erneu-ern!In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erz-gebirge.
Herr Stöckel spricht jetzt für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ange-sichts der Herausforderungen, vor denen Deutschlandsteht – auch Markus Kurth hat zu Beginn seiner Redebetont, dass es diese Herausforderungen gibt –, hättenwir erwartet, dass die Grünen in dieser 90-minütigenKernzeitdebatte einen konstruktiven Beitrag zur Über-windung der Krise leisten. Stattdessen wurde uns gesternein offensichtlich mit heißer Nadel gestrickter
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ie Grünen könnten aber auch sagen: Wir haben mit denrfolgen der Agenda 2010, auf denen die Große Koali-ion aufbauen konnte, nichts zu tun. Abbau der Arbeits-osigkeit von 5 Millionen im Jahr 2005 auf 3 Millionenm Jahr 2008? Ist gar nicht passiert. – Das ist doch – ent-chuldigen Sie den unparlamentarischen, aber zutreffen-en Ausdruck – saudumm.
as wird auch durch ständige Wiederholung nicht richti-er. Herbert Wehner hätte gesagt: Meine Damen underren, Ihre Behauptungen haben kurze Beine.Deutschland befindet sich, wie auch sehr viele andereänder, aufgrund der internationalen Banken- und Fi-anzkrise in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Esind nicht nur Hunderttausende von Arbeitsplätzen ge-ährdet, wie auch die aktuelle Statistik ausweist; viel-ehr werden die Schwächsten am härtesten getroffen,enn wir hier nicht handeln würden. Da hätte man vonen Grünen doch gerne mehr gehört. Wir müssen dieräfte bündeln, um die Folgen der Wirtschaftskrise ab-umildern, und vor allen Dingen die Basis für den nächs-en Aufschwung legen. Denn wir wollen diese Kriseicht irgendwie überstehen, sondern wir wollen gestärktus ihr hervorgehen. Das können wir schaffen.Nur mit einer starken, wettbewerbsfähigen und inno-ativen Wirtschaft können wir den Sozialstaat, Teilhabe-hancen und Verteilungsgerechtigkeit auf hohem Niveauichern. Die beschlossenen Maßnahmen sollen und wer-en dazu beitragen, dass die Konjunktur in Deutschlandieder in Gang kommt, Arbeitsplätze gesichert werdennd vor allen Dingen Qualifizierung gefördert wird. Iniesen Punkten ist sich die Fachwelt einig. Das scheintin Problem der Opposition zu sein.Natürlich setzen auch die Beschlüsse zur Absenkunges Arbeitslosenversicherungsbeitrages, zur Erhöhunges Kindergeldes, zur Einführung des Kinderbonus, zurrhöhung der Regelsätze für Kinder von 6 bis 13 Jahrennd zur Erhöhung des Kinderfreibetrages wichtige kon-unkturelle Impulse. Der Kernpunkt ist aber das staat-iche Investitionsprogramm von insgesamt rund7,3 Milliarden Euro, das direkt der kommunalen Infra-truktur und damit der Lebensumwelt der Bürgerinnen
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Rolf Stöckelund Bürger zugutekommen soll. Wer behauptet, dass dasdie Gesellschaft zunehmend spalte, der hat offensichtlichnicht verstanden, in welcher Situation gerade die Kom-munen sind, die die größten sozialen Probleme und eineschwache Infrastruktur haben.
Aus dem gemeinsamen Topf von Bund und Ländernwerden zu zwei Dritteln Investitionen in den Bildungs-bereich – das heißt in Kindergärten, Schulen, Hochschu-len und Forschung – und zu einem Drittel in die Moder-nisierung der Infrastruktur – das heißt Krankenhäuser,Städtebau, ländliche Infrastruktur und Lärmsanierung –finanziert. Von den 4 Milliarden Euro zusätzlicher Bun-desmittel wird die Hälfte, also 2 Milliarden Euro, fürAusbau und Erneuerung von Bundesverkehrswegen be-reitgestellt. Für sonstige Baumaßnahmen stehen 750 Mil-lionen Euro zur Verfügung. Diese dienen der Grundsa-nierung und der energetischen Sanierung von Gebäuden.Um zusätzliche Investitionen in die Energieeffizienzvon Gebäuden anzustoßen, haben wir bereits im erstenKonjunkturpaket die Mittel für das CO2-Gebäudesanie-rungsprogramm um 3 Milliarden Euro aufgestockt. Miteingeschlossen sind sowohl die Initiative „Wirtschafts-faktor Alter“, mit der der altersgerechte Umbau vonWohnraum durch die KfW gefördert wird, als auch derInvestitionspakt, den ich bereits angesprochen habe. Dasschafft nachhaltig mehr Barrierefreiheit, hilft auf Dauerden Kommunen, Energiekosten zu sparen, und vermin-dert die Umweltbelastung. Das haben die Grünen immereingefordert.
Herr Kurth, Sie müssten uns eigentlich einmal loben.Wir hatten gestern in der SPD-Bundestagsfraktion500 Kommunalpolitiker zu Gast und haben mit ihnenüber das Investitionsprogramm diskutiert. Es gibt sicher-lich noch Detailprobleme, die zu lösen sind. Da sind vorallen Dingen die Länder gefordert. Wir haben eine breiteund große Zustimmung bekommen. Ich glaube, Sie vonden Grünen sollten einmal selbst in den Kommunen ak-tiv werden und daran mitarbeiten, dass diese Maßnah-men möglichst schnell umgesetzt werden können.
Wir entlasten die Bürgerinnen und Bürger, die Steuer-zahler, die Beitragszahler, die Rentner, die Familien undauch die Arbeitslosen, massiv. Ein Großteil dieser Ent-lastungen ist nachhaltig, das heißt auf Dauer angelegt.Das betrifft vor allem die Steuer- und Beitragssatzsen-kungen,
etwa die Senkung des Eingangssteuersatzes bei der Ein-kommensteuer auf 14 Prozent. Bereits unter der rot-grü-nen Bundesregierung haben wir nach 1998 großeSchritte diesbezüglich getan; wir gehen diesen Weg wei-ter. Es gibt in diesem Jahr eine Entlastung um rund36wwezalhhH1bmdue1dbnvheDhtQdwumäLvlAGsbEdlVndgIdsÜ
iese Maßnahmen kosten rund 520 Millionen Euro undelfen den Geringverdienern direkt.Zu den weiteren Punkten, zur Sicherung der Beschäf-igung, zur Verbesserung des Kurzarbeitergeldes, zurualifizierung, zur Ausweitung der Mindestarbeitsbe-ingungen und zur Ausdehnung der Mindestlöhne aufeitere Branchen sowie zur Überprüfung der Bedarfend Regelsätze in den Grundsicherungen, werden sicheine Kolleginnen Hiller-Ohm und Lösekrug-Möllerußern. Sie werden auch etwas zu dem Vorschlag derinken sagen, in Deutschland eine egalitäre Vermögens-erteilung – das muss man sich auf der Zunge zergehenassen – über die Anhebung der Schonvermögen vonLG-II-Berechtigten zu erreichen.Meine Damen und Herren, die Maßnahmenpakete derroßen Koalition sind nicht nur international abge-timmt. Nein, sie sind mit den Gewerkschaften, den Ar-eitgebern und den Sachverständigen auf nationalerbene ebenso im Konsens beschlossen worden wie miten Bundesländern und den Kommunalverbänden. Wiregen Wert darauf – das zu betonen, ist in Bezug auf denorwurf, es würden Schulden zulasten kommender Ge-erationen gemacht, wichtig –, dass die höhere Verschul-ung, die dazu notwendig ist, durch eine absehbare Til-ung in besseren Zeiten abgebaut wird, dass dienvestitionen nachhaltig sind und das Ziel der Konsoli-ierung der öffentlichen Haushalte nicht aufgegeben,ondern angestrebt wird. Wir Sozialdemokraten sind imbrigen zu Recht stolz darauf, dass wir unsere Vor-
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Rolf Stöckelschläge in der Großen Koalition in hohem Maße durch-setzen konnten.Meine Damen und Herren von den Grünen, in einerZeit großer Herausforderungen, in der es auch gilt, inkritischer Solidarität zusammenzustehen, stellt Ihr An-trag den kläglichen Versuch dar, ein oppositionelles, par-teitaktisches Ritual krampfhaft durchzuhalten. Das wirdIhnen nicht nützen, sondern schaden. Wir lehnen IhrenAntrag ab. Das ist kein Rettungsschirm für die Opposi-tion.Herzlichen Dank.
Klaus Ernst spricht jetzt für die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Wieder einmal reden wir im Deutschen Bundes-tag über die Hartz-Gesetze. Die Grünen legen einen An-trag vor, der unter anderem beinhaltet, den Regelsatz auf420 Euro zu erhöhen. Meine Fraktion möchte die Ver-mögensfreigrenzen im SGB II auf 20 000 Euro erhöhen.Wir versuchen hiermit, kleine Verbesserungen an einemgroßen Murks durchzusetzen, den allerdings auch dieGrünen – das kann ich ihnen nicht ersparen – mitzuver-antworten haben.
Denn sie haben den Hartz-Gesetzen genauso zugestimmtwie die SPD.Meine Fraktion bleibt dabei: Hartz IV muss weg.
Fast die Hälfte aller Klagen von Betroffenen vor deut-schen Gerichten endet mit dem Erfolg der Kläger. Sieklagen gegen Leistungskürzungen. Sie klagen gegenWillkür in den Bewilligungsbescheiden. Sie klagen fürschnelle Hilfe, die versagt blieb, obwohl die Heizung ab-gestellt wurde, und für vieles andere mehr. Das Gesetzerlaubt bürokratische Schikanen und schreibt Verwal-tungsexzesse vor.Es kann ja sein, dass Sie den Eindruck haben, was wirhier vortragen, sei relativ egal. Aber vielleicht hören Sieeinmal auf die Presse. Herr Prantl schrieb gestern in derSüddeutschen Zeitung:Das „Gesetz über die Grundsicherung für Arbeits-suchende“, so der amtliche Titel des Hartz-IV-Ge-setzes, ist eine gesetzgeberische Katastrophe ...Dafür sind Sie verantwortlich.
Es ist eine Katastrophe für alle Betroffenen, die auf-grund von Schikanen der Behörden ihrer Würde beraubtwerden. Es ist eine Katastrophe für die Menschen, dietrotz jahrelanger Arbeit nach einem Jahr ArbeitslosigkeitawwhmnemicskdhrASzikASwbWVhaBtmvksb1Dssm
raucht sie sich nicht zu wundern, dass sie bei jederahl von Niederlage zu Niederlage dümpelt.
on meinem Vorredner habe ich gerade gehört, die SPDabe alles richtig gemacht und sei mit ihren Vorschlägenuf der Höhe der Zeit. Ich wundere mich nur, warum dieürger dann offensichtlich so doof sind, die tollen Leis-ungen Ihrer Partei nicht mehr zu akzeptieren. Darüberüssen Sie sich einmal Gedanken machen.
Die Regierung verschließt nach wie vor die Augenor der Realität. Die Armut steigt trotz Erwerbstätig-eit: Waren es im September 2005 noch 950 000 Men-chen, die trotz Arbeit Leistungen nach dem SGB IIezogen haben, sind es im Februar 2008 schon,3 Millionen gewesen.
as Institut Arbeit und Qualifikation stellt fest, 2006ind 6,5 Millionen Menschen mit Niedriglöhnen be-chäftigt gewesen. Die Zahl hat dramatisch zugenom-en. Das ist Ergebnis der Hartz-Gesetze. Wenn Sie sich
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Klaus Ernstdieser Realität verweigern, werden Sie die Zustimmungder Arbeitnehmer nicht mehr erlangen, auch wenn Siebei den Gewerkschaften noch so betteln gehen.
Hartz IV bedeutet, dass Leute zur Annahme von1-Euro-Jobs und Billigarbeit gezwungen werden. DieKonsequenz dieser Politik – ich weiß nicht, ob Sie diesauch ignorieren, ob Sie die Realität bei der Veränderungder Lohnquote nicht mehr zur Kenntnis nehmen – ist,dass die Lohnquote inzwischen einen Stand von knappüber 60 Prozent erreicht hat. Dafür ist die Politik vonHartz mitverantwortlich. Dass Sie als Sozialdemokratendiese Politik einer Senkung der Löhne mitbetrieben ha-ben, ist aus meiner Sicht unverantwortlich.
Damit Sie nicht sagen, dies sei ein Nebeneffekt, vondem Sie vorher nichts gewusst hätten, zitiere ich – ichtue es ungern; aber wo er recht hat, hat er recht – HerrnSinn aus München.
– Das sollten Sie sich einmal anhören. Entweder habenSie dies ignoriert oder nicht verstanden. Ich zitiere HerrnSinn,
der 2004 gesagt hat:In Wahrheit geht es um eine Lohnsenkung. Diekommt zustande, weil durch die Abschaffung derArbeitslosenhilfe die bislang Begünstigten auf dieSozialhilfe zurückfallen und bereit sein werden, fürweniger Geld zu arbeiten.
Das hat euch Sinn gesagt. Entweder habt ihr ihn igno-riert oder nicht verstanden. Ich habe den Eindruck, dassbei euch beides der Fall ist: ignoriert und nicht verstan-den.
Mit ihren Hartz-Gesetzen haben die verantwortlichenParteien dafür gesorgt, dass das größte staatliche Ar-mutsprogramm umgesetzt wurde, das in dieser Republikje zu verzeichnen war. Insgesamt 2,2 Millionen Kinderund Jugendliche stecken in Hartz. Das Bundessozialge-richt hat Ihnen jetzt die Leviten gelesen – dies trifft na-türlich für die CDU/CSU genauso zu –: Dieses Gesetz istverfassungswidrig, und die Regelsätze für Kinder sindwillkürlich festgelegt worden. Wie viele Urteile brau-chen Sie eigentlich noch, um sich von diesem Holzwegabzukehren?
Wie viele Urteile müssen Ihnen deutsche Gerichte vorle-gen, bevor Sie merken, dass die Hartz-Gesetze nicht ak-zpCdgdiRnnuhWIdnlAZtnAmmushdKRZdrlurhgznIdes
ch verstehe nicht, warum ihr so knickrig seid; ihr habtoch nicht nur Schwaben in der Fraktion.
Im Übrigen ist das grüne Progressivmodell abzuleh-en. Letztendlich ist das eine Förderung des Niedrig-ohnsektors. Dem können wir nicht zustimmen.Jetzt komme ich zu unserer Position. Wir wollen einenhebung der Vermögensfreigrenze auf 20 000 Euro.urzeit liegt sie bei maximal 9 750 Euro. Die gegenwär-ige Regelung bedeutet Armut per Gesetz. Die Betroffe-en müssen ihr Geld verbrauchen, weil sie sonst keinennspruch auf Leistungen haben. Es stimmt zwar, dassan Vermögen berücksichtigen muss; mit 9 750 Euro istan aber sicherlich nicht reich. Es ist Willkür und einenzumutbare Gängelei und Quälerei, dass sich Men-chen arm machen müssen, bevor sie Leistungen bezie-en können.Wir beziehen uns auf einen DIW-Wochenbericht ausem Jahr 2009, den Sie offensichtlich auch nicht zurenntnis nehmen. Das Nettovermögen hat sich in dieserepublik verändert, wird uns da attestiert. Das reichsteehntel der Bevölkerung ist noch reicher geworden undas ärmste Zehntel noch ärmer. Das DIW sagt auch, wo-an das liegt – ich zitiere aus dem Bericht –: Die Rege-ngen zum Arbeitslosengeld II dürften „zu einem stärke-en Entsparen im Falle von Arbeitslosigkeit beigetragen“aben, „da eigenes Vermögen zunächst weitgehend auf-ezehrt werden muss, bevor diese staatliche Unterstüt-ung in Anspruch genommen werden kann“. Hier hat Ih-en ein wissenschaftliches Institut bestätigt, dass Sie mithrer Regelung zum Schonvermögen und der Regelung,ass zunächst Vermögen verbraucht werden muss, letzt-ndlich zu einer ungleichen Vermögensverteilung in die-er Republik beitragen.
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Klaus ErnstDeshalb könnten Sie wenigstens in dieser Frage unseremAntrag zustimmen.Da die Firma Schaeffler vorhin genannt worden ist:Wie verhalten wir uns denn, wenn die Millionärin FrauSchaeffler zur Bundesregierung kommt und 6 Milliar-den Euro haben möchte, weil sie offensichtlich mit ih-rem Geschäftsführer Geld verzockt hat? Was machenwir denn dann? Sagen Sie ihr auch, sie solle erst einmalihren Pelzmantel ausziehen, weil sie sonst nichts be-komme, wie Sie das bei den Arbeitslosen machen?
Sagen Sie auch ihr, sie solle sich eine kleinere Wohnungnehmen?
Hier geht es nicht um 351 Euro im Monat, sondern umMilliarden. Ich sage Ihnen: Sie behandeln die Menschenin diesem Land ungleich, und das akzeptieren die Men-schen nicht mehr.
Ich möchte deutlich sagen – ich habe recherchiert undFolgendes festgestellt –: Die INA-Holding Schaeffler KGkommt ihrer Verpflichtung, den Jahresabschluss zu pu-blizieren, nicht nach. Sie veröffentlichen noch nicht ein-mal, was sie verdienen.
Trotzdem erhalten sie mit der Frage, wie viele Millionensie überwiesen bekommen, Zugang zur Bundesregie-rung. Bei einer solchen Ungleichbehandlung werden dieMenschen sagen: Das ist ein Staat, den wir nicht mehrakzeptieren. Ihr Verhalten führt genau dazu, übrigensauch das eine oder andere Urteil über Steuerflüchtlinge.Ich kann nur sagen: Ändern Sie diese Politik! Die einenmüssen sich wegen 351 Euro arm machen; wenn es umMilliarden geht, sorgen Sie aber nicht dafür, dass dieLeute ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommen.Wir bleiben dabei: Hartz ist Schikane und Willkür.Deswegen ist es richtig, dass dieses Gesetz nach wie vornach jemandem benannt ist, der ein vorbestrafter Geset-zesbrecher ist, nämlich nach Herrn Hartz. Genau so ist esrichtig.
Wir wollen die Anhebung der Regelsätze. Wir wolleneigenständige, bedarfsdeckende Regelsätze für Kinderund Jugendliche. Wir wollen, dass die Zumutbarkeit vonArbeit anders geregelt wird. Wir wollen, dass Arbeit an-ständig entlohnt wird und die 1-Euro-Jobs sofort aufhö-ren; wir wollen stattdessen sozialversicherungspflichtigeBeschäftigung. Mit Bedarfsgemeinschaften muss Schlusssein. Jeder Mensch muss einen eigenen Anspruch aufLeistungen haben.
KeaSHCHdnVudmiinTsWekdHlAdrHb
Der Kollege Stefan Müller hat das Wort für die CDU/
SU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!err Ernst, ich muss schon sagen: Das, was Sie hier wie-er abgeliefert haben, ist – man erwartet es von Ihnenicht anders – unterirdisch.
or allem die Art und Weise, wie Sie hier über Familien-nternehmen reden – ich will überhaupt nicht entschul-igen, was bei der INA-Holding abgelaufen ist; dassan sich dort vielleicht verspekuliert hat, will ich nichtn Abrede stellen –,
st schlichtweg unanständig. Ich wünschte mir, dassoch mehr Unternehmen dem Standort Deutschland diereue halten würden, wie die Familie Schaeffler eschon über Jahrzehnte tut. Ich lade Sie gern in meinenahlkreis ein. Halten Sie dort bitte die gleiche Rede undrklären Sie den Beschäftigten – allein in meinem Wahl-reis sind es 10 000 –, was passieren wird, wenn maner Familie Schaeffler und der INA-Holding nicht hilft.
err Ernst, unmöglich!
Nun dachte ich, dass Sie, Herr Ernst, und Ihre Abtei-ung hier alleine für den Klassenkampf zuständig sind.ber es ist leider so, dass Ihnen etwas Konkurrenz beien Grünen erwächst; das ist gewissermaßen Konkur-enz von rechts. Wenn man sich Ihren Antrag durchliest,err Kurth, und sich anhört, was Sie hier zu sagen ha-en, dann kann man es nicht anders bezeichnen.
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Stefan Müller
Herr Kollege Schiewerling hat schon zu Recht daraufhingewiesen, dass der Inhalt Ihres Antrags mit dem, wasdie Überschrift verheißt, leider nicht viel zu tun hat.Zunächst einmal haben Sie recht. Das Jahr 2009 wirdsicherlich das Jahr der Wirtschaftskrise sein. Jedenfallssind sich alle Experten einig, dass wir in diesem Jahreine Rezession bekommen, im schlimmsten Falle dengrößten Absturz seit 60 Jahren, seit Bestehen der Bun-desrepublik. Klar ist, dass die Schönwetterperiode dervergangenen Jahre mit steigenden Wachstumsraten, sin-kenden Arbeitslosenzahlen und sprudelnden Steuerein-nahmen erst einmal vorbei sein wird. Klar ist auch, dasssich in unserem Land Verunsicherung breit macht; ichdenke, da sind wir uns einig. Es gibt Verunsicherung beiden Arbeitnehmern, die heute nicht wissen, ob sie ihrenArbeitsplatz behalten werden können, bei den Unterneh-mern, die nicht wissen, ob ihr Betrieb die Krise über-steht, bei jungen Menschen, die nicht wissen, ob sie,wenn sie die Schule abschließen oder ihr Studium been-den, einen Ausbildungsplatz oder einen Arbeitsplatz be-kommen, und bei der älteren Generation, die nicht weiß,ob ihre Altersversorgung noch sicher ist. Das bedeutet,dass die Krise, der wir uns in diesem Jahr stellen müs-sen, alle bestehenden Herausforderungen wie Globali-sierung, Demografie und Klimawandel sicherlich ver-stärken wird. Aber ich bitte inständig darum, dass wiruns jetzt keinen Überbietungswettbewerb mit immerschlechteren Prognosen abliefern, sondern dass wir unsgemeinsam darauf einstellen, dass wir auf diese Krise re-agieren müssen und dass Konsequenzen gezogen werdenmüssen.Ich finde, dass wir in Deutschland gute Gründe ha-ben, mit Mut und Zuversicht in die Zukunft, vor allenDingen in das Jahr 2009 zu blicken. Wir haben gut auf-gestellte Unternehmen. Wir haben gut ausgebildete, mo-tivierte Arbeitnehmer. Wir haben in den vergangenenJahren als Große Koalition die nötigen Weichenstellun-gen zur Modernisierung dieses Landes vorgenommen.All das wird dazu beitragen, dass wir diese Krise besserüberstehen. Wir sollten uns nicht von Untergangsszena-rien irre machen lassen.
Herr Kurth, Sie haben davon gesprochen, dass dieseine konjunkturelle Krise ist.
Ich möchte Ihnen ausdrücklich widersprechen. DieseKrise ist nicht konjunkturbedingt, sondern ist eine Aus-wirkung der Finanzmarktkrise. Das will ich an dieserStelle anmerken. Ich denke, wir alle haben uns in denschlimmsten Albträumen nicht vorstellen können, wasim Zusammenhang mit dieser Finanzmarktkrise interna-tional abgelaufen ist. Eine explosive Mischung aus billi-gem Geld, unverantwortlicher Kreditvergabe, Leicht-gläubigkeit, mangelndem Risikobewusstsein – was auchimmer Sie anführen wollen – zusammen mit einem über-steigerten Streben nach schnellen und immer höherenGlsDsosmDtBwnkWkedbmrGKlaetsdBd„ndzZlS
ie Finanzmarktkrise war nicht die Folge von Staatsver-agen
der des Versagens unserer sozialen Marktwirtschaft,
ondern das Ergebnis einer Verletzung ethischer bzw.oralischer Grundlagen.
eswegen ist es wichtig, dass wir reagieren. Die interna-ionalen Finanzmärkte brauchen Spielregeln, und dieundesrepublik Deutschland ist gut beraten, die Ent-icklung solcher Spielregeln auf europäischer und inter-ationaler Ebene einzufordern.
Die Große Koalition leistet mit dem Konjunkturpa-et einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung derirtschafts- und Finanzmarktkrise. Es besteht aus einerlugen Mischung aus staatlichen Investitionen auf derinen Seite und der Stärkung der Binnennachfrage aufer anderen Seite. Das Ziel ist klar: Wir wollen die Ar-eitsplätze in Deutschland erhalten. Bei allen Maßnah-en, die wir in diesem Jahr durchführen, ist die Siche-ung der Arbeitsplätze das übergeordnete Ziel.leichzeitig wollen wir diese Krise als Chance nutzen;ollege Stöckel hat schon darauf hingewiesen. Wir wol-en Investitionen in die Zukunft tätigen. Wir wollen aberuch die Steuern und Abgaben dauerhaft senken.Im Rahmen des Investitionsprogramms werden wirine deutliche Erhöhung des Umfangs staatlicher Inves-itionen vornehmen. In den Jahren 2009 und 2010 wirdich das Volumen auf 18 Milliarden Euro belaufen.Herr Kurth, die Grünen kritisieren in ihrem Antrag,as Prinzip der Politik der Bundesregierung laute „mehreton statt mehr Gerechtigkeit“. Außerdem führen Siearin aus, die Bundesregierung verfolge das Ziel, fürmakellose Bundesstraßen“ zu sorgen. Ich empfehle Ih-en, einen Blick in unseren Gesetzentwurf – mittlerweileürfte er auch Ihnen vorliegen –
u werfen.
wei Drittel der Investitionen, die getätigt werden sol-en, fließen in Bildungseinrichtungen: in Kindergärten,chulen und Hochschulen.
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Stefan Müller
Ein Drittel der Investitionen fließt in Infrastrukturmaß-nahmen: in Straßen, Schienen, Krankenhäuser, den Städ-tebau und die Breitbandversorgung.
Da können Sie doch nicht sagen, wir würden in Betonstatt in Gerechtigkeit investieren. Herr Kollege Kurth,natürlich geht es uns auch darum, die Zukunftschancenjunger Menschen zu verbessern.
Von diesen Maßnahmen wird nicht nur die Bauwirt-schaft profitieren, sondern davon werden aufgrund ver-besserter Lernbedingungen auch die Schülerinnen undSchüler sowie die Studentinnen und Studenten profitie-ren.Weil Sie in Ihrem Antrag das Stichwort „Gerechtig-keit“ erwähnen, sage ich Ihnen: Unsere Maßnahmensind auch ein Beitrag zu mehr Chancengerechtigkeit;denn in Zukunft können die Bildungseinrichtungen einebessere Infrastruktur anbieten. Daher wären Sie gut be-raten, die Kritik, die Sie in Ihrem Antrag haben verlaut-baren lassen, in Zukunft nicht zu wiederholen.Unser zweites Ziel ist die Stärkung der Binnen-nachfrage. Uns war klar, dass man mit einem solchenKonjunkturpaket nicht nur die Wirtschaft unterstützendarf. Herr Ernst, es geht uns ausdrücklich nicht darum,nur die Unternehmen zu fördern, sondern auch darum,die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dauerhaft zuentlasten. Das ist auch notwendig, weil ihre finanziellenSpielräume immer geringer werden. Das liegt allerdingsnicht daran, dass die Bruttolöhne der Arbeitnehmer zuniedrig sind, sondern daran, dass die Abzüge zu hochsind und das, was ihnen von ihrem Gehalt netto übrigbleibt, immer weniger ausreicht, um den Lebensunter-halt zu decken.
Das ist das eigentliche Problem, das wir lösen müssen.
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ernst zulassen?
Bitte.
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Um auf Ihre konkreten Fragen zu sprechen zu kom-en: Ich kenne die Kontoauszüge und die Vermögens-ufstellung von Frau Schaeffler nicht.
b das Privatvermögen von Frau Schaeffler, wie Sie er-ähnt haben, 6 Milliarden Euro beträgt, weiß ich nicht.ch unterstelle aber, dass diese 6 Milliarden Euro nichtuf irgendwelchen Konten liegen, sondern im Unterneh-en investiert sind. Sie müssen einmal zur Kenntnisehmen, dass die Gewinne dieser Firma nicht nur auferschiedene Konten überwiesen, sondern reinvestierturden; ich glaube, dass ich das ein bisschen beurteilenann. Das ist die Art und Weise, wie Familienunterneh-en in Deutschland agieren. Dass Ihnen wegen der Mit-estimmung und wegen vielem anderem, mit dem Sieineinregieren können, große Kapitalgesellschaften lie-er sind, ist mir klar.
ch sage noch einmal: Ich bin stolz darauf, dass wir Fa-ilienunternehmer haben, die ihrer sozialen Verantwor-ung gerecht werden, indem sie Arbeitsplätze ineutschland zur Verfügung stellen.
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Herr Kollege, möchten Sie auch eine Zwischenfrage
von Frau Enkelmann zulassen?
Bitte.
Herr Kollege, meinen Sie nicht, dass Unternehmen,
bevor öffentliche Gelder an sie fließen, eine Bedürftig-
keit nachweisen sollten, dass also ihre Wirtschaftlichkeit
zu prüfen ist?
Frau Kollegin Enkelmann, ich habe meine Informa-
tionen genau wie Sie aus der Zeitung. Den Medien zu-
folge werden Gespräche geführt. Das Ergebnis dieser
Gespräche kennen weder Sie noch ich. Ich gehe davon
aus, dass die Eigentümerfamilie ihrer Verantwortung ge-
recht wird und auch Privatvermögen einsetzen wird.
Zurück zum Antrag der Grünen. Herr Kurth, Sie sa-
gen, dass Steuersenkungen nichts bringen, weil die
Hälfte der Bevölkerung gar keine Steuern zahlt. Was ist
das für eine Denkweise? Weil Schüler und Jugendliche
keine Steuern zahlen, weil Arbeitslose keine Steuern
zahlen, weil die meisten Rentner keine Steuern zahlen,
weil viele Arbeitnehmer keine Steuern zahlen, soll man
die, die Steuern zahlen, nicht entlasten? Das muss man
nicht verstehen.
Möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kurth
zulassen? – Bitte schön.
Wenn Sie nach Schaeffler fragen, Herr Kurth, lade ich
Sie einmal nach Herzogenaurach ein.
Kollege Müller, ist Ihnen erinnerlich, dass ich den
Bundesfinanzminister zitiert habe, der deutlich sagte,
dass bei Einkommen oberhalb von 3 500 Euro netto die
Sparquote außerordentlich hoch ist und insofern anzu-
nehmen ist, dass eine Erhöhung des Nettoeinkommens
durch eine Steuersenkung keineswegs zu mehr Konsum
und einer Erhöhung der Binnennachfrage führt, sondern
zusätzlich gespart wird? Was sagen Sie zu dieser Auffas-
sung des Bundesfinanzministers?
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Ich sage Ihnen ganz deutlich: Bei den Steuersenkun-
en, für die sich die Union einsetzt, geht es nicht allein
m eine Stärkung der Binnennachfrage, sondern auch
m eine Selbstbeschränkung der Politik. Wir wollen die
teuern und Abgaben dauerhaft senken. Mein Verständ-
is von Politik ist nicht, dass der Staat den Menschen
mmer mehr abnehmen sollte, um es umzuverteilen.
ein Verständnis von Politik ist, dass der Staat den
enschen nur das abnehmen sollte, was er braucht, um
eine Aufgaben zu finanzieren.
n diesem Sinne will ich den Einstieg in Steuer- und Ab-
abensenkungen verstanden wissen. Ich meine, die Bür-
erinnen und Bürger können besser entscheiden, was mit
hrem Geld passieren soll, als es der Staat kann.
arum geht es mir, Herr Kollege Kurth.
Einen Punkt im Antrag der Grünen kann ich unter-
tützen, nämlich die Senkung der Sozialabgaben. Da-
it haben Sie recht. Aber ich darf Sie daran erinnern,
ass die Große Koalition die Sozialabgaben gesenkt hat
ie keine Regierung vor ihr.
um Beispiel hat sie den Beitrag zur Arbeitslosenversi-
herung von 6,5 Prozent auf 2,8 Prozent gesenkt. Das ist
ine Entlastung von 25 Milliarden Euro. Was kritisieren
ie also? Dieses Konjunkturpaket ist ein Bündel von
aßnahmen, um der Krise entgegenzuwirken, aber mit
ugenmaß und ohne Panik.
Die Grünen sprechen von Gerechtigkeitslücken und
on Armut.
Herr Kollege, es gibt noch einen Wunsch nach einer
wischenfrage, und zwar seitens der Kollegin
aßelmann.
Das würde meine Redezeit verlängern. Vielen Dank!
Bitte schön.
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21820 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009
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Sie haben gerade eindringlich die Steuersenkungen
verteidigt und gleichzeitig von Wohltaten für die Kom-
munen gesprochen. Ist Ihnen bewusst, dass das IMK
ausgerechnet hat, dass die in den Konjunkturpaketen
vorgesehenen Steuersenkungen für die Kommunen
Mindereinnahmen von 1,9 Milliarden Euro bedeuten?
Wie wollen Sie das zusammenbringen? Auf der einen
Seite feiern Sie das Konjunkturpaket als das Paket für
die Kommunen, auf der anderen Seite wissen Sie, dass
die Steuersenkungen, die Sie verteidigen, für die Kom-
munen Milliardenausfälle bedeuten.
Wenn Sie sich dieses Konjunkturpaket einmal genau
und vor allem in seiner Gesamtheit anschauen, also nicht
immer nur einzelne Punkte herausgreifen,
dann werden Sie feststellen, dass die Kommunen unter
dem Strich mehr Geld für kommunale Investitionen zur
Verfügung haben werden, sodass die Ausfälle, die dort
vielleicht entstehen werden,
durchaus ausgeglichen werden können. Insofern sehe ich
dieses Problem am Ende nicht.
Ich sage noch einmal: Es geht bei den Steuersenkun-
gen sowohl darum, die Binnennachfrage zu stärken, als
auch darum, jetzt damit anzufangen, die Menschen wie-
der zu entlasten. Wir mussten 2005 einen Bundeshaus-
halt übernehmen, den auch Sie von den Grünen mitzu-
verantworten hatten und der in einem katastrophalen
Zustand war, weswegen wir den Menschen gesagt ha-
ben, dass wir ihnen Belastungen nicht ersparen können.
Wir haben ihnen gleichzeitig aber immer auch das Si-
gnal gegeben, dass es Entlastungen geben muss und ge-
ben wird. Ich frage Sie: Wann, wenn nicht in diesem
Jahr, in dem wir wirtschaftliche Probleme haben, sollen
wir denn über Entlastungen nachdenken? Insofern ist es
richtig, dass wir das tun; das ist für die Kommunen, so
denke ich, durchaus auch verantwortbar.
Frau Präsidentin, ich fasse zusammen: Gerade in Kri-
senzeiten braucht dieses Land eine Regierung, die die
Herausforderungen mit Entschlossenheit, aber ohne Pa-
nik angeht.
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Jetzt hat die Kollegin Hiller-Ohm für die SPD-Frak-
ion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebeolleginnen und Kollegen von den Grünen! Es ist dasute Recht der Opposition, Regierungshandeln, alsouch unser Konjunkturpaket, zu kritisieren. Ich erwarteon Ihrer Seite dann aber auch echte Alternativen. Dieleiben Sie uns jedoch schuldig.Sie wollen die Konjunkturkrise mit einem Antrag vonerade einmal anderthalb Seiten, auf denen vier Forde-ungen stehen, bewältigen und damit obendrein noch dieerechtigkeitslücke in Deutschland schließen.
enn das zumindest innovative Vorschläge wären! Wasie uns jedoch vorlegen, ist nichts Neues und wird nichtur Bewältigung der Krise beitragen.
Zu Ihrer ersten Forderung. Sie wollen eine Aufsto-kung der Sozialleistung für Langzeitarbeitslose und So-ialhilfeempfänger um 69 Euro und so die Binnennach-rage in Deutschland ankurbeln. Bei dem Betrag stützenie sich auf die Berechnung des Deutschen Paritätischenohlfahrtsverbandes und erwecken den Eindruck, alsabe dieser das objektiv wahre Niveau eines soziokultu-ellen Existenzminimums berechnet.
s gibt hier aber nicht eine „einzige Wahrheit“; denn na-ürlich hat auch das Ministerium den geltenden Regel-atz sehr genau und in einem transparenten Verfahren er-echnet und begründet.Zurzeit werden die Regelsätze vom Ministerium aufrundlage der neuen Einkommens- und Verbrauchs-tichprobe überprüft.
it dem Ministerium besteht Einvernehmen, dass dereitraum zwischen zwei Stichproben – das sind in der
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Gabriele Hiller-OhmRegel fünf Jahre – zu lang ist. Wir wollen kürzere Ab-stände, um die Regelsätze besser an die tatsächlichenBedarfe der Leistungsempfänger anpassen zu können.Ich halte es jedoch für falsch, das gewählte Verfahrengenerell über Bord zu werfen.
Ich erinnere: In der letzten Legislaturperiode habenwir Sozialdemokraten gemeinsam mit Ihnen, den Grü-nen, die damalige Arbeitslosenhilfe abgeschafft unddurch das Arbeitslosengeld II ersetzt.
Wir haben erwerbsfähige Sozialhilfeempfängerinnen und-empfänger aus der Sozialhilfe herausgeholt
und ihnen Fördermöglichkeiten und Ansprüche über dieSozialgesetzbücher II und III eröffnet, die sie vorhernicht hatten.
Gemeinsam mit Ihnen haben wir hierzu die gesetzlichenRahmenbedingungen festgelegt. Wir haben das aus gu-tem Grund getan. Unser gemeinsames rot-grünes Anlie-gen war es, durch die Arbeitsmarktreformen Menschenaus dem Leistungsbezug heraus in Arbeit zu bringen undihnen Perspektiven für ein eigenständiges Leben ohnestaatliche Transferleistungen zu bieten.
Das ist uns gelungen. Die sinkenden Arbeitslosenzahlensprechen für sich.Gute Arbeit und faire Löhne für alle erwerbsfähigenMenschen sind eine sehr wichtige Grundlage für mehrGerechtigkeit und Chancen in unserer Gesellschaft. Dasgilt insbesondere in Krisenzeiten. Gerade jetzt müssenwir alles tun, um Arbeit zu erhalten.
Nicht durch höhere staatliche Sozialleistungen, sonderndurch den Erhalt von Arbeit helfen wir den Menschen inder Konjunkturkrise und stärken gleichzeitig den Bin-nenmarkt. Das ist der richtige Weg. Deshalb ist es rich-tig, dass Minister Scholz gemeinsam mit uns den Bezugdes Kurzarbeitergelds verlängert und dies auch auf dieZeitarbeitsbranche ausgeweitet hat und die Weiterbil-dung stark fördert.Sie fordern in Ihrem Antrag gerechte Löhne und fai-ren Wettbewerb. Wir setzen dies bereits politisch um.
Es ist ein großer Erfolg, dass es uns gerade jetzt gelun-gen ist, sechs weitere Branchen mit Mindestlöhnen ab-zusichern. Insgesamt haben wir damit 13 wichtige Bran-chen erfasst. Die Zeitarbeit wird in Kürze folgen.–gwebtdelomsVVlldZtsuslSledaGKmvbtdtdDtdV
Lieber Herr Kurth, wir haben mit der Union im Übri-en sehr viel mehr erreicht, als uns mit Ihnen möglichar.
Wir werden nicht lockerlassen. Unser Ziel bleibt eininheitlicher flächendeckender Mindestlohn. Das ist dieeste Lösung gegen Lohndumping und für mehr Gerech-igkeit auf dem Arbeitsmarkt.
Gute Arbeit und gerechte Löhne helfen übrigens auchen Kindern von erwerbsfähigen Menschen im Sozialhilf-bezug. Das größte Armutsrisiko ist nämlich die Arbeits-sigkeit. Die Armutsrisikoquote von Erwerbslosen liegtit 43 Prozent mehr als dreimal höher als die der Ge-amtbevölkerung. Kinder aus armen Familien haben imergleich zu Gleichaltrigen aus finanziell gesichertenerhältnissen ein doppelt so hohes Risiko, in ihrer sozia-en, gesundheitlichen und auch sprachlichen Entwick-ung beeinträchtigt zu werden. Deshalb ist es richtig,ass wir gerade auch Alleinerziehenden einen besserenugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen.
Wir legen ein 13 Milliarden Euro schweres Konjunk-urprogramm speziell für die Kommunen auf. Mit die-em Programm wird sich die Infrastruktur im Bildungs-nd Betreuungsbereich spürbar und nachhaltig verbes-ern. Ein derartiges Programm hat es in Deutschland bis-ang noch nicht gegeben. Wir Sozialdemokratinnen undozialdemokraten haben es auf den Weg gebracht. Sie,iebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, lehnens ab. Das ist bedauerlich;
enn mit diesem Programm schaffen wir vor Ort und vorllen Dingen ganz konkret bessere Bedingungen, mehrerechtigkeit und mehr Chancengleichheit für unsereinder.
Sie wollen die Gerechtigkeitslücke durch eine Neube-essung der Kinderregelsätze schließen. Das ist eine derier Forderungen in Ihrem Antrag. Dieses Anliegen ha-en wir hier schon häufig diskutiert.Unsere Position ist klar: Auch wir halten das derzei-ige Verfahren für nicht ausreichend. Wir haben uns fürie Ermittlung der Eckregelsätze für erwachsene Leis-ungsbezieher gemeinsam mit Ihnen auf das Instrumenter Einkommens- und Verbrauchsstichprobe geeinigt.ieses Verfahren muss auch für betroffene Kinder gel-en.
Das Ministerium hat in einer Sonderstudie die Kin-erbedarfe auf Grundlage der alten Einkommens- underbrauchsstichprobe unter die Lupe genommen und
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Gabriele Hiller-Ohmfestgestellt, dass nachgebessert werden muss. Das So-zialgeld für die 6- bis 13-Jährigen hat sich als zu niedrigerwiesen und wird deshalb ab dem 1. Juli dieses Jahresvon 60 auf 70 Prozent des Eckregelsatzes für erwach-sene Leistungsbezieher, also um 35 Euro, aufgestockt.Ich habe es nicht für möglich gehalten, dass wir dieseErhöhung mit unserem Koalitionspartner so schnelldurchbekommen würden. Danke schön an dieser Stelleauch an Sie.
Hier ist uns im Übrigen die Konjunkturkrise zu Hilfegekommen. Die Erhöhung des Kinderregelsatzes istTeil des Konjunkturprogramms II und wird die Situationvon rund 820 000 Kindern verbessern. Wir kommen da-mit auch den jüngsten Forderungen des Bundessozialge-richts entgegen, das übrigens nicht die Höhe der Regel-sätze für Kinder, sondern die pauschale Ableitung vomErwachsenenregelsatz als verfassungswidrig beurteilthat.
Ein weiterer wichtiger Schritt hin zu mehr Bildungsge-rechtigkeit ist uns gelungen: Wir haben das Schulbe-darfspaket in Höhe von 100 Euro pro Schuljahr durch-gesetzt. Außerdem erhalten alle Familien pro Kindeinmalig 100 Euro extra.Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ei-nes ist klar: Mit Ihrem Vierpunkteantrag schließen Siedie von Ihnen beklagte Gerechtigkeitslücke in Deutsch-land nicht. Das wird auch der Linksfraktion mit ihremAntrag mit dem Titel „Sozialen Absturz von Erwerbslo-sen vermeiden – Vermögensfreigrenzen im SGB II anhe-ben“ nicht gelingen. Ich kann mir nicht vorstellen, dassein Selbstbehalt von 20 000 Euro pro Person in einer Be-darfsgemeinschaft, unabhängig vom Alter, Akzeptanz inunserer Gesellschaft finden wird. Eine vierköpfige Fami-lie könnte dann 80 000 Euro besitzen und trotzdem So-zialleistungen beziehen. Das muss man erst einmal ver-mitteln. Wie kommen Sie eigentlich auf 20 000 Euro?Eine Begründung für diesen Betrag finden wir in IhremAntrag nicht. Hier geht es wohl wieder einmal nach Ih-rem altbekannten Motto: Darf es ein bisschen mehr sein?
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Es ist nicht so, Herr Ernst, dass wir überhaupt keinen
Selbstbehalt für Bezieher von Arbeitslosengeld II vorge-
sehen haben.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
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Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ja. – Meine Damen und Herren, Sie sehen, die SPD
at die richtigen Konzepte. Wir werden mit diesen Kon-
epten die Krise bewältigen; da bin ich zuversichtlich.
ie bleiben hinter Ihrem Anspruch deutlich zurück. Ihr
ntrag ist – so will ich es einmal sagen – wirklich nicht
ielführend, wenn Sie damit Armut, Arbeitslosigkeit und
ngerechtigkeit in Deutschland verhindern wollen. Das
st der falsche Weg, meine Damen und Herren von der
inken. Wir sind auf dem richtigen Weg. Unterstützen
ie uns! Dann kommen wir voran.
Der Kollege Dr. Erwin Lotter hat jetzt für die FDP-
raktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Meine Damen und Herren! Mein Kollegeeter Haustein hat sich mit dem Antrag der Grünen be-asst. Ich werde mich daher auf den Antrag der Links-raktion konzentrieren.
Ich habe Ihren Vorschlag zur Ausweitung der Vermö-ensfreigrenzen für Hartz-IV-Empfänger zweimal durch-erechnet; denn beim ersten Mal dachte ich: Das mussin Irrtum sein. Eine junge Familie mit zwei Kindernum Beispiel, also eine Bedarfsgemeinschaft von vierersonen, dürfte nach dem Vorschlag der Linken bis zu0 000 Euro Vermögen anrechnungsfrei besitzen undrotzdem für alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaftartz IV beziehen. Das, meine Damen und Herren derinken, ist ein groteskes und bizarres Verständnis vonesellschaftlicher Solidarität.
Die Leistungen nach SGB II, also Hartz IV, werdenon der Gemeinschaft der Steuerzahler aufgebracht.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009 21823
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Dr. Erwin LotterIn Ihrem Verständnis, liebe Kollegen und Kolleginnender Linken, sind Steuerzahler offensichtlich alle Groß-verdiener. In der Realität sieht das aber anders aus. VieleMenschen mit geringem Einkommen, wenn auch nurknapp über dem steuerlichen Grundfreibetrag, zahlenSteuern, aus denen auch Hartz IV finanziert wird.
Wollen Sie wirklich, dass Familien, die nur über ein ge-ringes Arbeitseinkommen und über wenig bis gar keinVermögen verfügen, vermögende Bezieher von Hartz IVmitfinanzieren? Ist das Ihr Verständnis von Solidarität?
Bleiben wir bei dem Beispiel. Wenn eine vierköpfigeBedarfsgemeinschaft ein anrechnungsfreies Sparvermö-gen in Höhe von 75 000 Euro besitzt, würde dieses Kapi-tal bei 5 Prozent Verzinsung über 300 Euro Zinsenmonatlich abwerfen. Sollen auch diese Zinsen anrech-nungsfrei bleiben? Es gibt nur eine Erklärung für dieseabsurde Politik der Linken: Sie wollen die Gesellschaftganz bewusst spalten.
Sie sind in Wahrheit nicht gegen Hartz IV. Vielmehr nut-zen Sie die Bedürftigkeit der Menschen ganz gezielt fürIhre Propaganda aus.
Herr Lotter, möchten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ernst zulassen?
Bitte.
Bitte schön.
Herr Kollege, ich will auf die Studie des DIW hin-
weisen und fragen, ob Sie diese zur Kenntnis genommen
haben. Dort heißt es, dass von 2002 bis 2007 beim un-
tersten Zehntel, also bei den 10 Prozent der Bevölke-
rung, die in der untersten Vermögens- und Einkommens-
situation leben, nicht nur kein Vermögen vorhanden war,
sondern dass sich das nicht vorhandene Vermögen sogar
verringert hat. Diese Menschen haben eine negative Ver-
mögenssituation, die von minus 1,2 auf minus 1,6 Pro-
zent gesunken ist. Mit anderen Worten: Diese Menschen
haben mehr Schulden als zuvor. Das DIW schreibt: Un-
ter den Arbeitslosen wuchs ihr Anteil, also der Anteil
derjenigen, die kein Vermögen haben, deutlich an, von
41 auf 49 Prozent. Glauben Sie nicht, dass sich die Be-
troffenen, die nun Ihre Rede hören, angesichts dieser Re-
alitäten fragen, von welchen 80 000 Euro Sie überhaupt
reden?
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Lieber Herr Kollege Ernst, ich rate Ihnen, die Papiere,ie Sie zitieren, vollständig zu lesen; denn das DIWommt in der von Ihnen zitierten Studie zu dem völligichtigen Fazit, dass das Hauptproblem unter Hartz-IV-eziehern die unterdurchschnittlich niedrige Qualifika-ion für den Arbeitsmarkt ist. Jeder Dritte hat keine Be-ufsausbildung, jeder Fünfte keinen Hauptschulab-chluss.In jedem Hartz-IV-Bezieher sehen Sie einen poten-iellen Wähler, der Ihrer Propaganda hinterherläuft. Sieollen, dass sich die Menschen in Hartz IV einrichten.eswegen verwundert es mich auch nicht, dass Sie mithrem Vorschlag den Kreis der Hartz-IV-Anspruchsbe-echtigten deutlich ausweiten wollen. Das passierte,enn die Vermögensfreigrenzen hochgesetzt würden.
iese Rechnung wird aber nicht aufgehen. Die Men-chen wollen nicht Hartz IV. Die Menschen wollen nichtie Linke. Die Menschen wollen Arbeit.
err Kollege Ernst, das sind doch Neiddebatten, die Sieier führen. Solidarität ist keine Einbahnstraße. Solidari-ät gilt nicht nur von Reich nach Arm. Solidarität bedeu-et, dass alle solidarisch sind. Das heißt auch, dass steu-rfinanzierte Unterstützung durch die Gesamtheit deresellschaft erst dann bezogen werden kann, wenn dieigene Leistungsfähigkeit erschöpft ist. Solidarität istichts anderes als die gegenseitige Übernahme von Ver-ntwortung. Aber für Eigenverantwortung waren dieinken noch nie zu haben.
Vor allem bei Ihnen, Herr Ernst.Die bisherige Regelung der Vermögensfreigrenzentaffelt diese nach Lebensalter. Das ist auch richtig so;enn so wird die Lebensleistung der Menschen in einemirtschaftlich machbaren Umfang finanziell anerkannt.er sein ganzes Leben etwas zurückgelegt hat, darfehr Vermögen anrechnungsfrei behalten als ein ju-endlicher Hartz-IV-Empfänger, der vielleicht noch nieearbeitet hat.
Die FDP spricht sich deshalb für großzügige Freibe-räge für Altersvorsorgevermögen aus. Auch Riester-enten von Grundsicherungsempfängern sollen großzü-ig – begrenzt – anrechnungsfrei bleiben. Das ist verant-ortliche Sozialpolitik, die die Eigenverantwortung derenschen stärkt und respektiert.
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Dr. Erwin LotterWie gesagt, das Hauptproblem ist die Bildung. Genaudort müssen wir ansetzen. Wir müssen in Bildung, Bil-dung und nochmals Bildung investieren. Das ist derbeste Weg, um Arbeitslosigkeit und niedrige Einkom-men zu verhindern.Vielen Dank.
Jetzt hat Maria Michalk das Wort für die CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr verehrte Damen und Herren! Erneut beschäftigt unsheute Vormittag hier ein Antrag vom Bündnis 90/DieGrünen und ein Antrag von den Linken, in denen vonAusgrenzung, von Armut, von mangelnder sozialer Ge-rechtigkeit und vom sozialen Abstieg gesprochen wird.
Die Argumente sind nicht neu. Sie werden wie beimKartenspielen immer wieder neu gemischt. Ich sage Ih-nen – das haben die Vorredner schon bestätigt –: Dies-mal haben Sie echt ein schlechtes Blatt erwischt, weildie Überschriften Ihrer Anträge und die Inhalte nicht zu-sammenpassen. Dieses Spiel können Sie nicht gewinnen.Ich möchte uns an einen Grundsatz erinnern, über denwir uns hier im Hohen Haus wirklich immer einig sind,nämlich: Alle Menschen sollen in Würde leben. Würdeumfasst aber viele Aspekte. Einer ist eine ausreichendeFinanzausstattung zum täglichen Leben. Diese wird ambesten durch faire Teilhabe am gesellschaftlichen Wert-schöpfungsprozess erreicht. Deshalb ist Arbeit so wich-tig. Damit das auch in Zukunft so bleibt, haben wir trotzder schwierigen Zeiten und der aktuellen Herausforde-rung in den zurückliegenden Tagen eine Menge vonVorschlägen unterbreitet, die uns in die Zukunft führenwerden. Der Grundsatz, dass Lohneinkommen aus Be-schäftigung immer besser als soziale Transferzahlungenist, gilt nach wie vor. Den müssen wir uns bei diesen De-batten vor Augen halten.
