Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alleherzlich. Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten,gibt es einige Hinweise und Begrüßungen:Wir alle haben in den vergangenen Tagen die entsetz-lichen Bilder aus Birma gesehen. Die genaue Zahl derOpfer und das volle Ausmaß der Schäden sind uns bisheute nicht bekannt. Wir begrüßen die Hilfszusagen unddie Bereitschaft vieler Organisationen, hier vor Ort zuhelfen. Wir fordern dringend die staatlichen Instanzen inBirma auf, diese Hilfe zuzulassen und zu ermöglichen,die die betroffenen Menschen dringend benötigen.
Heute ist der 8. Mai. Das ist nicht irgendein Tag imJahresverlauf. Am 8. Mai 1945 ist mit der Kapitulationdes Deutschen Reiches der Zweite Weltkrieg zu Endegegangen. Diese militärische Niederlage war Vorausset-zung für die politische Befreiung nicht nur unseres Lan-des, sondern auch vieler unserer europäischen Nachbar-länder und zugleich Voraussetzung für einen völligenNeuanfang in Europa. Deswegen begrüße ich heuteMorgen besonders herzlich den Präsidenten des litaui-schen Parlamentes und seine Delegation. Herr Kol-igbaZZRedetlege Juršėnas, wir freuen uns, dass Sie gerade heute imDeutschen Bundestag zu Gast sind.
Im nächsten Jahr wird Litauen sein 1 000-jährigesStaatsjubiläum begehen. In diesem erstaunlich langenZeitraum hat es zwischen unseren Ländern über Jahr-hunderte hinweg intensive Beziehungen, insbesondereintensive kulturelle Beziehungen gegeben. Wir sind frohund dankbar, dass sich diese Beziehungen zwischen un-seren Ländern als Mitglieder der Europäischen Gemein-schaft in den nächsten Jahren in ganz enger Kooperationweiterentwickeln können.
Die Kollegin Dr. Margrit Spielmann29. April ihren 65. Geburtstag gefeiert. Dazu
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbes-serung der grenzüberschreitenden Forde-rungsdurchsetzung und Zustellung– Drucksache 16/8839 –Überweisungsvorschlag:extRechtsausschussb) Beratung des Antrags der Abgeordneten KlausHofbauer, Dirk Fischer , Dr. Hans-Peter Friedrich , weiterer Abgeordneter undder Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeord-neten Heinz Paula, Uwe Beckmeyer, SörenBartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPDZwölf-Tage-Regelung in Europa wieder ein-führen– Drucksache 16/9076 –ngsvorschlag: für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
für Wirtschaft und Technologie für Arbeit und Soziales für Tourismus hat ammöchte ichÜberweisuAusschussAusschussAusschussAusschuss
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Präsident Dr. Norbert Lammertc) Beratung des Antrags der Abgeordneten DanielBahr , Heinz Lanfermann, Dr. KonradSchily, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDPVerbesserung der Finanzsituation der Kran-kenhäuser– Drucksache 16/9057 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheitd) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Harald Terpe, Birgitt Bender, ElisabethScharfenberg, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKrankenhäuser zukunftsfähig machen– Drucksache 16/9008 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für GesundheitZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionender CDU/CSU und der SPD:Wachstum und Beschäftigung als Grundlagewirtschaftlicher Sicherheit – Haltung der Bun-desregierung zur Entwicklung des Arbeits-marktes und den Wachstumsperspektiven fürDeutschlandZP 4 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPDZukunft der Bahn, Bahn der Zukunft – DieBahnreform weiterentwickeln– Drucksache 16/9070 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
InnenausschussRechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für TourismusHaushaltsausschussZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten HorstFriedrich , Patrick Döring, JoachimGünther , weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDPBahnprivatisierung zügig und konsequentbeschließen– Drucksache 16/8774 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für TourismusZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten WinfriedHermann, Bettina Herlitzius, Peter Hettlich, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENZukunft des Schienenverkehrs sichern– Drucksache 16/9071 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungZZZZZ
– Drucksache 16/9059 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität undGeschäftsordnungVerteidigungsausschussHaushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GOP 9 Erste Beratung des von den Abgeordneten Jörgvan Essen, Dr. Max Stadler, Jens Ackermann,weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDPeingebrachten Entwurfs eines Achtundzwan-zigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeord-netengesetzes– Drucksache 16/9054 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität undGeschäftsordnung
InnenausschussRechtsausschussHaushaltsausschussP10 Erste Beratung des von den Abgeordneten Jörgvan Essen, Dr. Max Stadler, Jens Ackermann,weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDPeingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zurÄnderung des Grundgesetzes
– Drucksache 16/9055 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität undGeschäftsordnung
InnenausschussRechtsausschussHaushaltsausschussP11 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Änderung desBundesbesoldungsgesetzes– Drucksache 16/1033 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
VerteidigungsausschussHaushaltsausschuss
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Präsident Dr. Norbert LammertZP12 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIELINKE:Haltung der Bundesregierung zu aktuellenVorschlägen einer steuerlichen Entlastung vonkleinen und mittleren EinkommenVon der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-weit erforderlich, abgewichen werden.Außerdem ist vorgesehen, den Tagesordnungs-punkt 10 – Flächenerwerbsänderungsgesetz – abzuset-zen und den Tagesordnungspunkt 12 – Seelotsgesetz –ohne Debatte an die Ausschüsse zu überweisen.Für die Reihenfolge bedeuten diese Veränderungen,dass die Tagesordnungspunkte 6 und 7, 8 und 9, 13 und14, 15 und 16 sowie 17 und 18 jeweils getauscht werdenmüssen. Ich vermute, dass Sie damit einverstanden sind. –Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-sen.Wir müssen über einen Antrag auf Erweiterung derTagesordnung entscheiden. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD haben fristgerecht beantragt, die heu-tige Tagesordnung um die Beratung ihres Antrages so-wie der Anträge der Fraktion der FDP und der FraktionBündnis 90/Die Grünen zur Bahnreform auf den Druck-sachen 16/9070, 16/8774 und 16/9071 zu erweitern. DieVorlagen sollen mit einer Debattenzeit von eineinviertelStunden im Anschluss an die heutige Aktuelle Stundeberaten werden. Die Fraktionen Die Linke und Bünd-nis 90/Die Grünen haben dem Aufsetzungsantrag wider-sprochen. Darüber ist nun zu entscheiden.Ich erteile dazu das Wort der Kollegin Dr. DagmarEnkelmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frak-tion Die Linke widerspricht der Aufsetzung des genann-ten Tagesordnungspunktes auf die Tagesordnung. Esgeht um die Bahnreform. Es ist guter Brauch und auch inunserer Geschäftsordnung so geregelt, dass wir die Ta-gesordnung in der vorangehenden Sitzungswoche im Äl-testenrat einvernehmlich verabreden. Das ist in der letz-ten Sitzungswoche auch so geschehen. Da war von derBahnreform keine Rede. Am Dienstag nun erfuhren wirvon der Koalition, dass dieser Punkt schnell zusätzlichauf die Tagesordnung gesetzt wird. Dem haben wir wi-dersprochen; das ist vom Präsidenten völlig korrekt ge-sagt worden.Nun steht es der Mehrheit der Koalition in diesemHause frei, die Tagesordnung je nach Belieben zu verän-dern. Die Opposition ist hierbei leider nur ein Stück Pe-tersilie. Aber mit der Änderung der Tagesordnung – da-rauf möchte ich aufmerksam machen – wird der Wegdafür frei gemacht, das Thema Bahnprivatisierung sozu-sagen im Affentempo durch das Parlament zu jagen.
Denn wenn wir heute tatsächlich die erste Lesung durch-führen, dann wird morgen eine Sondersitzung des Ver-ksddgabs1smetudsdrTövgStDBtm2tfsTfminanTdHccfV
Nun darf man sich, glaube ich, berechtigt fragen: Wa-um eigentlich diese Eile? Warum wollen Sie diesesempo? Haben Sie möglicherweise Sorge, dass sich derffentliche Widerstand gegen die Bahnprivatisierungerstärkt, oder – jetzt schaue ich vor allem zu den Kolle-innen und Kollegen der SPD – hat die Fraktionsspitzeorge, dass sich auch der Widerstand in der SPD-Frak-ion verstärkt?
enn so langsam, Kollege Struck, sickert durch, dass dieelange der Beschäftigten im Tarifvertrag nicht eindeu-ig geregelt sind. So langsam sickert auch durch, dass esöglicherweise nicht bei einer Privatisierung von4,9 Prozent bleiben wird. Die Kanzlerin hat ja eindeu-ig gesagt, dass es für sie der Einstieg ist, dem Weiteresolgen wird. Wir wissen auch, dass es durch die Privati-ierung der Kapitaltochter möglich sein wird, weitereochtergesellschaften zu gründen. Das heißt, der Wegür eine weitere Privatisierung der Bahn wird frei ge-acht.Ich finde es interessant, dass Kollege Mehdorn
nzwischen klar gesagt hat: von wegen Geld für die Sa-ierung der Bahnhöfe ausgeben! Kollege Mehdorn hatuch eindeutig gesagt, er möchte weitere Logistikunter-ehmen in der Welt kaufen. Deswegen wollen Sie dashema so schnell und so reibungslos wie möglich durchas Parlament bringen. Das ist mit uns nicht zu machen.ier geht es um öffentliches Eigentum und um öffentli-he Daseinsvorsorge. Dazu brauchen wir eine ausführli-he Beratung. Wir sind regelrecht gezwungen, uns aus-ührlich damit zu beschäftigen. Das ist mit Ihremorschlag nicht gegeben.Danke.
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Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Oppermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte
Frau Enkelmann, Ihr Geschäftsordnungsantrag ist der
durchsichtige Versuch, das Verfahren in einer Situation,
in der Sie in der Sachdebatte nicht mehr durchdringen,
zu kritisieren.
Die Koalition hat ein Konzept für eine Bahnreform vor-
gelegt, bei der ein modernes Staatsunternehmen entsteht
mit einer limitierten privaten Kapitalbeteiligung in Höhe
von 24,9 Prozent, bei der das private Kapital hilft, das
Wachstum für die DB AG zu ermöglichen, das Eigenka-
pital zu stärken und neue Investitionen vorzunehmen.
Das sichert auch die 230 000 Arbeitsplätze bei der
DB AG. Ich weiß nicht, warum Sie meinen, wir müssten
uns so viel Zeit nehmen, um das sicherzustellen.
Es wird einen Tarifvertrag geben, der diese Arbeitsplätze
bis 2023 sichert.
Dies ist ein Konzept, das Hand und Fuß hat und
durchdacht ist. Gegen dieses Konzept passen Ihre alten
Argumente gegen die schlichte Privatisierung überhaupt
nicht mehr. Deshalb kritisieren Sie das Verfahren. Das
Verfahren ist aber völlig in Ordnung.
Im Ausschuss ist in dieser Woche gründlich darüber
diskutiert worden. Der Ausschuss hat einstimmig – ich
wiederhole: einstimmig; Ihre Leute haben nicht einmal
dagegengestimmt – bei Enthaltung der Linken dafür ge-
stimmt, eine Expertenanhörung durchzuführen. Es wird
also eine Anhörung stattfinden, und dieses Thema wird
sorgfältig beraten. Das ist kein „Affentempo“, wie Sie es
genannt haben. Das ist auch kein ICE-Tempo. Das ist
normales Regionalexpresstempo.
Der Bundestag muss gründlich diskutieren, aber er muss
auch entscheiden. Das wird in diesem Monat passieren.
Deshalb bitte ich Sie, den Antrag von Frau Enkelmann
zurückzuweisen.
Vielen Dank.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für denAufsetzungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU undder SPD? – Wer stimmt gegen den Antrag? – Dann istdg
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit
– zu dem Antrag der Abgeordneten Cajus Caesar,Marie-Luise Dött, Dr. Christian Ruck, weitererAbgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
geordneter und der Fraktion der SPDWeltnaturschutzgipfel 2008 in Bonn – Biolo-gische Vielfalt schützen, nachhaltig und ge-recht nutzen– zu dem Antrag der Abgeordneten AngelikaBrunkhorst, Michael Kauch, Horst Meierhofer,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derFDPLeitlinien für den internationalen Arten-und Lebensraumschutz im Rahmen desÜbereinkommens über die biologische Viel-falt– zu dem Antrag der Abgeordneten RenateKünast, Undine Kurth , UlrikeHöfken, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENErhalten, was uns erhält – Die UN-Konfe-renzen zur biologischen Sicherheit und zumÜbereinkommen über die biologische Viel-falt zum Erfolg machen– zu dem Antrag der Abgeordneten AngelikaBrunkhorst, Michael Kauch, Horst Meierhofer,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derFDPNaturschutz praxisorientiert voranbringen –Entwicklung der Wildtiere in Deutschland– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-rungNationale Strategie zur biologischen Vielfalt– Drucksachen 16/8756, 16/8878, 16/8890,16/8077, 16/7082, 16/9106 –Berichterstattung:Abgeordnete Josef GöppelHeinz Schmitt
Angelika BrunkhorstLutz HeilmannUndine Kurth
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit zu demAntrag der Abgeordneten Angelika Brunkhorst,Michael Kauch, Birgit Homburger, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der FDP
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Präsident Dr. Norbert LammertAllgemeine Grundsätze für den Naturschutzin Deutschland– Drucksachen 16/3099, 16/7278 –Berichterstattung:Abgeordnete Josef GöppelDirk BeckerAngelika BrunkhorstLutz HeilmannUndine Kurth
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten LutzHeilmann, Eva Bulling-Schröter, Hans-Kurt Hill,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEUN-Biodiversitätsgipfel durch Vorreiterrollebeim Schutz der biologischen Vielfalt und fai-ren Nord-Süd-Ausgleich zum Erfolg führen– Drucksache 16/9066 –d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENTropenwaldschutz braucht solide Finanzie-rung – Entwaldung vermeiden, Klima- undBiodiversität schützen– Drucksache 16/9065 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung
FinanzausschussAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitZu der Unterrichtung durch die Bundesregierung übereine Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt liegt einEntschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/DieGrünen vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Dazuhöre ich keinen Widerspruch. Dann können wir so ver-fahren.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-nächst dem Kollegen Heinz Schmitt für die SPD-Frak-tion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gehtheute nicht nur um den Naturschutz, sondern auch umdie Vielfalt des Lebens auf unserer Erde.Es ist durchaus angebracht, dass das Publikum auchnach der Geschäftsordnungsdebatte hier bleibt. Denn alsGastgeber der 9. Konferenz der Vertragsstaaten des Ab-kommens zur Biodiversität wird Deutschland in dennächsten Tagen und Wochen eine wichtige Rolle spielen;die Abkürzung für „Convention on Biological Diversity“lssmdmdtTrmwktsSuwVsrztsHdddbzDdMnnmRhdudLhzsmBVfdT
Der Begriff „Biodiversität“ steht zum einen für diechönheit unserer Erde und für die Vielfalt von Tierennd Pflanzen; Sie alle haben sicherlich schon einmal denunderschönen Film „Unsere Erde“ gesehen, in dem dieielfalt der Tier- und Pflanzenwelt eindrucksvoll darge-tellt wird. Zum anderen steht dieser Begriff für Lebens-äume, in denen unterschiedlichste Lebewesen perfektusammenspielen. Es geht dabei um genetische Informa-ionen, die Tiere und Pflanzen befähigen, sich an unter-chiedlichste Lebensbedingungen anzupassen.Das ist eine Fähigkeit der Natur, in die wir sehr großeoffnungen setzen, in die wir unsere Hoffnungen aller-ings auch setzen müssen. Denn wir hoffen, dass es unsiese Fähigkeit der Natur vielleicht ermöglicht, Schäden,ie durch Übernutzung und Zerstörung natürlicher Le-ensgrundlagen entstanden sind, aufzufangen und aus-ugleichen. Ich spreche bewusst von „Hoffnungen“.enn wir wissen nicht, ob und mit welchem Aufwand allas, was uns die Natur kostenlos und in ausreichendemaße zur Verfügung stellt, ohne Weiteres ersetzbar ist.Zu diesen Dienstleistungen der Natur, wie man sieennt, gehören zum Beispiel der Sauerstoff aus den grü-en Lungen der Wälder, den wir einatmen, Nahrungs-ittel, die Energie von Feldern und aus Meeren undohstoffe für Arzneimittel aus Pflanzen. Durch die Er-altung der Biodiversität soll also gewährleistet werden,ass wir die Grundlagen unseres Lebens auch morgennd übermorgen noch in Anspruch nehmen können. Voner Vielfalt des Lebens erhoffen wir uns darüber hinausösungen für die drängendsten Probleme der Mensch-eit.Wir müssen die Ernährung der Weltbevölkerung – bisum Jahr 2050 ist ein Wachstum auf 9 Milliarden Men-chen zu erwarten – sicherstellen. Wir müssen dem Kli-awandel begegnen. Damit habe ich nur die größtenaustellen benannt. Es geht also darum, die biologischeielfalt so weit wie möglich zu erhalten. Das ist für uns,ür die ganze Menschheit, überlebenswichtig; das mussie Staatengemeinschaft begreifen. Daher ist demhema ein entsprechender Stellenwert einzuräumen.
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Heinz Schmitt
Als Gastgeber einer Konferenz zur biologischen Viel-falt muss man zunächst einmal die eigenen Hausaufga-ben gemacht haben. Daher begrüßen wir es, dass dieBundesregierung im November letzten Jahres die Natio-nale Strategie zur biologischen Vielfalt beschlossenhat. Diese Strategie umfasst ambitionierte, konkreteZiele und Maßnahmen, mit denen die biologische Viel-falt in Deutschland geschützt und gesichert werden soll.Dabei werden zeitliche Vorgaben für die Umsetzung ge-macht. Damit hat Deutschland einen wichtigen Schrittfür den Naturschutz und für eine nachhaltige Nutzungder Natur im eigenen Lande getan. Das war eine wich-tige Voraussetzung dafür, dass Deutschland den Vorsitzder CBD-Konferenz im Mai übernehmen kann.Wir Sozialdemokraten erhoffen uns von der 9. Ver-tragsstaatenkonferenz, dass wir auch international deut-lich vorankommen. Wir haben mit unserem Koalitions-partner den vorliegenden Antrag formuliert. Wirbrauchen zum Beispiel Fortschritte – das ist Teil unseresAntrags – im Hinblick auf die Gewährleistung eines ge-rechten Zugangs zu genetischen Ressourcen; die Vor-teile aus der Nutzung genetischer Ressourcen sind ge-recht zu verteilen. In Bonn sollen Regeln für den Zugangund für den Vorteilsausgleich erarbeitet werden.Wir wollen neue Möglichkeiten der Finanzierung er-schließen, um auch dadurch natürliche Lebensräume zuerhalten. Dies dient gleichermaßen dem Arten- und demKlimaschutz. Wir brauchen mehr Schutzgebiete zu Landund zu Wasser sowie, wenn man so will, neue WorldWide Webs der Biodiversität.
Insbesondere auf dem Meer, wo bisher nur 1 Prozent derFlächen geschützt ist, müssen wir noch weit mehr tun.Es gibt also in den zwei Wochen der CBD-Konferenz inBonn einiges zu stemmen.Mir ist es wichtig, dass wir beim Thema Biodiversitätden Blick nicht nur in die Ferne richten. Wir müssenauch vor der eigenen Haustür kehren. Für mich sindEnergie- und Ressourceneffizienz wesentliche Bau-steine bei der Erhaltung der Biodiversität. Deshalb müs-sen wir unsere Konsum- und Wegwerfgesellschaftstärker hinterfragen. Wir müssen aufhören, unsere Lu-xusprobleme auf dem Rücken und zulasten von Ent-wicklungsländern zu lösen. Es gibt keine Rechtfertigungdafür, dass billiges Turbofleisch und Spritschlucker aufden Straßen hierzulande zu einer Konkurrenz beim An-bau von Nahrungsmitteln führen.
Ich begrüße den in diesen Zusammenhängen behutsa-men und sensiblen Umgang unseres Umweltministers.Ich wünsche der Bundesregierung, dass sie viele deranspruchsvollen Ziele während der Konferenz in Bonnerreichen wird. Wir, das Parlament, freuen uns, dass wirdiese Arbeit aktiv begleiten dürfen und in der heutigenDebatte unsere Übereinstimmung hinsichtlich der Zieledeutlich machen können.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Sechstens. Für den Weg von der Biodiversitätsstrate-ie hin zur Umsetzung brauchen wir natürlich konkreterbeitsprogramme. Dabei kommt den vielen zusätzli-hen Akteuren auf den verschiedenen politischen undesellschaftlichen Ebenen natürlich eine besondere Be-eutung zu. Ich nenne die Bundesländer, die Kommu-en, die Verbände, die Wirtschaft und letztlich auch dieürger. Hier haben wir Liberale ganz besonders den An-pruch, dass ein Wettbewerb der Lösungen zugelassenird; denn die Menschen vor Ort wissen teilweise sehrut Bescheid und können bestimmte Leitlinien hervorra-end umsetzen.
Zum Schluss noch einmal zur COP 9 in Bonn.eutschland übernimmt bei der Konferenz den Vorsitz.as ist eine große Verantwortung. Ich denke, insbeson-ere Bundesumweltminister Gabriel wird sich an denonferenzergebnissen messen lassen müssen.Wir erwarten natürlich insbesondere Fortschritte beien Verhandlungen über das ABS-Regime. Das habe ichchon gesagt. Ich denke, dabei müssen wir auch so kor-ekt sein, zu sagen: Wir müssen zwar konkrete Vereinba-ungen treffen, aber sie müssen auch erfüllbar sein.
s nützt uns nichts, utopische Ziele zu vereinbaren.Ich wünsche mir, dass das Thema Biodiversivitätoch stärker kommuniziert wird und dass es sich nochtärker im Bewusstsein und in den Herzen der Menschenerankert. Uns allen wünsche ich in Bonn einen gutennternationalen Erfahrungsaustausch und konkrete Ver-inbarungen zum Wohle unserer Schatzkiste Natur.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort erhält nun die Kollegin Katherina Reiche,DU/CSU-Fraktion.
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16806 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DerWeltnaturschutzgipfel in Bonn muss zu einem Erfolgwerden. Klimaschutz und Artenschutz gehören zu-sammen. Wir sind verpflichtet, diese Konferenz zu ei-nem Erfolg zu führen, um beidem gleichermaßen ge-recht zu werden.Schopenhauer hat einmal sinngemäß formuliert, dassman, wenn man der Natur die Daumenschrauben anlegt,auch hinhören muss, was die Natur sagt.Was uns die Natur sagt, ist ziemlich unmissverständ-lich. In den vergangenen 50 Jahren haben wir das Öko-system schneller und weitreichender verändert als je zu-vor. Dies hat zu einem beträchtlichen, ja zum Teilirreversiblen Verlust der Vielfalt des Lebens auf unseremPlaneten geführt, der wiederum unser Leben maßgeblichbeeinträchtigt.Manch einer wird sagen: Gut, das hat es in der Ver-gangenheit auch schon gegeben. – In einer Theorie wirddavon ausgegangen, dass ein Meteorit auf die Erde ein-schlug, aufgrund dessen die Dinosaurier ausgestorbensind. Bildlich gesprochen schlägt hier ein Meteorit seit50 Jahren permanent auf die Erde ein. Als Folge daraushat sich das Artensterben – sehr konservativ gerechnet –mindestens um den Faktor 100 gegenüber dem normalenVerlauf innerhalb der Evolution beschleunigt. Das istdramatisch.Gegenwärtig sind wir in unserem politischen Tages-geschäft damit beschäftigt, den Klimawandel in halb-wegs verträglichen Bahnen zu lassen. Ich sagte bereits,dass der ungebremste Klimawandel und der Verlust vonArtenvielfalt unmittelbar miteinander verbunden sind.Die ökologische Uhr tickt beharrlich und schnell, abersehr leise. Ein geschlossenes, gemeinsames Handeln istalso gefragt.Wenn man sieht, wie viele Millionen Zuschauer durchFilme wie Deep Blue, Unsere Erde oder auch Die Reiseder Pinguine in die Kinosäle gehen, so hat das bestimmtmit den fantastischen Bildern zu tun, vielleicht aber auchmit einer Vorahnung, ja, Furcht vieler Menschen, Zeugeeines unwiederbringlichen Verlustes von Artenvielfaltund der Schönheit unseres Planeten zu sein. UnsereFraktion hat auch – maßgeblich durch den KollegenRuck – einen sehr erfolgreichen Kongress organisiert, andem Experten aus aller Welt teilgenommen haben, dieuns beispielhaft das Artensterben und den Klimawandelsowie deren Auswirkungen sehr deutlich vor Augen ge-führt haben. Biodiversität ist die Grundlage unseres ge-wohnten Lebens auf dem Blauen Planeten und eine derwichtigsten Säulen der nachhaltigen Entwicklung.Der weltweite Reichtum an Lebensformen ist un-sere eigentliche Lebensgrundlage, ohne die es kein aus-reichendes Trinkwasser, keine ausreichende Lebensmit-telversorgung, Medizin und Kleidung gibt. Auch beiNaturkatastrophen sorgt die Artenvielfalt dafür, dass derZyklus des Lebens nicht abbricht.Es gibt noch eine weitere Dimension. Wir diskutierenzurzeit intensiv die Folgen von Armut und Hunger. Ge-rade die Ärmsten der Welt sind auf Artenvielfalt ange-wtdkngvdeBwEsattkNSldagzpmsKiwIglgvnenuscuVVgbev3Bi
Damit komme ich zur Naturschutzkonferenz inonn, die ab 19. Mai dieses Jahres in Bonn stattfindenird. Sie wird maßgeblich von vier Fragen geprägt sein:rstens. Wie können wir die biologischen Ressourcentärker als bisher den Ländern zugutekommen lassen,us denen sie stammen? Zweitens. Wie kann mit innova-iven Ansätzen erreicht werden, dass zum Schutz der Ar-envielfalt mehr Geld zur Verfügung steht? Drittens. Wieönnen wir das von Deutschland mitinitiierte, weltweiteetz von Schutzgebieten erweitern, und gelingt auch einchutz maritimer Lebensgebiete? Viertens – last but noteast – haben sich die bisherigen Beschlüsse zum Schutzer Wälder als äußerst fruchtbar erwiesen. Sie müssenber insbesondere mit Blick auf den Klimawandel drin-end erweitert werden. Gerade beim Thema Wald besit-en wir in Deutschland weltweit wohl einmalige Kom-etenzen.
Auf der 9. Vertragsstaatenkonferenz in Bonn mussehr erreicht werden als in den vergangenen 16 Jahreneit dem Erdgipfel 1992 in Rio, der maßgeblich vonlaus Töpfer und Helmut Kohl mitgeprägt wurde undmmer noch eine wichtige Tragsäule internationaler Um-eltpolitik ist. Rio war definitiv ein Meilenstein für dientegration von Umwelt- und Entwicklungsbestrebun-en. Auf diesem Weg müssen wir weiter vorangehen.Ich glaube auch, dass die Konferenz in Bonn mit dieetzte Gelegenheit ist, den Beschluss der Staats- und Re-ierungschefs umzusetzen, der auf dem Gipfeltreffenon Johannesburg im Jahre 2002 beschlossen wurde,ämlich dem Verlust der biologischen Vielfalt bis 2010ntscheidend entgegenzutreten.Rund ein Fünftel der globalen Treibhausgasemissio-en ist auf die Waldzerstörung zurückzuführen. Wennns beim Thema Waldschutz kein entscheidender Fort-chritt gelingt, dann wird unser Blauer Planet wesentli-he Teile seiner grünen Lunge einbüßen.Deutschland hat mit seiner glaubwürdigen Umwelt-nd insbesondere Klimaschutzpolitik weltweit großesertrauen aufgebaut. Dieses Kapital des internationalenertrauens können wir nun investieren, wenn es darumeht, den Schutz der weltweiten Artenvielfalt zu ver-essern. Zwar haben wir selbst mit nur circa 4 Prozentinen relativ geringen Anteil an der weltweiten Arten-ielfalt, aber auch bei uns steht nicht alles zum Besten.6 Prozent der Tierarten und 27 Prozent der Farn- undlütenpflanzen gelten als gefährdet. Aber Deutschlandst in den vergangenen Jahren beim Artenschutz aktiv
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Katherina Reiche
gewesen. Mit unserer Nationalen Strategie zur biologi-schen Vielfalt, die im November 2007 durch das Kabi-nett verabschiedet wurde, haben wir ein Zeichen gesetzt,über 300 konkrete Ziele benannt und über 400 Maßnah-men beschlossen.Die eigentlichen Biodiversitätsbrennpunkte mit rund80 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten der Erde befin-den sich aber nicht hier, sondern in den Schwellen- undEntwicklungsländern Afrikas, Lateinamerikas undAsiens. Wir müssen diese Staaten beim verantwortungs-bewussten Umgang mit der Natur unterstützen, damitdie Zentren der biologischen Vielfalt nicht unwider-bringlich verschwinden.Ich möchte aus Sicht meiner Fraktion die Schritte be-nennen, die dabei wichtig sind. Wald- und Biodiversi-tätsschutz müssen noch stärker durch die klassischenInstrumente der Entwicklungspolitik flankiert werden.Klima- und Biodiversitätsschutz müssen besser verzahntwerden, um effiziente Maßnahmen für beide Bereiche zuidentifizieren und umzusetzen. Eine konzertierte Initia-tive der Industriestaaten ist notwendig, um die überfäl-lige Umsetzung der CBD-Beschlüsse im Bereich Waldund Schutzgebiete sicherzustellen. Den Emissionshandelin der Europäischen Union sollten wir ab 2013 auch fürandere Zertifikate öffnen, um Möglichkeiten der Natur-schutzfinanzierung zu fördern. Dies dient dem Schutzder Artenvielfalt. Finanzielle Mittel müssen effizienteingesetzt werden, um Parallelstrukturen zu verhindern.Staatliche Mittel sollten intelligent in Partnerschaftenmit der Wirtschaft und dem privaten Naturschutz zumSchutz der Biodiversität investiert werden. Gleichzeitigbrauchen wir eine gesamtgesellschaftliche Allianz zurBewahrung der Artenvielfalt, der sich auch Unterneh-men anschließen.Zum Abschluss möchte ich Sie herzlich bitten, ge-meinsam in den kommenden Wochen alles dafür zu tun,dass die Konferenz in Bonn ein Erfolg wird. Ich wün-sche der Frau Bundeskanzlerin und dem Bundesumwelt-minister dabei eine glückliche Hand und größtmöglichesDurchsetzungsvermögen. Ich bin sicher, dass Sie, dieRegierung, und alle anderen, die an diesem Prozess be-teiligt sind, mit Unterstützung aus der Großen Koalitionrechnen können.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Lutz Heilmann,
Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Deutschland, der Saubermann beim Schutz
der Artenvielfalt? Diesen Eindruck möchte die Bundes-
regierung derzeit mit ihrer Hochglanzkampagne zur
9. Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens zum
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Ein Indikator für die Bedrohung der Artenvielfalt istder anhaltend hohe Flächenverbrauch von 110 Hektarpro Tag. Angestrebt haben Sie einen Rückgang auf30 Hektar pro Tag bis zum Jahr 2020. Davon sind Sie al-lerdings meilenweit entfernt. Konkret bedeutet das diemassive Zerschneidung der Landschaft durch Straßen-bau, neue Landebahnen, Industriegelände und Gewerbe-und Wohngebiete auf der sogenannten grünen Wiese.Letztlich ist auch die industrielle Intensivnutzung durchLand-, Forst- und Fischereiwirtschaft für den Verlust derbiologischen Vielfalt maßgeblich mitverantwortlich.
All das wird von Ihnen mit erheblichen Summen un-terstützt. Wenn nur ein Bruchteil dieser Milliarden demNaturschutz und dem Schutz der Artenvielfalt zur Verfü-gung gestellt würde, wären wir einen Schritt weiter.Aber was macht unser Umweltminister? Er kürzt, um dieKonferenz in Bonn durchzuführen, erst einmal die Aus-gaben für den Naturschutz in Deutschland. Dabei geht esauf der Konferenz auch ums Geld. 30 Milliarden Eurowürde ein effektiver weltweiter Gebietsschutz bis zumJahr 2015 kosten. Wir als Linke fordern die Bundesre-gierung auf, sich an der Finanzierung eines globalenSchutzgebietsnetzes in angemessenem Umfang und zü-gig zu beteiligen;
denn die angestrebte Schaffung eines globalen Schutzge-bietsnetzes bis 2010 kommt kaum voran.Von besonderer Bedeutung ist der Schutz der letztenintakten Ur-, Mangroven- und Buchenwälder Mitteleu-ropas. Die müssen sofort unter Schutz gestellt werden.WElWAggBGsFfwskDaindMsksdfmdnkakAJSgntvdkdVÜRshgssn
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16809
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Die Länder und deren indigene und lokale Gemeinschaf-ten, die eine hohe biologische Vielfalt zu bieten haben,sollen eben nicht verpflichtet werden, uns ihre Ressour-cen zur Verfügung zu stellen.Wir fordern in diesem Zusammenhang, insbesonderedie Rolle sowie die Arbeit der Frauen bei der Nutzungund Verarbeitung von genetischen Ressourcen und derAnwendung von traditionellem Wissen zu achten und zurespektieren und dass ihnen für ihre Arbeit ein ordentli-cher Lohn gezahlt wird.
Das vermisse ich selbst bei den Grünen, aber da vermisstman mittlerweile ja so einiges.Ein paar Gedanken zum Thema Agrotreibstoffe. Da-bei kommt nach einer kräftigen Panne von MinisterGabriel jetzt die Losung, man möge die Diskussion dochbitte wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen.Weltweit würden ja nur 2 Prozent der landwirtschaftli-chen Flächen für Agrosprit genutzt. Hauptursache fürAbholzungen sei eher der Futtermittelanbau, also dergroße Fleischkonsum.Ich finde diese Argumentation recht platt. Natürlichgibt es eine Vielzahl anderer landwirtschaftlicher Nut-zungen als den Anbau von Energiepflanzen. Die Nach-frage nach Nahrungs- und Futtermitteln wächst momen-tan weltweit, weil die Zahl der Menschen weiter wächstund weil viele Menschen zum Glück mehr, aber auchfleischlastiger essen. Gleichzeitig sinkt die Anbaufläche.Wer ein wenig von Marktmechanismen versteht,
der weiß, dass das Ganze zu steigenden Nahrungsmittel-preisen führen muss. Genau das geschieht derzeit. Genauin dieser Situation wollen die Industriestaaten noch zu-sätzlich zu den ganzen Problemen tropischen Agrospritfür ihre Autoarmada. „Bravo!“, kann ich da nur sagen.Da senden wir über die Rohstoffbörsen tolle Nachrichtenin den Süden: Baut nicht mehr Bohnen und Reis, son-dern Zuckerrohr und Soja an! Holzt eure letzten WälderaenleanKAADStfgczEgsBbTbrsRnpB
Nächste Rednerin ist die Kollegin Renate Künast,
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach derisherigen Debatte kann man sagen: Bei kaum einemhema wird so viel wie beim Naturschutz geheuchelt.
Schauen wir uns die Debatte um das Umweltgesetz-uch an: Seit Jahrzehnten geführt – nichts passiert. Siche-ung des nationalen Naturerbes – nichts passiert. Verab-chiedung eines Waldgesetzes und wirtschaftspolitischeeformen, durch die der Wald geschützt werden soll –ichts passiert. Novellierung des Jagdgesetzes – nichtsassiert. Immer wieder wird auf die Agrarreform inrüssel verwiesen,
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Renate Künastauch gerade wieder. Herr Heilmann – speziell an Sie ge-richtet –, unter uns gibt es noch Kollegen, die demBraunkohletagebau durchaus positiv gegenüberstehen.Da kann man heutzutage nur sagen: Das ist Heucheleibezüglich Naturschutz.
Das ist der Eindruck, den die bisherigen Reden bei mirerweckt haben.
– Wenn aus der SPD jemand „Elbvertiefung“ ruft, sageich: Naumann. Vergessen Sie das nicht! Die Zwischen-rufe müssen schon aus der richtigen Fraktion kommen,Herr Kollege Kelber.
Die Erhaltung der biologischen Vielfalt ist dieGrundlage für unser Überleben. Es geht dabei nicht nurdarum, hier ein paar Sonntagsreden zu halten und zu sa-gen – was materiell nicht falsch ist –: Die Kinder sollensich der Natur wieder nähern und sich mit ihr identifizie-ren können.
Aber es geht nicht nur darum, dass die Kinder der Naturnäherkommen; vielmehr handelt es sich um Hardcorepo-litik und nicht um ein Schönwetterthema. Dazu habe ichwenig gehört.
Man muss beim Thema „globale Gerechtigkeit“ an-fangen. Ich verweise auf die Folgen des Zyklons inBirma, etwa auf die vielen Todesfälle. Wir müssen dafürsorgen, dass die Industriestaaten nicht so, wie sie es jetzttun, über dem Limit leben. Fakt ist doch: Wir hier ver-brauchen mehr, als uns zusteht, und zwar auf Kosten derEntwicklungsländer. Das muss man ändern, und daswird ein hartes Geschäft.
Man muss verhindern, dass multinationale Konzernedie Kontrolle über Saatgut und genetische Ressourcenhaben und dadurch zum Beispiel die Ureinwohner vielerRegionen kalt enteignen. Schutz und Erhalt der biologi-schen Vielfalt müssen wirklich oberste Priorität haben,und zwar in allen Politikbereichen. So gern ich auch im-mer wieder einmal den Umweltminister kritisiere, sosage ich hier: Man kann im Zweifelsfalle alle am Kabi-nettstisch, also alle auf der Regierungsbank, ansprechen.Es ist wirklich eine Querschnittsaufgabe. Die Zeitdrängt.Wir tragen als Gastgeber der Weltkonferenz nächsteWoche Verantwortung. Daher sollte man wirklich Vor-rnsdBbssdb–ZgSIlNssguwe–MmESfDBzgmgmvljwh
„Ja, natürlich!“ Zu Recht kommt von der FDP dieserwischenruf. Ich meinte auch und gerade die FDP.Man hat gesagt: 20 Prozent der Fläche sollen Schutz-ebiete sein. Das war zum Beispiel im Hinblick auf denchutz der Artenvielfalt und den Klimaschutz eine gutedee. Man darf nicht immer die kurzfristigen wirtschaft-ichen Interessen über die langfristigen Interessen desaturerhalts, also des Erhalts unserer Lebensgrundlagen,tellen.
Es ist schön, warme Worte oder in schönen Bildern zuprechen; aber dann müssen dem Ganzen auch Taten fol-en. Ich muss ein paar Punkte aufzählen, bei denen esns nicht reicht, was die Bundesregierung tut. Nehmenir die Biokraftstoffkrise, die für die Bundesregierungine Pleite bedeutet hat.
Dass Sie als Partei Die Linke darüber reden: Gutenorgen! Schön, dass auch Sie langsam auf diesem The-enfeld angekommen sind. Ich wünsche Ihnen eine gutentwicklung.
ie vertreten doch eher noch das Motto „Freie Fahrt fürreie Bürger“.
Die Biokraftstoffpleite ist ein weltweites Problem.iese Pleite hat etwas mit der Aktion zu tun, die dieseundesregierung durchgeführt hat. Ihr Beimischungs-wang war ein Fehler. Dadurch haben Sie den nachhalti-en Pflanzenanbau der heimischen Bauern kaputtge-acht. Viele Betriebe darben daher.Für eine Veränderung beim Umgang mit Importenibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder gar keinenehr zuzulassen oder eine wirksame Zertifizierung zuerankern, die auch umgesetzt wird. In Bezug auf Brasi-ien sage ich ganz klar, Herr Gabriel: Denen darf manetzt keinen Glauben schenken, sonst schieben die dasirklich auf die lange Bank. Es muss nun vielmehr einartes Regime verankert werden, das auch wirklich
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Renate Künastfunktioniert. Seit Jahren behauptet die brasilianischeSeite, es werde kein Urwald für diese Produkte gerodet.Das stimmt, aber um den Ausbau der Zuckerrohranbau-gebiete zu ermöglichen, muss die Rinderhaltung wei-chen. Am Ende wird nun für die Rinderhaltung der Ur-wald gerodet. So machen sie es. Es ist also einewirksame Zertifizierung nötig.Ein anderes Kabinettsmitglied, Herr Seehofer, setztimmer noch auf Monokulturen, auf Gentechnik und aufChemie statt Vielfalt auf dem Teller. Auch diese Fragenhängen ja mit dem Naturschutz und der Bewahrung vonArtenvielfalt zusammen. Deshalb reicht es nicht, hierwarme Worte zu sprechen, sondern man muss konkretdie Vorschläge der Europäischen Kommission zurnächsten Stufe der Agrarreform unterstützen. Dabei gehtes nämlich um die Bewahrung von Artenvielfalt und Kli-maschutz. Um das zu ermöglichen, sollen die Direktzah-lungen an andere Bereiche etwas gekürzt werden unddas so eingesparte Geld umgeschichtet werden.
Wer wirklich Naturschutz will, muss nach Brüssel gehenund Frau Fischer Boel sagen: Wir unterstützen Ihr Re-formvorhaben. – Da das nicht geschieht, stelle ich fest,dass hier viel geheuchelt wurde.Machen Sie endlich eine Politik,
bei der Schutz der biologischen Vielfalt und Armutsbe-kämpfung miteinander verbunden werden. FrauWieczorek-Zeul, es war ein Fehler, dass Sie vor vielenJahren die Fördermittel für die Entwicklung des ländli-chen Raumes immer weiter zurückgeschraubt haben.Geben wir der Welthandelsrunde einen Schub und tretenwir dafür ein, dass Naturschutz und Artenerhalt auchdort endlich eine Rolle spielen! Verhindern wir, dass inBonn am Ende die Saatgutkonzerne durch eine Patentie-rung genetischer Ressourcen, also eine Art Biopiraterie,die Weltbevölkerung und hier insbesondere die Armenund Hungernden im wahrsten Sinne des Wortes enteig-nen!Meine Damen und Herren, es reicht nicht, Donnerstagfrüh warme Worte zu sprechen. Naturschutz, Erhalt derArtenvielfalt stellen für uns eine existenzielle Frage dar.
Frau Kollegin.
Um diese zu bewältigen, sind knallharte Politik und
Mut erforderlich. Sonst wird daraus nichts.
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Ich weiß nicht, ob Sie beim Vortrag der Chefin vonreenpeace Brasilien zum Thema Zuckerrohr zugehörtaben oder ob Sie zu dem Zeitpunkt auch woanders wa-en, aber bei diesem Vortrag hätten Sie erfahren können das ist auch an die Adresse von Frau Künast gerichtet –,ass Greenpeace Brasilien sagt, die derzeitige Zucker-ohrproduktion in Brasilien stellt kein ökologisches Pro-lem dar und sorgt auch nicht für eine Verschiebung voninderzucht und Sojaanbau auf Regenwaldflächen, aberür die Zukunft – insofern hat die Kollegin Künast natür-ich absolut recht – besteht ohne ein Verfahren, mit demie Produktion wirklich auf Nachhaltigkeit kontrollierterden kann, die Gefahr, dass der Ausbau der Zucker-ohrproduktion nicht auf den 6 Millionen Hektar, die inrasilien brachgelegen haben, stattfindet, sondern aufndere Flächen ausweicht.Eine der Voraussetzungen dafür, damit das nicht ge-chieht, ist, dass es nicht teurer ist, Brachflächen in Bra-ilien für den Zuckerrohranbau zu revitalisieren und zuutzen als Regenwald- oder Savannenflächen. Wir ste-en hier also vor der Frage, wie wir einem anderen Landelfen können, seine wirtschaftlichen Potenziale zu nut-en.Dagegen bringt es überhaupt nichts, Herr Kollegeeilmann – Frau Künast hat das nicht getan, deswegenill ich sie hierfür nicht in Anspruch nehmen –, diesenändern zu sagen: Wir wollen die Produkte, die ihr pro-uziert, nicht. Wir lassen sie nicht in unser Land; dennhr seid die bösen Buben der internationalen Umweltpo-itik. – Sie nehmen ein solches Verhalten nämlich nichtls Mahnruf engagierter Umweltschützer wahr, sondernie nehmen es so wahr, als ob da ihre alten Kolonialher-en sprechen würden, die verhindern wollen, dass es beihnen wirtschaftliche Entwicklung gibt, die sie in wirt-chaftlicher Armut halten wollen und deshalb neuerlichine Schutzpolitik für Landwirtschaftsprodukte machen,m sie herauszuhalten.
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Bundesminister Sigmar GabrielEine solche Haltung hätte Auswirkungen auf alle inter-nationalen Umweltverhandlungen. Wenn sich dieserEindruck bei Brasilien und anderen Ländern verfestigt,werden wir bei den Klimaschutzverhandlungen eineböse Überraschung erleben, weil diese Länder glaubenwerden, dass wir sie nirgendwo hochkommen lassenwollen. Gleichzeitig haben die Kollegin Künast und allediejenigen recht, die sagen: Es kann nicht sein, dass wiralles mitmachen und Versprechungen trauen.Natürlich hat Brasilien eine gute Gesetzgebung. Na-türlich wäre es gut, wenn Brasilien jetzt Zonierungenmachte. Ich möchte allerdings darauf hinweisen: Wennauf einer Fläche wie dem Bundesstaat Pará in Brasilien,der dreimal so groß wie Deutschland ist, für die Über-prüfung 176 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit zweiAutos, zwei Schiffen und einem Hubschrauber bereitste-hen, dann wird man vermutlich nicht weit kommen. Wirwerden aber auch in einem solchen Fall nicht anderskönnen, als mit ihnen über die Frage zu verhandeln, wiewir ihnen dabei helfen können.Das ist der Grund, warum ich dankbar dafür bin, dassdie deutsche Bundeskanzlerin bei ihrem Besuch in Bra-silien exakt über die Frage reden will: Welche Nachhal-tigkeitskriterien stellen wir auf und wie überprüfen wirsie? Aber auch: Wie können wir denen, die es machen,anbieten, dass ihre Produkte auf dem deutschen und demeuropäischen Markt verkauft werden können? Wer dasnicht macht, sendet das Signal: Wir wollen euch inArmut halten. – Mit solchen Reden wie Ihrer, HerrHeilmann, zerstören Sie die Vertrauensgrundlage, diewir auf der Konferenz über biologische Vielfalt benöti-gen. Sie werden dann niemanden finden, der bereit ist,mit uns über die tatsächlich existierenden Problemesachgerecht zu reden.
1992 ist die Konvention über biologische Vielfaltauf den Weg gebracht worden, mit der das Ziel verfolgtwird, bis zum Jahre 2010 das weltweite Artensterbenwenigstens deutlich zu bremsen. Die Wahrheit ist: Da-von sind wir weit entfernt. Wenn mich jemand fragt, obich – ich glaube, auch das war Herr Heilmann – den Un-terschriften von 190 Staaten traue – Sie haben gesagt:Das steht doch drin; diese Länder sind verpflichtet,Schutzgebiete auszuweisen –, dann antworte ich: Ja,aber ich habe zur Kenntnis zu nehmen, dass nach16 Jahren die Konvention über biologische Vielfalt aneinem Scheideweg steht. Entweder es gelingt uns jetzt,bis zum Jahre 2010 endlich substanzielle Fortschritte zuerreichen, oder wir beweisen der Weltbevölkerung, dasses eben nichts wert ist, wenn 190 Staaten etwas unter-schreiben und dann 16 oder 18 Jahre lang nichts passiert.In der Tat ist vieles von dem, was in der Konventionsteht, nicht mit Leben erfüllt worden. Wenn Sie den klu-gen Spruch machen, in der Konvention stehe doch, dassdiese Länder verpflichtet sind, Schutzgebiete auszuwei-sen, dann müssen Sie ihnen erklären, dass Sie sagen: Wirbeschließen international ein Gesetz, in dem wir bestim-men, welcher Teil eures Landes unter Schutz gestelltwird; unterschreibt mal unten links. – Dass diese Vor-sgssSdHWczgddawdaWkSrsbwMdwwwMVsdmvdllzwBfEbzwtDW
Mit dieser Vorstellung kommen Sie nicht an die Men-chen heran. Sie müssen ihnen Angebote machen, sodassich diejenigen, die bereit sind, Geld mitzubringen, umchutzgebiete zu finanzieren, mit denen treffen können,ie bereit sind, Schutzgebiete auszuweisen, dafür aberilfe brauchen. Das nennt man in der Tat „freiwillig“.enn Sie das nicht machen, sondern mit rechtsverbindli-hen Abkommen arbeiten wollen, um diese Länder dazuu zwingen, werden Sie scheitern in Bonn. Unsere Auf-abe ist es, sie endlich nach vorne zu bringen.Wir können als Bundesregierung nicht ausschließen,ass die Konferenz wieder scheitert. Wir haben sie inem Bewusstsein, dass Fortschritte scheitern können,ngenommen. Aber wir wollen sie zum Erfolg bringen,ir wollen Fortschritte machen; denn wir haben ein hun-ert- bis tausendfach schnelleres Aussterben der Artenuf der Welt, als die natürliche Aussterbensrate beträgt.enn wir nichts machen, wird es im Jahre 2050 keineommerzielle Fischerei mehr auf der Erde geben. Stellenie sich vor, was das für die Ernährung der Weltbevölke-ung bedeutet! Ein paar Milliarden Menschen sind aus-chließlich auf Fische angewiesen, um die Proteine zuekommen, die sie zum Überleben brauchen.Es gibt eine Riesenanzahl von Beispielen dafür, dassir wirklich über das Überleben von Milliarden vonenschen reden. Wir reden nicht darüber, dass die In-ustriestaaten ein bisschen abgeben müssen, um Um-eltschutz im Sinne eines Nischenthemas zu betreiben,ie das manchmal auch in unserem Lande behandeltird. Vielmehr reden wir über das nackte Überleben vonilliarden von Menschen auf unserem Planeten.Es gibt 6 273 Reissorten. Vor einigen Jahren hat einirus fast die gesamte Reisernte in Indien und Indone-ien vernichtet. Dann hat man nach einem Reis gesucht,er dagegen immun ist. Unter den 6 273 Reissorten hatan eine einzige gefunden, die resistent war. Das haterhindert, dass die Reisbestände der Welt zerstört wur-en und die Menschen an Hunger gestorben wären. Stel-en Sie sich einmal vor, wir hätten durch die Entwick-ung der Industrienationen ausgerechnet diese Reissorteerstört! Welch eine Menschheitskatastrophe!Wenn wir über biologische Vielfalt reden, dann redenir, wie das ein Amerikaner einmal gesagt hat, über dasetriebshandbuch der Erde. Darin steht, wie die Erdeunktioniert. Wir reißen jeden Tag eine Seite heraus. Dasrgebnis wird sein, dass, wenn das irgendjemandraucht und da hineinschaut, genau die Seite fehlt, dieum Überleben einer wachsenden Weltbevölkerung inachsenden Industriestaaten gebraucht wird. Das ist Ar-enverlust.
as ist nicht irgendein Randthema. Wir reden über dasachstum der Weltbevölkerung von 6 Milliarden auf
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16813
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Bundesminister Sigmar Gabrielüber 9 Milliarden Menschen. Wir reden über die Frage,wie die Erde dann noch funktionieren soll. Da werdenwir uns in der Tat ändern müssen.Aber wir werden vor allen Dingen auch beachtenmüssen, dass es dabei nicht allein um Naturschutz geht,sondern auch um nachhaltige Nutzung. Wir werdenWachstum und wirtschaftlichen Wohlstand mit Arten-vielfalt und Naturschutz zusammenbringen müssen.
Das ist übrigens das, was die Entwicklungsländer vonuns erwarten. Wir werden einen wirtschaftlichen Interes-senausgleich herbeiführen müssen. Wir haben in der in-ternationalen Politik gelernt, dass man Sicherheit nur ge-meinsam erreichen kann. Das gilt auch in der Frage desErhalts der natürlichen Lebensgrundlagen, um das Über-leben der Menschheit zu sichern. Das können wir nur ge-meinsam. Das bedeutet, wir müssen auch bereit sein,einen Interessenausgleich zu organisieren. Wer Tropen-schutz will, muss auch bereit sein, Geld dafür auf denTisch zu legen.Übrigens wird Deutschland 2008 210 Millionen Europro Jahr dafür ausgeben. Die NGOs in Brasilien habenuns gesagt, sie seien noch heute dankbar dafür, dass esdas PPG-7-Programm gegeben habe, damals von derBundesregierung unter Helmut Kohl auf den Weg ge-bracht. Allerdings seien sie der Meinung, dass man denNamen ändern müsse: Es müsse PPG-1-Programm hei-ßen, weil Deutschland das einzige Land sei, das seineZusagen erfüllt habe.
