Protokoll:
16180

insert_drive_file

Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 16

  • date_rangeSitzungsnummer: 180

  • date_rangeDatum: 26. September 2008

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: None Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 13:48 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 16/180 wurfs eines Gesetzes zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in der Kin- dertagespflege (Kinderförderungs- gesetz – KiföG) (Drucksachen 16/10173, 16/10357) . . – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/10358) . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu dem Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, Krista Sager, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 16/10357) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Carl-Ludwig Thiele, Sibylle Laurischk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Sofortpro- gramm für mehr Kinderbetreuung – zu dem Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz, Christine Scheel, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verbindlichen Ausbau der Kindertagesbetreuung jetzt re- geln – Verlässlichkeit für Familien 19235 B 19235 B 19235 D Deutscher B Stenografisc 180. Si Berlin, Freitag, den 2 I n h a Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- neten Dr. Hans-Heinrich Jordan . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 32: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Kin- dern unter drei Jahren in Tagesein- richtungen und in der Kindertages- pflege (Kinderförderungsgesetz – KiföG) (Drucksachen 16/9299, 16/10357) . . . – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- 19235 A 19235 B NEN: Bildungspolitische Katastro- phe verhindern – Betreuungsgeld eine Absage erteilen undestag her Bericht tzung 6. September 2008 l t : – zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Sibylle Laurischk, Miriam Gruß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Faire Chancen für private und privat-gewerbliche An- bieter bei der Kinderbetreuung – ohne weiteres Zögern Entwurf des Kinderförderungsgesetzes vorlegen – zu dem Antrag der Abgeordneten Diana Golze, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Öffentliche Kinderbetreuung ausbauen – Kom- merzialisierung der Kinder- und Ju- gendhilfe vermeiden (Drucksachen 16/7114, 16/8406, 16/9305, schaffen (Drucksachen 16/5114, 16/542 16/6534). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6, . 19236 A II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. September 2008 d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Miriam Gruß, Sibylle Laurischk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Chancenge- rechtigkeit von Beginn an – zu dem Antrag der Abgeordneten Diana Golze, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kinderbetreu- ungsausbau mit mehr Mitteln, Fach- kräften und Qualität ausstatten – Rechtsanspruch auf Ganztagsbe- treuung 2010 einführen – zu dem Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz, Grietje Bettin, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Angebot und Qualität der Kinder- tagesbetreuung schneller und ver- lässlicher ausbauen – Realisierung nicht erst 2013 (Drucksachen 16/6597, 16/6601, 16/6607, 16/6817) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christel Humme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Nicolette Kressl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Pieper (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Fischbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . Ingrid Fischbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michaela Noll (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Singhammer (CDU/CSU) . . . . . . . . Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Griese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19236 B 19236 C 19238 A 19240 A 19241 C 19242 D 19243 C 19244 D 19246 A 19247 D 19248 B 19248 C 19249 C 19251 A 19252 B 19253 D 19254 B 19255 B 19255 D 19257 A Tagesordnungspunkt 33: Antrag der Abgeordneten Daniel Bahr (Müns- ter), Heinz Lanfermann, Dr. Konrad Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Gesundheitsfonds und staatliche Bei- tragssatzfestsetzung in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht einführen (Drucksache 16/9805) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Bahr (Münster) (FDP) . . . . . . . . . . . . Hildegard Müller, Staatsministerin BK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Spieth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Ulla Schmidt, Bundesministerin BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU) . . . . . . Heinz Lanfermann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Elke Ferner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Peter Friedrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maria Michalk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Jörg van Essen (FDP) (zur Geschäftsordnung) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 34: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs (VAStrRefG) (Drucksache 16/10144) . . . . . . . . . . . . . . . . . Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 36: Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Katrin Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wohngelderhöhung vorziehen (Drucksache 16/10319) . . . . . . . . . . . . . . . . . Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Gero Storjohann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 19259 D 19260 A 19262 A 19265 B 19267 D 19269 D 19272 A 19274 A 19275 B 19277 C 19278 C 19280 C 19281 D 19282 C 19282 C 19283 C 19284 C 19286 B 19287 A 19287 D 19288 C 19288 D 19289 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. September 2008 III Joachim Günther (Plauen) (FDP) . . . . . . . . . . Sören Bartol (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 37: Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz, Irmingard Schewe-Gerigk, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bessere Un- terstützung für Alleinerziehende (Drucksache 16/10257) . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Thomas Dörflinger (CDU/CSU) zur Abstim- er den Entwurf eines Gesetzes zur g von Kindern unter drei Jahren in richtungen und in der Kindertages- inderförderungsgesetz – KiföG) dnungspunkt 32 a) . . . . . . . . . . . . . . koll gegebene Reden zur Beratung ags: Bessere Unterstützung für Al- hende (Tagesordnungspunkt 37) Winkelmeier-Becker /CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . pez (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . einecke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . aurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . nderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . ßelmann (BÜNDNIS 90/ RÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1 1 1 1 1 1 19296 B 19296 D 19298 D 19299 D 19300 D 19301 C 19302 B 19302 D mung üb Förderun Tagesein pflege (K (Tagesor Anlage 3 Zu Proto des Antr leinerzie Elisabeth (CDU Helga Lo Dieter St Sibylle L Jörn Wu Britta Ha DIE G Anlage 4 Amtliche 9290 C 9291 B 9291 D 9292 D 9293 D 9294 C 9295 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. September 2008 19235 (A) (C) (B) (D) 180. Si Berlin, Freitag, den 2 Beginn: 9
  • folderAnlagen
    1) Anlage 3 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. September 2008 19295 (A) (C) (B) (D) Herlitzius, Bettina BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.09.2008 Schmidt (Mülheim), Andreas CDU/CSU 26.09.2008 Hartmann (Wackernheim), Michael SPD 26.09.2008 Schmidt (Nürnberg), Renate SPD 26.09.2008 Anlage 1 Liste der entschuldi Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Ackermann, Jens FDP 26.09.2008 Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.09.2008 Beck (Reutlingen), Ernst-Reinhard CDU/CSU 26.09.2008* Dr. Berg, Axel SPD 26.09.2008 Blumentritt, Volker SPD 26.09.2008 Bollen, Clemens SPD 26.09.2008 Brunnhuber, Georg CDU/CSU 26.09.2008 Bulling-Schröter, Eva DIE LINKE 26.09.2008 Dr. Bunge, Martina DIE LINKE 26.09.2008 Caspers-Merk, Marion SPD 26.09.2008 Dreibus, Werner DIE LINKE 26.09.2008 Frechen, Gabriele SPD 26.09.2008 Freitag, Dagmar SPD 26.09.2008 Friedhoff, Paul K. FDP 26.09.2008 Gabriel, Sigmar SPD 26.09.2008 Dr. Geisen, Edmund FDP 26.09.2008 Göppel, Josef CDU/CSU 26.09.2008 Grosse-Brömer, Michael CDU/CSU 26.09.2008 Dr. Freiherr zu Guttenberg, Karl-Theodor CDU/CSU 26.09.2008 Gutting, Olav CDU/CSU 26.09.2008 Hänsel, Heike DIE LINKE 26.09.2008 Haibach, Holger CDU/CSU 26.09.2008 Anlagen zum Stenografischen Bericht gten Abgeordneten Hintze, Peter CDU/CSU 26.09.2008 Hinz (Essen), Petra SPD 26.09.2008 Hochbaum, Robert CDU/CSU 26.09.2008 Hoffmann (Wismar), Iris SPD 26.09.2008 Jung (Karlsruhe), Johannes SPD 26.09.2008 Kasparick, Ulrich SPD 26.09.2008 Kaster, Bernhard CDU/CSU 26.09.2008 Klug, Astrid SPD 26.09.2008 Lafontaine, Oskar DIE LINKE 26.09.2008 Lenke, Ina FDP 26.09.2008 Leutheusser- Schnarrenberger, Sabine FDP 26.09.2008 Lips, Patricia CDU/CSU 26.09.2008 Merten, Ulrike SPD 26.09.2008 Möller, Kornelia DIE LINKE 26.09.2008 Mortler, Marlene CDU/CSU 26.09.2008 Pronold, Florian SPD 26.09.2008 Raidel, Hans CDU/CSU 26.09.2008 Reichel, Maik SPD 26.09.2008 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.09.2008 Schauerte, Hartmut CDU/CSU 26.09.2008 Schily, Otto SPD 26.09.2008 Schirmbeck, Georg CDU/CSU 26.09.2008 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich 19296 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. September 2008 (A) (C) (B) (D) * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der NATO ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der OSZE Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Thomas Dörflinger (CDU/ CSU): zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege (Kinderförderungsgesetz – KiföG) (Tagesordnungspunkt 32 a) Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird eine Reihe von Verbesserungen in der Kindertagespflege umgesetzt, die meine ausdrückliche Unterstützung finden. Dies gilt für den Ausbau der Angebote an Kinderbetreuung für unter Dreijährige sowohl in Tagesbetreuungseinrichtun- gen wie in der Tagespflege. Damit einher geht eine Ver- besserung in der Qualifikation und der Honorierung für in der Tagespflege Beschäftigte, was sowohl im Inte- resse der betreuten Kleinkinder richtig als auch arbeits- marktpolitisch sinnvoll ist. Der Gesetzentwurf weist jedoch einen schwerwiegen- den Mangel auf, weswegen ich ihm meine Zustimmung nicht zu geben vermag. Die Einführung eines Rechtsan- Schultz (Everswinkel), Reinhard SPD 26.09.2008 Schwanitz, Rolf SPD 26.09.2008 Seehofer, Horst CDU/CSU 26.09.2008 Staffelt, Grietje BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.09.2008 Steppuhn, Andreas SPD 26.09.2008 Dr. Stinner, Rainer FDP 26.09.2008 Teuchner, Jella SPD 26.09.2008 Dr. Troost, Axel DIE LINKE. 26.09.2008 Ulrich, Alexander DIE LINKE. 26.09.2008 Dr. Volkmer, Marlies SPD 26.09.2008 Wellmann, Karl-Georg CDU/CSU 26.09.2008** Wieczorek-Zeul, Heidemarie SPD 26.09.2008 Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 26.09.2008 Zeil, Martin FDP 26.09.2008 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich spruchs auf frühkindliche Förderung in einer Tagesein- richtung oder in Kindertagespflege für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr ab dem l. August 2013 ist in mehrfacher Hinsicht abzulehnen: Erstens. Das politische Ziel der Bundesregierung, für durchschnittlich 35 Prozent der Kinder unter drei Jahren eine Betreuungsmöglichkeit vorzusehen, ist mit dem Rechtsanspruch ab 2013 nicht vereinbar. Der Rechtsan- spruch hat mindestens optional eine Betreuungsquote von 100 Prozent, nicht von 35 Prozent zur Folge. Damit wird der Flächendeckung Priorität gegenüber der Be- darfsgerechtigkeit eingeräumt. Zweitens. Der Gesetzgeber räumt selbstredend über- all dort einen Rechtsanspruch ein, wo er die Erwartung hegt, durch größtmögliche Inanspruchnahme des Rechtsanspruchs träte eine Situation ein, die dem Ideal- zustand möglichst nahe kommt. Exemplarisch seien hierfür der Rechtsanspruch auf Eltern-Kind-Kuren im SGB V oder der Rechtsanspruch auf einen Kindergarten- platz im SGB VIII genannt. Die größtmögliche Inan- spruchnahme des Rechtsanspruchs auf einen Krippen- platz für unter Dreijährige hätte zur Folge, dass Kinder lediglich in ihrem ersten Lebensjahr in der eigenen Fa- milie, danach aber durchgängig extern betreut werden. Dies ist aus entwicklungspsychologischer Sicht nach- weislich falsch und daher abzulehnen. Drittens. Leider folgt der Gesetzgeber auch mit dem vorliegenden Gesetzentwurf seiner offensichtlichen Ma- xime, Kinder und Familie so zu organisieren, dass sie dem Erwerbsleben ihrer Eltern möglichst wenig im Wege stehen. Um die Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit nachhaltig zu verbessern, hätte es statt- dessen des umgekehrten Weges bedurft, nämlich das Er- werbsleben so zu organisieren, dass Kinder und Familie in ihm ausreichend Raum finden und den Eltern die Be- treuung ihrer Kinder trotz gleichzeitiger Erwerbstätig- keit ohne Inanspruchnahme externer Hilfen möglich ist. Dazu hätte es freilich größerer Anstrengungen in Rich- tung Teilzeitarbeit, Telearbeit, Wiedereinstiegs- oder besser: Berufsbegleitende Maßnahmen für Eltern sowie geschlechterneutrale Bezahlung bedurft, bei denen Ge- setzgeber wie Wirtschaft gleichermaßen in der Pflicht gestanden hätten. Aus den genannten Gründen vermag ich dem Gesetz- entwurf der Bundesregierung und der Koalitionsfrak- tionen nicht zuzustimmen. Anlage 3 Zu Protokoll gegebenen Reden zur Beratung des Auftrags: Bessere Unterstüt- zung für Alleinerziehende (Tagesordnungs- punkt 37) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Mit großer Mehrheit haben wir heute Morgen das Kinderför- derungsgesetz (KiföG) verabschiedet, das den Ausbau eines qualitativ hochwertigen Betreuungsangebots für Kinder unter drei Jahren regelt. Ab dem 1. August 2013 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. September 2008 19297 (A) (C) (B) (D) besteht damit ein Rechtsanspruch auf einen Betreuungs- platz für alle Kinder vom vollendeten ersten bis zum vollendeten dritten Lebensjahr. Und auch schon während der Aufbauphase bis zum 31. Juli 2013 werden die Kri- terien für die Inanspruchnahme von Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren erweitert. 30 Prozent der neuen Plätze sollen in der Kindertagespflege geschaffen werden. Der Bund beteiligt sich mit 4 Milliarden Euro zu einem Drittel an den Ausbaukosten. Das KiföG steht nicht als isolierte Maßnahme da: Es steht in einer langen Reihe von Maßnahmen, mit denen wir in dieser Legislaturperiode die Vereinbarkeit von Fa- milie und Beruf effektiv verbessert haben: angefangen mit dem Elterngeld, das jungen berufstätigen Eltern nach der Geburt eines Kindes bis zu 14 Monate lang einen weitgehenden Einkommensersatz bietet, wenn sie für die Kinderbetreuung auf Berufseinkommen verzichten; da- neben die bessere steuerliche Absetzbarkeit von Betreu- ungskosten und haushaltsnahen Dienstleistungen. Von all dem profitieren auch und gerade Alleinerziehende, denn für sie sind die Vereinbarkeit von Familie und Be- ruf und eine flächendeckende Kinderbetreuung von exis- tenzieller Bedeutung. Die Verabschiedung des KiföG ist damit ein ganz entscheidender und sehr konkreter Schritt für eine „bessere Unterstützung von Alleinerziehenden“. Und damit komme ich zum Antrag der Grünen. Es ist richtig, dass Alleinerziehende und deren Kinder häufiger als Familien mit zwei Eltern im selben Haushalt von Ar- mut bedroht sind. Das belegen die Zahlen: 2,2 Millionen Alleinerziehende leben in Deutschland – 95 Prozent da- von Frauen; ca. ein Drittel von ihnen lebt – zum Teil so- gar trotz einer eigenen Berufstätigkeit – in Armut bzw. Armutsgefährdung, also mit bis zu 60 Prozent des Medi- aneinkommens. Von den rund 0,9 Millionen Alleinerzie- henden, die in den letzten 10 Jahren hinzugekommen sind, gehören 0,8 Millionen zu den wirtschaftlich Schwachen. Das ist auch nicht verwunderlich: Wenn sich ein Paar trennt, steigt der Bedarf. Nehmen wir ein Paar mit 2 Kindern: Wenn sich dieses trennt, steigt der Mittelbedarf gegenüber einer vierköpfigen Familie um rund 9 400 Euro. Das kann häufig nicht über zusätzliche Einkünfte erwirtschaftet werden und fördert dann den wirtschaftlichen Abstieg. Es gibt aber auch Zahlen, die Mut machen: So schaf- fen in etwa ein Drittel der Alleinerziehenden, die in Ar- mut leben, innerhalb von zwei Jahren den Weg hinaus aus der finanziellen Krise. Das heißt, die Alleinerziehen- den brauchen etwas Zeit, sind dann aber auch häufig in der Lage, ihre Situation besser zu gestalten und sich wirtschaftlich selbstständig zu machen. Das ist eine Leistung, die wir in hohem Maße anerkennen. Damit das künftig noch besser gelingt, haben wir vieles unternom- men, und das ist sicher unser gemeinsames Ziel. Bevor ich auf einzelne Forderungen Ihres Antrags eingehe – ein Teil hat sich ja bereits erledigt –, sage ich gerne etwas zum Anstieg der Zahl der Einelternfamilien und auch zu den Ursachen von Armut und den besonde- ren Belastungen solcher Familien. Übersehen wird oft – und auch in Ihrem Antrag verlieren Sie darüber kein Wort –, dass die Zunahme der Zahl der Alleinerziehen- den nicht primär politische Ursachen hat, sondern meis- tens auf privaten Entscheidungen beruht. Das soll aus- drücklich nicht heißen: selber schuld und dem Staat deshalb egal. Wir erkennen ausdrücklich an, dass allein- erziehende Eltern oft einer besonderen Belastung ausge- setzt sind, nicht nur durch finanzielle Einschränkungen, sondern auch durch besondere Schwierigkeiten bei der Bewältigung des Alltags, wenn man Kinderbetreuung und Haushaltsorganisation alleine bewältigen muss; das schildern Sie in Ihrem Antrag ja richtig. Wer sich dieser Aufgabe stellt und für seine Kinder da ist, leistet viel für die Gesellschaft und das verdient Anerkennung. Aber jedes Kind hat normalerweise von Geburt an Mutter und Vater. Diese beiden sind gleichermaßen für seine Erziehung, sein Wohlergehen und seinen Unterhalt verantwortlich. Das bleibt auch so, wenn die beiden aus- einandergehen. Wenn sich das Elternpaar trennt, dann leistet meistens einer der Partner, bei dem die Kinder ih- ren Lebensmittelpunkt haben, seinen Erziehungsbeitrag durch Betreuung und Versorgung; der andere Partner muss seinen Teil vor allem als Geldleistung beitragen. Er ist es aber auch – das möchte ich bei dieser Gelegenheit gerne einmal betonen – weiterhin seinen Kindern schul- dig, sich um sie zu kümmern, an ihrem Leben Anteil zu nehmen und regelmäßig auch Zeit mit ihnen zu verbrin- gen. Beide Eltern sind verpflichtet, dies möglich zu ma- chen und einen eigenen Beziehungskonflikt, den es in Trennungssituationen oft gibt, zurückzustellen. Alleinerziehende geraten oft deshalb in finanzielle Not, weil der getrennt lebende Partner – ganz überwie- gend der Vater – gar keinen oder zu wenig Unterhalt be- zahlt. Zuallererst wären hier also diejenigen Partner ver- antwortlich, die sich ihren Zahlungspflichten entziehen und ihre Kinder finanziell im Stich lassen; die manchmal neue Unterhaltspflichten eingehen – in einer zweiten Fa- milie –, obwohl sie wissen, dass sie dann nicht für alle so sorgen können, wie es eigentlich ihre Pflicht wäre; die Einkommen verschweigen oder sich ins Ausland abset- zen und sich so manchmal sogar in krimineller Weise ih- ren Zahlungspflichten entziehen. Doch auch wenn es eigentlich Sache der Eltern wäre, für den Unterhalt ihrer Kinder zu sorgen – von anderen Eltern, die zusammenleben und aus ihrer Berufstätigkeit ein durchschnittliches Einkommen erzielen, verlangen wir das ganz selbstverständlich –, stiehlt sich der Staat nicht aus der Verantwortung, wenn eine alleinerziehende Mutter auf Unterstützung angewiesen ist: Der Staat hilft bei der gerichtlichen Durchsetzung von Unterhaltsan- sprüchen, indem die Kommunen das für die Mütter un- ternehmen, oder auch durch Prozesskostenhilfe, die aus den Kassen der Bundesländer gezahlt wird. Wenn der Unterhaltspflichtige nicht zahlt, springt der Staat mit dem Unterhaltsvorschuss ein. Und wenn das alles nicht reicht, dann greifen Leistungen nach den allgemeinen Sozialgesetzen. Dann wird Wohngeld gezahlt, das wir gerade wirklich spürbar erhöht haben, oder Kinderzu- schlag, der ebenfalls gerade reformiert und in seinem Anwendungsbereich ausgeweitet worden ist. Nach die- sen Gesetzen erhalten alle, die in Bedürftigkeit geraten, und damit eben auch viele Alleinerziehende in dieser Si- tuation die nötige Unterstützung. 19298 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. September 2008 (A) (C) (B) (D) In ihrem Antrag haben die Grünen eine bunte Wunschliste mit Forderungen zusammengeschrieben, die zu einem großen Teil bereits eingeleitet oder umge- setzt werden, und zwar zum Wohle aller Familien und aller Kinder, nicht nur von Alleinerziehenden. Bei man- chen Punkten haben die Antragsverfasser offenbar den Titel ihres Antrags selbst aus den Augen verloren, etwa wenn sie in epischer Breite besser qualifiziertes Personal in der Kinderbetreuung fordern. Wieso kommt das aus- gerechnet und in besonderem Maße den Alleinerziehen- den zugute? Haben Eltern, die zusammenleben, ein geringeres Interesse an der Qualifizierung des Betreu- ungspersonals? Ich könnte weitere Beispiele nennen: die Verbesserung der Ausbildungsförderung, den Betreu- ungsbedarf für Kinder Studierender etc. Das sind The- men, die alle Kinder und Eltern betreffen – nicht nur die Kinder von Alleinerziehenden. Auf einige Punkte möchte ich noch kurz eingehen: Was Ausbau und Qualität der Kinderbetreuungseinrich- tungen angeht, habe ich eingangs schon auf das KiföG hingewiesen, das den Rechtsanspruch auf Betreuung ab dem zweiten Lebensjahr begründet, ab 2013, d. h. so schnell es eben geht. Das Ganztagsschulprogramm läuft noch bis Ende nächsten Jahres. Drei der veranschlagten 4 Milliarden Euro wurden bereits abgerufen und sind in Ausbau und Weiterentwicklung neuer Ganztagschulen, die Schaffung zusätzlicher Plätze an bestehenden Ganz- tagsschulen oder die qualitative Weiterentwicklung von Ganztagsangeboten geflossen. In Nordrhein-Westfalen durften unter Rot-Grün übrigens jahrzehntelang nur Ge- samtschulen als Ganztagsschulen ausgebaut werden, das hat die Regierung Rüttgers schnell geändert und eine be- sondere Priorität darauf gelegt, dass vor allem der Aus- bau der Hauptschulen zu Ganztagsschulen gefördert wird. Weitere Ganztagsschulen in allen Schulformen wird es sicherlich geben. Das zu entscheiden und voran- zutreiben ist allerdings Sache der Länder. Wenig überraschend ist mal wieder die Forderung nach teilweiser Abschaffung des Ehegattensplittings, ob- wohl das ja bekanntlich ganz überwiegend Elternpaaren mit Kindern zugutekommt. Denn ein größerer Einkom- mensunterschied kommt ja gerade in den Fällen zu- stande, wo ein Elternteil wegen der Kindererziehung seine Berufstätigkeit einschränkt. Es wird Sie nicht über- raschen, dass wir einem solchen Vorschlag zur Gegenfi- nanzierung familienpolitischer Maßnahmen nicht zu- stimmen werden. Es ist im Übrigen nicht so, dass Alleinerziehende grundsätzlich keinen entsprechenden Steuervorteil hät- ten: Der Unterhalt, der an getrennt lebende oder geschie- dene Ehefrauen gezahlt wird, kann bekanntlich im Wege des Realsplittings geltend gemacht werden; das kommt ebenfalls dem Elternpaar zugute und führt unterm Strich dazu, dass der Unterhaltsbetrag der alleinerziehenden Mutter höher ausfällt. Zum Kinderzuschlag: Den haben wir gerade refor- miert und in einem ersten Schritt ein kleines Wahlrecht eingeführt. Alleinerziehende und all die Personengrup- pen, die einen Mehrbedarf haben, können sich entweder für den Mehrbedarfszuschlag oder für den Kinderzu- schlag entscheiden, um nicht auf Sozialtransfers ange- wiesen zu sein. Natürlich ist es ein Leichtes, auch an die- ser Stelle wieder mehr zu fordern. Sie alle haben die Debatten um den Kinderzuschlag verfolgt und wissen daher, dass wir hier herausgeholt haben, was im Rahmen der Haushaltsvorgaben möglich war. Im Rahmen des nächsten Existenzminimumsberichts, den wir noch in diesem Herbst erwarten, werden wir ne- ben einer Erhöhung des Kindergeldes sicherlich auch über die Ausgestaltung der Grundsicherung von Kindern im SGB-II-Bezug neu nachdenken müssen. Sie wissen, dass eine Überprüfung auch schon seit langem von Mi- nister Laumann in Düsseldorf gefordert wird. Das macht aber erst Sinn, wenn die Zahlen des Existenzminimums- berichtes vorliegen. Und was den letzten Teil des Antrags – die zielgrup- penorientierte Unterstützung Alleinerziehender im sozia- len Nahraum – angeht, da ist die Große Koalition längst einen Schritt weiter. Mit dem Mehrgenerationenhäuser- Programm setzen wir genau dort an. Mehrgenerationen- häuser sind eine ideale Anlaufstelle für Alleinerzie- hende. Bundesweit fördern wir 500 Mehrgenerationenhäuser, die Treffpunkte sein können und die unterschiedlichsten Leistungen anbieten rund um Haushalt und Familie, die Familien und eben auch Alleinerziehende entlasten. Ich denke, damit hat der Bund alles getan hat, was an dieser Stelle – wie gesagt, bei der Gestaltung des sozialen Nah- raums – von Bundesebene aus zu leisten ist. Weiteres können wir getrost der kommunalen Ebene oder auch der Zivilgesellschaft und dem bürgerschaftlichen En- gagement zum Beispiel in Frauen- oder Selbsthilfegrup- pen überlassen. Schaut man sich die Forderungen des Antrags ge- nauer an, so merkt man schnell, dass leider überhaupt nichts Neues drinsteht. Und schlimmer: Die Antragstel- ler spielen Familien gegeneinander aus, setzten Allein- erziehende gegen Paare, am liebsten gegen Ehepaare. Es ist nicht zu kritisieren, dass hier die Situation von Allein- erziehenden besonders thematisiert wird, unser Ziel muss es aber sein, allen Familien zu helfen, ihr Leben auch unter schwierigen Bedingungen in den Griff zu be- kommen, egal, wie viele Kinder da sind, und egal, ob die Eltern zusammenleben oder getrennt sind. Und da kann sich die Bilanz der Großen Koalition in dieser Wahlperi- ode wirklich sehen lassen. Helga Lopez (SPD): Alleinerziehend sein, Verant- wortung alleine oder fast alleine tragen zu müssen, ist eine besondere Herausforderung, die durch gute äußere Rahmenbedingungen erleichtert werden kann und auch muss. Der Antrag der Grünen „Bessere Unterstützung für Alleinerziehende“ bietet eine gute Gelegenheit, ei- nige grundsätzliche Bemerkungen zum Thema „Allein- erziehende in Deutschland“ zu machen. Dies vor dem Hintergrund, dass die Zahl der Single- und Alleinerzie- hendenhaushalte in Deutschland immer weiter ansteigt. Wenn wir die Tatsache berücksichtigen, dass Alleiner- ziehende ein besonders hohes Armutsrisiko haben, dann Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. September 2008 19299 (A) (C) (B) (D) wird deutlich, wie wichtig dieses Thema für unsere Ge- sellschaft ist. Ein echtes Zukunftsthema. Es ist ja nicht so, dass Alleinerziehende neu auf der politischen Agenda sind. Ich darf daran erinnern, dass es eine ganze Reihe von Maßnahmen schon unter der rot- grünen Bundesregierung gegeben hat – als Stichworte nenne ich die Verbesserung bei der Teilzeitarbeit, die Flexibilisierung bei der Elternzeit, den steuerlichen Entlastungsbetrag für Alleinerziehende. Dies hat sich fortgesetzt in der Großen Koalition: Ich nenne hier exemplarisch den Kinderzuschlag, der gerade bei den Alleinerziehenden Verbesserungen bewirken wird. Das neu eingeführte Elterngeld ist auch für viele Alleinerzie- hende ein Segen, es gibt ihnen Zeit, sich voll und ganz dem Kind zu widmen. An dieser Stelle darf ich auch da- rauf hinweisen, dass die Befreiung von Kinderbetreu- ungskosten nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz sehr vielen Alleinerziehenden, aber auch vielen verhei- rateten Eltern ein gutes Stück weiterhilft. Anrecht darauf haben übrigens nicht nur Eltern, die erwerbslos sind, sondern alle mit einem geringen Familieneinkommen, das keine großen Sprünge erlaubt. Familien brauchen eine solide finanzielle Basis, eine auskömmliche Finanz- ausstattung. Das gilt für alle Menschen gleichermaßen, denn ständiger Mangel, ständige Nichtteilhabe machen schwach. Wir wissen aber, dass Alleinerziehende ein deutlich höheres Armutsrisiko haben, dass ihr Anteil an der einkommensschwachen Bevölkerung überdurch- schnittlich hoch ist. Wenn zur belastenden Alleinverant- wortung dauerhafte finanzielle Probleme kommen, ist die Überlastung in aller Regel perfekt. Es ist richtig: Erwerbstätigkeit ist die beste Ar- mutsprävention. Aber es ist auch richtig: Eine schlecht bezahlte Erwerbstätigkeit nützt den Alleinerziehenden wenig. Alleinerziehende sollten mit einer Teilzeitstelle für sich und das Kind beziehungsweise die Kinder sor- gen können. Mit Löhnen von 5 oder 6 Euro – wie im Einzelhandel oder im Friseurhandwerk – geht das nicht, nicht mal mit einer Vollzeiterwerbstätigkeit. Auch hier gilt: der gesetzliche Mindestlohn muss her. Es müssen aber auch die Rahmenbedingungen zur Arbeitsaufnahme stimmen. Die Arbeitszeitgestaltung muss flexibler werden. Trotz Erwerbsarbeit muss genug Zeit bleiben, sich um das Kind, um die Kinder kümmern zu können, auch um sich selbst. Nur starke Eltern erzie- hen starke Kinder. In Zeiten, in denen oftmals bereits eine Vollzeiterwerbstätigkeit nicht mehr auskömmlich ist, kommt dem Spannungsverhältnis zwischen Arbeits- und Familienzeit gerade für Alleinerziehende eine be- sondere Bedeutung zu. Das darf nicht zulasten der unab- dingbar notwendigen Familienzeit gehen. Ich will noch auf einige andere Aspekte eingehen, die aus meiner Sicht bei dem Thema Alleinerziehende oft zu kurz kommen. Es geht zum Beispiel darum, dass schlechtere Chancen zur Einbringung eines auskömmli- chen Familieneinkommens natürlich an erster Stelle vom anderen Elternteil kompensiert werden müssen. Hier be- steht eine Mitverpflichtung aus gemeinsamer Eltern- schaft. Deshalb haben wir kürzlich das Unterhaltsrecht reformiert, damit die Benachteiligung vieler Alleinerzie- hender beseitigt wird. Dies ist im Übrigen auch vom Verfassungsgericht verlangt worden. Die Frage, was pas- siert, wenn der unterhaltsverpflichtete Elternteil nicht zahlt, ist mit dem staatlichen Unterhaltsvorschuss zwar beantwortet. Eine längere Laufzeit bekommen wir aller- dings in der Großen Koalition nicht hin. Ein weiterer Aspekt, der nicht unter den Tisch fallen sollte, ist das Thema Scheidung. Dem Deutschen Bun- destag liegen Vorschläge aus dem BMJ vor, die eine we- sentliche Verbesserung vorsehen. Es geht hier explizit um die Einschränkung von Möglichkeiten, das gemein- same Vermögen vor der Scheidung noch mal nach unten zu korrigieren, so will ich das einmal nennen. Wir könn- ten allerdings noch Besseres tun, nämlich mehr finan- zielle Gleichberechtigung schon während der Ehe herstellen, unter anderem durch permanente Auskunfts- pflicht über den Stand des Vermögens. Denn was wir jetzt mit der Zugewinngemeinschaft haben, ist eine Gü- tertrennung während der Ehe und eine Aufteilung des während der Ehe erwirtschafteten Zugewinns bei Been- digung der Ehe. Während der Ehe hat der nicht oder mi- nimal erwerbstätige Partner gerade mal einen Taschen- geldanspruch, während der erwerbstätige Partner frei über das nicht verbrauchte Einkommen verfügen kann und auch nicht zur Auskunft über das gemeinsame Ver- mögen verpflichtet ist. Das halte ich für nicht mehr zeit- gemäß. Ich hätte deswegen die Zugewinngemeinschaft liebend gerne gegen die Errungenschaftsgemeinschaft ausgetauscht, die deutlich mehr finanzielle Gleichbe- rechtigung während der Ehe schafft. Damit würde es auch noch mal deutlich besser für viele zuvor in Ehe le- bende Alleinerziehende, die in finanzieller Abhängigkeit vom Partner standen, für das gleichberechtigte Miteinan- der von Ehepartnern ohnehin. Aber, das muss ich wohl nicht erläutern, da werden noch dicke Bretter gebohrt werden müssen. Ein weiterer Aspekt: Die Grünen weisen in ihrem An- trag darauf hin, dass das Ehegattensplitting nicht die Fa- milie fördert, in der Kinder leben, sondern allein Ehe subventioniert. Das stimmt, und das wollen auch wir ge- ändert haben. Unsere realen Möglichkeiten dafür sind in dieser Großen Koalition indes sehr gering. Ich will zum Schluss noch etwas zur anstehenden Er- höhung des Kindergeldes sagen. Die von Ministerin von der Leyen vorgesehene Kindergelderhöhung, für das Erst- und Zweitkind wenig, dafür für alle weiteren Kin- der noch einmal deutlich mehr, lehnen wir ab; das übri- gens nicht nur, weil gerade mal 6 Prozent der Alleiner- ziehenden drei und mehr Kinder haben. Auch die weitaus größte Mehrheit der Familien würde davon nicht profitieren. Die Erhöhung des Kindergeldes ist zu aller- erst Ausgleich für die Preissteigerungen, und die sind für alle Kinder gleich. Deswegen wollen wir eine einheitli- che Kindergelderhöhung für alle Kinder. Wir bleiben dran. Dieter Steinecke (SPD): Zu Recht wird in dem vor- liegenden Antrag darauf hingewiesen, dass seit Jahren immer mehr Kinder von nur einem Elterntel großgezo- gen werden. Das ist eine gesellschaftliche Realität, die 19300 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. September 2008 (A) (C) (B) (D) Politik nicht ignorieren darf, und, das füge ich als Sozial- demokrat sofort an, das tun wir auch nicht. Was wir in den letzten Jahren in der Kinder- und Fa- milienpolitik erlebt und gestaltet haben, ist nicht mehr und nicht weniger als ein grundlegender Paradigmen- wechsel. Die Familienpolitik der letzten Jahre, mittler- weile des letzten Jahrzehnts, ist sozialdemokratisch. Denken wir an die Ära Kohl zurück, ein wenig Grau- sen muss hier sein: Eine Frau, die berufstätig war, und deswegen ihr Kind tagsüber betreuen ließ, wurde je nach Lebenslage als Opfer bemitleidet oder als karrieregeile Rabenmutter diffamiert. Das ist gottlob vorbei. Mittler- weile gibt es einen Rechtsanspruch auf einen Betreu- ungsplatz ab dem dritten Lebensjahr. Das war nur ein erster Schritt. Ab 2013 besteht dieser bereits ab dem ers- ten Lebensjahr. Das haben wir Sozialdemokraten durch- gesetzt, dafür nimmt der Bund auch eine Menge Geld in die Hand. Das zu diesem Zweck eingerichtete Sonder- vermögen, aus dem nicht nur Investitionen, sondern erst- malig auch Betriebskosten bezuschusst werden, umfasst 4 Milliarden Euro. Das ist Geld, das nicht nur den Ein- elternfamilien, diesen aber auch in hohem Maße zugute- kommt. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird substanziell verbessert. Natürlich endet die ganze Sache nicht mit der Ein- schulung. Wir Sozialdemokraten setzen auf die Ganz- tagsschule. Auch hier haben wir einen ganzen Batzen in ein Ausbauprogramm gesteckt. Ich spreche von weiteren 4 Milliarden. Nun will ich gar nicht den Eindruck erwecken, wir hätten mit 8 Milliarden Euro den Himmel auf Erden ge- kauft. Wichtig ist mir allerdings Folgendes. Wir nehmen die Verantwortung für die Familien ernst und schlagen uns nicht ins föderale Unterholz. Denn vorschulische wie schulische Bildung sind Sache der Länder. Doch die, das muss ich hier anmerken, sind zum Teil gravierend im Soll. Als Niedersachse sehe ich das immer und immer wieder. Nicht nur Bund, Länder und Kommunen stehen in der Pflicht Auch die Wirtschaft ist gefordert. Dies in dreier- lei Hinsicht: Als Tarifpartner muss sie faire und anstän- dige Löhne zahlen, um Kinder und Eltern vor Armut zu bewahren. Zweitens sollten auch Unternehmen ihren Beitrag zur Betreuung der Kinder ihrer Mitarbeiter leis- ten. Drittens gilt es, den Wiedereinstieg nach einer Fami- lienphase zu erleichtern, schon aus purem Eigeninte- resse. Denn in Zeiten eines zunehmenden Mangels an Fachkräften kann man es sich immer weniger leisten, Potenziale brachliegen zu lassen. Auch in dieser Hin- sicht sind wir als Regierungskoalition tätig. Bereits unter unserer Familienministerin Renate Schmidt wurde die Initiative „Lokale Bündnisse für Familien“ ins Leben ge- rufen. Dort werden Unternehmen ganz konkret in Strate- gien eingebunden. Ich verweise auf einen weiteren Mo- saikstein: das Förderprogramm „Betrieblich unterstützte Kinderbetreuung“. Damit setzen wir Anreize für Unter- nehmen mit bis zu 1 000 Beschäftigten, sich in der Kin- derbetreuung zu engagieren. Dafür stehen bis zum Ab- schluss der Laufzeit Ende 2011 insgesamt 50 Millionen Euro ESF-Mittel zur Verfügung. Eine Feststellung liegt mir als Pädagogen besonders am Herzen: Wir bauen nicht nur die Betreuungsangebote aus. Wir setzen grundlegend neue Akzente. Betreuung muss immer auch Bildung sein. Dadurch fördern wir nicht nur die Zukunftsträger unserer Gesellschaft in ei- ner Phase, die entscheidend für ihren weiten Lebensweg ist. Wir sorgen damit auch für einen gerechteren Zugang zur Ressource Bildung. Dass dieser Bedeutungs- und Verantwortungszuwachs für die vorschulischen Einrich- tungen noch bessere Ausbildung der Handelnden, ein mehr an Qualität erfordert, wissen wir. Ich schließe hier- bei ausdrücklich Tagesmütter und -väter ein. Auch da sind wir tätig und lassen Länder und Kommunen nicht allein. Es wäre dem Thema angemessen, eine längere De- batte zu führen. Dann hätte ich noch über Ausbau, Bün- delung und Vernetzung von Beratungsangeboten spre- chen können. Vielleicht auch über Meilensteine wie Elterngeld, Elternzeit und Elternteilzeit. Weitere wich- tige Themen wären erfolgreiche BA-Programme zum Wiedereinstieg in den Beruf, die Struktur des Kindergel- des und vieles mehr. Gerne hätte ich auch unsere Vor- stellungen von echten Familienzentren skizziert, und si- cherlich wäre auch über Schwachsinn wie das Betreuungsgeld zu reden. Doch ich muss zum Ende kommen und schließe mit einer grundsätzlichen Bemerkung: Eine moderne Fami- lienpolitik kommt allen Familien in unserem Lande zu- gute, ob sie nun einen oder zwei Elternteile haben. Ers- tere haben vielleicht sogar ein bisschen mehr davon. Wir haben viel erreicht für Familien, und noch viel mehr vor. Was wir vorhaben, können alle Menschen nachlesen, in unserem Grundsatzprogramm wie im Aktionsplan gegen Kinderarmut. Mit den richtigen Mehrheiten in diesem Hause können wir unsere Vorstellungen verwirklichen. Die Belange von Kindern und ihren Eltern sind bei uns Sozialdemokraten in guten Händen. Sibylle Laurischk (FDP): Am häufigsten werden Mütter und Väter infolge einer Scheidung zu Alleiner- ziehenden. Ihre Zahl steigt ständig. Es ist besonders be- unruhigend, dass Kinder in Haushalten Alleinerziehen- der vom Armutsrisiko besonders belastet sind. Die Armutsrisikoquote bei Kindern unter 18 Jahren liegt bei 17,3 Prozent. Kinder und Jugendliche im Alter von 15 bis 18 Jahren sind mit 30 Prozent besonders häufig vertreten. Hinter den dürren Zahlen der höheren Armutsbedro- hung verbergen sich Einzelschicksale. Die ständige Aus- einandersetzung um Unterhalt und Sozialleistungen ist mir aus meiner anwaltlichen Praxis leider bestens ver- traut. Die soziale Situation Alleinerziehender ist nicht nur finanziell angespannt, oft sind sie und ihre Kinder auch in der Gesellschaft isoliert. Hier ist die Situation auch immer von den jeweiligen örtlichen Gegebenhei- ten, ob in der Stadt oder auf dem Land mit noch traditio- nelleren Familienformen, sehr unterschiedlich. Wir haben mit unserem Antrag zur Sicherung der Existenz von Kindern unsere Forderungen klar artiku- liert: Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. September 2008 19301 (A) (C) (B) (D) Chancengerechtigkeit umfasst Bildungsgerechtig- keit. Die fehlende soziale Durchlässigkeit in diesem Lande, die Abhängigkeit des Bildungserfolges eines jun- gen Menschen von der sozialen und finanziellen Situa- tion seiner Eltern, ist eine beschämende Tatsache. Früh- kindlicher Bildung kommt die größte Hebelwirkung zu; Spracherwerb ist der Schlüssel zu allen anderen Bil- dungsangeboten, das sage ich gerade auch als integra- tionspolitische Sprecherin. Daher ist das Betreuungsgeld strikt abzulehnen. Es ignoriert, dass gerade Alleinerzie- hende keine Wahl haben, sondern als Berufstätige auf gute Betreuungsangebote angewiesen sind. Bildungs- und Betreuungsgutscheine sind für uns das geeignete Mittel, einen vernünftigen Wettbewerb herzu- stellen und auch individuellen Elternwünschen gerecht zu werden. Der mit der finanziellen Armut oft einherge- henden Anregungsarmut bei den Kindern ist mit einem noch zügigeren Ausbau der Betreuung von unter Drei- jährigen zu begegnen. Private und privatgewerbliche Er- ziehungs- und Bildungseinrichtungen sind daher mit de- nen anderer Träger gleichzustellen. Dass die CDU hier bei der Beratung des KiföG vor dem Koalitionspartner einknickt und private und privatgewerbliche Kinderbe- treuungseinrichtungen nun diskriminiert und nicht geför- dert werden, ist ein Trauerspiel. Dieses grundsätzliche Misstrauen gegen privat initiierte und organisierte Bil- dungseinrichtungen ist nur mit der unbedingten Staats- gläubigkeit der Volksparteien zu erklären und wird dem Bedarf und dem Engagement Privater nicht gerecht. Ganz besonders wichtig sind kommunale Angebote, wie sie in Potsdam zum Beispiel mit den pädagogisch be- treuten Spielgruppen existieren. Diejenigen, die daran teilnehmen, finden schnell wieder aus ihrer Isolation und zur Erwerbsarbeit. Schließlich müssen auch die Unter- nehmen gerade Alleinerziehenden durch flexiblere Arbeitszeiten, die Einrichtung von Telearbeitsplätzen, Wiedereinstiegs- und Kontakthalteprogrammen und be- trieblichen Kinderbetreuungseinrichtungen entgegen- kommen. Staatliche Geldleistungen wie die Ausweitung des sehr bürokratischen Kinderzuschlags und das bestehende Unterhaltsvorschussgesetz für den Ausgleich von aus- bleibenden Unterhaltszahlungen sind nur unzureichende Instrumente, Alleinerziehende zu unterstützen. Ein deut- liches Beispiel für geradezu zufällig gewählte An- spruchsvoraussetzungen ist das Unterhaltsvorschussge- setz. Es ist nicht zu verstehen, warum der Anspruch mit Vollendung des 12. Lebensjahres endet. Wir fordern da- her die Ausweitung des Unterhaltsvorschusses bis zum Erreichen der Volljährigkeit. Der Kinderzuschlag muss dringend entbürokratisiert werden, weil die Vorausset- zungen nur für Finanzfachleute überhaupt zu durchbli- cken sind. Der bürokratische Aufwand, also die Kosten, beträgt nahezu ein Fünftel des Gesamtaufwandes, was den Kindern dann fehlt. Auch Alleinerziehenden kommt die von uns gefor- derte Erhöhung des Kindergeldes auf 200 Euro zugute. Die von uns geforderte Anhebung des Grundfreibetrages auf 8 000 Euro für jedes Familienmitglied, auch Kinder, kommt auch Alleinerziehenden zugute. Eine Differen- zierung nach Lebensalter der Kinder ist überhaupt nicht nachvollziehbar. Ich kann mich der Aussage des Paritätischen Wohl- fahrtsverbandes „Kinder sind keine billigen Erwachse- nen“ anschließen. Wir fordern die steuerliche Berück- sichtigung von Betreuungskosten bis zu 12 000 Euro, die gerade Alleinerziehenden, die oft einen erhöhten Betreu- ungsaufwand haben, entlasten würde. Schließlich for- dern wir ganz grundsätzlich eine Harmonisierung des Steuer-, Unterhalts- und Sozialrechts in Bezug auf die fi- nanzielle Sicherung von Kindern, die insbesondere die Situation der Alleinerziehenden berücksichtigt. Die Er- gebnisse des Familienkompetenzzentrums und eine Wir- kungsanalyse aller familienbezogenen Leistungen sind überfällig. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Liebe Kolleginnen und Kollegen insbesondere von den Grünen: „Bessere Unterstützung für Alleinerziehende“ lautet die Über- schrift Ihres Antrags. Bei allem Charme, den ihr Antrag versprüht und der in vielen Punkten sicher auch richtig gedacht ist, bleiben einige ihrer Positionen sehr halbher- zig und unkonkret. So vermisse ich in Ihrem Antrag Aussagen zur gesamten Unterhaltsproblematik. Ist Ihnen dieses Eisen zu heiß? Oder ist alles zur Zufriedenheit der Betroffenen geklärt? Letzteres dürfte wohl kaum der Fall sein! Aber, Sie haben ja dem Gesetz zur Änderung des Un- terhaltsrechts zugestimmt. Das heißt, Sie haben einem Unterhalt und einem Unterhaltsvorschuss, von dem Kin- der eben nicht leben können, zugestimmt. Zu unserem Antrag haben sie sich enthalten. Warum wohl? Ich kann Ihnen sagen, warum: Ihnen fehlen bis heute eigene Kon- zepte zum Unterhaltsrecht, und Sie können sich nicht durchringen, auch einmal unseren Anträgen zu zustim- men. Da frage ich mich schon: Ist das Ihr Verständnis von Besserstellung Alleinerziehender? Immer nur fest- zustellen, dass zwei Drittel der Väter keinen Unterhalt zahlen oder keinen zahlen können – so die Abgeordnete Krista Sager heute früh hier im Plenum; ich habe zitiert –, löst das Problem jedenfalls nicht. Auch wenn ich mich jetzt wiederholen sollte, möchte ich die zwei Aussagen aus dem Antrag der Grünen wie- derholen, weil sie mir für die Diskussion sehr wichtig er- scheinen. Erste Aussage: Die Zahl der Einelternfamilien wächst in Deutschland seit Jahrzehnten beständig. 2005 gab es rund 15 Prozent mehr Alleinerziehende als 1996. Zweite Aussage: Heute wird nahezu jedes siebte Kind in den alten und jedes fünfte Kind in den neuen Bundeslän- dern von einem Elternteil allein erzogen. Da muss man sich schon fragen: Warum werden diese Familien nicht von der gegenwärtigen Familienpolitik erfasst, sondern brauchen eigene „Sondervorschriften“? Man kann doch Alleinerziehende, welche durch die so- ziale Kluft der Regierungspolitik betroffen sind, nicht wie Kranke behandeln. Aber da stimmen Sie ja den Ge- setzen der Koalition zu, sehenden Auges, dass große Gruppen der Bevölkerung ausgegrenzt werden. 19302 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. September 2008 (A) (C) (B) (D) In der Haushaltsdebatte der vergangenen Woche habe ich mit Nachdruck darauf verwiesen, dass sich durch die Familienpolitik der Bundesregierung eine tiefe Kluft zieht. Besserverdienende werden gefördert, und Allein- erziehende sowie Familien mit geringem Einkommen haben das Nachsehen. Warum können nicht wenigstens Sie unsere und die breite Kritik der Öffentlichkeit, der Wohlfahrtsverbände sowie der Betroffenen zur Kenntnis nehmen, dass es den gesamten Gesetzgebungsverfahren stets an der sozialen Ausgestaltung mangelt? Ich nenne einige Beispiele: die soziale Ausgestaltung des Eltern- geldes, die Kürzung des Kindergeldbezuges, die Erhö- hung der Mehrwertsteuer und die Besteuerung von Er- zeugnissen für Kinder. Einige Worte zum Kinderzuschlag. Richtig ist, das er unter Rot-Grün in die Diskussion gebracht wurde. Was sie jedoch nicht erwähnen: Der Kinderzuschlag grenzt mit den Alleinerziehenden genau die Gruppe der Fami- lien mit der höchsten Armutsgefährdung massiv aus. 50 Prozent aller Kinder in Hartz IV leben in Alleinerzie- hendenhaushalten, und bis vor kurzem betrug der Anteil der Alleinerziehenden beim Kinderzuschlag 7 Prozent, demnächst soll er auf 13 Prozent steigen. Sie fordern eine Weiterentwicklung des Kinderzu- schlags; dem entsprechenden Gesetz der Koalition haben Sie aber zugestimmt. Jetzt passt es Ihnen offensichtlich nicht mehr und Sie stellen Forderungen auf, die wir Linke schon beantragt haben, die von Ihnen aber abge- lehnt wurden. Soviel zur Glaubwürdigkeit Ihres Antrags. Gleiches trifft auf die im Antrag genannten Arbeitsbe- dingungen zu. Es ist richtig, dass die meisten Allein- erziehenden ihren überwiegenden Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit verdienen. Für die Mehrheit der Allein- erziehenden – und das belegen sozialwissenschaftliche Studien – ist die eigene Erwerbstätigkeit die wichtigste Einkommensquelle; nachzulesen auf der Homepage des Vereins der alleinerziehenden Mütter und Väter, VAMV. Warum Sie allerdings vor zwei Tagen im Familien- ausschuss dem Antrag der Linken, welcher genau diese Forderungen enthielt, nicht zugestimmt haben, ist für mich nicht nachvollziehbar. Hier wird mit genau der Doppelzüngigkeit argumentiert, welche Sie der Koali- tion immer vorwerfen: heute die Forderungen stellen, welche Sie gestern noch abgelehnt haben. Schade und beschämend, dass dies auf dem Rücken der Alleinerzie- henden ausgetragen wird! Ich denke, hier sollten ideologische Vorurteile mal zu- rücktreten. Wir sollten gemeinsam für die Alleinerzie- henden wirklich etwas bewegen. Zeit wird es allemal. Ich freue mich auf die Ausschusssitzung, danke für die Aufmerksamkeit und wünsche uns einen erfolgreichen Sonntag. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Wer Kinder erzieht, verdient unseren Respekt“ so die Familienministerin. Doch Respekt allein reicht leider nicht. Alle, die diese anspruchsvolle Aufgabe überneh- men, brauchen unsere tatkräftige Unterstützung. Das gilt umso mehr für Alleinerziehende, die im Alltag stärker belastet und öfter von Armut betroffen sind als Paare mit Kindern. Ja, sie haben aufgrund dieser Belastungen so- gar einen schlechteren Gesundheitszustand. Leider hat die Bundesregierung für Alleinerziehende nicht mehr übrig als warme Worte. Offensichtlich passen Alleinerziehende nicht in das Familienbild der CDU. Aber Familienpolitik ist kein Wunschkonzert, und die Welt ist bunter geworden, als es so manche in der Bun- desregierung gerne wahrhaben möchten. Und so ignorie- ren Sie beharrlich, dass heute nahezu jedes siebte Kind in den alten Bundesländern von einem Elternteil allein großgezogen wird. In den neuen Bundesländern ist es sogar jedes fünfte Kind. Alleinerziehende brauchen gezielte Unterstützung. Sie brauchen eine faire Besteuerung und wirksame Armutspräventionsinstrumente. Sie brauchen qualitativ hochwertige Kinderbetreuung, und zwar jetzt, nicht erst im Jahre 2013. Sie brauchen aber auch niedrigschwellige Unterstützungangebote statt Sparmaßnahmen in der Ju- gendhilfe. Bislang verweigern Sie diesen Familien die notwen- dige Unterstützung. Sie nehmen darüber hinaus mit Ih- ren Vorschlägen zum gestaffelten Kindergeld auch billi- gend in Kauf, dass sich durch Ihre Politik die Lage dieser Familien und insbesondere der Kinder verschlech- tern wird. Ich sage Ihnen ganz klar: Das gestaffelte Kindergeld ist keine vernünftige Antwort. Frau von der Leyen, Ihre eigenen Zahlen besagen ja, dass die ärmsten Familien die Ein-Kind-Familien von Alleinerziehenden sind. Aber leider ignorieren sie diese Erkenntnis vollkommen. Wenn Sie ein gestaffeltes Kindergeld einführen, dann profitieren über 90 Prozent der Kinder von Alleinerzie- henden gar nicht davon. Wer mehr Gerechtigkeit für Familien will, der muss kindgerechte Regelsätze einführen und das Ehe- und Fa- milienförderungssystem in Gänze reformieren. Doch fehlt Ihnen trotz vollmundiger Ankündigungen der Mut, über den eigenen familienidyllischen Tellerrand zu bli- cken. Aber die spezifischen Benachteiligungen von Allein- erziehenden auf dem Arbeitsmarkt und in der Steuerpoli- tik erfordern besondere Maßnahmen. In unserem Antrag zeigen wir daher Vorschläge auf, damit wir in Zukunft kein Kind zurücklassen. Der Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ist genauso notwendig wie eine längst überfällige Qualitätsoffensive in der Kindertages- betreuung. Wir brauchen den flächendeckende Ausbau von Ganztagsschulen genauso dringend wie flexible Ar- beitszeitmodelle oder Chancen für den beruflichen Wie- dereinstieg. Anlage 4 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 847. Sitzung am 19. Sep- tember 2008 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. September 2008 19303 (A) (C) (B) (D) zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Un- fallversicherung (Unfallversicherungsmodernisie- rungsgesetz – UVMG) – Gesetz zur Änderung des Bundeskindergeldgeset- zes – Gesetz zur Änderung des Masseur- und Physio- therapeutengesetzes und anderer Gesetze zur Re- gelung von Gesundheitsfachberufen – Drittes Gesetz zur Änderung des Bundesminister- gesetzes – … Gesetz zur Änderung des Europaabgeordne- tengesetzes und eines … Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes – Gesetz zur Verbesserung der grenzüberschreiten- den Forderungsdurchsetzung und Zustellung – Gesetz zu dem Fakultativprotokoll vom 25. Mai 2000 zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornografie – Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämp- fung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie – Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) – Zweites Gesetz zur Änderung des Güterkraftver- kehrsgesetzes und anderer Gesetze – Gesetz zur Neuregelung des Schornsteinfegerwe- sens – Gesetz zu dem Abkommen vom 12. November 2007 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Demokratischen Volksrepublik Algerien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuervermeidung und Steuer- hinterziehung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen – Gesetz zu dem Abkommen vom 31. August 2006 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Sozialisti- schen Republik Vietnam über die Zusammenar- beit bei der Bekämpfung von schwerwiegenden Straftaten und der Organisierten Kriminalität – Gesetz zu dem Übereinkommen des Europarats vom 23. November 2001 über Computerkrimina- lität Der Bundesrat hat festgestellt, dass das nachstehende Gesetz nicht seiner Zustimmung bedarf. Der Bundesrat hat in seiner 847. Sitzung am 19. September 2008 be- schlossen, einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen, hilfsweise, dem Gesetz zuzustimmen. – Gesetz zur Sicherung von Werkunternehmeran- sprüchen und zur verbesserten Durchsetzung von Forderungen (Forderungssicherungsgesetz – FoSiG) Der Bundesrat hat ferner die folgende Entschließung gefasst: Der Bundesrat begrüßt, dass der Deutsche Bundestag das Forderungssicherungsgesetz am 26. Juni 2008 end- lich verabschiedet hat. Durch dieses Gesetz werden sub- stanzielle Verbesserungen vor allem im Bauvertragsrecht erzielt. Diese kommen zum einen den Bauhandwerkern zugute, die besser als bislang davor geschützt werden, dass ihre Auftraggeber trotz ordnungsgemäß erbrachter Leistung Werklohnforderungen nur zögerlich oder auch gar nicht erfüllen. Zum anderen enthält es auch Verbes- serungen zu Gunsten der Verbraucher, die zum Beispiel einen gesetzlichen Anspruch auf Absicherung ihres Er- füllungsanspruchs erhalten. Der Bundesrat bedauert, dass der Deutsche Bundestag die im Gesetzentwurf eines Forderungssicherungsgeset- zes enthaltenen prozessrechtlichen Bestimmungen noch nicht verabschiedet hat. Er bittet deshalb den Deutschen Bundestag, entsprechend den Absprachen im Rechtsaus- schuss die Beratungen zum zivilprozessualen Teil des Forderungssicherungsgesetzes umgehend wieder aufzu- nehmen und im Rahmen eines anderen zivilrechtlichen Gesetzgebungsvorhabens rasch zu verabschieden. Der vom Deutschen Bundestag beschlossene materiellrecht- liche Teil des Forderungssicherungsgesetzes ist zwar wichtig. Er muss jedoch verfahrensrechtlich flankiert werden, damit ungerechtfertigten Zahlungsverweigerun- gen schneller durch vollstreckbare Titel begegnet wer- den kann. Der Bundesrat hat festgestellt, dass das nachstehende Gesetz gemäß Artikel 104a Abs. 4 des Grundgesetzes seiner Zustimmung bedarf. Der Bundesrat hat in seiner 847. Sitzung am 19. September 2008 beschlossen, dem Gesetz gemäß Artikel 104a Abs. 4 des Grundgesetzes zuzustimmen. – Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensa- chen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz – FGG-RG) Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mitgeteilt, dass sie den Antrag Entwurf zur Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zur Verbesserung des Verfahrens zur Wahl von Bundes- verfassungsrichterinnen und Bundesverfassungsrich- tern auf Drucksache 16/9629 zurückzieht. Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses hat mit- geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nachstehenden Vorlage absieht: – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushalts- und Wirtschaftsführung 2008 Außerplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 06 15 Titel 681 12 – Leistungen nach dem Heimkehrerentschädigungs- gesetz – – Drucksachen 16/9951, 16/10285 Nr. 7 – 180. Sitzung Berlin, Freitag, den 26. September 2008 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618000000


Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.

Vor Eintritt in die Tagesordnung: Der Kollege
Dr. Hans-Heinrich Jordan feiert heute seinen 60. Ge-
burtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich
dazu sehr herzlich und wünsche alles Gute.


(Beifall)


Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 d auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von
Kindern unter drei Jahren in Tageseinrich-

(Kinderförderungsgesetz – KiföG)


– Drucksache 16/9299 –

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Förderung von Kindern unter
drei Jahren in Tageseinrichtungen und in

(Kinderförderungsgesetz – KiföG)


Rede
– Drucksache 16/10173 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

(13. Ausschuss)


– Drucksache 16/10357 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ingrid Fischbach
Marlene Rupprecht (Tuchenbach)

Miriam Gruß
Diana Golze
Ekin Deligöz

– Bericht des Haushaltsausschusse
schuss) gemäß § 96 der Geschäftso

– Drucksache 16/10358 –
tzung

6. September 2008

.00 Uhr

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Ole Schröder
Petra Hinz (Essen)

Otto Fricke
Roland Claus
Omid Nouripour

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Britta
Haßelmann, Krista Sager, Ekin Deligöz, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Bildungspolitische Katastrophe verhindern –
Betreuungsgeld eine Absage erteilen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke,
Sibylle Laurischk, Miriam Gruß, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP

Faire Chancen für private und privat-ge-
werbliche Anbieter bei der Kinderbetreuung –
ohne weiteres Zögern Entwurf des Kinder-

text
förderungsgesetzes vorlegen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Diana Golze,
Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Öffentliche Kinderbetreuung ausbauen –
Kommerzialisierung der Kinder- und Ju-
gendhilfe vermeiden

– Drucksachen 16/7114, 16/8406, 16/9305,
16/10357 –

Berichterstattung:
rdnete Ingrid Fischbach
e Rupprecht (Tuchenbach)

Gruß

Golze

(8. Ausrdnung Abgeo Marlen Miriam Diana Ekin Deligöz Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse c)





(A) (C)


(B) (D)

richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke,
Carl-Ludwig Thiele, Sibylle Laurischk, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Sofortprogramm für mehr Kinderbetreuung

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ekin
Deligöz, Christine Scheel, Volker Beck (Köln),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verbindlichen Ausbau der Kindertagesbe-
treuung jetzt regeln – Verlässlichkeit für Fa-
milien schaffen

– Drucksachen 16/5114, 16/5426, 16/6534 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ingrid Fischbach
Caren Marks
Ina Lenke
Jörn Wunderlich
Britta Haßelmann

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke,
Miriam Gruß, Sibylle Laurischk, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP

Chancengerechtigkeit von Beginn an

– zu dem Antrag der Abgeordneten Diana Golze,
Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Kinderbetreuungsausbau mit mehr Mitteln,
Fachkräften und Qualität ausstatten –
Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung
2010 einführen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ekin
Deligöz, Grietje Bettin, Kai Gehring, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Angebot und Qualität der Kindertagesbe-
treuung schneller und verlässlicher aus-
bauen – Realisierung nicht erst 2013

– Drucksachen 16/6597, 16/6601, 16/6607,
16/6817 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ingrid Fischbach
Caren Marks
Ina Lenke
Diana Golze
Britta Haßelmann

Zu dem Entwurf eines Kinderförderungsgesetzes der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD liegen je ein Ent-
schließungsantrag der Fraktionen der FDP, Die Linke
und Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Bundesminis-
terin Ursula von der Leyen das Wort.

Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das Kinderförderungsgesetz wird unser Land
spürbar verändern. Es setzt Meilensteine für mehr Ver-
einbarkeit von Familie und Beruf, für mehr Bildung für
unsere Kinder und für mehr Zukunft in unserem Land.
2013 wird es bundesweit im Durchschnitt für jedes dritte
Kind unter drei Jahren einen Platz geben, sei es in einer
Kita, sei es in einer Tagespflege.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo sind die anderen beiden Kinder?)


2013 wird jedes Kind mit Vollendung des ersten Lebens-
jahres einen Rechtsanspruch auf Förderung in einer
Kita oder in der Tagespflege haben. Das schien vor zwei
Jahren fast noch undenkbar zu sein. Schon heute ist es
Wirklichkeit. Das ist ein Riesenerfolg. Wir können stolz
darauf sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Es ist ein Riesenerfolg einer gemeinsamen Kraftan-
strengung, die wir nur Hand in Hand mit Bund, Ländern
und Gemeinden unternehmen konnten. Wir haben in re-
kordverdächtigem Tempo den Grundstein für ein starkes
Fundament gelegt. Doch eines ist uns allen auch klar:
Jetzt geht die Arbeit erst richtig los. Bis 2013 haben wir
noch einen anspruchsvollen Fahrplan vor uns. In man-
chen Kommunen starten wir mit Betreuungsplätzen für
gerade einmal 5 Prozent aller Kinder. In den neuen Bun-
desländern finden die Eltern ganz gut einen Platz für ihre
Kinder. Doch der westdeutsche Durchschnitt lag für das
Jahr 2007 gerade einmal bei 9,9 Prozent. Das heißt, nur
jedes zehnte Kind findet einen Platz. Wir sind also von
einem bedarfsgerechten Angebot noch weit entfernt. El-
tern stehen vor frustrierend langen Wartelisten. Hier liegt
noch ein steiler Weg vor den Kommunen. Aber der Bund
hat die Kommunen auf diesem Weg nicht allein gelas-
sen. Wir unterstützen diesen Weg mit 4 Milliarden Euro;
denn wir wollen mehr frühe Bildung und echte Wahlfrei-
heit für Eltern herstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Echte Wahlfreiheit heißt dabei für mich auch: Wir
werden den Eltern nicht vorschreiben, wo und wie sie
ihre Kinder betreuen und fördern. Sie sollen selbst orga-
nisieren, wie sie ihren Alltag mit Kindern leben, ob zu
Hause, in einer altersgemischten Gruppe, einer Krippe
oder der Kindertagespflege, ob wohnortnah oder be-
triebsnah. Wie immer sie ihren Alltag organisieren wol-
len, das liegt alleine im Ermessen der Eltern. Deshalb
muss das Angebot stimmen. Ein gutes Drittel der Be-
treuungsplätze wird daher in der Tagespflege entstehen.
Das entspricht den Wünschen vieler Eltern nach einer






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
flexiblen und familiennahen Betreuung. Die anderen
zwei Drittel der Plätze schaffen wir in Kindertagesein-
richtungen, ob bei frei-gemeinnützigen oder bei privat-
gewerblichen Trägern. Die Entscheidung über die Förde-
rung liegt jetzt bei den Ländern.

Dazu ein offenes Wort: Sie wissen, dass ich mir wirk-
lich mehr Mut beim Koalitionspartner gewünscht hätte.


(Zurufe von der SPD: Oh! – Iris Gleicke [SPD]: Fragen Sie Herrn Althaus!)


Mir ist auch klar, dass nicht alle in der SPD solche Hem-
mungen vor privat-gewerblichen Anbietern haben;
denn wir waren uns zum Beispiel mit dem Bundesfi-
nanzminister einig, dass wir den Wettbewerb um Quali-
tät nicht fürchten, sondern fördern wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nun ist das im parlamentarischen Verfahren zurückge-
nommen worden. Ich akzeptiere das, weil das Ihr gutes
Recht ist. Doch ich bin sicher, dass die Macht des Fakti-
schen zeigen wird, welcher Weg weiterführt. Der Trend
ist jetzt schon eindeutig: Nur noch vier Länder in
Deutschland schließen die privat-gewerblichen Anbieter
von der Förderung grundsätzlich aus. Noch etwas ist
klar, und das ist entscheidend: Alle Länder, auch diese
vier Nachzügler, werden bis 2013 den Ausbau schaffen
müssen. Das ist das Gute an diesem Gesetz. Niemand
kann sich mehr drücken, niemand kann die Eltern mehr
vertrösten, der Rechtsanspruch für die Kinder kommt,
und das Land oder die Kommunen, die dann nicht vorbe-
reitet sind, straft bekanntlich das Leben – und das ist
auch gut so.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Ausbau läuft bereits seit Oktober vergangenen
Jahres. Die Länder werden inzwischen mit Anträgen
aus den Kommunen überschwemmt. Wir sehen auch:
Die Länder haben mit ganz unterschiedlicher Geschwin-
digkeit ihre Förderrichtlinien umgesetzt. Zwei Länder
sind immer noch nicht so weit, aber die Länder, die wis-
sen, was Zukunft heißt, haben schnell reagiert. Schauen
wir uns einmal den Abfluss der Mittel an, also der Bun-
desmittel, die direkt in die Kommunen gehen. Da sind
Bayern, Sachsen und Baden-Württemberg ganz vorn.
Bayern und Schleswig-Holstein haben schon in das
Jahr 2009 hinein Gelder gebucht. Diese Fakten strafen
all diejenigen Lügen, die behaupten, es gebe Stillstand in
unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Gegenteil ist der Fall. Diese Regierung hatte die
Idee und schließlich auch den Mut, gemeinsam mit den
Ländern und Kommunen zu handeln.


(Zuruf von der SPD: Wir!)


Wir haben es gemeinsam geschafft, die Bremsen zu lö-
sen, die so lange festgezogenen schienen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der SPD: Die Bremsen bei der CDU haben wir gelöst! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein bisschen wie Ursulas Märchenstunde!)


Die Arbeit fängt jetzt erst richtig an. Wir werden un-
nachgiebig dafür sorgen, dass jeder Euro, den wir als
Bund für die Betriebskosten geben, in Qualität fließt.
Frau Künast, ich weiß, dass das Sie von den Grünen
frustriert. Sie haben sieben Jahre lang dazu Zeit gehabt.
Es bedurfte einer Großen Koalition und dieser Ministe-
rin, das umzusetzen und zu handeln.


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie nicht gewesen wären, wäre das alles viel schneller gegangen! Das wissen auch Sie! – Weitere Zurufe von der SPD)


Wir sind jetzt dabei, uns auf gemeinsame Eckpunkte
für eine Qualifizierungsoffensive für Erzieherinnen, Er-
zieher und Tagespflegepersonen zu einigen. Auch das
werden wir beim Bildungsgipfel diskutieren. Besonders
wichtig ist mir dabei die Qualifizierung von Tagesmüt-
tern. Bisher gibt es keine einheitlichen Richtlinien für
Tagesmütter, sondern jedes Land geht unterschiedlich
mit ihnen um. Da ist zum Teil noch Kraut und Rüben. Im
besten Fall reicht die Vergütung der Tagesmütter gerade
einmal dafür, einigermaßen über die Runden zu kom-
men. Gemeinsam mit Ländern, Kommunen, Verbänden
und der Bundesagentur für Arbeit wollen wir den Beruf
der Tagesmutter attraktiver machen. Das heißt, wir brau-
chen eine gemeinsame Grundqualifikation. Dazu gehört
auch eine leistungsgerechte Bezahlung,


(Iris Gleicke [SPD]: Das ist wohl wahr!)


die wir im Gesetz festgeschrieben haben; denn die Ta-
gespflege muss heraus aus dem Schwarzmarkt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Kinderförderungsgesetz ist ein Meilenstein, auf
den wir stolz sein können. Viele von Ihnen erinnern sich
noch an die Debatten in den 90er-Jahren um den Rechts-
anspruch für Kinder zwischen drei und sechs Jahren auf
einen Kindergartenplatz. Heute setzen wir mit dem Kin-
derförderungsgesetz und dem verankerten Rechtsan-
spruch für Kinder ab einem Jahr endlich erfolgreich den
Schlussstrich unter diese unseligen Debatten. Ich danke
allen für ihre Unterstützung; denn ein solch großartiges
Zukunftsprojekt wäre nicht gelungen ohne eine Kanzle-
rin, die standfest ist, ohne einen Finanzminister, der die
Bedeutung des Themas erkennt,


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!)


und ohne ein Parlament, das die Mittel dafür gibt.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Caren Marks [SPD]: Ein guter Finanzminister!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618000100

Das Wort hat nun Miriam Gruß für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Miriam Gruß (FDP):
Rede ID: ID1618000200

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Kolleginnen und Kollegen! Vor ziemlich genau vier Mo-
naten haben wir hier schon einmal über das Kinderförde-
rungsgesetz diskutiert. Staatssekretär Kues sprach von
einem historischen Schritt für eine bessere Vereinbarkeit
von Familie und Beruf. In die Geschichte wird dieses
Gesetz aber nicht wegen der besseren Vereinbarkeit von
Familie und Beruf eingehen, sondern eher als Exempel
für die zahlreichen Rückzieher der Familienministerin.

Aber lassen Sie mich von vorne beginnen. Am An-
fang waren Zigtausende Eltern, die keinen Betreuungs-
platz für ihre Kinder bekamen. 2002 – daran müssen wir
uns erinnern – krebste die Versorgungsquote für unter
Dreijährige in den alten Bundesländern im Schnitt bei
3,7 Prozent herum. Mein Heimatland Bayern tat sich,
wie gewohnt,


(Zuruf von der SPD: Schwer!)


durch den zweitschlechtesten Wert, nämlich 3,1 Prozent,
hervor.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das stimmt überhaupt nicht! Wir sind immer spitze! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Blödsinn!)


2005 schließlich trat Ursula von der Leyen an, um alles
besser zu machen: mehr Betreuungsplätze, hohe Quali-
tätsstandards und dadurch echte Wahlfreiheit für Väter
und Mütter. – So weit die Ausgangslage.

Heute, drei Jahre später, liegt uns das Ergebnis vor.
Die anfangs formulierten Zielvorstellungen lassen sich
nur noch vage erkennen. Gute Ideen wurden entweder
gestrichen oder gar nicht erst aufgenommen. Der Rest ist
so butterweich formuliert, dass sich verbindliche Aussa-
gen nicht ableiten lassen.

Konkret heißt das – ich will das an fünf Punkten fest-
machen –:

Erstens. Statt einen zügigen Ausbau der Kinderbe-
treuungsangebote zu forcieren, soll erst 2013 für jedes
dritte Kleinkind ein Platz zur Verfügung stehen. Aber El-
tern, die jetzt eine Betreuung für ihre Kinder brauchen,
werden nach wie vor im Regen stehen gelassen,


(Beifall bei der FDP – Cornelia Pieper [FDP]: Mogelpackung!)


inklusive der Eltern, die beispielsweise nach 12- oder
14-monatigem Elterngeldbezug zusehen können, wie sie
Familie und Beruf nun unter einen Hut bekommen; denn
auch heute liegt die Betreuungsquote erst bei 15,5 Pro-
zent. Bayern, das laut CSU ach so familienfreundliche
Land, liegt mit 10,8 Prozent übrigens noch weit darunter.
Die Ministerin hat gerade davon gesprochen, dass die
Gelder vor allen Dingen von Bayern abgerufen werden.
Das wundert mich nicht; denn da hat man ja auch einiges
aufzuholen.


(Beifall bei der FDP – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das sind aber jetzt Überraschungseier, die Sie uns hier bieten!)

Zweitens. In Sachen Betreuungsgeld machte die Mi-
nisterin einen auf Andrea Ypsilanti: erst große Verspre-
chen machen, dann einknicken. Ich zitiere Ursula von
der Leyen im Spiegel:

Mit dem Betreuungsgeld verstärken wir den Teu-
felskreis,


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das sind jetzt richtige Überraschungseier!)


in dem Kinder, die von zu Hause keine Chance auf
frühe Bildung, gute Sprache, wenig Fernsehen, viel
Bewegung haben, vom Kindergarten ausgeschlos-
sen werden, weil ihre Eltern mit 150 Euro lieber
ihre Haushaltskasse aufbessern.


(Beifall der Abg. Cornelia Pieper [FDP] – Zurufe)


– Meine Herren von der CSU, hören Sie mir einfach ein-
mal zu! Am Sonntag sprechen wir uns wieder.


(Beifall bei der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind die in der Kneipe!)


Hier im Plenum geißelte die Ministerin das Betreu-
ungsgeld als bildungspolitische Katastrophe. – Auch hier
bitte zuhören! – Und jetzt? Das Betreuungsgeld steht
groß und breit im Gesetz, und Herr Singhammer – wo
sitzt er? Er darf wieder in der ersten Reihe sitzen –


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Schon wieder ein Überraschungsei!)


wird nicht müde zu betonen, dass wir dadurch echte
Wahlfreiheit für Eltern schaffen.

Herr Singhammer, ich frage Sie: Haben Sie sich ein-
mal die Entwicklung in Thüringen angesehen? Die Zahl
der Zweijährigen in Kitas – das ist die Altersgruppe, für
die seit Juli 2006 ein Betreuungsgeld gezahlt wird – ist
zurückgegangen, während in allen anderen Altersgrup-
pen die Quoten gestiegen sind. Die Familieneinkommen
in Thüringen sind vergleichsweise niedrig, und nun tritt
genau das ein, was wir auch schon in Norwegen erleben
und was die Ministerin vor ihrer Kehrtwende befürchtet
hat: Gerade einkommensschwächere und bildungsferne
Familie tendieren zum Betreuungsgeld und entscheiden
sich gegen Kitas, obwohl gerade ihre Kinder besonders
profitieren würden.


(Beifall bei der FDP)


Verstehen Sie das unter „Wahlfreiheit“, Herr
Singhammer? Haben Sie vielleicht auch einmal an die
Kinder gedacht,


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Ja, an die denke ich ständig!)


anstatt nur an die potenziellen CSU-Wähler-Eltern, die
Sie mit diesem Geschenk vor der Wahl ködern wollen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Was glauben Sie, wo die Kinder am liebsten sind?)







(A) (C)



(B) (D)


Miriam Gruß
Von wegen: modernes Familienbild der CSU! Sie sehen
Frauen doch immer noch lieber am Laufstall als am Lap-
top. Abgesehen davon, dass Sie den Kindern mit Ihrer
veralteten Weltanschauung die frühkindliche Bildung
vorenthalten, werden die Mütter durch ein Betreuungs-
geld eher davon abgehalten, wieder in den Beruf einzu-
steigen.


(Beifall bei der FDP)


Drittens. Der aktuellste Rückzieher der Großen Koali-
tion ereignete sich schließlich in dieser Woche. Frei nach
dem Motto „Was interessiert mich mein Geschwätz von
gestern?“ wurde die verbindliche finanzielle Gleichbe-
handlung der öffentlichen und privaten Träger – stets
vorausgesetzt natürlich, dass die Standards erfüllt sind –
gestrichen. Stattdessen beschränkt man sich im Gesetz
auf den Status quo und überlässt den Ermessensspiel-
raum in der Frage, wer gefördert wird, auch weiterhin
den Ländern. Für diese Feststellung hätte ich kein KiföG
gebraucht, meine sehr geehrten Damen und Herren;
denn das ist bereits Usus.

Auch hierzu möchte ich ein Zitat vorbringen, und
zwar von Herrn Staatssekretär Dr. Kues:

Das Kinderförderungsgesetz stellt sicher, dass alle
Träger von Einrichtungen … bei der Finanzierung
gleich behandelt werden.

Und weiter:

Ich bin fest davon überzeugt, dass Wettbewerb die
Qualität der Betreuung weiter steigen lässt.

Herr Kues, Frau Ministerin, wie wollen Sie diesen
Wettbewerb nun in Gang setzen, wenn alles beim Alten
bleibt?


(Christel Humme [SPD]: Das ist bei der Butter auch nicht richtig! Die teuerste Butter ist die schlechteste!)


Aber einmal ganz abgesehen davon: Wie wollen Sie
ohne die privaten Anbieter Ihr Ziel überhaupt errei-
chen, bis 2013 für 35 Prozent der Kinder einen Betreu-
ungsplatz zur Verfügung zu stellen? Wie wollen Sie dem
Rechtsanspruch gerecht werden? Denn auch hier gab die
Ministerin noch bis vor kurzem zu Protokoll:

Ohne die Privaten ist unser Ziel nicht zu schaffen.

Nun gibt sich von der Leyen plötzlich mit dem von ihr
festgestellten Trend zufrieden, dass zunehmend auch pri-
vat-gewerbliche Einrichtungen von den Ländern geför-
dert werden. Ein Trend, Frau Ministerin, stellt noch
lange keine Sicherheit für die privaten Anbieter dar, und
wie stark die öffentlichen Träger in der Lage sind, Druck
auszuüben, haben wir doch gerade erst erlebt.

Sie haben mit Ihrem Rückzieher nicht nur die drin-
gend notwendige verbindliche Gleichbehandlung aller
Träger von Kindertagesstätten gestoppt, Sie machen da-
mit auch den angestrebten Ausbau der Betreuung eigent-
lich zu einem Ding der Unmöglichkeit.


(Beifall bei der FDP)

Doch damit sind die Versäumnisse beim KiföG noch
nicht zu Ende. Sie wissen, meine sehr verehrten Damen
und Herren, dass wir, die FDP, immer ein Verfechter der
Gleichstellung von öffentlichen und privaten bzw. pri-
vat-gewerblichen Trägern waren und sind. Da sich in
diesem Haus die Meinung gern ändert, betone ich diesen
Umstand erneut. Wir haben darüber hinaus immer gefor-
dert, dass die Gemeinnützigkeit und die Anerkennung
als Träger der freien Jugendhilfe gestrichen werden
muss. Voraussetzung dafür ist jedoch zwingend, dass
verbindliche Qualitätsstandards für alle Träger einge-
führt werden.

Genau hier liegt das nächste Versäumnis: Wir führen
seit der Debatte um den Ausbau der Betreuungsplätze
auch eine Debatte über die Qualitätsstandards in Be-
treuungseinrichtungen, die bisher aber an keiner Stelle
aufgegriffen wurde. An keinem Punkt wagt es das Ge-
setz, in Absprache mit den Ländern verbindliche Min-
deststandards für Kitas zu setzen. Wir haben nach wie
vor keine verbindliche Evaluation oder so etwas wie ei-
nen Kindergarten- und Krippen-TÜV,


(Zuruf von der CDU/CSU: In Sachsen gibt es das!)


den beispielsweise Professor Rauschenbach in der An-
hörung gefordert hat.


(Beifall bei der FDP)


Die FDP hat aus diesem Grund einen Entschließungsan-
trag vorgelegt, zu dem ich um Ihre Zustimmung bitte.

Herr Dr. Kues verkündete übrigens in der letzten De-
batte, das Ziel seien Betreuungsplätze auf höchstem qua-
litativem Niveau. Anspruch und Wirklichkeit, meine
sehr geehrten Damen und Herren, könnten nicht weiter
auseinanderliegen als bei dieser Debatte.

Abschließend noch ein Wort an die Damen und Her-
ren der Linken: Ich bin mit Ihnen auf einer Linie, dass
Kinder keine Ware sind. Aber deswegen die privaten
Anbieter zu verteufeln, ist an Realitätsferne nicht zu
überbieten. Sie tun gerade so, als fristeten Kinder in pri-
vaten Kitas ihr Dasein bei Wasser und Brot und würden
davon für ihr Leben gezeichnet.


(Lachen bei der LINKEN)


Ich sage Ihnen eines: Mein Eindruck ist – dieser wird
mir immer wieder von Fachleuten bestätigt –, dass ge-
rade die privaten Anbieter innovativer und überaus enga-
giert sind.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Starten Sie doch einmal eine Umfrage unter Ihren
Mitarbeitern, wer sein Kind beispielsweise hier in der
Kita des Bundestages betreuen lässt. Ich bin mir sicher,
dass sich auch in ihren Reihen Mütter und Väter finden,
die der Verlockung des Teufels erlegen sind und – das ist
ja wohl der eigentliche Skandal – wahrscheinlich auch
noch zufrieden mit der Betreuung sind.

Luxus-Kitas, deren Entstehen Sie heraufbeschwören,
werden so oder so entstehen. Hier besteht keinerlei Zu-






(A) (C)



(B) (D)


Miriam Gruß
sammenhang mit öffentlichen Fördergeldern; denn wer
monatlich einen vierstelligen Betrag für die Betreuung
eines Kindes verlangt, ist auf finanzstarke Eltern, aber
sicherlich nicht auf Kommune oder Land angewiesen.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618000300

Das Wort hat nun Christel Humme, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1618000400

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!

Frau von der Leyen, ich gebe Ihnen recht: Das heutige
Datum, den 26. September 2008, muss man sich merken;
denn ab heute können sich die Gesellschaft und die Bil-
dungslandschaft in Deutschland erheblich verändern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir schaffen – darin gebe ich Ihnen auch recht – mit
unserem Rechtsanspruch für unter Dreijährige bessere
Bildungschancen für alle Kinder und bessere Chancen
für ihre Eltern, Familie und Beruf miteinander zu verein-
baren. Nach den heftigen Debatten der Vergangenheit
können wir alle sehr stolz darauf sein, dass wir dies er-
reicht haben.

Frau von der Leyen, Sie haben gesagt, wir hätten die
Bremsen gelockert. Ich hoffe, das stimmt. Ich komme
aus Nordrhein-Westfalen, einem Land, dass von CDU/
CSU und FDP regiert wird. Da erkenne ich noch nicht
ganz, dass die Bremsen gelockert sind.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Aber wie die gelockert sind! Der Zug fährt voll ab!)


– Nein, in Wirklichkeit nicht. Die Regierung in Nord-
rhein-Westfalen hat zwar festgeschrieben, dass es mehr
Betreuungsplätze für unter Dreijährige geben soll,


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Sie hat investiert!)


aber – jetzt hören Sie genau zu – sie hat die Betreuungs-
zeit gedeckelt. Sie hat gesagt: Bedarfsgerecht für unter
Dreijährige sind 25 Stunden pro Woche. Das sagen Sie
doch einmal einer Alleinerziehenden, die voll erwerbstä-
tig sein muss.


(Zuruf der Abg. Ingrid Fischbach [CDU/ CSU])


Sie sagen ihr doch damit: Gehen Sie 20 Stunden pro Wo-
che arbeiten! Falls das Geld nicht reicht, können Sie zur
Jobagentur gehen. – Ich denke, das ist zynisch, meine
Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Diana Golze [DIE LINKE] – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sie hatten doch den niedrigsten Stand in NRW hinterlassen! – Weiterer Zuruf von der FDP)


– Doch, man muss bei der Wahrheit bleiben.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, der heutige Tag
ist eine Belohnung für die Sozialdemokratinnen und So-
zialdemokraten, die sich zehn Jahre lang für die früh-
kindliche Förderung und für Angebote für unter Dreijäh-
rige stark gemacht haben.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sieben Jahre nichts erreicht!)


– Doch, das ist so. – Ich bin froh, dass es uns in der Gro-
ßen Koalition gegen alle Widerstände der konservativen
Länder und Parteien gelungen ist, dass es heute zur Ver-
abschiedung dieses Kinderförderungsgesetzes kommt.

Wir wollten immer – das halte ich für ganz wichtig –
eine Förderung aller Kinder, und zwar ausnahmslos aller
Kinder, also auch der Kinder, deren Eltern nicht den
finanziellen Hintergrund haben, um sich Bildung kaufen
zu können, und auch der Kinder, die Probleme mit der
deutschen Sprache haben, etwa weil sie selbst oder ihre
Eltern aus einem anderen Land kommen, und natürlich
auch all der Kinder mit Behinderungen. Auch an dieser
Stelle sage ich noch einmal, was ich schon letzte Woche
betont habe: Jedes Kind muss uns gleich viel wert sein.


(Beifall bei der SPD)


Darum bin ich froh, Herr Singhammer, dass wir nicht
auf die CSU gehört haben


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sie hören uns schon immer zu!)


und im Gesetz kein Betreuungsgeld festgelegt haben.
Das Betreuungsgeld, Frau Gruß, steht nämlich nicht im
Gesetz.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Doch! Soll ich vorlesen? – Zuruf von der FDP: Viel Einigkeit in der Koalition!)


– Es steht da: „zum Beispiel“. – Ich war sehr erstaunt,
als heute Morgen im Morgenmagazin als Nachricht ver-
kündet wurde, dass es mit dem Kinderförderungsgesetz
einen Anspruch auf einen Betreuungsplatz für unter
Dreijährige, aber auch für diejenigen Kinder, die zu
Hause erzogen werden, ein Betreuungsgeld gibt. Ich
frage mich, wer diese Nachricht lanciert hat. Das ist mei-
ner Ansicht nach vor der Wahl am Sonntag in Bayern
Wählerbetrug. Das können wir so nicht stehen lassen.
Das Betreuungsgeld kommt Gott sei Dank nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, Deutschland hat
europa-, vielleicht sogar weltweit eine Sonderstellung.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch der Grund, warum wir das ablehnen!)


Bei uns ist Bildung ein öffentliches Gut. Bei uns organi-
sieren neben den Kommunen gemeinnützige Träger wie
die Arbeiterwohlfahrt, die Diakonie, die Caritas die
frühe Förderung. Profit – das sage ich an dieser Stelle –
steht nicht im Vordergrund.






(A) (C)



(B) (D)


Christel Humme

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist mir nicht weitgehend genug! Das ist mir zu altmodisch!)


Das ist gut so; denn Gewinne – da stimme ich Ihnen zu,
Frau Künast – lassen sich nur über die Höhe des Eltern-
beitrages oder durch eine schlechte Bezahlung der Mit-
arbeiter realisieren.


(Cornelia Pieper [FDP]: Die Elternbeiträge sind doch festgelegt!)


– Das stimmt im Übrigen nicht. Die Elternbeiträge sind
nicht festgelegt. – Beides wäre schlecht: Hohe Elternbei-
träge schließen die Kinder vom Bildungsangebot aus,
deren Eltern kein Geld haben, und schlecht bezahlte Ar-
beitskräfte können zulasten der Qualität gehen.

Frau Gruß, Sie kennen die Studie der Bertelsmann-
Stiftung, in der die Entwicklung in Ländern untersucht
wurde, in denen auf privat-gewerbliche, gewinnorien-
tierte Einrichtungen umgestellt wurde. In diesen Län-
dern gibt es kein ausreichendes und kein bedarfsgerech-
tes Angebot an Betreuungsplätzen mehr.


(Miriam Gruß [FDP]: Stimmt doch überhaupt nicht!)


Von daher wäre es dramatisch, wenn man sich dieses
zum Ziel setzen würde. Wir wollen nicht, Frau Gruß,
dass Bildung vom Geldbeutel der Eltern abhängt. Jedes
Kind ist uns gleich viel wert.


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, unser Bildungs-
system ist nach wie vor von einer hohen Selektion ge-
kennzeichnet. Nirgendwo in Europa und in der Welt
wird so früh wie in Deutschland festgelegt, welchen Ab-
schluss Schülerinnen und Schüler erreichen werden. Für
viele Schülerinnen und Schüler mit Migrationshinter-
grund wird die Hauptschule zur Sackgasse. 15 Prozent
der Kinder mit Migrationshintergrund erreichen sogar
überhaupt keinen Abschluss. Frühe Förderung in Ein-
richtungen, in denen Kinder ausländischer Eltern mit
Kindern deutscher Eltern aufwachsen, ist für mich der
beste Sprachkurs. Bildung ab eins stellt für mich und
meine Partei die beste Integrationspolitik dar.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, lassen Sie mich
zum Abschluss noch etwas ansprechen, was mich in den
letzten Tagen sehr berührt hat. Wir reden in dieser De-
batte zwar über das Kinderförderungsgesetz, aber auch
darüber, wie dieses Land mit Kindern umgeht. Frühe
Förderung aller Kinder – das gilt für uns vor allen Din-
gen auch für Kinder mit Behinderungen. Wir stellen in
unserem Land fest, dass nur 10 Prozent der behinderten
Kinder zurzeit gemeinsam mit anderen Kindern auf-
wachsen und gefördert werden.

Die UN-Behindertenrechtskonvention schreibt ein
Menschenrecht fest, nämlich dass behinderte Kinder und
andere Kinder gleichgestellt sind. Sie beschreibt auch
die Voraussetzungen, damit eine gemeinsame Förderung
von Anfang an möglich ist.
Deutschland soll diese Behindertenrechtskonvention
der UNO jetzt ratifizieren. Ich wundere mich an dieser
Stelle ganz gewaltig, dass mein Koalitionspartner, die
Union, die Ratifizierung dieser Behindertenrechtskon-
vention im Kabinett zweimal verhindert hat. Frau von
der Leyen, ich bitte Sie an dieser Stelle recht herzlich,
Ihr ganzes Gewicht in die Kabinettssitzung einzubrin-
gen, damit Deutschland diese Behindertenrechtskonven-
tion so schnell wie möglich ratifizieren kann.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618000500

Das Wort hat nun Diana Golze für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Diana Golze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1618000600

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Wenn
sich der Bundestag heute auf diesen Gesetzentwurf ver-
ständigt, scheint doch eines klar: Die Debatte um Kin-
derbetreuung in Deutschland ist damit noch längst nicht
zu Ende. Das Kinderförderungsgesetz hat eine bewegte
Vorgeschichte, die mit dem heutigen Beschluss wohl
auch nicht unbedingt in ruhigeres Fahrwasser kommen
wird. Warum ist das so? – Es lässt sich in einem Wort
zusammenfassen: Wahlfreiheit.

Seit Jahren ist das Wort „Wahlfreiheit“ eines der
meistgebrauchten, wenn es darum geht, über Sinn und
Unsinn von Kindertagesbetreuung zu diskutieren. Ganz
zu Beginn ging es noch um die Frage: Kind oder Beruf?
Dann mussten selbst Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion
einsehen, dass es Mütter gibt, die eben auch Frau im Be-
ruf sein wollen.


(Beifall bei der LINKEN)


Somit stellte sich die Frage der Wahlfreiheit neu: Wie
vereinbaren wir Kinder, Familie und Beruf?

In den letzten Jahren war dies vor allem in den westli-
chen Bundesländern eine Frage, auf die in den Familien
eine Antwort meist selbst gefunden werden musste,
sprich: Es begann für viele das Klinkenputzen bei den
wenigen Kindertageseinrichtungen, das Anstehen bei
den guten Tagesmüttern oder eben das Organisieren im
Familien- und Freundeskreis. Und immer hatten die
Frauen die bange Frage im Hinterkopf: Mache ich das
Richtige, und bin ich trotzdem eine gute Mutter?

Doch die Welt drehte sich weiter, und im Bundestag
wurde das Tagesbetreuungsausbaugesetz beschlossen.
Bei aller Kritik, die man daran äußern kann: Es war doch
ein Meilenstein, der es vielen Eltern erleichterte, ihre
Wahl für Kinder und Beruf zu treffen und beides mitein-
ander zu vereinbaren.

Aber der Ausbau der Tagesbetreuungsplätze ging zu
langsam vonstatten. Viele Kommunen erreichten bei
Weitem nicht die gesteckten Ziele. Finanzierungspro-
bleme machten es den Trägern vor Ort schwer, entspre-






(A) (C)



(B) (D)


Diana Golze
chend zu investieren und die Infrastruktur für Familien
mit Kindern zu schaffen. Dabei sahen die Probleme re-
gional sehr unterschiedlich aus: Im Westen glich vieler-
orts ein Ganztagsbetreuungsplatz weiterhin einem Sechser
im Lotto. Gutes Personal wurde händeringend gesucht.
Im Osten hingegen mussten zunehmend Einrichtungen
geschlossen werden, da die Zahl der Kinder in diesen
Altersgruppen zurückging. Die Beschäftigten arbeiten
nach wie vor verkürzt und mit Haustarifverträgen. Wahl-
freiheit lag also immer noch in weiter Ferne.

Dann brach die Zeit der Großen Koalition an, und
Frau von der Leyen schob eine Entwicklung an, mit der
vorher wohl nur wenige gerechnet hatten. Ich habe es Ih-
nen von dieser Stelle aus schon einmal gesagt, Frau Mi-
nisterin: Ich bin Ihnen dankbar für die Aufräumarbeiten,
die Sie in den Hinterstübchen der erlauchten Altherren-
riege angefangen haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie haben in der Großen Koalition die Chance gesehen
und den Staubwedel ergriffen, um mit überholten Ge-
schlechterrollen zu brechen und ihnen zu einem frische-
ren Aussehen zu verhelfen.

Doch Sie wissen, dass ich als Mitglied der Linken und
damit der Opposition an dieser Stelle mit dem Lob wie-
der aufhören muss.


(Christel Humme [SPD]: Schade aber auch!)


Leider haben Sie den Staubwedel zu früh wieder aus der
Hand gelegt; denn mit diesem Gesetz bekommt das Wort
„Wahlfreiheit“ eine ganz neue Bedeutung. Uns wird hier
ein Gesetzentwurf vorgelegt, bei dem jeder die Wahl hat,
sich einen Teil auszusuchen, der ihr oder ihm gefällt.

Hier ein paar Beispiele. Ich beginne mit dem Thema
Finanzierung: 4 Milliarden Euro für den Kita-Ausbau.
Das weckt Erinnerungen an ein Projekt der rot-grünen
Regierung, dessen Finanzierung durch den Bund dieser
Tage ausläuft, das Ganztagsschulprogramm.


(Caren Marks [SPD]: Das hat viel in Gang gesetzt!)


Auch hier ist sicher viel geschehen, und der Ansatz ist
begrüßenswert. Aber 20 Prozent aller schulpflichtigen
Kinder und Jugendlichen in Ganztagsschulen bedeuten
noch kein flächendeckendes Netz; das Projekt bleibt im
Modellcharakter stecken.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Grund: Die Kommunen konnten und können den
weiteren Ausbau aufgrund ihrer klammen Kassen nicht
stemmen. Die Befürchtung der Fraktion Die Linke
– diese wird von vielen Verbänden und nicht zuletzt von
den Kommunen geteilt –, ist nun, dass es mit dem Aus-
bau der Kindertagesbetreuung letztlich nicht anders ver-
laufen wird.

4 Milliarden Euro stehen von Bundesseite zur Verfü-
gung. Wir fordern, diese weiter aufzustocken, weil das
vorgesehene Sondervermögen für das Volumen des Aus-
baus nicht ausreichen wird.

(Beifall bei der LINKEN – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Um wie viele Milliarden?)


Wenn die Bundesregierung die Kinderbetreuung zur ge-
samtgesellschaftlichen Aufgabe ausruft und die Bundes-
kanzlerin Bildung zur Chefsache macht, kann die
Schlussfolgerung eigentlich nur sein, dass das Gros der
Finanzierung am Ende nicht an den Kommunen hängen
bleiben darf.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Warnung der kommunalen Spitzenverbände ist
nur zu verständlich. Die Bundesregierung schafft mit ei-
nem zu begrüßenden Rechtsanspruch die Fakten, und die
Kommunen sollen am Ende die Rechnung begleichen;
denn dort werden die Eltern 2013 ihre berechtigte Forde-
rung nach einem Kita-Platz aufmachen und nicht vor
dem Bundeskanzleramt oder vor dem Ministerium.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Genau!)


