Anlage 9
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009 21937
(A) )
(B) )
bestimmte menschliche Organe (inkl. 16521/08
(Tagesordnungspunkt 14)Burkhardt
ADD 1 und 16521/08 ADD 2) (ADD 1 in Eng-
lisch)
KOM(2008) 818 endg.; Ratsdok. 16521/08
(Drucksachen 16/11517 Nr. A.30, 16/11781)
Maurer, Ulrich DIE LINKE 29.01.2009
Mogg, Ursula SPD 29.01.2009**
Müller-Sönksen, FDP 29.01.2009
Anlage 1
Liste der entschuldigt
*
**
A
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Aigner, Ilse CDU/CSU 29.01.2009
Barthle, Norbert CDU/CSU 29.01.2009
Behm, Cornelia BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
29.01.2009
Bellmann, Veronika CDU/CSU 29.01.2009
Binder, Karin DIE LINKE 29.01.2009
Brüning, Monika CDU/CSU 29.01.2009
Bulling-Schröter, Eva DIE LINKE 29.01.2009
Caspers-Merk, Marion SPD 29.01.2009
Deittert, Hubert CDU/CSU 29.01.2009*
Ehrmann, Siegmund SPD 29.01.2009
Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 29.01.2009*
Freitag, Dagmar SPD 29.01.2009
Gradistanac, Renate SPD 29.01.2009
Hauer, Nina SPD 29.01.2009
Heller, Uda Carmen
Freia
CDU/CSU 29.01.2009
Hirsch, Cornelia DIE LINKE 29.01.2009
Jung (Karlsruhe),
Johannes
SPD 29.01.2009
Dr. Kolb, Heinrich L. FDP 29.01.2009
Kolbow, Walter SPD 29.01.2009
Kopp, Gudrun FDP 29.01.2009
Kurth (Quedlinburg),
Undine
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
29.01.2009
Dr. Lamers (Heidelberg),
Karl A.
CDU/CSU 29.01.2009
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Anlagen zum Stenografischen Bericht
en Abgeordneten
für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates
für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung der NATO
nlage 2
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE)
zur Beratung der Beschlussempfehlung: Vor-
schlag für eine Richtlinie des Europäischen Par-
laments und des Rates über Qualitäts- und
Sicherheitsstandards für zur Transplantation
aumann, Kersten DIE LINKE 29.01.2009
itzsche, Henry fraktionslos 29.01.2009
oll, Michaela CDU/CSU 29.01.2009
aula, Heinz SPD 29.01.2009
flug, Johannes SPD 29.01.2009
aidel, Hans CDU/CSU 22.01.2009
chäffler, Frank FDP 29.01.2009
r. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 29.01.2009
chily, Otto SPD 29.01.2009
r. Spielmann, Margrit SPD 29.01.2009
trothmann, Lena CDU/CSU 29.01.2009
r. Tabillion, Rainer SPD 29.01.2009
auss, Jörg SPD 29.01.2009
r. Westerwelle, Guido FDP 29.01.2009
immer (Neuss), Willy CDU/CSU 29.01.2009
r. Wodarg, Wolfgang SPD 29.01.2009*
apf, Uta SPD 29.01.2009
bgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
21938 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009
(A) )
(B) )
Die vorliegende Beschlussempfehlung zum Vorschlag
für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des
Rates über Qualitäts- und Sicherheitsstandards für zur
Transplantation bestimmte menschliche Organe werde
ich und wird meine Fraktion Die Linke ablehnen.
Wir entscheiden heute – ohne Debatte – über die Sub-
sidiaritätsprüfung, die im Rahmen eines Testlaufs auf
Anregung der Konferenz der Ausschüsse für Gemein-
schafts- und Europaangelegenheiten der Parlamente der
Europäischen Union, COSAC, stattfindet; ein komple-
xes und vielen sicherlich noch nicht vertrautes Verfah-
ren, das wir in den vergangenen Wochen intensiv in den
beteiligten Ausschüssen des Deutschen Bundestages be-
raten haben. Nicht weniger komplex ist der gewählte
Gegenstand des Testlaufs, der Vorschlag der Europäi-
schen Kommission für eine Richtlinie über Qualitäts-
und Sicherheitsstandards für zur Transplantation be-
stimmte menschliche Organe.
Das Thema Organspende und -transplantation ist ein
sehr sensibles Thema. Denn es bedeutet, sich mit den
großen Fragen Leben und Tod auseinanderzusetzen.
Viele Menschen schrecken bei diesem Gedanken erst
einmal zurück. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die
Bereitschaft, einen Organspendeausweis auszufüllen,
von einer Reihe von Faktoren abhängt. Ein ganz ent-
scheidender Faktor ist das Vertrauen der Menschen in
das Gesundheitssystem. Eine zunehmende Ökonomisie-
rung des Gesundheitssystems, wie wir sie gegenwärtig
erleben, schafft kein Vertrauen. Die Europäische Kom-
mission will nun mit ihrem Richtlinienvorschlag über
Qualitäts- und Sicherheitsstandards für zur Transplanta-
tion bestimmte menschliche Organe einen klaren
Rechtsrahmen für die Organspende und -transplantation
in der Europäischen Union schaffen. Nach Ansicht der
Kommission bestehen zwischen den Mitgliedsländern
große Unterschiede hinsichtlich der Qualitäts- und Si-
cherheitsanforderungen. Einheitliche Qualitäts- und Si-
cherheitsstandards könnten – so die Kommission weiter –
den grenzüberschreitenden Austausch von Organen be-
fördern.
Trotz meiner Ablehnung der Beschlussempfehlung
begrüße ich dieses Anliegen. Heute geht es jedoch nicht
um die inhaltliche Beratung der Vorlage, sondern um die
Frage, ob der Grundsatz der gemeinschaftlichen Subsi-
diarität gewahrt ist. Dahinter verbirgt sich die Frage
nach der Abgrenzung der Gesetzgebungszuständigkeiten
zwischen dem europäischen Gesetzgeber und dem Deut-
schen Bundestag. Die Prüfung des Subsidiaritätsprinzips
erfolgt anhand von zwei Fragen: Können die Ziele des
Vorhabens ausreichend auf der Ebene der Mitgliedstaa-
ten erreicht werden oder können die Ziele des EU-Vor-
habens wegen ihres Umfangs und ihrer Wirkungen bes-
ser auf EU-Gemeinschaftsebene verwirklicht werden?
Ich stimme gegen die Beschlussempfehlung, weil ich
Bedenken hinsichtlich der Einhaltung des Grundsatzes
der Subsidiarität habe. Diese Bedenken gibt es nicht hin-
sichtlich der Schaffung europaweiter Mindeststandards
für Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen bei zur
Transplantation bestimmter Organe, aber hinsichtlich
der Frage, ob hierfür umfangreiche detaillierte institutio-
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elle Regelungen auf europäischer Ebene geschaffen
erden müssen.
Ich stimme gegen die Beschlussempfehlung, weil wir
und hier meine ich den Bundestag in Gänze – nicht
issen, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ge-
ahrt bleibt, denn dazu müssten wir einen Vergleich al-
er Vorschriften in den einzelnen EU-Mitgliedsländern
u den vorliegenden Regelungsgegenständen haben.
och die Kommission macht noch nicht einmal die er-
orderlichen Angaben, um überhaupt prüfen zu können,
b die voraussichtlichen finanziellen und administrati-
en Belastungen für die Mitgliedstaaten in einem ange-
essenen Verhältnis zu dem erwarteten Nutzen stehen.
Ich stimme gegen die Beschlussempfehlung, weil die
inke ein friedliches und soziales Europa will und den
eg der europäischen Integration weitergehen möchte.
as gelingt aber nicht mit einer Absenkung höherer
tandards, und das gelingt nicht, wenn wir die Möglich-
eiten zur Subsidiaritätskontrolle bei Richtlinien wie
ieser nicht ernsthaft nutzen.
nlage 3
Erklärung
des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über
die Beschlussempfehlung: Für eine erleichterte
Anerkennung von im Ausland erworbenen
Schul-, Bildungs- und Berufsabschlüssen (Ta-
gesordnungspunkt 9)
Ich erkläre im Namen der Fraktion Bündnis 90/Die
rünen, dass unser Votum „Enthaltung“ lautet.
nlage 4
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung des Antrags: Zehn Jahre aner-
kannte Regional- und Minderheitensprachen in
Deutschland. Schutz – Förderung – Perspekti-
ven (Tagesordnungspunkt 10)
Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
edder mol – veel to selten – sünd de Regional- un
innerheitensproken vun uns Land anseggt op uns
agesordnung. Fröher, bi mi bi´t Huus in Grotefehn in
stfreesland, worr hochdüütsch snackt.
Ik heff Plattdüütsch vun de annern Kinner in´t Dörp
ehrt. Ik sülvst bün keen professionellen, ober en passio-
eerten Plattsnacker. Mien Computer jedenfalls, as ik
or an’t Schrieven weer, hett dat allens rot anstreken mit
ien Rechtschreibautomatik, all de plattdüütschen Wöör
efullen em nich.
Plattsnacken hett een Barg Vördeele: Man kriggt en
nnere Stimmung bi´t Snacken. Man föhlt, dat man
rgendwie tosomen höört mit de, de ok platt snackt. Man
öhlt ok, dat de Soken ut uns moderne Welt, de sik nur
wor op Platt utdrücken loot, villich gor nich de wich-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009 21939
(A) )
(B) )
tigsten sünd. De gröttste Vördeel is ober, dat man sik in
alle Fründschap Soken an’n Kopp smieten kann, de op
Hochdüütsch de reinste Beleidigung weern. Dor is de
fründliche Peter Harry ok mol en echten Nordstrander
„Dickkopp“. Villicht is dat in de Politik mennigmol rich-
tig, wenn man dor Plattdüütsch snacken deit. Villicht
schullen wi de Swattbrotthemen wie Föderalismus-
reform un Huusholt mol op Platt besnacken. Ik glööv,
dor kunn en Masse klorer warrn.
Bi en poor Kollegen vun dit Hooge Huus un bi en Deel
vun de Lüüd in´t Land is villicht en beten dörenanner
komen, dat dat en grote Ünerscheed twüschen de Regio-
nalsprook Plattdüütsch un de Minnerheitensproken vun
uns Land – Däänsch, Freesch, Sorbisch un Romanes –
gifft. Plattdüütsch is keen Sprook vun en nationale Minner-
heit, dat is en in ganz Norddüütschland wiet verbreete
Regionalsprook – un de Minschen, de Platt snackt, sünd
keen eegen Gruppe so as de Minnerheiten. Op de anner
Siet gifft dat natürlich ok en Masse Soken, de bi Platt,
Deensch, Freesch, Sorbisch un Romanes gliek sünd. Frö-
her geef dat mol en Konkurrenz twüschen Platt, Däänsch,
Freesch, Sorbisch un Romanes. Obers dor sünd wi al lang
vun weg. Dörum dörf dat ok keen Gegeneenanner-
Utspeelen vun de Sproken op de politische oder finan-
zielle Ebene geben.
Hüüt is de „Druck“ vun dat Hoochdüütsche so groot
worrn, dat alle annern Sproken vun uns Land dat swoor
hebbt. De Europäische Charta för de Regional- oder
Minnerheitensproken, de siet den 1. Januar 1999 als
Bundesgesetz in Kraft is, is en ganz wichtigen Punkt.
Ik bedank mi bi de Grote Koalition för den geschmei-
digen Andrag. De Kollegen und Kolleginnen hebbt al
dorop henwiest, dat wi mit de Verpflichtungen vun de
Charta noch nich ganz liekvör sünd. Dat seht wi von de
Grönen jüstso.
All wedder en Bericht – goot meent is noch lang nich
goot mookt. Un wat wi in dissen Bericht höört: „Keen
Minsch deit so veel för de Minnerheitensproken as düsse
Bundesregierung“. Tominnst mit de Tung, kösten dörf
dat nämlich nix!
Af un an schullen wir uns överleggen, wat wi vun de
Politik noch moken köönt, un af und an köönt wi ok en
beten mehr doon. Ik glööv, dat is ganz wichtig, dormit
wi unse Identität un unse Kultur fastholen doot. Wi sünd
uns all enig, dat de Minnerheitensproken en wichtigen
Deel vun de Kultur un Identität in Düütschland sünd.
Minnerheitensproken sünd nich blots Folklore, nich blot
wat Lustiges. Wer sik mol de Möhg mookt un to´n
Bispill Klaus Groth op Platt lesen deit, siene olen platt-
düütschen Gedichten un Geschichten, de weet, woveel
Kultur und Tradition in Minnerheitensproken binnen is.
Wo weer dat denn, wenn sik all Bundesländer mol mit
en poor vernünftige Lüüd an een Disch setten un endlich
mol festlegen deen, wat denn nu würklich passieren
schall. So wat nennt man auf Hochdüütsch „Konzept“.
Een Spraak leevt nur, wenn se sproken warrt, wenn de
Lüüd se dagdächlich bruukt. Un dat warrt, wenn man dat
ehrlich bekieken deit, jümmer ringer. Wi mookt uns Sor-
gen, dat de Minnerheitensproken jümmer wieder torüch
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oht, dat jümmer weniger Lüüd de Minnerheitensproken
nackt.
De Medien kunnen dor veel bi moken, jüst, wenn dat
´t Radio un Fernsehn nich jümmer blooß Programm för
le Lüüd geef. In de Volkssproken kann man ok sülvst-
ewusst un frech en Programm för junge Lüüd moken.
enn de Volkssproken en Tokunft hebben schüllt, denn
utt se för junge Lüüd wat bedüden. Wenn wi as Bundes-
ag blooß alle poor Johr mol Platt snackt, bringt dat nich
eel.
Insofern is dat nootwennig, dat wi uns buten bedankt,
ämlich bi dejenigen in de Kinnergoorns, in de Scholen,
n de Hoochscholen un ok bi vele, vele, de sik ehrenamt-
ich dormit beschäftigt. Ik will mi ok bi all de Minschen
edanken, de helpt, de Minnerheitensproken to erholen.
issen Dank slütt sik mien Fraktion vull an. Velen
ank! Loot Se uns all tosomen dorför sorgen, dat de
innerheitensproken ok tokünftig leevt.
Un dat mehr un nich weniger Lüüd seggt: „Ik snack
latt“, „Jeg taler dansk“, „Ik snaak frasch“, „Me rakrau
omnes“
Velen Dank för’t Tohören!
nlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Zivilschutzgesetzes (Zivilschutzgesetz-
änderungsgesetz – ZSGÄndG)
– der Beschlussempfehlung zu dem Antrag:
Bevölkerungsschutzsystem reformieren –
Zuständigkeiten klar regeln
(Tagesordnungspunkt 12 a und b)
Petra Pau (DIE LINKE): In dem Gesetz, das heute
erabschiedet werden soll, geht es um einen besseren Zi-
ilschutz. Damit ist der Schutz ziviler Objekte und
essourcen im Verteidigungsfall gemeint. Beim Kata-
trophenschutz wiederum geht es um Unwetter,
ochwasser, Erdbeben und dergleichen, also um nicht
ilitärische Bedrohungen. Diese Unterscheidung sei vo-
ausgeschickt.
Nun soll beides, der Zivil- und der Katastrophen-
chutz, besser koordiniert werden. Auch das klingt ver-
ünftig. Aber genau da lauern auch Konflikte, mindes-
ens zwei. Denn zum einen droht eine Vermengung
iviler und militärischer Komponenten. Und zweitens
eht es um die Frage, welche Kompetenzen den Ländern
nd welche dem Bund zustehen.
Beide möglichen Konflikte sind wiederum aus dreier-
ei Sicht interessant. Erstens: Das Grundgesetz trennt
charf zwischen militärischen und zivilen Instrumenten.
afür gibt es historische, politische und sachliche
ründe. Die Linke hält sie nach wie vor für richtig. Oder
nders gesagt: Wir werden sofort hellhörig, wenn diese
renzen angetastet werden.
21940 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009
(A) )
(B) )
Zweitens: Der Bund maßt sich gern Kompetenzen an,
die eigentlich in der Hoheit der Länder liegen. Das war
unter Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) so, und
das ist unter Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble
(CDU) nicht anders. Sie werden daher meine Skepsis
verstehen, wenn nun CDU/CSU und SPD gemeinsam
ans Werk gehen.
Drittens: Bundesinnenminister Schäuble hat mehr-
fach erklärt, dass er eine neue Sicherheitsarchitektur an-
strebt. Sein Vorbild sind die USA, also ein zentralisti-
scher Sicherheitsapparat mit nahezu unbegrenzten und
undurchschaubaren Befugnissen. Das will Die Linke
ausdrücklich nicht – nicht in großen, aber auch nicht in
kleinen Schritten.
Nun hatten wir in den Fachausschüssen des Bundesta-
ges sechs Wochen lang Zeit, den Gesetzestext auf seine
guten und auf seine möglicherweise tückischen Seiten zu
prüfen. Zuletzt taten wir es gestern im Innenausschuss.
Die Fachkolleginnen und -kollegen werden sich an
meine sachlichen Fragen erinnern. Die Antworten der
Vertreter des Bundesinnenministeriums konnten leider
drei Bedenken der Linksfraktion nicht entkräften. Ers-
tens hegen wir Zweifel, ob das neue Gesetz zum Zivil-
schutz wirklich mit dem Grundgesetz übereinstimmt.
Ähnliche Zweifel hegten Abgeordnete der FDP und von
Bündnis 90/Die Grünen. Zweitens konnten unsere Be-
fürchtungen nicht ausgeräumt werden, dass es sich hier-
bei auch um eine Einstiegsdroge für den Einsatz der
Bundeswehr im Inneren handelt. Ich räume ein: Der Ge-
setzestext weist dies nicht vordergründig aus. Aber wir
alle kennen die Absicht des Bundesinnenministers, ge-
nau dies zu tun, auf welchen Wegen auch immer.
Drittens hat Die Linke Bedenken zum Datenschutz.
Sage bitte niemand, die seien übertrieben. Wir erleben
einen Datenskandal nach dem anderen, und der Staat
mischt kräftig mit. Auch dieses Gesetz ermächtigt dazu,
neue Daten zu erheben. Das kann sinnvoll sein. Das
kann aber auch gefährlich sein, zumal: Auch Daten-
schutz ist Zivilschutz.