Auch das gehört dazu. Das heißt, wir wollen dort auchdarüber verhandeln, wie wir den Interessenausgleichbesser hinbekommen, welche marktwirtschaftlichen In-strumente wir nutzen können.Ein Ergebnis der G-8-Präsidentschaft Deutschlandsist, dass wir gemeinsam mit der Europäischen Kommis-sion für die biologische Vielfalt eine Bewertung erstellenwollen, wie sie Nicholas Stern für den Klimawandel vor-genommen hat. Wir wollen erstens endlich erreichen,dass man nicht mehr so tun kann, als koste die Vernich-tung von Arten nichts. Aber wir wollen zweitens auchmarktwirtschaftliche Instrumente entwickeln, sodassman am Schutz der Natur mehr Geld verdienen kann alsan ihrer Zerstörung. Das ist ein entscheidendes Argu-ment.Ich weiß, dass man etwas für den Naturschutz tunmuss, wenn man etwas für seine eigenen Kinder übrighat oder wenn man Respekt vor der Schöpfung Gotteshat. Aber ich weiß auch, dass diese Einstellung in vielenLändern dieser Erde nicht hilft, weil sie bitterarm sind.Wenn sie Geld nur dadurch verdienen können, dass sieden Regenwald abholzen, dann werden sie das tun. Alsobrauchen wir marktwirtschaftliche Instrumente, die aufden Schutz ausgerichtet sind. Die gibt es bisher nur imCO2-Sektor, jedenfalls wenn das erreicht wird, was ges-tern von den Koalitionsfraktionen im UmweltausschussbndnWsmdclSRRdzSnldgpwldsEmmeWtüMtk„ddsmaNbWfrfwwd
Dazu zählt das berühmte ABS, Access and Benefitharing. Die Entwicklungsländer bezeichnen es zuecht als Biopiraterie, wenn Industrienationen sich imegenwald genetischer Ressourcen unerlaubt bedienen,araus Medikamente machen, aber keinen Cent zurück-ahlen. Wir brauchen im Sinne des Access and Benefitharing eine Ausgleichszahlung. Da geht es übrigens garicht um viel Geld. Es geht darum, dass die Entwick-ungsländer endlich mit uns auf Augenhöhe sein wollen,ass wir ihnen nicht immer sagen, was sie mit dem Re-enwald zu machen haben, damit wir hinterher davonrofitieren können. Aus der pazifischen Eibe beispiels-eise machen wir ein Medikament zur Krebsbehand-ung. Außerdem gibt es eine Fledermaus in Südamerika,ie, wie in den Dracula-Filmen, nur Blut trinkt. Weilich, wenn das gerinnt, schlecht fliegen lässt, hat sie einnzym entwickelt, das wir zur Produktion von Medika-enten zur Schlaganfallbehandlung nutzen.Diese Länder wollen, dass sie etwas zurückbekom-en. Darüber reden wir. Europa ist übrigens bislang dieinzige Region der Welt, die bereit ist, das zu machen.ir müssen auch andere – vor allen Dingen Japan, Aus-ralien, Kanada und die Vereinigten Staaten – davonberzeugen, mitzumachen. Europa zeigt hier seinenehrwert. Es ist die einzige Region der Welt, die mehrut, als die Summe ihrer Einzelinteressen ausmacht. Manann wirklich sagen: Wir haben eine grüne EU – einegreen union“ – in dieser Frage. Wir hoffen, dass wir iniesem Bereich deutlich vorankommen.2010 muss es dieses Abkommen geben. Wir wollenafür die Voraussetzungen in Bonn schaffen. Wir müs-en dabei fair mit denen umgehen, die auf uns zukom-en. Richtig ist aber auch, dass wir nicht so tun dürfen,ls gebe es nur in anderen Teilen der Erde Aufgaben imatur- und Artenschutz.Keine Sorge: Die Koalition wird ein Umweltgesetz-uch vorlegen.
ir werden das so umsetzen, dass all diejenigen, die öf-entlich erklären, wir würden Standards absenken, un-echt behalten werden. Wir wollen dafür sorgen, dass esür die Menschen in Deutschland verständlich ist. Wirollen keine bürokratischen Regelungen einführen; wirollen nicht, dass beispielsweise die Gewässerrechte füras Oberharzer Wasserregal – das liegt in meiner
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Bundesminister Sigmar GabrielHeimatregion –, die aus dem Jahre 1200 stammen, imUmweltgesetzbuch neu formuliert werden. Das muss ichschon aus regionalpolitischen Gründen ablehnen.
– Ja, das wäre respektlos. Vielen Dank für den Hinweis.Wir haben durchaus eine Reihe von Erfolgen. FrauKünast, Sie haben das Thema Schutzgebiete aufgeführtund gesagt, wir seien meilenweit von 20 Prozent ent-fernt. Deutschland liegt bei 14 Prozent. Das ist nicht soschlecht und ist nicht „meilenweit“ entfernt. Wir müssensicherlich mehr tun. Aber wir haben schon die Natura-2000-Richtlinie in Deutschland umgesetzt, die FFH-Ge-biete sind gemeldet. Bis auf wenige Ausnahmen gilt dasauch für die Vogelschutzgebiete; auch das kriegen wirhin. Die Gewässerbelastungen sind zurückgegangen. Inder Elbe und im Rhein finden Sie praktisch all die Fischewieder, die es vor der Industrialisierung dort gab.
– Ja, das ist ein Erfolg.Einer der großen Erfolge dieser Koalition ist, dass wires geschafft haben, dass 125 000 Hektar wertvolle Na-turflächen in das Nationale Naturerbe aufgenommenwerden, 100 000 Hektar in der ersten Tranche in diesemJahr. Frau Kollegin Künast, 46 000 Hektar werden in derkommenden Woche in die Deutsche Bundesstiftung Um-welt eingebracht. Man kann also nicht behaupten, da tätesich nichts.
– Ich kann ja nichts dafür, dass wir besser sind, als Sievermutet haben.
Aber Sie müssen schon gestatten, dass ich das einmalanspreche.
– Frau Kollegin, Sie wissen – –
Herr Kollege Gabriel, bevor Sie jetzt der Versuchung
nachgeben, in einen Spontandialog einzutreten, möchte
ich Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie die Rede-
zeit Ihrer Fraktionskollegen verfrühstücken.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:
Herr Präsident Lammert, Sie scheinen mich gut zu
kennen. Mit diesem Hinweis erleichtern Sie mir das Le-
ben in meiner Fraktion. Vielen Dank dafür.
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Ich bin in diesem Punkt gefahrenbewusst.
Herzlichen Dank für das Engagement in der Sache.
ei allem Streit wollen wir gute Gastgeber sein. Ich lade
ie alle herzlich ein, an der Konferenz teilzunehmen. Es
ehmen Vertreter aus rund 200 Staaten, 5 000 Expertin-
en und Experten, Vertreter von NGOs und von indige-
en Völkern teil. Wir sollten diese so herzlich begrüßen,
ie sich das für ein gastfreundliches Land wie Deutsch-
and gehört.
Herzlichen Dank, dass Sie dabei mitmachen wollen!
Der großzügigen Einladung des Umweltministers,
öglichst alle sollten an dieser Konferenz teilnehmen,
ill ich nur den dezenten Hinweis hinzufügen, dass
leichzeitig Plenarsitzungen im Deutschen Bundestag
tattfinden und dass ich die Präsenzpflicht nicht aufhe-
en kann.
Für eine Erklärung zur Aussprache nach § 30 unserer
eschäftsordnung erhält der Kollege Heilmann das
ort.
Der Minister hat mir unterstellt, dass ich aus nichtigen
ründen an Veranstaltungen im Zusammenhang mit der
rasilienreise nicht teilgenommen habe. Das möchte ich
urückweisen. Es gab triftige Gründe dafür. Am Freitag
eispielsweise war ich wie Sie krank.
eswegen finde ich Ihre Anschuldigungen ein bisschen
eplatziert.
Das nehmen wir so zur Kenntnis.
Nächste Rednerin in der Debatte ist die Kollegin
r. Christel Happach-Kasan für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichöchte Umweltminister Gabriel herzlich danken für sei-en Beitrag; denn er hat meines Erachtens die Debatteieder in die Mitte des Raumes gestellt und wirklich aufen Punkt gebracht. Es geht darum, die Natur zu schüt-en und sie verantwortlich zu nutzen.
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Dr. Christel Happach-KasanDafür haben wir, so meine ich, auf unserer Brasilien-Reise gute Beispiele gefunden.
Kollegin Künast, ich bedanke mich bei Ihnen dafür,dass Sie Ihr 20-Prozent-Ziel im Hinblick auf den Öko-landbau nicht noch einmal erwähnt haben.
Auch Sie haben wohl deutlich gemerkt, dass Sie mit die-sem Ziel absolut danebenliegen. Denn angesichts der jet-zigen Ernährungssituation weltweit können, sollten unddürfen wir dieses Ziel nicht umsetzen; um es ganz deut-lich zu sagen.
– Ich habe die Studie gelesen, Herr Kollege Kelber, undich muss Ihnen sagen: Lesen Sie doch auch einmal zwi-schen den Zeilen! Dann werden Sie feststellen, dass wirohne Ökolandbau weiterkommen können. Wir solltenuns darauf konzentrieren, die Natur nachhaltig zu nut-zen, und nicht darauf, Ideologien hinterherzulaufen. Ichglaube, das ist ganz wichtig.
Kollege Heilmann, die Kritik des Ministers wardurchaus berechtigt.Ein weiterer Punkt. Liebe Kollegin Künast, es machtkeinen Sinn, mit Miesmacherei über den Naturschutz zusprechen; denn unsere Natur ist schön. Ich finde es toll,dass wir die Vertragsstaatenkonferenz im Mai abhaltenund damit alle sehen können: Die Natur wirbt für sichselbst. Ihre Schönheit fällt jedem ins Auge.Deswegen sind wir bei all denjenigen Menschen inDeutschland, denen der Schutz der Natur und der Schutzder Artenvielfalt ein Herzensanliegen sind. Sie habenden Naturschutz in Deutschland vorangebracht. Sie ha-ben die Grundlage dafür gelegt, dass wir in Deutschlandim Naturschutz erfolgreich sind. Wir sind – das wissenSie – ein dichtbesiedeltes Land. Dennoch hat der vorma-lige Präsident des Bundesamtes für Naturschutz festge-stellt, dass der Wandel des Artenspektrums inDeutschland nicht dramatisch ist.
– Frau Künast, hören Sie jetzt einfach einmal zu! Dasmacht das Ganze etwas einfacher. – Es ist uns gelungen,den Wandel des Artenspektrums aufzuhalten. Wir habenenorme Erfolge in Deutschland erzielt.Diese Erfolge sind für uns Verpflichtung, anderenMenschen dabei zu helfen, im Naturschutz voranzukom-men.
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er Ex-situ-Schutz ist Voraussetzung dafür, diese Artenu einem späteren Zeitpunkt wieder einbürgern zu kön-en. Aus dieser Erkenntnis heraus wurde in Den Haag002 beschlossen, 60 Prozent der gefährdeten Arten inotanischen Gärten oder in Saatgutgenbanken zu schüt-en, um so den Erhalt der genetischen Informationenicherzustellen.Der Minister hat sehr plastisch gezeigt, wie wichtigenetische Informationen für uns sind. 10 Prozent dieserrten sollen in Wiederausbringungsprogramme einbezo-en werden. Von diesen Zielen, die wir selbst beschlos-en haben, ist Deutschland weit entfernt. Es gibt keineationale Saatgutgenbank für Wildpflanzen und wenigeegionale Saatgutgenbanken wie die Loki-Schmidt-Gen-ank. Ich bin im Übrigen ein bisschen von der SPD-raktion enttäuscht, dass sie sich nicht etwas mehr fürine solche, den Namen der Gattin des bedeutendentaatsmannes Helmut Schmidt tragenden Genbank enga-iert.
as enttäuscht mich tief. Das ist eine menschliche Ent-äuschung, die Sie vielleicht nicht nachvollziehen kön-en.
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kom-en.
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16816 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Das Bundesamt für Naturschutz kümmert sich um
vieles, jedoch nicht um den Artenschutz bei besonders
gefährdeten Wildpflanzen. Es hat erklärt, dass es Saat-
gutgenbanken für Wildpflanzen ablehnt. Ich halte dies
für eine fachlich falsche Entscheidung. Ich bitte die Re-
gierung, noch einmal zu überlegen, ob sie das Ziel, das
sie 2002 selbst formuliert hat, nicht doch verfolgen und
sich mit der Sicherung von Wildpflanzen in Saatgutgen-
banken oder in botanischen Gärten stärker befassen
sollte, damit wir unserer Verpflichtung nachkommen
können.
Frau Kollegin, bitte.
Ich komme sofort zum Schluss. – So könnten wir im
Bereich des Naturschutzes weiterhin vorbildlich sein.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Christian Ruck ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Auf dem Weltnaturschutzgipfel in Bonn steht vielauf dem Spiel. Es geht um die Fragen, in welcher Weltwir zukünftig leben wollen und in welchem Zustand wirdiese Welt unseren Kindern und Enkeln übergeben wol-len. Ausgeplündert, leergefischt und abgeholzt oder einebunte und vielfältige Natur, die Leben spendet? Es gehtum die Frage, ob es uns gelingt, unserer Verantwortungfür die Schöpfung gerecht zu werden.Meine Vorredner, unter anderem Herr Gabriel, habenschon darauf hingewiesen, dass rund 80 Prozent dieserSchöpfung in Entwicklungs- und Schwellenländern wieIndien, Indonesien, Kongo, Bolivien oder Peru liegen.Viele dieser Länder sind oft instabil und haben eineschwache Verwaltung und Justiz. Dort herrscht noch im-mer der Wilde Westen – Korruption und anderes –, aberauch Armut. Das sind Länder, die nichts zu verschenkenhaben, zum Beispiel, wenn unter den biodiversitäts-reichsten Gebieten Erdöl liegt.Deshalb ist die Frage, wie die Industrieländer mit denEntwicklungsländern umgehen, die Schlüsselfrage,wenn es um die Bewahrung der Artenvielfalt geht. Mehrals das: Diese Entwicklungsländer haben mit ihremWald einen wichtigen Hebel für den Klimaschutz in derHand; auch das wurde schon gesagt. Mindestens 20 Pro-zent der Treibhausgasemissionen stecken im Tropen-wald. Daher muss er erhalten bleiben.Bltmulgmutwmm–AsgbozssVmPimkAmshTslbKsdPrhdGrkwdEbO
Wir müssen den Entwicklungsländern ein Angebotachen. Wir müssen ihnen helfen, ihre Ressourcenbesser als bisher – naturverträglich zu nutzen. Von demBS-Komplex war schon die Rede. Diese Länder müs-en in die Lage versetzt werden – mit unserer Technolo-ie und mit finanziellem Beistand –, wieder Reparatur-etrieb zu sein. Das gilt für Flächen, die halb verwüstetder verwüstet sind, die man der Nutzung aber wiederuführen könnte.Im Sinne einer langfristigen, marktkonformen Klima-chutzstrategie wäre es optimal, den Wald in den Emis-ionshandel einzubeziehen. Aber da stecken wir in zähenerhandlungen. Es sind noch viele Fragen offen. Wirüssen auch die Ergebnisse des einen oder anderenilotprojektes, das wir mitfinanzieren, abwarten.Wir haben nicht mehr genug Zeit, um ein perfektesnternationales Regime auf die Beine zu stellen. Wirüssen konkret handeln. Wir müssen auf dieser Welt-onferenz zeigen, dass wir konkret handeln wollen.uch hier gebe ich den Vorrednern recht, die sagen: Wirüssen schon jetzt zum Beispiel die Verbindung zwi-chen Klimaschutz und dem Schutz der Artenvielfalterstellen. Wir müssen schon jetzt einen entsprechendeneil der international und national geschaffenen Klima-chutzmittel für den Waldschutz in den Entwicklungs-ändern heranziehen, zum Beispiel für das Netz des Le-ens. Wir müssen – das haben wir auch zwischen denoalitionspartnern so verhandelt – den Anteil für Wald-chutz, Klimaschutz und den Schutz der Artenvielfalt iner Entwicklungszusammenarbeit erhöhen. Das PPG7-rojekt ist schon angesprochen worden. Es gibt in unse-er Entwicklungszusammenarbeit traditionell einigeervorragende Projekte, die Mut machen und zeigen,ass es geht, wenn man einen langen Atem hat.
erade in Brasilien beim Küstenregenwald und an ande-en Stellen zeigt sich, dass man Fortschritte machenann, wenn man an der Sache bleibt.Wir müssen auch vor Augen haben – darüber habenir neulich in der Debatte zur Weltnahrungsmittelkriseiskutiert –, dass es darum geht, dass wir zusammen mitntwicklungsländern und Schwellenländern auf eineessere Landnutzung, ein besseres Landmanagement vorrt hinwirken, das zum Beispiel zwischen Agrarflächen
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Dr. Christian Ruckund Flächen für die regenerative Erzeugung unterschei-det und den Schutz der natürlichen Vielfalt beachtet. Dasist ganz entscheidend. Wir können von diesen Ländernden politischen Willen, sich erstens unterstützen zu las-sen und zweitens die nötigen rechtlichen und politischenGrundlagen zu schaffen, einfordern.
Wir dürfen auch politisch ehrgeizige Länder wie Bra-silien nicht aus der Pflicht lassen, auch nicht unter demStichwort, dass wir Ökoimperialismus betreiben würden.Wir sollten da jegliche Arroganz vermeiden, aber wirsollten auch darauf hinweisen, dass Länder wie Brasilienund China inzwischen eine ganz andere Verantwortungin der Welt haben als früher.
Schließlich haben wir in der letzten Zeit Modelle ent-wickelt, wie wir die Wirtschaft in Public-Private-Part-nership-Projekten besser einbeziehen können. Ich appel-liere vor allem an die großen Wirtschaftsunternehmen,die mit internationaler Landpolitik zu tun haben, sichstärker als bisher an solchen Modellen zu beteiligen undhier mehr Verantwortung zu übernehmen.Wir müssen natürlich auch mit gutem Beispiel im ei-genen Land vorangehen; das ist richtig. Frau Künast,Ihre Rede war vor allen Dingen an Herrn Trittin gerich-tet, der sich in die hinteren Sitzreihen verzogen hat.
Das war bezeichnend.Ich danke ausdrücklich dem Haushaltsausschuss, derin der letzten Sitzungswoche durch seinen Beschluss – erist Ihnen offensichtlich entgangen – die Geldmittel fürNatura 2000 freigegeben hat. Ich möchte mich auch aus-drücklich bei der Bundeskanzlerin für ihre klare Posi-tionierung im Vorfeld dieses Weltnaturschutzgipfels undauch auf unserem Kongress bedanken.
Ich wünsche ihr – das steht ja in der guten Tradition derUnion bei diesem Thema –, dem Verhandlungsteam undauch Ihnen, Herr Gabriel, viel Beharrlichkeit, Verhand-lungsgeschick und Erfolg. Wir alle brauchen diesen Er-folg.
Nun erhält das Wort die Kollegin Undine Kurth fürdie Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.GLRdtnüsvudWMumiDlBVrdÜhBsstttvwmcIrSnHrEhdzldrpS
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!iebe Kollegen! Herr Minister! Liebe Gäste auf denängen! Wenn man uns hier so hört, dann stellt man fest,ass wir eigentlich alle einer Meinung sind. Biodiversi-ätsschutz ist notwendig, wichtig und dringend. Herr Mi-ister, Sie haben gestern eine Ihrer Pressemitteilungenberschrieben mit dem Satz: „Wir können uns eine Ver-chwendung der Natur nicht mehr leisten“. Das stimmtoll und ganz. Auch die Formulierung, wir löschen mitnserem Verhalten die Festplatte der Natur, ist ein wun-erbares Bild, das das Problem auf den Punkt bringt.enn das so ist, dann müssen die Fragen erlaubt sein:achen wir genug, machen wir überhaupt das Richtige,nd, wenn ja, wann machen wir eigentlich etwas? Esuss doch möglich sein, darüber zu diskutieren.Es reicht nicht aus, die Situation zu beschreiben. Esst sicherlich richtig, dass die Natur wunderschön ist.as hat aber weder den Sibirischen Tiger noch die Feld-erche davor bewahrt, vom Aussterben bedroht zu sein.ei diesem Thema geht es um einen unwiderruflichenerlust. Was weg ist, ist weg. Deshalb ist es richtig, da-über nachzudenken, inwiefern wir unser Verhalten än-ern müssen.
ber den Schutz der Biodiversität muss endlich auföchster Ebene verhandelt werden. Die Erhaltung deriodiversität muss zur Chefsache erklärt werden. An-onsten wird dieses Thema in den verschiedenen Res-orts und in den Ländern unter die Räder geraten.Herr Gabriel, Sie sagten, die Nationale Biodiversi-ätsstrategie sei die deutsche Antwort auf die Konven-ion zum Schutz der biologischen Vielfalt. In dieser Stra-egie steht in der Tat sehr viel Richtiges, und in ihr sindiele gute Ziele beschrieben. Wenn es aber darum geht,ie Sie diese Ziele erreichen wollen, dann sind die For-ulierungen in der Biodiversitätsstrategie ausgespro-hen zurückhaltend.Sie müssen sich mit der Frage beschäftigen, welchenstrumente Sie anwenden wollen, um diese Ziele zu er-eichen, und welche Sanktionsmaßnahmen es geben soll.chließlich setzen wir auch die Straßenverkehrs-Ord-ung nicht nur mit Appellen durch. Wenn uns etwas amerzen liegt, dann müssen wir uns auch Gedanken da-über machen, wie wir es erreichen wollen.
s reicht nicht aus, Baustellenschilder aufzubauen, wenninter diesen Schildern nichts geschieht. Deshalb for-ern wir ein verbindliches Arbeitsprogramm zur Umset-ung dieser Strategie. Wenn wir unser 2010-Ziel wirk-ich erreichen wollen, dann müssen alle Visionen, die iner Strategie beschrieben sind, in den nächsten drei Jah-en umgesetzt werden; das entspricht etwa 60 Visionenro Jahr. Hier ist also noch einiges zu tun. Daher müssenie das Tempo erhöhen.
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Undine Kurth
Unser Entschließungsantrag stellt eine Unterstützungder Biodiversitätsstrategie dar. Wir fordern zusätzlicheSektorstrategien; denn es muss klar sein, wie die unter-schiedlichen Ressorts an der Umsetzung der Biodiversi-tätsstrategie mitwirken. Außerdem setzen wir uns dafürein, dass die Förderprogramme der Bundesregierung da-raufhin überprüft werden, ob sie dazu beitragen, dass das2010-Ziel erreicht wird. Es kann doch nicht sein, dassdurch eine Förderung im Bau- und Verkehrsressort dasgenaue Gegenteil dessen erreicht wird, was Sie im Rah-men der Biodiversitätsstrategie anstreben.Ich möchte zwei Beispiele nennen, die deutlich ma-chen, dass Ihr Reden und Handeln nicht zusammenpas-sen.Erstens. Es ist bekannt, welch hohe Anforderungenwir an andere Länder stellen. Der Berggorilla, derOrang-Utan, das Zebra, der Waldelefant, sie alle sollengeschützt werden; das ist auch richtig. In diesem Zusam-menhang möchte ich das Stichwort „Wildwegeplan“ er-wähnen. Wir wissen, dass die Hauptursachen für denRückgang der Artenvielfalt in unserem Land die Flä-chennutzung, der Flächenverbrauch und die Flächenzer-schneidung durch Verkehrsprojekte sind. Das soll nichtheißen, dass wir in Zukunft keine Straßen mehr bauenoder dass Straßen zurückgebaut werden sollten. Wirmüssen uns aber mit der Frage auseinandersetzen: Wiekönnen wir der Flächenzerschneidung begegnen unddafür sorgen, dass Arten wieder wandern können undPopulationen die Möglichkeit haben, sich mit anderenPopulationen auszutauschen? Der NABU hat hierzu einhervorragendes Konzept vorgelegt, das der BUND umeinen Wildkatzenplan ergänzt hat. Es wird deutlich, dassman die Zerschneidung der Landschaft im Rahmen desBundesverkehrswegeplanes verringern kann, wenn mandie richtigen Maßnahmen einleitet. Wir haben dieseKonzepte aufgegriffen und einen entsprechenden Antragformuliert. Das Ergebnis lautet: abgelehnt. Soll das hei-ßen, dass die anderen Länder die Biodiversität schützensollen und dass wir die Gelegenheiten, die wir haben,nicht ergreifen?Zweitens: zum Tropenwaldschutz. In Brasilienwurde uns deutlich vor Augen geführt, dass Klima- undBiodiversitätsschutz zusammengehören. Deshalb habenwir einen Antrag zum Tropenwaldschutz vorgelegt, indem wir fordern, dass ein Sofortfinanzierungsprogrammaufgelegt wird. Auch wenn wir für die Ergebnisse imRahmen unserer G-8-Präsidentschaft gelobt wordensind, ist festzustellen: 210 Millionen Euro reichen nichtaus; das wissen wir. Es muss mehr Geld her. Deutsch-land sollte dem Beispiel Norwegens folgen. Dort werdenpro Jahr 500 Millionen Euro für den Tropenwaldschutzzur Verfügung gestellt. Das sollten auch wir ab demnächsten Jahr tun. Denn Sie haben zu Recht gesagt, dasswir die anderen Länder mit diesem Problem nicht allein-lassen dürfen.In Anbetracht dieser zwei Beispiele stellt sich dieFrage: Reden Sie nur über dieses Thema und stellen Sielediglich fest, dass es hier ein Problem gibt, oder handelnSie auch? Denn Handeln ist dringend erforderlich.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eute Morgen ist bereits deutlich gemacht worden, dasseutschland eine hohe Verantwortung für einen erfolg-eichen Abschluss der 9. Vertragsstaatenkonferenz deronvention über die biologische Vielfalt trägt. Der Er-olg dieser internationalen Konferenz wird von zweiaktoren abhängen: zum einen davon, inwieweit wiröglichkeiten eines angemessenen Umgangs mit denatürlichen Ressourcen weltweit finden, zum anderen,ie wir insbesondere die Entwicklungsländer in dieage versetzen, zum Erhalt der Biodiversität beizutra-en. Deshalb ist es außerordentlich wichtig, in denächsten zwei Jahren, in denen Deutschland den Vorsitzer Vertragsstaatenkonferenz innehat, zu einem interna-ionalen Regime zu finden, das rechtsverbindliche Rege-ungen mit klar definierten Anreizen und Sanktionenestlegt.
Unzweifelhaft ist, dass die Weichenstellungen, die wirtzt vornehmen, maßgeblichen Einfluss auf die Lebens-rundlagen aller Menschen auf der Welt haben werden.ir wissen, dass sich fast 90 Prozent der genetischennd biologischen Vielfalt in den Entwicklungsländerniederfindet, dass also der Erhalt der Biodiversitätdarüber ist heute Morgen schon gesprochen worden –icht nur für uns, sondern auch für die dort lebendenenschen von existenzieller Wichtigkeit ist. Eine großeielfalt von verschiedenen Anbausorten und Nutztierar-en trägt zur Ernährungssicherheit in diesen Ländernei. Ich fand das vorhin von Umweltminister Sigmarabriel genannte Beispiel einer Reissorte äußerst beein-ruckend; ich wusste davon noch nicht.Die nachhaltige Nutzung der Biodiversität nutzt letz-en Endes der Ernährungssicherheit und der Armuts-ekämpfung. Im Umkehrschluss heißt dies, dass einerlust von Biodiversität zur Verschärfung der Armuts-ituation in den Entwicklungsländern beiträgt. Auchazu hat Sigmar Gabriel eine Menge gesagt; ich fandeine Rede wirklich beeindruckend.Derzeit verschwinden jährlich Waldflächen in einerröße von rund 15 Millionen Hektar – das ist ein Drittel
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Gabriele Gronebergder Fläche der Bundesrepublik – von der Erde. Das istfür uns alle ein Problem; denn die unangepassten Land-nutzungsformen tragen stärker zum Klimawandel bei– man beachte! – als die weltweiten Verkehrsemissio-nen. Darauf möchte ich, weil vorhin über den Straßen-bau geredet worden ist, deutlich hinweisen.Was tun wir jetzt, und was haben wir in der letztenZeit gemacht? Ich möchte mich an dieser Stelle mit ei-nem konkreten Beispiel, das ich für vorbildlich halte, be-schäftigen. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeitberücksichtigt in ihren Programmen schon seit längeremdie Gesamtzusammenhänge der Biodiversität. Projektezum Schutz und zur nachhaltigen Bewirtschaftung vorallen Dingen der Wälder wurden schon lange gefördert.Deutschland unterstützt unter anderem die COMIFAC,die Waldkommission Zentralafrikas. In dieser Kom-mission haben sich zehn Regierungen der Anrainerstaa-ten des Kongobeckens und 20 internationale Entwick-lungs- und Umweltorganisationen zusammengefunden,um sich darum zu kümmern, grenzübergreifend – ich be-tone: grenzüberschreitend – eine nachhaltige Waldbe-wirtschaftung zu erreichen. Angesichts der ganzen Kon-flikte und Krisen in Afrika kann man sagen, dass es sichbei dieser Zusammenarbeit um ein besonderes Beispielhandelt.10 Prozent der Wälder in dieser Region sind von derKommission unter Schutz gestellt worden; das entsprichteiner Fläche von 18 Millionen Hektar. Die Kommissionbeobachtet die Einhaltung der Vorschriften und organi-siert die Umsetzung vor Ort. Drei Viertel der Wälderdürfen unter Auflagen bewirtschaftet und genutzt wer-den. Dabei ist wichtig, dass eine Zertifizierung – eineLegalitätsprüfung –, die Voraussetzung für den Exportvon Holzprodukten ist, erreicht werden soll. Die Kom-mission überprüft die Erfüllung dieser Vorgabe.Wichtig ist auch, dass die Bevölkerung hierbei Ge-winner ist, weil sie an der Nutzung der Wälder beteiligtwird: Die erwirtschafteten Gelder werden für die lokaleEntwicklung – für Schulen, Gesundheitsvorsorge, Was-serversorgung und dergleichen – eingesetzt. Ich finde,dass es solche Beispiele öfter geben sollte.
Wir wissen, dass wir bei dieser Konferenz eine hoheVerantwortung tragen. Wir wollen mit den Entwicklungs-ländern auf Augenhöhe über die biologische Vielfalt re-den. Ich wünsche – ich denke, Sie sicherlich auch – dieserKonferenz allen erdenklichen Erfolg. Wir brauchen ihn.Danke schön.
Das Wort erhält nun der Kollege Caesar für die CDU/
CSU-Fraktion.
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ir müssen ihre Produkte abnehmen; da gebe ich Um-eltminister Gabriel ausdrücklich recht. Deutschlandat eine besondere Verantwortung für die Arbeitsplätzeor Ort. Wir dürfen die Kapazitäten der dortigen Holzin-ustrie nicht schädigen oder sie gar kaputtmachen; dasürde Armut vor Ort bedeuten.Wir müssen allerdings auf nachhaltige Bewirtschaf-ung und Nutzung drängen. Das ist möglich, auchurch privatwirtschaftliche Modelle.
in gutes Beispiel ist das Naturwaldbewirtschaftungs-rogramm Brasiliens. Bei Precious Woods Pará wird auf6 000 Hektar – zukünftig auf bis zu 150 000 Hektar –nter Einbeziehung anerkannter Zertifizierungssystemeachhaltige Forstwirtschaft betrieben. Das zeigt, dassine umweltverträgliche Nutzung möglich ist, dass dieenschen vor Ort den Wald bewirtschaften und damitinnahmen haben können und gleichzeitig der Wald er-
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Cajus Caesarhalten und auf Dauer die Nachhaltigkeit nach Sorte undMenge gewährleistet werden kann.
Der Urwald ist zugegebenermaßen – ich glaube, dasist ein Bewusstseinsproblem – weit weg. Wie kann mansich sonst erklären, dass wir in Deutschland darüber dis-kutieren, welche finanziellen Ressourcen wir für das Er-neuerbare-Energien-Gesetz, für das Erneuerbare-Ener-gien-Wärmegesetz und viele andere Dinge einsetzenwollen, während zu vermerken ist, dass 20 Prozent derweltweiten CO2-Emissionen durch Urwaldvernichtungentstehen? Hier gilt es zu handeln. Urwaldschutz istnämlich eine der effizientesten und kostengünstigstenMethoden, das Klima zu schützen.Es ist wichtig, dass wir auf EU-Ebene sowie auf inter-nationaler Ebene unsere Partner einbeziehen. Wir müs-sen im CBD-Prozess für die Landnutzung, für dieSchutzgebiete, für die nachhaltige Bewirtschaftung spä-testens bis 2010, für den Meeresschutz spätestens bis2012 zu klaren rechtlichen Rahmenbedingungen kom-men.
Deutschland hat gerade im Holzsektor eine besondereVerantwortung; denn wir sind weltweit der drittgrößteHolzimporteur. Wir importieren 100 Millionen Kubik-meter Holz pro Jahr. Deshalb müssen wir uns bei unse-ren Partnern in Europa dafür einsetzen, das FLEGT-Sys-tem endlich mit Leben zu erfüllen.Wir, die Union, wollen eine Dokumentation der er-haltenswerten Gebiete. Ich glaube, es ist richtig, dass dieLänder, in denen es Tropen- bzw. Urwälder gibt, uns dieGebiete benennen, die sie als erhaltenswert ansehen. Wirmüssen uns hier finanziell engagieren. Die Finanzierungdarf nicht allein durch den Bundeshaushalt erfolgen; wirmüssen die Wirtschaft mit einbeziehen. Es gibt entspre-chende Modelle; ich habe sie eben genannt. Gleichzeitigmüssen wir bei den Vereinbarungen darauf achten, dasseine Kontrolle möglich ist. Durch technische Möglich-keiten – etwa durch GPS, die Satellitenüberwachung –ist die Grundlage dafür gelegt. Schon bald kann manauch aufgrund gentechnischer Untersuchung sagen, wo-her der Baum kommt, den man im Hamburger Hafenvorfindet und der bei uns verbaut werden soll. Das müs-sen wir einbeziehen, Herr Umweltminister. Ich glaube,dann kommen wir voran.Es ist wichtig, dass wir dagegen angehen, dass unsum die 6 Millionen Hektar Wald jährlich verloren gehen.Es muss Wiederaufforstungsprogramme geben. Bei de-vastierten Gebieten sollte man auch an die Versorgungder Holzindustrie denken; ansonsten geht an andererStelle Urwald verloren. Hier haben wir die Möglichkeit,einen Ausgleich zu schaffen.Beim Zugang zu genetischen Ressourcen müssen wireinen gerechten Vorteilsausgleich sichern. Wir müssenuns auch um den Meeresschutz und die Küstenökosys-teme kümmern. Hier gibt es einen erheblichen Nachhol-bedarf. Ebenso wichtig ist es, Umweltbildungsmaßnah-matjdPdHGvciKdgimMicFdcTdoasdTfLrgöeEGDgzrdut
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Ein anderes Beispiel, das deutlich macht, wie Umweltund Entwicklung zusammengehören und welcheWechselwirkungen sich daraus ergeben, ist Indonesien.Dort gibt es die größten noch verbleibenden Regenwald-flächen, deren Entwaldung – vor allem für die Palmöl-produktion – in einem dramatischen Tempo vorangeht.Heute wurden schon mehrfach die Biokraftstoffe ange-sprochen. Zur aktuellen Problematik ist anzuführen, dassin Indonesien 80 Prozent der Palmölproduktion in derKosmetikindustrie verbraucht werden. Mancher Damehier ist vielleicht gar nicht bewusst, dass in ihrer Ge-sichtscreme ein halber Tropenwaldbaum verarbeitetwurde. Aber das gilt – um dem Gender-Aspekt gerechtzu werden – auch für Männer.
Die Biokraftstoffe verschärfen die Problematik zusätz-lich.Neben der Vernichtung der Regenwälder geht es auchum das Problem der Nahrungsmittelkonkurrenz; dennzum Teil werden keine Nahrungsmittelpflanzen mehrangebaut, um die Flächen für den Anbau von Planzen zunutzen, die für die Herstellung von Biokraftstoffen ver-wendet werden können. Das verschärft die derzeitigeNahrungsmittelkrise weiter. Deswegen wollen wir nebenden ökologischen Kriterien nur Importe aus nachhalti-gem Anbau zulassen, der nicht zulasten der Nahrungs-mittelproduktion geht und bei dem die ILO-Kernarbeits-norm eingehalten wird. Auch darauf müssen wir achten.Ich stimme Sigmar Gabriel ausdrücklich darin zu,dass das für Entwicklungsländer eine echte Chance seinkann. In Brasilien gibt es in der Tat positive Nutzungs-möglichkeiten. Aber wir müssen strikt auf die Zertifizie-rung und entsprechende Nachweise achten und eine Be-weislastumkehr anstreben, sodass uns gegenüber derNachweis erbracht wird, dass ökologische und sozialeKriterien eingehalten werden. Ich glaube, damit könnenwir Umwelt und Entwicklung zusammenbringen.In dem Sinne wünsche ich der Konferenz in Bonn vielErfolg.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Josef Göppel für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der bis-
herigen Debatte wurden die internationalen Aspekte in
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Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit aufDrucksache 16/9106. Der Ausschuss empfiehlt unterNr. 1 seiner Beschlussempfehlung in Kenntnis der Unter-richtung der Bundesregierung auf Drucksache 16/7082über die „Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt“die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSUund SPD auf Drucksache 16/8756 mit dem Titel„Weltnaturschutzgipfel 2008 in Bonn – Biologische Viel-falt schützen, nachhaltig und gerecht nutzen“. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da-gegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlungist mit Mehrheit angenommen.Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung desAntrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8878 mitdLüshgaBlnwSsBedlstDshMnmsenmßDßDeudistBempFtSAAD1)
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschlie-ungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aufrucksache 16/9116. Wer stimmt für diesen Entschlie-ungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –er Entschließungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Zum Tagesordnungspunkt 3 b gibt es eine Beschluss-mpfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutznd Reaktorsicherheit zum Antrag der FDP-Fraktion mitem Titel „Allgemeine Grundsätze für den Naturschutzn Deutschland“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-chlussempfehlung auf Drucksache 16/7278, diesen An-rag der FDP-Fraktion abzulehnen. Wer stimmt diesereschlussempfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wernthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-en.Schließlich geht es unter dem Tagesordnungs-unkt 3 c um die Abstimmung über einen Antrag derraktion Die Linke auf Drucksache 16/9066 mit dem Ti-el „UN-Biodiversitätsgipfel durch Vorreiterrolle beimchutz der biologischen Vielfalt und fairen Nord-Süd-usgleich zum Erfolg führen“. Wer stimmt für diesenntrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –er Antrag ist mehrheitlich abgelehnt.Anlage 2
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Präsident Dr. Norbert LammertInterfraktionell wird unter Tagesordnungspunkt 3 ddie Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/9065an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüssevorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das istoffenkundig der Fall. Dann ist die Überweisung so be-schlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten KlausErnst, Hüseyin-Kenan Aydin, Dr. Lothar Bisky,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEFörderung der Altersteilzeit durch die Bun-desagentur für Arbeit fortführen– Drucksache 16/9067 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitHaushaltsausschussb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
– zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Schneider
, Klaus Ernst, Hüseyin-Kenan
Aydin, weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKEAltersteilzeit fortentwickeln– zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Schneider
, Klaus Ernst, Hüseyin-Kenan
Aydin, weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKERente mit 67 – Berichtspflicht zum Arbeits-markt nicht verwässern – Bestandsprü-fungsklausel konkretisieren– Drucksachen 16/4552, 16/4553, 16/6749 –Berichterstattung:Abgeordneter Peter Weiß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Da-mit sind offenkundig alle einverstanden.Ich eröffne die Aussprache und erteile dem KollegenVolker Schneider für die Fraktion Die Linke das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Vor einiger Zeit traf ich nach vielen Jahren einen Klas-senkameraden aus meiner Volksschulzeit, den ich schoneine Ewigkeit nicht mehr gesehen hatte. Zuerst habe ichihn nicht erkannt; denn er sah deutlich älter aus als ich,obwohl wir nur einige Monate auseinander sind. Er er-zählte mir, dass er als Werkzeugmacher bei einem Zulie-fererbetrieb des saarländischen Bergbaus arbeite. Das seiein Knochenjob. Es seien nun einmal große Maschinen,und er habe insbesondere bei Wartungsarbeiten schwereTmdswtjkmjmll–eAnkMdkbpsEsddtndkAäWmWdaNcDr
Herr Grotthaus, ich habe dagegen gestimmt.Ich sage Ihnen eines: Dieser Mann ist alles andere alsin Einzelfall.
uf dem Bau schaffen es die Beschäftigten im Schnitticht bis zum 60. Lebensjahr. Und es sind auch nicht dieörperlich schwer belastenden Arbeiten allein, die es denenschen unmöglich machen, bis zum 65., geschweigeenn bis zum 67. Lebensjahr einer Vollzeiterwerbstätig-eit nachzugehen. In meinem Beruf – ich bin Sozialar-eiter – leiden viele ältere Kolleginnen und Kollegen insychisch hoch belastenden Arbeitsfeldern – etwa in dertationären Psychiatrie – unter dem Burn-out-Syndrom.s nützt niemandem – auch nicht deren Klientel –, wennich diese Kolleginnen und Kollegen irgendwie noch inie Rente schleppen.
Ja, es gibt auch Menschen, die völlig problemlos überas 65. und selbst über das 67. Lebensjahr hinaus arbei-en können; ein Blick in die Reihen dieses Hauses ge-ügt.
Deshalb sagen wir Linke, dass angesichts der Vielfalter Arbeitswelt, dass angesichts völlig unterschiedlicherörperlicher und/oder seelischer Belastungen eine starreltersgrenze zunehmend weniger den Lebensleistungenlterer Arbeitnehmer gerecht wird.
ir wollen, dass Arbeitnehmer eine Chance haben,öglichst gesund aus dem Berufsleben auszuscheiden.
as wir dringend brauchen, sind flexible Übergänge inen Ruhestand. Darin sind wir uns hier im Hause wohllle – mit Ausnahme der CDU/CSU-Fraktion – einig.ur über das Wie wird trefflich gestritten.Aber während noch über die Konstruktion neuer Brü-ken gestritten wird, werden die alten schon abgerissen.ie Benutzung des Notausgangs Erwerbsminderungs-ente hat bereits Rot-Grün drastisch eingeschränkt. Der
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Volker Schneider
Zugang in diese Rentenform ist um mehr als ein Drittelzurückgegangen. Jetzt soll auch noch die Altersteilzeitauslaufen. „Arbeiten bis zum Umfallen!“ ist jetzt wohldie Devise.Vergessen wir nicht, dass es der SozialdemokratMüntefering war, der gegen alle Widerstände nicht nurdie Rente mit 67 durchgepowert hat,
sondern auch gleichzeitig das Ende der Altersteilzeitför-derung verbrochen hat. Also, auf der einen Seite heißt esnun länger arbeiten, auf der anderen Seite werden dieAusstiegsmöglichkeiten zugestellt. Wer vorzeitig ausdem Berufsleben ausscheiden will, muss deftige Ab-schläge in Kauf nehmen. Was anderes als eine brutaleRentenkürzung für körperlich und/oder seelisch Ausge-brannte ist denn ein solches Vorgehen?
Ist das noch sozial, liebe Kolleginnen und Kollegen derSPD?Dass Übergänge vom Erwerbsleben in die Rente so-zial zu gestalten sind, darauf haben wir Linke mit einerReihe von Anträgen hingewiesen. Auch wenn Sie diesereflexartig abgelehnt haben, stellen wir als Linke heutefest, dass es sich lohnt, den Finger immer wieder in dieWunde zu legen. Irgendwann merkt selbst die SPD, wasfür einen Schwachsinn sie verzapft.
Das Präsidium der SPD hat am 5. Mai ein Papier fürdie Weiterentwicklung der Altersteilzeit und Teilrenteberaten. Das ist zwar eine Schmalspurvariante der bishe-rigen Regelung, aber immerhin besser als gar nichts.Wenn sich die SPD in dieser Frage jetzt bewegt, danngeschieht dies nur, weil wir sie in Bewegung gebrachthaben.
Die Linke sorgt dafür, dass eine Kernforderung der Ge-werkschaften im parlamentarischen Raum eine Stimmeerhalten hat. Dem können Sie sich nicht entziehen, unddeshalb macht nur eine starke Linke Deutschland sozia-ler.
Große Koalition heißt in der Frage der Altersteilzeiteinmal mehr großer Ärger. Selbst die Schmalspur-variante der SPD lehnt die CDU/CSU entschieden ab.Die auslaufende Regelung habe nicht den erhofften Er-folg gehabt, sondern faktisch zur Frühverrentung beige-tragen, so der Kollege Brauksiepe am Dienstag. Das isteine erstaunliche Bewertung. Welchen Sinn hat denn dieAltersteilzeit? Doch wohl den, dass Menschen früher inRente gehen können, und zwar so, dass dies nicht mit ei-nem finanziellen Absturz verbunden ist.Was wäre denn Ihre Alternative, Herr Brauksiepe:dass man als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer auchnhpMzttMssrÄddrkldWAscAada5tu2nediNdbDdaAVgtsrn
ber die Altersteilzeit ist nicht das Instrument, um Ihrersagen zu kaschieren, junge Menschen in genügendroßer Zahl und frühzeitig in Ausbildung zu bringen.
Nicht mehr spaßig sind Ihre Vorschläge zum Teilren-enbezug; denn dieser soll unmöglich sein, wenn impäteren Verlauf eine Abhängigkeit von der Grundsiche-ung im Alter verursacht wird. Das ist nun wirklich fasticht mehr zu glauben. Sie tun alles dafür, dass es den
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Menschen Jahr für Jahr schwerer fallen wird, noch einevernünftige Rente zu erhalten.
Sie senken das Rentenniveau und muten den Leuten zu-nehmend Beschäftigung in prekären Arbeitsverhältnis-sen zu. Wenn sie in ihrem Leben jede noch so üble undnoch so schlecht bezahlte Arbeit angenommen habenbzw. annehmen mussten, dann verweigern Sie ihnenauch noch den flexiblen Übergang in die Rente. Dasheißt doch wohl: Wer hat, dem wird gegeben; wer nichtshat, muss sehen, wo er bleibt.
Es gibt also noch vieles zu diskutieren; aber die Al-tersteilzeit verlangt heute eine Lösung. Deshalb fordertdie Linke die Bundesregierung auf, jetzt die Förderungder Bundesagentur für Arbeit von Leistungen nach demAltersteilzeitgesetz fortzuführen.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Dr. Ralf
Brauksiepe das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Große Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag ver-einbart, Anreize zur Frühverrentung abzubauen, um Im-pulse für mehr Beschäftigung von älteren Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmern zu geben. Ich sage auchheute: Das ist genau der richtige Weg, der schon erhebli-che Erfolge auf dem Arbeitsmarkt erzielt hat.
Wir haben eine sehr positive Entwicklung bei derBeschäftigung Älterer zu verzeichnen. Die Beschäfti-gungsquote für über 55-Jährige lag im zweiten Quartaldes Jahres 2007 in Deutschland bei 52 Prozent. Sie hatsich gegenüber dem Jahr 2000 um mehr als 10 Prozent-punkte erhöht. Wir haben schon jetzt das Lissabon-Zielder Europäischen Union, eine Beschäftigungsquote vonüber 50 Prozent für Ältere im Jahr 2010 zu erzielen,übertroffen.Zwei Drittel des Beschäftigungsaufschwungs inDeutschland gehen auf Ältere zurück. Von dem Anstiegder sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsver-hältnisse hat die Altersgruppe der über 55-Jährigen miteinem Plus von fast 7 Prozent profitiert, also weit über-durchschnittlich. Das zeigt: Die Älteren werden in die-sem Land nicht nur gebraucht, sondern auch eingestellt;sie kommen verstärkt in Beschäftigung. Das hat etwasdamit zu tun, dass wir Frühverrentungsanreize abgebauthaben. Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir einenMentalitätswandel eingeleitet haben, dass wir Signalegegeben haben: Die Älteren gehören nicht zum alten Ei-sBsagsZgdDatDe2iMtgwnaaübdmRFzIsAdAastwfvvdrhr
Die Geschichte der Frühverrentung geht ja bis aufas Vorruhestandsgesetz aus dem Jahre 1984 zurück.as war eine Zeit, als Sie von der Linken noch für ganzndere Zustände hier in Deutschland Verantwortung hat-en.
a hatten wir mit unserer Politik diese Förderung schoningeführt. Sie ist über viele Jahrzehnte – jetzt schon fast5 Jahre – immer befristet weiter verlängert worden. Siest zum letzten Mal im Jahr 2000 von Rot-Grün mit deraßgabe verlängert worden, dass die Dauer der Befris-ung von der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt abhän-ig gemacht wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen,elche Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt muss dennoch eintreten, dass man ein solches Instrument endlichuslaufen lassen kann? Reden wir doch unsere Erfolgeuf dem Arbeitsmarkt nicht schlecht. Unsere Bilanz mitber 1 Million zusätzlicher Arbeitsplätze zeigt: Wir ha-en Erfolge auf dem Arbeitsmarkt. Nach der Maßgabees rot-grünen Gesetzentwurfs muss die Altersteilzeitit BA-Förderung damit auslaufen.
eden wir unsere eigenen Erfolge also nicht schlecht.Jetzt sage ich Ihnen, Herr Schneider, was wir unterrühverrentung verstehen, damit Sie die Unterschiedewischen Frühverrentung und Altersteilzeit begreifen.ch habe schon deutlich gesagt: Man muss zu unter-chiedlichen Zeiten unterschiedliche Prioritäten setzen.ls 1984 das Vorruhestandsgesetz eingeführt wurde, darängten gerade die geburtenstarken Jahrgänge auf denusbildungsmarkt. Ich bin Jahrgang 1967. Ich stammeus einem dieser Jahrgänge, um die es damals ging. Mantand vor der Frage, was man in dieser akuten Situationun kann. Das war 1984 die Situation. Seitdem hat sich,ie jeder weiß, in Bezug auf die Geburtenraten und er-reulicherweise auch in Bezug auf die Lebenserwartungiel geändert.Die damals beschlossene Förderung ist überwiegendon den Großbetrieben genutzt worden, sie ist aber vonen kleinen mitbezahlt worden. Damals war das eineichtige Idee. Auch die Idee, die Norbert Blüm damalsatte, nämlich gleitende Übergänge zu ermöglichen, warichtig und sympathisch. Es ging nämlich eigentlich
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Dr. Ralf Brauksiepegenau darum, dass man den Älteren ermöglicht, schritt-weise aus dem Arbeitsleben auszusteigen, also im Laufeder Zeit weniger zu arbeiten, aber zugleich ihre Erfah-rungen und ihr Wissen im Betrieb an die Jüngeren wei-terzugeben. Das verstand man unter gleitenden Übergän-gen. Die Menschen haben sich aber zu über 90 Prozentfür das Blockmodell entschieden: drei Jahre voll arbei-ten und drei Jahre gar nicht.
Das ist aber nichts anderes als Frühverrentung, und hierliegt ein Unterschied zu unseren Vorstellungen. Wirwollten gleitende Übergänge ermöglichen, aber in derRegel wurde Frühverrentung praktiziert. Das kann sichdiese Gesellschaft nun nicht mehr leisten. Hier liegt derUnterschied in unseren Betrachtungsweisen.
Ich sage es noch einmal: 1984 ging es darum, die ge-burtenstarke Jahrgänge in die Arbeitswelt einzubringen.Wenn diese Förderung im Jahre 2015 ausläuft, hat es sie32 Jahre lang gegeben. 32 Jahre sind eine lange Zeit.32 Jahre lang gab es eine gute Begründung dafür. Heutefördern wir den Berufseinstieg von jungen Menschen,deren Eltern sich noch gar nicht kannten, als diese Rege-lungen eingeführt wurden, um die damaligen geburten-starken Jahrgänge in Beschäftigung zu bringen. 32 Jahresind gut begründet, und das Ende dieser Förderung imJahr 2015 ist ebenfalls gut begründet, liebe Kolleginnenund Kollegen.Auch die von Rot-Grün eingesetzte Rürup-Kommis-sion hat im Jahre 2003 völlig zu Recht darauf hingewie-sen, dass das Blockmodell, wie es in der Regel prakti-ziert wird, der notwendigen Bewusstseinsbildung beiden Menschen, dass sie länger arbeiten müssen, im Wegsteht. Deswegen ist es auch richtig, wenn wir aus sol-chen Ratschlägen die richtigen Konsequenzen ziehen.Die Große Koalition hat die Weichen für die Förde-rung der Teilhabe Älterer richtig gestellt, insbesonderemit der Initiative „50 plus“. Es kann doch nicht sein,dass wir propagieren, dass es sich lohnt, dass sich auchüber 50-Jährige weiterbilden, und die Frühverrentung inSonntagsreden ablehnen, gleichzeitig aber akzeptieren,dass es in den Großbetrieben zum guten Ton gehört, dassüber 50-Jährige möglichst schnell die Betriebe ver-lassen. Sprechen Sie einmal mit denjenigen, derenBerufsgruppen betroffen sind. Es sind doch nicht diekleinen mittelständischen Dachdeckerunternehmen, diedie Möglichkeiten zur Frühverrentung nutzen, es sinddoch die Großunternehmen, wo diese generalstabsmäßigorganisiert werden. Wir akzeptieren nicht, dass diejeni-gen, die generalstabsmäßig die Älteren aus den Betrie-ben herausdrängen, uns erzählen, eine Rente mit 67 seiunsinnig, da es in den Betrieben ja gar keine Älterengebe. Dieses lassen wir uns nicht von denen vorhalten,die selbst dafür sorgen, dass die Älteren aus den Betrie-ben herausgedrängt werden. Damit muss Schluss sein,liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Dass ein Fristablauf wie der für die Förderung voneufällen in der Altersteilzeit Ende 2009 näher rücktder dass ein Bundestagswahltermin näher rückt, sindür uns keine neuen Argumente.
ir haben den Entwurf eines Gesetzes zur Rente mit7 aus guten Gründen so gemacht, wie er ist. Daran hal-en wir fest.