Wenn der Rechtsanspruch da ist, dann haben die Kom-
munen keine Wahl. Der Ausbau muss deutlich an Fahrt
aufnehmen, wenn die Vorgaben des Tagesbetreuungs-
ausbaugesetzes und des vorliegenden KiföG erfüllt wer-
den sollen. Dies kann nur geschehen, wenn die Kommu-
nen stärker als bisher finanziell unterstützt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Die im Gesetz vorgesehene Einschränkung der Be-
darfskriterien, nach denen ein Kind Anspruch auf einen
Kita-Platz haben soll, ist aus unserer Sicht der falsche
Weg. Wer die Kommunen während der Ausbauphase
nicht übermäßig belasten möchte, sollte seine Finanz-
politik überprüfen und nicht die Zugangskriterien be-
schränken. Deswegen unsere Forderung: Stellen Sie den
Kommunen ausreichende finanzielle Unterstützung zur
Verfügung.

Nächstes Beispiel: das Betreuungsgeld. Mehrmals
hatten wir dazu in diesem Raum und andernorts schon
die Debatte, doch die Formulierung, dass ab 2013 die El-
tern, die ihr Kind nicht in einer Einrichtung betreuen las-
sen wollen oder können, eine finanzielle Leistung be-
kommen sollen, steht nach wie vor im Gesetz – und
diesmal nicht nur in der Begründung. Dieses Argument,
liebe SPD-Fraktion, zieht also nicht mehr.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618000700

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Nicolette Kressl aus der SPD-Fraktion?


Diana Golze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1618000800

Ja, gern.


Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1618000900

Sehr geehrte Kollegin Golze, sollten Sie übersehen

haben, dass der Bund bei der Finanzierung über die
4 Milliarden Euro hinaus den Kommunen ab 2013 jähr-
lich 770 Millionen Euro vom Anteil an der Umsatzsteuer
zur Verfügung stellt?






(A) (C)



(B) (D)


Diana Golze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1618001000

Das habe ich nicht übersehen. Ich habe über die Aus-

bauphase gesprochen, in der 4 Milliarden Euro vonseiten
des Bundes zur Verfügung stehen. Aus unserer Sicht rei-
chen diese nicht aus, um diese Plätze gegenzufinanzie-
ren. Dies darf nicht nur den Kommunen überlassen wer-
den.


(Beifall bei der LINKEN – Christel Humme [SPD]: Die Länder geben auch 4 Milliarden! Dazu haben sie sich verpflichtet! – Caren Marks [SPD]: Was ist mit den Ländern?)


Ich war beim Thema Betreuungsgeld. Liebe SPD-
Fraktion, Sie müssen bei der Wahrheit bleiben – Frau
Humme hat eben gesagt, wir wollen ja bei der Wahrheit
bleiben –: Sie beschließen heute das Betreuungsgeld. Ja,
Sie sagen, wer weiß, was bis 2013 noch alles passiert,
und hoffen insgeheim, dass Sie dann am längeren Hebel
sitzen. Aber leider sagt die CDU/CSU-Fraktion das
auch.


(Caren Marks [SPD]: Die regiert dann nicht mehr! – Christel Humme [SPD]: Die müssen das sagen! Die haben Landtagswahlen!)


Beide Koalitionsfraktionen reden sich ein, das letzte
Wort darüber zu haben.

Aber was ist denn das für ein Gesetz? Entweder will
ich eine Leistung – dann definiere ich sie und schreibe
sie so ins Gesetz –, oder ich sage, dass ich kein Betreu-
ungsgeld will, weil viele Kinder, die die Betreuung
bräuchten, davon ausgeschlossen sein werden; dann
lasse ich es und nehme keine solche Formulierung auf.
Die Große Koalition versucht einen Mittelweg. Die je-
weilige Wählerklientel hat nun die Wahl, ob sie zu den
Krötenschluckern oder zu den Hartleibigen gehören
möchte. Na, wohl bekomm’s!


(Beifall bei der LINKEN)


Drittes Beispiel: die Gleichstellung von gemeinnüt-
zigen und privat-gewerblichen Trägern. Auch hier ha-
ben wir die Wahl, wer sich nun letztendlich durchgesetzt
hat. Während Frau Marks aus der SPD-Fraktion am letz-
ten Donnerstag in der Haushaltsdebatte meinte:

Wir freuen uns darüber, dass wir uns mit der Union
darauf verständigt haben, die bewährten Strukturen
der Finanzierung der Kinderbetreuung zu erhalten.
Öffentliche Gelder für Kinderbetreuung sollen auch
in Zukunft nicht zur Maximierung des Gewinns von
privat-gewerblichen Trägern eingesetzt werden...


(Caren Marks [SPD]: Richtig so!)


bleibt die Familienministerin


(Caren Marks [SPD]: Uneinsichtig!)


laut FAZ und auch in ihrer heutigen Rede beim Anliegen
des Ursprungsentwurfs, wenn sie sagt:

Der Trend geht eindeutig dahin, auch Privat-Ge-
werbliche zu fördern.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ist doch prima!)

Im ersten Entwurf stand noch, dass privat-gewerbliche
Träger gleichbehandelt werden sollen. Nach erhebli-
chem Widerstand hieß es dann, alle Träger sollten
gleichbehandelt werden. Nach dem energischen Ein-
spruch des Bundesrates steht nun im Text, dass alle Trä-
ger gefördert werden können. Herr Singhammer und
Frau Fischbach erklärten gestern gemeinsam dazu – ich
zitiere wieder –:

Im Gesetz zum Ausbau der Kinderbetreuung kön-
nen privat-gewerbliche Träger von Kinderbetreu-
ungseinrichtungen ebenso gefördert und damit auch
gleichbehandelt werden wie jeder öffentliche Trä-
ger. Dies ist schon jetzt bereits der Fall … Mit dem
Durchsetzungsvermögen der SPD hat das mitnich-
ten zu tun.

Jeder mag sich sein Urteil dazu selbst bilden.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618001100

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Pieper?


Diana Golze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1618001200

Ja, gern.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1618001300

Frau Golze, ist Ihnen eigentlich bewusst, dass es ge-

rade in den neuen Bundesländern, wo wir eine fast flä-
chendeckende Versorgung mit Krippen- und Kindergar-
tenplätzen haben, einige Städte gibt, in denen es – so
Ihre Formulierung – nur privat-gewerbliche Träger gibt?
Das sind freie Träger, Elterninitiativen, der Paritätische
Wohlfahrtsverband und die Volkssolidarität.


(Caren Marks [SPD]: Die sind trotzdem gemeinnützig! Christel Humme [SPD]: Keine Ahnung! – Weitere Zurufe von der SPD und der LINKEN)


Ich möchte von Ihnen eine Erklärung, mit welchem
Recht Sie diesen Organisationen Profitorientierung vor-
werfen. Sie sollten Ihre ideologische Verblendung im In-
teresse der Kinder in diesem Land endlich ablegen.


(Christel Humme [SPD]: Keine Ahnung! Setzen!)


Sie stimmen mir doch zu: Eine Vielfalt bei den Trä-
gern von Kinderbetreuungseinrichtungen wird letztend-
lich eine bessere Qualität der Kinderbetreuungseinrich-
tungen nach sich ziehen. Das kann man gerade in den
neuen Bundesländern wunderbar nachempfinden.


(Beifall bei der FDP – Kerstin Griese [SPD]: Lassen Sie sich das noch mal erklären!)



Diana Golze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1618001400

Ich bin selbst seit vielen Jahren Mitglied eines Ju-

gendhilfeausschusses. Ich weiß sehr wohl, dass eine Trä-
gervielfalt für ein breiteres Angebot sorgt und sich so je-
der seine Einrichtung aussuchen kann. Das ist gut für die
Kinderbetreuungslandschaft. Aber dass die FDP nicht
einmal den Unterschied zwischen gemeinnützig und pri-






(A) (C)



(B) (D)


Diana Golze
vat-gewerblich kennt, das tut mir wirklich leid, Frau
Pieper.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich setze mich für den Erhalt der Gemeinnützigkeit
der Kinder- und Jugendhilfe ein. Ich setze mich für den
Erhalt der Gemeinnützigkeit der Kinderbetreuungsland-
schaft ein. Das schließt auch freie Träger ein. Natürlich
gibt es auch in meiner Kommune freie Träger, die Kin-
dertagesbetreuung anbieten,


(Caren Marks [SPD]: Aber nicht gewinnorientiert!)


die zum Beispiel zusammen mit Betrieben betriebliche
Kindergärten organisieren. Das sind nicht die privat-ge-
werblichen Anbieter, die ich hier anspreche.


(Iris Gleicke [SPD]: So ist es!)


Dass ich Ihnen das erklären muss, tut mir wirklich leid.
Ich bin aber froh, dass Sie diese Zwischenfrage gestellt
haben. So konnte ich Ihnen diese Weiterbildung anbie-
ten.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jan Mücke [FDP]: Was ist denn schlecht an gewerblichen Anbietern? Ich verstehe Ihre Kritik nicht!)


Zurück zum Thema: Bildung ist keine Ware, vor al-
lem sind unsere Kinder keine Ware. Es gibt international
genügend Belege dafür – schauen Sie nach Australien –,
dass in dem Moment, wo Kinderbetreuung dem markt-
wirtschaftlichen Wettbewerb unterworfen wird, die Qua-
lität der Betreuung leidet oder ein Zweiklassensystem
bei der Betreuung entsteht: privat-gewerbliche Angebote
für die Familien, die es sich leisten können, und frei-ge-
meinnützig organisierte Betreuung für den großen Rest.
Das Beispiel Australien zeigt uns: Kinderbetreuung ge-
hört nicht an die Börse.


(Beifall bei der LINKEN – Jan Mücke [FDP]: Das ist doch Käse! So ein Popanz! Wer geht denn da an die Börse?)


Sie muss für alle Kinder und für ihre Eltern ein verläss-
liches Angebot sein. Es geht uns nicht darum – ich wie-
derhole mich –, dass es keine privaten Angebote geben
soll, sondern darum, dass in gewinnorientierte Betreu-
ungsangebote keine öffentlichen Fördermittel fließen
und die Kinder- und Jugendhilfe vor Kommerz- und Ge-
winninteressen bewahrt wird. Dieses Problem bleibt für
uns Linke auch mit der Formulierung im aktuellen Ge-
setzentwurf bestehen.

Das Argument, dass die ehrgeizigen Ausbauziele bei
Kita-Plätzen ohne die Unterstützung privat-gewerblicher
Träger nicht zu schaffen sei, ist nicht zu halten, Frau
Gruß. Wie Sie der Stellungnahme des Deutschen Ju-
gendinstituts zur KiföG-Anhörung entnehmen konnten,
sind – ich zitiere –

... die bisherigen Träger, was das Ausbauvolumen
anbelangt, durchaus in der Lage, dieses Angebot zu
realisieren. Gegenwärtig realisieren diese immerhin
ein Platzangebot von rund 2,6 Mio. Plätzen für Kin-
der in Tageseinrichtungen bis zur Schulpflicht. Ge-
messen daran ist der zusätzliche Ausbaubedarf
überschaubar.


(Beifall bei der LINKEN – Miriam Gruß [FDP]: Dann kommen Sie doch einmal nach Bayern!)


Am vorläufigen Ende dieser parlamentarischen De-
batte muss ich sagen: Der Start der Bundesministerin
war vielversprechender als das, was nun als Ergebnis
vorliegt.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Frühjahrsputz ist vorbei. Dabei hat die Debatte zu
Beginn des Jahres gezeigt, dass die Mehrheit der Bevöl-
kerung zu einer grundlegenden Sanierung bereit gewe-
sen wäre. Diese Chance ist nun vertan. Die Bundesregie-
rung und die Koalitionsfraktionen haben deutlich
gemacht, dass sie die Mittel, die für einen flächende-
ckenden Ausbau notwendig wären, nicht in die Hand
nehmen wollen. Es bleibt beim Pferdefuß Betreuungs-
geld. Obendrein setzt man Anreize zur Privatisierung der
Betreuungslandschaft. Dies lässt sich mit den Zielen lin-
ker Kinder- und Familienpolitik nicht vereinbaren.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke sagt Ja zum Rechtsanspruch auf Kinderta-
gesbetreuung für alle Kinder als gesamtgesellschaftliche
Aufgabe. Wir sagen Ja zu gut qualifiziertem und entspre-
chend gut bezahltem Personal. Wir sagen Ja zu einer
neuen Verteilung von Erwerbs- und Familienarbeit zwi-
schen Müttern und Vätern.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir sagen Ja zum Erhalt der Gemeinnützigkeit der Kin-
der- und Jugendhilfelandschaft. Deshalb sagen wir Nein
zu diesem Gesetzentwurf.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618001500

Das Wort hat nun Krista Sager für die Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618001600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Tatsa-

che, dass die CDU jetzt langsam in der Realität an-
kommt, ist aus unserer Sicht kein hinreichender Grund,
die Selbstzufriedenheit Überhand nehmen zu lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Betreuungsgeld ist in der Tat ein bildungspoliti-
sches Armutszeugnis. Das wissen Sie selber. Frau
Humme, ein Blick auf die vorgesehene Änderung des
§ 16 des SGB VIII zeigt, dass Sie, aber vor allen Dingen
die Ministerin vor der CSU eingeknickt sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Christel Humme [SPD]: Zitieren Sie doch mal!)







(A) (C)



(B) (D)


Krista Sager
Einkommensarme Familien bekommen einen Anreiz,
gerade die Kinder nicht in die Frühförderung zu geben,
die davon am meisten profitieren würden. Man kann sich
nur wünschen, dass diese Extrawurst, die Sie der CSU da
gebraten haben, ihr bei der Wahl am Sonntag im Halse
stecken bleibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich habe den Eindruck, dass auch in Bayern immer mehr
Menschen merken, dass gerechte Startchancen für die
CSU schlichtweg ein Fremdwort ist. Wir werden diesem
bildungspolitischen Unsinn nicht zustimmen. Daher
werden wir den Gesetzentwurf ablehnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE] – Cornelia Pieper [FDP]: Richtig! Wir auch!)


Der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab 2013
– das wollen wir hier einmal klar sagen – kommt für
viele Eltern zu spät. Die Kommunen haben jetzt zum
Glück ernsthaft mit dem Ausbau angefangen, aber dies
geschieht auf Basis des von Rot-Grün beschlossenen Ta-
gesbetreuungsausbaugesetzes. Herr Singhammer, das
haben Sie im Bundesrat bekämpft, als ob es Teufelswerk
wäre. Diese Wahrheit muss hier einmal gesagt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Fatal ist, dass Sie keinen Rechtsanspruch auf einen
Ganztagsplatz geschaffen haben. Die Kommunen und
die Länder haben jede Möglichkeit, den Ausbau auf
5-Stunden-Plätze zu konzentrieren. Das hat zur Folge, dass
die Kinder mit einem höheren Betreuungsbedarf – in den
Großstädten werden es immer mehr – weiter mit den
Kindern von berufstätigen Eltern um die raren Ganz-
tagsplätze konkurrieren werden. Das ist nicht gut. Junge
Mütter und Väter wollen heute mehrheitlich eher zwi-
schen 30 und 37 Stunden pro Woche arbeiten. Die Zeit,
in der junge Mütter möglichst wenig im Beruf sein woll-
ten und junge Väter möglichst 60 Stunden pro Woche ar-
beiten wollten, sind zum Glück vorbei. Diese veränder-
ten Wünsche können sie aber mit einem 5-Stunden-Platz
nicht abdecken. Deswegen wäre ein Rechtsanspruch auf
einen Ganztagesplatz so wichtig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es muss auch Schluss damit sein, dass Kinder arm
sind, weil ihre Mütter nur in geringfügiger Beschäfti-
gung arbeiten können, weil sie für ihre Kinder keine hin-
reichende flexible Betreuung ab dem ersten Lebensjahr
– bis hin zu Ganztagsschulen – haben. Die Zahl der Al-
leinerziehenden nimmt zu; zwei Drittel der Väter können
oder wollen keinen Unterhalt zahlen. Dieses Armutsri-
siko müssen wir durch bessere Betreuung bekämpfen.
Das heißt, wir brauchen Ganztagsbetreuung und einen
Rechtsanspruch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Vor allen Dingen brauchen wir eine Qualitätsoffen-
sive. Nur so werden aus Betreuung frühe Förderung und
gerechte Startchancen für alle Kinder. Dazu leistet Ihr
Gesetzentwurf keinen Beitrag.


(Kerstin Griese [SPD]: Doch! Genau da!)


Wir brauchen Qualitätsstandards, wir brauchen eine Ver-
kleinerung der Gruppen, Verbesserungen beim Personal-
schlüssel, bei den Konzepten, bei der Ausstattung und
auch bei der Ausbildung und Qualifizierung des Perso-
nals. Da liegt in Deutschland noch ganz vieles im Argen.

Zu Ihrem Streit über privat-gewerbliche und öffent-
liche Einrichtungen. Der Qualitätswettbewerb zwi-
schen freien Trägern, privaten Anbietern und öffentli-
chen Anbietern ist in Ordnung. Er funktioniert in
Deutschland auch längst. Aber dieser Wettbewerb ist
doch etwas anderes als die Frage, warum es der Ministe-
rin so unglaublich wichtig ist, dass man mit Kinderbe-
treuung auch Gewinne machen können muss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Caren Marks [SPD])


Das ist der Unterschied. Es ist doch nicht nachzuvollzie-
hen, warum der Ministerin das bei der Qualitätsfrage so
wichtig ist.

Wir brauchen die Qualitätsoffensive dringend, und
zwar sowohl für die Kinder und auch, um die Eltern für
die frühe Förderung zu gewinnen. Wir brauchen aber
auch eine Qualitätsoffensive für die Beschäftigten, für
die hoch motivierten, für die qualifizierten Erzieherin-
nen und Erzieher. Wir müssen aufpassen, dass uns im
Bereich der Erzieherinnen und Erzieher nicht etwas
Ähnliches passiert wie im Pflegebereich, nämlich dass
die Besten, die Motiviertesten am Ende aus Frust das
Handtuch werfen, weil sie das Gefühl haben, dass sie
das, was sie jeden Tag erleben, vor den Eltern nicht län-
ger verantworten können. Es geht nicht, dass die besten
Leute den Kindern und den Familien am Ende verloren
gehen. Deswegen muss das in den Fokus gerückt wer-
den.

Ich sage Ihnen eines: Rücken Sie die Frage der Quali-
tätsoffensive auch auf dem Bildungsgipfel in den Mit-
telpunkt! Denn genau dorthin gehört sie. Das muss am
22. Oktober ein Thema auf dem Bildungsgipfel sein,
auch unter dem Gesichtspunkt: Wie gelingt es uns, dafür
zu sorgen, dass das notwendige Geld in die Verbesse-
rung der Qualität und nicht nur in den dringend erforder-
lichen Ausbau fließt? Es sollte also kein Ausruhen ge-
ben; denn es gibt keinen Grund zur Selbstzufriedenheit.
Wir werden dem bildungspolitischen Unsinn eines Be-
treuungsgeldes als „Frühförderungsabschreckungsprä-
mie“ heute nicht zustimmen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618001700

Ich erteile das Wort Kollegin Ingrid Fischbach für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Ingrid Fischbach (CDU):
Rede ID: ID1618001800

Herr Präsident! Frau Ministerin! Meine sehr geehrten

Kolleginnen und Kollegen! Frau Humme, ich wollte erst
nichts sagen. Sie wissen, ich komme wie Sie aus Nord-
rhein-Westfalen, und ich habe mein ganzes bisheriges
Leben in Nordrhein-Westfalen verbracht. Ich bin mit of-
fenen Augen durch dieses wunderschöne Land gegan-
gen.


(Iris Gleicke [SPD]: Frau Fischbach, ich kann Ihnen sagen, wie es ist, wenn man als alleinerziehende Mutter in Nordrhein-Westfalen einen Kindergartenplatz sucht!)


Als die CDU zusammen mit der FDP 2005 die Regie-
rung übernommen hat, war Nordrhein-Westfalen dank
der vorherigen Landesregierung aus SPD und Grünen
– ich will es Frau Humme nur einmal sagen, damit sie
hier keine Märchen erzählt – Schlusslicht bei der Lan-
desbewertung der Betreuungsplätze für unter Dreijäh-
rige. Wissen Sie, wie viel Prozent Sie geschafft haben?
2,5 Prozent! Mehr sage ich dazu nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Christel Humme [SPD]: Wie ist es denn jetzt?)


Mittlerweile haben wir den Anteil dieser Betreuungs-
plätze um 200 Prozent gesteigert, nämlich von den läppi-
schen knapp – –


(Christel Humme [SPD]: Ach so! Von 2 Prozent auf 4 Prozent!)


– Frau Humme, diese Vorgehensweise ist typisch für Sie:
Selber nichts tun, und wenn andere etwas tun, es noch
schlechtrechnen. Sie haben Zeit gehabt. Wir sind jetzt
auf einem guten Wege, und auf dem werden wir weiter-
gehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Schlusslicht mit 2,5 Prozent! Frau Humme, ich hätte
mich geschämt. Ich hätte das besser gar nicht angespro-
chen.


(Caren Marks [SPD]: Das kam jetzt nicht wirklich glaubhaft rüber!)


Frau Golze, ich habe schon mehrfach gesagt: Die Lin-
ken stellen sich hierhin und halten wunderbare Reden.
Wenn man sie reden hört, könnte man sagen: Dem Volke
das Beste.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Genauso ist es!)


Können Sie uns und auch den Zuhörern auf der Tribüne,
die alle interessiert zuhören, denn einmal erklären, wa-
rum Sie noch nicht einmal einem Volksbegehren für
mehr Kita-Plätze in Berlin mit 66 000 gesammelten Un-
terschriften stattgeben? Das hätten ich und vielleicht
auch die Damen und Herren von Ihnen gerne einmal ge-
wusst. Schließlich ist doch alles, was Sie machen, so
toll.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich verstehe das überhaupt nicht. Sie wollen tolle Sa-
chen. Sie stellen sich hierhin und fordern bestimmte
Dinge; doch da, wo Sie in der Regierung sind, kürzen
Sie die Anzahl der Betreuungsplätze,


(Diana Golze [DIE LINKE]: Gucken Sie sich mal die Kinderbetreuungslandschaft in Berlin an! Vergleichen Sie das mal mit NordrheinWestfalen!)


schließen Einrichtungen und geben noch nicht einmal ei-
nem Volksbegehren statt.


(Diana Golze [DIE LINKE]: Sie sprechen sich allein schon gegen Volksbegehren aus! – Jan Mücke [FDP]: Die können mit Bürgerbeteiligung doch nichts anfangen!)


Aber das zeigt Ihre Denkweise. Mehr sage ich auch dazu
nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Diana Golze [DIE LINKE]: Es wäre besser gewesen, Sie hätten dazu nichts gesagt!)


Kommen wir nun zu der guten Nachricht; es ist wirk-
lich eine gute Nachricht, egal wie Sie von der Oppo-
sition darüber reden. Dieses Gesetz ist der zweite Mei-
lenstein, den die Bundesregierung, den die Große
Koalition für Familien und Kinder setzt. Ich muss an
dieser Stelle für meine Fraktion ganz deutlich sagen:
Frau Ministerin, ohne Sie wäre das nicht möglich gewe-
sen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Als die Ministerin 2007 den Krippengipfel einberufen
hat – ich weiß nicht, ob Sie sich daran noch erinnern –,
da haben gerade die Kolleginnen und Kollegen der Op-
position und auch viele andere darüber gelächelt: Jetzt
setzt sie sich mit Vertretern von Bund, Ländern und
Kommunen zusammen. Was hat sie denn vor? Außer
Geschwafel und einer schönen Schlagzeile in der Presse
wird dabei wohl nichts herauskommen. – Was ist heraus-
gekommen? Das Kinderförderungsgesetz, auf das wir
gemeinsam stolz sein können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Caren Marks [SPD]: Das sind wir auch!)


Frau Humme, mir ist es vollkommen egal, wer sich
diesen Erfolg auf seine Fahnen schreibt. Uns als CDU/
CSU-Fraktion sind die Kinder und die Eltern wichtig.
Wenn wir für sie etwas Gutes schaffen, dann dürfen Sie
sich dieses Verdienst gerne auf Ihre Fahnen schreiben.
Das macht uns überhaupt nichts aus.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte noch einmal ganz deutlich machen, dass
wir mit diesem Gesetz etwas auf den Weg bringen, was
es bisher noch nicht gab: nicht nur dass bei der Finanzie-
rung alle Beteiligte an einen Tisch gebracht und von al-
len drei Seiten jeweils 4 Milliarden Euro bereitgestellt
wurden, mit denen nicht nur Investitionen gefördert wer-
den; erstmals – das ist ganz wichtig – ist es möglich,
auch die Betriebskosten mitzutragen, was gerade vor Ort






(A) (C)



(B) (D)


Ingrid Fischbach
sehr wichtig ist. Das ist eine große Errungenschaft. Auch
dafür sage ich herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Kerstin Griese [SPD])


Jetzt möchte ich der Mär widersprechen, wir hätten
den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz sofort einfüh-
ren können. Wir alle sind doch Kommunalpolitiker. Wir
alle wissen doch, wie die Situation vor Ort ist.


(Katrin Kunert [DIE LINKE]: Nein! Ein Drittel ist es, also nicht alle!)


– Sie sind es nicht? Aber wir sind doch alle in Kommu-
nen zu Hause. Als Abgeordneter redet man mit den
Kommunalpolitikern in seinem Wahlkreis, damit man
hier Politik machen kann, die auch die Kommunen ver-
treten können. So machen das wenigstens wir von der
CDU/CSU-Fraktion. Wir achten schon darauf, dass un-
sere Politik bis nach unten durchgereicht werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Durchgereicht oder mitgenommen?)


Wir wissen, dass die Kommunen nicht in der Lage ge-
wesen wären, diesen Rechtsanspruch sofort umzusetzen.


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind aber schwache Argumente, Frau Fischbach!)


Deswegen macht es Sinn, die Beteiligten vor Ort, die die
Plätze schaffen müssen, mit ins Boot zu nehmen. Des-
halb macht es auch Sinn, zu sagen: Der Ausbau der
Plätze erfolgt stufenweise bis 2013. Bis dahin müssen
aber auch alle Kommunen die erforderlichen Plätze be-
reitgestellt haben; denn dann ist wirklich Schicht im
Schacht. Wer dann nicht die Förderungsmaßnahmen so
umgesetzt hat, wie wir es beabsichtigt haben, der hat
Pech gehabt. Die Ministerin hat vollkommen recht: Die
Menschen vor Ort werden dann mit den Füßen abstim-
men. Sie werden sich Orte suchen, wo sie die entspre-
chenden Angebote bekommen. Deswegen machen – ich
sage das noch einmal – ein Ausbau in Stufen und die
Einführung des Rechtsanspruchs ab 2013 Sinn.

Lassen Sie mich in den letzten zwei Minuten meiner
Redezeit kurz auf die Tagespflege eingehen, die in
NRW, Frau Humme, auch immer als Teufelswerk ange-
sehen wurde. Die erste öffentliche Anhörung zu diesem
Thema im Landtag NRW fand 1990 statt. Passiert ist bis
2005 so gut wie nichts. Wir haben jetzt die Bedingungen
dafür geschaffen, dass die Tageseltern – inzwischen gibt
es die ersten Tagesväter – aus dem Schatten bzw. der
Schwarzarbeit herauskommen, dass sie qualifiziert wer-
den. Wir legen großen Wert auf ihre Qualifizierung. Da-
mit einhergehend muss natürlich auch eine andere Ent-
geltregelung gefunden werden. Die Tageseltern sind
dann eben nicht mehr für 1,83 Euro zu haben. Das ist
richtig und wichtig.

Wir haben auch dafür gesorgt, dass Großtagespflege-
stellen als Alternative zu den Betreuungsangeboten ein-
gerichtet werden können. Eines ist uns als CDU/CSU-
Fraktion nämlich klar: Wir wollen keine Einheitsbetreu-
ung für alle; für uns steht das Wohl des Kindes im Vor-
dergrund. Danach müssen wir die Betreuungsangebote
ausrichten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zu den Großtagespflegestellen kursiert so einiges in
der Öffentlichkeit. Es wird oft gefragt: Was wollt ihr da
auf den Weg bringen? Ist das eine Konkurrenz zu den
Tageseinrichtungen? Werden dann plötzlich über
100 Kinder zum Minitarif betreut? – Wir haben zwei
vernünftige Regelungen gefunden. Erstens. Bei Großta-
gespflegestellen muss mindestens eine Tagespflegeper-
son eine pädagogische Ausbildung haben. Diese qualita-
tive Forderung haben wir in den Vordergrund gestellt.
Zweitens. In dem Gesetz ist auch festgelegt, dass die An-
zahl der zu betreuenden Kinder gedeckelt ist. Das heißt,
sie darf nicht größer sein als die Kinderzahl in entspre-
chenden Einrichtungen der öffentlichen Träger. Das sind
zwei gute Ansätze, die Großtagespflegestellen als eine
weitere Alternative zur Kinderbetreuung auf den Weg zu
bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie
ehrlich sind, müssen Sie eingestehen, dass dieser Gesetz-
entwurf ein guter Gesetzentwurf ist. Ich bitte Sie: Geben
Sie sich einen Ruck und stimmen Sie ihm zu! Er hilft
den Eltern, Beruf und Familie zu vereinbaren. Was aber
noch wichtiger ist: Er begründet für die Kinder den An-
spruch, tatsächlich von Beginn an gefördert zu werden.
Wer kann dazu schon Nein sagen?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618001900

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kolle-

gin Gesine Lötzsch von der Fraktion Die Linke.


Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1618002000

Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Frau

Kollegin, da Sie nicht aus Berlin sind und sich hier nicht
so gut auskennen, muss ich kurz auf Ihre Einlassung re-
agieren.

Erstens. In Berlin, wo SPD und Linke gemeinsam die
Regierung bilden, bekommt jedes Kind, dessen Eltern es
wünschen, einen Betreuungsplatz. – Das nur zur allge-
meinen Information.

Worum handelte es sich bei dem Volksbegehren, das
Sie angesprochen haben, und warum hat der Senat von
Berlin es abgelehnt? Dieses Volksbegehren hatte vor al-
len Dingen die Anliegen, darauf hinzuwirken, dass für
die Kinderbetreuung mehr finanzielle Mittel bereitge-
stellt werden, dass das Betreuungspersonal besser ausge-
bildet wird


(Cornelia Pieper [FDP]: Das ist doch gut!)


und dass der Betreuer-Kind-Schlüssel verbessert wird.
Das sind Anliegen, die wir ausdrücklich unterstützen.

Der Senat von Berlin hat auf Vorschlag des zuständi-
gen Innensenators und des Finanzsenators – in Klam-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gesine Lötzsch
mern: SPD – entschieden, dass dieses Volksbegehren
nicht zugelassen werden kann, weil es in erheblicher
Weise in den Haushalt eingreift.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Ja! Das ist meistens so! – Heiterkeit bei der CDU/ CSU)


Darum hat die Fraktion Die Linke im Berliner Abgeord-
netenhaus diejenigen, die dieses Volksbegehren vorbe-
reitet haben, darin unterstützt, vor das Berliner Verfas-
sungsgericht zu ziehen, um eindeutig klären zu lassen,
wie weit ein solches Begehren in den Haushalt eingrei-
fen kann, und um mögliche Verwerfungen zu vermeiden.
Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt. Für unsere Fraktion im Berliner
Abgeordnetenhaus kann ich erklären – ich finde übri-
gens, ab und zu könnten sich auch einmal die Kollegen
der Sozialdemokratie zu den Berliner Verhältnissen äu-
ßern –: Wir haben die Anliegen dieses Volksbegehrens
unterstützt. Wir werden versuchen, möglichst viele die-
ser Anliegen in der Koalition im Land Berlin umzuset-
zen.

Damit es nicht zu Missverständnissen kommt, möchte
ich abschließend wiederholen: In Berlin bekommt jedes
Kind, dessen Eltern es wünschen, einen Betreuungs-
platz.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das Begehren ist dennoch nicht zu unterstützen!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618002100

Kollegin Fischbach, bitte.


Ingrid Fischbach (CDU):
Rede ID: ID1618002200

Frau Lötzsch, ich freue mich, dass jedes Mal, wenn

ich Ihre Fraktion anspreche, sofort ein oder zwei von Ih-
nen aufstehen und sich zu Wort melden. Das zeigt mir
nämlich, dass ich mit den Dingen, die ich anspreche,
richtig liege.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Natürlich gilt auch für die Bundesregierung ein ge-
wisser finanzieller Rahmen. Sie darf den Etat, der ihr zur
Verfügung steht, nicht einfach überschreiten. Die Frau
Ministerin hat deutlich gemacht, dass sich der Finanzmi-
nister klar positioniert hat. Er hat dem Anliegen der Ver-
besserung der Kinderbetreuung Rechnung getragen; da-
für sind wir dankbar. Das tut man am besten, indem man
die Kinderbetreuung zur Chefsache erklärt und diesem
Thema auf der politischen Agenda oberste Priorität ein-
räumt.

Ich habe mich gewundert, dass Sie gesagt haben: Alle
Eltern, die es wollen, bekommen für ihr Kind einen Be-
treuungsplatz. Ich frage mich: Warum gehen die Eltern
dann auf die Straße?


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das habe ich Ihnen gerade erklärt!)


Dann stimmt wohl die Qualität nicht. Genau das ist der
Punkt, den Sie an unseren Vorschlägen immer kritisie-
ren. Wenn Sie Verantwortung tragen, sind Sie aber nicht
in der Lage, das umzusetzen, was Sie selbst fordern.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Richtig!)


Wir gehen so vor, wie wir es beschrieben haben. Wir
brauchen Betreuungsangebote, und wir brauchen Quali-
tät. Wir nehmen die Menschen mit. Wir würden kein
Volksbegehren, wie Sie es getan haben, ablehnen; denn
für uns ist ein Volksbegehren ein demokratisches Mittel.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der Linken – Diana Golze [DIE LINKE]: Das sind ja ganz neue Töne! Das ist doch lächerlich! Das sagen ausgerechnet Sie! Schauen Sie doch mal nach Brandenburg! Ich fasse es nicht! Ihr seid gegen die Einführung von Volksbegehren! – Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: In Nordrhein-Westfalen habt ihr gerade erst eins abgelehnt! Das war eine wirklich glorreiche Leistung!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618002300

Das Wort hat nun Sibylle Laurischk für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1618002400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich habe den Eindruck, Frau Fischbach hat ei-
nen wunden Punkt der Linken getroffen, und getretene
Hunde bellen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Es ist interessant, zu beobachten, dass sich SPD und
Linke in gemeinsamem Applaus wiederfinden.


(Caren Marks [SPD]: Was das Thema Volksbegehren angeht, gilt das wohl eher für Ihre eigene Fraktion und die Linken!)


Man hat das Gefühl, dass sich die Große Koalition nicht
so einig ist, wie man es sich wünschen würde.

Als Opposition schauen wir sehr genau zu. Wir Libe-
rale wollen bei den Themen Kinderförderungsgesetz und
Betreuungsgeld noch einen anderen Aspekt in den Vor-
dergrund stellen, der mir besonders am Herzen liegt. Es
geht um die Integration von Zuwanderern und die Inte-
gration von Kindern mit Migrationshintergrund.

Hier werden die Defizite frühkindlicher Bildung und
Betreuung in Deutschland so deutlich, als betrachte man
sie unter der Lupe: Kinder mit Migrationshintergrund
haben besondere Entwicklungsprobleme und Sprachde-
fizite. Das muss sich ändern.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Man weiß, dass Kinder im frühkindlichen Alter be-
eindruckende Sprachlernfähigkeiten haben. In einer Stu-
die der Universität Mannheim wurde kürzlich wieder
festgestellt, dass Kinder auch dann, wenn sie ohne Vor-
kenntnisse in der deutschen Sprache in den Kindergarten
kommen, innerhalb von sechs Monaten Sprachfähigkei-






(A) (C)



(B) (D)


Sibylle Laurischk
ten besitzen, die denen ihrer gleichaltrigen Spielkamera-
den entsprechen. Daher ist das gemeinsame Aufwachsen
mit deutschsprachigen Kindern in einer Gruppe die ef-
fektivste Sprachlernmethode, die wir kennen, wenn die
Rahmenbedingungen stimmen. Es muss zentrales Ziel
der Politik beim Thema Kinderbetreuung sein, die ent-
sprechenden Rahmenbedingungen herzustellen.

Im Bundesdurchschnitt besucht die Hälfte der Drei-
bis Vierjährigen aus Familien mit Migrationshintergrund
den Kindergarten. Bei den Vier- und Fünfjährigen sind
es über 80 Prozent. Leider sinkt diese Quote bei Fami-
lien mit größerer Bildungsferne – dies gilt auch für deut-
sche Familien –, obwohl sie gerade hier steigen müsste.


(Beifall bei der FDP)


Wir brauchen mehr Anreize, damit gerade diese Fami-
lien ihre Kinder häufiger als bisher in Betreuungsein-
richtungen schicken; denn was in der Zeit bis zum Ein-
tritt in die Grundschule beim Erwerb der deutschen
Sprache versäumt wird, kann später nur sehr mühsam
wieder aufgeholt werden.

Mit dem Betreuungsgeld, das im vorliegenden Ge-
setzentwurf enthalten ist – es wurde nicht herausgenom-
men –, gehen Sie in die falsche Richtung. Aus integra-
tionspolitischer Sicht ist es absolut kontraproduktiv.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die FDP hat dieses Thema geklärt. Auf einem Bun-
desparteitag haben wir uns klar dahin gehend positio-
niert, dass mit dem Betreuungsgeld die falsche Richtung
vorgegeben wird. Ich warne davor, weiter darüber zu
diskutieren und es womöglich doch beschließen zu wol-
len. Das sage ich sehr bewusst auch in Richtung Bayern.


(Beifall bei der FDP – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Wir haben es ins Gesetz hineingeschrieben!)


Wir wollen keine Ausgrenzung, und wir wollen auch
keine Abgrenzung – weder im Aufenthaltsrecht noch bei
der Familienfinanzierung oder bei der Familienförde-
rung. Um Sprachlernerfolge zu ermöglichen, müssen die
Rahmenbedingungen stimmen: Gruppengröße, Kinder-
zahl pro Erzieherin und Erzieher sowie die individuelle
pädagogische Qualifikation der Erzieherinnen und Er-
zieher. Bei allem ist aber eine einseitige Gruppenzusam-
mensetzung hinsichtlich der Sprache ein Hemmschuh
für eine angemessene Förderung von Migrantenkindern.

Im Kinderförderungsgesetz sollte es neben dem rich-
tigen quantitativen Ausbau auch darum gehen, dass Si-
gnale für mehr Qualität und Vielfalt in den Kinderbe-
treuungsangeboten gesetzt werden. Hier gehen Sie mit
Ihrem Entwurf nicht weit genug. Ich erinnere daran
– wir wissen das aus einer fraktionsinternen Anhörung –,
dass die öffentliche Kinderbetreuung im rot-roten Berlin
nicht mehr mit einer entsprechenden Qualität ausgebaut
werden kann und bereits private und gemeinnützige An-
bieter in diese Lücke stoßen. Insofern ist es absurd, dass
hier kein Volksbegehren zugelassen wird.


(Beifall bei der FDP)

Wir müssen vor allem Qualitätsstandards für die Kin-
derbetreuung entwickeln. Wir brauchen endlich eine
stärkere bildungspolitische Sicht auf die Phase vor dem
Schuleintritt. Dies leisten Sie mit dem vorliegenden Ge-
setzentwurf leider nicht.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618002500

Das Wort hat nun Kollegin Marlene Rupprecht, SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Marlene Rupprecht (SPD):
Rede ID: ID1618002600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Und natürlich: Liebe
Kinder und liebe Eltern! Heute geht es nämlich um Kin-
der und Eltern. Wir führen in der Politik derzeit sehr
häufig das Wort „Kinder“ im Mund, und wir werden alle
ganz schwach, wenn wir es hören. Wenn es aber um die
Realitäten geht, dann gibt es nur noch wenige in allen
Fraktionen, die sich tatsächlich um die Belange von Kin-
dern kümmern. Ich denke, in einer pluralen Gesellschaft
wie der unseren werden Gesetze so gemacht, dass sie
den pluralen Willen zum Ausdruck bringen. Unser Kin-
derförderungsgesetz spiegelt das wider.

Manchen geht der Gesetzentwurf zu weit, anderen
nicht weit genug. Ich denke, dass es wichtig ist, nachzu-
vollziehen, was die Menschen im Lande brauchen. Das
sollte die Maxime der Politik sein. Den Menschen sind
Ideologien ziemlich gleichgültig. Einer Mutter, die nicht
weiß, wo sie morgens ihr Kind unterbringen kann – sie
kann es schließlich nicht irgendwo an der Garderobe ab-
geben –, ist es egal, wer ihr das ermöglicht, ob links,
rechts, Mitte oder wer auch immer. Sie will, dass wir
handeln. Das haben wir getan.

Es ist noch nicht so lange her. Mitte der 90er-Jahre
war es ein riesiger Kraftakt des Parlaments – vor allem
der Frauen im Parlament –, einen Rechtsanspruch auf ei-
nen Kindergartenplatz sicherzustellen. Die Kommunal-
politiker haben damals den Untergang des Abendlandes
und den Bankrott der Kommunen befürchtet, wenn wir
das durchsetzen würden. Inzwischen hat sich das Ganze
beruhigt. Man hat damals befürchtet, die in den Einrich-
tungen betreuten Kinder würden alle kriminell. Das hat
sich nicht bestätigt. Sie haben sich sehr gut entwickelt.

Wir haben mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz ei-
nen zweiten Schritt unternommen. Wir haben darin vor-
gegeben, in welchen Stufen der Ausbau erfolgen soll.
Die Regierung muss dazu Berichte vorlegen. Mittler-
weile steht fest: Wenn das bisherige Tempo beibehalten
wird, dann sind die Kinder, die eigentlich auf die Förde-
rung angewiesen sind, längst Großmütter und Großväter,
bis der Ausbau erfolgt ist.

Was sind Anreize für die Kommunen, den Ausbau
der Kinderbetreuung zu beschleunigen? Vernunft al-
lein reicht nicht aus. Dass Kinder Betreuung brauchen,
ist aus wissenschaftlichen Abhandlungen bekannt.


(Jan Mücke [FDP]: Sie brauchen Geld!)







(A) (C)



(B) (D)


Marlene Rupprecht (Tuchenbach)

Der einzige wirksame Anreiz ist Geld. Ich danke dem
Bundesfinanzminister herzlich dafür, dass er
4 Milliarden Euro bereitgestellt hat. Das entspricht ei-
nem Drittel der Kosten, die in den nächsten Jahren ent-
stehen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ingrid Fischbach [CDU/CSU])


Es ist zu hoffen, dass die Kommunen – die ebenso wie
die Länder sonst alles übernehmen, was Geld bringt –
das Tempo beschleunigen.

Wir mussten manche in diesem Haus noch überzeu-
gen. Ich danke Ihnen, dass Sie diese Kontinuität fortge-
setzt haben und nicht über manche Hürden und Wünsche
innerhalb der Fraktion verzweifelt sind. Ich hätte das
manches Mal tun können.

Wir haben im Gesetzentwurf die Einführung eines
Betreuungsgeldes vorgesehen. § 16 des Achten Buches
Sozialgesetzbuch soll wie folgt ergänzt werden:

Ab 2013

– darüber muss der Bundestag in der 18. Wahlperiode
entscheiden –

soll für diejenigen Eltern, die ihre Kinder von ein
bis drei Jahren nicht in Einrichtungen betreuen las-
sen wollen oder können, eine monatliche Zahlung

(zum Beispiel Betreuungsgeld) eingeführt werden.


Ich habe Ihnen schon öfter gesagt, Herr Singhammer,
dass die Eltern entscheiden werden, wenn der über-
nächste Bundestag gewählt wird.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sie wollen das Betreuungsgeld!)


Hoffentlich ist die Politik so klug, auf die Wünsche und
Bedürfnisse der Eltern einzugehen. Dann kann ich auch
die Kröte schlucken, die ich nicht wollte. Denn das, was
mir wichtig ist, ist darin vorgesehen, nämlich ein
Rechtsanspruch ab dem 1. August 2013.


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kröten schmecken nicht!)


Dass der Rechtsanspruch erst ab 2013 vorgesehen ist,
ist einfach zu begründen. Ich bin Realpolitikerin und
lebe nicht im Wolkenkuckucksheim. Seit 17 Jahren ar-
beite ich in der Kinder- und Jugendhilfepolitik. Diese
Erfahrungen vor Ort wünschte ich so manchem Politiker.
Dann wüssten sie, dass man nur das in den Gesetzent-
wurf aufnehmen kann, was man auch umsetzen kann.
Denn in den Kommunen fehlt es noch an Geld und an
Betreuungsplätzen.

Wenn man ein Windhundverfahren nach dem Motto
„Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ vermeiden will, dann
muss man einen konditionierten Rechtsanspruch vorse-
hen, wie wir es getan haben.


(Beifall der Abg. Kerstin Griese [SPD])


In § 24 Abs. 3 ist folgende Regelung vorgesehen:
Ein Kind, das das dritte Lebensjahr noch nicht voll-
endet hat, ist in einer Tageseinrichtung oder in Kin-
dertagespflege zu fördern, wenn

1. durch diese Leistung seine Entwicklung zu einer
eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen
Persönlichkeit gestärkt wird …

Das alles dient dem Kindeswohl.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das trägt auch dem Migrationshintergrund Rechnung.
Das trägt den Erfordernissen in der Familie Rechnung.
Es kann zum Beispiel sein, dass ein schwerkrankes Kind
in einer Familie ist und ein anderes Kind dieser Familie,
das nicht schwerkrank ist, die Gruppe braucht. Auch da-
rauf sollte man reagieren.

Des Weiteren gibt es einen Anspruch für Erziehungs-
berechtigte, die erwerbstätig sind, eine Erwerbstätigkeit
aufnehmen bzw. Arbeit suchen, die sich in einer berufli-
chen Bildungsmaßnahme, in einer Schulausbildung oder
Hochschulausbildung befinden oder Leistungen zur Ein-
gliederung in Arbeit im Sinne des SGB II erhalten.

Da wir nicht vorschreiben können, wie der Bedarf
aussieht, sondern dieser ermittelt werden muss, ist im
Gesetzentwurf geregelt:

Der Umfang der täglichen Förderung richtet sich
nach dem individuellen Bedarf.

Das ist genau das, was ich mir wünsche, nämlich dass
man den Bedarf anhand der Wünsche und Bedürfnisse
der Menschen ermittelt und ein entsprechendes Angebot
vorhält.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber was nützt das ganze Geld, was nützt all das
Gute, was wir Kinderpolitiker wollen, wenn das in den
Ländern und vielleicht auch in den Kommunen nicht
entsprechend umgesetzt wird? Dass das geschieht, ist
das Allerwichtigste. Wir haben die Tagespflege in die
Regelung aufgenommen. Wir wollen, dass sie qualitativ
gut ist. Wir wollen, dass sie personell, räumlich und kon-
zeptionell so gestaltet ist, dass es dem Kind gut tut. Wir
müssen weiterhin aufmerksam an dieser Sache dranblei-
ben, um zu verhindern, dass da ein Markt für Billigange-
bote entsteht.

Wir haben deswegen die Anforderungen an die Statis-
tiken geändert. Es interessiert niemanden, wenn durch
Regelungen in den hinteren Paragrafen Statistiken geän-
dert werden. Wir halten das für wichtig, weil wir die
Entwicklung an der Statistik ablesen können und so
rechtzeitig und schnell gegensteuern können, wenn Ent-
wicklungen eintreten, die aus unserer Sicht für Kinder
und Eltern nicht gut sind.

Ich glaube, dass dieser Gesetzentwurf gut ist. Ich bitte
Sie, zuzustimmen, damit das Signal gesetzt wird: Dieser
Bundestag hat sich – bei allen Gegensätzen, die wir ha-
ben, und bei manchem, was vielleicht noch geschliffen
werden müsste – zum Ziel gesetzt, Kinder zu fördern.






(A) (C)



(B) (D)


Marlene Rupprecht (Tuchenbach)

Das in diesem Haus hinzubekommen, halte ich für rich-
tig. Es tut mir wirklich in der Seele weh, dass das zu ei-
nem Machtgezerre führt und dass wir uns nicht an dem
orientieren, was zukünftig notwendig ist, um die Welt so
zu gestalten, dass die Kinder, die jetzt heranwachsen,
sich wohlfühlen und zu vernünftigen Erwachsenen wer-
den. Wenn wir das täten, hätte ich keine Angst um die
Zukunft. Im Moment ist mir allerdings angesichts des-
sen, was es an Wahlkampfgeschrei gibt, manchmal sehr
bang darum.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Markus Grübel [CDU/CSU]: Der Applaus bei der CDU/CSU war jetzt aber begeisterter als bei der SPD!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618002700

Das Wort hat nun Kollegin Ekin Deligöz, Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618002800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Frau Fischbach, Sie haben gesagt, ohne Frau von
der Leyen wäre dieses Gesetz nicht möglich gewesen.
Ich will wie folgt kontern: Ohne Sie und Ihre Fraktion
hätten wir in Deutschland längst einen Rechtsanspruch
auf Ganztagsbetreuung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Wer hat denn zehn Jahre lang regiert? – Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Sie waren an der Regierung! Warum haben Sie es nicht gemacht?)