Sie merken an meiner moderaten Abwägung, dass ich
unentschlossen bin. Natur- und andere Katastrophen
müssen so effektiv wie möglich gemeistert werden. Da-
rauf haben alle Bürgerinnen und Bürger einen unbe-
streitbaren Anspruch, zumal wir leider davon ausgehen
müssen, dass die aktuelle Nichtklimapolitik weitere Na-
turkatastrophen befördert. Aber es wäre unredlich, die
Sorge vor oder das Unglück nach solchen Katastrophen
politisch zu missbrauchen. Ich habe ihnen eingangs die
Gründe für meine Skepsis erläutert. Weder die CDU/
CSU noch die SPD, auch nicht das Innenministerium ha-
ben meine Zweifel ausgeräumt.
Die Linke wird sich daher bei der Abstimmung ent-
halten.
Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): 60 Jahre Grundgesetz ist in diesem Jahr An-
lass für zahlreiche Feierlichkeiten. Vieles, was sich die
Väter und Mütter unseres Grundgesetzes 1949 ausge-
dacht haben, hat sich bewährt und sollte bewahrt und
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erteidigt werden. Der Föderalismus ist die bewährte
rundordnung unseres Staates, auch wir wollen grund-
ätzlich daran festhalten. Die Föderalismusreformkom-
ission I hat die Aufgabenverteilung zwischen Bund
nd Ländern in einigen Bereichen neu justiert. Die
weidrittelmehrheit dieses Hauses und des Bundesrates
at nach Auffassung der Grünen hier die falschen Wei-
hen gestellt. Dem Bund jegliche Verantwortung für die
ildung zu nehmen, war eine krasse Fehlentscheidung.
ie gleichzeitige Handlungsunfähigkeit der Großen
oalition beim Thema Bevölkerungsschutz bleibt für
ich unverständlich. Hier gibt es in der Verfassung
ealen Veränderungsbedarf, und ich unterstütze aus-
rücklich die Forderungen des Bundesrechnungshofes,
ie Finanzierung im Bereich des Bevölkerungsschutzes
uf eine verfassungsrechtlich tragende Grundlage zu
tellen. Ich benutze hier bewusst den Begriff des Bevöl-
erungsschutzes, weil es mein Ziel bleibt, ein einheitli-
hes, modernes Bevölkerungsschutzgesetz zu schaffen.
ie Trennung zwischen Katastrophenschutz und Zivil-
chutz ist nicht mehr sachgerecht und wird den Risiken,
enen wir heute und in Zukunft ausgesetzt sind, nicht
ehr gerecht.
Die geltende Verfassung geht davon aus, dass die
uständigkeit der Länder bei der Gefahrenabwehr im
atastrophenfall liegt und die Verteidigung und Kriegs-
olgenbeseitigung Aufgabe des Bundes ist. Die Wirk-
ichkeit heute sieht anders aus. Wir müssen uns heute auf
roßschadenslagen wie Pandemien oder Stromausfall
instellen, die länderübergreifend sind, und gleichzeitig
st die Wahrscheinlichkeit, dass Kriegsfolgen überwun-
en werden müssen, eher gering geworden. Nicht klar
rfasst wird die Zuständigkeit bei einem Terroranschlag,
er weder Kriegsfolge noch Katastrophe im klassischen
inne ist.
Warum also kann sich die Politik nicht auf den ein-
eitlichen Begriff des Bevölkerungsschutzes verständi-
en und die Aufgabenwahrnehmung und Finanzierung
er Ressourcen klar regeln?
Was die Große Koalition hier heute als Gesetzentwurf
räsentiert, das ist ein wenig überzeugender Kompro-
iss zwischen Bund und Ländern. Wir begrüßen durch-
us, dass zentrale Koordinierungsmaßnahmen auf den
und übertragen wurden, dass gemeinsame Standards
ür die Aus- und Fortbildung entwickelt werden sollen
der der Bund die beratende Funktion beim Schutz kriti-
cher Infrastrukturen hat. Aber das reicht nicht. Es bleibt
ei einem Wirrwarr an Zuständigkeiten und Verantwort-
ichkeiten, es gibt weder eine einheitliche Struktur für
eitstellen noch für Führungsstrukturen, und bei länder-
bergreifenden Großschadensfällen muss der Bund zu-
chauen und geduldig auf Hilferufe aus den Ländern
arten. Das ist in meinen Augen gefährlicher Unsinn
nd bedeutet im Ernstfall, dass wir für den Schutz der
evölkerung nicht optimal aufgestellt sind.
Die Länder sind schon heute nicht in der Lage, ihre
ufgaben, an denen sie kleben, auch zu finanzieren. Der
atastrophenschutz ist in allen Bereichen unterfinan-
iert, das gilt für die Notfallmedizin genauso wie für die
ivilen Rettungsdienste oder die Feuerwehren. Sie erfin-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009 21941
(A) )
(B) )
den hier das Konstrukt des „Zivilschutz-Doppelnutzen-
Konzepts“, dass kaschieren soll, dass der Bund zwar be-
zahlt, aber nichts zu sagen hat. Das ist inhaltlich falsch
und es wird dem Grundsatz der Haushaltsklarheit und
Haushaltswahrheit nicht gerecht. Ich bin ausdrücklich
dafür, dass sich der Bund an der Finanzierung von
Feuerwehrautos beteiligt, aber bitte auf einer klaren
Grundlage der Aufgabendefinition. Zivilschutz ist als
Bundesaufgabe weitgehend weggefallen, es ist daher ab-
surd, hier in einem Gesetz eine „Zivilschutz-Doppelnut-
zung“ einzuführen. Nein, wir brauchen ein einheitliches
Bevölkerungsschutzgesetz, und dafür müssen wir das
Grundgesetz ändern.
Nicht geregelt wird in dem Gesetzentwurf, wie die
Bevölkerung auf mögliche Schadensereignisse ausrei-
chend vorbereitet werden soll und wie die Selbsthilfe ge-
stärkt werden kann. Nach der Privatisierung der kriti-
schen Infrastrukturen muss auch die Verantwortung der
Wirtschaft in diesem Bereich neu definiert werden; die
alten Sicherstellungsgesetze reichen hier nicht aus. Aber
an so schwierige Fragen traut sich die Große Koalition
nicht heran, und es bleibt einmal mehr bei einem kleinen
Reförmchen.
Lassen Sie mich zum Schluss ein paar Anmerkungen
zum Gesetzentwurf der FDP machen. Inhaltlich stimmen
wir Ihrem Entwurf zu, es steht viel Richtiges drin. Genau
wie wir fordern Sie die Aufhebung der Trennung von
Katastrophenschutz und Zivilschutz. Aber wie ehrlich ist
hier Ihr Antrag? Die Länder, die am meisten auf der
Bremse stehen, sind von der FDP mitregierte Länder.
Ein modernes Bevölkerungsschutzgesetz scheitert an
Niedersachsen, Bayern und Hessen, und mir ist keine
Initiative der FDP bekannt, die Blockadehaltung der
Länder zu lockern. Sie stellen hier als FDP-Bundestags-
fraktion richtige Forderungen auf, gleichzeitig verhin-
dert die FDP in den Ländern die Durchsetzung, das ist
wenig glaubwürdig.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung der Beschlussempfehlung: V-Leute
in der NPD abschalten (Tagesordnungspunkt 15)
Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Schluss mit der demokratiefeindlichen NPD! Dieser
Wunsch eint unser demokratisches Parlament. Für die
Linksfraktion heißt der Weg dorthin: Sofortiger Abzug
aller V-Leute und Einleitung eines NPD-Verbotsverfah-
rens! Aber kann das hochkomplexe, gesellschaftlich fest
verankerte Problem Rechtsextremismus mit einer derart
eindimensionalen Lösung behoben werden? Sicher
nicht.
Die Arbeit der V-Leute gilt als umstritten. Jeder siebte
NPD-Funktionär bezieht Geld vom Verfassungsschutz.
Offensichtlich ist, dass solche Mitarbeiter bzw. Infor-
manten nicht immer mit der nötigen Sorgfalt ausgewählt
wurden. Da sind auch „braune Schafe“ dabei. Mehrfach
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am es zu Fällen, in denen V-Leute mit rechtsextremen
riminellen kollaborierten. Nazi-Aktivitäten wurden mit
eld vom Nachrichtendienst finanziert. Informationen
lossen nicht nur in die gewünschte Richtung. Vielmehr
arnten V-Leute ihre rechtsextremen Kumpane auch vor
olizeilichen Fahndungen. Dies ist nicht Sinn der Sache.
nsofern teile ich die Kritik der Linksfraktion.
Doch darf die Antwort des Staates auf derartige Miss-
tände lauten: Keine Überwachung mehr? Das wäre dop-
elt fahrlässig: Zum einen müssen wir über NPD-interne
achenschaften und Vorhaben unterrichtet sein. Zum
nderen ist der Staat verpflichtet, aus Schutzgründen die
nonymität der V-Leute zu wahren.
Bringt aber der Einsatz von V-Leuten in den Füh-
ungsetagen der NPD das gewünschte Ergebnis? Da tut
ich einiger Änderungsbedarf auf. Der Verfassungs-
chutz muss künftig seine Informanten professioneller
uf ihre Eignung prüfen. Straftaten dürfen nicht durch
taatliche Behörden billigend in Kauf genommen wer-
en. Die zuständigen Gremien auf Bund- und Länder-
bene haben ihre Kontrollfunktionen gewissenhafter und
onsequenter auszuüben. Auch die Kooperation bei der
erwertung gewonnener Informationen verläuft sehr un-
efriedigend. Die Innenministerkonferenz muss hierbei
hre Bemühungen intensivieren. All diese Umsetzungs-
robleme zeigen: Nicht die V-Leute verhindern Erfolge
m Kampf gegen Rechtsextremismus und NPD, son-
ern Uneinigkeiten und fehlende Kontinuität im demo-
ratischen Spektrum. Wir brauchen eine abgestimmte,
achhaltige Strategie, die vor allem auf Prävention setzt.
azu gehört ganz maßgeblich die offensive Auseinan-
ersetzung mit rechtsextremen Ideologien. Denn diese
ilden den Nährboden, auf dem schließlich Wahlerfolge
er NPD oder rechte Gewalt gedeihen können. Wir wis-
en, dass ein NPD-Verbot – das ja das Ziel eines V-Leute-
bzugs wäre – keinen positiven Einfluss hätte auf rassis-
isches Denken, Antisemitismus, Ängste vor angeblicher
Überfremdung“ oder Abneigungen gegen andere Kul-
uren und Lebensweisen. Doch hier muss unser konzep-
ioneller Ansatz liegen.
Die Debatte um V-Leute und NPD-Verbotsverfahren
ingegen führt seit Jahren zu nichts. Wenn sie überhaupt
rüchte bringt, dann unerwünschte: nämlich jedes Mal
ine Bestätigung für das ultrarechte Lager, dass die de-
okratischen Kräfte sich nicht einig werden.
Fragen wir uns stattdessen: Was braucht unsere Be-
ölkerung, um sich in der Demokratie zu Hause zu füh-
en? Wie können wir Vielfalt und Toleranz attraktiv
arstellen? Welche drängenden Probleme müssen die de-
okratischen Parteien lösen, damit die Nazis keine An-
atzpunkte für ihre Propaganda finden? Solche Debatten
ohnen sich, ganz besonders im sogenannten Superwahl-
ahr 2009.
Wenn wir alle uns derartigen Fragen erfolgreich stel-
en, können wir die NPD gemeinsam schachmatt setzen
hne Verbot – indem wir sie als unwählbar, inakzeptabel
nd überflüssig entlarven.
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Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Europäische Ar-
beitszeitrichtlinie – Hohen Arbeitnehmerschutz
EU-weit sicherstellen (Zusatztagesordnungs-
punkt 6)
Michael Hennrich (CDU/CSU): Heute debattieren
wir über den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen „Euro-
päische Arbeitszeitrichtlinie – Hohen Arbeitnehmerschutz
EU-weit sicherstellen“. Darin geht es kurz zusammen-
gefasst um Folgendes: Die Richtlinie 2003/88/EG zur
Arbeitszeitgestaltung soll geändert werden. Derzeit for-
mulieren auf EU-Ebene die Mitgliedstaaten die Position
des Ministerrates für weitere Verhandlungen. Dabei setzt
sich die Bundesregierung dafür ein, dass eine wöchentliche
durchschnittliche Höchstarbeitszeit durch Tarifvertrag
oder, wenn kein Tarifvertrag vorliegt und keine Perso-
nalvertretung besteht, durch einzelvertragliche Regelung
überschritten werden darf. Meine Damen und Herren
von Bündnis 90/Die Grünen, wie könnte man in Zeiten
der Weltwirtschaftskrise eine andere Position vertreten?
Im Rat wurde im Juni ein Kompromiss errungen, der
zwei essentielle Bedürfnisse vereint. Zum einen wird ein
angemessenes europaweites Schutzniveau bei der Arbeits-
zeit festlegt. Die Richtlinie sorgt mit einer Regelarbeits-
zeit von 48 Wochenstunden dafür, dass Wettbewerb nicht
auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer ausgetragen wird. Sie ist ein wichtiger Baustein für
ein soziales Europa. Zum anderen wird an der notwendi-
gen Flexibilität der Arbeitskräfte, die in unserer globali-
sierten Welt unabkömmlich ist, festgehalten. Damit meine
ich die Regelung des Opt-outs, wonach im Bedarfsfall von
der gesetzlich vorgesehenen wöchentlichen Höchstarbeits-
zeit mit Zustimmung des Arbeitnehmers abgewichen
werden kann.
Sofern Sie uns vorwerfen, wir würden Arbeitnehmer-
belange nicht ausreichend würdigen, ja sogar ein Wort-
bruch der Regierung liege vor, weil ein hoher sozialer
Schutz für Arbeitnehmer nicht garantiert werde, ist dies
schlichtweg falsch. Denn zum Schutze der Arbeitnehmer
sieht der Gemeinsame Standpunkt des Rates wesentlich
strengere Voraussetzungen für das Opt-out vor, als sie
bisher in den Mitgliedstaaten praktiziert wurden. Diese
wichtigen Verbesserungen im Sinne der Arbeitnehmer
begrüße ich sehr.
Ich möchte Ihnen kurz in Erinnerung rufen, dass im
Gemeinsamen Standpunkt, hinter dem wir auch heute
noch stehen, erstmals eine absolute Höchstgrenze für die
Wochenarbeitszeit festgelegt wurde. Dies bedeutet eine
Reduzierung um 23 Prozent im Vergleich zur heute theo-
retisch möglichen absoluten Obergrenze.
Außerdem gilt die Zustimmung des Arbeitnehmers
zum Opt-out nur noch für höchstens ein Jahr, und diese
Zustimmung darf nicht gleichzeitig mit dem Abschluss
des Arbeitsvertrages eingeholt werden. Darüber hinaus
kann jeder Arbeitnehmer seine Erklärung innerhalb der
ersten sechs Monate ihrer Geltung zurücknehmen, und
zwar mit sofortiger Wirkung. Danach besteht diese
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ption immer noch mit einer Frist von maximal zwei
onaten. Ich frage Sie: Ist das arbeitnehmerunfreund-
ich? Mit Sicherheit nicht! Und genau das ist der Grund,
arum wir daran festhalten, dass unter diesen strengen
oraussetzungen auch weiterhin die Möglichkeit des
pt-outs bestehen soll.
Eine funktionierende Wirtschaft setzt voraus, dass auf
achfrage reagiert wird. Flexibilität aufseiten des Arbeit-
ebers und Arbeitnehmers ist gefordert. In meinen Augen
st es mehr als begrüßens- und unterstützenswert, wenn
ich ein Arbeitnehmer aus freien Stücken, zum Beispiel
us der Motivation des Zusatzverdienstes heraus, hierzu
ereit erklärt. Warum sollen wir hier also Einschnitte
achen? Selbst der Marburger Bund akzeptiert im
rundsatz die Notwendigkeit, durch tarifvertragliche
egelungen bzw. durch Vereinbarungen der Sozialpartner
on der gesetzlich vorgesehenen wöchentlichen Höchst-
rbeitszeit unter strengen Voraussetzungen Abweichungen
orzusehen. Dies sicherlich auch, weil das neue Opt-out
m Vergleich zur bestehenden Regelung eine deutliche
erbesserung im Sinne des Gesundheitsschutzes der
rzte vorsieht.
Nach dem Gemeinsamen Standpunkt kann durch Tarif-
ertrag oder Vereinbarung zwischen den Sozialpartnern
zw. durch Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Ar-
eitnehmer von der wöchentlichen Höchstarbeitszeit von
8 Stunden abgewichen werden. Stillschweigende Aus-
eutung sieht anders aus. Trauen Sie, werte Damen und
erren von Bündnis 90/Die Grünen, den Arbeitnehmer-
ertretungen so wenig zu?
Ich möchte betonen, dass, bezogen auf einen Drei-
onatszeitraum, grundsätzlich höchstens 65 Stunden
ochenarbeitszeit vereinbart werden können. Etwaigem
issbrauch ist damit ein Riegel vorgeschoben. Machen
ie sich bitte klar: Es handelt sich hier nicht um eine ein-
eitige Regelung zulasten der Arbeitnehmer. Es geht uns
erade nicht darum, die Arbeitgeberposition zu stärken.
Es ist ein Stück wirtschaftliche Realität, dass insbeson-
ere im Krankenhausbereich regelmäßig 48 Wochenstun-
en überschritten werden. Durch die Opt-out-Lösung
ird dem Ganzen der rechtliche Rahmen verliehen, den
s verdient: Dem Arbeitnehmer wird ein Recht in die
and gegeben, von dem er – aus welchen Erwägungen
uch immer – Gebrauch machen kann, aber nicht muss.
eine Position wird gestärkt, nicht geschwächt. Neben-
ei bemerkt: Nach der bisherigen Regelung waren hier
heoretisch bis zu 78 Stunden Wochenarbeitszeit mög-
ich. Die neue Opt-out-Regelung ist also aus der Sicht
er Ärzte eine Verbesserung des Status quo.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die
rünen, auch wir sind für den Grundsatz, dass Bereit-
chaftszeit inklusive der inaktiven Zeiten als Arbeitszeit
ngerechnet wird. Die Arbeitszeitrichtlinie muss deut-
ich klarstellen, dass die geleistete Arbeit während der
ereitschaftszeit genauso wertgeschätzt wird wie die re-
uläre Arbeitszeit.