Deshalb konzentrieren wir uns auf den Erhalt der Ar-beitsplätze, und deshalb ist die Generalkritik an unseremProgramm, das heute schon zur Debatte stand, absolutunangebracht.Wirtschaft und damit Arbeitsplätze entwickeln sich;einmal geht es hoch, einmal herunter. Das hat die sozialeMarktwirtschaft so an sich. Diese Prozesse kann man ge-stalten. Zurzeit müssen wir eine besondere Herausforde-rung meistern. So sind zum Beispiel Lohnkostenvor-teile der Arbeitgeber, die wir zum Beispiel im Ostenwegen der nach wie vor niedrigeren Tarifabschlüsse oderwegen fehlender Tarifbindung haben, im Grunde ge-nPDrQmDungifebnsuDIdvFfksGh2WnwsDCWAeOhWAddrAu
amit kein Missverständnis aufkommt: Auch wir in derDU/CSU-Bundestagsfraktion nehmen Berichte überohlstandsverluste und die möglicherweise drohendeltersarmut bei den unteren Einkommensgruppen sehrrnst.
bwohl wir aktuell vor großen Herausforderungen ste-en, sind wir ein reiches Land.
ohlstand, der arm macht – ist das nicht ein Paradox?rme und Reiche driften weiter auseinander, auch wennie Armen nicht ärmer werden, was die Dynamisierunger Grundsicherung und die ständige Verfeinerung unse-er sozialen Instrumente garantieren.
ber die Anzahl der Armen wird größer, und das machtns unter demografischen Gesichtspunkten hellhörig.
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Maria MichalkNeben Arbeitslosigkeit ist das Zerbrechen von Fa-milien oder einer Partnerschaft – darauf will ich in die-ser Debatte noch hinweisen – der wichtigste Grund fürArmut.
Auch das ist wissenschaftlich nachgewiesen. Was zweigemeinsam noch ganz gut schultern können, das schaf-fen sie getrennt nicht mehr so gut. Bei gleichem Le-bensstandard brauchen und verbrauchen vier Einperso-nenhaushalte nachgewiesenermaßen mehr als einVierpersonenhaushalt. Auf einem Band in der Küchemeiner schönen großen Familie steht folgender Spruch:Tritt ein! Gieß Wasser in die Suppe hinein! Bist herzlichwillkommen! Guten Appetit! – In einer großen Familieist immer noch Platz; dort wird für jedes Mitglied Vor-sorge getroffen. Wenn einer allein ist, hat er es schwer.Diesen Prozess müssen wir bei all unseren Überlegun-gen berücksichtigen.
Unser materieller Wohlstand hat eine Lebensweisehervorgebracht, die – das ist meine Behauptung – auchauf Vergeudung angelegt ist, und viele verarmen darü-ber. Auf diese Dimension muss man bei der Armutsde-batte hinweisen. Jede Erhöhung von Sozialgeldzahlun-gen schafft neue Ansprüche auf ergänzende Leistungen,vor allen Dingen im Niedriglohnbereich. Das trifft dieMenschen bei uns im Osten mit doppelter Wucht. DieZahl der älteren Menschen und damit die Zahl der Ein-personenhaushalte steigen; ich verweise in diesem Kon-text auf das, was ich zuvor gesagt habe. Zum Beispielhat Sachsen seit 1990 über 250 000 Einwohner verloren.Eine ganze Generation Frauen ist betroffen. 43 000 Kin-der sind damit nicht in Sachsen geboren. Damit verbun-den sind geringere Steuereinnahmen in der Zukunft. DieSpielräume der Kommunen werden enger. Man könnteweitere Konsequenzen aufzählen.Diese kurzen Darlegungen sollen zeigen, dass wirsehr wohl das Gesamtbild im Auge haben. Deshalb sindunsere ergriffenen und jetzt noch zu beschließendenMaßnahmen sehr wohl richtig. Wir werden auf diesemWeg Schritt für Schritt weitergehen.Ich danke Ihnen.
Die Kollegin Gabriele Lösekrug-Möller hat jetzt das
Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! WerteKolleginnen und Kollegen! Seit nunmehr 90 Minutendiskutieren wir über zwei Anträge, von denen ich per-sönlich sage: Beide haben eigentlich nicht so viel Debat-tenzeit verdient, weil sie wenig Substanz aufweisen.ItsÜdGAlcNlibBcnrkrbHgtHgKhnbhnjdwWe
ch will das gern begründen und mich in der Argumenta-ion vielen meiner Vorredner und Vorrednerinnen an-chließen.Das Beste am Antrag der Grünen ist in der Tat dieberschrift; der Kollege Schiewerling wies zu Rechtarauf hin. Denn wer in diesem Haus wird schon gegenerechtigkeit und Chancen und für Ausgrenzung undrmut sein? Insofern haben wir beim Titel ganz zweifel-os einen großen Konsens. Was kommt nach einer sol-hen Überschrift? Das ist wie bei Doktor Schiwago:ach dem Vorspann erwartet man: Jetzt geht’s richtigos. Deshalb waren meine Erwartungen sehr hoch, alsch Ihren Antrag las. Was fand ich vor? Eine ziemlichildhafte Sprache bei der Problembeschreibung. Zumeispiel ist die Rede von „klaffenden Gerechtigkeitslü-ken“, die „weiter aufgerissen“ werden.
Dabei stellen wir – schließlich sind Sie nicht dabei –atürlich nur „Trostpflaster“ bereit. Allerdings integrie-en Sie in diese zerklüftete Landschaft mühelos die „ma-ellosen Bundesstraßen“, auf denen sich eine „atembe-aubende Flottille von steuerbefreiten CO2-Schleudern“ewegt. Ganz großes Kino!
err Kollege Haustein, es ist nicht einmal James Bond.
– Es ist zweifellos nicht Biene Maja. – Ich hätte ei-entlich erwartet, dass diese Flottille in den Sonnenun-ergang hineinfährt. Das vermisse ich an diesem Antrag.
Ich will Ihnen einmal sagen: Ich vertrete in diesemaus einen Wahlkreis, in dem es keinen Meter Autobahnibt. Wir sind sehr froh darüber, dass wir über unsereonjunkturpakete endlich – das wird schon jahrelangerbeigesehnt, übrigens auch von Grünen; die wissenämlich, worum es in unserem Wahlkreis geht – Aus-aumaßnahmen für unsere Bundesstraßen und Umge-ungsstraßen bekommen. Das haben wir mit verschiede-en Bürgerinitiativen – es gibt keine, die dagegen ist –ahrzehntelang gefordert. Wir sind also sehr dankbar,ass das im Rahmen unserer Pakete möglich wird. Icherde nicht die einzige Abgeordnete sein, die in ihremahlkreis genau das als einen wirklichen Fortschritt undinen Segen verkauft.
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Gabriele Lösekrug-MöllerUnterhalten Sie sich bitte auch einmal mit Mitgliedernvon solchen Initiativen, die froh darüber sind, dass da et-was geschieht.Ähnliches, verehrter Kollege Kurth, gilt auch fürSportstätten, in die es hineinregnet, und für Schulen, indenen unter schlechten räumlichen Bedingungen unter-richtet wird. Ich weiß gar nicht, was Sie dagegen habenkönnen,
dass wir in die Lage versetzt werden, da endlich etwaszu unternehmen.
Ich bin ein Fan unseres kommunalen Investitionspa-kets,
weil darin genau die richtigen Maßnahmen ergriffenwerden. Herr Kurth, stellen Sie sich einmal vor: Wir ha-ben nicht einmal hineingeschrieben, dass es verboten ist,energetisch zu sanieren. Wenn man Ihren Antrag liest,könnte man meinen, das sei so.
Worum geht es also? Der Kern Ihres Drehbuchs istKritik an den Konjunkturpaketen. Das haben Sie selberso hineingeschrieben. Ich kann nur sagen: Bei Ihrem An-trag scheint durch, Sie hätten das alles besser gemacht.
Ich nehme allerdings wahr, dass Sie bei Ihren Vorschlä-gen sehr im Vagen bleiben. Wir haben durch zahlreicheRedebeiträge, etwa der Kollegin Hiller-Ohm oder derKollegen Stöckel und Schiewerling, deutlich machenkönnen, dass die Antwort auf diese Krise weder in Tech-nicolor noch in Schwarz-Weiß gegeben werden kann; esmuss ein Bündel von Maßnahmen sein. Wir haben einenSchwerpunkt im Bereich der sozialpolitischen Interven-tionen gesetzt. Ich stehe voll dahinter. Der Weg, den wirgehen, ist genau der richtige Weg.Die Situation bei den Regelsätzen ist meines Erach-tens – so werden es viele in diesem Haus sehen – keines-falls abschließend geregelt. Sind Sie denn dagegen, dasswir endlich anfangen, indem wir festlegen, dass Kindervon 6 bis 13 Jahren mehr bekommen? Ich kann mir nichtvorstellen, dass Sie einen Einwand haben.
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Ich stelle fest, dass Sie mir vielleicht eine Antwort geben
können, während Ihre Kollegen offensichtlich irgend-
welche Gesetze für irgendjemanden machen, von dem
sie nicht einmal wissen, wen sie denn tatsächlich mei-
nen.
Lieber Kollege Schneider, zum einen stelle ich für das
Protokoll ausdrücklich fest, dass Sie sich sozusagen ei-
ner Argumentation der Vorstände von DAX-Unterneh-
men bedienen. Das ist ja sozusagen ein Quantensprung
für Vertreter Ihrer politischen Richtung.
Zum anderen haben wir hin und wieder die Erfahrung
machen müssen, dass selbst solche Vorstände in ihren
Einschätzungen hinsichtlich dessen, was ist und was sein
sollte, ein wenig irren. Ich bin ziemlich überzeugt davon,
dass die grundsätzliche Richtung, die wir eingeschlagen
haben, eine richtige ist,
und ich bin sicher, dass uns die Projekte, die wir ange-
schoben haben, recht geben werden. Wir beschränken
uns nämlich mitnichten auf jene Unternehmen, die
DAX-notiert sind, sondern erklären, dass dies für all die-
jenigen Unternehmen gilt, bei denen Kurzarbeit ein gu-
ter Weg ist, um Beschäftigte an Bord zu halten, und die
darüber hinaus erkannt haben, dass es Sinn macht, die
Belegschaft mittels Weiterbildung und Qualifizierung
auf dem Laufenden zu halten, um auf Dauer im Wettbe-
werb zu bleiben.
Ich komme zum Schluss, denn ich spreche im We-
sentlichen zum Antrag der Grünen und habe nur noch ei-
nen Hinweis an die Linken zu deren Antrag.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich
werde den Eindruck nicht los, dass Ihr Antrag in gewis-
ser Weise eine Doppelvermarktung von Textbausteinen
darstellt. Wenn wir ehrlich sind, kennen wir das. Ich
habe überlegt: Wo wird Ihr Text richtig Eindruck ge-
macht haben? Ich nehme an, auf einem Parteitag war er
exzellent platziert.
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ier im Haus hat er uns keinen weiteren Erkenntnisge-
inn gebracht.
Außerdem spreche ich noch einmal die DIW-Studie
n, die mehrfach angeführt wurde. Kollege Lotter hat be-
eits zu Recht darauf hingewiesen, dass es immer Sinn
acht, eine Studie ganz zu lesen. Wissen Sie, was mich
ei dieser Studie besonders beeindruckt hat? Das war die
elbstkritik, die die Herausgeber an den Tag gelegt ha-
en, weil sie zum Beispiel einen Punkt im gesamten Be-
eich der Vermögen überhaupt nicht wirklich bewerten
onnten, nämlich den der kleinen Vermögen, sofern es
ich um Eigentumswohnungen oder kleine Häuschen
andelt. Ich empfehle Ihnen sehr, dies noch einmal nach-
ulesen. Sie sind nach wie vor – auch in dieser Studie –
icht in der Lage, sie angemessen zu bewerten. Ich sage
hnen: Sie kommen zu einem etwas anderen Bild der
age insgesamt. An dieser Stelle nehme ich die Selbst-
ritik der Autoren dieser Studie sehr ernst.
Insgesamt wünsche ich mir, dass von dieser Debatte,
o lange sie gedauert hat und so beschränkt ich diese bei-
en Anträge als Anlass für sie empfand, Mut und Zuver-
icht ausgehen; denn wenn dieses Haus eine Verpflich-
ung hat, dann besteht sie darin, das, was wir gut auf den
eg bringen, auch nach außen wirklich ernsthaft und
hrlich zu vertreten. Das können die Menschen von uns
erlangen, und das haben viele Redner in dieser Debatte
etan. Insofern ist dies das einzige Lob, das mir zu den
eiden Anträgen bleibt, die bestenfalls abgelehnt werden
önnen.
Danke schön.
Damit schließe ich die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufen Drucksachen 16/11755 und 16/11748 an die in deragesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.amit sind Sie einverstanden? – Dann verfahren wir so.Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 cowie die Zusatzpunkte 3 a und 3 b auf:28 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Än-derung des Strafgesetzbuches – Anhebung derHöchstgrenze des Tagessatzes bei Geldstrafen– Drucksache 16/11606 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Innenausschussb) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Hakki Keskin, Monika Knoche, Hüseyin-
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Vizepräsidentin Katrin Göring-EckardtKenan Aydin, weiterer Abgeordneter und derFraktion DIE LINKEGewerkschaften in der Türkei stärken– Drucksache 16/11248 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger AusschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfec) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPDBürgerschaftliches Engagement umfassendfördern, gestalten und evaluieren– Drucksache 16/11774 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
InnenausschussSportausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Arbeit und SozialesHaushaltsausschussZP 3 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. VolkerWissing, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-LudwigThiele, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDPSteuervollzug effektiver machen– Drucksache 16/11734 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschussb) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungBericht der Bundesregierung zur AuswärtigenKulturpolitik 2007/2008– Drucksache 16/10962 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
SportausschussAusschuss für TourismusAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionAusschuss für Kultur und MedienEs handelt sich hierbei um Überweisungen im ver-einfachten Verfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, dass die Vorla-gen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsseüberwiesen werden. Damit sind Sie einverstanden? –Das ist der Fall. Dann wird so verfahren.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 l sowieTagesordnungspunkt 14 auf. Es handelt sich um dieBeschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aus-sprache vorgesehen ist.Tagesordnungspunkt 29 a:Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrateingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zursteuerlichen Gleichbehandlung der Auftrags-forschung öffentlich-rechtlicher Forschungs-ffdIwEBGuFrlDeBgmmu
– Drucksache 16/5726 –Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-schätzung
– Drucksache 16/11104 –Berichterstattung:Abgeordnete Michael KretschmerRené RöspelCornelia PieperDr. Petra SitteKrista SagerDer Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-olgenabschätzung empfiehlt in seiner Beschlussemp-ehlung auf Drucksache 16/11104, den Gesetzentwurfes Bundesrates auf Drucksache 16/5726 abzulehnen.ch bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmenollen, um das Handzeichen. – Die Gegenstimmen? –nthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweitereratung bei Zustimmung durch die Fraktion der FDP,egenstimmen durch die Fraktionen CDU/CSU, SPDnd Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung durch dieraktion Die Linke abgelehnt. Damit entfällt nach unse-er Geschäftsordnung die dritte Beratung.Tagesordnungspunkt 29 b:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Verkehr, Bau undStadtentwicklung zu der Unter-richtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Verordnung des Europäi-schen Parlaments und des Rates zur Änderungder Verordnungen Nr. 549/2004, (EG)Nr. 550/2004, Nr. 551/2004 und (EG) Nr.552/2004 im Hinblick auf die Verbesserungder Leistung und Nachhaltigkeit des europäi-
KOM(2008) 388 endg.; Ratsdok. 11323/08– Drucksachen 16/10286 Nr. A.60, 16/11447 –Berichterstattung:Abgeordneter Ingo Schmitt
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-ung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufrucksache 16/11447, in Kenntnis der Unterrichtungine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für dieseeschlussempfehlung? – Die Gegenprobe! – Enthaltun-en? – Damit ist die Beschlussempfehlung bei Zustim-ung durch CDU/CSU, SPD und FDP ohne Gegenstim-en und bei Enthaltung durch die Fraktionen Die Linkend Bündnis 90/Die Grünen angenommen.Tagesordnungspunkt 29 c:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Bildung, Forschungund Technikfolgenabschätzung
zu dem Antrag der Abgeordneten Axel E. Fischer
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009 21829
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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
, Ilse Aigner, Michael
Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der CDU/CSUsowie der Abgeordneten René Röspel, JörgTauss, Willi Brase, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der SPDIm Deutsch-Israelischen Jahr der Wissen-schaft und Technologie 2008 neue Impulse fürdie Zusammenarbeit setzen– Drucksachen 16/10847, 16/11724 –Berichterstattung:Abgeordnete Axel E. Fischer
René RöspelPatrick MeinhardtDr. Petra SittePriska Hinz
Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-folgenabschätzung empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 16/11724, den Antrag der Fraktionender CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/10847 an-zunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Die Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die Be-schlussempfehlung einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 29 d:Beratung der Beschlussempfehlung des Rechts-ausschusses
Übersicht 13über die dem Deutschen Bundestag zugeleite-ten Streitsachen vor dem Bundesverfassungs-gericht– Drucksache 16/11638 –Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-genstimmen? – Enthaltungen? – Auch diese Beschluss-empfehlung ist einstimmig angenommen.Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-titionsausschusses.Tagesordnungspunkt 29 e:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 515 zu Petitionen– Drucksache 16/11652 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist einstimmig ange-nommen.Tagesordnungspunkt 29 f:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 516 zu Petitionen– Drucksache 16/11653 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Zustimmungdurch die Koalition und die FDP, Gegenstimmen durchdDtntsDtdsutdsdtdGL
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21830 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009
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gierungVorschlag für eine Richtlinie des EuropäischenParlaments und des Rates über Qualitäts- undSicherheitsstandards für zur Transplantation
lisch)KOM(2008) 818 endg.; Ratsdok. 16521/08– Drucksachen 16/11517 Nr. A.30, 16/11781 –Berichterstattung:Abgeordneter Michael HennrichHierzu liegt uns eine Erklärung zur Abstimmung nach§ 31 der Geschäftsordnung des Kollegen Dr. Ilja Seifertvor.1)Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich-tung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt fürdie Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthal-tungen? – Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmungdurch die Große Koalition und Bündnis 90/Die Grünengegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und bei Ent-haltung der Fraktion der FDP angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Verfolgung der Vorbereitung vonschweren staatsgefährdenden Gewalttaten– Drucksache 16/11735 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
InnenausschussFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und Technologieb) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung desAufenthalts in terroristischen Ausbildungsla-gern
– Drucksache 16/7958 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
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u den Instrumenten, die wir dabei nutzen, gehört selbst-erständlich das Strafrecht an vorderster Stelle. Wirüssen aber zweitens sicher sein, dass wir unsere rechts-taatlichen Grundsätze bewahren.
ir haben immer gesagt – das gilt auch heute –, dass esür die Terrorismusabwehr kein Sonderstrafrecht gebenann. Eine Strafverfolgung darf es nur auf Grundlagees Allgemeinen Strafrechts geben. Eine unverhältnis-äßige Ausweitung der Strafbarkeit wäre genausoalsch wie die Untätigkeit im Angesicht der Gefahr.
Lieber Herr Wieland, wir werden uns darüber nochustauschen. Ich meine, dass wir mit dem heute zu dis-utierenden Entwurf beides gewährleisten.
ir schließen zum einen eine Lücke im Staatsschutz-trafrecht, und wir folgen zum anderen den rechtsstaatli-hen Grundsätzen.Es ist seit 2001 in vielen Punkten gelungen, die tat-ächlichen Möglichkeiten unserer Sicherheitsbehördenuszubauen. Ich möchte hier deutlich machen, dass esor allem dem engagierten Einsatz unserer Sicherheitsbe-örden sowie der Polizistinnen und Polizisten in Deutsch-nd zu verdanken ist, dass Anschlagsversuche – es isticht nur einer gewesen – bisher vereitelt werden konn-en.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009 21831
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Bundesministerin Brigitte ZypriesAn dieser Stelle deshalb ein Dank an die Mitarbeiterin-nen und Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden.Gerade die Ermittlungen im Fall der sogenanntenKofferbomber haben deutlich gemacht, dass wir hiereine Strafbarkeitslücke haben
und dass dementsprechend Nachbesserungsbedarf be-steht.Die Bedrohungen – das wissen Sie; Sie werden esauch morgen im Magazin der Süddeutschen Zeitungnachlesen können – gehen eben nicht mehr von terroris-tischen Vereinigungen aus, die so organisiert sind, wiewir es vom deutschen Terrorismus der 70er-Jahre herkennen oder wie es bei den Anschlägen vom11. September offenbar der Fall war. Wir haben heutevielmehr lose Netzwerke und Einzeltäter, die sich nurvon Fall zu Fall zusammenschließen.
Auf solche Personen hat unser Strafrecht bisher keineAntwort. Wir haben die Gründung, die Mitgliedschaftund die Unterstützung von und in terroristischen oderkriminellen Vereinigungen unter Strafe gestellt. Dasheißt, es müssen immer zumindest drei Personen betei-ligt sein. Wenn es aber weniger als drei sind, dann kön-nen wir mit den Mitteln des Strafrechts nichts tun.Deswegen müssen wir das Gesetz ändern und müssenmit einem Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung vonschweren staatsgefährdenden Gewalttaten auf diese Si-tuation reagieren. In Zukunft macht sich also schon der-jenige strafbar, der Kontakt zu einer terroristischen Ver-einigung aufnimmt, um sich zur Begehung einerstaatsgefährdenden Gewalttat, wie zum Beispiel Mordoder Totschlag, ausbilden zu lassen. Ihm droht künftigeine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eineGeldstrafe. Derjenige, der sich ausbilden lässt, um einesolche Gewalttat auszuüben, muss mit einer Freiheits-strafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren rechnen.Wir erfassen damit zum Beispiel den Fall, dass sichjemand in einem islamistischen Ausbildungslager imUmgang mit Sprengstoff schulen lässt, damit er dann inDeutschland Sprengstoffanschläge begehen kann. Vonder Norm erfasst werden – darauf möchte ich hinweisen –natürlich nicht nur islamistische Täter, sondern selbst-verständlich zum Beispiel auch rechtsextremistischeEinzeltäter, die sich Sprengstoff besorgen, um einen An-schlag auf eine Synagoge auszuüben.Entscheidend ist, dass die Ausbildung oder der Er-werb des Sprengstoffs in der Absicht erfolgen, eineschwere staatsgefährdende Gewalttat zu begehen. Erst inder Verbindung mit dem Vorsatz, diese Tat begehen zuwollen, wird etwa das Training an der Waffe zu einerstrafwürdigen Vorbereitungshandlung. Die Absicht also,ein schweres Gewaltverbrechen zu begehen, das unserenStaat gefährdet, macht die Ausbildung zu einer strafwür-digen Vorbereitungshandlung.ddeoswwbdel–nmm–hWkeDdddsWghgaBaRtegmVG–WrjDoPd
Wir müssen dazu nicht in die Köpfe schauen. Das isticht erforderlich. Selbstverständlich braucht man im-er Anhaltspunkte, um bei Straftaten zu ermitteln. Dasachen Sie doch ansonsten auch.
Wenn es so ist, wie es der Kollege Stünker sagt, dannöre ich auch auf, speziell auf Sie einzugehen, Herrieland. Wir verlegen das Gespräch.Die Strafverfolgungsbehörden müssen also eingreifenönnen. Genau dieses Eingreifen ermöglicht der Gesetz-ntwurf, über den wir heute diskutieren.
ie Generalbundesanwaltschaft hat uns bescheinigt,ass dieser Gesetzentwurf praxistauglich ist. Ich geheeshalb davon aus, dass man ihn entsprechend anwen-en kann und dass die Sorgen, die Sie haben, unnötigind.Dieser Gesetzentwurf beinhaltet eine weitere Facette.ir schaffen mit diesem Gesetzentwurf auch Regelun-en, um des Mediums besser habhaft zu werden, daseute mit zu den Kommunikationsmedien schlechthinehört: des Internets. Im Internet wird zum Dschihadufgerufen; im Internet werden Pläne für den Bau vonomben verbreitet. Im Internet gibt es aber natürlichuch von der anderen Seite, beispielsweise von denechtsextremen, Aufrufe zu gewalttätigem Vorgehen.Auch den Gefahren, die sich aus dieser Kommunika-ion im Internet ergeben, begegnen wir mit dem Gesetz-ntwurf, über den wir heute diskutieren. Wer Anleitun-en zur Begehung schwerer Gewalttaten verbreitet,acht sich künftig strafbar, und zwar dann, wenn dieseerbreitung im konkreten Fall geeignet ist, andere zuewaltverbrechen zu bewegen. Es geht also nicht darum um es ganz klar zu sagen –, die Chemiefachseiten beiikipedia unter Strafe zu stellen. Es geht vielmehr da-um, dass die Strafwürdigkeit immer dann einsetzt, wennemand zu bestimmten Handlungen, beispielsweise zumschihad oder zur Verfolgung von Andersdenkendender Andersaussehenden, aufruft und wenn danebenläne für den Bau von Sprengsätzen veröffentlicht wer-en, in denen steht: So müsst ihr es machen; dann könnt
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Bundesministerin Brigitte Zypriesihr auch aktiv werden. – Diese Verknüpfung wollen wirunter Strafe stellen.Nun habe ich immer gesagt – dies sage ich gerne auchhier –, dass wir ein Stück weit juristisches Neuland be-treten. Unser Strafrecht war ursprünglich einmal davonausgegangen, dass wir nur den Täter für die Tat bestra-fen, die er begangen hat. Im Laufe der Zeit gab es zahl-reiche Verlagerungen in Vorfeldaktivitäten. Wir stellenden Versuch unter Strafe.
– Ja, da ist auch weiter noch nichts geschehen. – Nundehnen wir dies insoweit aus, als wir künftig jemandenbestrafen, der Kontakt zu einer Terrorgruppe aufnimmtoder sich im Umgang mit Waffen schulen lässt, um einebestimmte Tat zu begehen. Wir bewegen uns dabei aber– das ist mir auch klar – im Vorfeld einer Rechtsgutver-letzung.
Dass dies verfassungsrechtlich noch nicht ausgeurteiltist, wissen Sie so gut wie ich. Aber unser Haus hat diesebenso wie das Bundesinnenministerium geprüft. Wirsind der Auffassung, dass diese Art des Vorgehens ver-fassungsrechtlich gerechtfertigt und zulässig ist, geradeweil die Kopplung mit der subjektiven Seite gegeben ist.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Montag?
Bitte schön.
Bitte sehr.
Danke schön, Frau Ministerin. – Da mir die monate-
lange Debatte innerhalb der Koalition über die Frage, ob
dieser Tatbestand mit der subjektiven Tatseite überhaupt
handhabbar ist, bekannt ist, höre ich Ihren Ausführungen
genauestens zu. Ich habe Sie jetzt so verstanden, dass es
natürlich notwendig sei, dass der Täter zum Beispiel den
Vorsatz gefasst hat, einen Sprengstoffanschlag durchzu-
führen. Wenn aber der Täter einen solchen Vorsatz ge-
fasst hat, dann sind wir mitten im § 30 StGB.
– Natürlich. –
Lediglich dann, wenn es ein völlig diffuser Generalvor-
satz ist – ich weiß zwar noch nicht, wann und wie; ich
will irgendwann irgendwo einen Bombenanschlag
durchführen –, müssten Sie, Frau Ministerin, einen sol-
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Meine Frage lautet: Wie wollen Sie eigentlich einen
o allgemeinen Vorsatz – ich sehe einmal davon ab, dass
s jemand niederschreibt – bei der Verfolgung solcher
äter beweisen?
Herr Montag, diese Diskussion haben wir schon anerschiedenen Stellen geführt. Ich muss gestehen, es gibteine bessere Antwort darauf als das Beispiel, das derollege Gehb vorgetragen hat.
Nicht wie immer, aber wie vor allen Dingen in diesemall.
Herr Gehb hat nämlich darauf hingewiesen, dass esür die Strafverfolgungsbehörden keine Besonderheit ist,ass man eine subjektive Seite nachweisen muss, undies am Beispiel des Diebstahls verdeutlicht. Wenn manemanden im Laden stehen sieht, der ein Buch in derand hat, dann kann man entweder sagen, er schaue daur hinein, oder man kann sagen, er wolle damit zurasse gehen, oder man kann sagen, er wolle sich diesesuch zueignen, ohne zu bezahlen, also klauen.
Ach, nein! – Es geht also um die Frage der subjektiveneite, die die Strafverfolgungsbehörden sehr wohl he-auszufinden geübt sind.Mit Ihrem Vorsatz ist es auch so: Es gibt einen Unter-chied zwischen § 30 und den Normen, die wir hier re-eln.
s gibt auch einen Unterschied zwischen der Frage, obemand irgendwann in seinem Leben einen Anschlag be-ehen könnte, und der Frage, ob jemand vorhat, einennschlag in der Stadt Berlin zu begehen, ohne konkretu wissen, welche U-Bahn-Haltestelle er treffen will.
ierzu haben wir in der Begründung des Gesetzentwurfsinreichende Ausführungen gemacht. Die Zweifel, dieie noch haben, können Sie in der Sachverständigen-nhörung mit den Sachverständigen sachverständig dis-utieren.
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Bundesministerin Brigitte ZypriesIch meine, dass es uns durch die Einbindung der sub-jektiven Seite gelungen ist – das war der Gegenstand derlangwierigen Debatte innerhalb der Großen Koalition –,auf der verfassungsrechtlich sicheren Seite zu sein undeine Regelung zu finden, die hinreichend konkret undbestimmt ist, um für die Strafverfolgungsbehörden hand-habbar zu sein.
Nächster Redner ist der Kollege Jörg van Essen für
die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Es gibt zwei Gesichtspunkte, die wir in dieser Debattebetrachten müssen. Auf der einen Seite freuen sich, soglaube ich, alle Seiten dieses Hauses über die Entschei-dung des neuen amerikanischen Präsidenten, das Lagerin Guantánamo aufzugeben,
weil die Einrichtung eines Camps außerhalb der rechts-staatlichen Garantien ein Beispiel dafür ist, wie einRechtsstaat auf die islamistische Bedrohung nicht re-agieren sollte. In diesem Camp wurden auch Unschul-dige, unter anderem Kinder, was ein früherer amerikani-scher Außenminister meiner Ansicht nach zu Recht kriti-siert hat, über viele Jahre hinweg festgehalten, ohne dassein Richter darüber entschieden hat. Das hat Gott seiDank endgültig ein Ende.Die Lehre, die wir daraus zu ziehen haben, ist, dassRechtsstaaten gerade bei der islamistischen Bedrohunggut daran tun, besonders streng auf Rechtsstaatlichkeitzu achten und nicht Gesetze zu machen, die, was vielevon Ihnen zugeben, verfassungsrechtlich auf Kante ge-näht sind. Damit betreten wir nämlich einen Graubereichund laufen Gefahr, dass später vom Bundesverfassungs-gericht festgestellt wird, dass diese Gesetze mit unsererVerfassung nicht übereinstimmen.Schauen wir uns doch an, was wir in den letzten Jah-ren diesbezüglich erlebt haben: Ein Beispiel ist der Euro-päische Haftbefehl; aber es gab noch viele weitere Ent-scheidungen im Bereich der Justiz, die der Prüfungdurch Karlsruhe nicht standgehalten haben. Daraus müs-sen wir die Verpflichtung ableiten, diesen Weg nichtfortzusetzen. Wir können doch nicht einfach weiterNeues austesten. Das gilt insbesondere, weil aufgrundvorläufiger Entscheidungen zu erwarten ist, dass in demeinen oder anderen Verfahren, das zurzeit in Karlsruheanhängig ist, entschieden wird, dass die Gesetze nichtverfassungskonform sind und dementsprechend keinenBestand haben werden. Ich denke, wir dienen unseremRechtsstaat nicht, wenn wir hier Gesetzesvorschläge, dieverfassungsrechtlich auf Kante genäht sind, vorlegen.DDtkAafvtiras–gcSSNhBDDvBgSdsDzgWzztiLanbddsnnhwd
as genau ist der Ansatz meiner Fraktion.Der andere Gesichtspunkt ist mir genauso wichtig.ie Ministerin hat darauf hingewiesen, dass in den letz-en Tagen verstärkt Drohvideos erschienen, wodurch unslar wird, dass wir einer Bedrohung ausgesetzt sind.uch das sehen wir als Liberale. Aber wir haben einendere Antwort als die Große Koalition. Ich bin sehrroh darüber und sehr stolz darauf, dass es unseren Straf-erfolgungsbehörden, aber auch den Nachrichtendiens-en – sie werden immer gerne unterschlagen, obwohl esn vielen Fällen auch eine große Leistung unserer Nach-ichtendienste war – bisher immer gelungen ist, Gruppenufzudecken, zum Beispiel die Sauerland-Gruppe, bevorie in unserem Land Schaden anrichten konnten.
Natürlich waren die auch daran beteiligt. Das ist dochanz klar. Ich habe von den Nachrichtendiensten gespro-hen, die bei uns häufig nur lächerlich gemacht werden.ie leisten ganz hervorragende Arbeit. Von daher ist dietärkung der entsprechenden Kompetenzen unsererachrichtendienste, aber auch der Strafverfolgungsbe-örden für uns ein Schwerpunktthema, wenn es um dieekämpfung der Bedrohung durch den Islamismus geht.er Stellenabbau in diesen Bereichen und viele andereinge machen uns große Sorgen. – Wir wollen den Weg,erfassungsrechtlich fragwürdige Gesetze im Deutschenundestag zu verabschieden, nicht gehen, vor allen Din-en, weil wir keine Notwendigkeit dafür sehen.Frau Ministerin, Sie haben behauptet, wir hätten einetrafbarkeitslücke. Ich habe mir all die Fälle, die wir iner Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahrentrafrechtlich zu beurteilen hatten, einmal angeschaut.ie sogenannten Kofferbomber aus Köln waren nur zuweit; das ist richtig. Damit erfüllen sie die Anforderun-en – eine Gruppe von mindestens drei Personen – nicht.enn ich mich recht entsinne, ist der Kofferbomber aberu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilt worden, undwar, weil unsere gesetzlichen Bestimmungen ausreich-en, um sicherzustellen, dass jemand, der in einem Zugn Deutschland eine Bombe platzieren will, in diesemand mit einer hohen Strafe rechnen muss und dazuuch verurteilt wird. Auch die anderen Gruppen, die ge-annt worden sind, unterliegen selbstverständlich denisherigen gesetzlichen Bestimmungen. Von daher ister Nachweis, dass wir eine Strafbarkeitslücke haben,ie gefüllt werden muss – dies ist insbesondere verfas-ungsrechtlich fragwürdig –, aus meiner Sicht bishericht geführt worden.Hier wird so eifrig behauptet, das sei alles in Ord-ung, insbesondere weil wir auf das Merkmal abgestelltaben, dass eine Absicht vorliegen muss. Wir alle, dieir aus der Juristerei kommen – all diejenigen, die hierazu reden werden, sind erfahrene Juristen –, wissen
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Jörg van Essendoch: Wenn etwas schwer nachzuweisen ist, dann ist esdie Absicht, vor allen Dingen, wenn sie so nebulös seindarf wie in den jetzt vorgesehenen strafrechtlichen Be-stimmungen.Ich bin lange in einer Staatsschutzabteilung gewesen.Ich bin fast mein ganzes staatsanwaltschaftliches Lebenmit politisch motivierten Straftaten befasst gewesen. Ichmöchte meinen Kollegen nicht zumuten, mit Strafvor-schriften umgehen zu müssen, die nicht wirklich hand-habbar sind, bei denen sie ein schlechtes Gefühl habenund die beinhalten, dass vorher eigentlich schon fest-steht, dass ein ganz wichtiger Faktor, nämlich die Ab-sicht, in aller Regel nicht wird nachzuweisen sein. Vondaher sollten wir keine solche Symbolgesetzgebung ma-chen. Das ist der Schwere der Bedrohung nicht ange-messen. Vielmehr sollten wir uns Gedanken machen,wie wir den Bedrohungen des Islamismus in den Gren-zen unserer Verfassung und auf dem Boden unserer Ver-fassung wirkungsvoll begegnen können.
Das wollen wir als Liberale; das ist unser Ansatz.Wir werden uns in einer Anhörung damit auseinan-dersetzen. Sie wissen: Ich bin bei solchen Fragen immeroffen für gute Argumente. Ich habe sie nur bisher leidernicht gehört.
Dass auch der Vorsitzende der sozialdemokratischen Ju-risten unsere Auffassung teilt, zeigt mir, Frau Ministerin,dass wir richtig liegen.Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Jürgen Gehb für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass dieGefährdung durch Terror und Terroristen nach wie vorhochaktuell ist, hat die Bundesjustizministerin ebenplastisch dargestellt. Das ist nicht nur eine Herausforde-rung für die Nachrichtendienste und die Strafverfol-gungsbehörden, sondern selbstverständlich auch für denGesetzgeber. Der meinen wir mit dem Gesetz, das denetwas sperrigen Titel „Gesetz zur Verfolgung der Vorbe-reitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten“hat, gerecht zu werden.Die Aussage, dass wir Neuland oder jedenfalls eineGrauzone betreten, will ich in der Stringenz nicht zulas-sen, Frau Ministerin, liebe Brigitte, weil Vorbereitungs-handlungen schon jetzt im Strafgesetzbuch unter Strafestehen. Ich erinnere nur an § 80 des Strafgesetzbuches:Vorbereitung eines Angriffskrieges. Ich möchte einmalwissen, Herr van Essen, wie die Gerichte mit einer sol-cuVLuVDkahagsmmnFvzrchddNt1hIdgHvGv
orbereitung eines hochverräterischen Unternehmens.esen Sie bitte § 83 Strafgesetzbuch. Tolle lege! Nimmnd lies! Oder nehmen Sie § 149 des Strafgesetzbuches:orbereitung der Fälschung von Geld oder Wertzeichen.ass wir also bereits Vorbereitungshandlungen vor demlassischen Versuchsstadium, wo man also unmittelbarnsetzen muss, wo er praktisch das Messer an der Kehleat, als strafbewehrtes Unrecht ansehen, ist alles anderels Neuland.
Ich gebe gerne zu, dass es eine kritische, auf Kanteenähte Regelung ist. Das ist übrigens seit geraumer Zeito in den Fällen, in denen wir etwa mit verdeckten Er-ittlungsmaßnahmen Verbrechern auf den Leib rückenüssen. Es ist doch ganz klar, dass etwas, das das Span-ungsfeld zwischen den Grundrechten der Bürgers aufreiheit und der sehr wohl auch verfassungsrechtlicherbürgten und geforderten Verpflichtung des Staatesum Schutze betrifft, eher beim Bundesverfassungsge-icht landet, als wenn wir irgendeine Norm im Viehseu-hengesetz ändern.Aber, Herr van Essen, ich will Ihnen sagen: Sie alleolen immer mit einer geradezu an eine Litanei erinnern-en Aufzählung von Gesetzen aus, die alle vor dem Bun-esverfassungsgericht gescheitert sind.
icht ein einziges davon stammt aus der jetzigen Koali-ion. Ich habe einmal die Anfrage gestellt, was seit dem9. Oktober 2005 vom Bundesverfassungsgericht aufge-oben wurde.
ch sage Ihnen einmal etwas: Bisher ist die Änderunges Gesetzes zum Hufbeschlag unter Schwarz-Rot auf-ehoben worden.
ören Sie auf, uns immer zu unterstellen, dass schoniele unserer Gesetze aufgehoben worden seien!
Im Übrigen kann man bei Gesetzen, die eine gewisserundrechtsrelevanz haben, doch nicht bereits aus Angstor dem Tode Selbstmord begehen. Es wäre eine Kata-
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Dr. Jürgen Gehbstrophe, wenn wir ängstlich und gebannt wie das Häs-chen vor der Schlange davon absehen würden, wichtigeGesetze zu erlassen. Sie dürfen natürlich nicht evidentverfassungswidrig sein. Ihnen darf die Verfassungswid-rigkeit also nicht sozusagen auf der Stirn stehen, sodassman Angst haben muss, dass selbst der Hausmeisterbeim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe sie garnicht an den Senat weiterleitet, sondern sie zerreißt.
So etwas haben wir natürlich auch nicht vor, meine Da-men und Herren. Aber dass wir uns in einer kritischenPhase befinden, gebe ich gerne zu.Mit den drei Gesetzesregelungen, um die es geht – dieRegelungen von § 89 a, § 89 b und § 91 des Strafgesetz-buches –, setzen wir übrigens auch ein Übereinkommendes Europarates zur Bekämpfung des Terrorismus um,das wir in diesem Hohen Hause bereits am 7. Juni 2007verabschiedet haben. Wir halten uns also auch an euro-päische Vorgaben.Meine Damen und Herren, zu Ihren Ausführungenzur Absicht kann ich nur eines sagen: Auch Richter zie-hen ihre Hosen nicht mit einer Kneifzange an.
Wenn jemand von Nachrichtendiensten tatsächlich dabeibeobachtet worden ist, wie er sich in einem Terrorcamphat ausbilden lassen – über einem solchen Camp stehtschließlich nicht „Abenteuerspielplatz“ –, diese Personspäter aber vor Gericht aussagt: „Eigentlich habe ich mirmeine Sprengstofffertigkeiten nur angeeignet, um demTHW zu helfen“, dann wird diese Einlassung wohl nichtbesonders gut ankommen. Wenn sich jemand als Scharf-schütze ausbilden lässt und dies damit begründet, dass erauf dem Rummelplatz in Steglitz Sieger im Wettbewerb„Schießen auf den laufenden Keiler“ werden möchte,dann wird ihm das auch niemand glauben. Ein Richtermuss es also aus der Gesamtschau der jeweils obwalten-den Umstände beweisen.
Denken Sie einmal an das Beispiel Diebstahl: Die po-lizeilichen Ermittlungsbehörden finden beim Langzeit-studenten Ströbele zu Hause einen Palandt, der in derUniversitätsbibliothek schon seit fünf Jahren fehlt. Dannwird Herr Ströbele sagen: Ich hatte doch nicht die Ab-sicht, mir von einem anderen etwas Fremdes zueignenzu wollen? Es geht also um die Zueignungsabsicht. Hiergibt es also die Möglichkeit zur Einlassung: Ich wollteden Palandt zurückgeben. Zueignungsabsicht beinhaltetdemnach Enteignung und Aneignung. Den straflosenGebrauchsdiebstahl – furtum usus – kannten schon diealten Römer. In unserem Fall würde Herr Ströbele sagen:Das wollte ich doch nicht behalten. Das habe ich mir nureinmal ausgeliehen. Ich hätte das wieder zurückge-bracht. – Man muss natürlich abwarten, ob eine solcheEinlassung das Gericht überzeugt oder nicht.„osunGhÜFEnswODDRSsabnDgrDuelmnds
Der Beweis erfordert natürlich nicht, den Grundsatzin dubio pro reo“ für jede noch so alberne Einlassungder gar Ausrede gelten zu lassen. Für die Gerichte be-teht die Schwierigkeit, einen Tatbestand auszulegennd einen Täter sauber zu überführen – nicht mehr undicht weniger. Das, meine Damen und Herren, muss denerichten überlassen bleiben.
Es geht eine reflexartige Angst um: Im Zusammen-ang mit der Vorratsdatenspeicherung wurde der böseberwachungsstaat kritisiert. Jetzt liest man vom DAV:eindstrafrecht – Guantánamo lässt grüßen.
s wird wieder das Ende des Rechtsstaates besungen.Meine Damen und Herren auch von der Opposition,atürlich kann ich die Anwälte verstehen;
chließlich bin ich selbst Anwalt. Wer, wenn nicht An-älte, muss darauf achten, dass wir in Sachen staatlichebrigkeit nicht zu weit gehen?
as ist ganz klar. Eines darf man aber nicht tun, meineamen und Herren: Man darf die Hysterie, die unterechtsunkundigen gelegentlich herrscht und die amtammtisch nach dem dritten Glas Bier geradezu über-chwappt, nicht noch nähren. Ich appelliere deshalb auchn die Oppositionspolitiker: Wir sollten im Streit um dieesten Lösungen miteinander ringen. Wir dürfen abericht denjenigen das Wort reden, die die Verhältnisse ineutschland mit den Verhältnissen in Guantánamo ver-leichen und von Gesinnungsstrafrecht oder Feindstraf-echt reden.
as sollte von allen Demokraten in diesem Hohen Hausenisono so beurteilt werden.Nach der ersten Lesung werden wir unseren Gesetz-ntwurf an die Fachausschüsse – in diesem Fall sicher-ich an den Rechtsausschuss – überweisen, wie wir esit allen Gesetzentwürfen tun. Wir haben also noch ge-ug Zeit, externen Sachverstand einzuholen und uns mitieser Materie zu beschäftigen. Dann werden wir weiter-ehen.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Für die Fraktion Die Linke spricht nun die Kollegin
Ulla Jelpke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie wir
eben gehört haben, will die Bundesregierung demnächst
die Vorbereitung von Terroranschlägen und den Aufent-
halt in sogenannten Terrorcamps unter Strafe stellen.
Darüber diskutieren wir jetzt. Die Bundesregierung be-
schränkt sich dabei nicht darauf, konkrete Handlungen
zu bestrafen,
auch nicht darauf, konkrete Vorbereitungshandlungen zu
bestrafen,
sondern sie will bereits Gesinnungen bestrafen. Das hat
die Justizministerin mit ihrem hier heute verwendeten
Begriff „subjektive Seite“ sehr deutlich gemacht. Ich
möchte gern wissen, was die „subjektive Seite“ bei einer
geplanten Straftat sein soll.
Zu dem genannten Zweck hat die Bundesregierung
einen Gesetzentwurf eingebracht, dessen Formulierun-
gen unpräzise sind. Diverse Gummiparagrafen werden
geschaffen. Solche Gesetze sorgen meines Erachtens
nicht für Sicherheit, sondern – das ist ganz eindeutig –
für einen weiteren Abbau von Bürgerrechten.
Die Grundidee des Strafrechts eines Rechtsstaates ist
doch – lassen Sie mich noch einmal darauf eingehen –,
den Täter für eine Tat zu bestrafen, die er tatsächlich be-
reits begangen hat. Das wissen natürlich auch Sie, Frau
Justizministerin. Denn bei der Vorstellung Ihres Gesetz-
entwurfes haben Sie ausdrücklich gesagt:
Wir betreten mit der weiteren Vorverlagerung von
Strafbarkeit juristisches Neuland … Nun aber wird
jemand schon dafür bestraft, dass er Kontakt zu ei-
ner Terrorgruppe aufnimmt oder sich im Umgang
mit bestimmten Waffen oder Stoffen schulen lässt.
Wir bewegen uns damit sehr weit im Vorfeld einer
Tat.
Ich möchte Sie korrigieren: Juristisches Neuland betre-
ten Sie meines Erachtens nicht, Frau Justizministerin.
Sie sind vielmehr dabei, den Boden des Rechtsstaates,
die Grundrechte, zu verlassen. Ich sage Ihnen ganz klar:
Wir von der Linken werden so ein Gesetz nicht mittra-
gen.
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Ich möchte einige der Gedanken vortragen, mit denen
olf Gössner das Vorhaben der Bundesregierung in der
ffentlichkeit infrage gestellt hat:
So plausibel eine Strafandrohung etwa im Fall einer
Ausbildung in einem ausländischen „Terrorcamp“
auf den ersten Blick erscheinen mag, so problema-
tisch ist sie bei genauerem Hinsehen. Wie will man
beweisen, dass jemand in einem Trainingslager
zum Terroristen umgeschult und tatsächlich ein sol-
cher geworden ist?
Dass er unmittelbar und konkret Gewalttaten plant,
soll offenbar keine Voraussetzung sein – ein subjek-
tiver Anschlagswille reicht; wie aber soll der be-
wiesen werden? Wir haben es also mit einem Ge-
fährdungsdelikt ohne konkreten Tatbezug weit im
Vorfeld des Verdachts zu tun – eine unverhältnis-
mäßige und gefährliche Entgrenzung des herkömm-
lichen Tatstrafrechts.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Siegfried Kauder?
Ja, bitte.
Siegfried Kauder (CDU/
SU):
Frau Kollegin Jelpke, Sie haben gerade darauf hinge-
iesen, dass man jemandem, der sich in einem Terror-
amp ausbilden lässt, für die Strafbarkeit dieser Hand-
ung auch nachweisen müsse, dass er unmittelbar eine
erroristische Straftat begehen wolle. Können Sie mir sa-
en, wo diese Behauptung im Gesetzestext des § 89 a ih-
en Niederschlag findet?
Wenn Sie richtig zugehört hätten, wüssten Sie, dassch gerade Herrn Gössner zitiert habe. Aber ich bin gernereit, auch auf Ihre Frage zu antworten.
ch bin nämlich der Meinung, dass das, was Sie im Ge-etzentwurf schreiben, nicht handhabbar ist. Wer defi-iert „Kontakt“? Das müsste genauer erläutert werden.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009 21837
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Ulla JelpkeWer definiert „Terrorismus“? Bisher ist das nicht defi-niert. Die Justizministerin muss erklären, was genau ein„Terrorcamp“ sein soll.
– Ich habe das Gesetz jetzt nicht dabei; aber ich bingerne bereit, Ihnen das später zu beantworten.
Ich möchte das Zitat von Herrn Gössner noch been-den:Wir haben es also mit einem Gefährdungsdeliktohne konkreten Tatbezug weit im Vorfeld des Ver-dachts zu tun – eine unverhältnismäßige und ge-fährliche Entgrenzung des herkömmlichen Tatstraf-rechts. Und aufgrund welcher Erkenntnisse solletwa die Art des Kontakts, des Camps und der Fort-bildung beurteilt werden?Dieser Fragestellung können wir uns nur anschließen,und wir werden das in den Anhörungen auch entspre-chend zur Debatte stellen.Noch einmal zu dem vorherigen Punkt. Man fragtsich natürlich allen Ernstes, wie Sie überhaupt erfahrenwollen, ob jemand beispielsweise im Internet gesurft,nach Bombenbauanleitungen geschaut und dann anderemotiviert hat, eine Straftat zu begehen. Oder wie wollenSie von den Menschen, die einen Flugschein machen– Flugzeuge sind ja bekanntlich auch Waffen –, diejeni-gen erfassen, die andere angeblich motivieren, Terrorta-ten zu begehen? Sie betreiben hier ganz eindeutig eineVorfeldkriminalisierung, die wir nicht mitmachen wer-den.Herr Montag hat das Beispiel ja auch schon genannt:Was ist zum Beispiel mit einem Soldaten, der sich beider Bundeswehr ausbilden lässt, dann aber plant, einenTerroranschlag zu begehen? Heißt das im Rückschluss,dass die Bundeswehr ein Terrorcamp ist, oder wie sollman das interpretieren?
Sie müssen diese Fragen beantworten; denn Sie undnicht wir haben diesen Gesetzentwurf vorgelegt.
Sind wir denn technisch tatsächlich schon so weit,dass Justiz und Polizei Gedanken lesen können, oder wiesoll sonst der Beweis dafür erbracht werden, dass je-mand in einem Trainingscamp, durch den Erwerb einesChemiebuches oder durch intensive Recherchen im In-ternet tatsächlich ein Terrorist werden will?
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as wäre in der Tat ein Gesinnungsstrafrecht, durch daser Verfolgung politisch missliebiger Personen Tür undor geöffnet werden würde. Auch das ist mit uns nichtu machen.