Sie waren diejenigen, die das TAG verhindert haben.
Sie waren diejenigen, die dagegen gearbeitet haben und
gesagt haben, wir wollten eine verstaatlichte Kinderer-
ziehung, wir wollten die Kinder den Eltern entreißen –
und weiß Gott, was hier noch alles für Argumente ge-
kommen sind. Ohne Sie hätten wir längst einen Rechts-
anspruch.

Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sie
leben doch im Wolkenkuckucksheim!)

Jetzt haben wir das auf 2013 verschoben.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Sie haben doch regiert! Was haben Sie denn realisiert? Nichts!)


– Ich wäre jetzt einmal ganz ruhig. – Sie sagen, Sie hät-
ten das finanziert. Sie haben ein Volumen von
4 Milliarden Euro für die Infrastruktur vorgesehen, das
über ein komisches Sondervermögen zur Verfügung
steht. Dann sagen Sie, Bayern rufe am meisten ab. Ja,
warum?


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Weil die gut sind!)


Weil die Bayern die schlechteste Quote haben - denn sie
haben bisher nichts gemacht – und weil sie gerne Geld in
Anspruch nehmen.

(Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Es ist doch wurscht, warum sie abrufen! Hauptsache, sie rufen ab!)


Dort gibt es die größten Defizite. Schauen Sie sich doch
einmal die Quoten an!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das stimmt ja gar nicht!)


Dann sagen Sie, Sie hätten jetzt 750 Millionen Euro
eingestellt. Ich bitte Sie: Es geht hier um Personal. Es
geht um Gruppen und um Qualitätsstandards. Sie selbst
haben gesagt, zwei Drittel der Kosten sollten von den
Ländern und Kommunen getragen werden. Ihr Staatsse-
kretär sagte uns noch im Ausschuss: Die Verhandlungen
mit den Kommunen und den Ländern gehen wir erst an,
wenn wir ein Gesetz dazu haben. – Wo ist da bitte die
Ernsthaftigkeit?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Woher nehmen Sie die Unverfrorenheit, zu sagen, das
Ganze sei bereits finanziert? Ich würde sagen, das meiste
ist überhaupt noch nicht geklärt, sondern steht noch aus.


(Katharina Landgraf [CDU/CSU]: Doch, das ist geklärt!)


Jetzt komme ich zum Betreuungsgeld. Frau Rupprecht,
Sie sagen, Sie schluckten da gerne eine Kröte. Ich mag
keine Kröten; das sage ich Ihnen ganz deutlich. Sie von
der SPD haben doch noch vor wenigen Wochen ein Pa-
pier verabschiedet, in dem es um Chancengleichheit und
Teilhabe geht, darum, wie wichtig die frühe Förderung
der Kinder ist,


(Kerstin Griese [SPD]: Genau das haben wir jetzt im Gesetz!)


darum, dass es bei den Kinderkrippen nicht nur um die
Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht, sondern um
die frühe Förderung der Kinder. Bei dieser Debatte kön-
nen wir es uns doch gar nicht leisten, Kröten zu schlu-
cken, selbst wenn wir es wollten. Das können Sie doch
nicht allen Ernstes hier zulassen und dann auch noch
rechtfertigen. Dafür habe ich gar kein Verständnis. An
diesem Punkt wird ideologischen Scheuklappen Vorrang
vor dem Kindeswohl eingeräumt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese ideologiegefärbte Politik tragen Sie mit.

Sie sagen, das sei eine Willensbekundung. Ich frage
Sie: Was hat das dann im Gesetz zu suchen? Seit wann
schreiben wir Willensbekundungen ins Gesetz?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie haben sie im Gesetz festgeschrieben; aber Sie sagen,
bei der nächsten Wahl ändere sich das. Wem wollen Sie
das verkaufen? Entweder Sie machen es, oder Sie ma-
chen es nicht.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Wir machen es!)







(A) (C)



(B) (D)


Ekin Deligöz
Aber stehen Sie zu dem, was Sie machen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Jetzt komme ich zu dem Wichtigsten überhaupt: Qua-
lität. Wir haben ja heute viel über Berlin geredet. Ich
nenne Ihnen ein anderes Beispiel für die Betreuungs-
quote in Kindergärten: In Bayern kommen auf 26 Kinder
eine Erzieherin und eine Halbtagskraft. Wie sollen da
Frühförderung, sprachliche Förderung, Förderung der
kognitiven Kompetenz und weiß Gott was noch alles
möglich sein? Es reicht nicht, in jedem Bundesland ei-
nen Bildungs- und Betreuungsplan zu haben, sondern
wir müssen in das Personal investieren. Sie vertun hier
eine große Chance, Qualität festzuschreiben.


(Miriam Gruß [FDP]: So schaut es aus!)


Sie vertun eine historische Chance, festzuschreiben, was
wir wollen, dass es nämlich nicht nur ums Aufbewahren
geht, sondern auch um die frühe Förderung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Zum Stichwort „Qualität“ steht nichts in diesem Ge-
setzentwurf. Das haben Sie wahrscheinlich schlicht und
einfach vergessen, oder Sie wollen es nicht. Die Konse-
quenz dessen wäre nämlich das, was es in Berlin bereits
gibt: Berlin hat die größte Zahl an Privateinrichtungen,
Kinderläden, Elterninitiativen und Ähnlichem. Der Platz
allein reicht nämlich nicht, sondern die Eltern wollen
sich auf die Einrichtungen verlassen können. Für diese
Eltern sind wir Grüne Lobbyisten, und das bis zum
Schluss. Wir werden immer wieder danach fragen, wie
es mit der Finanzierung aussieht, und Sie werden von
uns auch die Frage nach der Qualität immer wieder aufs
Brot geschmiert bekommen; denn verzichten können wir
darauf nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618002900

Das Wort hat nun Michaela Noll für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1618003000

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-

nen und Kollegen! Mittlerweile sind eine Stunde und
17 Minuten vergangen, und wir haben sehr viel zum
Kinderförderungsgesetz gehört. Aber ich hätte bei der
ganzen Kritik der Opposition gern auch einmal ein Dan-
keschön gehört. Denn was wir hier auf den Weg gebracht
haben, ist wirklich gut für die Familien in Deutschland,
vor allem für diejenigen, die noch die Gründung einer
Familie planen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen richte ich meinen ausdrücklichen Dank an
Sie, Frau Ministerin; denn Sie hatten es nicht immer ein-
fach. Aber Sie sind durchsetzungsstark, und Sie haben
extrem viel für die Familien erreicht, sei es durch das El-
terngeld oder jetzt durch das KiföG. Ich glaube, viele Fa-
milien in Deutschland können durchatmen; denn Sie ha-
ben etwas geschafft, was es vorher nicht gab: Wir haben
jetzt Wahlfreiheit.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Jetzt schlage ich einmal kurz einen Bogen. 1995 war
für mich ein einschneidendes Jahr. Damals habe ich
meine eigenen Erfahrungen dabei gemacht, was es heißt,
Mutterschaft, Kind, Betreuungsplatz und Arbeit mitei-
nander zu kombinieren. Es war schlicht unmöglich. Über
Monate habe ich versucht, einen Betreuungsplatz zu be-
kommen – ich habe keinen bekommen. Daraufhin habe
ich mir gesagt: Wenn du etwas ändern willst, gibt es nur
einen Weg – du musst in die Politik, du musst die Rah-
menbedingungen ändern.


(Christel Humme [SPD]: Ach, Sie waren das!)


Trotzdem musste ich noch lange warten. Frau von der
Leyen, Sie hätten früher kommen müssen; dann wäre es
einfacher gewesen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Liebe Kollegin Humme, Sie wissen ja, woher ich
komme, nämlich aus Nordrhein-Westfalen.


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist da auch Wahl?)


In Nordrhein-Westfalen gab es 1995 so gut wie über-
haupt kein Betreuungsangebot. Zehn Jahre später gab es
dort 11 000 Plätze für unter Dreijährige. Nun, nachdem
wir seit 2005 die Regierung stellen, gibt es 44 600 Be-
treuungsplätze. Das ist eine Vervierfachung. Den Fami-
lien in NRW geht es jetzt besser.


(Beifall bei der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Dank unserer Gelder!)


Es hat sich also gelohnt. Viele Mütter werden das Pro-
blem, das ich damals hatte, jetzt nicht mehr haben. Wir
haben ein vielfältiges Angebot geschaffen. Es ist ein rie-
siger Schritt für die Familien.

Liebe Marlene, noch ein kleiner Hinweis: Die Bun-
desländer können das Geld nicht einfach einstecken.


(Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Das habe ich auch nicht gesagt!)


– Du hat aber eben den Eindruck vermittelt. – Sie müs-
sen Rechenschaft ablegen.


(Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Sie müssen es zuerst einmal abfordern!)


– Richtig, die Bundesländer müssen das Geld zuerst ab-
fordern und dann Rechenschaft ablegen. Das werden sie
auch tun.


(Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Und wir kontrollieren das!)


Wir sollten uns noch einige Punkte anschauen, die wir
nicht unterschätzen sollten. Was erreichen wir mit dem
KiföG sonst noch? Wir schaffen Freiheit durch Viel-
falt. Wir bekämpfen Kinderarmut. Wir schaffen Bil-
dungschancen. Mit diesem Gesetz werden des Weiteren






(A) (C)



(B) (D)


Michaela Noll
über die Schutzklausel in § 72 a des Achten Buches So-
zialgesetzbuch – das erfreut insbesondere diejenigen, die
in der Kinderkommission mitarbeiten – Kinder vor sexu-
ellem Missbrauch geschützt.

Was meine ich mit Freiheit durch Vielfalt? Viele El-
tern wollen einen Spielraum haben. Sie wollen selber
entscheiden, wie sie ihre Kinder optimal betreuen lassen
können. Das gilt auch im Hinblick auf die Öffnungszei-
ten. Gerade das von uns zu beschließende KiföG trägt
dem Rechnung. Es gibt Tageseinrichtungen, die Kinder-
tagespflege und die Großtagespflege. Den Bedenkenträ-
gern, die sagen, das sorge nicht für Qualität, sage ich:
Weit gefehlt! Wir haben ausdrücklich hineingeschrieben:
mit pädagogisch ausgebildetem Personal. Das ist Frei-
heit durch Vielfalt. Das hilft den Eltern.


(Beifall bei der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Wir haben euch dazu gezwungen!)


Ich komme zu einem weiteren Punkt. Wir sprechen
relativ viel über Kinderarmut. Kinderarmut hat wirk-
lich viele Gesichter. Es gibt die materielle, die soziale,
die emotionale und die kulturelle Armut. Bevor irgend-
welche Einwände von der linken Seite kommen: Das Ri-
siko der materiellen Armut in Deutschland liegt weiter
unter dem EU-Durchschnitt. Mir geht es vor allem da-
rum, die Lebenssituation der Kinder zu verbessern. Die
beste Option dafür ist die Erwerbstätigkeit beider Eltern-
teile. Auch dafür haben wir Grundlagen geschaffen.
1,6 Millionen Arbeitsplätze mehr bieten Eltern die
Chance, über ausreichende finanzielle Ressourcen zu
verfügen.

Ich möchte aber auch zwei Risikogruppen anspre-
chen. Das ist zum einen die Gruppe der Alleinerziehen-
den; diese wurde schon angesprochen. Das sind immer-
hin fast 42 Prozent. Das ist zum anderen die Gruppe der
Kinder in Familien mit Migrationshintergrund. Wie kön-
nen wir ihnen helfen? Es gibt nur eines: Wir brauchen ei-
nen Mix aus Geldleistung und Infrastruktur. Wir in
Deutschland sind gut aufgestellt, was die Geldleistungen
angeht. Wir haben das Kindergeld, den Kinderzuschlag,
das Wohngeld und das Elterngeld. All diese Faktoren
senken die Einkommensarmut von Familien.

Was können wir aber insbesondere für die Allein-
erziehenden noch auf den Weg bringen? Ich schildere
einmal die typische Situation einer Alleinerziehenden:
Sie kommt zu einem Vorstellungsgespräch. Sie hat her-
vorragende Zeugnisse und wirkt kompetent. Aber spä-
testens nach zehn Minuten kommt die klassische Frage:
Haben Sie Kinder? Dann sagt sie: Ja, ich habe einen
zweijährigen Sohn. Dann kommt die nächste Frage: Wie
ist die Betreuung geregelt? Wenn sie dann nicht klipp
und klar sagen kann: „Ich habe einen Betreuungsplatz“,
dann passiert Folgendes: Sie bekommt ein freundliches
Absageschreiben, oder ihre Bewerbung landet in Ablage
P, also im Papierkorb. Mit dem Ausbau der Kinderbe-
treuung, wie wir ihn auf den Weg gebracht haben, geben
wir solchen Frauen die Chance, einer Erwerbstätigkeit
nachzugehen. Damit haben auch ihre Kinder bessere
Chancen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Vor wenigen Tagen war in den Zeitungen eine trau-
rige Nachricht zu lesen. In einer Schuluntersuchung
wurde festgestellt, dass sehr viele Kinder nicht den al-
tersgerechten Entwicklungsstand haben. Sie waren mo-
torisch nicht in der Lage, ein Kreuz zu machen. Sie
konnten keinen Tisch zeichnen. Vier Kinder hatten keine
Deutschkenntnisse, acht nur mangelhafte; das ist genau
der Punkt, den Sie angesprochen haben, Frau Laurischk.
Diese Kinder stammen also aus einem, wie wir es nen-
nen, anregungsarmen Elternhaus. Die Kinder kannten
von zu Hause auch keine Stifte und Bücher, geschweige
denn eine Spielkultur. Ich glaube, dass wir diesen Kin-
dern mit dem KiföG Bildungschancen eröffnen. Früh-
kindliche Bildung beginnt nicht erst in der Schule, son-
dern weit vorher. Alle Forschungsergebnisse zeigen das.
Ich bin zwar für die Vererbbarkeit von Eigentum, aber
nicht für die Vererbbarkeit von Chancen. Gerade durch
den Besuch einer Kita, insbesondere einer guten – Kitas
sind ideale Lernorte –, erhalten diese Kinder eine
Chance. Der Kitabesuch macht Kinder schlauer.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Frau Humme, auch hier sind die Bundesländer, vor al-
lem NRW, auf einem guten Weg. In NRW erhalten Ein-
richtungen, die in sozialen Brennpunkten liegen, eine zu-
sätzliche Förderung für Kinder in Höhe von 15 000 Euro
pro Jahr. NRW hat für Vierjährige Sprachtests einge-
führt. Wenn Defizite festgestellt werden, können wir
wichtige Weichen für die Kinder stellen. Das schafft Bil-
dungschancen für alle.

Ich glaube, heute können viele Eltern aufatmen. Müt-
ter, Väter und Kinder sind die Gewinner des KiföG. Es
ist ein Meilenstein auf dem Weg einer Politik zugunsten
von Familien.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618003100

Das Wort hat nun Caren Marks für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1618003200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Nach Elterngeld und
Kinderzuschlag beschließen wir heute mit dem Kinder-
förderungsgesetz ein weiteres sozialdemokratisches Pro-
jekt,


(Zurufe von der CDU/CSU)


den Ausbau von Einrichtungen zur frühkindlichen Bil-
dung und Betreuung. Ich freue mich darüber, dass unser
Koalitionspartner trotz anfänglicher Widerstände unse-
ren roten Faden in der Familienpolitik aufgenommen
hat. Herzlichen Dank und herzlichen Glückwunsch zu
dieser Erkenntnis!


(Beifall bei der SPD – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Wir haben einen schwarzen Faden! – Jan Mücke [FDP]: Der Wahlkampf ist eröffnet!)







(A) (C)



(B) (D)


Caren Marks
Damit nehmen wir unsere gesellschaftspolitische Verant-
wortung wahr. Wir sorgen gemeinsam für die frühe För-
derung der Kinder, für bessere Bildungschancen und
eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es ist
ein gemeinsamer Erfolg der Großen Koalition, dass das
wichtige Thema Bildung und Betreuung mittlerweile
überall angekommen ist, auch durch die finanzielle Be-
teiligung des Bundes. In diesem Zusammenhang möchte
ich mich ausdrücklich bei unserem Finanzminister Peer
Steinbrück bedanken.

Diese Debatte und die Anträge der Opposition ma-
chen deutlich: Alle Fraktionen unterstützen mittlerweile
generell die große Linie beim Betreuungsausbau. Des-
halb ist es für mich ein Rätsel, warum Sie, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen von der Opposition, dem Gesetz-
entwurf im Fachausschuss nicht zugestimmt haben. Die
unverbindliche – ich betone: unverbindliche – Absichts-
erklärung für ein Betreuungsgeld ist aus meiner Sicht
kein ausreichender Grund.


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!)


Oder geht Ihnen der Gesetzentwurf nicht weit genug?

Mit dem Rechtsanspruch ab 2013 haben wir die Ziel-
marke für den Betreuungsausbau definitiv und verbind-
lich festgelegt. Darauf können sich Kinder und Eltern
wirklich verlassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Opposition, es ist wirklich leicht, hier und heute ei-
nen noch umfangreicheren und noch schnelleren Ausbau
zu fordern. Na klar, wer möchte das nicht? Aber meinen
Sie nicht auch, dass wir, realistisch betrachtet, die Län-
der und Kommunen bei diesem ehrgeizigen Projekt mit-
nehmen und ihnen die Möglichkeiten zu diesem Ausbau
geben müssen? Aufbauend auf dem Kinderförderungs-
gesetz wollen wir zusammen mit den Ländern in einem
nächsten Schritt für einen weiteren Qualitätsschub in der
frühkindlichen Bildung sorgen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618003300

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Deligöz?


Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1618003400

Gerne.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618003500

Frau Marks, Ihre Worte höre ich wohl, allein mir fehlt

der Glaube. Stimmen Sie mir zu, dass im Gesetz das ste-
hen wird, was ich Ihnen jetzt vorlese?

Ab 2013 soll für diejenigen Eltern, die ihre Kinder
im Alter von einem bis drei Jahren nicht in Tages-
einrichtungen betreuen lassen wollen oder können,

(zum Beispiel Betreuungsgeld)



Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1618003600

Frau Deligöz, der 18. Deutsche Bundestag wird über

das Betreuungsgeld entscheiden. Diese Entscheidung
wird nicht eher und nicht später fallen. Die SPD wird in
Regierungsverantwortung das Projekt Betreuungsgeld
verhindern.


(Beifall bei der SPD – Markus Grübel [CDU/ CSU]: Mit 19 Prozent! Als kleinerer Koalitionspartner! – Krista Sager [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sind Sie dann immer noch mit denen in der Regierung?)


– Ich denke, dann sind wir wieder mit Ihnen gemeinsam
in der Regierung. Daran arbeiten wir. Das ist doch ein
schönes Ziel.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Können wir Sie beim Wort nehmen? Wenn es anders ausgeht, dann verzichten Sie?)


– Ich habe gesagt, das ist ein schönes Ziel.

Aufbauend auf diesem wichtigen Gesetz wollen wir
für einen Qualitätsschub in der frühkindlichen Bildung
sorgen. Das können wir nur gemeinsam mit den Ländern
erreichen; denn diese sind mit den sogenannten Landes-
kitagesetzen letztlich dafür zuständig. Aber auch wir
werden initiativ.

Wir wollen qualifizierte und auch akademische Aus-
und Weiterbildung für Erzieherinnen und Erzieher. Wir
wollen gemeinsame Bildungsstandards. Wir wollen ins-
besondere den Spracherwerb aller Kinder verbessern;
denn nicht nur Kinder mit Migrationshintergrund haben
sprachliche Defizite. Wir wollen für Tagesmütter und
Tagesväter verbindliche Qualifizierungsprogramme.
Auch sind uns eine bessere Entlohnung und soziale Ab-
sicherung in der Tagespflege wichtig. Gerade Frauen,
die verstärkt in der Tagespflege arbeiten, brauchen hier
unsere politische Unterstützung. Vor allem brauchen wir
einen besseren Betreuungsschlüssel; denn nur ein sol-
cher erlaubt es, jedes Kind wirklich individuell zu för-
dern und Startschwierigkeiten auszugleichen.

Viele der Initiativen, die ich genannt habe, habe ich
zu meiner Freude im Entschließungsantrag der FDP wie-
dergefunden. Auch in der Ablehnung des Betreuungsgel-
des sind wir uns einig. Aber für ein Koalitionsangebot
reicht das noch nicht; denn die Privatisierungs- und
Wettbewerbsorientierung, die Sie gern auch in der
Kinderbetreuung einführen wollen, steht einer stabilen
Beziehung definitiv im Wege.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Sibylle Laurischk [FDP]: Dann müssen Sie sich noch bewegen, Frau Marks!)


Erleben wir nicht gerade auf den Finanzmärkten, wel-
che Risiken ein unkontrollierter Wettbewerb birgt? In
Australien stand vor kurzem der größte private Anbieter
von Kinderbetreuung vor der Pleite. Können Sie sich
vorstellen, was der Wegfall von Tausenden Betreuungs-
plätzen für Kinder und Eltern bedeutet hätte?

Frau von der Leyen, da waren Sie wirklich auf dem
Holzweg. Mit der von Ihnen ursprünglich geplanten
zwingenden Gleichstellung privat-gewerblicher, gewinn-
orientierter Träger mit gemeinnützigen Trägern hätten
wir die Kinderbetreuung den freien Kräften des Marktes
überlassen.






(A) (C)



(B) (D)


Caren Marks

(Zuruf von der FDP: Noch haben wir eine soziale Marktwirtschaft!)


Schlechtere Qualität, soziale Entmischung und größere
Ungleichheit in der Bildung wären vorprogrammiert ge-
wesen; frühe Förderung und Integration, besonders von
benachteiligten Kindern, wären erschwert worden. Es ist
ein sozialdemokratischer Erfolg, dass wir die stärkere
Privatisierung der Kinderbetreuung verhindert haben.
Wir wollen Bildungschancen für alle Kinder, unabhän-
gig vom Geldbeutel ihrer Eltern.


(Beifall bei der SPD)


Mit dem heute zu beschließenden KiföG wird klar:
Der Bund steht zu seinen Zusagen. Nun sind die Länder
in der Pflicht, die von ihnen zugesagte Drittelfinanzie-
rung einzuhalten. Dabei sollten sie sich allerdings kein
Beispiel an dem niedersächsischen Ministerpräsidenten
Wulff nehmen. Als Niedersächsin erlebe ich vor Ort, wie
er versucht, die Verantwortung des Landes auf den Bund
und die Kommunen abzuschieben. Weniger Landesmit-
tel – im Klartext: in Niedersachsen nur 5 Prozent –, das
heißt: weniger Plätze für unter Dreijährige – und das in
einem Bundesland, das schon heute Schlusslicht beim
Betreuungsangebot ist.

Eltern und Kinder brauchen in ganz Deutschland ein
verlässliches und gutes Kita-Angebot. Mit dem Rechts-
anspruch ab einem Jahr und der dauerhaften Beteiligung
des Bundes leisten wir einen wichtigen Beitrag zu einem
familienfreundlicheren und vor allem zu einem wirklich
kindergerechten Deutschland.


(Beifall bei der SPD)


Ich möchte mit einem Zitat von Nelson Mandela
schließen:

Eine Gesellschaft offenbart sich nirgendwo deutli-
cher als in der Art und Weise, wie sie mit ihren Kin-
dern umgeht.

Unser Erfolg muss am Glück und Wohlergeben un-
serer Kinder gemessen werden, die in einer jeden
Gesellschaft zugleich die wunderbarsten Bürger
und deren größter Reichtum sind.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618003700

Das Wort hat nun Johannes Singhammer, CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1618003800

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Heute ist ein guter Tag für die Familien in Deutsch-
land. Die Opposition sagt, es sei ein butterweiches Ge-
setz, das wir heute verabschieden werden.


(Miriam Gruß [FDP]: So ist es!)


Ich darf die knallharten Zahlen nennen:

(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Damit Frau Gruß das auch mal lernt!)


750 000 Plätze werden bis 2013 geschaffen.


(Miriam Gruß [FDP]: Das ist in Bayern auch notwendig!)


12 Milliarden Euro Steuergelder werden auf den unter-
schiedlichen Ebenen bewegt. Bereits jetzt werden jeden
Monat mehrere Tausend neue Plätze geschaffen.

Heute schließen wir ein Leuchtturmprojekt für die Fa-
milien mit Kindern ab: nach dem Elterngeld jetzt das
zweite große Vorhaben, das Kinderförderungsgesetz, mit
den klaren Zielsetzungen: Verdreifachung des Angebots,
Rechtsanspruch und Betreuungsgeld.

Nun ist über das Betreuungsgeld an dieser Stelle jetzt
schon vieles gesagt worden. Frau Gruß, das Betreu-
ungsgeld ist weder ein Osterei noch ein Überra-
schungsei.


(Miriam Gruß [FDP]: Das ist doch lächerlich!)


Es steht im Gesetzentwurf, und genau so wird es auch
kommen. Sie brauchen sich darüber keine Gedanken zu
machen.


(Beifall der Abg. Maria Eichhorn [CDU/ CSU])


Ein Gesetz ist ein Gesetz, und deshalb beschließen wir
es heute auch.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618003900

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Gruß?


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1618004000

Aber gerne.


Miriam Gruß (FDP):
Rede ID: ID1618004100

Vielen Dank. – Welche Überraschungseier wir am

Sonntag erleben dürfen – insbesondere Ihre Partei –, das
lasse ich an dieser Stelle dahingestellt sein. Aber, Herr
Singhammer, ganz ernsthaft: Würden Sie mir zustim-
men, dass Ihre Fraktion und auch Sie den Familien im
letzten Jahr durch 19 Maßnahmen, die die Steuern und
Abgaben erhöht haben, das Geld erst einmal aus der Ta-
sche gezogen haben, das Sie nun mit Wahlkampfgetöse
als Betreuungsgeld in Höhe von 150 Euro zurückgeben
wollen? Summa summarum bleibt trotzdem weniger in
den Taschen der Familien, weil wegen der Maßnahmen,
die auch Sie beschlossen haben, eine durchschnittliche
vierköpfige Familie in diesem Jahr 1 600 Euro mehr aus-
geben muss.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1618004200

Frau Kollegin Gruß, halten Sie es wirklich für fami-

lienfeindlich, wie Sie hier sagen, dass wir als Große Ko-
alition beschlossen haben, den Absetzungsbetrag für
Kinderbetreuung auf 4 000 Euro zu erhöhen, dass wir
das Elterngeld mit Zahlungen von bis zu 1 800 Euro und
einem Mindestbetrag von 300 Euro eingeführt haben,






(A) (C)



(B) (D)


Johannes Singhammer

(Jan Mücke [FDP]: Linke Tasche, rechte Tasche! Links herausnehmen, rechts reinstecken!)


dass wir den Kinderzuschlag erhöht haben und dass wir
eine Vielzahl weiterer Leistungen beschlossen haben?
Angesichts dessen können Sie hier doch nicht sagen, die
Familienleistungen seien zurückgefahren worden. Das
Gegenteil ist richtig: Wir haben sie ausgebaut.


(Beifall bei der CDU/CSU – Miriam Gruß [FDP]: Ich rede nicht von den Familienleistungen!)


Da Sie gerade dort stehen, frage ich Sie: Wie verhält
es sich mit Ihrem Verständnis von Liberalität, wenn Sie
so vehement gegen das Betreuungsgeld – es scheint für
Sie ja geradezu Teufelszeug zu sein – zu Felde ziehen?


(Miriam Gruß [FDP]: Das hatte die Ministerin selber gesagt!)


Ist es liberal, frage ich Sie. Sie können jetzt leider nicht
antworten,


(Lachen bei der SPD)


aber vielleicht in einer Kurzintervention darauf reagie-
ren. Ist es liberal, wenn man die Kindererziehung, die zu
Hause erfolgt, unter den Verdacht stellt, sie könne un-
möglich gelingen, die Kinder seien also generell gefähr-
det?


(Miriam Gruß [FDP]: Das hat von uns niemand gesagt!)


Ist es liberal, wenn Sie den Eindruck erwecken, als sei
eine Kindererziehung zu Hause durch Vater und Mutter
verzopft, also etwas, was man überhaupt nicht mehr zu-
lassen könne? Ich frage Sie auch: Ist es liberal, wenn
man die Leistung einer Familienmanagerin abwertet?


(Caren Marks [SPD]: Mit 150 Euro im Monat?)


Betreuungsgeld hat sehr viel mit den heute schon zu
Recht erwähnten Begriffen der Wahlfreiheit und des
Kindeswohls zu tun. Wahlfreiheit heißt, dass sich die El-
tern das Lebensmodell aussuchen können, das für sie das
richtige ist,


(Beifall bei der CDU/CSU)


dass wir es ihnen nicht vorschreiben und auch nicht
durch staatliche Subventionen einen bestimmten Weg
nahelegen. Das verstehen wir unter Wahlfreiheit.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir wollen, dass die Unterschiedlichkeit der Lebens-
modelle auch tatsächlich ökonomisch möglich ist. Des-
halb brauchen wir das Betreuungsgeld als einen kleinen
Ausgleich für die große Leistung, die die Familien in der
Kindererziehung erbringen.


(Beifall des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU])


Im Übrigen wollen 70 Prozent der Familien in Deutsch-
land das Betreuungsgeld. Hier den Eindruck zu erwe-
cken, als würde von uns etwas aufgedrängt, was nie-
mand haben wolle, ist völlig falsch. Gerade die Familien
mit Kindern warten auf diese Möglichkeit, um damit ihr
Leben besser gestalten zu können.


(Miriam Gruß [FDP]: Weil Sie ihnen das Geld vorher weggenommen haben! – Caren Marks [SPD]: Sie wollen Betreuung!)


– Sie brauchen Betreuung, aber auch die Möglichkeit,
ihre Kinder zu Hause zu betreuen. Das, was Sie mit die-
ser Diskussion beginnen, ist ein Rückfall in alte Stereo-
typen. Wir haben diese Diskussion überwunden; dies gilt
auch für all diese unseligen Ausdrücke wie Heimchen
am Herd, Herdprämie und Rabenmutter. Wir sagen: Je-
der soll selbst entscheiden, wie er leben möchte. Wir
wollen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ver-
bessern. Deshalb brauchen wir die Betreuungsplätze.
Wir wollen denjenigen, die es jetzt aus bestimmten
Gründen nicht können oder wollen, auch die Möglich-
keit eröffnen, ihre Kinder zu Hause zu betreuen. Das ist
Wahlfreiheit. Diese setzen wir um.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich auch noch einmal auf die Haltung der Linken ein-
gehen. Sie von der Linken erwecken hier immer den
Eindruck, als seien noch höhere Ausgaben nötig.
12 Milliarden Euro seien noch zu wenig. Man müsse
noch etwas drauflegen. Genaue Summen werden aber
nicht genannt, und Sie verschweigen auch, woher das
Geld kommen soll. Aber letztendlich – darauf kommt es
mir an – verfolgen Sie ein ganz anderes Familienbild.
Nach Ihrem Familienbild wird den Familien und den El-
tern letztendlich das Erziehungsrecht abgesprochen.


(Widerspruch bei der LINKEN)


Sie setzen auf einen großen Anteil staatlicher Erziehung.
Sie trauen den Eltern kaum etwas zu.


(Zuruf der Abg. Diana Golze [DIE LINKE])


Sie sind der Meinung, dass die Kinder besser in Erzie-
hungseinrichtungen aufgehoben sind.


(Zurufe von der LINKEN)


An dieser Stelle sage ich ganz klar: Das wollen wir
nicht. Wir vertrauen den Eltern und wissen, dass es dem
Kindeswohl am Besten entspricht, wenn die Eltern selbst
entscheiden können,


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: So ein Quatsch! – Weitere Zurufe von der LINKEN)


wie sie die Erziehung regeln und wie sie das Familienle-
ben organisieren.


(Zurufe von der LINKEN)


Dagegen sichert unser Gesetzesvorschlag, den wir
heute beschließen werden, nicht nur die Wahlfreiheit,
sondern garantiert auch das Kindeswohl.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Christel Humme [SPD])







(A) (C)



(B) (D)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618004300

Zur letzten Rede in dieser Debatte erteile ich Kollegin

Kerstin Griese, SPD-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Kerstin Griese (SPD):
Rede ID: ID1618004400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um

wieder etwas Gelassenheit in die Debatte zu bringen,
lassen Sie mich sagen: Auch beim Thema Betreuungs-
geld gilt die Wahlfreiheit. Darüber werden die Wählerin-
nen und Wähler entscheiden, und zwar 2012/2013. Ich
bin mir sicher, dass dann niemand mehr das Betreuungs-
geld will.


(Beifall der Abg. Elke Ferner [SPD])


Ich kann nur Frau von der Leyen zitieren: Die Einfüh-
rung eines Betreuungsgeldes wäre eine bildungspoliti-
sche Katastrophe.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Liebe Kolleginnen und Kollegen besonders von den
Grünen und von der Linksfraktion, Sie haben kritisiert,
im Gesetzentwurf sei keine Rede von der Qualität der
Kinderbetreuung. Ich will Ihnen da ganz entschieden
widersprechen. In der Tat haben wir in den letzten Jah-
ren – das war nötig; das war auch gut so – viel für die
Quantität der Kinderbetreuung getan. Es geht uns aber
immer auch um die Qualität. Wir haben zum Beispiel
eindeutig festgelegt, dass parallel zum Ausbau der Kin-
dertagespflege – an dieser Stelle ist das ganz besonders
wichtig – auch eine pädagogische Ausbildung von Ta-
gesmüttern, Tagesvätern und Tagesgroßeltern zur Pflicht
gemacht wird, damit auch die Betreuung durch diesen
Personenkreis immer mit einer pädagogischen Qualifi-
kation verbunden ist. Auch das ist ein Schritt vorwärts.
Das war bisher nicht einheitlich festgelegt.

Meine Damen und Herren besonders von der FDP,
nun zum Thema privat-gewerbliche Kinderbetreuung.
Ich will unsere Auffassung einfach noch einmal erklä-
ren. Wir von der SPD – ich glaube, da spreche ich auch
für den Koalitionspartner – haben überhaupt nichts ge-
gen private Elterninitiativen und gegen Betriebskinder-
gärten. Diese sind übrigens auch alle gemeinnützig. Das
sollte man einmal zur Kenntnis nehmen und nicht immer
durcheinanderwerfen. Es ist gut, dass es diese Vielfalt,
diese breite Landschaft der privaten Träger, in Form von
kirchlichen Trägern und Wohlfahrtsverbänden, gibt. Wir
haben also überhaupt nichts gegen private Kinderbetreu-
ung. Wir haben nur etwas dagegen, wenn Kinderbetreu-
ung aus rein kommerziellen Gründen von Unternehmen
betrieben wird, die ausschließlich Gewinn erzielen wol-
len.


(Jan Mücke [FDP]: Warum?)


Das heißt, Privatinitiativen sind willkommen und kön-
nen entsprechend gefördert werden, wenn sie Qualitäts-
standards und rechtlichen Standards genügen. Darum
geht es also eigentlich.


(Beifall bei der SPD – Jan Mücke [FDP]: Was ist dann Ihr Gegenargument?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir verabschieden
hier heute neben dem Gesetz zum Elterngeld einen wei-
teren großen Meilenstein der Familienpolitik in dieser
Wahlperiode. Zentrale Ziele unserer Politik sind erstens,
Kinder besser und früher zu fördern – das ist heute schon
deutlich geworden –, zweitens, die Vereinbarkeit von Fa-
milie und Beruf zu verbessern, und drittens – das ist mir
ganz wichtig – Armutsprävention bei Kindern und El-
tern. Der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden,
wirkt sehr zielgenau, insbesondere bei der Armutsprä-
vention, weil allen Kindern gute und gleiche Chancen
auf frühkindliche Bildung und Erziehungshilfe gegeben
werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein solcher Erfolg hat ja immer viele Mütter und Vä-
ter. Ich möchte in diesem Fall einmal drei Mütter und ei-
nen Vater nennen, bei denen wir uns ganz herzlich
bedanken möchten. Im Zuge des Kinderförderungsgeset-
zes, das wir heute verabschieden, werden ja 4 Milliarden
Euro in den Ausbau der Kinderbetreuung investiert. Je-
der, der sagt, das sei zu wenig, sollte bei der Debatte ein-
mal ernsthaft die heutigen Zustände mit den Zuständen
von vor zehn oder acht Jahren in Deutschland verglei-
chen. Wir sind riesige Schritte gegangen. Dass heute der
Bundesfinanzminister bereit ist, 4 Milliarden Euro für
den Ausbau bereitzustellen, ist ein großes Dankeschön
wert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Markus Grübel [CDU/CSU]: Frau Kollegin, das Budgetrecht geht vom Parlament aus!)


Ich möchte mich natürlich bei den Müttern dieses
Gesetzentwurfs bedanken. Ich möchte gerne mit Renate
Schmidt beginnen, die mit dem Tagesbetreuungsausbau-
gesetz die ersten Weichen gestellt hat, damit wir in
Deutschland vorankommen.


(Beifall bei der SPD)


Ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen, Frau Minis-
terin von der Leyen, dafür bedanken, dass Sie diesen Ge-
setzentwurf mit uns durchgekämpft haben und dass wir
nun einen weiteren Meilenstein setzen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Und ich möchte mich bei der Kollegin Nicolette
Kressl bedanken, die – das muss man auch mal sagen –
die gute Idee hatte, den Ausbau und die Finanzierung der
Kinderbetreuung mit dem Rechtsanspruch zu koppeln.
Das war eine kluge Lösung, die uns voranbringt. Denn
nun kann das Geld, das wir als Bund geben, in den Län-
dern und Kommunen tatsächlich mit Einführung des
Rechtsanspruchs zum Ausbau der Kinderbetreuung ein-
gesetzt werden. Einen herzlichen Dank also diesen Müt-
tern und Vätern!


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Als letzte Rednerin in dieser Debatte möchte ich noch
einen Schritt weiter gehen. Es ist mir nämlich als Sozial-






(A) (C)



(B) (D)


Kerstin Griese
demokratin wichtig – ich hoffe, dass es allen in diesem
Hause wichtig ist –, dass wir uns noch intensiver mit
dem Thema Armutsrisiko von Kindern beschäftigen
und diese Problematik noch stärker angehen. Vieles, was
in dem Gesetzentwurf steht, hilft dabei. Es hilft dabei,
dass vor Ort Eltern-Kind-Zentren entstehen können und
eine bessere Qualität in der frühkindlichen Bildung ent-
stehen kann. Wir brauchen auf der kommunalen Ebene
noch mehr Netzwerke für das gesunde Aufwachsen von
Kindern, und – das sage ich auch ganz deutlich – wir
wollen darüber nachdenken, wie man ein gesundes Mit-
tagessen in den Kindertagesstätten und in den Ganztags-
schulen ermöglichen kann.


(Beifall bei der SPD)


Wir wollen – und deshalb ist auch die Debatte um die
Qualität in der Kinderbetreuung richtig und gut – Eltern in
Eltern-Kind-Zentren, in Familienzentren und in Mehrge-
nerationenhäusern stärker einbinden. Denn die Kompe-
tenz der Eltern ist gefragt. Es reicht nicht mehr aus – das
sage ich auch in Richtung einiger Debattenredner –, Er-
ziehung durch Eltern und Erziehung durch Kindertages-
stätten gegeneinander auszuspielen. Das bringt gar nichts.
Vielmehr müssen diese Elemente immer zusammenwir-
ken, und deshalb ist die vernetzte Arbeit in Eltern-Kind-
Zentren sehr wichtig.


(Beifall bei der SPD)


An die Adresse der Länder sage ich allerdings ganz
eindeutig: Der Bund wird nicht alles machen können. Es
geht darum, auch über die Betreuungsschlüssel die Be-
treuungsqualität zu verbessern. Wir als SPD haben in un-
serem Zehnpunkteplan gegen Kinderarmut sehr mutig
gesagt: Ein qualitativ guter Betreuungsschlüssel ist 1 : 4
bei Kindern unter drei und 1 : 8 bei Kindern über drei.
Diesen gilt es dann auch umzusetzen. Das ist der in der
Wissenschaft anerkannte Schlüssel, und auch darum
geht es, wenn die Betreuungsqualität verbessert werden
muss.


(Beifall bei der SPD)


Genauso geht es um Gebührenfreiheit. Ich bin froh,
dass viele Länder – Rheinland-Pfalz hat als erstes Land
damit begonnen – jetzt über die Gebührenfreiheit nicht
nur nachdenken, sondern Gebührenfreiheit für Kinder-
betreuung einführen. Denn für uns muss Bildung gebüh-
renfrei sein – von der Kinderkrippe bis zum Studium.
Schließlich hängen gleiche Bildungschancen damit zu-
sammen.

Ich sage auch: Wir sind im Bund mit dem, was wir
machen können, noch nicht fertig. Wir werden darüber
debattieren, dass uns jedes Kind gleich viel wert sein
muss. Wir werden über einen Kindergrundfreibetrag und
einen gerechten Familienlastenausgleich diskutieren, da-
mit tatsächlich alle Familien und alle Kinder gleicherma-
ßen davon profitieren können.

Ein weiterer Punkt, der uns hier im Bund zu Recht
weiter verfolgen wird und über den wir debattieren wer-
den, ist das Thema Kinderrechte ins Grundgesetz.
Auch dieses Thema gehört mit dazu, wenn wir heute
über ein Kinderförderungsgesetz sprechen. Auch diesen
Schritt können wir hier im Bundestag gemeinsam gehen.


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben zum Ent-
wurf dieses Kinderförderungsgesetzes eine sehr breite
Zustimmung bekommen. Wir haben eine Anhörung
durchgeführt, in der aus den Reihen der Wissenschaft
und der Verbände große Unterstützung für diesen Ge-
setzentwurf signalisiert wurde. Wir wissen aufgrund der
öffentlichen Meinung, dass viele auf dieses Gesetz ge-
wartet haben. Es gibt viele, die sagen: Endlich beginnt
der Weg zum Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreu-
ungsplatz ab dem ersten Geburtstag. Und vor allem er-
fahren wir von jungen Eltern und jungen Familien sehr
viel Zuspruch.

Ich denke, das sollte uns ein Zeichen sein. Lassen Sie
uns doch einfach alle gemeinsam für dieses Kinderförde-
rungsgesetz stimmen. Es ist ein guter Schritt für dieses
Land. Es ist ein guter Schritt für die Familien und insbe-
sondere für die Kinder. Deshalb bitte ich um Ihre Zu-
stimmung.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618004500

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ge-
setzentwurf zur Förderung von Kindern unter drei Jahren
in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege. Der
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/10357, den Gesetzentwurf der Fraktio-
nen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/9299 in
der Ausschussfassung anzunehmen.

Zur Abstimmung liegt mir eine Erklärung des Kolle-
gen Dörflinger vor.1)

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-
men der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die
Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in
der zweiten Lesung angenommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/10381? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschlie-

1) Anlage 2






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
ßungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses bei
Zustimmung der FDP-Fraktion abgelehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/10382? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag
ist mit den Stimmen der Fraktionen des Hauses gegen
die Stimmen der Linksfraktion abgelehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10383? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD
und FDP bei Zustimmung der Fraktion der Grünen und
Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt.

Wir setzen mit der Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend auf Drucksache 16/10357 fort.

Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be-
schlussempfehlung, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in
Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege auf
Drucksache 16/10173 für erledigt zu erklären. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe!
– Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstim-
mig angenommen.

Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend empfiehlt sodann unter Nr. 3 seiner Beschlussemp-
fehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7114 mit
dem Titel „Bildungspolitische Katastrophe verhindern –
Betreuungsgeld eine Absage erteilen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men von CDU/CSU und SPD bei Enthaltung der Frak-
tion der FDP gegen die Stimmen der Fraktion der
Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen.

Unter Nr. 4 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8406
mit dem Titel „Faire Chancen für private und privat-
gewerbliche Anbieter bei der Kinderbetreuung – ohne
weiteres Zögern Entwurf des Kinderförderungsgesetzes
vorlegen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die
Stimmen der FDP-Fraktion angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 5 sei-
ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/9305 mit dem
Titel „Öffentliche Kinderbetreuung ausbauen – Kom-
merzialisierung der Kinder- und Jugendhilfe vermei-
den“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke angenommen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 32 c. Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend auf Drucksache 16/6534. Der
Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussemp-
fehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
FDP auf Drucksache 16/5114 mit dem Titel „Sofortpro-
gramm für mehr Kinderbetreuung“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der FDP-Frak-
tion angenommen.

Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/5426 mit dem Titel „Verbindlichen Aus-
bau der Kindertagesbetreuung jetzt regeln – Verlässlichkeit
für Familie schaffen“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von
CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Frak-
tion der Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf
Drucksache 16/6817. Der Ausschuss empfiehlt unter
Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6597
mit dem Titel „Chancengerechtigkeit von Beginn an“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stim-
men der Fraktion der FDP angenommen.

Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/6601
mit dem Titel „Kinderbetreuungsausbau mit mehr Mit-
teln, Fachkräften und Qualität ausstatten – Rechtsan-
spruch auf Ganztagsbetreuung 2010 einführen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/6607
mit dem Titel „Angebot und Qualität der Kindertagesbe-
treuung schneller und verlässlicher ausbauen – Realisie-
rung nicht erst 2013“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion der
Grünen bei Enthaltung der Fraktionen der FDP und der
Linken angenommen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 33 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniel
Bahr (Münster), Heinz Lanfermann, Dr. Konrad
Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP

Gesundheitsfonds und staatliche Beitragssatz-
festsetzung in der gesetzlichen Krankenversi-
cherung nicht einführen

– Drucksache 16/9805 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Be-






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
vor ich die Aussprache eröffne, bitte ich diejenigen, die
an der kommenden Debatte nicht teilnehmen möchten,
möglichst schnell den Saal zu verlassen, damit wir in
Ruhe fortfahren können.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Daniel Bahr für die FDP-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Daniel Bahr (FDP):
Rede ID: ID1618004600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

Gesundheitsfonds sollte das Herzstück der schwarz-
roten Gesundheitsreform werden. Er sollte die Trans-
parenz verbessern, die Effizienz und den Wettbewerb im
Gesundheitswesen stärken. Das war die Begründung, die
Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, bei der
Beschlussfassung zum Gesundheitsfonds seinerzeit hier,
im Deutschen Bundestag, angeführt haben.

Bei der Vorbereitung auf diese Debatte fiel es mir
wirklich schwer, so lautende aktuelle Zitate von Koali-
tionsabgeordneten oder Spitzenvertretern der Koalition
zu finden. Es gibt niemanden mehr, der den Gesund-
heitsfonds und die Gesundheitsreform insgesamt wirk-
lich mit Nachdruck verteidigt. Selbst die Bundeskanzle-
rin hat letzte Woche in der Haushaltsdebatte – man hätte
ja erwarten können, dass sie die letzten großen Projekte
dieser Legislaturperiode anspricht – nicht ein Mal vom
Gesundheitsfonds gesprochen, diesen Begriff nicht ein-
mal in den Mund genommen. Das zeigt doch eines: Sie
verschweigen den Gesundheitsfonds mittlerweile, weil
Sie sich für Ihren verkorksten Kompromiss schämen.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Heute werden wir wieder hören, dass alles nach Plan
läuft, dass alles so gedacht war und gemacht wird, wie es
im Gesetz steht. Warum scheuen Sie eigentlich eine Ab-
stimmung? Keiner will den Gesundheitsfonds noch: Die
Krankenhäuser wollen ihn nicht; die Ärzte wollen ihn
nicht; die Krankenkassen wollen ihn nicht; die Gewerk-
schaften wollen ihn nicht; die Arbeitgeber wollen ihn
nicht; die große Mehrheit der Bevölkerung will den Ge-
sundheitsfonds nicht; die Grünen und die FDP wollen
ihn seit langem nicht; mittlerweile will auch die Fraktion
der Linken den Gesundheitsfonds nicht mehr.

Auch aus Ihren eigenen Reihen findet man zahlreiche
Stimmen dagegen. Der Bundeswirtschaftsminister
Michael Glos sagt, der Kompromiss zum Gesundheits-
fonds sei wirtschafts- und ordnungspolitisch einfach un-
brauchbar. Herr Beckstein, noch Ministerpräsident in
Bayern, sagt: Der Gesundheitsfonds war nie ein Kind
der CSU. Auch von der SPD hören wir solche Töne.
Frau Reimann, gesundheitspolitische Sprecherin der
SPD, sagt, der Fonds sei auch in ihrer Partei ein unge-
liebtes Kind.


(Elke Ferner [SPD]: Sie haben doch darauf bestanden!)