Das deutsche Arbeitszeitgesetz sieht derzeit vor, dass
ie gesamte Bereitschaftsdienstzeit als Arbeitszeit zu wer-
n ist. Allerdings kann tarifvertraglich die wöchentliche
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Höchstarbeitszeit verlängert werden. So soll es bleiben.
Denn wir brauchen Flexibilität, um den unterschiedlichen
Interessen von verschiedenen Berufsgruppen gerecht zu
werden. Wird die inaktive Zeit als Arbeitszeit angese-
hen, dann muss es die Möglichkeit geben, dass einzelne
Berufsgruppen tarifvertraglich von der wöchentlichen
Höchstarbeitszeit abweichen und ihre inaktiven Zeiten
besonders gewichtet werden.
Ich möchte Sie daran erinnern, dass die Arbeitszeit-
richtlinie für die verschiedensten Berufe und nicht nur
für Ärzte gilt. Es muss der Tatsache Rechnung getragen
werden, dass Bereitschaftsdienste – beispielsweise bei
den Feuerwehrleuten, die im Gegensatz zum Arzt ihren
24-Stunden-Dienst regelmäßig mit Schlafen und Freizeit-
aktivitäten ausfüllen können – eine unterschiedliche Belas-
tung der Arbeitnehmer nach sich ziehen. Dabei – und das
möchte ich deutlich herausstellen – soll die inaktive Zeit
nicht als Ruhezeit eingeordnet werden. Wir wollen ge-
rade nicht die Situation, dass zum Beispiel ein Arzt nach
seiner regulären Schicht Bereitschaftsdienst leistet und
morgens erneut zum Dienst antreten muss. Dies darf in
keinem Mitgliedstaat möglich sein.
Natürlich müssen wir wichtige Rahmenbedingungen
für einen höheren Schutz der Arbeitnehmer schaffen.
Dazu gehören auch die Begrenzung der Wochenarbeits-
zeit und einheitliche Begriffsdefinitionen. Auf der
Grundlage dieser Rahmenbedingungen müssen die
Tarifvertragsparteien der einzelnen Berufsgruppen in
den Mitgliedstaaten aber auch die Möglichkeit erhalten,
Regelungen zu treffen, die den spezifischen Interessen
der Arbeitnehmer vor Ort sowie allen anderen Beteilig-
ten Rechnung tragen.
Die Möglichkeit der nationalen Abweichung von der
wöchentlichen Höchstarbeitszeit durch die Tarifvertrags-
parteien ist derzeit in Deutschland für Klinikärzte,
Feuerwehrleute, Sozialarbeiter und Polizisten gängig
und bewährt. In unserem Land haben die Tarifpartner
immer praxisgerechte Tarifverträge ausgehandelt. Diese
Tarifautonomie muss bleiben, da sie vor Ort für sach-
gerechte Lösungen sorgt. Nur das ist ein sachgerechter
Kompromiss. Die Stärkung der Verantwortung der Sozial-
partner ist eine wichtige Errungenschaft, die wir fördern
und nicht beschneiden sollten.
Ist es in den heutigen Zeiten der Weltwirtschaftskrise
nicht dringend notwendig, Europa und damit auch den
Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken? Hierzu ge-
hört nun einmal Flexibilität, die der Markt und damit
auch die Arbeitskräfte beweisen müssen. Sie haben
recht, dies darf nicht zulasten der Arbeitnehmer gehen.
Aber das tut es auch nicht. Denn die Bedingungen, die
wir vorsehen, sind arbeitnehmerfreundlich. Es sind Er-
rungenschaften, von denen Arbeitnehmer und Arbeit-
geber gleichsam profitieren. Ich frage Sie, werte Damen
und Herren von Bündnis 90/Die Grünen, warum wollen
Sie diese unter dem Deckmantel des Arbeitnehmerschut-
zes zunichtemachen? Wie wollen Sie den Standort
Deutschland attraktiv halten? Ihr Antrag ist mehr als
kurzsichtig.
Abschließend ist es mir wichtig, deutlich zu machen,
dass die Folgen unserer Entscheidungen Millionen von
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rbeitnehmern in Europa aus den unterschiedlichsten
erufsgruppen betreffen. Haben Sie schon einmal darüber
achgedacht, was mit den Bereichen des Brandschutzes,
er technischen Hilfeleistung und des Rettungsdienstes
assiert, sollten Sie sich mit Ihrem Antrag durchsetzen?
in Wegfall der Opt-out-Möglichkeit würde an den
eisten Standorten unvermeidbar zu einer Unterbeset-
ung der Feuerwehren führen, da ausgebildete Feuer-
ehrangehörige jetzt und auch in Zukunft nicht auf dem
rbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Flächendeckender
randschutz wäre nicht mehr gewährleistet. Und hier
ürde auch keine Übergangszeit von drei Jahren die
ituation ändern. Der Wegfall von Bereitschaftsdiensten
ürde auch das Aus für alle deutschen SOS-Kinderdörfer
edeuten, was nicht in unserem Interesse liegen kann.
Kurzum, es geht uns nicht darum, bestehende Rechte
er Arbeitnehmer auszuhöhlen. Vielmehr werden Ansprü-
he festgeschrieben und Rechtsgrundlagen geschaffen.
ie Abschaffung des Opt-outs würde mehr Menschen in
ie Schattenwirtschaft treiben, wo sie völlig ungeschützt
ären. In einer funktionierenden Wirtschaft müssen die
rbeitnehmer auch die Möglichkeit haben, Überstunden
u machen.
Wir dürfen auf der europäischen Ebene keine Vor-
chriften verabschieden, die den Tarifvertragsparteien
ine solche Lösung verwehren. Ihre Berufsvertreter in
en Verbänden kennen die Situation am besten und kön-
en tarifvertraglich auf sie zugeschnittene Vereinbarun-
en treffen. Ein tarifvertragliches Opt-out ermöglicht
assgenaue Lösungen vor Ort, und genau das sollte bei
er Überarbeitung der Arbeitszeitrichtlinie im Vordergrund
tehen. Flexibilität ist großzuschreiben, wobei unsere
ösung die Belange der Arbeitnehmer und der Wirt-
chaft in bestmöglicher Weise zusammenführt.
Aus diesen Gründen lehnen wir den Antrag von
ündnis 90/Die Grünen ab: Die Möglichkeit des Opt-
uts muss, und zwar unabhängig von einer dreijährigen
bergangszeit, bestehen bleiben.
Josip Juratovic (SPD): Regeln zur Arbeitszeit und
u den Arbeitsbedingungen sind eine wesentliche Säule
es Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnenschutzes. Ein
oziales Europa braucht klare und verbindliche Stan-
ards gerade auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
ehmer. Seit 2004 gibt es intensive Bemühungen der
U-Kommission, sich auf eine Änderung der Arbeits-
eitrichtlinie zu verständigen.
Die Richtlinie enthält Mindeststandards für die Ar-
eitszeitgestaltung, die in allen EU-Mitgliedstaaten gel-
en soll. Der Kompromiss der EU-Arbeits- und Sozial-
inister zur Arbeitszeit 2008 eröffnet nach Ansicht des
uropäischen Parlaments den Einstieg in die 60-Stun-
en-Woche und darüber hinaus für alle Beschäftigten,
ofern entsprechende Tarifvereinbarungen getroffen
erden. Zudem soll nach dem Vorschlag des EU-Minis-
errats der inaktive Teil des Bereitschaftsdienstes nicht
ehr als Arbeitszeit gewertet werden. Auch hier sagt das
uropäische Parlament, dass der gesamte Bereitschafts-
ienst einschließlich der inaktiven Zeit als Arbeitszeit
nzusehen ist.
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Das Europäische Parlament befürchtet darüber hinaus,
dass die Regelung sich nicht nur auf Bereitschaftsdienste
beschränkt wird. Für Bereitschaftsdienste wären 65 Stun-
den und mehr möglich. Das Europäische Parlament
stimmte in seiner Sitzung am 17. Dezember letzten Jahres
dafür, nationale Ausnahmeregelungen bei der Arbeits-
zeitrichtlinie zu verbieten und eine EU-weite Höchstwo-
chenarbeitszeit von 48 Stunden durchzusetzen. Damit
stellte sich das Europäische Parlament gegen den Vor-
schlag des EU-Ministerrates, nach dem in der Arbeits-
zeitrichtlinie unter anderem nationale Ausnahmen – die
sogenannten Opt-outs – und damit eine höhere Wochen-
arbeitszeit zugelassen sind.
Aufgrund der Entscheidung des EU-Parlaments
wurde das Vermittlungsverfahren eingeleitet. Noch diese
Woche tagt der informelle Rat, um zu prüfen, welche
Position die Mitgliedstaaten einnehmen. Des Weiteren
werden bis zum Vermittlungsausschuss Anfang Februar
weitere Verhandlungen zwischen Parlament, Rat und
Kommission geführt werden, um einen Kompromiss zu
erzielen. Wer bis heute nicht wusste, warum er an der
Europawahl teilnehmen soll, der erkennt spätestens jetzt
die Bedeutung des Europäischen Parlaments.
Wir Sozialdemokraten sehen in der Arbeitszeitrichtli-
nie einen wichtigen Baustein für das soziale Europa. Die
Regeln zur Arbeitszeit tragen dazu bei, Sicherheit und
Gesundheitsschutz der Beschäftigten zu gewährleisten.
Mindeststandards verhindern zudem Wettbewerbsver-
zerrungen. Die Beschäftigten brauchen einen regulierten
Arbeitszeitrahmen, wie wir ihn bereits im nationalen Ar-
beitszeitgesetz Ende 2003 festgelegt haben. Wir haben
die notwendigen Änderungen infolge des EuGH-Urteils
zum Bereitschaftsdienst bereits umgesetzt. Arbeitsbe-
reitschaft und Bereitschaftsdienst werden national insge-
samt als Arbeitszeit gewertet. Dies ist nicht nur national
richtig.
Die Tarifvertragsparteien haben nach unserer gesetzli-
chen Regelung Gestaltungsspielräume. Sie können in ei-
nem abgestuften Modell auf tarifvertraglicher Grundlage
längere Arbeitszeiten vereinbaren. Diese Rahmenbedin-
gungen sind wichtige Voraussetzungen, um die Ein-
haltung von Arbeitszeit zu kontrollieren, auch für
Betriebsräte, die im Rahmen der Mitbestimmung die Ar-
beitszeitinteressen der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer durchsetzen wollen.
Eine Absenkung des Schutzniveaus für Arbeitnehmer
und Arbeitnehmerinnen ist nicht zielführend. Die Richt-
linie wurde ursprünglich geschaffen, um Gesundheit und
Sicherheit der Arbeitnehmer zu schützen. Hier dürfen
keine Abstriche gemacht werden. Eine Verschlechterung
durch eine europäische Festlegung wäre mit dem Gedan-
ken des Arbeitsschutzes aus unserer Sicht nicht verein-
bar.
Anlass für die Revision der Arbeitszeitrichtlinie wa-
ren vor allem zwei Dinge: Erstens steht das nationale Ar-
beitszeitrecht vieler Mitgliedstaaten im Widerspruch zu
den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes. Der Eu-
ropäische Gerichtshof hat festgelegt, dass Bereitschafts-
zeit als Arbeitszeit zu werten ist. Zweitens sieht der
Kommissionsbeschluss ein vertragliches Opt-out vor.
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iese Klausel erlaubt es den Arbeitsvertragsparteien – also
em einzelnen Unternehmen und dem einzelnen Arbeit-
ehmer –, wichtige Vorschriften des Arbeitnehmerschut-
es arbeitsvertraglich außer Kraft zu setzen. Dies ist in
er Praxis problematisch, da wir die geforderte Freiwil-
igkeit des Arbeitnehmers infrage stellen.
Der Kompromiss des Ministerrates zur Arbeitszeit-
ichtlinie aus dem Juni 2008 wird auch vom Europäi-
chen Gewerkschaftsbund heftig kritisiert, insbesondere,
ass künftig inaktive Bereitschaftszeit nicht mehr als Ar-
eitszeit gelten soll, außer wenn nationale Gesetze oder
arifverträge das Gegenteil bestimmen. Ebenso ist für
en Europäischen Gewerkschaftsbund inakzeptabel,
ass der Ausgleichszeitraum bei Arbeitszeitverlängerun-
en auf zwölf Monate ausgedehnt werden kann.
Heftig kritisiert wird auch die Einschränkung des so-
enannten individuellen Opt-out, der Arbeitszeitverlän-
erung ohne Zeitausgleich bei individueller Zustim-
ung. Mit den von EU-Kommission und Ministerrat
estgelegten Änderungen besteht die Gefahr, dass auch
ational die Dienstzeiten, zum Beispiel im Gesundheits-
ereich, wieder infrage gestellt werden. Die Einführung
iner neuen Zeitkategorie, wonach sogenannte inaktive
eiten des Bereitschaftsdienstes nicht als Arbeitszeit ge-
ertet werden, lehnen wir ab. Dies widerspricht nicht
ur der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.
it der beabsichtigten Änderung würde die Tür zu sehr
angen Dienstzeiten, zum Beispiel im Gesundheitsbe-
eich, geöffnet.
Die Einführung einer neuen Zeitkategorie, wonach
ogenannte inaktive Zeiten des Bereitschaftsdienstes
icht als Arbeitszeit gewertet werden, ist in der Tat abzu-
ehnen. Sie widerspricht der einschlägigen Rechtspre-
hung des Europäischen Gerichtshofes, in der festge-
tellt wurde, dass Bereitschaftsdienst in vollem Umfang
rbeitszeit ist, weil der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber
ur Verfügung steht. Wer die Praxis kennt und den
achtdienst im Krankenhaus einmal miterlebt hat, der
eiß, dass eine Aufteilung in aktive und inaktive Phasen
öllig realitätsfremd ist.
Wir brauchen aber nicht längere, sondern kürzere Ar-
eitszeiten und eine faire Verteilung der Arbeit. Die Ver-
bschiedung einer solchen Richtlinie würde jene Urteile
es EuGH aushebeln, die bisher zugunsten der Arbeit-
ehmer und Arbeitnehmerinnen ausfielen. Unstreitig ist,
ass die Auswirkungen der angestrebten Änderungen
er Arbeitszeit in den einzelnen EU-Staaten durchaus
nterschiedlich bewertet werden. Für einige Staaten
äre dies die Verpflichtung, national erstmalig Mindest-
tandards im Bereich der Arbeitszeit festzulegen. Wie
ei allen Richtlinien, die soziale Mindeststandards den
ationalstaaten vorgeben, dürfen diese Mindestbedin-
ungen national nicht unterschritten werden. Das heißt
mgekehrt, kein Mitgliedstaat wäre dazu verpflichtet,
eine besseren Standards aufzugeben.
So bin ich sehr froh, dass in Deutschland das Arbeits-
eitgesetz seit 2004 dank Rot-Grün nicht mehr zwischen
rbeitszeit und Bereitschaftsdienstzeit unterscheidet.
as bedeutet, dass die Bereitschaftsdienstzeit in Gänze
ls Arbeitszeit gewertet wird, und zwar unabhängig da-
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von, wie die Inanspruchnahme während des Bereit-
schaftsdienstes verläuft. Gleichzeitig wurden engere
Grenzen für die zulässige tägliche und wöchentliche
Höchstarbeitszeit gezogen. Diese Regelungen haben
sich in Deutschland bewährt. Deswegen müssen wir
diese beibehalten und uns dafür einsetzen, dass die EU-
Standards deutsche Standards nicht gefährden.
Auch mit der geänderten Arbeitszeitrichtlinie kann es
daher bei uns dabei bleiben, dass in Deutschland – an-
ders als in anderen Ländern Europas – Bereitschafts-
dienst als Arbeitszeit gilt. Wichtig ist für uns auch, dass
mit der Richtlinie Mitgliedstaaten aufgefordert werden,
auf die Sozialpartner einzuwirken, dass diese die bessere
Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern.
Nachdem wir uns bereits in einem sensiblen Abstim-
mungsprozess auf EU-Ebene befinden, lehnen wir den
Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ab.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Erstens. Der Antrag ist
ein typischer Antrag der Grünen, geschrieben in der Ma-
nier der Gutmenschen, frei nach dem Motto: Wir, die
Grünen, wissen, was für die Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer von Großbritannien bis Zypern am besten
ist. Daher fordert die Fraktion der Grünen, die Opt-out-
Option bei der durchschnittlichen wöchentlichen Ar-
beitszeit europaweit abzuschaffen und eine für alle Mit-
gliedstaaten verbindliche Höchstarbeitszeit von 48 Stun-
den pro Woche einzuführen.
Man sollte aber nicht ignorieren, dass die Gegeben-
heiten in den 27 Mitgliedstaaten der EU unterschiedlich
sind und folgerichtig auch unterschiedliche Bedürfnisse
und Anforderungen bestehen. Abgesehen davon ent-
spricht die Forderung der Grünen auch gar nicht den
Wünschen der Betroffenen, denn die Realität sieht defi-
nitiv anders aus: In einer von der Financial Times 2006
durchgeführten Umfrage sprachen sich rund 65 Prozent
der Deutschen gegen eine gesetzliche Beschränkung der
Arbeitszeit aus. Viele Menschen möchten vielleicht über
einen bestimmten Zeitraum Überstunden leisten, um ent-
weder später einen längeren Urlaub zu realisieren oder
weil sie schlicht auf den finanziellen Zuverdienst ange-
wiesen sind.
Zweitens. Zum Antrag ist weiter anzumerken, dass in
Deutschland bereits zum 1. Januar 2004 das Arbeitszeit-
gesetz dahin gehend geändert wurde, dass Bereitschafts-
dienst in vollem Umfang Arbeitszeit ist. Aus guten
Gründen hat der deutsche Gesetzgeber aber daran festge-
halten, dass bei Bereitschaftsdienst und Arbeitsbereit-
schaft die Möglichkeit einer Verlängerung der wöchent-
lichen Arbeitszeit über durchschnittlich 48 Stunden
hinaus besteht. Voraussetzung hierfür ist, dass dieses so-
genannte Opt-out in einem Tarifvertrag zugelassen wird
und der Arbeitnehmer dem zustimmt. Auch in Zukunft
muss es Aufgabe der zuständigen Tarifparteien bleiben,
eine optimale Lösung für den jeweils betroffenen Sektor
zu finden. Dies ist sinnvoll und erforderlich, da die Be-
lastungen durch den Bereitschaftsdienst je nach Branche
stark variieren.