Späh- und Lauschangriffe, geheime Onlinedurchsuchun-en durch das BKA und Untersuchungshaft werden dadurchn noch größerem Umfang möglich gemacht, als daschon heute – ich erinnere hier daran; das ist ja schon ge-annt worden – durch den Terrorparagrafen 129 a StGBBildung terroristischer Vereinigungen“ und den129 b StGB „Kriminelle und terroristische Vereinigun-en im Ausland“ der Fall ist. Der Umfang der Möglich-eiten soll jetzt noch einmal erweitert werden. Das war jaunächst auch das Anliegen von Frau Zypries.Mit ihrer Gesetzesvorlage bereitet die Bundesregie-ung einer Schnüffel- und Gesinnungspraxis den Weg.ir denken, dass hier rechtstaatliche Prinzipien mit Fü-en getreten werden.
enn eine Justizministerin einen Gesetzentwurf vor-tellt und sagt, er sei verfassungsrechtlich auf Kante ge-äht, dann wird deutlich, dass man ernsthaft fragenuss, ob hier wieder vorprogrammiert ist, dass das Ver-assungsgericht diesen Gesetzentwurf einkassieren wird.Man kann nur sagen: Frau Zypries, ich fand es sehrut, dass Sie am Anfang versucht haben, gegen Herrnchäuble anzutreten und zu sagen, dass Sie diese Ver-chärfung im Gesetz nicht wollen. Es ist aber wie im-er: Sie sind mal wieder eingeknickt. In Richtung derPD muss man fragen: Wo bleibt eigentlich Ihre demo-ratische rechtsstaatliche Gesinnung, wenn Sie jedemieser Gesetzentwürfe, mit denen Bürgerrechte massivefährdet und abgebaut werden, zustimmen?
Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit.
Ja. Ich komme auch zu meinen letzten beiden Sätzen.
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21838 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009
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Ulla JelpkeDie Linke bleibt dabei: Gewaltdelikte sind und blei-ben zu verfolgen und zu bestrafen; das ist überhaupt garkeine Frage. Durch spezielle Terrorparagrafen nach demStrickmuster dieser Regierung werden jedoch dasGrundgesetz und der Rechtsstaat gefährdet.Danke.
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Wieland
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ge-ständnisse soll man ja möglichst frühzeitig ablegen. Des-wegen sage ich gleich vorweg: Ich verstehe manchmaldie Welt nicht mehr – genauer gesagt, Ihre Welt, meineDamen und Herren von der Großen Koalition. Da fehltmir wirklich die Einsicht.
Ich gebe zu: Unser Strafgesetzbuch stammt aus demJahr 1871. Da gab es diese Form des internationalen Ter-rorismus noch nicht. Wir haben aber seit 1976 die terro-ristische Vereinigung und als Folge des 11. Septemberseit 2002 auch die ausländische terroristische Vereini-gung im Strafgesetzbuch verankert. Nun finden SieStrafbarkeitslücken – Sie behaupten sie jedenfalls – undbegründen Ihr Vorhaben damit, dass der Terror eine in-ternationale Erscheinung geworden ist und Terrorcampseine neue Erscheinung sind. Darauf muss ich Ihnen ent-gegen: Auch die Rote Armee Fraktion – wenn Sie dasnicht schon wissen, können Sie sich den Film über denBaader-Meinhof-Komplex im Kino ansehen; er ist ja füreinen Oscar vorgeschlagen – ließ sich bekanntermaßenin einem Terrorcamp ausbilden.
– Das war immer strafbar. Damit gab es nie ein Problem.Des Weiteren haben Sie angeführt, es sei neu, dass dieHierarchien weggefallen sind. Wir hatten aber terroristi-sche Vereinigungen inländischer Prägung – ich denkedabei an die „Bewegung 2. Juni“ in Berlin –, die per de-finitionem völlig unhierarchisch waren. Wir hatten mitden „Revolutionären Zellen“ sogar das, was man heutzu-tage ein Terrornetzwerk nennt, nämlich einen relativ lo-sen Verbund selbstständig agierender Gruppierungenund Einzelpersonen.Das alles ist im Kern nicht neu. Wenn Sie behaupten,dass Sie Lücken füllen wollen, die wir nicht sehen unddie es gar nicht gibt, dann muss ich Ihnen unterstellen,dass Sie in Wirklichkeit etwas ganz anderes wollen. Siewollen nämlich nicht die Vorbereitung unter Strafe stel-len, Herr Kollege Gehb. Das gibt es im Strafgesetzbuchbereits in manchen Fällen. Sie wollen die Vorbereitungder Vorbereitung unter Strafe stellen. Bei Ihnen soll dieStrafe nicht der Tat auf dem Fuß folgen, sondern bei Ih-nDRssBkSedWed–„zEKwt–sStiStavtfpVmzShsBbc
Die Frau Bundesjustizministerin hat das schöne Bei-piel des Kunden im Buchladen angeführt, der in einemuch liest. Er kann die Absicht haben, zu zahlen. Erann die Zueignungsabsicht haben. Was tun wir in dieserituation? Sollen wir ihn festnehmen und nachsehen, obr genug Geld dabei hat, um dieses Buch zu kaufen? Istas das Neue, das wir brauchen?
ir tun das, was wir immer getan haben. Wir prüfen, obr das Buch unter die Jacke schiebt, und dann legen wiras als Indiz für die Zueignungsabsicht aus.
Mein lieber Kollege Gehb, jetzt sagen Sie wieder:Ströbele-Beispiel“. Der Kollege war aber nie ein Lang-eitstudent wie Sie vielleicht.
r hat zügig studiert, war bei der Bundeswehr, wurdeanonier und war dann noch drei Jahre Referendar. Erar weder Langzeitstudent, noch hat er je ein Buch un-erschlagen.
Das Beispiel lassen wir weg. Wählen Sie andere Bei-piele. Das ist nämlich falsch, selbst wenn es sich auftröbele bezieht.Aber im Ernst: Anhand welcher Indizien – die Minis-erin hat mir ja recht gegeben; auch sie kann niemandemn den Kopf hineingucken; das kann niemand – wollenie die Abgrenzung zu einem normalen, sozial adäqua-en Verhalten vornehmen, wenn es Ihnen zufolge daraufnkommt, ob der Betreffende terroristische Absichtenerfolgt hat oder nicht? Das wird aus Indizien hergelei-et. Dabei wird man sicherlich im Verdachtsfall sehr um-angreich überprüfen, mit wem der Verdächtige korres-ondiert und was er im Internet aufruft – dieorratsdatenspeicherung gibt es bereits –, und dann wirdan aus Mosaiksteinen seine Gesinnung zusammenset-en. Darauf wird es hinauslaufen. Damit geht man denchritt weg vom Schuldstrafrecht und vom Bestimmt-eitsgebot. Das ist das gefährliche Neuland, das mit die-em Gesetzentwurf betreten wird. Das wollen wir nicht.
In der Begründung, Herr Kollege Stünker, hat uns dasMJ am 14. Januar netterweise eine Lesehilfe mit Fall-eispielen geliefert, die erklären sollen, inwiefern es Lü-ken gibt.
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Wolfgang Wieland
Sie alle treffen nicht zu, weil alle Fälle bereits strafbarsind.Beim ersten Beispiel erhält – das ist wie in einerKlausur – ein gewisser A den Auftrag, ein Terrorcampaufzusuchen und sich dort ausbilden zu lassen. Wo istdenn hier das Problem der Strafbarkeit gegeben? Es gibtneben A wenigstens einen, der ihm den Auftrag gibt, undeinen, der ihn ausbildet. Das macht zusammen mindes-tens drei Personen. Warum sollten diese Personen nichtnach § 129 a des Strafgesetzbuches bestraft werden kön-nen? Was sind denn das für Beispiele?
– Der Kollege Uhl, der jetzt so lacht, hat in einem Arti-kel von einer „Riesenlücke“ gesprochen. Kollege Uhl,ich sage Ihnen: Sie hätten diese Aufgabe in einer Klau-sur falsch gelöst.
Schauen Sie einmal in den EU-Rahmenbeschluss, indem definiert wird, was eine terroristische Vereinigungist. Da heißt es: Dieser Begriff bezeichneteinen auf längere Dauer angelegten organisiertenZusammenschluss …, der nicht nur zufällig zur un-mittelbaren Begehung einer strafbaren Handlunggebildet wird.Dieser Tatbestand liegt hier doch vor.Das nächste Beispiel ist noch absurder. Da geht esganz im Ernst um ein Mitglied einer Wehrsportgruppe.Dieses Mitglied lässt sich bei dieser Wehrsportgruppeals Sprengmeister ausbilden. Franz Josef Strauß sagteeinmal über die Wehrsportgruppe Hoffmann: Das sindHanseln, das sind Kasper. – Er wurde dann durch dasOktoberfestattentat blutig eines Besseren belehrt. Aberwer ist denn sonst außer ihm ernsthaft der Ansicht, dasseine derartige Wehrsportgruppe keine terroristische Ver-einigung wäre? Diese Erkenntnis sollte doch endlich imBMJ angekommen sein. Weshalb schreiben Sie uns alsosolche Beispiele auf?
Auch der Sauerland-Fall taucht in dieser Beispiel-sammlung auf. Natürlich haben sich die Mitglieder die-ser Gruppe strafbar gemacht, sonst hätte man sie nichtfestnehmen können.
Man hat sie aber festgenommen. Vorbereitung eines Ex-plosionsverbrechens steht seit Jahr und Tag in § 310 desStrafgesetzbuches.WhhhSSaidSetuwEfeadeketmnbsndKwbaEnwb
s gibt eine empirische Untersuchung – ich werde sie Ih-en zukommen lassen – über 20 Jahre, in der festgestelltird, dass in diesem Zeitraum von 20 Jahren die Aufhe-ungsrate beim Bundesverfassungsgericht pro Jahr
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Joachim Stünkerdurchschnittlich fast immer gleich geblieben ist. Ichweiß nicht, woran das liegt. Das hat aber nichts damit zutun, wer gerade an der Regierung ist, oder damit, dass ei-ner gute und der andere schlechte Gesetze macht. Dasliegt einfach in der Natur der Sache. Hören Sie also mitsolchen Behauptungen auf.
Der zweite Punkt: Sozialdemokratische Juristen ha-ben keinen Vorsitzenden, Herr van Essen. Wir sind einefreiheitliche Partei. Es gibt für sozialdemokratische Ju-risten eine Arbeitsgemeinschaft mit einem Vorsitzenden.Das ist ein kleiner Unterschied. Aber auch in der Spra-che sollte man genau sein.
Genauso, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wirbei diesem ernsten Thema, um das es hier geht, beisprachlichen Begrifflichkeiten sehr vorsichtig sein. Ei-nige Redner, die ich gehört habe, haben die Schmerz-grenze überschritten, Herr Wieland und Frau Jelpke; dasmuss ich ganz deutlich sagen.
Sie müssen doch vor einem Gesetz, das nicht anwend-bar und dessen Inhalt nicht beweisbar ist, überhauptkeine Angst haben;
denn die angeblichen Täter, denen man eine Straftatnicht nachweisen kann, werden in Deutschland noch im-mer freigesprochen. Sie können dann irgendwann sagen:Euer Gesetz greift nicht. Was Ihr dort geregelt habt, trifftden Sachverhalt, um den es geht, eigentlich gar nicht. –Aber Ihre Angst davor, dass hier jemand möglicherweiseaus Gesinnungsgründen bestraft wird, können Sie nachdem, was wir Ihnen vorgelegt haben, zumindest keinemrechtskundigen Menschen in diesem Land erklären.
Frau Jelpke, es tut mir furchtbar leid, aber Sie haben mitIhren Ausführungen wieder einmal klargemacht, dassSie nicht regierungsfähig sind. Das wird wohl nochlange so bleiben.Jetzt zum Ernst des Themas zurück. Worüber redenwir eigentlich?Es handelt sich um einen ernsten Sachverhalt; die FrauMinisterin hat zu Recht darauf hingewiesen. Wir redendarüber, dass die Bedrohung durch den internationalenTerrorismus auch für uns in Deutschland nach wie vorfortbesteht. Ich nenne als Beispiele die Bedrohung vonPassagierflugzeugen in London, die Attentate von Mad-rid sowie die in Dortmund und Koblenz gefundenenBomben in Zügen. Wir wissen also, dass die Gefahrnach wie vor konkret ist. Zudem gab es – darauf wurdesVdlrwS–dmmdsaBWsdrüzhmrhhKbfhSednnksdrnuVvnsm
§§ 129, 129 a und 129 b des Strafgesetzbuches passenier nicht; dafür muss man etwas vom Strafrecht verste-en.
§ 30 StGB „Anstiftung zu einem Verbrechen“, denollege Montag erwähnt hat, passt ebenfalls nicht. Manraucht immer zwei Personen, um die Tatbestände zu er-üllen. Das heißt, genau die Normen, die wir von alterser kennen, passen nicht zu den infrage kommendenachverhalten.Auch die Strafbarkeit des Versuchs passt hier letzt-ndlich nicht; denn ein strafwürdiger Versuch bedeutet,ass der Täter alles getan haben muss, damit die Tatach seinen Vorstellungen vollendet werden kann. Ge-au das fehlt aber im oben genannten Fall noch. Dielassische Lehre, die wir kennen, passt hier nicht.Bei Selbstmordattentaten ist zudem die Phase zwi-chen Vorbereitung, Versuch und Vollendung außeror-entlich kurz. Auch daran sehen Sie, dass unsere bishe-ige Dogmatik nicht passt. Nur aus diesem Grunde undur für den Täterkreis, um den es hier geht, schaffen wirnter Sicherheitsaspekten zwei neue Tatbestände, um imorfeld mit entsprechenden Ermittlungsmaßnahmenorgehen zu können.Was stellen wir zukünftig – das wurde bislang nochicht richtig erklärt – eigentlich unter Strafe? Es handeltich um ein Staatsschutzdelikt. Das heißt, der Täter mussit dem Ziel handeln, den Bestand der Bundesrepublik
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Joachim StünkerDeutschland zu beeinträchtigen; das gehört mit zum Tat-bestand. Er muss dafür vorhaben, entweder einen Mord,einen Totschlag, eine Freiheitsberaubung, Menschen-raub oder Ähnliches zu begehen.Das sind die Tatbestandsmerkmale, die vorliegenmüssen, von denen aber keiner von Ihnen gesprochenhat. Um diese Taten begehen zu können, muss er sichentsprechend ausbilden lassen,
und er muss dabei den Vorsatz haben – hören Sie docheinmal zu, Herr Wieland, Sie können noch etwas lernen –,das, was er dort gelernt hat, nachher konkret umzuset-zen. Das ist der Hintergrund, aber nicht das, was Sie hiererzählt haben, was einige Leute schreiben und was Sieeinigen Journalisten in die Feder diktiert haben, die da-von gesprochen haben, wir würden Gesinnungsstrafrechtmachen.
Ganz konkrete Straftatbestandsmerkmale, die ich hiereben genannt habe, müssen erfüllt sein. Das hat nichtsmit Gesinnung zu tun, sondern das hat etwas mit derkonkreten Gefährlichkeit der Täter zu tun.
Herr Kollege Gehb hat schon auf etwas hingewiesen,was auch ich betonen möchte, damit es in der Öffentlich-keit wirklich deutlich wird. Dass Vorbereitungshand-lungen unter Strafe gestellt werden, ist im deutschenStrafrecht nun wirklich nichts Neues. Um das zu wissen,muss man den Besonderen Teil kennen, Frau Jelpke. Siehaben von der Vorbereitung des Angriffskrieges gespro-chen. Es heißt dort nur: Wer einen Angriffskrieg vorbe-reitet, an dem Deutschland beteiligt sein soll, der wirdbestraft. – Woher wissen Sie das? Können Sie in denKopf hineinschauen? Wie macht man denn so etwas?Natürlich brauchen wir Tatsachen und Anknüpfungs-punkte, natürlich brauchen wir eine Beweislage, nachder ein Gericht zu der Überzeugung kommt, dass Men-schen – auch subjektiv – einen Krieg vorbereiten wollen.
– Das ist doch gar nicht wahr. – Bei hochverräterischenUnternehmen muss man nur bereit sein, Hochverrat zubegehen. § 87 StGB betrifft die Agententätigkeit zu Sa-botagezwecken. Da verhält es sich genauso. Man mussnur sagen, dass man nach Deutschland fährt, weil manals Agent bereit ist, irgendwann eine Straftat zu begehen.Es geht also um das Vorfeld. Das ist der Hintergrund. Soweit ab von dem, was wir nach geltendem Recht kennen,bewegen wir uns hier also im Ergebnis nicht.
– Das habe ich doch gar nicht gesagt. Unterstellen Siemir keine Zitate, die ich nie gesagt habe. Ein solches Zi-tat von mir werden Sie nicht finden.shvndKGlsIFhtdCMhgdülzBAdvWfdfVüWEhWin
Nächster Redner ist der Kollege Siegfried Kauder fürie CDU/CSU-Fraktion.Siegfried Kauder (CDU/SU):Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eine Damen und Herren! Selbstverständlich sind Frei-eitsrechte in einem Staat wichtig, und sie sind auchrundgesetzlich geschützt. Aber hat der Staat nicht auchie Aufgabe, Straftaten zu verhindern, nicht nur denberführten Straftäter zu verurteilen? Es ist eine wesent-iche Aufgabe, dazu beizutragen, dass Straftaten nichtum Erfolg führen.
Herr Kollege van Essen, Sie haben natürlich recht:isher ist in Deutschland zum Glück nichts passiert.ber was die Kofferbomber anbelangt, so war das nichtas Verdienst deutscher Ermittlungsbehörden. Man hatergessen, dem Gasgemisch Sauerstoff beizumischen.äre es nicht viel besser gewesen, man hätte diese Kof-erbomber schon in dem Stadium festnehmen können, inem sie die ersten Vorbereitungshandlungen durchge-ührt haben?
orbereitungshandlungen unter Strafe zu stellen, istberhaupt nichts Neues.
arum haben wir denn den § 30 des Strafgesetzbuches?r betrifft die typische Bestrafung einer Vorbereitungs-andlung, die dazu dient, ein Verbrechen vorzubereiten.arum haben wir § 234 a Abs. 3 des Strafgesetzbuches,n dem es um die Strafbarkeit einer Vorbereitung zu ei-em Verschleppungsverbrechen geht? Genau deshalb,
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Siegfried Kauder
weil wir nicht wollen, dass Menschen verschleppt wer-den! Vielmehr sollen sie vom Staat rechtzeitig davor ge-schützt werden.
Herr Kollege Kauder, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Wieland?
Siegfried Kauder (CDU/
CSU):
Gerne doch.
Vielen Dank, Herr Kollege Kauder. – Ist Ihnen denn
nicht aufgefallen, dass Sie sich im Rahmen Ihrer Aus-
führungen zu den Kofferbombern gerade widersprochen
haben? Sie fragten: Wäre es nicht gut gewesen, sie vor-
her festzunehmen? Gerade diese Menschen haben sich
offenbar vorher zu einem Sprengstoffverbrechen verab-
redet, das als Vorbereitungshandlung nach § 310 Straf-
gesetzbuch bereits unter Strafe steht.
War das Problem bei den Kofferbombern nicht viel-
mehr, dass unsere Sicherheitsbehörden – sowohl die
Nachrichtendienste als auch die Länderpolizeien als
auch irgendjemand anders – sie nicht im Visier hatten?
Man hatte keine Anknüpfungspunkte, sich diese beiden
Personen anzusehen. Was wäre denn anders, wenn wir
das neue Gesetz schon hätten?
Siegfried Kauder (CDU/
CSU):
Kollege Wieland, ich bin Ihnen für Ihre Frage außer-
ordentlich dankbar. Das Zauberwörtchen heißt „verfah-
rensrechtliche Bezugsnorm“. Schauen Sie sich einmal
§ 100 a der Strafprozessordnung an; dort geht es um die
Telekommunikationsüberwachung. Meinen Sie, ein
Staatsanwalt kann aufgrund eines vagen Verdachtsmo-
mentes hingehen und eine Telefonüberwachung anord-
nen? Meinen Sie, ein Richter würde diese Maßnahme
zulassen? Nein, man braucht bestimmte Tatsachen, auf-
grund deren man eine Ermittlungsmaßnahme einleiten
kann.
Deswegen wollen wir, dass die Strafbarkeit vorverlagert
wird, damit man durch die bestimmten Tatsachen des
vorverlagerten Deliktes einen Anknüpfungspunkt hat,
um Ermittlungsmaßnahmen durchführen zu können.
So viel zur verfahrensrechtlichen Bezugsnorm. Damit
habe ich Ihnen die Antwort gegeben.
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Das Wesentliche ist, dass wir verfahrensrechtliche
ezugsnormen schaffen, die es bisher nicht gibt. § 30
es Strafgesetzbuches reicht nicht aus – das ist schon
rwähnt worden –, weil man am Anfang eines Ermitt-
ungsverfahrens die Existenz einer terroristischen Verei-
igung nicht nachweisen kann, da man die Tatbestands-
lemente noch nicht aufgedeckt und enttarnt hat.
§ 30 des Strafgesetzbuches eignet sich auch wegen
er Rechtsprechung nicht. Ich verweise auf die Entschei-
ung des Bundesgerichtshofs, Band 18, Seite 160 ff.
ort wurde der Straftatbestand nach § 30 des Strafge-
etzbuchs deutlich eingeschränkt. Um im Vorfeld ermit-
eln zu können, muss man eine konkrete Tat nachweisen.
ie Vorbereitung dieser Tat muss so weit fortgeschritten
ein, dass der Täter nur noch zur Tat ansetzen muss. Ge-
au das ist nach den in unserem Gesetzentwurf enthalte-
en Vorschriften nicht der Fall.
Einiges ist in der Diskussion durcheinandergegangen.
rau Kollegin Jelpke, ich empfehle Ihnen, einmal in den
esetzentwurf hineinzuschauen. Es ist ein Unterschied,
b man von § 89 a Strafgesetzbuch oder von § 89 b
trafgesetzbuch spricht. In § 89 a werden ganz konkret
ier Vorbereitungshandlungen unter Strafe gestellt. Es
andelt sich also nicht um ein Gesinnungsstrafrecht,
ondern um gesetzlich genau umschriebene Vorberei-
ungshandlungen. Nach § 89 a des Strafgesetzbuches
uss aber den Vorbereitungshandlungen ein Vorsatz hin-
ukommen. Bei einer Ausbildung im Terrorcamp muss
lso kein konkreter Vorsatz für eine Straftat vorliegen.
ch bitte Sie, diese beiden Straftatbestände auseinander-
uhalten.
Wir erreichen mit diesem Gesetz eine Verbesserung
er Sicherheitslage in Deutschland. Wir eröffnen den Er-
ittlungsbehörden die Möglichkeit, Telekommunika-
ionsüberwachung und Wohnraumüberwachung durch-
uführen. Genau das ist es, was zum Erfolg führt: sich
icht darauf zu verlassen, dass wie in der Vergangenheit
ichts passieren wird und dass das Glück einem weiter-
in hold ist. Wir müssen dieses Instrumentarium zur
erfügung stellen, damit Staatsanwaltschaften und Poli-
eibehörden gegen terroristische Angriffe rechtzeitig
orgehen können.
Ich möchte gern noch das Beispiel der Sauerland-
ruppe ansprechen: Es waren nicht die Ermittlungsbe-
örden, deren Arbeit zum Erfolg geführt hat, sondern die
nformationen eines V-Manns der Amerikaner. Man darf
ich nicht auf der sicheren Seite wähnen und sagen: Es
ird schon weiterhin so funktionieren. Wir müssen straf-
rozessual und strafrechtlich mit entsprechenden Straf-
orschriften reagieren. Deswegen muss der, der Sicher-
eit in Deutschland will, diesem Gesetz zustimmen.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kolleger. Hans-Peter Uhl für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen undKollegen! Wir Innenpolitiker der CDU/CSU-Fraktionhaben uns gestern die Terrorvideos angeschaut. MeinesWissens haben die Kollegen aus der SPD-Fraktion indieser Woche dasselbe getan. Ich kann Ihnen, Herr vanEssen, und den anderen Kollegen aus der Opposition nurempfehlen, dies auch zu tun,
weil Sie dann erleben, dass es sich bei Bekkay Harrach,einem jungen Marokkaner, der in Deutschland eingebür-gert wurde, um einen fanatisierten Islamisten handelt.Auf der einen Seite ist er sicherlich ein verwirrter Geist– den Eindruck gewinnt man, wenn man ihn erlebt –, aufder anderen Seite aber ein finster entschlossener Selbst-mordattentäter, der bereit ist, das, was er dort ankündigt,auch zu tun.
– Ein Einzeltäter.
Die Bedrohung, die von diesem Mann ausgeht, müssenwir sehr ernst nehmen, Herr van Essen.
Er ist mittlerweile zum Planungschef von al-Qaida auf-gestiegen.
Was er tut, hat Parallelen zu dem, was in Spanien2004 drei Tage vor der Parlamentswahl geschehen ist.
Er will uns Abgeordnete einschüchtern. Er bedroht unsin dem Video: Wir sollen vor der nächsten Bundestags-wahl dafür sorgen, dass die deutschen Soldaten ausAfghanistan abziehen; dann haben wir eine Chance, denTerroranschlag abzuwenden.Dies ist die Ausgangslage. Bei dieser Ausgangslagemuss man darüber nachdenken: Was kann der Staat tun,um seine Bürger zu schützen? Gibt es eine vornehmereAufgabe eines Staates als die, seine Bürger vor Gefahrenfür Leib und Leben zu schützen?Damit komme ich zu den Paragrafen und zu den Tat-beständen, die wir hier besprechen. Derzeit dürfenPersonen, die in Terrorcamps ausgebildet wurden, inDeutschland straffrei herumlaufen. Es gibt bereits einenFall; vom Berliner Kammergereicht entschieden. Das istnicht nur lebensbedrohlich, das ist absurd.
Diese Rechtslücke müssen wir schließen.BmetBgaSDvsmnssdEgwsaAceddnntnAkagGudlkD
ei einem Ladendieb kann man zu jedem Zeitpunkt ein-reifen, die Tat verhindern, alles Mögliche klären undufdecken. Es ist aber zu spät, Herr Wieland, wenn derelbstmordattentäter mit dem Auto losgefahren ist.
as heißt, wir müssen die Strafbarkeit sozusagen vor-erlagern, wenn wir eine Chance haben wollen, den An-chlag zu verhindern.Wir haben es bei dem neuen § 89 a StGB – das istehrfach betont worden – mit einem subjektiven und ei-em objektiven Tatbestand zu tun. Beide müssen erfülltein. Es muss Mord, Totschlag geplant sein, gewünschtein, es muss die Absicht darauf ausgerichtet sein, under Betreffende muss zu diesem Zweck zum Beispiel dasrlernen des Baus einer Autobombe beabsichtigen. Eseht um einen doppelten Vorsatz; das muss man immerieder hervorheben.Es kann nicht richtig sein, dass wir tatenlos zu-chauen, wie Menschen, radikalisierte Islamisten, sichus Deutschland auf den Weg ins Grenzgebiet zwischenfghanistan und Pakistan machen, um sich in Terror-amps ausbilden zu lassen, und dass wir sagen: Das istben so; das nehmen wir hin; wir müssen halt schauen,ass wir sie erwischen, bevor sie zurückkommen. – Istas Ihr Verständnis von einem Staat? Das frage ich mich.Wir müssen die Vorverlagerung der Strafbarkeit defi-ieren. Wir definieren sie richtig, indem wir in einemeuen § 89 b StGB festlegen, dass bereits bei der Kon-aktaufnahme – natürlich nicht irgendeiner Kontaktauf-ahme, sondern der Kontaktaufnahme mit dem Ziel, dieusbildung zum Terroristen zu ermöglichen – Strafbar-eit gegeben ist.Das Totschlagargument vom Gesinnungsstrafrecht istlso völlig abwegig. Es passt nicht hierher. Es müssenanz konkrete Vorbereitungshandlungen gegeben sein.Herr van Essen, wenn wir sagen, bisher hätten wirlück gehabt, auch bei den Kofferbombenattentätern,nd dies mit einem Lob an die Sicherheitsbehörden undie Nachrichtendienste garnieren, uns jetzt aber zurück-ehnen und sagen, daher machen wir so weiter, dannann ich vor dieser Haltung nur warnen.
amit werden wir der Gefahr nicht gerecht.
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Dr. Hans-Peter UhlWenn wir zu den beiden Vorschriften, die wir hier hin-sichtlich dieser Vorverlagerung der Strafbarkeit vor-schlagen, nicht bereit sind, sollten wir offen zugeben,dass der Staat bei solchen Bedrohungslagen durchSelbstmordattentäter dann eben kapitulieren muss.
Dann ist es eben Schicksal der betroffenen Opfer;
das ist dann für die Opfer dumm gelaufen.
Wir von der Union sind nicht bereit, vor dieser Bedro-hung zu kapitulieren. Wir wollen den Rechtsstaat gegen-über dieser Bedrohung wehrhaft machen.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzent-
würfe auf den Drucksachen 16/11735 und 16/7958 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? –
Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen
so beschlossen.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 6 a und b:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Regelung der Verständigung im
Strafverfahren
– Drucksache 16/11736 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Innenausschuss
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung von Ab-
sprachen im Strafverfahren
– Drucksache 16/4197 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Innenausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre dazu kei-
nen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.
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Seit über 20 Jahren gibt es Absprachen im Strafpro-ess, und der Bundesgerichtshof hat diese Tatsache inehreren Entscheidungen für richtig erklärt und ihronturen gegeben. Wir haben gesagt: Dass der Bundes-erichtshof Konturen eingezogen hat, mag das eine sein;ir aber wollen diese Konturen durch die Übernahme inen Gesetzestext verstärken. Wir wollen, dass derechtsstaat an dieser Stelle noch mehr Korsettstangeninzieht.
Diese Absprachen im Strafprozess gibt es entgegeninem weitverbreiteten Vorurteil, das insbesondere durchie Boulevardpresse genährt wird, keineswegs nur füreiche und Mächtige in diesem Lande.
ie Prozesse gegen die Reichen und Mächtigen sind nurolche Prozesse, die von der Boulevardpresse aufgegrif-en und breit getreten werden; aber man weiß, dass esolche Absprachen in jedem Landgericht in Deutschlandeden Tag gibt und dass sie insbesondere bei den Delik-en der Drogenkriminalität, bei vielen Delikten der All-agskriminalität, wenn es in einem Fall um viele Strafta-en geht, oder bei Sexualstraftaten inzwischen gang undäbe sind.Gerade bei Sexualstraftaten ist diese Möglichkeitanz besonders wichtig,
enn bei Sexualstraftaten – vielen Dank, Herr van Essen –ommt der Gesichtspunkt des Opferschutzes hinzu, ganzenau. Ein Täter, der geständig ist und sich mit seinemeständnis auf eine Absprache in diesem Prozess ein-ässt, verhindert, dass die Opfer als Zeugen gehört wer-en müssen; er erspart damit den Opfern dieser Strafta-en eine Wiederbegegnung mit dem Täter und eineielleicht sehr schmerzhafte Aufwühlung des Gesche-ens. Von daher ist bei der Möglichkeit einer Absprachem Strafprozess auch der Gesichtspunkt des Opferschut-es zumindest mir wichtig.
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Bundesministerin Brigitte ZypriesEs geht aber, meine Damen und Herren – –
– Sie können gern Zwischenfragen stellen, HerrNešković, aber nicht dauernd dazwischenblöken.
Bei der Verständigung geht es nicht nur um Opfer-schutz; es geht natürlich auch – das will niemand bestrei-ten – um effektiven Ressourceneinsatz. Das wurde in derVergangenheit auch häufiger kritisiert. Es wurde kriti-siert, die Justiz mache das nur, um die Einstellung vonweiteren Richterinnen und Richtern vermeiden zu kön-nen. Das ist natürlich überhaupt nicht der Fall. In jedemEinzelfall muss ordnungsgemäß geprüft werden: Machtes Sinn, Ressourcen in der Art und Weise zu verwenden,
dass man ein Verfahren mit vielen einzelnen Punktenvollständig aufklärt, oder ist es im Sinne eines effektivenRessourceneinsatzes, auf den die Justiz natürlich ge-nauso achten muss wie der gesamte öffentliche Dienst,nicht sinnvoller, darauf zu verzichten, wenn ein Ge-ständnis vorliegt und das Gericht davon überzeugt ist,dass der Angeklagte schuldig ist?
Wir ziehen mit diesem Gesetzentwurf Korsettstangenein; ich habe es eben schon erwähnt. Eine dieser Kor-settstangen ist: Wir schaffen mehr Transparenz. Wir ho-len nämlich die Verständigung aus den Hinterzimmernheraus und bringen sie in die Hauptverhandlung. Künftigkönnen Verständigungen im Strafprozess nur noch in deröffentlichen Hauptverhandlung beraten und beschlossenwerden.Des Weiteren bleibt es bei den Prinzipien der Straf-prozessordnung. Das Gericht muss von der Wahrheit desGeständnisses des Angeklagten überzeugt sein. Es darfkeinen Angeklagten verurteilen, wenn es Zweifel an des-sen Schuld hat.Die Schuld des Angeklagten bleibt auch weiterhin derMaßstab für das Urteil. Die Verständigung kann sich nieauf den Schuldspruch als solchen, sondern immer nurauf das Strafmaß beziehen. Deswegen werden auch inZukunft die Regelungen zur Strafzumessung so gelten,wie sie im StGB stehen.Ein weiterer Punkt, bei dem ich davon überzeugt bin,dass er die Rechtsstaatlichkeit dieses Verfahrens unter-streicht, ist die Regelung, dass es keinen Rechtsmittel-verzicht geben darf. Auch bei einer Absprache im Straf-verfahren muss klar sein, dass sowohl Staatsanwaltschaftals auch Verteidigung nach Abschluss des Verfahrens einRechtsmittel einlegen können. Der Verzicht auf einRechtsmittel darf nicht Gegenstand der Verständigungsein.DdsmtDfRdrsuhesphZssesfDttdruzmggdendrzeLuz
amit entfällt das oft verwendete Argument, es werdeann in der Form gekungelt, dass der Richter ein Ge-tändnis unter Verzicht auf ein Rechtsmittel anstrebt, da-it der Angeklagte im Wege einer Verständigung verur-eilt werden kann. Genau das wollen wir nicht.eswegen ist ganz klar: Die Verständigung muss in öf-entlicher Hauptverhandlung erfolgen, ein Verzicht aufechtsmittel ist nicht zulässig, und das Gericht muss voner Schuld des Angeklagten überzeugt sein.Wir halten also mit diesem Gesetzentwurf an denechtsstaatlichen Prinzipien des Strafprozesses fest. Wirchaffen mehr Rechtsklarheit, mehr Rechtssicherheitnd mehr Rechtsgleichheit.Trotzdem möchte ich noch einmal auf einen Punktinweisen: Auch wenn die Justiz ihre Ressourcen effizi-nt einsetzen soll, sind wir Rechtspolitiker alle gemein-am – sowohl im Bund als auch in den Ländern – ver-flichtet, dafür zu sorgen, dass die Justiz mit Personalinreichend ausgestattet ist.
war ist es so, dass das Gericht den Vorschlag einer Ver-tändigung macht. Aber es kann ihn besser aus einertarken Position heraus machen. Klar muss sein: Wenns bei der Verständigung Probleme gibt, ist es selbstver-tändlich, dass der Prozess bis ins letzte Detail durchge-ührt und dann ein Urteil gefällt wird.
arauf müssen wir Wert legen. Deswegen ist es so wich-ig, dass die Justiz personell und sachlich gut ausgestat-et ist,
ass wir die notwendigen Ressourcen auch zur Aufklä-ung komplexer Steuer- und Wirtschaftsdelikte habennd dass völlig klar ist, dass es nicht aus der Not herausu einer Verständigung kommen muss. Jeder Angeklagteuss wissen, dass bei einem Scheitern der Verständi-ung der Prozess bis ins letzte Detail geführt und danneurteilt wird.Sie wissen, dass ich immer und überall dafür werbe,ass wir uns für die personelle Ausstattung der Justizinsetzen. Wie Ihnen bekannt ist, haben wir für den Ge-eralbundesanwalt 21 zusätzliche Stellen erreicht, umen rechtsstaatlichen Anforderungen durch die Verände-ung der Gesetze auch an dieser Stelle Rechnung tragenu können. Aber wir müssen uns gemeinsam auch dafürinsetzen, dass die Kolleginnen und Kollegen in denändern die nötige Rückendeckung von uns bekommen,m gegen-über ihren Finanzministern klare Kante zeigenu können.
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Bundesministerin Brigitte ZypriesDanke für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Jörg van Essen für
die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir konnten in der letzten Zeit – der Referentenentwurfdes Bundesjustizministeriums ist ja schon mehrere Jahrealt; ich war sehr überrascht, dass es jetzt plötzlich sehrschnell gehen soll – mehrfach sehr kritische Stellung-nahmen lesen. Dazu gehört beispielsweise ein Beitragvon einem Richter an einem Oberlandesgericht in derDeutschen Richterzeitung im Mai 2007. Auch der frü-here Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Pro-fessor Hassemer, hat sich kürzlich dahin gehend geäu-ßert.Ich muss gestehen, dass ich persönlich positiv zuDeals in Strafverfahren und zu einer entsprechenden ge-setzlichen Regelung stehe. Frau Ministerin, ich glaube,Sie haben recht, dass es gut ist, dass Korsettstangen ein-gezogen werden. Denn es ist schon Praxis. Wenn esschon Praxis ist, die auch von den Obergerichten aner-kannt worden ist, dann macht es Sinn, das Ganze ausdem Hinterzimmer herauszuholen und öffentlich in dieHauptverhandlung einzuführen. Das dient – das ist dasWichtigste, was wir hier beachten müssen – dem Ver-trauen in den Rechtsstaat.
Das muss auch für uns der wesentliche Maßstab sein.Die Frau Ministerin hat es schon angesprochen: DasVertrauen in den Rechtstaat ist deshalb in der Öffentlich-keit beeinträchtigt, weil eine bestimmte Berichterstat-tung den Eindruck erweckt, dass man einer gewissenGehaltsklasse angehören muss, um in den Genuss einessolchen Vorteils zu gelangen. Frau Ministerin, Sie habenzu Recht darauf hingewiesen, dass es solche Deals invielfältiger Form schon in der Praxis gibt und dass viele,insbesondere Opfer, davon profitieren.Ich will zusätzlich die Einstellung wegen Geringfü-gigkeit nach § 153 a der Strafprozessordnung anführen.Gemäß diesem Paragrafen wird mit dem Beschuldigtengesprochen und mit ihm eine Übereinkunft über einemögliche Geldbuße getroffen. Er muss somit nicht vorGericht erscheinen. Solche Absprachen kommen vielenBürgern in unserem Lande entgegen, weil sie dann nichtvor Gericht erscheinen müssen. Jeder, der sich mit Straf-verfahren auskennt, weiß, wie sehr ein solches Verfahrenden Einzelnen belastet. Eine solche Vorgehensweisekennen wir also schon. Wir kommen jetzt im Hinblickauf Absprachen ebenfalls zu einer gesetzlichen Rege-lung.SndvGwgüVddidwmmhnWttlwSmwwvsnSOPOzdeFDWdwRDGlta
ir müssen diese Gefahr sehen und sie in unseren Bera-ungen berücksichtigen.Ein zweiter Punkt, der in unseren Beratungen beach-et werden muss, ist die Frage, welche Rolle der jewei-ige Angeklagte hat. Er darf nicht unter Druck gesetzterden, beispielsweise indem ihm eine besonders hohetrafe für den Fall angedroht wird, dass er nicht mit-acht. Er darf auch nicht mit der Ankündigung gelockterden, dass das Verfahren sehr viel günstiger ausgeht,enn er mitmacht. Auch das beeinträchtigt ganz selbst-erständlich das Vertrauen in den Rechtsstaat. Wir müs-en aufpassen, dass so etwas nicht passiert.Ein dritter Punkt, der mir wichtig ist, ist von der Mi-isterin schon angesprochen worden: Absprachen imtrafverfahren können dazu führen, dass beispielsweisepfer nicht als Zeuge erscheinen müssen. Jeder, der dieraxis in Gerichten kennt, weiß, wie schwierig es oft fürpfer ist, plötzlich dem Täter wieder in die Augen sehenu müssen. Wenn durch eine Absprache verhindert wird,ass ein Opfer zum zweiten Mal zum Opfer wird, ist dasin ganz wichtiger Erfolg. Das wird von uns, von derDP-Bundestagsfraktion, nachdrücklich unterstützt.Einen Aspekt sollten wir uns noch einmal ansehen.as ist die Frage der Nebenklage.
ir haben die Nebenklage – auch das ist eine Stärkunger Rolle des Opfers – in den letzten Jahren ganz be-usst gestärkt. Wir sollten uns anschauen, wie dieechte und die Möglichkeiten der Nebenklage bei einemeal ausgestaltet sind.
anz wichtig ist, dass auch der Nebenkläger daran betei-igt ist, dass er nicht ausgeschlossen ist, dass er seine In-eressen einbringen kann. Das ist mir persönlich ganzußerordentlich wichtig.
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Jörg van Essen
Von daher ist das Signal meiner Fraktion: Wir werdenuns gerne in die Diskussionen einbringen. Wir werdeneine Anhörung dazu durchführen. Ich glaube, dass wirhier einen guten und richtigen Schritt tun. Das, was Pra-xis ist, nun mit einem gesetzlichen Korsett zu versehen,ist ein richtiger Ansatz, der von uns unterstützt wird.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Jürgen Gehb für
die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es istimmer noch dieselbe Kollegenschaft. Heute ist einrechtspolitischer Tag. Man kommt endlich einmal vor22 Uhr zu Wort. Ob das immer so gut ist, weiß ich nicht,nachdem ich mir so manchen Redebeitrag angehörthabe. Aber immerhin, das zeigt die Wertschätzung fürdie Rechtspolitik.Nicht selten habe ich von diesem Pult aus in Anleh-nung an Montesquieu gesagt: Wenn es nicht nötig ist, einGesetz zu machen, dann ist es nötig, keines zu machen.Heute möchte ich mit der gleichen Verve betonen: Hierist es nötig, ein Gesetz zu machen. Wer die Begriffenicht beherrscht – den Begriff „Verständigung im Straf-prozess“
möchte ich besonders betonen; bitte nicht die Begriffe„Vereinbarung“, „Absprache“ oder gar „Deal“ verwen-den; ich komme gleich darauf zu sprechen, wie unsäg-lich das im Zusammenhang mit Herrn Nešković war –,kann die Diskussion nicht beherrschen. Ich ärgere michauch immer wieder, wenn vom Großen Lauschangriffgesprochen wird. Wer greift denn eigentlich beim Gro-ßen Lauschangriff an? Bei der elektronischen Wohn-raumüberwachung geht es um die Abwehr terroristischerAngriffe, und wir reden vom Großen Lauschangriff.
Achten Sie deshalb bitte auch auf die Begrifflichkeit undsprechen Sie von Verständigung.Es ist schon gesagt worden: Die Verständigung imStrafprozess ist keine neue Idee. Sie ist ständige Praxis.Nicht nur ich habe eben gefordert, dass wir ein Gesetzbrauchen, sondern der Große Senat für Strafsachen desBundesgerichtshofes hat mit Beschluss vom 3. März2005 geradezu einen Appell an den Gesetzgeber gerich-tet, indem er gesagt hat: Die Möglichkeiten der Rechts-fortbildung sind jetzt erschöpft. Einer so wichtigen Sa-che muss sich der Gesetzgeber selber annehmen. –SJTbwlaamdEflmanltfdPsuFVIvdlzWmdatgNSDS–nbgG
ie haben sich vorgestern in einem Interview imeutschlandradio zu der Bemerkung verstiegen, dastrafgesetzbuch sei kein Handelsgesetzbuch.
Ja, Sie werden das noch mehrfach vorlesen, weil es Ih-en aufgeschrieben worden ist.Sie haben gesagt, es sei kein Handelsgesetzbuch, wo-ei ich fragen muss, ob bei der Auslegung des Handels-esetzbuches gehandelt oder nicht auch nach Recht undesetz entschieden wird.
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Dr. Jürgen GehbSo ist es ja nun nicht; auch im Zivilrecht geht alles nachRecht und Gesetz. Aber das war ja nicht einmal dieschlimmste Bemerkung. Dann haben Sie nämlich nochgesagt: Ich habe als Richter nie gedealt. Allein eine sol-che Bemerkung! Wenn man morgens um sechs auf-wacht, dann ist die Welt nicht mehr in Ordnung, wennman hört, wie der Nešković sagt, er habe nie gedealt.Das aus seinem Munde! Dealen und Nešković, da kannman Zusammenhänge herstellen, für die Sie dann selbstverantwortlich sind.
Er sagt also: Ich habe nie gedealt. Dann kommt die Be-merkung: Weil seine Kollegen dies gewusst hätten, hät-ten sie ihn nie eine Wirtschaftsstrafkammer führen las-sen.
Ich kann dazu nur sagen: Herr Pontius Pilatus Nešković,lieber Herr St. Florian, schütz unser Haus, steck anderean! Selbst sich in Wirtschaftsstrafsachen nicht die Fingerschmutzig machen lassen und dann davon reden, manhabe nie gedealt!
Ich kann Ihnen eines sagen, Herr Nešković: Je länger ichSie hier erlebe, desto mehr komme ich zu der Überzeu-gung, dass Ihre ohnehin sehr umstrittene Berufung zumBundesrichter eine der größten Personalfehlentscheidun-gen war, seit der Kaiser Caligula im 1. Jahrhundert nachChristus eines seiner Pferde zum Konsul ernannte.
Wenn man das so macht, muss man sich auch nichtwundern, dass dieses Thema mit einem Hauch von Ge-heimnistuerei und Schlüpfrigkeit behaftet ist. Ich habe eseben in der Debatte auch schon gesagt: Als Rechtspoliti-ker haben wir bei allem rechtsdogmatischen Streit dafürSorge zu tragen, dass wir eine ohnehin schon durch dieBoulevardpresse hochgepeitschte emotionale Stimmungnicht noch mehr befeuern. Daher appelliere ich auch andiejenigen, die sich mit dem Phänomen der Verständi-gung im Strafprozess nicht anfreunden können, die Dis-kussion wenigstens so zu führen, wie sie etwa auf Rich-tertagen geführt wird. Sie, Herr Nešković, haben demnicht nur mit Ihrem Interview, sondern auch mit Ihrerheutigen Presseerklärung einen Bärendienst erwiesen.Ich fürchte, dass es bei Ihrer Vorlesung, die hier gleichstattfinden wird, auch nicht besser werden wird. Alseben Frau Jelpke gesprochen hat, habe ich noch gesagt:Da ist ja der Nešković noch besser. Sie müssen alsodurch ein Zielfinish entscheiden, wer bei der Unsach-lichkeit der Beiträge als Erster über die Linie geht.
– Bei mir ist es immer nur einer.dwKcwVNsGdkSEdJemTSDShwwgdB–etsgibkzRBeRwSR
o geht es natürlich im Strafprozess nicht, weil dann derindruck erzeugt würde, als sagte der eine, er biete an-erthalb Jahre, und der andere, er verlange dreieinhalbahre, und am Ende kämen nach einigem Gemauschelin Jahr und acht Monate heraus. So geht es doch nicht,eine Damen und Herren!
Denjenigen, die als interessierte Bürger oben auf derribüne sitzen und sich nicht von Sonnenaufgang bisonnenuntergang mit Strafrecht beschäftigen, sage ich:as ist gar nicht Gegenstand einer Verständigung imtrafprozess. Der Schuldspruch muss natürlich festste-en, und die Wahrheit soll so weit wie möglich ermittelterden. Wenn aber die Effizienz baden zu gehen droht,erden eine Strafuntergrenze und eine Strafobergrenzeewählt. Aber man darf bitte nicht nach außen den Ein-ruck vermitteln, es würden wie auf dem orientalischenasar Punktstrafen vergeben. Das ist nicht der Fall.
Beinahe? Nun gut. – Das wollte ich in diesem Hauseinmal klipp und klar feststellen.Auch die berühmte Sanktionsschere – die Frau Minis-erin hat es eben gesagt – funktioniert nicht so, dass managt: So, mein Lieber, wenn du jetzt nicht gestehst, danneht es ab, dann kommst du mit einem Sexualstraftätern eine Zelle. Das ist doch kein Junktim. Deswegen ha-en wir gesagt: Gegenstand einer solchen Verständigungann weder das Geständnis noch der Rechtsmittelver-icht sein. Man kann nicht sagen: Nur wenn du auf dasechtsmittel verzichtest, bekommst du einen schönenonus. – Das ist nicht der Fall. Damit auch der Anscheininer solchen Absprache vermieden wird, haben wir denechtsmittelverzicht aus dem ursprünglichen Entwurfieder herausgenommen.Man muss einmal sagen, dass es Peter Danckert undiegfried Kauder zu verdanken ist, dass wir in großerunde – mit Bundestagsabgeordneten, die sich hauptbe-
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Dr. Jürgen Gehbruflich mit dem Strafrecht auskennen, und unter Zuhilfe-nahme externen Sachverstandes – einen guten Gesetz-entwurf gebastelt haben.
Vielleicht kann man ihn noch weiter optimieren; wirwerden sicherlich eine Anhörung dazu durchführen.
Herr Kollege, der Herr Kollege Montag würde gerne
eine Zwischenfrage stellen.
Das hätte ein so schöner Tag werden können. Aber
ich möchte das hören, ja.
Bitte sehr.
Er wird noch schöner, Herr Kollege. – Ihre letzten
Ausführungen bringen mich dazu, eine Frage zu stellen:
Es ist unbezweifelbar – das werde ich auch nicht bezwei-
feln –, dass es positiv ist, dass mit diesem Gesetzentwurf
die Elemente, die Sie erwähnt haben – Rechtsmittelver-
zicht und Sanktionsschere –, abgeschnitten bzw. abge-
mildert werden. So, wie Sie den bedauernswerten derzei-
tigen Zustand in deutschen Strafgerichten schildern,
erwecken Sie den Eindruck, alles sei in Ordnung.
Deswegen frage ich Sie: Ist Ihnen die Entscheidung
des Bundesgerichtshofs bekannt, mit der ein Urteil in ei-
ner Strafsache mit der Begründung aufgehoben wurde,
dass der Verständigung eine Erklärung des Gerichts vor-
ausgegangen ist, die in etwa so lautete: Wenn wir uns
nicht verständigen, gibt es sieben Jahre, und bei Verstän-
digung gibt es zwei Jahre? Weil das zufällig schriftlich
festgehalten wurde, hat der BGH die Möglichkeit ge-
habt, zu sagen: Solche Fälle darf es nicht geben. Das ist
eine Pression, wenn nicht gar eine Erpressung der einen
Seite.
Ist Ihnen die Entscheidung des Bundesgerichtshofs
bekannt, mit der er eine Verständigung in einem anderen
Strafverfahren ebenfalls als rechtswidrig bezeichnet hat?
Auch da ist es gelungen, festzuhalten, dass das Gericht
vom Angeklagten einen Rechtsmittelverzicht eingefor-
dert hat. Dazu hat der Bundesgerichtshof gesagt: So et-
was ist unzulässig.
In der Praxis deutscher Strafgerichte gibt es heute lei-
der tausendfach ein solches Vorgehen, das mit diesem
Gesetz dankenswerterweise unterbunden werden soll.
Zunächst muss ich zugeben, dass diese BGH-Ent-
scheidung zu den drei Entscheidungen in der Geschichte
der Bundesrepublik Deutschland gehört, die ich nicht
kenne. Herr Kauder wird Ihnen sicherlich gleich die
Fundstelle nennen.
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Ihre Äußerungen sind ein beredter Beweis dafür, dass
s nötig ist, das durch den Gesetzgeber zu regeln.
ch möchte diesen einen Fall damit nicht zum Regelfall
ochstilisieren. Es geht schließlich um die Unabhängig-
eit der Richter. Ich möchte mich ein bisschen schützend
or meine früheren Kollegen stellen. Man darf hier nicht
en Eindruck erwecken, dass es bei diesem Chaos
liebe, wenn der Gesetzgeber jetzt keine Korsettstangen
inziehen würde, wie Sie so schön gesagt haben. Man
ollte sich davor hüten, aus Einzelfällen Regelfälle zu
achen. Es gibt viele Entscheidungen der Revisionsge-
ichte, des BGH, des Bundesverwaltungsgerichts und
nderer Gerichte. Wenn man mit diesen Urteilen immer
inen fast stigmatisierenden Vorwurf an die unteren In-
tanzen verbinden würde, dann würden wir unseren In-
tanzenzug insgesamt infrage stellen und einen Zweifel
n die Richterschaft hineintragen, der nicht angebracht
st.