Und Herr Lauterbach von der SPD sagt, die Einführung
des Fonds sei nie ein Projekt der SPD gewesen. In der
CDU heißt es, der Fonds führe zu neuem Staatsdirigis-
mus und zu einem unerträglichen Verwaltungsmoloch.
Die CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung sagt: Wer den
Weg in die Staatsmedizin stoppen will, muss endgültig
auf den Fonds verzichten.


(Beifall bei der FDP)


Wir werden erleben, wie Sie beide, die Sie diesen
Kompromiss geschlossen haben, sich im nächsten Jahr
im Wahlkampf zur Bundestagswahl vom Gesundheits-
fonds und der Gesundheitsreform massiv distanzieren
werden. Sie werden so tun, als ob Sie das, was entstan-
den ist, nie haben bewirken wollen. Das heißt, Sie beide
werden einen Wahlkampf gegen das führen, was Sie ge-
meinsam hier beschlossen haben und gegen den breiten
Widerstand in der Bevölkerung wie auch gegen jeden
Sachverstand durchsetzen wollen.


(Beifall bei der FDP)


Der Gesundheitsfonds ebnet den Weg in ein staat-
liches und zentralistisches Gesundheitswesen. Die
Kombination aus einem Spitzenverband der Kranken-
kassen, dem Gesundheitsfonds, der staatlichen Beitrags-
satzfestsetzung und einem wachsenden Einfluss des Ge-
sundheitsministeriums auf das Gesundheitswesen zeigt,
dass Sie den Staatseinfluss auf das Gesundheitswesen
weiter ausbauen.

Man braucht nur in Länder zu schauen, die staatliche
Gesundheitswesen haben. Schauen Sie einmal nach
Großbritannien. Dort gibt es Mangelverwaltung, kras-
sere Unterschiede in einer Zweiklassenmedizin und sehr
lange Wartezeiten. Warum wollen die Briten nach
Deutschland kommen und im deutschen Gesundheitswe-
sen behandelt werden? Weil sie die Nachteile eines staat-
lichen Gesundheitswesens sehen. Deswegen löst der
Weg in ein staatliches Gesundheitswesen nicht die Pro-
bleme, vor denen wir stehen. Im Gegenteil: Das staat-
liche Gesundheitswesen wird die Probleme einer altern-
den Bevölkerung noch verschärfen. Deswegen ist der
Gesundheitsfonds, der ein Weg in dieses staatliche Ge-
sundheitswesen ist, fatal. Denn er löst die Probleme ei-
ner alternden Bevölkerung überhaupt nicht, sondern ver-
schärft sie.


(Beifall bei der FDP)


Wir sehen doch schon die Folgen. Die Krankenkassen
kündigen zahlreiche Versorgungsverträge, zum Beispiel
in der Sozialpsychiatrie. Ersatzkassen haben Onkologie-
verträge gekündigt. Die Barmer hat den Hausärztever-
trag gekündigt. Die DAK hat Auslandsschutzimpfungen
aus der Satzung gestrichen. Daran sehen wir, dass die
Krankenkassen größte Sorge haben, weil sie selbst dem-
nächst nicht mehr entscheiden dürfen, wie hoch ihre Bei-
träge sind


(Zuruf der Abg. Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU])


und wie viel Geld ihnen damit für die Versorgung zur
Verfügung steht. Denn das werden demnächst Sie ent-
scheiden. Demnächst wird die Regierung jedes Jahr ent-
scheiden, wie viel Geld dem Gesundheitswesen für das
nächste Jahr zur Verfügung steht. Damit gehen wir den






(A) (C)



(B) (D)


Daniel Bahr (Münster)

Weg in ein Gesundheitssystem nach Zuteilung und Kas-
senlage.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Auch das ist falsch! – Elke Ferner [SPD]: So ein Unsinn, Herr Bahr!)


Demos wie die, die wir gestern und in den letzten Tagen
erlebt haben, werden uns dann jedes Jahr bevorstehen.

Am Anfang der Legislaturperiode, als keine Land-
tagswahlen bevorstanden und die Bundestagswahl noch
weit weg war, haben Sie den Krankenhäusern Geld ge-
strichen. Sie haben die Mittel für die Krankenhäuser
gekürzt. Sie haben gesagt, dass die Krankenhäuser das
Geld nicht brauchen. Jetzt, da am kommenden Sonntag
in Bayern eine wichtige Landtagswahl


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Warum redet eigentlich kein Bayer? – Annette WidmannMauz [CDU/CSU]: Sie haben doch mitdemonstriert!)


und im nächsten Jahr die Bundestagswahl anstehen, ver-
sprechen Sie den Krankenhäusern plötzlich wieder mehr
Geld. Frau Schmidt, Ihnen nimmt niemand ab, dass Sie
sich jetzt für die Interessen der Krankenhäuser, der Pfle-
gerinnen und Pfleger und der Ärztinnen und Ärzte ein-
setzen wollen. Denn das haben Sie in den letzten sieben-
einhalb Jahren nie getan.


(Beifall bei der FDP)


Daran sieht man doch, dass es Ihnen nur darum geht,
sich jetzt bei den Ärztinnen und Ärzten und den Kran-
kenhäusern Ruhe zu erkaufen, um eine verfehlte und
verkorkste Gesundheitsreform umzusetzen. Strukturell
wollen Sie doch daran nichts verbessern.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Oh doch!)


Schauen wir uns einmal an, wie sich ein solcher Ge-
sundheitsfonds mit einem Einheitsbeitragssatz, den die
Regierung demnächst festsetzt, auswirken wird. Sie alle
haben mich im Januar, als wir davor gewarnt haben, dass
der Einheitsbeitragssatz bei 15,5 Prozent liegen könnte,
in der Debatte als unseriös beschimpft. Mir liegen die
Zitate noch vor. Heute rechnet selbst Herr Zöller nach ei-
ner Aussage von gestern in einem Radiointerview mit ei-
nem Beitragssatz von 15,6 Prozent.

Was bedeutet das denn, Herr Zöller, beispielsweise
für eine bayerische Stadt wie Ingolstadt? In Ingolstadt ist
Audi ein großer Arbeitgeber. Die Audi-BKK versichert
einen stattlichen Teil der Ingolstädter. Wenn wir einen
Einheitsbeitragssatz von 15,5 Prozent hätten, müssten
die Versicherten der Audi-BKK 5,4 Millionen Euro
mehr Beiträge zahlen. Die gleiche Summe müsste auch
von den Arbeitgebern, von der Audi AG, gezahlt wer-
den.


(Elke Ferner [SPD]: Unsinn!)


Das heißt, es wären 10,8 Millionen Euro Mehrauf-
wendungen. Wir wissen noch nicht, wie sich die einheit-
liche Vergütung der Ärzte auf Ingolstadt auswirken wird.
Dies hat wahrscheinlich einen Kaufkraftverlust zur
Folge; Sie ziehen damit Kaufkraft aus Ingolstadt ab.

Glauben Sie nicht, dass diese Riesenumverteilung,
die Sie jetzt über den Gesundheitsfonds organisieren,
keine regionalen Folgen hat! Schauen Sie sich an, wie es
sich vor Ort auswirken wird, dass Sie das Geld dort ab-
ziehen, weil Sie es in eine Geldumverteilungsbehörde
– genannt Gesundheitsfonds – stecken mit dem ver-
meintlichen Ziel, das Geld besser umzuverteilen! In
Wahrheit bleibt es in einem enormen Verwaltungsauf-
wand mit Bürokratiekosten stecken.


(Beifall bei der FDP – Annette WidmannMauz [CDU/CSU]: Wo denn? – Elke Ferner [SPD]: So ein Quatsch!)


Nun sagt die Union ja immer, dass es dann Wettbe-
werb zwischen den Krankenkassen geben wird.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Richtig!)


Die einen werden Auszahlungen vornehmen, die ande-
ren werden Zusatzbeiträge verlangen. Mitnichten! Die
Beitragsunterschiede der Krankenkassen werden gerin-
ger. Es gibt überhaupt keinen Anreiz für die Kranken-
kassen, einen Zusatzbeitrag zu verlangen. Die Höhe des
Zusatzbeitrags hängt von vielen Faktoren ab: Anzahl der
Mitversicherten, Anzahl der schlechten Risiken, Anzahl
der Geringverdiener. Sie brandmarken sogar Kranken-
kassen, die einen Zusatzbeitrag verlangen wollen.

Frau von der Leyen – sie hat übrigens heute erklärt,
sie stehe als nächste Gesundheitsministerin bereit; das
habe ich gelesen; Frau Schmidt, langsam müssen Sie
aufpassen, dass andere Sie nicht schon infrage stellen –
hat Krankenkassen beschimpft und gesagt: Wenn sie ei-
nen Zusatzbeitrag verlangen, dann macht das deutlich,
dass sie unwirtschaftlich sind. Meinen Sie, dass das für
Krankenkassen ein Anreiz ist, einen Zusatzbeitrag für
bessere Versorgung zu verlangen? Das, was Sie hier an-
gehen, ist der Weg in ein Einheitskassensystem mit Ein-
heitsbeiträgen und Einheitsleistungen. Die Unterschiede
zwischen den Krankenkassen werden immer geringer.
Sie werden sich noch wundern. Irgendwann wird sich
die Frage stellen: Wenn wir schon einen Gesundheits-
fonds haben, warum schafft man dann nicht gleich eine
Einheitskasse und unterstellt sie dem Gesundheitsminis-
terium?


(Beifall bei der FDP)


Wenn Sie von der CDU/CSU jetzt glauben, dass das
alles Oppositionsgetöse der FDP sei,


(Elke Ferner [SPD]: Ja! – Annette WidmannMauz [CDU/CSU]: Richtig!)


dann will ich Ihnen nur sagen: Das ist genau das, was
das Gesundheitsministerium von Frau Schmidt immer
wollte. Sie hat in einem Interview gesagt, dass sie in
dem Gesundheitsfonds einen großen Schritt in Richtung
einer Einheitsversicherung, genannt Bürgerversiche-
rung, sieht. Sie sagte in einem Interview wortwörtlich:
„Für eine Bürgerversicherung bräuchten wir nur eine
Gesetzesänderung“. Daran erkennen Sie, wie einfluss-






(A) (C)



(B) (D)


Daniel Bahr (Münster)

reich das Gesundheitsministerium in der Ausgestaltung
dieser Gesundheitsreform ist.

Meine Damen und Herren von der Koalition, ziehen
Sie daraus jetzt noch Konsequenzen. Es wäre besser, den
Fonds wieder einzustampfen. Es wäre das Mindeste, die
Einführung des Gesundheitsfonds vom 1. Januar 2009
auf das Jahr 2010 zu verschieben, damit hier keine Vor-
entscheidungen getroffen werden, die es schwermachen,
das Gesundheitswesen noch in eine andere Richtung
weiterzuentwickeln.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1618004700

Für die Bundesregierung hat nun Frau Staatsministe-

rin Hildegard Müller das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


H
Hildegard Müller (CDU):
Rede ID: ID1618004800


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-
gen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dies ist
heute meine letzte Rede im Deutschen Bundestag.


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Dann können Sie heute ehrlich sein!)


Ich darf sie zu einem Themenkomplex halten, der mich
bereits vor sechs Jahren, als ich mich in diesem Hohen
Haus erstmals aktiv beteiligen durfte, beschäftigt hat,
nämlich die Zukunft des Gesundheitswesens.

Meine Damen und Herren von der FDP, Stichwort
„die Wahrheit sagen“: Was ich in diesem Hause wirklich
gelernt habe, das ist, zu schwierigen Entscheidungen zu
stehen, auch wenn sie unbeliebt sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das müssen wir gerade im Gesundheitswesen tun. Ich
kann im Hinblick auf meinen Vorredner wirklich nicht
erkennen, ob Sie mehr oder weniger Geld ausgeben wol-
len. Das, was Sie hier gerade dargestellt haben, kann ei-
gentlich nicht Aufgabe der FDP sein. Ich hätte mir einen
ernsthafteren Umgang mit diesem Thema gewünscht.

Sowohl die Linksfraktion gestern als auch die FDP-
Fraktion heute präsentieren nämlich nur Schaufensteran-
träge. Es geht Ihnen doch nicht darum, die Probleme zu
lösen. Es geht Ihnen darum, vor der Bayernwahl einen
wie auch immer gearteten Blick auf diese Probleme zu
werfen und die bayerischen Wähler vor der Landtags-
wahl mit destruktiven Gedanken zu verunsichern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Konstruktiv ist dieser Beitrag hier nicht. Er hilft weder
den Patienten und Versicherten noch denjenigen, die im
Gesundheitssystem arbeiten.

Ich habe mir vorgenommen, schon gleich zu Anfang
meiner Rede hier zu sagen: Lassen Sie sich nicht täu-
schen, weder aus der einen noch aus der anderen Rich-
tung. Der Gesundheitsfonds kommt, und zwar pünktlich
zum 1. Januar 2009. Diese Reform, meine Damen und
Herren und vor allem liebe Bürgerinnen und Bürger in
diesem Lande, verbessert die Versorgung. Sie spart nicht
an Leistungen und sie wird endlich auch für Patienten
eine Vergleichbarkeit von Angeboten schaffen


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


und den Patienten damit mehr Wahlfreiheit bieten als
bisher.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Das zeigt, dass Sie nicht viel Ahnung haben! Fragen Sie einmal die Patienten!)


Schon als ich vor sechs Jahren meine Parlamentsar-
beit im damaligen Ausschuss für Gesundheit und Soziale
Sicherung beginnen durfte – Herr Spieth, Sie sind Gott
sei Dank noch nicht so lange dabei; vielleicht werden Sie
auch in Zukunft nicht mehr hier sein –,


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Mit Sicherheit länger als Sie!)


gab es intensive Debatten über Strukturen und Sparpa-
kete.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Ob ich hier sein werde, das werden Sie mit Sicherheit nicht entscheiden!)


– Doch. Auch ich bin ein Bürger, ein Wähler, und ich
hoffe, dass ich das mit entscheiden kann. Ich werde je-
denfalls alles dafür tun.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Heute sind wir uns in einem Punkt sicherlich einig:
Die gute medizinische Versorgung in Deutschland wird
teurer werden. Das müssen wir den Menschen sagen.
Das hat drei Ursachen, die nicht wegzudiskutieren sind:

Der demografische Wandel; er ist in den meisten eu-
ropäischen Staaten mit Problemen verbunden. Es ist
wunderbar, dass die Lebenserwartung steigt, und sie
steigt weiter. Aber das wird zu mehr Kosten im Gesund-
heitssystem führen.

Der medizinische Fortschritt. Zahlreiche Krankhei-
ten, die noch vor Jahrzehnten zum Tode geführt haben,
können heute Gott sei Dank erfolgreich bekämpft wer-
den. Um ein Beispiel zu geben: Eine Knochenmarktrans-
plantation kann Menschenleben retten. Sie kostet rund
80 000 Euro. Diese Summe entspricht den Krankenver-
sicherungsbeiträgen, die ein durchschnittlich verdienen-
der Beschäftigter in etwa 40 Jahren leistet. Trotzdem
brauchen und wollen wir genau diesen medizinischen
Fortschritt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das Dritte ist die Zunahme chronischer Krankhei-
ten, wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sie
bedeuten für die Betroffenen eine massive Einschrän-
kung ihrer Lebensqualität und für das Gesundheitssys-
tem deutliche Mehrausgaben. Diese Erkrankungen sind






(A) (C)



(B) (D)


Staatsministerin Hildegard Müller
im Übrigen in hohem Maße auf Fehlernährung und man-
gelnde Bewegung zurückzuführen. Deshalb ist es wich-
tig, im Gesundheitssystem die Eigenverantwortung
der Patienten zu stärken und damit zu einer nachhalti-
gen Gesundheitspolitik zu kommen. Diese Reform ist
ein Schritt in diese Richtung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wer jetzt vor den steigenden Beiträgen in der Kran-
kenversicherung warnt, kann diese drei Gründe gerne
anführen. Aber der Gesundheitsfonds gehört wirklich
nicht dazu. Seien Sie so ehrlich, dies auch einzuräumen.
Ich lade Sie herzlich dazu ein, sich an der Suche nach
Lösungen zu beteiligen.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Das haben wir doch viele Monate versucht!)


Die bloße Forderung nach einem Stopp kann nicht die
Antwort auf die Situation sein.

Wer, wie gesagt, vor den steigenden Beiträgen zur
Krankenversicherung warnt, dem möchte ich noch ein-
mal sagen: Dieses Geld ist kein Placebo. Der Sparbeitrag
der Krankenhäuser lag bei 220 Millionen Euro. Denn
auch in Krankenhäusern sind Strukturreformen notwen-
dig.


(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die finden doch gar nicht statt!)


Jetzt nehmen wir aufgrund der neuen Herausforderungen
über 3 Milliarden Euro in die Hand. Dieses Geld kommt
vom Beitragszahler. Das, was gestern einige Funktionäre
abgezogen haben, um sowohl die Beschäftigten, die in
den Krankenhäusern großartige Arbeit leisten, als auch
die Patientinnen und Patienten in diesem Land zu verun-
sichern, finde ich eine wirkliche Frechheit; das muss ich
sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wer einfach nur mehr Geld fordert, ohne selber auch nur
einen kleinen konstruktiven Beitrag dabei zu leisten, wie
Überkapazitäten im Krankenhaus abgebaut und viele an-
dere Probleme gelöst werden können –


(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was passiert denn jetzt zum Abbau der Überkapazitäten? Nichts!)


– ich spreche über die Funktionäre, Frau Bender –, der
macht sich unglaubwürdig und verdient es nicht, von der
Politik gehört zu werden.


(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles nur fromme Wünsche!)


Deshalb setzen wir die 3 Milliarden Euro da ein, wo es
strukturell nötig ist. Aber wir fordern auch die Kranken-
häuser auf, sich an den Veränderungen zu beteiligen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Den Fonds kann man nicht für alles verantwortlich
machen. Wer vor den steigenden Beiträgen warnt, der
kann auch gerne den Leistungsumfang einschränken.
Mit dem Fonds gibt es weder neue Zuzahlungsregelun-
gen noch Einschnitte in den Leistungskatalog. Im Ge-
genteil: Die Krankenversorgung verbessert sich. Mutter-
Kind-Kuren und Impfungen werden zu Pflichtleistun-
gen, ein Rechtsanspruch auf Rehabilitation wird einge-
führt und noch vieles mehr. Deshalb ist es unredlich,
angesichts dieser Fakten eine Absenkung des medizini-
schen Versorgungsniveaus oder drohende Leistungsein-
schränkungen an die Wand zu malen. Die Einführung
des Fonds ist deshalb ein Schritt in die richtige Richtung.

Meine lieben Damen und Herren von der FDP, ich
möchte nicht falsch verstanden werden. Hier werden
nicht wahllos mit dem Füllhorn Wohltaten verteilt. Viel-
mehr ist es so, dass dort, wo es wirklich nötig und teil-
weise überfällig ist, Geld in die Hand genommen wird.
Ein Beispiel dafür sind die Ärzte. Für sie werden über
2,5 Milliarden Euro bereitgestellt. Damit sichern wir die
Freiberuflichkeit der Ärzte, eine Forderung, die Sie im-
mer erhoben haben. Wir sichern damit auch die Versor-
gung für die Patienten. Das ist ein richtiger und wichti-
ger Schritt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Diese Reform wird auch zu mehr Wahlfreiheit und
Wettbewerb führen. Es kommt eben nicht die Einheits-
kasse, wie Sie das immer beschwören. Ich nenne hier ei-
nige Stichworte. Sie können sich jetzt als Versicherter in
Zukunft die Tarife selber zusammenstellen, wie man das
bisher sonst nur von privaten Krankenkassen kannte:
Selbstbehalttarife, Tarife mit Kostenerstattung, Haus-
arzttarife, besondere Behandlungsmethoden. All das ist
das genaue Gegenteil von staatlicher Einheitsmedizin,
wie manche Kritiker sie hier sehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es wird mehr Versorgungsmodelle und mehr Versi-
cherungstarife geben. Das ist mit dem jetzigen System
nicht möglich. Deshalb wird der Wettbewerb zu- statt
abnehmen. Das merken inzwischen auch diejenigen, die
eine Verschiebung gefordert haben. Bei den Kranken-
kassen kommt es bereits zu ersten Überlegungen zu
Strukturveränderungen, etwa ob sie wettbewerbsfähig
sind und ob sie sich neu aufstellen müssen. Auch meine
eigene Krankenkasse, eine AOK, kommt auf einmal mit
Angeboten auf mich zu, von denen ich in der Vergangen-
heit nur träumen konnte. Das ist genau das, was wir
wollten. Deshalb ist das, was wir heute tun, richtig.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich sage noch einmal: Die Krankenkassen können
von dem Beitrag abweichen. Sprechen Sie hier doch
nicht von einem Einheitsbeitrag. Endlich ist es möglich,
dass die Kassen von dem allgemeinen Beitrag abwei-
chen können und dass der Versicherte die Wahlfreiheit
erhält, zu einer Kasse zu gehen, wo er zum Beispiel
Rückerstattungen bekommt. Das stärkt den Versicher-
ten. Fragen Sie Ihre Krankenkasse, warum sie teurer ist
als andere. Da wir die Risiken ausgleichen, liegt es am
Management. Wechseln Sie Ihre Krankenkasse, wenn
Ihre eigene Krankenkasse ein schlechtes Management






(A) (C)



(B) (D)


Staatsministerin Hildegard Müller
hat. Das ist wichtig, und das wird durch den Fonds er-
möglicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir schaffen auch Transparenz. Beispielsweise ist
die Verschuldung von Krankenkassen bisher nie aufge-
fallen. Als ich anfing, im Deutschen Bundestag zu arbei-
ten, war eine der wichtigsten Fragen, herauszufinden,
wie groß die gesetzwidrige Verschuldung der Kranken-
kassen ist.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Das habt ihr doch sogar per Gesetz geregelt!)


So wurden im AOK-System größtenteils keine Rückstel-
lungen für die Beschäftigten gemacht. Über
10 Milliarden Euro an Verschuldung wurden damals
nicht erkannt. Die Situation ist jetzt dafür genutzt wor-
den, Schulden abzubauen. Nehmen Sie das doch einmal
zur Kenntnis.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Sie haben doch sogar gesetzlich verlangt, dass sie sich verschulden! Das können Sie jetzt doch nicht kritisieren! So ein Unsinn!)


– Sie dürfen sich nicht verschulden, weil sie sich damit
der Verantwortung für die künftigen Generationen in
diesem Land verweigern.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn Sie von den Linken eine Politik machen, die den
jungen Menschen keine Perspektive bietet, dann mag
das Ihr Beitrag sein.

Wir leisten einen Beitrag zur Generationengerechtig-
keit. Erst dann, wenn die Verschuldung zurückgefahren
ist, können auch Rücklagen aufgebaut werden.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: So ist es!)


Ich denke, ich bin mir mit der FDP völlig einig, wie
wichtig das ist. Lieber Daniel Bahr, wir haben lange ge-
meinsam dafür gestritten, dass endlich Rücklagen für die
junge Generation in die Sozialsysteme eingebaut wer-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU – Heinz Lanfermann [FDP]: Das habt ihr aber alles vergessen! – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Wir bleiben dieser Idee nach wie vor treu!)


Außerdem machen wir einen Schritt in Richtung Ent-
koppelung von den Arbeitskosten;


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Wohl wahr!)


das ist richtig. Lassen Sie mich an dieser Stelle sagen:
Mit der solidarischen Gesundheitsprämie hat die Union
ein ordnungspolitisch überzeugendes und zukunftsver-
antwortliches Modell entwickelt. Es wäre ein richtiger
und wichtiger Schritt, die Gesundheitsvorsorge von den
Arbeitskosten abzukoppeln. Leider konnten wir uns mit
unserem Koalitionspartner nicht auf dieses soziale und
wegweisende Reformkonzept einigen.

(Elke Ferner [SPD]: Allerdings! Gott sei Dank! – Frank Spieth [DIE LINKE]: Das ist auch gut so!)


Ich bleibe aber dabei: Der Sozialausgleich über Steu-
ern ist gerechter, als die Beschäftigten in diesem Land
weiterhin durch die steigenden Kosten zu belasten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir sind also auf dem richtigen Weg. Natürlich haben
wir noch nicht alles erreicht, was wir erreichen wollen.
Auf jeden Fall haben wir aber eine Verbesserung des
Status quo erzielt.

Meine Damen und Herren, weil man das Ziel nicht
ganz erreicht, darf man nicht gar nichts tun,


(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man merkt, dass man in die falsche Richtung fährt, sollte man aber den Rückwärtsgang einlegen!)


sondern dann muss man sich in kleinen Schritten fortbe-
wegen. Ich kann dieser Reform zustimmen, weil sie ein
Schritt in die richtige Richtung ist und weil wir damit
unser Gesundheitssystem, das großartig ist, weiter stär-
ken und ausbauen. Es ist ein Faktor für die Gesundheits-
wirtschaft und ein Zukunftsfaktor für unser Land. Nicht
zuletzt wollen wir, dass die großen Lebensrisiken der
Menschen in unserer sozialen Marktwirtschaft weiterhin
abgesichert werden. Das sind die gewaltigen Herausfor-
derungen, vor denen wir in Zukunft stehen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, in den vergangenen sechs
Jahren in diesem Parlament habe ich die Gesundheits-
politik stets als besonders interessant und wichtig emp-
funden. Auf keinem anderen Feld wurden Reform-
anstrengungen allerdings so kontrovers diskutiert. Ich
würde mir in diesem Land manchmal mehr Gemeinsam-
keit wünschen. Ich würde mir wünschen, dass jeder nicht
nur Vorschläge macht, die andere Bereiche betreffen,
sondern über seine eigenen Beiträge dazu nachdenkt,
wie sich unser Land in Zukunft gestalten lässt. Gerade
im Gesundheitsbereich ist dieses Igeldenken, dieses Ein-
igeln, dieses Denken nur an den eigenen Bereich, nicht
aber an die Gesamtverantwortung, ein Problem.


(Elke Ferner [SPD]: Genau! „Einigeln“ ist das richtige Stichwort! – Ernst Burgbacher [FDP]: Ihr seid nun einmal eine Igelkoalition!)


Es geht darum, Politik für 80 Millionen Menschen in
diesem Land zu machen. Das eignet sich nicht für Popu-
lismus. Das muss man seriös machen und ernst nehmen.
Es war für mich eine große Ehre, daran mitzuwirken.

Ich verabschiede mich heute mit der begründeten
Hoffnung, dass wir mit dieser Reform einen weiteren
Schritt – keinen abschließenden, aber einen weiteren
Schritt – in die richtige Richtung gehen und das tun, was
nötig ist.

Ich möchte allen Kolleginnen und Kollegen, die ich in
den letzten sechs Jahren habe kennenlernen dürfen – ins-






(A) (C)



(B) (D)


Staatsministerin Hildegard Müller
besondere denen, mit denen ich Freundschaften schlie-
ßen konnte –, sehr herzlich für die Zusammenarbeit dan-
ken. Ich möchte ausdrücklich auch die vielen
fantastischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesem
Hause in diesen Dank einschließen.

Ich möchte auch den Bürgerinnen und Bürgern in
meinem Wahlkreis Düsseldorf danken. Ihr Vertrauen und
ihre Anliegen, die sie mir immer wieder mitgeteilt ha-
ben, haben meine Arbeit vorangebracht. Ich denke, dass
solche Denkanstöße, egal welcher Art, auch in Zukunft
sehr wichtig sind, damit im Deutschen Bundestag die
bestmöglichen Entscheidungen vorbereitet und getroffen
werden können.

Was meine zukünftige Arbeit angeht, habe ich insbe-
sondere im Auge: Ich werde in einem Bereich arbeiten
können, der die Lebenschancen aller Menschen in die-
sem Land tangiert. Deshalb freue ich mich sehr auf diese
Aufgabe. Ich danke Ihnen allen sehr herzlich für die letz-
ten sechs Jahre.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1618004900

Frau Staatsministerin, Sie werden den Deutschen

Bundestag nach sechs Jahren der Zugehörigkeit zu die-
sem Haus verlassen. Sie verabschieden sich aber nicht
von der Arbeit für die Menschen in diesem Land. Sie
werden eine neue verantwortungsvolle Aufgabe über-
nehmen. Ich möchte Ihnen sehr herzlich für Ihre engagierte
Arbeit an den unterschiedlichsten Stellen in diesem Haus
und für die Zusammenarbeit, auch über Fraktionsgren-
zen hinweg, danken. Ich wünsche Ihnen für Ihre neue
Aufgabe eine glückliche Hand, viel Freude und natürlich
auch den verdienten Erfolg. Alles Gute!


(Beifall)


Nun hat der Kollege Frank Spieth für die Fraktion Die
Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Frank Spieth (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1618005000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Ich möchte mich den Wün-
schen der Präsidentin an Frau Staatsministerin in einer
etwas freundlicheren Art anschließen, als sie vorhin mit
mir umgegangen ist. Ich wünsche Ihnen bei Ihrer zu-
künftigen verantwortlichen Lobbyistentätigkeit beim
Energieunternehmen Eon viel Erfolg.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Haha! – Jens Spahn [CDU/CSU]: So ein schlechter Stil!)


Die FDP will den Gesundheitsfonds mit dem heutigen
Antrag stoppen. Tatsächlich will sie aber etwas anderes
erreichen: Sie will im Kern die Voraussetzungen dafür
schaffen, dass die gesetzliche Krankenversicherung pri-
vatisiert werden kann. Deshalb ist dieser Antrag nach
unserer Auffassung eine Mogelpackung.


(Beifall bei der LINKEN)


Untersuchen wir die eigentlichen Absichten. Frau
Dr. Winterstein, die FDP-Haushaltsexpertin, hat in der
vergangenen Woche an dieser Stelle die Katze aus dem
Sack gelassen. Sie sagte:

Wir brauchen einen grundlegenden Systemwechsel
zum privaten Krankenversicherungsschutz mit so-
zialer Absicherung für alle.

Dieser Sozialausgleich soll aus Steuergeldern finanziert
werden.


(Dr. Karl Addicks [FDP]: Genau das!)


Die Freien Demokraten wollen das soziale und soli-
darische Krankenversicherungssystem, ein Erfolgs-
modell, das sich seit 125 Jahren in Deutschland bewährt
hat, im Kern abschaffen. Werte Kolleginnen und Kol-
legen von der FDP-Fraktion, Sie ignorieren die große
Zustimmung der Bevölkerung zur gesetzlichen Kranken-
versicherung und demonstrieren nach meiner Auffas-
sung Ihre Geringschätzung für dieses System, indem Sie
es abschätzig „Kassensozialismus“ nennen, wie in dem
Beschluss Ihres Präsidiums vom 3. Juli 2006 nachzule-
sen ist.


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Nein! Was kommt, nicht, was ist!)


Komplett absurd wird Ihre Argumentation dadurch,
dass Sie vor einer drohenden Steuererhöhung im beste-
henden System warnen und gleichzeitig höhere Steuern
fordern. Das steht auch im Beschluss. Sie wollen einen
Sozialausgleich, den auch Frau Dr. Winterstein nannte,
über das Steuersystem organisieren. Ich sage Ihnen: Da-
für werden viele Milliarden Euro nötig sein. Wo sollen
sie denn herkommen, wenn nicht aus satten Steuererhö-
hungen?


(Heinz Lanfermann [FDP]: Dafür haben Sie doch die besten Vorschläge!)


Sie wollen eine Privatisierung des gesamten Kran-
kenversicherungssystems. Die privaten Versicherungs-
unternehmen sollen von den Versicherten für eine Regel-
versicherung Prämien verlangen, die unabhängig von
der Höhe des Einkommens sind. Das bedeutet: Wer nicht
zahlen kann, der muss auf einem von Ihnen noch nicht
näher bestimmten Amt um Hilfe bitten.

Für Millionen Menschen will die FDP eine neue
Megabürokratie aufbauen. In einer Behörde soll nach
genauer Einkommensprüfung über Zuschüsse zu Kran-
kenversicherungsbeiträgen entschieden werden. Im Klar-
text: Wieder einmal ist damit der Schnüffelei Tür und
Tor geöffnet. Ich dachte immer, dass die Entwürdigun-
gen durch Hartz-IV-Behörden nicht mehr zu toppen sind.


(Beifall bei der LINKEN)


Ein Mensch mit geringem Einkommen, der sein Krank-
heitsrisiko absichern will, muss nach Ihren Vorstellun-
gen erst einmal die Hosen herunterlassen – im wahrsten






(A) (C)



(B) (D)


Frank Spieth
Sinne des Wortes –, bevor er dann, zum Bittsteller degra-
diert, die Gnade des Sozialstaates erfahren kann.

Die FDP gibt sich immer als Partei der Freiheit. Ich
sage Ihnen: Ihre Freiheit ist die Freiheit der Besserver-
diener.


(Beifall bei der LINKEN)


Für Geringverdiener sehen Sie in Ihrem Konzept aber
weniger Freiheit und dafür mehr Schnüffelei und mehr
Bürokratie vor.

Mich wundert es gar nicht, dass Sie unser Konzept
der solidarischen und sozialen Bürgerinnen- und Bürger-
versicherung, wie gestern geschehen, als Etikettenschwin-
del kritisieren. Sie behaupten, das sei keine Versiche-
rung, sondern eine zweite Steuer. Bei der Umsetzung
Ihres Konzepts müsste man weitere Steuern einführen
und/oder bestehende Steuern erhöhen. Das ist ein Etiket-
tenschwindel.

Nebulös bleibt die FDP mit ihrem Konzept auch hin-
sichtlich des Begriffs der Regelversorgung, auf die jeder
Bürger ein Recht haben soll. Sie schreiben einmal von
„medizinisch notwendigen Leistungen“. Dann schreiben
Sie von „medizinisch unbedingt notwendigen Leistun-
gen“, die „in etwa dem heutigen um bestimmte zahnme-
dizinische Leistungen und das Krankengeld reduzierten
GKV-Leistungskatalog entsprechen“. Mit diesem Um-
schreiben wollen Sie nichts anderes, als den ohnehin
schon abgespeckten Leistungskatalog weiter zu skelet-
tieren. Das ist die Logik: Je weniger Solidarleistungen,
desto mehr Geschäftsfelder entstehen für private Kran-
kenversicherungen.

Sie schreiben:

Jeder Versicherte kann oberhalb des Katalogs von
Regelleistungen zwischen verschiedenen Paketen
von Leistungen wählen, auf die er im Versiche-
rungsfall zusätzlich Anspruch hat.

Na klar! Jeder Bürger kann auch zwischen einer Vielzahl
von Luxuslimousinen wählen. Es fehlt bei Ihnen nur der
Zusatz: „wenn er dafür das notwendige Kleingeld hat“.


(Beifall bei der LINKEN)


Ihr Konzept ist sonnenklar: Luxuslimousinen für die Pri-
vilegierten, die Golfklasse für den Mittelstand und Tret-
roller für die Geringverdiener. Das ist mit dem Sozial-
staatsprinzip der Verfassung unvereinbar.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich gehe davon aus, dass Ihre Vorstellungen einer Re-
gelversorgung deutlich weniger Leistungen vorsehen
und deshalb Zusatzversicherungen für jeden zwangsläu-
fig notwendig werden. Sie wollen das Solidarprinzip in
der gesetzlichen Krankenversicherung abschaffen. Das
jetzige umlagefinanzierte System soll nach Ihren Vor-
stellungen einem kapitalgedeckten System weichen.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Sehr richtig!)


Derzeit zahlen die Jungen und Gesunden für die Älteren
und Kranken. Die FDP will, dass künftig jeder für sein
eigenes Alter spart. Das hört sich schön an: Wenn jeder
an sich selbst denkt, dann ist an alle gedacht. Nach die-
sem Motto hat jeder seinen Sparstrumpf, mit dem er pri-
vat fürs Alter vorsorgt.

Diese Vorstellung ist nach meiner Auffassung naiv.
Wir können gerade in den USA sehen, wie unzuverlässig
kapitalgedeckte Systeme funktionieren. Dort haben Mil-
lionen Menschen ihre private Altersvorsorge verloren,
weil sie mangels sozialstaatlicher Absicherung gezwun-
gen waren, einem kapitalgedeckten privaten System zu
vertrauen. Die Bürger hatten nur die Wahl zwischen ris-
kanten Investmentfonds und profitorientierten Versiche-
rungskonzernen. Die Menschen stehen nach lebenslan-
gem Sparen vor dem Nichts. Wollen Sie das auch in
Deutschland?


(Zuruf von der SPD: Nein!)


Zudem hat der Aufbau von Kapitalreserven den
Nachteil, dass die heutigen Beitragszahler bzw. Versi-
cherungsnehmer erhebliche Doppelbelastungen zu
schultern hätten. Zum einen müssen die Versicherten die
derzeit notwendigen Beiträge zahlen und zum anderen
zusätzlich einen Kapitalstock ansparen. Das verschwei-
gen Sie den Menschen. Dieser Systemwechsel wird sehr
teuer.


(Widerspruch bei der FDP)


Die gesetzlichen Krankenkassen, die die FDP am
liebsten abschaffen will, arbeiten deutlich preiswerter als
die privaten Krankenversicherungen. Private haben
zwar geringere Verwaltungskosten, aber es kommen die
Kosten für die Provision ihrer Versicherungsverkäufer
und Werbungskosten hinzu. Schon das übersteigt in der
Regel die durchschnittlichen 6 Prozent Verwaltungskos-
ten der gesetzlichen Kassen.

Hinzu kommt noch die Rendite für die Aktionäre. Sie
muss natürlich auch von den Versicherten gezahlt wer-
den. Von wem denn sonst? Keine Versicherung wird ihr
Produkt zum Selbstkostenpreis anbieten. Das gibt es nur
bei den gesetzlichen Krankenkassen. Von jedem in die
gesetzlichen Kassen gezahlten Euro gehen 94 Cent als
Leistungen an die Versicherten zurück, bei der privaten
Krankenversicherung sind dies nur 74 Cent.

Die FDP macht mit ihrem Konzept ganz nebenbei ein
Subventionsprogramm für Allianz und Co. Das wundert
mich nicht; denn ein Drittel der Finanzmittel der FDP
kommt aus Spenden. Gerade bei der Allianz hat die FDP
offenkundig noch etwas gutzumachen:


(Beifall bei der LINKEN)


Aus der Spendenpulle der Allianz bekamen laut der Zeit-
schrift Capital vom 14. Dezember 2006 in den Jahren
2002 bis 2006 CDU, SPD und sogar Grüne jeweils
240 000 Euro, die CSU 180 000 Euro, aber die FDP nur
150 000 Euro. Meine Partei bekommt keine Spenden der
Allianz, und das finde ich prima.

Einem der Hauptbegünstigten der Allianz macht die
FDP neuerdings Koalitionsavancen. Seit die SPD mal
wieder den Vorsitzenden weggeputscht und ausgetauscht
hat, können sich Teile der FDP eine Koalition mit der
SPD vorstellen, wie zu lesen war. Man liest auch, dass






(A) (C)



(B) (D)


Frank Spieth
umgekehrt Franz Müntefering gerne eine Koalition mit
der FDP eingehen würde.


(Dr. Karl Addicks [FDP]: Wollen Sie nicht über den Gesundheitsfonds sprechen?)


Es gab schon einmal eine sozialliberale Koalition auf
Bundesebene von 1969 bis 1982. Diese Koalition wurde
durch einen Kurswechsel der FDP eingeleitet, der in die
Freiburger Thesen mündete.


(Dr. Karl Addicks [FDP]: Kommen Sie mal zum Thema zurück, Herr Spieth!)


In diesen Thesen war von „Rechten auf Leben und Ge-
sundheit“ die Rede, „die die großen demokratischen Er-
rungenschaften einer Liberalisierung des Staates“ seien.

Grund für die Beendigung der sozialliberalen Koali-
tion und das Zusammengehen der FDP mit Helmut Kohl
war die Abkehr von den Freiburger Thesen und die Ab-
kehr von der Sozialpolitik der 70er-Jahre. Mit „Rechten
auf Leben und Gesundheit“ im Sinne eines „sozialen
Liberalismus“ – wie es damals in Ihren Freiburger The-
sen hieß – hat Ihr heutiges gesundheitspolitisches Kon-
zept nichts mehr zu tun.


(Beifall bei der LINKEN)


Die SPD hielt zu jener Zeit noch an ihrer Sozialpolitik
fest. Deshalb zerbrach diese Koalition.

Unter Gerhard Schröder hat sich die SPD von ihrer
Idee der sozialen Gerechtigkeit, die sie in den 70er- und
80er-Jahren vertrat, verabschiedet. Sie hat sich – wie alle
anderen Parteien außer der Linken – zum Neoliberalis-
mus bekannt.


(Elke Ferner [SPD]: Das glauben selbst Sie nicht!)


Na prima! Und alle diese neoliberalen Parteien sind
selbstverständlich grundsätzlich miteinander koalitions-
fähig. Man könnte sagen: Schade um den Sozialstaat!


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke hat andere Vorstellungen von einem ge-
rechten Gesundheitssystem. Wir wollen eine solidari-
sche Bürgerinnen- und Bürgerversicherung. In dieser
sind nach unserer Vorstellung alle Menschen unabhängig
von Einkommen und Beruf versichert.


(Elke Ferner [SPD]: Die haben wir schon gewollt, da hat es Ihre Partei noch gar nicht gegeben!)


Das schreibt auch die SPD. Das heißt, auch Selbststän-
dige, Beamte und Politiker sind da mit drin.


(Beifall bei der LINKEN)


Alle zahlen den gleichen prozentualen Anteil ihres Ein-
kommens. Bisher wird aber nur Einkommen aus Er-
werbsarbeit herangezogen.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Sagen Sie einmal, wie viel es mehr kostet, damit Ihre Wähler das auch wissen!)


Wir wollen, dass alle Einkommensarten, also auch Kapi-
taleinkünfte, herangezogen werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Also noch teurer! – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Neue Bürokratie!)


Bei Einkommen aus Erwerbsarbeit zahlt der Arbeit-
geber die Hälfte der Beiträge. Durch die Verbreiterung
der Versicherten- und Finanzierungsbasis können wir
dann die Beitragssätze senken.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Beiträge auf das Einfamilienhaus!)


Statt 15,5 Prozent oder noch mehr im Gesundheitsfonds
wären dann 8,6 Prozent möglich. Da wir aber sämtliche
Zuzahlungen abschaffen und die Kürzungen der letzten
Jahre wieder rückgängig machen wollen,


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Wird es noch teurer!)


wird der Beitragssatz bei etwa 10 Prozent liegen. Das ist
unser Angebot.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU)


Der Argumentation der FDP können wir nicht folgen.
Eine Privatisierung der Krankenversicherung ist der fal-
sche Weg. Ihr Antrag, meine Damen und Herren, zielt in
die falsche Richtung. Deshalb lehnen wir ihn ab.


(Beifall bei der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1618005100

Für die Bundesregierung hat nun Frau Bundesminis-

terin Ulla Schmidt das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1618005200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das Thema Fonds hat die FDP schon einmal beschäftigt.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Wir bleiben dran!)


Es ging damals nicht um Soziales und Gesundheit, son-
dern – wie könnte es bei der FDP anders sein? – um Ver-
mögen. Es war ein Vorschlag Ihres ehemaligen Vorsit-
zenden, Walter Scheel, der immerhin als weitsichtiger
Mann bekannt ist und der sich große Verdienste in der
Außenpolitik erworben hat. Zu der damaligen Debatte
über diesen Fonds schrieb Der Spiegel 1969, Walter
Scheel habe auf konkrete Fragen keine Antworten geben
können. Er habe das mit den Worten entschuldigt, die
FDP sei personell nicht in der Lage, einen Fondsplan ge-
setzestechnisch und rechnerisch durchzuarbeiten.


(Heiterkeit bei der SPD)


Mit Blick auf den heutigen Antrag und den Auftritt der
FDP kann ich nur sagen: Die Weitsicht, die man ihm un-
terstellt, ist berechtigt; denn das hat Kontinuität.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD – Frank Spieth [DIE LINKE]: Beeindruckend, ja! – Zuruf des Abg. Daniel Bahr [Münster] [FDP])







(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Ulla Schmidt
Angesichts dessen, dass die FDP, Herr Bahr, gestern
mit demonstriert und mehr Geld für die Krankenhäuser
gefordert hat


(Elke Ferner [SPD]: Mehr Geld, ja, weniger Beiträge!)


und sich heute hier hinstellt und gegen Beitragserhöhun-
gen wettert, muss ich sagen: Rechnerisch hat die FDP
noch immer nichts dazugelernt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Große Worte und nichts dahinter, das zeichnet sie aus.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, der Ge-
sundheitsfonds kommt. Die Schritte zur Umsetzung
sind beschlossen. In der nächsten Woche wird der Schät-
zerkreis des Bundesversicherungsamtes auf der Grund-
lage der verfügbaren Daten zu den Einnahmen – dabei
wird berücksichtigt, wie sich die Beschäftigung entwi-
ckelt hat, wie die Prognose zu den Beitragseinnahmen
und zu den Steuermitteln für das kommende Jahr aus-
sieht – und zu den notwendigen Ausgaben einen Vor-
schlag für den Beitragssatz im Jahre 2009 machen. Das
Bundeskabinett wird den Entwurf der entsprechenden
Verordnung am 7. Oktober beschließen. Dann wird der
Vorschlag hier im Parlament beraten, und rechtzeitig vor
dem 1. November wird vom Bundeskabinett die endgül-
tige Entscheidung getroffen, sodass die Krankenkassen
am 15. November genau wissen, wie viel Geld sie im
kommenden Jahr zur Verfügung haben. Das ist früher als
in den vergangenen Jahren, als die Krankenkassen oft
erst im Dezember wussten, wie denn ihre Finanzsitua-
tion im folgenden Jahr aussehen würde. Damit kann jede
Krankenkasse ihre Haushaltsplanung rechtzeitig ab-
schließen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen mehr
Wettbewerb im Gesundheitswesen. Aber der Wettbe-
werb ist ein anderer als in anderen Bereichen. Es ist ein
Wettbewerb um gute Qualität, der aber nur auf einer fai-
ren Grundlage erfolgen kann. Wir wollen ihn da, wo es
möglich und sinnvoll ist: bei den Krankenkassen, bei
den Anbietern medizinischer Leistungen, im Verhältnis
der Krankenkassen zu Ärzten und Krankenhäusern. Wir
wollen, dass die Krankenkassen darum konkurrieren,
wer seinen Mitgliedern die besten Angebote zum best-
möglichen Preis machen kann. Davon profitieren die
Versicherten.

Die Neuordnung der Finanzierung über den Ge-
sundheitsfonds zwingt die Kassen mehr als bisher, aktiv
zu werden. Sie haben sich über Jahre hinweg oft ganz
passiv verhalten. Man hat die Beiträge erhöht, und dann
ist alles weitergegangen wie zuvor. Jetzt müssen die
Kassen aktiv werden, weil sie sich um ihre Versicherten
mehr kümmern müssen. Das ganze Finanzgeschehen ist
transparenter. Studien ist zu entnehmen, dass die Kassen
ihre Versicherten viel stärker als heute durch guten Ser-
vice und breite Leistungsangebote umwerben werden.
Wer sich bei den Kassen umsieht, stellt fest, dass einige
schon engagiert dabei sind, sich für die kommenden
Jahre neu aufzustellen. Das ist zum Wohl der Versicher-
ten und der kranken Menschen.
Durch den Gesundheitsfonds erhalten alle Kassen die
zur Versorgung ihrer Versicherten notwendigen Mittel
auf einer fairen und gerechten Grundlage. Wir halten da-
ran fest, dass Menschen für Menschen stehen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Maria Michalk [CDU/CSU])


Ich habe es letzte Woche schon gesagt: Das ist allemal
besser, als allein auf Kapitaldeckung zu setzen, wie man
jetzt auch an der weltweiten Finanzkrise sieht.

Aber so, wie es heute geregelt ist, ist es nicht fair.
Viele Menschen zahlen nicht deswegen höhere Beiträge,
weil ihre Kasse unwirtschaftlich ist, sondern weil sie in
einer Kasse mit einer ungünstigen Versichertenstruk-
tur sind. Ich möchte Ihnen einmal zwei Beispiele dazu
nennen: Die AOK Berlin hat als große Versorgerkasse
einen Beitragssatz von 15,8 Prozent; denn etwa die
Hälfte der dort Versicherten sind Rentnerinnen und
Rentner. Eine Internetkasse oder auch einige IKKs hin-
gegen, die nur zu 2, 3 oder 4 Prozent Versicherte haben,
die älter als 65 sind, können natürlich leicht einen Bei-
tragssatz von 12,3 oder 12,9 Prozent nehmen.


(Elke Ferner [SPD]: Dann kann das jeder!)