Dabei ist völlig klar: Wir sind nicht gegen das Instru-ent der Altersteilzeit als solches. Deswegen ist imahressteuergesetz 2007 ausdrücklich festgelegt worden,ass es das Instrument der Altersteilzeit nicht nur weiter-in geben wird, sondern dass es auch durch die Steuer-nd Sozialabgabenfreiheit für Arbeitnehmerinnen undrbeitnehmer sowie Arbeitgeberinnen und Arbeitgebereiter gefördert wird.Wir unternehmen erhebliche Anstrengungen, umunge Menschen in Ausbildung und Beschäftigung zu
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Dr. Ralf Brauksiepebringen. Jeder weiß, dass ein Gesetzentwurf der Bundes-regierung zum Ausbildungsbonus in den parlamentari-schen Beratungen ist. Wir werden das in den nächstenWochen und Monaten abschließen. Wir fördern alsoüber die Steuer- und Sozialabgabenfreiheit auch über2009 hinaus die Altersteilzeit. Wir unterstützen darüberhinaus nach Kräften die jungen Menschen bei ihrer Inte-gration in das duale Ausbildungssystem.In dem Alterssicherungsbericht des Bundesarbeits-ministeriums wird festgestellt: Nur bei 30 bis 40 Prozentder Altersteilzeitfälle wird die Förderung der Bundes-agentur für Arbeit in Anspruch genommen. Der neueChemietarifvertrag zeigt neue Wege auf. Ich weiß, dassin dem Ingolstädter Wahlkreis von ErnährungsministerHorst Seehofer entsprechende Regelungen getroffenwurden. Auch einige Automobilunternehmen inDeutschland denken hier weiter. Wir sind offen dafür,auch Langzeitarbeitskonten verstärkt zu schützen. DasBundesarbeitsministerium arbeitet an einem entspre-chenden Gesetzentwurf. Wir sind sehr zuversichtlich,hier zu einer guten Lösung zu kommen.Ich spreche hier auch vor dem Hintergrund von fasteinem Vierteljahrhundert einer immer wieder begrenztverlängerten Förderung der Altersteilzeit. Ich kann dieBegünstigten mit ihren Argumenten verstehen, dass mandoch noch einmal für eine begrenzte Zeit etwas tunsollte. Aber ich sage klipp und klar: Aus der Sicht derBegünstigten wird es niemals einen geeigneten Zeit-punkt geben, auf das Geld anderer Leute zu verzichten.
Kollege Brauksiepe, bitte kommen Sie zum Schluss.
Wir müssen auch die mehr als 27 Millionen und jeden
Monat an Zahl zunehmenden Menschen mit ihren Bei-
trägen zur Arbeitslosenversicherung im Blick haben.
Wir halten in dieser Frage Kurs. Wir stehen zu den ge-
troffenen Verabredungen auch bei Gegenwind.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Schneider, mit der Altersteilzeit ist es so ähnlichwie mit dem Kommunismus: Es klingt theoretisch gut,funktioniert praktisch aber nicht und nützt den Men-schen auch nicht wirklich, im Gegenteil.
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Der Kommunismus auch; das will ich gerne ergänzen.
er Spiegel schreibt in seiner aktuellen Ausgabe – ichitiere –:Was besonders belasteten Arbeitnehmern den Aus-stieg erleichtern sollte, entwickelte sich zu einemfinanziellen Sprengsatz für die Sozialkassen und zueinem Instrument, die „Generation 50 plus“ flä-chendeckend aus dem Erwerbsleben zu kicken.
em ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Ich erwähne,ass die FDP-Bundestagsfraktion die Erste war, die sichen Fehler eingestanden und auf die Abschaffung derltersteilzeit gedrängt hat.
Ja, Herr Fuchs, wir haben das damals mit beschlossen.ber man muss aus seinen Fehlern lernen. Die anderenraktionen sind erst später zögerlich, aber am Endebenfalls auf diesen Kurs eingeschwenkt. Nach gelten-er Rechtslage wird es nach dem 1. Januar 2010 keineeue Förderung der Altersteilzeit auf Kosten der Bei-ragszahler mehr geben. Ich füge hinzu: Und das ist auchut so.
Durch die Altersteilzeit sind nämlich die älteren Ar-eitnehmerinnen und Arbeitnehmer regelrecht aus denetrieben herausgedrängt worden, und zwar flächende-kend. Zu dem ursprünglich angedachten Koppelge-chäft – Förderung des Ausscheidens älterer, damit Platzür die Einstellung jüngerer Arbeitnehmerinnen und Ar-eitnehmer geschaffen wird – ist es doch in den allerwe-igsten Fällen gekommen. Zugegeben: Viele Menschenaben die Frühverrentung bzw. die Altersteilzeit bewusstls einen sicheren Hafen in Zeiten schwieriger Arbeits-arktverhältnisse begriffen und sich gerne auf dasprichwörtlich sichere Altenteil drängen lassen, aller-ings ohne Aussicht auf Rückkehr, auch nicht in Zeitenesserer Konjunktur. Raus ist raus. Frank Weise, derhef der Bundesagentur für Arbeit – Anstaltsleiter,
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Dr. Heinrich L. Kolbwürde mein Kollege Niebel sagen –, wird dazu imSpiegel mit dem Satz zitiert:Versuchen Sie mal, einen Daimler-Ingenieur ausder Altersteilzeit zu holen. Der lacht Sie doch aus.Recht hat er; leider, sage ich dazu.
Mit hohem Aufwand von rund 1,5 Milliarden Europro Jahr werden mit der Altersteilzeitregelung erfahreneLeistungsträger aus dem Wirtschaftsprozess herausge-kauft – ein volkswirtschaftlich vollkommen unsinnigesGeschäft. Deswegen ist es an der Zeit, die Dinge neu zudenken. Die FDP-Bundestagsfraktion hat daher den Vor-schlag eines flexiblen Renteneintritts ab dem 60. Le-bensjahr bei Wegfall aller Zuverdienstgrenzen vorgelegtund jetzt auch im Deutschen Bundestag eingebracht.
Der FDP-Vorschlag ist zukunftsweisend.
– Frau Präsidentin, der Kollege Straubinger möchte eineZwischenfrage stellen. – Bitte.
Genau darauf wollte ich Sie gerade aufmerksam ma-
chen; aber wenn Sie sie zulassen wollen, bitte.
Herr Kollege Kolb, Sie haben richtigerweise ausge-
führt, dass die Frühverrentungsmaßnahmen volkswirt-
schaftlicher Unsinn sind. Jetzt kommen Sie mit der Teil-
rente. Ist nicht auch das volkswirtschaftlicher Unsinn?
Das ist kein volkswirtschaftlicher Unsinn, im Gegen-teil. Die Erfahrungen – das will ich an dieser Stelle gernesagen – etwa in Dänemark oder Schweden zeigen: Wenndie Menschen die Möglichkeit haben, frei zu entschei-den, also wenn sie nicht mehr arbeiten müssen, abernoch arbeiten können, dann steigt in der Tat die Beschäf-tigungsquote Älterer. In Dänemark sind 61 Prozent, inSchweden 69 Prozent aller 55- bis 65-Jährigen erwerbs-tätig, nicht weil sie arbeiten müssen, sondern gerade weilsie das Angebot haben, mit 60 in Rente zu gehen, diesesaber nicht nutzen müssen. Sie arbeiten so lange, wie siees selbst für richtig halten.
– Die bleiben doch dabei, Kollege Brauksiepe. Sie schei-den eben nicht aus, sondern bleiben länger, aber in Teil-zeit; sie arbeiten noch die Hälfte der ursprünglichen Ar-beitszeit. Das ist doch das, worum es geht.Die FDP schlägt vor, dass Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer unter Berücksichtigung der erworbenenAnwartschaften in der Rentenversicherung und aus pri-vrwwezwsAdamwrbdglssturinddsdc„mSSmrtAgnFstd
uch bei den Tarifpartnern stoßen unsere Vorschläge aufroße Zustimmung.
Lassen Sie uns also nicht den Modellen von gesternachhängen, sondern gemeinsam überlegen, wie derDP-Vorschlag im breiten Konsens in das Bundesge-etzblatt aufgenommen werden kann. Wenn das der Er-rag der heutigen Debatte ist, Herr Schneider, hätte sichas Ganze am Ende doch gelohnt.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Elke
Ferner.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!Wenn man Herrn Schneider zuhört, kann man fast denEindruck bekommen, die Linke macht Politik nach demMotto „Im Himmel ist Jahrmarkt“, egal wie und vonwem es bezahlt werden muss.
Ich möchte daran erinnern, dass der Beschluss desParteipräsidiums der SPD vom vergangenen Montagnichts Neues enthält. Er basiert in allen Punkten aufdem, was von einer Arbeitsgruppe, die der KollegeLudwig Stiegler und ich im letzten Jahr geleitet habenund deren Ergebnisse dem Hamburger Parteitag vorge-legt wurden, vorgeschlagen wurde. Wer sich die Mühegemacht hätte, diesen Bericht zu lesen, hätte feststellenkönnen, dass keine neue Erkenntnis, initiiert durch dieLinkspartei oder andere Parteien, aufgenommen wordenist; denn die Willensbildung in der SPD findet immernoch in der SPD und nicht in anderen Parteien statt.
Ein weiterer Punkt, den man in dieser Debatte hervor-heben muss, ist, dass sich die Beschäftigungsquote derälteren Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen – daraufhat der Kollege Brauksiepe eben hingewiesen – deutlichverbessert hat.
Ich muss aber sagen, dass ich mich in der Summe mit ei-nem Anteil von 52 Prozent, mit dem die Lissabon-Stra-tegie gerade so erfüllt wird, nicht zufrieden gebe. Wirbrauchen eine entsprechende Quote durchgängig in allenAltersgruppen. Da ist noch einiges zu tun.In dieser Debatte, in der wir über Anträge zur Alters-teilzeit sprechen, muss man das Thema komplexer be-handeln, als es in Teilen angelegt worden ist. Es kannnicht vorrangig das Ziel sein, Menschen frühzeitig inRente zu schicken.
Das Ziel muss vielmehr sein, Menschen, solange es geht,im Erwerbsprozess halten zu können. Das geht abernicht, indem man sozusagen hinten ansetzt. Man mussein ganzes Erwerbsleben lang dafür sorgen, dass dieArbeitsbedingungen human, alterns- und altersgerechtsind und dass vor allen Dingen keine Dequalifizierungim Laufe des Erwerbsprozesses stattfindet. Das ist beiuns in Deutschland leider noch der Fall.
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Bei der betrieblichen Weiterbildung, aber auch beier notwendigen außerbetrieblichen Weiterbildung ha-en wir noch viel zu tun. Wenn ich mir anschaue, wieenig Menschen über 50 bzw. 55 Jahre überhaupt nochn betrieblicher Weiterbildung partizipieren können – imbrigen können Frauen in deutlich geringerem Umfangn betrieblicher Weiterbildung partizipieren –, so mussch feststellen, dass hier noch einiges zu tun ist. Dequali-izierung kann sich unsere Wirtschaft gerade vor demintergrund einer älter werdenden Gesellschaft nichteisten.Ein weiteres Thema, das in diesem Zusammenhangatürlich zu berücksichtigen ist, ist die Tatsache, dass eselbst bei allgemein sehr humanen Arbeitsbedingungennd Besserqualifizierung in Zukunft – heute im Übrigenuch – immer Menschen geben wird, die unter sehrchweren Bedingungen arbeiten müssen – ob das imaugewerbe, im Bergbauzulieferbereich, im Stahlbe-eich oder in der Automobilindustrie ist. Ich nenne aberusdrücklich beispielsweise auch die Krankenschwes-ern in den Krankenhäusern und die Altenpflegerinnen inen Pflegeheimen im Wechseldienst, die teilweise unterörperlich und psychisch sehr anstrengenden Belastun-en ihre Arbeit verrichten müssen und die heute die Re-elarbeitsgrenze von 65 Jahren nicht gesund oder kaumesund erreichen können. Auch darauf brauchen wirntworten.Ich glaube aber nicht, dass die frühere Frühverren-ungspraxis die richtige Antwort darauf ist. Die frühererühverrentungspraxis, an der im Übrigen auch Sie, Herrolb, bzw. damals Ihre Partei in Regierungsverantwor-ung beteiligt waren,
at in erster Linie dazu geführt, dass sich große Betriebehren Personalabbau über öffentliche Systeme mitfinan-ieren lassen konnten und die kleineren Betriebe, ob-ohl sie dies mitbezahlt haben, mit ihren Problemen al-eingelassen wurden.
ies hat leider zu einer Mentalität geführt, die bewirktat, dass in vielen Betrieben kaum Beschäftigte über0 Jahre zu finden sind. Das ist leider ein Ergebnis derrühverrentungspraxis der 70er- und insbesondere der0er-Jahre. Ich glaube nicht, dass das ein Zukunftsmo-ell sein kann.Bei dem Punkt, der jetzt zur Diskussion steht, bei derrage der Altersteilzeit, sollte man, Herr Kollegechneider, ein Stück weit ehrlich sein. Sie haben ebenider besseres Wissen behauptet, dass die Altersteilzeit
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Elke Fernerausläuft; das kann man ja im Protokoll nachlesen. DieAltersteilzeit läuft aber nicht aus.
Altersteilzeit ist nach wie vor auch nach dem31. Dezember 2009 möglich. Sie wird auch gefördert –zwar nicht über die BA, aber über die Steuer- und So-zialversicherungsfreiheit der Aufstockungsbeträge.Die Frage, über die wir jetzt zu diskutieren haben, ist,ob auch die BA-geförderte Altersteilzeit zwangsläufig,wie es im Moment Gesetzeslage ist, auslaufen muss oderob es, Herr Brauksiepe, nicht auch gute Gründe gibt,vielleicht doch eine zumindest eingeschränkte Weiter-förderung durch die BA bei Inanspruchnahme von Al-tersteilzeit zu gewährleisten. Ich nenne Ihnen einen gu-ten Grund. Dazu können Sie sagen, er sei Ihnen nicht gutgenug. Es geht hier nicht um Wahltermine oder sonst ir-gendetwas, sondern darum, beispielsweise dafür zu sor-gen, dass junge Menschen, junge Männer und Frauen,die ihre Ausbildung in einem staatlich anerkannten Aus-bildungsberuf erfolgreich absolviert haben, in Beschäfti-gung kommen können. Wir alle kennen doch die Situa-tion der jüngeren Generation, die nach der Ausbildung inunbezahlten Praktika, mit befristeten Verträgen usw.mehr schlecht als recht über die Runden kommen muss.Ich finde, dass es ein durchaus gutes Argument ist,noch einmal darüber nachzudenken, ob man die durchdie BA geförderte Altersteilzeit nicht auch in Zukunftgewährleisten kann. Wir bauen über diese RegelungBrücken für die Jungen in das Erwerbsleben, und wirbieten den Älteren, die aus welchen Gründen auch im-mer nicht mehr vollschichtig oder nicht mehr so langearbeiten wollen oder können, eine flexiblere Brücke vomErwerbsleben in die Altersphase.
Die Teilrente, die auch von Herrn Schneider kritisiertworden ist, halte ich für durchaus diskussionswürdig.Wir schlagen vor, bereits ab dem 60. Lebensjahr einenTeilrentenbezug zu ermöglichen, wenn der Teilrentenbe-zug nachher nicht zur Bedürftigkeit führt. Sie haben nurdie Hälfte dessen genannt, was in dem Beschluss steht.Sie haben nicht gesagt, dass die Arbeitgeber verpflichtetwerden sollen, die Beträge aufzustocken, die aufgrunddes Abschlages bei einer Teilrente in Kauf genommenwerden müssen. So soll verhindert werden, dass bei einemnormalen Rentenbezug im Alter die Grundsicherung inAnspruch genommen werden muss. Das Teilzeitbeschäf-tigungsverhältnis muss natürlich sozialversicherungs-pflichtig sein, weil von Teilrente – das wissen wir alle –niemand leben kann und durch das Fortbestehen der so-zialversicherungspflichtigen Beschäftigung Rentenan-sprüche erworben werden.Wir glauben, dass man mit diesen Maßnahmen undder Anhebung bzw. Aufhebung der Zuverdienstgrenzeeinen flexibleren Übergang in die Altersrente als bisherermöglichen kann. Das Thema Insolvenzsicherung derLebensarbeitszeitkonten gehört auch in diesen Zusam-menhang. Man muss auch über Instrumente wie Zusatz-beiträge nachdenken können. Ich glaube, dass es dafürin diesem Haus durchaus Mehrheiten gibt.dseddMAumuKvmsWlumSsdaFSlWSDgdmsd
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
ollegin Brigitte Pothmer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Früh-errentungsregelungen sind allzu oft von Unternehmenissbraucht worden, um auf Kosten der Solidargemein-chaft personelle Strukturanpassungen vorzunehmen.ährend man sich so bequem älterer Arbeitnehmer ent-edigt hat, ist die Einstellung junger Arbeitnehmer nurnzureichend vorgenommen worden.
Diese bahnbrechende Erkenntnis stammt nicht vonir, sondern von den Kolleginnen und Kollegen derPD-Fraktion. Dieser kluge Ausspruch wurde im Aus-chuss für Arbeit und Soziales getätigt. Deswegen istiese Erkenntnis noch lange nicht falsch.Doch leider interessiert die Sozialdemokraten heuteuch das kluge Geschwätz von gestern nicht. Liebe Frauerner, was haben Sie eigentlich für eine Rede gehalten?ie haben deutlich gemacht, dass Frühverrentungsrege-ungen missbraucht worden sind; dabei haben Sie dieeiterführung dieser Regelung erst jüngst beschlossen.ie haben alle Erkenntnisse über Bord geworfen.
as ist nur eine leicht modifizierte Fassung der alten Re-elung.
Liebe Frau Ferner, selbst wenn Sie hier behaupten,ie Beschlüsse der Sozialdemokratinnen und Sozialde-okraten entstünden autonom in Ihren Köpfen, so lässtich doch nicht übersehen, dass diese Kursänderungem Vorwahlkampf geschuldet ist.
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Brigitte Pothmer
Diese Kursänderung ist ein Versuch, der Rentendebattevon Rüttgers etwas entgegenzusetzen.
Das ist der Versuch, soziales Profil zu zeigen. Ich kannIhnen nur sagen: Wenn Sie sich von jedem, von wirklichjedem durch die Gegend hetzen lassen, dann werden Sieziemlich schnell aus der Puste sein.
Dass die Linke mit dem hier vorliegenden Antrag al-les beim Alten lassen will, macht keinen großen Unter-schied. Beide, Linke und Sozialdemokraten, haben eineEntscheidung gegen alle vorliegenden Fakten getroffen.Dass diese Entscheidung etwas mit sozialer Gerechtig-keit zu tun hat, bestreite ich. Das werde ich nachweisen.Alle Erfahrungen zeigen unzweideutig:Erstens. Die Altersteilzeit ist keine Teilzeit, wie es inder Begründung Ihres Antrages steht, Herr Schneider,und sie ist auch kein gleitender Übergang in die Rente,sondern ein Vorruhestandsmodell. In der Zeit zwischen1996 und 2005 ist dieses Modell zu 90 Prozent alsBlockmodell genutzt worden. Dieser Trend hat sich bis2007 verstärkt. Inzwischen sind es 94 Prozent, die dasnicht als gleitenden Übergang, sondern als Blockmodellnutzen. Damit wird das Ziel des Altersteilzeitgesetzes,einen fließenden Übergang aus dem Erwerbsleben zuschaffen, offensichtlich verfehlt.
Zweitens. Die Altersteilzeit wurde überwiegend zumPersonalabbau genutzt. Lieber Herr Schneider, daskann Ihnen doch eigentlich nicht recht sein. Die Deut-sche Rentenversicherung schätzt, dass sich etwa drei- bisfünfmal mehr Arbeitnehmer in der Altersteilzeit befin-den als im Bestand der BA. Das heißt mit anderen Wor-ten: Seit den 90er-Jahren sind rund 431 000 Altersteil-zeitstellen wiederbesetzt worden. Gleichzeitig sindungefähr 1,3 bis 2,5 Millionen Arbeitsplätze mithilfevon Steuermitteln
und Beitragsmitteln abgebaut worden. Wollen Sie dasmit Ihrem Antrag weiterführen, Herr Schneider?Drittens. Von der Altersteilzeit profitieren nun wahr-lich nicht die Geringverdiener. In Anspruch genommenwird die Altersteilzeit von relativ gut verdienenden Be-schäftigten männlichen Geschlechts. Nach Angaben derRentenversicherung haben die Arbeitsteilzeitler imDurchschnitt höhere Entgelte erzielt, gehen früher inRente und beziehen trotzdem höhere Renten als die Ver-gleichsgruppen. Ist das Ihre Vorstellung von sozialer Ge-rechtigkeit? Unserer Vorstellung von sozialer Gerechtig-keit entspricht das nicht.ttfefhdbQbbBfdrRvZnssdnseastgAsBbssshaAdWng
Wir finden es falsch, dass auch mit den Beitragsmit-eln, den Steuermitteln derjenigen, die sich diese Alters-eilzeit nicht leisten können, die Altersteilzeit derer mit-inanziert wird, die mehr Geld in der Tasche haben. Dasntspricht wahrlich nicht dem, was wir als gerecht emp-inden. 1,38 Milliarden Euro von diesen Beitragsmittelnat die Bundesagentur für Arbeit allein im letzten Jahrafür ausgegeben. Ich finde, diese Beitragsgelderräuchten wir an anderer Stelle, insbesondere für dieualifizierung derjenigen, die geringe Einkommen ha-en, weil sie gering qualifiziert sind. Mit der Meinungin ich nicht alleine. Auch Herr Alt vom Vorstand derA sagt, dass sie ihre Aufgabe nicht darin sehen, Leuterühzeitig aus dem Erwerbsleben herauszukaufen, son-ern dass sie der Auffassung sind, dass ihre Aufgabe da-in besteht, den Menschen die Chance zu geben, denenteneinstieg im Alter von 67 zu erreichen.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber-erbände, der Arbeitgeberverband Gesamtmetall und derentralverband des Deutschen Handwerks sehen das ge-auso. Wenn also selbst diejenigen, die von diesen Be-chlüssen profitieren würden, sagen, diese Beschlüsseeien falsch und gehen in die falsche Richtung,
ann sollten aus meiner Sicht die Sozialdemokratenoch einmal darüber nachdenken und ihre Beschlussfas-ung korrigieren.
Ich will nicht den Eindruck erwecken, als würde ichs Beschäftigten nicht gönnen, frühzeitig und gleitendus dem Erwerbsleben auszusteigen. Aber ich finde tat-ächlich, dass es die vornehmste Aufgabe der Tarifpar-eien ist, genau dafür flexible und vielfältige Regelun-en zu finden.
Herr Schaaf, Sie haben, wie ich finde, den Linken imusschuss sehr eindrücklich erklärt, dass Sie es inzwi-chen als einen Fehler ansehen, dass Sie seinerzeit alsetriebsrat für einen frühzeitigen Ausstieg gekämpft ha-en, dass Sie es als richtiger und als notwendig ansehen,ich darauf zu konzentrieren, die Arbeitswelt zu humani-ieren und bessere Arbeitsbedingungen für die Be-chäftigten herbeizuführen, damit sie nicht aus Krank-eitsgründen oder weil sie ausgebrannt sind frühzeitigus dem Erwerbsleben ausscheiden müssen. Das ist dieufgabe. Sie besteht nicht darin, Beschlüsse zu fassen,ie diese Frühverrentungspraxis weiterführen.
as wir brauchen, ist eine Debatte darüber, wie wir dieotwendige längere Lebensarbeitzeit mit neuen Ideenestalten können, nicht mit alten Rezepten.
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Kollegin Pothmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Schaaf?
Ja.
Ja. Das haben wir abgesprochen.
Sehr geehrte Frau Kollegin Pothmer, Sie haben darge-
stellt, was ich im Ausschuss gesagt habe. Damit haben
Sie selbstverständlich völlig recht.
Sie auch.
Sie sollten aber auch den Kontext berücksichtigen
– die Kollegin Elke Ferner hat ihn eben sehr deutlich be-
schrieben –: Natürlich muss es oberste Priorität haben,
dass die Menschen so lange wie möglich gesund in Ar-
beit bleiben können.
Es wird aber immer Menschen geben, die das aus ver-
schiedensten Gründen nicht schaffen.
Da Sie eben ausdrücklich gesagt haben, dass Sie das
Instrument der durch die BA geförderten Altersteilzeit
abschaffen wollen – das haben Sie auch begründet –,
möchte ich Sie fragen: Würden Sie mir recht geben, dass
die nicht geförderte Altersteilzeit über 2009 hinaus be-
stehen bleibt? Können wir, weil dieses Instrument aus
Ihrer Sicht ja völlig falsch ist, in absehbarer Zeit einen
Antrag der Grünen erwarten, in dem Sie fordern, die
nicht geförderte Altersteilzeit abzuschaffen? Auf diese
Fragen hätte ich gerne konkrete Antworten.
Ich hätte auch auf folgende Fragen gerne konkrete
Antworten: Was machen wir mit den Menschen, die vor-
zeitig kaputt sind und nicht mehr arbeiten können? Wie
können wir dafür sorgen, dass sie aus dem Arbeitsleben
gleiten können? Wie können wir hier einen vernünftigen
Übergang gewährleisten? Wie können wir die Potenziale
Älterer nutzen, die nicht mehr so leistungsfähig sind,
wenn nicht über Instrumentarien wie die Altersteilzeit?
In dem Beschluss, den Sie gefasst haben, haben Sie
zum Ausdruck gebracht, dass Sie die durch die BA ge-
förderte Altersteilzeit, die 2009 auslaufen soll, nicht im
Jahre 2009 auslaufen lassen,
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uch wenn das derzeit nicht zur Debatte steht, sollten
ir über dieses Thema noch einmal reden, Herr Schaaf.
m Übrigen sehe auch ich die Notwendigkeit, genau das
u tun, was Sie im Ausschuss, wie ich finde, eindrucks-
oll erklärt haben. – Danke schön.
Es gibt immer mehr Studien, in denen der Arbeits-
räftebedarf bis ins Jahr 2020 projiziert wird. In diesen
tudien wird eines ganz deutlich: Wir laufen auf einen
iesengroßen Fachkräftemangel zu, und zwar auch dann,
enn tatsächlich alle Beschäftigten bis zu ihrem 67. Le-
ensjahr arbeiten. Daher sollten wir nicht das tun, was
ie beschlossen haben: dass die Älteren den Jüngeren
latz machen sollen. Wir brauchen Jüngere und Ältere,
rauen und Männer.
Wir müssen alle für den Arbeitsmarkt mobilisieren.
afür brauchen wir mehr Ausbildung und Qualifizierung.
afür brauchen wir gesunde und gute Arbeitsbedingun-
en. Dafür brauchen wir flexible Arbeitszeitmodelle, bei
enen Ein- und Ausstiege, zum Beispiel aufgrund von
inderbetreuung, der Pflege Älterer oder gesundheitli-
her Schwierigkeiten, möglich sind. Was wir aber nicht
ebrauchen können, ist ein Herauskaufen der Älteren.
Wir haben noch eine Menge zu tun. Eines jedenfalls
st sicher: Die ollen Kamellen der Linken und der Sozial-
emokraten zum Thema Altersteilzeit werden uns nicht
eiterhelfen.
Ich danke Ihnen.
Für die Unionsfraktion hat nun die Kollegin Gitta
onnemann das Wort.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Schneider, Ihre Debat-enbeiträge erinnern mich zunehmend an Märchenstun-en nach dem Motto: Es war einmal eine Fraktion imeutschen Bundestag. Sie war zwar sehr klein, dafürber sehr links. Sie nahm für sich in Anspruch, Anwalter Kleinen zu sein. – Wir wissen aber: Es gibt keine
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Gitta ConnemannMärchen, jedenfalls nicht im Deutschen Bundestag. Hiergibt es allenfalls Märchenerzähler wie Sie, Herr KollegeSchneider.
Sie fordern, die Förderung der Altersteilzeit durch dieBundesagentur für Arbeit nach 2009 fortzuführen, finan-ziert durch Arbeitslosenversicherungsbeiträge. Ihre Be-gründung dafür ist im Wesentlichen: Erstens. Die Alters-teilzeit habe dazu beigetragen, dass Beschäftigte denRuhestand gesund erreichen. Zweitens. Sie habe für eineausgewogene Beschäftigungsstruktur gesorgt. – Das sindMärchen.Die Altersteilzeit ist im Grunde genommen eine guteIdee gewesen, übrigens von Union und FDP im Jahre1996. Sie sollte älteren Mitarbeitern einen gleitenden,frühzeitigen Übergang in den Ruhestand ermöglichen.Damit wollte man sich von der Praxis verabschieden,dass bis zum letzten Tag Vollzeit gearbeitet wird und esdann von hundert auf null geht; denn solche hartenSchnitte sind – das ist unbestritten – gesundheitlich ris-kant. Zusätzliche Anreize sollten dafür sorgen, dass diefreigewordenen Arbeitsplätze wieder besetzt werden.Aus dieser Idee wurde jedoch keine praktische Wirklich-keit. Der gleitende Ausstieg blieb die große Ausnahme;das sogenannte Blockmodell wurde Standard.Kollegin Pothmer hat bereits darauf hingewiesen,dass inzwischen mehr als 90 Prozent aller Altersteilzeit-verhältnisse im Rahmen des sogenannten Blockmodellsvereinbart werden. Dabei wird zwar die Gesamtarbeits-zeit halbiert; aber die Beschäftigten arbeiten eben biszum letzten Tag voll. Der harte Schnitt – mit allen damitverbundenen gesundheitlichen Risiken – wird nur vor-verlegt, aber nicht verhindert. So viel zum MärchenNummer eins.Aus der neuen Teilzeit ist wieder die alte Frührentegeworden. Davon profitiert übrigens eine Gruppe nicht:die Arbeitnehmer in kleinen und mittelständischen Un-ternehmen.
Zum einen ist das Verfahren für kleine und mittlere Be-triebe nämlich zu kompliziert, zum anderen fehlt diesenBetrieben der finanzielle Spielraum, um die gesetzlichenLeistungen aufzupolstern, was gerade bei kleineren Ein-kommen in der Regel notwendig ist. Das können nur diegroßen Unternehmen leisten. Herr Kollege Schneider, esgeht also gerade nicht um den Dachdecker, der in einemkleinen Betrieb arbeitet, sondern – es wurde bereits er-wähnt – um den Ingenieur, der beispielsweise bei einergroßen Automobilfirma arbeitet.Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Linken,von einer gut angenommenen betrieblichen Praxis spre-chen, dann meinen Sie ausschließlich die Praxis derGroßunternehmen.DizgITHbaZfwcsABb7anaiVuclsM„wnfmhdJw
ch konnte das in meiner Heimatstadt Leer im Falle derelekom sehr plastisch erleben.Der Präsident des Zentralverbands des Deutschenandwerks, Otto Kentzler, beschreibt es im Handels-latt wie folgt: Die geförderte Altersteilzeit helfe „vorllem großbetrieblichen Arbeitgebern“ dabei, „in großerahl Arbeitsplätze abzubauen“. Die sozialen Kosten da-ür würden „weitgehend auf die Allgemeinheit … abge-älzt“. Die Daten geben ihm recht.
Laut IAB steigt das betriebliche Engagement in Sa-hen Altersteilzeit mit der Betriebsgröße und erreichtchließlich nahezu „flächendeckende Ausmaße“. Dernteil der Betriebe, die Altersteilzeit anbieten, liegt beietrieben bis zu 20 Beschäftigten bei kaum 2 Prozent;ei Betrieben mit 1 000 Beschäftigten liegt sie bei0 Prozent und mehr.Sie, meine Damen und Herren von der Linken, wollenlso einmal mehr eine Umverteilung, aber von untenach oben. Die in der Regel nicht so hoch bezahlten Mit-rbeiter in den kleinen Unternehmen finanzieren überhre Beiträge zur Arbeitslosenversicherung den goldenenorruhestand in den Großbetrieben der Industrie,
nd zwar mit enormen Summen. Allein die Aufsto-kungsbeiträge, die die Bundesagentur für Arbeit imetzten Jahr für Altersteilzeit aufbringen musste, beliefenich auf 1,4 Milliarden Euro, mit steigender Tendenz.eine Damen und Herren von der Linken, mit IhremWeiter so!“ möchten Sie erreichen, dass die Kleineneiter für die Großen bezahlen. Das ist mit der Unionicht zu machen.
Kollegin Connemann, gestatten Sie eine Zwischen-
rage des Kollegen Schneider?
Immer gerne.
Danke schön, Frau Kollegin Connemann. Es wurdeehrfach behauptet, unsere Devise sei: Weiter so! Des-alb frage ich Sie: Ist Ihnen nicht bekannt, dass wir, wasie Beschäftigungssituation Älterer anbelangt, im letztenahr einen ausführlichen Antrag gestellt haben, in demir eine Vielfalt von Instrumenten vorgeschlagen haben,
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16834 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Volker Schneider
die eingesetzt werden könnten, um die Beschäftigungssi-tuation Älterer zu verbessern, und dass schon in diesemAntrag stand, dass man für den Fall, dass man die Leutenicht in Beschäftigung halten kann oder sie aus gesund-heitlichen Gründen nicht in Beschäftigung bleiben kön-nen, sehen muss, welche Instrumente man zur Verfügunghat?Können Sie zweitens bestätigen, dass ich eben aus-drücklich darauf hingewiesen habe, dass es uns lieber ist,wenn die Leute Beschäftigung haben und nicht in Alters-teilzeit gehen? Doch wenn Beschäftigung zurzeit nichtzu haben ist, ist es doch wünschenswert, dass man Brü-cken wie die Altersteilzeit nicht abreißt, bevor man neueBrücken gebaut hat. Vor diesem Hintergrund verlangenwir, dass das Instrument der Altersteilzeit wenigstens solange weiter zur Verfügung steht, bis man zu einer besse-ren Lösung kommt.
Herr Kollege Schneider, Sie lenken ab. Es ist in der
Tat so, dass die Fraktion Die Linke – das ist eine Eigen-
art der Fraktion Die Linke – im Dauertakt Anträge auf-
gelegt hat mit denselben Zielen.
Der Antrag, von dem Sie gesprochen haben, wird einer
der 646 Anträge gewesen sein, die Sie allein im letzten
Jahr gestellt haben.
Es geht in diesem Fall allerdings darum – darauf sind
Sie in keiner Weise eingegangen –, dass Sie mit dem hier
vorliegenden Antrag – über diesen debattieren wir – for-
dern, dass nach wie vor die Bundesagentur für Arbeit
aus Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung, die von
über 27 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland er-
bracht werden, von Arbeitnehmern und Arbeitgebern,
egal welchen Einkommensniveaus, den Vorruhestand ei-
niger weniger finanziert. Das nenne ich Umverteilung
von unten nach oben. Das geht zulasten der kleinen Ar-
beitnehmer. Deshalb nenne ich das, was Sie in Ihrem
Antrag fordern, sozial ungerecht.
Dafür wird es mit uns, der Union, ab 2010 keine Gelder
der Bundesagentur für Arbeit mehr geben.
Wir lehnen Ihre Forderung nach einer Verlängerung
der Altersteilzeit aber nicht nur ab, weil sie finanziell un-
gerecht wäre, sondern auch, weil es uns im Wesentlichen
um den Stellenwert der älteren Mitarbeiter geht. Die
älteren Mitarbeiter waren es doch, die ihren Arbeitsplatz
räumen mussten. Deshalb hat übrigens auch unser frühe-
rer Minister Franz Müntefering vehement gegen eine
Verlängerung der Altersteilzeit gekämpft. Er hielt die
Altersteilzeit für ein – ich zitiere ihn – unkontrollierbares
Instrument, das die Beschäftigungschancen der Senioren
mindert.
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Er hat in der Tat recht. Denn entgegen der Behauptung
er Linken hat die Altersteilzeit gerade nicht zu einer
usgewogenen Beschäftigungsstruktur geführt; das ist
ärchen Nummer zwei. Vielmehr hat sie den Jugend-
ahn gestützt. Gerade die großen Betriebe haben die Al-
ersteilzeit genutzt, um sich älterer Arbeitnehmer syste-
atisch zu entledigen.
ir konnten das an der Beschäftigungsquote Älterer se-
en, die dramatisch zurückgegangen ist. Deswegen hat
ie Große Koalition dem Jugendwahn den Kampf ange-
agt und im Koalitionsvertrag vereinbart, Anreize zur
rühverrentung zu beseitigen. Ich sage für die Union:
ir stehen zu unserem Wort.
Wir brauchen die Erfahrung der älteren Arbeitnehmer
ringender denn je, auch vor dem Hintergrund des Fach-
räftemangels. Im Übrigen wäre es widersprüchlich, die
esetzliche Altersgrenze von 65 auf 67 Jahre heraufzu-
etzen und zugleich ein Modell zu fördern, das dazu bei-
rägt, dass Menschen – ohne körperlichen Grund – frü-
er aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Wir wissen, dass
icht jeder in der Lage sein wird, diese Altersgrenze in
einem ursprünglichen Beruf zu erreichen. Das gilt ins-
esondere für die körperlich belasteten Arbeitnehmer.
ir brauchen flexible Lösungen, die wir bereits angebo-
en haben und an denen wir gemeinsam arbeiten. Hier
ind aber insbesondere die Tarifvertragsparteien gefor-
ert. Anstatt dass Mitarbeiter früher in Rente geschickt
erden, braucht es eine demografiebewusste Personal-
olitik.
Kollegin Connemann, kommen Sie bitte zum Schluss.
Wir brauchen eine Steigerung der Lernfähigkeit im
lter durch kontinuierliche Weiterbildung. Es muss
öglich werden, auf einen weniger belastenden Arbeits-
latz zu wechseln. Wir brauchen Lebensarbeitszeitkon-
en und vieles mehr. Die Altersteilzeit ist insoweit nicht
afür geeignet. Alles andere ist ein Märchen, und über
ärchen hat Voltaire einmal gesagt, Herr Kollege
chneider:
Ich liebe die Märchen der Philosophen, ich lache
über die der Kinder, aber ich hasse die der Heuch-
ler.
Recht hatte er. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Jörgohde.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16835
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Mein Kollege Kolb hat Ihnen bereits mes-
serscharf dargelegt,
warum die Altersteilzeit ein Irrweg war und wie im Ge-
gensatz dazu eine beschäftigungsfördernde und renten-
steigernde Politik aussieht. Ich brauche hier auch nicht
die Argumente gegen die Rente mit 67 zu wiederholen.
Ich möchte aber kurz auf Sie, Frau Ferner, eingehen.
Sie haben richtigerweise darauf hingewiesen, dass in den
80er-Jahren viele Betriebe das Instrument der Altersteil-
zeit genutzt haben, um ältere Arbeitnehmer aus dem Er-
werbsleben zu komplimentieren. Es ist auch richtig, dass
die FDP der Altersteilzeitregelung damals zugestimmt
hat. Ich möchte hier aber ergänzen, dass wir alle damals
die Hoffnung hatten, dass die frei werdenden Arbeits-
plätze von jungen Arbeitnehmern besetzt würden. Das
ist leider nicht eingetroffen.
Nur circa einer von sieben Arbeitsplätzen wurde wie-
der besetzt.
Frau Kollegin Connemann hat das Wort Jugendwahn
ausgesprochen. Dieser trat aber eben nur eingeschränkt
ein, weil die jungen Arbeitnehmer nicht zum Zuge ka-
men. Es wurden nur Arbeitsplätze abgebaut.
Diese Entwicklung hatten wir nicht gewollt. Deswegen
möchte ich wiederholen, dass die FDP als erste Fraktion
im Deutschen Bundestag diesen Irrtum eingesehen und
Korrekturen angemahnt hat. Diese Regelung läuft zu
Recht aus.
Kollege Rohde, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schaaf?
Sehr gerne.
Nicht in dieser Debatte. Aber das ist nicht der ent-
scheidende Punkt. Deswegen gibt es ja das Instrument,
eine Frage stellen zu dürfen, wenn man sich angespro-
chen fühlt.
Herr Rohde, würden Sie mir recht geben, dass es ei-
nen doch deutlichen und massiven Unterschied zwischen
der alten Vorruhestandsregelung nach Blüm’scher Art
und der Altersteilzeit gibt? Sie haben hier gerade alles
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Würden Sie konstatieren, dass Sie mit der Einschät-
ung, die Sie gerade formuliert haben, dass nämlich die
ltersteilzeit im Wesentlichen schuld daran ist, dass die
lteren herausgedrängt worden sind, fehlgehen?
Herr Kollege Schaaf, es ist sicherlich richtig, dass Al-ersteilzeit und Vorruhestand unterschiedliche Begriffeind.
n gewisser Weise werden wir in der Diskussion aber im-er wieder damit konfrontiert, dass die Begriffe ver-ischt werden.Die FDP hat der einen Regelung am Anfang zuge-timmt. Jetzt kritisieren wir eben die Wirkung, dass äl-ere Arbeitnehmer aus dem Erwerbsleben gedrängt wer-en – egal mit welcher Regelung.
eswegen dürfen Regelungen – egal wie das Systemeißt –, die dem Ziel dienen, dass Großbetriebe Älterenen goldenen Handschlag geben und sie aus dem Er-erbsleben herausdrängen können, nicht unterstützterden.
Nun möchte ich die Gelegenheit nutzen, einmal etwasiefer in die angebliche Renten- bzw. Arbeitsmarktpoli-ik der Linken einzutauchen. In der Begründung zumntrag „Förderung der Altersteilzeit durch die Bundes-gentur für Arbeit fortführen“ schreiben Sie von deninken wörtlich:Sie die Altersteilzeit –ist gleichzeitig eine Beschäftigungsbrücke, die jun-gen und erwerbslosen Menschen den Einstieg insArbeitsleben ermöglicht.
ir haben eben schon gemeinsam festgehalten – wennuch mit unterschiedlichen Begriffen –, dass das Ziel
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16836 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Jörg Rohdenicht in dem Umfang erreicht wird, wie es notwendigwäre.Denken Sie doch einmal darüber nach, was Sie sagen!Die Alten sollen abtreten und Platz für die Jungen ma-chen. Sie von der Fraktion Die Linke wollen Alte gegenJunge ausspielen. Da machen wir nicht mit.
Bei diesem eiskalten Rausschmiss der älteren Arbeitneh-mer aus dem Erwerbsleben sprechen Sie im Folgendenimmer wieder verharmlosend von einer „sozialen Abfe-derung von Übergängen vom Erwerbsleben in dieRente“. Diese Politik empfinde ich als beschämend.
Ich fordere Sie von den Linken auf: Hören Sie mitdieser Politik des Gegeneinanders in unserer Gesell-schaft – Jung gegen Alt, Arm gegen Reich, Ost gegenWest – auf! Das ist kein tragfähiges Politikkonzept, son-dern nichts anderes als eine Spaltung der Gesellschaft.
Allen Ernstes und völlig unverblümt bekennt sich dieLinke klipp und klar dazu, Arbeitsmarktpolitik mit denMitteln der Rentenpolitik zu betreiben. Denn Sie, meineverehrten Damen und Herren von den Linken, erliegenimmer wieder dem Irrtum, dass die aktuellen Problemeam Arbeitsmarkt mit der Fortführung der Altersteilzeitzu lösen wären.Glauben Sie allen Ernstes, dass ein früherer Renten-eintritt über Teilzeitlösungen das Problem fehlender Ar-beitsplätze löst? Das Gegenteil ist der Fall. Sie bringendie älteren Arbeitnehmer um große Teile ihres Einkom-mens und ihrer späteren Rente. Sie erschweren älterenArbeitslosen den Wiedereintritt in den Arbeitsmarkt, undSie vergrößern das Risiko von Altersarmut. VerstehenSie das unter Solidarität?
Arbeitsplätze für Junge schafft man nicht, indem mandie Alten rausschmeißt, sondern indem man die Steuernund Sozialabgaben senkt, Investitionen der Unterneh-men erleichtert und Arbeit in Deutschland wieder wett-bewerbsfähig macht.
Aber das Ziel der Schaffung neuer Arbeitsplätze habenSie von den Linken längst aufgegeben. Sie beschränkensich darauf, die in zu geringem Umfang vorhandene Ar-beit auf die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land zuverteilen. Wenn das nicht reicht, dann reduzieren Sieeinfach die Zahl der Erwerbstätigen, zum Beispiel überdie Altersteilzeit.
DaSlwrtafDdiivTvirzdiKzEddÄldISls
Aber wir müssen auch Wahrheiten akzeptieren, die esn der Realität unseres Arbeitslebens gibt. Eine Realitätn unserem Arbeitsleben ist eine zunehmende Arbeits-erdichtung. Die Krankenkassen haben vor wenigenagen ihren neuesten Bericht über den Krankenstanderöffentlicht. Mittlerweile sind psychische Belastungenn die Rubrik der fünf häufigsten Krankheiten aufge-ückt. Eine weitere Wahrheit ist, dass die realen Arbeits-eiten in den letzten Jahren fortlaufend verlängert wor-en sind.Insofern muss man sich fragen, was diese Tatsachenm Einzelfall bedeuten. Es werden nämlich nicht allerankenschwestern, Busfahrer und Dachdecker in Voll-eit bis zum 67. Lebensjahr durchhalten können.
s stünde jedem in diesem Hause gut zu Gesicht, sicharüber Gedanken zu machen, wie man eine Antwort aufiese Frage finden kann, ohne das grundsätzliche Ziel,ltere länger im Erwerbsleben zu halten, infrage zu stel-en. Darum geht es bei unseren Vorschlägen.
Wir müssen mit einigen Vorurteilen aufräumen wieem, dass Altersteilzeit nur etwas für Großbetriebe ist.ch wundere mich, Frau Connemann, dass Sie die IAB-tudie nur auszugsweise zitiert haben. Sie besagt näm-ich, dass es nahezu hälftig mittelständische Betriebeind, die Altersteilzeit in Anspruch nehmen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16837
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Andrea NahlesDa Sie den Kopf schütteln, will ich das anhand kon-kreter Zahlen verdeutlichen: In Großbetrieben mit über500 Beschäftigten wird die Altersteilzeit von 45 Prozentder dazu berechtigten Beschäftigten genutzt; in mittel-ständischen Betrieben sind es 41 Prozent. Die einzigen,bei denen der Anteil niedriger ist, sind die Kleinstbe-triebe.
– Ja, aber Sie können nicht behaupten, dass Altersteilzeitnur ein Instrument für Großbetriebe ist. Das ist nichtwahr. Das muss an dieser Stelle klipp und klar gesagtwerden.
Der Kollege Brauksiepe wollte neue Argumente hö-ren. Lassen Sie uns den Blick auf die Schulabgänger-quote richten. Seit Jahren wird behauptet, dass dieSchulabgängerquote sinkt. Die Wahrheit ist, dass insbe-sondere in Westdeutschland – in Ostdeutschland verhältes sich etwas anders – die Schulabgängerquote bis 2015auf dem derzeitigen Stand bleiben wird, und zwar beieher steigender Tendenz. Angesichts dessen stellt sichnatürlich die Frage, wie wir Brücken zwischen Jung undAlt in den Betrieben bauen können. Ich sage Ihnen of-fen: Eine Förderung der Altersteilzeit kommt für michnur infrage, wenn sie einen gesamtgesellschaftlichenNutzen bringt.
Eine Förderung kommt für mich nicht infrage, wenn nurvereinzelt Betriebe davon profitieren. Wenn aber jungeLeute in Zukunft – das geht über das Jahr 2015 hinaus –weiterhin Probleme beim Berufseinstieg haben, dann istes legitim, es darauf zu begrenzen. Das halbiert übrigensdie Anzahl der Altersteilzeitfälle, wenn wir das tun. Wirbegrenzen es auf die Brücke zwischen Jung und Alt. Nurbei Übernahme von Auszubildenden bzw. Ausgebildetenin den Betrieb ist eine Förderung legitim. Genau das istunser Vorschlag. Den kann ich guten Gewissens begrün-den.
Kollegin Nahles, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Pothmer?
Gerne.
Frau Kollegin Nahles, wie wollen Sie verhindern,
dass Betriebe diese Förderung auch dann in Anspruch
nehmen, wenn sie ohnehin beschlossen haben, einen fer-
tig Ausgebildeten zu übernehmen und ältere Beschäf-
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in ähnliches Phänomen gab es bei der jetzt geltendenltersteilzeit, weswegen sie als Instrument teilweise dis-reditiert wurde. Das betrifft insbesondere die Abgängeus Arbeitslosengeld und Arbeitslosigkeit. Wir wollenber keine Förderung, wenn Arbeitslose übernommenerden. Dies war nämlich der Hauptpunkt, bei demissbrauch betrieben wurde oder zumindest Schumme-eien passiert sind. Wir können das bei den jungen Leu-en noch präziser fassen, wenn wir das Kriterium derbernahme beispielsweise rückwirkend an die Ausbil-ungs- und Übernahmequoten in den letzten drei, vierahren koppeln. Ein solches Verfahren haben wir an an-eren Stellen effektiv eingesetzt.
Ich gebe Ihnen gerne recht: Das ist ein wichtigerunkt, wenn das Instrument der Altersteilzeit in unsereminne genutzt werden soll.Wir gehen dieses Thema noch aus einem anderenrund an. Ich weiß nicht, wie es Ihnen in Ihren Bürger-prechstunden geht, aber ich habe den Eindruck, dassir die Menschen motivieren müssen. Wenn es um dieebensarbeitszeit geht, wollen die meisten im Trott der0er- und 90er-Jahre weitermachen. Mit unserer Be-chlusslage motivieren wir die Menschen; das ist richtig.ber wer von Ihnen hatte nicht schon jemanden in derürgersprechstunde sitzen, der sich regelrecht kaputtge-rbeitet hat, um es klar zu sagen. Die Erwerbsminde-ungsrente ist aufgrund der zahlreichen Zugänge mittler-eile ein Nadelöhr geworden. Hier kann ich nur meinerollegin Elke Ferner zustimmen. Wir müssen darüberachdenken, wie wir solchen Menschen einen humanennd flexiblen Ausstieg aus dem Erwerbsleben ermögli-hen können. Mich treibt so etwas um. Ich frage mich,as Sie solchen Menschen in Ihrer Bürgersprechstundeagen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
Herr Kolb, die von uns vorgeschlagene Teilrente un-erscheidet sich deutlich von der, die Sie vorschlagen.ie FDP macht eine Teilrente für Besserverdienende.
enjenigen, die die von Ihnen vorgeschlagene Teilrenten Anspruch nehmen können, ist es egal, ob sie Ab-chläge von bis zu 18 Prozent hinnehmen müssen odericht. Das ist eine individuelle Lösung, eine Flexibilisie-ung.
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Andrea Nahles– Nein, ich werde jetzt keine Zwischenfrage zulassen;denn ich möchte an dieser Stelle den Unterschied deut-lich machen.Nach unserem Modell vereinbart der Arbeitnehmermit seinem Arbeitgeber eine Arbeitszeitverkürzung.Aber die Abschläge vom 60. bis zum 62. Lebensjahrwerden von den Arbeitgebern kollektiv abgesichert. Dasbedeutet einen Abschlag von maximal 7,2 Prozent. Hierhaben die Tarifpartner noch Gestaltungsspielraum, dasnach unten zu drücken. So können sich auch Menschenmit niedrigen Einkommen und Renten unsere Teilrenteleisten. Das ist der große Unterschied zu dem Modell,das die FDP vorgeschlagen hat, Herr Kolb.
Wir brauchen angesichts der demografischen Ent-wicklung eine Veränderung, was den Verbleib der Men-schen im Erwerbsleben angeht. Sie müssen länger im Er-werbsleben verbleiben, als das in den 80er- und 90er-Jahren der Fall war. Wir müssen aber Übergänge fürHärtefälle schaffen, weil es in einzelnen Betrieben be-sondere Belastungen für die arbeitenden Menschen gibt.Altersteilzeit sollte gefördert und verlängert werden,wenn dafür junge Menschen eingestellt werden – das istein hartes Kriterium –, und die Teilrente ab 60 sollte er-möglicht werden, wobei diese von den Tarifpartnernausgestaltet werden kann. Das halte ich für einen fairenKompromiss, der unsere grundsätzliche Politik nicht in-frage stellt, sondern ihr in der Bevölkerung endlich Ak-zeptanz verschafft. Machen wir uns hier doch nichts vor!Wenn wir nicht einen flexiblen und humanen Übergangschaffen, dann werden wir die Bevölkerung in ihrer gro-ßen Mehrheit nicht auf den Weg in eine längere Lebens-arbeitszeit mitnehmen.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Zu einer Kurzintervention hat nun der Kollege Kolb
das Wort.
Frau Kollegin Nahles, wir sollten alle wissen, dass
eine Zwischenfrage und die Antwort darauf weniger Zeit
kostet als die Kurzintervention und die Replik. Antwor-
ten werden Sie mir ohnehin;
insofern verstehe ich nicht, dass Sie meine Zwischen-
frage nicht gleich zugelassen haben.
Ich will Folgendes sagen, Frau Nahles: Sie haben den
Eindruck erweckt, wir würden einen flexiblen Übergang
nur für Rentner mit höheren Renten schaffen.
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Außerdem lässt sich Ihr Ansinnen, so finde ich, mit
nserem Vorschlag sehr gut kombinieren. Auch wir ha-
en natürlich die Menschen im Auge, die sich, wie Herr
chneider gesagt hat, mit 60 Jahren kaputtgearbeitet ha-
en, weil sie einen körperlich anstrengenden Beruf ha-
en. Dann muss man den Vorschlag, den wir gemacht
aben, durch tarifvertragliche Regelungen ergänzen,
um Beispiel indem Fonds in Branchen geschaffen wer-
en, wenn regelmäßig zu erwarten ist, dass Arbeitneh-
er in diesen Branchen eine vorgezogene Rente in An-
pruch nehmen müssen. Lassen Sie uns doch nicht
ünstlich Differenzen aufbauen, sondern lassen Sie uns
chauen, wie wir Brücken bauen können, die wir ge-
einsam begehen können. Unser Vorschlag ist zielfüh-
end, er erreicht die Masse der Versicherten in Deutsch-
and, und Sie sollten einfach überlegen, wie wir das
emeinsam hinbekommen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sie haben das Wort.