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Drittens. Die FDP ist der Ansicht, dass es aus Grün-
en der Subsidiarität den Mitgliedstaaten überlassen
leiben soll, wie die Arbeitszeiten mit – und zwischen –
en Tarifparteien ausgehandelt werden. Es ist nicht sinn-
oll, auf europäischer Ebene branchenübergreifend euro-
aweite Regelungen festzuschreiben. Viel sinnvoller ist
s, auf die nationalen Unterschiede einzugehen und eine
pt-out-Option beizubehalten. Arbeitszeitmodelle las-
en sich nicht bis ins Detail europaweit regeln.
Viertens. Was die Bereitschaftsdienste anbelangt, so
urde im Arbeitszeitgesetz geregelt, dass Bereitschafts-
ienst in vollem Umfang Arbeitszeit ist. Die FDP tritt
ber dafür ein, zwischen inaktivem und aktivem Bereit-
chaftsdienst zu unterscheiden. Die sogenannte inaktive
eit im Bereitschaftsdienst – der Zeitraum, in dem der
eschäftigte nicht zu tatsächlicher Arbeitsleistung he-
angezogen wird – soll demnach nicht zur Arbeitszeit
ählen, es sei denn, nationales Recht oder Tarifverträge
estimmen etwas anderes. Besonders im Hinblick auf
ie Situation von medizinischem Personal ist somit eine
alance hergestellt zwischen Aufrechterhaltung medizi-
ischer Versorgung einerseits und Verhinderung einer
eiteren Kostenexplosion andererseits. Dabei muss es
us Gründen der Subsidiarität den Mitgliedstaaten über-
assen bleiben, wie sie je nach Branche und Beruf den
ereitschaftsdienst organisieren und seine aktiven und
naktiven Bestandteile vergüten. Eine einheitliche euro-
äische Festlegung würde den Besonderheiten der ein-
elnen Sektoren nicht gerecht werden. Hier sollten Sie
en Realitäten ins Auge sehen.
Fünftens. Zu guter Letzt sei noch erwähnt, dass ge-
ade die nationalen Parlamente und die Fraktionen sich
üten sollten, dem wuchernden Dschungel EU noch wei-
ere Aufgaben zu übereignen, die tatsächlich eher natio-
ale Angelegenheiten bzw. Angelegenheiten der Tarif-
arteien sind. Das Ergebnis wird eine wachsende
uropaverdrossenheit sein. Auch hier gilt: Weniger ist
ehr.
Gerd Andres (SPD), ehemaliger Parl. Staatssekretär
m deutschen Arbeitsministerium, äußerte am 8. Novem-
er 2006 bei euractiv, dass das Opt-out weiterhin als
öglichkeit bestehen sollte, und fügte hinzu, dass das
oziale Europa nicht verschwinden werde, wenn Aus-
ahmen erlaubt würden.
Werner Dreibus (DIE LINKE): Wir reden heute
ber die Änderung der Europäischen Arbeitszeitrichtli-
ie und damit über den verbindlichen Rahmen, den wir
er Gestaltung der Arbeitszeit in allen 27 Mitgliedstaa-
en der Europäischen Union in Zukunft setzen wollen.
Schauen wir uns die bestehende EU-Arbeitszeitricht-
inie einmal an. Sie begrenzt die maximale durchschnitt-
iche Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden und setzt damit
ür viele Menschen einen sozialen Mindeststandard.
och dieser Standard bietet nur einen ziemlich löchrigen
chutz. Denn bereits jetzt kann die Arbeitszeit in einer
inzigen Woche auf bis zu 78 Stunden und unter be-
timmten Bedingungen sogar auf 89 Stunden ausgewei-
et werden. Per Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag
st es möglich, den Bezugszeitraum zur Messung der
21946 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009
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durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von drei auf zwölf
Monate auszudehnen. Hinzu kommt: Beschäftigte kön-
nen durch eine „freiwillige“ schriftliche Erklärung ein-
willigen, auf die Begrenzung der wöchentlichen Höchst-
arbeitszeit auf 48 Stunden ganz zu verzichten. Neben
diesem individuellen Opt-out ist auch ein Opt-out per
Tarifvertrag möglich. Genutzt wird diese Ausnahmere-
gelung in Deutschland zum Beispiel im Gesundheitswe-
sen mit der Folge, dass die durchschnittliche Wochenar-
beitszeit von Krankenhausärzten derzeit bei circa
70 Stunden liegt. Eine Änderung der bestehenden EU-
Arbeitszeitrichtlinie ist also schon im Sinne eines besse-
ren Schutzes nicht nur der Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer dringend geboten.
Doch die EU-Arbeits- und Sozialminister und allen
voran die Große Koalition vertreten nicht die Interessen
der Beschäftigten, sondern die der Unternehmen. Die
Bundesregierung hat gemeinsam mit der britischen Re-
gierung durchgesetzt, dass der Entwurf des EU-Minis-
terrates das Opt-out weiterhin vorsieht – gegen den Wi-
derstand von Frankreich, Spanien, Italien, Belgien,
Griechenland, Zypern und des Europäischen Parlaments,
die die Abschaffung der Regelung forderten und fordern.
Geplant ist außerdem eine generelle Flexibilisierung der
Jahresarbeitszeit durch Gesetz oder einfache Verwal-
tungsvorschrift. Die Regierungen könnten so das Inte-
resse der Unternehmen an einer weiteren Flexibilisie-
rung der Arbeitszeiten noch leichter durchsetzen. Auf
Gewerkschaften bräuchten sie keine Rücksicht nehmen.
Arbeitszeiten von bis zu 78 Stunden in der Woche und
eine tägliche Arbeitszeit von bis zu 13 Stunden sollen so
künftig möglich sein.
Doch damit nicht genug: Die Neuregelung der Bereit-
schaftszeiten, bei der – entgegen der Urteile des Euro-
päischen Gerichtshofes – nicht mehr die gesamte Zeit als
Arbeitszeit gewertet werden soll, hätte zur Folge, dass
die tatsächliche Arbeitszeitbelastung zum Beispiel von
Ärzten noch deutlich höher als 78 Wochenstunden sein
könnte.
Diese arbeitnehmerfeindliche Arbeitzeitspolitik der
EU-Arbeitsminister unter Federführung der Bundesrepu-
blik Deutschland ist ein Skandal. Sie gefährdet die Ge-
sundheit und Sicherheit der Beschäftigten und erschwert
selbst eine kurzfristige verlässliche Lebensplanung. Fa-
milie und Beruf lassen sich so immer schlechter verein-
baren. Wir wenden uns deshalb strikt gegen jede weitere
Aufweichung der Europäischen Arbeitszeitrichtlinie und
fordern die sofortige Abschaffung des Opt-outs und die
Anerkennung des gesamten Bereitschaftsdienstes als Ar-
beitszeit. Darüber hinaus fordern wir die Bundesregie-
rung auf, sich für einen neuen EU-Arbeitszeitstandard
einzusetzen, der den Interessen der Beschäftigten wirk-
lich gerecht wird. Wir wollen die maximal erlaubte Wo-
chenarbeitszeit von 48 auf 40 Stunden reduzieren und
die vorhandene Arbeit gerechter verteilen. Die Mehrheit
der Bevölkerung in den 15 alten EU-Mitgliedstaaten
wünscht deutlich kürzere Wochenarbeitszeiten, im
Durchschnitt 34,5 Stunden. Die tatsächliche wöchentli-
che Arbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten lag im Jahr
2006 in den 27 Staaten der EU jedoch bei 39,9 Stunden.
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Arbeitszeitverkürzung ist angesichts der schweren Wirt-
chaftskrise – auch der IWF warnt jetzt vor der schwersten
ezession seit dem Zweiten Weltkrieg und prognostiziert
ür die Eurozone ein Minus von 2,0 Prozent – eine abso-
te ökonomische Notwendigkeit. Kollektive Arbeitszeit-
erkürzung wirkt beschäftigungssichernd. Die Bundes-
gentur für Arbeit und das Deutsche Institut für
irtschaftsforschung errechneten für den Zeitraum von
985 bis 1998 zwischen 700 000 bis 1 Million zusätzli-
her Arbeitsplätze durch Arbeitszeitverkürzung allein in
eutschland. Wollen die Regierungen ein deutliches An-
teigen der Arbeitslosigkeit wirklich verhindern und der
irtschaftskrise offensiv begegnen, dann kommen sie
m eine sofortige deutliche Arbeitszeitverkürzung in der
U nicht herum.
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
U ist nicht allein ein wirtschaftliches Projekt. In letzter
eit werden immer häufiger die Rufe nach einem sozia-
en Europa laut. Dies unterstützen wir. Wir sind der Auf-
assung, dass die Freiheiten des Binnenmarktes durch
oziale Rechte und Grundrechte klar begrenzt werden
üssen.
Derzeit wird in Brüssel über einen ganz konkreten
esetzesvorschlag verhandelt, der dazu beitragen
önnte, dass Europa sozialer gestaltet wird. Dabei han-
elt es sich um die EU-Arbeitszeitrichtlinie. In dieser
ichtlinie soll eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von
m Durchschnitt 48 Stunden festgelegt werden. Darüber
inaus soll geklärt werden, ob und in welchem Maße die
ereitschaftszeit als Arbeitszeit angerechnet werden
oll. Der Europäische Gerichtshof ist schon in einigen
rteilen zu dem Schluss gekommen, dass Bereitschafts-
eit als Arbeitszeit angerechnet werden sollte.
Die Arbeitsminister der EU-Mitgliedstaaten haben
ich im Sommer auf einen faulen Kompromiss zur Ar-
eitszeitrichtlinie geeinigt, mit dem sie in die Verhand-
ungen mit dem Europäischen Parlament gehen wollen.
ür diesen faulen Kompromiss setzt sich vor allem die
undesregierung vehement ein. Die Bundesregierung
das heißt in diesem Fall der zuständige Arbeitsminister
laf Scholz – ist der Auffassung, dass den Arbeitnehme-
innen und Arbeitsnehmern auch höhere Arbeitszeiten
ugemutet werden können. Herr Scholz vertritt die Posi-
ion, dass auch durchschnittliche Wochenarbeitszeiten
on 60 Stunden und mehr kein Problem sind. Bereit-
chaftszeiten sollen nicht als Arbeitszeit anerkannt wer-
en. Außerdem will Herr Scholz eine Ausnahmeklausel
urchsetzen. Dieses sogenannte Opt-out besagt, dass die
inzelnen Mitgliedstaaten frei entscheiden können, ob
ie die Regeln zur Höchstarbeitszeit akzeptieren. Schon
etzt wenden 14 Mitgliedstaaten ein Opt-out an. Eine
inheitliche europaweite Regelung wird damit obsolet.
o kann man ein soziales Europa für alle nicht gestalten.
Mich interessiert, wie Herr Scholz seinen sozialdemo-
ratischen Kolleginnen und Kollegen und auch den Ge-
erkschaften seine Position erklären will. Die sozialde-
okratischen Abgeordneten im Europäischen Parlament
aben den Kompromiss im Ministerrat als „Schlag ins
esicht aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ be-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009 21947
(A) )
(B) )
zeichnet. Vor allem aufgrund des Engagements der Grü-
nen-Fraktion im Europäischen Parlament konnte dort
eine breite Mehrheit gegen die Ausnahmeklausel und für
durchschnittliche Höchstarbeitszeiten von 48 Stunden
gefunden werden. Kritiker der Arbeitszeitrichtlinie be-
haupten, dass die Arbeitszeiten in ein starres Korsett ge-
steckt werden sollen. Dies ist nicht wahr. Es handelt sich
um eine durchschnittliche Berechnung über einen Zeit-
raum von mehreren Monaten. Höhere Arbeitszeiten zu
Stoßzeiten bleiben weiter möglich. Auch für die Berech-
nung der inaktiven Bereitschaftszeiten, die von vielen
Krankenhausbetreibern kritisch gesehen wird, hat das
Europäische Parlament einen gangbaren Kompromiss
gefunden.
Wir unterstützen die Position der Grünen-Fraktion
und des Europäischen Parlaments. Vernünftige Höchst-
arbeitszeiten dienen dem Gesundheitsschutz der
Beschäftigten. Überarbeitete und übermüdete Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer können Fehler mit weitrei-
chenden Auswirkungen machen. Aber nicht nur deshalb
setzen wir uns für eine Begrenzung der Arbeitszeiten
ein. Reduzierte und flexible Konzepte der Arbeitszeitge-
staltung können darüber hinaus die Erwerbsarbeitslosig-
keit bekämpfen und auch einen Beitrag zur Vereinbarkeit
von Familie und Beruf leisten.
Die Position des Arbeitsministers Olaf Scholz ist ein
Skandal. So lässt sich kein soziales Europa aufbauen. So
kann man das Vertrauen der Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer nicht gewinnen. Deshalb fordern wir die
Bundesregierung auf, in den entscheidenden Verhand-
lungen auf EU-Ebene durchzusetzen, dass die Opt-out-
Option bei der durchschnittlichen wöchentlichen Ar-
beitszeit abgeschafft wird. Sie soll sich für eine verbind-
liche durchschnittliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden
pro Woche einsetzen. Außerdem soll sie durchsetzen,
dass aktive und inaktive Bereitschaftszeiten als Arbeits-
zeit angesehen werden. Wenn diese Punkte durchgesetzt
werden, sind wir einem sozialen Europa einen Schritt
näher gekommen.
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Versorgung für
Geschiedene aus den neuen Bundesländern ver-
bessern (Zusatztagesordnungspunkt 7)
Maria Michalk (CDU/CSU): In guten und in schlech-
ten Zeiten zusammenzuhalten – dieses Versprechen hält
in unserem irdischen Leben nicht immer. Wer vertraut,
geht immer auch ein Risiko ein. Dieses Risiko zu mini-
mieren und die Folgen gleichberechtigt zu verteilen, das
ist ein hoher Anspruch, dem sich unser Rechtsstaat stellt.
Und trotzdem erfahren wir immer wieder von Konstella-
tionen persönlicher Schicksale, die im sozialen Siche-
rungsnetz keine hundertprozentige Befriedung erfahren.
Von solchen persönlichen Schicksalen geschiedener
Frauen aus der DDR 20 Jahre nach dem Fall der Mauer
zu erfahren, macht uns nach wie vor betroffen.
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Im Wissen um die rechtliche Situation und die Konse-
uenzen einer Scheidung in der DDR haben die Frauen
er Trennung mehr oder weniger einvernehmlich zuge-
timmt. An die Teilung der Anwartschaften haben aber
ohl die wenigsten in diesem Augenblick gedacht. Frei-
ich ist die Annahme nicht falsch, dass Frauen überpro-
ortional gleichzeitig außerhäuslicher Arbeit nachgingen
nd Familienarbeit machten. Aber die niedrigen Löhne,
um Beispiel im Gesundheitswesen, bewirken nach heu-
igem Recht eine Kumulierung ungünstiger Faktoren.
Der zur DDR-Zeit nicht vorhandene Versorgungsaus-
leich nach heutigem Muster bewirkt tatsächliche und
efühlte Ungerechtigkeiten, denen sich auch die CDU/
SU-Bundestagsfraktion in Arbeitsgruppen, Anfragen
nd öffentlichen Diskussionen seit vielen Jahren stellt.
mmer ist auch deutlich geworden, dass nicht alle Unge-
echtigkeiten der damaligen Zeit vollständig abgewendet
erden können. Der Prozess der Suche nach einer Lö-
ung ist intensiv geführt worden.
Die Hoffnung, eine akzeptable und tragfähige Lösung
u finden, hat sich verringert, als uns das Ergebnis der
nterministeriellen Arbeitsgruppe noch unter der rot-grü-
en Bundesregierung bekannt wurde. Auch mit Mitteln
es Rentenrechts könne die Situation nur teilweise gelöst
erden, denn die seit 1977 nur noch als Übergangsrecht
xistierende Geschiedenenwitwenrente würde nur rund
0 Prozent der geschiedenen Frauen betreffen. Als Argu-
ent für die Nichteinbeziehung der vor 1992 geschiede-
en Frauen in den Versorgungsausgleich greift vor allem
as Rückwirkungsverbot und die damit verbundenen
erfassungsrechtlichen Bedenken. Der von einer Belas-
ung Betroffene – das ist der geschiedene Mann – kann
ich laut Urteil des Bundesverfassungsgerichtes auf Ver-
rauensschutz berufen.
Da der Versorgungsausgleich nicht möglich ist, wurde
ie Berücksichtigung im Rentenrecht geprüft. Darauf
ezieht sich auch der vorliegende Antrag.
Betroffene Frauen haben auch den Klageweg be-
chritten – ohne Erfolg. Zum Teil wurden die Verfas-
ungsbeschwerden gar nicht angenommen. Es betrifft
twa 500 000 geschiedene Frauen. Deren Situation ist
ns nicht gleich. Auch der Bundesrat hat sich mehrfach
er Sache angenommen.
Der heute vorliegende Antrag konzentriert sich auf
rauen, die ihre Erwerbsbiografie wegen Kindererzie-
ung unterbrochen haben. Es soll eine individuelle Er-
ragsrechnung erstellt werden. Die Behauptung, dass der
erwaltungsaufwand gering sei, kann nicht nachvollzo-
en werden. Außerdem wird hier eine Trennung der
ruppe der geschiedenen Frauen vorgenommen, die bis-
er für ihre Anliegen gemeinsam eingetreten sind. Eine
ahl, um wie viele aus der Gruppe es sich handelt, wird
icht genannt. Auch die Kosten wurden nicht näher spe-
ifiziert. Da vorgeschlagen wird, die Finanzierung aus
em Steueraufkommen zu tragen, muss die Allgemein-
eit auch dezidiert die Kosten kennen. Insofern sollte der
ntrag nachgebessert werden.