Ihre Frage ist, wie gesagt, ein super Beleg dafür, dass
s notwendig ist, dieses Gesetz zu machen. Dem kann
ch nichts mehr hinzufügen. Deswegen höre ich auf und
edanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Nun hat das Wort der Kollege Wolfgang Nešković für
ie Fraktion Die Linke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damennd Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin Zypries! Herrr. Gehb, Sie werden von mir nicht erwarten, dass ichuf Ihrem Niveau, also dem Niveau eines Büttenredners eines schlechten noch dazu –, antworte.
Zu den beherrschbaren Herausforderungen im Lebenines Abgeordneten der Linken gehört das Folgende:enn wir morgens die Zeitungen aufschlagen, dann fin-en wir eher selten unsere Auffassung bestätigt. Dasiegt daran,
ass wir meist gegen den Strom schwimmen oderchwimmen müssen. Sie als geübte Populisten – Herrr. Gehb, Sie haben es eben bewiesen –
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Wolfgang Neškoviæschwimmen hingegen gern und komfortabel mit demStrom. Gelegentlich ändert sich aber die Strömungsrich-tung.Ich zitiere aus meiner Presseerklärung vom 21. Januardieses Jahres zum sogenannten großen Deal im Strafver-fahren:Der Deal muss nicht gesetzlich erlaubt, sondern ge-setzlich verboten werden.
Er stellt einen unwürdigen Handel mit der Gerech-tigkeit dar.Dann kommt der von Ihnen so geliebte Satz:Das Strafgesetzbuch ist kein Handelsgesetzbuch.Weiter:Der Deal bevorzugt die finanziell Bessergestelltenund führt zu einem Zweiklassenstrafrecht.
Dieser Gesetzentwurf ist die Kapitulationsurkundedes seit Jahren finanziell und personell ausgezehr-ten Rechtsstaates.
Statt eine unwürdige und ungerechte Praxis in Ge-setzesform zu gießen, ist es vielmehr notwendig,die Gerichte personell so auszustatten, dass sie auchkomplizierte und langwierige Wirtschafts- undSteuerstrafverfahren ohne Deals führen können.
Am 22. Januar dieses Jahres konnten Sie dann in derSüddeutschen Zeitung Folgendes lesen:Das neue Gesetz befördert immerhin den Deal ausder Heimlichkeit in die Öffentlichkeit; … Aberauch der protokollierte Deal bleibt ein Deal. … Dasist falsch, und das bleibt falsch, …
Dieser Paragraph wird der Akzeptanz des Rechtsschaden. Weil das Dealen eine Kunst ist, für die esbesonders gute und teure Anwälte gibt, werden dieAngeklagten dabei besser wegkommen, die sichdiese Anwälte leisten können.
Herr Kollege Nešković.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich lasse keine Zwischenfrage zu.
Daher ist die Kassenjustiz auch eine Klassenjustiz.In der Gesetzesbegründung steht, dass das GesetzPdsZPmSugGtndFk–sswvgDdKnfOMs
Sie sehen also: Diese kleine Presseschau, die Bei-piele von einer liberalen bis zu einer wertkonservativeneitung umfasst, bestätigt genau das, was in meinerresseerklärung enthalten ist. Die Linke schwimmt dies-al mit dem gesellschaftlichen Strom. Der Deal imtrafverfahren trifft in der Gesellschaft auf eine breitend deutliche Ablehnung.Weil Sie das hier immer so gerne durcheinanderbrin-en: Niemand hat etwas gegen Verständigung mit demericht oder der Staatsanwaltschaft, wenn es um Baga-elldelikte geht. Der Deal Ihres Entwurfes zielt abericht auf die Kleinkriminalität mit geringer Schuld ab,ie in der Regel leicht aufzuklären ist. Er betrifft dieälle mit großer Schuld, die in der Regel schwer aufzu-lären sind. Das ist eine völlig andere Sachlage.
Das sehen Sie an Anklageschriften, die 800 Seiten langind.Hier kann man nicht sagen: Was soll es, der Fall ist jachließlich nicht so wichtig. Diese Fälle sind meistensichtig. So ist zum Beispiel eine Steuerhinterziehungon mehreren Millionen Euro eine grobe Asozialität ge-enüber der Gesellschaft.
as Fehlen des hinterzogenen Geldes trägt dazu bei,ass die Kassen des Staates leer bleiben und Schulen,indergärten und Universitäten, Polizei und Gerichteicht über genügend personelle und sachliche Mittel ver-ügen.
ft genug erfolgt die Hinterziehung mit einem hohenaß an krimineller Energie. Es ist die geschickte Ver-chleierung der Vermögenslagen und die listige Vertu-
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Wolfgang Neškoviæschung der Geldwege, die gerade Staatsanwaltschaftenund Gerichten einen erheblichen Arbeitsaufwand berei-ten, dem sie angesichts ihrer personellen Ausstattungnicht gewachsen sind. Hinzu kommt, dass die Angeklag-ten in solchen Verfahren regelmäßig über erheblicheMittel verfügen, mit denen sie teure und hervorragendausgebildete Strafverteidiger – von denen reden hier ge-legentlich welche – bezahlen können. Diese drohen denGerichten dann mit der sogenannten Konfliktverteidi-gung.
Die Justiz steht wegen ihrer schlechten personellen Lagemit dem Rücken zur Wand und ist deswegen für einenDeal besonders empfänglich.
Dem hochgerüsteten Angeklagten steht eine schlechtausgerüstete Justiz gegenüber. Es herrscht keine Waffen-gleichheit, weil die Politik nicht die für eine wehrhafteund starke Justiz notwendigen Mittel zur Verfügungstellt. Statt die Justiz wehrhaft zu machen und ihr dienotwendigen Mittel zu verschaffen, will die politischeMehrheit in diesem Parlament nunmehr den großen Dealin diesem Land einführen.Selbst Sie, Frau Zypries, haben noch im Sommer2007 in Hannover und zuletzt auf dem Deutschen Juris-tentag im September 2008 gefordert: Die Justiz muss soausgestattet sein, dass sie insbesondere komplexe Fälleauch ohne Mithilfe des Angeklagten aufklären kann. –Nun kapitulieren Sie. Denn jetzt wollen Sie den unwür-digen Handel von reichen Angeklagten mit einer ärmlichausgestatteten Justiz sogar in Gesetzesform gießen.
Indem Sie kapitulieren, verletzen Sie das wichtigeund für den Rechtsstaat unerlässliche Prinzip, dass alleMenschen vor dem Gesetz gleich sind. Sie sagen, dassSie den Deal zumindest aus den dunklen Hinterzimmernin den würdigen Gerichtssaal holen. In Wahrheit entwür-digen Sie aber den Gerichtssaal, weil Sie ihn zu einemMarktplatz für wohlhabende Angeklagte machen.
Im Übrigen ist Ihre Darstellung nur die halbe Wahr-heit. Die Vorgespräche, die den Deal tragen, finden näm-lich weiterhin in Hinterzimmern statt. Warum verbietenSie nicht wenigstens diese Vorgespräche bzw. warumverlagern Sie nicht sämtliche Vorgespräche in die Haupt-verhandlung?DvswWsaDegBFdGIgsnavshRrewSmnEvARNg
ann könnte sich die Öffentlichkeit zumindest ein Bildon diesem unwürdigen Geschacher machen.Sie sagen, Sie würden mit Ihrem Gesetz für eine bes-ere Überprüfbarkeit von Deals sorgen, weil Rechtsmitteleiterhin möglich bleiben. Das ist völlig lebensfremd.arum sollten Staatsanwaltschaft und Angeklagte, dieich gerade geeinigt haben, das Ergebnis dieser Einigungnfechten?
ie Linke bleibt dabei: Der Deal muss nicht gesetzlichrlaubt, er muss gesetzlich verboten werden. Das Straf-esetzbuch ist kein Handelsgesetzbuch.Vielen Dank.
Nun hat der Kollege Jerzy Montag für die Fraktion
ündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!rau Bundesministerin Zypries, Sie haben in Ihrer Redearauf hingewiesen, dass Sie mit Ihrem Gesetz dierundlagen des Strafprozesses schützen und bewahren.ch will mich in meinem Redebeitrag mit den Grundla-en und dem Zustand des Strafprozesses beschäftigen.Die Grundnormen des rechtsstaatlichen Strafprozes-es sind Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit, Strafeach dem Maß der Schuld, Unmittelbarkeit der Beweis-ufnahme, Öffentlichkeit des Verfahrens, die Unschulds-ermutung aufseiten des Angeklagten, sein Recht, zuchweigen, sein volles Antragsrecht in der Hauptver-andlung, Rechtsmittel und das Verböserungsverbot, dieeformatio in Peius. Das ist geronnenes Verfassungs-echt und aus der Verfassung in die Strafprozessordnungingeflossen.Wie ist es darum bestellt? Ich frage das deswegen,eil gewichtige Stimmen – nicht etwa populistischetimmen, nicht Herr Prantl oder andere, sondern Stim-en, die wir in einer sachlichen Debatte zur Kenntnisehmen sollten – auf genau diese Grundsätze und ihrentwicklung in den letzten 20 Jahren rekurrieren. Stattieler will ich an dieser Stelle nur die Überschrift einesufsatzes von Herrn Professor Thomas Fischer, einemichter am Bundesgerichtshof, zitieren. Er schrieb in derStZ vom August 2007 einen Artikel mit dem Titel „Re-elung der Urteilsabsprache – ein Appell zum Innehal-
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Jerzy Montagten“. Übrigens hat auch Herr Hassemer in der Süddeut-schen Zeitung von Geschäften mit der Wahrheitgesprochen.Es ist richtig, dass es für den deutschen Strafprozessschon einmal bessere Zeiten als heute gab. Es gab aberauch schon schlechtere Zeiten; das dürfen wir nicht ver-gessen. In den letzten 30 Jahren, seit den 60er-Jahren– damals haben die Kollegen Stünker, Gehb, van Essenund ich im Jurastudium etwas über den Strafprozess ge-lernt –,
fand allerdings eine Entwicklung statt, in deren Verlaufan den Grundlagen des Strafprozesses gesägt wurde, undzwar immer in Richtung des Abbaus von Grundrechtenund der Verkürzung von Rechtspositionen.Urteil und Strafe sollen auf Wahrheit und Gerechtig-keit fußen. In Wirklichkeit fußen sie auf dem Aktenin-halt. Das Maß der Strafe sollte von dem Maß an Schuldbestimmt sein. Es wird aber von den Ressourcen der Jus-tiz bestimmt. Die Unmittelbarkeit des Verfahrens istlängst in das Vorverfahren verlagert. Der Öffentlich-keitsgrundsatz ist zigfach durchlöchert. Die Rechte desAngeklagten, von denen ich gesprochen habe, haltennoch. Aber es wird im politischen Diskurs darüber dis-kutiert, ob die Unschuldsvermutung überhaupt allge-mein gelten soll, es wird darüber diskutiert, ob dennSchweigen nicht doch ein Teil von Schuldeingeständnisist. Es wird seit Jahren darüber diskutiert, ob man dieAntragsberechtigung im Strafprozess nicht einschränkensoll. An den Rechtsmitteln wird auch herumgesägt.
Nochmals der Bundesrichter Fischer. Ich zitiere ausseinem Beitrag in der NStZ:Daher sind vor allem die Fragen offen geblieben,die sich aus den gravierenden Macht-Verschiebun-gen ergeben, welche in den vergangenen Jahrzehn-ten den Strafprozess bereits verändert haben. Des-sen Schwerpunkte haben sich, Stück für Stück, vomHauptverfahren in das Ermittlungsverfahren, vonden Gerichten zur Staatsanwaltschaft, von derStaatsanwaltschaft zur Polizei verschoben … man-che Bereiche der Strafverfolgung sind fast vollstän-dig von der Polizei bestimmt. Die komplizierteAusbalancierung von Schutz-Rechten und Macht-Positionen, welche den Kern sozialer und normati-ver Geltung des Strafprozessrechts bildet, ist … ausden Fugen geraten.Das sagt nicht irgendein Kämpfer, irgendein Populist,das sagt ein Richter am Bundesgerichtshof. Wir solltendiese Bedenken bei unseren Überlegungen aufnehmen.
Auch die Politik ist an dieser Entwicklung schuld. Siehat diese Entwicklung gesetzlich begleitet und manch-mal sogar verschärft. Wir machen immer kompliziertereund unklarere materielle Strafnormen. Die heutige De-bskdtWmsAJÜHDwD„dRaÜnnbnafWfrDwBd
as sind nicht, wie Professor Hassemer es gesagt hat,Schritte in eine andere Welt“, das ist in der realen Weltes Strafprozesses ein einzelner Schritt in die richtigeichtung.
Dieser Gesetzentwurf hat viele Vorläufer. Er ist besserls mancher der Vorläufer, über die wir gelesen haben.
ber einige wenige Punkte werden wir in der Beratungoch diskutieren müssen; ich will diese Punkte jetzticht im Einzelnen aufführen. Ich werde jedenfalls dazueitragen, dass wir in den Ausschussberatungen zu ei-em vielleicht noch besseren Gesetzentwurf kommen,ls er uns schon vorliegt.Danke.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Peter Danckert
ür die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ir haben, ich glaube, seit den späten 70er-Jahren, An-ang der 80er-Jahre das Phänomen, dass es in den Ge-ichten mehr und mehr um Verständigung, Vergleich,eal geht. Darum geht es auch in unserem Gesetzent-urf. Lieber Kollege Gehb, es ist nicht so, dass nur deregriff „Verständigung“ gebraucht wird. In der Begrün-ung unseres Gesetzentwurfes steht:
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Dr. Peter DanckertDiese Verfahrensweise ist auch unter den Begriffen„Absprache“, „Vergleich“ oder „Deal“ bekannt.Seit dieser Zeit behandeln wir dieses Thema. Mankann sich über dieses Phänomen in vielfältiger WeiseGedanken machen. Ich persönlich, als jemand, der dieseZeit und auch die Entwicklung dazu miterlebt hat,glaube, dass das auch etwas damit zu tun hat, dass Endeder 60er, in den 70ern und Anfang der 80er-Jahre eineGeneration von Verteidigern in den Gerichten erschien,die Strafsachen nicht mehr nur nebenbei behandelte,sondern sich ausschließlich mit dieser Materie beschäf-tigte und sehr viel intensiver in dieser Materie war, wes-halb sie in der Auseinandersetzung im Gerichtssaal na-türlich ein ganz anderer Partner oder Gegner war – jenachdem, wie man das sieht. Sie kannte und nutzte dieRechte, die den Strafverteidigern durch die Strafprozess-ordnung geboten wurden.
Daraus hat sich sukzessive etwas ergeben, was schließ-lich zu der Rechtsprechung über die Verständigung imStrafverfahren geführt hat.Die Entscheidung des Großen Strafsenats vom3. März 2005, die der Kollege Gehb schon angesprochenhat, ist natürlich etwas sehr Problematisches. Ich sagedas ganz deutlich. Es wird dort festgehalten, dass dieStrafgerichte am Ende der Rechtsfortbildung sind undnun der Gesetzgeber gefragt ist, sodass man sich natür-lich auch fragen kann, was dieser Hinweis an der Stellesoll. Man hat das 20 Jahre lang praktiziert – mehr rechtals schlecht oder mehr gut als nicht so gut –, und dannerhält der Gesetzgeber die Aufforderung, das zu regeln.Ich will an dieser Stelle noch eine andere Entschei-dung des Großen Strafsenats ansprechen, und zwar diezur Rügeverkümmerung – § 274 StPO. Ich finde, hierhat sich der Große Strafsenat über Recht und Gesetz, dasauch über 130 Jahre lang praktiziert wurde, hinwegge-setzt und den Verteidigern den Boden einer Revisions-rüge entzogen, indem er einfach sozusagen neues Rechterfunden hat, obwohl diese Materie über Jahrzehnte hin-weg immer wieder diskutiert und vom Gesetzgeber nichtim Sinne dieser Entscheidung des Großen Strafsenatsbehandelt worden ist. Dieser Hinweis war meines Erach-tens also überflüssig. Man kann das aber tun.Ich sage an dieser Stelle ganz offen: Ich bin keinFreund dieser gesetzlichen Regelung, weil das – daszeigt ja auch die Geschichte; durch die Rechtsprechungdes BGH wird das belegt – jahrzehntelang praktiziertworden ist. Ich weiß nicht, warum man an einem be-stimmten Punkt plötzlich zu dem Ergebnis kam, dassman das nun gesetzlich regeln muss, obwohl es vorheroffensichtlich auch ohne gesetzliche Regelung ging. Ichbin deshalb also sozusagen kein ausgesprochener Freunddieser Regelung, und ich weiß, dass es viele gibt, dieähnlich wie ich denken. Es ist aber nun einmal der Auf-trag der Koalition, diese Dinge auf den Weg zu bringen.Nun müssen wir uns mit diesen Dingen so, wie sie vor-liegen, beschäftigen.tmbwswgbkfl§RneweghlkvzsFksGsibdielddSgiwzdswwurdegsb
akt ist, dass das Gericht dies kann. Nun ist der Ange-lagte, der in der Regel ja ein Geständnis abgelegt habenoll, in der Situation, dass er sich sozusagen nackt imerichtssaal befindet. Wie geht es dann weiter? An die-er Stelle haben wir etwas sehr Vernünftiges gemacht,ndem wir in den Gesetzentwurf hineingeschrieben ha-en, dass ein Geständnis nicht mehr verwertet werdenarf, wenn von der Verständigung abgewichen wird. Dasst ein echtes Verwertungsverbot. Ich glaube, das ist einntscheidender Schritt, weil das für die Verfahrensbetei-igten eine neue Situation bedeutet und das Gericht vorer voreiligen Entscheidung bewahrt, von einer Verstän-igung wieder Abstand zu nehmen.Ein weiterer wichtiger Punkt findet sich aus meinericht leider nur in der Begründung wieder. Ein Verteidi-er, der von einer Verständigung ausgeht, wird vielleichtm Rahmen der Beweisaufnahme nicht mehr so fragen,ie es der Fall wäre, wenn sich keine Verständigung ab-eichnen würde. In diesem Fall enthält die Begründungen Hinweis – das wird auch bei der Auslegung des Ge-etzes eine entscheidende Rolle spielen –, dass die Be-eisaufnahme an den entsprechenden Stellen wiederholterden sollte. Das stärkt auch die Rolle des Angeklagtennd seines Verteidigers.Ich glaube, wir stehen vor einer interessanten Anhö-ung. Ich weiß, dass es unterschiedliche Meinungen gibt,ie wir mit großem Ernst aufgreifen werden. Es wirdine sehr gute Debatte geben. Wenn man die Verständi-ung im Strafverfahren will, dann ist die von uns vorge-ehene gesetzliche Regelung eine vernünftige Ausgangs-asis.
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Dr. Peter DanckertVielleicht ergibt sich noch die eine oder andere Rege-lung, Kollege Montag. Ob es sinnvoll ist, die Nebenbe-teiligten miteinzubeziehen, bezweifle ich, weil das dasVerfahren bestimmt nicht abkürzt, sondern sehr vielkomplizierter macht.Wir werden sehen, was die Anhörung ergibt. Ich binsehr gespannt darauf. Ich glaube, dass wir am Ende desTages zu einer guten gesetzlichen Regelung kommenwerden. Das sage ich als ursprünglicher Gegner einerVerständigung. Aber ich kann mich mit einer Mehrheits-meinung durchaus zufrieden geben.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Kollege Siegfried Kauder, CDU/CSU-Fraktion.Siegfried Kauder (CDU/CSU):Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Auch wenn es manche nicht glauben: Auch das Strafver-fahren und die Hauptverhandlung sind ein kommunikati-ver Prozess.
Es stimmt nicht, wenn Kollege Nešković uns glaubenmachen will, er habe Verständigung nie praktiziert oder,wie er es ausdrückt, er habe nie gedealt.
Keine Verfahrenseinstellung nach § 153 a der Straf-prozessordnung ist ohne Kommunikation möglich.
Ein Blick in § 265 a der Strafprozessordnung zeigt, Kol-lege Nešković, dass manche Weisungen und Auflagen,die bei einer Bewährungsstrafe ausgesprochen werden,nur dann verhängt werden können, wenn der Angeklagtezustimmt.
Mit ihm muss man also vorher gesprochen haben.Folgendes hat mich ein bisschen gestört: Die Verstän-digung im Strafverfahren, die es seit Anfang der 80er-Jahre gibt, wurde in die strafprozessuale Schmuddeleckegestellt. Im Strafverfahren gibt es kein Hinterzimmer; esgibt Beratungszimmer.Sie wissen, dass sich die Absprache bzw. die Verstän-digung im Strafverfahren langsam entwickelt hat unddass diese Entwicklungen immer wieder von BGH-Ent-scheidungen begleitet wurden. Dabei wurden Regelnfestgelegt, die auch Grundlage für den jetzt zu beraten-den Gesetzentwurf geworden sind. Es gibt keineShgdvr–mciGgnsdSPduNcSzkzzwudGSnbmdsnBdcvkmwm
Ich sage ja: Der Kollege Nešković weiß es besser alsehrere Richter des Bundesverfassungsgerichts.Weil es also eine Entwicklung praeter legem, nichtontra legem gewesen ist, ist alles in Ordnung. Trotzdemst es gut, dass wir die Verfahrensabsprachen in einemesetz angemessen regeln. Die Rechtsprechung ist an-emessen eingearbeitet worden, sodass es eigentlichichts zu kritisieren gibt. Aber wir müssen schon aufpas-en – das ist zu Recht schon angesprochen worden –,ass nicht der Eindruck entsteht, die Verständigung imtrafverfahren finde deshalb statt, weil die Justiz wegenersonalmangels unter Druck geraten sei.Jetzt kann man als Bundesgesetzgeber natürlich aufie Länder schielen und sagen: Das ist deren Aufgabend deren Problem. Die Länder müssen das bewältigen. –ein, auch der Bundesgesetzgeber kann mithelfen. Ma-hen wir uns doch einmal Gedanken, ob es nicht einentrafbefehl geben sollte, in dem eine Freiheitsstrafe bisu zwei Jahren zur Bewährung ausgesprochen werdenann. Das spart Ressourcen ein. Die Reform zur Beset-ungsreduktion bei der Großen Strafkammer, die wir seitehn Jahren immer wieder vor uns herschieben, könntenir verabschieden. Auch das spart Ressourcen.
Die Verständigung im Strafverfahren darf also nichtnter dem Druck knapper Ressourcen durchgeführt wer-en. Die Verständigung hat aber auch nach dem neuenesetzentwurf durchaus ihre Tücken. Ich habe an einerachverständigenanhörung im Justizministerium teilge-ommen. Am Ende habe ich die Frage gestellt: Woleibt bei der Verfahrensabsprache das Opfer?Wenn man sich den Gesetzentwurf anschaut, kannan feststellen, dass im Begründungsteil die Beteiligunges Nebenklägers angesprochen worden ist, dass dasehr gut und differenziert angeschnitten worden ist, den-och bin ich der Meinung, dass diese Ausführungen imegründungsteil nicht ausreichen; denn entscheidend ister Gesetzestext. Wir werden uns also Gedanken ma-hen müssen, wie man die Beteiligung des Nebenklage-ertreters bei der Absprache in das Gesetz einbindenann. Das lässt sich sehr wohl bewerkstelligen. Wasich ein bisschen irritiert, ist, dass es dazu einen Ent-urf aus den Bundesländern gibt, dessen Vorschlägean schon in den Gesetzentwurf hätte einbauen können.
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Siegfried Kauder
Es wurde der Eindruck vermittelt, als ob das Problemder Sanktionsschere mit diesem Gesetzentwurf ausge-merzt worden sei. Darauf hat Herr Hassemer in der Süd-deutschen Zeitung am 24. Januar 2009 zu Recht hinge-wiesen. Es gibt immer wieder die Fälle, dass ein Gerichtmit einer siebenjährigen Freiheitsstrafe droht, der Ange-klagte damit unter Druck gerät und man sich am Endeauf zwei Jahre zur Bewährung einigt. Ein solcher Druckist nach der Rechtsprechung nicht zugelassen.Aber – nun kommt ein wichtiger Punkt, Herr Kollegevan Essen – wer kontrolliert denn, ob die Spielregeln derVerfahrensabsprache eingehalten werden?
Diejenigen, die die Verfahrensabsprache treffen, habenwenig Anlass, zu sagen: Möge das doch noch einmal je-mand kontrollieren. – Da nützt es auch nichts, dass nachder Rechtsprechung der Gegenstand der Verfahrensab-sprache nicht der Rechtsmittelverzicht sein darf. Impraktischen Leben läuft das nun einmal anders.
Man handelt das, was zulässig ist, einvernehmlich aus.Untergrenze und Obergrenze der Strafe werden bespro-chen. Man schaut sich an, man kennt sich. Bei Strafver-teidigern ist das ein überschaubarer Kreis. Jeder weiß:Wenn ein Rechtsmittelverzicht nicht folgt, ist das Ver-trauen für die Zukunft weg.
Darüber muss man sich Gedanken machen.
Wie kann man so etwas regeln? Liebe Kolleginnen,liebe Kollegen, da hat vielleicht der InnenministerWolfgang Schäuble mit seinen Überlegungen nicht ganzunrecht.
Es muss doch eine Instanz geben, die kontrolliert, ob dieSpielregeln eingehalten worden sind. Diese Kontrollekann auch einmal dazu führen, dass ein Fall zugunstenund nicht zulasten des Angeklagten ausgeht. Die Kon-trollinstanz könnte sagen: Hier ist die Sanktionsschereangesetzt worden. Nun stimmen wir einem Rechtsmittel-verzicht nicht zu. – Deswegen gibt es die Überlegung, obman nicht in Nr. 152 der RiStBV, der Richtlinien für dasStraf- und Bußgeldverfahren, aufnimmt, dass der Staats-anwalt eine Rechtsmittelverzichtserklärung nach einerVerfahrensabsprache nur abgeben darf, wenn er das mitdem Behördenleiter oder einem Höhergestellten derStaatsanwaltschaft abgesprochen hat. Das wäre eineMöglichkeit, eine Kontrollinstanz einzuführen. Dafürbrauchte man noch nicht einmal eine Gesetzesänderung,weil das nicht vom Bundestag beschlossen werdenmüsste.Wir werden uns noch einem anderen Problem zuwen-den müssen. Es gibt keine Zweiklassenjustiz, auch nichtnach Inkrafttreten dieses Gesetzes. Deswegen ist es gut,dwdwefmwgchgekaaedgsdSzÜSzPdasfosnanfbgriSiVdbR
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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gungen beziehen, die auf anderem – gesetzmäßigem –Wege nicht zu erreichen wären. Abschreckende Bei-spiele hierfür gibt es bereits genügend.Zum Abschluss heißt es:Sind sie erst einmal gesetzlich vorgesehen,– gemeint sind die von Ihnen geplanten Absprachen –wird der ökonomische wie anwaltliche Druck aufdie Gerichte zunehmen, sich ihrer zur „Verschlan-kung“ des Verfahrens tatsächlich auch zu bedienen.Das Strafverfahren ist aber seiner Natur und Funk-tion nach nicht darauf angelegt, dass der Ange-klagte seinem Ablauf und Ergebnis die Zustim-mung erteilt.Herr Kauder, wie stehen Sie zu dieser Auffassung ei-nes Richters des Landgerichts Bonn?
Herr Kollege Kauder, bitte.
Siegfried Kauder (CDU/
CSU):
Lieber Kollege Nešković, ich bitte um Verständnis,
dass ich nicht ellenlang aus Aufsätzen vortrage. Ich habe
zur Kenntnis genommen, dass Sie die Meinung des In-
nenministers, dass bei einer Verfahrensabsprache auch
die Möglichkeit einer Kontrolle gegeben sein muss, tei-
len. Aber im Gegensatz zu Ihnen posaune ich nicht po-
pulistisch in Presseerklärungen über einen Deal. Viel-
mehr mache ich mir Gedanken, wie man ein bestehendes
Problem vernünftig regeln kann.
Mit dem Hinweis auf Nr. 152 RiStBV sind wir auf der
richtigen Schiene. Einen ähnlichen Vorschlag hätte ich
eigentlich von einem Abgeordnetenkollegen, der lange
genug bei einem Gericht tätig gewesen ist, erwartet. Ich
war es nicht, ich war und bin nur Strafverteidiger.
Lieber Kollege Nešković, Sie zitieren aus einem Auf-
satz, der eine Momentaufnahme darstellt, als ob es die
Verfahrensabsprache nicht seit Anfang der 80er-Jahre
gegeben hätte und als ob es die flankierenden Entschei-
dungen des Bundesgerichtshofs nie gegeben hätte. Ich
habe schon gesagt, dass auch der Strafprozess ein kom-
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icht rückblickend aus heutiger Sicht zu versuchen, die
erfahrensabsprache in die Schmuddelecke eines Ge-
ichts zu stellen, wo sie nie gewesen ist.
Das Wort hat nun Kollege Joachim Stünker für die
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eine sehr verehrten Damen und Herren! Manchmalreibt mich die Verzweiflung um.
as ist in der heutigen Debatte zu diesem Thema wiederer Fall. Ich will Ihnen etwas dazu sagen. Teilweiseurde die Debatte doch sehr nachdenklich geführt, aberur teilweise. Der Kollege Danckert hat einen Ansatz ge-racht, den auch der Kollege Kauder aufgenommen hatnd den ich nur bekräftigen kann. Die Verständigung imtrafprozess hat diese Entwicklung genommen, weil inen 70er-Jahren und danach eine andere Generation vonichterinnen und Richtern und von Anwälten mit einernderen Ausbildung Strafprozesse durchgeführt hat. Ichill Ihnen ein Beispiel nennen: Ich hatte als Schöffen-ichter in den 80er-Jahren einen Schöffen, der ein alterandwirt war. Er war seit 20 Jahren Schöffe, wie es aufem Land üblich war. Er sagte einmal zu mir: Herrtünker, zu Ihnen komme ich richtig gerne. Ich freueich immer, wenn ich zu Ihnen zur Verhandlung kom-en darf. – Ich sagte: Das ehrt mich, aber warum denn? –a sagte er zu mir: Sie sprechen mit dem Angeklagten.Der deutsche Strafprozess, den ich in den 70er-Jah-en, als ich zum ersten Mal in der Strafkammer saß, er-ebt habe, war ein ganz anderer. Da saß oben ein Gericht,as nicht mit den Verfahrensbeteiligten sprach. Esprach nicht mit dem Angeklagten. Da wurde prozes-
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Joachim Stünkersiert. Da lief der Prozess, wie Roxin es einmal geschil-dert hat, wie in einem Schauspiel ab. Zum Schluss kamdie Keule, und dabei kam eine Entscheidung heraus.
Das war damals der Strafprozess. Dieser Strafprozess hatsich dadurch verändert, dass eine neue Generation dieStrafprozessordnung anders gelernt hat als die, die ausanderen Zeiten kam, um das einmal vorsichtig auszudrü-cken. Die Vertreter dieser Generation haben gesagt: DieStrafprozessordnung gibt uns doch die Möglichkeit, mitdem Angeklagten, mit den Verfahrensbeteiligten zusprechen und deutlich zu machen, wie wir die Anklagesehen, anstatt zu warten, bis nachher das Urteil gefälltwird. – Das war der Hintergrund. Daher habe ich in mei-nem Leben als Strafrichter und Vorsitzender einer gro-ßen Strafkammer, auch einer Wirtschaftsstrafkammer,und eines Schwurgerichts viele solcher Verständigungenim Strafprozess herbeigeführt. Das hat mit Klassenjustiz,mit Arm und Reich und all diesen ideologischen Verklä-rungen nichts, aber auch gar nichts zu tun. Das ist purerPopulismus der Linkspartei.
Das ist nicht die Wirklichkeit in Deutschland.
– Ich frage mich manchmal, ob ich es mir immer nochantun muss, Ihnen, Herr Nešković, zuzuhören, um daseinmal ganz deutlich zu sagen. – Trotzdem habe ich vomersten Tag an, als ich in den Deutschen Bundestag ge-wählt wurde, also seit 1998, dem Bundesministerium derJustiz gesagt: Das, was sich dort bei der Verständigungund Absprache im Strafprozess entwickelt hat, bedarfder Regeln in der Strafprozessordnung.Warum bin ich im Laufe der Jahre zu dieser Überzeu-gung gekommen? Weil das, was im Wege der Verständi-gung durch Gespräche zustande gekommen ist, teilweise– so etwas kann man immer und überall erleben – zuMissbrauch geführt hat. Damit meine ich die Gesprächeim Hinterzimmer und Ähnliches, aber nicht das Ge-spräch im Gerichtssaal mit den Verfahrensbeteiligten.Darum brauchen wir neue Regelungen, wie der GroßeSenat für Strafsachen des BGH angeregt hat. Diese Re-gelungen legen wir Ihnen mit diesem Gesetzentwurf vor.Anders als hier gesagt worden ist, führen wir nichtden großen Deal in den deutschen Strafprozess ein. Werso etwas erzählt, der hat von der Praxis keine Ahnung,der weiß überhaupt nicht – um das einmal ganz deutlichzu sagen –, was jeden Tag in den Gerichtssälen abläuft.
Das Wichtige dabei ist: Jedes Verfahren mit einer Ver-ständigung endet mit einem Urteil,
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Das ist eine ganz andere Dimension: Durch die Presseing, dass dort Millionenbeträge verteilt worden seinollen.Ich bitte Sie wirklich – ich denke, wir werden dasberwiegend im Rechtsausschuss machen –: Lassen Siens das sehr ernsthaft behandeln! Der Rechtsstaat ist einohes Gut. Wir sollten daher mit Sachverstand und nichtit Ideologie an die Themen herangehen.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzent-ürfe auf den Drucksachen 16/11736 und 16/4197 an
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Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thiersedie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-schlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Dasist offensichtlich nicht der Fall. Dann sind die Überwei-sungen so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten PatrickDöring, Horst Friedrich , JoachimGünther , weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDPBußgeldkatalog bei Umweltzonen ändern –Zurück zur Verhältnismäßigkeit– Drucksache 16/10313 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für TourismusNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei dieFraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne damit die Aussprache. Das Wort hat Kol-lege Patrick Döring von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Deutschland hat zur Bekämpfung des Feinstaubproblemsvielerlei Maßnahmen diskutiert und auch ergriffen. Es istdennoch heute von der EU-Kommission ermahnt wor-den, mehr zu tun, um Feinstaub zu bekämpfen. Dasmacht deutlich, dass mit der Einrichtung von Umweltzo-nen und dem Erlass von Fahrverboten ganz offensicht-lich nicht die Ziele erreicht werden, die man sich vorge-nommen hat. Die Einrichtung von Umweltzonen hat,gelinde gesagt, fast keine Wirkung auf den Feinstaubaus-stoß in Deutschland.
Das alles sage ich vorweg, damit hier nicht insinuiertwird, wir als FDP wollten den Feinstaub nicht bekämp-fen oder wollten das Problem an die Seite schieben; ganzim Gegenteil: Wir sind dafür, den Feinstaub zu bekämp-fen, aber an der Quelle, dort, wo er wirklich entsteht, undnicht pauschal über das Fahrverbot, über die Einrichtungvon Umweltzonen. Das war der falsche Weg.
Es ist auch falsch, den folgenden Eindruck zu erwe-cken: Wer aktuell in Hannover oder Köln oder Berlin indie Umweltzone einfährt, aber keine Plakette hat odereine rote Plakette hat, begeht genauso einen Verkehrs-verstoß wie jemand, der zum Beispiel verkehrt herum ineine Einbahnstraße fährt oder ein Einfahrverbot insge-samt missachtet. – Das ist nicht vergleichbar. Ersteres istauch nicht verkehrsgefährdend.IrlsmKOoRSunPlUeltA–agdfDazWDKstdFerlAznwvbbl
Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, geben wirhnen mit unserem Antrag die Gelegenheit, in der weite-en Beratung im Ausschuss sehr konstruktiv und sach-ich darüber nachzudenken, ob es bei der so stark zer-plitterten Landschaft von Umweltzonen in Deutschlandit unterschiedlichsten Ausnahmeregelungen – in jederommune gibt es andere Regelungen, etwa dazu, obldtimer ein- und ausfahren dürfen,
b Schaustellerfahrzeuge ein- und ausfahren dürfen, obeisebusse ein- und ausfahren dürfen; Letzteres ist einonderproblem, das wir im Ausschuss seit längerem vorns herschieben; Sie alle kennen die Problematik – ver-ünftig und verhältnismäßig ist, jedem, der sich keinelakette besorgt hat, etwa aus Unwissenheit, weil er viel-eicht ganz selten in eine der Städte fährt, in denen einemweltzone eingerichtet worden ist, sofort nicht nurine Ordnungswidrigkeit anzulasten, sondern ihn vor al-en Dingen auch mit einem Punkt im Flensburger Zen-ralregister zu bestrafen. Das ist nicht verhältnismäßig.
Wir haben die Zahlen für das erste Halbjahr 2008 imntrag aufgeführt. Ich finde es übrigens bemerkenswert ich sage das hier ausdrücklich, weil der Herr Kasparickuf der Regierungsbank sitzt –, dass nach den mir vorlie-enden Informationen das Bundesverkehrsministeriumem Kraftfahrtbundesamt untersagt hat, mir die Zahlenür 2008 komplett zu geben.
ie Auskunft des Sachbearbeiters im Kraftfahrtbundes-mt jedenfalls war, er dürfe mir die endgültigen Punkte-ahlen für unzulässiges Einfahren in Umweltzonen aufeisung des Bundesverkehrsministeriums nicht geben.as ist auch eine Aussage, verehrte Kolleginnen undollegen, und ich ziehe daraus die richtigen Schlüsse.
Vor diesem Hintergrund sind wir als FDP-Fraktionehr dankbar dafür, dass parallel zum Verkehrsgerichts-ag in Goslar viele Akteure in der Verkehrspolitik, etwaie Automobilklubs, gemeinsam – es ist selten genug derall, dass eine gemeinsame Position erarbeitet wird –ine Reform des Punktewesens und des Verkehrszentral-egisters in Flensburg insgesamt gefordert haben. Viel-eicht ist unser Antrag zu dieser speziellen Frage auchnlass, im Ausschuss einmal darüber zu sprechen, ob in-wischen nicht für zu viele kaum wichtige, jedenfallsicht verkehrsgefährdende Verstöße Punkte gegebenerden und wirklich schwere Ordnungswidrigkeiten,ielleicht auch Straftaten im Straßenverkehr zu wenigestraft werden. Dieser Diskussion über das Bußgeld ha-en Sie sich in den letzten Monaten verwehrt, liebe Kol-eginnen und Kollegen.
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Patrick Döring
Es ist an der Zeit, gemeinsam über Folgendes nachzu-denken: Was soll nach unserer Meinung, die wir uns umVerkehrssicherheit sorgen, streng verfolgt werden? Womuss schon nach wenigen Verstößen klar sein, dass dieFahrerlaubnis in Gefahr gerät?Und wo schießt man mit Kanonen auf Spatzen, wennman jemanden, der einmal unerlaubt in eine Umwelt-zone einfährt, weil er vergessen hat, die Plakette zu be-antragen, oder gar nicht weiß, dass in der Stadt, in die erfährt, eine Umweltzone eingerichtet ist, mit einem Punktin Flensburg bestraft?
– Auch Sie werden nicht alle Städte kennen, in deneneine Umweltzone eingerichtet ist. Keiner der hier anwe-senden Kollegen wird all diese Städte benennen können. –Die gleiche Strafe bekommt man, wenn man verkehrsge-fährdend in falscher Richtung in eine Einbahnstraße ein-fährt oder einen Rotlichtverstoß begeht. Das ist nichtvergleichbar; wir sollten nicht der Versuchung erliegen,das zu vergleichen. Es ist in hohem Maße verwunder-lich, dass es überhaupt zu dieser Regelung gekommenist.Wir Parlamentarier sollten die Gelegenheit nutzen, imAusschuss über Änderungen zu beraten. Wir machen Ih-nen hierzu einen Vorschlag und hoffen auf Unterstüt-zung.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Kollege Gero Storjohann, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Seit März 2007 gilt in Deutschland die soge-nannte Plakettenverordnung, die Verordnung zum Erlassund zur Änderung von Vorschriften über die Kennzeich-nung emissionsarmer Kraftfahrzeuge. Pkw, Lkw undBusse werden je nach Schadstoffgruppe mit einer Fein-staubplakette versehen.Ich möchte gerne zugestehen, dass es in der Einfüh-rungsphase immer Leute gibt, die vergessen, so etwas zubeantragen. Nun ist aber eine gewisse Zeit ins Land ge-gangen; nun erwarte ich, dass jeder überprüft hat, was erfür ein Auto hat, welcher Schadstoffklasse es angehörtund ob er eine Plakette benötigt. Ich kann erwarten, dasssich alle Verkehrsteilnehmer mit ihren Fahrzeugen be-schäftigt und diese gegebenenfalls mit einer entspre-chenden Plakette versehen haben.JDFszecvSmLDdfstbwbmIlsbibIstnbN–sMrI
Die Einführungsphase ist inzwischen abgeschlossen.etzt geht es um die Frage: Wie gestaltet sich die Praxis?ie Kennzeichnung ist erforderlich, um bei zu hoheneinstaubbelastungen Fahrverbote aussprechen und um-etzen zu können: Besonders gekennzeichnete Verbots-onen dürfen dann nur von Kraftfahrzeugen mit einerntsprechenden Zulassung befahren werden.Wir sprechen hier über diese Verordnung; wir spre-hen nicht über die Umweltzonen. Die Verordnung setztoraus, möglichst passgenau und lokal begründet denchutz der Bevölkerung zu gewährleisten. Darum küm-ern sich die Kommunen, nicht der Bundestag oder derandtag.
ie Bürger wählen vor Ort ihre Vertreter. Insofern sindie Bürger in diesen Prozess eingebunden; das halte ichür richtig und sinnvoll. Dies wird auch von den Antrag-tellern, der FDP, offenbar nicht geleugnet; denn der An-rag richtet sich gegen die Höhe der Sanktionierung undeschäftigt sich mit der Frage, ob die Höhe der Strafe et-as bewirkt. Darüber kann man sich trefflich streiten.Das Bußgeld von 40 Euro bewirkt dann ja auch denerühmten Punkt in Flensburg. Das schafft Arbeit ineiner Heimatregion Schleswig-Holstein.
ch mache darauf aufmerksam, dass der Bundesrat imetzten Jahr der Neufassung des Bußgeldkataloges zuge-timmt hat. Es ist interessant, dass in Baden-Württem-erg, wo traditionell die FDP an der Regierung beteiligtst,
esonders viele Umweltzonen eingerichtet worden sind.ch weiß nicht, wie es um die kommunalen Mehrheitenteht, aber ich glaube, dass auch hier die FDP häufig be-eiligt ist.Auch in Nordrhein-Westfalen gibt es viele Umweltzo-en; auch hier sind Sie von der FDP an der Regierungeteiligt. In Hannover gibt es eine Umweltzone; auch iniedersachsen sind Sie an der Regierung beteiligt.
Das ist richtig; aber auch in den Kommunen haben Sieicherlich Einfluss.
ir ist nicht bekannt, dass Sie einen Vorstoß im Bundes-at unternommen haben, um diese Regelung zu ändern.m Bundesrat hätten Sie sicherlich gute Möglichkeiten
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Gero Storjohanndazu. Aber nein, Sie versuchen es über den Bundestag;das sei Ihnen zugebilligt.Sie schreiben, viele Auswärtige wüssten nicht, ob beider Einfahrt in eine andere Stadt eine Plakette notwendigsei. Ich mache darauf aufmerksam, dass alle Umweltzo-nen mit riesengroßen Schildern gekennzeichnet sind.Auch ein Lkw-Fahrer, der eine Brücke befahren möchte,muss Schilder zur Kenntnis nehmen; wenn die Last, dieer transportiert, nicht zulässig ist, muss er damit rechnen,dass man es ihm zum Vorwurf macht, wenn er dieseSchilder nicht beachtet. Das gilt bei Umweltzonen natür-lich genauso.
Es geht ja nicht um eine Plakette für den einen Tag,sondern um die Plakette, die Sie sich generell für IhrAuto besorgen. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt, näm-lich die Überlegung: Habe ich noch das richtige Auto,oder sollte ich mir – technisch innovativ – ein neues an-schaffen, wenn ich mich hauptsächlich in Umweltzonenbewege?
Das ist ein Anreiz, ein überlegenswerter Punkt. Insofernkann jeder selbst bestimmen, ob er das Risiko eingeht, ineine Umweltzone ohne Plakette oder mit einem Fahr-zeug, das dafür nicht geeignet ist, zu fahren.
Meine Damen und Herren, wer, wie die FDP, jetzt be-hauptet, dass 20 Euro als Strafe ausreichend seien, demmuss ich sagen, dass es bei den Einfahrtverboten, wieSie, Herr Döring, das hier vorgetragen haben, durchausUnterschiede gibt. Sie begehen eine größere Verkehrsge-fährdung, wenn Sie in eine Einbahnstraße falsch hinein-fahren. Deswegen wird das geahndet.
Dann bekommen Sie einen Punkt.
– Gut, dann bekommen Sie keinen Punkt. – Es handeltsich aber um eine erhöhte Gefährdung, wenn Sie nichtmit einem vernünftigen Fahrzeug und entsprechendemMotor in eine Umweltzone hineinfahren. Sie gefährdendie Umwelt, die Mitmenschen. Wenn das Verhalten derMHdnVDdaVDsRkgE2daasmLFzAnlEjfSrwE
erzeit haben wir Umweltzonen, und wir möchten, dassich die Menschen daran halten. Wenn wir als Politikeregeln aufstellen, ist die Frage, wie wir es bewirkenönnen, dass sich die Menschen daran halten. Freiwilligeschieht das nämlich nicht.
s stellt sich die Frage, ob sie sich bei einer Strafe von0 Euro eher daran halten oder nicht. Daher denke ich,as, was Sie hier vorschlagen, ist keine Lösung.Die Einführungsphase ist vorbei. Wir werden jetztuch weniger Verstöße feststellen. Deswegen empfehleuch ich meiner Fraktion, Ihren Antrag an den Aus-chuss zu überweisen. Dort werden wir uns sehr kritischit ihm beschäftigen.
Das Wort hat nun Lutz Heilmann für die Fraktion Die
inke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieDP befindet sich auf einem Kreuzzug gegen Umwelt-onen als vermeintliche Hüterin des Heiligen Grals derutolobby – freie Fahrt für freie Bürger. Kaum ein Mo-at vergeht, in dem die FDP nicht eine Ausnahmerege-ung für irgendeine Gruppe fordert.
rst waren es die Oldtimer, dann die Reisebusse, undetzt ist es das Bußgeld selbst. Wenn die FDP damit Er-olg hätte, sähe die Umweltzone bald aus wie einchweizer Käse. Aushöhlen, bis nichts mehr davon üb-ig ist, ist offenbar Ihr Ziel. Aber dann lamentieren,enn wir von der EU die Rote Karte bekommen!
Dabei geht es bei den Umweltzonen um nicht wenig.s geht um den Schutz der Gesundheit der Menschen
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009 21861
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Lutz Heilmanndurch die Verbesserung der Luft. Nach Auffassung derLinken ist das Recht auf saubere Luft ein Menschen-recht, ein Grundrecht.
Wir haben als Gesetzgeber die Pflicht zum Handeln.
Das hat uns der Europäische Gerichtshof letztes Jahrnoch einmal ganz deutlich aufgegeben.
Mit seiner Entscheidung vom 25. Juli des vergangenenJahres hat er das Recht der Menschen auf saubere Luftgestärkt. Das dürfte auch Ihnen bekannt sein.
– Warum stellen Sie dann permanent Anträge, die daraufausgerichtet sind, die Umweltzone ad absurdum zu füh-ren?
Wir haben uns in Deutschland für die Einrichtung vonUmweltzonen entschieden. Ich bin dafür, dass wir ge-meinsam dafür sorgen, dass die Umweltzonen effektivausgestaltet werden.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie re-den viel von Nachhaltigkeit und Generationengerechtig-keit.
Aber was machen Sie? Mit Ihrem Kreuzzug gegen dieUmweltzonen vergeben Sie eine Chance, etwas für un-sere Kinder und Enkel zu tun, deren Gesundheit zuschützen und nicht zu gefährden.
Umweltzonen haben noch einen zusätzlichen Effekt.Sie setzen Impulse für Handwerk und Handel. Warum?Etliche Fahrzeuge erfüllen die Anforderungen hinsicht-lich der Umweltzonen nicht; das ist uns bekannt. DieseAutos umweltzonentauglich zu machen oder zu ersetzen,bringt einiges an Arbeit für unsere Kfz-Werkstätten oderauch für den Handel, falls man sich entscheidet, einneues Auto zu kaufen.Erlauben Sie mir, auf den FDP-Antrag mit dem Titel„Bußgeldkatalog bei Umweltzonen ändern – Zurück zurVerhältnismäßigkeit“ zurückzukommen. Ich möchte da-rauf verzichten, hier über den Grundsatz der Verhältnis-mäßigkeit zu debattieren. Das würde meine Redezeitsprengen.AHZu2Td–uFI4wSawsddGhsktdtzsbArDltikeB
ber ich frage Sie: Was ist denn an dem Bußgeld inöhe von 40 Euro unverhältnismäßig?
um Vergleich: Für einen Verstoß gegen das Sonntags-nd Feiertagsfahrverbot für Lkws werden 40 bis00 Euro fällig. Bei Gefährdung der Umwelt durch denransport gefährlicher Güter auf gesperrten Straßen wer-en 100 Euro fällig.
Ich bitte Sie, Herr Kollege: Ist es kein Vorteil, dass wirnsere Kinder und die Menschen in den Städten voreinstaub schützen?
ch frage Sie deshalb noch einmal: Was ist an den0 Euro unverhältnismäßig?Sie behaupten, dass Auswärtige nicht über die Um-eltzone Bescheid wüssten. Ich muss da dem Kollegentorjohann von der CDU/CSU – ich tue das nur ungern –usnahmsweise zustimmen,
eil ich mit ihm inhaltlich übereinstimme: Unwissenheitchützt nicht vor Strafe. Das sage ich Ihnen als ausgebil-eter Jurist. Die Hinweisschilder sind so groß und soeutlich sichtbar, dass man sie gar nicht übersehen kann.
rößtenteils weisen Reiseveranstalter und Hotels daraufin, dass es Umweltzonen gibt. In Berlin sind die Hotelsogar dabei behilflich, fehlende Plaketten zu besorgen.Es ist richtig, dass es Probleme gibt. Das bestreiteteiner. Probleme gibt es insbesondere bei der Nachrüs-ung von Autos. Die Bundesregierung ist jetzt angesichtser Tatsache gefordert, dass Filter fehlen oder Schrottfil-er verkauft wurden. Ich erspare mir jetzt Bemerkungenum Filterskandal, den wir im Hause und in den Aus-chüssen hinreichend debattiert haben. Das mache icheim nächsten Mal, wenn die Bundesregierung meinenfrage beantwortet hat. Mit Ruhm hat sich die Bundes-egierung bei dem Thema weiß Gott nicht bekleckert.ie Zahlen der ausgetauschten Filter machen dies deut-ich. Hier werden Probleme vertuscht und nicht bewäl-igt.Die Probleme müssen freilich gelöst werden. Falschst es, Umweltzonen abzuschaffen. Das wird mit der Lin-en nicht zu machen sein. Deshalb fordert die Linke:rstens den Austausch aller Schrottfilter und Entzug deretriebserlaubnisse, um dafür einen wirksamen Anreiz
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Lutz Heilmannzu setzen; zweitens die Verlängerung der Förderdauerzur Nachrüstung bei Pkw über das Jahr 2009 hinaus so-wie eine Differenzierung und Erhöhung der Förder-summe; drittens Förderprogramme zur Umrüstung vonLkws und Reisebussen;
viertens Ausnahmeregelungen zur Abfederung von Här-tefällen, solange es keine wirksamen Filtersysteme gibt.Das sind die Forderungen der Linken.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Solange diese Forderungen nicht erfüllt sind, werden
wir jegliche Debatten über Umweltzonen ablehnen.