Bei Ihren letzten Sätzen, Herr Kolb, ampelte es schonin bisschen. Das nehme ich natürlich mit Freude zurenntnis.Das Problem, das wir momentan an dieser Stelle ha-en, Herr Kolb, sind die Grünen. Die haben hier über-aupt keinen Vorschlag gemacht, wie sie den flexiblenbergang in die Rente organisieren wollen.
ir ist jedenfalls heute keiner zu Ohren gekommen. Wirüssen daran vielleicht noch ein bisschen arbeiten.In der Sache will ich Ihnen, Herr Kolb, aber ganz klaragen, dass zwar potenziell 90 Prozent der Leute nachhrem Modell die Rente in Anspruch nehmen könnten,ber diese 90 Prozent sich das nicht leisten können, undwar wegen der Abschläge. Genau darum geht es. Viel-eicht können wir den Unterschied zwischen uns imaufe der nächsten Jahre noch abbauen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16839
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Der Kollege Dr. Michael Fuchs hat nun für die
Unionsfraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Als ich eben Herrn Schneider zugehört habe, habeich mir gedacht: Bei dem einen oder anderen in diesemParlament wäre es doch ganz gut, wenn er relativ recht-zeitig in Altersteilzeit gehen und nicht so lange im Parla-ment bleiben würde.
Was wir in der Großen Koalition wollen, ist eine deut-liche Verbesserung der Beschäftigungschancen ältererMitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Ich halte das für not-wendig, und auf diesem Weg sind wir ein gutes Stückweitergekommen; denn wir brauchen diese Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter in der Zukunft. Machen wir unsdoch nichts vor: Den Azubiberg, den wir eine ganze Zeitlang zu bewältigen hatten, wird es in Bälde nicht mehrgeben. Spätestens im Jahre 2012 – das sage ich den Un-ternehmen voraus – werden sie den roten Teppich aus-rollen müssen, um überhaupt einen Auszubildenden zubekommen.
Für diesen Bereich, Herr Schneider, brauchen wir dieAltersteilzeit ganz sicherlich nicht mehr.
Ich möchte, dass die Menschen, die über Erfahrungverfügen und mitten im Leben stehen – heute steht je-mand mit 60 oder 65 mitten im Leben, denn seine Le-benserwartung liegt bei über 80 Jahren –, weiter im Be-rufsleben bleiben.
Liebe Kollegin Nahles, das wird für den überwiegendenTeil auch notwendig sein, weil wir gerade aufgrund derdemografischen Entwicklung diese Menschen brau-chen. Selbstverständlich gibt es welche, die es nichtmehr schaffen; auch diese hatte ich bereits in meinerSprechstunde. Ich glaube allerdings nicht, dass man die-sen Menschen empfehlen sollte, in Altersteilzeit zu ge-hen. Das funktioniert bei der Zielgruppe, die Sie ange-sprochen haben, mit Sicherheit nicht.
Die demografische Entwicklung ist so, wie sie ist.Machen wir uns nichts vor: Wir alle werden älter. Das istgut so. Wir haben pro Jahr 30 Tage mehr Lebenserwar-tung. Das heißt, innerhalb von zehn Jahren steigt unsereLebenserwartung um beinahe ein Jahr an. Dementspre-chend haben wir richtig reagiert, als wir die Rente mit 67bdmFssSKz2nIgNlaiFDnawön1fuafwddsttgwB
ch habe mir – ich habe hier ja noch gewisse Beziehun-en – die Zahlen für den Groß- und Außenhandel inordrhein-Westfalen geben lassen; diese Unternehmeniegen in der Größenordnung zwischen 20 und 100 Mit-rbeitern. Wissen Sie, wie viele der 90 000 Mitarbeitern Altersteilzeit gegangen sind? Es gab einen einzigenall im Groß- und Außenhandel in Nordrhein-Westfalen.as zeigt, es wird in ganz anderen Bereichen angewandt.Daraufhin habe ich bei der Bundesagentur für Arbeitachgefragt, welche Branchen es denn sind, in denen amllermeisten die Altersteilzeit in Anspruch genommenird. An erster Stelle – man höre und staune – steht derffentliche Dienst.
Öffentliche Verwaltungen und Sozialversicherungenehmen ihn an erster Stelle in Anspruch. 15 Prozent der05 000 in Altersteilzeit Befindlichen sind aus dem öf-entlichen Dienst.
An zweiter Stelle steht das Gesundheits-, Veterinär-nd Sozialwesen. Auch hier können Sie wieder davonusgehen, dass diese Bereiche in großen Teilen zum öf-entlichen Dienst gehören.An dritter Stelle steht das Kreditgewerbe – das sindahrscheinlich die Sparkassen –, und dann kommen erster Maschinenbausektor und die Automobilhersteller.Das sind die großen Bereiche, die bereits 50 Prozenter gesamten Altersteilzeit abdecken. Das heißt, im We-entlichen ist es eine Subventionierung der kleinen Be-riebe zugunsten der Großen und des öffentlichen Diens-es obendrein.
Das haben wir erkannt, und deshalb sind wir richti-erweise zu dem Schluss gekommen, dass es so nichteitergehen kann.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir geben in diesemereich immerhin 1,5 Milliarden Euro aus. Das sind
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16840 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Dr. Michael Fuchs0,2 Beitragspunkte in der Arbeitslosenversicherung,die uns eigentlich zur Verfügung stünden. Genau hiermüssen wir ansetzen.
Wir wollen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer netto mehr in der Tasche haben. Das geht nichtüber die Umverteilerei. Ich weiß: Sobald Sie von denLinken irgendwo Geld sehen, kommen Sie sofort auf dieIdee – davon kann man ausgehen –, dass es umverteiltwerden muss. Sie wollen Masse, um sie umzuverteilen.Das ist doch Ihr Ziel. Etwas anderes tun Sie doch nicht.
Deswegen bin ich dafür, dass wir die geltende Rege-lung so schnell wie möglich auslaufen lassen, damit wirdas Geld denjenigen, die es aufbringen, nämlich den Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie den Unter-nehmen, zurückgeben können. Das ist unser Job, das istunsere Aufgabe.
Ich hoffe, dass es uns – wiederum so bald wie mög-lich – gelingt, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherungweiter zu senken. Denn die Spanne zwischen dem Nettoder Arbeitnehmer und den Kosten, die in den Löhnenenthalten sind, ist immer noch zu groß.
Jeder Altersteilzeitfall wird mit 32 000 Euro aus derKasse der Bundesagentur für Arbeit subventioniert. Daszeigt, wie gefährlich es ist und dass hier erhebliche Gel-der verschwendet werden, die wir besser denjenigen ge-ben sollten, die sie aufbringen müssen.
Deswegen sollten wir auch darauf achten, dass wir al-les tun, um ältere Arbeitnehmer durch Qualifizierungs-maßnahmen oder Anreize im Arbeitsbereich in den Be-trieben zu halten. Es macht keinen Sinn, zu glauben,dass wir das Problem lösen können, indem wir die älte-ren Arbeitnehmer aus den Betrieben herausnehmen. Dasfunktioniert nicht. Auch die Großindustrie darf diesesInstrument nicht mehr anwenden. Es ist eben – das wis-sen wir alle – missbräuchlich verwendet worden,
und deswegen sollten wir seine Verwendung jetzt aus-laufen lassen. Auf die bisher praktizierte Weise kannman den demografischen Wandel nicht gestalten. Daskönnen wir nur mit anderen, vernünftigen Instrumenten.Wir müssen über viele Dinge nachdenken. Da wirdKreativität notwendig sein. Was der Kollege Kolb ebengesagt hat, ist nicht falsch.
Es gibt eine ganze Reihe von Personen, die durchaus inder Lage sind, unter Inkaufnahme von Abschlägen frü-hüwwRVAnubGHRllmitDAmLWehsbSbzdnAimewawd
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Wolfgang
rotthaus das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren! Wenn man als Letzter in einer Diskussion an dereihe ist, dann gibt es viel zu sagen. Herr Fuchs, Ihr zu-etzt genanntes Zitat finde ich prima. Es bedeutet näm-ich, dass sich Linke – dazu zählt sich auch die SPD –
it den gesellschaftlichen Problemen immer noch vielntensiver auseinandersetzen, als Sie es in Ihrer Rede ge-an haben.
aher könnte ich jetzt mit Ihnen einen Streit anfangen.ber Ihre Ausführungen stehen heute nicht zur Abstim-ung; zur Abstimmung stehen vielmehr die Anträge derinken.Ich will den Linken gleich mit auf den Weg geben:ir werden diese Anträge natürlich ablehnen, so wie wirs auch im Ausschuss getan haben. Wir werden fest-alten, dass Sie mit diesen Anträgen inhaltlich zu kurzpringen. Hier geht es nur um den Erhalt dessen, wasisher gilt – mit einigen wenigen Verbesserungen.Eine dieser Verbesserungen – zumindest aus Ihrericht – will ich Ihnen benennen; Herr Schneider, Sie ha-en das in Ihren Ausführungen dargestellt. Sie sagenum Beispiel: Wenn jemand 40 Jahre lang gearbeitet hat,ann muss er ohne Abschläge in die Rente gehen kön-en. Ich gehöre einem Jahrgang an, der mit 16 in dieusbildung gegangen ist. Kollegen von mir sind mit 14n die Ausbildung gegangen. Nach Ihren Vorstellungenüssten sie mit 54 ohne Abschläge in Rente gehen undlf Jahre zusätzliche Rentenzeit bekommen können. Dasäre für den, der davon betroffen ist, toll. Sie machenber keine Vorschläge, wie das zu finanzieren ist. Icharte nur darauf, dass Sie irgendwann vorschlagen: voner Hochschule gleich in die Rente.
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Wolfgang GrotthausDiesen Vorschlag würden wir natürlich auch ablehnen.In unserem System wird die Rente nämlich von Men-schen finanziert, die im Arbeitsleben stehen.Genau diesen Punkt betonen Sie hier immer wieder,Herr Schneider. Sie sagen: Wir, die Linken, haben diebesten Ideen, und ihr, die Regierungskoalition, habtdiese Ideen nun umzusetzen und euch obendrein Gedan-ken darüber zu machen, wie diese Umsetzung zu finan-zieren ist. So ist Ihre Aufgabenverteilung. Wir werdenIhnen jedes Mal, wenn es um dieses Thema geht, denSpiegel vorhalten. Auf Ihre Vorschläge werden wir nichteingehen. Wir sagen: Mit Ihren Anträgen springen Sie zukurz.Aus meiner Sicht stellt sich die Frage: Wann stoßenMenschen an ihre psychischen und physischen Gren-zen, und wie lassen sich diese Grenzen im Interesse derMenschen ausdehnen? Wie ist es möglich, dass der eineoder andere nicht so schnell unter dem Burn-out-Syn-drom, das Sie genannt haben, leidet? Wie ist es möglich,dass man Arbeitsplätze schafft, die den Körper nicht sostark belasten, wie sie es heute tun?Altersteilzeit ist eine Maßnahme, um Betroffenen ge-recht zu werden. Das gilt zum Beispiel für den oft zitier-ten Dachdecker. Das ist Fakt. Auch der Fliesenlegerkann seinem Job mit 60 Jahren im Wesentlichen nichtmehr nachgehen. Er hat die Chance, in die Altersteilzeitzu gehen – wenn wir sie denn erhalten. Aber wie siehtes mit der sowohl physisch als auch psychisch kaputten45-jährigen Frau aus, die in der Krankenpflege tätig ist?Welches Angebot machen Sie dieser Frau? Sie kannnicht in Altersteilzeit gehen!Deswegen muss man sich fragen: Ist Altersteilzeit daseinzige richtige Mittel, oder sollten nicht noch mehrMöglichkeiten in Betracht gezogen werden? Ich denkeda an einen Dreiklang aus Altersteilzeit – in welchenFormen auch immer, ob Teilrente oder Langzeitarbeits-konten –, aus lebenslangem Lernen zum Beispiel inForm der betrieblichen Ausbildung und aus Prävention.All das gehört dazu; das muss angesprochen werden,auch wenn Ihnen das jetzt nicht gefällt.
Diesen Dreiklang muss es also geben. LebenslangesLernen statt Aussortierung lautet eine Devise. Nach demheutigen System wird die eben genannte 45-Jährige jaaussortiert; sie wird ausgemustert, weil sie keine Chancemehr hat. Deswegen müssen wir in die Köpfe der Men-schen hineinbringen, dass lebenslanges Lernen notwen-dig ist, und dieses muss auch von den Betrieben geför-dert werden. Ich habe erleben müssen, wie technischeZeichner, die 55 Jahre alt waren, vom Arbeitgeber unterDruck gesetzt worden sind, doch bitte aus dem Betriebauszuscheiden, weil sie das computergestützte Zeichnennicht beherrschten. Stattdessen sind dann aber keineAuszubildenden, sondern 35-Jährige eingestellt worden.Genau das wollen wir aber nicht.Weiterhin ist es auch richtig, dass wir Prävention vielstärker in das Bewusstsein der Menschen bringen. Prä-vsjfsebdNShkhkthsAdwbtdaanwnwwCkgDsnhüWrmdnzsgHsaitw
ie müssen geradezu Überstunden machen, um über-aupt einigermaßen ihren Lebensunterhalt bestreiten zuönnen. Deswegen müssen wir in diesem Zusammen-ang auch über Mindestlöhne bzw. gerechte Löhne dis-utieren.Das Themenspektrum muss also sehr stark ausgewei-et werden und darf sich nicht ausschließlich auf den In-alt Ihrer Anträge konzentrieren. Wir können Ihnen ver-ichern: Ja, wir haben Ideen. Diese Ideen werden wir inntragsform gießen. Die entsprechenden Anträge wer-en im Herbst dieses Jahres vorgelegt werden. Darinird es auch um altersgerechte Arbeitsplätze, um alters-ezogenes Personalmanagement, um intelligente Schich-enpläne und um vieles mehr gehen. Hier sind aber auchie Tarifvertragsparteien gefordert. Die wissen nämlichm besten, was notwendig ist, damit in den Betriebenltersgerechte Arbeitsplätze eingerichtet werden kön-en. Die wissen, in welcher Form Prävention betriebenerden muss.All das wird aber – das sage ich hier sehr deutlich –icht reichen, weil es immer mehr Menschen gebenird, die körperlich nicht mehr können. Denen müssenir über entsprechende Regelungen zur Altersteilzeit diehance geben, aus dem Berufsleben ausscheiden zuönnen. Deswegen muss es Altersteilzeit auch weiterhineben.
ie SPD hat hierzu in einem Diskussionspapier Vor-chläge unterbreitet. Es ist toll, dass die anderen Fraktio-en unsere Vorschläge aufgegriffen haben und in dereutigen Debatte darüber mehr diskutiert worden ist alsber die Anträge der Linken. Ihnen, Herr Schneider, möchte ich eines mit auf deneg geben, wenn Sie Ihren nächsten Antrag formulie-en: Im Zusammenhang mit Langzeitarbeitskontenuss nicht nur über den Insolvenzschutz diskutiert wer-en, sondern auch über die Vererbbarkeit. Es kann jaicht sein, dass dann, wenn einer, der ein volles Lang-eitarbeitskonto hat, verstirbt – das soll ja im Lebenchon einmal vorkommen –, dieses irgendjemandem zu-ute kommt, aber nicht der Witwe oder dem Witwer.ier ist Kapital angesammelt worden. Deswegen müs-en wir auch über die Vererbbarkeit reden. Wir müssenuch darüber reden, ob ein solches Langzeitarbeitskontom Nachhinein mit Sozialversicherungsbeiträgen belas-et werden darf, was sich ja auf die Rente auswirkenürde.
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Wolfgang Grotthaus
– Das ist toll, Herr Schneider. Deswegen habe ich Ihnendas ja mit auf den Weg gegeben. Sie werden dies be-stimmt aufgreifen, in nächster Zeit in den Bundestag ein-bringen und uns bei der Gelegenheit vorhalten, dass wires doch wieder ablehnen. Wenn es kurzfristig einge-bracht wird, werden wir es ablehnen müssen, weil wirdie Diskussion darüber noch nicht zu Ende geführt ha-ben.Abschließend ist festzuhalten: Unsere Zielsetzung istnicht, möglichst viele Ältere aus dem Arbeitsleben zuentlassen, sondern ist, ihnen größtmögliche Chancen zueröffnen, damit sie ihren Beruf weiterhin ausüben kön-nen. Das ist uns in den zurückliegenden Jahren immerbesser gelungen. Die entsprechenden Zahlen sind hierschon genannt worden. All das hat nicht nur etwas mitdem Wirtschaftsaufschwung zu tun, sondern auch mitden Maßnahmen, die die Bundesregierung unter sozial-demokratischer Führung eingeleitet hat. Ich erinnerezum Beispiel an die Initiative „50 plus“ oder an Instru-mente zur Reintegration von Menschen mit besonderenVermittlungshemmnissen.Wir verschließen also nicht die Augen davor, dass Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmern in besonders be-lastenden Berufen die Chance auf einen gleitendenÜbergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand eröff-net werden muss. Wir sagen aber gleichzeitig: Wir müs-sen versuchen, diese Belastungen weitestgehend zu mi-nimieren, damit die Menschen auch noch nach demAusscheiden aus dem Arbeitsleben gesund sind. Es giltalso zu vermeiden, dass Menschen krank aus dem Ar-beitsleben ausscheiden. Von daher müssen wir vorne ander Kette ansetzen: Gesundheit erhalten und die Mög-lichkeit schaffen, lange im Berufsleben zu bleiben, unddort, wo das nicht möglich ist, gleitende Übergänge zuschaffen.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 16/9067 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-ses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 16/6749. DerAusschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfeh-lung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linkeauf Drucksache 16/4552 mit dem Titel „Altersteilzeitfortentwickeln“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-lung? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? –Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen derUnionsfraktion, der SPD-Fraktion, der FDP-FraktionuSAmbklBfdFu2
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Änderung des Heimkehrerstif-tungsaufhebungsgesetzes– Drucksache 16/9058 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
RechtsausschussHaushaltsausschuss gemäß § 96 GOb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-kommen vom 24. September 2005 zwischender Regierung der Bundesrepublik Deutsch-land und der Regierung der Vereinigten Ara-bischen Emirate über die Zusammenarbeit imSicherheitsbereich– Drucksache 16/9039 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Auswärtiger AusschussRechtsausschussc) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung des Bevölkerungsstatistikgesetzes– Drucksachen 16/9040, 16/9079 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Rechtsausschussd) Beratung des Antrags der Abgeordneten KerstinAndreae, Dr. Thea Dückert, Dr. WolfgangStrengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter undder Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENVergaberecht reformieren – Rechtssicherheitschaffen – Eckpunkte für die Reform des Ver-gaberechts– Drucksache 16/8810 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Auswärtiger AusschussInnenausschussRechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
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Vizepräsidentin Petra PauAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungHaushaltsausschusse) Beratung der Unterrichtung durch die Delegationder Bundesrepublik Deutschland in der Ostsee-parlamentarierkonferenz16. Jahrestagung der Ostseeparlamentarier-konferenz vom 27. bis 28. August 2007 in Berlin– Drucksache 16/7809 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger AusschussAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Tourismus12 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zurÄnderung des Seelotsgesetzes– Drucksache 16/9037 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungZP 2 a)Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbes-serung der grenzüberschreitenden Forde-rungsdurchsetzung und Zustellung– Drucksache 16/8839 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschussb) Beratung des Antrags der Abgeordneten KlausHofbauer, Dirk Fischer , Dr. Hans-Peter Friedrich , weiterer Abgeordneter undder Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeord-neten Heinz Paula, Uwe Beckmeyer, SörenBartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPDZwölf-Tage-Regelung in Europa wieder ein-führen– Drucksache 16/9076 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Tourismusc) Beratung des Antrags der Abgeordneten DanielBahr , Heinz Lanfermann, Dr. KonradSchily, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDPVerbesserung der Finanzsituation der Kran-kenhäuser– Drucksache 16/9057 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für GesundheittdüFEzenmzgwmuGbsmr
Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, ElisabethScharfenberg, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKrankenhäuser zukunftsfähig machen– Drucksache 16/9008 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für GesundheitEs handelt sich um Überweisungen im vereinfach-en Verfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen anie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuberweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 l auf.s handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen,u denen keine Aussprache vorgesehen ist.Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 28 a:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-nen CDU/CSU, SPD, FDP, DIE LINKE undBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-wurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderungdes Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung„Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“– Drucksache 16/8870 –Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-schusses
– Drucksache 16/9109 –Berichterstattung:Abgeordnete Stephan Mayer
Maik ReichelDr. Max StadlerUlla JelpkeSilke Stokar von NeufornDer Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-mpfehlung auf Drucksache 16/9109, den interfraktio-ellen Gesetzentwurf auf Drucksache 16/8870 anzuneh-en. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurfustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gibt es Ge-enstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Der Gesetzent-urf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenom-en.Dritte Beratungnd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ichitte diejenigen, die den Gesetzentwurf ablehnen wollen,ich zu erheben. – Gibt es jemanden, der sich enthaltenöchte? – Dann ist der Gesetzentwurf auch in dritter Be-atung einstimmig angenommen.Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 28 b:– Zweite und dritte Beratung des von den Frak-tionen der CDU/CSU und der SPD eingebrach-ten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Ände-rung des Conterganstiftungsgesetzes– Drucksache 16/8743 –
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Vizepräsidentin Petra Pau– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs einesErsten Gesetzes zur Änderung des Con-terganstiftungsgesetzes– Drucksache 16/8653 –Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
– Drucksache 16/9025 –Berichterstattung:Abgeordnete Antje BlumenthalMarlene Rupprecht
Ina LenkeElke ReinkeBritta Haßelmann
– Drucksache 16/9026 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Ole SchröderPetra Hinz
Otto FrickeRoland ClausAnna LührmannDer Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Ju-gend empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlungauf Drucksache 16/9025, den Gesetzentwurf der Fraktio-nen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/8743 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, dem Gesetzent-wurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegen-probe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit inzweiter Beratung angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-wurf ist damit auch in dritter Beratung einstimmig ange-nommen.Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-che 16/9025 empfiehlt der Ausschuss, den Gesetzent-wurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/8653 zurÄnderung des Conterganstiftungsgesetzes für erledigt zuerklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Die Gegenprobe! – Wer möchte sich enthalten? – DieBeschlussempfehlung ist damit einstimmig angenom-men.1)Tagesordnungspunkt 28 c:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Rechtsausschusses zu demAntrag der Abgeordneten Mechthild Dyckmans,Hans-Michael Goldmann, Jens Ackermann, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion der FDPldspeduttdigghmFEn1) Anlage 3
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Erwirtschaftet wird unser Wachstum von den vielenenschen, die Tag für Tag hart arbeiten, von Arbeitneh-erinnen und Arbeitnehmern, von Unternehmerinnennd Unternehmern. Sie sind das Rückgrat unseres ge-ellschaftlichen Wohlstands. Aber Arbeit ist weit mehrls nur ein Weg, um Einkommen zu erzielen. Arbeit ister Schlüssel für gesellschaftliche Teilhabe überhaupt.eswegen sind die folgenden Zahlen so wichtig, weitber wirtschaftliche Überlegungen hinaus.Die Zahl der Erwerbstätigen steigt kontinuierlich. Sieird erstmals im Jahresdurchschnitt über der Marke von0 Millionen liegen. Ursache ist vor allem die erfreulichtarke Zunahme der sozialversicherungspflichtigen Be-chäftigung. Es ist uns erstmals gelungen, über 27 Mil-ionen Menschen in sozialversicherungspflichtiger Be-chäftigung zu haben. Deswegen ist es nicht richtig,
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Parl. Staatssekretär Klaus Brandnerwenn manche behaupten, die guten Nachrichten vomArbeitsmarkt seien vor allem auf mehr geringfügige Be-schäftigung zurückzuführen. Das Gegenteil ist richtig:Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist inden letzten 12 Monaten mit 2,5 Prozent deutlich stärkergewachsen als die geringfügige Beschäftigung mit nur1,7 Prozent.Die zweite gute Entwicklung: Die Zahl der Arbeitslo-sen sinkt weiter. Im April 2008 gab es 1,6 Millionen Ar-beitslose weniger als vor drei Jahren. Das entspricht fastder Einwohnerzahl einer Stadt wie Hamburg. Im letztenJahr konnten wir uns über den mit Abstand stärkstenRückgang der Arbeitslosigkeit in der Geschichte derBundesrepublik Deutschland freuen. Diese gute Ent-wicklung geht weiter. Für dieses Jahr erwarten wir einenweiteren Rückgang um gut 500 000 auf dann knapp3,3 Millionen Arbeitslose. Damit werden wir die nied-rigste Arbeitslosenzahl seit 15 Jahren erreichen.Mehr Beschäftigung bedeutet zugleich mehr Einnah-men für alle Zweige der Sozialversicherung. Das kannman in Zahlen fassen: 100 000 Beschäftigte mehr bedeu-ten rund 1 Milliarde Euro Mehreinnahmen bei der So-zialversicherung. All das führt dazu, dass wir Hand-lungsspielräume gewinnen.In diesem Zusammenhang möchte ich an folgendePunkte erinnern. Diese Handlungsspielräume geben unsdie Möglichkeit, ein hohes Leistungsniveau zu erhalten.Außerdem können Maßnahmen, mit denen auf neue He-rausforderungen reagiert werden muss, finanziert wer-den. Die neuen Handlungsspielräume haben zudem dieAbsenkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherungvon 6,5 Prozent Ende 2006 auf heute 3,3 Prozent ermög-licht. Für den Haushalt der Bundesagentur für Arbeitkann man schon heute prognostizieren: Ein Defizit vonknapp 5 Milliarden Euro, wie wir es noch im Haushalts-plan 2008 unterstellt haben, wird es nicht geben.All diese Entwicklungen belegen nachdrücklich, dassdie Strukturreformen am Arbeitsmarkt erfolgreich sind.Wir arbeiten ehrgeizig weiter, indem wir die Vermittlungständig verbessern, die Weiterbildung vorantreiben undmithelfen, dass es mehr und gute Arbeit gibt.Dabei haben wir heute Vollbeschäftigung als realisti-sches Ziel vor Augen. Zugegebenermaßen: Noch müs-sen wir dazu das Fernlicht einschalten; aber wir nähernuns diesem in der Vergangenheit oft als nicht mehr er-reichbar bezeichneten Ziel mit beachtlichem Tempo. Er-folgreiche Arbeitsmarktpolitik ist das Ergebnis erfolgrei-chen Handelns in einer Vielzahl von Politikbereichen.Besonders gefordert sind dabei natürlich die Sozial-, dieWirtschafts- und die Finanzpolitik des Bundes. Gewissist: Wir bleiben ehrgeizig, steuern weiter auf diesemKurs und werden so dazu beitragen, dass die Arbeitslo-sigkeit in unserem Land weiter kontinuierlich abgebautwird.Herzlichen Dank.
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Sie können sich ja noch mehr freuen, Frau Kollegin. –ngesichts dunkler Wolken der internationalen Finanz-rise und des vorausgesagten Wachstumsrückgangs im-erhin von 2,5 Prozent in 2007 auf etwa 1,4 Prozent in009 dürfen wir es aber nicht bei einem oberflächlichenchulterklopfen der Politik belassen, schon deshalbicht, weil die Politik gerade dieser Regierung sehr we-ig zu dem positiven Zwischenstand beigetragen, ihnurch falsche Weichenstellungen sogar behindert hat.
Wir müssen schon genauer hinsehen: Was sind dennas für Arbeitsplätze? In vielen Unternehmen werdeneitarbeiter eingesetzt – mit steigender Tendenz.
ies zeigt uns zweierlei: Zum einen sehen viele Arbeit-eber große Unsicherheiten in der konjunkturellen Ent-icklung. Zum anderen ist unser Arbeitsmarkt nach wieor durch zu starre Eintrittsbarrieren behindert.
a die Koalition auf diesem Gebiet reformunfähig ist,
rägt sie die Verantwortung für den Anstieg der Zahl dereiharbeitsverhältnisse.Wie abgehoben viele Politiker reden, zeigen die aktu-llen Studien über das Schrumpfen der sogenannten Mit-elschichten in Deutschland. Wir haben bereits vor einemahr gefordert, dass die Politik die Mitte unserer Gesell-chaft nicht vergessen darf. Das sind diejenigen Men-chen, die täglich aufstehen, ihre Kinder zur Schule brin-en und dann zur Arbeit gehen. Das sind Menschen miturchschnittlichen Gehältern wie der 37-jährige Baulei-er mit 4 400 Euro im Monat, der davon 2 000 Euro Steu-rn und Abgaben zahlt. Es sind diejenigen Menschen, die
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Martin Zeilweder Transferleistungen in Anspruch nehmen noch inSteueroasen flüchten, die mit ihrer Hände Arbeit ihrenLebensunterhalt selbst finanzieren. Diese Menschen füh-len sich ausgenommen und bestraft.
Vor acht Jahren gehörten noch 62 Prozent der Deut-schen zur Mittelschicht. Heute sind es nur 54 Prozent.Bis zum Jahre 2020 wird weniger als die Hälfte der Be-völkerung ein Einkommen auf Durchschnittsniveau er-zielen. Das sind 10 Millionen Menschen weniger alsnoch Anfang der 90er-Jahre.Die Politik der schwarz-roten Regierung – massiveSteuererhöhungen, staatliche Preistreiberei auf vielenGebieten, zum Beispiel im Energiebereich – hat dieseEntwicklung noch verschärft.
Von den versprochenen Beitragssatzsenkungen sindper saldo nur Erhöhungen übrig geblieben. Das ist derGrund, warum die Menschen vergeblich darauf warten,dass der Aufschwung auch bei ihnen ankommt. Es reichtnicht, dass die CSU als kleinster Teil der Koalition dieSpendierlederhosen anzieht und der staunenden Bevöl-kerung ein Steuersenkungstheater vorspielt; es ist diegleiche Union, Herr Kauder, die in dieser Legislatur-periode voller Inbrunst insgesamt 19 Steuererhöhungenmitbeschlossen hat.
Herr Kauder, wer theoretisch für Steuersenkungen ein-tritt, praktisch aber die Steuern am laufenden Band er-höht, ist ungefähr so glaubwürdig wie der Brandstifter,der nach der Feuerwehr ruft.Diese Art von gespaltenem Bewusstsein kennen wirja zur Genüge. Auch beim Gesundheitsfonds werden inBayern Forderungen aufgestellt, die nicht zu dem pas-sen, was in Berlin beschlossen wurde. Das Schlimme ist:Die Zeche zahlt der Bürger mit steigenden Beiträgen undschlechteren Leistungen.
Wir haben Ihnen mehrfach Gelegenheit gegeben, imDeutschen Bundestag endlich ein einfacheres und ge-rechteres Steuersystem mit niedrigeren Steuersätzen ein-zuführen. Sie hätten unserem Gesetzentwurf nur zustim-men müssen. Die Normalverdiener – das ist die vonIhnen vergessene Mitte – rufen zu Recht nach einer Ent-lastung. Auch die Wirtschaftsinstitute haben kürzlich ge-sagt, dass die Regierung angesichts der guten Entwick-lung endlich die Steuern senken sollte.
Aber: Das Verwirrspiel geht ja bereits weiter: Die Ko-alition hat eine absolut mittelstandsfeindliche Erbschaft-steuerreform verabredet.In dieser Woche hören wir im Rahmen des Know-how-Transfers die Wirtschaftsjunioren an. Ein jungerMdwfwJkhssbcKHmlszJaWwbfrIvhidtd&
Gerald Weiß (CDU/CSU):Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Lieber Kollege Zeil, diese Kassandrarufe kannan nicht mehr hören. Wir haben 1,6 Millionen Arbeits-ose weniger als vor zwei Jahren, wir haben 1 Millionozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr als vorwei Jahren, wir haben robustes Wachstum im drittenahr, und auch das vierte Jahr wird trotz der Problemeuf dem internationalen Immobilienmarkt stabil sein.
ir haben eine gute, gesunde volkswirtschaftliche Ent-icklung, aber Sie üben sich in Kassandrarufen. Dasringt uns nicht weiter. Mit diesen Kassandrarufen hel-en Sie uns nicht weiter.
Sie können jetzt sagen, das sei ein internes, von regie-ungsnaher Seite ausgestelltes Zeugnis. – Zugegeben.ch will Ihnen aber auch drei Stimmen aus dem Auslandorhalten:Erstens. Das renommierte World Economic Forumat in seinem jüngsten Report festgestellt: Deutschlandst eine der fünf wettbewerbsfähigsten Volkswirtschaftener Welt.Zweitens. Deutschland ist der attraktivste Investi-ionsstandort in Europa. Das hat eine internationalurchgeführte Befragung von Führungskräften von Ernst Young ergeben.
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Gerald Weiß
Drittens. Die Auslandspresse schreibt – der eineschreibt es vom anderen ab –: Deutschland erlebt seinzweites Wirtschaftswunder.Wenn Sie uns schon nicht glauben wollen, sollten Siediesen internationalen Stimmen glauben. Wir sind nichtam Ziel; das kann keiner behaupten. Was stabilesWachstum, mehr Arbeit und mehr Sicherheit anbetrifft,sind wir zwar nicht am Ziel, aber wir sind in Deutsch-land auf einem guten Weg. Das ist unbestreitbar.
Die Politik der Regierung unter dem Leitmotiv „Sa-nieren, Reformieren, Investieren“
ist erfolgreich. Wenn Sie behaupten – das Bild wollenSie ja zeichnen –, der Aufschwung sei wie Manna vomHimmel gefallen, dann darf man in aller Bescheidenheitsagen: Natürlich haben die Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer, die Unternehmer, die Selbstständigen unddie fleißigen und innovativen Manager alle dazu beige-tragen. Zum Teil sind auch beachtliche Opfer gebrachtworden. Aber ohne bessere wirtschaftspolitische Rah-menbedingungen in Deutschland und ohne bestimmtestrategische Entscheidungen der Großen Koalition –
– ich will Ihnen jetzt gerade ein bisschen entgegenkom-men, Frau Pothmer – und teilweise auch – nach Irrungenund Wirrungen – der Vorgängerregierung gäbe es diesenstabilen Aufschwung in Deutschland nicht. Er trägt jetztFrüchte.
Herr Zeil, er ist nicht vom Himmel gefallen,
vielmehr hat die Große Koalition ein 25-Milliarden-Euro-Programm gestartet und beim Wachstum kluger-weise kein Strohfeuer entfacht, sondern an Wachstums-treibern angesetzt. Wir geben jetzt beispielsweise 6 Mil-liarden Euro mehr für Spitzenforschung in Deutschlandaus. Das setzt an einem entscheidenden Wachstumstrei-ber an und wird uns strategisch helfen, dieses Land wei-ter voranzubringen und zu stabilisieren.Sie haben eben von den steigenden Abgaben, den zu-nehmenden Sozialabgaben gesprochen. Haben Sie dennnicht bemerkt, dass wir den Arbeitslosenversicherungs-beitrag in zwölf Monaten von 6,5 auf 3,3 Prozent prak-tisch fast halbiert haben? Ist das an Ihnen vorbeigegan-gen?
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Letztes Beispiel – meine Redezeit ist abgelaufen –:ie Nettoneuverschuldung wurde von uns von nahezu0 Milliarden Euro auf jetzt 13 Milliarden Euro redu-iert. Das ist nicht die Endstation Sehnsucht, wir müsseniesen Weg weitergehen. Auch das ist nicht vom Him-el gefallen, sondern eine Frucht beachtlicher Anstren-ungen. Das heißt, diese Koalition, diese Regierung hatich mit großem und nachhaltigem Erfolg für diesesand eingesetzt. Die Früchte sind sichtbar.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist nun der Kollege Herbert Schui
ür die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu einerüchternen Bestandsaufnahme sind die Redebeiträge deroalition bislang nicht gekommen.
tattdessen gab es einiges Eigenlob auch für vergangenechandtaten, zum Beispiel für die Agenda 2010 undartz IV. Was eigentlich macht die Beschäftigungspoli-ik seit der deutschen Vereinigung und davor aus, gleich-ültig ob Kohl, Schröder oder Merkel regieren? Ichenne einige Zahlen: Der Bedarf an Arbeitsstunden sinkttetig. 1991 haben die Arbeitnehmer rund 52 Milliardenrbeitsstunden geleistet. Im Jahr 2007 waren es nochnapp 47 Milliarden; das heißt 8 Prozent weniger. Dienzahl der Arbeitnehmer ist dagegen von 1991 bis 2007m 0,5 Prozent – und auch nicht mehr – gestiegen.Wie erklärt sich der in etwa gleichbleibende Beschäf-igungsstand? Das ist ganz einfach: Sie haben mit Ihrerolitik bewirkt, dass die einzelnen Arbeitnehmer je Wo-he weniger Stunden arbeiten, nämlich 28,4 Stunden jeoche im rechnerischen Durchschnitt im Jahr 1991 und6 Stunden je Woche im rechnerischen Durchschnitt imahr 2007. Das ist ein Rückgang um 8,5 Prozent. Weilie durchschnittliche Wochenarbeitszeit pro Arbeitneh-er um ein halbes Prozent mehr gesunken ist als die An-ahl der geleisteten Arbeitsstunden, ist es im Saldo zu ei-er Zunahme der Beschäftigung um 0,5 Prozentekommen. Das ist die ganze Mystik Ihres Beschäfti-ungsaufschwungs.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16849
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Dr. Herbert SchuiDas ist doch eine stramme Leistung. Da sollten Sie mitEigenlob nicht sparen.
Das ist aber noch nicht die ganze Geschichte: In Prei-sen von 2007 beträgt der preisbereinigte Nettolohn imJahr 1991 12,69 Euro, im Jahr 2007 sind es 13,03 Euro,für den gesamten Zeitraum von 1991 bis 2007 also34 Cent pro Stunde mehr. In den vergangenen 16 Jahrenist die Arbeitsproduktivität je Stunde aber um 34 Prozentgestiegen. Damit hätte der Stundenlohn selbst bei unver-änderter Verteilung des Volkseinkommens auf Lohn undProfit in den letzten 16 Jahren auf 17 Euro steigen müs-sen. Das entspricht nicht 34 Cent mehr, sondern4,31 Euro.Was folgt daraus? Ihre Beschäftigungspolitik hattezur Folge, dass Arbeitszeit und Wochenlohn in den letz-ten 16 Jahren gesunken sind. Daher musste die Armuts-quote steigen. Näheres lesen wir wahrscheinlich im Ar-mutsbericht, den die Regierung wohl nach dieserFeierstunde veröffentlichen wird.Wie sieht Ihr Konzept aus? Der Bedarf an Arbeits-stunden sinkt. Die Gesetzgebung schafft miserabel ent-lohnte Teilzeitarbeitsplätze; da und dort sind sie sogarsozialversicherungspflichtig. Indem die Vollzeitbeschäf-tigung und damit die Einkommen reduziert werden, wirddas Niveau der Beschäftigung gehalten. Die Gesetzge-bung sorgt für mehr Wettbewerbsdruck auf dem Arbeits-markt. So kommt es dazu, dass die Gruppe der soge-nannten arbeitenden Armen, der working poor, wächst,und zwar auch bei Vollzeitbeschäftigung.In Ihren Debattenbeiträgen lassen Sie die Wirklich-keit nicht zu Wort kommen. Sie rechnen uns etwas fürdie Jahre 2005 bis 2007 vor, dann hoffen Sie auf die Zu-kunft und machen das Fernlicht an. Weil die Beschäfti-gung in diesen beiden Jahren, in den Jahren 2005 und2007, um 800 000 Personen gestiegen ist, findet sich dieRegierung und besonders die Kanzlerin toll. Von Armutdagegen reden Sie nicht.Was aber sagen Sie dazu, dass die Beschäftigung inden Jahren 1998 bis 2000 um 1,253 Millionen gestiegenist, nachdem sie zuvor gesunken war? Das war vorHartz IV. Wie erklären Sie, dass die Beschäftigung seitder Vereinigung Deutschlands um 190 000 Personen ge-stiegen ist? Wie erklären Sie Ihre Arbeitslosenstatistik?Bedenken Sie, dass das Arbeitspotenzial nicht mehr indem Ausmaß zunimmt, wie es früher der Fall war. Be-denken Sie auch, dass die stille Reserve zunimmt.
Das alles sind Entwicklungen, die nicht Folge Ihrer Poli-tik sind.Es muss eine ernsthafte Arbeitsmarkt- und Beschäfti-gungspolitik her. Beschließen wir endlich einen gesetzli-chen Mindestlohn, mehr Rechte für die Beschäftigtenund mehr Mitbestimmung.SsudfzmtlbSthtuwuvfvhgsGsMsevS2ewdgsAufsddCBmwgM
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Rolf StöckelWir wollen eine starke Industrie und innovative mit-telständische Unternehmen. Wir richten den Blick aberauch auf die Beschäftigungspotenziale in der Kreativ-wirtschaft, die inzwischen eine ähnliche Wertschöpfungwie etwa die Chemiebranche erzielt.Es geht nicht nur um ökonomische Chancen; zugleichmüssen wir uns der Verantwortung für die ökologischenFolgen des bevorstehenden, geschichtlich einmaligenWachstumsprozesses stellen. Damit wir unseren Plane-ten Erde nicht überfordern, brauchen wir so rasch wiemöglich moderne, umweltfreundliche Produkte zu be-zahlbaren Preisen; wir sollten einen wesentlichen Anteilan ihrer Entwicklung und Herstellung haben. Umwelt-freundliche Energien, Maschinen, die mit weniger Ener-gie auskommen, Produkte aus neuen Materialien stattaus teuren Rohstoffen bergen unsere größten Zukunfts-chancen auf zusätzliche, sichere Arbeitsplätze.Die Ausgrenzung von alleinerziehenden Frauen, älte-ren Arbeitnehmern, Migranten und behinderten Men-schen sowie die fehlenden Bildungschancen vonKindern aus benachteiligten Familien stellen heute inDeutschland die größten Risiken für eine stabile wirt-schaftliche Entwicklung dar und sind die wichtigste Ur-sache dafür, dass Armutsrisiken steigen und sich die Ein-kommensschere weiter öffnet.Im Übrigen ist jeder Arbeitsplatz, der neu entsteht,nicht nur ein Gewinn für den Menschen, der der Arbeits-losigkeit entkommt; er führt zu sinkenden Beiträgen zurSozialversicherung für alle Arbeitnehmer. Die Politik fürmehr Beschäftigung verschafft den Leistungsträgern un-serer Gesellschaft, denen wir Sozialdemokraten uns be-sonders verpflichtet fühlen, Vorteile: der Krankenpflege-rin, dem Facharbeiter, dem Angestellten und demverantwortlich handelnden Unternehmer.Für Sozialdemokraten – es bleibt dabei – steht derMensch im Mittelpunkt der Wirtschaft. Darum ist derGrundsatz „gute Arbeit“ der Kompass unserer Politik.
Was bedeutet das? Wer eine Vollzeitbeschäftigung hat,muss von dem Lohn dieser Arbeit leben können. Darumkämpfen wir mit den Gewerkschaften für branchenspezi-fische Mindestlöhne und für einen gesetzlichen Mindest-lohn.
„Gute Arbeit“ bedeutet aber auch: Leiharbeit darfnicht für Lohndumping oder Tarifflucht missbrauchtwerden, sondern nur der Bewältigung von Auftragsspit-zen dienen und eine Brücke in den regulären Arbeits-markt sein. „Gute Arbeit“ heißt auch, strukturelleLohnunterschiede zwischen Frauen und Männern zuüberwinden, mehr prekäre Jobs in reguläre Arbeitsver-hältnisse zu überführen, die Mitbestimmung in den Be-trieben zu erhalten sowie die Weiterbildung und Qualifi-zierung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zufördern.Wer das Ziel der Teilhabe aller an Wohlstand undWachstum ernst nimmt, muss sich an erster Stelle zur ge-wkunpkglEvnddpglnuWvCWMMKiZPIsIanDAkimugvmm
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
ollegin Brigitte Pothmer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es istnteressant, wie sich die Zeiten ändern: 1976 war dieahl von 1,2 Millionen Arbeitslosen Anlass für düstererognosen im Hinblick auf Wirtschaft und Gesellschaft.m Jahr 2008 wird die Zahl von 3,4 Millionen Arbeitslo-en quasi als Vorabend der Vollbeschäftigung gefeiert.ch habe den Eindruck, dass die langanhaltende Massen-rbeitslosigkeit zu einer starken Relativierung der Wahr-ehmung der gesellschaftlichen Probleme geführt hat.
amit will ich – das betone ich – die Reduzierung derrbeitslosigkeit in den letzten Jahren wirklich nichtleinreden. Mehr Menschen haben wieder Arbeit, das istnsbesondere für die Betroffenen ein Erfolg.
Ich will nicht behaupten, dass Vollbeschäftigung un-öglich ist. Dass Vollbeschäftigung möglich ist, habennsere europäischen Nachbarn, zum Beispiel die Dänen,ezeigt. Vollbeschäftigung fällt jedoch nicht wie Mannaom Himmel, Herr Weiß, Vollbeschäftigung erreichtan nur durch konsequente und harte Arbeit an Refor-en.
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Brigitte Pothmer
Genau dies haben die Dänen getan. Das Gleiche hat dierot-grüne Regierung getan; ihre Arbeit ist es, die jetztzunehmend Erfolge zeitigt.
Ich will unmissverständlich sagen – auch wenn Ihnendas vielleicht nicht gefällt, Herr Weiß –: Die Entspan-nung auf dem Arbeitsmarkt ist das Ergebnis unsererReformpolitik, und sie ist das Ergebnis der guten Kon-junktur. Die CDU/CSU ist in dieser Hinsicht nur Tritt-brettfahrer; ein anderes Zeugnis kann ich Ihnen leidernicht ausstellen.
Im Gegenteil: Ich muss Ihnen vorwerfen, dass Sie diegegenwärtige Phase wirklich guter Konjunktur nicht nut-zen, um weitere dringend notwendige Reformen voran-zubringen.
Ich sage Ihnen: Die nächste Abschwächung der Kon-junktur kommt. Dann wird sich rächen, dass Sie sichdarauf in keiner Weise vorbereitet haben. Die Anfängeder nächsten Konjunkturabschwächung sehen wir schonjetzt: Die Zahl der offenen Stellen stagniert, und der Ar-beitsmarkt ist nach wie vor tief gespalten. Daran hat die-ser Konjunkturaufschwung leider nichts geändert.
Im Gegenteil: Deutschland hat den größten Niedriglohn-sektor in ganz Europa.
Innerhalb dieses Niedriglohnsektors haben wir diegrößte Zahl an Arbeitsplätzen, für die Löhne unter5 Euro gezahlt werden. Diese deutsche Besonderheitlässt sich auf einen zentralen Fehler zurückführen: dasses in Deutschland keinen Mindestlohn gibt. Trotz dieserdramatischen Entwicklung blockiert die CDU/CSU ei-nen Mindestlohn.
– Natürlich ist das so, und das muss Ihnen peinlich sein,Herr Weiß! Sie müssen mit Ihren Jungs über den Min-destlohn reden! So geht es doch nicht weiter.
Ich weiß nicht, ob jemand von Ihnen auf den Mai-demonstrationen war. Mir sind da häufig Plakate begeg-net, auf denen stand: Habe Arbeit, brauche Geld.
BshAtZWtATndsMnWzmusssgSdtwfHhKmsPsd
um ersten Mal haben wir die Situation, dass zwar dieirtschaft wächst, aber das Einkommen der Beschäftig-en nicht. Über diese Besonderheit des konjunkturellenufschwungs müssen wir reden.Die Reallöhne werden auch in diesem Jahr trotz ineilen guter Lohnabschlüsse weiter sinken, nämlichoch einmal um 1,2 Prozent. Es zeigt sich hier ganzeutlich, dass das Versprechen von Frau Merkel – Wohl-tand für alle – wirklich ein hohles Versprechen ist.Ich sage abschließend noch einmal: Wir brauchen denindestlohn dringend, und zwar nicht nur, weil er öko-omisch und sozial notwendig ist.
ir brauchen ihn auch deshalb dringend, weil wir nichtusehen können, wie die gesellschaftliche Spaltung im-er größer wird.Jetzt noch einmal ein Wort an die lieben Kolleginnennd Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion: Ich finde, daelbst die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung davonpricht, dass wir auf dem Weg in eine neue Klassenge-ellschaft sind, sollten auch bei Ihnen einmal die Alarm-locken klingeln.
ie sollten dafür sorgen, dass der Aufschwung auch beienen ankommt, die am wenigsten Geld haben. Ansons-en ist der soziale Zusammenhalt in dieser Gesellschaftirklich tief gefährdet.Ich danke Ihnen.
Nächster Redner ist der Kollege Bartholomäus Kalb
ür die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Herr Staatssekretär Brandner und Kollege Weißaben ja schon dargestellt, welchen Beitrag die Großeoalition dazu geleistet hat, Wachstum auszulösen undehr Beschäftigung zu sichern. Diese Aktuelle Stundeteht ja auch unter der Überschrift, wie wir langfristigeerspektiven entwickeln können, um Wachstum, Be-chäftigung und Wohlstand zu sichern.In einer McKinsey-Studie wird darauf hingewiesen,ass wir in den nächsten Jahren vor ganz anderen
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Bartholomäus KalbHerausforderungen stehen werden. Dabei geht es um dieVerfügbarkeit von qualifizierten Mitarbeitern inDeutschland. Bereits im letzten Jahr ist eine Delegationdes Deutschen Bundestages von einer amerikanischenFührungspersönlichkeit mit der Bemerkung begrüßtworden: Das größte Problem aller westlichen Industrie-nationen wird in den nächsten Jahren sein, noch ausrei-chend qualifizierte Mitarbeiter zu haben. – Wir stehenalso vor völlig neuen Herausforderungen.
Ich füge hinzu: Die Wettbewerbsfähigkeit Deutsch-lands wird in der Zukunft nicht mehr so sehr von derSteuerlast der Unternehmen als von der Steuer- und Ab-gabenlast des Erwerbstätigen bzw. des Arbeitnehmersbeeinflusst werden. Das wird die neue Herausforderungfür uns sein.
Die Bedingungen für die Menschen haben sich grund-legend geändert. Für junge Menschen ist die Spracheheute keine Barriere mehr. Nationalstaatliche Grenzengibt es praktisch nicht mehr. Kollege Zeil, ich glaube,Sie haben darauf hingewiesen: Die Tendenz zur Abwan-derung aus unserem Land – insbesondere von hochquali-fizierten Menschen – können wir uns nicht leisten. Dasstellt uns vor völlig neue Herausforderungen.
Der frühere Bundesarbeitsminister Müntefering hatzur Begründung der Rentenrechtsänderung zu Recht da-rauf hingewiesen, dass sich die Zahl der Erwerbsfähigen– nicht der Erwerbstätigen – von derzeit rund 45 Millio-nen in wenigen Jahren auf 37 Millionen reduzieren wird.Das heißt, der Wohlstand in unserem Land muss von im-mer weniger Menschen erarbeitet und erwirtschaftetwerden. Das muss Konsequenzen haben.
Eine Konsequenz ist, wie bereits dargestellt, dass wirunseren Wohlstand eben nicht mehr durch die Kredit-finanzierung, die Staatsverschuldung bewahren undfinanzieren können. Eine andere Konsequenz ist, dasswir zu ausgeglichenen Haushalten kommen müssen, wiewir das auch fest eingeplant und verabredet haben. Na-türlich muss das auch Konsequenzen im Bereich desRentenrechts bzw. der Alterssicherung haben. Auch dortsind wesentliche Schritte eingeleitet worden. Eine wei-tere Konsequenz ist natürlich, dass das Thema „qualifi-zierte Bildung und Ausbildung“ mittlerweile in den Mit-telpunkt der gesamten gesellschaftlichen Diskussiongetreten ist.
Das gilt insbesondere für die Länder, die dafür auch ganzüberwiegend zuständig sind.Kollege Weiß hat darauf hingewiesen: Wir habendurch die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversi-cgsTrvsgsusddCrdwtkDwneisuwfHcLelinEdkcFi
Nächste Rednerin ist die Kollegin Edelgard Bulmahn
ür die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenerren und Damen! Demokratie lebt von dem Verspre-hen auf Teilhabe: Teilhabe an Bildung, am kulturelleneben, an Arbeit und am Wohlstand. Dieses Versprecheninzulösen, ist die wichtigste politische Aufgabe.
Wenn es uns nicht gelingt, dieses Versprechen einzu-ösen, dann – das wissen wir – verliert jede Demokratiehr Fundament. Deshalb hat sich diese Koalition vorge-ommen, drei Ziele zu erreichen, nämlich erstens dieinnahmesituation zu verbessern, zweitens die Verschul-ung zu verringern und drittens in die wichtigen Zu-unftsaufgaben zu investieren.