Nehmen Sie als zweites Beispiel die AOK Saarland.
In der AOK Saarland sind mittlerweile nur noch
170 000 Menschen versichert, davon 84 000 Rentnerin-
nen und Rentner. Sie muss einen Beitragssatz von
15,8 Prozent verlangen. Der größte Konkurrent ist die
IKK Südwest. Sie hat mittlerweile 314 000 Mitglieder,
davon 10 000 Rentnerinnen und Rentner. Alle im Saar-
land, die gut verdienen, die gesund und jung sind, sind in
die IKK Südwest gegangen. Das heißt, die AOK Saar-
land muss aufgrund ihrer Versichertenstruktur mehr
Leistungen finanzieren und kann darauf nur mit immer
höheren Beiträgen antworten; denn wir wissen, dass das
Risiko, zu erkranken, mit zunehmendem Alter steigt.
Außerdem haben die Rentnerinnen und Rentner in der
Regel ein geringeres Einkommen als die Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer, deren Beiträge von ihrem
Bruttoeinkommen gerechnet werden.

Ist das gerecht? Hat die Aufbringung der Beiträge auf
diese Weise etwas mit Fairness zu tun? Oder hat das et-
was mit Wirtschaftlichkeit zu tun? – Nein, damit hat es
nichts zu tun. Deshalb werden wir mit der Neuordnung
der Finanzierung dafür sorgen, dass dieser unfaire Wett-
bewerb aufhört und dass die Kassen, die mehr ältere und
mehr kranke Menschen versichert haben, auch mehr
Geld aus dem Solidartopf erhalten. Das ist fair und ge-
recht, und deshalb ist die Neuordnung der Finanzierung
richtig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gute Kassen, deren günstige Beitragssätze tatsächlich
auf Wirtschaftlichkeit und nicht auf einer unfairen Risi-
koverteilung beruhen, werden ihren Versicherten dann
Prämien zurückzahlen können. Wer bisher nur aufgrund
der Risikoverteilung günstige Beitragssätze anbieten
kann, hat es dann natürlich schwerer, weil aus diesen
Kassen Geld in die Kassen fließt, in denen mehr kranke






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Ulla Schmidt
Menschen versichert sind. Die Neuordnung wird auf je-
den Fall transparenter machen, wie die einzelne Kasse
arbeitet. Wenn eine Kasse mit dem Geld nicht aus-
kommt, werden Zusatzbeiträge gezahlt. Nur eins ist
auch klar: Wenn Sie sich anschauen, wohin die Beitrags-
entwicklung bei den Krankenkassen geht – das gilt ins-
besondere im Hinblick auf die neuen Aufgaben –, die als
Versicherte überwiegend ältere Menschen oder Men-
schen mit geringem Einkommen haben, stellen Sie fest,
dass schon heute 70 Prozent der Rentnerinnen und Rent-
ner deutlich über dem durchschnittlichen Beitragssatz
liegende Beiträge zahlen. In Zukunft wird der allge-
meine Beitragssatz von allen gemeinsam aufgebracht.
Ich bin davon überzeugt, dass dies eine fairere Grund-
lage ist, um die wachsende Zahl der Aufgaben im Ge-
sundheitswesen so zu finanzieren, dass wir unseren ho-
hen Anspruch, 100 Prozent unserer Bevölkerung am
medizinischen Fortschritt teilhaben zu lassen, auch unter
schwierigeren Bedingungen, insbesondere im Hinblick
auf die veränderte Altersstruktur unserer Gesellschaft,
aufrechterhalten können.


(Beifall bei der SPD)


Medizinischer Fortschritt, mehr ältere und mehr
hochbetagte Menschen, mehr chronisch kranke und
mehr pflegebedürftige Menschen, das alles kostet mehr
Geld. Es ist richtig, darüber zu diskutieren, wie viel Geld
wir brauchen und wie es aufgebracht werden soll. Aber
ohne eine fairere Verteilung, ohne dass wir dafür sor-
gen, dass das Geld insbesondere an die Krankenkassen
geht, die viele Kranke versichern, ginge die Schere zwi-
schen den Beitragssätzen – teilweise beträgt der Unter-
schied heute schon über 5 Prozentpunkte; bei einem Ein-
kommen von 1 000 Euro macht das 50 Euro im Monat
aus – weiter auseinander. Ich finde, das hat mit Gerech-
tigkeit nichts zu tun. Angesichts der neuen Honorarord-
nung, der Entscheidung zugunsten der Krankenhäuser,
der Entwicklungen im Arzneimittelsektor und in anderen
Leistungsbereichen wie der Rehabilitation und der Pallia-
tivmedizin, der Impfkosten – diese werden steigen, weil
wir Impfungen zu Pflichtleistungen der Krankenkassen
gemacht haben – und des höheren Behandlungsbedarfs,
der auf die Krankenkassen und die Versicherten zu-
kommt, müssen wir einfach neue Wege gehen und die
Wettbewerbsverzerrungen beseitigen.

Der Fonds ist auch kein bürokratisches Monster.
Heute organisieren 14 Frauen und Männer im Bundes-
versicherungsamt einen unzureichenden Versorgungs-
ausgleich und einen unzureichenden Risikostrukturaus-
gleich. In Zukunft werden es 21 Frauen und Männer
sein. Angesichts der Debatte über Bürokratiemonster ge-
nügte zumindest den Parlamentariern ein Blick in den
Haushaltsplan, um zu sehen, wie dies im Bundesversi-
cherungsamt organisiert wird. Mit einem Bürokra-
tiemonster hat das nichts zu tun. Das ist einfach ein fai-
res Angebot.

Wir wissen, dass wir in einer Gesellschaft, in der die
Menschen immer länger leben, mehr Geld brauchen, um
das Gesundheitswesen zu finanzieren. Die 4,3 Millionen
Beschäftigten im Gesundheitswesen fordern zu Recht
– das haben wir gestern wieder gesehen – anständige Ar-
beitsbedingungen und eine faire Bezahlung. Wenn dafür
höhere Beiträge erforderlich sind, dann hat das nichts
– auch ich bitte um Fairness – mit dem Fonds zu tun,
sondern mit den wachsenden Ausgaben oder mit stagnie-
renden Einnahmen, wie es in den letzten Jahren auf-
grund der hohen Arbeitslosigkeit häufig der Fall war.
Wir werden im nächsten Jahr mehr Geld zur Verfügung
haben als in den Jahren zuvor. Trotzdem werden auch
die Versicherten mehr aufbringen müssen.

Der Fonds schafft so, wie er konstruiert ist, Sicherheit
und sorgt für Fairness. Er macht vieles einfacher. Ich
verhehle aber auch nicht, dass dies nur für 90 Prozent
der Bevölkerung gilt. Wenn Sie darauf hinweisen, haben
Sie völlig recht. Ich sage das auch in jedem Interview.
Mein Ziel ist – dabei bleibe ich –, dass sich alle Men-
schen in diesem Land, egal welchen beruflichen Status
sie haben, egal welches Einkommen sie haben, egal ob
sie jung oder alt, gesund oder krank sind, zu gleichen
und fairen Bedingungen an der Aufbringung der Bei-
träge zur Aufrechterhaltung des Gesundheitswesens be-
teiligen werden.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Das hat nichts mit Einheitskasse zu tun, sondern da-
mit, dass es besser ist, wenn alle Menschen für alle Risi-
ken zu gleichen Bedingungen eintreten. Darin unter-
scheiden sich die Koalitionspartner. Das ändert aber
nichts daran, dass wir mit der Einführung des Fonds für
die gesetzlich Versicherten eine gerechtere und fairere
Grundlage schaffen, als das heute der Fall ist.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1618005300

Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgitt Bender für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618005400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die

wohlgesetzten Worte der Ministerin können nicht da-
rüber hinwegtäuschen, dass in der Koalition die – ich
möchte das mal so nennen – gesundheitsfondsgetriebene
Unruhe umhergeht. Wie anders wäre es denn zu erklä-
ren, dass im Gesundheitswesen der Gabentisch schon
zwölf Wochen vor Weihnachten gedeckt wird? Es sind
sage und schreibe 5,5 Milliarden Euro, die die Gesund-
heitsministerin in den letzten Wochen kurzfristig verteilt
hat.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Sind die Grünen dagegen?)


Wir kennen das Prinzip schon.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Stimmt! Bei Ihnen sind die Beiträge ja auch so gestiegen wie sonst nie!)


Als es das erste Mal darum ging, diese fehlgeleitete Re-
form überhaupt zu beschließen, gab es Widerstand von
den Apothekern und von der PKV. Dann hat man die von






(A) (C)



(B) (D)


Birgitt Bender
diesen Interessengruppen als ungünstig angesehenen
Rechtsänderungen noch geschwind vom Tisch geräumt.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Keine Rechtsänderungen!)


Jetzt geht es um Geld. Das Prinzip ist immer dasselbe.
Es handelt sich um kurzfristige Befriedungsaktionen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gewiss, die höheren Honorare für die Ärzte und die
finanzielle Soforthilfe für die Krankenhäuser sind in
der Sache nicht unberechtigt.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Ach!)


Insbesondere die Ärztinnen und Ärzte in Ostdeutschland
müssen bei den Honoraren trotz häufig höherer Arbeits-
belastung noch eine deutliche Lücke gegenüber ihren
Kollegen im Westen schließen. Dass auch viele der
Krankenhäuser finanziell unter Druck stehen, die gut
aufgestellt sind und die für die flächendeckende Gesund-
heitsversorgung unerlässlich sind, steht außer Frage.

Bemerkenswert ist aber doch, dass die Bundesregie-
rung diese enormen Finanzspritzen gesetzt hat, ohne da-
mit für mehr Qualität zu sorgen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wer sagt das?)


Es gibt keine Gegenleistung von den Ärztinnen und Ärz-
ten, es gibt kein Reformpaket mit den Ländern. In Bezug
auf die Arztpraxen hören wir von der Ministerin den
frommen Wunsch, es möge sich nun etwas an der Bevor-
zugung der Privatpatienten ändern; aber was ist denn?
Die höheren Honorare gehen nicht mit Anforderungen
an Veränderungen in Bezug auf Qualität und Service ein-
her. Also wird es weiterhin bei der Zweiklassenmedizin
bleiben.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Das ist doch falsch!)


Wenn man sich einmal anschaut, welche Rolle die Bun-
desgesundheitsministerin bei der Krankenhausreform ge-
spielt hat, dann weiß man nicht, ob man lachen oder wei-
nen soll. Es ist doch so: Die Bundesländer haben den
Reformentwurf der Ministerin in monatelangen Ausei-
nandersetzungen auseinandergenommen wie eine russi-
sche Matroschka. Was am Ende übrig bleibt, ist nur ein
bunt bemaltes, kleines Reförmchen, ein Sammelsurium
von kurzfristigen Hilfen, mit denen die Krankenhäuser
– vielleicht – über das nächste Jahr kommen. Daran,
dass die Länder ihren Verpflichtungen zu Investitionen
in die Krankenhäuser nicht nachkommen, wird sich aber
nichts ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht!)


Es fehlen weiterhin Steuerungsinstrumente, damit un-
wirtschaftlich geführte und für die Versorgung verzicht-
bare Krankenhäuser vom Netz gehen und sich die Mittel
auf die guten Krankenhäuser konzentrieren können. So
wird die Krise der Krankenhäuser nur verlängert, aber
nicht gelöst.
Woran liegt das? Die Bundesregierung hat sich mit ih-
rem sogenannten Reformmodell erpressbar gemacht.
Die Bundeskanzlerin und die verantwortliche Ministerin
wollen den Gesundheitsfonds auf Biegen und Brechen
durchsetzen, und deswegen müssen sie ein Zugeständnis
nach dem anderen machen. Es waren Bayern und Ba-
den-Württemberg, die sich bereits in den Verhandlun-
gen eine Kompensationszahlung erstritten haben. Wozu
führt das jetzt? Künftig werden die Krankenversicherten
in ganz Deutschland für die bessere Versorgung in Süd-
deutschland ebenso bezahlen wie für die überschüssigen
Krankenhausbetten in Berlin.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Und umgekehrt!)


Das setzt sich fort. Die Ärztehonorare mussten steigen,
damit der Widerstand der Ärzte sinkt,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sind Sie dagegen?)


aber diese Honoraranhebungen müssen gleich flächen-
deckend sein, damit von dem Geldsegen auch etwas in
Bayern ankommt; denn ansonsten hätte sich die dortige
Landesregierung,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die setzt sich halt für ihre Leute ein!)


die bekanntlich um ihr politisches Überleben kämpft,
quergestellt.

Solche selbst geschaffenen Zwänge sind es, die zu der
Verhandlungsniederlage der Ministerin in Sachen Kran-
kenhausfinanzierung geführt haben. Jeder weiß: In zwei
Wochen muss das Kabinett erstmals über den einheitli-
chen Krankenversicherungsbeitragssatz für das Jahr
2009 entscheiden. Für dessen Berechnung muss man
aber wissen, wie viel die Krankenhäuser bekommen.
Also brauchten die Länder ihren Verhandlungssieg doch
nur zu ersitzen.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Sind Sie für mehr Geld für die Krankenhäuser oder nicht? – Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Ist es jetzt ein Sieg oder nicht?)


Was Sie sich geschaffen haben, Frau Ministerin, könnte
man eine Form der politischen Gefangenschaft nennen,
und sie ist selbst gewählt.

Wir haben vorhergesagt, dass der Gesundheitsfonds
mit seinem staatlich festgesetzten Einheitsbeitragssatz
die Finanzausstattung der Krankenversicherung stärker
vom politischen Kalkül abhängig machen wird. Dass das
so schnell eintritt, haben wir uns selbst in unseren Alb-
träumen nicht vorgestellt.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Das ist interessant!)


Tatsächlich wird die Bundesregierung jetzt ständig
vorgeführt, von Interessengruppen ebenso wie von den
Ländern. Die Kosten dieser Treibjagd werden an die
Beitragszahlenden durchgereicht. Der durchschnittliche
Beitragssatz wird ein Rekordniveau erreichen.






(A) (C)



(B) (D)


Birgitt Bender

(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Wir sind jetzt auf Ihre Einsparvorschläge gespannt!)


Einen vergleichbaren Sprung beim Beitragssatz, wie er
zum 1. Januar 2009 zu erwarten ist, hat es in der Ge-
schichte der gesetzlichen Krankenversicherung – daran
sei noch einmal erinnert, Frau Kollegin – niemals zuvor
gegeben, und das ist nur der Anfang.

Ab dem Jahr 2010 wird das Stück „Der Versicherte ist
immer der Dumme“ weitergespielt; denn dann soll die
Finanzausstattung des Gesundheitsfonds nur noch
95 Prozent der Ausgaben der Krankenversicherung ab-
decken. Die restlichen 5 Prozent müssen die Versicher-
ten über Zusatzbeiträge finanzieren. Da können die
Frau von der Leyen als eine Art ehrenamtliche Gesund-
heitsministerin


(Elke Ferner [SPD]: Demnächst!)


und andere noch lange darüber philosophieren, man
könne ja die Kasse wechseln, wenn es einen Zusatzbei-
trag gibt: Sobald die erste große Kasse einen Zusatzbei-
trag erhebt, werden alle anderen folgen. Am Ende wer-
den es 7,5 Milliarden Euro sein, die die Versicherten
zusätzlich zu tragen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zwischenzeitlich werden wir nach Scharfschaltung
des Gesundheitsfonds noch sogenannte Umstellungs-
probleme zu erwarten haben, die spielend die Dimen-
sion erreichen werden, die wir bei Einführung des
Arbeitslosengeldes II oder der Lkw-Maut erleben muss-
ten – allerdings mit einem großen Unterschied: Die Re-
formen waren sinnvoll. Das kann man vom Gesundheits-
fonds aber nun wirklich nicht behaupten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Er dient allein dazu, dass Kanzlerin und Gesundheits-
ministerin politisch ihr Gesicht wahren können, und das
ist zu wenig für ein Projekt, das so weitreichende Folgen
für die Gesundheitsversorgung von 70 Millionen Men-
schen hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte noch ein paar Sätze zu dem vorliegenden
Antrag der FDP sagen. Dieser Antrag enthält viele
richtige Argumente gegen den Gesundheitsfonds: dass er
den Beitragssatz zur politischen Größe macht, dass er zu
einem übermäßigen bürokratischen Aufwand führt und
den Wettbewerb behindert; so weit sind wir uns völlig
einig, Herr Kollege Bahr.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Sehr gut!)


Allerdings ärgert es uns als Grüne immer wieder, mit
welcher Hartnäckigkeit die FDP auf dem krankheits-
bezogenen Finanzausgleich – für die Fachchinesen:
Morbi-RSA – herumhackt. Richtig ist in der Tat, dass die
Koalition mit der Begrenzung auf 50 bis 80 Krankheiten
einen schweren Fehler gemacht hat.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: War das nicht immer Ihr Projekt, Frau Kollegin? Das waren Ihre Gutachter, wenn ich mich recht entsinne!)


Wir haben dadurch Krankheiten erster und zweiter
Klasse. Die Versicherten, die eine Krankheit haben, die
nicht auf der Liste steht, Frau Widmann-Mauz, müssen
befürchten, dass ihre Kasse ihnen keine guten Behand-
lungsangebote macht. Das ist ein ideologisch motivierter
Konstruktionsfehler, der im Übrigen, Frau Widmann-
Mauz, auf die Union zurückgeht.


(Elke Ferner [SPD]: Richtig! – Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Das waren doch immer Ihre Krankheiten!)


Aber das ist kein Argument gegen einen krankheits-
bezogenen Risikostrukturausgleich als solchen. Der ist
– das will ich an dieser Stelle deutlich sagen – sinnvoll
und notwendig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Frank Spieth [DIE LINKE] – Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Aha!)


Nur so kann man verhindern, dass eine Krankenkasse im
Kassenwettbewerb nur deswegen scheitert, weil sie zu-
fällig zu viele kranke und damit teure Mitglieder hat.
Dafür muss es einen Ausgleich geben.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Jetzt müssen Sie noch sagen, wie Sie es gern hätten!)


Es gibt eine andere Form des Ausgleichs – sie ist der
FDP wahrscheinlich sympathischer –: Die private Kran-
kenversicherung löst dieses Problem auf dem Rücken
der Versicherten. Da zahlen diejenigen mehr, die ein ent-
sprechendes Krankheitsrisiko haben. Die Beiträge bzw.
Prämien sind nach Risiko gestaffelt. Das ist, finden
wir, kein überzeugendes Prinzip. Aber selbst dann, wenn
man das in der PKV für akzeptabel hält, liebe Kollegin-
nen und Kollegen von der FDP: Ihnen muss doch klar
sein, dass ein solches System zur Absicherung der Ge-
samtbevölkerung völlig ungeeignet ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wollte man nämlich verhindern, dass sich Kranke und
Geringverdienende keinen Krankenversicherungsschutz
mehr leisten können, müsste man die Prämien mit Steu-
ermitteln subventionieren. Aber dann träte die von Ihnen
beim Gesundheitsfonds zu Recht kritisierte Politisierung
der Finanzausstattung des Gesundheitswesens erst recht
ein. Über diesen Widerspruch sollten Sie einmal nach-
denken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Wie beim Wohngeld!)


Es macht also Sinn, den Ausgleich der unterschiedli-
chen Krankheitsrisiken zwischen den Kassen und nicht
zwischen den Versicherten zu organisieren. Dabei geht
es beim Morbi-RSA. Deswegen, meine Damen und Her-
ren, sind die Grünen gegen den Gesundheitsfonds, aber
für einen krankheitsbezogenen Finanzausgleich.






(A) (C)



(B) (D)


Birgitt Bender
Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das passt nicht ganz zusammen!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1618005500

Nächste Rednerin ist die Kollegin Annette Widmann-

Mauz für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1618005600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!

Seit’ an Seit’, so sieht man sie in letzter Zeit schreiten:
nicht nur im Parlament, sondern auch durch das Bran-
denburger Tor. So war es wieder am gestrigen Tag bei
der Demonstration gegen das Gesundheitswesen und ge-
gen den Gesundheitsfonds.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Sie waren auch da?)


Ich spreche von der Linken, den Nachfolgekommunis-
ten, und einer Partei, die sich FDP nennt.


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ihr wollt mit uns doch koalieren!)


Heute legt uns die FDP einen Antrag vor, der ein
Sammelsurium von altbekannten Vorurteilen enthält,
wenn auch ein bisschen neu gemischt. Sie haben sich
wenigstens noch die Mühe gemacht, den Titel zu ändern.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Es waren auch viele CSU-Abgeordnete da!)


Früher hieß es „Den Gesundheitsfonds stoppen“, jetzt
heißt es „Gesundheitsfonds … nicht einführen“. Da ha-
ben Sie sich viel Mühe gegeben. Das haben sie kurz vor
der bayerischen Landtagswahl ausgeworfen. Welch ein
Zufall in diesem Land!


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Nein, das ist kein Zufall! – Frank Spieth [DIE LINKE]: Frau Widmann-Mauz, haben Sie Ihre Kollegen von der Fraktion auch gesehen?)


Haben Sie eigentlich noch nicht bemerkt, dass sich
die Kassen längst mit dem Fonds arrangiert haben? Die
Kassen machen längst das, was Sie früher für richtig ge-
halten und gefordert haben. Sie stellen sich dem neuen
Wettbewerb und nutzen die neuen Möglichkeiten. Auch
die Bürgerinnen und Bürger, allen voran die bayerischen
Wähler, die Sie heute besonders ansprechen wollen, wis-
sen längst, dass der Gesundheitsfonds kommt, und be-
schäftigen sich mit völlig anderen Fragen.


(Lachen bei der FDP)


– Ja, passen Sie einmal auf. Mit Ihren Fragen beschäfti-
gen sie sich gar nicht.


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Wann waren Sie das letzte Mal in Bayern?)


Sie wollen wissen, was auf sie zukommt: ob ihre
gesundheitliche Versorgung gesichert bleibt, ob der
Hausarzt in dem Dorf, in dem sie leben, noch einen
Nachfolger findet und ob ihre Kasse die Kosten einer
Behandlung auf dem neuesten medizinischen Stand auch
weiterhin finanzieren kann. Diese Fragen beschäftigen
die Menschen. Mit diesen Fragen haben Sie sich aber
heute Vormittag überhaupt nicht auseinandergesetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit Ihren Kampfparolen aus längst vergangenen Zeiten
bleiben Sie jegliche Antwort schuldig. Dies zeigt mir
ganz deutlich: Ihnen kann man ein so existenziell wichti-
ges Thema schlicht nicht anvertrauen.


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Aber mit uns regieren wollt ihr trotzdem!?)


Wir sollten uns lieber den künftigen Herausforderungen
im Gesundheitswesen stellen. Wir tun dies. Wenn Sie
weiterhin schmollend in der Ecke sitzen und Ihren Trotz
ausleben wollen, dann tun Sie es, bleiben Sie sitzen.


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Dieser runde Saal hat keine Ecken!)


Mit der Einführung des Fonds zum Jahreswechsel
werden wir die Budgetierung der ärztlichen Leistungen
beenden. Die niedergelassenen Ärzte erhalten 2,7 Mil-
liarden Euro mehr an Vergütung. Damit kehren nach
16 Jahren die Prinzipien der Leistungsgerechtigkeit
und Verlässlichkeit bei der Honorierung wieder in die
Praxen zurück. Dadurch stärken wir die Freiberuflich-
keit. Das sind die Grundlagen, die geschaffen werden
müssen, damit das, was uns wichtig ist, auch weiterhin
funktioniert.

Es stimmt überhaupt nicht, Kollegin Bender, dass
nicht mehr Geld in die Versorgung gelange. Sie kennen
doch die Verträge, die abgeschlossen wurden und die
insbesondere darauf abzielen, die Versorgung zu verbes-
sern, die Wartezeiten in den Praxen zu verringern und
sogar Sprechstunden in den Abendstunden anzubieten.


(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Honorarerhöhungen sind nicht daran geknüpft!)


Das sind doch die Verbesserungen in der Versorgung, die
bei den Patientinnen und Patienten ankommen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir sichern damit die flächendeckende medizini-
sche Versorgung mit Praxen und Krankenhäusern auch
in strukturschwachen Regionen, und zwar auch dort, wo
niedrige Beiträge die Versorgung erschwert haben, wie
es etwa in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit der Fall
ist.

Einheitlicher Orientierungswert bei der ärztlichen
Honorierung bedeutet: Für die gleiche medizinische
Leistung wird auch endlich der gleiche Preis gezahlt,
egal wo sie in Deutschland erbracht wird. Die Konver-
genzklausel sichert Leistungserbringer für eine Über-
gangszeit bei historisch gewachsenen und strukturell be-
dingten höheren Kostenstrukturen ab. Auch das ist
wichtig.

Mit einem zusätzlichen Krankenhausfinanzierungs-
paket hat die Bundesregierung in dieser Woche den Weg






(A) (C)



(B) (D)


Annette Widmann-Mauz
für eine Übernahme von 50 Prozent der Kosten durch die
Tariflohnsteigerungen im Krankenhaus freigemacht. Mit
dem Programm für mehr Pflegekräfte wird die Einstel-
lung von 21 000 zusätzlichen Pflegekräften unterstützt.
Der Sanierungsbeitrag der Krankenhäuser wird aufge-
hoben, und ab dem Jahr 2011 soll der Budgetdeckel, also
die Anbindung an die Grundlohnrate, endlich wegfallen
und durch sachgerechte Kostenkriterien neu definiert
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das alles bedeutet, dass 3 Milliarden Euro zusätzlich für
die Krankenhausversorgung in unserem Land ausgege-
ben werden.

Mit der Einführung des Gesundheitsfonds werden die
Krankenkassen erstmals auch keine Schulden mehr ha-
ben. Das ist doch ein echter Beitrag zur Generationen-
gerechtigkeit. Das heißt, in Zukunft werden Beiträge
wieder für echte Leistungen und nicht für Schuldentil-
gung oder Schuldzinsen eingesetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Unter Einbeziehung der Kostensteigerungen bei Arz-
neimitteln und der Erhöhung der Leistungen für Präven-
tion und Rehabilitation liegt ein Gesamtpaket mit einem
Umfang in Höhe von fast 8 Milliarden Euro für eine bes-
sere medizinische Versorgung vor. Das ist auch der
Grund, warum im nächsten Jahr der durchschnittliche
Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung
ansteigen wird. Das hat nun wirklich überhaupt nichts
mit der Einführung des Gesundheitsfonds zu tun. Wer
das verschweigt, obwohl er es besser weiß, der täuscht
die Versicherten vorsätzlich und will wohl den Beschäf-
tigten im Gesundheitswesen die besseren Arbeitsbedin-
gungen und den Patientinnen und Patienten sowie Versi-
cherten die bessere Versorgung vorenthalten.

In Ihrem Antrag haben Sie heute keinen einzigen Vor-
schlag unterbreitet, wie Sie mit den wachsenden medi-
zinischen Herausforderungen umgehen und wie Sie sie
finanzieren wollen. Deshalb müssen Sie sich auch im-
mer wieder fragen lassen, wie Ihre Alternativen ausse-
hen. Neue Zwangsrabatte, neue Budgets, Leistungsaus-
schluss, Leistungsrationierung, höhere Zuzahlungen,
sind das Ihre Vorstellungen, um das Gesundheitswesen
der Zukunft zu steuern? Wir lassen es Ihnen jedenfalls
nicht durchgehen, wenn Sie morgens bei der Demo vor
dem Brandenburger Tor schreien, der Deckel muss weg –


(Zuruf des Abg. Daniel Bahr [Münster] [FDP])


um das zu bewerkstelligen, berufen Sie sich ja gerne auf
ominöse Wunderpapiere, die angeblich irgendwo im
Hochsicherheitstrakt der Parteizentrale aufbewahrt wer-
den –, und dann am Nachmittag, nachdem andere den
Deckel weggeräumt und die Budgetierung beendet ha-
ben, die höheren Beiträge kritisieren. Diese Arbeitstei-
lung lassen wir Ihnen nicht durchgehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir wissen, dass wir für Gesundheit mehr tun müs-
sen, im persönlichen Verhalten, aber auch finanziell. Wir
wissen aber auch, dass „nur teuer“ nicht gleich „immer
besser“ ist. Vielmehr lohnt es sich nun auch, die Kräfte
des Wettbewerbs für eine effiziente Versorgung zu mobi-
lisieren und sich auf die Menschen zu konzentrieren, für
die die gesetzliche Krankenversicherung einmal ge-
schaffen worden ist, nämlich für Kranke. Der Fonds be-
wirkt dieses Mehr an Wettbewerb, einen Wettbewerb vor
allen Dingen um bessere Behandlungsprogramme und
bessere Behandlungsstrukturen, insbesondere für chro-
nisch kranke Menschen. Der gut geführte, angemessen
versorgte und behandelte Patient als Mithandelnder gerät
doch jetzt in den Mittelpunkt des Kasseninteresses. Dop-
peluntersuchungen und Fehlbehandlungen zu vermei-
den, Patientenmotivation zu stärken, ihre Beteiligung zu
fördern, die Abstimmungsprozesse im System zu ver-
bessern, all das zahlt sich in Zukunft aus; denn genau für
die so versorgten Patienten erhält die Krankenkasse in
Zukunft unter dem Strich mehr an Zuweisungen, als
diese an Ausgaben produzieren. Das bisherige Objekt
der Begierde, also der gesunde, junge Gutverdiener ohne
Familienanhang, wird an Attraktivität verlieren. Auf ihn
abzielende Marketingstrategien werden sich in Zukunft
nicht mehr rechnen.

In modernen Behandlungsmethoden, intelligenten und
effizienten Versorgungsstrukturen mit wenigen Schnitt-
stellen, guter Beratung und guter Betreuung und damit
geringeren Folgekosten liegt die Zukunft der Kranken-
kassen und der Vorteil für die Patienten.

Richtig ist, dass nicht jede Kasse für diesen Leis-
tungs- und Qualitätswettbewerb gleich gut gerüstet
ist. Das Mehr an Transparenz, für das jetzt gesorgt wird,
fördert das auch deutlich zutage. Das haben im Laufe
dieses Jahres auch so manche Kassenmanager gemerkt.
Während die einen – das konnten wir heute auch wieder
erleben – das Unvermeidbare am liebsten auf Protest-
kundgebungen, in Podien oder Foren immer neu proble-
matisieren und am liebsten wegdiskutieren wollen, ha-
ben sich andere längst an die Arbeit gemacht, sei es
durch interne Umstrukturierungen, neue Vertragsver-
handlungen und Ausschreibungen oder auch durch stra-
tegische Kassenzusammenschlüsse. Aber auch hier passt
es nicht zusammen, stets die überbordende Bürokratie
und die hohen Verwaltungskosten zu beklagen und dann
Fusionen mit dem Stichwort „Einheitskasse“ abzutun.

Sieben Spitzenverbände hatten weniger Kompetenz
als der eine neue Spitzenverband, und die sieben Spit-
zenverbände haben deutlich mehr Personal gebraucht,
um dieselbe oder weniger Arbeit zu leisten, als es heute
der eine Spitzenverband kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das sind praktische Vorschläge zur Entbürokratisierung,
nicht aber Ihr Gebrüll, das Sie heute Vormittag wieder an
den Tag gelegt haben.

Wir machen uns an die Arbeit. Die Debatte um die
Umsetzung und die Fragen, die die Menschen beschäfti-
gen, macht Sinn, Ihr Antrag auf jeden Fall nicht. Wir las-
sen uns durch Ihre Schmollhaltung nicht von der Arbeit
und auch nicht davon abhalten, an unserem Konzept,
dem überzeugendsten, einer solidarischen Gesundheits-
prämie, weiterzuarbeiten und es zu verwirklichen.






(A) (C)



(B) (D)


Annette Widmann-Mauz
Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1618005700

Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Heinz

Lanfermann.


(Beifall bei der FDP)



Heinz Lanfermann (FDP):
Rede ID: ID1618005800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich darf mich zunächst einmal ganz ausdrück-
lich bei fast allen Vorrednern dafür bedanken, dass sie
sich so intensiv mit der FDP beschäftigt haben. In der
Tat wird es bis zur nächsten Bundestagswahl genügend
Gelegenheiten geben, über unsere Vorstellungen von ei-
nem Gesundheitssystem, das allen Menschen die beste
Versorgung bringen kann, zu debattieren. Dieses soll al-
lerdings die Elemente Selbstbestimmung, Wahlfreiheit
und Selbstverantwortung enthalten.


(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir einmal gespannt!)


Unterlagen dazu schicken wir Ihnen gerne zu, weil hier
manches falsch zitiert oder verstanden worden ist.


(Beifall bei der FDP – Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Da steht nichts drin!)


Über eines wollen wir uns gar nicht beschweren: Hier
ist deutlich gesagt worden, was man will. Frau Schmidt
hat ganz klar gesagt: Der Fonds kommt.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Richtig!)


Frau Widmann-Mauz und andere haben gesagt: Der
Fonds kommt. – Auch die CDU und die CSU sagen dies.

Insofern verwundert mich Folgendes: Wir haben Ih-
nen eine einfache Frage gestellt: Wollen wir die Einfüh-
rung verschieben, ja oder nein? – Dann lassen Sie uns
doch darüber abstimmen.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wo ist denn das Problem? Warum können Sie nicht das,
was Sie sagen, auch durch einfaches Heben der Hand vi-
suell verdeutlichen? Dann würden es die Menschen im
Lande nämlich sehen.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Das brauchen wir nicht mehr!)


– Dann stimmen wir gleich darüber ab. Dann ist es ja in
Ordnung.


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Sehr schön!)


Mehr wollen wir ja gar nicht. Sie sollen nur zu dem ste-
hen, was Sie wollen.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Es gibt nichts, worüber wir abstimmen müssen!)

Meine Damen und Herren, Frau Schmidt hat gesagt,
die Sache mit dem Bürokratiemonster sei völliger Un-
sinn, das sei alles falsch. Na ja, wir haben den Altkanzler
Schröder zitiert, der vom Bürokratiemonster gesprochen
hat; übrigens haben viele andere Kolleginnen und Kolle-
gen – auch aus der SPD und der CDU – genau dieses
Wort gebraucht. Wenn Sie uns jetzt weismachen wollen,
das stimme nicht, dann stehen Sie nicht dazu. Sie reden
immer nur über das, was draußen Eindruck machen soll;
Sie reden nicht über das, was Sie zu verantworten haben.

Darin sind Sie ganz großartig: Sie bemängeln Sachen,
die Sie selber auf den Weg gebracht haben. Sie stehen
doch seit sechs Jahren für eine Politik, die den Menschen
sagt, dass sie die Kasse gefälligst wechseln sollen, wenn
sie ihnen nicht gefällt oder zu teuer wird. Das haben die
Menschen jetzt getan, und nun sagen Sie: Schaut einmal,
die AOK Saarland hat so viele Rentner und so wenige
Mitglieder, die höhere Beiträge zahlen. – Ja gut, das ha-
ben Sie gewollt. Das ist Wettbewerb.


(Beifall bei der FDP)


Sie sehen doch einen Risikostrukturausgleich vor, in
dem gerade das Alter berücksichtigt wird. Dann gestal-
ten Sie den Risikostrukturausgleich doch anders. Dafür
brauchen Sie doch keinen Fonds, in den die Gelder ein-
gezahlt werden, damit sie später wieder ausgezahlt wer-
den.


(Beifall bei der FDP)


Heute gehen Sie gar nicht – das verschweigen Sie,
aber es ist ein wichtiges Thema – auf die Bürokratie
ein. Sie wissen ganz genau: Für 73 Millionen Versicherte
in der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland
müssen Konten eingerichtet werden, die es bisher nicht
gab. Bisher zahlten nur die Arbeitgeber ein. Dann ist das
Geld da, und dann werden die Kosten bezahlt. Es gibt
aber keine Einzelkonten für die Versicherten.

Von den 73 Millionen Versicherten sind 51 Millionen
selbst versichert, der Rest ist mitversichert. Also braucht
man 51 Millionen Konten. Jetzt sagt der AOK-Bundes-
verband – also nicht die FDP und auch nicht deren Pro-
pagandaabteilung –, dass ein Konto 2,50 Euro pro Kopf
und Monat kostet. Das ist auch nachvollziehbar, wenn
Sie einmal überlegen, was Ihr Bankkonto kosten kann.
Wenn ich 2,50 Euro mal 51 Millionen auf die Schnelle
richtig gerechnet habe, kommt man immerhin auf einen
Betrag von 125 Millionen Euro im Monat.


(Elke Ferner [SPD]: Milchbubenrechnung!)


Das kann man mal zwölf nehmen, um einen Jahresbetrag
zu bekommen. Dann ist man bei 1 500 Millionen Euro.
Man kann auch sagen: 1,5 Milliarden Euro. Da der Bei-
tragssatz immer um 0,1 Prozent steigt, wenn man
1 Milliarde Euro mehr Ausgaben hat, dürften das
0,15 Beitragspunkte sein. Berücksichtigen Sie das bitte
in den nächsten Tagen, wenn Sie für ganz Deutschland
den Beitragssatz für die Krankenkasse festsetzen wollen.
Auch Sie, Herr Zöller, müssen dann bei Ihren Kalkula-
tionen noch etwas drauflegen.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Heinz Lanfermann
Es soll niemand sagen, er habe es nicht gewusst und
habe es nicht gehört. Sie müssen auch diese Bürokratie-
kosten einrechnen.

Wenn Ihnen das aber zu kompliziert ist oder Ihnen die
Zahlen zu hoch sind, dann machen Sie es andersherum:
Für Prävention, Ihr Lieblingsthema, geben Sie im
Jahre 2008 etwa 2,80 Euro pro Versicherten aus – nicht
pro Monat, pro Jahr. Dazu kommen noch 60 Cent oder
70 Cent für Selbsthilfe. Das ist auch ein edles Motiv, ein
edles Ziel. Das macht zusammen ungefähr 3 Euro oder
3,50 Euro.


(Dirk Niebel [FDP]: Seien wir großzügig! – Elke Ferner [SPD]: Rechnen ist schwer!)


Es sind jedenfalls über 3 Euro im Jahr.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1618005900

Herr Kollege, ich muss Sie darauf hinweisen, dass Sie

etwas schneller rechnen müssen, weil die Redezeit abge-
laufen ist.


Heinz Lanfermann (FDP):
Rede ID: ID1618006000

Ich bin sofort fertig, Frau Präsidentin.


(Elke Ferner [SPD]: Schneller rechnen!)


30 Euro im Jahr für neue Verwaltungskosten, nämlich
zwölfmal 2,50 Euro, aber nur 3,50 Euro für Prävention
und Selbsthilfe. Mehr als achtmal so viel Geld, wie Sie
für Prävention und Selbsthilfe ausgeben, verschwenden
Sie für die neue Bürokratie.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Können Sie mir das noch einmal vorrechnen? Ich habe das nicht verstanden! – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Da soll noch mal einer sagen, Juristen können nicht rechnen!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1618006100

Nächste Rednerin ist die Kollegin Elke Ferner für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Elke Ferner (SPD):
Rede ID: ID1618006200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich glaube, Herr Lanfermann hat eben eindrucksvoll
vorgeführt, wie es um die Rechenkünste der FDP bestellt
ist.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ja, leider! – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Wo zweifeln Sie es an, Frau Ferner? – Dr. Werner Hoyer [FDP]: Legen Sie doch einmal nach! – Heinz Lanfermann [FDP]: Welche Zahl war denn nicht richtig?)


So gut, wie es um die Rechenkünste der FDP bestellt ist,
so gut ist es auch inhaltlich um die Künste der FDP be-
stellt, denn der Antrag, den Sie vorgelegt haben und den
wir heute debattieren, ist genauso schlicht, wie er
schlicht untauglich ist, liebe Kollegen und Kolleginnen.

Sie wollen mit Ihrem Antrag – was Sie wollen, sieht
man eigentlich erst in der Begründung – die Ungerech-
tigkeiten, die es im heutigen System gibt, nicht nur fest-
schreiben, sondern Sie wollen sie sogar noch verstärken.
Sie tun das alles nach dem Motto: Allen wohl und kei-
nem wehe. Das hat man auch gestern gesehen: bei der
Demo mitmarschieren und sich gleichzeitig an anderer
Stelle für Beitragssatzsenkungen aussprechen. Das passt
alles nicht zusammen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Sie können nicht den einen mehr Geld versprechen
und auf der anderen Seite sagen, aber die Beiträge müs-
sen sinken. Wenn Sie den einen mehr Geld geben wollen
und den anderen nur eine geringere Beitragslast zumuten
wollen, müssen Sie auch sagen, welche Leistungen Sie
aus dem Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung
ausgliedern wollen. Das tun Sie aber nicht.

Sie sagen in Ihrem Präsidiumsbeschluss, dass die
Leistungen auf das medizinisch Notwendige beschränkt
werden sollen. Ja, was ist denn das medizinisch Notwen-
dige? Sie tun ja so, als sei das, was heute von der gesetz-
lichen Krankenkasse bezahlt wird, alles nicht medizi-
nisch notwendig. Heißt das, dass ältere Menschen
vielleicht keine Hüftgelenksoperation mehr bekommen?
Heißt es das? Ist es das, was Sie unter „nicht medizinisch
notwendig“ verstehen?


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Ich erinnere an Herrn Mißfelder! – Dr. Werner Hoyer [FDP]: Das Thema müssen Sie mit Ihrem Koalitionspartner behandeln!)


Dann legen Sie die Karten doch endlich einmal auf den
Tisch, und sagen Sie, was Sie wollen!


(Beifall bei der SPD)


Außerdem wollen Sie keinen vernünftigen Risiko-
strukturausgleich. Sie wollen sogar hinter den Status quo
noch zurück. Was bedeutet das denn? Das bedeutet, dass
die Kassen, die heute – nicht, weil sie es sich ausgesucht
haben, denn die Kassen können sich ihre Versicherten
nicht aussuchen; die gesetzlichen Krankenkassen müs-
sen jeden, der Zugang zur gesetzlichen Krankenkasse
hat, aufnehmen – einen hohen Anteil von Geringverdie-
nern versichert haben, die wenig freiwillig Versicherte
haben, die viele kranke Menschen versichert haben, für
die sie ein gutes Versorgungsangebot haben, ihre Bei-
träge noch weiter erhöhen müssten, während andere, die
Internetkrankenkassen sind, die bestenfalls irgendwo
eine Geschäftsstelle haben und ansonsten nur per Tele-
fon und Internet zu erreichen sind, ihre Beiträge sogar
noch absenken könnten.

Mit einem solidarischen Gesundheitssystem und einer
guten medizinischen Versorgung hat das überhaupt
nichts zu tun.


(Beifall bei der SPD)


Sie sollten wirklich noch einmal in sich gehen, auch be-
züglich der Frage, inwieweit von der solidarischen Fi-






(A) (C)



(B) (D)


Elke Ferner
nanzierung der Krankenversicherung in Deutschland ab-
gegangen werden soll.

Sie fordern auch, mehr Kapitaldeckungselemente in
die Krankenversicherung zu bringen. Ich frage mich:
Was wäre passiert, wenn wir einen noch höheren Anteil
an privater Vorsorge in dem gesetzlichen System der
Krankenversicherung gehabt hätten und das Geld bei der
Finanzkrise plötzlich „puff!“ gemacht hätte?


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Und wo ist es jetzt? Implizite Verschuldung dieser Krankenversicherung! Sie schieben die Lasten auf die kommende Generation! Mir ist das Geld bei den Beitragszahlern lieber, als Frau Schmidt das Geld zu geben!)


– Herr Bahr, Sie wissen genauso gut wie ich, dass die
Krankenkassen im nächsten Jahr schuldenfrei sein wer-
den,


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Wir reden von Rücklagen!)


dass auch regional tätige Krankenkassen in Ländern, in
denen die FDP Regierungsverantwortung mitträgt, von
der Landesaufsicht mit in die Verschuldung getrieben
worden sind. Keine Partei und keine Regierung kann
sich davon freisprechen, mit dem Ziel, die Beitragsstabi-
lität zu erhalten, einige Krankenkassen in die Schulden
getrieben zu haben.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Das müssen wir nur noch einmal dem Kanzleramt mitteilen!)


Damit haben wir jetzt aber Schluss gemacht.


(Beifall bei der SPD)


Hinzu kommt, dass wir mit dem Fonds den Risiko-
strukturausgleich verbessern.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Ach was?)


– Natürlich. – Mehr Krankheiten werden ausgeglichen.
Das heißt, Kassen, die mehr kranke Versicherte haben,
bekommen mehr Geld zugewiesen, damit die dadurch
entstehenden zusätzlichen Kosten ausgeglichen werden.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Da gibt es einen Anreiz, noch mehr Kranke einzugruppieren!)


Wir hätten es allerdings besser gefunden, wenn es keine
Begrenzung auf 50 oder 80 Krankheiten gegeben hätte.
Wenn es nach Ihnen ginge, wären vielleicht Alter und
Geschlecht Kriterien, aber damit hätte sich die Sache
auch schon. Das trägt aber überhaupt nicht. Das würde
zu einer Verschlechterung der Versorgung führen.


(Beifall bei der SPD – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das ist doch Unsinn!)


– Herr Bahr, schreien Sie doch nicht so dazwischen!
Stellen Sie eine Zwischenfrage! Die beantworte ich Ih-
nen dann gerne.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das verlängert nur! Das wäre schlecht!)

Ich muss sagen: Im Zweifel kann ich etwas lauter reden
als Sie. Die Tatsache, dass Sie hier so rumschreien, zeigt,
dass ich Ihren Nerv getroffen habe.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Unsachlich!)


Wir haben auch einen besseren Finanzkraftaus-
gleich. Heute haben wir einen Finanzkraftausgleich von
nur 92 Prozent, künftig wird er 100 Prozent betragen.


(Beifall bei der SPD)


In Zukunft wird es also keine Rolle mehr spielen, wie
viel ein Krankenversicherungsmitglied verdient. Das
Geld wird gerecht zwischen den Krankenversicherungen
aufgeteilt werden.

Wenn man sich die Unterschiede bei den Beitragssät-
zen anschaut, stellt man fest, dass die Bandbreite sehr
groß ist. Da Sie immer auf die billigen Internetkranken-
kassen abstellen – Frau Schmidt hat eben ja auch die
AOK Saarland und die IKK Südwest-Direkt angespro-
chen – möchte ich sagen: Diese Änderung hat eine wei-
tere Folge, die für Ihre Klientel nicht so ganz günstig ist.
Wenn ein Versicherter im Saarland, in Hessen oder in
Rheinland-Pfalz von der AOK zur IKK Südwest-Direkt
wechselt, dann spart er zwar Geld, aber seine Ärzte be-
kommen auch weniger Honorar. Warum? Weil die IKK
Südwest-Direkt weniger in den KV-Topf einbezahlt. Das
heißt, der Arzt, der den Patienten Müller oder die Patien-
tin Schmidt behandelt, bekommt für die gleiche Leistung
beim gleichen Patienten weniger Geld, und zwar nur,
weil ein Krankenkassenwechsel stattgefunden hat.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Beide Kassen wird es künftig nicht mehr geben!)


Auch dieser Zustand wird mit der Gesundheitsreform
beendet. Künftig wird für gleiche Leistung auch gleiches
Geld bezahlt. Deshalb sind die Zuweisungen aus dem
Gesundheitsfonds gerecht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Die AOK Saarland wird es nicht überleben!)


Im anstehenden Gesetzgebungsverfahren werden wir
darauf drängen, dass auch die Verwaltungskosten ge-
recht ausgeglichen werden. Im Regierungsentwurf


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Fraktionsentwurf!)


haben wir folgende Verteilung der Verwaltungskosten:
zu 50 Prozent morbiditätsorientiert und zu 50 Prozent an
der Mitgliedschaft orientiert. Wir möchten, dass sich die
Kassen um ihre kranken Versicherten kümmern und Be-
ratungsangebote vorhalten. Wenn ich nur Mitglieder
habe, die gesund sind und Geld bezahlen – das ist ein
Gesetz der Logik –, habe ich weniger Verwaltungsauf-
wand, als wenn ich Mitglieder und Versicherte habe, die
krank sind, die Beratung, gute Versorgung und ein gutes
Versorgungsmanagement brauchen.

Deshalb sind wir der Überzeugung, dass die Auftei-
lung in 70 Prozent morbiditätsorientiert und 30 Prozent
orientiert an der Versichertenzahl die bessere Lösung ist.






(A) (C)



(B) (D)


Elke Ferner
Diese Auffassung teilen wir übrigens mit 16 Bundeslän-
dern; zwei Bundesländer haben sich bei der Abstimmung
im Bundesrat enthalten. Ich hoffe, dass die Unions-Bun-
destagsfraktion da ihre Blockadehaltung aufgibt und mit
uns für einen besseren Wettbewerb um die beste medizi-
nische Versorgung, die beste Betreuung der Mitglieder
und nicht um die pflegeleichtesten Versicherten eintritt.


(Beifall bei der SPD)


Der nächste Punkt, den ich noch ansprechen möchte,
ist der Beitragssatz. Wir haben in den letzten Wochen
und Monaten teilweise unsinnige Diskussionen erlebt.
Es wurde behauptet, höhere Beiträge seien auf den Ge-
sundheitsfonds zurückzuführen. Das ist natürlich blan-
ker Unsinn. – Sie schütteln den Kopf; daran merkt man,
dass Sie kein Experte sind.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Die Liquiditätsreserve zum Beispiel!)


– Ach, die Liquiditätsreserve. Herr Bahr, wenn ich im
nächsten Jahr mehr Ausgaben habe als in diesem Jahr,
würden auch im jetzigen System die Beiträge steigen. So
weit können Sie mir wahrscheinlich zustimmen.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das stimmt!)