Selbstverständlich lehnen wir auch den Antrag der FDP
ab.
Das Wort hat nun Kollegin Rita Schwarzelühr-Sutter
für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! An dem Titel Ihres An-
trags „Bußgeldkatalog bei Umweltzonen ändern – Zu-
rück zur Verhältnismäßigkeit“ gefällt mir ganz beson-
ders, dass Sie zur Verhältnismäßigkeit zurückkehren
wollen. Ich möchte Sie im Gegenzug auffordern: Kom-
men Sie auf den Boden der Tatsachen zurück! Ich emp-
finde es nämlich als unverhältnismäßig, wie Sie uns hier
mit Anträgen zuschütten, in denen Sie versuchen, Um-
weltzonen zu umgehen und Ihre Klientel bei Laune zu
halten, indem Sie sie in ihrer Auffassung, dass Umwelt-
zonen nichts bewirken, immer wieder bestärken.
Angesichts der Tatsache, dass die EU-Kommission eine
Buße androht, muss man schon fragen: Was ist denn Ihre
Alternative, um die Feinstaubbelastung zu reduzieren?
Unverhältnismäßig finde ich auch, dass die FDP Aus-
nahmeregelungen für alle möglichen Fahrzeuge fordert
oder das Bußgeld heruntersetzen will, obwohl die Um-
weltzonen zum Schutz der Anwohnerinnen und Anwoh-
ner vor Feinstaub eingerichtet worden sind.
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Darauf komme ich noch. Hören Sie mir erst einmal zu!
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Kauch?
Nein.
Klare Ansage.Sie vergessen, welche Auswirkungen diese Fein-taubbelastung hat. Sie vergleichen das mit einer Ein-ahnstraße und wissen ganz genau, welche gesundheitli-hen Belastungen Feinstaub mit sich bringt:temwegserkrankungen,
unahme der Sterblichkeit. Wie sieht das eigentlich Ihreeauftragte für die Kinderkommission? Es sind doch ge-ade die Kinder in den Städten, die unter Feinstaub lei-en, wenn Sie hier Ausnahmen zulassen.
Es wurde bisher eine Menge an Umweltzonen einge-ichtet, angefangen in Berlin, Hannover und Köln zuahresbeginn 2008. Es folgten weitere. Manche wietuttgart haben sogar ein Lkw-Durchfahrverbot. In derwischenzeit gibt es Umweltzonen in 30 Städten. Nachieser kurzen Zeit – der Zeitraum beträgt erst ein Jahr; esind noch nicht einmal alle Umweltzonen eingerichtet –agt sogar der Städtetag, dass Umweltzonen wirken. Dasst die erste Zwischenbilanz. Berlin sagt, man habe guterfahrungen mit der Einrichtung einer Umweltzone ge-acht.
reckschleudern mit besonders hohen Emissionen müs-en draußen bleiben.
ach jüngsten Untersuchungen steht schon heute fest,ass die Berliner Fahrzeugflotte sauberer geworden ist.ch habe immer gedacht, die FDP interessiere sich fürie Wirtschaft und für Wirtschaftsförderung. Sie müssteoch ein Interesse daran haben, dass vermehrt innova-ive, emissionsarme Fahrzeuge auf den Markt kommen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009 21863
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Rita Schwarzelühr-Sutter
– Ihr Antrag zielt darauf ab, über eine Hintertür Umwelt-zonen auszuhebeln.
Sie wissen ganz genau, welche Auswirkungen mit derEinführung von Umweltzonen verbunden sind. Man er-wartet in der ersten Stufe eine 2-prozentige Verminde-rung der Emissionen und eine Reduzierung der Über-schreitungstage um fünf Tage. In der zweiten Phase,wenn nur noch Fahrzeuge mit einer grünen Plakette indie entsprechenden Zonen fahren dürfen, erwartet maneine Verminderung von 10 Prozent und eine Reduzie-rung der Überschreitungstage um 25 Tage.
– Hören Sie doch einfach einmal zu! Vielleicht habendann auch Sie einen Erkenntnisgewinn.
Wissen Sie eigentlich, dass wir seit den 90er-Jahrenim Zusammenhang mit Smog eine Bußgeldkatalogver-ordnung haben? Für eine Missachtung von Fahrverbotenwurde damals ein Bußgeld von 80 DM vorgesehen. Soweit müsste Ihr Erinnerungsvermögen noch vorhandensein.
Jetzt sind es 40 Euro.Wir wissen ja, wie es im Alltag mit Selbstverpflich-tungen ist: Wer hält sich daran? Ich finde es ganz sinn-voll, dass man im Verkehrszentralregister einen Punktbekommt, wenn man gegen das Verbot der Einfahrt indie Umweltzone verstößt. Wenn man das nämlich nichtmacht, dann hält sich auch keiner an dieses Verbot. Werdas Verbot einmal umgeht und eine Buße von nur20 Euro zahlen muss, wird es auch ein zweites Mal ma-chen. Dies ist dann sehr wohl eine Umgehung unseresZiels, die Städte von Feinstaub zu entlasten.
Die Deutschen haben in der Zwischenzeit durch dieMedien mitbekommen, dass es in bestimmten StädtenUmweltzonen gibt. Ich hätte gedacht, Sie schlagen statteiner Reduzierung der Buße die Benutzung des ÖPNV inden großen Städten vor, der dort gut funktioniert. Abernichts dergleichen ist der Fall.bE–Lnn„RwtbdufzddVFKeWmwwd–mAs
Herr Döring, es gibt in den Städten anderer Länderow Emission Zones. Schauen Sie einmal im Internetach. Dort heißt es nämlich: „Why low emission zo-es?“
Health! In short, pollution kills.“ Ich denke, in jedemeiseführer steht, dass wir eine Plakettenpflicht haben,ie ebenso darin steht, dass es in Berlin einen Fernseh-urm gibt. Das gehört dazu. Man kann die Plakette onlineestellen; man kann sie bei den Fahrzeughändlern, inen Werkstätten – es gibt 30 000 –, in Zulassungsstellennd bei den Technischen Überwachungs-Vereinen kau-en. Kommen Sie zurück auf den Boden der Realität undur Verhältnismäßigkeit! Ich erwarte – ich freue micharauf –, dass Sie einmal einen Antrag zur Bekämpfunges Feinstaubs an der Quelle vorlegen und dazu guteorschläge auf den Markt bringen.Danke.
Das Wort hat der Kollege Anton Hofreiter für die
raktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Manche Debatten hier im Hause verblüffeninen schon: Es werden Themen ganz unterschiedlicherichtigkeit verhandelt, und bei manchen Themen kom-en dann richtig die Emotionen hoch. Interessanter-eise kommen bei der FDP die Emotionen dann hoch,enn es darum geht, einen Bußgeldkatalog zu verän-ern. Dies empfinde ich als mehr als verblüffend.
Die Argumente der FDP werden zur Kenntnis genom-en.
ber das Tragische ist, dass die FDP grundlegende Zu-ammenhänge nicht versteht.
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Dr. Anton HofreiterEine Umweltzone wirkt dann, wenn Autos, die erheb-liche Mengen an Feinstaub abgeben, die sogenanntenStinker, nicht in die Umweltzone einfahren dürfen. Jetztwissen wir: Nicht alle Menschen sind so gesetzestreuwie die hier Versammelten.
Deshalb hat der Gesetzgeber für Übertretungen Strafenvorgesehen. Diese Strafen müssen eine Wirkung haben.Wenn ich ohne Plakette in eine Umweltzone einfahrenkann und dafür nur 20 Euro zahlen muss und somit kei-nen Punkt bekomme, dann lohnt es sich in vielen Fällen,das Verbot immer wieder zu übertreten, anstatt das Autonachzurüsten, auf den ÖPNV umzusteigen oder sichvielleicht ein neues Auto zu kaufen. Damit ist der Zu-sammenhang zwischen dem, was die Kollegin und dieKollegen der anderen Fraktionen dargelegt haben, klarhergestellt. Es gibt einen Zusammenhang zwischen ge-sundheitlichen Gefährdungen und dem Bußgeldkatalog.Wenn ich eine Regelung erlasse und das Bußgeld so fest-setze, dass sich niemand bemüßigt fühlt, sich an dieseRegelung zu halten, dann kann ich diese Regelung auchsein lassen.
Diesen Zusammenhang haben Ihnen die Kollegin unddie Kollegen der anderen Fraktionen mehr oder wenigerredegewandt zu erklären versucht. Durch Ihre Zwischen-rufe haben Sie aber bewiesen, dass Sie es nicht verstan-den haben. Das ist das Problem, und das verblüfft mich,weil Sie im Ausschuss manchmal viel geschickter sind.Da dies jetzt der dritte Antrag ist, mit dem Umweltzo-nen ausgehebelt werden sollen, würde mich von der FDPFolgendes interessieren: Sie haben am Anfang davon ge-sprochen, dass auch Sie die Menschen vor Feinstaubschützen wollen, und dann haben Sie, Herr Döring, zudiesem Thema beredt geschwiegen. Wir freuen uns alsodarauf, von Ihnen im Verkehrsausschuss einmal etwasKonstruktives zum Schutz der Menschen vor Feinstaubzu hören.Man muss zwar nicht immer glauben, was an Ergeb-nissen auf europäischer Ebene bekannt gegeben wird.Aber es gibt eine Untersuchung, die besagt, dass reinrechnerisch in Europa aufgrund von Feinstaubbelastungim Straßenraum pro Jahr über 300 000 vorzeitige Todes-fälle zu verzeichnen seien. Das ist eine gigantische Zahl,die auf den ersten Blick kaum glaubwürdig wirkt.
In Deutschland sind es rechnerisch immer noch mehrereZehntausend vorzeitige Todesfälle. Was man aus dieserStudie aber auf alle Fälle erkennen kann, ist, dass es sichum ein gravierendes Problem handelt. Natürlich ist dieUmweltzone nicht die komplette Lösung für all dieseProbleme. Aber sie ist ein Teil der Lösung. Um diesenTcÜdsssaAkLu9PIuLddnaVsdd
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die
berweisung der Vorlage auf Drucksache 16/10313 an
ie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
chlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offen-
ichtlich so der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
chlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b
uf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur
Änderung des Umsatzsteuergesetzes
– Drucksache 16/11340 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Gudrun Kopp, Jens Ackermann, Dr. Karl
Addicks, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion der FDP eingebrachten Entwurfs eines
… Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuer-
gesetzes
– Drucksache 16/11674 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
einen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Kollegin
ydia Westrich für die SPD-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnennd Kollegen! Nach einer großen Studie nehmen3 Prozent der Bevölkerung der Europäischen Unionostdienstleistungen in Anspruch. Das ist das drittgrößtenfrastrukturbedürfnis der Menschen nach der Wasser-nd Abwasserversorgung. Damit ist klar, dass dieseeistungen einen wichtigen Teil der Daseinsvorsorgearstellen. Es liegt im allgemeinen Interesse, sie flächen-eckend und kostengünstig bereitzuhalten, und zwar zuormierten Preisen.Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruchuf ein öffentliches Postnetz, das als Universaldienst zurerfügung steht. Dieses Netz muss keineswegs staatlichein; es muss lediglich die dem Allgemeinwohl dienen-en Leistungen zuverlässig erbringen. Die Universal-ienstleistungen sollen zwar kostenorientiert, aber trotz-
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Lydia Westrichdem zu erschwinglichen Preisen angeboten werden undvon den Inseln bis zu den Bergdörfern die gleiche Quali-tät haben. Wir wollen in ländlichen Gebieten, wo ichherkomme, genauso gut und zu den gleichen Preisenversorgt werden wie die Menschen in den Großstädten.Eine Belastung dieser notwendigen Dienstleistungendurch die Erhebung von Mehrwertsteuer steht der gebo-tenen Daseinsvorsorge entgegen.Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierungist geeignet, um die Bedürfnisse unserer Bürgerinnenund Bürger weiterhin kostengünstig zu befriedigen.
Die Regelung zur Steuerbefreiung, die bisher nur für dieDeutsche Post AG galt, wird für alle Anbieter geöffnet,die die Universaldienstleistungen in gleicher Qualitätflächendeckend und kostengünstig aus einer Hand anbie-ten können. Das ist der richtige Weg. Unser Gesetzent-wurf ist daher besser als der Entwurf der FDP-Fraktion,Herr Wissing, weil dieser die Belastung aller Postdienst-leistungen mit der Mehrwertsteuer und damit die Verteue-rung der Leistungen vorsieht.
Die Liberalisierung des Postmarktes ist in Deutsch-land schon weit fortgeschritten. Exklusivlizenzen undVerpflichtungen sind weggefallen. Vor zwei Jahren, alsFDP und Bündnis 90/Die Grünen schon einmal dieseDienstleistungen mit der Mehrwertsteuer belegen woll-ten, haben wir uns noch in einem anderen Umfeld be-wegt. Damals galt der Verpflichtungsauftrag für dieDeutsche Post AG und die dadurch berechtigte Befrei-ung von der Mehrwertsteuer. Das ist nun alles weggefal-len. Wir hatten Zeit, um zu überlegen und darüber zudiskutieren, wie wir den Service für die Bürger am bes-ten gewährleisten können.Die FDP-Fraktion fährt in ihrem Gesetzentwurf diepure, harte Wettbewerbslinie. Der von den Koalitions-fraktionen unterstützte Gesetzentwurf bietet Chancen.Wir räumen allen Unternehmen die Möglichkeit ein,diese Universalleistungen flächendeckend aus einerHand für die Menschen zu erbringen. Wir werden dieseChance nicht durch das Geschenk einer Mehrwertsteuer-belastung erschweren. Wir fordern den Nachweis, dassdie entsprechenden Unternehmen die Bedürfnisse derDaseinsvorsorge im postalischen Bereich erfüllen kön-nen. Wenn, wie in der bereits erwähnten EU-Studie an-geführt, so viele Menschen Postdienstleistungen in An-spruch nehmen, ist das ein durchaus lohnender Marktmit ganz großen Chancen.Mir ist wichtig, dass die Menschen die Sicherheit ha-ben, alles in erreichbarer Nähe aus einer Hand zu be-kommen. Die Erfüllung von Daseinsvorsorgepflichtenbedeutet, dass man nicht mühsam herausfinden muss,wer welche Leistungen anbietet. Es muss einen Anbieterfür alle Universaldienstleistungen geben, um die flä-chendeckende Sicherheit für alle Bürger zu tragbarenPreisen zu gewährleisten.NuMfegdPtwFPwmwihfPGgzWdwdvbAopdgnGt
ur die Erfüllung dieser Kriterien – überall, bezahlbarnd zu einer bestimmten Qualität – ist Grund für dieehrwertsteuerbefreiung. Eine Steuerbefreiung alleinür Dienstleistungen bietet diese Sicherheit nicht, undine gänzliche Steuerbelastung, wie sie im FDP-Entwurfefordert wird, sowieso nicht. Nicht ohne Grund warnenie kommunalen Spitzenverbände unisono davor, dieost-Universaldienstleistungen allein den Wirtschaftsin-eressen der Marktteilnehmer unterzuordnen; denn diesürde eine Unterversorgung der Bevölkerung bedeuten.Den Spitzenverbänden ebenso wie vielen in der SPD-raktion gefällt auch nicht, dass die bisher gewohntenost-Universaldienstleistungen nun auch im Gesetzent-urf der Bundesregierung auf die europäischen Mini-alforderungen heruntergefahren wurden. Aber wirerden in der Anhörung mit den Sachverständigen undn den nachfolgenden Beratungen noch genügend Zeitaben, gute Lösungen zu finden.Ich halte diesen Gesetzentwurf für eine gute Chanceür Unternehmen, die ich jedem gönne, nicht nur derost. Allerdings will ich mit einer Steuerbefreiung keineeschäftsidee unterstützen, die ihren Erfolg nur daraufründet, Menschen für Niedrigstlöhne für sich arbeitenu lassen.
Eines muss man dem FDP-Entwurf lassen:
enn Sie schon befürworten, dass durch Niedrigstlöhneie Daseinsvorsorge für unsere Bürger gewährleisteterden soll,
ann schlagen Sie wenigstens die Mehrwertsteuer drauf,on der wir dann die ergänzenden Hartz-IV-Leistungenezahlen können.
ls Sozialdemokratin habe ich es aber lieber umgekehrt:rdentliche Löhne und Mehrwertsteuerbefreiung für dieostalischen Dienstleistungen, die die Menschen auch inen entlegenen und schwach besiedelten Gebieten drin-end brauchen. Das wird von den Koalitionsfraktionenach unseren Beratungen mit der Verabschiedung diesesesetzentwurfs geleistet.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Kollege Volker Wissing, FDP-Frak-ion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Dass die SPD so argumentiert, wundert mich nicht. Aberich will mich einmal der CDU/CSU zuwenden.Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Mindestlöhne,ALG II – es gibt doch inzwischen kaum noch einen Be-reich, in dem die Union nicht umgefallen ist.
Wo heute Union draufsteht, ist nur noch ordnungspoliti-scher Wackelpudding drin.
Ihr Gesetzentwurf zur Umsatzsteuerbefreiung derPost AG ist ein weiterer ordnungspolitischer Sündenfall.Sie schreiben, Sie wollen eine „Umsatzsteuerbefreiungfür alle Unternehmer, die Post-Universaldienstleistungeninsgesamt, tatsächlich flächendeckend und zu einem er-schwinglichen Preis anbieten“. Ehrlicher wäre es gewe-sen, von vornherein klar zu sagen: Wir wollen die Privi-legierung der Deutschen Post AG, um sie dauerhaft vorprivater Konkurrenz zu schützen. Es wäre ehrlich gewe-sen, wenn Sie das in ihren Gesetzentwurf geschriebenhätten.
Sie legen hier heute einen Gesetzentwurf vor, der einegigantische staatliche Wettbewerbsverzerrung vorsieht.Die Postpolitik der Großen Koalition hat bisher immernur ein Ziel gehabt: den Monopolisten hätscheln undseine private Konkurrenz zerschlagen.
Das ist der Geist Ihres Gesetzentwurfes.
Es ist schon ein einmaliger Vorgang, wie sich CDU/CSUund SPD zum Büttel eines einzelnen Unternehmens inDeutschland machen. Ihre scheinheilige Begründung,liebe Kollegin Westrich, ist ungeheuerlich.
Wenn Sie ehrlich wären, würden Sie sagen: Wir wollendiesen Monopolisten schützen; wir wollen nicht, dassprivate Konkurrenz entsteht. – Aber den Preis dafür zah-len die Bürgerinnen und Bürger mit völlig überhöhtenPreisen.
Zuerst haben Sie einen Mindestlohn eingeführt unddamit die private Konkurrenz der Post plattgemacht.57 Unternehmen mit 6 000 Arbeitsplätzen hat diese Ko-alition damit bereits vernichtet. Es grenzt an Zynismus,wenn die Bundesregierung auf eine parlamentarischeAnfrage der FDP antwortet, dass den ehemaligen Be-schäftigten der privaten Postdienste nunmehr die Instru-mente der Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung stehen.KdniKIsidwvmddSvPDmnaNaBdmrzlrPkdsrIdSnsnhs
Es ist mehr als fraglich, ob die Konjunkturpakete, dieie derzeit in Serie auflegen, auch nur ansatzweise soiel Beschäftigung sichern können, wie Sie durch Ihreolitik in Deutschland vernichtet haben.
er Bundesfinanzminister legt der deutschen Wirtschaftit Zinsschranke, Funktionsverlagerung und Hinzurech-ungsbesteuerung in schwierigen Zeiten eiskalt Fesselnn. Angeblich braucht er jeden Cent Steuereinnahmen.ur bei der Post ist er großzügig und verzichtet gerneuf Millionen. Ich frage Sie: Was haben eigentlich dieürgerinnen und Bürger von der Umsatzsteuerbefreiunger Deutschen Post? Die Bürgerinnen und Bürger zahlenit einem überhöhten Porto dafür, dass die Post in Ame-ika investieren kann. Das ist die Realität. Das unterstüt-en Sie mit Ihrem Gesetzentwurf.
Die Folge wird sein, dass die Portokosten in Deutsch-and auch künftig europaweit am höchsten sind. In ande-en Ländern wird ein Brief für 19 Cent befördert. Dieost verlangt fast das Dreifache. Sie sorgen dafür, dasseine Konkurrenz entsteht. Sie sichern bei den Post-ienstleistungen Monopolpreise, fordern hier abercheinheilig, die Preise durch Steuersenkungen im Inte-esse der Menschen zu senken.
n Wahrheit sorgen Sie für überhöhte Preise, indem Sieen Wettbewerb auf dem Postmarkt zerstören.
Die Union macht diese Politik Schritt für Schritt mit.ie nicken alles ab. Das ist ungeheuerlich. Mit Ord-ungspolitik und sozialer Marktwirtschaft hat der Ge-etzentwurf, den sie vorlegen, nichts, aber auch garichts mehr zu tun. Sie, die Christdemokraten, habeneute die Chance, ein Signal für Wettbewerb und für dieoziale Marktwirtschaft zu senden,
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Dr. Volker Wissing
indem Sie sich für den Gesetzentwurf der FDP ausspre-chen. Sie könnten den Staatsprotektionismus Ihres Ko-alitionspartners, der sich für einen Monopolisten ein-setzt, beenden. Ich bin sicher, dass sich die Menschen inDeutschland gerade in diesen wirtschaftlich schwierigenZeiten freuen würden, wenn neben den Freien Demokra-ten noch eine andere Fraktion in diesem Hohen Hausewieder einmal das Wort ergreifen und sich für Wettbe-werb, soziale Marktwirtschaft und Ordnungspolitikstarkmachen würde.
Ich fordere Sie auf: Sagen Sie die Wahrheit! Sie wissendoch genau, dass diese Politik unserem Land schadet.Sie ist in der aktuellen konjunkturellen Krise unverant-wortlich. Mit diesem ordnungspolitischen Unsinn, denSie verbreiten, schwächen Sie die BundesrepublikDeutschland.
Der Inhalt des Gesetzentwurfes, den Sie uns vorlegen,widerspricht allen ordnungspolitischen Prinzipien. WennSie von der Union so weitermachen und Sündenfälle die-ser Art immer wieder absegnen, dann müssen Sie IhrGrundsatzprogramm überarbeiten. Sie sind nämlich ge-rade dabei, sich selbst zu verleugnen.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Kollege Norbert Schindler für die
CDU/CSU-Fraktion.
Einen schönen Tag, meine Damen und Herren, vor al-lem den Besuchern auf der Tribüne! Lieber VolkerWissing, eigentlich müsste man fragen: Ist schon Wahl-kampf?
Da der Kollege gerade richtig losgelegt hat, möchte ichnoch einige Sätze zur Klarstellung sagen. Für die Unionstelle ich fest: Die soziale Marktwirtschaft hat die Bun-desrepublik Deutschland in den letzten 60 Jahren in Eu-ropa auf Erfolgskurs gebracht. Ihr von der FDP wart indieser Zeit an vielen Regierungen beteiligt.
Da ihr jetzt die brutale Marktwirtschaft nach amerikani-schem Vorbild fordert,fWoGsDLdudwgrMBgItbhdAsJd–KeSeegdui
rage ich mich: Was wollt ihr von der FDP eigentlich?ollt ihr die Steuer überall erheben,
der wollt ihr sie überall abschaffen?
Wir legen heute einen Vorschlag vor, um die Post-rundversorgung unseres Staates zu sichern. Nach die-em Vorschlag soll nicht mehr nur der Monopolanbietereutsche Post das Privileg der Steuerbefreiung haben.ieber Volker Wissing, Sie haben diesen Vorschlag miter Diskussion über das Konjunkturprogramm verknüpftnd sich aufgeregt. Sie haben sogar verkündet, wir wür-en auf diesem Wege 6 000 oder 7 000 Arbeitsplätzeegrationalisieren.
Lieber Freund, stellen wir nüchtern fest – das wird so-ar vom FDP-Chef anerkannt –: In den letzten drei Jah-en wurden 2,5 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen.
ittlerweile ist die Zahl sozialversicherungspflichtigeschäftigter höher als je zuvor. Übrigens hat die FDProßen Teilen des Konjunkturprogramms zugestimmt.ch finde, das ist durchaus honorig und sollte festgehal-en werden.Allerdings hatte die Rede, die wir gerade gehört ha-en, auch mit Wahlkampf zu tun; denn du, lieber Volker,ast in Anbetracht der gegenwärtigen Vertrauenskrise iner Finanzwirtschaft behauptet, die Regierung würderbeitsplätze gefährden. Ich möchte dich in einem per-önlichen, freundschaftlichen Ton darauf hinweisen: Imanuar ist es mit Sicherheit noch etwas zu früh, um mitem Bundestagswahlkampf zu beginnen.
Im Moment hat man den Eindruck, als könntet ihr vorraft nicht laufen. Euer Parteivorsitzender hatte schoninmal die „18 Prozent“ auf den Schuhsohlen. Seinechuhe waren aber schnell abgelaufen. Warten wir erstinmal das nächste halbe Jahr ab! Ich bin da sehr gelassen.Wir reden hier über die Änderungen des Umsatzsteu-rgesetzes auf Bundestagsdrucksache 16/11674. Um waseht es dabei? Es geht darum, dass die Exklusivlizenz,ie die Deutsche Post AG zur Beförderung von Briefennter 50 Gramm hatte, im Dezember 2007 ausgelaufenst. Das Monopol der Deutschen Post AG ist damit weg.
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Norbert SchindlerIn der Zwischenzeit sind viele Anbieter, allein oder inGemeinschaft, in den Markt eingetreten, welche Post-dienstleistungen aller Art erbringen. Neben der Beförde-rung von Briefen über 50 Gramm und Paketen gab es aufAntrag auch Genehmigungen für die Beförderung vonBriefen unter 50 Gramm. Täglich bekommen wir alleBriefe nicht nur von der Deutschen Post, sondern auchvon der PIN AG, der Citypost und Pakete von Hermes.Die Öffnung des Postmarktes ist damit vollzogen, lieberVolker Wissing.
Ich will der FDP etwas zum Mindestlohn sagen: Ichhabe schon immer etwas dagegen gehabt, dass inSchlachthöfen in Oldenburg oder sonstwo Osteuropäerfür 1,80 Euro oder 2,90 Euro die Stunde gearbeitet unddamit die deutschen Arbeitskräfte vor Ort verdrängt ha-ben. Wenn das Wettbewerb am Arbeitsmarkt sein soll,dann sage ich: Ein unteres Netz muss eingezogen wer-den.
Die Städte und Gemeinden mussten für die arbeitslos ge-wordenen Deutschen aufkommen. Menschen sind ohneNot in die Arbeitslosigkeit getrieben worden. Deswegenbrauchen wir für die Löhne ein unteres Netz. So verste-hen wir die soziale Marktwirtschaft.
Postdienstleistungen stehen im Wettbewerb um Preis,Qualität und Zustellgebiet. Die Zustellung von Briefenoder Paketen ist allerdings keine einfache Dienstleis-tung. Die förmliche Zustellung mittels Postzustellungs-urkunde ist Grundlage eines jeden Vollstreckungsverfah-rens. Auch Liebesbriefe, Postkartengrüße, Einladungenund Mitteilungen, Urkunden, Gerichtsbescheide, Rech-nungen und Mahnungen müssen zuverlässig befördertwerden – und sei es bis nach Sylt oder auf die HalligGröde. Wie komme ich auf die Hallig Gröde? Gröde istdadurch bekannt geworden, dass die sieben Einwohner,die wählen dürfen, immer die CDU gewählt haben – biseines Tages einer SPD gewählt hat. Da gab es ein großesRätselraten auf dieser Hallig.
Dass man flächendeckend, von Aachen bis in denOderbruch, Briefe versenden kann, ist eine der Kommu-nikationsgrundlagen unserer Gesellschaft. Dass alle Uni-versaldienstleister diese Qualitäten erfüllen müssen, da-rum geht es heute.
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ieber Volker Wissing, du müsstest den Weinbauverbün-en sofort zustimmen, dass Wein nicht nur Genuss, son-ern für alle, die ihn in Maßen trinken, eine gesunde Me-izin ist.
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Norbert Schindler
Das politische Ziel, das mit dieser Vorlage verfolgtwird, ist absolut richtig. Über den Zeitpunkt der Inkraft-setzung – im April, im Juni oder erst im kommendenJahr – werden wir mit unserem Partner, der SPD, mit Si-cherheit noch einmal reden müssen. Wir finden hier mitSicherheit eine Einigung.
Ich stelle hiermit fest: Auch für diese Grundversor-gung muss der Mindestlohn Grundlage bleiben. Hier binich Anhänger der sozialen Marktwirtschaft. LiebeFreunde, daran, dass der Wettbewerb trotzdem flächen-deckend eröffnet wurde, zeigt sich, dass das ein guterGesetzentwurf ist. Wir werden ihn mit Sicherheit auchschnell verabschieden.
Danke schön, dass Sie mir zugehört haben.
Das Wort hat nun Kollegin Barbara Höll für die Frak-
tion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieDeutsche Post soll überall in Deutschland, in den Städ-ten und im ländlichen Raum, genügend Briefkästen undPostdienststellen unterhalten und natürlich ein umfang-reiches Angebot bereitstellen. Dafür erhält sie einen fi-nanziellen Ausgleich, nämlich die Mehrwertsteuerbe-freiung. Das will die Linke beibehalten.
Das, was Sie von der FDP vorschlagen, ist nichts ande-res als das Infragestellen der Grundversorgung der Bür-gerinnen und Bürger mit flächendeckenden Postdienst-leistungen.
Wir sagen klipp und klar: Die Post soll diese Steuer-vergünstigung erhalten. Wir sagen aber auch: Sie erhältdiese Steuervergünstigung dafür, dass sie hier eine gutePostversorgung gewährleistet und nicht in Übersee einenGlobal Player spielt und sich dort eine blutige Nase holt.
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ie Postdienstleistungen sind für alle Bürgerinnen undürger, insbesondere für die Älteren, ein wesentlicheraktor der Lebensqualität; Frau Westrich sagte das be-eits.Trotz allem, liebe Kolleginnen und Kollegen von derroßen Koalition, bin ich auch mit Ihrem Gesetzentwurficht zufrieden. Worum geht es? – Sie wollen die Mehr-ertsteuerbefreiung auf all die Unternehmen erweitern,ie die Bürgerinnen und Bürger ebenso wie die Post flä-hendeckend mit Postdienstleistungen versorgen unden Universaldienst erfüllen. Gut! Das könnte die Linkeittragen. Die Linke kann aber nicht mittragen, dass Sieei dieser Mehrwertsteuerbefreiung einen anderen Maß-tab anlegen. Ich sehe nicht ein, warum wir von dem ho-en Niveau in der Bundesrepublik abgehen und es aufas europäische Niveau absenken sollten. Dazu sind wiricht verpflichtet. Sie wollen das aber. In Ihrem Gesetz-ntwurf steht:Nicht mehr umsatzsteuerbefreit sind:– Paketsendungen mit einem Gewicht von mehrals 10 Kilogramm bis zu 20 Kilogramm,– adressierte Bücher, Kataloge, Zeitungen undZeitschriften mit einem Gewicht von jeweilsmehr als 2 Kilogramm,– Expresszustellungen,– Nachnahmesendungen sowie– Leistungen, die individuell vereinbart werden …as ist ein erster Schritt, das Universalangebot aufzu-eichen. Das werden wir nicht mittragen.
Sie mögen vielleicht sagen, dass das zu vernachlässi-ende Größen sind. Das ist aber nicht so. Wir fordern Sieielmehr auf, im Interesse der Postkundinnen und -kun-en hier die Universaldienstleistungen in vollem Um-ang zu erhalten.Schauen wir uns einmal an, was in den letzten5 Jahren vor sich gegangen ist! Laut Städte- und Ge-eindebund ist die Zahl der Postfilialen um 5 000 aufirca 12 000 gesunken. Die Zahl der Briefkästen hat umirca 30 000 auf jetzt 110 000 abgenommen. Man mussum Teil schon ganz schön suchen, um einen Briefkas-en zu finden. Zudem gibt es derzeit 180 bis 190 Kom-unen in Deutschland, die sogenannte Bürgermeister-ilialen betreiben und damit die Aufgaben der Deutschenost übernehmen. Bei der Deutschen Post gingen zwi-chen 1999 und 2006 15 000 Vollzeitarbeitsplätze und000 Teilzeitarbeitsplätze mit Sozialversicherungs-flicht verloren. Das ist ein Skandal.
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Dr. Barbara HöllSie mögen zwar darauf verweisen, dass 20 000 Arbeits-plätze neu entstanden sind, aber das sind Arbeitsplätzeim Niedriglohnsektor oder Minijobs.Diese Politik tragen wir auf keinen Fall mit. Wir wol-len diese Umgestaltung des Arbeitsmarktes nicht, auchnicht bei der Deutschen Post. Wer eine bürgernaheDienstleistung will, darf nicht auf Teufel komm raus pri-vatisieren und mit dem Eurozeichen im Auge agieren. Ermuss vielmehr an die Irma auf Rügen, den Opa in derLausitz und an die alleinerziehende, nicht mobile jungeFrau im Allgäu denken, die auf diese Universaldienst-leistungen der Post angewiesen sind. Deshalb werdenwir in den Gesetzesberatungen unseren Schwerpunkt aufdie Beibehaltung der Umsatzsteuerbefreiung ohne Ab-senkung der Standards legen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nun Kollegin Kerstin Andreae, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Höll, Sie haben gesagt, man dürfe nicht auf Teufelkomm raus privatisieren, und eine Philippika für dieDeutsche Post AG vorgebracht. Sie sind im Berliner Se-nat vertreten. Der Berliner Senat verschickt seine Briefeüber die PIN AG. Ich muss Ihnen deshalb leider eine ge-wisse Scheinheiligkeit zusprechen.
Wir diskutieren zurzeit zwei Gesetzentwürfe zu demThema „Post und Umsatzsteuer“. Heute geht es um dieUmsatzsteuerbefreiung für alle Unternehmen, die flä-chendeckend Post-Universaldienstleistungen anbieten.Der Gesetzentwurf soll federführend an den Finanzaus-schuss überwiesen werden. Parallel dazu gibt es einenGesetzentwurf der FDP-Fraktion, der im Wirtschaftsaus-schuss beraten wird. Insofern habe ich Ihre Rede nichtverstanden, Herr Wissing. Die FDP schlägt nämlich inihrem Gesetzentwurf vor, die Mehrwertsteuerbefreiungaufzuheben. Das bedeutet de facto eine Preiserhöhungbei den Postdienstleistungen.
– Natürlich. Wenn Sie die Befreiung von der Mehrwert-steuer aufheben, dann steigen die Preise entsprechend.Das können Sie nicht leugnen.
– Moment, ich komme noch zu den Monopolen.Sie alle haben in ihren Reden im Zusammenhang mitder Aufgabe der Postversorgung als Daseinsvorsorge diehohe Gemeinwohlorientierung angeführt. Auch wir fin-den, dass diese Aufgabe sichergestellt werden muss. Da-bBwsdDtas–iddWMADlsvBadaefdhdbDtdDSinen
ie Post dünnt Leistungen aus. Es sind Beispiele disku-iert worden. Die Kommunen fangen selber an, Post-genturen zu betreiben. Im Weihnachtsgeschäft habenie selber – –
Jetzt seien Sie doch mal ruhig, und hören Sie zu! Dasrritiert. – In der Zustellung werden Poststellen ausge-ünnt.Wenn man die Daseinsvorsorge gewährleisten will,ann ist es aus grüner Sicht absolut notwendig, auch denettbewerb zu gewährleisten und den Zugang zu diesemarkt auch für private Anbieter zu ermöglichen.
n dieser Stelle haben Sie völlig recht, Herr Wissing.er Gesetzentwurf der Großen Koalition ist eine Schein-ösung. Wenn Sie vorsehen, dass nur diejenigen die Um-atzsteuerbefreiung genießen, die flächendeckend Uni-ersaldienstleistungen anbieten – und zwar in ganzerreite –, dann betrifft das ausschließlich die Post. Keinnderer Anbieter wird in der Lage sein, alle Teilbereicheer Universaldienstleistungen derzeit flächendeckendnzubieten. Deswegen sollten Sie berücksichtigen, dasss einen großen Anbieter gibt, der nach wie vor ein De-acto-Monopolist ist und
erzeit in die Kritik geraten ist. Liberalisierung hin oderer: Der Wettbewerb ist nicht in der Weise ausgestaltet,ass man von einem fairen und funktionierenden Wett-ewerb sprechen kann.
ie Post steht stark in der Kritik. Sie werden gewährleis-en müssen, dass auch privaten Anbietern der Zugang zuiesem Markt ermöglicht wird.
eshalb finde ich Ihren Vorschlag sinnvoll, Herrchindler, und empfehle, darüber nachzudenken, ob Sien der Lage sind, die Universaldienstleistungsverord-ung in Teilbereiche aufzuteilen. Diese Diskussion gibts schon länger. Es geht um die Frage, was man mit ei-em Paketdienstleister oder einem Briefzusteller macht.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009 21871
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Kerstin AndreaeIch finde den Vorschlag, den Sie gemacht haben, sinn-voll. Überlegen Sie sich, ob Sie diese Universaldienst-leistungsverordnung in Teilbereiche aufteilen.
Für diese Teilbereiche lässt sich Wettbewerb schaffen,indem festgelegt wird, dass, wenn die flächendeckendeVersorgung gewährleistet ist – es ist ein Unterschied, obSie über eine Briefzustellung oder eine Paketzustellungsprechen –, die Anbieter für diese Teilbereiche in glei-chem Maße mit einer Steuer belegt werden.
Wettbewerb an dieser Stelle heißt Verbraucherfreund-lichkeit, Bezahlbarkeit und flächendeckende Versor-gung. Aber so, wie die Situation derzeit ist, und mit die-sem Gesetz, das, wenn es nicht verändert wird, eineabsolute Scheinlösung ist, kommen Sie nicht zurande.Von daher hoffe ich, dass Sie sich in dieser Diskussionnoch bewegen.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Kollege Klaus Barthel für die SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirsollten uns darauf besinnen, um was es heute geht. Esgeht darum, dass es einen Anpassungsbedarf zwischeneuropäischem und deutschem Umsatzsteuerrecht gibt.Es geht um die Formulierung in unserem jetzigen Um-satzsteuergesetz, dass „die unmittelbar dem Postwesendienenden Umsätze der Deutsche Post AG“ von derSteuer zu befreien sind. In der Tat kann man diese For-mulierung nicht mehr halten. Da hat die Bundesregie-rung mit ihrem Gesetzentwurf völlig Recht. Die EU-Kommission kann sich mit ihrem Vertragsverletzungs-verfahren, das letztlich diesen Gesetzentwurf ausgelösthat, nur auf diesen Passus im Umsatzsteuerrecht bezie-hen.Nun behauptet die FDP – Herr Wissing ist geistigschon wieder abwesend –,
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ie sollten noch einmal darüber nachdenken, was das fürhr Image als Steuersenkungspartei bedeutet.
amit werden letztendlich die kleinen Postkunden belas-et, bei denen die Einführung der Mehrwertsteuer landenird.
Im Übrigen wollen wir beim Vierklang der Postlibera-isierung bleiben. Diesen Zusammenhang möchte icherstellen. Erstens geht es um die Erbringung eines flä-hendeckenden Universaldienstes und nicht um Rosinen-ickerei nach dem Motto „Jeder sucht sich das heraus,as er will, und erklärt das dann zur Universaldienstleis-ung“.
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Klaus BarthelZweitens wollen wir faire Wettbewerbsbedingungenfür das oder die universaldienstleistenden Unternehmen.Das kann jedes Unternehmen machen. Wenn es dasmacht, dann bekommt es die Umsatzsteuerbefreiung,nicht aber die anderen, die Rosinenpicker.Drittens streben wir die Sicherung guter Arbeit durchMindestarbeitsbedingungen – Stichwort Postmindest-lohn – an. Da es viele Wettbewerber gibt: Wer von die-sen offen erklärt – das ist in Zeitungen nachzulesen –,dass man rechtswidrig nicht den Mindestlohn zahlenwill, der hat das Recht verloren, sich bei Themen wie derMehrwertsteuer zu Wort zu melden. So kann Wettbe-werb nicht laufen.Schließlich und endlich ist fairer Wettbewerb in Eu-ropa entscheidend. Die EU-Kommission hätte genug zutun, fairen Wettbewerb in der EU durchzusetzen. Es mu-tet etwas gespenstisch an, wenn Unternehmen, die zuHause einen geschützten Bereich haben bzw. aus einemreservierten Bereich kommen, in der BundesrepublikDeutschland auftreten und plötzlich bei der Mehrwert-steuer den fairen Wettbewerb in der EU einfordern. Dasist eine seltsame Logik.
Es geht nicht um Arbeitsplätze oder nicht, um Mehr-wertsteuer oder nicht, sondern darum, ob gute, qualitativabgesicherte Arbeitsplätze durch Sozial- und Lohndum-ping verdrängt werden können oder ob der Universal-dienst erbringende Unternehmer bzw. die Universal-dienst erbringenden Unternehmen von denen, die sichnur die Rosinen herauspicken, verdrängt werden. Hiergeht es um einen Verdrängungswettbewerb, nicht um zu-sätzliche Arbeitsplätze und zusätzliche Wertschöpfung.Diesen entscheidenden Gedanken darf man bei derSchaffung eines fairen Wettbewerbs nicht vergessen.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzent-
würfe auf den Drucksachen 16/11340 und 16/11674 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das
ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 9 sowie
Zusatzpunkt 4 auf:
9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung
zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim
Dağdelen, Cornelia Hirsch, Ulla Jelpke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Für eine erleichterte Anerkennung von im
Ausland erworbenen Schul-, Bildungs- und
Berufsabschlüssen
– Drucksachen 16/7109, 16/11732 –
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– Schauen Sie nach Hamburg! Da gibt es klare Zielvor-gaben unter einer CDU-geführten Regierung. – Es istnicht zu bestreiten, dass wir bei der beruflichen Integra-tion noch große Probleme haben. Die Arbeitslosenquotevon Migrantinnen und Migranten ist im Zuge der aktuel-len Konjunktursituation zwar zunächst gesunken, trotz-dem sind durchschnittlich nur 68 Prozent der Migrantenund nur 58 Prozent der Migrantinnen erwerbstätig. Das istim Vergleich zur deutschen Bevölkerung mit 75 Prozentnatürlich nicht ausreichend. Fehlende oder unzureichendeSprachkenntnisse, fehlende berufliche Abschlüsse undmangelnde Qualifikationen tragen in hohem Maße dazubei. Das sind auch die Themen, über die wir im Zusam-menhang mit der Schule und bei der Frage des Übergangsvon der Schule in den Beruf diskutiert haben, das warendie Themen auf dem Bildungsgipfel, und es sind die The-men der Qualifizierungsoffensive. Man sieht also deut-lich, dass diese Thematik aufgenommen wurde und dieBundesregierung dieser Thematik Rechnung getragenhat.Trotzdem gibt es noch Probleme. Die im Ausland er-worbenen Qualifikationen, Schul-, Bildungs- und Be-rufsabschlüsse von Migrantinnen und Migranten werdenin der Bundesrepublik nicht oder häufig nur unter er-schwerten Bedingungen anerkannt. Dies führt dazu, dassdie Arbeitslosenquote von Migranten mit einem akade-mischen Abschluss mit 12,5 Prozent fast dreimal sohoch ist wie die von deutschen Hochschulabsolventen.Potenziale und Qualifikationen von Migranten gehen da-mit der Wissenschaft und dem Arbeitsmarkt verloren.Dieser Zustand ist auch für uns nicht hinnehmbar.
Die Arbeitsgruppe „Wissenschaft – weltoffen“ desNationalen Integrationsplans hat sich unter anderem mitdem Potenzial beschäftigt und deutlich gemacht, welcheProbleme es in diesem Bereich gibt. Ich will drei Pro-bleme exemplarisch herausgreifen: Erstens. Angabenzum Qualifikationsniveau von Zuwanderern bei der Ein-reise nach Deutschland lassen sich nicht machen, da be-rufliche und schulische Qualifikationen bei der Ankunftnicht erhoben werden. Zweitens. Die Daten des Mikro-zensus geben zwar Auskunft über die Qualifikations-struktur der Bevölkerung mit Migrationshintergrund,differenzieren aber nicht nach im Ausland oder im In-land erworbenen Abschlüssen. Drittens. Auch in derDatenaufnahme der Bundesagentur für Arbeit zu denformalen Qualifikationen sind nur deutsche bzw. inDeutschland anerkannte Berufsabschlüsse vorgesehen;selbst ausländische Hochschulabschlüsse gehen bei feh-lender Anerkennung nicht in die formalen Qualifika-tionsprofile der Arbeitslosen ein.Das hat zur Konsequenz, dass nach Schätzungen desOldenburger Instituts für Bildung und Kommunikationmittlerweile über 500 000 zugewanderte AkademikerkntNbdstwnaddgZBwspzcnAsiÄfzküwtidSbPwSw–dHBdpbv
Dafür haben Sie immer Zeit, Herr Dr. Rossmann.Ich würde gern auf zwei, drei Dinge eingehen, die deneutschen bzw. nationalen Rahmen noch erweitern:Erstens. Die Schaffung von Vergleichbarkeit vonochschulabschlüssen auf EU-Ebene im Rahmen desologna-Prozesses muss endlich vorangetrieben wer-en, auch im Bereich der beruflichen Abschlüsse.
Zweitens. Wir müssen mit der Einführung eines euro-äischen Qualifikationsrahmens, EQR, diese Vergleich-arkeit schaffen und einen Rahmen für die Anerkennungon Qualifikation im Bereich der allgemeinen und der
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Marcus Weinbergberuflichen Bildung erstellen. Das wird keine zehn Jahremehr dauern, wie ich von der FDP-Fraktion geradehörte,
zumindest nicht dann, wenn wir das in Verantwortungbetreiben werden.Drittens. An dieser Stelle möchte ich noch auf denAntrag der Linken zu sprechen kommen sowie auf dieFrage: Welche Verantwortung haben die Kammern indiesem Zusammenhang? Natürlich ist es so, dass die An-erkennung und die formale Vergleichbarkeit von Berufs-abschlüssen bilateral nur mit Österreich, Frankreich undfür das Handwerk nur mit der Schweiz geregelt sind.Trotzdem muss man sagen, dass die Kammern in vielenFällen informelle Hilfsleistungen und Anerkennungs-möglichkeiten anbieten. An dieser Stelle wird nachge-bessert; das fällt in den Bereich des EQR. Die Industrie-und Handelskammern erklären sich bereit, ihre Leistungzur Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifi-kationen vor allem im Bereich der gutachterlichen Stel-lungnahmen zu ausländischen Zeugnissen weiter zu ver-bessern.
– Jetzt war Zeit, zu klatschen.Die Kammern haben eine hohe Verantwortung. ImAntrag der Linken wird aber deutlich, dass das kritisiertwird. Ich kann nur eines sagen: Wir müssen auf die Stan-dards achten. Wir dürfen – bei allem Respekt und bei al-ler Bedeutung des Themas für unsere Gesellschaft, aberauch für die europäische Gesellschaft insgesamt – nichtaußer Acht lassen, dass wir und natürlich auch die Kam-mern verpflichtet sind, Standards einzuhalten. Die zen-trale Aufgabe ist, dies passgenau zu machen. Die Stan-dards dürfen nicht abgesenkt werden. Es nützt denMigranten nichts, wenn Sie im Hinblick auf die Stan-dards im Vergleich zu der Zeit davor schlechter daste-hen.Gern kann ich noch auf weitere Maßnahmen eingehenwie das Modellprodukt des Bundes „AQUA – zugewan-derte Akademikerinnen und Akademiker qualifizierensich für den Arbeitsmarkt“. Das Programm wurde seitOktober 2007 von 4 auf 13 Berufsfelder erweitert. Es istübrigens nicht zutreffend, dass das Akademikerpro-gramm des BMBF im Hinblick auf die Haushaltsansätzeseit 2006 zurückgefahren worden sei. Es ist in das be-reits seit Oktober 2006 angelaufene Programm „AQUA“überführt worden.
Das heißt: Die bisherigen Zielgruppen, insbesondereim Migrantenbereich, werden weiterhin berücksichtigt,und die gemeinsame Qualifizierung zugewanderter undhiesiger arbeitsloser Akademiker steht im Mittelpunkt.Der Mittelansatz für das Jahr 2009 ist „AQUA“ zugeord-ngbdgwBIDbfcMiddusrFflsEäkdEnwmwAlWbmßn
ass über 500 000 Menschen damit hierzulande Pro-leme haben, ist nicht hinnehmbar. Die meisten von unsühren wahrscheinlich in diesem Bereich aktive Gesprä-he. Ich war letztens in Hamburg und habe mit jungenigranten gesprochen, die gerade Probleme haben, dasshnen bei den Zeugnissen etwas fehlt oder dass ihnen beier Zulassung etwas fehlt. Sehen Sie das als Herausfor-erung an! Die Bundesregierung hat bereits geantwortetnd gute Programme erstellt. An dieser Stelle sei bei-pielhaft die ZAB genannt. Ich glaube, wir sind auf demichtigen Weg.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Sibylle Laurischk,
DP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine derrustrierendsten Erfahrungen von Migranten in Deutsch-and ist die Odyssee zur Anerkennung ihrer Bildungsab-chlüsse. Odysseus’ Irrfahrten dauerten zehn Jahre; dierfahrungen von Zuwanderinnen und Zuwanderern sindhnlich.Wer seine Bildungsabschlüsse komplett anerkannt be-ommen möchte, hat sich mit einer Unzahl von zustän-igen Stellen, Vorschriften, Formularen und föderalenigenheiten auseinanderzusetzen. Dabei gibt es kaum ei-en Rechtsanspruch auf eine Einstufung. Dieser ist aufenige Gruppen wie etwa Spätaussiedler begrenzt. Da-it sind ganze Bildungskarrieren entwertet. So habenir hier jahrelang viele den Weg vom ausländischenkademiker zum inländischen Taxifahrer beschreitenassen. Das ist absurd.Das Potenzial, das wir dabei verschenken, ist groß.
ir wissen, dass wir in Zukunft auf qualifizierte Ar-eitskräfte auch aus dem Ausland angewiesen sind, inanchen Berufsfeldern schon heute. Trotzdem erschlie-en wir die individuellen Fähigkeiten der Zuwanderericht, sondern setzen Zeichen gegen Integration.
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Sibylle LaurischkDie Bereitschaft, sich in die Gesellschaft zu integrie-ren, wird auch wesentlich von dem Willen getragen, et-was erreichen zu können, beruflich voranzukommen.Die Versagung der Anerkennung eines vorhandenen aus-ländischen Bildungs- oder Berufsabschlusses wird alsZurückweisung, ja Demütigung empfunden.Wir haben kein System, Menschen, deren Bildungs-leistungen teilweise nicht anerkannt werden, adäquataufzufangen. Nur weil ihre herkömmlichen Lern- undAbschlussstrukturen nicht unseren Standards entspre-chen, sind diese Menschen keine Ungelernten.
Allgemein eine Berufserlaubnis zu erteilen, reicht nichtaus.
Wir pflegen in Deutschland ein stark formalisiertesBildungssystem mit einem hohen Bildungsstandard, andem wir festhalten wollen. Leider werden Anerken-nungsverfahren zu stark von formalisierten Kriterien derAusbildung und leider zu wenig von inhaltlichen Ver-gleichen bestimmt. Deshalb müssen wir das zentraleKriterium der Gleichwertigkeit der Abschlüsse erwei-tern, und zwar um das Kriterium der Adäquanz. Könnenfehlende Ausbildungsteile durch andere, hier nicht ge-lehrte Ausbildungsteile ausgeglichen werden? WelcheVorteile ausländischer Ausbildungen wiegen erkannteNachteile der deutschen Ausbildung auf? Dafür brau-chen wir aber einen vorurteilsfreien Blick auf unser Bil-dungssystem, der die eigenen Defizite klar erkennt undbenennt.
Dies fehlt unserer Bildungsverwaltung.Ein Beispiel dafür ist der Vorschlag des Bundesbil-dungsministeriums zur Umsetzung der sogenanntenLisabonner Anerkennungsrichtlinie für Hochschulab-schlüsse. Wer starr an alten Regeln festhält und damitdie Einsicht in die Veränderungsnotwendigkeiten ver-missen lässt, ist – vorsichtig gesagt – nicht in der Reali-tät angekommen.