Dass diese Entscheidung richtig war, zeigt die Tatsa-he, dass sich die Wirtschaft trotz der internationaleninanzkrise und der damit verbundenen Schwierigkeitenn einer stabilen und guten Verfassung befindet. Die Zahl
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Edelgard Bulmahnder Arbeitslosen ist so stark gesunken wie seit 15 Jahrennicht mehr. Wir haben 1,6 Millionen Arbeitslose weni-ger. Das sind Menschen, die wieder am Arbeitsprozessteilhaben können.Die kleinen und mittleren Unternehmen erweisen sichals stabiles Rückgrat unserer Wirtschaft. Auch die gro-ßen Unternehmen sind so gut aufgestellt, dass sie sichinternational behaupten können.Wir erwarten in diesem Jahr ein reales Wachstum desBruttoinlandsprodukts von 1,7 Prozent.Aber ich will nicht verschweigen, dass das gesamt-wirtschaftliche Wachstum immer noch zu sehr auf einemBein steht. Es ist gut, dass wir 2007 zum fünften Mal inFolge Exportweltmeister waren. Das zeigt die Leistungs-fähigkeit und Stärke der deutschen Wirtschaft. Wenigergut ist, dass der Binnenmarkt und die Binnenmarktnach-frage nicht so stark sind, wie sie sein müssten.Es ist entscheidend, dass wir stabil auf beiden Beinenstehen. Wir müssen deshalb unsere Anstrengungen, dieArbeitslosigkeit zu verringern, und vor allen Dingen zuerreichen, dass jeder von seiner Arbeit auch leben kann,fortsetzen. Wir dürfen nicht auf halbem Wege stehenbleiben.
Deshalb sage ich ausdrücklich, dass die von uns verein-barte branchenbezogene Einführung des Mindestlohns,wenn die Tarifvertragsparteien dies wollen, ein richtigererster Schritt ist. Aber wir dürfen nicht dabei stehen blei-ben. Wir brauchen einen Mindestlohn, damit wir einzweites starkes Bein haben – eine starke Binnennach-frage.An die Adresse von Herrn Zeil und Herrn Schui:Wirtschaftliches Wachstum, Verringerung der Arbeitslo-sigkeit und Armutsbekämpfung erreicht man nicht durchKassandrarufe, genauso wenig wie durch Steuerge-schenke.
Herr Zeil, die wichtigste Aufgabe, die wir zu bewältigenhaben, besteht darin, Kindern und Jugendlichen eine ex-zellente Ausbildung zu ermöglichen und sicherzustellen,dass jeder eine gute Bildung und Ausbildung erhält. Nurweil vielleicht gerade Landtagswahlen anstehen, sollteman nicht landauf, landab populistisch Steuergeschenkeversprechen und sich einen Dreck darum kümmern, wo-her das notwendige Geld für die Finanzierung der Bil-dung kommt. Letzteres fällt schließlich nicht vom Him-mel.
Die Lehrerinnen und Lehrer müssen gut bezahlt werden.Die Schulen müssen gut ausgestattet werden. Es mussFreude machen, in eine Schule zu gehen. Wir müsstenschon jetzt jedes Jahr zusätzlich 12,3 Milliarden Euro fürdie Bildung ausgeben, wenn wir so gut sein wollten wieddSBGdwmEwwSrslmDtswBWunJkdnaHzdsfeDszddI
s ist leicht, sich hier hinzustellen und zu sagen: „Hättenir mal …“ Als es darauf ankam, hätte ich mir ge-ünscht, dass Sie gesagt hätten: Gut und richtig, dassie das machen! – Was haben Sie in den Landesregie-ungen, an denen Sie beteiligt sind, zur Verbesserung derchulischen und der frühkindlichen Bildung getan? End-ich verbessern wir die frühkindliche Bildung; das istehr als überfällig. Das ist auch keine neue Erkenntnis.as wissen wir bereits seit 20 Jahren. Jeder, der nun sout, als ob er dies nicht gewusst hätte, sagt etwas Fal-ches.
Herr Zeil, auch für eine starke Forschung und Ent-icklung brauchen wir Steuermittel, genauso wie für dieildung. Wir sind deshalb so leistungsfähig, und unsereirtschaft wächst deshalb, weil wir so gut in Forschungnd Entwicklung sind. Aber auch hier fällt das Geldicht vom Himmel. Das schafft man nicht in ein, zweiahren. Hier muss man langfristig und kontinuierlichlare Schwerpunkte setzen. Es ist zwingend notwendig,ass wir, die Bundesregierung, das fortsetzen. Aber ge-auso wichtig ist es, dass die Bundesländer ihre Haus-ufgaben erfüllen. Aber auch die Wirtschaft muss ihreausaufgaben erfüllen. Sonst werden wir unser 3-Pro-ent-Ziel deutlich verfehlen.
Frau Kollegin, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.
Wir müssen eine gute Ausbildung und Qualifikation,
as heißt ein leistungsfähiges Bildungssystem, eine
tarke Forschung und Entwicklung sowie eine leistungs-
ähige Infrastruktur mit Steuermitteln finanzieren, weil
s sonst kein wirtschaftliches Wachstum geben wird.
eshalb darf man nicht leichtfertig Steuergeschenke ver-
prechen. Wirtschaftliches Wachstum ist die Vorausset-
ung dafür, dass wir diese Aufgaben erfüllen können und
amit die Arbeitslosigkeit verringern können.
Ich möchte mit einem Satz von Ferdinand Lassalle,
em Gründer meiner Partei, schließen.
Aber nur ganz kurz, Frau Kollegin; denn Sie habenhre Redezeit schon weit überschritten.
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Ferdinand Lassalle hat gesagt: „Politik ist, immer zu
sagen, was ist.“ Das habe ich getan.
Vielen Dank.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun das Wort der
Kollege Wolfgang Meckelburg.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Ich finde, die heutige Aktuelle Stunde zum Thema„Wachstum und Beschäftigung als Grundlage wirtschaft-licher Sicherheit“ ist notwendig; denn ich glaube, dass inder öffentlichen Diskussion in den letzten Monaten derEindruck entstanden ist, als ginge es in Deutschland stän-dig bergab, als gäbe es hier nur Altersarmut und Kinder-armut, nur negative Themen.
Große Schuld daran tragen Sie von der Fraktion DieLinke.Das Weltbild, das Sie, Herr Schui, gerade hier vorge-stellt haben, ist ziemlich weit von der Realität entfernt.Das ist eine Statistik nach dem Motto: Wenn ein Fuß-ballspieler einmal auf den linken und einmal auf denrechten Pfosten schießt, dann hat er im Schnitt ein Torgeschossen. – So geht es natürlich nicht.
Deswegen nehme ich mir heraus, das Bild ein wenig zu-rechtzurücken.Herr Schui, wir sollten bei der Politik, die wir ma-chen, vom Normalfall ausgehen. Nach unserem Ver-ständnis besteht der Normalfall darin, dass man Arbeithat und mit dem Einkommen, das man mit der Arbeit er-wirtschaftet, sich selbst und eine Familie ernähren kann.Das ist unser Ziel. Bei Ihnen kann ich das Ziel überhauptnicht erkennen. Sie sind ständig dabei, Ansatzpunkte zusuchen, wie man durch Kleinigkeiten sogenannte sozialeGerechtigkeit herstellen kann.
Sie sagen aber niemandem, woher Sie das Geld nehmenwollen und wie all das finanziert werden soll.
Das ist das Problem bei Ihrem Weltbild.
Ich werde Sie nicht überbeanspruchen. Bei fünf Minu-en Redezeit werde ich nicht die ganze Zeit auf Sie ver-enden. – Ich will genau das tun, woran es mangelt,ämlich – wenn es sein muss, zum zehnten Mal – die Da-n nennen und klar sagen, was hier in Deutschland pas-iert ist. Wir haben inzwischen – das ist der Stand vompril 2008 – 3,4 Millionen Arbeitslose. Der Höchststandm Wahljahr 2005 lag bei über 5 Millionen Arbeitslosen.eute sind es 1,6 Millionen Arbeitslose weniger.
ahr für Jahr, Stück für Stück wurde die Arbeitslosigkeitbgebaut. Wer hätte das zu Beginn dieser Legislaturpe-iode erwartet. Das ist ein Erfolg. Wir sind inzwischeno weit, dass wir nicht nur die Menschen, die Arbeitslo-engeld I beziehen, wieder in Arbeit bringen, sondernuch die Langzeitarbeitslosen. Das ist schwieriger alsei denen, die Arbeitslosengeld I beziehen, aber auch daassiert etwas. Es muss Ziel unserer Politik sein, Men-chen in Arbeit zu bringen und nicht darüber nachzuden-en, wie man noch hier und da einen Cent ausgebenann, damit sich die Leute wohlfühlen. Das ist Politik.hr Verständnis, Herr Schui, ist ein völlig anderes.
Bei den offenen Stellen haben wir eine positive Ent-icklung. Was ich bei keiner Debatte verschweigen werde,t die Entwicklung bei der sozialversicherungspflichtigeneschäftigung. Wir haben in den letzten Jahren unter Rot-rün 65 Monate lang einen Rückgang der sozialversiche-ungspflichtigen Beschäftigung erleben müssen. Unserlakat lautete damals: Jeden Tag 1 000 weniger. – Dierendwende hat im vorletzten Jahr angefangen. Die Ent-icklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungt jetzt positiv. Auch in den letzten drei Monaten ist die Zahlestiegen. Wir haben jetzt 27,1 Millionen sozialversiche-ungspflichtig Beschäftigte. Das sind 663 000 mehr als vorinem Jahr, 1,3 Millionen mehr als vor zwei Jahren.
as ist genau die Arbeit, die wir brauchen, weil die Be-chäftigten die Sozialsysteme und die Steuern bezahlen.s handelt sich um diejenigen, deren Geld Sie ständigusgeben wollen. Das ist der Unterschied.
Ich bin dabei, die Erfolge dieser Bundesregierung her-orzuheben. Die lasse ich mir durch Ihre Zwischenrufeicht kaputtmachen.
ir haben 1,3 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen.ehmen Sie das zur Kenntnis, Herr Schneider. Sie je-enfalls haben dazu keinen Beitrag geleistet.
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Wolfgang MeckelburgIm Gegenteil: Die Vergangenheit, die Ihre Partei zu ver-antworten hat, hat dazu geführt, dass wir größereSchwierigkeiten zu bewältigen haben.
Die Entwicklung wird so weitergehen. Wenn man dasFrühjahrsgutachten der Wirtschaftsinstitute liest und hört,was Professor Rürup sagt, kann man optimistisch sein.Herr Rürup erwartet zum Jahresende 2008 weniger als3 Millionen Arbeitslose und im Jahresschnitt 2008 rund3,47 Millionen Arbeitslose. Das wäre eine Quote von8,0 Prozent. Wir liegen jetzt schon bei 8,1 Prozent undsind bei über 12 Prozent gestartet. An der Zahl kann manerkennen, was sich wirklich verändert hat. Das ist dieGrundlage. Das ist wichtig für uns, weil es sonst keineSteuerzahler gibt und niemand in die Sozialversicherun-gen einzahlt. Wir brauchen Menschen, die arbeiten. Die-ser Trend wird weitergehen. Ich bin sicher, dass dieWirtschaftsweisen recht haben, dass wir in diesem undim nächsten Jahr weiterkommen werden und im Schnittdes Jahres 2009 eine Arbeitslosenzahl haben werden, dieunter 3 Millionen liegen wird. Das ist ein Erfolg, undden lassen wir uns von Ihnen nicht zerreden. Allein da-für lohnt es sich, diese Aktuelle Stunde durchzuführen.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriele Lösekrug-
Möller für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es sindvon meinen Vorrednerinnen und Vorrednern schon sehrviele richtige Zahlen genannt worden, die beschreiben,wie gut die wirtschaftliche Entwicklung und die Ent-wicklung auf dem Arbeitsmarkt sind und wie sehr daseine mit dem anderen zusammenhängt. Wenn ich sage,dass es richtig ist, in dieser Aktuellen Stunde das, wassich positiv entwickelt hat, in den Vordergrund zu stel-len, verehrter Herr Kollege Schui, dann wissen Sie, dassich nicht von Ihren Zahlen spreche.Ihre politische Mathematik beginnt mit dem Ergebnis.Sie wollen auf Ihre Weise politisch argumentieren kön-nen und fangen an, Ihre politische Mathematik vom Er-gebnis her aufzubauen, sodass am Ende zum Beispieleine IG Metall, die eine 35-Stunden-Woche gefordertund über Jahre eingelöst hat, locker eingerechnet wird.Diesen Kollateralschaden nehmen Sie hin; mehr will ichzu Ihren Zahlen gar nicht sagen.
Die Zahlen, über die wir heute reden, sind ein Belegdafür, dass die politischen Entscheidungen der letztenJahre eine günstige wirtschaftliche Entwicklung beför-dert und damit zweifellos auch den Arbeitsmarkt beflü-gelt haben. Dennoch dürfen wir nicht darauf vertrauen,dbabSpsdsAgnmndlethwkADAvmtfgwgrLacülbngnwmsIDn
Deshalb sagt die SPD-Bundestagsfraktion, dass guterbeit her muss, und damit müssen wir im Parlament be-innen. Ich stehe hier sehr selbstbewusst und sage: Ge-au das liefern wir. In den Feldern Sozial- und Arbeits-arktpolitik müssen wir bei Leiharbeit und Mindestlohnoch gute Arbeit leisten. Das sind wir denjenigen schul-ig, die im Moment zu Recht nicht zufrieden sind.Wir müssen hinsichtlich Weiterbildung und lebens-angen Lernens mehr leisten. Das sollte im Übrigen auchine Herausforderung für Mandatsträger sein.In den Zeitungen der letzten Tage wird der Fachkräf-emangel beklagt. Ja, das ist eine große Sorge, die wiraben. Mich wundert allerdings, dass er erst jetzt beklagtird, obwohl viele Unternehmen Vorsorge hätten treffenönnen, indem sie rechtzeitig mehr ausgebildet hätten.uch das ist ein Teil der Wahrheit.
Unser Ziel ist ohne Frage die Vollbeschäftigung.enn wir wollen nicht hinnehmen, dass die Zukunft desrbeitsmarktes von Fachkräftemangel einerseits undon hoher Arbeitslosigkeit andererseits geprägt ist. Dasüssen wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mit-eln bekämpfen. Denn für uns gilt, dass es gute Arbeitür alle geben muss. Das beginnt bei Berufseinsteigern,eht über kluge Angebote für alle Übergänge in der Er-erbsbiografie – wir wissen, dass es davon immer mehreben wird – und reicht bis hin zur besseren Absiche-ung gesundheitlicher Risiken.Ich möchte noch etwas zu den Erwerbstätigen sagen.aut einer Untersuchung von INQA sind 72 Prozent derbhängig Beschäftigten stolz auf ihre Arbeit. Entspre-hend hochwertig sind die Arbeitsergebnisse. Wir redenber diese Menschen und über ihre Arbeit, die wesent-ich zu dem Erfolg, den wir heute zu Recht formulieren,eigetragen haben. Deshalb müssen sie meiner Meinungach in den Mittelpunkt einer solchen Aktuellen Stundeehoben werden.In unserem Haus bewegt sich eine Kategorie, dieicht hierher gehört: Es sind die Unken. Sie alle wissen,ie sich Unken äußern. Schon in Brehms Tierleben kannan lesen, dass Unken zwar häufig, aber einfach und be-cheiden rufen. Das gilt auch für die „politische Unke“.hre Rufe hörten wir auch in dieser Aktuellen Stunde.
as Plenum des Deutschen Bundestages ist allerdingsicht der natürliche Lebensraum von Unken, gleich ob
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Gabriele Lösekrug-Möllersie Rot- oder Gelbbauchunken sind; diese leben übrigenswirklich in Mitteleuropa. Hier gehören sie nicht her.
Das Plenum des Deutschen Bundestages muss der Mit-telpunkt einer ehrlichen Beschreibung der Tatsachensein; da hat Ferdinand Lassalle recht. Insofern kann manzu Recht erwarten, dass von uns und von diesem Pultkonstruktive Lösungen für das, was besser werden muss,geliefert werden. Wir liefern. Wir stehen für gute Arbeit.Danke schön.
Für die Bundesregierung hat nun das Wort der Parla-
mentarische Staatssekretär Hartmut Schauerte.
H
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Von 2001 bis 2005, also vier Jahre lang,herrschte Stagnation. Wie war die Lage? Die Arbeitslo-sigkeit stieg, die Staatsverschuldung stieg, kein Wachs-tum; es herrschte überall große Verunsicherung. Heuteist die Lage anders: Die Arbeitslosigkeit sinkt, dieStaatsverschuldung liegt bei null.
– Ja. Ich kann auch noch ein paar andere Zahlen nennen,Frau Pothmer. – Es herrscht relative Zuversicht. DieZahl der Arbeitsplätze wächst. Nachdem die Ausbil-dungsplatzsituation unerträglich schlecht geworden war,wurden im Jahr 2007 626 000 Ausbildungsverträge ab-geschlossen. Für 2008 erwarten wir einen weiteren Zu-wachs von 11 Prozent. Wir können also zu sehr vielenBereichen sagen: Die Dinge haben sich gewendet undentwickeln sich sehr positiv.
Das darf man doch nicht leugnen.Man sollte allerdings einen Fehler nicht machen,nämlich zu sagen: Für das alles ist die Politik verant-wortlich. Wer realistisch ist, sagt – diese Auffassung ver-treten ich und auch Fachleute, die Schätzungen vorge-nommen haben –: Etwa zwei Drittel dieser Entwicklungsind das Ergebnis einer wiedergewonnenen, neuen Wett-bewerbsfähigkeit unserer Industrie, unserer Unterneh-men. Dem liegen der Fleiß und die Intelligenz der Unter-nehmer und ihrer Mitarbeiter zugrunde. Etwa ein Dritteldieser Entwicklung ist konkretem politischen Einflussgeschuldet. Die Politik hätte mehr kaputt machen kön-nen. Das ist meiner Meinung nach eine realistische Ana-lyse dessen, was passiert ist.Dazu gehört auch, dass wir in der europäischen Eini-gung weitergekommen sind. Das ist für Deutschland einSwEDgmo–waAfubashdEmsmkiEvdzpne2Zae1duHkbSezAdd
Ich will auf eine Frage eingehen, die in diesen Zusam-enhang gehört: Wollen wir den Menschen Zuversichtder Angst vermitteln, wenn wir Politik machen?
Ja, die haben wir erhöht, lieber Herr Kollege Koppelin,eil wir auch das Ziel verfolgen, die Staatsverschuldunguf null zu senken und damit die Gesellschaft von derngst vor der ewigen Nettoneuverschuldung zu be-reien. Das ist an sich ein wichtiges Ziel. Wir bewegenns hier nicht auf einer Einbahnstraße, sondern wir ar-eiten mit einer Vielzahl von Instrumenten. Dazu gehörtuch die Mehrwertsteuer.Übrigens haben wir die Beiträge zur Arbeitslosenver-icherung von 6,5 Prozent auf 3,3 Prozent gesenkt. Dasat für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowieie Unternehmen eine Entlastung von 25 Milliardenuro gebracht. Wir haben sehr unterschiedliche Instru-ente zur Erreichung dieses Ziels eingesetzt.Ich möchte auf einen sehr interessanten Punkt hinwei-en. Die Eigenkapitallage der mittelständischen Unterneh-en in Deutschland ist ein Zeichen von Zukunftsfestig-eit oder von Gefährdung. Ein Großteil der Arbeitsplätzest von dieser Eigenkapitallage abhängig. 2004 lag dieigenkapitalquote von Unternehmen mit einem Umsatzon 0 bis 50 Millionen Euro bei 7,7 Prozent. Heute liegtie Eigenkapitalquote dieser Unternehmen bei 15 Pro-ent. Die Quote hat sich also in drei Jahren rund verdop-elt. Die Eigenkapitalsituation von Unternehmen mit ei-em Umsatz von mehr als 50 Millionen Euro hat sichbenfalls verbessert: Deren Eigenkapitalquote ist von5 Prozent auf 28 Prozent gestiegen.Ich verweise auf das, was wir für die Steigerung derahl der Arbeitsplätze und damit für die Sicherung allernderen Arbeitsplätze erreicht haben. Man muss sichinmal Folgendes klarmachen: 2004/2005 gab es täglich000 Arbeitslose mehr. Damals hatten 70 bis 80 Prozenter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer massive Angstm ihren Arbeitsplatz. Das war eine brennende Sorge.eute gibt es jeden Tag 1 000 Arbeitsplätze mehr. Wirönnen heute sagen, dass weit über die Hälfte der Ar-eitnehmerinnen und Arbeitnehmer keine konkreteorge mehr um ihren Arbeitsplatz hat. Auch das ist einnormer Erfolg, den man gar nicht hoch genug einschät-en kann.
Die gewachsene Zuversicht bezüglich des Erhalts derrbeitsplätze und die gewachsene Zuversicht bezüglicher Eigenkapitalentwicklung – sie ist ein Merkmal fürie Zukunftsfähigkeit von mittelständischen Unterneh-
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Parl. Staatssekretär Hartmut Schauertemen – sind sehr positive und sehr wichtige Entwicklun-gen, die man auch benennen soll.Wenn ich mich einmal in Europa umsehe, komme ichzu dem Fazit: Deutschland ist im Vergleich zu den ande-ren großen europäischen Wirtschaftsnationen – England,Frankreich, Italien und Spanien – der wettbewerbsfä-higste, interessanteste und zukunftssicherste Standort.Dänemark ist ein interessanter Sonderfall. Dort liegtdie Staatsquote aber auch bei über 57 Prozent. Bei unsist Gott sei Dank die Staatsquote von 45 auf 43 Prozentgesunken. Deswegen kann man Dänemark nicht mitDeutschland vergleichen.
Wir können auch Norwegen und die Schweiz nicht alsVergleichsmaßstab heranziehen; denn die einen lebenvom Öl und die anderen vom Geld der Welt. Wir dage-gen müssen unseren Wohlstand selber erarbeiten. Abervor diesem Hintergrund sind wir verdammt gut aufge-stellt.Nun zum Thema Mindestlohn, sehr geehrte FrauPothmer: Ich habe wirklich gestutzt, als Sie uns vorwar-fen, wir seien reformunfähig und legten eine Verweige-rungshaltung an den Tag und behaupteten, die Vorausset-zung dafür, dass Deutschland zukunftsfest werde, sei dieEinführung eines gesetzlichen Mindestlohns.
Da staunen alle Fachleute dieser Welt.
Die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichenMindestlohns löst nicht die Probleme, er würde die Pro-bleme vergrößern. Deswegen können und werden wirihn nicht akzeptieren.
Jetzt stehen wir vor der Frage, wie wir unseren Kursfortsetzen. Die wirtschaftliche Entwicklung Deutsch-lands findet ja vor dem Hintergrund schwersten Be-schusses statt: Es gibt die Ölpreiskrise, es gibt die Fi-nanzmarktkrise, und es gibt einen immer schwächerwerdenden Dollar.
Jedes dieser Probleme alleine hätte vor Jahr und Tag diedeutsche Volkswirtschaft ins Wanken gebracht. Heutesagen uns die Professoren und Sachverständigen: Diedeutsche Volkswirtschaft ist so wettbewerbsfähig aufge-stellt, dass die allergrößten Chancen bestehen, dass sierelativ ungefährdet und relativ stabil diese drohende Si-tuation bewältigt.
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Nun stellt sich noch die Frage, was wir in Zukunft tunüssen, um die Motivation unserer Mitarbeiterinnennd Mitarbeiter zu verbessern. Die Steuerpolitik ist einittel. Dabei stehen wir vor der entscheidenden Frage,ie den Menschen mit 30 000 bis 60 000 Euro Jahres-inkommen wieder eine Perspektive eröffnet werdenann. Denen wird ja heute bei jeder Gehaltssteigerungin überproportional hoher Teil weggenommen. Hierfürine Lösung zu finden, ist die Aufgabe, die vor uns liegtnd mit der wir uns zuallererst beschäftigen müssen.on dieser Fragestellung sind ja 30 bis 40 Millionenenschen in Deutschland betroffen. Wir sollten nichtusschließlich Diskussionen über die Ränder der Gesell-chaft führen, sondern müssen auch in ihre Mitte hinein-ehen und uns fragen, wie wir hier für eine Entlastungorgen können.Ich will einmal eine Zahl nennen: Wenn ein Fachar-eiter, der derzeit 30 000 Euro im Jahr verdient – das ista wirklich nicht üppig, aber eine sehr häufig vorkom-ende Größenordnung –, 100 Euro Lohnerhöhung be-ommt, dann bleiben ihm von diesen 100 Euro 43 Euro.
as empfindet er als ungerecht. Diese Situation könnenuch wir nicht akzeptieren.
obald wir etwas Freiheit zum Handeln haben,
üssen wir an den entsprechenden Stellschrauben dre-en. Wir dürfen das nicht herauszögern, sondern müssen,obald wir etwas Freiheit zum Drehen an der Steuer-chraube haben, an dieser Stelle etwas tun. Die derzeitigeituation wirkt nämlich demotivierend und gefährdet dieettbewerbsfähigkeit.Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die motiviert sindlassen Sie mich das zum Schluss sagen –, bieten ja dieeste Garantie für hohe Ergebnisse und Wettbewerbsfä-igkeit. Mit den staatlichen Rahmenbedingungen, dieittlerweile für die Mitte der Gesellschaft gelten, machenir deren Motivation kaputt. Das müssen wir ändern.araus erwächst neue Zukunftsfestigkeit, neue Motiva-ion, neues Wirtschaftswachstum, neuer Schwung.Zugleich müssen wir gute Bildungs- und Technolo-iepolitik machen. Die entsprechenden Positionen bauenir ja aus. Wir tun mehr für Forschung und Technologie,rau Pothmer, als Rot-Grün in all den sieben Jahren ge-an hat.
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Parl. Staatssekretär Hartmut SchauerteAn keiner Stelle haben wir unsere Haushaltsansätze trotzaller Sparzwänge so deutlich angehoben wie in diesemBereich. Wir wissen also schon, wohin wir müssen. Wirbefinden uns auf einem guten Kurs. Deutschland ist sta-biler geworden. Im internationalen Wettbewerb könnenwir hervorragend bestehen. Deshalb werden wir die bis-herige Politiklinie fortführen.Bei dieser Aktuellen Stunde ging es ja – so habe ichdas jedenfalls verstanden – um eine Beschauung derLage unterwegs. So lassen Sie mich festhalten: Wennwir Ängste schüren, werden wir keine Höchstleistungenerzielen. Das wird uns nur gelingen, wenn wir mit Zu-versicht an die Dinge herangehen. Ich meine, die Bun-desregierung hat Deutschland gut aufgestellt. Helfen Sieuns als Parlamentarier dabei, dass das so bleibt. Wir sindimmer gespannt auf gute und neue Ideen. Anregungen,die wirklich etwas bringen, werden gerne aufgenommen,Frau Pothmer.Herzlichen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Doris Barnett für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! DasWetterhoch entspricht den Aussichten der Wirtschaftund des Arbeitsmarktes. Wir können mit einer robustenWirtschaft strahlen, und die Zunahme von sozialversi-cherungspflichtigen Arbeitsplätzen sorgt für immer grö-ßer werdendes Wachstum und für mehr Wohlstand in un-serem Land. Auch wenn Letzterer noch nicht bis in denletzten Winkel vorgedrungen ist, so kann ich doch fest-halten, dass sich die Reformen von BundeskanzlerSchröder jetzt auszahlen. Die Agenda 2010 war derSchlüssel, den wir umdrehen mussten, um endlich wie-der die Maschine zu starten.
Ja, es mussten harte Entscheidungen getroffen wer-den, und die Anstrengungen wurden nicht immer vonApplaus begleitet. Heute wissen wir, dass wir den richti-gen Weg eingeschlagen haben; denn die Erfolge gebenuns recht. Die Arbeitslosigkeit – Staatssekretär Brandnernannte die Zahlen – ist erheblich zurückgegangen. Im-mer mehr Menschen, die bisher allein auf staatlicheLeistungen angewiesen waren, können nun ihren Le-bensunterhalt selbst verdienen. Ihnen müssen wir beiden Abgaben helfen; denn es ist nicht die Steuerlast, diesie drückt. Die wachsende Zahl von Beschäftigten ent-lastet die Volkswirtschaft und schafft größeren Spiel-raum für notwendige Investitionen. Investitionen in Bil-dung, Wissenschaft und Forschung – das sind die ambesten angelegten Gelder, weil sie in den wahren Roh-stoff der Zukunft investiert werden: in die Menschen.
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eshalb ist Bildung von Anfang an, also bei den Kleins-en beginnend, die einzige Alternative, die wir haben.
ch freue mich, dass die Einsicht bezüglich Ganztags-chulen, ja sogar integrierter Gesamtschulen, also dereheimwaffe Finnlands, in unserem Land immer mehrm sich greift. Qualifizierte Arbeitskräfte werden drin-end gebraucht, aber die schütteln wir nicht von denäumen. Wir als Staat tun sehr wohl das Unsere. Auchie Unternehmen kommen immer mehr zu der Einsicht,ass Ausbildung kein Luxus ist, sondern eine Investitionn die eigene Zukunftsfähigkeit.Das haben wir, die Mitglieder des Unterausschussesegionale Wirtschaftspolitik, in der letzten Woche in ei-er ehemals strukturschwachen Region unseres Landes,n der Ems-Dollart-Region, erfahren können. Ich nenneier als Beispiel die Meyer-Werft in Papenburg, die dieraumschiffe für internationale Touristikunternehmenaut.
ie Auftragsbücher sind gut gefüllt, und das Unterneh-en ist auf Jahre hinaus auf hochqualifizierte Kräfte an-ewiesen. Die Ausbildungsquote liegt bei über 11 Pro-ent. Das kommt nicht von ungefähr. Frühzeitig hat dieirmenleitung erkannt, wie schnell es hier zu einemangel an Fachkräften kommt, den es im Norden bereitsibt. Aber durch die hohe Zahl an Auszubildenden istie Werft jetzt auf der sicheren Seite.Die ganze Region beweist, wie man mit eigenen Stär-en Wachstum und Arbeitsplätze schafft. Das wirkt sichogar grenzüberschreitend auf die holländischen Ge-einden aus, mit deren Unternehmen zusammengear-eitet wird.
eide Partner profitieren voneinander. So konnte im Ar-eitsmarktbezirk Leer die Arbeitslosigkeit signifikantesenkt werden. Sie liegt jetzt bei etwas über 4 Prozent.as ist fast Vollbeschäftigung in einer Region, die bis-ang als das Armenhaus Deutschlands galt.In vielen Regionen unseres Landes macht sich derufschwung bemerkbar. Wir dürfen uns jetzt aber nichtusruhen, denn er soll schließlich das ganze Land erfas-en. Auch muss er robust bleiben. Deshalb ist es jetzt soichtig, dass wir für unsere Unternehmen, insbesondereie mittelständischen, Auffanglinien einziehen. Eineanz wichtige davon ist das Entsendegesetz. Wenn dieuropäische Dienstleistungsrichtlinie voll greift, brau-hen wir in unserem Lande faire Wettbewerbsbedingun-en für unsere Unternehmen, sonst sind nicht nur die Ar-
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Doris Barnettbeitsplätze in Gefahr. Nein, ganzen Wirtschaftsbereichenkann dann das Aus drohen. Es wundert mich deshalbauch nicht, dass sich ganze Branchen bei MinisterScholz gemeldet haben und Aufnahme in das Entsende-gesetz anstreben.
Für sie ist demnach der Mindestlohn keine Bedrohung.Im Gegenteil: Er ist ein Schutz.
Das sehen wir etwas anders als der Kollege Schauerte.Wir wollen gute Europäer sein. Wir wollen als Loko-motive weiterhin kräftig für wirtschaftliches Wachstumsorgen. Dafür brauchen wir faire Arbeitsbedingungen fürdie Menschen, die mit ihrer guten Arbeit dieses Wachs-tum produzieren.Vielen Dank.
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Laurenz Meyer für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!In den letzten Tagen und Wochen gab es zwei Anstöße,die diese Debatte wesentlich befruchtet haben. Zum ei-nen war das die McKinsey-Studie über die ZukunftDeutschlands, übrigens mit der aufschreckenden Bot-schaft, die Mittelschichten seien in Aufruhr und ihr Stan-dard würde sinken. Zum anderen waren es die Vor-schläge der CSU zur Steuerpolitik. Beides hat endlich zueiner Diskussionslage geführt, in der wir uns mit denenbeschäftigen, die unsere Wirtschaft wirklich tragen: die-jenigen, die keine Transferleistungen, kein BAföG, keinWohngeld, mehr bekommen, die Facharbeiter, die Ange-stellten, die Handwerker.
Sie tragen unsere Wirtschaft und stellen unsere Zukunftdar.
Deswegen möchte ich zum Schluss dieser Debatte ausmeiner Sicht ein paar zusammenfassende Bemerkungenmachen:Erster Punkt. Wir werden in Deutschland keine Zu-kunft haben, wenn wir nicht ein klares Bekenntnis zumIndustriestandort Deutschland ablegen. Die Industrie-arbeitsplätze sind die Voraussetzung für hochqualifi-zierte Dienstleistungsarbeitsplätze. Ich entdecke zu vielIndustriefeindlichkeit und zu viel Ängstlichkeit, wenn esum neue Technologien in unserem Land geht. Dagegenmüssen wir angehen.
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ier bestehen Chancen, die wir nutzen müssen.
Mir fehlt ein klares Bekenntnis zu diesen Bereichen.ir haben da keine offensive Haltung. Ich glaube, das istas Entscheidende, was wir auch aus der Steuerdiskus-ion, aus der Diskussion um die Mittelschichten mitneh-en müssen.Es klang übrigens eben bei Frau Barnett an: Wir brau-hen Menschen, die wirklich motiviert sind, die mit Le-enslust, Engagement und Zukunftsoptimismus an dierbeit gehen, sowohl im Unternehmerbereich wie imrbeitnehmerbereich. Davon lebt unser Land und nichton der pessimistischen, kleinkarierten Grundhaltung,ie aus vielen Diskussionen, leider Gottes auf mehrereneiten, herauszuhören ist.
as muss ich auch angesichts der kleinkarierten Kriti-asterei sagen, die Sie zum Teil zurzeit hier vortragen.
Deswegen lassen Sie uns über Zukunftsfelder disku-ieren, die weit über das hinausgehen, was heute hierMindestlohn und Ähnliches – immer wieder gekom-en ist. Es geht um die Fragen: Wie können wir Unter-ehmen aus Universitäten heraus gründen, aus Universi-äten, die ihre Innovationen umsetzen können? Wieönnen wir die Finanzierung sicherstellen? Warum tunir uns so schwer, zum Beispiel mit Venture-Capital Be-ingungen zu schaffen, die international wettbewerbsfä-ig sind?
Zweiter Punkt. Auch die Bildungsfrage ist von Be-eutung. Da müssen viele Schützengräben übersprungen
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Laurenz Meyer
werden, übrigens auch bei uns. In der Bildungsfrage gehtes darum: Wie können wir bei dem Riesenbedarf anFacharbeitern und Akademikern, den wir haben, bil-dungsferne Schichten in der Zukunft in die Lage verset-zen, dass aus ihnen unsere zukünftigen Eliten kommen?Bei diesen Fragen müssen viele von uns – auf allenSeiten des Hauses übrigens, auch bei uns – ihre Vorstel-lungen überprüfen und zu neuen Ansichten kommen.Denn das sind die Kernfragen: Bildung, Zukunftssiche-rung durch Bildung. Dazu brauchen wir Kinder in unse-rem Land. Deshalb muss dafür gesorgt werden, dassauch in den Mittelschichten wieder mehr Kinder geborenwerden, dass die jungen Frauen Beruf und Familie untereinen Hut bekommen können. Solche Fragen werden indiesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle spie-len.
Deswegen ist es so wichtig, dass wir uns mit den betref-fenden Grundsatzfragen beschäftigen.Ein dritter Punkt in diesem Zusammenhang ist unsereInfrastruktur. Auf welche Art und Weise zum Teil überdie noch vorhandene gute Infrastruktur bei uns geredetwird – sei es im Verkehrsbereich, sei es im Bereich derTelekommunikation oder der Energie –, ist für michwirklich erschreckend.
Wir müssen hier die Weichen für die Zukunft stellen unddürfen nicht mit dem großen Füllhorn übers Land gehen,weil wir uns anschließend wundern würden, was dabeiherauskäme.Dass wir beispielsweise im Bereich der alternativenEnergien die Weichen für die Zukunft stellen müssen, istdoch völlig klar. Aber wir müssen dies, bitte schön, soeffizient wie möglich tun.
– Herr Kuhn, lassen Sie uns doch gemeinsam darübersprechen.Mich erschreckt, dass die Gefahr besteht, dass dietechnisch schlechtesten Fotovoltaikanlagen in Deutsch-land landen, weil sie aufgrund unseres Fördersystemshier noch untergebracht werden können. Bei uns müss-ten die besten Fotovoltaikanlagen produziert und instal-liert werden und nicht die, die man woanders auf demWeltmarkt nicht mehr unterbringen kann.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Bitte in dem
Zusammenhang ist: Lassen Sie uns über diese Grund-
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Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.Ich rufe die Zusatzpunkte 4 bis 6 auf:P 4 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPDZukunft der Bahn, Bahn der Zukunft – DieBahnreform weiterentwickeln– Drucksache 16/9070 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
InnenausschussRechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für TourismusHaushaltsausschussP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten HorstFriedrich , Patrick Döring, JoachimGünther , weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDPBahnprivatisierung zügig und konsequentbeschließen– Drucksache 16/8774 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für TourismusP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten WinfriedHermann, Bettina Herlitzius, Peter Hettlich, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENZukunft des Schienenverkehrs sichern– Drucksache 16/9071 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürie Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ichöre dazu keinen Widerspruch. Dann können wir so ver-ahren.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-er dem Kollegen Klaas Hübner das Wort für die SPD-raktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Kluge Politik ist es, auf neue Herausforderun-gen neue Antworten zu finden und nicht immer das Heilin alten Rezepten zu suchen. Das ist nicht immer ein-fach. Viele haben gerade uns Sozialdemokraten nicht zu-getraut, in der schwierigen Frage der Bahnreform zu ei-ner Lösung zu kommen.
Wir sind nicht nur zu einer Lösung gekommen, wir sindsogar zu einer guten sozialdemokratischen Lösung ge-kommen, und das bei der schwierigsten Frage, die wir indieser Legislatur zu bewältigen haben. Wir können des-halb heute im Deutschen Bundestag mit einem gewissenStolz sagen: Wir haben ein Modell entwickelt, das derKoalitionspartner mitträgt. Wir haben damit gezeigt: DieSPD ist regierungsfähig und regierungswillig, und dieseKoalition hat Gestaltungskraft.
Wir haben vor 14 Jahren mit der Bahnreform denGrundstein für eine moderne Deutsche Bahn AG gelegtund den Güter- und Personennahverkehr für den Wettbe-werb geöffnet. Dieser Wettbewerb funktioniert. DieDeutsche Bahn ist mit der Zeit von einer Beamtenbun-desbahn zu einem vorbildlichen, hochmodernen undkonkurrenzfähigen Verkehrsanbieter geworden.Nun stehen wir aber vor neuen Herausforderungen.Das Schienennetz stößt erkennbar an Kapazitätsgrenzen.Die Lärmbelastungen wachsen mit zunehmendem Schie-nenverkehr. Die europäischen Verkehrsmärkte öffnensich und bringen damit auch neue Chancen und Risiken.Auf diese neuen Herausforderungen brauchen wir auchneue Antworten.Seit der Deutsche Bundestag im November 2006 dieLeitlinien für die Weiterentwicklung der Bahnreform be-schlossen hat, haben wir uns intensiv mit verschiedens-ten Modellen beschäftigt. Wir haben – das gebe ich zu –dafür reichlich Zeit gebraucht. Aber es wäre blankerPopulismus, zu sagen, dass man auf solch komplexeSachverhalte immer einfache und kurze Antworten fin-den kann. Nach langen Diskussionen haben wir in derGroßen Koalition gemeinsam eine gute Antwort gefun-den.Es geht um die Zukunft der für viele Menschen not-wendigen und für die Verkehrspolitik nicht zu ersetzen-den Bahnen. Gerade bei so sensiblen, politisch hochbri-santen und komplexen Themen ist es richtig, Punktezweimal zu bedenken und auch Überlegungen zu ver-werfen, wenn sie sich als falsch erwiesen haben. Be-schäftigte, Kunden und Steuerzahler haben den berech-tigten Anspruch an uns, an die Politik, dass wir unsausreichend Zeit nehmen – das haben wir getan –, umdie unterschiedlichen Interessen aller Beteiligten sorg-fältig zu gewichten und auch zu berücksichtigen.Wir haben uns bei all diesen Überlegungen immervon folgenden Zielen leiten lassen:bwdeWzdsnsEbgiIvhDddadkmBldwsdAAmtJ
Drittens. Wir wollen, dass die 230 000 Beschäftigtener Deutschen Bahn einen sicheren Arbeitsplatz beiiner auskömmlichen Bezahlung haben.
ir wollen all das erreichen, ohne den Bundeshaushaltusätzlich zu belasten.
Mit dem vorliegenden Antrag skizzieren wir ein Mo-ell für die DB AG, das zukunftsweisend ist. Zum Erstentellen wir klar: Im Bereich der Infrastruktur ändern wirichts. Wir stellen damit sicher, dass die Infra-truktur – sprich: die Bahnhöfe, die Schienen und dienergieversorgung – zu 100 Prozent in Bundeseinflussleiben. Das ist eine aus allen Reihen dieses Hauses ofteäußerte Forderung. Der sind wir nachgekommen; dasst auch richtig so.Zum Zweiten werden wir an den Verkehrsbetriebennvestoren bis zu 24,9 Prozent beteiligen. Diese Grenzeon 24,9 Prozent ist für uns Sozialdemokraten nicht ver-andelbar.
as ist deswegen wichtig, weil wir damit sicherstellen,ass die Festlegung der Aufsichtsratsmandate und damiter Einfluss auf die Unternehmenspolitik der DB AGuf jeden Fall allein beim Bund bleiben; denn dadurch,ass ein Investor keine Schachtelbeteiligung habenann, kann es keinen verbrieften Anspruch geben, dortit einzusteigen. Damit stellen wir den Einfluss desundes vollständig sicher und haben trotzdem die Mög-ichkeit, privates Geld zu generieren, um unsere Ziele,ie uns im Bereich des deutschen Schienenverkehrsichtig sind, umzusetzen.
Wir haben es mit diesem Modell zum Dritten ge-chafft, den integrierten Konzern zu erhalten undamit – das ist uns sehr wichtig – den konzerninternenrbeitsmarkt zu sichern.
ufgrund dieses Modells ist es gelungen, gemeinsamit der DB AG und den Gewerkschaften einen Beschäf-igungssicherungsvertrag festzuklopfen, der bis zumahre 2023 reicht, also für 15 Jahre gilt.
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Klaas HübnerMan kann ja viel lamentieren. Aber dann, wenn es da-rauf ankommt, für die Beschäftigten wirklich etwas zutun – Beschäftigungssicherung ist etwas Handfestes –,ist man bei den Sozialdemokraten an der richtigenAdresse.
Wir werden neue Mittel generieren können. Wir ha-ben festgelegt, dass die Einnahmen zu einem Drittel demBundeshaushalt zugeführt und zu zwei Dritteln inDeutschland investiert werden: ein Drittel direkt durchdie DB AG, ein Drittel durch uns. Wir wollen damit vorallen Dingen Engpässe und Langsamfahrstellen beseiti-gen, was gerade im Hinblick auf die Seehafenhinter-landanbindungen extrem wichtig ist. Wir haben in dennächsten Jahren ein hohes Logistikaufkommen zu ge-wärtigen, das wir auch abtransportieren müssen. Dortmüssen wir dringend investieren. Jetzt bekommen wirdie notwendigen Mittel dafür.Wir wollen die Bahnhöfe und die Haltepunkte attrak-tiver machen. Wir wollen Lokomotiven und Wagen er-neuern, und wir wollen vor allen Dingen den Schienen-lärm gezielt bekämpfen.
Das ist eine Forderung, die oft gestellt worden ist, undzwar nicht nur die Rheinschiene betreffend. Es gibt inDeutschland mehr Verkehr und auch mehr Logistik; dieswollen wir auch. Aber wir wollen dem so gerecht wer-den, dass die Bürgerinnen und Bürger auch leben kön-nen. Darum müssen wir den Lärm an der Quelle be-kämpfen. Das können wir jetzt mit den neu gewonnenenMitteln.
Den vorgeschlagenen Maßnahmenkatalog könnenwahrscheinlich Sie alle unterschreiben. Aber es stelltsich ja auch die Frage, wie wir das seriös finanzieren.Seriös finanzierbar ist dies eben nicht, indem wir dieMittel einfach aus dem Bundeshaushalt nehmen oder,wie es die Linke will, die Neuverschuldung ins Exorbi-tante steigen lassen. Es ist keine generationengerechte,nachhaltige Politik, einfach die Lasten auf die kommen-den Generationen zu verschieben. Nein, klug ist es, dieAufgaben, die wir heute haben, auch heute zu finanzie-ren. Durch die Teilprivatisierung ist es uns möglich, dasGeld einzunehmen, das wir brauchen, um die verkehrs-politischen Ziele, die wir haben, umzusetzen.Wir werden mit der neuen Struktur der DeutschenBahn auf sehr schwierigem Terrain erfolgreich sein. Wirmachen das Unternehmen fit für die Zukunft. Wir wer-den die DB AG finanziell stärken. Wir werden sie orga-nisatorisch neu aufstellen, und die DB AG wird dieMöglichkeit haben, demnächst auch im europäischenWettbewerb zu reüssieren.Wir werden uns in den nächsten Wochen Zeit neh-men, den vorliegenden Antrag zu beraten. Wir werdeneine Expertenanhörung durchführen – ich glaube, amMsgdwGwGsGbt1DsHKgrDelHelHeEltuz
ewinner wird die Wirtschaft sein, weil der Logistik-tandort Deutschland deutlich gestärkt wird.
ewinner werden auch die Mitarbeiterinnen und Mitar-eiter sein, weil wir dafür gesorgt haben, einen Beschäf-igungssicherungsvertrag für 15 Jahre zu schließen.5 Jahre keine betriebsbedingten Kündigungen bei dereutschen Bahn AG, das ist konkrete sozialdemokrati-che Politik. Dazu stehen wir.Vielen Dank.
Nächster Redner ist für die FDP-Fraktion der Kollege
orst Friedrich.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Ich bin tief beeindruckt von den Ausführun-en des Kollegen Hübner, frage mich aber, ob man da-über lachen oder weinen soll.
as Schlimme ist: Wahrscheinlich glaubt er sogar, wasr gesagt hat. Das ist ja das eigentliche Problem.Das Ganze fing mit der Bahnreform 1994 an. Jetztegt uns die Große Koalition gnädigerweise – wie haterr Hübner es gesagt? – in einem seriösen Verfahreninen Antrag zur Beratung vor. Der staunenden Öffent-ichkeit sage ich: Wir haben den Antrag gestern erhalten.eute findet die erste Lesung statt. Am Montag findetine Anhörung statt.
ine solche Expertenanhörung kann man selbstverständ-ich innerhalb von eineinhalb Tagen vollständig auswer-en, damit der Antrag in der gleichen Woche in zweiternd dritter Lesung beschlossen werden kann. – Das be-eichnet die Große Koalition als seriöse Bearbeitung ei-
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Horst Friedrich
nes Vorschlages. Das mag glauben, wer will. Für uns istdas: eine Lösung im Schweinsgalopp finden. Dem-entsprechend wird wahrscheinlich das endgültige Ergeb-nis aussehen.
Wir reden in dieser Legislaturperiode mittlerweileüber die dritte Variante zur Fortführung der Bahnreform.Die Große Koalition hat sich nach der Diskussion überden integrierten Börsengang der Deutschen Bahn AGmit Netz und der Diskussion über das Eigentumssiche-rungsmodell von Herrn Tiefensee – mit einem kurzenAbstecher zur Volksaktie, die Herr Tiefensee, als er nachHamburg fuhr, noch abgelehnt hat, hinterher aber regel-recht erfunden haben will – jetzt auf ein neues Modellgeeinigt, das angeblich die Lösung aller Probleme ist.Darauf komme ich später zu sprechen.Es ist schon erstaunlich, dass mittlerweile offensicht-lich auch die Kollegen von der Union Opfer der Propa-gandainitiative der Deutschen Bahn wurden. Liebe Kol-legen von der Union, wenn ich das richtig lese, steht imdritten Absatz des Antrages:Dank der Bahnreform ist es in den vergangenenJahren gelungen, mehr Verkehr auf die Schiene zubringen … und die Belastungen der öffentlichenHand zu verringern.Wenn man das mit den verkehrspolitischen Leitlinienzur Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vergleicht, stellt man fest, dasses dort völlig anders klingt. Dort steht nämlich: Bisheute wurden die beiden Ziele der Bahnreform, nämlichmehr Verkehr auf die Schiene und nachhaltige Entlas-tung des Haushaltes, nicht erreicht. Seit 1994 konntennicht mehr Verkehrsanteile auf die Schiene gezogenwerden. Darüber hinaus führte das bestehende Modellnicht zu einer nennenswerten Entlastung des Bundes-haushaltes; denn das System Schiene kostete den Bundeinschließlich der Regionalisierungsmittel im Jahr 1994rund 18,9 Milliarden Euro und 2004 18,7 MilliardenEuro. – Die Quelle ist relativ unverdächtig – Verkehr inZahlen; Verfasser ist das Bundesministerium für Verkehr –,es sei denn, dass man den eigenen Zahlen nicht mehrglaubt.Dass die Union in diesem Antrag genau das bestätigt,muss schon überraschen.
Nicht überraschend ist hingegen, dass die SPD das mit-trägt. Der Sprecher der SPD – das ist ja in der Öffent-lichkeit zitierfähig – hat nach einer Vergabe im Nahver-kehr einen Brief an seine eigene Verwaltung in Bremengeschrieben, der zufälligerweise bis aufs Komma mit ei-nem Brief identisch war, den die Deutsche Bahn ge-schrieben hat.
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Die Union bezeichnet das wiederum als Reverstaatli-hung. Wissen Sie, Kollege Friedrich, Ihr Zwischenrufibt mir Gelegenheit, auf noch einen Punkt einzugehen.ch gehe davon aus, dass Kollege Gysi das Projekt Neu-eeland hier ansprechen wird; er hat es schon in einemwischenruf genannt. In Neuseeland hat man genau dasemacht, was wir verhindern wollen. Man hat daschiennetz und das Unternehmen an die Börse gebrachtnd privatisiert. Das wollen Sie in Ihrem Herzen immeroch; denn Sie kämpfen immer noch für den integriertenörsengang des Unternehmens Deutsche Bahn AG. Sieämpfen nicht für den Verkehrsträger Schiene. Sie sindin Ministerium für die Deutsche Bahn AG. Das ist dasigentliche Problem.
Ja, man kann das als Unfug bezeichnen. Man kannuch zur Kenntnis nehmen und lesen, was hier alles be-chlossen wird.Am Rande möchte ich Herrn Hansen erwähnen, deritglied der Verhandlungskommission der Bahn bei derahnreform war, stellvertretender Aufsichtsratsvorsit-ender ist und einer nicht unbedeutenden Gewerkschaftn der Bahn angehört.
Ja, gut, deswegen war er ja in der Verhandlungskom-ission und ist auch als Sachverständiger für die SPD iner Anhörung benannt.
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Horst Friedrich
Ausgerechnet Herr Hansen hat heute schon erklärt, dasser als Gewerkschaftsvorsitzender zurücktritt. Wie manaus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen hört, wird erArbeitsdirektor der DB AG.
Frau Suckale wird dann sozusagen upgegradet in dieTransportabteilung
Dazu muss ich sagen: Das kann man als ganz normal be-zeichnen. Man kann auch sagen: Genau das scheint einKernpunkt des Gesetzes zu sein, das Sie uns jetzt vorle-gen.
Sie selbst weichen jetzt von Ihrem eigenen Antragvom November 2006 ab, in dem Sie die Bundesregie-rung aufgefordert haben, ein Privatisierungsgesetz vor-zulegen. Das ist ein Antrag, und Sie schreiben, dass keinGesetz nötig ist. Sie schreiben in Ihrem eigenen Antrag –er wurde mehrheitlich beschlossen –, dass es durch einegleichzeitig vorzulegende Leistungs- und Finanzierungs-vereinbarung begleitet werden muss. Ich habe den Kol-legen Dirk Fischer noch im Ohr, der mir hoch und heiligzugesagt hat: Die Leistungs- und Finanzierungsverein-barung muss sich, bevor sie Gesetz wird, erst einmal inder Praxis über ein Jahr oder länger bewähren, damit wirüberhaupt prüfen können, ob das alles funktioniert. Wiekann ich denn eine Leistungs- und Finanzierungsverein-barung vorlegen, wenn wir nicht einmal einen Netz-zustandsbericht haben?
Wie kann ich etwas bezüglich der Qualität beschließen,wenn ich noch nicht einmal weiß, was ich kaufe?Das alles wird jetzt mit einem krampfhaften Versuchzugedeckt. Es wird gesagt: Um Himmels willen, wir ha-ben nicht mehr genügend Geld, jetzt muss uns der Teil-börsengang retten. Damit sendet man keine Signale aus,die Investoren beflügeln. Frau Nahles ist zitierfähig mitder Aussage: Kohle ja, Mitbestimmung nein. – Das reiztnatürlich jeden Investor, sein Geld bei der DeutschenBahn abzuliefern. Wenn Sie sich an den Beginn der Dis-kussion erinnern: Wir hatten beim integrierten Börsen-gang, also mit Schienennetz, eine Erlöserwartung inHöhe von 8 Milliarden Euro. Jetzt soll die Privatisierungvon 24,9 Prozent der Transporteinrichtungen einen Erlösvon 8 Milliarden Euro einbringen, wenn ich HerrnTiefensee glauben darf. Selbst wenn das eintreffen sollte,was ja momentan hochspekulativ ist, bleiben für dieDeutsche Bahn im günstigsten Fall ungefähr3 Milliarden Euro für Neuinvestitionen übrig. Es gibtaber einen Wunschkatalog, der ungefähr das Zehnfacheumfasst.–wRGbDednwutKlagzduwksFHrGd–ddb
Das ist bei dieser Lösung gar nicht möglich,
eil wahrscheinlich der Steuerzahler die garantierteendite zahlen muss. Hier sind wir uns völlig einig, Herrysi.