Meine Darlegungen sollen verdeutlichen, dass wir die
estehende Problemstellung nach wie vor als ein sehr
21948 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009
(A) )
(B) )
sensibles Thema betrachten, weil es hier auch um die
Würde der Betroffenen geht. Bisher ist in den Beratun-
gen keine akzeptable Lösung gefunden worden. Das ver-
treten wir auch ehrlich gegenüber den Betroffenen. Ob
im Rahmen der generellen Novelle zum Versorgungs-
ausgleich eine pauschale Regelung möglich ist, werden
die kommenden Beratungen zeigen.
Gregor Amann (SPD): Der heute zu beratende An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat als Thema
die Versorgung für Geschiedene aus den neuen Bundes-
ländern. Es geht um Geschiedene in den neuen Bundes-
ländern, die sich vor 1992 trennten; sie sind von der Teil-
habe an den Rentenanwartschaften ihrer früheren Gatten
ausgeschlossen. Eine Frau aus der alten Bundesrepublik,
deren Ehe vor 1977 geschieden wurde, kann Geschiede-
nenwitwenrente beziehen, wenn ihr geschiedener Ehe-
mann ihr vor seinem Tod Unterhalt gezahlt hat. Eine
Frau aus der ehemaligen DDR, deren Ehe ebenfalls vor
1977 geschieden wurde, hat hingegen keinen Anspruch
auf Geschiedenenwitwenrente, auch dann nicht, wenn
ihr Mann gerichtlich dazu verurteilt wurde.
Vor diesem Hintergrund wird in dem vorliegenden
Antrag gefordert: Erstens. Herbeiführung einer Rege-
lung zugunsten von Frauen, die vor 1992 in den neuen
Bundesländern geschieden wurden und die wegen Kin-
dererziehung ihre Erwerbsarbeit unterbrochen oder ein-
geschränkt haben. Zweitens. In Anlehnung an den Ver-
sorgungsausgleich sollen die individuellen Ansprüche
der Frauen aus der Ehezeit ermittelt, halbiert und ihrem
Rentenkonto für die Ehezeit gutgeschrieben werden.
Drittens. Dieser Versorgungsausgleich soll aus Steuer-
mitteln finanziert werden, da ein rückwirkender Versor-
gungsausgleich zulasten des geschiedenen Ehepartners
rechtlich nicht möglich ist.
Nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch, SGB VI,
kann geschiedenen Ehegatten, die vor dem 1. Juli 1977
in den alten Bundesländern geschieden wurden, unter
bestimmten – eng begrenzten – Voraussetzungen eine
Geschiedenenwitwenrente gewährt werden. Bei danach
Geschiedenen kommt die Gewährung einer solchen
Rente nicht mehr in Betracht, weil mit dem Ersten Ehe-
rechtsreformgesetz ab diesem Zeitpunkt der Versor-
gungsausgleich eingeführt wurde. Bei der Überleitung
des bundesdeutschen Rentenrechts auf die neuen Bun-
desländer wurden keine Geschiedenenwitwenrenten für
Frauen vorgesehen, die vor Einführung des Versorgungs-
ausgleichs im Jahre 1992 in den neuen Bundesländern
geschieden wurden. Grund dafür ist, dass Geschiedenen-
witwenrenten – wie alle Hinterbliebenenrenten – Unter-
haltsersatzfunktion haben.
Voraussetzung für die Gewährung einer solchen
Rente ist deshalb das Bestehen eines grundsätzlichen
Unterhaltsanspruchs der geschiedenen Frau bzw. die tat-
sächliche Unterhaltszahlung des geschiedenen Mannes
vor seinem Tod. Das Familienrecht der ehemaligen DDR
sah jedoch Unterhaltsansprüche der geschiedenen Frau
regelmäßig nicht vor. Wenn aber vor dem Tod des ge-
schiedenen Ehemannes kein Unterhaltsanspruch bestand
und auch tatsächlich kein Unterhalt geleistet wurde,
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ann kann nach dem Tod des geschiedenen Ehemannes
uch keine Unterhaltsersatzleistung – Geschiedenenwit-
enrente – gewährt werden. Die Einführung einer Ge-
chiedenenwitwenversorgung konnte daher in den neuen
undesländern nicht greifen.
Viele der in den neuen Bundesländern hiervon Betrof-
enen gehen davon aus, dass praktisch jede vor dem
. Juli 1977 in den alten Bundesländern geschiedene
rau für den Fall des Versterbens ihres geschiedenen
hemannes eine Geschiedenenwitwenrente aus der ge-
etzlichen Rentenversicherung erhält. Diese Einschät-
ung ist aber unzutreffend. Die Zugangsvoraussetzungen
aben dazu geführt, dass lediglich ein verschwindend
eringer Teil der geschiedenen Frauen in den alten
undesländern – etwa 4 Prozent der potenziell Infrage-
ommenden – in den Genuss einer Geschiedenenwit-
enrente kam. Häufig hing es von Zufälligkeiten, zum
eispiel dem Todesdatum des geschiedenen Ehemannes,
b, ob eine geschiedene Frau einen Anspruch auf diese
eistung hatte. Die Geschiedenenversorgung in den al-
en Bundesländern hatte sich daher als sozialpolitisch
nbefriedigend erwiesen. Dies war auch der Grund da-
ür, dass die Geschiedenenwitwenversorgung 1977
urch den Versorgungsausgleich abgelöst wurde.
Für die neuen Bundesländer ist das Recht des Versor-
ungsausgleichs nach den Regelungen des Einigungs-
ertrags 1992 in Kraft getreten. Es findet nur auf Schei-
ungen Anwendung, die nach seinem Inkrafttreten
rfolgten. Der Versorgungsausgleich beruht auf dem Ge-
anken, dass in der Ehezeit erworbene Versorgungs-
echte, zum Beispiel in der Rentenversicherung, das Er-
ebnis einer partnerschaftlichen Lebensleistung der
heleute sind. Bei der Scheidung der Ehe sollen beide
artner zu gleichen Teilen daran teilhaben. Der Ehegatte,
er in der Ehe nicht oder nicht voll erwerbstätig gewesen
st – in der Regel die Ehefrau – und deshalb keine oder
ur geringere Versorgungsanrechte als der andere erwor-
en hat, hat bei Auflösung der Ehe einen Ausgleichsan-
pruch. Die Frage, ob diese Regelung auch auf Fälle der
ergangenheit erstreckt werden könnte, ist eingehend
eprüft worden; der Gesetzgeber hat sie – nicht zuletzt
us verfassungsrechtlichen Gründen – schließlich ver-
eint.
Für diese Entscheidung waren im Wesentlichen Ge-
ichtspunkte des Vertrauensschutzes und des verfas-
ungsrechtlichen Rückwirkungsverbots maßgebend. Der
ersorgungsausgleich bewirkt eine Verteilung des Al-
ersvorsorgevermögens zwischen den Ehegatten, ohne
ass Drittmittel, etwa der gesetzlichen Rentenversiche-
ung, in Anspruch genommen werden. Der Versorgungs-
rhöhung des einen früheren Ehegatten steht immer eine
ersorgungsminderung des anderen früheren Ehegatten
egenüber, die diesem nicht in unzumutbarer Weise auf-
rlegt werden darf. Das Rückwirkungsverbot, das aus
em Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes resultiert, be-
nhaltet das Prinzip, dass staatliches Handeln vorherseh-
ar und berechenbar sein muss. Deshalb dürfen belas-
ende Gesetze und darauf beruhende Verwaltungsakte in
er Regel nicht auf einen vor Gesetzesverkündung lie-
enden Zeitpunkt zurückwirken. Echte Rückwirkung,
ie nachträglich belastend in abgewickelte, der Vergan-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009 21949
(A) )
(B) )
genheit angehörende Tatbestände eingreift – dies wäre
im Falle einer rückwirkenden Einführung des Versor-
gungsausgleichs im Hinblick auf den ausgleichspflichti-
gen früheren Ehegatten geschehen –, ist grundsätzlich
unzulässig. Daher kam es nicht zur Einführung des Ver-
sorgungsausgleichs für Scheidungen vor 1992 in der
ehemaligen DDR.
Die in der Vergangenheit durch die unterschiedliche
Entwicklung der Rechtssysteme entstandenen Unter-
schiede im Bereich der unterhaltsrechtlichen Beziehun-
gen von geschiedenen Ehegatten zueinander ließen sich
nicht rückwirkend beseitigen. Auch nachfolgende Über-
prüfungen führten zu keinem anderen Ergebnis. Alle –
auch die im Rahmen der interministeriellen Arbeits-
gruppe – diskutierten Möglichkeiten waren mit erhebli-
chen verfassungsrechtlichen Risiken verbunden. Des-
halb lassen sich die Anliegen dieses Personenkreises mit
Mitteln des Rentenrechts nicht lösen. So ist es nicht
möglich, wenn es nachträglich, also für einen bereits
zeitlich abgeschlossenen Tatbestand, für einen der Betei-
ligten zu einer Belastung führt, mit der zum Zeitpunkt
der Scheidung nicht zu rechnen war. In der DDR war
zum Zeitpunkt der Scheidung klar, dass kein Unterhalt
für den jeweils anderen zu erbringen ist.
Das hatte möglicherweise einen freieren Umgang mit
der beiderseitigen Auflösung der Ehe zur Folge: Ein
Mann konnte sich scheiden lassen, ohne den finanziellen
Aspekt gewichten zu müssen, denn eine Ehefrau war
nicht vom Mann abhängig. Eine Erwerbsbiografie einer
arbeitenden Frau in den neuen Bundesländern wies bis
zur Wiedervereinigung nur selten Lücken auf, denn die
Erwerbstätigenrate der Frauen in der DDR war sehr
hoch. Zweitens waren Frauen nicht gezwungen, aus
Gründen der Kindererziehung zu Hause zu bleiben, da in
ausreichendem Maße Kinderbetreuungsplätze zur Verfü-
gung standen.
Eine Frau, die aus Gründen der Kindererziehung zu
Hause blieb, war eher eine theoretische Erscheinung als
eine wirkliche, denn dazu waren überdurchschnittliche
Einkommen vonnöten. Diese hohen Entgelte waren aber
seltene Blumen im volkseigenen Garten. So gab es die
Orchideengruppe Hausfrau nur sehr begrenzt. Vielleicht
als Frau eines Professors oder eines Chefarztes. Es war
ein begrenzter privilegierter Kreis. So hatten Frauen
keine wirkliche Wahlmöglichkeit zwischen beruflicher
Karriere und Kindererziehung.
Frauen in der DDR wussten, dass sie nach dem Tod
ihres Ehegatten in der Regel gut abgesichert sein wer-
den, wenn die Ehe bis zum Tod des Gatten hielt. Aller-
dings darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die
Frauen überwiegend gut gebildet und so durchaus in der
Lage waren, ihren Unterhalt selbst zu erwirtschaften. Im
Übrigen blieb immer noch die oft genutzte Möglichkeit
der persönlichen Trennung, wenn nicht eine gerichtliche
Scheidung erfolgen sollte. So blieben viele auch nach ei-
ner gescheiterten Ehe verheiratet und bewahrten sich die
Ansprüche aus der gemeinsamen Ehezeit.
Nehmen wir an, der vorliegende Antrag würde be-
schlossen. Da stellt sich die Gerechtigkeitsfrage neu, und
zwar für eine erheblich größere Gruppe in den westli-
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hen Bundesländern. Die Frauen in den neuen Bundes-
ändern bekämen aus Steuermitteln einen individuell er-
ittelten Ausgleich. Aber warum wollen Sie eine
rmittlung individueller Ansprüche, wenn überhaupt
ein echter Versorgungsausgleich durchgeführt wird, da
ie betroffenen Männer gar nicht zur Abgabe ihrer Ren-
enansprüche verpflichtet werden können? Für die ge-
chiedenen Männer ergeben sich aufgrund der darge-
tellten Rechtsprechung keine finanziellen Einbußen, da
ie nicht gesetzlich verpflichtet werden können, Unter-
alt zu zahlen, da bei der Scheidung der Ehe ja nicht auf
nterhalt entschieden wurde. Für die betroffene und im
ntrag ins Auge gefasste Gruppe entstünde eine Win-
in-Situation.
Aber wo Gewinner sind, sind auch Verlierer, denn
as ist mit den geschiedenen Ehegatten in den alten
undesländern? Sie bezahlen den Ausgleich, denn sie
ind gesetzlich dazu angehalten, Unterhalt zu zahlen.
enn aber Frauen in den neuen Bundesländern nach-
räglich in den Genuss der Vorteile eines Versorgungs-
usgleichs kommen, ohne dass die betroffenen Exehe-
änner dafür Ansprüche abgeben müssen, dann entsteht
ine neue Ungerechtigkeit, nämlich eine Ungleichbe-
andlung von Geschiedenen in den alten Bundesländern
n einer vergleichbaren Situation. Die Wahrheit ist doch:
icht jedes rentenrechtliche Problem des Übergangs von
er DDR zur BRD lässt sich durch eine Gesetzesinitia-
ive beheben. Häufig produziert der Versuch nur wieder
eue Ungerechtigkeiten.
Hinzufügen möchte ich, dass ich den 1977 eingeführ-
en Versorgungsausgleich für Geschiedene für sinnvoll
rachte, denn es ist wichtig, dass Frauen – und auch
änner – die Möglichkeit haben, ihre Kinder individuell
u betreuen und zu begleiten – wenn sie denn wollen.
ichtig ist, dass es eine echte Wahlmöglichkeit zwi-
chen Beruf und Familie gibt. Hier hat die DDR im Üb-
igen völlig versagt, Frauen mussten in der Regel arbei-
en gehen, nicht zuletzt, da die Gehälter und Löhne viel
u gering waren, als dass ein Einzelner die Familie hätte
rnähren können.
Nur am Rande bemerkt: Auch in der Bundesrepublik
uss noch viel für die Wahlmöglichkeit zwischen Beruf
nd Karriere unternommen werden; denn noch fehlt es
n guten und ausreichenden Betreuungsplätzen. Oft sind
rauen gezwungen, ihre Karriere nach hinten zu ver-
chieben oder gar aufzugeben, da sie noch zu wenige
etreuungseinrichtungen vorfinden, wo sie ihr Kind
zw. ihre Kinder in guter Obhut wissen, wenn sie arbei-
en wollen. Ihre Freiheit, frei zu wählen, ist auch noch
tark eingeschränkt.
Die bundesrepublikanische Rentenversicherung kann
icht alle Fehler des DDR-Rentensystems oder -Fami-
ienrechts korrigieren. Es gibt Probleme des Rentenüber-
angs von der DDR zu unserem System, die sich heute,
achträglich, nicht im Rahmen unseres Rentensystems
ereinigen lassen. Das System der DDR hat vier Jahr-
ehnte ökonomisch, politisch, sozial, aber auch im Ren-
enrecht versagt. Hier müssen wir den betroffenen Men-
chen helfen. Aber unser Rentenversicherungssystem
äre überfordert, wenn ihm alleine diese Aufgabe auf-
21950 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009
(A) )
(B) )
gebürdet würde. Für die Menschen, die über keine aus-
reichende Rente oder Altersvorsorge verfügen, hat die
rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2003 die Grundsi-
cherung eingeführt. Dies war ein großer sozialpolitischer
Fortschritt.
Wir lehnen Ihren Antrag ab, da er nur eine Scheinlö-
sung bietet, die zu neuen Ungerechtigkeiten führt.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Erstens. Die Schaffung
und Herstellung von Gerechtigkeit bzw. eines gerechten
Ausgleichs war das Ziel auch bei der sogenannten Ren-
tenüberleitung im Rahmen der deutschen Wiedervereini-
gung. Aufgrund der unterschiedlichen Rechtsgrundsätze
war das nicht einfach. Dies wird niemand ernsthaft be-
streiten wollen. Ungerechtigkeiten – und seien es nur
„gefühlte“ – waren nicht auszuschließen. Dies besonders
deswegen, weil im Zuge der Überleitung der nach DDR-
Recht bestehenden Rentenanwartschaften in das SGB VI
sehr stark auf den Grundsatz der Beitragsäquivalenz ab-
gestellt wurde, die tatsächliche Entrichtung von Beiträ-
gen also eine zentrale Rolle spielte.
Zu den Gruppen von Versicherten, die sich durch die
Vorgehensweise bei der Rentenüberleitung nachteilig
betroffen fühlen, gehört die Gruppe der rund 400 000 zu
DDR-Zeiten geschiedenen Frauen. Diese sehen sich ge-
genüber Geschiedenen in den alten Ländern dadurch
schlechter gestellt, dass es nach DDR-Recht keinen Ver-
sorgungsausgleich gab. Zwar waren Frauen in der DDR
selbst regelmäßig mit langen Versicherungszeiten be-
rufstätig, was naturgemäß das Volumen des zu erwarten-
den individuellen Versorgungsausgleiches von vornhe-
rein eher verringert. Zahlreiche Frauen haben aber
schlechter bezahlte Tätigkeiten als ihre Ehemänner aus-
geübt, manche unterbrachen auch ihre Berufstätigkeit,
um sich der Erziehung ihrer Kinder zu widmen, sodass
ein gewisses Ausgleichsinteresse gleichwohl besteht.
Hinzu kommt, dass das Recht des Versorgungsausglei-
ches nicht unmittelbar mit der Wiedervereinigung 1990
angeglichen wurde, sondern erst 1992.
Zweitens. Der Antrag der Grünen ist zur Lösung der
vorbeschriebenen Probleme nicht geeignet. Es wird eine
Untergruppe aus dem Kreis der betroffenen Frauen he-
rausgegriffen, und diese wird im Vergleich zu den ande-
ren bessergestellt. Die Beschränkung des Ausgleiches
auf Frauen, die ihre Erwerbstätigkeit zugunsten der Er-
ziehung von Kindern unterbrochen oder eingeschränkt
haben, erscheint willkürlich und entgegen der Selbstein-
schätzung der Grünen verfassungsrechtlich bedenklich.
Es ist vollkommen klar, dass eine solche Lösung nicht
aus Beitragsmitteln finanziert werden kann. Aber auch
die Finanzierung des Ausgleichs aus Steuermitteln, weil
ein rückwirkender Versorgungsausgleich zulasten des
geschiedenen Ehepartners nach so langer Zeit natürlich
rechtlich nicht mehr möglich ist, erscheint fragwürdig.