Mit der Einarbeitung der deutschen Bildungsab-schlüsse in den Europäischen Qualifikationsrahmen ha-ben wir die Chance, über die Einstufung von Bildungs-leistungen einen Vergleichsmaßstab zu erstellen, derauch auf Abschlüsse aus Nicht-EU-Staaten ausgedehntwerden kann. Damit würde eine gleiche inhaltliche Be-wertung von Abschlüssen möglich.Bis zur Erarbeitung der Qualifikationsrahmen könnenwir Verbesserungen auf der Verfahrensebene vorneh-men. Wir brauchen dringend einheitliche Verfahrensab-läufe in den Ländern und vor allem einen zentralen,fachlich versierten Ansprechpartner für die Zuwanderer.Wir brauchen einen Informationspool für alle Ab-schlüsse, wie ihn die Zentralstelle für ausländisches Bil-dungswesen bisher nur für Hochschulabschlüsse auf-baut. Wir brauchen einen Rechtsanspruch auf eineEbwmmsdwDgvsFgbuetsiaMtwgkGLFBFg
ut ausgebildete Bautechniker werden zu Anstreichern,ehrerinnen arbeiten als Putzfrauen, Mediziner undachärzte arbeiten als Haushaltshilfen oder in anderenereichen des Niedriglohnsektors, obwohl sie mit ihrenähigkeiten und Fertigkeiten gut qualifiziert sind.Alle, die in unserer Gesellschaft Verantwortung tra-en, eine Stimme und einen Auftrag haben, sind darum
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Gesine Multhauptdringend gefragt, diese Fähigkeiten zu erkennen, anzuer-kennen und wertzuschätzen.
Wir müssen deutlich machen, dass wir darin eine großeChance sehen. Integration erfordert eben auch eine sach-gerechte Anerkennung von guten Qualifikationen der beiuns in Deutschland lebenden Menschen.Wir Sozialdemokraten bekräftigen seit langem, dasseine moderne Migrationspolitik auch das Ziel hat, Zu-wanderungsprozesse in unserem eigenen Interesse zusteuern und zu gestalten. Bei jeder Gelegenheit machenwir deutlich, dass wir eine koordinierte Zuwanderung,gerne auch von qualifizierten und hochqualifiziertenMenschen, befürworten. Wir sehen darin eine Verwirkli-chung von Chancengleichheit, empfinden die Potenzialeund Fähigkeiten der Zuwanderer als eine Bereicherungfür unsere Kultur und unser Arbeitsleben. Die Migrantenkönnen einen Beitrag dazu leisten, dass Wohlstand undBeschäftigung dauerhaft gesichert werden.Für uns Sozialdemokraten ist all dies viel wichtigerals ein Integrationsgipfel, der zwar in aller Munde ist,aber an den Realitäten nichts verändert. Solange jugend-liche Ausländer – wie beispielsweise im Wahlkampf2008 in Hessen geschehen – pauschal als Kriminelle ab-gestempelt werden, ist ein Integrationsgipfel nicht mehrals Schönfärberei und Kosmetik.
Wenn eine Landesregierung – wie aktuell in meinemHeimatland Niedersachsen bei den Haushaltsberatungengeschehen – die Mittel für Integrationsberatung und denFlüchtlingsrat kürzt oder sogar streicht, setzt sie in derFlüchtlingspolitik offensichtlich ganz andere Akzente,als wir sie wünschen. Den Menschen im Land und auchden Zugewanderten wird sehr schnell der Widerspruchzwischen der Arbeit einer Integrationsbeauftragten undden realen Fakten einer Politik deutlich, die beispiels-weise hart gegen Flüchtlinge vorgeht. Sie bemerken die-sen Widerspruch; davon bin ich zutiefst überzeugt.Gute Anregungen für eine verantwortliche Politik fin-den wir – um nur zwei Beispiele zu nennen – in Rhein-land-Pfalz, aber auch hier in Berlin: Konkrete Ziele undWege werden festgelegt, um die Anerkennung von Leis-tungen voranzubringen. Durch zusätzliche Finanzmittel– das möchte ich nicht verschweigen – erhält die Integra-tionsarbeit vieler Landesregierungen und Kommunen ei-nen hohen Stellenwert.In den letzten Tagen hat das Berlin-Institut für Bevöl-kerung und Entwicklung eine aktuelle Studie zur Inte-gration vorgelegt. Die Studie stellt gemischte Integra-tionserfolge fest.
Sie macht deutlich – das wurde vorhin schon von mei-nem Kollegen gesagt –, dass die bei uns lebenden Mi-granten immer seltener am öffentlichen Leben teilneh-mtuldeSwtesAgkesueDsapBdeAwsdRldvewetrSFSA1eshAb
Rolf Meinhardt, Migrationsforscher an der Universi-ät Oldenburg, hat – auch das wurde schon erwähnt – fürine Studie bei uns lebende Ausländer nach ihren Ab-chlüssen in der Heimat befragt. Rund 40 Prozent der imusland erworbenen Universitätsabschlüsse von Mi-rantinnen und Migranten werden bei uns nicht aner-annt. 20 Prozent der Befragten trauen sich gar nichtrst, die Anerkennung anzustreben. Dies scheitert offen-ichtlich daran, dass sie nicht gut genug integriert sind,m überhaupt die vorhandenen Netzwerke zu nutzen undine Anerkennung zu betreiben.
ie Carl-von-Ossietzky-Universität – das Beispiel istchon erwähnt worden – hat konkret auf das Problem re-giert: Vor einigen Jahren wurde mit Mitteln des Euro-äischen Flüchtlingsrats der Studiengang Interkulturelleildung eingerichtet. Hier können diejenigen Migranten,ie einen Abschluss haben, der bei uns bislang nicht an-rkannt wird, unkompliziert einen Bachelor erwerben.uf europäischer Ebene – auch davon ist gesprochenorden – sind wir dabei, für mehr Durchlässigkeit zuorgen und mehr Rahmenbedingungen zu schaffen, umie Vergleichbarkeit von Abschlüssen im europäischenahmen voranzubringen und so die Anerkennung zu er-eichtern.Es gibt also Beispiele – wenn auch nur sehr wenige –,ie deutlich machen, in welche Richtung es gehen muss.Lange Zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen, war dieon mir erwähnte Studie der Universität Oldenburg dasinzige Datenmaterial, das bei diesem Thema hilfreichar. Natürlich brauchen wir – da sind wir uns einig – fürine auf Kontinuität angelegte Integrationspolitik wei-ere statistische Informationen und weiteres Datenmate-ial. Eine im Auftrag der Bundesregierung durchgeführtetudie hat festgestellt, dass – obwohl die Wirtschaftachkräfte nachfragt – von den 86 Prozent der für dietudie befragten Migranten, die bereits mit einembschluss nach Deutschland gekommen sind, nur6 Prozent einen Arbeitsplatz bekommen haben. Das istine traurige Entwicklung.Integrationspolitik im Bildungsbereich – da bin ichehr nah bei dem, was die Kollegin von der FDP gesagtat – ist darum für uns die wichtigste Zukunftsaufgabe.llerdings wird unserem Bildungssystem regelmäßigescheinigt, dass es zu wenig durchlässig ist, dass es zu)
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Gesine Multhauptwenig Aufstiegsmöglichkeiten bietet, dass es aussondertund ausgrenzt. Darum werden wir Sozialdemokratennicht nachlassen, auf jeder Ebene für mehr integrierteSysteme im Bildungsbereich zu sorgen, die Durchlässig-keit garantieren und Menschen, die besondere Unterstüt-zung und Hilfe brauchen, eine Chance bieten.
Untersuchungen belegen beispielsweise, dass insbe-sondere qualifizierte Migranten ihre Kinder auf inte-grierte Gesamtschulen schicken, wo sie einen guten Ab-schluss bekommen. Die Universitäten, die Studiengängefür Migranten anbieten – Beispiele sind schon genanntworden –, geben deutliche Signale: Hier seid ihr will-kommen, hier habt ihr ein Angebot, nutzt es!Integration kann und wird nur gelingen, wenn alleAkteure im Bildungssystem gemeinsam handeln und er-kennen, dass wir ein flächendeckendes Angebot an inte-grierten Systemen benötigen, mit dem wir die Grundvo-raussetzungen für Bildung schaffen. Solange das nichtgelingt, wird Anerkennung immer nur Gerede bleiben.Der Nationale Integrationsplan, in dem sich Bund, Län-der und Wirtschaft darauf verständigt haben, Anerken-nungsverfahren zu verbessern, ist hierfür ein durchausgelungenes Beispiel; das will ich nicht unerwähnt lassen.Aber für uns Sozialdemokraten ist und bleibt das Strei-ten für integrierte Systeme mit das wichtigste Projekt dernächsten Jahre.Die FDP hat in ihrem Antrag einen Informationspoolzur Vergleichbarkeit von internationalen Abschlüssengefordert. Mit der Datenbank ANABIN sind wir hierschon ein Stück vorangekommen. Gemeinsam mit denKammern wird – Sie haben es zu Recht erwähnt – anbesseren, durchlässigen Anerkennungsverfahren gear-beitet.Ich komme zum Schluss. Wir Sozialdemokraten wol-len die volle gesellschaftliche Teilhabe aller in unseremLand lebenden Menschen. Natürlich werden wir mitNachdruck daran arbeiten, die bei der Anerkennung vonLeistungen bestehenden Barrieren aus dem Weg zu räu-men und hier zu einer dauerhaften Lösung zu kommen.
Einige Analysen in den heute zur Abstimmung vorlie-genden Anträgen sind sicherlich zutreffend und werdenvon mir durchaus geteilt. Aber Sie werden Verständnisdafür haben, dass wir mit Blick auf das, was wir schonerreicht haben und was wir noch gemeinsam voranbrin-gen müssen, die Anträge heute ablehnen.Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sevim Dağdelen,
Fraktion Die Linke.
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In der Studie des Berliner Instituts wird das ganzeutlich gesagt. Darin heißt es:Bildung bedeutet aber nicht automatisch eine ge-lungene Integration, denn nach wie vor baut die Ge-sellschaft Hürden für Migranten auf: Selbstständi-gen wird die Niederlassung erschwert, Abschlüssewerden nicht anerkannt …Wenn man das Problem seit Jahren kennt, dann fragech mich, warum man es nicht behebt. Dieses Problem
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21878 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009
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Sevim DaðdelenSevim Dağdelenwurde schon im ersten Memorandum des ersten Auslän-derbeauftragten aus dem Jahre 1979 angesprochen.
Ich sage für meine Fraktion: Es geht nicht, dass manden Menschen die Möglichkeit nimmt, am gesellschaft-lichen Leben teilzunehmen. Ich sage auch: Frau Böhmer,Sie haben genug geredet. Es ist Zeit für Taten. Viele Mi-grantinnen und Migranten in Deutschland haben dankIhrer Politik und der Politik der Bundesregierung vieleJahre verloren.
Versuchen Sie doch einmal, in der Integrationspolitiknicht hinter anderen Ländern der Europäischen Unionhinterherzuhinken! Schaffen Sie eine gesetzliche Grund-lage wie zum Beispiel in Dänemark! Eine Website, dienur die Aufgabe hat, das Chaos zu verwalten, brauchenwir nicht. Sorgen Sie stattdessen dafür, dass ein Konzeptentwickelt wird! Sorgen Sie dafür, dass die Anerken-nung von im Ausland erworbenen Qualifikationen bun-desweit vereinheitlicht, vereinfacht und beschleunigtwird! Wir brauchen ein System mit Rechtsansprüchenzur Feststellung, Einordnung und auch Zertifizierungvon Abschlüssen. Dafür zu sorgen, ist die Aufgabe derBundesregierung und nicht die Aufgabe von einzelnenPersonen. Die Bundesregierung muss die Rahmenbedin-gungen dafür schaffen; sie trägt dafür die Verantwortungund nicht einzelne Personen.Wenn Sie wollen, finden Sie auch einen Weg. Des-halb plädiere ich dafür, endlich Taten folgen zu lassenund nicht immer nur darüber zu sprechen, dass man Inte-gration wolle. Der Wille allein genügt nicht. Die Bun-desregierung ist dazu aufgerufen, endlich zu handeln.
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die KolleginPriska Hinz, Bündnis 90/Die Grünen.
Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Herr Weinberg, ich weiß nicht, ob ich Sie mit dem,was ich heute sage, glücklich machen kann. – Sie habendas Problem erkannt und haben auch gesagt, dass dasProblem erkannt wurde. Aber die Tatsache, dass wirheute die beiden vorliegenden Anträge beraten, zeigt,dass das Problem noch nicht gelöst ist. Nach wie vorsind die Anerkennungsverfahren zu kompliziert, zulangwierig und unüberschaubar. Das Problem ist, dassdie Akteure wie Hochschulen, IHKen, Bundesagenturfür Arbeit, Bund und Länder nicht miteinander kooperie-rnhsAkZmdndItgfdadpndatnzMabddpdfwldsdt
nsofern geht ein riesiges Potenzial verloren.
Wir tun so, als ob wir keinen Fachkräftemangel hät-en. Wir tun so, als ob die individuelle Leistung der Zu-ewanderten nichts wert wäre. Das ist das falsche Signalür eine Zuwanderungsgesellschaft. Ich glaube, dassringend etwas getan werden muss, vor allen Dingenuch seitens der Bundesregierung.
Herr Rachel, es gab einen Bildungsgipfel. Was habena Bund und Länder gemacht? Sie haben vereinbart, zurüfen, ob es Ausweitungsmöglichkeiten für Anerken-ungsverfahren gibt. Danke schön! Es ist nun wirklicher Gipfel, so etwas zu vereinbaren,
nstatt Butter bei die Fische zu geben und zu sagen, wasatsächlich geändert werden soll. Im Rahmen des Natio-alen Integrationsplanes wurde vereinbart, dass Kon-epte und Empfehlungen erarbeitet werden und dannodellversuche in die Erprobung gehen. Wir brauchenber keine Erprobung von Modellversuchen mehr. Wirrauchen einen Rechtsanspruch für die Zugewanderten,ass ihr Anerkennungsverfahren durchgeführt wird,
amit sie überhaupt eine Chance haben, dass ihre Kom-etenzen erhoben und sie dann auch eingegliedert wer-en.Wir brauchen modulare Anpassungsqualifizierungenür diejenigen, die zwar im Ausland einen Abschluss er-orben haben, aber vielleicht noch eine Anpassungsqua-ifizierung brauchen. Es wäre gut, wenn wir das Ausbil-ungssystem insgesamt modernisieren würden, weil sicho etwas dann leichter durchführen ließe.Wir brauchen dringend die Ausgestaltung des DQR,amit nicht nur die Kompetenzen der Höchstqualifizier-en mit akademischer Ausbildung, sondern auch derjeni-
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009 21879
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Priska Hinz
gen, die mit anderen Berufsabschlüssen ins Land ge-kommen sind oder noch kommen, tatsächlich eingestuftwerden können. Auch das macht Anerkennungsverfah-ren leichter. Zudem brauchen wir eine verbesserte Bera-tung der Individuen.Der politische Wille, der hier erklärt wurde, ist wohl-feil. Solange er nicht umgesetzt und durchgesetzt wird,stehen solche Anträge, wie wir sie heute beraten, zuRecht auf der Tagesordnung.
Deswegen werden wir weiter darauf drängen, dass dieBundesregierung ihre Pflicht erfüllt.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit
dem Titel „Für eine erleichterte Anerkennung von im
Ausland erworbenen Schul-, Bildungs- und Berufs-
abschlüssen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/11732, den An-
trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7109
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist bei Gegenstimmen der Fraktion
Die Linke mit dem Rest der Stimmen des Hauses ange-
nommen.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/11418 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Börnsen , Maria Michalk,
Dr. Hans-Peter Uhl, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeord-
neten Rainer Arnold, Klaus Uwe Benneter,
Clemens Bollen, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Zehn Jahre anerkannte Regional- und Min-
derheitensprachen in Deutschland Schutz –
Förderung – Perspektiven
– Drucksache 16/11773 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Wolfgang Börnsen, CDU/CSU-Fraktion.
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t1) Anlage 3
Liebe Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen undollegen! Es wird sprachlich ein wenig bunter in unse-em Parlament. Ich weiß, dass viele das außerordentlichefürworten und auch respektieren. Wat mutt, dat mutt!
Teihn Johr is dat all her, dat uns lütte Spraken inüütschland „hoffähig“ wurrn sünd: dat Plattdüütsche,äänsch, Freesch und de Spraak vun de Sorben und vune Sinti und Roma. An’n 1. Januar 1999 weer dat soiet: Die Europäische Sprachencharta für Regional- undinderheitensprachen erhielt Rechtskraft in Deutsch-and. Man, dat weer een Festdag för de Lütten. Dieharta gilt für die traditionell in unserem Land gespro-henen Minderheitensprachen. Gleichwohl hat sie, wiech finde, auch eine positive Wirkung für eine prakti-ierte Sprachentoleranz gegenüber den vielen neueninderheitensprachen in Deutschland, ob Türkisch,ussisch, Kasachisch oder andere.Vun 47 Länner in de Europarat hemm nur 23 Ja seggto de Charta. De annern hemm seggt, dat weer „zu kom-liziert“. Dat heet, 50 Prozent hemm bit jetzt Nee seggt.at finn ik een Truerspeel; dat dörf nich so blieven.
Der Deutsche Bundestag hat vor zehn Jahren, wie ichinde, vorbildlich gehandelt. Er hat seinen Sprachmin-erheiten Anerkennung, Schutz und Förderung zugesagtnd dazu beigetragen, dass diese Sprachencharta dentellenwert einer Magna Charta für inoffizielle Spracheninnimmt. Magst glöven oder nich, 70 lütte Spraken al-een in Europa sünd in ehrn Bestand bedroht. Op unselt gifft dat bi 7 000 Spraken; vun 4 000, dat heet fast0 Prozent, seggt man: Wenn wi se nich schützen doon,ann gahn se doot. Dat, finn ik, weer een groten Verlustör de Minschheit.
Auch drei Minderheitensprachen bei uns und die Re-ionalsprache Niederdeutsch stehen auf der Roten Listem Atlas der Weltsprachen. Auch sie sind in ihrem Be-tand existenziell gefährdet, wenn, ja, wenn se in de Kin-ergoorn, in de Scholen un to Huus in de Familie nichehr snackt warrn, wenn se bi de Lehrerutbildung, in’tadio, in de Kieckkist un in de Presse nich mehr vörka-en doon.Bedroht ist auch das Plattdeutsche, eine eigenständigeprache, die Kurt Tucholsky geliebt und Klaus Grothelbstbewusst gemacht hat. In der Hansezeit war sie dieeherrschende Sprache in ganz Nordeuropa. Heute wirdie noch von 9 Millionen Menschen verstanden und vonnapp 3 Millionen Menschen gesprochen. Allein 170 li-erarische Neuerscheinungen gibt es jährlich.
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Wolfgang Börnsen
Man, dat Ministerkomitee ut Brüssel, dat de Char-tapraxis jede dree Johr kontrolleern deit, seggt: Ok datPlattdüütsche is noch lang noch nich hulpen. Dor muttmehr doon warrn: in de Bildung, bi de School, bi de Be-hörden un ok bi de Plegekräfte för de ölleren Lüüd. Mo-derspraak, dat is Heimat. Moderspraak, dat is een Kul-turgoot.
Sprache ist – das wissen wir – Identität, ist derSchlüssel zum Weltverstehen. Mehrsprachigkeit ist dasGebot der Stunde. Das ist europäisch gehandelt. Deshalbhaben Minderheitensprachen Förderung verdient; dennwer Plattdüütsch oder een annere lütte Spraak snackendeit, de kann eben mehr as Broot eten.Der Deutsche Bundestag unterstreicht heute mit die-ser Debatte sein Bekenntnis zur Sprachenvielfalt in un-serem Land. Er anerkennt damit das Bemühen Tausen-der von Menschen, von Bürgern, von Gruppen undVerbänden für den Spracherhalt und erwartet, dass dieErfordernisse, die wir ihnen heute vorgelegt und präsen-tiert haben, auch übernommen werden. Dazu gehörtauch die Initiierung eines Sprachenkongresses, um allerWelt deutlich zu machen, was wir alles tun und was nochzu tun ist.Man, dat is kloor, all mööt wi mit anpacken, dat datwedder bargop geiht mit de Lütten. Bi mi in Sleswig-Holsteen süht dat gor nich so ring ut mit dat Plattdüütschun de annern Spraken. In meiner Heimatstadt Flensburggibt es eine Zeitung, die in Dänisch und Deutsch er-scheint, un es gifft Masse Amtsstuven, dor is een, desnackt Plattdüütsch, de snackt Däänsch, de snacktFreesch. Dormit warrt de Lüüd ok hulpen, un dat is okgoot so.Man, mi maakt doch besorgt, dat hüüt Plattdüütschnich mehr in jede Kinnermund is. Aber hoffnungsvollstimmt – auch für meine Kollegen und für Sie alle; auchfür die Zuhörer –: Jeder Mann, jede Frau könnte Platt-deutsch lernen und Fan dieser Sprache werden. Einenhat die plattdeutsche Sprache gefunden, den Sie alle ken-nen: Asterix. Asterix snackt op platt, Obelix ok,
un beide fallt de Himmel op Plattdüütsch op de Kopp,wenn se nich oppassen doon.Danke schön.
Ich gebe das Wort dem Kollegen Hans-Michael
Goldmann, FDP-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Geachte Daamen un Hee-ren!mnBspukpPSKIvdovJM–dnFuamSpdwi
tuderen kann man platt up Hochskool man bloot iniel. Schleswig-Holstein is dar wall een Vörbild.
k dä mi freien, wenn dat annersworens ok so was.
In acht Bundesländer word d’r Platt proot in Bedrie-en un Vereinen. Was een heel Bült beter, wenn Plattann ok mehr in’t Radio to hören was. Wi betahlen dark ja all mehr för. Dann können wi ok uns eegen Spraakerwachten wesen. Is ja heel moij, dat NDR all een paarahr lang so wat hett as Hör mal ’n beten to.
i dünkt, WDR kunn ok een bietje maken.
Das ist meine erste Rede in Platt. Ich habe sechs Stun-en geübt.
In’t Fernsehen kenn ik bloot Talk op platt. Heel an-ers is dat mit Bairisch un so. Dat hören wi alltied in’ternsehen
n dar gifft’t ok keene Unnerschrift. Mit Platt is dat heelnners. 1982 gaff dat wall mal een Tatort „Wat Recht is,utt Recht bliewen“. Man dar is’t dann ok bi bleven.ülst de Lüü van dat Ohnsorg-Theauter ut Hambörgrooten alltied düts in’t Fernsehen. Dat mutt anners wor-en.
Un wo is dat mit dat Friesisch. Dar gifft dat in Schles-ig-Holstein een „Gesetz zur Förderung des Friesischenm öffentlichen Raum“. Man dat hett nich veel hulpen
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Hans-Michael Goldmann
– een bietje –; gifft neet mehr Lüü, de friesisch prootenkönnen. Ik denk mi, wenn uns Kinner nu bold een heelDag in’t Skool sitten söllen, dann könen se dar ok walleen bietje Platt lehren.Engelsk is seeker van Belang, man uns eegen Spraakun Kultur düren wi neet heel vergeeten.
Dar mutten dann de Regeerens van de Bundesländerun van Berlin uns mit een bietje Geld stönen. Wor is datdann mit lüttje Koppels in uns Gesellskup? Dar sünt deDänen, de geiht dat noch goot. De hebben Dänemark,wor de Spraak alltied proot un uprecht hollen word. Undann gifft dat ok de Sorben. De hebben all een heel Bültdörmaakt, de hebben leeden, um dat se Germanen wor-den sullen in Preußen. Un in’t Darde Riek of in d’ DDRbünt se ok neet besünners maal west mit de Sorben. Pas-toren un Meesters hett man her eenfach weghaalt, un sowurr dat mit de Spraak gau minner. Nu bünt se darbi, datse de Lüü twee Spraaken lehren willen, Sorbisch unDüts. Dat Witaj-Projekt is darbi een heel Stön, dat weermehr Lüü her Moderspraak prooten. Dat kann dann okso wat as een Brüch na Oosten wesen.
Sietdem dat wi de Charta hebben, is all een heel Bültpasseert, dat mutt man seggen. Spraaken, de minn Lüüprooten, sünt neet unnergahn, se sünd erhollen bleven unok de Kultur van disse lüttje Koppels. Dat is besünnersgood, um dat lüttje Koppels dat alltied good stur hebbenin disse Welt, is ok good. De kommen neet so faak toWord, dar gifft dat een Bült Striet un Elend um. LüttjeKoppels mutten ok to her Recht komen, ok mit herSpraak un Kultur. Friesen, Sorben, Sinti, Roma un Dä-nen wull ik neet missen, de bünt heel wat Besünners föruns Gesellskup.
Darum mutten wi all mitnanner wat daarfor doon, dat datok in Tokunft so blifft.
Für die SPD-Fraktion gebe ich das Wort der Kollegin
Karin Evers-Meyer.
Verehrte Fro Präsidentin! Leve Fruenslüüd! LeveMannslüüd! Teihn Johr is de Europäische Charta för Re-gional- oder Minderheitenspraken nu in DüütschlandGesetz. Na so’n lange Tiet is dat nödig – un mi dücht,dkWlGskdDdsdH52kvmSVrLmDgiLsLbUdelDdvawtmovmwkShn
at is dor bi ruutsuert? Wat hett sik an de Laag vun deüttjen Spraken in us Land ännert? Un: Wat mööt wi inang setten, dat allens dat, wat in düt Regelwark binnenteiht, ok würklich un wohrhaftig bi de Minschen an-ummen deit?Ik will vör allen vun dat Plattdüütsche snacken, dennat is de Spraak un de Kultur, bi de ik mi utkennen do.
at is nu goot een Johr her, dor hett dat Institut för ned-erdüütsche Spraak in ganz Norddüütschland en reprä-entative Ümfraag maakt. Rutkamen is, dat de Tall vune Platt-Snackers in blots een Generatschoon op datalbe trüchgahn is. 23 Johr vörher geev dat noch gootMillionen Platt-Snackers, un nu sünd dat noch,6 Millionen. Un wenn sik een de Öllers-Pyramide be-ieken deit, denn kann een bang warrn. Dor gifft dat nicheel glatt to snacken: bi de Lüüd ünner 35 kummt Platteist gor nich mehr an.Man düt is dat anner Gesicht vun de Ümfraag: deympathie-Werte för Platt weern noch nienich so hooch.ele Minschen hebbt dat begrepen: dor geiht wat verlo-en: an Spraak, an Kultur, an Lebensoort. De jungenüüd wunnert sik doröver, dat se sülbst de Spraak nichehr köönt, de Oma un Opa noch ganz normaal Dag förag snackt hebbt. Un: De Lüüd möögt Platt, se höörteern den Klang, se freit sik to Plattdüütsch in’t Theater,n de Zeitung oder in’t Fernsehn. Dat is al en snaakscheaag: all möögt se Platt – man nüms snackt de Spraak.Mit de Spraken-Charta bekennt Düütschland sik toiene lütten Spraken. Man dat warrt ok konkret: Bund unänner hebbt en Bült Plichten övernahmen. Wat dorbiabenan steiht, is: Strukturen schaffen un Anreize setten.n hier sünd wi in de letzten Johren en ganz Stück wie-erkamen: So hett 2006 dat Bundes-Binnenministeriumn Utschuss inricht, de Raat geben schall in all spraakpo-itische Fragen, de mit dat Plattdüütsche to doon hebbt.at is dat Gremium, wo de Platt-Snackers mit de Bun-esdags-Fraktschonen an een Disch sitt un wo se all datördag bringen köönt, wat för jüm wichtig is. Mi düchtber: Düsse Opgaven schullen wi doch noch een betenat eersthaftiger bedrieven. Ik meen dormit ok uns Ver-reters vun de Fraktschonen, denn vun de sünd dor nieehr as een oder twee Lüüd hin gahn. Prioritäten hinder her: Gode Sprakenpolitik op internatschonaal Ni-eau heet ok, dat wi us hier in Berlin darum kümmernööt. Un wi köönt ok op düsse Oort de Lüüd wiesen, dati sülbst dat Thema wichtig nehmt.Ji weet ok, wer keen Geld in de Knipptasch hett, kanneen Kulturarbeit leisten. Dorüm is dat för mi ok enchritt in de richtige Richtung, dat in den Bundes-Huus-ollt siet 2008 en extra Posten för de Förderung vun deedderdüütsche Spraak binnen.
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Karin Evers-Meyer– Ja, dat köönt wi ruhig anerkennen. – De Beopdragteför Kultur un Medien hett düsse Opgaav annahmen, undor schullen wi em Dank för seggen. Dat Geld is deGrundlaag för en ganze Reeg vun Projekten, de Anre-gungen geevt, sik mit Platt to befaten und de Spraak okto lehren. En Deel vun dat Geld is dorför, dat sik dePlattdüütschen överhaupt politisch organiseren köönt.Düsse Arbeit hett de Bundesraat för Nedderdüütsch in deHand nahmen.De Spraken-Charta verlangt ok, dat de Staat mehr deitför de Regional- un Minnerheiten-Spraken. Eenmal heetdat: De Lüüd, de düsse Spraken snackt, de schüllt dorkeen Nadeel vun hebben. Man wo süht dat konkret ut inus Olenheime un in de Krankenhüüs? Ok dor gifft dat enArtikel in de Spraken-Charta för, man so richtig küm-mert hett sik dor nüms um. Anner Johr hett in Schleswigde eerste lütte Sozial-Konferenz stattfunnen. Dor weer tohören vun en Fro, to de seggt de Plegers in dat Heim:Dat dor is use Chinesin.
Nüms kann ehr verstahn. Se is in ehr Demenz nämlichganz trüchfullen in ehr eerste Spraak – un dat is datPlattdüütsche.
„De Chinesin“ – dat is en Tostand, den wi so nich hin-nehmen köönt.
Babenan aber steiht de Fraag: Wo kriegt wi vör allende jungen Minschen dorhin, dat se Platt as Spraak lehrt.Toeerst is dat natürlich en Opgaav för de Familien. Wennde nich mitmaakt, denn bringt dat allens nix. Man wiweet ok: De Mudder-un-Vadder-Generatschoon is meistutfullen, un Oma un Opa alleen schafft dat ok nich. Jüstin de Kinnergoorns is hier in de letzten poor Johr överallin Norddüütschland en Barg op de Been kamen. Se singt,se speelt, se snackt Platt. Hier geiht de eenfache Rekenop: Twee is mehr as een. Dat heet: Wenn du twee Spra-ken kannst, denn is dat för dien Kopp beter, as wenn datblots een Sprak is.
De Europaraat hett vör en poor Johr för dat Spraken-lehren dat Motto utgeven: twee plus een. Also: Lehr dienNatschonaal-Spraak – dat is ja bi uns Düütsch –, un dennlehr en anner grote Spraak – also Engelsch oderSpaansch oder Russisch –, un denn lehr ok en lütteSpraak, an besten de, de dat bi di to Huus geven deit – undat is bi us ja Plattdüütsch. Noch aber fehlt in us Bil-dungslandschaft en orntlichen Platz för Platt – un ikmeen dormit ok: för dat Lehren vun de Spraak. Hierbruukt wi endlich Lösungen, de över dat enkelte Bun-desland rutgaht. Ik will geern dorto anregen, dat en nord-düütsche Kultusministerkonferenz endlich sik mit düsseFraag befasst.MgfrnoDlihsukdKtdnMVDsg
Leve Kolleginnen un Kollegen, ik kaam to‘n Sluss.i dücht, de Kurs stimmt. De Bundesregerung hett al enanzen Barg in Gang sett. Man wi sünd jüst eerst loos-ohrt. Un wi mööt ok noch mehr Fohrt opnehmen. Do-üm is dat wichtig, dat wi den Andrag vun de Fraktscho-en vun de CDU/CSU un de SPD annehmt un dat wi emk wieder to Siet staht.Velen Dank.
Ich gebe das Wort dem Kollegen Ilja Seifert, Fraktion
ie Linke.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-egen! Meine Damen und Herren! Ich mag Folklore, undch weiß um den Wert von Sprachen. Wenn hier im Ho-en Hause aber jedes Mal vor Bundestagswahlen ausehr durchsichtigen Gründen ein paar Sätze auf Plattnd, wie nachher auch noch, auf Sorbisch gesagt werdenönnen,
ann ist das angesichts der Minderheitenpolitik Ihreroalition für mich Feigenblattfolklore.
Noch schlimmer ist allerdings ein zweiminütiger Fo-otermin, für den Ex-Kanzler Schröder 2005 die Spitzeer Domowina missbrauchte. Mehr Zeit hatte er für sieicht. In diesem März soll es ja nun einen Termin voninderheitenvertretern mit Frau Merkel geben.
ielleicht hat sie etwas mehr Zeit. Ich will das hoffen.Reden wir einmal darüber, worum es eigentlich geht.er vom Europarat eingesetzte Sachverständigenaus-chuss für die Sprachencharta fällte am 3. April vergan-enen Jahres ein unmissverständliches Urteil:Trotz einiger positiver Entwicklungen hat sich dieLage im Hinblick auf die Regional- und Minderhei-tensprachen seit der Unterzeichnung des Abkom-mens durch die Bundesrepublik nicht wesentlichverändert … Der Sachverständigenausschuss stelltmit Bedauern fest, dass die Lage einiger besondersgefährdeter Sprachen sich offensichtlich sogar ver-schlechtert hat, insbesondere die Lage des Nieder-sorbischen. Die Lage des Saterfriesischen bleibtsehr prekär.
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Dr. Ilja SeifertLiebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, Siegehen in Ihrem Antrag, der heute Gegenstand der De-batte ist, mit keinem Wort auf diese Kritik ein. Ihre soge-nannten Forderungen sind in ihrer Allgemeinheit kaumzu toppen. So soll die Bundesregierung dafür Sorge tra-gen, „dass mehr als bisher im Bereich von Bildungsein-richtungen, Schule, Hochschule, Verwaltung und Me-dien die Regional- und Minderheitensprachen zurGeltung kommen“.
Was soll denn das heißen? Oder: Die Regierung soll „ih-ren Beitrag zur Aufarbeitung und Behebung von Defizi-ten“ leisten. Ja welchen, bitte?Diese Forderungen schrieben Sie aus einem Antragvon SPD und Grünen von Juni 2004 übrigens wortgleichab.
Mit der Übernahme belegen Sie selbst, dass sich seit derdamaligen Debatte nichts geändert hat. Das ist ebenfallseine Feigenblattdebatte.
Die notwendigen strukturellen Veränderungen, dieder Europarat fordert, sind Ihnen keine Erwähnung wert.Wie auch? Die Bundesrepublik hat ja, wie Sie betonen,„eine erfolgreiche Minderheitenpolitik geleistet.“ Das istein sehr traurig stimmendes Selbstlob.Was wir wirklich brauchen, ist ein eindeutiges Be-kenntnis des Bundesstaates zu seinen autochthonen Min-derheiten und deren umfassender Förderung. Das, meinelieben Kolleginnen und Kollegen, gehört ins Grundge-setz! Das ist unser Job hier!
Damit bin ich beim nächsten Punkt. Sie behaupten al-len Ernstes, „Minderheitenpolitik mit den alteingesesse-nen Volksgruppen“ würde auf Augenhöhe stattfinden.Die Minderheiten seien „in der Gesellschaft anerkannt,geachtet und verankert“.
Unglaublich!Die Linke steht für den Schutz und die Förderung deranerkannten Minderheiten: der Dänen, der Friesen, derSinti und Roma und natürlich auch der Sorben und ihrerSprachen.
Minderheitenpolitik braucht konkrete politische Maß-nahmen. Wir reden hier nämlich nicht über Folklore. Da-für demonstrierten unter anderem die Sorben 2008 inBerlin.WAsdkrudTEnwAnnmSGCHbfökbźjcP1)
Bezogen auf die Oberlausitz will ich feststellen:enn wirklich eine offizielle Minderheitenpolitik aufugenhöhe stattfände, dann würde man keine Schulenchließen, in denen Sorbisch Unterrichtssprache ist,
ann würde der Bundesrechnungshof nicht auf die Ideeommen, den Einigungsvertrag in Bezug auf die Förde-ung der Sorben als „verbraucht“ zu bezeichnen,
nd dann würde keine Bundes- oder Landesvertretung iner Stiftung für das sorbische Volk mal eben über denisch hinweg die Schließung des Sorbischen National-nsembles vorschlagen, das im Übrigen das Einzige sei-er Art ist.Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, Sieollen Ihren Antrag ja nicht einmal zur Beratung in dieusschüsse überweisen. Damit gehen Sie doch einfachur einer Anhörung von Sachverständigen und Betroffe-en aus dem Wege. Das ist sehr durchsichtig.Bei der von Ihnen heute geforderten Sofortabstim-ung über Ihren Folkloreantrag wird sich die Linke dertimme enthalten.
Der Kollege Rainder Steenblock, Bündnis 90/Die
rünen, hat seine Rede zu Protokoll gegeben.1)
Deshalb gebe ich jetzt der Kollegin Maria Michalk,
DU/CSU-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!err Kollege Seifert, bevor ich meine eigentliche Redeeginne, will ich ein Wort zu Ihrem Beitrag sagen. Ichinde, es handelt sich, wenn sich alle Fraktionen an derffentlichen Darstellung der Sprachenvielfalt beteiligenönnen, nicht um Wahlkampf. Ich jedenfalls bin dank-ar, dass wir diese Debatte heute führen dürfen.
3. rozprawa zwjazkoweje republiki k stawje přesad-enja europskeje charty za regionalne a mjeńšinowe rěčee dobry instrument, so na zwjazkowej runinje ze situa-iju rěčneho stawa, wosebje tež serbskeje rěče, zaběrać.řepytowanje Europskeje rady je wujewiło, zo su sew- Anlage 4
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Maria Michalkjerna a saterska frizišćina kaž tež delnjoserbšćina najbólewohrožene rěče němskeje.Serbšćina změje jenož přichod, hdyž změjemy šule,hdźež so maćeršćina našim dźěćom a młodostnym wepřeco lěpšej kwaliće a konsekwentnje posrědkuje a hdyžwostanu šule tam, hdźež serbske swójby a ći, kotřižchcedźa našu rěč nawuknyć, bydla. Tu smy we zańdźe-nych lětach dobre ale tež Bohužel serbsku rěč wohrožacerozsudy dožiwili. Naspomnju šulsku syć a naše wojo-wanje wo financne dorozumjenje za załožbu za serbskilud.
Das sorbische Volk ist nur in Deutschland anzutref-fen. Seit Jahrhunderten leben Deutsche und Sorben inder Lausitz miteinander und befruchten sich sprachlichund kulturell. Das macht die Besonderheit der Lausitzaus. Das zieht viele an, vor allem Touristen, aber auchHistoriker und Wissenschaftler. Manche bleiben für im-mer hier und lernen die sorbische Sprache. Wenn sie denGeist der sorbischen Sprache für sich entdeckt habenund feststellen: Sorbisch ist zwar eine schwere, aber au-ßerordentlich reiche und schöne Sprache; es ist auch einelebendige Sprache, die ständig weiterentwickelt wird,deshalb also auch eine moderne Sprache, dann kennensie die Seele der Sorben. Nur über die Sprache kommtman zur Seele eines Volkes.
Das hat eine politische, eine wirtschaftliche und einekulturelle Dimension.Deshalb fühlen wir uns auch als Brücke zu unserenslawischen Nachbarn, deren Sprache wir sehr gut verste-hen. Ich wünsche mir, dass das politisch noch stärker ge-nutzt wird.
Die europäische Sachverständigenkommission sprichtaber deutlich aus, was wir vor Ort überall sehen, nämlichdass unser kleines sorbisches Volk kleiner wird, undzwar aus demografischen Gründen und deswegen, weiljunge Leute der Arbeit und der beruflichen Herausforde-rung nachziehen. Wir sind zweisprachig und integriert,aber der wachsenden Assimilation müssen wir uns ent-gegenstemmen.Sprachlich machen wir das seit zehn Jahren mit demProjekt Witaj, das ich allen ans Herz lege. Immer mehrKinder lernen im frühkindlichen Alter beide Sprachengleichzeitig, Deutsch und Sorbisch. Diese Witaj-Kinderhaben in der Schule nachweislich in allen Fächern über-durchschnittliche Ergebnisse.Wědomosć wupokazuje: za ludnosć wjetšiny je zhro-madne žiwjenje z mjeńšinami jasnje konstatujomna nad-hódnota. Wo tym měło so jenož časćišo rěčeć.Der sorbische Schriftsteller Jurij Brězan, der sich seinLeben lang mit der sorbischen Sage des Krabat – unse-rem Faust – beschäftigt hat, schreibt in seinem WerkKzSwCmmPpPSbdOjUwdSpmukmmdzkPwg
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
lemens Bollen, SPD-Fraktion.
Hooggeachte Mienfroo Präsidentin, hooggeachte Da-en, mien Heren, as oostfreeske Abgeordnete is dat förit natürlich wat Besünners, hier in’n Bundesdag inlattdütsk över Regionaal- un Minderheitenspraak toroten. Ik bün plattdüts upwussen un ik proot geernlatt.
Bi uns in Ostfreesland un Eemsland is de plattdütskepraak, de de meesten proten – of to Huus oder bi d’ Ar-eid, Un för heel völ Minschen is dat de Olldagsspraak,e normaal Spraak. Un faken is dat natürlich so, dat dellerden beter Platt proten as Hoogdütsk.Problem is bi de plattdütske Spraak, dat besünners deunge Lü immer weniger Platt proten. Wi hebben dor ennnersökung van de Oostfreeske Landskupp in Auerk,oor Helmut Collmann Präsident is, de hett faststellt,at 1997 noch immerhin 10 Prozent van de oostfreeskchölerinnen un Schölers van de eerste Klass Plattdütskroten. Teihn Jahr later, 2007, was dat blot noch en bietjeehr as 5 Prozent. Dit maakt dütlich, dat wi dat Erhollenn Unnerstützen van Regionaal- un Minderheitenspra-en mehr maken möten, dat wi dat stärker unnerstüttenöten as bisher.
Daarum is ok de Andrag, de hier vandaag to Afstim-ung steiht, un disse Diskussion vandaag so wichtig! Ine Andrag Punkt 6 is en besannern Punkt, woor dat Kon-ept fordert warrt to de Sekerung van de Regionaalspra-en. Un dat dat ok maakt worden sall, gerade de teihnunkte, de wi in de Hand hatt hebben, is ganz konkret enieten Schritt. Un daarum verstah ik ok de Kritik ebenor nich so richtig.
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Clemens BollenInsofern begrüße ich gerade diesen Antrag as wieden unwichtigen Schritt, weil ok de Bund in Verantwortung is,un völ weet nu gaar nich, dat dat Bundesgesetz is.
Natürlich sünd besünners ok de Landesregierungen inde Plicht, all Punkten van de Sprakencharta natokomen.Un besunners mööt wi ok kieken, of dat ok maakt word.Un deshalb bruuken wi ok den Bundesraad bi de Diskus-sion, wat de Spraken dor anbelangt. Blot so könt wiPlattdütsk as en egen un lebennigen Spraak erhollen.Vör allen mööt wi ok daarför sörgen, dat bi Ämter unBehörden Plattdüütsch proot word, un vör allen Dingenok, dat’t vundaag un ok in twintig Jahr noch Mitarbei-ders gifft, de ok en Woord up Platt verstahn könen un enWoor up Platt maken könen, sowiet möglk.
Dejenigen, de menen dat Kinner, de mit plattdütskeSpraak upwassen sünd, naher dat later stuurder hebbento lehren, de liggen verkehrt. Ganz in’n Gegenteil. Degoot Plattdütsk proten hebbt ok mehr Fähigkeiten, annerSpraken to lehren. Besunners is dat Plattdütske ok engverwandt mit dat Engelske un dat Nederlandske. Un vörallen Dingen, de Unnersöken seggt, well vun froh mitPlattdütsk upwasst, kann um so eenfacher ok annereSpraken lehren.
Deshalb geiht dat hier um de Identität, aber sehr wohlok um de Fähigkeiten, ok dor in de Region sünd. Un des-halb kann – dat keem hier ja al to’n Utdruck – nich vor-rangig bloß an Schölen, Hochschölen un Bildungsein-richtungen rekent worrt, sondern Spraak lehrt manbesonners dordör, dat man dat proot. Un dor mööt wi na-türlich ok för sörgen, so wie hier, un deshalb glööv ik, isdat ok en wichtigen Anlass, för uns gemeinsam as Bot-schafter för de Spraak to fungieren.
Un vör allen Dingen, dat de plattdütske Spraak ok mehrin de Verwaltung un de Medien to Spraak kummt.
En lüttj Bispill: bi mi ut de Gemeente Oostrhauder-fehn, woor ik herkaam, dor gifft dat – un in völ annerGemeenden ok bi uns – Beauftragte för Plattdütsk. Ikglööv, dat is en good Beispiel to överdragen, ok besun-ners in anner Bereiche – bi mi un bi Gabriele Groneberg,is eine saterfriesische Sprachinsel. Saterfriesisch ist einebesondere Sprache, bei der Unterstützung notwendig ist.
Disse Beupdragten för Plattdüütsk, as Netzwerk ok toverbreiten in de Kommunen, arbeiten na dat Motto:„sulisesdrwKoHoBsDfvinsftgssbF1nFttnD
elpt mit, dat mehr geböhrt un de Minderheitenspraakenk erholden blieben. Spraak is Heimat!esten Dank för Jo Tohören.
Das Wort zu einer persönlichen Erklärung zur Ab-
timmung gebe ich dem Kollegen Uwe Barth.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
iese Debatte liefert einen eindrucksvollen Beweis da-
ür, wie groß die kulturelle Vielfalt und die Sprachen-
ielfalt in unserem Land ist. Ich will zugestehen, dass
ch im Moment offenbar einer Minderheit angehöre,
ämlich denjenigen, die kein Plattdeutsch verstehen. Ich
timme dem vorliegenden Antrag zu, möchte aber hinzu-
ügen, dass ich das ausdrücklich nur aufgrund der Lek-
üre des Antrages und in großem Vertrauen in die Kolle-
innen und Kollegen, die hier gesprochen haben, tue, da
ie bei diesem gemeinsamen Anliegen in den unter-
chiedlichen Sprachen sicherlich das Richtige gesagt ha-
en.
Vielen Dank.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag derraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache6/11773 mit dem Titel „Zehn Jahre anerkannte Regio-al- und Minderheitensprachen in Deutschland – Schutz –örderung – Perspektiven“. Wer stimmt für diesen An-rag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der An-rag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grü-en, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der Fraktionie Linke angenommen.
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerIch rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Gerhard Schick, Alexander Bonde, KerstinAndreae, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENBankenrettung neu ausrichten– Drucksache 16/11756 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
HaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei dieFraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhaltensoll. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so be-schlossen.Ich eröffne die Aussprache. Ich gebe das Wort demKollegen Dr. Gerhard Schick, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir haben zurzeit eine intensive Diskussion über dieFragen, ob eine Bad Bank errichtet werden soll odernicht, ob eine große Bad Bank oder viele kleine BadBanks errichtet werden sollen, ob Ausgleichsforderun-gen erhoben werden sollen, ob eine Versicherungslösungwie in Großbritannien sinnvoll ist oder ob sogar eine Än-derung des Entschädigungsgesetzes notwendig ist. Es istrichtig, dass wir in dieser schwierigen Situation nicht nurin der Öffentlichkeit, sondern auch hier über den richti-gen Weg diskutieren. Nach dem Ende des vierten Quar-tals 2008 hat sich wieder eine Verschärfung ergeben. Wirmüssen daher feststellen, dass die Ziele mit dem Finanz-marktstabilisierungsgesetz, dessen Entwurf Anfang Ok-tober letzten Jahres verabschiedet wurde, nicht erreichtwurden.
Es kann nicht so weitergehen wie bisher. Wir wollenmit unserem Antrag erreichen – ich glaube, das ist dieAufgabe dieses Hauses –, dass man in zwei Richtungennicht zu kurz springt. Eine Lex Hypo Real Estate wirdnicht ausreichen, genauso wenig wie der Versuch, mitBlick auf einen Einzelfall kurzfristig nachzusteuern.Vielmehr ist es notwendig, an verschiedenen Stellen dieFehler des geltenden Finanzmarktstabilisierungsgesetzeszu korrigieren.
Der eine Fehler hat sich bei der chaotischen Situationder SoFFin gezeigt. Zwei von drei Mitgliedern des Lei-tungsausschusses sind in kurzer Zeit zurückgetreten, eindrittes Mitglied dieses Leitungsausschusses hat offen-sichtlich – das haben wir gestern in der Befragung derBundesregierung gehört – öffentlich für eine Verände-rung des Gesetzes plädiert, während die Verhandlungenzwischen der Europäischen Kommission und der Bun-desregierung zu dem entsprechenden Punkt schon statt-gmDafisznmggktwHwvpKdjDigsbgsmIEeKFSmInFPGsüdmv
Sie haben, ohne das wirklich zu kommunizieren, ei-en Strategiewechsel vorgenommen, der auch im Parla-ent nicht diskutiert worden ist. Sie haben am Anfangesagt, Sie wollten sich nur mit stillen Einlagen beteili-en, möglichst keine Aktien erwerben und möglichsteine Eigentümerrolle einnehmen. Bei der zweiten Ret-ungsaktion für die Commerzbank hat ein Strategie-echsel stattgefunden, der jetzt offensichtlich bei derypo Real Estate fortgeführt wird. Ich meine, es ist not-endig, daraus die Konsequenzen zu ziehen. Wir habenon Anfang an für eine konsequente Teilverstaatlichunglädiert, für Gegenwerte, wenn der Staat den Bankenapital zur Verfügung stellt. Es ist deswegen richtig,ass Sie diese Richtung einschlagen, aber dafür mussetzt die gesetzliche Grundlage angepasst werden. Dieetails dazu liegen in unserem Antrag vor.
Ich will noch einen zweiten Punkt ansprechen. Schonn der Debatte im Oktober hat der Kollege Runde, dererade sehr aufmerksam zuhört, wie ich merke, festge-tellt, dass wir eigentlich einen europäischen Ansatzrauchen. Diese Ansicht haben wir ausdrücklich immereteilt. Aber die Bundesregierung hat sich den europäi-chen Ansätzen, die bisher diskutiert worden sind, im-er verweigert.
ch glaube, es wird, wenn man sich die Situation in deruropäischen Union anschaut, notwendig sein, stärkeruropäisch koordiniert vorzugehen. Die Europäischeommission hat bereits vor den Auswirkungen auf deninanzplatz gewarnt. Ich glaube, es ist notwendig, dassie hier eine Korrektur vornehmen. Dazu fordern wir Sieit dem vorliegenden Antrag auf, und wir bitten Sie umhre Zustimmung.Eines ist in dieser heiklen Situation, in der sich die Fi-anzmärkte befinden, ganz wichtig: Wenn Sie auf deninanzmärkten Vertrauen schaffen wollen, dann mussolitik vertrauenschaffend agieren. Das bedeutet: stabilerundlagen bei dem Fonds, stabile Grundlagen im Ge-etz, das nicht nur für eine Einzelaktion gilt, sondernber den Tag hinaus auch künftigen Rettungsaktionenient, und ein stabiler Ansatz für die Rettung des Finanz-arkts Europa. Das ist genau das, was wir Ihnen hierorlegen.Danke schön.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009 21887
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Ich gebe das Wort dem Kollegen Leo Dautzenberg,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Bereits vor einer Woche ha-
ben wir ausführlich in einer Aktuellen Stunde über die
Funktionsfähigkeit des Finanzmarktstabilisierungsgeset-
zes und möglichen Änderungsbedarf diskutiert. Herr
Kollege Schick, es ist legitim, dass Sie einen Antrag auf
die Tagesordnung setzen, aber wir sollten uns davor hü-
ten, jetzt in jeder Sitzungswoche aktuell über diese
Punkte zu beraten; denn wir können im Grunde die not-
wendigen Analysen noch nicht vornehmen und die
Schlüsse, die Sie in Ihrem Antrag schon ziehen, noch
nicht ziehen. Daher geht Ihre Kritik fehl, dass das Gesetz
die bisherigen Zielsetzungen nicht erreicht hat.