Da der Kollege Klaas Hübner gesagt hat, es sei ver-indlich festgelegt, dass diese 3 Milliarden Euro ineutschland ausgegeben werden müssen, möchte ichinmal vorlesen, was hier steht: Der Bund erwartet, dassie der Bahn zur Verfügung gestellten Mittel für natio-ale Innovationen und Investitionen der Bahn verwandterden. – Donnerwetter! Ich kenne Hartmut Mehdornnd weiß: Das wird ihn bis ins innerste Mark erschüt-ern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großenoalition, dass Sie versuchen, uns das, was Sie hier vor-egen,
ls die Lösung der Probleme der Deutschen Bahn oderar als gelungene Fortsetzung der Bahnreform von 1994u verkaufen, grenzt schon fast an Frechheit. Wir wer-en die Ergebnisse der Anhörung mit Geduld auswertennd uns auch die Begleitgesetze genau ansehen. Dannerden wir entscheiden, ob wir diesem Werk das zu-ommen lassen, was es eigentlich verdient hat: die Ver-enkung in den Orkus.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hans-Peter
riedrich für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Die Weichen für die nächste Stufe der Bahn-eform, die Teilprivatisierung, werden gestellt. Dieroße Koalition hat einen Kompromiss gefunden, beiem sich die Union durchgesetzt hat
hören Sie mir doch erst einmal zu –, was die Strukturer Privatisierung angeht, und bei dem sich die SPDurchgesetzt hat, was den Umfang der Privatisierung an-etrifft.
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Dr. Hans-Peter Friedrich
Insgesamt ist dieser Kompromiss gut.Wie sieht die Struktur der Privatisierung aus? DasWichtigste ist – das ist schon angesprochen worden –,dass wir die Infrastruktur, also die Schienen, die Bahn-höfe und die Energieversorgung, nicht privatisieren.
Sie bleibt zu 100 Prozent im Eigentum der DB AG.
Das ist eine sehr wichtige Entscheidung. Noch vor zweiJahren hat Bahnchef Mehdorn von einem integriertenBörsengang – Betrieb und Infrastruktur – gesprochen;
unterstützt wurde er damals übrigens von HerrnSteinbrück und Herrn Tiefensee. Es war wichtig, dasswir in den letzten zwei Jahren miteinander gerungen ha-ben und letztlich zu der Entscheidung gelangt sind: Daskommt nicht infrage.
Damit in Deutschland keine neuseeländischen Verhält-nisse Realität werden, lieber Kollege Friedrich, habenwir verhindert, dass auch nur ein Meter Schiene in dieHand von Privaten gelangt.
Was wird privatisiert? Was diese Frage betrifft, wäreich sehr dankbar, wenn man in den Äußerungen, die inder Öffentlichkeit gemacht werden, bei der Wahrheitbliebe. Die Betriebsgesellschaften der Bahn, mit denensie Logistik betreibt – das tut sie übrigens weltweit, nichtnur in Deutschland –, werden in einem Paket zu einerHolding zusammengeschnürt. Von dieser Holding wer-den 24,9 Prozent privatisiert.Warum machen wir das?
Ein Aspekt ist, dass auf diesem Wege eine Schienenof-fensive finanziert wird. Das ist aber nicht der einzigewichtige Aspekt. Schauen wir uns das Paket an! Was istdarin enthalten?Erstens. In den letzten Jahren hat der Bahnvorstand,von der Öffentlichkeit unbemerkt, viele Unternehmenweltweit aufgekauft. Die Bahn – viele wissen das nicht –ist heute der größte Stückgutlieferant in Kalifornien
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Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Lin-en, erklären Sie dem deutschen Steuerzahler doch bitteinmal, warum es seine Aufgabe sein soll, all dies zuinanzieren. Wenn Sie unter den deutschen Steuerzahlernine Umfrage durchführen würden, kämen Sie zu demrgebnis, dass sie sagen: All die Firmen, die weltweitusammengekauft wurden, müssen privatisiert werden.
enau das tun wir.
Zweitens. In diesem Paket ist auch das Unternehmenchenker enthalten; viele von Ihnen kennen es. Schenkerransportiert Güter, aber nicht auf der Schiene, sondernuf der Straße.
n jedem Landkreis in Deutschland gibt es Fuhrunter-ehmen. Die meisten von ihnen sind kleine Mittelständ-er, die fünf, sechs oder sieben Lkw haben und jeden Tagemeinsam mit ihren Mitarbeitern um ihre Existenzämpfen müssen.
Jetzt erklären Sie von der Linken bitte, warum es einetaatsaufgabe sein soll, auf deutschen Autobahnen Güteru befördern, wie es das zum Staatskonzern gehörendenternehmen Schenker tut! Damit werden die Arbeits-lätze der Menschen in den Privatbetrieben von Staatsegen gefährdet.
ie gesagt: In einer entsprechenden Umfrage würde dieehrheit der Menschen in Deutschland sagen, dass derüterverkehr auf der Straße privatisiert werden muss.as tun wir, jedenfalls zu 24,9 Prozent.
Drittens. Enthalten ist auch der Güterverkehr auf derchiene, Railion. Die Wahrheit ist: Es ist nicht so vielüterverkehr auf die Schiene verlagert worden, wie wirs uns erhofft haben; aber der Güterverkehr auf derchiene hat deutlich zugenommen. Das ist nicht unbe-ingt das Verdienst der Deutschen Bahn AG, sondern daserdienst vieler Wettbewerber, Hunderter kleiner Unter-ehmen, die heute Güter auf der Schiene befördern. Wirollen, dass dieser Wettbewerb gefestigt und gekräftigt
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Dr. Hans-Peter Friedrich
wird. Deswegen wollen wir DB Railion in den privatenWettbewerb entlassen. Aus diesem Grund ist Railion indem Paket enthalten, dessen Privatisierung ansteht.Viertens: der Personennahverkehr. Ich bitte Sie, auchbei diesem Thema bei der Wahrheit zu bleiben. Für dieFrage, ob ein Zug von Bonn nach Euskirchen, von Berlinnach Brandenburg an der Havel oder von Hof nach BadSteben fährt, ist ausschließlich das Land zuständig; esbekommt Geld vom Bund und bestellt diese Züge. Dafürist nicht die DB AG oder die DB Regio zuständig, son-dern das Land. Das wird so bleiben, weil NahverkehrDaseinsvorsorge ist.Heute ist dank Ausschreibungen eine Vielzahl vonUnternehmen auf unseren Bahnhöfen vertreten: Mansieht inzwischen nicht nur die roten Züge der DB Regio,sondern auch Züge in vielen anderen Farben. Wenn Siesich die Bahnhöfe in Deutschland anschauen, dann stel-len Sie fest: Viele kleine Privatbahnen betreiben Wettbe-werb, versuchen, im Kampf um die Kunden im Nahver-kehr besseren Service oder bessere Preise zu bieten, umso Geld zu verdienen. Letzten Endes profitieren aber derVerkehrsträger Schiene und damit diejenigen, die denNahverkehr in Anspruch nehmen – die Bürgerinnen undBürger –, von diesem Wettbewerb. Wenn es gelingt, dasseine Privatbahn, weil sie günstigere Kostenstrukturenhat, auf einer Strecke für den gleichen Preis elf statt zehnZüge pro Tag anbieten kann, dann profitieren davon dieMenschen im Land. Deswegen soll dieser Bereich priva-tisiert werden.Was ist noch in diesem Paket enthalten? Der Personen-fernverkehr. Bereits heute bietet die Deutsche Bahn AGPersonenfernverkehr nur auf den Strecken an, auf denenes sich rechnet, also betriebswirtschaftlich sinnvoll ist.
Das ist die Konsequenz der Bahnreform, die vor14 Jahren vollzogen wurde. Wir haben damals gesagt:Wir müssen den Schienenverkehr wirtschaftlich gestal-ten. Das wurde erreicht: Die Deutsche Bahn AG fährtschon heute, vor der Privatisierung, nur auf Strecken, diesich wirtschaftlich betreiben lassen.In der Zukunft wird sich der europäische Eisenbahn-markt öffnen; demnächst wird es auch im FernverkehrWettbewerb geben. Die Franzosen sind entschlossen,künftig selbst Zugverbindungen von Paris über Deutsch-land nach Warschau sowie Fernverkehrsverbindungen inDeutschland anzubieten. Auch in diesem Bereich mussWettbewerb hergestellt werden. Begreifen Sie von derLinken endlich einmal, dass Wettbewerb auch im Hin-blick auf die Schaffung von Arbeitsplätzen etwas Gutesist; denn nur, wer sich in den Wettbewerb begibt, bleibtwettbewerbsfähig.
Es gibt, was das Verhältnis von Bund und DeutscherBahn AG in der Vergangenheit anbelangt, einiges zu be-klagen, und zwar auch, Kollege Friedrich, einiges ausden letzten vier Jahren der schwarz-gelben Regierung.LsgBwnMdWrgffbdgsOWnr2IhdurSrstaaWW
iebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, in denieben Jahren der rot-grünen Koalition haben Sie übri-ens zugeschaut, als ein braver Verkehrsministerodewig, der der Bahn nicht genehm war, gestürzturde; Sie haben keinen Widerstand geleistet.Ich sage Ihnen: Wir werden die Bahn an die Kandareehmen.
it der Privatisierung, die wir vornehmen wollen, wer-en die Voraussetzungen dafür geschaffen.
ir werden eine Leistungs- und Finanzierungsvereinba-ung abschließen, in der wir der Bahn klipp und klar sa-en: Geld für Instandsetzungen gibt es nur im Gegenzugür Netzqualität, gibt es nur, wenn Qualitätskriterien er-üllt werden, die wir zusammen mit den Ländern vorge-en, und wenn die Bahn bereit ist, dafür zu sorgen, dassie Regionalnetze in der Fläche, bei denen es darumeht, den Wirtschaftsstandort Deutschland in seiner Ge-amtheit zu erschließen, in Ordnung gebracht und inrdnung gehalten werden.
ir werden die DB in dieser Frage an die kurze Leineehmen.Lassen Sie mich etwas zum Umfang der Privatisie-ung sagen. Die Sozialdemokraten haben sich auf4,9 Prozent festgelegt.
ch gebe zu, dass ich 30 Prozent für richtig gehaltenätte. Mit 30 Prozent hätte es die Chance gegeben, dassie Deutsche Bahn AG in den DAX aufgenommen wird,
nd ein DAX-Unternehmen hat in der Regel einen höhe-en Preis als ein Nicht-DAX-Unternehmen. Herrteinbrück muss mit der SPD-Fraktion ausmachen, wa-um er hier auf Geld verzichtet. Das, was wir beschlos-en haben, ist wenigstens ein Schritt in die richtige Rich-ung, ein Einstieg.
Ich sage für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion aberuch: Wir wollen über diese Privatisierung hinaus nichtuf Biegen und Brechen eine weitere Privatisierung.
ir schauen uns jetzt in Ruhe an, was sich entwickelt.ir werden das eine oder andere korrigieren.
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Dr. Hans-Peter Friedrich
Kommende Bundestage werden entscheiden, ob es wei-tere Privatisierungsschritte gibt,
vielleicht sogar unter Beifall der Gewerkschaften. Esdrängt uns überhaupt nichts.Entscheidend ist, dass wir den Einstieg in die Privati-sierung haben und dass Infrastruktur – sie gehört zur Da-seinsvorsorge und ist somit Staatsaufgabe – und Be-triebsgesellschaften – dort kann und muss derWettbewerb stattfinden – getrennt behandelt werden. Ichdenke, dass wir mit dieser Lösung einen großen Schrittin Richtung Zukunft, in Richtung einer Stärkung desVerkehrsträgers Schiene machen, für die Menschen indiesem Land und für den Wirtschaftsstandort Deutsch-land. Ich freue mich auf die Beratungen, die in dennächsten Wochen anstehen, und darauf, dass wir dieDinge bald umsetzen können.Vielen Dank.
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege
Dr. Gregor Gysi das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich binkein Bahnexperte, ich bin Generalist.
So etwas kennen Sie anscheinend nicht.Vor 170 Jahren ist in Deutschland damit begonnenworden, das Eisenbahnnetz aufzubauen. Was Sie jetztmachen, ist klar: Sie beginnen, die Bevölkerung diesbe-züglich zu enteignen. Das ist verheerend.
1993 hat der Bundestag über die organisatorische Priva-tisierung gesprochen. Wissen Sie, welche Parteien, alsdamals die Gesetze verabschiedet wurden, versprochenhaben, dass der Bund zu 100 Prozent Eigentümer blei-ben wird, für immer und ewig? Die Union, die SPD unddie Grünen. Union und SPD haben wieder einmal einVersprechen gebrochen; das ist die Wahrheit.
Ich finde es gut, dass unser Kollege von der CDU/CSU klar gesagt hat, dass diese Privatisierung der Bahnlwdzwwd2Hgus1hiDagSdgkrvsIszgIw
1993 haben Sie – es ist interessant, daran zu erinnern –rei Dinge versprochen: Die Bahn wird für die Steuer-ahlerinnen und Steuerzahler billiger werden. Die Bahnird ein kundennahes Serviceunternehmen. Die Schieneird ihren Anteil am Verkehrsmarkt erhöhen. – Nichtsavon ist eingetroffen. Dagmar Enkelmann sprach am. Dezember 1993 für uns und sagte:Eine private AG muß – das können wir hier relativnüchtern feststellen – auf Gedeih und Verderb ge-winnorientiert arbeiten. Der Profit ist das Maß allerDinge. Da muß das Gemeinwohl zwangsläufig aufder Strecke bleiben.
Ausdünnungen und Stillegungen sind die Folge.atte Sie recht oder nicht? Es gab Ausdünnungen, esab Stilllegungen; genau so ist es gekommen.
Der Schienenverkehr kostet die Steuerzahlerinnennd Steuerzahler heute mehr als 1994; das hat die FDPchon gesagt. Die Deutsche Bahn AG startete am. Januar 1994 – nicht vergessen! – schuldenfrei. Heuteat sie Schulden in Höhe von 21,5 Milliarden Euro, undhr Eigenkapital ist fast aufgezehrt.
ie Deutsche Bahn AG ist weniger kundennah als dielte Bundesbahn; denn die Belegschaft wurde im Ver-leich zu 1994 halbiert und 500 Bahnhöfe und Tausendechalter sind geschlossen worden. Die Verkehrsleistunger Bahn beim Schienenverkehr lag 2005 unter derjeni-en von 1993. Das heißt, der Anteil ist deutlich gesun-en.
Nun kann man sich ja einmal ansehen, welche Erfah-ungen andere Länder gemacht haben, die die Bahn pri-atisiert haben. Die privaten Eisenbahnen in den USAind fast verschwunden.
n Großbritannien führte die Bahnprivatisierung zuchweren Unfällen, woraus entsprechende Konsequen-en gezogen worden sind. In Neuseeland wird die Bahnerade zurückgekauft.
ch bitte Sie: Als die Bahn in Neuseeland verkaufturde, erbrachte das einen Erlös von 202 Millionen
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Dr. Gregor GysiEuro; jetzt wird sie für 336 Millionen Euro zurückge-kauft. Dort wurde also ein tolles Geschäft für die Bürge-rinnen und Bürger organisiert.
Der neuseeländische Finanzminister – das ist kein Lin-ker, meine Damen und Herren von der Union –, erklärtewörtlich: Der Verkauf der staatlichen Bahn zu Beginnder 90er-Jahre und der danach folgende Niedergang desVermögens war eine schmerzliche Lektion für Neusee-land. – Nun wollen Sie diese Lektion auch für Deutsch-land. Das ist die Wahrheit.
Die Bahn gehört zur öffentlichen Daseinsvorsorge.Sie muss in öffentlichem Eigentum stehen, weil es umökologische und soziale Ziele geht; darüber müssen wiruns verständigen. Gibt es ein Grundrecht auf Mobilitätoder nicht? Ich habe einmal von einer Sozialhilfeemp-fängerin ein Schreiben bekommen, in dem stand: Es istnett, dass du eine Kundgebung organisierst, aber ichkann nicht hinfahren, weil ich mir das nicht leistenkann. – Verstehen Sie das? Man muss schon wissen, obman Sozialtickets will oder nicht.
Zur Ökologie sage ich Ihnen auch etwas: Wenn wirdie Gütertransporte von der Straße auf die Schiene verla-gern wollen, dann müssen wir günstige Angebote ma-chen und das subventionieren.
Ein Privater wird das nicht subventionieren. Dann blei-ben die ökologischen Probleme bestehen. Das ist der ei-gentliche Skandal.
Wir brauchen die Bahn in öffentlichem Eigentum, damitwir öffentlich darüber streiten und entscheiden können,meinetwegen auch mit unterschiedlichen Konzepten.Privatisierung bedeutet doch immer, dass man die Politikaus der Verantwortung entlässt. Wenn Sie eines Tages al-les verkauft haben, dann haben die Kanzlerin und auchich diesbezüglich nichts mehr zu entscheiden. Um Ihnendas ganz klar zu sagen: Das halte ich für eine sehr un-günstige Gemeinsamkeit,
weil dann die Wahl zwischen uns beiden in dieser Hin-sicht für die Bevölkerung keinen Sinn mehr macht.vAdandGbGnG–B–wdkpErnDsVVDwnGnzsKdd
Nun wird immer gesagt, dass wir dadurch frischeseld bekommen. Ich bin ja sehr für frisches Geld.
Ja, natürlich. Hören Sie einmal zu! – Ich weiß, dass dieahn Geld braucht.
Nun warten Sie doch einmal eine Sekunde. – Heuteurde gesagt, ein Drittel solle dann für Investitionen anie Bahn gehen.Machen wir uns das doch einmal klar: Jemand kauftnapp ein Viertel der Bahn und zahlt dafür einen Kauf-reis. Ein Drittel bekommt er wieder zurück. Da er dannigentümer ist, hat er ja etwas von dem Drittel, das zu-ückfließt. Das kann man also schon einmal herausrech-en.
ie Bahn wird ja auch künftig noch durch den Bundubventioniert; das können Sie nicht leugnen. Knapp einiertel davon bekommt immer der private Eigentümer.erstehen Sie?
er private Eigentümer ist natürlich furchtbar edel. Erill nur Geld geben. Ich sage Ihnen aber: Er will auchoch etwas anderes, nämlich in kürzester Frist mehreld heraushaben. Das bezahlen entweder die Kundin-en und Kunden oder die Steuerzahlerinnen und Steuer-ahler. Das ist die Wahrheit.
Egal was die SPD jetzt heilig verspricht: Die Privati-ierung wird fortgesetzt werden. Das ist die eigentlicheatastrophe. Außerdem wird die Profitorientierungeutlich zunehmen. Kommen Sie mir jetzt nicht damit,ass das ja nur ein kleiner Anteil von 24,9 Prozent ist.
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Dr. Gregor GysiDer Multimilliardär Frederiksen besitzt nur 12 Prozentder Anteile von TUI, entscheidet aber trotzdem, was ver-kauft wird und wie hoch die Rendite zu sein hat. Siekönnen mir glauben: Die anderen schaffen mit 24,9 Pro-zent noch deutlich mehr.
Die privaten Investoren haben ein Motiv, ihr Geld zurVerfügung zu stellen: Sie wollen mehr Geld herausbe-kommen.
Dieses Geld wird gezahlt werden müssen. Das ist die ei-gentliche Tragik.Es hat mich immer sehr gewundert, dass Transnetauch für die Privatisierung war. Der DGB hat sich sehrdarüber geärgert. Heute habe ich erfahren, dass der Vor-sitzende der Gewerkschaft, Norbert Hansen, Arbeitsdi-rektor bei der Deutschen Bahn AG wird. Er bekommtdieselbe Funktion, die Hartz bei VW hatte, bei der Deut-schen Bahn AG. Dort verdient er mehr. Er hat die Seitengewechselt und wird künftig dem Vorstand angehören.Den Rest müssen wir uns denken.
Die Schienen behalten Sie noch. Ich kenne doch IhreSchrittchenpolitik; sie ist nicht neu. Man muss erst dieTür öffnen – so fängt es an –, und dann geht die Ent-wicklung weiter. Die privaten Investoren werden tolleArgumente finden, warum noch mehr verkauft werdenmuss. Erst erwerben sie 30 Prozent der Anteile; dannwerden es 40 Prozent, und so geht die Entwicklung wei-ter.
– Ich bitte Sie, darüber nachzudenken. In der Politik gibtes Wahlen. Es gibt Gründe dafür, dass die Bevölkerungden Deutschen Bundestag wählen darf, aber nicht denVorstand der Deutschen Bahn. Insofern ist die Frage,was der Vorstand entscheiden darf und was wir entschei-den dürfen, entscheidend für die Demokratie.
Wenn Sie immer mehr Privatisierungen vornehmen,dann entlassen Sie immer mehr Bereiche aus der Verant-wortung der Politik und machen diesbezüglich die De-mokratie bedeutungsloser. Die Linken kämpfen für mehrBedeutung der Demokratie. Die Privatiseure hingegenwollen sie abbauen. Das ist die Wahrheit.
Wenn denn alles ökologisch und sozial unvertretbarwird und Unfälle passieren wie in Großbritannien, dannwkDkSfHrvkmmdS2BrSbfRSda2VdeESaseii
eshalb ist das, was Sie heute einleiten – eine die Bevöl-erung teuer zu stehen kommende Enteignung –, einkandal.Danke.
Nächster Redner ist der Kollege Winfried Hermann
ür die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Was die Große Koalition heute zur Privatisie-ung der Bahn vorlegt, ist nach all dem, was wir überiele Jahre mit Expertenrat, Modellüberlegungen undomplizierten Aufrechnungen diskutiert haben, beschä-end. Die zurückgezogenen Gesetzentwürfe dazu habenehrere hundert Seiten umfasst. Angesichts dessen istiese Resolution als Grundlage der Privatisierung eineauerei.
Es klingt harmlos: Private Investoren werden nur mit4,9 Prozent beteiligt, und das auch nur an der Hälfte derahn. Es geht also sozusagen um eine Achtelprivatisie-ung oder um eine Privatisierung light.
ie ist scheinbar nicht besonders schlimm, aber wir glau-en, dass sie schwerwiegende und fatale Konsequenzenür die Kunden und den Schienenverkehr im ländlichenaum und den neuen Bundesländern hat. Das werdenie noch merken.Wenn Sie die Ziele der Bahnreform, die übrigens iniversen Anträgen dieser Koalition – nicht irgendeinernderen Koalition oder auf irgendwelchen Parteitagen –006 im Bundestag nochmals bestätigt wurden, und dieersprechen mit dem vergleichen, was heute vorliegt,ann werden Sie feststellen, dass das nichts mehr mit-inander zu tun hat.
s ist nicht mehr die Rede von mehr Schienenverkehr.ie weisen nicht nach, wie das funktionieren soll. Es istuch nicht mehr die Rede von mehr Wettbewerb. Was isttattdessen vorgesehen? In der ganzen Modelldebatte istinzig und allein ein Modell übrig geblieben, das sichmmer wieder in Varianten durchgesetzt hat, nämlich derntegrierte Konzernbörsengang. Man hat den Eindruck,
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Winfried Hermannes geht nur darum, den DB-Konzern als integriertenKonzern zu erhalten. Das ist Ihre Variante einer verkürz-ten Bahnreform.
Aber, Kolleginnen und Kollegen auch von der CDU/CSU, dieses Modell ist ein Etikettenschwindel, weil esweder eine wirkliche Privatisierung bedeutet – es ist üb-rigens auch nicht marktwirtschaftlich – noch das öffent-liche Eigentum sichert. Es sichert auch nicht die Ein-flussnahme der Politik, wie die SPD es aufgrund IhresParteitagsbeschlusses in Form von Volksaktien zu tunvorgibt. Es ist ein Etikettenschwindel, weil Sie nichtwirklich das Eigentum des Bundes schützen und Marktund Wettbewerb nicht wirklich zulassen.
Ihr Entwurf sieht keine Neuordnung des Schienenver-kehrs, sondern einen Umbau des DB-Konzerns vor. Ur-sprünglich hieß es, dass man die öffentlichen Aufgabenklar von den unternehmerischen trenne. Fehlanzeige!
Der CSU-Kollege Friedrich hat wortreich gefragt, wa-rum der deutsche Steuerzahler den Verkehr und denTransport in Kalifornien organisieren und finanzierensolle. Aber, Kollege Friedrich, 75 Prozent des zukünfti-gen Holding-Transportunternehmens sind in staatlicherHand. Genau das, was Sie beklagen, wird fortgesetzt.
Sie tun nichts für den Wettbewerb und stärken denMonopolisten.
Sie sorgen nicht für mehr Transparenz, sondern wollenein intransparentes Holdingmodell umsetzen. Am meis-ten ärgert mich als Parlamentarier, dass Sie nach all dengescheiterten gesetzlichen Verfahren auf eine gesetzlicheGrundlage gleich ganz verzichten. Übrigens wurde vorzwei Jahren im Bundestag beschlossen, dass die Bundes-regierung zur Privatisierung einen Gesetzentwurf mitentsprechenden Eckpunkten vorlegen soll. Aber all dasscheint vergessen zu sein.
Sie haben zwar einen Gesetzentwurf vorgelegt, sind abermit sich selbst gescheitert.Ich komme nun auf die Genossen zu sprechen, diemutig gesagt haben: Wir werden verhindern, dass mehrals 24,9 Prozent privatisiert werden. Was ist denn IhreResolution wert? Jede Regierung wird zukünftig nachKassenlage und Mehrheit Aktien verkaufen. Dagegenhaben Sie nichts in der Hand. Ihnen bleiben dann nurnoch Ihre mutigen Sprüche.WWhnkIwwenFlBdkwrhMH2tVvMVWtnRkwuldeMnlw8
as diese und Ihr auf einem Sonderparteitag geäußerterunsch nach einer Volksaktie wert sind, wissen wireute. Keiner von den großen Genossen ist mehr da,icht einmal der Kollege Scheer. Schade! Sie haben ge-ämpft und verloren. Nun halten alle das Maul.
Sie privatisieren, obwohl Sie vor anderthalb Jahren inhrer Vorlage geschrieben haben: Es kann erst losgehen,enn entsprechende Rahmenbedingungen geschaffenurden. Wir brauchen einen Netzzustandsbericht. Seitwigen Zeiten warten wir nun darauf. Bislang liegt ericht vor. Des Weiteren haben Sie eine Leistungs- undinanzierungsvereinbarung gefordert. Aber auch dieseiegt nicht vor. Sie fordern zudem in Ihrem Antrag eineneteiligungsvertrag. Auch dieser liegt nicht vor. Sie re-en von Regulierung des Wettbewerbs. Aber es gibteine Anreize für eine Regulierung. Sie lassen alles weg,as dringend notwendig ist, wenn man eine Privatisie-ung angeht. Trotzdem schreiten Sie mutig voran. Ichalte das für politisch dumm und gefährlich. Es wird dieöglichkeiten der Politik zukünftig drastisch mindern.ier gebe ich dem Kollegen Gysi vollkommen recht.
Nun sagen manche Genossen, es handele sich nur um4,9 Prozent, und es gebe keine wirkliche Renditeorien-ierung. Aber das ist der Einstieg. Es ist doch eine naiveorstellung, dass ein Kapitalgeber in ein Unternehmen in-estiert und – das sind sozialdemokratische Fantasien –aßnahmen zur Verschönerung von Bahnhöfen und zurerbesserung des Lärmschutzes finanziert. Das ist dochitz pur.
Natürlich lässt sich mit Ihrer Resolution nicht das Ak-ienrecht aushebeln. Selbstverständlich wird jeder Aktio-är, der 5 oder 10 Prozent der Aktien besitzt, auf eineendite drängen. Sie können noch so schön sozialdemo-ratisch daherreden, aber das, was Sie sich wünschen,ird nicht in Erfüllung gehen. Es handelt sich allenfallsm die Vorstellung von Sozialdemokraten, wie Kapita-ismus funktionieren könnte, müsste oder sollte. Es han-elt sich tatsächlich um den Einstieg in eine renditeori-ntierte Bahn.
Nun zum Verkaufserlös. Viele von Ihnen haben schonilliardeneinnahmen versprochen. Hier möchte ich Ih-en Folgendes vorrechnen: Kollege Friedrich und Kol-ege Beckmeyer, aber auch Herr Tiefensee haben immerieder gesagt, man erwarte einen Erlös in Höhe vonMilliarden bis 12 Milliarden Euro. Interessanterweise
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Winfried Hermannhat man auch beim ersten Modell genauso viel erwartet.Damals wollte man die Hälfte verkaufen. Nun will manmit einem Achtel genauso viel erlösen. Das ist dochVolksverdummung.
– Ein Viertel von der Hälfte ist ein Achtel. Zu dem Er-gebnis kommen auch Sie, wenn Sie rechnen können. Daskann man leicht nachvollziehen.Sie tun so, als könnte man mit einem Achtel genausoviel erlösen. Gehen wir einmal von 3 Milliarden Euroaus. 1 Milliarde Euro bekommt Herr Mehdorn, um welt-weit einzukaufen. 1 Milliarde Euro bekommt HerrSteinbrück zur Konsolidierung des Haushalts. Dannbleibt noch 1 Milliarde Euro beispielsweise für die Ver-schönerung von Bahnhöfen übrig. Mit diesem Betragkönnen Sie vielleicht gerade einmal die Mehrkosten ei-nes Großprojekts wie Stuttgart 21 oder der StreckeNürnberg-Erfurt decken. Wenn Sie Glück haben, könnenSie auch das Dach des Berliner Hauptbahnhofs verlän-gern. Aber mehr ist damit nicht drin.
Noch ein Wort zum Holdingmodell. Die CDU/CSUist stolz, dass sie das Staatseigentum in Form des Hol-dingmodells gerettet hat.
Formal haben Sie recht. Aber es ist ein merkwürdiges,widersprüchliches Konstrukt. Es wird in Zukunft HerrMehdorn mit seinem Knappen Hansen das Staatsunter-nehmen als unser Treuhänder führen. Wir alle glaubendaran. Ein Teil wirtschaftet gemeinwirtschaftlich imSinne des Grundgesetzes
und sichert die Infrastruktur. Das wird vom Steuerzahlerfinanziert. Im anderen Teil des Konzerns wird rendite-orientiert gearbeitet. Mehdorn hält das alles schön aus-einander, das eine für die Allgemeinheit und das anderefür die Rendite. Das ist doch eher eine neue Art vonSelbstbedienungsladen für die Aktionäre. Das wird nieund nimmer funktionieren.
Man muss doch wirklich an Märchen glauben, wennman glaubt, dass dieses Holdingmodell irgendwie funk-tionieren kann.Noch ein Wort zum Wettbewerb. Wie soll eigentlichWettbewerb funktionieren, wenn zukünftig der Haupt-monopolist von heute als Unternehmen, an dem derStaat Anteile in Höhe von 75 Prozent hat, mit vielenkleinen Unternehmen konkurriert? Das ist doch kein fai-rer Wettbewerb. Das ist staatsmonopolistischer Kapita-lismus in neuer Form. Es wundert mich, dass Sie von derCdnAnEnrtelsOdftDdrTBHkhsDdsdncAzw
Das Wort hat nun Bundesminister Wolfgangiefensee.
Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr,au und Stadtentwicklung:Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Der Antrag „Zukunft der Bahn, Bahn der Zu-unft – Die Bahnreform weiterentwickeln“ schlägt eineervorragende Lösung zur Teilprivatisierung der Deut-chen Bahn vor, und das aus sachlichen Gründen.
enn all die Ziele, die wir uns gesetzt haben, werden mitieser sehr guten Lösung erreicht. Weiterhin wird in die-er Debatte heute deutlich, dass dieser Antrag und damitiese Lösung auf eine erstaunliche Allianz der Ableh-ung stoßen. Schon allein das muss uns zufrieden ma-hen.
uf der einen Seite gibt es die Haltung, dass der Kon-ern zerschlagen werden muss; auf der anderen Seiteird als Lösung vorgeschlagen, alles möglichst so zu
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Bundesminister Wolfgang Tiefenseebelassen, wie es ist. Ich denke, dass wir einen sehr gutenWeg gefunden haben, unsere Deutsche Bahn fürDeutschland und für den europäischen und internationa-len Markt stark zu machen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Koppelin?
Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:
Sehr gern.
Herr Minister, wäre es nicht für den Ablauf der De-batte besser gewesen, wenn Sie gleich zu Beginn dasWort ergriffen hätten, damit auch die Oppositionspar-teien zu Ihrer Rede hätten Stellung nehmen können?
Stattdessen reden Sie jetzt nach den Oppositionspar-teien, und danach sprechen nur noch Vertreter der Regie-rungskoalition. Wäre es nicht vom Stil her besser gewe-sen, wenn Sie der Meinung sind, dass Ihre Argumentestichhaltig sind, dass die drei Oppositionsparteien Gele-genheit gehabt hätten, auf Ihre Rede zu antworten? Siesprechen aber jetzt, nachdem die Redezeit der Opposi-tion vorbei ist. Ich persönlich halte das für einenschlechten Stil.
Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr,Bau und Stadtentwicklung:Sehr verehrter Herr Abgeordneter, ich denke, Sie ha-ben Gelegenheit gehabt, zum Beispiel auf den Wortbei-trag von Herrn Hübner zu reagieren, der in ähnlicherWeise unser Modell vorgestellt hat.
Ich denke, dass das eine gute Lösung ist. Ich bitte Siedennoch, meinen Argumenten zu folgen, auch wenn Sienicht noch einmal reagieren können.
Der Minister hat bei allen vorangegangenen Debattenimmer am Anfang gesprochen. Ich denke, dass es bei derEinbringung eines Antrags des Bundestags legitim ist,dass der Bundestag zuerst das Wort hat. Darauf legen SieWert.
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ie sind aber offensichtlich ein Experte in der Frage dernteignung, und da – Herr Gysi, das muss ich Ihnen sa-en – treffen Sie bei mir einen sehr wunden Punkt. Sieind offensichtlich auch ein Experte darin, wie man dienfrastruktur in Ordnung hält. Auch diesbezüglich tref-en Sie bei mir aufgrund meiner Erfahrungen einen sehrunden Punkt. Sie sind offensichtlich auch ein Expertearin, wie man der Bevölkerung
it Schwarzmalerei, die man Wahrheit nennt, obwohlie völlig realitätsfern ist, den Mut nimmt. Auch hierreffen Sie bei mir einen sehr wunden Punkt.
Ich lasse mir von einem Vertreter der Linken, der fürine Regierungszeit von vor 1990 steht – 1976 ist enteig-et und das private Engagement kaputt gemacht worden –
icht sagen, wie man die Infrastruktur in Ordnung hält,umal wir die Schäden jetzt mit Milliardenbeträgen be-eitigen müssen.
Ich lasse mir nicht von jemandem, der nach eigenemekunden nichts von der Bahn versteht, erzählen, dass erie Bedürfnisse der Bevölkerung genau kennt und dassr deshalb schwarzmalen muss.
as ist für mich indiskutabel, und ich halte es für keinenuten politischen Stil.Ich möchte Ihnen in zwei Punkten in der Sache wider-prechen. Dies betrifft erstens die Frage, ob sich dieahn positiv entwickelt hat. Wissen Sie eigentlich noch,ie hoch die Verschuldung der Bahn 1993/94 war?
Wissen Sie vor allem auch, sehr verehrter Herr Gysi,as die Verschuldung in den darauffolgenden Jahren bisum Ende der 90er-Jahre mit sich gebracht hätte? Esäre zum Konkurs der Deutschen Bundesbahn gekom-en, wenn wir nicht zuletzt auch mit der Bahnreform993/94 einen Riegel vorgeschoben hätten.
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Bundesminister Wolfgang TiefenseeZweitens. Ich möchte Ihnen widersprechen, was dieStilllegung von Strecken anbetrifft. Sagen Sie der Bevöl-kerung, wann, wo und wie viele Strecken stillgelegt bzw.entwidmet worden sind.
Warum sagen Sie nicht, dass die Hauptstreckenstill-legungen vor 1994 stattgefunden haben? Warum sagenSie nicht, dass sie im Osten stattgefunden haben? Warumsagen Sie nicht, dass sie stattgefunden haben, weil wira) völlig unwirtschaftliche Flächen und Strecken hattenund weil sich b) auch die Verkehrsmittel – Stichwort„Erdgasbus“ – und das persönliche Mobilitätsverhaltenverändert haben? Wir können mit einem solchen Ansatz,der nicht auf Wirtschaftlichkeit zielt, sondern lediglichden Bankautomaten bedienen will, keine Bahnreformmachen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Claus von der Fraktion Die Linke?
Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:
Sehr gerne.
Herr Minister, Sie sind soeben auf die Bahn in derFläche zu sprechen gekommen. Deshalb möchte ich Siefragen: Wie bewerten Sie die Wahrung der Interessen derLänder und Kommunen im Privatisierungsprozess derBahn, und zwar angesichts der Tatsache, dass das LandSachsen-Anhalt gestern einen eigenen Gesetzentwurf imBundesrat vorgelegt hat, der ausdrücklich die Sicherungder Landesinteressen zum Gegenstand hat? Es ist hierallgemein bekannt, dass dort die gleiche Regierungskon-stellation aus SPD und CDU tätig ist.Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr,Bau und Stadtentwicklung:Vielen Dank, Herr Claus, für die Frage. – Die Länderhaben genauso wie der Bund ein berechtigtes Interessedaran, dass sowohl die Regionalnetze als auch die Fern-und Mischnetze in ordentlichem Zustand und gut vertak-tet sind. Wir diskutieren mit den Landesverkehrsminis-tern im Rahmen der Verkehrsministerkonferenzen in denletzten Monaten ausführlich darüber, wo in dieser Ziel-richtung Deckungsgleichheit besteht und wo nicht.Sie wissen, dass die Länder pro Jahr 6,7 MilliardenEuro – diese Summe wird ab nächstem Jahr um 1,5 Pro-zent erhöht – an Regionalisierungsmitteln bekommen.Sie wissen, dass wir für die Instandhaltung des Netzesjährlich 2,5 Milliarden Euro aufwenden. Das machenwir nicht, weil wir gegen die Länder, sondern weil wirmit den Ländern Verkehrspolitik machen. Ich möchtenicht verhehlen, dass dieses oder jenes Land gerne etwasmehr Regionalisierungsmittel hätte
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Jetzt möchte ich mich gern den Argumenten zuwen-en, die von der anderen Seite gekommen sind. Wennie diese Lösung ablehnen, weil sie auf dem Fundamentes integrierten Konzerns steht, dann nehme ich Ihreblehnung zur Kenntnis und respektiere sie. Ihrer Vor-tellung liegt ein völlig anderer Pfad zugrunde als der,en wir einschlagen wollen. Es stimmt nicht, dass wiras Verhältnis Schiene/Straße in den letzten Jahren nichtaben nachhaltig verändern können. Wir haben0 Prozent Zuwachs beim Güterverkehr; wir haben ei-en Zuwachs beim Modal Split.
ie wissen, dass ein Aufwuchs der Güterverkehrsmengem 1 Prozentpunkt ein großer Erfolg ist. Sie wissen,ass unser Staat schon allein dadurch entlastet ist – icherweise auf meine vorigen Ausführungen –, dass wirerhindert haben, dass der Deutschen Bundesbahn einonkurs drohte.
ch bitte, das auch Ihrer Klientel deutlich zu machen.
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Bundesminister Wolfgang TiefenseeMeine sehr verehrten Kollegen von der FDP, wir wer-den mit diesem integrierten Konzern die Aufgaben dernächsten 15 Jahre wesentlich besser erledigen als mit ei-nem zerschlagenen Konzern. Sie wollen der Bevölke-rung weismachen, dass eine Bahn, die sich in den nächs-ten ein oder zwei Jahren mit sich selbst und ihrerZerlegung beschäftigt, effizienter, besser, wettbewerbs-fähiger und kundenorientierter sei. Das kann nicht dieLösung sein.
Ich nehme sehr gern zur Kenntnis, dass Sie eine andereLösung anstreben. Wir verfolgen in dieser Regierungs-koalition den integrierten Konzern – 100 Prozent Netzbeim Bund –,
und wir verfolgen keine Zerschlagung der Güterver-kehrs-, Personalverkehrs- und Logistikbranche.Ich möchte daran erinnern: Diese Zerschlagung istvon Anfang an Ihr Ziel gewesen. Dieses Ziel haben wirvon Anfang an nicht verfolgt.
Die Motive Ihres Widerspruchs sind erkennbar.
Herr Hermann, jetzt möchte ich auf Ihre Argumenteeingehen. Sie haben sehr wortreich von „Etiketten-schwindel“ gesprochen und behauptet, alles das, wasvorliegen müsse, liege nicht vor. Ich versichere Ihnen:Wir werden sehr schnell einen Beteiligungsvertrag vor-legen. Im Antrag steht nämlich, dass er vorgelegt werdenmuss.
Der Beteiligungsvertrag ist die Grundlage für die weite-ren Schritte. Dieser Vertrag wird im Laufe der nächstenTage vorliegen.Die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung ist einganz entscheidendes Element dafür, dass wir die Flächebedienen, dass die Qualität erhalten bleibt.
Die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung wird inden nächsten Wochen - noch vor der Sommerpause –vorgelegt.
Sie wird mit den Ländern abgestimmt sein. Der Netzzu-stands- und -entwicklungsbericht wird in den nächstenWlediFwEVdhgdKsHBLNgbSbonBzswdBkH
Wir werden in der Leistungs- und Finanzierungsver-inbarung völlig neue Elemente verankern. Dort wirdie Frage beantwortet: Wie können wir das Regionalnetzn seinem Qualitätsparameter und die hohe Qualität desernnetzes erhalten? Wir werden Pönalen einführen. Esird Standards für die Bahnhöfe geben.
s wird die Möglichkeit geben, dass wir nicht nur dieerwendung von Geldern, sondern auch die Erfüllunger damit verbundenen Aufgaben – die Erreichung einerohen Qualität – kontrollieren. Wir werden also eineanz neue Art und Weise der Finanzierung der Bahnurch den Bund schaffen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
ollegin Menzner von der Fraktion Die Linke, und ge-
tatten Sie danach eine Zwischenfrage des Kollegen
ermann von den Grünen?
Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr,
au und Stadtentwicklung:
Sehr gern.
Herr Minister, ich höre, wir können jetzt mit einereistungs- und Finanzierungsvereinbarung und einemetzzustandsbericht rechnen. Das wird mir, seit ich Mit-lied des Bundestages bin, immer wieder erzählt. Sie ha-en jetzt auch einen Zeitraum genannt. Ich möchte, dassie mir ein konkretes Datum nennen, bis zu dem wir dieeiden Papiere vorliegen haben, oder wenigstens hören,b wir sie vor der Abstimmung und dem Beschluss über-ächste Woche haben werden.
Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr,au und Stadtentwicklung:Vielen Dank, Frau Menzner. – Der Bericht zum Netz-ustand, der Netzzustands- und -entwicklungsbericht,owie die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungerden parallel verhandelt und sind nicht Grundlageessen, was wir heute hier zu diskutieren haben.
eides läuft parallel. Der Netzzustandsbericht gibt Aus-unft über das Netz, meine sehr verehrten Damen underren von der Linken.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16875
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Bundesminister Wolfgang Tiefensee
Ich bitte Sie, den Antrag zu lesen; denn darin steht, dassdas Netz – damit sind die Gleise, die Bahnhöfe, die En-ergie- und die Telekommunikationsleitungen gemeint –zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes bleibt.
Niemand kauft da die Katze im Sack bzw. im Netz, viel-mehr bleibt die Infrastruktur beim Bund. Wir sorgen nunerstmals dafür – ich kann nichts dafür, dass es länger ge-dauert hat, dass es sich nämlich nun schon über zehnJahre hinzieht; wir haben uns in dieser Legislaturperiodeintensiv darum bemüht – –
– Dazu komme ich gleich, eine Sekunde.
– Sie haben nicht so viel Zeit, die Frage zu diskutieren?Das tut mir leid. – Die Sorge um den Netzzustand bleibtalso eine Aufgabe des Bundes und der DB AG, die wirvertraglich neu regeln werden. Vor der Sommerpause,wie aus dem Ihnen vorliegenden Plan ersichtlich, wer-den wir beide Dokumente vorlegen.
Jetzt noch der Kollege Hermann.
Herr Minister, Sie haben soeben gehört, dass unsschon vielmals versprochen wurde, dass demnächst oderbald oder in den nächsten Tagen der Netzzustandsberichtbzw. die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung vor-gelegt würden. Können Sie uns denn erklären, warumdas so lange dauert, warum die Vorlage immer wiederverschoben werden musste, und warum es so schwierigist, an Daten eines Unternehmens heranzukommen, dasheute noch zu 100 Prozent dem Bund gehört?Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr,Bau und Stadtentwicklung:Vielen Dank für die Frage, Herr Hermann. Das kannich Ihnen erklären. – Es ist ja ganz einfach, das Wort„Netzzustands- und -entwicklungsbericht“ auszuspre-chen; so gerät die Katze ganz schnell ins Netz. Vielschwieriger ist es aber, Qualitätsparameter zu eruieren,die auf 250 Meter Streckenlänge genau die Qualität desNbGduAwigd2thksmccNehlwdwEnwszsifcddm
So viel zu den Berichten und den anderen Punkten,ie angesprochen worden sind.Meine sehr verehrten Damen und Herren, das, wasir vorlegen, stellt keine Enteignung dar.
s handelt sich nicht um eine Zerschlagung und auchicht um einen Etikettenschwindel,
eil wir wie kein zweites Land – das meine ich wirklichehr ernsthaft – die Deutsche Bahn AG auch in Relationu ihren Wettbewerbern in den anderen EU-Mitglied-taaten und ihren Wettbewerbern auf dem Logistikmarktm internationalen Maßstab
itmachen wollen, ohne unendlich weitere und zusätzli-he Steuergelder aufwenden zu müssen und ohne uns inen nächsten 10 bis 15 Jahren mit dem Auseinanderdivi-ieren eines hochkomplexen Systems beschäftigen zuüssen.
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16876 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Bundesminister Wolfgang TiefenseeWir wollen privates Kapital für uns nutzbar machen, da-mit Steuerzahler und Private dafür sorgen, dass diesesMobilitäts- und Logistikunternehmen für die Zukunftgut aufgestellt ist.Herr Friedrich, weil Sie jetzt zum siebten Mal dazwi-schenrufen, darf ich noch einmal ganz klar sagen: DieDeutsche Bahn AG hat im November 2005 einen völliganderen Vorschlag vorgelegt. Ich will es nicht hinneh-men, dass der Bundestag bzw. die Bundesregierung stän-dig als ein Anhängsel, als ein Gehilfe der DeutschenBahn denunziert werden, sondern ich möchte, dass Siedie Fakten zur Kenntnis nehmen, dass das, was derBundestag und die Bundesregierung wollen, umgesetztwird. Das unterscheidet sich – lesen Sie es bitte nach;Sie sind schon länger mit der Sache beschäftigt als ich –
fundamental von dem, was wir hier vorlegen. UnserKonzept beinhaltet eine eigene tragfähige und zukunfts-orientierte Lösung, die das Prädikat „Sehr gut“ verdientund nicht das der Enteignung, der Zerschlagung undschon gar nicht des Etikettenschwindels.
Ich lege Wert darauf, dass Sie zustimmen und dassSie damit der Bahn die Zukunft eröffnen.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Kollege Dirk Fischer, CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!In einem effizienten Gesamtverkehrssystem werdenmoderne und leistungsfähige Bahnen dringend ge-braucht. Deutschland braucht daher eine effizienteSchieneninfrastruktur und starke Unternehmen, ganz be-sonders eine erfolgreiche DB AG. Nach 15 Jahren Bahn-reform hat sich dieses Unternehmen immer mehr zu ei-nem modernen, leistungsfähigen und serviceorientiertenUnternehmen entwickelt. Die DB AG von heute ist nichtmehr die Behördenbahn von gestern. Dies ist zum Vor-teil der Fahrgäste und Kunden.Kundenorientierung steht heute eindeutig im Vorder-grund. Das muss verstärkt werden. Hier müssen wireinen Trend zur Kenntnis nehmen und diesen fördern.Wir müssen auch dazu beitragen, dass wir die Mitarbei-ter bei der Veränderung ihrer Einstellung unterstützen.Deswegen ist manchmal ein gutes Wort der Anregungnotwendig.Die Bahn muss sich – das ist eine starke Herausforde-rung dieser Jahre – auf eine Europäisierung des Eisen-bdUgAtbweArgltAKBWursDugFKhogghvLsDI
b 2010 erfolgt die Marktöffnung im grenzüberschrei-enden Schienenpersonenfernverkehr. Die Eigenkapital-asis und Investitionskraft der DB AG müssen gestärkterden, damit sie sich der zunehmenden Konkurrenz imuropäischen Schienenverkehr erfolgreich stellen kann.ngesichts der Beträge, mit denen die SNCF aus Frank-eich versucht, in die Märkte anderer Staaten einzudrin-en, um sich auch dort zu positionieren, wäre es sicher-ich ein schwerer Fehler, wenn wir dem in Deutschlandatenlos zuschauen würden.
Deswegen – das sollte fraktionsübergreifend unsernliegen sein – braucht die DB AG den Zugang zumapitalmarkt. Die Teilprivatisierung der Deutschenahn ist nach meiner Überzeugung dafür der richtigeeg. Sie verschafft dem Unternehmen frisches Kapital,m in Deutschland investieren und in Europa konkur-enzfähig bleiben zu können.
Es ist nach meiner Meinung gut, dass das Eigentums-icherungsmodell endgültig vom Tisch ist.
ieses Modell war mit zu vielen haushaltspolitischennd juristischen Risiken verbunden. Mit dem jetzt vor-elegten Holdingmodell wird nach Auffassung meinerraktion ein Schritt in die richtige Richtung gemacht.
Ich fand es eindrucksvoll, wie sich insbesondere dieollegen der FDP und der Grünen sehr tapfer bemühtaben, heute die Rolle der Opposition wahrzunehmen,bwohl eigentlich auch sie diese Denkrichtung verfol-en.
Wir haben uns immer dafür engagiert – das war einemeinsames Vorgehen –, dass die Infrastruktur, daseißt das Schienennetz, die Bahnhöfe und die Energie-ersorgung, beim Staat bleibt, weil dies nun einmal dieebensader einer wettbewerbsorientierten Volkswirt-chaft ist.
as entspricht der grundgesetzlichen und finanziellennfrastrukturverantwortung des Staates, der er sich gar
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16877
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Dirk Fischer
nicht entziehen kann. Das ist auch bei den Bundesfern-straßen und Bundeswasserstraßen so geregelt.
Dass nur die Verkehrs- und Logistikgesellschaftenteilweise privatisiert werden, ist völlig richtig und, wieich denke, auch dringend notwendig. Ich nenne nur einBeispiel: Der Bund muss wahrlich nicht auf DauerVolleigentümer des größten deutschen und europäischenLkw-Unternehmens bleiben.
Dies ist nach meiner Auffassung weder ordnungspoli-tisch noch wirtschaftspolitisch sinnvoll, weil der Bunddann ständig in Konkurrenz zu Privatunternehmenstehen würde, die nicht den Vorteil einer faktisch staat-lich garantierten Insolvenzfreiheit besitzen.Gerne wäre natürlich meine Fraktion – dazu warenwir bereit – weiter als 24,9 Prozent gegangen. Aber jederweiß, was Kompromisse so mit sich bringen. Ich denke,mehr wäre aus wirtschaftlichen Gründen sinnvoller ge-wesen; denn beim Erlös der Teilprivatisierung wird nunsicher mit Abschlägen gerechnet werden müssen. Des-halb können aus meiner Sicht die 24,9 Prozent lediglichein erster Schritt sein.Es ist aber, wie ich finde, sehr richtig, schrittweisevorzugehen. Das haben wir seinerzeit bei der Privatisie-rung der Lufthansa nicht anders gemacht. Das war einWeg von 15 Jahren, bis das Aktienkapital von 85,4 Pro-zent nicht mehr in öffentlicher Hand war. Auch damalsbestanden am Anfang viele Urängste der Personalvertre-tung und der Mitarbeiter. Aber durch eine vernünftigeEntwicklung des Unternehmens, durch die Liberalisie-rung des Marktes, übrigens auch durch die Entwicklungder Börsenkurse – für den Finanzminister ist es ja immersehr spannend, wenn sie im Laufe der Jahre steigen – so-wie durch das Mitnehmen der Mitarbeiterschaft des Un-ternehmens in positivem Sinne war von den Ängsten amEnde des Prozesses, 1997, als der Bund die restlichenAktien verkauft hat, nichts mehr zu hören. Deswegensollten wir auch in diesem Fall schrittweise und vernünf-tig vorgehen und genau die logischen Schritte vollzie-hen, die ich eben angesprochen habe.Der Bund zieht sich durch die Teilprivatisierung nichtaus der Daseinsvorsorge zurück. Er investiert jährlichrund 3,6 Milliarden Euro in die Instandhaltung und denAusbau des Schienennetzes. Wir als Verkehrspolitikerwünschen uns mehr. Gleichzeitig verzichtete der Bundbisher trotz der Unternehmensgewinne der DB AG im-mer auf die Ausschüttung einer Dividende. Auch die ge-samten Trassenentgelte,
quasi die Schienenmaut, jährlich etwa 4,3 MilliardenEuro – das ist 1 Milliarde Euro mehr als bei der Lkw-Maut –, bleiben Jahr für Jahr im Unternehmen.