Die Liquiditätsreserve wird beitragssatzneutral auf-
gebaut werden. Das ist der nächste Punkt.


(Heinz Lanfermann [FDP]: Die Konvergenzklausel wird auch bezahlt, oder nicht?)


– Herr Lanfermann, stehen Sie doch auf, und stellen Sie
eine Zwischenfrage, oder seien Sie ruhig! Das, was Sie
hier machen, ist ja wirklich unmöglich.

Der Punkt ist, dass der Schätzerkreis die voraussicht-
lichen Einnahmen und die voraussichtlichen Ausgaben
prognostizieren wird. Im Gesetz steht klar und deutlich,
dass der Beitragssatz so zu bemessen ist, dass hundert
Prozent der Ausgaben gedeckt werden können. Ich kann
Neugierige, die darauf jetzt politisch Einfluss nehmen
wollen, nur warnen. Herr Ramsauer beispielsweise hat
es vor ein paar Monaten versucht nach dem Motto: die
Beiträge runter. Das ist eher Populismus im Hinblick auf
die bayerische Landtagswahl, als dass es mit Seriosität
zu tun hat.

Wir werden dafür sorgen, dass die Beiträge so bemes-
sen werden, dass alle Leistungen finanziert werden kön-
nen und dass alle Versicherten auch künftig eine gute
und hochwertige medizinische Versorgung haben, die
solidarisch finanziert ist. Das werden wir im nächsten
Bundestagswahlkampf deutlich machen, in dem wir wie-
der für unser Konzept einer Bürgerversicherung werben
werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1618006300

Nächster Redner ist der Kollege Max Straubinger für

die CDU/CSU-Fraktion.

(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bayern und der Gesundheitsfonds! – Zurufe von der FDP)



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1618006400

CSU-Politiker sind grundsätzlich der Wahrheit ver-

pflichtet.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Aber nur nach zwei Maß!)


Verehrte Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kol-
legen! Wir haben heute wiederum die Ehre, eine rück-
wärtsgerichtete Diskussion zu führen.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: So ist es!)


Die Abstimmung über den Gesundheitsfonds hat bereits
stattgefunden. Offensichtlich hat die FDP das noch nicht
kapiert


(Beifall der Abg. Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU])


und deshalb einen Antrag gestellt. Es ist völlig klar: Das
ist der bayerischen Landtagswahl geschuldet. Ich kann
durchaus die Freude vom Kollegen Lanfermann verste-
hen, wenn er heute feststellt, dass sich so viele mit der
FDP beschäftigen. Aus meinem Einsatz im Landtags-
wahlkampf kann ich berichten,


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir sind hier nicht im Bayerischen Landtag!)


dass alle FDP-Heroen in unserem Stimmkreis immer nur
einen Unternehmer besuchen können, weil es nur einen
bekennenden FDPler gibt; es sind auch immer dieselben
drei Personen dabei.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Er ist nicht der Einzige! Er ist einfach der Erste!)


Von daher habe ich Verständnis dafür, dass er sich freut,
dass der FDP heute mehr Aufmerksamkeit zuteil wird
als im bayerischen Landtagswahlkampf.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Wir sehen uns am Montagmorgen!)


Uns geht es um die hochwertige Versorgung unserer
Bürgerinnen und Bürger im medizinischen Bereich. Des-
halb nutzen rückwärtsgerichtete Diskussionen nicht. Es
geht um die Gestaltung unseres solidarisch finanzierten
gesetzlichen Krankenversicherungssystems und auch um
den Stellenwert der privaten Krankenversicherung. Das
ist meines Erachtens etwas Entscheidendes.

Wir haben eine gute Gesundheitsreform auf den
Weg gebracht. Natürlich kann man sich über verschie-
dene Elemente streiten. Frau Bundesministerin und die
Kollegin Widmann-Mauz haben die Vorteile der Ge-
sundheitsreform bereits dargestellt: verbesserte Pflicht-
leistungen für die gesetzlich Krankenversicherten, mehr
Wettbewerb auf der Leistungserbringerseite, mehr Ver-






(A) (C)



(B) (D)


Max Straubinger
tragsmöglichkeiten, etwa in der gesetzlichen Kranken-
versicherung durch Selbstbehalttarife. Das zeigt, dass im
System der gesetzlichen Krankenversicherung weiterhin
Wettbewerbselemente vorhanden sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Natürlich möchte ich auch herausstellen, dass wir es kri-
senfest gemacht haben, indem die Schulden abgebaut
worden sind.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: So ist es!)


Schuldenabbau ist immer zum Vorteil aller Versicher-
ten und der Gesellschaft insgesamt. Zukünftig werden
noch mehr Finanzmittel über Steuermittel beigesteuert.
Für diese Mittel muss die Gesellschaft insgesamt auf-
kommen. Das zeigt sehr deutlich, dass die Solidarität in
unserer Gesellschaft mit dieser Reform gestärkt worden
ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich gebe ganz unumwunden zu: Wir als CSU haben
sehr vieles kritisch beäugt. Insbesondere was die Einfüh-
rung des einheitlichen Beitragssatzes angeht, ist in
meinem Bundesland – das haben viele Gutachter hier be-
stätigt; die einzelnen Wissenschaftler haben lediglich
unterschiedliche Größenordnungen vorausgesagt – mit
einem Beitragsmittelabfluss zu rechnen. Für uns Bayern
ist das besonders bedeutsam; schließlich soll den Bürge-
rinnen und Bürgern in Bayern weiterhin eine hochwer-
tige medizinische Versorgung im ambulanten wie im sta-
tionären Bereich wie bisher gewährleistet werden.
Deshalb war für uns die Einführung der Konvergenz-
klausel wichtig. Ich möchte zugestehen: Wir haben mit
dafür gesorgt, dass die Konvergenzklausel so ausgestal-
tet ist, wie es im politischen Sinne vereinbart worden ist.
Daher haben wir Gutes für die gesundheitliche Versor-
gung der Bürgerinnen und Bürger geleistet.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dasselbe gilt natürlich für die Bezahlung der Leis-
tungserbringer im Rahmen der Honorarreform. Es
kann nicht sein, dass alle Ärzte in Deutschland bis auf
die in Bayern zukünftig mehr verdienen. Auch für die
Ärztinnen und Ärzte in Bayern muss ein Anteil abfallen.

Wichtig ist auch die Stärkung des Krankenhaussek-
tors. Wir stehen dazu – bemerkenswert ist, dass die Frau
Kollegin Bender bekrittelt hat, dass mehr Geld für die
Krankenhäuser ausgegeben wird; die Kolleginnen und
Kollegen der FDP bekritteln dies, obwohl sie zusammen
mit den Demonstranten draußen marschieren und in die-
sem Hause günstige Beiträge fordern –, dass für die Bür-
gerinnen und Bürger weiterhin eine flächendeckende,
großartige Krankenhausversorgung zur Verfügung steht.
Das haben wir hier mit erreicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Frau Kollegin Ferner, eines möchte ich noch anspre-
chen. Ich möchte auf die Anhörung bezüglich der Verwal-
tungskosten verweisen. Sie fordern, dass die Aufteilung
der Verwaltungskosten zukünftig wieder nach dem Mus-
ter „70 Prozent nach Morbidität, 30 Prozent nach Versi-
chertenanzahl“ erfolgt. Gerade in der Anhörung hatte der
ehemalige Präsident des Bundesversicherungsamtes,
Herr Dr. Daubenbüchel, dargestellt, dass es für diese Auf-
teilung keine empirische Grundlage gibt, sondern dass
– im Gegenteil – die im Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung verankerte Aufteilung der Verwaltungskosten „50 Pro-
zent nach Morbidität, 50 Prozent nach Versichertenan-
zahl“ sehr sachgerecht ist. Wir werden die Intention der
Bundesregierung weiterhin mit größter Anstrengung un-
terstützen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1618006500

Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort der Kollege

Peter Friedrich.


(Beifall bei der SPD)



Peter Friedrich (SPD):
Rede ID: ID1618006600

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste und Zuhörer! Zunächst: Frau Staatsministe-
rin Müller, auch von uns alles Gute für den weiteren
Weg. Sie haben uns zwei Wünsche hinterlassen: Der
eine war, für mehr Prävention zu sorgen, und der andere,
den Strukturwandel im Krankenhausbereich voranzu-
bringen. Ich kann Ihnen versichern: Wir von der SPD-
Fraktion werden bei unserer Arbeit beide Wünsche
nachhaltig berücksichtigen. Wir wollen ein Präventions-
gesetz auf den Weg bringen, das diesen Namen auch ver-
dient.


(Beifall bei der SPD)


Außerdem wollen wir dafür sorgen, dass in den Ländern
die notwendigen Investitionsmittel fließen und dass sich
die Strukturen der Krankenhäuser entsprechend anpas-
sen.

Bevor ich ein paar Sätze zu dem Antrag der FDP
sage, möchte ich einige Worte zu dem Beitrag von Herrn
Spieth verlieren. Herr Spieth, ich kann gut verstehen,
dass Sie sich an der FDP abarbeiten. Aber Sie hätten der
Vollständigkeit halber schon erwähnen sollen, dass Sie
gestern – abends gingen alle Reden zu Protokoll – einen
Antrag eingebracht haben, in dem Sie vorschlagen, den
Gesundheitsfonds nicht einzuführen.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Aus einer ganz anderen Zielrichtung!)


Da Sie schon mehrere Beiträge zu diesem Thema ge-
bracht haben, weiß ich, dass Sie das eigentlich gar nicht
so sehen. Ich weiß nicht, ob Sie da überstimmt worden
sind oder ob der Fachsprecher Spieth vom Lautsprecher
Spieth übermannt wurde.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Das Niveau war schon höher!)


Aber in der Sache ist es so: Wir halten Kurs. Wir werden
den Fonds einführen. Schließlich stellen sich die Bürge-
rinnen und Bürger ebenso wie die Kassen darauf ein;
und das ist gut so.






(A) (C)



(B) (D)


Peter Friedrich

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Wenn Sie den Antrag gelesen hätten und meine Rede gelesen hätten, wüssten Sie, was ich will!)


Ich komme nun zum Antrag der FDP. Der Text sel-
ber ist kurz, aber zu Ihrer Begründung möchte ich ein
paar Worte sagen. Sie schreiben im zweiten Absatz, dass
der Preis ein wesentliches Element des Wettbewerbs bei
den Versicherungen sei. Ich stelle fest, dass die FDP die
Strukturunterschiede zwischen der gesetzlichen und der
privaten Krankenversicherung offensichtlich immer
noch nicht ganz nachvollzogen hat. Wenn Sie schreiben,
der Preis sei das wesentliche Wettbewerbselement, dann
kann ich Ihnen nur sagen: Der Preis einer Versicherung
bemisst sich nach dem Risiko, das zu versichern ist. Sie
wollen nach wie vor – daran halten Sie fest –, dass Risi-
koselektion ein Wettbewerbsinstrument ist. Das wollen
wir nicht. Genau deswegen machen wir diese Reform.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich erinnere Sie nur an § 1 SGB V: Die Krankenversi-
cherung ist eine Solidargemeinschaft. Sie ist kein Ele-
ment der Risikoselektion.

Sie schreiben im nächsten Absatz, dass der einheitli-
che Krankenversicherungsbeitrag dazu führen werde,
dass „Forderungen nach mehr Steuergeld“ kämen. Ich
sage Ihnen: Ich bin froh darüber, dass wir endlich im po-
litischen Raum gleiche Bedingungen bei der Frage ha-
ben: Gehen wir in die Beitragssätze, oder nehmen wir
Steuergeld?


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Sie nehmen es nur von den Krankenversicherten! Das ist der Punkt! Die Arbeitgeber werden entlastet, und nur die Versicherten werden belastet! Von wegen Solidarausgleich! Das ist doch verlogen!)


Wir sind der Auffassung – diese Meinung teilt der über-
wiegende Teil dieses Hauses –, dass die Versicherung
eben nicht allein an den Faktor Arbeit gekoppelt sein
darf, sondern dass wir gerade für die gesamtgesellschaft-
lichen Aufgaben mehr Steuergeld in die Hand nehmen
wollen. Das kritisieren Sie. Aber genau das ist unser
Wille und Wunsch: Wir wollen in der Krankenversiche-
rung mehr Steuermittel einsetzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich als Gesundheitspolitiker betrachte deswegen die
Debatte um den Arbeitslosenversicherungsbeitrag mit
einer gewissen Sorge; das sage ich ganz offen. In den
Sozialversicherungen haben wir zum Teil kommunizie-
rende Röhren. Es kann nicht sein, dass wir in einem Be-
reich die Beiträge immer weiter absenken, während
gleichzeitig Geld aus der GKV in die Arbeitslosenversi-
cherung fließt und wir umgekehrt bei der gesetzlichen
Krankenversicherung mit höheren Beitragssätzen zu
rechnen haben, weil die Zuweisungen aus der Arbeitslo-
senversicherung nicht ausreichen.


(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verschiebebahnhof!)

Das kann dauerhaft nicht ernsthaft gewollt sein, und
zwar allein deswegen, weil der Arbeitslosenversiche-
rungsbeitrag nur von denen gezahlt wird, die im Beschäf-
tigungsleben stehen, während der Krankenversicherungs-
beitrag auch von den Rentnerinnen und Rentnern erbracht
werden muss. Deswegen müssen wir auch hier für einen
vernünftigen Ausgleich sorgen. Wir können nicht auf der
einen Seite die Beiträge immer weiter absenken, wenn
sich das dann bei der GKV negativ auswirken würde. Ich
bin froh, dass wir in der Koalition gemeinsam für eine Lö-
sung streiten.

In Ihrem Antrag kommen Sie dann im Weiteren dazu,
was Sie eigentlich umtreibt. Es geht Ihnen schon lange
nicht mehr um die Frage, wie die Einnahmen aufgeteilt
werden. Vielmehr geht es Ihnen um den Risikostruktur-
ausgleich; die Kollegin Ferner hat das schon ausgeführt.
Sie wollen nicht, dass die Kassen das Geld bekommen,
um die Kranken zu versorgen.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Quatsch! Das ist doch Unsinn!)


Das ist nicht Ihr eigentliches Ziel. Dagegen gehen Sie
immer wieder vor.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das wird auch ganz deutlich, wenn Sie schreiben: Der
Risikostrukturausgleich wird zu einem „allumfassenden
Zuteilungssystem“ ausgeweitet. Das kritisieren Sie. Wir
aber wollen das. Wir wären gerne noch ein Stückchen
weitergegangen; aber wir sind hier auf einem guten Weg.


(Beifall bei der SPD)


Auf der zweiten Seite der Begründung kommen Sie
dann dazu, die Kassen würden in Zukunft nicht mehr
darauf achten, den Versicherten ein überzeugendes
Preis-Leistungs-Verhältnis anzubieten. Ich sage Ihnen:
Wenn Sie glauben, Gesundheit könne man allein als ein
Produkt, als eine Ware definieren, die dann ihren Preis
auf einem Markt im freien Spiel der Kräfte findet, dann
entsolidarisieren Sie die Gesellschaft auf einem wichti-
gen Feld, nämlich dort, wo es um die persönlichen Risi-
ken der Menschen geht.

Wir haben dafür gesorgt – es macht uns noch einige
Mühe, hier die gesetzlichen Feinjustierungen vorzuneh-
men –, dass Kassen in Zukunft bei der Organisation der
Leistungen für die Versicherten vernünftige Instrumenta-
rien haben und Verträge abschließen können, dass sie in-
dikationsbezogene Versorgungsmodelle anbieten und
ganze Versorgungsketten entwickeln können, um opti-
male Leistungen für ihre Versicherten zu sichern. Das ist
die Qualität des Wettbewerbs, den wir in Zukunft haben
werden, also eine optimale Versorgung der Versicherten.
Es geht eben nicht um das Preis-Leistungs-Verhältnis an-
hand der Ware Gesundheit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Zum Schluss noch ein Wort zu den regionalen Be-
sonderheiten. Wir haben eben einen Beitrag zum
Thema Konvergenzklausel gehört. Wir sind froh, dass
wir die Forderungen aus der Bayerischen Staatskanzlei
samt denen zum Transrapid beiseitelegen können und






(A) (C)



(B) (D)


Peter Friedrich
jetzt zu einer vernünftigen Methode bei der Konvergenz
kommen.

Mein Wahlkreis liegt am Bodensee. Dort gibt es eine
sehr hohe Versorgungsdichte; das ist für uns wichtig und
wertvoll. Gleichwohl muss ich sagen: Es kann nicht an-
gehen, dass es weniger wert ist, die Erkältung, mit der
ich mich zurzeit herumplage, hier in Berlin auszukurie-
ren, als wenn ich sie in Konstanz auskurieren würde.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Um eine Erkältung kann man sich auch einmal selber kümmern!)


Das kann nicht ernsthaft der Anspruch eines solidari-
schen Systems sein.

Wir müssen den regionalen Besonderheiten gerecht
werden. Beim Honorierungssystem tun wir das. Ihnen
kann aber doch nicht egal sein, ob die Menschen, wie es
in meinem Wahlkreis der Fall ist, fünf Minuten bis zu ih-
rem Hausarzt brauchen, oder ob sie, wie in der Ucker-
mark, eine Dreiviertelstunde bis zu ihrem Arzt brauchen.
Das kann Ihnen doch nicht ernsthaft gleichgültig sein!


(Beifall bei der SPD)


Mit dem Gesundheitsfonds gewährleisten wir zum
ersten Mal einen 100-prozentigen Einkommensaus-
gleich. Damit vollenden wir die soziale innere Einheit
Deutschlands. Ich bitte Sie, das immer mitzubedenken.
Das ist für die Länder, die mehr hätten leisten müssen
– das sind in diesem Fall die grundlohnsummenstarken
Länder –, immer mühsam.


(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die sehen jetzt zu, dass die neuen Länder mehr bezahlen müssen! Na toll!)


Ihnen muss man das erklären. Sie machen das auch nicht
gerne. Wenn man am Prinzip der Solidargemeinschaft
festhalten will, ist das aber notwendig. Hier sind wir auf
einem guten Weg. Darüber freue ich mich.

Ich bin mir ganz sicher: Im nächsten Jahr werden sich
die Menschen tatsächlich wundern.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Oh ja! Sie werden begeistert sein!)


Die ganze Zeit haben sie nämlich von Ihnen, der Opposi-
tion, zu hören bekommen, dass alles in sich zusammen-
bricht. Im nächsten Jahr werden sie aber feststellen, dass
die Leistungen weiterhin wie gewohnt erbracht werden
– in weiten Bereichen werden sie sogar ausgeweitet –


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Die Menschen werden Ihnen bestimmt Dankesbriefe schreiben!)


und dass die Finanzierung insgesamt gerechter wird.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Gott sei Dank haben wir das Protokoll!)


Daher blicke ich mit Freude auf das nächste Jahr, und
zwar auch auf die Wahlauseinandersetzung. Dann wer-
den wir sehen, wer sich um das Gesundheitssystem ver-
dient gemacht hat und wer nicht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Frank Spieth [DIE LINKE]: Glücklicherweise haben wir das Protokoll, in dem wir das dann nachlesen können!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1618006700

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist nun die Kollegin

Maria Michalk für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU – Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt hören wir, wie sehr sich Sachsen über den Gesundheitsfonds freut!)



Maria Michalk (CDU):
Rede ID: ID1618006800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Freuen Sie sich nicht auch, so wie ich, auf die
vielen schmackhaften Äpfel, die wir im Herbst ernten
können?


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Ja! – Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Genau!)


Sie sind sehr gesund. Was uns Menschen aber überhaupt
nicht bekommt, sind Zankäpfel.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Den Gesundheitsfonds zum Zankapfel zu machen,
was seit Wochen versucht wird


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Ja! Innerhalb der Koalition! – Hartmut Koschyk [CDU/ CSU]: Immer fängt die FDP Zank an! Alles könnte so schön sein! Aber ihr müsst euch immer zanken!)


– das haben wir auch in dieser Debatte erlebt –, ist nicht
zielführend. Der Streit lähmt die Kräfte, die wir brau-
chen, um dieses anspruchsvolle und zukunftsorientierte
Projekt auf den Weg zu bringen. Ohne Fleiß kein Preis,
meine sehr verehrten Damen und Herren. Die Einfüh-
rung der neuen Regelungen wird nur gelingen, wenn
alle, aber auch wirklich alle, ihren Teil dazu beitragen.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: So ist es!)


Die Kernfrage ist: Wie viel Geld wollen wir, will je-
der einzelne von uns mit großer Freude und freiwillig für
die Sicherung unseres qualitativ sehr hochwertigen Ge-
sundheitswesens ausgeben? Die Gesundheit bzw. das
Wieder-Gesund-Werden ist ein sehr wertvolles Gut und
eigentlich gar nicht mit Geld zu bezahlen; hier schließe
ich mich meinem Vorredner an.

Gleichwohl dürfen wir uns nicht vor den Fragen der
Höhe des Beitragssatzes und der solidarischen Vertei-
lung drücken. Entweder haben wir den Elan und das Au-
genmaß, diese Herausforderungen Schritt für Schritt,
aber konsequent zu bewältigen, oder wir kommen ir-
gendwann, unter anderem aus demografischen Gründen,
in die Phase der totalen Rationierung, die ich schon ein-
mal erlebt habe. Mit der jetzigen Form des Gesundheits-
fonds sind wir nicht am Ende des Umbauprozesses,
wenn wir auf der einen Seite wettbewerbsfähig und auf
der anderen Seite medizinisch gut versorgt bleiben wol-
len.






(A) (C)



(B) (D)


Maria Michalk
Mich wundert der Kleinmut ob dieser großen Auf-
gabe. Hätten wir im Jahre 1990 auch so viel Zeit zum
Zögern gehabt, dann müssten sich die Menschen in den
neuen Bundesländern heute noch viel mehr mit den Fol-
gen einer medizinischen Mangelwirtschaft auseinander-
setzen,


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Jetzt vergleicht sie auch noch die deutsche Einheit mit dem Gesundheitsfonds! Das wird ja immer besser!)


die es trotz der fundierten Kenntnisse und der fleißigen
Arbeit aller in den medizinischen Berufen Tätigen gab.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich erinnere nur an die Abgabe notwendiger Medika-
mente gegen Herzleiden nach Parteibuch, das schmale
Sortiment von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, lange
Warteschlangen in den Polikliniken usw. usf. Die Kran-
kenversicherungsbeiträge waren auch damals sehr nied-
rig, und das System war unterfinanziert. Viele wären
nicht so früh gestorben, wenn ihnen die medizinischen
Möglichkeiten unseres heutigen Gesundheitssystem zur
Verfügung gestanden hätten.

Aktuell müssen wir aber aufpassen. Denn der
Wunsch, von der Solidargemeinschaft immer mehr zu
bekommen, obwohl der zu verteilende Kuchen nicht
größer wird – das haben wir gestern gehört –, ist nicht zu
erfüllen.

Wir verstehen den Unmut der Menschen und auch der
Arbeitgeber in den Regionen, in denen sich die Beitrags-
situation der örtlichen Kassen dank vollzogener realer
Anstrengungen beim Abbau der Anzahl an Kranken-
hausbetten und hinsichtlich der Mehreinnahmen durch
den RSA in solidarischer Gemeinschaft, um nur zwei
Faktoren zu nennen, derzeit ausgesprochen günstig ge-
staltet und in denen dem höheren einheitlichen Beitrag
mit Stirnrunzeln entgegengesehen wird. Wenn alles
wunderbar ist, dann haben die betroffenen Krankenkas-
sen den Spielraum einer Beitragsrückerstattung, die wir
ja ausdrücklich ins Gesetz geschrieben haben.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: So ist es!)


Ich erwarte, dass das dann auch getan wird.

Dass sich heute hier und da in den neuen Bundeslän-
dern leider wieder Warteschlangen bilden – zum Bei-
spiel zur Vergabe von neuen Terminen –, liegt in erster
Linie daran, dass die ambulant tätigen Ärzte mit dem ih-
nen zugeteilten Finanzvolumen rund ein Drittel mehr Pa-
tienten betreuen müssen, damit die Versorgung gewähr-
leistet wird. Manche können kaum noch neue Patienten
aufnehmen; das wissen wir. Auch die für diese Leistung
gezahlten niedrigen Einkommen werden nach der Ein-
führung der neuen Honorarordnung mit Honorarzuschlä-
gen für unterversorgte Gebiete Geschichte sein. Wer
diese gesetzliche Neuregelung nicht als Fortschritt be-
greift, der hat nichts begriffen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich erwarte, dass das neue Honorarsystem ehrlich und
konsequent umgesetzt wird, und möchte nicht, dass wir
in einiger Zeit feststellen müssen, dass man sich hier und
da durchmogelt.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Es wird kein Strukturproblem gelöst! Reden Sie mal mit den KVen!)


Die neue gesetzliche Möglichkeit, bei Bedarf auch
Krankenhäuser für die ambulante Versorgung zu öffnen,
wird schon genutzt. Die Akzeptanz – ja, die Freude – ist
sehr groß, wenn es auf diese Weise gelingt, die Praxis
vor Ort offen zu halten. Das hat aber auch Grenzen, wie
zum Beispiel in Sachsen. In den dortigen Krankenhäu-
sern fehlen rund 270 Mediziner, und gleichzeitig fehlen
dort rund 80 niedergelassene Ärzte.

Mit dem Gesundheitsfonds wird die realistische
Chance geboten, eine Verteilung der Gelder unter Be-
rücksichtigung der tatsächlichen Versorgungssituation
vorzunehmen. Durch den Morbi-RSA, nach dem die
Kassen in Zukunft ihre Zuweisungen erhalten, wird eine
gleichmäßige, dem Alter und dem Erkrankungsgrad der
Bevölkerung einer Region angepasste Verteilung des
vorhandenen Geldes garantiert.

Mit dem Gesundheitsfonds sichern wir eine auf Dauer
angelegte Solidarleistung. Wir zögern nicht, sondern wir
fangen damit jetzt an und werden uns bald mitten im
Umsetzungsprozess befinden. Ich danke allen, die in den
nächsten Wochen und Monaten noch sehr hart an dieser
Sache arbeiten werden.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1618006900

Ich schließe die Aussprache.

Bevor wir zur Abstimmung kommen, erteile ich
Herrn Kollegen Jörg van Essen, FDP-Fraktion, das Wort
zur Geschäftsordnung.


(Beifall bei der FDP)



Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1618007000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Koalition beantragt, dass der Antrag der FDP an die
Ausschüsse überwiesen wird. Dem widersprechen wir.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Oh! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ist ein normales Verfahren!)


Ich denke, dass durch die heutige Aussprache gezeigt
wurde, dass alle klar positioniert sind. Am Deutlichsten
gilt das für die Linkspartei, was mir zeigt, dass wir nicht
nur im klarsten Kontrast zur CSU in Bayern, sondern
auch im klarsten Kontrast zu den Linken stehen.


(Beifall bei der FDP – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Gestern wurde bei der Pendlerpauschale noch gemeinsame Sache gemacht! – Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Vorsichtig! Am Montag wollen Sie vielleicht miteinander koalieren!)







(A) (C)



(B) (D)


Jörg van Essen
Ich weiß gar nicht, was Sie mit der Überweisung in
die Ausschüsse erreichen wollen.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Gründlich beraten! – Elke Ferner [SPD]: Wir wissen nicht, was Sie mit Ihrem Antrag wollen!)


Der Murks Gesundheitsfonds bleibt Murks, auch dann,
wenn er noch mehrfach gequirlt wird.


(Beifall bei der FDP)


In Wirklichkeit gibt es doch nur einen einzigen Grund
dafür. Sie wollen die Wähler in Bayern hinsichtlich der
Haltung der CSU weiter unmündig lassen.

Hier erklärte der Straubinger Max, dass er die Regie-
rungspolitik unterstützt,


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Er ist wenigstens hier! Wo sind denn die FDP-Abgeordneten aus Bayern? Niemand von denen ist im Plenum!)


und die Bundesgesundheitsministerin erklärte hier, dass
sie weiterhin den Weg zur Staatsmedizin beschreiten
will, während in Bayern der Eindruck erweckt wird, man
sei gegen den Gesundheitsfonds. Das lassen wir nicht zu.


(Beifall bei der FDP – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wo sind denn die bayerischen FDP-Abgeordneten? Sie treiben sich alle auf dem Oktoberfest herum! Unverschämtheit!)


Es ist kein Verschiebebahnhof, sondern Klarheit für
die Wähler gefragt.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Kein einziger FDP-Abgeordneter aus Bayern ist hier!)


Deshalb fordern wir Sie auf: Stimmen Sie heute hier ab
und sagen Sie klar Ihre Auffassung. Wir sagen Nein zum
Gesundheitsfonds und fordern Sie auf, das ebenfalls zu
tun.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1618007100

Wird das Wort zur Erwiderung gewünscht? – Ich

sehe, das ist nicht der Fall.

Dann kommen wir zum Antrag der Fraktion der FDP
auf Drucksache 16/9805. Wie Sie eben gehört haben,
wünscht die FDP-Fraktion Abstimmung in der Sache,
die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen die
Überweisung, und zwar federführend an den Ausschuss
für Gesundheit und mitberatend an den Finanzausschuss,
den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie sowie an
den Ausschuss für Arbeit und Soziales.

Die Abstimmung über den Antrag auf Überweisung
geht nach ständiger Übung in diesem Haus vor. Deshalb
frage ich: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? –
Wer stimmt dagegen? – Das erste war eindeutig die
Mehrheit. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir
stimmen über den Antrag in der Sache heute also nicht
ab.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Struk-
turreform des Versorgungsausgleichs (VAStrRefG)


– Drucksache 16/10144 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich sehe
und höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin für die Bundesregierung Frau Bundesministerin
Brigitte Zypries das Wort.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich Sie bitten,
wenn Sie noch Gespräche führen wollen, dies außerhalb
des Plenarsaals zu tun.


(Fritz Rudolf Körper [SPD]: Zuhören ist noch besser!)



Brigitte Zypries (SPD):
Rede ID: ID1618007200

Genau. Hier kann jeder lernen. Das ist völlig richtig,

Herr Kollege.

Vielen Dank für Ihre Fürsorge, Frau Präsidentin. –
Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute in ers-
ter Beratung den Gesetzentwurf der Bundesregierung
zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs. Für die-
jenigen, die nicht wissen, was ein Versorgungsausgleich
ist, sage ich: Der Versorgungsausgleich bedeutet den
Ausgleich der Rentenansprüche, die man während der
Ehezeit erworben hat.

Der vorliegende Gesetzentwurf, den wir sehr lange
beraten haben, wird zu gerechten Teilungsergebnissen
führen, wie wir meinen. Er ist einfach und verständlich
formuliert und regelt sämtliche Rentenangelegenheiten
bereits bei der Scheidung. Das ist der große materielle
Vorteil. Ansonsten geht es vor allen Dingen um techni-
sche Fragen; denn das materielle Recht – also die Tei-
lung der Versorgungsansprüche durch zwei bei Auflö-
sung einer Ehe – wird beibehalten. Das wollen wir nicht
ändern.

Das Konzept, das Sie zu beraten haben, hat bereits im
Vorfeld große Zustimmung gefunden – was nicht immer
der Fall ist –, sowohl bei den Ländern, der Anwaltschaft,
der Familiengerichtsbarkeit, den Versorgungsträgern und
ganz aktuell auch beim Deutschen Juristentag in Erfurt,
auf dem sich eine Abteilung mit dem Thema befasst hat.

Der Versorgungsausgleich ist existenziell wichtig. Ich
habe eben ausgeführt, dass die Rentenansprüche geteilt
werden. Deswegen ist er für diejenigen in einer Ehe be-
sonders wichtig, die während der Ehezeit keine eigenen
Versorgungsansprüche erwerben konnten. Das sind im-
mer noch ganz überwiegend die Frauen.

Wir müssen das Recht an die Veränderungen der Ver-
sorgungssysteme anpassen. Wir müssen aber auch die






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Brigitte Zypries
Barwert-Verordnung aufheben, nach der der Versor-
gungsausgleich bisher errechnet wurde. Bis jetzt ist der
Versorgungsausgleich allein über die gesetzliche Ren-
tenversicherung erfolgt. Das heißt, dass alle bestehenden
Ansprüche, auch aus anderen Systemen, hochgerechnet
und verglichen wurden. Das hat oft zu Ungenauigkeiten
geführt.

Wir wollen diese Art des Ausgleiches durch drei
Maßnahmen ändern. Erstens – das habe ich schon ange-
sprochen – werden alle Versorgungsansprüche künftig
geteilt, und zwar innerhalb des bestehenden Systems.
Man erhält dann ein zusätzliches Konto für seine Versor-
gung. Dadurch entfällt die fehleranfällige Umrechnung
einer Betriebsrente oder einer privaten Versicherung in
Ansprüche der gesetzlichen Rente. Man hat dann zwar
im Zweifelsfall vier Rentenkonten, aber die Rente wird
dann vollständig in der Höhe gezahlt, die einem zusteht.
Ein Umrechnen findet also nicht mehr statt.

Für die gesetzliche Rentenversicherung ändert sich
nichts. Denn in diesem Bereich verfahren wir bereits in
dieser Weise.

Die zweite Änderung besteht darin, dass man bereits
bei der Scheidung alle Ansprüche vollständig ausglei-
chen kann. Bisher wird ein Teil der Ansprüche erst mit
Eintritt ins Rentenalter fällig, was für viele mit Schwie-
rigkeiten verbunden ist. Manche wollen 25 Jahre nach
der Scheidung nicht ihrem Geld hinterherrennen. In
manchen Fällen besteht auch gar kein Kontakt mehr, so-
dass sich keine Gelegenheit dazu ergibt.

Drittens erhöhen wir durch die Änderungen die An-
wenderfreundlichkeit. Dieses Gesetz bündelt alle ein-
schlägigen Vorschriften in einem Gesetz, und zwar in ei-
ner übersichtlichen Ordnung und in einer klaren
Sprache.

An dieser Stelle gebührt den Berichterstattern beson-
derer Dank, die sich für das Projekt „Verständliche Ge-
setze“ eingesetzt haben und so dafür gesorgt haben, dass
Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt worden sind, da-
mit die Gesellschaft für deutsche Sprache an der Erarbei-
tung dieses Gesetzentwurfs mitwirken konnte. Das ist
der Grund dafür, dass wir es geschafft haben, ein sprach-
lich doch sehr verständliches Werk vorzulegen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wir werden über Details
sicherlich noch zu reden haben. Aber das Grundkonzept
dessen, was wir Ihnen hier vorlegen, ist auf alle Fälle
richtig; denn die Interessen aller sind berücksichtigt: die
Interessen der Eheleute, die Interessen der Familienge-
richte, für die es künftig sehr viel einfacher wird, den
Versorgungsausgleich auszurechnen, und auch die Inte-
ressen der Versorgungsträger.

Ich wünsche mir und hoffe sehr, dass dieses Gesetz
zum 1. September nächsten Jahres in Kraft treten kann.
Dann hätten wir nämlich einen Gleichklang mit dem In-
krafttreten des Gesetzes zur FGG-Reform. Das wäre,
glaube ich, für die Praxis gut. Ich freue mich auch, dass
wir nach der Unterhaltsrechtsreform und der Reform des
Zugewinnausgleichs mit dem vorliegenden Gesetzent-
wurf zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs ei-
nen weiteren Baustein in der Folge der Gesetze vorlegen
können, die eine größere Gerechtigkeit beim Schei-
dungsfolgenrecht schaffen sollen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche gute
Beratungen des Gesetzentwurfes.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1618007300

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sibylle Laurischk

für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1618007400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Mit der Strukturreform des Versorgungsaus-
gleichs liegt uns nach dem Unterhaltsrechtsänderungsge-
setz innerhalb kurzer Zeit nun schon das zweite große
Reformpaket im Bereich des Familienrechts vor. Dabei
klingt der Begriff „Strukturreform des Versorgungsaus-
gleichs“ zunächst vielleicht nicht vielsagend. Aber wenn
wir uns vergegenwärtigen, dass beispielsweise im Jahre
2007 in Deutschland rund 180 000 Scheidungen stattge-
funden haben, dann wird deutlich, dass sich rund
300 000 Bürgerinnen und Bürger im Jahr im Rahmen
von Scheidung und auch im Zusammenhang mit Ent-
scheidungen vor der Scheidung mit dem Versorgungs-
ausgleich konfrontiert sehen.

Dabei hat sich der Versorgungsausgleich seit seiner
Einführung zu einer Sicherstellung der eigenständigen
Versorgung der Ehepartner nach der Scheidung grund-
sätzlich bewährt. Eine Reform des Versorgungsaus-
gleichs ist dennoch dringend geboten. Die vielfältigen
Probleme des geltenden Rechts sind schon angesprochen
worden. Ich kenne sie aus meiner Praxis als Anwältin
zur Genüge.

Der vorliegende Gesetzentwurf ist vor diesem Hinter-
grund zu unterstützen. Er bietet für die anstehenden Pro-
bleme zum großen Teil gute Lösungen. Insbesondere
den Übergang zum Verfahren der internen Teilung be-
grüßt die FDP-Bundestagsfraktion. Nach diesem Grund-
satz ist in Zukunft jedes Anrecht innerhalb des jeweili-
gen Versorgungssystems zu teilen, wodurch die mit der
Barwert-Verordnung zusammenhängenden Probleme der
Vergangenheit angehören mögen. Betriebliche und pri-
vate Anrechte können zukünftig schon bei der Schei-
dung abschließend aufgeteilt werden. Anwartschaften
auf der Grundlage von Entgeltpunkten West und Entgelt-
punkten Ost können dann durch eine vollständige Neu-
formulierung gesondert ausgeglichen werden.

Durch die Gliederung des Gesetzes wird die Übersicht-
lichkeit und Verständlichkeit wiederhergestellt. Positiv
hervorzuheben ist auch die größere Gestaltungsfreiheit
für Eheleute, Familiengerichte und Versorgungsträger.

Im Rahmen des weiteren Gesetzgebungsverfahrens
und einer Sachverständigenanhörung des Rechtsaus-
schusses wird jedoch mit Sicherheit noch über einzelne






(A) (C)



(B) (D)


Sibylle Laurischk
Punkte zu diskutieren sein, von denen ich einige kurz an-
sprechen möchte.

Durch die Reform darf es mit Blick auf den aus-
gleichsberechtigten Partner nach Ansicht der FDP-Bun-
destagsfraktion zu keiner merklichen Verschlechterung
der Absicherung kommen. Dies muss bei der Reform
des Versorgungsausgleichs Priorität haben. Zunächst sei
in diesem Zusammenhang auf das Problem der Invalidi-
tätsversorgung hingewiesen, auf das auch der Bundesrat
in seiner Stellungnahme aufmerksam macht, in der er die
unterschiedlichen Definitionen der Invalidität in den ein-
zelnen Versorgungssystemen hervorhebt.

Doch auch die mögliche Kompensation des Invalidi-
tätsschutzes muss noch einmal genauer betrachtet wer-
den, da dieser nur wertmäßig zu kompensieren sein
kann. Insoweit handelt es sich um eine Beschränkung
des Risikoschutzes. Die Entscheidung über diese Be-
schränkung des Risikoschutzes trifft dann auch noch der
Versorgungsträger. Hier ist sicherlich noch Beratungsbe-
darf.

Grundlage der internen Teilung ist, dass jeder Ehe-
gatte nach der Scheidung eigene Anrechte erwirbt. Wie
solche Verträge dann zu teilen sind, wird nur ansatz-
weise vorgegeben, und die Versorgungsträger erhalten
einen großen Spielraum, wonach die ausgleichsberech-
tigte Person ein vergleichbares Anrecht erhält. Ob es
hier weiterer Konkretisierungen bedarf, ist noch offen.

Nach dem Gesetzentwurf wird der Versorgungsaus-
gleich bei einer Ehe von bis zu zwei Jahren Dauer grund-
sätzlich ausgeschlossen. Ein solcher Ausschluss ist nach
Einschätzung der FDP-Bundestagsfraktion durchaus er-
wägenswert; denn innerhalb der ersten Jahre hat noch
keine starke versorgungstechnische Verflechtung zwi-
schen den Ehepartnern stattgefunden. Ob die Aus-
gleichsbeträge in den ersten Jahren tatsächlich so gering
sind, dass sie keine entscheidende Rolle spielen, muss
bei der Sachverständigenanhörung noch näher geprüft
werden.

Warum sich dieser Zeitraum nicht auf drei Jahre er-
streckt, wie noch im Referentenentwurf vorgesehen,
bleibt offen. Die bisherige Rechtsprechung zum Unter-
haltsrecht sieht als kurze Ehedauer maximal drei Jahre.
Wir könnten uns vorstellen, dass hier, auch in Anleh-
nung an das Unterhaltsrecht, die Einführung einer Billig-
keitsklausel, um Einzelfällen Rechnung tragen zu kön-
nen, zu überlegen ist.

Wenn ein Ehegatte innerhalb der kurzen Ehezeit bei-
spielsweise die Altersvorsorge massiv aufstockt und sie
in dieser Zeit nicht geteilt werden müsste, wodurch aber
das Endvermögen, das für den Zugewinnausgleich von
Bedeutung ist, geschmälert würde, ist der Versorgungs-
ausgleich nicht ganz so unproblematisch zu betrachten.
Hier haben wir auf jeden Fall noch Beratungsbedarf.

Die Kosten der internen Teilung sind richtigerweise
von den Eheleuten hälftig zu tragen, nicht von den Ver-
sorgungsträgern. Dabei müssen diese Kosten angemes-
sen sein und dürfen pauschaliert werden, wobei eine
Pauschale von 2 bis 3 Prozent in der Gesetzesbegrün-
dung angegeben wird. Dabei ist zu bedenken, dass die
angegebenen Pauschalen bei einer Ehe von langer Dauer
zu einer sehr hohen Kostenpauschale führen können, so-
dass zumindest über eine Deckelung noch zu beraten ist.

Sie sehen, dass in der Ausschussberatung und in der
Sachverständigenanhörung noch vieles fachlich und
sachlich klug zu besprechen und dann im Interesse der
Betroffenen zu regeln ist. Ich wünsche uns gute Beratun-
gen.


(Beifall bei der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1618007500

Nun hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion die Kol-

legin Ute Granold.


Ute Granold (CDU):
Rede ID: ID1618007600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir beraten heute ein wichtiges, aber auch schwieriges
Gesetz. Der Deutsche Juristentag hat sich – Frau
Ministerin, Sie haben es gerade erwähnt – mit den drei
wesentlichen Ausgleichssystemen bei der Scheidung im
Familienrecht befasst: Zugewinn, Unterhalt und Versor-
gungsausgleich. Diese Ausgleichssysteme dienen dazu,
dass die Ehegatten bei einer Scheidung die Vermögens-
werte ausgleichen, Defizite kompensieren, aber auch
Ausgleichsansprüche teilen, sodass eine echte Teilhabe
an dem, was erwirtschaftet wurde, erfolgt. Wir haben das
mit einer guten Reform des Unterhaltsrechts auf den
Weg gebracht.

Das eheliche Güterrecht, das heißt der gesetzliche
Güterstand der Zugewinngemeinschaft, befindet sich
derzeit in der Reform. Da wir uns im November mit die-
sem Thema befassen werden, können wir uns heute auf
die ganz wichtige Baustelle der Strukturreform im Ver-
sorgungsausgleich konzentrieren, worauf die Praxis
viele Jahre gewartet hat; denn es bestehen ganz erhebli-
che Probleme, die Versorgungsausgleiche durchzufüh-
ren.

Im Bewusstsein der Bevölkerung spielt Gott sei Dank
das Thema Rente und Rentenanwartschaften eine deut-
lich größere Rolle als früher, wo es nicht so sehr ein
Thema war. Man war öfter bereit, auf die Durchführung
des Versorgungsausgleichs zu verzichten, ohne zu wis-
sen, worauf man eigentlich verzichtet.

Versorgungsdefizite bestehen gerade in den Erwerbs-
biografien der Frauen; sie sind auszugleichen. Deshalb
ist dieses Gesetz auch für die Frauen sehr wichtig. In den
Scheidungsverfahren – wir haben eine hohe Scheidungs-
quote – ist häufig festzustellen, dass die Erwerbsbiogra-
fien der Frauen ganz anders sind als die der Männer,
bedingt durch Kindererziehung, Betreuungsleistung, Pfle-
geleistung in der Ehezeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es gibt natürlich auch andere Ausgleichsmodalitäten
neben dem Versorgungsausgleich, der aber auf jeden
Fall vorzuziehen ist, weil die Anwartschaften, die dort
begründet werden, nicht der Dispositionsfreiheit unter-
liegen. Es ist also gesichert, dass die durch die Anwart-






(A) (C)



(B) (D)


Ute Granold
schaften erworbenen Ansprüche im Falle der Rente tat-
sächlich ausgezahlt werden.

Wenn es andere Modalitäten wie Teilhabe an Immobi-
lien und Unternehmensbeteiligungen gibt, kann man das
im Laufe der Zeit, wenn finanzielle Engpässe bestehen,
verkaufen. Im Alter steht man dann mit leeren Händen
da. Deshalb ist es wichtig, dass wir den Versorgungsaus-
gleich stärken und ihn für die Menschen transparent ge-
stalten.

Wir wollen aber auch Freiräume geben; denn die
Altersversorgung ist sehr umfangreich. Es gibt die ge-
setzliche Rentenversicherung, die betriebliche Altersver-
sorgung und eine Vielzahl privater Altersversorgungen.
Deshalb wollen wir mit dem Gesetz die Möglichkeit ein-
räumen, eine Gesamtversorgung, eine Teilung der wäh-
rend der Ehe erworbenen Anwartschaften und des Ver-
mögens, zu vereinbaren. Das können – das ist schon
heute der Fall – Vereinbarungen zum Unterhalt, zum
Vermögen und zum Versorgungsausgleich sein. Wir
müssen aber darauf achten, wie die erforderliche Form
eingehalten werden kann, zum Beispiel durch eine nota-
rielle Beurkundung. Ich verweise auf die Inhaltskon-
trolle in den §§ 242 und 138 BGB.

Uns ist ganz wichtig, dass die Durchführung des Ver-
sorgungsausgleichs – das ist ein Amtsverfahren – nicht
von der Scheidung abgekoppelt wird, sondern im Schei-
dungsverfahren mitbehandelt wird, damit Druck ge-
macht werden kann, dass Auskunft über die erwirtschaf-
teten Anwartschaften erteilt wird. Außerdem dient das
der Klarheit und trägt der Tatsache Rechnung, dass mit
der Scheidung Ansprüche der Ausgleichsberechtigten
bestehen.

Wir haben vor mehr als 30 Jahren – es war genau
1977 – den Versorgungsausgleich eingeführt. Er hat über
30 Jahre funktioniert. Es wurde aber angesichts der Viel-
falt der Anwartschaften immer schwieriger. Wir benötig-
ten Verordnungen zur Vergleichbarkeit der unterschiedli-
chen Anwartschaften, teils dynamisch, teils statisch. Die
Barwert-Verordnung wurde bereits angesprochen. Das
Bundesverfassungsgericht war damit mehrfach befasst.
Ich hoffe, dass all dies in Kürze der Vergangenheit ange-
hört. Bei den Familiengerichten sind eine Vielzahl von
Verfahren anhängig – ich selbst bin praktizierende An-
wältin –, in denen der Versorgungsausgleich abgetrennt
oder ausgesetzt wurde. Das alles ist ganz schwierig. Das
soll nun zügig aufgearbeitet werden, sodass nach einer
Trennung alles klar geregelt ist.

Das neue Gesetz ist aus dem BGB ausgegliedert; das
ist gut. Es ist klar, übersichtlich und transparent. Die
Menschen werden dieses Gesetz annehmen, da sie es
verstehen können. Der Grundsatz der internen Teilung
wurde bereits angesprochen; er ist gut. Eine gerechte
Teilhabe bezüglich Qualität und Quantität bedeutet, dass
man Risiken trägt, aber auch Chancen hat, wenn es im
Laufe der Zeit zu einer Veränderung kommt. Der Grund-
satz der externen Teilung gilt dann, wenn die Anwart-
schaften in einem anderen Versorgungssystem begründet
werden. Ich wünsche sehr – ich bitte um Nachsicht –,
dass in erster Linie die interne Teilung durchgeführt
wird. Der Weg in den schuldrechtlichen Versorgungsaus-
gleich – diesen gibt es schon heute – ist ein schlechter
Weg; denn die Klärung kann erst später erfolgen. Viele,
insbesondere Frauen, verzichten daher auf die Durchfüh-
rung eines schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs,
wenn die Zeit dafür gekommen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte noch ganz wenige Punkte anführen, die
wir in der Sachverständigenanhörung, die vonnöten ist,
um den externen Sachverstand in diese komplexe Mate-
rie einzubeziehen, ansprechen sollten. Ein Punkt ist der
Ausschluss des Versorgungsausgleichs bei kurzer Ehe-
dauer. Im Gesetzentwurf ist von zwei Jahren die Rede;
früher waren es drei Jahre. Der Bundesrat spricht sich
für drei Jahre und die Möglichkeit der Billigkeitsüber-
prüfung in eng umgrenzten Fällen aus. Das könnte in
den Fällen zum Tragen kommen, in denen bei der
Durchführung des Versorgungsausgleichs nach kurzer
Ehedauer die Wartezeiten durch einen Berechtigten er-
füllt werden könnten. Über diesen Punkt sollte man re-
den, genauso wie über den Ausschluss des Versorgungs-
ausgleichs bei einer unbilligen Härte. Ich erinnere daran,
dass in der Regel die Mutter die Ausgleichsberechtigte
ist. Sie betreut die Kinder, erbringt Pflegeleistungen und
geht arbeiten. Wenn der Ehemann – aus welchen Grün-
den auch immer – keinerlei Beitrag zum Familienein-
kommen leistet, soll sie dann noch eine Teilung der er-
wirtschafteten Anwartschaften hinnehmen? Das wäre
grob unbillig. Dass das im Gesetz geregelt ist, ist eine
gute Sache.