Gehen wir doch einmal die einzelnen Punkte durch.
Sie sagen, es hätte besser funktioniert, wenn es auf euro-
päischer Ebene eine Abstimmung gegeben hätte.
Schauen Sie sich doch einmal einige europäische Länder
an, angefangen mit England. Wie oft schon haben sie
von Oktober bis heute ihren Grundansatz geändert? Das
brauchten wir noch nicht, weil der Dreiklang von Garan-
tien, Rekapitalisierung und Übernahme von Risikopa-
pieren von der Gewichtung und von der Ausrichtung her
nach wie vor richtig ist.
Es ist auch unfair. Sie sollten vielleicht ihr Mitglied
im sogenannten Geheimausschuss fragen, ob das Lei-
tungsgremium chaotisch gearbeitet hat und ob dort eine
chaotische Situation herrschte. Viele haben erklärt, dass
ihnen die damit verbundene Arbeitsbelastung zu hoch
war, was vorher nicht zu erkennen war. Was mit Herrn
Merl als Vorsitzendem bisher abgewickelt und auf den
Weg gebracht worden ist, ist etwas mit einer hohen Ex-
pertise. Es ist Herrn Merl zu danken, weil er es auf den
Weg gebracht hat. Das Leitungsgremium ist neu besetzt,
und zwar wiederum mit Personen mit hoher Expertise,
sodass diese Kritik fehlgeht.
Es ist auch nicht richtig, zu sagen: Die Rekapitalisie-
rung als ein Teil der drei Maßnahmen ist als stille Ein-
lage angelegt. Im Rahmen der Gesetzesbegründung ha-
ben wir überwiegend darüber diskutiert, dass es
Vorzugsaktien sein sollten; das war der erste Weg. Wenn
man jetzt bei einer Maßnahme den Weg der stillen Ein-
lage wählt, dann hat das seinen Grund. Das ist auf der
richtigen Grundlage entschieden worden.
Der erste Punkt, Garantiegewährung, ist vor Verab-
schiedung des Gesetzes Mitte Oktober beschlossen wor-
den, also ehe alles dafür Erforderliche vorlag. Sie müs-
sen neben dem Interesse für den Schirm und neben der
Antragstellung in diesem Zusammenhang berücksichti-
gen, dass die erforderlichen Unterlagen vorliegen müs-
sen, ehe eine Entscheidung fallen kann. Das war bei
manchen Entscheidungen nicht der Fall. Das kann man
nicht dem Gesetz zur Last legen, sondern der Hand-
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ir wollen Verluste nicht sozialisieren.Das Finanzmarktstabilisierungsgesetz ist kein Persil-chein für eine unbegrenzte Ausweitung der Staatstätig-eit im Finanzsektor. Im Fokus stehen deswegen nichtur die Wirkung der Medizin, sondern auch die Notwen-igkeit und die Verhältnismäßigkeit ihrer Verabreichung.
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21888 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009
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Florian ToncarDie Grünen wollen den Steuerzahler offensichtlichmehr als notwendig an der Sanierung des Finanzsektorsbeteiligen; denn anders ist die Forderung nach einer ge-nerellen und stärkeren Kapitalbeteiligung des Staatesnicht zu verstehen. Was Sie „intelligente Teilverstaatli-chung“ nennen – Sie führen das übrigens wenig präziseaus –, ist in Wahrheit eine Fehlkalkulation; denn imFalle einer stillen Einlage, im Falle einer stillen Beteili-gung erhalten wir mit Vorzugsrechten eine 9-prozentigeRendite auf die Einlage.
Das geht dem vor, was die Aktionäre bekommen. WennSie generell lieber eine Beteiligung am Aktienkapitalwollen, dann bedenken Sie: Die Steuerzahler tragennicht nur das Verlustrisiko im operativen Geschäft, son-dern auch das Risiko von Wertverlusten. Das ist denSteuerzahlern in der jetzigen Situation nicht zuzumuten.
Sie wollen einerseits eine stärkere Inanspruchnahmedes Rettungsschirms – das schreiben Sie in Ihrem An-trag –, planen aber andererseits die Schaffung zusätzli-cher psychologischer Hürden bei freiwilliger Inan-spruchnahme durch Finanzdienstleister. Die Ausweitungder aktiven politischen Einflussnahme auf Geschäfts-politik und Kreditvergabe, die Sie ausdrücklich befür-worten, sowie die zahlreichen geforderten Dokumenta-tions- und Nachweispflichten sind abschreckend. Wenndie Banken aber alles tun, um die Inanspruchnahme vonHilfen durch den SoFFin zu vermeiden, gefährdet dasdie Kreditvergabe eher, als dass es sie erleichtert.
Auch deswegen sollte man sehr vorsichtig damit sein,solche Hürden aufzubauen.Eines ist mir bei Ihrem Antrag noch aufgefallen – dasfand ich sehr bemerkenswert –: Sie haben auf der zwei-ten Seite in zwei dürren Zeilen ganz nebenbei eine neueAufgabe für die Europäische Zentralbank erfunden. DieEuropäische Zentralbank soll zum Wertpapierhändlerwerden. Sie soll den Banken Wertpapiere abkaufen. Da-mit machen Sie die Europäische Zentralbank faktisch zuder Bad Bank, die Sie eine Seite weiter vehement und zuRecht ablehnen.
Wenn die Europäische Zentralbank Wertpapiere auf-kauft, dann werden Risiken und Verluste möglicher-weise sozialisiert. Bei den Wertpapieren, über die wirdort reden, ist das durchaus zu erwarten.
– Herr Schick, dann müssen Sie hineinschreiben, wasSie meinen. Wenn in dem Antrag steht, die EZB solleWertpapiere aufkaufen,dpgüaAsnWlsfAdSnstsfElznmjmbtNagswuvdmsmsugf
ann kann man das nur so verstehen, dass sie die Wert-apiere aufkaufen soll, für die es derzeit keinen Marktibt; denn für marktgängige Wertpapiere gilt: Es bestehtberhaupt kein Bedarf dafür, dass die Zentralbank sieufkauft.
Ein Blick in den EG-Vertrag zeigt, dass das auch nichtufgabe der EZB ist. Deren Aufgaben sind darin ab-chließend aufgeführt. Der Aufkauf von Wertpapieren istach geltendem Europarecht nicht möglich. Im Übrigen:enn wir hier beschließen, wie Sie formulieren, näm-ich: „Der Deutsche Bundestag … fordert die Europäi-che Zentralbank auf“, dann ist das eine politische Ein-lussnahme auf die Europäische Zentralbank, die nachrt. 108 EG-Vertrag ausgeschlossen sein sollte und aufie sich die EZB auch überhaupt nicht einlassen darf.chon deshalb kann man diesem Antrag in der Formicht zustimmen.
Das Finanzmarktstabilisierungsgesetz ist als ein Ge-etz für Notfälle konzipiert. Es ist ein Gesetz, das befris-et gilt, das nach seinem Regelungsgehalt und wegen dercharfen Eingriffe, die es möglich macht, auch nur be-ristet gelten kann. Es muss flexibel gehandhabt werden.s gibt viele Fälle, in denen ein Geschäftsmodell vor-iegt, bei dem eine stille Einlage im Interesse des Steuer-ahlers und auch sonst geradezu geboten ist, sodass manicht pauschal sagen kann, dies sei ein falsches Instru-ent.Bessere Kreditvergabe ist ein wichtiges Ziel in deretzigen Situation. Aber das, was wir über das Finanz-arktstabilisierungsgesetz dazu beitragen können, istegrenzt. Wir brauchen stattdessen eine kluge Geldpoli-ik, die bei der Europäischen Zentralbank und bei denotenbanken vernünftig aufgehoben ist. Wir brauchenuch eine kluge Wirtschaftspolitik, die die Kreditver-abe begünstigt, die die Liquidität in den Unternehmenichert, beispielsweise dadurch, dass man bei der Mehr-ertsteuer endlich von der Soll- auf die Istbesteuerungmstellt. Das würde schlagartig Liquidität bringen undielen Unternehmen einiges leichter machen.
Wir brauchen nicht zuletzt verlässliche Rahmenbe-ingungen beim Finanzmarktstabilisierungsgesetz. Nie-and hat etwas dagegen, dass wir dazulernen und Kon-equenzen aus den Entwicklungen ziehen; aber wennan das immer stärker zerredet und so prinzipiell kriti-iert, wie das zum Teil geschieht, dann trägt man nichtnbedingt dazu bei, dass die Möglichkeiten in Anspruchenommen werden und das Gesetz wirken kann. Inso-ern sollten wir etwas vernünftiger diskutieren.Der Antrag ist an vielen Stellen
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009 21889
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Florian Toncar
unscharf, und im Übrigen geht er, gerade was die vorge-schlagenen Maßnahmen zur Bankenrettung betrifft, indie falsche Richtung, sodass wir – vermutlich auch nachden Ausschussberatungen – wenig Neigung haben wer-den, dem Antrag zuzustimmen.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hans-Ulrich
Krüger, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Um das gleich voranzustellen: Unsere bishe-rige Strategie, mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetzdie angeschlagenen Finanzmärkte zu stützen, hat nachwie vor uneingeschränkt Bestand und wird auch zukünf-tig das letztendlich richtige Mittel sein, die Krise zu be-wältigen. Der Mix aus Garantien, Risikoübernahmenund Rekapitalisierungen im Umfang von insgesamt480 Milliarden Euro – Kollege Dautzenberg sprach ihnan: Garantien in Höhe von 400 Milliarden Euro, Rekapi-talisierungen und Risikoübernahmen im Umfang von80 Milliarden Euro – ist sehr vernünftig. Wir alle in die-sem Hause dürfen stolz darauf sein: Wir haben schnellund effizient reagiert, um das Vertrauen in die Finanz-märkte wiederherzustellen.
Aktuell höre ich immer wieder, dass diese Hilfsmaß-nahmen – das ist Gegenstand unserer heutigen Debatteund der Debatte der letzten Woche – angeblich nicht aus-reichen, um die heimische Finanzwirtschaft effektiv undnachhaltig zu stützen. Dazu sage ich ganz offen: Ichwürde mir wünschen, dass diejenigen, die aktuell nachimmer größerer und umfangreicherer Hilfe schreien, zu-nächst einmal die Mittel in Anspruch nehmen, die vomGesetzgeber bereits im letzten Jahr zur Verfügung ge-stellt worden sind.
Fakt ist nämlich: Von den Garantien im Umfang von400 Milliarden Euro sind erst gut 100 bis 110 Milliardenabgerufen worden. Von den 80 Milliarden Euro für Re-kapitalisierungen sind erst knapp 20 Milliarden Euro ab-gerufen worden. Es sind also – salopp formuliert – nochMittel da, wenn sich Banken dem SoFFin zuwenden unddort schlicht und einfach ihre Geschäftspolitik auf denPrüfstand stellen lassen.Ich sage ganz deutlich – es kann, um bestimmteTräume zu zerstören oder gar nicht erst aufkommen zulassen, gar nicht oft genug gesagt werden –: Allen Forde-rungen nach Gründung einer sogenannten Bad Bank, beider die faulen Kredite der Privatbanken auf den RückendkZuivrAdusgG3EzbBnVrkGpaaddwsWnFnnesbkaBüsPsndfsnzi
iel ist vielmehr, dass künftig alle betroffenen Institutenter die vorhandenen Rettungsschirme schlüpfen.Eines muss bei den Diskussionen, die wir heute undn den nächsten Wochen führen, klar sein: Wir alle – da-on gehe ich aus – wollen stärker aus dieser Krise he-auskommen, als wir hineingegangen sind; unser Ziel,rbeitsplätze zu erhalten und die Investitionsfähigkeiter Betriebe zu gewährleisten, steht im Mittelpunkt allnserer Überlegungen.Im weiteren Arbeitsverlauf kann es natürlich auf Ba-is des bereits verabschiedeten Gesetzes Modifikationeneben. Wie Sie wissen, haben wir in dem Gesetz für diearantien des staatlichen Rettungsfonds eine Frist von6 Monaten festgelegt. Wenn es denn nötig ist und dierfahrungen mit dem SoFFin dafür sprechen, diese Fristu verlängern, dann ist dies selbstverständlich vorstell-ar: Die staatlichen Garantien könnten den deutschenanken – allerdings auf Basis dieses Gesetzes – nichtur für drei Jahre, sondern für vier oder fünf Jahre zurerfügung gestellt werden, damit diese über einen länge-en Zeitraum günstig mit frischem Geld versorgt werdenönnen.Wie Sie ebenfalls wissen, enthält das grundlegendeesetz bereits ein Instrument zum Aufkauf von Risiko-apieren. Nun müssen die Banken dieses Instrumentber auch nutzen und dürfen nicht – wie bisher – damitrgumentieren, dass Risikopapiere nach drei Jahren wie-er an den Fonds zurückgegeben werden müssten; dennas ist schlichtweg falsch. Eine solche Befristung gibt eseder im Gesetz, noch wird sie von der EU-Kommis-ion generell gefordert. Richtig ist vielmehr, dass imege einer in diesem Fall einfach zu erzielenden Einzel-otifizierung auch für den Ankauf von Risikopapierenristen von mehr als drei Jahren festgelegt werden kön-en. Wenn nötig – da gilt das Gleiche wie soeben –, kön-en wir uns gern über eine Ausdehnung der Frist für denrstmaligen Ankauf von Risikopapieren – mit allen Kon-equenzen für die Eigentümerseite – unterhalten.Wenn nötig, müssen wir auch die betroffenen Privat-anken darauf hinweisen, dass sie sich als Erste Gedan-en darüber machen, was sie selbst, kraft ihrer Eigenver-ntwortung, mit toxischen Papieren machen. Muss eineank sich nicht fragen, ob sie nicht die faulen Kredite,ber die sie verfügt, im Rahmen einer eigenen Gesell-chaft, einer eigenen Bank verwalten und dort einenlatz für die aktuell nicht verkäuflichen Wertpapierechaffen sollte? Das hätte den Vorteil, dass unsere Fi-anzmittel nicht mit diesen faulen Krediten belastet wür-en.Eines ist klar: Die Banken sind in erster Linie beru-en, sich Gedanken darüber zu machen, wie sie sichelbst effizient, mit den Maßnahmen, die das Gesetz ih-en anbietet, helfen können. Sich aus der Verantwortungu stehlen und nach irgendeinem Hilfesteller zu rufen,st nicht der richtige Weg. Das ist jedenfalls mit der weit
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21890 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009
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Dr. Hans-Ulrich Krügerüberwiegenden Mehrheit dieses Hauses nicht zu ma-chen.
Bei allem, was wir aus der Finanzkrise lernen odernoch lernen müssen, bleiben wir in der Strategie desFinanzmarktstabilisierungsgesetzes. Wir werden in die-ser schwierigen Situation unter den vorhandenen Alter-nativen diejenigen aussuchen, die mit den geringstenNebenwirkungen verbunden sind.Wir haben in diesen Wochen über die Konjunktur-pakete I und II und über die Frage zu diskutieren, wie wirim Rahmen der Finanzmarktkrise – wiederum parteiüber-greifend – die Interessen der Verbraucherinnen undVerbraucher am besten schützen. Es geht darum, ob dieaktuellen Regelungen hinsichtlich Schlecht- oderFalschberatung richtig sind, ob die Verbraucherinnenund Verbraucher vielleicht einen längeren Zeitraum ein-geräumt bekommen müssen, um ihre berechtigten An-sprüche gegen schlechte Berater durchsetzen zu können,ob das Gesamtprotokoll, mit dem sie ihre Lebensent-scheidung für oder gegen eine gewisse Anlage begrün-den, ganz anderen Eckpunkten unterliegt.Über das alles haben wir zu diskutieren, um zu bewir-ken, dass die Bürgerinnen und Bürger in diesem Landletzten Endes zu der Überzeugung gelangen, dass derStaat handlungsfähig ist, dass er die Krise annimmt undentsprechend ihren Erfordernissen handelt. Modifikatio-nen am Rettungsschirm, entsprechend Art und Umfangder Krise, widersprechen daher nicht dem Finanzmarkt-stabilisierungsgesetz, sondern entsprechen ihm.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Dr. Axel Troost, Fraktion
Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich gehöre wahrlich nicht dem Stamme der
Untergangspropheten an. Aber ich glaube, dass nach wie
vor niemand in diesem Hause einen Überblick über das
wahre Ausmaß der Gesamtkrise hat und dass wir uns
deshalb – auch das ist meine Prophezeiung – im nächs-
ten halben Jahr hier wiedersehen und über ganz andere
Dimensionen von Rettung reden werden. Noch im De-
zember hieß es ja, auch wir bräuchten kein zweites Kon-
junkturprogramm, aber im Januar lagen dann neue Zah-
len vor.
In einer Umfrage der BaFin in der letzten Woche ha-
ben wir zum ersten Mal gehört, dass es faule Papiere in
einer Höhe von angeblich um die 300 Milliarden Euro
gibt; manche sagen sogar, es könnten auch 800 Milliar-
den bis 1 Billion Euro sein. Diese Zahlen haben wir
nicht durch eine normale Prüfung der BaFin erfahren,
sondern durch eine Umfrage. Das zeigt, wie groß die Ge-
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Von mir aus können wir sagen: Abfrage bei den0 größten Banken. Ansonsten sehe ich aber keinen Un-erschied zu alldem, was ich vorhin gesagt habe.
Ich möchte einmal rekapitulieren. Als es um den Ret-ungsschirm ging, hat die Linke gesagt, dass so etwas imrinzip erforderlich ist. Sie hat aber aus drei Gründenagegen gestimmt:Erstens hat sie aufgrund des parlamentarischen Ver-ahrens dagegen gestimmt; dazu will ich an dieser Stelleber nichts sagen.Zweitens hat die Linke von Anfang an gefordert:enn am Schluss dieser Rettungsaktionen ein Minus fürie öffentliche Hand herauskommt, dann muss diesesinus die Kreditwirtschaft übernehmen. Das ist abericht vorgesehen, sondern es ist völlig offen, was amchluss mit diesem Minus passiert.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009 21891
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Dr. Axel TroostDrittens haben wir gefordert – das ist noch wichtiger –:Wer Geld in Form von Einlagen bekommen will, dermuss auch Stimmrechte zulassen. Es kann nicht sein,dass Geld in Banken gesteckt wird, ohne dass der Geld-geber Stimmrechte bekommt.
Das ist im Falle der Commerzbank aber passiert: 16 Mil-liarden Euro wurden der Commerzbank inzwischen alsstille Einlagen gegeben.
– Können wir vielleicht bei der Sache bleiben?Angesichts dieser stillen Einlagen von 16 MilliardenEuro habe ich an die Verzinsung in Höhe von 9 Prozentgedacht, wovon wir schon eben in dem Beitrag der FDPgehört haben. Doch weit gefehlt! Die 9 Prozent Zinsengibt es nur, wenn Gewinn gemacht wird, sonst nicht.Dann hätte man aber auch Aktienanteile kaufen könnenund hätte nicht auf eine stille Einlage zurückgreifenmüssen.Was wir bei der Commerzbank vorfinden, ist das typi-sche Beispiel halbherzigen Handelns. Wir halten eineBeteiligung von 25 Prozent. Der aktuelle Börsenwertliegt zwischen 4 und 5 Milliarden Euro. 18 MilliardenEuro wurden inzwischen in die Commerzbank investiert.Zu Deutsch: Mit dem Geld, das insgesamt geflossen ist,hätte man vier oder fünf Banken wie die Commerzbankübernehmen können, und zwar zu 100 Prozent. Das istfür meine Begriffe der eigentliche Skandal.
Der Antrag der Grünen geht nach meiner Meinungin die richtige Richtung. Wir sind in der Tat der Ansicht– „intelligent“ ist immer gut –, dass eine Vergesellschaf-tung des Privatbankenbereiches auf der Tagesordnungsteht. Vergesellschaftung heißt nicht nur, dass der Bundeinsteigt, sondern heißt in der Tat auch, zu schauen, wieman in Zukunft mit diesem Bereich vor dem Hintergrundeines funktionierenden Sparkassensektors und eines funk-tionierenden Genossenschaftsbankensektors umgeht. Eskann nicht sein, dass jetzt mit öffentlichen Mitteln Pri-vatbanken gestärkt werden und diese anschließend in dieMarktsegmente der Sparkassen und der Genossen-schaftsbanken gehen.Es besteht also dringender Handlungsbedarf. Wirkönnen das Problem nur lösen, wenn wir nach vorne ge-richtet handeln. Auch das ist völlig klar: Nach einer öf-fentlichen Übernahme kommen gigantische Kosten aufdie öffentliche Hand zu. Da braucht man sich nichts vor-zumachen. Das ist keine Vermeidungsstrategie, sonderneine Offensivstrategie.Danke schön.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Jochen-Konrad Fromme, CDU/CSU-Fraktion.
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Wenn die öffentliche Hand das Eigentum zu 100 Pro-ent übernimmt, wie Sie es wollen, dann führt dies amnde zu einem staatlichen Bankensektor. Wir wollen dasicht, und deswegen kommt dieser Lösungsweg nicht in-rage.Natürlich hätten wir uns gewünscht, dass die Erfolgechneller eintreten. Aber es gibt Erfolge: Die Einlagenber Nacht bei der Europäischen Zentralbank und derundesbank sind erheblich weniger geworden. Daseißt, es wird wieder Geld ausgeliehen. Dieser Prozessommt in Gang. Dies geschieht zwar nicht in der Ge-chwindigkeit, die wir uns vorgestellt haben; das bedeu-et aber nicht, dass wir nicht auf dem richtigen Weg sind.eswegen werden wir an dieser Stelle weiter so verfah-en.
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Jochen-Konrad FrommeZum internationalen Bereich. Warum müssen alle an-deren Länder ständig nachbessern? Hier ist ein kühlerKopf gefordert und kein hitziges Handeln. Wir sind mitunserem Instrumentarium deutlich sicherer aufgestelltals die anderen Länder, die jeden Tag etwas Neues ma-chen.
Deswegen bleiben wir dabei: anschauen bzw. beobach-ten, und dann handeln bzw. nachsteuern, wenn es nötigist.Ich kann die Auffassung, dass das Instrumentariumgescheitert ist, überhaupt nicht teilen.
Wir haben keine Panik bekommen. Wir haben ein immernoch funktionierendes System – zwar nicht sehr gut;aber es läuft noch. Es soll rund laufen; deswegen habenwir Maßnahmen ergriffen. Ich sage es noch einmal: Wirhaben ein klar abgestuftes Instrumentarium. Warum sindwir gegen die Übernahme eines höheren Aktienanteils?Weil wir die operative Verantwortung des Bankers ge-rade nicht übernehmen wollen. Wir wollen vielmehr dasjeweilige Institut unterstützen. Eine Beteiligung von25 Prozent ist richtig.
So kann keiner dieses Institut für wenig Geld schlucken,nachdem wir sozusagen die Mittel für den Reparatur-aufwand hineingesteckt haben. Dies ist der richtige Weg.Wir werden Ihnen auf Ihrem Weg auf keinen Fall folgen.
Sie sagen, die Gremien arbeiteten nicht richtig. Dazukann ich nur sagen: Der SoFFin-Ausschuss ist ein Be-richtsgremium. In diesem Gremium werden Berichteentgegengenommen.
Daraus werden Konsequenzen gezogen, wenn dies ange-bracht ist. Das werden wir in den zuständigen Ausschüs-sen tun.Danke für die Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/11756 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
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gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
– Drucksache 16/11338 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses
– Drucksache 16/11780 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Beatrix Philipp
Gerold Reichenbach
Hartfrid Wolff
Petra Pau
Silke Stokar von Neuforn
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses zu
dem Antrag der Abgeordneten Hartfrid Wolff
, Jens Ackermann, Dr. Karl
Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Bevölkerungsschutzsystem reformieren – Zu-
ständigkeiten klar regeln
– Drucksachen 16/7520, 16/11780 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Beatrix Philipp
Gerold Reichenbach
Hartfrid Wolff
Petra Pau
Silke Stokar von Neuforn
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
einen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
in Beatrix Philipp, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren! Der Zivil- und Katastrophenschutz ist kein be-onders attraktives Thema. Es ist ein Thema, das mancheon uns über viele Jahre hinweg begleitet haben. Fürich und viele Kolleginnen und Kollegen hier im Hauserifft das zu. Sie haben, so wie ich, die unterschiedlichenntwicklungen und Schwerpunktsetzungen, also gewis-ermaßen die Konjunktur des heute anstehenden The-as, begleitet. Nun erspare ich Ihnen, an dieser Reiseurch die Jahrzehnte teilzunehmen. Ich erinnere michber noch gut an die Konsequenzen, die der Deutscheundestag nach dem Fall der Mauer und nach dem Zer-all des Warschauer Paktes gezogen hat. Plötzlich warie jahrzehntelange Bedrohung durch ebendiesen War-chauer Pakt weg. So wurden Einrichtungen und Vorhal-ungen für den Zivilschutz mit gutem Gewissen und re-elrecht getragen von einer Sehnsucht nach greifbaremrieden drastisch zurückgefahren. Ich erinnere nur anen Abbau von Sirenenanlagen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009 21893
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Beatrix PhilippUmso fassungsloser waren wir – zum Teil verspürtenwir regelrecht Hilflosigkeit –, als wir durch die An-schläge vom 11. September 2001 wieder auf den Bodender Tatsachen zurückgeholt wurden. Neben dieser Kata-strophe, die eine internationale Dimension hat und eineErschütterung auslöste, die bis heute zu spüren ist, ereig-nete sich bei uns eine nationale Katastrophe völlig ande-rer Art: Das Elbehochwasser machte deutlich, dass es er-heblichen Handlungsbedarf im Bereich des Zivil- undKatastrophenschutzes gab. Bis zu diesem Zeitpunkt galtzwischen den Beteiligten eine klare Kompetenzabgren-zung bzw. Kompetenzbeschreibung: Der Bund war fürden Zivilschutz im Verteidigungsfall und die Länder wa-ren für den Katastrophenschutz in Friedenszeiten zustän-dig. Damals wurde aber, wie gesagt, klar, dass man denneuen Anforderungen mit dieser Teilung nicht gerechtwerden würde und diese Teilung auch nicht angemessenwar.So wurde schon 2002, also relativ schnell, die „NeueStrategie zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland“vereinbart, die im Gegensatz zu der eben beschriebenenTrennung eine grundsätzliche Zusammenarbeit zwi-schen Bund und Ländern unter Beibehaltung der Zustän-digkeiten zum Inhalt hatte. Wir wissen natürlich alle:Grundsätzliche Zusammenarbeit ist gut, aber der Teufelsteckt im Detail. So ist es eigentlich gar nicht verwun-derlich, dass im Rahmen der Föderalismusreform deut-lich wurde, dass es auch und gerade hinsichtlich des Zi-vil- und Katastrophenschutzes sehr unterschiedlicheAuffassungen gab. Dabei denke ich nicht nur an den fi-nanziellen Bereich, der für manche immer noch einBuch mit sieben Siegeln ist, sondern auch an die uralteFrage – das will ich noch einmal deutlich unterstrei-chen – der Bedeutung und Einbindung der Ehrenamtli-chen. Das ist etwas, was nicht nur von Bund und Län-dern, sondern auch von den Koalitionsfraktionen nichtimmer einhellig bewertet wird.Jedoch sind Tausende von Menschen ehrenamtlich inHilfsorganisationen unterwegs: zum Beispiel bei denMaltesern, den Johannitern, dem Lazarusorden, dem Ro-ten Kreuz, den Arbeiter-Samaritern und dem Techni-schen Hilfswerk. Ich denke, es ist immer angebracht,egal an welcher Stelle, diesen Ehrenamtlichen zu dan-ken, weil sie freiwillig auf Freizeit verzichten. Außer-dem ist es angebracht, den Arbeitgebern Dank zu sagen,die diese Ehrenamtlichen für manche Stunde freistellen.Das wird oft vergessen. Man muss es aber immer wiedersagen.
Aus dem eben Gesagten haben wir – man höre undstaune – Schlussfolgerungen gezogen und 2005 im Ko-alitionsvertrag vereinbart, dass die Steuerungs- und Ko-ordinierungskompetenz des Bundes bei der Bewältigungvon Großkatastrophen und länderübergreifenden schwe-ren Unglücksfällen zu stärken sei. Nun muss man keinProphet sein, um zu wissen, dass die Umsetzung dieseshehren Zieles spätestens dann zu erheblichen Diskussio-nen führt, wenn es, wie ich eben schon angedeutet habe,um die Finanzierung geht.sdBgea–esPGWeesnirkedustbgnGddrnvndmkwasSgdvlsgchFm
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21894 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009
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Das Wort hat der Kollege Hartfrid Wolff, FDP-Frak-tion.Hartfrid Wolff (FDP):Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die He-rausforderungen im Bevölkerungsschutz steigen. UnsereGesellschaft ist vielfältig vernetzt. Die Abhängigkeitenvon kritischen Infrastrukturen, ob Stromversorgung oderIT-Sicherheit, wachsen. Der Klimawandel schafft neuebiologisch-medizinische Anforderungen. Ich sage nur:Vogelgrippe oder Malaria. Jeder kennt diese Beispiele.Auf diese Herausforderungen will die Bundesregie-rung nun halbherzig antworten und übernimmt – zu ein-fach – die Vorgaben von der Innenministerkonferenz.
Moderne Technik und neue Herausforderungen brau-chen, liebe Frau Kollegin Philipp, eine moderne Rechts-grundlage. Das Zivilschutzgesetzänderungsgesetz ist die-ses nicht.
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Sie haben unseren Antrag doch wohl gelesen. – Es gilt,nbürokratisch und schnell zu reagieren. In der Regel ge-chieht das vor Ort. Nur für besondere Fälle muss derund eine klar umrissene, eindeutige Verantwortungbernehmen. Der bisherige Dualismus von Zivil- und Ka-astrophenschutz ist Vergangenheit, liebe Frau Philipp.uch wenn Sie sich dagegen stemmen, wird das nichtsützen.
ir brauchen ein einheitliches Bevölkerungsschutzsys-em mit allein am Schadensausmaß ausgerichteten Ver-ntwortlichkeiten.
Die FDP-Bundestagsfraktion hat ein Konzept für eineirkliche Reform des Bevölkerungsschutzsystems vor-elegt. Wir streben eine Aufgabenverteilung an, bei derie Zuständigkeit für lokale Schadensereignisse bei denommunen bzw. beim Land liegt – das betrifft nach wieor die überwiegende Mehrheit der Fälle –, bei der dieuständigkeit für Großschadensereignisse innerhalb ei-
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Hartfrid Wolff
nes Bundeslandes bei den Ländern verbleibt und bei derdie Zuständigkeit für den hoffentlich extrem seltenenFall länderübergreifender Schadenslagen beim Bundliegt. Die Elbeflut macht nicht vor Ländergrenzen halt.
Großflächige Stromausfälle, wie wir sie zum Beispiel imFalle der Emsfähre erlebt haben, hatten zur Überra-schung vieler, damals übrigens auch zu Herrn BosbachsÜberraschung, sogar internationale Auswirkungen.Innerhalb dieses Rahmens sind die Ressourcenverant-wortung und die Zusammenarbeit zu regeln, um schnellst-möglich und effektiv helfen zu können. Ein neues, zeit-gemäßes Ausstattungskonzept ist dabei ohne einenschlagkräftigen und wirkungsvollen Beitrag des Bundesnicht denkbar. Die Konzentration des Bundes auf die Be-reitstellung von Spezialressourcen für Sonderlagen darfnicht zu einem schleichenden Rückzug aus der Flächeführen. Das ehrenamtliche Engagement ist die bürger-schaftliche Grundlage für die Sicherheit der Bürgerinnenund Bürger in Deutschland. Dieses Ehrenamt ist die tra-gende Säule für unsere Sicherheit, für den Bevölke-rungsschutz.
An dieser Stelle muss ich sagen: Das Zivilschutzge-setzänderungsgesetz, das Sie vorlegen, ist in gewisserWeise tatsächlich ein Schritt in die richtige Richtung.Wir brauchen eine größere Kultur der Anerkennung derHelfer;
ich glaube, hier sind wir uns einig. Wir brauchen einegezielte Öffentlichkeitsarbeit, auch zur Sensibilisierungder Bevölkerung.
Und wir brauchen eine zeitgemäße Ausstattung vor Ortund finanzielle Anreize zur Übernahme ehrenamtlicherVerantwortung. Dass der Finanzminister die Rettungsor-ganisationen, als es damals im Zusammenhang mit denPauschalen um die Unterstützung des Ehrenamtes ging,leider vergessen hat, war aus meiner Sicht nicht hilf-reich. Was hilft, sind eine bessere und koordinierte Aus-bildung, moderne Risikomanagementmethoden und vorallem mehr Forschung.Die FDP wird auch in den Ländern weiter für ihrKonzept werben. Wir fordern auch die Bundesregierungauf, dies noch deutlicher, zielbewusster und intensiverzu tun als in der Vergangenheit. Wir wissen, dass Sie zu-nächst ganz andere Vorstellungen hatten als jetzt in Ih-rem Gesetzentwurf zum Vorschein kommt. Wir solltenan diesem Thema dranbleiben. Im Sinne der Sache rateich Ihnen dringend: Machen Sie weiter!
Für die SPD-Fraktion gebe ich dem Kollegen Gerold
Reichenbach das Wort.
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Wir wollen Ihnen helfen, diese zu beenden: Wir werdenden Antrag ablehnen.Der Bundestag ist nicht der richtige Ort für diesenAntrag. Der richtige Ort wären die Länderparlamente.Wenn Sie es schaffen würden, Ihren Antrag in den Parla-menten all der Länder, in denen Sie mit Regierungsver-antwortung tragen, zur Abstimmung zu bringen, wärenwir einen entscheidenden Schritt weiter. Unsere Unter-stützung dabei hätten Sie. Doch solange dies nicht ge-lungen ist, muss sich unsere Gesetzgebung in den vorge-gebenen Strukturen bewegen.Trotzdem werden wir mit diesem Gesetz den Zivil-schutz und die Katastrophenhilfe des Bundes hinsicht-lich des Schutzes unserer Bevölkerung besser auf dieveränderten Rahmenbedingungen, Herausforderungenund Gefahren ausrichten können. Dieses Gesetz ist einSchritt im Rahmen dessen, was politisch möglich ist.Wir versetzen den Bund mit diesem Gesetz in die Lage,auf Anforderung des betroffenen Landes oder der betrof-fenen Länder Koordinierung und Ressourcenmanage-ment zu übernehmen. Wir geben dem Bund die Möglich-keit, die zur Vorbereitung notwendigen Daten zuerheben. Um dem Missverständnis vorzubeugen, hierwerde Datenschutz abgebaut, sage ich: Es geht um Res-sourcen wie Sandsäcke oder Gerät, um Daten für dieAlarmierung von Spezialisten und um Daten im Hin-blick auf das Risikopotenzial von Überschwemmungs-gebieten oder Anlagen.Wir gelangen mit diesem Gesetz zu einer Präzisierungder Zusammenarbeit von Bund und Ländern auf derGrundlage der Amts- und Katastrophenhilfe. So wirdnoch einmal ausdrücklich festgehalten, dass die Einrich-tungen und Vorhaltungen des Bundes für den Zivilschutzden Ländern auch bei Naturkatastrophen und besondersschweren Unglücksfällen zur Verfügung stehen.Die Katastrophe an der Elbe hat Schwächen in Füh-rung und Management offengelegt, die insbesonderedurch fehlende Einheitlichkeit sowie durch mangelndeÜbung und Ausbildung verursacht waren. Bereits unterRot-Grün sind wir diese Mängel angegangen, unter an-derem durch die Gründung des BBK, durch abgestimmteAus- und Fortbildungsmaßnahmen sowie durch länder-übergreifende Krisenmanagementübungen wie LÜKEx.Letztere werden nun im Gesetz verankert.Die von Bund und Ländern unter Otto Schily verein-barte neue Strategie zum Schutz der Bevölkerung orien-tiert sich sinnvollerweise nicht mehr am Zivilschutz,sondern an den Gefährdungslagen. Dem daraufhin zwi-schen Bund und Ländern im Sommer 2007 vereinbartenneuen Ausstattungskonzept geben wir jetzt eine gesetzli-che Grundlage, soweit es sich an den Zivilschutzaufga-ben des Bundes orientiert.Die ergänzende Ausstattung des Bundes für den Zivil-schutz, die den Ländern zur Verfügung gestellt wird,ksjldfDdsREedmzghazsnguSstsvzlgbmsgadawkjrldJdfkcwR
Wir kommen bei der Vorbereitung auf mögliche Kata-trophenlagen einen wichtigen Schritt weiter. Bereits un-er Rot-Grün wurde eine gemeinsame Erstellung von Ri-ikoanalysen zwischen Bund und Ländern vereinbart. Imorliegenden Gesetzentwurf verpflichtet sich der Bund,usammen mit den Ländern die gemeinsame Risikoana-yse zu erstellen und fortzuschreiben.Auf das Drängen der SPD-Fraktion hin wurde zu-leich verankert, dass über diese jährlich dem Parlamenterichtet wird. Daher werden wir uns in Zukunft regel-äßig mit den zivilen Gefahren und Bedrohungen be-chäftigen. Dieser Bereich der Sicherheit hat in der Ver-angenheit ja oft darunter gelitten, dass er zwarnlässlich aktueller Katastrophen, wie zum Beispiel aner Oder oder Elbe, sehr im Fokus des Interesses stand,ber mit dem sinkenden Pegel, um im Bild des Hoch-assers zu bleiben, auch sehr schnell der Aufmerksam-eitspegel sank.Dass sich der Deutsche Bundestag ab dem Jahre 2010ährlich mit diesen Themen beschäftigt, ist auch ein kla-es Zeichen an die rund 2 Millionen haupt- und zum al-ergrößten Teil ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer,ie sich täglich bei den Feuerwehren, dem DRK, derUH, dem Malteser Hilfsdienst, dem ASB, der DLRG,em THW, den Rettungsdiensten und in den Behördenür unser aller Sicherheit einsetzen.
Wir als Parlament werden ihrem Gebiet in Zukunftontinuierlich unsere Aufmerksamkeit widmen. Glei-hes gilt für die Ergebnisse der Schutzkommission. Weilir wissen, dass das ehrenamtliche Engagement dasückgrat unseres Zivil- und Katastrophenschutzes ist,
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Gerold Reichenbachhaben wir dessen Förderung explizit in den Gesetzent-wurf aufgenommen. Das halte ich vor allem vor demHintergrund der Herausforderungen, die durch den ge-sellschaftlichen und demografischen Wandel an dieseehrenamtliche Basis gestellt werden, für besonderswichtig.Der Gesetzentwurf ist ein Schritt in die richtige Rich-tung, und ich hoffe, dass wir weiterdenken und dass sichBund und Länder zu weiteren Schritten durchringen, umden Gefahren und Bedrohungen der heutigen Zeit ge-recht zu werden. Die Planungen des Bundes und seineLeistungen gegenüber den Ländern dürfen nicht dauer-haft auf den engen Rahmen der reinen Zivilverteidigungund Amtshilfe beschränkt bleiben. Wir halten dies insbe-sondere im Interesse der Helfer der Feuerwehren und derHilfsorganisationen und der betroffenen Bevölkerungfür notwendig.Ich kann Ihnen versichern, dass wir Sozialdemokratenauch in Zukunft in unserem Bemühen nicht nachlassenwerden, uns noch besser auf die geänderten Bedrohun-gen und Gefahren einzustellen, um unsere Bürger in ei-ner modernen, hoch vernetzten Gesellschaft bestmöglichzu schützen.Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Die Kollegin Petra Pau, Fraktion Die Linke, und die
Kollegin Silke Stokar von Neuforn, Bündnis 90/Die
Grünen, haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Ich
schließe deshalb die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Zivilschutzgesetzes.
Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11780, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
16/11338 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen.
– Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koali-
tion bei Enthaltung der Opposition angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der
Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen.
Tagesordnungspunkt 12 b. Beschlussempfehlung des
Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der FDP
mit dem Titel „Bevölkerungsschutzsystem reformieren –
Zuständigkeiten klar regeln“.
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p1) Anlage 5
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Das Wort hat der Kollege Reinhard Grindel von der
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieroße Anfrage der FDP-Fraktion ist zwei Jahre alt, dientwort der Bundesregierung über ein Jahr alt. Frauollegin Laurischk, ich glaube, wenn man betrachtet,as sich in der Zwischenzeit getan hat, dann kann manahrlich behaupten – gerade auch mit Blick auf Integra-ionsmaßnahmen für Mädchen und Frauen –: So viel In-egration gab es noch nie.Die Lebenssituation von Mädchen und Frauen zu ver-essern und Gleichberechtigung zu verwirklichen, istines der zentralen Anliegen des Nationalen Integra-ionsplans. Der Bund hat dabei mit der Umsetzung zahl-eicher Selbstverpflichtungen begonnen. Für uns alsDU/CSU ist klar, dass ohne angemessene Berücksich-igung der Rolle von Frauen und Mädchen im Integra-ionsprozess, ihrer besonderen Probleme und ihrer spezi-ischen Bedürfnisse Integration nicht gelingen kann.iele von ihnen tragen elterliche Verantwortung. Oft-als sind gerade sie es, die den Erfolg oder Misserfolger Integration der nachfolgenden Generationen prägen.Sie haben zu Recht die Studie des Berlin-Instituts fürevölkerung und Entwicklung zur Lage der Integrationn Deutschland angesprochen. Dort werden viele posi-ive Beispiele gelungener Integration aufgezeigt, aberuch auf die Probleme hingewiesen, die wir insbeson-ere bei Migranten türkischer Herkunft haben.Dort ist unter anderem zu lesen:Ein Nachteil dieser Gruppe ist ihre Größe: Weil esvor allem in Städten so viele sind, fällt es ihnenleicht, unter sich zu bleiben. Das erschwert geradezugewanderten Frauen, die häufig nicht erwerbstä-tig sind, die deutsche Sprache zu erlernen. Damitfehlt auch den Kindern eine wesentliche Vorausset-zung für gute Integration.eshalb haben wir die fachliche Ausrichtung der Inte-rationskurse erheblich verändert und spezielle Frauen-urse vorgesehen, die mit Kinderbetreuung durchgeführterden.Ich will die neuesten Zahlen, die sich nicht in der Ant-ort der Bundesregierung befinden können, gerne nochinmal erwähnen: Bis einschließlich 30. September 2008
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Reinhard Grindelhaben sich 42 000 Personen für Eltern- und Frauenkurseangemeldet, und für die Kinderbetreuung wurden alleinim Jahr 2008 467 000 Betreuungsstunden in Anspruchgenommen. Der Bund hat dafür 6,8 Millionen Euro auf-gewandt. Das ist praktische Integrationsarbeit, die es indieser Intensität für Frauen und ihre Kinder so noch niegegeben hat. Darauf können wir als Große Koalitionstolz sein.
Sie haben das Thema „schwieriger Spracherwerb beiFrauen“ angesprochen. Sie haben auch angesprochen,dass wir jetzt den Nachweis von einfachen Deutsch-kenntnissen zur Auflage vor dem Familiennachzug ma-chen. Gerade weil gestern in einer Gesprächsrunde vonMitgliedern des Innenausschusses mit Menschenrechts-organisationen von einer gewissen Dramatik die Redewar, will ich noch einmal die neuesten Zahlen zu diesemThemenkomplex nennen: Im Jahr 2007 sind 32 466 Visazum Zwecke des Ehegattennachzugs erteilt worden. ImJahr 2008 waren es 30 767 Visa, also ein Rückgang vonnur 5,2 Prozent. Hauptherkunftsland für den Ehegatten-nachzug ist die Türkei. Rund die Hälfte des Rückgangsbei den Visa zum Ehegattennachzug betrifft türkischeStaatsangehörige.Da wir wissen, dass fast alle, die sich bei den Goethe-Instituten um einen Sprachnachweis bemühen, den ent-sprechenden Test auch bestehen, ist für mich klar, dasswir an dieser Stelle davon ausgehen können, dass wireine Reihe von Zwangsehen verhindert haben.Ich will aber im Zusammenhang mit dem Spracher-werb deutlich machen, dass diese Maßnahme, die wirgemeinsam beschlossen haben, über die Bekämpfungvon Zwangsehen hinaus eine integrationspolitische Be-deutung hat; denn in den Kursen der Goethe-Institutewird nicht nur Sprachkompetenz, sondern werden auchKenntnisse über Deutschland und den Lebensalltag inunserem Land vermittelt. Die Frauen, die zu uns kom-men, sind also viel besser auf ihr neues Leben in unse-rem Land vorbereitet. Es kommt darauf an, dass wir siein die Lage versetzen, einer Berufstätigkeit nachzuge-hen, ihren Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen unddamit den Bildungshunger ihrer Kinder zu wecken undnicht zuletzt etwas über unser Wertesystem zu erfahrenund eine patriarchalische Rollenverteilung nicht wider-spruchslos zu akzeptieren.In diesem Zusammenhang will ich auf ein bemer-kenswertes Interview von Cem Özdemir, dem Vorsitzen-den der Grünen, in der taz vom 27. Januar dieses Jahreshinweisen. Darin sagt er:Vielen der Zugewanderten, besonders aus der Tür-kei, ist die Bedeutung guter Bildung für ihre undunsere Kinder nicht ausreichend bewusst … Wennes nicht mit den Eltern geht, dann muss man esauch gegen sie machen … Wenn in einer Familieein archaisches Bild der Rollenverteilung vonMann und Frau gepredigt wird, dann müssen wir inLsZjnPvvFcdsseisnKtmgWgwdFrlmggLEggMzGwsebdbAdell
Wir verbessern auch die berufliche Perspektive vonrauen mit Migrationshintergrund. Mit der Qualifizie-ungsoffensive wollen wir die Anerkennung von im Aus-and erworbenen Abschlüssen zügig verbessern. Wirüssen endlich die Kompetenzschätze heben, über dieerade Frauen mit Migrationshintergrund verfügen. Esibt – darauf wird in der Studie und auch von Frauaurischk in ihrer Rede zu Recht hingewiesen – sehr guterfolge bei den Bildungskarrieren von Migrantinnen. Esibt mehr Mädchen als Jungen türkischer Herkunft in derymnasialen Oberstufe. Die Zahl der Studentinnen mitigrationshintergrund wächst kontinuierlich. Das ist nuru begrüßen. Ich möchte erwähnen, dass wir bei den dreiipfeltreffen zum Nationalen Integrationsplan – dieseurden von Maria Böhmer ganz maßgeblich beeinflusst –ehr intensiv das Gespräch mit Migrantinnen und Frau-norganisationen gesucht haben. Es hat extra einen Ar-eitskreis gegeben, der sich intensiv mit der Lebenswelter Frauen sowie der Wirklichkeit in Schule und Berufefasst hat. Man kann sagen – das alles konnte in dientwort der Bundesregierung nicht aufgenommen wer-en –, dass wir der Integration von Mädchen und Frauenine besondere Bedeutung beimessen.Integration gelingt nicht von allein. Sie muss von al-en staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren ge-ebt werden. Dazu gehört, die Menschen, die aus ver-
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Reinhard Grindelschiedensten Motivationen heraus ihre Heimat verlassenhaben, um hier zu leben, willkommen zu heißen.Sie müssen am gesellschaftlichen Leben teilhabenkönnen, ihre Leistungen müssen Anerkennung finden.Deshalb wurden durch die Arbeit am Nationalen Integra-tionsplan und durch die Deutsche Islamkonferenz neueImpulse für den Dialog mit Migrantinnen und Migrantengesetzt, und es wurde nicht nur über sie geredet.Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionenhaben eine breite Basis für die direkte und vertrauens-volle Zusammenarbeit mit Menschen aus Zuwandererfa-milien geschaffen. Wir brauchen sie als Partner, um un-sere gemeinsame Zukunft zu gestalten. Wenn auchweiterhin – das ist keine Frage – viel zu tun bleibt, sozeigt doch die große Resonanz dieser Aktivitäten und diedadurch angeregte Diskussion in der Öffentlichkeit, dassunsere Intention angekommen ist. Ich möchte hier be-sonders die Leistung der Beauftragten für Integration,unserer Staatsministerin Maria Böhmer erwähnen. Siesteht auch ganz persönlich dafür, dass Frauen und Mäd-chen ganz oben auf der Tagesordnung stehen, wenn esum Integration und den gelebten Zusammenhalt in unse-rer Gesellschaft geht.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Sevim Dağdelen von
der Fraktion Die Linke.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Lieber Herr Grindel, es war nichtanders zu erwarten: Sie haben, als Sie aus der Studie desBerliner Instituts zitierten, das zitiert, was Ihnen oppor-tun erschien, aber nicht das, was darüber hinaus darinstand. Sie haben gesagt, dass vor allem die Sprachewichtig ist, und die Situation geschildert. Sie haben aberversäumt, zu sagen, dass es bei Menschen mit Migra-tionshintergrund gerade der ausländische Pass ist, derdie Arbeitsvermittlung erschwert. Bei all den Punkten istdie Mehrheitsgesellschaft gefordert, offener auf die Mi-granten zuzugehen, um deren Potenziale für die Gesell-schaft besser zu nutzen. Es steht auch in dieser Studie,dass kostenlose Kindergartenplätze und pädagogisch ge-schultes Personal zur Sprachförderung in den Kindergär-ten unerlässlich sind, und es steht in der Studie, dassSchulen zu ganztägig offenen Integrationszentren ausge-baut werden sollen, wie es die Linke seit eh und je for-dert. Außerdem spricht sich die Studie für eine Einbür-gerung von hier Geborenen nach dem Ius-Soli-Prinzipaus, wie es in Frankreich oder in den Vereinigten Staatenüblich ist, um sie von Anfang an willkommen zu heißenund ihnen zu zeigen, dass sie gebraucht werden. Genaudas wollen Sie verhindern. Sie wollen sogar das Op-tionsmodell abschaffen und wieder zum Abstammungs-prinzip kommen.DAF1oBMüsa6EgasAdfIvAshSLkKrihebdFrwMshZwSSdrgkhwK
as haben Sie, Herr Grindel, hier zu sagen versäumt.In der Antwort der Bundesregierung auf die Großenfrage wird festgestellt, dass die Erwerbsquote vonrauen ohne Migrationshintergrund im Durchschnitt um0,6 Prozentpunkte höher als von Frauen mit Migrati-nshintergrund ist. Kein Wort aber davon, dass dies zumeispiel in den 70er-Jahren umgekehrt war. Da wiesenigrantinnen eine Erwerbsbeteiligung auf, die erheblichber der deutscher Frauen lag. Dies galt laut Statisti-chem Bundesamt gleichfalls für verheiratete Frauenusländischer Nationalität. Ihre Erwerbsquote lag mit4 Prozent gleichfalls wesentlich höher als die deutscherhefrauen mit 40 Prozent. Frauen mit Migrationshinter-rund wurden und werden zunehmend aus der Erwerbs-rbeit gedrängt, so heißt es, und in geringfügige Be-chäftigung, ungeschützte Arbeitsverhältnisse sowierbeitslosigkeit und den Verzicht auf Erwerbsarbeit ge-rängt. Zum Teil arbeiten sie weit unterhalb ihres Quali-ikationsniveaus. Herr Grindel, Sie sagten, man müssentegrationsschätze heben. Das hat die Bundesregierungor einer Stunde nicht gemacht. Sie hat einen Antrag zurnerkennung von Bildungs- und akademischen Ab-chlüssen, die im Ausland erworben wurden, wovon einealbe Million Menschen betroffen ist, gerade Frauen,pätaussiedler, russische Ärztinnen, die hier in diesemande putzen müssen, weil ihre Abschlüsse nicht aner-annt werden, abgelehnt. Daran möchte ich Sie erinnern.Das Problem ist auch, dass gerade Migrantinnen mitindern oftmals in gewalttätigen Beziehungen aushar-en, um ihr Aufenthaltsrecht nicht zu verlieren. Da sagech: Wenn die Bundesregierung einen Integrationswillenätte, dann müsste sie doch für ein eigenständiges Auf-nthaltsrecht dieser Frauen streiten und ihnen dieses ge-en,
amit sie nicht in diesen Gewaltbeziehungen enden.
erner werden Übermittlungspflichten von der Bundes-egierung nicht aufgehoben, was Frauen, die illegalisierterden, Frauen ohne Papiere in Deutschland betrifft.it der Aufhebung könnte man diesen Frauen helfen,ich in die Gesellschaft zu integrieren. Im Zusammen-ang mit der Diskussion über Zwangsverheiratung undwangsehen haben Sie durch die Novellierung des Zu-anderungsgesetzes den Ehegattennachzug erschwert.ie konnten aber bisher nicht einen Fall benennen, woie die Zwangsverheiratung bzw. die Zwangsehe verhin-ert hätten. Ich möchte an die Sachverständigenanhö-ung im Familienausschuss erinnern, wo zum Beispielesagt wurde: Was die Frauen brauchen, ist ein Rück-ehrrecht. – All das wurde von der Bundesregierung bis-er nicht umgesetzt. Wenn Sie etwas für die Frauen tunollen, bitte ich Sie, dies zu tun. Die Fakten und dieonzepte liegen auf dem Tisch.