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Die DB Regio muss sich daher auch in Zukunft an-trengen, um bei den ausgeschriebenen Strecken den Zu-chlag zu bekommen.
m Übrigen ist sie sinnvollerweise dabei, sich stärker imuropäischen Markt, in Drittstaaten, zu positionieren.as heißt, eine Europäisierung ist klar erkennbar.Die Eisenbahninfrastrukturgesellschaften bleibeneiterhin der DB AG Holding untergeordnet. Da an derolding keine Investoren beteiligt werden, bleibt die In-rastruktur wie bisher im 100-prozentigen mittelbarenigentum des Bundes. Kein einziger privater Investorrhält damit Zugriff auf die Infrastruktur.Der konzerninterne Arbeitsmarkt bleibt erhalten. Dasst wichtig für die Arbeitsplatzsicherheit der rund30 000 Beschäftigten. Wir wollen die Anliegen der Ar-eitnehmer ernst nehmen. Dies sind wir den Arbeitneh-ern schuldig, da sie über Jahre hinweg den erheblichenroduktivitätsfortschritt des Unternehmens mit drasti-chem Stellenabbau überhaupt erst ermöglicht haben.
ie Mitarbeiterzahl betrug 1994 355 000 und 200829 000. Ohne diese Entwicklung wäre die Produktivitätes Unternehmens nicht in die für ein Wirtschaftsunter-ehmen notwendige Dimension vorgestoßen. Deswegenaben wir gegenüber den Mitarbeitern eine gewisse Ver-flichtung.Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Privatisierungenn einem erheblichen Umfang zur Schaffung und Siche-ung von Arbeitsplätzen beitragen können. Bestes Bei-piel ist wiederum die Lufthansa. Aus dem defizitärennternehmen, das damals Subventionen brauchte, isteute ein solides und prosperierendes Unternehmen ge-orden. Allein seit 2004 hat die Lufthansa insgesamt5 000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Eine ähnlichentwicklung wünsche ich mir bei der DB AG und kann
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16878 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Dirk Fischer
sie mir auch sehr gut vorstellen, wenn wir in der richti-gen Richtung weiterhandeln.Ich komme zum Schluss. Die Teilprivatisierungkommt den Bahnkunden zugute, entlastet die Steuerzah-ler, stärkt das Eigenkapital des Unternehmens undschafft die Voraussetzungen für ein Innovations- und In-vestitionsprogramm, mit dem Kapazitätsengpässe besei-tigt werden können. Außerdem trägt die Teilprivatisie-rung zur Intensivierung von Lärmschutz, zur Sanierungvon Bahnhöfen und auch zur Entschuldung des Bundes-haushaltes bei. Das ist völlig in Ordnung, weil die Schul-den des Bundes unter anderem durch die Investitionen inden Schienenverkehr entstanden sind. Daher muss einTeil des Geldes zurückfließen.Dies ist insgesamt ein guter Weg, den wir unterstüt-zen sollten. Nun muss es darum gehen, in einem zügigenund sachgerechten Verfahren die dringenden Entschei-dungen im Deutschen Bundestag zu treffen. Daran wol-len wir engagiert mitwirken.
Das Wort hat nun Uwe Beckmeyer, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Seitens der Oppositionsfraktionen ist hier einigesbehauptet worden, das in dieser Debatte noch richtig-gestellt werden muss.Ich möchte mit unserem Antrag, den wir beschließenwollen, beginnen und seinen Inhalt verdeutlichen; dennich habe den Eindruck, dass er bei Ihnen als Zerrbild an-gekommen ist.
– Herr Hermann, halten Sie es aus! Ich habe Ihre Redeebenfalls ausgehalten.
Die Mehrheit in Deutschland und insbesondere diegroßen Parteien wollen den integrierten KonzernDB AG erhalten. Das heißt, 100 Prozent der DB AGwerden auch in Zukunft im Eigentum der Bundesrepu-blik Deutschland sein. Das hat zur Konsequenz, dass wirals Eigentümer für das Gesamtunternehmen die Verant-wortung tragen. Es verändert sich also nichts.Das Netz, der Energiebereich und die Bahnhöfe wer-den auch in Zukunft zu 100 Prozent im Eigentum derBundesrepublik Deutschland bleiben. Ich sage deutlich:Auch daran ändert sich nichts.
Herr Friedrich, sind Sie fertig? – Gut.Ich fahre mit meinen Ausführungen fort. Das bedeu-et, es verändert sich auf diesem Felde nichts. All dieje-igen, die vorher beklagt haben, dass es in diesem Be-eich Enteignungen geben wird und dass damit hoheilliardenbeträge Privaten in den Rachen geworfen wer-en, haben unrecht.Dann bleiben noch die Unternehmensteile Verkehrs-nternehmen und Logistik, die zum Teil zur Privatisie-ung anstehen. Wenn man genau hinschaut, dann siehtan, dass 75,1 Prozent auch von diesen Unternehmen,lso mehr als Dreiviertel, im Besitz der DB AG und da-it des Bundes bleiben.
as Risiko, dass Dritte auf den Aufsichtsrat in irgend-iner Form Einfluss nehmen können, geht gegen null.as hat zur Konsequenz, dass auch alle aktienpoliti-chen Instrumente, die wir brauchen, um Infrastruktur-nvestitionen durchzuführen und Bahnpolitik durchzu-etzen, voll und ganz in der Hand des Bundes und derB AG bleiben.
as hat zum Ergebnis, dass all Ihre Schwarzmalerei, dieie in den Raum stellen, falsch ist.Es geht darum, dass wir mit einer Beteiligung priva-en Kapitals in Höhe von 24,9 Prozent einen Börsenganges Verkehrsunternehmens organisieren wollen, um aufiese Art und Weise privates Kapital für Verkehrsleis-ungen, für Investitionen in die Infrastruktur, in die Stre-ken und Bahnhöfe, und zu einem Teil für den Bundes-aushalt zu mobilisieren. Darum geht es zurzeit. Dieorteile, die damit verbunden sind, sind so überwälti-end gut und groß, dass man nur sagen kann: Diese Vor-eile übersteigen alle Restbefürchtungen, die es mögli-herweise gibt.Was steht in dem vorliegenden Antrag? Darin steht,it welcher Zielrichtung wir die Einnahmen verwendenollen. Diese Einnahmen sollen unter anderem zurigenkapitalstärkung der DB AG verwendet werden, dieies notwendig hat. Wenn man sich den Geschäftsberichtnd die schmale Eigenkapitalbasis der DB AG,
erglichen mit den Schulden, die sie in den letzten8 Jahren für Investitionen gemacht hat, anschaut, dann,o denke ich, ist das vernünftig; denn damit werden dieinanzkraft und die Eigenkapitalausstattung eines Unter-ehmens, das zu 100 Prozent der Bundesrepublikeutschland gehört, gestärkt. Es ist gut so, dass wir dasun.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16879
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Uwe BeckmeyerDer Finanzminister wird ein Drittel der Einnahmenfür seinen Haushalt bekommen. Vorhin ist gesagt wor-den, wir finanzierten die DB AG ständig aus dem Haus-halt, zum Beispiel 2,5 Milliarden Euro für die Infrastruk-tur – Dirk Fischer hat auf die restlichen Größenaufmerksam gemacht –, 7 Milliarden Euro für die Regio-nalverkehre, womit die Länder ihren Regionalverkehrbestellen können. An dieser Stelle muss man deutlich sa-gen: Wir haben auch eine Verpflichtung dem Haushaltgegenüber.In Bezug auf das letzte Drittel wird ausdrücklich aus-geführt, wofür wir es verwenden wollen: für Infrastruk-turinvestitionen in das Netz, für Investitionen in denLärmschutz und für Investitionen in deutsche Bahnhöfe.Es gibt 5 400 Bahnhöfe, und die sehen alle nicht so auswie der Hauptbahnhof in Berlin. Hier besteht teilweiseein hoher Investitionsbedarf. Es ist richtig, dass wir hieretwas tun; denn die Bahn muss ihr Gesicht gegenüberdem Kunden in Zukunft verbessern.
Insofern ist es ein richtiger Weg, den wir hier be-schreiten. Er ist konsequent. Es besteht die Chance, dasswir ihn kontrollieren können. Kollege Hermann hat vor-hin von einer Entparlamentarisierung der Bahndebattegesprochen. Das ist eine völlig falsche Wahrnehmung.Das Gegenteil tritt ein. Wir werden mit der vorgesehe-nen Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zum ers-ten Mal ein Instrument haben, mit dem wir die Investi-tionen, die wir mit unserem Geld finanzieren wollen,tatsächlich kontrollieren können,
und zwar aufgrund eines Netzzustandsberichtes undnicht auf der Basis dessen, was vielleicht irgendwelcheTechniker aufschreiben. Dieser Bericht kann von denParlamentariern gelesen und verstanden werden, weil ernachvollziehbar ist. Dieser Netzzustandsbericht versetztuns in die Lage, den Netzzustand und die Netzentwick-lung zu steuern.
Das ist unsere Aufgabe. Daran wird zurzeit gearbeitet.Wir werden ihn, wie es der Minister ausgedrückt hat, imersten Halbjahr dieses Jahres bekommen.
Ich denke, das ist wichtig.Zu Herrn Gysi. Herr Gysi, Sie sind zwar kein Bahn-fachmann. Aber ich fand Ihre Rede noch schlechter alsdie von Lafontaine beim letzten Mal. Es war eine soge-nannte Elendstheoretikerrede, bzw. sie war geprägt von,wie ich neulich im Cicero gelesen habe, sozialistischenUtopieleichen im Programmkeller. In diese Kategoriefällt Ihre Rede zu dieser Frage.
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Ich möchte an dieser Stelle noch etwas zu der Perso-alie Hansen sagen. Hansen ist keine Personalie, diean einfach so abtut, wie Sie es getan haben. Wenn Sieich die deutsche Mitbestimmungslandschaft anschauen,ann stellen Sie fest, dass es durchaus üblich ist, dassewerkschaftsfunktionäre auch in Arbeitsdirektoren-ositionen sitzen. Das ist ein Element der betrieblichenitbestimmung. Ich bitte Sie, das nicht zu diskreditie-en, auch nicht im Hinblick auf die Person Hansen.
Kollege Beckmeyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage
es Kollegen Döring?
Herr Döring, bitte.
Herr Kollege Beckmeyer, herzlichen Dank. – Sind Sie
it mir der Meinung, dass es durchaus interessant ist,
enn um 12.36 Uhr die Meldung über den Ticker lief,
ass die Stelle eines Arbeitsdirektors geschaffen werden
oll und der Bewerber für diese Stelle schon jetzt von
einer derzeitigen Position zurücktritt und damit seine
ewerbung öffentlich macht? Vorstände werden nach
em deutschen Aktiengesetz eigentlich vom Aufsichtsrat
erufen. Dieser Aufsichtsrat, der zu 100 Prozent durch
om Bund bestellte Vertreter besetzt ist, hat heute, wenn
ch das richtig sehe, nicht getagt.
ind Sie nicht auch der Meinung, dass dieser Vorgang
urchaus interessant ist, wenn man weiß, dass hier um
4 Uhr eine Debatte zu diesem Thema beginnen soll?
Vielleicht können Sie mir eine weitere Frage beant-
orten: Wie viele Mitglieder der Arbeitsgruppe der SPD
erden als Zeichen der Dankbarkeit in Zukunft ebenfalls
ienst bei der Bahn tun?
Herr Döring, an dieser Stelle will ich gar nichts dazuagen, weil ich gar nichts dazu sagen kann. Ich bin nichtufsichtsratsmitglied. Ich bin weder bei der Bahn noch
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16880 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Uwe Beckmeyerin anderen Bereichen dafür verantwortlich. Das ist eineEntwicklung, die ich gar nicht kenne. Gegenüber Presse-vertretern, die mich gestern dazu befragt haben, habe ichauch nichts sagen können. Mich hat keiner gefragt. Diesozialdemokratische Fraktion hat damit nichts zu tun. Esgibt Gremien, die davon betroffen sind.
Es gibt einen Aufsichtsratsvorsitzenden und entspre-chende Gremien. Das ist deren Entscheidung. Diese Ent-scheidung hinterfrage ich momentan nicht.Ich habe lediglich gegenüber Herrn Gysi zum Aus-druck bringen wollen – ich glaube, das ist auch gelungen –,dass man in diesem Umstand insofern nichts Spektakulä-res erblicken kann, als Gewerkschaftsleute im Rahmender paritätischen Mitbestimmung schon heute in deut-schen Unternehmen mitarbeiten. Ich kenne viele davonund kann sagen, dass sie einen sehr guten Job machen;auch das muss einmal deutlich gesagt werden.
Ich habe an dieser Stelle noch etwas hinzuzufügen.Vorhin ist zum Ausdruck gebracht worden, dass wir eineBahnreform durchführen, die unparlamentarisch ist, dieam Ende zu einer Enteignung führen wird, die dazu füh-ren wird, dass Monopolisten etwas zugeschustert wirdoder das sogenannte böse Kapital Zugang zu dem be-kommt, was wir „unsere Bahn“ nennen. Am Ende desTages werden wir eine Deutsche Bahn haben, die übereine bessere Eigenkapitalbasis verfügt. Wir werden einNetz in Deutschland haben, das durch zusätzliche Inves-titionen besser wird, wodurch logistische Transportleis-tungen noch effizienter durchgeführt werden können.Wir werden auf bestimmten Streckenabschnitten endlichdie Investitionen bekommen, die absolut notwendigsind. Letztendlich werden wir in Sachen Wettbewerb et-was hinzufügen, was von einigen in diesem Hause bishervermisst wurde.Insofern meine ich: Schwarzmalerei taugt nichts. AmEnde werden wir ein vorzeigbares unternehmerischesErgebnis haben. Das Ergebnis als solches zählt: mehrEigenkapital, bessere Schieneninfrastruktur, bessereBahnhöfe und mehr Lärmschutz an deutschen Schienen.Die Infrastruktureinrichtung Deutsche Bahn, die schonjetzt zu den besten der Welt gehört, wird am Ende nocheffizienter, noch kundenfreundlicher und damit logis-tisch noch interessanter als in der Vergangenheit sein.Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort nun Kollegen Enak Ferlemann,
CDU/CSU-Fraktion.
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Ja, sehen Sie einmal.Heute stehe ich sehr erfreut hier, weil wir einen gutenag für Deutschland haben, nicht nur, weil draußen wun-erschönes Wetter ist,
ondern auch, weil wir eine sehr vernünftige Bahnre-orm bekommen. Es ist ein sehr gutes Modell. Das sagech nicht nur deshalb, weil wir an dem Modell hart gear-eitet haben, sondern auch in der Funktion als Vorsitzen-er des Unterausschusses Eisenbahninfrastruktur.Es gab bei der Diskussion viele Irrungen und Wirrun-en – das ist hier von einigen Rednern angesprochenorden –, aber es gab immer Kolleginnen und Kollegen,ie eine klare ordnungspolitische Orientierung gehaltenaben. Ich möchte als Erstes sagen: Ich bin meiner Frak-ion außerordentlich dankbar,
nsbesondere den Verkehrspolitikern, dass sie immeriese Linie gehalten haben, auch wenn es manchmal hartmstritten war. Ich bin der Bundeskanzlerin und demundesfinanzminister sehr dankbar dafür,
ass auch sie letztlich diese ordnungspolitische Linie ge-alten haben. Ich darf an dieser Stelle auch den Kollegenlaas Hübner besonders erwähnen, für den es mit demrdnungspolitischen Ansatz vielleicht nicht immer ein-ach war, hier für Mehrheiten zu sorgen. Aber es ist eineute Bahnreform dabei herausgekommen.Wir haben zwei wesentliche Essentials, die denjeni-en wichtig sind, die ein solches Modell wie das, dasetzt umgesetzt wird, möchten: eine klare Trennung vonetz und Betrieb sowie einen staatlichen Teil und eineneilprivatisierten Teil.
ch will Ihnen eines sagen: Ich finde auch den integrier-en Konzern gut. Denn der integrierte Konzern sorgt da-ür, dass wir im Übergang zu einer solchen Trennung
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Enak Ferlemannkeine Schwächen im europäischen Wettbewerb zeigen,sondern einen sehr gut aufgestellten Konzern haben, derdie Bahn betreiben kann.
Ich glaube, es gibt orientiert an dem Modell von 1994sehr viele Gewinner der Bahnreform; aber es gibt auchVerlierer. Einer sitzt dort vorne: Herr Gysi. Er hat über-haupt nicht begriffen, worum es geht.
Er hat gesagt, dass er von Bahnpolitik nichts versteht.Das hat er hier bewiesen; das kann man nicht anders sa-gen. Aber dass es mit der Mathematik bei Ihnen auchnicht klappt, habe ich vorher nicht gewusst.Kollege Hermann, Ihre Rechnung müssen Sie mirnoch einmal vormachen: Die Hälfte von der Hälfte istein Achtel vom Ganzen.
So etwas haben wir überhaupt nicht vorgesehen. Ichweiß gar nicht, wie Sie auf solche Zahlen kommen.
Wenn wir unseren Antrag beraten, werden wir in Ruheklären können, was es mit Ihrer eigentümlichen Mathe-matik auf sich hat.Die Bahnreform hat viele Gewinner. Sie sorgt dafür,dass die DB Kapital für das Wachstum bekommt. Siesorgt dafür, dass das Schienennetz ausgebaut werdenkann; die Seehhafenhinterlandanbindungen sind erwähntworden. Die Nutzer bekommen einen diskriminierungs-freien Wettbewerb. Hier wird im Übrigen die Bundesnetz-agentur ihre erfolgreiche Arbeit fortführen können. DerBundeshaushalt bekommt für die Konsolidierung einenTeil der Erlöse der Privatisierung. Wir bekommen eineLeistungs- und Finanzierungsvereinbarung, durch diewir Steuerungselemente erhalten, die wir als Parlamenta-rier so noch nie hatten. Die Bundesländer haben eineklare Haltung zur Infrastrukturverantwortung des Bun-des. Die Kunden bekommen durch mehr Wettbewerbmehr Leistung für das gleiche Geld, bessere und neueAngebote im Regional- und Fernverkehr sowie im Gü-terverkehr.Dass auch der Transnet-Chef seit heute zu einem gro-ßen Gewinner der Bahnreform zählt, wussten wir vorherso nicht. Ich halte den Zeitpunkt der Ankündigung in derTat für geschmacklos; da gebe ich Kollegen Döringrecht.
Das ist außerordentlich unsensibel. So sollte man mit ei-nem Parlament nicht umgehen. Das wird im Aufsichtsratsicherlich für große Diskussionen sorgen.
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nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Rentenanpassung2008– Drucksache 16/8744 –– Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Arbeit und Soziales
– Drucksache 16/9100 –BerichterstattungAbgeordneter Anton Schaaf
– Drucksache 16/9108 –Berichterstattung:Abgeordnete Hans-Joachim FuchtelWaltraud LehnDr. Claudia WintersteinDr. Gesine LötzschAlexander Bonde
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Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierseb) Beratung des Antrags der Abgeordneten VolkerSchneider , Klaus Ernst, Dr. LotharBisky, weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKERente um vier Prozent erhöhen – Dämpfungs-faktoren abschaffen– Drucksache 16/9068 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
FinanzausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendHaushaltsausschussZu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSUund der SPD liegt ein Entschließungsantrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Damit eröffne ich die Aussprache und erteile demParlamentarischen Staatssekretär Klaus Brandner dasWort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Ich mute Ihnen heute etwas Goethe zu.
Denn ich habe den Eindruck, es tut gut, diese Debattemit ein wenig Geist zu bereichern. Goethe formulierte inseinen „Maximen und Reflexionen“ den goldenen Satz:Alle Gesetze sind Versuche, sich den Absichten dermoralischen Weltordnung im Welt- und Lebens-laufe zu nähern.Ich will jetzt keine höhere Moralität bemühen. Wasden vorliegenden Gesetzentwurf angeht, möchte ich al-lerdings für uns in Anspruch nehmen, dass wir uns an-strengen, das Richtige zu tun, und dabei auch die Reali-tät und den Lauf von Welt und Leben berücksichtigen.
– Ja, wir sind stets bemüht. Wir sind dabei aber auch er-folgreich. Das unterscheidet uns vielleicht voneinander.
Genau das ist es, was wir mit dem Rentenanpassungs-gesetz 2008 machen. Wir sind nicht stur und ignorierennicht, dass sich die Dinge ändern und dass neue Ge-sdgAlfdcEgtbmau2ahShnrgRnkseAd–ammwivmdlDlmDd
Viele internationale Experten würdigen unsere Re-orm als nachhaltig und zukunftsweisend; ich glaube,as wurde auch in der Anhörung eindruckvoll unterstri-hen. Wir nehmen aber auch die Realität zur Kenntnis.ine gute Entwicklung bei Wachstum und Beschäfti-ung beeinflusst die zukünftige Entwicklung der Ren-enkassen positiv. Die Dividende dieses Reformerfolgsleibt vielen Menschen aber noch vorenthalten.Darum handeln wir, wie Bundesarbeits- und -sozial-inister Olaf Scholz gesagt hat, prinzipienfest, nichtber als Prinzipienreiter. Wir setzen unsere solidarischend nachhaltige Rentenpolitik mit der Rentenanpassung008 fort, indem wir dafür sorgen, dass der Aufschwunguch die Rentnerinnen und Rentner erreicht. Eine Erhö-ung der Renten um 1,1 Prozent ist zwar kein großerprung, aber ein verantwortbarer Schritt. Diese Erhö-ung ist vor dem Hintergrund dreier Nullrunden und ei-er nur kleinen Erhöhung im vergangenen Jahr ein kla-es Signal. Gleichzeitig halten wir an dem Ziel fest, zuewährleisten, dass der Beitragssatz zur gesetzlichenentenversicherung bis 2020 die Marke von 20 Prozenticht übersteigen wird.Wir nebeln aber keinen Rauch auf und werfen aucheine Windmaschinen an, wie es andere tun, zum Bei-piel einige Landesarbeits- und -sozialminister und sogarin Ministerpräsident, die beim Thema Rente auf großeufregung setzen, am Ende aber ohne etwas Handfestesastehen werden.
Wer sich diesen Schuh anzieht, der muss ihn sich auchusgesucht haben; das ist doch völlig klar. Man stelltanchmal Schuhe hin. Wenn sie genutzt werden, weißan, wer zu wem gehört. Schönen Dank für diesen Hin-eis!Zurück zum Thema. Der vorliegende Gesetzentwurfst handwerklich sauber und, wie ich finde, klar nach-ollziehbar. Bei der Anpassung der Renten, die überehrere Jahre verteilt durchgeführt wird, haben wir auchie zusätzliche Altersvorsorge berücksichtigt, die wir al-en jüngeren Beitragszahlern ausdrücklich nahelegen.as steht noch viermal an, und dann ist dieser Faktor er-edigt. Jetzt verschieben wir das um zwei Jahre und er-öglichen damit eine Rentenerhöhung um 1,1 Prozent.ie beiden ausgesetzten Stufen der Riester-Treppe wer-en wir in den Jahren 2012 und 2013 nachholen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16883
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Parl. Staatssekretär Klaus Brandner
Dadurch werden die Beitragssatzziele erreicht, und dieRentenfinanzen bleiben stabil.Ich möchte ehrlich und gerne allen, die jetzt nochnicht überzeugt sind, zugestehen, dass sie ebenfalls nacheiner goldenen Regel von Goethe handeln, die da lautet:Man sollte wirklich nicht alles mit sich selbst verar-beiten, sondern manchmal eine kleine Beschwerdeführen, damit man so freundlich zurechtgewiesenund … aufgeklärt würde.Ich gehe also gerne auf einige Beschwerden – odernennen wir es Gegenargumente – ein, die in den vergan-genen Wochen vorgebracht wurden. Da ist zum einen dieFrage, warum trotz des deutlichen Aufschwungs dieRentenanhebung hinter der Preissteigerung zurückbleibt.Natürlich liegt das vordergründig schlichtweg daran,dass bei der Rentenentwicklung grundsätzlich kein Infla-tionsausgleich garantiert ist; denn die Rente ist eineLohnersatzleistung, die direkt an die Entwicklung derLöhne gekoppelt ist. Die Renten können daher nichtstärker als die Löhne steigen. Das wäre ungerecht; dieBeitragszahler würden klar benachteiligt.Zum anderen beobachten wir eine lang bekannte Rei-henfolge: Bei jedem Aufschwung steigt zunächst dieZahl der Beschäftigten, erst danach steigen die Löhne.Was die Beschäftigung angeht, verzeichnen wir großeErfolge. Das hat zu einer deutlich größeren Zahl vonBeitragszahlern geführt.
– Sie wollen doch wohl nicht die Zahlen infrage stellen.
– Die Zahlen muss man kennen. Exakt. Man muss sienicht nur lesen, sondern auch bewerten können und ver-stehen, dass die Beschäftigung – das ist heute dargestelltworden – erheblich steigt,
und zwar nicht nur im Bereich geringfügiger Beschäfti-gungen, sondern auch im Bereich der voll sozialversi-cherungspflichtigen Beschäftigung.
Die jüngsten Tarifabschlüsse geben uns Grund zurAnnahme, dass es in den kommenden Jahren größereRentenanhebungen geben wird. Die Daten, die bis jetztbekannt sind, können uns durchweg optimistisch stim-men. Darum ist es genau der richtige Schritt, jetzt dieRiester-Treppe auszusetzen. Bei einer weiterhin positi-ven Beschäftigungs- und Lohnentwicklung werden inden kommenden Jahren weitere Anhebungen folgen.Wenn wir 2012 und 2013 die Riester-Treppe nachholen,werden wir aufgrund anderer Faktoren, die dann wirken–ttZdNan–ghgrtnducdaAkgwdEsgsdcduGmadeGDwdzF
Da ist ein großer Unterschied. Es wurde immer so dar-estellt, als käme es zu einer riesigen Beitragssatzerhö-ung. – Nein, richtig ist, dass die Beitragssatzsenkungeringfügig verschoben wird. Ich glaube, das ist im Inte-esse der Rentnerinnen und Rentner sowie der Beschäf-igten in diesem Land. Die Rentenversicherung wirdicht dauerhaft belastet, weil wir nicht aussetzen, son-ern nur verschieben. Wir produzieren keine Defizite,nd trotzdem kann es in der nächsten Dekade zu deutli-hen Beitragssatzsenkungen kommen.Ja, auch das stimmt: Der Bundeshaushalt wird sowohlurch den Bundeszuschuss zur Rentenversicherung alsuch durch andere Sozialleistungen wie zum Beispiel dierbeitslosengeld-II-Leistungen belastet. Wir nehmenurzfristige Mehrausgaben bewusst in Kauf, weil dieute wirtschaftliche Entwicklung Spielräume schafft, dieir nutzen wollen, und weil dadurch Kaufkraft auch beienen entsteht, die es bitter nötig haben, nämlich denmpfängern von Grundsicherung und Sozialgeld. Un-ere Binnenkonjunktur kann diese zusätzliche Kaufkraftut gebrauchen; denn sie kann den weiteren Auf-chwung tragen. Wir werden die Finanzierung im Bun-eshaushalt innerhalb des bisher geplanten Rahmens si-herstellen; dabei schafft die gute Entwicklung Raum.Alles in allem möchte ich zusammenfassen: Wir han-eln prinzipientreu und mit offenen Augen für die Weltnd das wirkliche Leben. Es handelt sich also imoethe’schen Sinne um ein gutes Gesetz. Zum Schlussöchte ich sagen, dass wir ein wesentliches Ziel nichtus den Augen verlieren dürfen: Am Ende müssen wirafür sorgen, dass sich die Löhne in diesem Land besserntwickeln; denn gute und faire Löhne sind der bestearant für ordentliche Renten.
eshalb wird es in vielen Fällen notwendig sein, dassir als Gesetzgeber eingreifen und mit dafür sorgen,ass faire Löhne die beste Grundlage für eine gute so-iale Sicherung in diesem Land darstellen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Kollege Heinrich Kolb für die FDP-raktion.
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16884 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Kollege Brauksiepe hat heute Morgen in der Debatte
über die Verlängerung der Altersteilzeit erklärt, die
Union treffe ihre Entscheidungen nicht mit Blick auf
Wahltermine.
Dazu ist zweierlei zu sagen: Erstens. Es ist zu hoffen,
dass die Union zu ihrer Ablehnung einer erneuten Ver-
längerung der Altersteilzeit steht.
Zweitens. Es ist zu hoffen, dass diese Bemerkung mit
Blick auf die aufgehübschte Rentenanpassung nicht gilt.
Auch nach den Beratungen im Ausschuss bleibt es da-
bei: Die mit dem Gesetz zur Rentenanpassung 2008 er-
folgende Manipulation an der Rentenformel ist rein
wahltaktisch bedingt.
Die Koalition hat im Vorwahljahr Bauchschmerzen,
mit der sich aus der Rentenformel ergebenden Erhöhung
von 0,46 Prozent vor die Rentner zu treten. Vielleicht
hatten einige auch schon das zu Beginn der Woche be-
kannt gewordene Projekt einer neuerlichen Diätenerhö-
hung vor Augen, als sie bei der Höhe der Rentenanpas-
sung Handlungsbedarf entdeckten. Dass das Ganze der
Koalition nach der vernichtenden Kritik von Presse und
Wissenschaft eher peinlich ist, zeigt sich daran, dass
über den Entwurf eines Gesetzes zur Rentenanpassung
2008 nur eine Dreiviertelstunde und am Nachmittag de-
battiert wird. Es hätte uns gut angestanden, wenn wir uns
dafür mehr Zeit genommen hätten.
Wir kritisieren die Koalition, weil sie mit ihrem Ge-
setzentwurf ohne Not die in der gesetzlichen Rentenver-
sicherung durch die Reformen der Vergangenheit er-
reichte Nachhaltigkeit infrage stellt.
Man kann es auch so sagen: Mit dem Gesetz zur
Rentenanpassung 2008 löst die Koalition ein Problem,
das es ohne das gesetzgeberische Handeln ihrer Regie-
rung nicht gegeben hätte.
Das ist doch in der Anhörung gesagt worden – Frau
Schewe-Gerigk, Sie werden mir zustimmen –: Wenn die
Regierung die Rentenbeiträge für ALG-II-Empfänger
nicht gesenkt hätte, wenn die Regierung nicht ohne Not
den Rentenbeitrag erhöht hätte, wäre bereits nach der be-
stehenden Rentenformel rein rechnerisch eine Erhöhung
von etwa 0,9 Prozent herausgekommen.
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ie lösen also ein Problem, das es ohne Ihr Tun nicht ge-
eben hätte.
Die Entlastung ist, was den Weg angeht, nicht ohne
lternativen. Es gibt andere Möglichkeiten, die Rentner
u entlasten; man muss nicht zwingend an der Renten-
ormel, die auf Langfristigkeit, Verlässlichkeit angelegt
st, herumbasteln.
Herr Präsident, der Kollege Niebel möchte eine Zwi-
chenfrage stellen.
Das ist unvorbereitet.
Ich freue mich immer über gutes Zusammenspiel in
iner Fraktion. Herr Kollege, Sie haben die Gelegenheit
ur Zwischenfrage.
Der Kollege Kolb und ich gehören einer Fraktion an,
ie durchaus wissbegierig, lernfähig und lernwillig ist.
eswegen hat mich die Rede des Kollegen Kolb zu einer
rage animiert.
Der Kollege Kolb hat im Zusammenhang mit der
entenformel den Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit an-
esprochen. Ich würde gern wissen: Wenn die Koalition
etzt aus tagespolitischen Gründen von der Rentenformel
bgeht und bei der Rentenerhöhung würfelt, damit es
ehr wird für die Rentner – zwar nur wenig mehr,
Euro im Durchschnitt –, kann denn die Koalition mit
icherheit ausschließen, dass, wenn das nächste Mal ge-
ürfelt wird, die Rente außerhalb der Formel gesenkt
ird?
Dazu will ich erstens sagen: Diese Frage ist nicht vor-ereitet; sie ist ohne Netz und doppelten Boden.
Zweitens will ich sagen: Fragen von Kollegen aus derigenen Fraktion sind immer die gefährlichsten.Drittens will ich dazu sagen: Ich weiß nicht, welcheahlen sich noch auf dem Würfel befinden. Aber natür-ich ist richtig: Jetzt kommt bei diesem Spiel – einlücksspiel aus Sicht der Rentner – eine Erhöhung he-aus. Doch wenn man Manipulationen Tür und Tor öff-
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16885
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Dr. Heinrich L. Kolbnet, kann es eines Tages ohne Weiteres zu einer Absen-kung der Renten kommen. Das ist genau das Problem.
Herr Präsident, auch der Kollege Weiß möchte einenicht abgesprochene Zwischenfrage stellen.
Ich bin ja beruhigt, dass Sie das so betonen; sonst
könnte ich meinen Posten gleich verlassen, und Sie re-
geln das dann untereinander.
Herr Kollege Weiß, ergreifen Sie das Wort.
Herr Kollege Kolb, bevor Sie sich in weiteren Re-
chenbeispielen à la Niebel vergaloppieren,
möchte ich Sie fragen: Erinnere ich mich richtig, dass
Sie in mehreren Plenardebatten des Deutschen Bundes-
tages und in mehreren Ausschusssitzungen immer wie-
der gerügt haben, dass es im Jahr 2006 einzig und allein
durch die noch von der rot-grünen Koalition beschlos-
sene Vorfälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge, also
durch das Einkassieren von insgesamt 13 Monatseinnah-
men für die Rentenversicherung als einen Zweig der So-
zialversicherung –, möglich war, dass die Ausgaben der
Rentenversicherung durch die Einnahmen gedeckt wur-
den?
Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Sie können sich
kürzer fassen.
Konsequenterweise – Sie kritisieren die Vorfälligkeit
immer wieder – hat die FDP also bereits zum
1. Januar 2006 eine Erhöhung des Rentenversicherungs-
beitrages für notwendig erachtet. Ist das richtig?
Das ist vollkommen falsch.
– Das ist vollkommen falsch. Das habe ich Ihnen damalsauch schon erklärt.
Sie müssen einfach die sozialpolitischen Verschiebe-bahnhöfe betrachten, für die Sie verantwortlich sind. Imletzten Jahr wurde der Rentenversicherungsbeitrag fürdie Empfänger von ALG II halbiert. In der Rentenkassefehlten plötzlich 2 Milliarden Euro, die vorher da waren.Das hat übrigens auch die Konsequenz, dass die Emp-fknhlÜhskvudnI21tEddgIscIfmmNhmdVImsmsj1r
Tatsache ist, dass die jetzige Situation der Rentenver-icherung, die Sie offensichtlich zu allerlei Großzügig-eit verleitet, dem Vorziehen der Fälligkeit der Sozial-ersicherungsbeiträge geschuldet ist. Das ist so.Herr Weiß, Sie machen einen Denkfehler. Wenn ausnserer Sicht eine Erhöhung notwendig gewesen wäre,ann müsste das Geld heute weg sein. Das Geld ist aberoch da.
ch versuche ja immer wieder, Ihnen das zu erklären.006 hatte die Rentenkasse einen Bestand von etwa,2 Milliarden Euro. Das war die sogenannte Nachhal-igkeitsrücklage. Jetzt sind es etwas über 11 Milliardenuro. Das Aufkommen aus dem Vorziehen der Fälligkeiter Sozialversicherungsbeiträge beträgt etwa 10 Milliar-en Euro.Ich habe immer versucht, Ihnen und auch dem Kolle-en Brauksiepe das zu erklären. Angenommen, ich gebehnen heute einen 500-Euro-Schein – mittlerweile wis-en wir, dass es keine 1000-Euro-Scheine gibt –, Sie ste-ken ihn in Ihr Portemonnaie, vereinnahmen weiterhinhre Bezüge bzw. Ihr Gehalt und tätigen Ihre Ausgabenür Miete usw. Wenn der 500-Euro-Schein am Ende im-er noch da ist, dann ist das der Beweis dafür, dass Sieit Ihrem Geld ausgekommen sind.Die 10 Milliarden Euro sind nach wie vor in derachhaltigkeitsrücklage. Das heißt, auf dieses Vorziehenätte verzichtet werden können. Ich bringe es noch ein-al auf den Punkt: Eine Beitragserhöhung wäre nichtie notwendige Konsequenz aus dem Verzicht auf dasorziehen der Fälligkeit gewesen.
Ist das eine hinreichende Antwort auf Ihre Frage? –ch bedanke mich und fahre gerne fort.
Ich bin der Meinung: Wer die gewünschte Entlastungit der Konjunktur begründet, der muss das Rentenge-chenk auch aus Steuermitteln und nicht aus Beitrags-itteln bezahlen; denn es sind die Steuerquellen, dieprudeln, Herr Weiß. Der Bund profitiert von der kon-unkturellen Entwicklung, indem seine Einnahmen um10 Milliarden Euro steigen.Wenn man das Vorziehen der Fälligkeit heraus-echnet, dann erkennt man, dass die Überschüsse der
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16886 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Dr. Heinrich L. KolbRentenkasse die in Aussicht gestellte Rentenerhöhungnur bedingt hergeben. Wichtig ist, dass die Entlastungnur vorübergehend ist. Professor Bomsdorf hat das sogesagt: Bestellt wird jetzt, gezahlt wird später.
Die Bundesregierung leiht den Rentnern bis zumWahltag etwas Geld, das nicht ihr, sondern den Beitrags-zahlern gehört. Danach zieht sie es wieder ein. So stehtes ja auch schon im Gesetz. Das ist – darauf haben dieSachverständigen in der Anhörung ausdrücklich hinge-wiesen – sozusagen die unverzichtbare Geschäftsgrund-lage. Von den Rentenversicherungsträgern ist sehr deut-lich gesagt worden: Erfolgt die Nachholung nicht, dannist der Zielkorridor gemäß dem RV-Nachhaltigkeitsge-setz mit Sicherheit nicht mehr einzuhalten.Es besteht auch die Gefahr, dass die geplante Entlas-tung ungewollt zu hoch ausfällt – nicht in diesem, aberim nächsten Jahr. Nach 1,1 Prozent zum 1. Juli 2008könnte die Erhöhung im nächsten Jahr angesichts der Ta-rifvereinbarungen nämlich bei 3,5 Prozent und höher lie-gen. Das wäre eine große Belastung der Rentenkasse, diemit einem sich abschwächenden Aufschwung zusam-mentreffen würde. Dadurch könnte die Kalkulation derBundesregierung hinsichtlich der weiteren Entwicklungder Rentenfinanzen erheblich durcheinandergewirbeltwerden.Was bleibt? Die Große Koalition hat – das werfe ichIhnen vor – in dem Zweig der sozialen Sicherung, derbislang am besten auf die demografische Herausforde-rung vorbereitet war, ohne Not große Fragezeichen hin-ter gesichert erscheinende rentenpolitische Entscheidun-gen der letzten Jahre gesetzt.Wer schon in einem Vorwahljahr unaufgefordertNachgiebigkeit zeigt, Herr Weiß, wird sicherlich damitrechnen müssen, in einem Wahljahr mit 14 bis 16 Wah-len – darunter die Bundestagswahl und die Wahl zumEuropaparlament – hinsichtlich seiner Standfestigkeitgetestet zu werden. Darin liegt der eigentliche große ren-tenpolitische Schaden, liebe Kolleginnen und Kollegenvon der Union und der SPD.Herr Staatssekretär, Sie haben Goethe wahrscheinlichdeswegen zitiert,
weil ich in der ersten Beratung den Zauberlehrling be-müht hatte: „Die ich rief, die Geister, werd ich nun nichtlos.“ Sie liefern mit Ihrem heutigen Vorhaben eine wun-derbare Vorlage für die Linke, die folgerichtig – aber,wie nicht anders zu erwarten, ohne jeden Finanzierungs-vorschlag – die von Ihnen vorgesehene Rentenerhöhungum 1,1 Prozent mit der Forderung nach 4 Prozent mehrproblemlos toppt.An dieser Stelle vermisse ich die Führung der Bun-deskanzlerin. Es genügt nicht, als Regierungschefin dieManipulation der Rentenformel damit zu kommentieren,dass das kein ordnungspolitisches Meisterstück sei. EinedtSlgugCweSbtwFpNwrdebwtbfvtEsd
Lassen Sie mich das verdeutlichen. Herr Kolb hat vor
inem Jahr festgestellt, es sei unanständig, 13 Monats-
eiträge zu vereinnahmen; man vertusche damit die Not-
endigkeit einer Erhöhung des Rentenversicherungsbei-
rags.
Im nächsten Jahr, nachdem der Rentenversicherungs-
eitrag erhöht und damit seine eigentliche Forderung er-
üllt worden ist, stellt derselbe Herr Kolb fest, das sei
erkehrt und hätte nicht gemacht werden dürfen. Er ver-
ritt jedes Jahr das Gegenteil vom Vorjahr.
r ist mittlerweile in diesem Parlament die rentenpoliti-
che Unzuverlässigkeit in Person.
Herr Kollege Weiß, gestatten Sie eine Zwischenfragees angesprochenen Kollegen Kolb?
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16887
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Ja, selbstverständlich.
Herr Weiß, stimmen Sie mir zu, dass Sie mit Ihrer
Aussage nur dann recht hätten, wenn das Geld aus dem
Vorziehen der Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge
benötigt worden wäre, um die laufenden Ausgaben der
Rentenversicherung zu decken? Tatsächlich ist doch auf
wundersame Weise die Nachhaltigkeitsrücklage im Jahr
des Vorziehens der Fälligkeit der Sozialversicherungs-
beiträge um genau den Betrag angewachsen, den der
13. Monatsbeitrag erbracht hat. Ist damit nicht hinrei-
chend bewiesen, dass man auf das Vorziehen der Fällig-
keit hätte verzichten können?
Verehrter Herr Kollege Kolb, man sollte die Gesetzes-lage kennen. Das Gesetz besagt nämlich Folgendes: Inder Rentenkasse ist eine Nachhaltigkeitsrücklage vonmindestens 0,2 Monatsausgaben vorgeschrieben. DerBeitragssatz zur Rentenversicherung bleibt so lange aufdem von uns festgelegten Niveau, bis eine Nachhaltig-keitsrücklage von 1,5 Monatsausgaben erreicht wird.Dann sinkt der Rentenversicherungsbeitrag. Diese Rege-lung ist vernünftig, weil die Rentnerinnen und Rentnerin unserem Land sicher sein wollen, dass die Rentenver-sicherung jeden Monat tatsächlich in der Lage ist, aus ih-ren Einnahmen die Renten auszuzahlen, und dass dieRente nicht auf Pump ausgezahlt werden muss.
Herr Kollege Kolb, diese Sicherheit war nach Aussagealler Fachexperten damals nur mit einer Erhöhung desRentenversicherungsbeitrags zu gewährleisten. Das giltbis zum heutigen Tag.
– Entschuldigung, Herr Kolb, Sie haben gerade gesagt:Manipulation an der Rentenformel, pfui!
Sie schlagen offensichtlich vor, den Rentenversiche-rungsbeitrag zu senken, bevor 1,5 Monatsausgaben alsRücklage erwirtschaftet sind.
Nicht wir, sondern Sie wollen an der Rentenformelherumfummeln. Das ist der Punkt. Wir bleiben bei dem,was im Gesetz steht. Das ist die Wahrheit.
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nein, ich habe es gerade erklärt –, und das, obwohl esn Deutschland Gott sei Dank einen wirtschaftlichenufschwung gibt, die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-ehmer wieder Lohnzuwächse zu verzeichnen habennd wir wieder anständige Rücklagen in unserer Renten-ersicherung haben, weil wir das, was Herr Kolb vor-chlägt, nicht gemacht haben. Deswegen haben wir unsolitisch entschlossen, ein Element der Rentenformelicht aufzuheben oder zu manipulieren, sondern seineirkung um zwei Jahre auszusetzen, damit die Rentne-innen und Rentner zum 1. Juli 2008 eine Rentenerhö-ung von 1,1 Prozent bekommen. Das finde ich okay.as ist sauber gemacht. Es ist sachlich voll und ganz ge-echtfertigt.
Das, was die Oppositionsfraktionen vortragen undum Teil in Anträgen als Alternativen vorschlagen, istchlichtweg unsolide. Die einen wollen – das ist der Vor-chlag von Herrn Kolb – einmalig Schecks an die Rent-erinnen und Rentner verteilen. Die anderen wollen dieentenformel ganz abschaffen und die Rente nach Will-ür beschließen. Wiederum andere wollen vertuschen,as sie selbst beschlossen haben, als sie an der Regie-ung waren. Für all diese angeblichen Alternativen gilt:ie sind höchst unsolide und damit auch höchst unsozial.Der Präsident der Deutschen Rentenversicherung hatn der Anhörung klipp und klar erklärt: Der von der Ko-lition eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Ren-enanpassung 2008 ist systematisch, also rentenpolitisch,oll und ganz in Ordnung. Er hat im Hinblick auf die an-eblichen Alternativen festgestellt, dass der Gesetzent-urf der Regierung einen gangbareren Weg darstellt alsndere Konzepte. Wir haben also die höchste Anerken-ung und Auszeichnung vom Präsidenten der Deutschenentenversicherung ausgesprochen bekommen. Er weiß,ie es um die Rente bestellt ist, und hält unseren Wegür richtig.
Beachtlich war auch, dass auf Vorschlag von Bünd-is 90/Die Grünen Frau Dr. Monika Queisser von derrganisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit undntwicklung an der Anhörung zu dem Gesetzentwurfeilgenommen hat. Sie hat es als einzigartig, ja sogar alspektakulär bezeichnet, dass wir in Deutschland durchie Rentenreform
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16888 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Peter Weiß
unser Alterssicherungssystem sowohl an die demografi-sche Entwicklung als auch an die Situation auf demArbeitsmarkt angepasst haben. Sie hat zudem vorgetra-gen, dass Rentnerarmut in Deutschland im internationa-len Vergleich extrem selten ist. Ich muss bei all der stän-dig vorgetragenen Kritik sagen: Es ist beachtlich, welchhervorragendes Zeugnis eine internationale Expertin derdeutschen Alterssicherungspolitik am Montag ausge-stellt hat. Ich finde, darauf können wir miteinander stolzsein.
Ich finde, es ist kein Geschenk, das wir den Rentne-rinnen und Rentnern machen. Die Erhöhung von1,1 Prozent ist in Wahrheit kein riesiger Betrag. Es han-delt sich vielmehr um eine angemessene Erhöhung derRente für eine Generation von Rentnerinnen und Rent-nern, die dieses Land mit aufgebaut haben, die lange indie Rentenkasse eingezahlt haben, damit das System sta-bil gehalten haben und die jetzt am Lebensabend daraufbauen, dass sie von dieser Rente einigermaßen angemes-sen leben können. Deswegen gibt es keine Alternative zuunserem Vorschlag, aus 0,46 Prozent wenigstens1,1 Prozent zu machen.Es ist übrigens – wie ich glaube, von Herrn Kolb – inder Ausschusssitzung angemerkt worden, dass es früherin diesem Parlament üblich war, dass man wichtige ren-tenpolitische Vorhaben, insbesondere auch die Ren-tenanpassung,
in großer Einigkeit zwischen Regierungsfraktionen undOppositionsfraktionen beschlossen hat.
Es geht hier nämlich nicht um eine Regierungs- odereine Oppositionsrente, sondern es geht um eine Rentefür alle Rentnerinnen und Rentner in Deutschland. Ichhätte mir eigentlich gewünscht, dass bei einem solchkleinen Schritt, den Rentnerinnen und Rentnern wenigs-tens eine Rentenanpassung von 1,1 Prozent zum1. Juli 2008 zu ermöglichen, möglichst alle Fraktionenund alle Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bun-destags zustimmen.
Mit viel Optimismus und Energie haben Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer und Unternehmer in denlDwdScrDLrScvnljwwdlGdBErmBnblbkWatamkgoj
Nun haben der Vorredner Herr Weiß und der Parla-entarische Staatssekretär, aber auch Mitglieder derundesregierung gesagt, man wolle durch diese Maß-ahme die Rentnerinnen und Rentner am Aufschwungeteiligen. Da müssen wir die Frage stellen, was eigent-ich der Aufschwung ist. Wenn man jemanden an etwaseteiligen will, dann muss man wissen, woran. Nachlassischer Definition ist ein Aufschwung ein realesachstum der Wirtschaft. Einen Aufschwung haben wirlso dann, wenn wir einen realen Zuwachs des Reich-ums der gesamten Volkswirtschaft haben. Würde manlso jemanden am Aufschwung beteiligen wollen, dannüsste es zu einem realen Einkommens- bzw. Kauf-raftzuwachs kommen. Sie aber machen genau das Ge-enteil. Was Sie hier machen, ist entweder Zynismusder Dummheit – ich weiß nicht, welche Variante ichetzt nehmen soll.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16889
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Oskar LafontaineSie wissen offensichtlich nicht, wovon Sie reden. Wiekann man angesichts eines erneuten Kaufkraftverlustesfür die Rentnerinnen und Rentner von einer Beteiligungam Aufschwung reden? Da muss man nicht einmal diesimpelsten wirtschaftlichen Zusammenhänge kennen.
Aufschwung heißt nun einmal realer Zuwachs des Sozi-alproduktes. Sie muten den Rentnerinnen und Rentnernnoch einmal einen Kaufkraftverlust zu. Das ist Zynismusoder Dummheit; ich wiederhole es. Ich fürchte, ich kannzur Variante Zynismus angesichts der Debatte in diesemHohen Hause nicht mehr greifen. Es ist nicht zu fassen.
Die Rentnerinnen und Rentner haben in den letztenJahren einen Kaufkraftverlust von 8,5 Prozent hinneh-men müssen,
und Sie muten den Rentnerinnen und Rentnern einen er-neuten Kaufkraftverlust zu. Das ist die Realität. MeineFraktion ist nicht bereit, den Rentnerinnen und Rentnernnach all den Jahren einen erneuten Kaufkraftverlust zu-zumuten. Wir lehnen daher diese Unverschämtheit, dieSie hier vorlegen, ab. Das sage ich in aller Klarheit.
– Da lachen Sie auch noch.
Diejenigen, die uns jetzt zuhören, denken auch daran,wie wir – das sage ich als Bundestagsabgeordneter – unsunser Einkommen in den nächsten beiden Jahren erhö-hen; selbstverständlich denken sie daran.
Ich muss Ihnen sagen: Angesichts der Tatsache, dasssich die Erhöhungen der Diäten auf 16 Prozent summie-ren, ist das, was Sie der Rentnergeneration zumuten,eine bodenlose Unverschämtheit. Das sage ich in allerKlarheit.
Herr Kollege Lafontaine, gestatten Sie eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Meckelburg?
Dass Sie sich überhaupt noch trauen, sich hier hinzu-
stellen und zu sagen, wir wollen die Rentnerinnen und
Rentner am Aufschwung beteiligen, ist meiner Auffas-
sung nach nicht mehr nachvollziehbar.
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Darf ich noch mal fragen: Der Kollege Meckelburg
öchte eine Zwischenfrage stellen. – Bitte schön.
Herr Lafontaine, ich möchte es in großer Ruhe ma-
hen, obwohl mich die Art und Weise, wie Sie es hier
ortragen, sehr erregt. Haben Sie eine Ahnung davon,
ie unser deutsches Rentensystem funktioniert? Es ist
o, dass die Rentenentwicklung der Lohnentwicklung
es Vorjahres folgt. Das, was Sie hier mit Wirtschafts-
achstum, allgemeinem Wachstum, Kaufkraftausgleich
ermanschen, hat mit diesem System nichts zu tun. Wis-
en Sie, dass in der Anhörung auf Nachfrage geantwortet
urde, dass über die letzten 25 Jahre die Rentner mehr
avon profitiert haben, dass die Rentenentwicklung an
ie Lohnentwicklung und nicht an den Inflationsaus-
leich gekoppelt war?
Ich habe den Eindruck, dass Sie ziemlich viel ver-
anschen und Populismus betreiben, um die Leute zu-
ächst zu verunsichern und sich anschließend selber als
etter darzustellen. Deswegen habe ich diese Zwischen-
rage gestellt. Sie können sie beantworten oder nicht. Ich
ollte es einfach loswerden.
Vielen Dank für diese Zwischenfrage. Sie zeigt wie-er, dass Sie nicht verstanden haben, was Sie als Renten-eform hier in den letzten Jahren vorgenommen haben.ie haben nämlich durch die Dämpfungsfaktoren genauas Gegenteil von dem erreicht, was Sie jetzt sagen. Sieaben die Renten von den Löhnen abgekoppelt. Sie wis-en überhaupt nicht mehr, was Sie machen.
Wenn einfache Tatbestände schlicht nicht bekanntind oder ignoriert werden, macht es doch keinen Sinn,ier eine Sachdebatte ernsthaft führen zu wollen.
Was wir hier feststellen, ist, dass sich schlicht undinfach immer wieder Abgeordnete zu Wort melden undls Rentenexperten ausgeben, obwohl sie offensichtlichberhaupt nicht wissen, was sie angerichtet haben.
Sie haben die Renten von der Lohnentwicklung abge-oppelt.