Es ist nicht gerecht, eine speziell definierte Gruppe ge-
genüber den anderen Betroffenen zu bevorzugen. Es
stellen sich neue Fragen: Wie lange muss die Erwerbstä-
tigkeit unterbrochen worden sein? Dürfen geschiedene
Frauen, die Kinder bekommen, ihre Erwerbstätigkeit
aber nicht unterbrochen haben, außen vor gelassen wer-
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en? Alles in allem wirkt der Antrag der Grünen eher
ie ein Schnellschuss und nicht wie eine ausgereifte, ge-
echte und machbare Lösung.
Drittens. Die FDP-Bundestagsfraktion hat zur Besei-
igung der Schlechterstellung einzelner Versicherten-
ruppen schon vor einiger Zeit einen eigenen Antrag
Faires Nachversicherungsangebot zur Vereinheitli-
hung des Rentenrechts in Ost und West“ in den Deut-
chen Bundestag eingebracht, Drucksache 16/11236. Er
erücksichtigt die Beitragsäquivalenz und enthält das
ngebot einer nachträglichen Entrichtung von Beiträ-
en, die in ihrer Höhe an dem auszurichten sind, was zu
DR-Zeiten zur Erlangung eines vergleichbaren An-
pruchs hätte aufgewendet werden müssen. Selbst wenn
ine Verzinsung der so ermittelten Beiträge vorgenom-
en würde, dürfte ein solches Angebot auf ein hohes In-
eresse treffen und eine attraktive Verzinsung der nach-
uentrichtenden Beiträge gewährleistet sein. Auf diesem
ege sollen auch die in der DDR Geschiedenen die ein-
alige Möglichkeit erhalten, durch die nachträgliche
ntrichtung von freiwilligen Beiträgen ihren heutigen
entenanspruch zu erhöhen.
Die Lösung der FDP-Bundestagsfraktion vermeidet
illkür und erreicht damit größtmögliche Gerechtigkeit.
ie erscheint uns als der bessere Weg. Ein entsprechen-
er Antrag ist bereits im Deutschen Bundestag einge-
racht. Er wird in Kürze im Deutschen Bundestag in ers-
er Lesung behandelt werden. Im Zuge der angestrebten
nhörung können beide Anträge auf ihre Problemange-
essenheit untersucht werden. Wir sehen dem mit Inte-
esse entgegen.
Dr. Martina Bunge (DIE LINKE): Endlich, so
öchte ich den Einbringerinnen und Einbringern dieses
ntrags zurufen, wagt sich mal jemand offiziell aus der
Deckung“. Seit Jahren macht meine Fraktion mit eige-
en Anträgen auf die vielen Unzulänglichkeiten auf-
erksam, die bei der Überleitung der Alterssicherungs-
nsprüche aus DDR-Zeiten ins bundesdeutsche Recht
it dem RÜG/AAÜG 1991 entstanden. Zumeist erfuh-
en unsere Initiativen keine bzw. nur ablehnende Reak-
ionen bei den anderen Fraktionen. Nun packt die Frak-
ion Bündnis 90/Die Grünen einen eigenen Antrag mit
inem Detailproblem zu unseren Vorschlägen dazu. Ich
erte das auch als Erfolg der Betroffenen, die unermüd-
ich auf Politikerinnen und Politiker zugehen, um eine
esetzliche Lösung ihres Problems einzufordern.
Aber leider, liebe Einbringerinnen und Einbringer,
springen“ Sie sehr kurz mit Ihrem Vorschlag. Wie die
berschrift verspricht, wollen Sie die Alterssicherung
on in der DDR Geschiedenen „verbessern“ – eine Lö-
ung der Problematik insgesamt ist das aber nicht. Sie
ollen nur diejenigen Geschiedenen berücksichtigen,
ie wegen Kindererziehung ihre Erwerbsarbeit unterbro-
hen oder eingeschränkt haben. Sicher ist das eine Pro-
lemgruppe, aber das Leben ist und war auch in der
DR vielfältiger. Und dieses vielfältige Leben war auch
entenrechtlich abgedeckt. So haben viele Frauen, insbe-
ondere die inzwischen Hochbetagten, erst die Kinder
roßgezogen, zwischendurch gearbeitet, dann irgend-
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wann die eigenen Eltern gepflegt, dann vielleicht noch
die Schwiegereltern. Viele haben das getan, um dem
Mann für die Karriere „den Rücken“ frei zu halten.
Wenn dann eine Scheidung kam, war das bitter, aber für
das Alter waren diese Frauen – nach DDR-Maßstäben –
abgesichert; denn in der DDR wurde eine Rente vorran-
gig nach Versicherungsjahren ermittelt. Diese konnten
auch mit einer geringen freiwilligen Beitragszahlung er-
reicht werden. Die Höhe des beitragspflichtigen Ein-
kommens spielte für die Rentenermittlung eine unterge-
ordnete Rolle.
Wenn im Gegenzug dazu nach Bundesrecht das bei-
tragspflichtige Einkommen die entscheidende Rolle für
die Alterssicherung spielt, muss über fiktive Einkom-
mensanrechnung nachgedacht werden. Da bietet sich bei
den Geschiedenen ein fiktiver steuerfinanzierter Versor-
gungsausgleich an – so auch einer unserer Vorschläge.
Aber wir sollten diese Möglichkeit für alle Geschiede-
nen schaffen, die sich durch die jetzige Überleitungsre-
gelung beschwert fühlen – so unser Appell. Denn es ist
so, dass die jetzt gewählte Regelung, nämlich gar nichts
zu tun, für viele Frauen finanzielle Härten bringt, was
sozialpolitisch nicht haltbar ist. Und aus rechtspoliti-
scher Sicht wird hier höchst bedenklich mit dem Vertrau-
ensschutz umgegangen. Deshalb wäre ich froh, wenn
nun auch die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen ak-
tiv würden, damit wir endlich – 20 Jahre nach der Her-
stellung der staatlichen deutschen Einheit – ein Stück-
chen mehr für die soziale Einheit tun können.
Um das zu erreichen, müsste nicht nur die Problema-
tik der Geschiedenen angepackt werden, sondern die Ge-
samtheit der Überführungslücken, das vielfältige Versor-
gungsunrecht und der Missbrauch des Rentenrechts als
politisches Strafrecht. Vorschläge dazu liegen mit den
17 Anträgen der Linksfraktion vor, die im parlamentari-
schen Verfahren sind. Lassen Sie uns ohne ideologische
Scheuklappen gemeinsam nach Lösungen suchen und
diese auch finden!
Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Seit 1992 beschäftigen sich die Fraktionen im
Deutschen Bundestag mit Briefen und Petitionen von
Frauen, die vor 1992 in der DDR geschieden wurden und
die heute wie damals auf eine rechtliche Gleichbehandlung
mit geschiedenen Frauen in der alten Bundesrepublik
pochen. Inzwischen beklagen die geschiedenen Frauen,
sie seien weder in der DDR noch in der Bundesrepublik
in ihrer Lage ernst genommen worden. Viele der Frauen,
mit denen ich gesprochen habe, äußern die Vermutung,
eine Lösung scheitere an dem fehlenden Willen dazu.
Die Bundesregierung behauptet bis heute, es bestehe
kein Handlungsbedarf, weil die Frauen in der DDR auch
dann, wenn sie Kinder erzogen hatten, erwerbstätig sein
konnten und damit genügend eigene Rentenanwartschaften
erworben haben. In der Antwort der Bundesregierung
auf unsere Kleine Anfrage zu den geschiedenen Frauen in
den neuen Ländern wird außerdem damit argumentiert,
dass diese Frauen eine monatliche Rente von durch-
schnittlich 832 Euro hätten. Daraus wird geschlossen, dass
kein besonderer Handlungsbedarf bestehe. Tatsächlich ist
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s aber so, dass 37 Prozent der in der DDR geschiedenen
rauen ein Nettoalterseinkommen zwischen 500 bis
50 Euro beziehen, weitere drei Prozent liegen noch
arunter. In den alten Bundesländern sind dies nur
8 Prozent. So der Alterssicherungsbericht 2008. Das
ällt auf, denn die Rente von Frauen in den neuen
ändern ist üblicherweise höher als in den alten Bundes-
ändern.
Auch wir haben länger gebraucht, um diesen Antrag
inbringen zu können. In der Bundesrepublik ist der Ver-
orgungsausgleich bereits 1977 eingeführt worden. Für
ie Geschiedenen in den neuen Bundesländern greift der
ersorgungsausgleich erst seit 1992. Ein rückwirkender
ersorgungsausgleich zulasten des geschiedenen Mannes
st aber – aus Gründen des Vertrauensschutzes – nach
eutschem Recht nicht möglich. Er würde das verfas-
ungsrechtliche Rückwirkungsverbot verletzen. Auch der
etitionsausschuss des Bundestages hatte die Bundes-
egierung erfolglos um eine Lösung ersucht. Eine inner-
inisterielle Arbeitsgruppe blieb ebenso ohne Ergebnis.
Den in der DDR geschiedenen Frauen bleibt auch
ine Witwenrente verwehrt, weil das DDR-Recht keine
nterhaltspflicht zwischen den Eheleuten vorsah. Dass
eide Instrumente im Unterschied zum Westen nicht
ngewendet werden, nährt bei den Geschiedenen das
efühl, Bürgerinnen zweiter Klasse zu sein.
Wir schlagen in unserem Antrag einen fiktiven Ver-
orgungsausgleich vor, der geschiedene Frauen begüns-
igt, die zugunsten der Erziehung ihrer Kinder ihre Er-
erbsarbeit unterbrechen mussten und die deshalb nur
eringe Rentenansprüche aufbauen konnten. Dazu wer-
en die Rentenansprüche der Frauen halbiert. Zusätzlich
rhalten die Frauen die Hälfte eines durchschnittlichen
ännlichen Verdienstes für die Dauer der Ehe aus Steu-
rmitteln hinzu, weil es rechtlich nicht möglich ist, den
usgleich bei den geschiedenen Männern nachträglich
urchzuführen. Die Rentenansprüche der Frauen werden
abei individuell ermittelt. Die andere Hälfte des durch-
chnittlichen versicherten Einkommens wird durch den
esetzgeber festgelegt. Dies mindert den dafür erforder-
ichen Verwaltungsaufwand. Zudem werden im Gegen-
ug Grundsicherungskosten eingespart.
Die von den Bündnisgrünen vorgeschlagene Lösung
st verfassungsrechtlich unproblematisch und schließt
ine seit Jahren bestehende Gerechtigkeitslücke.
Die Gründe, warum sich die Menschen in den neuen
undesländern gegenüber den alten Bundesländern be-
achteiligt fühlen, sind vielfältig. Dass sich die in der
DR geschiedenen Frauen in beiden deutschen Syste-
en ungerecht behandelt sehen und sich als Deutsche
inderen Rechts empfinden, ist tragisch, aber nach
wanzig Jahren erfolgloser Auseinandersetzung durch-
us nachvollziehbar.
Ich hoffe auf den fraktionsübergreifenden Zuspruch
u unserem Antrag. Wir haben einen unbürokratischen
nd verfassungsrechtlich gangbaren Ansatz gewählt, der
ie konkreten Lebens- und Einkommensverhältnisse der
eschiedenen Ostdeutschen berücksichtigt und ihnen einen
ngemessenen Ausgleich für die erlittenen Einbußen bei
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der Alterssicherung aus Steuermitteln zuerkennt. Wir
schließen damit eine Gerechtigkeitslücke und bitten um
Zustimmung zu unserem Antrag.
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Experimente zur
Meeresdüngung dürfen marine Ökosysteme
nicht belasten (Zusatztagesordnungspunkt 8)
Michael Kretschmer (CDU/CSU): Der Forschungs-
standort Deutschland lebt von Exzellenz, Vertrauen und
Kooperationsbereitschaft. Was wir in der Debatte um
das deutsch-indische Meeresforschungsexperiment
LOHAFEX erlebt haben, war nicht nur eine auf puren
Behauptungen aufgebaute, sondern auch eine höchst
schädliche Diskussion für die Glaubwürdigkeit, Verläss-
lichkeit und Professionalität ebendieses, unseres For-
schungsstandorts, und das ohne jede Not. Auch die
durch das Umweltministerium erzwungene Verzögerung
des Forschungsexperiments hat das Experiment gefähr-
det.
Ich danke in diesem Zusammenhang Frau Bundes-
ministerin Schavan für ihr rasches Handeln und die Frei-
gabe des Experiments. Und ich danke dem Alfred-
Wegener-Institut für die schnelle und transparente Infor-
mationspolitik. Bei der in der vergangenen Woche kurz-
fristig anberaumten Informationsveranstaltung wurde je-
dem die Möglichkeit eingeräumt, Fragen zu stellen.
Diese wurden professionell und verständlich beantwor-
tet. Mich hat es aber auch nachdenklich gestimmt, dass
erfahrene und ihrer Verantwortung für die Umwelt be-
wusste Forscher – deren Lebenswerk es ist, für die Er-
haltung und den Schutz unserer Umwelt zu forschen –
von jungen Umweltaktivisten angegriffen werden. Um-
weltschutz und Forschung sind zwei sich ergänzende
und nicht zwei sich bekämpfende Faktoren.
Der Profilierungsversuch durch das Umweltministe-
rium ging zulasten einer sachlichen Diskussion und zu-
lasten der Forschung.
In dieser Debatte wurden mehrere Punkte vermengt,
die klar voneinander getrennt dargestellt werden müssen.
Es geht um die rechtliche Komponente. Es geht um na-
turwissenschaftliche Fragestellungen, die Umweltver-
träglichkeit. Es geht um die Ziele und um die im Vorfeld
erlangten Informationen über das Experiment. Die ver-
schiedenen zum Vorhaben eingeholten Gutachten unab-
hängiger, international anerkannter Institutionen und
Wissenschaftler haben die rechtliche und naturwissen-
schaftliche Seite beleuchtet.
Sie haben klargestellt: Das Vorhaben steht im Ein-
klang mit völkerrechtlichen Vorgaben, hier dem interna-
tionalen Seerecht. In ihm wird die Forschungsfreiheit
auf hoher See nicht nur garantiert. Es wird sogar zur For-
schung zum Schutz der marinen Umwelt aufgerufen.
Auch die Anforderungen aus den Beschlüssen der Kon-
ferenz zur Biodiversität, CBD, und der Londoner Kon-
vention sind erfüllt. Die darin geforderte Kleinräumig-
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eit des Versuchsgebiets ist gegeben. Sie liegt hier mit
irca 20 km Durchmesser deutlich unter den Empfehlun-
en der Intergovernmental Oceanographic Commission,
OC, und der UNESCO für Eisendüngungsexperimente.
ie Beschränkung des Experimentes auf „coastal
aters“ ist im Untersuchungsgebiet erfüllt, da es Plank-
onarten aus Küstengewässern aufweist.
Was den Umweltaspekt angeht, kann klar gesagt wer-
en: Hier wird ein natürlicher Prozess simuliert. Das
erwendete Eisensulfat wurde auf die kleinstmögliche
enge beschränkt. Die dadurch verursachte Erhöhung
er Eisenkonzentration im Wasser entspricht der natürli-
hen Eisenkonzentration in benachbarten Küstengebie-
en oder beim Schmelzen von Eisbergen. Die durch die
ingebrachte Menge an Eisen erzeugte Algenentwick-
ung wird im Bereich der natürlichen Blüte liegen. Und
ach Auflösung des mit Eisen gedüngten Wirbels wer-
en durch die hohe Verdünnung keine messbaren Verän-
erungen vorliegen. Das Experiment dient der Grundla-
enforschung. Es soll erforscht werden, was nach dem
bsterben der Algen geschieht, in welchem Umfang
iese in die Tiefsee absinken und in welchem Umfang
ie von Zooplankton und Walen gefressen werden, ehe
ie absinken.
Bleibt mir als letzter Punkt noch das vom Umwelt-
inisterium aufgegriffene Thema: Wer wusste wann von
er Durchführung des Experiments? Ich mag hier gar
icht viele Worte verlieren. Wie gestern in der Sitzung
es Forschungsausschusses deutlich wurde, waren alle
arteien gut und von Anfang an über das Experiment in-
ormiert. Allein schon der Vertragsschluss zwischen un-
erer Bundeskanzlerin Merkel und dem indischen Pre-
ierminister Singh im Jahr 2007 wurde medienwirksam
ufgenommen. Mir fehlt hier jegliches Verständnis,
enn eventuell vorhandene und selbst verschuldete In-
ormationsdefizite im Umweltministerium dazu führen,
ass der Forschungsstandort Deutschland Schaden
immt. Die Verzögerung des Experiments durch dieses
erhalten ist schädlich für Deutschland und in keiner
eise akzeptabel.
Ich wünsche nun dem Alfred-Wegener-Institut und
einen internationalen Partnern einen reibungslosen und
rfolgreichen Verlauf des Experiments.
Ingbert Liebing (CDU/CSU): Seit einiger Zeit spaltet
as LOHAFEX-Forschungsexperiment öffentlichkeits-
irksam die politischen Gemüter. In den vergangenen
agen war vermehrt viel Widersprüchliches über das
eutsch-indische Vorhaben in der Presse zu lesen. Dem
ufmerksamen Leser ist auch nicht entgangen, dass zwei
undesministerien hier sehr unterschiedliche Auffassun-
en vertreten.
Worum geht es? Ich möchte versuchen, die Sachlage
u erläutern.
Das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeres-
orschung führt momentan in Kooperation mit indischen
artnern ein Experiment zur Eisendüngung im Südatlan-
ik durch. Dabei sollen circa 20 Tonnen flüssiger Eisen-
ulfatdünger in einem circa 300 Quadratkilometer gro-
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ßen Seegebiet nördlich von Südgeorgien vom deutschen
Forschungsschiff „Polarstern“ ausgebracht werden, um
dessen Wirkung auf die Algenproduktion und die damit
verbundene Erhöhung des CO2-Bindungs und -Senkpoten-
zials zu untersuchen. Die „Polarstern“ ist am 7. Januar
2009 von Kapstadt aus ins Untersuchungsgebiet ausge-
laufen.