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Sevim DaðdelenSevim Dağdelen
Bedauerlich ist auch – damit komme ich zumSchluss –, dass die Bundesregierung nur das tut, was siein der Vorbemerkung geschrieben hat, nämlich:… die … zur Verfügung stehenden Kenntnisse überdie Situation von Frauen mit Migrationshintergrundin der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen dergestellten Fragen zusammenfassend darzustellen.Und so beschreibt sie eine desaströse soziale Situa-tion von Migrantinnen. Doch die Zusammenhänge mitder eigenen Politik werden mit dem Deckmäntelchen desVerschweigens von Ursache und Wirkung verdeckt. Aufdiese Weise sind wir von einer Lösung weit entfernt.
Das Wort hat jetzt der Kollege Rüdiger Veit von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DerSchweizer Theologe und Literaturhistoriker Vinet hat– wenn allerdings auch schon vor mehr als 150 Jahren;so lange ist er nämlich bereits tot – zu Recht gesagt:„Das Schicksal des Staates hängt vom Zustand der Fami-lien ab.“ Frau Laurischk, ich stimme Ihnen ausdrücklichzu, dass die Frauen in diesem Bereich eine zentrale Rolleeinnehmen.Wenn es um die Fragen der Integration, der Sozialisa-tion und der Erziehung der Kinder in Migrantenfamiliengeht, haben Frauen möglicherweise sogar noch eine stär-kere Rolle inne, als das bei einheimischen Familien derFall ist. Damit möchte ich aber kein klassisches Rollen-bild perpetuieren, sondern nur eine Vermutung äußernund unterstreichen, wie wichtig das ist.Insofern ist es verdienstvoll, dass Sie sich mit Ihrer inder Tat sehr umfänglichen Großen Anfrage mit 83 Fra-gen an die Bundesregierung gewandt haben. Die Bun-desregierung hat sie mit Mühe und Sorgfalt bearbeitet;es sind fast 100 Seiten Material. Die Sache hat für dieheutige Debatte aber einen nicht ganz unwesentlichenNachteil: Sowohl die Fragestellungen als auch die Ant-worten der Bundesregierung sind ein bisschen veraltet,nämlich zwei bzw. ein Jahr. In der Zwischenzeit hat sicheiniges getan.Liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen Sie bittedaran teil, wie ich versuche, richtig auszukosten, dassich mit den Ausführungen des Kollegen ReinhardGrindel von der CDU konform gehe.
– Sie können diese Freude und diese Teilhabe, wie ichfinde, auch noch ein bisschen emphatischer äußern. –rzgBdbfuMuuloaIuSdBnz–IbfMadaiemt
Er hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Bundes-egierung und die Koalitionsfraktionen in der Zwischen-eit einige Integrationsmaßnahmen angestoßen und um-esetzt haben. An dieser Stelle kommt Frau Professoröhmer und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern iner Tat eine ganz zentrale Rolle zu. Dafür wollen wir unsei dieser Gelegenheit bedanken.
Der historischen Wahrheit halber sei aber hinzuge-ügt, dass die Frage der Integration sowohl der neu zuns kommenden als auch der bereits bei uns lebendenigrantinnen und Migranten
rsprünglich von der rot-grünen Mehrheit
nd einer Regierung, die von ihr getragen wurde, veran-asst worden ist. Insofern freuen wir uns – das sage ichhne Zynismus und Häme –, dass sich jetzt eigentlichlle in diesem Haus in Bezug auf die Realisierung vonntegrationsmaßnahmen mehr oder weniger einig sindnd gemeinsam an einem Strang ziehen.Im Übrigen muss an dieser Stelle gesagt werden:elbst wenn wir das Urheberrecht haben, ist es das Ver-ienst der Bundeskanzlerin und der Staatsministerinöhmer, dass wir dieses Thema im Rahmen des Natio-alen Integrationsgipfels aufgegriffen und Konsequen-en gezogen haben.
Darauf komme ich noch zu sprechen, Frau Kollegin. –ch erinnere nur einmal daran, dass wir das Sprachange-ot erheblich verbessert haben, nämlich auf einen Um-ang von bis zu 900 Unterrichtsstunden, und dass wir dieöglichkeit geschaffen haben, 300 weitere Stunden zubsolvieren.
Ich sage an dieser Stelle aber auch Folgendes – dennas darf nicht vergessen werden –: Gerade im Hinblickuf die Teilnahme von Migrantinnen an solchen Kursenst es unabdingbar, dass eine qualifizierte und einfachrreichbare Kinderbetreuung sichergestellt wird. Ichahne die Bundesländer ausdrücklich, ihre Verpflich-ungen auf diesem Gebiet einzuhalten.
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Rüdiger VeitAnsonsten ist in der Tat einiges auf den Weg gebrachtworden: auf dem Integrationsgipfel und bei den nachfol-genden Zusammenkünften sowie in den vielseitigenSelbstverpflichtungen, die eingegangen worden sind; ichwill das nicht alles wiederholen.Zusammenfassend kann man etwas salopp sagen: DerIntegrationsgipfel hat jedenfalls aus unserer Sicht nur ei-nen einzigen Nachteil: Auch Rot-Grün hätte seinerzeitauf die Idee kommen können, so etwas zu veranstalten.
Das Gleiche gilt übrigens für die vom Bundesinnenmi-nister durchgeführte Islam-Konferenz.Aber zurück zum Thema. Die Frage 10 der GroßenAnfrage greift ein wichtiges Problem auf. Die Antwortdarauf fällt unzureichend aus; sie muss unzureichendausfallen. Sie werden sich nicht wundern, wenn ich im-mer wieder auf die gleichen drei Themen komme, diemich hier ganz besonders bewegen:Erstens geht es um die Frage, inwieweit geradeFrauen und ihre Familien, vorzugsweise alleinstehendeund alleinerziehende Frauen, die sich schon lange inDeutschland aufhalten, von der Bleiberechtsregelung derInnenministerkonferenz oder von derjenigen in dem Ge-setz, das wir geschaffen haben, profitieren können. Da-bei ist der Kern der Frage, inwieweit sie in der Lage seinwerden, sich ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel,jedenfalls höchstens unter teilweiser Inanspruchnahmesolcher Mittel, zu ernähren und den Unterhalt ihrer Fa-milien zu bestreiten. Da müssen wir noch einmal ganzbesonders sorgfältig hinschauen.Auch wenn die Bundesregierung in der Antwortschreibt, es gebe keine statistischen Daten darüber, weildas Geschlecht derjenigen, die einen Antrag stellten,nicht erfasst werde, werden wir im Vollzug der Altfall-und Bleiberechtsregelungen darauf achten müssen, dassinsbesondere alleinstehende Frauen und alleinerziehendeMütter dabei nicht durch den Rost fallen, weil sie nichtin der Lage sind, eine adäquate Erwerbstätigkeit auszu-üben. Ich wäre Ihnen allen dankbar, wenn wir uns aufdiesen Punkt konzentrieren würden.Zweitens. Übermittlungspflichten bei Illegalen. Dazuschweigen sowohl diejenigen, die die Große Anfrage ge-stellt haben, als auch natürlich die Antwort. DiesePflichten sind, wie Sie alle oder jedenfalls diejenigen ausdem Innenausschuss wissen, nach wie vor ein wichtigesThema. Dazu gibt es gerade in jüngster Zeit ein sehr un-rühmliches Beispiel aus Hamburg. Die Magdalena ausBolivien, die sich bereits elf Jahre lang in der Bundesre-publik aufhält und kurz vor Abschluss des zehntenSchuljahres steht, wird durch das Hamburger Schulregis-ter, das dort eingeführt worden ist, als statuslos entdecktund muss natürlich fortan genauso wie ihre Familie unterder Bedrohung leben, sofort abgeschoben zu werden.In Berlin werden Überlegungen dazu angestellt, ent-sprechende Register einzuführen, oder sind bereits inUmsetzung begriffen, was jugend- und kinderpolitischvielleicht durchaus seinen Sinn hat. Liebe KolleginnenuFtdwÜswSndkpwAgsKnstddendnNAVDvakimRVddebiwB
ichts, aber auch gar nichts weist darauf hin, dass diesennahme berechtigt ist.
iel schlimmer ist noch – hier liegt ein ganz erheblichesefizit –: Wir haben uns in einem wichtigen Punkt nichterständigen können. Das bedauere ich nach wie vor. Ichppelliere an Sie, Ihre Position noch einmal zu überden-en. Gerade was die Opfer von Zwangsverheiratungenm Ausland angeht,
achen wir uns mit der sechsmonatigen Frist für dieückkehrmöglichkeit nach Deutschland praktisch zumollstrecker derjenigen, die andere mit Zwangsheirat be-rohen. Bei moralischer Betrachtung erkennt man: Dasarf sich der Gesetzgeber, dieses Haus, unser Staat nichtrlauben.
Wenn eine junge Frau, etwa eine sogenannte Urlaubs-raut, die im Urlaub zwangsverheiratet worden ist, durchhren zwangsverheirateten Mann, dessen Familie oderen auch immer zunächst daran gehindert wird, in dieundesrepublik zurückzukehren, um sich vielleicht hier
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009 21903
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Rüdiger Veitaus ihrer misslichen Situation zu befreien, dann darf esnicht sein, dass wir ihr sagen: Wenn du es nicht inner-halb von sechs Monaten geschafft hast, bleibst du drau-ßen und deinem Schicksal überlassen. Wer es mit derBekämpfung von Zwangsheirat wirklich ernst meint,muss an dieser Stelle ansetzen.
Ich komme zum Schluss. Ich bitte darum, dass wiralle noch einmal darüber nachdenken, die entsprechendegesetzliche Vorschrift zu ändern. Wir sollten die Kraftdazu haben; sonst sind wir an dieser Stelle nicht glaub-würdig.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkthat jetzt das Wort die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieAntwort auf die Große Anfrage zeigt, dass die Bundesre-gierung in vielen Bereichen jetzt endlich handeln muss.Die Förderung der Integration von Migrantinnen ist fürdie Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, wie siegerne sagt, eine Herzensangelegenheit. Darum frage ichmich: Wo bleibt das Herz? Vor allen Dingen: Wo bleibtdas Geld für die Umsetzung des Nationalen Integrations-plans? Von den 134 abgegebenen Selbstverpflichtungenwill der Bund nur 19 migrantinnenspezifische Verpflich-tungen finanzieren.Gleichzeitig hat die Große Koalition unter den Augenvon Ihnen, Frau Böhmer, ausgerechnet die Haushalts-mittel für die niedrigschwelligen Kurse für besondersschwer erreichbare Migrantinnen um nicht weniger als40 Prozent gekürzt.
Herr Grindel sagt dazu: So viel Integration gab es nochnie. Ich finde das den schwer erreichbaren Migrantinnengegenüber zynisch und heuchlerisch.
Wir wissen: Viele Frauen in Deutschland erleben re-gelmäßig körperliche, sexuelle oder psychische Gewalt.Zahlreiche Studien zeigen, dass Frauen mit Migrations-hintergrund besonders stark von Gewalt betroffen sind.Dies ist, wenn wir über die Integration von Migrantinnensprechen, ein wichtiges Thema, das die Integrationsbe-auftragte, wie eine Kleine Anfrage der Grünen gezeigthat, jedoch völlig vernachlässigt.Frauenhäuser sind für diese Frauen die zentrale An-laufstelle. Ich möchte an die Forderungen der Sachver-ständigen bei der kürzlich stattgefundenen Anhörung er-ibSnwulLahgghsw–BznzEtVbd–rkmzEnv4GSdIZe
Auch in dem Entwurf der Bundesregierung für Ver-altungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz finden wir entgegen der vollmundigen Ankündigung von Frauöhmer in ihrem 7. Lagebericht – keine Klarstellungenu den strittigen Punkten. Sie haben auch nichts unter-ommen, um die deutschen Auslandsvertretungen dazuu befähigen, zwangsverheiratete Migrantinnen bei derinreise in ihre deutsche Heimat unbürokratisch zu un-erstützen.Das Einzige, was Sie vorgenommen haben, war dieerschärfung beim Ehegattennachzug. Kollege Grindelehauptet – ähnlich wie Kollege Uhl –, sie bewahrtenadurchHunderte, wahrscheinlich Tausende von Frauendavor ..., hier in Deutschland in einer Zwangseheleben zu müssen.
Herr Grindel, diese Zahlen sind, wie die Bundesregie-ung auf unsere Anfrage hin einräumen musste, voll-ommener Humbug. Vielleicht setzen Sie sich einmalit der Bundesregierung in Verbindung.Ich stelle fest: Die Verschärfung beim Ehegattennach-ug ist ein Eingriff in den grundrechtlichen Schutz derhe, der weder geeignet noch erforderlich noch verhält-ismäßig ist, um den sogenannten Import von zwangs-erheirateten Ehegatten zu verhindern.Ich will etwas zu Ihren Sprachanforderungen sagen:1 Prozent aller nachzugswilligen Ehegatten wurde dasrundrecht auf Familieneinheit verwehrt, weil sie denprachtest im Herkunftsland nicht bestanden haben.Diese Zahlen wundern Sie; Sie haben etwas ganz an-eres geäußert.
ch frage Sie: Wurde hierdurch wirklich eine einzigewangsehe verhindert? Nein; dieses Instrument dientinzig und allein dazu, den von Ihnen ungeliebten Zu-
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Irmingard Schewe-Gerigkwanderungskanal des Ehegattennachzugs insgesamt zuunterminieren.Meine Damen und Herren von der Großen Koalition,Sie sind bei Ihrem Ansatz, Zwangsehen durch den Ehe-gattennachzug bekämpfen zu wollen, einer fixen Ideeaufgesessen.
Ich staune, wie emotional, ja geradezu fanatisch Sie aufdie sachlichen Erfahrungsberichte des Verbandes bina-tionaler Familien oder auf die Kritik des Deutschen In-stituts für Menschenrechte reagieren. Für mich ist dasein Indiz, wie sehr Sie Integrationspolitik mit ideologi-schen Scheuklappen betreiben.Ich danke Ihnen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpas-
sung eisenbahnrechtlicher Vorschriften an die
Verordnung Nr. 1371/2007 des Europäi-
schen Parlaments und des Rates vom 23. Ok-
tober 2007 über die Rechte und Pflichten der
Fahrgäste im Eisenbahnverkehr
– Drucksache 16/11607 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Tourismus
Federführung strittig
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Dr. Günter
Krings, CDU/CSU, Marianne Schieder, SPD, Mechthild
Dyckmans, FDP, Dorothée Menzner, Die Linke,
Dr. Anton Hofreiter, Bündnis 90/Die Grünen, und für die
Bundesregierung um die Rede des Parlamentarischen
Staatssekretärs Alfred Hartenbach.
Angesichts der großen Sorgen auf dem Arbeitsmarkt
und in der Wirtschaft beschäftigen die Menschen in
Deutschland nach wie vor auch die kleineren Sorgen des
Alltags. Wer zu einem dringenden geschäftlichen oder
privaten Termin unterwegs ist und dabei umweltfreund-
lich oder aus Kostengründen die Bahn benutzt, ist auf
eine pünktliche Beförderung angewiesen. Verspätungen
im Bahnverkehr sind und bleiben daher ein Ärgernis, das
wir gerade dann ernst nehmen müssen, wenn uns an einer
Stärkung des Bahnverkehrs gelegen ist.
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– Ich habe ihn gelesen und sogar verstanden.
– Teilweise. Da haben Sie recht, Herr Bürsch.Ein zweites Problem besteht in der Pflicht zur Offen-legung der Quellen im Verbotsverfahren. Hieraus erge-ben sich enorme Schwierigkeiten aufgrund des Quellen-schutzes. Denn es ist problematisch, geheime Quellen indie öffentlichen Verhandlungen einzubeziehen und derGegenseite bekannt zu geben. Die Enttarnung von gehei-men Quellen brächte erhebliche Gefahren für Leib undLeben der Informanten mit sich.Drittens ergeben sich Schwierigkeiten auch mit Blickauf die materielle Rechtslage. Es ist also durchaus wahr-scheinlich, dass die Messlatte für die Anforderungen ei-nes Parteiverbotes in unserer stabileren Demokratie inder heutigen Zeit deutlich höher gelegt würde als beidem Verbot der Sozialistischen Reichspartei 1952 oderdem Verbot der KPD 1956.In Anbetracht dieser Umstände liegt ein Scheitern ei-nes erneuten NPD-Verbotsantrages auf der Hand. Es istäußerst zweifelhaft, ob ausreichend verwertbare Be-weise zusammengetragen werden könnten. Ich bin derfesten Auffassung, dass wir dieses Risiko nicht eingehenkönnen. Der Schaden, der im Falle eines Scheiterns fürunsere Demokratie entstehen könnte, wöge erheblichschwerer, als wenn unsere Demokratie die NPD, beob-achtet vor allem durch V-Leute, ertragen muss.Jedenfalls wären wir von allen guten Geistern verlas-sen, wenn wir eine kostenlose Werbekampagne zuguns-ten der NPD starteten. Genau auf diesen Effekt hatte derVorsitzende der NPD in der Welt vom 12. Februar 2005hingewiesen.
Herr Kollege Wellenreuther, erlauben Sie eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Bürsch?
Ich bin gleich fertig. Wir können das vielleicht im
Anschluss klären.
– Ja.
Was Sie hier vortragen, kann entweder Ihre eigene
Meinung oder die Gesamtmeinung der Fraktion sein.
Frage also: Ist das, was Sie hier wiedergeben, die Mei-
nung der CDU und auch der CSU unter ihrem neuen
Vorsitzenden?
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n diesem speziellen Fall ist das die gesamte Meinung
er CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Unabhängig von der rechtlichen Bewertung bestehen
udem erhebliche Zweifel, ob ein erfolgreiches Verbots-
erfahren sinnvoll wäre; denn ein Parteiverbot führt zu
inem Organisations-, nicht aber zu einem Gedankenver-
ot. Mit dem Verfahren kann man also zwar die Partei
erbieten, nicht aber die verfassungsfeindliche und ex-
remistische Geisteshaltung ihrer Parteianhänger.
Deshalb sollte unser Hauptaugenmerk darauf liegen,
n der politischen Bildung über die Geschichte Deutsch-
ands und in der Aufklärung über die Gefahren des Ex-
remismus nicht nachzulassen. Allerdings sollten wir
en Vorschlag des niedersächsischen Innenministers
chünemann ernsthaft weiterverfolgen, festzustellen, ob
uch ohne ein Parteiverbotsverfahren rechtliche Mög-
ichkeiten bestehen, der NPD den staatlichen Geldhahn
uzudrehen.
s ist nämlich in der Tat eine schwer zu ertragende Tat-
ache, dass die Verbreitung rechtsextremistischen Ge-
ankenguts mit Staatsgeldern in Höhe von jährlich rund
,5 Millionen Euro finanziert wird. Auch wenn dieser
nsatz – ich komme damit auf das zurück, was Sie ge-
ade eingeworfen haben – schwierige rechtliche Fragen
ufwirft, sollten wir ihn trotzdem intensiv prüfen, um die
PD möglicherweise auf diese Art trockenlegen zu kön-
en.
Wenn aber ein Verbotsverfahren keine Aussicht auf
rfolg hat, dann gibt es keinen Grund, die V-Leute aus
er NPD abzuziehen. Der Einsatz von V-Leuten hat
ämlich einen großen Vorteil. Er liefert wichtige Er-
enntnisse, die über die offen beschaffbaren Informatio-
en hinausgehen – gerade auch über das gewaltbereite
pektrum der neonazistischen Szene, die mit der NPD
ng verflochten ist. Ein Abziehen der V-Leute würde da-
er zu inakzeptablen Sicherheitslücken führen. Deshalb
ehnen wir den Antrag der Fraktion der Linken ab.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Christian Ahrendt von derDP-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Ich will es vorweg sagen: Wir werden den Antrag
der Linken ablehnen. Drei Gründe sprechen dafür, die-
sem Antrag nicht zu folgen. Ich will sie kurz erläutern:
Erster Grund. Wir haben nach wie vor eine gewaltbe-
reite Neonaziszene. Die Neonaziszene ist mit der NPD
vernetzt. Vor diesem Hintergrund brauchen wir die Auf-
klärung durch V-Leute aus der Szene heraus. Wer sich an
den Versuch eines Attentats auf das Gemeindezentrum in
München 2003 erinnern kann, wird wissen, dass dieser
Attentatsversuch in erster Linie unter Mitwirkung von
V-Leuten verhindert werden konnte. Angesichts dessen
können wir nicht über Jahre darauf verzichten, V-Leute
im rechtsradikalen Bereich zu haben.
Damit bin ich beim zweiten Punkt. Wer jetzt glaubt,
dass der Abzug von V-Leuten dazu führt, automatisch
ein neues NPD-Verfahren durchzuführen, muss sich be-
wusst machen, dass das Material, das jetzt gesammelt
worden ist, nach wie vor nicht brauchbar ist. Es muss
neues Material gesammelt werden – und dies über Jahre.
Das heißt, es ergäbe sich ein großer Zeitraum, in dem
diese verfassungsfeindliche Organisation weitestgehend
unbeobachtet bliebe.
In diesem Zusammenhang wird man sich zum ande-
ren klarmachen müssen, dass sich die NPD anpassen
wird – diese Taktik ist nach dem gescheiterten Verbots-
verfahren deutlich geworden –, um einem drohenden
neuen Verbotsverfahren zu entgehen. Auch insofern ist
klar, dass ein Abschalten der V-Leute nicht zwingend zu
einem erfolgreichen Verbotsverfahren führt. Eine er-
neute Bauchlandung bei diesem Thema in Karlsruhe
kann man sich schlichtweg nicht leisten.
Damit komme ich zum dritten und entscheidenden
Punkt, der in der Diskussion immer vergessen wird: Wer
glaubt, ein Verbot der NPD führe dazu, dass man auch
die Gesinnung, die dahintersteht, verbieten könne, der
irrt.
Nach dem Attentat auf den Passauer Polizeichef, Herrn
Mannichl, haben alle geschrien: Wir brauchen ein NPD-
Verbot. – Das erweckt den Eindruck, dass es zu diesem
Attentat nicht gekommen wäre, wenn man die NPD ver-
boten hätte. Völliger Blödsinn! Tatsache ist – und das ist
das Entscheidende –, dass Sie die Gesinnung bekämpfen
müssen. Dazu ist die Politik aufgefordert. Dafür brau-
chen Sie andere Instrumente, beispielsweise das Pro-
gramm „Exit“. Die FDP-Fraktion hat in den letzten Wo-
chen gezeigt, dass sie sich dieser Aufgabe intensiv
annimmt und nicht ständig mit denselben Sachen kommt.
Es gibt im Übrigen keine einheitliche politische Wil-
lensbildung. Mit dem Antrag laufen Sie ins Leere. Sie
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Das Wort hat der Kollege Michael Bürsch von der
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
ie wertvollste Ressource, über die wir verfügen, ist die
eit. Deshalb fasse ich mich ganz kurz, halte keinen Se-
inarvortrag über die Voraussetzungen für ein NPD-
erbot und nenne keine drei Gründe, die dafür oder da-
egen sprechen, sondern bleibe sehr pragmatisch.
Es gibt einen schlichten Grund, den Antrag der Lin-
en abzulehnen: Mit ihm wird das Pferd von hinten auf-
ezäumt. Wenn ich einen Vergleich aus dem Fußball ver-
enden darf: Das ist so, als ob Sie entscheiden würden,
en Sie auf den Platz schicken oder vom Platz nehmen,
bwohl Sie noch gar nicht entschieden haben, ob Sie
berhaupt spielen wollen. Es geht erst einmal darum,
estzustellen, ob die Bereitschaft besteht, erneut einen
PD-Verbotsantrag zu stellen, und ob die Voraussetzun-
en dafür erfüllt sind. Der Innenminister des Bundes und
ie Innenminister der Länder müssen sich darüber klar
erden, ob die Fallsammlung, die zusammengestellt
orden ist, genügend Anhaltspunkte bietet, um einen
ntrag zu stellen. Nachdem man die Fakten und Fälle,
ie gesammelt worden sind, bewertet hat – dazu fordere
ch die Innenminister an dieser Stelle auf – und entschie-
en hat: „Jawohl, wir wollen einen Antrag stellen“, kann
an sich mit den Fragen beschäftigen, ob das mit oder
hne V-Leute geht und welche Voraussetzungen erfüllt
erden müssen. Diese Forderung jetzt zu stellen, ist
Entschuldigung – blanker Aktionismus, der eine klare
olitische Linie vermissen lässt. Insofern lehnen wir den
ntrag ab.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Gert Winkelmeier.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Aneinen Vorredner richte ich die Worte: Ihr eigener ehe-aliger Vorsitzender hat sich dafür ausgesprochen, diePD zu verbieten. So widersprüchlich sind die Aussa-en der Sozialdemokraten zu dieser Sache.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009 21913
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Gert WinkelmeierIm September 2000 waren sich alle im Bundestagvertretenen Parteien einig: Die Zunahme rechtsextremis-tischer Gewalt muss politische Konsequenzen haben.Was dann folgte, ist bekannt: Sehr schnell, viel zuschnell, mündete die Debatte in die Forderung, die NPDzu verbieten.
Das Ende des Verfahrens beim Bundesverfassungsge-richt war verheerend für die deutsche Politik. Die Öf-fentlichkeit hatte den Eindruck, dass die NPD von staat-lich finanzierten V-Leuten geführt wird.Wir sind uns einig, dass ein NPD-Verbot das rechts-extreme und fremdenfeindliche Gedankengut nicht ausden Köpfen treiben wird. Aber es wird schwerer, diemenschenverachtenden Theorien in der Bevölkerung zuverbreiten. Seit dem ersten Verbotsverfahren wissen wir:Die V-Leute in den Führungsgremien der NPD müssenabgeschaltet werden, weil sonst Beweise für ein Verbotjuristisch keinen Bestand haben werden. Hier halte iches mit August Bebel, der sagte: Schaut den Politikernnicht so sehr aufs Maul, schaut ihnen auf die Hände.Mit anderen Worten: Was wird konkret für die Einlei-tung eines Verbotsverfahrens getan? Kollege Edathy kri-tisiert den Antrag der Linken, in dem die Abschaltungder V-Leute gefordert wird, als polemisch und undiffe-renziert. Wo aber ist der unpolemische und differenzierteAntrag der Koalition? Er existiert nicht.
Herr Seehofer stellt in Aussicht, dass der bayerischeVerfassungsschutz die V-Leute aus der NPD abzieht,aber sein Innenminister macht genau das Gegenteil. Ent-scheidend ist, was der Bundesinnenminister und seineLänderkollegen wirklich tun. Das ist zu wenig und legtden Schluss nahe, dass die NPD geduldet werden soll. InErinnerung an die Große Anfrage der Linksfraktion ausdem Frühjahr 2007 muss man sich ohnehin fragen, wel-che Informationen geliefert werden. Zitat:Hierzu liegen der Bundesregierung keine Erkennt-nisse vor.Wenn die Antwort stimmt, dann leisten die V-Leuteüberflüssige Arbeit. Man könnte sie also getrost abschal-ten und ein neues Verfahren gegen die verfassungswid-rige NPD anstrengen.Wen schützt eigentlich der Verfassungsschutz? DieVerfassung? Die Inkompetenz der Bundesregierung?Oder gar die NPD vor einem Verbot? Es ist eine uner-trägliche Vorstellung, dass wesentliche Mitglieder derNPD-Führungsspitze mit Steuergeldern bezahlt werden.Es ist schon ärgerlich genug, dass man dieser Partei, dierassistisches Gedankengut vertritt, Wahlkampfkosten er-statten muss. Ihr aber noch freiwillig Zahlungen zu ge-ben, widerspricht dem Geist unserer Verfassung.Selbstverständlich brauchen wir mehr als ein Partei-verbot, um Rechtsextremismus, Menschenverachtungund Rassismus in unserer Gesellschaft Einhalt zu gebie-tnhdzdiFwVrdkMieehdeiäÜaitnrdMuVbvhsnEssb
ie Jugendliche gegenüber faschistischem Gedankengutmmuner macht.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulla Jelpke von der
raktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tatollen wir die V-Leute abschalten, um den Weg für einerbotsverfahren möglich zu machen. Das ist völligichtig. Herr Ahrendt, niemand in der Linkspartei glaubt,ass man damit in den Köpfen Veränderungen auslösenann. Wir glauben, dass man so einer Partei, die keineeinung vertritt, sondern die in ihren Gewalttaten undn dem, was sie propagiert, verbrecherisch ist, die Basisntziehen muss. Sie ist in Parlamenten, bekommt Partei-nfinanzierung – im Jahr etwa 2 Millionen Euro – undat vor allen Dingen auch durch ihre Präsenz nicht nur inen Landtagen, sondern auch auf Bezirksebene einenorme Akzeptanz gewonnen. Die Entziehung der Basisst unser Ziel.Dass man mit Aufklärungsarbeit in den Köpfen Ver-nderungen herbeiführen muss, ist das Einmaleins derberzeugungsarbeit. Jetzt haben Herr Wellenreuther unduch Herr Ahrendt das Argument – wir hören das auchmmer wieder von den Innenministern, von Unionspoli-ikern und vor allen Dingen von Herrn Schäuble – ge-annt, dass die Erkenntnisse, die V-Leute innerhalb derechtsextremistischen Szene gewinnen, von hoher Be-eutung und Wichtigkeit sind. Nun dürften gerade dieitglieder des Innenausschusses wissen, dass wir schonnzählige Male danach gefragt haben, wo denn die-Leute tatsächlich für Aufklärung sorgen. Wo wurdeneispielsweise Straftaten oder Anschläge durch V-Leuteerhindert? Ich finde es höchst interessant, dass ich michier diesmal – dies sage ich insbesondere an die bayeri-chen Kollegen – gemeinsam mit Herrn Seehofer auf ei-er Ebene befinde.
r hat beim Bayerischen Landesamt für Verfassungs-chutz genau nachgefragt. Als Antwort wurde ihm ge-agt, dass man ihm darüber keinerlei Informationen ge-en könne.
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Ulla Jelpke
Um ein NPD-Verbotsverfahren zu ermöglichen, hat ersich dafür ausgesprochen, die V-Leute aus der NPD ab-zuziehen. Unabhängig davon, was seine Begründungwar, bin ich in der Tat der Meinung, dass er das richtigerkannt hat.
Sogar das Bundesverfassungsgericht hat schon einmalfestgestellt – darauf wurde bereits hingewiesen, und andieser Stelle widerspreche ich Ihrer Analyse, HerrWellenreuther –: Wir wissen nicht mehr, wer die Geführ-ten und wer die Verführten sind.
Einzelne Richter haben damals sogar gesagt, man müssesich die Frage stellen: Wen soll man eigentlich zuerstverbieten, den Verfassungsschutz oder die NPD?
Das Bundesverfassungsgericht hat aufgedeckt,
dass manche Hetzschriften der NPD, beispielsweise ihrAntisemitismusprogramm – ich kann Ihnen gerne einmalvorlegen, was uns damals gesagt worden ist –,
von einem V-Mann geschrieben wurden. Genau deswe-gen hat das Bundesverfassungsgericht gefordert, zumin-dest die V-Leute in den führenden Gremien abzuschal-ten.
Das ist nämlich die Voraussetzung, um ein Verbotsver-fahren durchführen zu können.
So viel zum Material.All die Dokumente, die wir einsehen können – daskann man ruhig sagen –, kann man sich aus dem Internetherunterladen.
DMWgdwtdsfSahDmWkfbdsSkD1)
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Bis heute ist die Anwe-enheit von V-Leuten in der NPD das größte Hindernisür ein Verbotsverfahren. Wenn die Tatsache, dass dertaat V-Leute in der NPD bezahlt, als Legitimation her-ngezogen wird, um ein NPD-Verbotsverfahren zu ver-indern, ist das ein großes Armutszeugnis.Zur SPD. Herr Edathy ist heute nicht da.
Frau Kollegin Jelpke.
Ich komme gleich zum Schluss.
a er unseren Antrag der Presse gegenüber als pole-
isch und undifferenziert bezeichnet hat, frage ich Sie:
elche Initiativen haben Sie denn ergriffen?
Frau Kollegin Jelpke, bitte kommen Sie zum Schluss.
Bei jeder Gelegenheit fordern Sie in der Öffentlich-
eit das NPD-Verbot. Das ist völlig unglaubwürdig. Ich
ordere Sie im Namen der 175 000 Menschen, von denen
ereits die Rede war – auch das ist nämlich eine Basis,
ie das NPD-Verbotsverfahren befürwortet –, und ange-
ichts der Ergebnisse der Bevölkerungsumfragen auf:
chalten Sie die V-Leute in der NPD endlich ab! Dann
önnen wir diese Diskussion vernünftig fortsetzen.
Die Rede der Kollegin Monika Lazar von Bündnis 90/ie Grünen nehmen wir zu Protokoll.1)Ich schließe die Aussprache. Anlage 6
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009 21915
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsWir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag derFraktion Die Linke mit dem Titel „V-Leute in der NPDabschalten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-schlussempfehlung auf Drucksache 16/11731, den An-trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/9007 ab-zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionenund der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der FraktionDie Linke und Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grü-nen angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 sowie Zusatz-punkt 5 auf:18 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-zung der Aktionärsrechterichtlinie
– Drucksache 16/11642 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
FinanzausschussZP 5 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Einführung er-stinstanzlicher Zuständigkeiten des Oberlan-desgerichts in aktienrechtlichen Streitigkeiten– Drucksache 16/9020 –Überweisungsvorschlag:RechtsausschussWie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden dieReden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um dieKolleginnen und Kollegen Elisabeth Winkelmeier-Becker von der CDU/CSU-Fraktion, Klaus UweBenneter, SPD, Mechthild Dyckmans, FDP, WolfgangNešković, Die Linke, Dr. Gerhard Schick, Bündnis 90/Die Grünen, und den Parlamentarischen StaatssekretärAlfred Hartenbach für die Bundesregierung.
Wir beraten heute zwei Gesetzentwürfe, die im engen
Zusammenhang zu sehen sind. Lassen Sie mich zunächst
auf den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf
eines Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechtericht-
linie, ARUG, eingehen.
Mit der Umsetzung der „Richtlinie 2007/36/EG über die
Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsen-
notierten Gesellschaften“ wird die grenzüberschreitende
Information und Stimmrechtsausübung der Aktionäre
erleichtert. Weitere Ziele des Gesetzentwurfs sind die
Erhöhung der Hauptversammlungspräsenzen und eine
Neuordnung der Einberufung. Außerdem sind eine
Erleichterung der Stimmrechtsvertretung durch die
Banken vorgesehen sowie die Konkretisierung und Be-
schleunigung des Freigabeverfahrens, um sogenannten
„räuberischen Aktionären“ das Handwerk zu legen. In
diesem Zusammenhang werde ich später auch auf den
Gesetzentwurf des Bundesrates zur Einführung erst-
instanzlicher Zuständigkeiten des Oberlandesgerichts in
aktienrechtlichen Streitigkeiten zu sprechen kommen.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
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21920 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009
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)
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(C
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufrucksache 16/11758 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlos-en.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten PatrickDöring, Horst Friedrich , JoachimGünther , weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDPTechnische Kriterien für Winterreifenkenn-zeichnung M+S festlegen– Drucksache 16/11213 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungWie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden dieeden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll ge-ommen. Es handelt sich um die Reden der Kolleginnen Anlage 7
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21922 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009
)
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solmsund Kollegen Volkmar Uwe Vogel, CDU/CSU, HeidiWright, SPD, Patrick Döring, FDP, Dorothée Menzner,Die Linke, Dr. Anton Hofreiter, Bündnis 90/Die Grünen.
Es besteht in Deutschland keine Pflicht für Winterrei-
fen. Daher ist auch keine einzige bindende europäische
Definition zu einem Winterreifen vonnöten.
Es gab natürlich schon immer Verfechter pro und kon-
tra Winterreifen; aber pauschale Aussagen wie „Bei Tem-
peraturen von 7 Grad Celsius oder weniger sind Winter-
reifen besser als Sommerreifen“ sind nicht hilfreich.
Denn ganz unter uns: Die gegenteilige Behauptung ist
ebenso wenig informativ wie die Behauptung selbst.
Klar ist: Bei Wintereinbruch passieren nicht nur zahl-
reiche Unfälle, die auf falsche Bereifung in Verbindung
mit nicht angepasster Fahrweise zurückzuführen sind; es
bilden sich auch jedes Jahr erneut unzählige Staukilome-
ter, weil Fahrzeuge aufgrund ihrer ungeeigneten Berei-
fung im Schnee steckenbleiben.
In einem sind sich alle einig: Sobald sich eine Schnee-
decke gebildet hat, ist der Winterreifen dem Sommerpneu
haushoch überlegen. Deshalb wurde gemäß Bundesrats-
beschluss vom 21. Dezember 2005 der § 2 Abs. 3 a der
StVO wie folgt geändert:
§ 2 Abs. 3a StVO
Straßenbenutzung durch Fahrzeuge
Bei Kraftfahrzeugen ist die Ausrüstung an die Wet-
terverhältnisse anzupassen. Hierzu gehören insbe-
sondere eine geeignete Bereifung und Frostschutz-
mittel in der Scheibenwischanlage. Wer ein
kennzeichnungspflichtiges Fahrzeug mit gefährli-
chen Gütern fährt, muss bei einer Sichtweite unter
50 m, bei Schneeglätte oder Glatteis jede Gefähr-
dung anderer ausschließen und wenn nötig den
nächsten geeigneten Platz zum Parken aufsuchen.
Die Bundesregierung hat zudem die Bußgeldkatalog-
Verordnung dahin gehend geändert, dass künftig Auto-
fahrer ein bestimmtes Bußgeld zu zahlen haben, wenn sie
gegen diesen genannten Paragrafen, § 2 Abs. 3 a StVO,
verstoßen.
Der Gesetzgeber hat darin nämlich die Pflicht zur An-
passung der Kraftfahrzeugausrüstung an die Wetterver-
hältnisse konkretisiert.
Nach der neuen Winterreifenverordnung sind also alle
Kraftfahrzeuge den Wetter- und damit auch den Winter-
verhältnissen anzupassen. Die geeignete Bereifung findet
hierbei eine besondere Erwähnung. Mit dieser Verhal-
tensvorschrift geht jedoch keine generelle Winterreifen-
pflicht einher. Wer mit seinem Wagen auf schnee- oder
eisbedeckten öffentlichen Straßen fährt, muss Winter-
oder Ganzjahresreifen montiert haben; solche Reifen
sind durch die Aufschrift „M+S“ bzw. das Schneeflocken-
symbol gekennzeichnet.
Mit Sommerreifen darf man sein Fahrzeug bei winter-
lichen Straßenverhältnissen nicht mehr bewegen. Dies
gilt nicht nur für den Fahrtantritt, sondern auch für die
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LINKEKeine Ausbeutung von Praktikantinnen undPraktikanten in den Bundesministerien unddem Bundeskanzleramt– Drucksache 16/11662 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungWie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden dieReden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll ge-nommen. Es handelt sich um die Reden der Kolleginnenund Kollegen Clemens Binninger und Carsten Müller,CDU/CSU, Siegmund Ehrmann und Gabriele Lösekrug-Möller, SPD, Gisela Piltz, FDP, Volker Schneider, DieLinke, Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen.
Wir diskutieren heute – wieder einmal – über Praktika
und die Frage, unter welchen Bedingungen meist junge
Menschen ihre Praktika absolvieren. Die Linke spricht in
ihrem Antrag die sogenannte Generation Praktikum an,
sie spricht von „Scheinpraktika“ und davon, dass Prak-
tikantinnen und Praktikanten in Bundesministerien aus-
gebeutet würden. Ich weiß nicht, woher die Linksfraktion
diese Erkenntnisse über Praktika bezieht. Bei Praktika in
den Ministerien und dem Kanzleramt der Bundesrepublik
Deutschland jedenfalls kann von Scheinpraktika und
Ausbeutung keine Rede sein.
Dass der Vorwurf von Ausbeutung der Praktikantinnen
und Praktikanten in der Bundesverwaltung nicht nur
unredlich ist, sondern fernab der Realität, belegt ein-
drucksvoll der Bericht des Bundesrechnungshofs an den
Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages vom
7. Oktober 2008. Wir wissen, dass der Bundesrechnungs-
hof seine Aufgabe immer gewissenhaft wahrnimmt und
genau hinsieht. Ich darf aus dem genannten Bericht zitie-
ren: „Die mit dem Phänomen der ,Generation Prakti-
kum‘ verbundenen Gefahren, den Hochschulabsolventin-
nen und Hochschulabsolventen Aufgaben eines regulären
Arbeitsverhältnisses zu übertragen, ohne ihnen eine an-
gemessene Vergütung zu gewähren sowie Arbeitnehmer-
rechte einzuräumen, bestehen in der Bundesverwaltung
nicht.“ Diese Einschätzung spricht für sich.
Praktika sind Teil der Ausbildung, und dass Studie-
rende während des Studiums Praktika absolvieren, sehen
die meisten Studienordnungen vor. An dieser Stelle sei im
Übrigen erwähnt, dass BAföG-Leistungen selbstver-
ständlich auch während der Praktikazeiten weiterlaufen.
Praktika sind wichtig zur beruflichen Orientierung und
Entwicklung. Genau deshalb eröffnet auch die Bundes-
verwaltung Praktikantinnen und Praktikanten die Mög-
lichkeit, unter fachlicher Anleitung erste praktische Er-
fahrungen zu sammeln sowie die Arbeitsweise der
Bundesministerien und des Bundeskanzleramts kennen-
zulernen. Deshalb sollten wir Praktika und insbesondere
Praktika in der Bundesverwaltung auch nicht schlechtre-
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ythos oder Massenphänomen?“ aus dem Jahr 2007
ber 12 000 Hochschulabsolventen befragt. Im Februar
008 ist die inifes-Studie hinzugetreten, die zwar eine
leinere Zahlenbasis hat, aber Praktika verschiedener
orbildungen und Bildungssegmente einbezieht. Wesent-
iches Ergebnis dieser Untersuchungen ist, dass eben
eine „Generation Praktikum“ existiert, sondern das
hänomen der Scheinpraktika und der sogenannten Ket-
enpraktika nur einen kleinen Teil der Absolventen be-
rifft.
Sicher gibt es hier auch Ausnahmen und Problemfälle.
s lässt sich deshalb darüber diskutieren, ob und welche
esetzlichen Regelungen im großen Stil wir für Praktika
rauchen. Ich bin hier aber kritisch, denn Praktika sind
etztlich auch ein freiwilliges Angebot der Wirtschaft und
er öffentlichen Verwaltung. Und wer sich entscheidet,
in Praktikum anzubieten – das wissen wir vermutlich
lle aus unseren Büros – der ist auch in aller Regel bereit,
inen hohen Arbeitsaufwand auf sich zu nehmen, um
raktikanten sinnvoll zu betreuen. Das gilt auch für un-
ere Bundesministerien und das Kanzleramt, wo Prakti-
anten entgegen der Behauptung des vorliegenden An-
rags selbstverständlich eine qualifizierte Betreuung
uteilwird. Praktikanten besetzen in der Bundesverwal-
ung keine regulären Arbeitsplätze und sind im Rahmen
hrer Tätigkeit auch nicht verpflichtet, eine bestimmte Ar-
eitsleistung zu erfüllen. Hier den Eindruck erwecken zu
ollen, dass dies anders sei und dass Praktikanten in der
undesverwaltung schlecht behandelt würden, ist falsch
nd absolut nicht nachzuvollziehen.
Ich denke auch nicht, dass wir hier für die Bundesbe-
örden neue, umfassende Regelungen brauchen. Die
undesregierung muss auch nicht erst aktiv werden und
echtsgrundlagen schaffen, um Scheinpraktika auszu-
chließen und für Qualität und Gerechtigkeit bei Praktika
n Ministerien und Kanzleramt zu sorgen, wie im vorlie-
enden Antrag behauptet wird. Es gibt in der Bundesver-
altung selbstverständlich solche Rechtsgrundlagen.
ier gibt es zum einen die „Richtlinie über Praktikanten-
ergütungen“ vom 13. August 2001. Für bestimmte be-
ufsspezifische Praktika gilt der Tarifvertrag über die
orläufige Weitergeltung der Regelungen für die Prakti-
antinnen und Praktikanten vom 13. September 2005.
er Tarifvertrag regelt dabei sogar die verbindliche Zah-
ung von Praktikantenvergütungen in festgelegter Höhe.
ie Praktikantenrichtlinie legt Höchstgrenzen für die
ahlung von Praktikumsvergütungen fest und räumt im
brigen den Ressorts Ermessen ein, um je nach Art des
raktikums zu sachgerechten Ergebnissen zu kommen.
iese Flexibilität ist, gerade wenn es um Praktika geht,
ngebracht und notwendig.
Vor dem hier dargestellten Hintergrund ist der Vor-
urf, die Bundesregierung würde ihre Praktikantinnen
nd Praktikanten durch unangemessene Bezahlung „aus-
euten“, absolut haltlos und die Behauptung, es fehlten
)
)
Rechtsgrundlagen für deren angemessene Bezahlung,
nur von Unkenntnis geprägt. Die CDU/CSU-Fraktion
wird deshalb diesen Antrag ablehnen.
Die Frage, ob es eine „Generation Praktikum“ gibt,
beschäftigt das Parlament und die Öffentlichkeit jetzt be-
reits seit 2006. Anlass war ein in der Wochenzeitschrift
„Die Zeit“ erschienener Artikel, der ausführlich über die
als Praktika bezeichneten Arbeitsverhältnisse junger
Hochschulabsolventen berichtete. Die daraufhin einge-
reichten öffentlichen Petitionen forderten den Gesetzge-
ber auf, Regelungen zum Schutz von Praktikantinnen und
Praktikanten zu treffen.
Grundsätzlich sind drei Formen von Praktikumsverhält-
nissen zu unterscheiden: Erstens. Praktikantenverhältnisse
im Sinne des Berufsbildungsgesetzes: Hier steht der Lern-
zweck im Vordergrund. Zweitens. „Schnupperpraktikum“:
Diese Form dient dem Kennenlernen des Berufslebens
und bedingt daher auch keinen gesetzlichen Entgeltan-
spruch, auch wenn von „Praktikanten“ gesprochen wird.
Selbstverständlich steht es den Vertragsparteien jedoch
frei, eine Vergütung zu vereinbaren. Drittens. „Scheinprak-
tikum“: Hier wird formell ein „unentgeltliches Praktikum“
vereinbart, tatsächlich wird jedoch echte Arbeitsleistung
erbracht.
Und genau um diese dritte und letzte Gruppe geht es
eigentlich. Sie umfasst diejenigen Missbrauchsfälle, die mit
den Petitionen angesprochen werden. Sie können Arbeit-
nehmer im Sinne des Arbeitsrechts sein, sodass ihnen ein
Vergütungsanspruch zusteht. Wird der „Praktikant“ wie
ein vergleichbarer Arbeitnehmer eingesetzt und beschäf-
tigt, liegt im arbeitsrechtlichen Sinne kein Praktikanten-,
sondern ein Arbeitsverhältnis vor. Folglich steht dem als
Praktikanten bezeichneten Arbeitnehmer ein Vergütungs-
anspruch aus dem Arbeitsvertrag in Verbindung mit § 611
Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch zu. Im Zweifel ist dies
nach § 612 BGB die übliche Vergütung eines vergleich-
baren Arbeitnehmers.
Eine Geltendmachung seiner Ansprüche vor dem
Arbeitsgericht darf für ihn gemäß § 612 a BGB keine
negativen Folgen mit sich bringen. Die Beschreitung des
Rechtsweges ist auch bereits verschiedentlich erfolgreich
von „Scheinpraktikanten“ erfolgt. Dies macht deutlich,
dass Rechtsmittel zum Schutz von Praktikanten ausrei-
chend vorhanden sind.
Inzwischen liegen zwei ausführliche Studien vor, die der
Frage „Generation Praktikum“ eine Datenbasis geben
konnten. Durch die Studien ist sehr deutlich geworden,
dass die sogenannte Generation Praktikum keineswegs ein
Massenphänomen ist. Vielmehr gehört nur ein geringer
Teil von Praktikantenverhältnissen zu den Missbrauchs-
fällen. Es ist also vielmehr ein Mythos. Selbstverständlich
müssen wir alles tun, diese Missbrauchsfälle so weit es
geht zu verhindern. Das darf aber nicht bedeuten, dass wir
gleichzeitig wichtige, richtige und notwendige Praktikums-
verhältnisse verhindern! Es geht also im Wesentlichen um
die Unterstützung von Hochschulabsolventen beim Eintritt
in das Berufsleben.
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Zu Protokoll ge
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fallen. Die unter das BBiG fallenden Prak-
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21930 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009
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21932 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009
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Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 16/11684 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 20 auf:Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Gregor Gysi, Dr. Gesine Lötzsch, KerstenNaumann, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion DIE LINKEGleichberechtigte Entschädigung von Strah-lenopfern in Ost und West schaffen – umfas-sendes Radaropfer-Entschädigungsgesetz ein-führen– Drucksache 16/8116 –Überweisungsvorschlag:Verteidigungsausschuss
RechtsausschussAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für GesundheitHaushaltsausschussAuch die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sol-len zu Protokoll genommen werden. Es handelt sich umdie Reden der Kolleginnen und Kollegen Jürgen Herrmann,CDU/CSU, Rolf Kramer, SPD, Birgit Homburger, FDP,Dr. Gesine Lötzsch, Die Linke, Winfried Nachtwei,Bündnis 90/Die Grünen.
Die sogenannte Radarstrahlenproblematik beschäftigt
den Deutschen Bundestag seit Ende des Jahres 2000.
Eine zentrale Forderung des uns heute vorliegenden An-
trages ist die Einführung eines umfassenden Radaropfer-
Entschädigungsgesetzes. Die Schaffung eines Radarop-
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d1) Anlage 8
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(C)
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Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 16/11760 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung istjedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und derLinke in ihrem Antrag allerdings fordert, die Bundesre-gierung müsse sich ihrer Verantwortung für strahlenge-schädigte ehemalige NVA-Angehörige stellen und auchdie Passiva der NVA übernehmen, dann muss sich dieLinke, die zu erheblichen Anteilen Nachfolgepartei derSED ist, eine Frage an ihre Glaubwürdigkeit gefallen las-sen: Warum setzt sie sich nicht mit demselben Engage-ment auch für die Rehabilitation und Entschädigung vonpolitischen Opfern des SED-Regimes ein?
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/8116 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federfüh-
rung beim Verteidigungsausschuss liegen soll. Sind Sie
damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Undine
Kurth , Bärbel Höhn, Krista Sager,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Experimente zur Meeresdüngung dürfen ma-
rine Ökosysteme nicht belasten
– Drucksache 16/11760 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Auswärtiger Ausschuss
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(D
PD wünschen die Federführung beim Ausschuss für
ildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Die
raktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht die Federfüh-
ung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Re-
ktorsicherheit.
Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
raktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen. Wer
timmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Gegen-
timmen? – Enthaltungen? – Dann ist der Überweisungs-
orschlag bei Zustimmung der Fraktion Bündnis 90/
ie Grünen abgelehnt.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
raktionen der CDU/CSU und der SPD – Federführung
eim Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol-
enabschätzung – abstimmen. Wer stimmt für diesen
berweisungsvorschlag? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
en? – Der Überweisungsvorschlag ist gegen die Stim-
en von Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen aller
brigen Fraktionen angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf morgen, Freitag, den 30. Januar 2009,
Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.