Ein wichtiges Anliegen ist die fehlende Ausgleichs-
reife. In § 19 geht es um Anwartschaften, die im Aus-
land erwirtschaftet werden. Das ist ein Problem. Das
kann nicht im öffentlich-rechtlichen Versorgungsaus-
gleich geregelt werden. Hier wird auf den schuldrechtli-
chen Versorgungsausgleich verwiesen. Diese Vorschrif-
ten bleiben unberührt. Heute Morgen haben wir im
Unterausschuss Europarecht über die Harmonisierung
auf europäischer Ebene und die Stärkung der Rechtsein-
heitlichkeit bei Wahrung des Subsidiaritätsprinzips dis-
kutiert. Es gibt sehr viele binationale Ehen. Es gibt große
Probleme, hier den Versorgungsausgleich durchzufüh-
ren. Wir sollten zusammen mit unseren europäischen
Nachbarn nicht nur für die Möglichkeit einer gegenseiti-
gen Anerkennung der Entscheidungen und der Voll-
streckbarkeit, sondern auch im materiellen Recht zumin-
dest für einen gesicherten Auskunftsanspruch sorgen.
Dieser Punkt liegt mir persönlich sehr am Herzen. Da-
rauf sollten wir achten.

Was die betriebliche Altersversorgung betrifft, so
wird die Realteilung derzeit noch sehr wenig durchge-
führt. Die Satzungen lassen das nicht zu. Hier müsste mit
den Versorgungsträgern gesprochen werden, wie – da
muss natürlich ein Spielraum bestehen – die interne Tei-
lung, die vorzuziehen ist – ich habe das schon einmal ge-
sagt –, durchzuführen ist.

Ein weiterer Punkt sind die Übergangsvorschriften,
die bei gesetzlichen Neuregelungen ein Problem darstel-
len können. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an
die Diskussion über das Unterhaltsrecht. Hier gibt es






(A) (C)



(B) (D)


Ute Granold
– das hatte ich vorhin schon angesprochen – viele offene
und abgetrennte Verfahren. Wir müssen schauen, wie
mit dem Stau, der in Deutschland seit Jahren in dieser
Beziehung besteht, umgegangen wird.

Die Reform soll zum 1. September 2009 in Kraft tre-
ten, zeitgleich mit dem neuen Familienverfahrensgesetz.
Das ist positiv, und wir hoffen, dass wir gute Beratungen
haben und konstruktive Anregungen in der Sachverstän-
digenanhörung bekommen werden. Wir müssen auch
mit den Ländern sprechen. Auf die Länder kommt am
1. September 2009 viel zu, wenn das Familienverfah-
rensrecht in Kraft tritt und alles neu strukturiert wird. Es
wird viel Arbeit geben, und mit dem neuen Versorgungs-
ausgleich wird eine Mehrbelastung auf die Gerichte zu-
kommen. Unabhängig von der Frage der Schulung, die
in der Kommission angeregt wurde, müssen wir noch
einmal darüber reden, ob man vielleicht bei der Deut-
schen Rentenversicherung eine Stelle einrichtet, die als
Dienstleister für die Familiengerichte konzipiert ist, um
diese ein Stück weit zu entlasten.

An dieser Stelle herzlichen Dank für den Regierungs-
entwurf. Die Praxis wartet mit Spannung auf das Ergeb-
nis der Beratungen. Wir werden froh sein, wenn wir end-
lich ein neues Gesetz haben, das die Bürger verstehen
und das auch deshalb den Bedürfnissen der Menschen
entspricht.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1618007700

Das Wort hat die Kollegin Sevim Dağdelen von der

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1618007800

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Wir stehen vor der Herausforde-
rung, dass in vielen Familien immer noch eine patriar-
chale Arbeitsteilung in Bezug auf Lohnarbeit und Repro-
duktionsarbeit besteht.


(Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Was ist „Reproduktionsarbeit“? – Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: „Reproduktionsarbeit“?)


Die Feststellung, dass sich zumeist Frauen in einer be-
stehenden Ehe auch hinsichtlich der Rentenansprüche
vom Mann abhängig machten und dann bei einer Schei-
dung wenig bis gar keine eigenen Ansprüche auf Rente
hatten, brachte den Gesetzgeber, wie meine Vorrednerin
richtig dargestellt hat, 1977 dazu, den Versorgungsaus-
gleich zu regeln. Dieser sieht vor, dass die während der
Ehe erworbenen Anrechte auf Versorgung grundsätzlich
hälftig geteilt werden sollen. Seit 1992 gilt das auch in
den neuen Bundesländern. Die Anpassungen der letzten
Jahre haben dazu geführt, dass auch eingetragene gleich-
geschlechtliche Lebenspartnerschaften grundsätzlich am
Versorgungsausgleich partizipieren. So weit, so gut.

Dennoch führt der Versorgungsausgleich nicht zu ei-
ner wirklichen Gerechtigkeit; denn unberücksichtigt
bleiben viele Punkte. Unberücksichtigt bleibt, dass nicht
verheiratete bzw. nicht verpartnerte Personen trotz
ebenso vorhandener Aufgabenteilungen und Verantwor-
tung für Kinder in den nicht privilegierten Partnerschaf-
ten nicht von Sicherungen wie einem Versorgungsaus-
gleich profitieren können, dass sich Gesellschaft und
Politik insgesamt der Problematik der Bewertung soge-
nannter Reproduktionsarbeit nicht ausreichend stellen,
dass die Frage der Gewährleistung einer sozial gerechten
Rente noch nicht ausreichend beantwortet ist und dass an
der unsolidarischen und sozial ungerechten Aufwei-
chung der gesetzlichen Rente nichts geändert wird.

Diese Probleme sind es, mit denen man sich im Zu-
sammenhang mit der Altersarmut von Menschen und im
Zusammenhang mit einer einseitigen Arbeitsteilung in
Paargemeinschaften auseinandersetzen muss. Deshalb
gilt es, neue Konzepte der sozial gerechten Versorgung
im Alter – aber selbstverständlich nicht nur im Alter –
für jeden Menschen zu entwickeln, und zwar unabhän-
gig von der privaten Lebensgestaltung in Beziehungen,
lückenlosen Erwerbsbiografien und nicht zuletzt über-
kommenen Rollenmustern. Politisch bleibt zu diskutie-
ren, ob der Versorgungsausgleich einen Ersatz für wirk-
lich eigenständige Ansprüche vornehmlich von Frauen
darstellen kann. Diese politische Frage wird naturgemäß
in der Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik entschieden.
Dies gilt es mittel- und langfristig zu regeln.

Die Linke fordert eine Strategie für die eigenständige,
existenzsichernde Alterssicherung für alle Menschen,


(Beifall bei der LINKEN)


speziell aber für die gegenwärtig besonders stark betrof-
fenen Frauen.

Kurzfristig müssen aber auch die Regelungen zum
Versorgungsausgleich verbessert werden. Der Gesetzent-
wurf zeigt einen für die Beteiligten voraussichtlich ein-
fachen und nachvollziehbaren Weg des Versorgungsaus-
gleichs auf. Aber ob man sich dabei die bisherigen
umständlichen Vergleiche beim Versorgungsausgleich
wirklich erspart, ist zu hinterfragen.

Für meine Fraktion ist ganz besonders wichtig, dass
die Ungerechtigkeiten infolge der Überleitung der Ost-
renten in Zusammenhang mit dem Versorgungsausgleich
schnellstmöglich beseitigt werden.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Mit Ostrenten kennt sich Ihre Fraktion ja aus!)


Der Gesetzentwurf stellt sich diesem Problem in keiner
Weise. Die unerträgliche soziale Situation der geschiede-
nen Frauen aus der ehemaligen DDR – das sage ich ganz
bewusst vor dem Hintergrund, dass ich aus dem tiefsten
Westen komme –,


(Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Aber Ihre Fraktion kennt sich im Osten doch aus!)


denen der Versorgungsausgleich bisher aus verfassungs-
rechtlichen Gründen verwehrt ist, muss dringend verbes-
sert werden. Hierzu hat meine Fraktion bereits an ande-
rer Stelle Vorschläge unterbreitet.






(A) (C)



(B) (D)


Sevim DaðdelenSevim Dağdelen
Wie die Verschlechterung der Situation der Betroffe-
nen durch die Strukturreform im Einzelnen verhindert
werden kann, werden wir wohl, wie meine Vorrednerin-
nen schon gesagt haben, in einer Anhörung zu klären
haben. Die bereits geäußerte Kritik am Gesetzentwurf
– auch der Bundesrat hat Kritik vorgebracht – wird darin
ebenso zu prüfen sein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1618007900

Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk

von Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Frau Ministerin, schon unter Rot-Grün haben
wir mit einer Reform des Versorgungsausgleichs begon-
nen. Heute liegt endlich der Vorschlag vor. Das begrüße
ich sehr.

Die Strukturreform des Versorgungsausgleichs bedeu-
tet vor allem für Frauen mehr Gerechtigkeit nach der
Scheidung; denn meist sind sie es, die zugunsten der Fa-
milie eine Auszeit nehmen, schon deshalb, weil sie auf-
grund fehlender Kinderbetreuung gar keine andere Wahl
haben. In dieser Zeit können sie folglich weder eine be-
triebliche noch eine private Rente aufbauen. Der Staat
hat diese Formen der Altersvorsorge in den letzten Jah-
ren gegenüber der gesetzlichen Rente massiv aufgewer-
tet. Da finde ich es wirklich nur konsequent, dass ge-
schiedene Frauen gleichberechtigt teilhaben, wenn in
den Ehejahren Anrechte in der zweiten und dritten Säule
der Alterssicherung erworben wurden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Derzeit fällt die Beteiligung der Frauen an solchen
Vorsorgeformen aber in 80 Prozent der Fälle – so wird
geschätzt – unter den Tisch. Erstens können sie Ansprü-
che dieser Art bisher erst beim Renteneintritt geltend
machen. Aber wer möchte schon – die Frau Ministerin
hat es vorhin bereits angedeutet – nach Jahren oder Jahr-
zehnten der Trennung seinen verflossenen Gatten auf-
suchen, um ihn über seine genauen Altersvorsorgean-
sprüche auszufragen? Zweitens ist das bisherige System
eines einmaligen Ausgleichs extrem fehleranfällig, weil
über viele Jahre Prognosen über die Entwicklung der
Rente aufgestellt werden müssen und weil die Renten-
versicherer meist zu vorsichtig schätzen, um Mehrausga-
ben zu vermeiden. Daher ist diese Reform überfällig. Sie
wird zu einer gerechteren Teilhabe beider Partner an al-
len Formen der Altersvorsorge führen.

Zweifel hat meine Fraktion allerdings, was den Aus-
schluss des Versorgungsausgleichs bei kurzer Ehedauer
betrifft. Auch bei kurzer Ehedauer können durch die
Rollenverteilung Nachteile entstehen, zumal viele erst
heiraten, wenn Kinder da sind. Wenn wir die Statistik
anschauen, erkennen wir: Das ist ein in Ostdeutschland
häufig gelebtes Modell.
Passend dazu hat der Deutsche Juristentag in dieser
Woche angemahnt, dass auch die Ansprüche unverheira-
teter Eltern gestärkt werden müssen. Das ist Ihnen ins
Stammbuch geschrieben worden, Frau Ministerin. Ihre
Haltung, nämlich dass, wer nach Sicherheit sucht, heira-
ten soll, kann ich, ehrlich gesagt, nicht recht nachvollzie-
hen. Das passt eigentlich nicht in ein modernes Konzept.
Aber das nur am Rande.


(Zuruf der Bundesministerin Brigitte Zypries)


– Genau! Darüber diskutieren wir im Ausschuss.

Zurück zur Ehe. Dass Sie die Dauer einer kurzen Ehe
von drei auf zwei Jahre herabgesetzt haben, ist sicherlich
ein erster guter Schritt. Trotzdem: Mütter, die die renten-
rechtliche Anrechnung von Kindererziehungszeiten für
die 36 Monate schon vor der Ehe aufgebraucht haben
und auch während der Ehe nicht berufstätig sind, gehen
so völlig leer aus.

Sie alle wissen: Das Alleinverdienermodell ist nicht
das von uns bevorzugte. Aber wenn sich zwei Partner in
einer Beziehung darauf geeinigt haben, dann müssen die
vorhandenen Rentenansprüche nachher gerecht verteilt
werden, auch wenn es sich nur um zwei Jahre handelt.
Gerade für Frauen, die in ihrem Leben nur wenige Jahre
berufstätig waren, können diese zwei Jahre für die spä-
tere Rentensumme durchaus von Bedeutung sein. Auch
Kleinvieh macht Mist – dies gilt auch bei der Altersvor-
sorge.

Es ist richtig, dass Sie den Arbeitsaufwand der Ge-
richte und der Versorgungsträger so klein wie möglich
halten wollen. Aber der Schutz der Ausgleichsberechtig-
ten hat im Zweifelsfall Vorrang. Ihre Idee einer Antrags-
klausel ist an dieser Stelle durchaus ein interessanter
Kompromissvorschlag.

Auch sonst haben wir noch Diskussionsbedarf, etwa
hinsichtlich der Verrechnung der Kosten, die die Versor-
gungsträger künftig haben werden, mit den Anrechten
der beiden Ehegatten und erst recht hinsichtlich der
Überlegung, auch die Kosten der externen Teilung auf
die Ehepartner abzuwälzen. Dies alles können wir im
Rahmen der Anhörung besprechen.

Insgesamt geht die Reform für uns Grüne aber in die
richtige Richtung.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1618008000

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt

hat die Kollegin Christine Lambrecht von der SPD das
Wort.


(Beifall bei der SPD)



Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1618008100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ver-

sorgungsausgleich – das ist auch in dieser kurzen De-
batte wieder deutlich geworden – ist wahrscheinlich die
schwierigste Materie im Familienrecht überhaupt. Selbst
Anwältinnen und Anwälte, die sich tagtäglich mit dem






(A) (C)



(B) (D)


Christine Lambrecht
Thema beschäftigen, stoßen an ihre Grenzen, ebenso die
Richter und erst recht die Betroffenen, die im Falle einer
Scheidung mit dem umzugehen haben, was auf sie zu-
kommt. Da dies auch schwierig zu berechnen ist, ver-
wundert es nicht – diese Bemerkung sei mir gestattet; ein
Kollege hat mir schon alles Mögliche angedroht –, dass
alle Fraktionen Frauen in diese Debatte geschickt haben.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der CDU/ CSU und der FDP – Dr. Jürgen Gehb [CDU/ CSU]: Das war genau der Beweggrund!)


Zur Klarstellung will ich noch etwas deutlich machen,
von dem ich den Eindruck habe, dass es durch einzelne
Redebeiträge jetzt ein wenig ins Schwimmen gekommen
ist. Es geht uns nicht darum, ein neues Versorgungssys-
tem zu erfinden und für Gerechtigkeit bei der Altersver-
sorgung zu sorgen. Vielmehr geht es darum, einen Aus-
gleich zwischen denjenigen zu schaffen, die sich
scheiden lassen. Wir wollen keine neue Form der Rente
einführen oder die Rente aufstocken; vielmehr sind er-
worbene Rentenanwartschaften aufzuteilen. Darum geht
es bisher, und darum wird es auch in Zukunft gehen. Mit
nichts anderem beschäftigt sich dieser Entwurf.


(Beifall des Abg. Christoph Strässer [SPD])


Es wird die Frage zu beantworten sein, wie man es
transparenter ausgestalten kann. Momentan wird bei al-
len Formen der Ansparung von Renten eine Aufteilung
im jeweiligen System vorgenommen. Für die Betroffenen
ist es unglaublich schwer, vorauszusehen oder einzukal-
kulieren, was auf sie zukommt. Es wird in den einzelnen
Rentenversicherungen angespart und dann prognosti-
ziert, hochgerechnet und in eine Rentenversicherung
übertragen. Im Endeffekt ist die Voraussage der Ent-
wicklung einer solchen Versicherung eher Kaffeesatzle-
serei. Daher ist die jetzt vorgesehene interne Teilung der
transparentere Weg. Man kann nachvollziehen, was in
der Versicherung angespart wurde und wie das Ganze
aufgeteilt wird. Die externe Teilung ist als Ausnahme si-
cherlich dann sinnvoll, wenn dies, wie im Gesetz vorge-
sehen, vereinbart wird und es um ganz geringe Beträge
geht. Dann muss man also nicht alles im jeweiligen Sys-
tem aufteilen; wenn es sich um geringe Beiträge handelt,
können sie auch übertragen werden.

Ich gebe all den Vorrednerinnen recht, die Kritik oder
zumindest Prüfungsbedarf in Bezug auf den Ausschluss
bei einer kurzen Ehedauer angemeldet haben. Hier soll-
ten wir noch einmal genau hinschauen. Es hört sich so
einfach an; 10, 20 oder 30 Euro sind ja nicht so viel.
Aber wenn jemand wirklich mit einer Rente am unteren
Level auskommen muss, dann kann schon eine solche
Summe darüber entscheiden, ob man in die Grundsiche-
rung kommt oder nicht. Hier werden wir also darüber
nachdenken müssen, ob es tatsächlich sozial gerecht zu-
geht.

In diesem Sinne freue ich mich auf sachliche und ver-
nünftige Beratungen, wie wir sie im Familienrecht bei
fast allen Punkten in den letzten Jahren gehabt haben.
Ich bin mir sicher, wir werden zu einem tragfähigen,
transparenten und akzeptablen Kompromiss kommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1618008200

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/10144 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun
Bluhm, Katrin Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Wohngelderhöhung vorziehen

– Drucksache 16/10319 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. Gibt es
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache.

Ich erteile das Wort der ersten Rednerin, der Kollegin
Heidrun Bluhm von der Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1618008300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nichts bleibt, wie es war, vor allem nicht dann, wenn
sich Voraussetzungen und auch Rahmenbedingungen än-
dern. So sagte Dirk Fischer namens der CDU/CSU-Frak-
tion bei den Haushaltsberatungen in der vergangenen
Woche, dass wir „als sachgerechte Antwort auf die stei-
genden Energiekosten“ eine Heizkostenkomponente ein-
geführt haben. Herr Fischer fügte wörtlich hinzu:

Wenn es gelänge, das Inkrafttreten der Novelle auf
den 1. Oktober dieses Jahres vorzuziehen, würden
wir uns darüber sehr freuen.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sören Bartol [SPD] und Joachim Günther [Plauen] [FDP])


Die CDU/CSU hat also ihre Position verändert, nach-
dem sie auf einen entsprechenden Vorschlag des Vorsit-
zenden der SPD-Fraktion, Peter Struck, Anfang Septem-
ber ablehnend reagiert hatte. Man darf also gespannt
sein, wie sich heute die CDU/CSU und auch die SPD bei
der Abstimmung über diesen Vorschlag der Fraktion Die
Linke verhalten, der das sozialdemokratische Anliegen
ja eins zu eins aufgreift.

Ich glaube, im Unterschied zur gestrigen Debatte über
die Pendlerpauschale handelt es sich hierbei auch nicht
um eine wahltaktische Frage, sondern um eine Frage, bei
der wir alle der Tatsache Rechnung tragen können, dass
der Winter nicht erst am 1. Januar beginnt, sondern jetzt
schon, eigentlich viel zu früh. Viele haben die Heizung
längst angestellt.






(A) (C)



(B) (D)


Heidrun Bluhm
Die Linke hat sich im Frühjahr bei der Abstimmung
über die Wohngeldnovelle der Stimme enthalten, weil
uns die Novelle damals nicht weit genug ging. Wir woll-
ten – so habe ich das in meiner Rede damals auch formu-
liert –, dass die Wohngeldempfänger mit den Bedarfsge-
meinschaften nach SGB II gleichgestellt werden. Das
halten wir auch heute noch für richtig. Trotzdem, liebe
Kolleginnen und Kollegen, wollen wir das Erreichte mit
diesem Antrag weiter befördern.


(Beifall bei der LINKEN)


Lassen Sie mich noch einmal sagen, warum es not-
wendig ist, das Wohngeld sofort zu erhöhen: Durch die
explosionsartig gestiegenen Energiekosten haben wir bis
zu 20 Prozent höhere Heizkosten in diesem Jahr. Weitere
Preissteigerungen wurden bei Öl, Gas und Strom ange-
kündigt. Die Heizperiode beginnt, wie gesagt, jetzt
schon und nicht erst am 1. Januar. Die einkommens-
schwachen Haushalte haben – so habe ich das auch in
meiner Rede letzte Woche bei der Haushaltsdebatte ge-
sagt – 50 Prozent ihres Haushaltseinkommens aufzu-
wenden, um überhaupt warm wohnen zu können.

Versetzen wir uns einmal in die Situation von Alten,
Kranken, Kindern und Kleinstkindern, wenn wir die
Wohngelderhöhung nicht vorziehen: Diese könnten dann
den Winter nicht in warmen Wohnungen verbringen.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Schande!)


Stellen Sie sich einmal vor, Ihre eigenen kranken Eltern
oder Ihre Enkelkinder wären betroffen.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Da fehlt vielen die Vorstellungskraft!)


In den neuen Bundesländern liegt der Anteil der Bedürf-
tigen an der Gesamtbevölkerung im Vergleich zu dem in
den alten Bundesländern doppelt so hoch. Das Verhältnis
beträgt 3 zu 1,5.

Zur Finanzierung. Das Vorziehen der Wohngelderhö-
hung würde im Durchschnitt ein auf 130 bis 140 Euro
erhöhtes monatliches Wohngeld für die bedürftigen Fa-
milien bringen. Herr Struck hat ausgerechnet, dass das
circa 70 Millionen Euro kosten würde. Das Wohngeld
wird ja, wie wir wissen, zur Hälfte durch den Bund und
die Länder finanziert. Eine Gegenfinanzierung wäre al-
lein dadurch möglich – das ist jedenfalls der Vorschlag
der Linken –, dass man die Gelder verwendet, die da-
durch frei geworden sind, dass die Zahl der Bedarfs-
gemeinschaften, die Wohngeld beziehen, von 700 000
– das war der kalkulatorische Ansatz im Haushaltsplan
2008 – auf mittlerweile 580 000 zurückgegangen ist. Ge-
genüber dem Haushaltsansatz spart allein der Bund
durch die zurückgegangene Zahl 43 Millionen Euro.
Wenn wir die anteiligen Mehrkosten für die Wohngeld-
erhöhung von 70 Millionen Euro hälftig teilen, so entfal-
len auf den Bund 35 Millionen Euro; diese müsste man
aufwenden, um die Erhöhung vorzuziehen. Das hieße, es
bliebe summa summarum für den Bund im Haushalt so-
gar ein Plus von rund 8 Millionen Euro.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Hört! Hört!)

Falls Herr Fischer von der CDU/CSU sich in der letz-
ten Woche vielleicht doch ein wenig zu weit aus dem
Fenster herausgelehnt haben sollte, bietet die Linke der
SPD an, den Vorschlag, den Herr Struck gemacht hat
und der von Herrn Tiefensee und auch von Herrn
Steinbrück unterstützt worden ist, mit uns abzustimmen
und gemeinsam etwas für die Menschen im Lande zu
tun, indem sie schon drei Monate früher von den gestie-
genen Wohnkosten entlastet werden, und zwar unabhän-
gig davon, ob der erhöhte Betrag sofort oder erst rück-
wirkend ausgezahlt werden kann. Ich weiß ja, dass für
die Berechnung die Strukturen in den Verwaltungen ent-
sprechend anzupassen sind.

Das Beste für die Betroffenen wäre jedoch das ge-
schlossene Ja aller Fraktionen hier im Hause.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke begrüßt und unterstützt daher ausdrücklich
die Vorschläge, die von Herrn Struck, von Herrn
Steinbrück und auch von Herrn Tiefensee im September
gemacht worden sind. Wie schon eingangs festgestellt:
Nichts bleibt, wie es war, vor allem, wenn sich die Vo-
raussetzungen und Rahmenbedingungen ändern. Das
sollte vielleicht auch die CDU/CSU-Fraktion akzeptie-
ren.

Ich bitte deshalb um Zustimmung zu unserem Antrag.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1618008400

Das Wort hat der Kollege Gero Storjohann von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Gero Storjohann (CDU):
Rede ID: ID1618008500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! CDU/CSU und SPD haben im April dieses Jah-
res gemeinsam eine Novelle des Wohngeldgesetzes er-
folgreich – wie wir meinen – auf den Weg gebracht, und
das zeigt, dass das Wohngeldrecht bei dieser Koalition in
guten Händen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Lachen bei Abgeordneten der FDP)


Wir haben erreicht, dass das Wohngeld pro Empfän-
gerhaushalt von durchschnittlich etwa 90 Euro auf etwa
140 Euro erhöht werden kann, also insgesamt um
60 Prozent, und damit haben wir gerade denjenigen ein
Stück mehr Lebensqualität und Sicherheit gegeben, die
geringe Renten beziehen oder für ein geringes Einkom-
men jeden Tag ihrer Arbeit nachgehen. Denen wollen
wir helfen, und das ist – glaube ich – gut gelungen.

Kernelement der Neuregelung ist die Einführung ei-
ner Heizkomponente, die den stark gestiegenen Energie-
kosten Rechnung tragen soll. Mit 50 Cent pro Quadrat-
meter werden Heizkosten in pauschalierter Form
erstmals in die Berechnung einbezogen und damit im
gleichen Umfang bezuschusst wie die Bruttokaltmiete,
nämlich mit rund einem Drittel.






(A) (C)



(B) (D)


Gero Storjohann
Dies verdeutlicht, dass wir uns um die Belange der
Betroffenen kümmern. Wir geben die richtigen Hilfestel-
lungen zur richtigen Zeit und im richtigen Ausmaß. Das
impliziert selbstverständlich, dass wir das Recht ständig
weiterentwickeln und die jeweils aktuellen Gegebenhei-
ten mit einspeisen.

Darum ist natürlich die Frage berechtigt, ob und,
wenn ja, wie die Gültigkeit des neuen Wohngeldgesetzes
vorverlegt werden kann, und genau das haben wir inner-
halb der Koalition in der letzten Woche schon mehrfach
beraten und auch so verkündet. Es war ja nicht ein Vor-
schlag der Linken, der jetzt zu diesem Antrag geführt
hat,


(Sören Bartol [SPD]: So ist es!)


sondern es waren Vorschläge, die aus der Koalition ge-
kommen sind.


(Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Auch wir lernen dazu!)


Für die Vorverlegung des Inkrafttretens des Wohn-
geldgesetzes brauchen wir weit mehr als das, was heute
vorliegt. Es liegt ein Antrag vor, der lediglich aus einem
einzigen Satz besteht, dass nämlich die Erhöhung des
Wohngeldes um drei Monate vorgezogen werden soll.
Punkt.

Dabei sind wir längst in Gesprächen über eine solche
Vorverlegung. Der Zug, der angeschoben wurde, fährt
bereits, und die Linke schmeißt sich jetzt mit voller
Wucht hinter diesen Zug.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das hilft aber nicht den betroffenen Menschen und den
Haushalten


(Sören Bartol [SPD]: Sie soll sich lieber vor den Zug werfen!)


– Ich meine es ja gut mit ihnen. Ich habe „hinter den
Zug“ gesagt.

Was wir jetzt brauchen, ist eine Abstimmung mit den
Bundesländern. Wir brauchen die Einschätzung, ob die
Verwaltung, die all dies umsetzen muss, ein Vorziehen
überhaupt organisatorisch bewältigen kann.

Wir brauchen auch gar nicht so weit zu gucken. Auch
heute ging es durch die Presse, dass der Berliner Senat
Bearbeitungszeiten beim Wohngeld von drei bis acht
Monaten eingestehen muss.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Lassen Sie sich mal was Neues einfallen!)


Bei Erstanträgen beträgt die Bearbeitungszeit drei bis
acht Monate; das müssen wir berücksichtigen. Sie könn-
ten ja im Berliner Abgeordnetenhaus einen Antrag nach
dem Motto: „Wohngeldzahlung jetzt! Die Linke“ ini-
tiieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dadurch würde sich auch nichts ändern. Politik ist eben
mehr, als nur Forderungen zu stellen. Der Politik obliegt
auch die Aufgabe, Lösungen für ein erkanntes Problem
anzubieten. Daran mangelt es diesem Antrag meiner
Meinung nach.

Meine Damen und Herren, solide Sozialpolitik
braucht nun einmal Grundlagen, die ebenfalls solide
sind. Dazu zählen Überlegungen über die Finanzierung,
den Auszahlungsmodus und den richtigen rechtlichen
Umsetzungszeitpunkt.

Hier gibt es noch Beratungsbedarf. Aber ich bin si-
cher, dass wir auch hier in der Großen Koalition eine
gute Lösung finden werden.

Die Sozialpolitik ist gerade deshalb bei uns in guten
Händen, weil wir unsere Beschlüsse überlegen, beraten,
ausarbeiten, justieren und in Form gießen. Das gilt auch
für die Vorverlegung der Wohngelderhöhung. Der uns
vorliegende Antrag der Fraktion Die Linke kann diese
Kriterien nicht erfüllen. Darum ist er abzulehnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1618008600

Das Wort hat der Kollege Joachim Günther von der

FDP-Fraktion.


Joachim Günther (FDP):
Rede ID: ID1618008700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir sprechen wieder einmal über das Wohngeld,
aber es ist ein hochsensibles Thema; denn 600 000 so-
zialschwache Haushalte machen sich ernsthaft Gedan-
ken darüber, wie sie warm über diesen Winter kommen.

Wir haben seit längerer Zeit eine Aufbesserung des
Wohngeldes gefordert und uns maßgeblich daran betei-
ligt, dass dabei vor allem die Einbeziehung der Heizkos-
ten geregelt werden konnte. Das war dringend geboten;
denn wir hatten eine Explosion bei den Heizkosten, Ne-
benkosten und Betriebskosten, die vor allem Wohngeld-
empfänger in immer größere Bedrängnis gebracht hat.

Schwarz-Rot hat sich bei diesem Thema schwergetan;
das muss ich meinen Kollegen schon einmal sagen. Erin-
nern Sie sich daran, dass wir als Opposition insgesamt
überhaupt erst einmal eine Anhörung fordern mussten.
In dieser Anhörung haben dann auch Sie begriffen, dass
es ohne eine Erhöhung des Wohngelds kaum weiterge-
hen kann. Ich möchte einige Mitglieder der Koalition,
die jetzt sagen, dass sie daran arbeiten, einmal fragen:
Woran arbeiten Sie denn? Wenn Sie die Erhöhung um
drei Monate vorziehen wollen, wäre das zum 1. Oktober.
Dieses Datum liegt meines Erachtens nicht mehr weit
weg.

Inzwischen laufen einige durchs Land und verkün-
den: Wir ziehen die Erhöhung um drei Monate vor. Der
Bundesbauminister, der Bundesfinanzminister, auch Ihr
Geschäftsführer, Herr Röttgen, alle springen jetzt plötz-
lich auf dieses Boot: Vorziehen der Erhöhung des Wohn-
geldes!


(Sören Bartol [SPD]: Das muss sauber gemacht werden!)







(A) (C)



(B) (D)


Joachim Günther (Plauen)

Es ist natürlich rein zufällig, dass das kurz vor der Bay-
ernwahl geschieht und man hier noch ein Geschenk ver-
teilt. Herr Tiefensee und Herr Steinbrück verkünden – je-
der kann es in der Presse nachlesen –: Es muss der warme
Winter gesichert werden. – Nachdem man sich für diese
Wohltat in der Presse hat feiern lassen, ist man plötzlich
erschrocken, dass eine Fraktion jetzt sagt „Nun wollen
wir das aber auch; wir wollen die Erhöhung drei Monate
eher haben“, obwohl es das ist, was Sie selber gefordert
haben. Das ist natürlich kurios.

Schauen wir einmal nach, was Herr Steinbrück erklärt
hat: Dieser Schritt ist jetzt angemessen. Er ist gezielt. Er
hilft Geringverdienern, die jüngsten Preissteigerungen
für Heizöl und Gas erträglicher zu machen. – Er nennt
die Erhöhung dieses Ansatzes im Bundeshaushalt „nicht
nennenswert“.

Meine Damen und Herren, ich muss es noch einmal
sagen: Es geht hier um Geringverdiener, die unterstützt
werden sollen. Hartz-IV-Empfänger erhalten bereits ei-
nen Heizkostenzuschuss. Es geht also um diejenigen, die
täglich arbeiten gehen und aufgrund ihres geringen Ein-
kommens nicht in der Lage sind, für die Kosten aufzu-
kommen. Ich finde, das ist schon ein wichtiger Vorgang.

Uns als FDP soll es recht sein, wenn das schnell von-
statten geht. Wir müssen an dieser Stelle auch sagen: Ja-
wohl, die Energiekosten sind explodiert. Aber ich bitte
die Koalition, sich daran zu erinnern, dass sie selbst ei-
nen maßgeblichen Anteil daran haben. Sie haben mehr-
fach die Steuern erhöht, und jetzt wundern Sie sich, dass
das Ganze nicht mehr bezahlt werden kann.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Totenstille!)


Wir als FDP werden diesem Antrag zustimmen. Wir
werden auch fragen, wo das Geld dafür herkommt. Es
geht für den Bund um etwas mehr als die zuletzt genann-
ten 35 Millionen Euro. Ich gehe von 70 bzw. 75 Millio-
nen Euro aus, aber das ist erst einmal zweitrangig.

Aus unserer Sicht hat der Wahlkampf schon begon-
nen. Ich hoffe, dass sich einige daran erinnern, dass wir
in diesem Zusammenhang die Bundesregierung erst ein-
mal zum Jagen getragen haben. Ich hoffe, Sie als Koali-
tion, vor allem Sie als SPD, stimmen heute dem Antrag
zu, das Wohngeld sofort zu erhöhen; sonst würden Sie
Ihren Bundesbauminister ein weiteres Mal im Regen ste-
hen lassen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1618008800

Das Wort hat jetzt der Kollege Sören Bartol von der

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Sören Bartol (SPD):
Rede ID: ID1618008900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Wohngelderhöhung kommt, und sie
kommt bald. Damit haben wir einen großen sozialpoliti-
schen Schritt in dieser Legislaturperiode getan. Ich
möchte noch einmal daran erinnern, dass dies auf den
Einsatz der Wohnungspolitiker meiner Fraktion, auf ei-
nen Antrag der Koalition und – nicht zu vergessen – auf
den Einsatz des Bundesministers Wolfgang Tiefensee
zurückzuführen ist, der bei diesem angesichts der Haus-
haltskonsolidierung nicht unumkämpften Projekt nie lo-
cker gelassen hat – mit Erfolg.


(Beifall bei der SPD)


Wir lassen Menschen mit geringem Einkommen nicht
im Regen stehen und entlasten mit der Novelle rund
800 000 Haushalte. Das Kernstück der Reform, die neu
eingeführte Heizkostenkomponente, trägt maßgeblich
dazu bei, die stark gestiegenen Energiekosten bei ein-
kommensschwachen Haushalten sozial abzufedern. Die
Notwendigkeit, das zu tun – hier stimme ich mit Ihnen
überein –, wurde durch die weitere Entwicklung bei den
Energiepreisen nachdrücklich bestätigt.

Dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Linkspartei, nun erneut einen Antrag vorlegen, der das
Niveau des Parlaments gelinde gesagt nonchalant unter-
wandert, verwundert mich nicht. Man denke an Ihren
ersten Antrag zum Thema. Wir erinnern uns: Alles für
alle, und zwar gleich! So ließe er sich überschreiben. Er
sah die volle Übernahme der Kosten für Heizung und
Warmwasser vor, und zwar ab sofort. Dass das weder en-
ergie- noch umweltpolitisch sinnvoll noch administrativ
zu machen war, muss ich hier nicht näher ausführen.
Dass ein solcher Antrag allein durch seine handwerkli-
chen Schwächen in der Realität nicht bestehen kann und
den von steigenden Energiekosten betroffenen Haushal-
ten dadurch auch nicht geholfen wäre, muss angesichts
der vorausgegangenen Debatte hier noch einmal gesagt
werden.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1618009000

Herr Kollege Bartol, erlauben Sie eine Zwischenfrage

der Kollegin Bluhm?


Sören Bartol (SPD):
Rede ID: ID1618009100

Ja.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1618009200

Bitte schön.


Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1618009300

Herr Präsident, herzlichen Dank. – Herr Bartol, lassen

Sie sich bitte fragen, ob der erste Entwurf der Wohngeld-
novelle, der tatsächlich auf Initiative der Regierung im
Parlament eingebracht wurde, keinen Ansatz für eine
Wohngelderhöhung und auch keinen Ansatz hinsichtlich
der Heizkosten enthalten hat. Stimmt es, dass Sie erst
eingelenkt haben, nachdem die Opposition eine Anhö-
rung zur Novelle gefordert hat, und der Entwurf, den wir
mit Leben gefüllt und im Frühjahr beschlossen haben,
erst danach auf den Weg gebracht wurde?


(Beifall bei der LINKEN und der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Sören Bartol (SPD):
Rede ID: ID1618009400

Ich glaube, Sie klatschen zu früh. – Liebe Kollegin

Bluhm, Sie wissen ganz genau, dass unsere erste Novelle
eine Verwaltungsvereinfachung zum Inhalt hatte und wir
uns in der Koalition zum damaligen Zeitpunkt sehr inten-
siv damit auseinandergesetzt haben, auch mit der Erhö-
hung des Wohngelds und der Einführung einer Heizkos-
tenkomponente. Wir haben damals darüber diskutiert, ob
man alles sofort in einem Gesetz macht oder die Gesetz-
gebungsverfahren besser trennt. Wir haben uns dann da-
für entschieden – ich denke, dahin gehend sind wir alle
einer Meinung –, das Ganze in ein Gesetz zu schreiben.
Dass Sie sich das jetzt auf die Fahne schreiben wollen,
kann ich angesichts Ihrer Situation verstehen, entspricht
aber nicht der Wahrheit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Frau Bluhm, ich war gerade bei Ihnen und der Links-
partei. Fordern kann man vieles, aber nicht finanzieren.
Es gibt fast keinen Antrag, bei dem Sie nicht ein paar
Millionen mehr hier und ein paar Millionen mehr dort
fordern, bei dem die Linke Wohltaten für alle verspricht,
die sich in der Summe schon mal eben auf die Hälfte der
Mittel im Bundeshaushalt belaufen können.


(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Das sagen Sie, die Sie das Geld auf den Finanzmärkten verschleudern!)


Über die Gegenfinanzierung hört man indes wenig. Ei-
nerseits wird die Rücknahme der Mehrwertsteuererhö-
hung gefordert, um diese Mittel gleichzeitig an anderer
Stelle zur Finanzierung eines anderen Vorschlags einzu-
setzen. Ich sage dazu immer: Wie gut, dass Sie auch die
Swimmingpoolsteuer in Ihrem Programm haben. Spaß
beiseite! Je mehr, desto sozialer? Ich glaube das keines-
wegs. Bei allem Dissens in der Frage, was man heute un-
ter sozialer Politik versteht, ist eines klar: Einen hand-
lungsunfähigen Staat wollen wir sicher nicht. Den
können sich nämlich nur Reiche leisten. Frau Bluhm,
nichts anderes aber würde die Finanzierung eines Bruch-
teils Ihrer Forderungen bedeuten.


(Beifall bei der SPD)


Zurück zum Antrag. Auch meine Fraktion ist der
Meinung, dass die Wohngelderhöhung vorgezogen wer-
den muss. Ich freue mich besonders darüber, dass wir
uns mit unserem größeren Koalitionspartner in dieser
Sache prinzipiell einig sind. Der Kollege Dirk Fischer
hat in seiner Rede deutlich gesagt – ich denke, das gilt
auch für die Rede meines Kollegen Storjohann –, dass
wir gemeinsam einen entsprechenden Gesetzentwurf
vorlegen werden.

Realpolitik heißt immer auch Abstimmung. Schließ-
lich gilt es auch die Länder mit ins Boot zu holen. Ohne
sie geht es nicht. Wir leben nun einmal in einem födera-
len Bundesstaat. Das haben die Kolleginnen und Kolle-
gen von der Linkspartei angesprochen; auch sie wissen
das. Für die Länder ist die Frage, wie die Wohngelderhö-
hung erfolgt – Sie formulieren das in Ihrem Antrag lapi-
dar –, in Form einer Einmalzahlung im Oktober dieses
Jahres oder im Frühjahr 2009, sehr wohl von grundsätz-
licher Bedeutung.

(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Richtig!)


Vermutlich dürfte auch Ihnen nicht entgangen sein, dass
die Länder bereits auf die mit einer Sonderzahlung ver-
bundenen hohen Verwaltungskosten hingewiesen und
auch klargemacht haben, dass eine Auszahlung auch ver-
nünftig administriert werden muss.

Wenn man Gesetze macht – verzeihen Sie –, sind der-
lei Fragen sehr wohl von Bedeutung. Diese Fragen müs-
sen wir in Abstimmung mit den Ländern klären. Um die
Wohngelderhöhung vorzuziehen, müssen Bund und Län-
der an einem Strang ziehen. Andernfalls wird es weitaus
schwieriger. Das – da bin ich mir ganz sicher – ist weder
in Ihrem noch in unserem Sinne, und schon gar nicht im
Sinne der betroffenen Haushalte.

In der Tat ist ein Vorziehen der Reform – das kann man
im Moment leicht nachvollziehen – zwingend erforder-
lich. Nachdem im Juli der Spitzenwert von 140 US-Dol-
lar pro Barrel Öl erreicht wurde, ist der Ölpreis nach zwi-
schenzeitlichem Absinken in dieser Woche innerhalb von
wenigen Stunden um 25 Dollar auf 130 Dollar gestiegen.
Auch wenn er kurz darauf wieder gefallen ist, so wissen
wir doch alle, dass er mittelfristig weiter steigen wird.
Schon deshalb kann es keine Alternative zum Energie-
sparen geben. Die Devise muss lauten: Energie sparen!
Mit dem unter Rot-Grün initiierten CO2-Gebäudesanie-
rungsprogramm sind wir ein ganzes Stück weitergekom-
men. Auch das hilft den Menschen, über die wir heute
sprechen.

Trotzdem müssen viele Verbraucherinnen und Ver-
braucher im kommenden Frühjahr mit hohen Nachzah-
lungen rechnen. Gleichzeitig ist für 2008 und 2009 zu
erwarten, dass die Nachzahlungen mit höheren monatli-
chen Abschlagszahlungen zusammenfallen. Deshalb se-
hen wir die Notwendigkeit für ein kurzfristiges Vorzie-
hen der Wohngeldnovelle auf den 1. Oktober 2008, und
deshalb wollen wir gemeinsam als Koalition einen ent-
sprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag einbrin-
gen. Im Unterschied zu Ihrem Antrag wird unser Ent-
wurf Substanz enthalten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Patrick Döring [FDP]: Wahrscheinlich erst im September beschlossen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1618009500

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat

der Kollege Dr. Anton Hofreiter, Bündnis 90/Die Grü-
nen, das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Selbstverständlich ist die Wohngelderhöhung
angesichts der Situation zu begrüßen. Es wäre auch zu
begrüßen, wenn das Wohngeld bereits zum 1. Oktober
2008 erhöht werden würde. Es ist spannend, wenn die
Redner der Großen Koalition hier die großen Schwierig-
keiten benennen, die eine solche Erhöhung mit sich
bringt: administrative Probleme oder der Bundesrat. Da






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Anton Hofreiter
stellt sich natürlich schon die Frage, warum sich die zu-
ständigen Minister in der Öffentlichkeit bereits dafür ha-
ben feiern lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Man hat den Eindruck, dass man es bei diesem Verspre-
chen mit einem typischen Tiefensee zu tun hat: Klingt
gut, wird aber nicht eingehalten.


(Rita Schwarzelühr-Sutter [SPD]: Das ist doch dummes Zeug!)


Man muss ehrlich sagen: Es ist beschämend, dass sich
SPD-Minister auf Kosten von Familien mit schwachen
Einkommen profilieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es wäre zu begrüßen, wenn wir uns sicher sein könnten,
dass die Erhöhung wirklich kommt. Warum stimmen Sie
dem Antrag der Linken nicht zu?


(Sören Bartol [SPD]: Das habe ich doch erklärt! Fünf Minuten lang!)


– Ihre Erklärung war ein bisschen bürokratisch und wirr.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das war ganz klar! Im Unterschied zu Ihrer Rede!)


Man hatte den Eindruck, der Großen Koalition ist es
nicht möglich, anderen irgendetwas zuzugestehen. Es
war ganz klar so – wer dabei war, weiß es –, dass die An-
hörung der Opposition bei Ihnen einen Denkprozess in
Gang gesetzt hat.


(Patrick Döring [FDP]: So ist es!)


Das ist auch schön. Ich kann verstehen, dass man das
nicht zugeben kann. Ich könnte es noch besser verstehen,
wenn die Mehrheitsverhältnisse knapp wären. Eine so
unsouveräne Große Koalition wie Sie ist wirklich be-
wundernswert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Bedauernswert!)


Allerdings muss man sich über eines im Klaren sein:
Diese Wohngelderhöhung ist letztendlich nichts anderes
als ein Herumdoktern am System. Die Energiepreise wer-
den weiter steigen; damit ist zu rechnen. Es ist schön, dass
auch der SPD-Vertreter dies erkannt hat. Leider sehen wir
in der Politik keine entsprechenden Konsequenzen. Die
Förderprogramme müssten so organisiert werden, dass
insbesondere Einkommensschwache in energetisch sa-
nierten Wohnungen leben können. Das Problem ist: Un-
sere Förderprogramme sind zu sehr darauf ausgelegt,
dass man ein relativ hohes Einkommen haben muss.

Auch die Sanierung der Häuser ist von grundlegender
Bedeutung. Das allein wird aber nicht genügen; denn
auch ein gut saniertes Haus braucht eine gewisse Menge
an Energie. Das heißt, der Umstieg auf regenerative
Energien ist entscheidend.


(Zurufe von der SPD)

– Sie können darüber natürlich dumm lachen. Es ist selt-
sam, wenn ein SPDler darüber dumm lacht –


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Noch schlimmer ist, wenn man dumm redet!)


– und noch dazu unmögliche Zwischenrufe macht. Sie
mögen es lustig finden, wenn sich Unmengen einkom-
mensschwacher Familien das Heizen ihrer Häuser nicht
mehr leisten können. Wir finden das überhaupt nicht lus-
tig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es wäre wunderbar, wenn die Mehrheit im Parlament
das ebenfalls nicht lustig fände, sondern handelte, wenn
es Zeit zum Handeln ist, und dem vorliegenden Antrag
zustimmte, auch wenn er – das muss man ehrlicherweise
zugeben – spät gestellt worden ist. Man kann den Ein-
druck gewinnen, dass der Antrag einen eher symboli-
schen Wert hat; er ist aber immer noch früher gestellt
worden, als die Regierung zu handeln begonnen hat.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1618009600

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen nun zu dem Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 16/10319. Die Fraktion Die Linke
wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen
CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung, und zwar
federführend an den Ausschuss für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung und mitberatend an den Haushaltsaus-
schuss sowie an den Ausschuss für Arbeit und Soziales.
Die Abstimmung über den Antrag auf Ausschussüber-
weisung geht nach ständiger Übung vor. Ich frage des-
halb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Die Überweisung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Oppositionsfraktionen beschlossen. Damit
stimmen wir über den Antrag 16/10319 nicht ab.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 37 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Ekin
Deligöz, Irmingard Schewe-Gerigk, Markus
Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bessere Unterstützung für Alleinerziehende

– Drucksache 16/10257 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Zu diesem Tagesordnungspunkt sollen alle Reden zu
Protokoll genommen werden. Es handelt sich um die
Beiträge der Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

von der CDU/CSU-Fraktion, der Kollegin Helga Lopez
und des Kollegen Dieter Steinecke, SPD, der Kollegin
Sibylle Laurischk, FDP, des Kollegen Jörn Wunderlich,
Die Linke, und der Kollegin Britta Haßelmann,
Bündnis 90/Die Grünen.1)

Damit erübrigt sich die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/10257 an die in der Tagesordnung aufge-

führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Dienstag, den 7. Oktober 2008, 16 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.