Die 9. Vertragsstaatenkonferenz der Konvention über
die biologische Vielfalt unter deutschem Vorsitz hatte
im Mai 2008 in Bonn den Beschluss gefasst, dass die
Regierungen sicherstellen mögen, „dass mit Ausnahme
kleinmaßstäblicher wissenschaftlicher Forschungsstudien
innerhalb von Küstengewässern keine Aktivitäten zur
Düngung der Ozeane stattfinden.“
Die Grünen wenden in ihrem Antrag nun ein, dass das
LOHAFEX-Experiment gegen diese Kriterien verstoße.
Auch das Bundesumweltministerium hat diese Kritik
erhoben – genauso wie manche Umweltorganisationen.
Gerade wegen dieser Kritik hatte das zuständige Bundes-
forschungsministerium sehr kurzfristig eine Begutachtung
des Experiments durch international renommierte Wissen-
schaftler veranlasst. Neben der sorgfältigen Prüfung des
Alfred-Wegener-Instituts selber haben das IFM-GEOMAR,
ein in höchstem Maße anerkanntes Institut für Meeres-
wissenschaften an der Universität Kiel, sowie das British
Antarctic Survey, ein in der Welt führendes Umwelt-
forschungsinstitut, dem Projekt seine ökologische Unbe-
denklichkeit bescheinigt. Dies war ein verantwortungs-
voller Schritt. Die Ergebnisse dieser Gutachten sind
eindeutig.
Mit der zum Einsatz kommenden Menge an Eisensulfat
wurde die kleinstmögliche Menge gewählt, um in einem
in sich geschlossenen Wasserwirbel wissenschaftlich
belastbare Ergebnisse zu erzielen. Außerdem liegt die
Größe des Arbeitsgebiets mit 17 mal 17 Kilometern
deutlich unter den Empfehlungen der UNESCO, die für
solche Experimente 200 mal 200 Kilometer empfiehlt.
Wissenschaftlich macht ein solches Experiment in
Küstennähe keinerlei Sinn, denn dort sind die Eisen-
gehalte natürlicherweise schon so hoch, dass man dort
den gewünschten Effekt gar nicht beobachten könnte.
Tatsächlich ist unter „Küstengewässern“ sinnvollerweise
ein ökosystemarer Zusammenhang zu verstehen, der ge-
nau hier gegeben ist, wie die Gutachter bestätigt haben.
In jeglicher Hinsicht stellen die Gutachten fest, dass das
Vorhaben auf hoher See im Südatlantik unter Umwelt-
gesichtspunkten nicht nur unbedenklich ist, sondern auch
im Einklang mit völkerrechtlichen Vorgaben steht.
Die grundsätzlichen Bedenken gegen Eisendüngung
mit dem Ziel, in großem kommerziellen Maßstab CO2 in
den Meeren zu binden, sind begründet, die Beschlüsse
der CBD-Konferenz berechtigt. Aber wir wissen auch,
dass es andere Länder gibt, die genau diese Zielsetzung
verfolgten. Dem können wir nur entgegentreten, wenn
wir diese Position auch mit Fakten untermauern können.
Das können wir nur mit fundierten Forschungserkennt-
nissen. Sie dienen dem besseren Verständnis der ökosys-
temaren Zusammenhänge möglicher Eisendüngungen im
Zusammenhang mit dem Klimawandel. Genau dies ist
auch der Grund, weshalb die Resolution der London-
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onvention von Oktober 2008 und der Beschluss der
onvention über die biologische Vielfalt von Mai 2008
eitere Forschung fordern. LOHAFEX soll einen Bei-
rag zum besseren Verständnis der Rolle der Ozeane im
lobalen Kohlenstoffkreislauf liefern. Die Ergebnisse
ieser Grundlagenforschung werden dazu beitragen, die in
ternationalen Konventionen erwähnten Wissenslücken
u schließen.
Das Moratorium verbietet zu Recht die kommerzielle
zeandüngung. Von einem kommerziellen Ansatz kann
ber hier keinerlei Rede sein. Ganz im Gegenteil! Es ist
u vermuten, dass der Algenteppich algenfressende
ikroben, Kleintiere und Wale anlockt und somit ein
bsinken der Algen verhindert wird. Dies wäre sogar
ine wissenschaftliche Stütze gegen kommerzielle Ei-
endüngung: Die Erwartungen einer nachhaltigen CO2-
indung würden nicht erfüllt werden, mögliche Risiken
ugleich klarer belegbar sein.
Der Antrag der Grünen fordert, Experimente zur Mee-
esdüngung dürften marine Ökosysteme nicht belasten.
as ist für uns eine Selbstverständlichkeit! Sie formulieren
nforderungen an wissenschaftliche Experimente, die
ier gewährleistet sind: Das LOHAFEX-Experiment ist
echtlich nicht zu beanstanden, ökologisch unbedenklich
nd wissenschaftlich verantwortlich vorbereitet. Deshalb
ibt es auch keinen Raum mehr für Kritik an dem Experi-
ent. Genauso wenig ist es in Ordnung, mit dem Antrag
er Grünen den Eindruck zu erwecken, es wären genau
iese Grundsätze nicht eingehalten. Kritische Anmerkun-
en müssen aber auch an die Adresse des Bundesumwelt-
inisters gerichtet werden.
Es ist Januar 2009, nachdem die „Polarstern“ – nach
ierjähriger Vorbereitung – mit allen Wissenschaftlern
n Bord ausgelaufen war, protestierte plötzlich das Bun-
esumweltministerium gegen das Experiment. Es be-
lagte, nicht rechtzeitig über das Experiment informiert
orden zu sein – und das, nachdem das Umweltbundes-
mt, das ja der Kontrolle des BMU unterliegt, vorher be-
eits seit längerem informiert war und keine Veranlas-
ung gesehen hatte, einen Stopp zu veranlassen. Erst als
inzelne Umweltgruppen öffentlich protestierten, schlug
ich der Umweltminister auf die Seite der Kritiker.
Ganz offensichtlich ist Minister Gabriel leichtfertig
ffentlichen Erklärungen von Verbänden hinterherge-
annt, ohne den Sachverhalt sorgfältig zu recherchieren.
nverständlich bleibt mir, weshalb der Bundesumwelt-
inister hier Forderungen erhoben hat, ohne auch nur
inmal mit dem durchführenden Alfred-Wegener-Institut
ontakt aufzunehmen. Ich bin der Meinung, dass etwas
ehr Sorgfalt in der Sache der Diskussion über das
orschungsprojekt LOHAFEX gut getan hätte. Es ist
edauerlich, welcher Eindruck hier in der Öffentlichkeit
rzeugt wurde. Wir sollten auch nicht vergessen, dass es
ich bei dem derzeit laufenden Projekt nicht um das erste
ieser Art handelt. Das AWI hat bereits in den Jahren 2000
nd 2004 Eisendüngungsexperimente durchgeführt – zu
eiten der rot-grünen Regierung. Damals schien das nie-
anden aufzuregen. Für mich ist allerdings besonders
nverständlich, dass der Bundesumweltminister auch
ach Vorlage der Gutachten von renommierten Instituten
21954 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009
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seine Kritik aufrechterhält. Dafür gibt es erst recht nach
der vorliegenden Information überhaupt keine sachliche
Basis.
Meines Erachtens geht es bei der ganzen Diskussion in
erster Linie um schlichte Versäumnisse und vorschnelle,
unüberlegte Reaktionen des Bundesumweltministeriums.
Ich bedauere dies, weil dies ein schlechtes Licht auf die
von mir unterstützte Bundesregierung wirft. Dafür trägt
der Umweltminister die Verantwortung. Umso mehr be-
grüße ich, dass die Forschungsministerin Annette Schavan
verantwortungsbewusst gehandelt, offene Fragen geklärt
und dem Forschungsprojekt grünes Licht gegeben hat.
Ich bin gespannt auf die Ergebnisse von LOHAFEX und
freue mich darauf, dann noch einmal mit Ihnen über die-
ses Thema diskutieren zu können – auf der Basis guter
wissenschaftlicher Erkenntnisse.
Heinz Schmitt (Landau) (SPD): Es geht heute um
Klimaschutz, es geht um biologische Vielfalt, es geht um
„Düngung“ der Meere. Wir debattieren heute über den
Antrag von Bündnis 90/Die Grünen „Experimente zur
Meeresdüngung dürfen marine Ökosysteme nicht belas-
ten“. Eine Forderung, der ich zustimme. Denn bei den
Planungen zu dem angesprochenen Experiment Dün-
gung, um Algen zum Wachstum anzuregen und damit
CO2 im Wasser zu binden, wurde offenbar zu sehr an den
Klimaschutz gedacht, weniger an die biologische Viel-
falt.
Dieser Zielkonflikt – Klimaschutz oder Schutz der
Biodiversität – zeigt sich nicht zum ersten Mal. In den
Ministerien, sogar bei den Umweltverbänden, auch bei
uns Politikern ist dieser Zielkonflikt immer wieder zu
beobachten. Dennoch dürfte es diesen Gegensatz eigent-
lich nicht geben. Denn Klimaschutz und Schutz der Viel-
falt des Lebens sind gleichrangige, sind bedeutsame
Ziele. Unser Land hat sich international verpflichtet,
beide gleichermaßen umzusetzen.
Das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeres-
forschung hat für das eigene Experiment eine Bewertung
vorgelegt und die Ergebnisse an das Bundesministerium
für Forschung und Technologie gemeldet. Danach bringt
das Experiment keine schädlichen Auswirkungen auf die
Meeresumwelt. Diese Bewertung bezieht sich allerdings
lediglich auf die erwarteten chemischen Reaktionen und
die Entwicklung des Planktons. Eine Abschätzung der
Folgen für höhere Tier- und Pflanzenarten und auf sen-
sible Tiefseeregionen ist nach meinen Informationen
aufgrund der großen Wissenslücken gerade, was die
Tiefsee betrifft, nicht möglich. Zumindest ein Restrisiko
für diesen Bereich der biologischen Vielfalt kann nicht
ausgeschlossen werden.
Im Nachhinein kann man sagen: Es wäre schon wün-
schenswert gewesen, wenn sich die betroffenen Ministe-
rien bei diesem Experiment von Anfang an besser abge-
stimmt hätten und den Schutz der Biodiversität und
ökologische Zusammenhänge stärker „mitgedacht“ hät-
ten. Die Direktorin des Alfred-Wegener-Insitituts sieht
ebenfalls erheblichen Verbesserungsbedarf, was den
Austausch betrifft. Es ist daher erfreulich, dass alle be-
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eiligten Kreise dieses Problem erkannt haben und sich
ünftig besser untereinander abstimmen wollen.
Für die SPD-Bundestagsfraktion will ich klarstellen:
ine kommerzielle Nutzung der Eisendüngung als CO2-
unker lehnen wir ab. Ich freue mich, dass dies auch
om Alfred-Wegener-Institut, von Frau Ministerin
chavan und ebenfalls von Minister Sigmar Gabriel so
esehen wird. Der kommerzielle Einsatz der Eisendün-
ung hätte in dieser Größenordnung erhebliche negative
uswirkungen auf die Vielfalt des Lebens im Meer. Sie
äre darüber hinaus eine Abkehr von einer vorsorgen-
en Klimapolitik. Eine dauerhafte Lösung zur Reduzie-
ung von Kohlendioxid ist das Einsparen von Energie,
ind eine bessere Energieeffizienz und der Ausbau von
rneuerbaren Energien. Dies haben wir bereits in der
ergangenheit entschlossen angepackt, und wir haben
uch für die Zukunft die Weichen richtig gestellt.
Wir würden daher sehr begrüßen, wenn sich die Bun-
esregierung bei den weiteren Verhandlung der Konven-
ion über die biologische Vielfalt, aber auch bei anderen
nternationalen Abkommen für ein Verbot der Eisendün-
ung in allen Weltmeeren einsetzen würde. Somit hätten
ie Versuche des Institutes der „Polarstern“ auch einen
achhaltigen Nutzen.
René Röspel (SPD): Eigentlich ist es verrückt. Da
ibt es ein anerkanntes Forschungsinstitut, das auch im
ereich Klimaforschung arbeitet. Es bereitet über Jahre
in internationales Experiment vor und informiert die
otwendigen Stellen. Mit dem Auslaufen des For-
chungsschiffes zum Ort des Experiments bricht aber
lötzlich eine Protestwelle von Umweltverbänden los.
as Experiment wird kurzfristig gestoppt, und externe
utachten werden eingeholt. Diese werden von den bei-
en zuständigen Ministerien unterschiedlich bewertet.
m Ende darf das Forschungsschiff aber seine Fahrt
ortsetzen und das Experiment durchführen.
Man kann die ganze Diskussion um LOHAFEX auch
ositiv sehen. Es zeigt, wie wichtig die gesellschaftliche
iskussion um die Forschungskonzepte ist, insbeson-
ere wenn es sich dabei um eine öffentlich geförderte
inrichtung wie beim Alfred-Wegener-Institut, AWI,
andelt. Gut ist auch, dass Umweltverbände ein waches
uge haben. Und wichtig ist auch, dass Kritik und An-
erkungen der Umweltverbände von der Politik sehr
ohl gehört werden und man auch darauf reagiert.
Die Kritik der Umweltverbände war so gravierend,
ass es richtig war, das Experiment zunächst zu stoppen
nd externe Gutachten anzufordern. Denn Biodiversität
st, wie die Grünen richtig in Ihrem Antrag fordern, na-
ürlich eine Querschnittsaufgabe, die alle angeht. Aller-
ings muss auch klar gesagt werden, dass es sich bei der
m Rahmen von LOHAFEX durchgeführten begrenzten
isendüngung um Grundlagenforschung handelt und
icht, wie einige Medienberichte suggerieren, um den
instieg in die kommerzielle großflächige Eisendüngung
er Ozeane.
Wir haben als SPD grundsätzlich Vertrauen in verant-
ortungsbewusstes Handeln unserer Wissenschaftlerin-
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nen und Wissenschaftler. Dieses Vertrauen ist auch in
diesem Fall in den letzten Tagen durch Gespräche bestä-
tigt worden. Wir finden es auch gut, dass Umweltver-
bände und Umweltministerium wachsam sind. Das hat
zu einer klärenden Diskussion geführt, die ich mir aller-
dings schon vor Beginn des Experiments gewünscht
hätte, damit Differenzen nicht auf dem Rücken der Wis-
senschaftlerinnen und Wissenschaftler ausgetragen wer-
den. Begrüßenswert ist die schnelle Reaktion der Leite-
rin des Alfred-Wegener-Instituts, Frau Professor Lochte,
die kalibrierten Daten schnellstmöglich und transparent
ins Internet stellen zu wollen und nach Ende des Experi-
ments eine öffentliche Tagung zu organisieren.
Für die SPD ist wichtig: Auch Grundlagenforschung
darf nicht zu Umweltschäden führen. Und auch Grundla-
genforschung muss internationale Verträge einhalten und
darf nicht gegen geltendes Recht verstoßen.
Die Befürchtung, es könne zu Umweltschäden größe-
ren Ausmaßes kommen, ist ausgeräumt worden. Sie
bleibt bestehen für Eisendüngung in größerem Maßstab;
für LOHAFEX aber sind die ökologischen Risiken als
sehr gering anzusehen. Es ist aber Aufgabe der Wissen-
schaft, noch besser als bisher ungeklärte Fragen, zum
Beispiel was toxische Algen anbelangt, auch in die Vor-
bereitung solcher Experimente einzubeziehen und zu un-
tersuchen.
Für uns ist mindestens genauso wichtig, dass
LOHAFEX nicht gegen das VN-Übereinkommen über
die biologische Vielfalt, CBD, verstößt und damit nicht
völkerrechtswidrig ist. Da es offenbar unterschiedliche
Interpretationen der Beschlüsse der 9. Vertragsstaaten-
konferenz zum Beispiel hinsichtlich „coastal waters“
gibt, erwarten wir von der Bundesregierung, dass sie in
den nächsten Verhandlungen der Vertragsstaatenkonfe-
renz wie auch auf Ebene der London Convention und
des London Protocol auf eine Klärung möglicher Inter-
pretationsspielräume zugunsten des Umwelt- und Kli-
maschutzes drängt.
Zu Beginn der Diskussion war aber auch klar, dass
eine endgültige Entscheidung über LOHAFEX am
Montag dieser Woche fallen musste. Eine weitere Ver-
schiebung ließ der Zeitplan für das Experiment nicht zu.
Wir halten die Fortführung des Experimentes für ge-
rechtfertigt, weil es sich um Grundlagenforschung han-
delt und die externen Gutachten zu dem Schluss gekom-
men sind, dass weder eine Umweltgefährdung noch ein
Verstoß gegen internationales Recht vorliegt, sondern
LOHAFEX sogar zu einem besseren Verständnis der
Abläufe des Ökosystems Meer und des Kohlenstoff-
kreislaufes beitragen kann.
Ausdrücklich möchte ich für die SPD klarstellen: Ers-
tens. Die CBD ist und bleibt für uns rechtlich und vor al-
lem politisch verbindlich. Zweitens. Eine kommerzielle
oder großflächige Eisendüngung der Meere zum Zwecke
des Klimaschutzes scheint uns nicht sinnvoll, sondern
sogar kontraproduktiv zu sein. Wir lehnen sie daher ab.
Erlauben Sie mir eine letzte Anmerkung zum Antrag
der Grünen, der uns gestern erreichte: Viele Aussagen
teilen wir und können sie unterstreichen. Aber eine Ant-
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ort bleiben die Grünen schuldig: Sind Sie denn nun für
der gegen den Stopp der „Polarstern“-Expedition?
Angelika Brunkhorst (FDP): Wie kann es sein,
ass ein Experiment, das seit 2005 geplant wird und für
as die entsprechenden Verträge im Jahr 2007 geschlos-
en wurden, im Januar 2009, nachdem die „Polarstern“
ereits zu ihrer Forschungsfahrt ausgelaufen ist, derart
urzfristig durch das Bundesumweltministerium infrage
estellt wird? Der Versuch des Umweltministeriums, ein
enehmigtes Forschungsprojekt der „Polarstern“, das
udem noch Erkenntnisse über klimarelevante Vorgänge
ringen soll, unmittelbar vor dessen Beginn zu verhin-
ern, ist ein eklatanter Eingriff in die Forschungsfreiheit
nd nicht hinnehmbar. Die Wirkung des kurzfristigen
wangsstopps auf unsere indischen Kooperationspartner
ürfte fatal sein. Die sogenannte Große Koalition aus
DU/CSU und SPD macht sich in der Wissenschafts-
zene lächerlich.
Man wundert sich auch über den Umgang der Bun-
esregierung untereinander. Es scheint, die Koalitions-
raktionen übernähmen die Rolle der Opposition gleich
it. Das kannte man bislang nur von der CSU aus Bayern.
uch wenn man in einer Koalition unterschiedlicher
einung sein kann, irgendwann muss man sich einigen
nd zu einem Ergebnis kommen. Es wird ja wohl niemand
rnsthaft behaupten, das Umweltministerium habe von
em Experiment erst im Januar dieses Jahres erfahren. Es
ann und darf nicht sein, dass Umwelt- und Forschungs-
inisterium derart unkoordiniert und letztlich gegenläufig
gieren. Wenn man die Pressemitteilung aus dem Bundes-
orschungsministerium vom 26. Januar 2009 liest, kann
an zu dem Schluss gelangen, dass das Motto von Frau
chavan ist: Mir doch egal, was Gabriel meint. Dieses
orgehen wirft ein katastrophales Licht auf die Zusam-
enarbeit innerhalb der Bundesregierung und damit auf
ie Bundesregierung insgesamt.
Aber anscheinend ist nicht nur bei der Kommunikation
ach innen, sondern auch nach außen einiges schiefge-
aufen. Man muss die Bedenken der Umweltschützer
rnst nehmen. Sie befürchten, das Experiment, obzwar
s sich um Grundlagenforschung handele, bereite den
eg für die kommerzielle Eisendüngung bzw. sei der
instieg in ein Geo-Engineering. Wenn man liest, Ziel
es Versuches sei es letztlich, „Erkenntnisse darüber zu
ewinnen, ob die ‚Eisendüngung‘ ein gangbarer und vor
llem ökologisch rechtfertigbarer Weg zur Reduktion
es Kohlendioxids in der Atmosphäre sein könnte“,
der wenn am Experiment beteiligte Wissenschaftler
es Alfred-Wegener-Instituts im Spiegel zitiert werden,
ass die Einwände der Kritiker weggefegt würden,
wenn unsere Ohnmacht gegenüber dem Klimawandel
ichtbar wird“, dann verwundert es nicht, dass Umwelt-
chützer hellhörig werden. Man hätte sie früher infor-
ieren und über die Planungen aufklären sollen. Sowohl
MU als auch BMBF haben glaubhaft erklärt, dass eine
ommerzielle Eisendüngung der Ozeane keinen Beitrag
um Klimaschutz leisten kann und wird. Hierüber
errschte Einigkeit.
21956 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009
(A) )
(B) )
Aufgrund der Informationsveranstaltung des Alfred-
Wegener-Instituts, des Berichts der Bundesregierung im
Forschungsausschuss diese Woche und nach Auswertung
der vorliegenden Gutachten kommt die FDP zu dem
Schluss, dass das Experiment, bei dem eine punktuelle,
nicht großflächige Ausbringung von Eisensulfat innerhalb
eines geschlossenen Wirbels im antarktischen Zirkum-
polarstrom erfolgen soll, auch unter Berücksichtigung
des Aspekts des Meeresumweltschutzes durchgeführt
werden kann.
Ich erwarte, dass die Bundesregierung dem Deutschen
Bundestag nach Durchführung des Experiments über die
Ergebnisse berichtet. Neben der Klimafrage interessieren
mich als Umweltpolitikerin besonders die Auswirkungen
auf das Ökosystem insgesamt. Das Experiment soll
schließlich auch darüber Erkenntnisse bringen, welchen
Einfluss die Einbringung von Eisensulfat auf das Algen-
wachstum hat und welche Meeresorganismen von diesem
Nahrungsangebot profitieren, das heißt, wie sich das
Plankton und in der Folge der Krill entwickeln. Da Krill
die Hauptnahrung von antarktischen Pinguinen, Robben
und Walen ist, können diese Tiere möglicherweise profi-
tieren.
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Das Experiment
LOHAFEX zu Effekten des Eiseneintrags auf maritime
Ökosysteme und den Kohlenstoffkreislauf, aber auch die
Debatte darüber sind schon jetzt ein Lehrstück. Wir kön-
nen etwas lernen über das Verhältnis von Klima- und
Umweltschutz, über die Beziehungen zwischen For-
schung und Politik, die sich beide ihrer gesellschaftli-
chen und ökologischen Verantwortung zu stellen haben,
aber auch über klassisches Missmanagement der Bun-
desregierung in einem sehr sensiblen Bereich deutscher
Forschungs- und Umweltpolitik.
Der Streit um LOHAFEX entzündete sich, als Um-
weltverbände im Dezember vergangenen Jahres gegen
die Durchführung des Experiments protestierten. Das
Umweltministerium will erst im November 2008 – so
die Aussage von Staatssekretär Müller – überhaupt da-
von erfahren haben. Hier fragt man sich jedoch: Was ist
da falsch gelaufen? Seit 2005 wird der Versuch vorberei-
tet und hat einen langen Vorlauf inklusive Begutach-
tungs- und Genehmigungsverfahren durch mehrere wis-
senschaftliche Kommissionen. Auch Expertinnen und
Experten des Umweltbundesamtes waren beteiligt. Im
Jahr 2007 wurde die Kooperationsvereinbarung zwi-
schen den beteiligten Instituten in Anwesenheit der Bun-
deskanzlerin unterzeichnet. Und Ihnen, lieber Herr Um-
weltminister Gabriel, fällt ein gutes Jahr später, zufällig
im Vorwahlkampf, auf, dass LOHAFEX vielleicht Ihre
Glaubwürdigkeit als Umweltschützer beeinträchtigen
könnte? Und wieso haben Sie erst insistiert, als das
Schiff bereits ausgelaufen war?
Unverständlich ist jedoch auch, wieso das For-
schungsministerium in einem so sensiblen Bereich nicht
von selbst auf die Idee kommt, die Vereinbarkeit eines
international angelegten Großprojektes mit Umwelt-
schutzvereinbarungen wie der Bonner UN-Konvention
zur Biodiversität vorab prüfen zu lassen. Unser Land
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ann es sich aus Sicht der Linken nicht leisten, die er-
eichten Fortschritte bei der globalen Ablehnung von
eo-Engineering durch eigene Nachlässigkeit und Un-
ufmerksamkeit zu gefährden.
Die am Experiment beteiligten Wissenschaftlerinnen
nd Wissenschaftler selbst müssen zudem dafür sorgen,
ass ihre Reputation nicht gefährdet wird. Und da sind
ie früheren Äußerungen der Projektleitung von
OHAFEX, die die Machbarkeit von flächendeckender
isendüngung zum Zweck der CO2-Speicherung am
eeresboden in Aussicht stellen, wenig hilfreich. Wäh-
end die Leitung des Alfred-Wegener-Instituts in über-
eugender Weise ihrer Verantwortung für Transparenz
achkommt, sollten die durchführenden Forscherinnen
nd Forscher bei der Erarbeitung ihres Forschungsde-
igns ökologische und gesellschaftliche Folgen einer
utzung des erarbeiteten Wissens mit bedenken. Dazu
ehört etwa, dass die Auswirkungen des Eiseneintrags
uf die sensiblen maritimen Ökosysteme in ihrer Ganz-
eit auf weitere Tier- und Pflanzenarten im Meer unter-
ucht werden. Auch Grundlagenforschung – und um die
andelt es sich bei LOHAFEX – findet nicht in einem
nteressenfreien Raum statt. Diese Interessen müssen
orscherinnen und Forscher berücksichtigen.
Die Debatte um das Experiment hat – das begrüßen
ir – dazu geführt, dass die beteiligten Bundesministe-
ien, aber auch die Fraktionen des Bundestages aus-
rücklich ihre Ablehnung von Meeresdüngung zum
weck der Klimagestaltung bekräftigen. Wir sind in die-
em Hause gemeinsam der Auffassung, dass in Überein-
timmung mit der Bonner Konvention zur Biodiversität,
em Protokoll über die Verhütung der Meeresverschmut-
ung der Londoner Konvention der Internationalen See-
chifffahrtsorgansiation sowie dem Weltklimarat die
O2-Abscheidung durch künstlich vermehrtes Algen-
achstum kein nachhaltiger Weg zum Klimaschutz ist.
rst recht muss eine kommerzielle Meeresdüngung zum
weck des Zertifikatehandels international geächtet und
ies durch verbindliche Regelwerke festgeschrieben
erden.
Die Ergebnisse von LOHAFEX können zur Legitima-
ion dieser Ächtung einen entscheidenden Beitrag lie-
ern. Auch aus diesem Grund steht nicht die rechtliche
ewertung des Experiments für uns im Vordergrund,
ondern die politische.
LOHAFEX untersucht die Rolle des Eisens im Koh-
enstoffkreislauf zwischen Ozean und Atmosphäre und
tellt Daten für die Beantwortung mehrerer komplexer
ragestellungen zur Verfügung. Das Experiment selbst
ient dem besseren Verständnis des Wandels der ökolo-
ischen und klimatischen Systeme. Diese Art der For-
chung wird in den genannten internationalen Vereinba-
ungen eindeutig begrüßt. Alle vorliegenden Gutachten,
uch das des Bundesamtes für Naturschutz, belegen eine
kologische Unbedenklichkeit dieses im kleinen Maß-
tab stattfindenden Experiments. Für Die Linke hat die
orschungsfreiheit, deren Ergebnisse einen aufklärenden
iskurs zum Klimaschutz erst ermöglichen, einen hohen
tellenwert.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009 21957
(A) )
(B) )
Abschließend noch ein Wort zu dem Antrag der Grü-
nen: In Ihrem Antrag steht nichts Falsches, sondern viele
zutreffende Feststellungen und allgemeine, aber nicht
weniger richtige Forderungen. Deswegen werden wir
auch zustimmen. Leider sind Sie doch ein wenig der
Versuchung erlegen, schnell mit einem fertigen Produkt
auf der Wahlkampfbühne aufzutreten, anstatt den Ver-
lauf der Debatte und die verschiedenen Gutachten abzu-
warten. Dass Sie sich nun innerfraktionell in der Ein-
schätzung von LOHAFEX doch nicht mehr einig sind,
zeigt einmal mehr, dass allen Seiten weniger Profilie-
rung und mehr Verständigung über die gemeinsam zu er-
reichenden Ziele in Forschungs- wie Umweltpolitik gut-
getan hätte.
Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Noch zum Abschluss der 9. Vertragsstaaten-
konferenz des Übereinkommens über die biologische
Vielfalt vor nicht einmal acht Monaten in Bonn hat der
Vorsitzende dieser Vertragsstaatenkonferenz, Bun-
desumweltminister Sigmar Gabriel, den Aufbruch hin
zum Schutz der biologischen Vielfalt prophezeit. Dass
der Meeresschutz endlich eine wichtigere Rolle spielen
sollte, wurde besonders hervorgehoben.
Als eines dieser Aufbruchsignale wurde die klare
Stellungnahme der Vertragsstaaten gegen „Aktivitäten
zur künstlichen Düngung von Meeresgebieten mit dem
Ziel der CO2-Bindung“ gewertet. Der Grund sei – so der
Minister in seiner Pressemitteilung –, dass Wissenschaft-
ler starke negative Auswirkungen auf die Meeresumwelt
befürchteten, und viele Wissenschaftler bezweifeln auch
den vermuteten positiven Effekt künstlicher Düngung
auf das Klima. Insofern waren alle, die Fragen des Bio-
diversitätsschutzes ernst nehmen, mehr als verwundert,
als sie erfuhren, dass das Bundesforschungsministerium
in diesen Tagen ein Forschungsexperiment zur Ozean-
düngung genehmigt hatte. Ich zolle dem Bundesumwelt-
minister Respekt, dass er sich diesem Vorhaben entge-
gengestellt hat.
Aus Sicht der Umweltpolitiker meiner Fraktion ver-
stößt dieses Experiment eindeutig gegen den politischen
Willen, den die Bundesregierung mit ihrer Unterschrift
unter das Moratorium geäußert hat. Dass uns nun von
der Bundesforschungsministerin beauftragte Juristen er-
klären, dass dieses Moratorium rechtlich nicht bindend
sei, weil nicht in nationales Recht umgesetzt – das sind
Winkelzüge, die Advokaten alle Ehre machen, die aber
nichts daran ändern, dass die Bundesregierung auf der
Vertragsstaatenkonferenz anders gesprochen hat, als sie
jetzt handelt. Und das ist ein Skandal.
Wir Umweltpolitiker sind der Überzeugung, dass bei
weitem nicht alle Bedenken gegen das LOHAFEX-Ex-
periment des Alfred-Wegener-Instituts in Bezug auf die
biologische Vielfalt und die Intaktheit der marinen Öko-
systeme ausgeräumt sind. Das Bundesumweltamt für
Naturschutz hat festgehalten, dass die Risikobewertung
lückenhaft ist und das Experiment dem CBD-Beschluss
zur Ozeandüngung widerspricht. Die politische Bot-
schaft, die in die Welt geht, ist verheerend: Als derzei-
tige CBD-Präsidentschaft unterwirft sich die Bundes-
regierung nicht den von ihr mitgetragenen Beschlüssen
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er CBD. Im Zweifelsfall also hat der Biodiversitäts-
chutz hintanzustehen. Damit verliert Deutschland in
iesem Bereich seine Vorbildwirkung und Glaubwürdig-
eit. Die Freigabe des LOHAFEX-Experiments durch
ie Bundesregierung ist ein Affront für die deutsche und
nternationale Politik zum Erhalt der biologischen Viel-
alt.
Die Umweltpolitiker von Bündnis 90/Die Grünen be-
ennen sich zur Konvention über die biologische Viel-
alt. Forschung findet ihre Grenzen auch in den
eschlüssen, Mandaten und Arbeitsaufträgen dieses
bereinkommens. Der dramatische Verlust an biologi-
cher Vielfalt stellt uns vor sehr komplexe Herausforde-
ungen, die wir nur als internationale Staatengemein-
chaft gemeinsam bewältigen können. Mit ihrer Haltung
nd ihrer Argumentation konterkariert die Bundesregie-
ung die Bemühungen zur konsequenten Umsetzung der
BD-Beschlüsse auch auf anderen Gebieten. Das ist
irklich und wahrhaftig ein Trauerspiel.
Auf seiner Abschlussrede auf der COP 9 versicherte
inister Gabriel: „Wir werden alles in unserer Kraft Ste-
ende tun, damit die Entscheidungen der 9. Vertragsstaa-
enkonferenz umfassend und rechtzeitig umgesetzt wer-
en.“ Dieses Versprechen wurde nun gebrochen. Wir
ordern die Bundesregierung auf, dafür Sorge zu tragen,
ass zukünftig nur Forschungsprojekte gefördert wer-
en, die die Beschlüsse der CBD konsequent einhalten.
Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn
ngagierte Klimaforscher und Umweltverbände sich
ber ein Forschungsexperiment streiten, kann das nie-
anden erfreuen, schon gar nicht aus grüner Sicht. Den
orwurf, LOHAFEX verstoße gegen das CBD-Morato-
ium über Eisendüngung, darf man in der Tat nicht auf
ie leichte Schulter nehmen, denn dieses Abkommen
ar ein großer Fortschritt, um Geo-Engineering mit un-
bsehbaren Folgen und kommerzielle Projekte der Ei-
endüngung international zu stoppen. Und es ist sehr gut,
ass in dieser Debatte alle, auch die Forscher des AWI
nd die verschiedenen politischen Parteien, unterstri-
hen haben, dass sie an diesem Stopp festhalten wollen.
Die CBD argumentiert aber auch gerade damit, dass
an über die Wirkung von Eisen im Ökosystem der
eere viel zu wenig weiß, und erlaubt deshalb aus-
rücklich legitime Grundlagenforschung und formuliert
afür Kriterien. Das Gleiche gilt übrigens auch für das
nternationale Seerecht, die London Convention und das
ondon Protocol. Grundlagenforschung wird auch hier
icht verboten, sondern die Regeln über die Forschung
ollen weiterentwickelt werden. Es wurden im Oktober
orschriften für die Übergangszeit formuliert. Um gesi-
herte Erkenntnisse in diesem Bereich zu erlangen, ist
egitime Grundlagenforschung geradezu unumgänglich,
nd es spricht alles dafür, dass diese lieber von unabhän-
igen staatlichen Einrichtungen durchgeführt werden
ollte als von privaten Interessengruppen.
Es hat jetzt ein Peer-Review-Verfahren stattgefunden
it verschiedenen naturwissenschaftlichen und rechtli-
hen Gutachten unabhängiger wissenschaftlichen Ein-
ichtungen und Institute. Die eingeholten Gutachten
21958 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009
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kommen zu dem Ergebnis, dass die Risikobewertung
durch das AWI und den indischen Partner bestätigt wird,
das Experiment ökologisch unbedenklich sei und nicht
gegen internationale Abkommen verstoße. Ich finde es
ausgesprochen unbefriedigend, dass sich die Bundes-
regierung nicht zu einer gemeinsamen Bewertung der
Lage und der Gutachten hat durchringen können. Wäh-
rend alle anderen Beteiligten deutlich gemacht haben,
dass das CBD-Moratorium nicht infrage gestellt werden
soll und Geo-Engineering nach wie vor abgelehnt wird,
drängt sich der Eindruck auf, beide beteiligten Ministe-
rien versuchen nun, aus dem Konflikt Wahlkampfmuni-
tion zu sammeln.
Die Regierung ist ein Beitrag zur Versachlichung der
Diskussion schuldig geblieben. Dies wäre aber bitter nö-
tig angesichts der Hausforderungen, vor denen wir beim
Klima- und Umweltschutz stehen, zum Beispiel auch ge-
rade in der Arktis. Deshalb kommt es darauf an, dass
Klima- und Meeresforscherinnen und -forscher mit Um-
weltverbänden den offenen Dialog intensivieren. Die
Regierung hat mit eigenen Versäumnissen in der Kom-
munikation zwischen Forschungs- und Umweltministe-
rium die unglückliche Frontstellung um das Projekt
LOHAFEX befördert. Bleibt zu hoffen, dass die Regie-
rung hier ihrer Verantwortung in Zukunft eher und bes-
ser gerecht wird.
202. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 29. Januar 2009
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9