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16890 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Oskar LafontaineNun möchte ich Ihnen sagen, wie sich das in Zahlendarstellt. Es geht nämlich nicht nur um die Renten, diejetzt ausgezahlt werden. Vielmehr geht es um dieRentenentwicklung der nächsten Jahre. Es liegen bereitsseit einiger Zeit Zahlen auf dem Tisch, die jeder von Ih-nen lesen kann. Die Zahlen sagen Folgendes aus: Je-mand, der heute 1 000 Euro in Deutschland verdient –ich sage das für die Zuschauerinnen und Zuschauer vorden Fernsehern, weil es bei Ihnen keinen Sinn mehrmacht –, hat eine Rentenerwartung von 400 Euro. Je-mand, der 1 000 Euro in OECD-Ländern verdient, hateine Rentenerwartung von 730 Euro. Und da stellen Siesich hin und wagen es, dies auch noch zu rechtfertigen.Es wäre zu wünschen, dass Sie einmal mit ähnlichenKürzungen konfrontiert werden, damit Sie wissen, wo-von überhaupt die Rede ist, wenn wir über Renten inDeutschland diskutieren.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie werdendiese Rentenformel nicht durchhalten.
Ich sage noch einmal: Sie werden die Dämpfungsfakto-ren aus der Rentenformel herausnehmen müssen. Daswird kein einmaliger Akt gewesen sein. Es ist überhauptkeine andere Möglichkeit mehr gegeben.Ich zitiere Herrn Laumann – ich wünschte mir, Siewürden wenigstens von ihm Lehren annehmen –, der ge-sagt hat, dass diese Rentenformel so keinen Bestand ha-ben könne.
Er hat gesagt, dass wir den Niedriglohnsektor „total un-terschätzt haben“. Wir werden in Zukunft 8 MillionenArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die jetzt noch ak-tiv sind, haben, die mit solchen Armutsrenten konfron-tiert sein werden.
Deshalb fasse ich hier zusammen: Sie sitzen ratlos daund haben ein schlechtes Gewissen. Sie haben die Ren-tenformel zerstört. Sie haben Altersarmut programmiert.Was Sie den Rentnerinnen und Rentnern heute zumuten,ist eine bodenlose Unverschämtheit. Wir lehnen eine sol-che Vorgehensweise ab.
Das Wort hat nun Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Zweifellos, es stimmt: Es gibt viele Rentnerinnen undRentner, die durch die Politik der Bundesregierung andm–ettLtGtSWdsddd6bdnRmlvtdnsnbdWJdwBAdssrkacdd
Der jetzigen.Die Ursachen liegen auf der Hand: die Mehrwertsteu-rerhöhung, die Erhöhung der Pflegeversicherungsbei-räge, die überzogene Erhöhung der Beiträge zur Ren-enversicherung, die Halbierung der Beiträge fürangzeitarbeitslose und die Förderung von Betriebsren-en zulasten der heutigen Rentnerinnen und Rentner.Jetzt stehen Sie, meine Damen und Herren von derroßen Koalition, vor dem Scherbenhaufen Ihrer Poli-ik; aber statt zu kitten, zerschlagen Sie neues Porzellan.ie versprechen den Rentnern und Rentnerinnen nämlichahlgeschenke, die vergiftet sind; denn sie müsseniese Wahlgeschenke in den Jahren 2012 und 2013elbst bezahlen. Bestellt wird heute, bezahlt wird später;er Kollege Kolb hat es gerade schon gesagt.Aber auch die künftigen Rentnergenerationen müsseniese Suppe auslöffeln; denn die wirklich Leidtragendener Politik, die Sie hier betreiben, sind die heute 50- bis0-Jährigen. Über 11 Milliarden Euro kostet Ihr Vorha-en bis zum Jahre 2030. Wenn Sie, Herr Weiß, sagen,as seien kleine Summen, dann verstehe ich die Welticht mehr.
Die junge Generation ist zu Recht in Sorge, dass dieentenpolitik zukünftig von Wahlterminen abhängig ge-acht wird. Das ist keine verlässliche Politik, das ist Po-itik nach Gutsherrenart. Zwar haben Sie im Ausschussersprochen, dies sei ein einmaliger Eingriff in die Ren-enformel; aber glauben Sie das wirklich selbst? Wennas Wahljahr 2013 ansteht und der Rentenwert 20 Centiedriger als der heutige ist – dies wurde in der Sachver-tändigenanhörung gesagt –, glauben Sie, dass Sie dannichts machen werden? Ich glaube das nicht! Für wielöd halten Sie eigentlich die Leute?
Da wir gerade bei den Wahlen sind: Jeder sieht, dassie Situation im Jahre 2008 wirklich problematisch ist.arum Sie aber zusätzlich schon jetzt die Renten für dasahr 2009 erhöhen, obwohl Ihnen alle Experten sagen,ass die Rentensteigerung 2009 sehr viel höher seinird, das ist doch mehr als durchsichtig. Herr Kollegerandner, wenn Sie in Ihrer Rede mit Bezug auf dieussetzung der Riester-Treppe dreimal Goethe zitieren,ann spricht das für sich.Auch wir sehen Handlungsbedarf, gerade bei Men-chen mit kleinem Einkommen. Ich finde, diese Men-chen dürfen für die Versäumnisse dieser Bundesregie-ung nicht bestraft werden. Denn es stimmt: Wer einleines Einkommen hat, hat große Schwierigkeiten, dienstehenden Erhöhungen des Beitrags zur Pflegeversi-herung, die Kostensteigerungen bei den Lebensmitteln,en Energiepreisen und den Gütern des täglichen Be-arfs zu verkraften. Deshalb haben wir Ihnen einen Ent-
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Irmingard Schewe-Gerigkschließungsantrag vorgelegt, in dem Akzente gesetztwerden, die deutlich anders sind als die der Bundesregie-rung. Es wird bei denjenigen angesetzt, die besondersschutzbedürftig sind.
Sie hingegen heben kleine und große Renten gleicher-maßen an.Erstens. Wir fordern die Bundesregierung auf, dieGrundsicherung im Alter endlich auf 420 Euro anzuhe-ben; denn der heutige Regelsatz deckt schon lange nichtmehr das soziokulturelle Existenzminimum. Darauf ha-ben Sozialexperten und Wohlfahrtsverbände mehrfachhingewiesen.
Zweitens. Wir wollen, dass die Halbierung des Ren-tenversicherungsbeitrags für Langzeitarbeitslose soschnell wie möglich zurückgenommen wird. 2,19 EuroRente im Monat nach einem Jahr Arbeitslosigkeit, dasist ein Hohn. Diese unsoziale Entscheidung hat dieGroße Koalition bereits im Koalitionsvertrag festgelegtund bis heute nicht zurückgenommen – trotz guter Kon-junktur und sprudelnder Steuereinnahmen.Drittens. Wir wollen nicht, dass die Rentner undRentnerinnen durch die sozialabgaben- und steuerfreieFörderung der Betriebsrenten benachteiligt werden. Die-ses Instrument ist als Anreiz für den Abschluss von mehrBetriebsrenten eingeführt worden. Dass dadurch jetztautomatisch die Renten gekürzt werden, das war nie dasZiel. Deshalb fordern wir, dass dieser Kürzungsmecha-nismus bei der Festlegung des aktuellen Rentenwerts he-rausgerechnet wird, wie Sie es im Übrigen auch bei den1-Euro-Jobs gemacht haben. Wir fordern Sie auf, hierebenso vorzugehen. Was können die Rentnerinnen undRentner dafür, dass wir Betriebsrenten besonders för-dern? Das ist ja gerade so, als würden Sie den einen et-was wegnehmen und es den anderen geben und denen,die am wenigsten haben, am meisten wegnehmen.Die Bundeskanzlerin hat Anfang April zugegeben,die Rentenerhöhung sei ordnungspolitisch keine Meis-terleistung. Wäre sie selbstkritischer gewesen, dannhätte sie eingestehen müssen: Die Probleme der niedri-gen Rentenanpassung sind hausgemacht und die unmit-telbare Folge von politischen Fehlentscheidungen dieserGroßen Koalition.
Statt die Ursachen zu beseitigen, hat sich die Kanzlerinfür eine Politik entschieden, deren Verantwortung mitdem Bundestagswahltermin endet.Ihnen, meine Damen und Herren von den Koalitions-fraktionen, ist es offenkundig egal, dass die Versicherten2011 und 2012 auf Beitragssenkungen vergeblich wartenmüssen. Es macht Ihnen offensichtlich auch nichts aus,dass die Rentnerinnen und Rentner in den Jahren 2012und 2013 Ihre vermeintlichen Geschenke wieder zurück-geben müssen und dann erst recht keine Rentenerhöhun-gen erwarten können. Das ist keine nachhaltige Politik.DGka4wwdwOsdIIoLdSDakegtdbttEdsNFI
ch finde, das ist unglaubwürdig. Deshalb lehnen wirhre Vorschläge ab.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Anton Schaaf, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die außer-rdentlich gekünstelte Aufregung des Kollegenafontaine,
er sich um seine Altersvorsorge mit Sicherheit keineorgen machen muss, war schon mehr als erstaunlich.
ie Art und Weise, wie da Kolleginnen und Kollegen alshnungslos oder Ähnliches diffamiert wurden, ist bemer-enswert und besonders stillos.
Zur Frage der Ahnungslosigkeit sage ich gerne nochtwas, indem ich die Vorschläge, die Sie in letzter Zeitemacht haben, in Bezug zum Rentenversicherungssys-em setze, wie es sich entwickelt hat. Ich halte es da miter Kollegin Kipping, die in der Frage völlig zutreffendeschrieben hat, wie Sie zum Rentenversicherungssys-em stehen: Sie gab zu, dass Sie schlicht kein rentenpoli-isches Konzept haben. Sie bringen zwar jede Mengeinzelanträge, haben aber überhaupt keine Ahnung, wasiese kumuliert bewirken würden. Auf diese Weise ver-uchen Sie, die Menschen im Land zu verunsichern.ichts anderes betreiben Sie die ganze Zeit.Schauen wir uns einmal an, welche rentenpolitischenorderungen seitens der Linken gestellt werden. Fraurmingard Schewe-Gerigk hat diese ja gerade kurz
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Anton Schaafangesprochen. Es geht ja nicht nur um die Erhöhung um4 Prozent, die da gefordert wird; es geht ja nicht nur umdie Dämpfungsfaktoren, die zurückgenommen werdensollen; es geht ja nicht nur um die Angleichung der Ost-renten an das Westniveau, die da gefordert wird; es gehtnicht nur um die Einzelinteressen bestimmter Berufs-gruppen, die da bedient werden sollen; es geht ja nichtnur darum, die Rente mit 67 und die damit zusammen-hängenden Faktoren wieder zurückzunehmen. Nein,wenn man sich das alles anschaut, kann ich dazu nur sa-gen: Da findet ein rentenpolitischer Blindflug statt, deruns mit Sicherheit nicht voranbringt,
sondern im Gegenteil unser Rentensystem, das wir ha-ben und das sich bewährt hat, mit Sicherheit in Gänzeund grundlegend infrage stellt. Ich warne Sie davor, die-sen Weg zu gehen.
Herr Kollege Schaaf, gestatten Sie eine Zwischen-
frage?
Nein, der Kollege Schneider wird gleich noch Gegen-stand meiner Ausführungen sein. Vielleicht können Siesich danach noch einmal melden, Herr Schneider. Dannwird es nämlich spannend.Im Ausschuss haben wir gestern die Anhörung ausge-wertet. An dem Verhalten der Linken dabei kann manschön klarmachen, wie die Linke operiert. Das war näm-lich wirklich hochinteressant. Die Linke hat immer eineeinzige Stelle aus der OECD-Studie zur Altersvorsorgezitiert. Das Zitat stimmt sogar, Herr Schneider; das willich gar nicht infrage stellen. Es steht an einer Stelle, woes um die drohende Altersarmut von Soloselbstständigenetc. geht. Die Linke hat aber diese Stelle aus der OECD-Studie immer separat und isoliert zitiert. Eine in zentra-ler Funktion an der OECD-Studie beteiligte Person warnun in der Anhörung, Frau Dr. Queisser. Ich fand es her-vorragend, was sie sagte, und danke den Grünen nocheinmal für die Einladung dieser Sachverständigen.Diese Sachverständige bescheinigt uns, dass die ren-tenpolitischen Veränderungen und Reformen, die insbe-sondere Rot-Grün durchgeführt hat, zukunftsweisendund zukunftsgerichtet sind und wir damit gut aufgestelltsind. Die Frage der drohenden Altersarmut von Solo-selbstständigen sei an der Stelle noch einmal ausgeklam-mert.
Ich habe dabei immer angemerkt, dass die OECD denBereich der privaten und der betrieblichen Altersvor-sorge gar nicht mitberücksichtigt hat.dalSVmddbHlalENbvtehzcRvntjbhsttGndahgnvWl
ier kämpft Don Quichotte aber nicht gegen Windmüh-en. Man muss es so sagen: Oskar Lafontaine ist nichtuf einer klapprigen Rosinante, sondern auf einem feh-enden Rentenkonzept unterwegs.
r bekämpft keine Windmühlen, sondern den drohendeneoliberalismus. Sie malen sich die Welt, wie Sie sie ha-en wollen, und so argumentieren Sie hier auch.Es ist schon ziemlich erstaunlich, dass Sie anderenorwerfen, sie hätten keine Ahnung von der Rentenpoli-ik und der -systematik. An Ihrer Stelle würde ich nochinmal in Ihrer Rede nachlesen; denn aus meiner Sichtatte das, was Sie gesagt haben, mit Ahnung nicht vielu tun.
Wir tun für die Rentnerinnen und Rentner jetzt mit Si-herheit nichts Herausragendes; das ist völlig klar. Eineentenerhöhung um 1,1 Prozent wird niemanden dazuerleiten, eine der Parteien der Großen Koalition imächsten Jahr zu wählen. Es ist Unfug, so etwas zu un-erstellen. Ich sage: Diese Rentenerhöhung ist das, wasetzt machbar ist, da die Rentner drei Jahre lang keinezw. nur eine ganz kleine Rentenerhöhung bekommenaben.Wir haben politisch entschieden, dass wir diesen Zu-tand in diesem und im nächsten Jahr so nicht beibehal-en wollen. Hier spielte ein Dämpfungsfaktor eine wich-ige Rolle. Damit Ihnen das klar wird, Frau Schewe-erigk: Es handelt sich um einen Dämpfungsfaktor, dericht dauerhaft – er ist kein Nachhaltigkeitsfaktor –, son-ern zeitlich begrenzt ist. Er wird auch nicht gänzlichbgeschafft, sondern nur verschoben.Es macht aus zwei Gründen durchaus Sinn, so vorzuge-en – das möchte ich an dieser Stelle deutlich machen –:Erstens. Die Riester-Treppe ist ein Stück weit der Ge-enpart zur Riester-Förderung. Diese wurde auf Arbeit-ehmerinnen und Arbeitnehmer ausgerichtet, die privatorsorgen wollen; sie werden entsprechend gefördert.ir sind aber noch lange nicht bei der Zahl von 30 Mil-ionen angekommen, die wir uns gewünscht haben und
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Anton Schaafdie auch möglich wäre. Wir liegen bei 10 Millionen. Wirkönnen daher einen Teil der Summe, die wir dafür ver-anschlagt haben, zurückgeben.Zweitens. In diesem Jahr fand eine Anhebung des Ren-tenversicherungsbeitragssatzes auf 19,9 Prozent statt;dieser Punkt ist mir sehr wichtig. In der Tat hätte mandarüber diskutieren können. Die Daten, die uns damalsvorlagen, haben diese 19,9 Prozent vorgegeben. Ausheutiger Sicht hätten wahrscheinlich auch 19,7 Prozentgereicht, aus damaliger Sicht aber nicht.Diese Anhebung des Rentenversicherungsbeitragssat-zes wirkt sich bei Anpassungen für die Renterinnen undRentner negativ aus.
Wenn wir die ausgesetzten Stufen der Riester-Treppe inden Jahren 2012 und 2013 nachholen, kommt es jedochzu Senkungen des Beitragssatzes zur Rentenversiche-rung, die sich für die Rentnerinnen und Rentner positivauswirken. Es gibt also inhaltliche Gründe dafür, diesdann zu tun, wenn es sich für die Rentnerinnen undRentner positiver auswirkt als heute.
Herr Kolb, eines möchte ich zum Schluss im Hinblickauf Wahltermine und Wahlgeschenke sagen: Wenn manGutes tun kann – natürlich stellt sich die Frage, ob esausreichend gut ist; dass man alles auch anders bewertenkann, ist mir klar –, muss man keine Rücksicht daraufnehmen, dass irgendwann in nächster Zeit Wahlen statt-finden. Wenn man für die Menschen Gutes tun kann,wenn man ihnen Möglichkeiten eröffnen und im Inte-resse der Menschen etwas weitergeben kann, dann sollteman dies unabhängig von Wahlterminen tun. Wir ma-chen das in diesem und im nächsten Jahr. Lassen Sie unsweiterhin eine so konsistente und zukunftssichere Ren-tenpolitik betreiben, wie wir es bisher gemacht haben.Die Dämpfungsfaktoren wirken, und zwar auf Dauer. Siewerden nun an einer Stelle für zwei Jahre ausgesetzt.Das ist begründbar, und das ist richtig.
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem
Kollegen Schneider von der Linksfraktion.
Lieber Kollege Schaaf, damit Sie nicht immer etwas
anderes wiederholen müssen: Meine Fraktion hat bereits
im Frühjahr letzten Jahres ein Rentenkonzept beschlos-
sen. Es ist vor zwei Monaten von unserem Parteivor-
stand noch einmal überarbeitet und erweitert worden.
Die Behauptung, wir hätten kein Rentenkonzept, ist also
schlicht falsch.
Zweiter Punkt. Wenn Sie sagen, wir würden das Ren-
tensystem zerschießen, sage ich Ihnen: Die Einzigen, die
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nd das bei einem Durchschnitt von 730 Euro in der
ECD. Das heißt, in einem der wirtschaftlich stärksten
änder der OECD wird der schlechteste Betrag über-
aupt ausbezahlt.
as hat man auch für andere Gruppen ausgerechnet. Das
ind Fakten, die in der Studie stehen. Jedes Mal stehen
ir im letzten Drittel. Das ist für mich ein Skandal.
enn Frau Queisser an der Stelle auf die Idee kommt,
as auch noch loben zu wollen, dann ist das für mich
ichts anderes als wirtschaftsliberales Gedankengut.
iesen Vorwurf habe ich immer vertreten, und davon
abe ich nichts zurückzunehmen.
Kollege Schaaf, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion.
Ich habe im Zusammenhang mit der OECD-Studieeschrieben, wie beliebig Sie in Ihrer Argumentations-eise sind. Mal nutzen Sie das eine, mal das andere. Voner Qualität des Vortrages her war das nichts anderes alsas, was der Herr Kollege Lafontaine vorher gemachtat.Die OECD-Studie – Frau Dr. Queisser hat es klippnd klar gesagt – macht deutlich, dass wir uns auf denichtigen Weg gemacht haben. Sie haben ja durchausecht, was die Bewertung angeht, was man in ungefähr0 Jahren bei einem Bruttoverdienst von 1 000 Euro anente bekommen wird. Aber außer Acht gelassen hat
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Anton Schaafdiese OECD-Studie die enormen Anstrengungen, die wirunternommen haben, was die private und die betrieb-liche Vorsorge angeht. Wenn man diese Beträge dazu-rechnet, dann – das sagt auch die OECD-Studie klippund klar – kommen wir auf das Niveau, das in Europaüblich ist.Von daher kann ich nur sagen: Wenn Sie etwas aussolchen Studien und Ähnlichem vortragen, dann tragenSie das in Gänze vor und nicht selektiv, nicht wie Sie esgerade politisch brauchen können, um Menschen zu ver-unsichern. Wir haben uns da auf den richtigen Weg ge-macht; da gibt es nichts zurückzunehmen.
Das Wort hat nun Kollege Max Straubinger, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ichglaube, die heutige zweite und dritte Lesung zeigt sehrdeutlich: Die Bundesregierung und die sie tragendenFraktionen sind sich ihrer sozialen Verantwortung be-wusst und werden ihr gerecht. Sie haben deshalb dieRentenanpassung so erhöht, dass die Rentnerinnen undRentner am Aufschwung teilnehmen können.Wenn das heute vielfältigst in Zweifel gezogen wor-den ist, so muss man auch die Maßstäbe darlegen:1,4 Prozent durchschnittliche Lohnsteigerung im ver-gangenen Jahr bedeuten 1,1 Prozent Rentensteigerungab dem 1. Juli dieses Jahres. Ich glaube, hier stimmtauch die Verhältnismäßigkeit. Man kann deutlich erken-nen: Das Rentensystem folgt letztendlich auch der Ent-wicklung der Löhne. Das ist gut so, wie wir heute bereitsfeststellen konnten; denn über 25 Jahre hinweg habensich die Löhne besser entwickelt als die Preissteige-rungsraten.
Wichtig ist aber nicht nur, die Rentnerinnen und Rent-ner am wirtschaftlichen Aufschwung teilhaben zu las-sen, sondern auch, das Ziel der Beitragssatzstabilitätnicht aus dem Auge zu verlieren. Der Vorschlag, den wirheute in zweiter und dritter Lesung beraten, wurde auchin den Anhörungen bestätigt. Er sieht eine Beitragssatz-stabilität von 20 Prozent bis zum Jahr 2020 und von22 Prozent bis zum Jahr 2030 vor. Damit soll nicht nurLeistungsgerechtigkeit, sondern auch Beitragsgerechtig-keit gewährleistet werden, besonders für die betroffenenArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das Rentenkon-zept, das es angeblich bei der Linken gibt, würde dazuführen, dass die Beitragszahler mit bis zu 28 Prozent be-lastet würden.
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eil dies unserer Rentenpolitik – auch die in der Vergan-enheit – in keiner Weise gerecht wird. In den letztenahren mussten einige notwendige Veränderungen imentensystem durchgeführt werden. Man muss sehen,ass man in der Rentenpolitik aufgrund neuer Gegeben-eiten immer wieder Veränderungen herbeiführen muss.nsere Rentenpolitik, die auf Dauer angelegt ist, sichertie Renten in Deutschland. Es bleibt dabei auch bei dereistungsorientierung in der Rente.
Heute wurde bereits in vielfältiger Weise auf Anträgeingegangen. Besonders bemerkenswert ist das Vorge-en der Linken, immer mehr zu fordern, aber nie darzu-tellen, was dies an Belastungen für die Arbeitnehmerin-en und Arbeitnehmer bedeutet.
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Max StraubingerDer Kollege Lafontaine ist mir heute fast so vorge-kommen wie der ehemalige Staatsratsvorsitzende ErichHonecker,
der zum 40-jährigen Bestehen des SED-Staates denRentnerinnen und Rentnern in Ostdeutschland 330 Ost-mark an Mindestrente zugesichert hat. Das ist sozusagendie Rentenpolitik der Linken, vormals PDS und SED.Dieser Tradition sind Sie heute noch verhaftet und wol-len dementsprechend Rentenpolitik gestalten. Dies leh-nen wir ab.
Ein weiterer Punkt. Kollege Lafontaine hat vieles ver-mengt. Er hat gefordert, dass sich das Wachstum derVolkswirtschaft in der Rente niederschlagen muss. Die-ser Zuwachs zeigt sich in der Förderung der Riester-Rente, Herr Kollege Lafontaine. Die Riester-Rente wirdim Falle von Geringverdienern mit bis zu 80 Prozent ge-fördert. Das ist eine Leistung unserer Volkswirtschaftund der Steuerzahler in unserem Land. Diese Förderungist ein Anreiz für die jungen Menschen, für das Alter zu-sätzlich vorzusorgen.
Es zeigt sich sehr deutlich: Wir haben mit dem heuti-gen Rentenanpassungsgesetz die bewährte Rentenpolitikder Vergangenheit fortgeführt. Ich bitte deshalb um Zu-stimmung.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von denFraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachtenEntwurf eines Gesetzes zur Rentenanpassung 2008. DerAusschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seinerBeschlussempfehlung auf Drucksache 16/9100, den Ge-setzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPDauf Drucksache 16/8744 anzunehmen. Ich bitte diejeni-gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um dasHandzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit denStimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmender Oppositionsfraktionen bei – wenn ich es richtig gese-hen habe – einigen Enthaltungen aus der CDU/CSU-Fraktion angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlussabstimmung. Dazu liegen schriftliche Erklä-rungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung von18 Kollegen vor1). Ich bitte nun diejenigen, die dem Ge-setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – WersiguCFßDßDCtDwdgD1) Anlagen 4 und 5
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Blockade von Oppositionsanträgen ist in diesem Haus
itte, aber ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
on der Koalition, trotzdem eindringlich darum, den Ge-
etzentwurf des Bundesrates nicht länger zu blockieren.
ie tun das nicht für mich, die Opposition oder den Bun-
esrat. Sie tun das für Menschen, die sonst keine Chance
m Leben mehr haben.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich gebe das Wort der Kollegin Maria Eichhorn,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!n Deutschland leben zurzeit schätzungsweise 140 000piatabhängige. Die meisten von ihnen konsumiereneroin. Diese Menschen können sich aus ihrer Suchticht mehr selbst befreien. Sie sind auf unsere Hilfe an-ewiesen.Herr Terpe, Sie sprachen gerade von Blockade. Beier Behandlung dieser Problematik geht es aber nichtm Blockade. Es gibt schlicht und einfach unterschiedli-he Meinungen zu diesem Thema. Ich denke, in eineremokratie muss es möglich sein, unterschiedliche Mei-ungen zu äußern und auszuhalten.Ziel aller Behandlungsmaßnahmen muss es sein,öglichst viele der Abhängigen in das bestehende Be-andlungssystem zu integrieren, um ihren Gesundheits-ustand zu stabilisieren und sie langfristig von ihrerucht zu befreien. Stabilisierung und Abstinenz sindwei Seiten derselben Medaille, nicht nur für die CDU/
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Maria EichhornCSU-Bundestagsfraktion, sondern auch für viele Fach-leute, und oberste Maxime jeder Substitutionsbehand-lung.
Das gilt auch für die Behandlung mit Methadon, von derin Deutschland 62 000 Patienten profitieren.Diese Ausstiegsorientierung spielt bei der Diamor-phinsubstitution jedoch keine Rolle. Der 1998 von derrot-grünen Bundesregierung vereinbarte Modellversuchhatte die Aufgabe, die Wirkung der Heroin- bzw. Metha-donbehandlung zu vergleichen, jedoch nur im Hinblickauf die Verbesserung des Gesundheitszustands und denRückgang des illegalen Drogenkonsums. Die Ergebnissedes Modellprojektes lassen nach unserer Meinung kei-nen sicheren Schluss auf die Überlegenheit der Heroin-substitution zu. Dieser Ansicht sind übrigens nicht nurwir, sondern auch viele Fachleute.
Unsere wichtigsten Kritikpunkte lauten: In derGruppe der Heroinpatienten ergab sich bei 80 Prozenteine Verbesserung des Gesundheitszustandes, in der Me-thadongruppe bei 74 Prozent. Das ist zwar statistisch si-gnifikant, aber dieser Unterschied beruht nach Meinungvieler Fachleute auf der unterschiedlichen Erwartungs-haltung. So traten bei vielen Heroinpatienten bereits vorStudienbeginn nur aufgrund der Erwartung der Behand-lung Verbesserungen des Gesundheitszustandes auf.Besorgniserregend sind die Ergebnisse der Studie imHinblick auf das Auftreten medizinischer Komplika-tionen, die übrigens bei der Anhörung bestätigt wurden.Von Atemdepression waren 23 Heroinpatienten betrof-fen, jedoch nur ein Methadonpatient. Krampfanfälle tra-ten bei 63 Heroinpatienten auf, aber nur bei einemMethadonpatienten. Schwere allergische Reaktionen be-trafen 7 Heroinpatienten, jedoch keinen Methadon-patienten. Hier handelt es sich nicht mehr um nur statis-tisch signifikante Unterschiede. Die Heroinbehandlungbirgt weitaus größere gesundheitliche Risiken als die Be-handlung mit Methadon. Wenn die Rede davon ist, dasswir Menschenleben retten wollen, dann dürfen wir dieseZahlen nicht aus den Augen verlieren.Der Rückgang des illegalen Drogenkonsums war beiden Patienten, die Heroin bekamen, zwangsläufig höherals bei den Methadonpatienten. Bei rund einem Drittelder Heroinpatienten änderte sich das Konsumverhaltentrotz Heroinvergabe nicht.
Es wurden weiterhin illegale Drogen wie Kokain, aberauch Heroin konsumiert. Von einem Erfolg der Behand-lung kann in diesem Punkt nicht gesprochen werden.
Begleitende Spezialstudien untersuchten unter ande-rem gesundheitsökonomische Effekte und die Kriminali-tHgtwlkldpd6IghwOhacgÜgrbEnFPeDwth8gksnn
n Zeiten knapper Kassen können wir unseren Mitbür-ern nicht zumuten, die Kosten für ein zusätzliches Be-andlungssystem aufzubringen, dessen Nutzen nicht er-iesen ist.
hne feste Orientierung auf den Ausstieg ist die Be-andlungsdauer zudem völlig offen.Die Ergebnisse des Modellprojektes sind für uns allesndere als überzeugend.
Es gibt viele medizinische, sozialpolitische und si-herheitspolitische Aspekte, die ungeklärt sind. Deswe-en hat sich unsere Fraktion mehrheitlich gegen eineberführung der heroingestützten Behandlung in die Re-elversorgung ausgesprochen. Stattdessen sollte die He-oinbehandlung im Rahmen eines neuen Modellvorha-ens mit dem Ziel weitergeführt werden, neuerkenntnisse zu erlangen und die angesprochenen offe-en Fragen zu klären. Dazu zählt beispielsweise dierage der Abstinenzorientierung. Denn nur 8 Prozent deratienten konnten im Rahmen des Modellversuchs inine Abstinenztherapie überführt werden.
amit ist auch noch nicht geklärt, ob diese erfolgreichar.Es wird ja immer gesagt, es seien nur ganz wenige Pa-ienten betroffen. Wer an der Anhörung teilgenommenat, der hat gehört, dass die Fachleute von bis zu0 000 Betroffenen sprachen. Ich frage Sie: Ist das eineeringe Zahl von Patienten? Es geht also nicht um eineleine Gruppe von Patienten, wie Herr Terpe gesagt hat,ondern es könnte sich um eine große Zahl von Betroffe-en handeln.Meine Damen und Herren, die Heroinbehandlung isticht ohne Alternative.
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Maria EichhornViele Sachverständige vertreten die Auffassung, dassUmfang und Ausmaß der psychosozialen Betreuung fürden Behandlungserfolg entscheidend sind.
Durch eine Intensivierung und Verbreiterung der psy-chosozialen Betreuung bei der Methadonsubstitutionwären, so sagen die Fachleute, ähnlich gute Ergebnissewie im Modellvorhaben mit Heroin zu erreichen. In An-betracht dessen stellt sich die Frage, wie man die vor-handenen Mittel so einsetzt, dass möglichst vielen Men-schen geholfen werden kann; denn darum geht esletztlich.
In der Schweiz werden zwei Drittel der Opiatabhängi-gen durch die Methadonsubstitution erreicht, in Deutsch-land wird nur die Hälfte dieser Gruppe erreicht. Dieszeigt, dass die Methadonbehandlung in der Bundesrepu-blik ausbaufähig ist.Da Sie, Herr Terpe, die zunehmende Zahl der Dro-gentoten angesprochen haben, möchte ich Sie daraufhinweisen: Sie sollten auch sagen, dass im Suchtberichtder Bundesregierung ganz eindeutig steht, dass die Ursa-che dafür nicht geklärt ist. Es ist lediglich davon dieRede, dass die Zahl der Drogentoten zugenommen hat,mehr nicht. Die Ursache für diese Entwicklung muss ge-klärt werden; das ist richtig. Sie können aber nicht be-haupten, dass diese Entwicklung auf die fehlende Hero-insubstitution zurückzuführen sei.Die Opposition hat vielfach betont, dass, was die vonihr vorgelegten Anträge angeht, besondere Eile gebotensei und dass die Weiterbehandlung der Patienten nurdurch eine gesetzliche Überführung in die Regelversor-gung sichergestellt werden könne. Davon kann keineRede sein. Dies bestätigt auch ein Schreiben der Parla-mentarischen Staatssekretärin im Bundesgesundheitsmi-nisterium, Frau Caspers-Merck. Darin heißt es, dass dieVersorgung der bisherigen Heroinpatienten durch die Fi-nanzierung der Städte gesichert ist.
Der Anteil der Bundesförderung ist mit 10 Prozent, ge-messen an den gesamten Behandlungskosten, ohnehingering.
Die Patienten werden seit Ende des Modellprojekts aufBasis einer Ausnahmeerlaubnis weiter mit Diamorphinversorgt.Karlsruhe, Köln und Frankfurt haben zudem Geneh-migungen für die Aufnahme neuer Patienten bekommen;das wissen Sie.
Ihre Behandlung ist also trotz unterschiedlicher Ansich-ten in diesem Hause sichergestellt. Die Diamorphinbe-handlung kann in den bestehenden Ambulanzen auchotsgPdlrgSuMlgoüfdmIlfcagWz
Für die FDP-Fraktion gebe ich das Wort dem Kolle-
en Detlef Parr.
Verschieben, vertagen und auf Zeit setzen, das, Frauräsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, prägt seitem Sommer 2006, also seit fast zwei Jahren, diese par-amentarische Debatte. Fast zwei Jahre lässt die Bundes-egierung Schwerstabhängige im Stich, lässt sie enga-ierte Städte und Gemeinden allein, betreibt sie eineucht- und Drogenpolitik von vorgestern
nd verfolgt sie eine Ideologie zulasten notleidenderenschen. Das ist ein beschämendes Schauspiel.
Zwischen der praktischen Politik vor Ort und der Po-itik zweifelhafter Prinzipien unter dieser Glaskuppel lie-en Welten. Es ist traurig, dass wir sogar die Geschäfts-rdnung bemühen mussten, um heute hier im Plenumberhaupt eine öffentliche Debatte über dieses Themaühren zu können.Meine Damen und Herren, die Ergebnisse des Mo-ellversuchs verlangen mehr als einen faulen Kompro-iss aus Fristverlängerungen und Ausnahmeregelungen.n den Metropolen Hamburg und München endet die Er-aubnis zur Weiterbehandlung der im Modellversuch be-indlichen Patientinnen und Patienten in gut sieben Wo-hen. Die Bundesförderung ist bereits seit zwei Monatenusgelaufen. Das ist ein unhaltbarer Zustand.
Dazu heißt es im soeben vorgelegten Sucht- und Dro-enbericht der Bundesregierung lapidar – Zitat –:Die Dokumentation und das Monitoring der dia-morphingestützten Behandlung in Deutschland sol-len jedoch weiterhin durch den Bund gefördert wer-den, damit im Sinne der Qualitätssicherung eineVerlaufskontrolle der Behandlung erfolgt, dieDurchführungsstandards und Behandlungseffekteeinschließt.ie großzügig! Das ist alles, was die CDU/CSU nochulässt: die seelenlose Verwaltung eines Projekts anstelle
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Detlef Parreiner berechenbaren Hilfe für alle Schwerstabhängigenauf einer sicheren Rechtsgrundlage.
Man muss dies vor dem Hintergrund betrachten, dass beieiner Anhörung vor acht Monaten von den beteiligtenStädten Hamburg, München, Frankfurt, Köln, Hannover,Bonn und Karlsruhe eindrucksvoll belegt wurde, welchsegensreiche Wirkung die diamorphingestützte Behand-lung bei schwer Opiatabhängigen entfaltet, bei einerkleinen Gruppe von Menschen, bei denen eine her-kömmliche Substitutionsbehandlung nicht erfolgreichverläuft, die von anderen Maßnahmen der Suchtbehand-lung gar nicht mehr erreicht wird, bei einer Gruppe vonLangzeitabhängigen, deren Alter über zehn Jahre höherals das des durchschnittlichen Drogenabhängigen inDeutschland ist, von Schwerstbetroffenen, für die es oftnur noch ums nackte Überleben geht.Erst vor drei Tagen – Harald Terpe hat darauf hinge-wiesen – stellte die Bundesregierung in einer Presse-erklärung fest, dass es bei Heroinkonsumenten im Jahr2007 leider eine Trendwende gegeben hat: Die Zahl derDrogentoten ist im Jahr 2007 im Vergleich zum Vorjahrum 7,6 Prozent gestiegen; es verstarben 1 394 Menschenan den Folgen des Konsums illegaler Drogen; 2006 wa-ren es noch 1 296 Menschen. Es ist richtig, FrauEichhorn: Eine klare Ursache für diese Entwicklungkann noch nicht benannt werden, weil die Auswertungs-ergebnisse noch nicht vorliegen. Eine mögliche Ursache– hören Sie jetzt genau zu! – könnte die veränderte Al-tersstruktur bei den Abhängigen sein, die inzwischen äl-ter geworden sind und bei denen der körperliche Verfallvoranschreitet. Aber auch die private und berufliche Per-spektivlosigkeit von Heroinabhängigen können drogen-bedingte Todesfälle begünstigen.Wie können uns in diesem Hause eigentlich solcheSchicksale kaltlassen?
Es wirkt fast zynisch, wenn im Sucht- und Drogenbe-richt, der auch von der Union als Regierungspartner ge-tragen wird, von vier Säulen die Rede ist, von denen einedie Überlebenshilfe ist. Ist es nicht Überlebenshilfe,wenn bei den Probanden die Zahl der regelmäßig arbei-tenden um 11 Prozent auf 27 Prozent steigt, wenn dieBeschaffungskriminalität sinkt, wenn der Zwang zurProstitution abnimmt und wenn die Delinquenzrate in-nerhalb eines Jahres von etwa 70 Prozent auf 27 Prozentzurückgeht?Das hat auch der Bundesrat so gesehen und mit deut-licher Mehrheit eine entsprechende Initiative in denBundestag eingebracht. Wir haben gemeinsam mit denGrünen und den Linken einen Gesetzentwurf erarbeitet,der auch von vielen Mitgliedern der SPD-Fraktion
und von Teilen der Union inhaltlich unterstützt wird. Esgibt also eine Mehrheit in diesem Hause, die die notwen-dige Gesetzesänderung will.
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a es hier um Überlebensschicksale geht, empfinde ichie Entscheidung als Gewissensentscheidung. Deshalbppelliere ich an die Union: Geben Sie die Abstimmungrei. Die Betroffenen und ihr Umfeld werden es uns dan-en.Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
Das Wort hat die Drogenbeauftragte der Bundesregie-ung, Sabine Bätzing.
Sabine Bätzing, Drogenbeauftragte der Bundesre-ierung:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Ich möchte die Aussprache für eine sachliche,üchterne und faktenorientierte Information zur Diamor-hinbehandlung nutzen.
Das ist richtig. – Dank des beachtlichen finanziellenngagements von sieben Städten, vier Ländern und desundes findet in Deutschland eine Diamorphinbehand-ung statt, die als weltweit anerkannte Arzneimittelstudieegonnen wurde.
Die Ergebnisse sind inzwischen in international re-ommierten Fachzeitschriften publiziert worden. Mitiesen Veröffentlichungen wurden die Ergebnisse in dienternational grundlegende Datenbank für evidenzba-ierte Studien aufgenommen. Damit sind meiner Mei-ung nach alle Zweifel an der wissenschaftlichen Quali-ät der Studie ausgeräumt.
Über was reden wir hier eigentlich? Wir sprechen hierber eine medizinisch fundierte Behandlungsform fürchwerstopiatabhängige. Diese Menschen sind nicht ir-endwie in den Teufelskreis der Abhängigkeit geraten,iese Menschen sind in ihrer Kindheit und Jugend starkernachlässigt, schwer misshandelt oder sogar sexuellissbraucht worden. Drogen sind für diese Menschenin Mittel, um diese quälenden Erlebnisse und Erinne-ungen ertragen zu können. Es kostet diese Menschenmmense Kraft, ihre seelischen und körperlichenchmerzen zu überwinden und ein abstinentes Leben zuühren.
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Sabine Bätzing, Drogenbeauftragte der BundesregierungUmso erstaunlicher sind die Ergebnisse der Diamor-phinbehandlung: 12,6 Prozent der Patienten, die ihre Be-handlung regulär beendeten, begannen entweder mit ei-ner Abstinenztherapie oder schafften es ohne weitereHilfe, abstinent zu leben. Fast 13 Prozent Abstinenz-quote, und das, obwohl sich die Experten einig sind, dassSchwerstopiatabhängigkeit eine chronische Krankheitist.Manche Kollegen glauben, dass sich die nachgewie-senen signifikanten Unterschiede zwischen Methadon-und Diamorphinsubstitution ausgleichen würden, wennman die bisherige Substitution ausbaute. Davor möchteich warnen. Wer das glaubt, vergleicht Äpfel mit Birnen;denn Diamorphin erhalten nur die Menschen, die mit derbisherigen Substitution nicht fachgerecht behandelt wer-den konnten.
Der unionsdominierte Bundesrat hat aus den Erfolgender Diamorphinbehandlung die richtige Schlussfolge-rung gezogen und mit der überwältigenden Mehrheit von13 Ländern einen Gesetzentwurf zur diamorphingestütz-ten Behandlung beschlossen.In ihrer Stellungnahme zu diesem Gesetzentwurf gehtdie Bundesregierung davon aus, dass unter anderem derGrundsatz der Ausstiegsorientierung noch geklärt wer-den muss. Kolleginnen und Kollegen, ich bin der Auf-fassung, dass sich mit den von mir genannten neuenZahlen auch diese Klärung eigentlich erledigt hat.
Ausstieg und Abstinenz sind anscheinend auch beischwerer Opiatabhängigkeit möglich, wenn auch nichtdie Regel. Deswegen fragen wir uns: Konnte die Dia-morphinbehandlung den Zustand derjenigen Patienten,die erwartungsgemäß in der Behandlung geblieben sind,verbessern? Ja, die Diamorphinbehandlung war und isterfolgreich. So ging zum Beispiel das riskante Konsum-verhalten, wie das gemeinsame Benutzen von Spritzbe-steck bezeichnet wird, quasi auf null zurück. Der ge-sundheitliche und psychische Zustand der Patienten hatsich zu Beginn der Behandlung deutlich verbessert undstabilisiert. Auch ihre soziale Situation ist deutlich bes-ser geworden: Der Anteil der arbeitsfähigen Patienten,die Arbeit fanden, stieg von 29 Prozent auf 68 Prozent.Die Verwicklung in illegale Geschäfte sank von über67 Prozent zu Beginn der Studie auf nun 7 Prozent.Mein Fazit lautet: Die Diamorphinbehandlung ist erfolg-reich bei den Schwerstopiatabhängigen, denen mit denbisherigen Therapien nicht ausreichend geholfen werdenkonnte.
Kolleginnen und Kollegen, noch erhalten die Betrof-fenen in den sieben Städten ihr Diamorphin; aber dieKseaPgesetaCtkeDaRwFgsdsIrdilhwätfg
Ich gebe das Wort der Kollegin Monika Knoche,
raktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Ich muss schon sagen, Frau Kolle-
in: Es ist nahezu beispiellos, mit welcher Chuzpe Sie
ich hier für die CDU/CSU gegen jede Wahrhaftigkeit in
er Argumentation verweigern, schwerkranken Men-
chen die notwendige medizinische Hilfe zu gewähren.
ch finde das beispiellos und auch skrupellos.
Angesichts der Tatsache, dass es kein arzneimittel-
echtliches und kein medizinethisches Argument gibt,
as auf Ihrer Seite steht, kann ich nur sagen: Es sind Ihre
deologischen Scheuklappen, von denen Sie sich leiten
assen und die zum Ergebnis haben, dass einem Teil der
eroinabhängigen Menschen das Recht abgesprochen
ird, nach dem neuesten Stand der Wissenschaft und
rztlichen Kunst therapiert zu werden. Das sind die Fak-
en, über die wir sprechen.
Frau Kollegin Knoche, gestatten Sie eine Zwischen-
rage des Kollegen Spahn?
Nein, Herrn Spahn gebe ich jetzt bewusst keine Gele-enheit.
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Monika Knoche
Es geht um nichts anderes als darum, Diamorphin alsein neues Medikament zuzulassen, damit Abhängigen,denen anders nicht geholfen werden kann, eine wirk-same Therapie zuteil wird. Selten – das muss ich beto-nen – gab es eine so intensive, über fast zehn Jahre wäh-rende fachliche Beratung über eine Gesetzesänderung indiesem Haus. Es wurde extra eine wissenschaftliche Stu-die durchgeführt, um dieses neue Medikament zu prüfenund mit dem Vorhandenen zu vergleichen.Das Ergebnis liegt vor: Diamorphin hilft nachweislichauf allen gesundheits- und sozial relevanten Gebieten.Es hilft diesen Menschen, ein Leben in Würde und freivon Kriminalität zu führen. Das müssen wir ganz hochrespektieren. Haben Sie Respekt vor diesen Menschenund vor der großen Leistung, die sie individuell erbrin-gen! Manche finden sogar den Weg in die Abstinenz.Wie können Sie darüber hinweggehen?
Ich frage: Sind Sie bereit, zu akzeptieren, dass vieledieser schwerkranken Menschen einen vermeidbarenfrühzeitigen Tod sterben, wenn diese Therapie nicht eta-bliert wird? Uns als Politikerinnen und Politiker stehtdiese Entscheidung über Lebensperspektiven anderernicht zu. Es steht uns auch nicht zu, mit Kostenargumen-ten dagegenzuhalten. Jedes individuelle Leben ist eswert, geschützt zu werden. Das sollten Sie als Christde-mokraten doch wissen.
Dieser Gesetzentwurf wird von der Bundesärztekam-mer, von den Suchtexperten, von den Bundesländernund von den Städten und Gemeinden getragen. Ich weiß,worüber ich rede. Ich habe das Projekt in Karlsruhe mitinitiiert. Sie gehen hier sogar gegen den Rat Ihrer eige-nen Oberbürgermeisterin vor und verweigern, dass dasParlament endlich eine Entscheidung treffen kann. Umwas geht es? Sie betreiben eine Obstruktionspolitik imGesundheitsausschuss und verweigern sich, sodass wirnach der Expertenanhörung keinen Beschluss fassenkonnten, um hier im Deutschen Bundestag ein Gesetz zuerlassen.Gemeinsam mit der FDP und den Grünen haben wirLinken hier einen Gesetzentwurf vorgelegt, der de-ckungsgleich mit den Interessen des Bundesrates ist. DieSPD spricht mit großer Überzeugung davon, dass siedieses Projekt durchführen will. Es gibt keinen Koali-tionsvertrag, durch den irgendjemand daran gehindertwird, nach bestem Wissen und Gewissen zu entscheiden.Es gibt auch keine Koalitionsvereinbarung, wonach die-ses Projekt verhindert werden soll.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ichsage das ganz ehrlich: Springen Sie an dieser Stelle undnabeln Sie sich von der CDU/CSU ab! Gehen Sie diesenSchritt mit uns gemeinsam! Die betroffenen Menschenund ihre Angehörigen, die die große Hoffnung in unssPkkKgbgSghnrzbvwaASdzithDAztKrwTsgsw
Frau Kollegin Knoche, weil Sie mir nicht die Gele-enheit gegeben haben, eine Zwischenfrage zu stellen,eginne ich mit einer Frage.Wenn Sie schon behaupten, hier sei nicht wahrhaftigesprochen worden, dann wäre ich Ihnen dankbar, wennie mir genau belegen könnten, welche Daten der Kolle-in Eichhorn nicht wahr sind. Wenn Sie eine solche Be-auptung aufstellen, dann müssen Sie auch sagen kön-en, welche Angaben nicht wahr waren. Es ist nichtedlich, einfach eine derartige Behauptung in den Raumu stellen.Des Weiteren – das gilt auch für andere Kollegen –ringen Sie immer wieder den Vorwurf der Ideologieor. Auch wenn man in der Sache zu einer anderen Be-ertung kommt als Sie und Nachfragen an die bereitsufgezeigten Ergebnisse dieser Studie hat – etwa was diebstinenzorientierung, die Zahlen usw. angeht –, solltenie sich auf eine sachliche Diskussion einlassen, statten Vorwurf der Ideologie wie einen Hammer einzuset-en.Ich würde Ihre Aufregung verstehen, wenn es derzeitn Deutschland keine Alternativbehandlung Heroinsüch-iger gäbe. Es gibt aber die Alternative der Methadonbe-andlung.
eswegen sollten Sie nicht so tun, als gäbe es keinelternative zu dem, was Sie fordern.
Was die Methadonbehandlung angeht, wäre vielleichtu prüfen, ob es nicht einer besseren psychosozialen Be-reuung bedarf, weil die Länder und insbesondere dieommunen in letzter Zeit vieles in diesem Bereich zu-ückgefahren haben. Bei einer ähnlichen Tagesstrukturie bei der Heroinbehandlung, bei der man dreimal amag eine entsprechende Stelle aufsuchen muss, gäbe esicherlich andere Ergebnisse.Wenn es Ihnen ein so großes Anliegen ist, Frau Kolle-in Bätzing, dann stelle ich mir die Frage, warum Sieich nicht bereit erklären, unseren Weg mitzugehen,enn wir das Angebot machen, das auch von den
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Jens SpahnStädten, von denen schon mehrfach die Rede war, be-grüßt und aufgegriffen wurde, nämlich die Studie fortzu-setzen und gemeinsam Möglichkeiten zu suchen, wieBundesmittel zur Verfügung gestellt werden können, umdie offenen Fragen zur Abstinenzorientierung, zum Bei-konsum etc. zu prüfen und sowohl den Städten als auchden Menschen zu helfen und – das ist das Entscheidende –neue Erkenntnisse zu gewinnen. Diesem Weg, der auchin Ihrem Interesse sein müsste, verweigern Sie sich aber.
Frau Kollegin Knoche.
Darauf kann ich Ihnen in aller Ruhe antworten. Da ich
selber Mitglied der damaligen Regierungsfraktion war,
die dieses Modellprojekt ins Leben gerufen hat, bin ich
sehr gut über die Kriterien für dieses Projekt informiert.
Ich bin auch eine engagierte Vertreterin der psycho-
sozialen Betreuung, die aber – das müssen Sie zur
Kenntnis nehmen – bei der Methadon- und der Heroin-
substitution in gleicher Weise ausgeprägt ist.
Hier kann man keine Differenzen ausmachen.
Heute geht es im Grunde um eine arzneimittelrechtli-
che Frage,
wie sie sich auch bei Diabetespräparaten, Psychophar-
maka oder anderen Präparaten stellt. Die Frage ist, ob
Heroin bei einem bestimmten erkrankten Personenkreis
besser geeignet ist, Therapieerfolge zu erzielen, als das
vergleichbare Präparat Methadon.
Dieser Nachweis wurde in der Studie geführt. Keine
der von Ihnen, Frau Eichhorn, vorgebrachten Äußerun-
gen betrifft die Wissenschaftlichkeit dieser Studie oder
zieht die Studie in Zweifel.
Wir als Gesetzgeber müssen die Voraussetzung schaf-
fen, dass das BfArM dieses Medikament zulassen kann,
da das Betäubungsmittelgesetz Heroin nicht als Medika-
ment zulässt. Die Ärzte werden dadurch Therapiefreiheit
erhalten, um zu entscheiden, welche Substitution oder
Abstinenztherapie für welche Patientinnen und Patienten
geeignet ist. Es ist eine rein medizinische, arzneimittel-
rechtliche Frage, die es zu entscheiden gilt. Es hat nichts
damit zu tun, ob ich einer Abstinenzorientierung oder ei-
ner Substitutionsorientierung zugetan bin. Es geht um
eine ganz andere Frage. Das scheint Ihnen nicht klar zu
sein.
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Nächste Rednerin ist Dr. Margrit Spielmann, SPD-
raktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ch hoffe sehr, dass die Diskussion, die wir heute ange-choben haben – eigentlich haben wir das schon seitwei Jahren mit Ihnen in den Ausschüssen oder Arbeits-ruppen vor –, dazu führt, dass wir auch in Zukunftachlich, konstruktiv und ergebnisorientiert miteinandermgehen.Mir und auch meiner Fraktion ist es völlig unver-tändlich, dass Sie die eindeutigen Ergebnisse – sie wur-en von Frau Bätzing vorgetragen – nicht wahrhabenollen und immer noch Diskussionsbedarf anmelden.lle mit dem Thema „diamorphingestützte Substitu-ionstherapie“ befassten Gruppen – seien es Ärzte, So-ialarbeiter oder Betroffene – fordern die weitere Ver-abe an Schwerstabhängige. Alle sind davon überzeugt,ass sich mit dieser Therapieform nachweislich die bes-en Ergebnisse erzielen lassen. Die unionsregierten Län-er Hamburg, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-estfalen fordern die Diamorphinabgabe. Unionsbür-ermeister aus Hamburg, Frankfurt und Karlsruhe, dieodellprojekte in ihren Städten haben, sind längst vomrfolg überzeugt. Ich frage Sie, Frau Eichhorn: Warumind Sie es nicht?
Betroffene und ihre Angehörigen werfen Ihnen, liebeolleginnen und Kollegen von der Union, zu Recht vor,ntscheidungen vor dem Hintergrund ideologischerberzeugungen – das wurde schon gesagt – zu fällennd damit – so meine ich – vor gesellschaftlichen Reali-äten und persönlichen Schicksalen die Augen zu ver-chließen. Ich frage Sie: Kann man eigentlich die Reali-ät in unserem Land wirklich so ignorieren? Ich denke,ass wir uns das gar nicht leisten können.
eshalb unterstützt die SPD-Bundestagsfraktion alsogische Konsequenz aus den Ergebnissen des Modell-rojektes den Gesetzentwurf des Bundesrates. Damitiegt ein Konzept für einen gangbaren Weg vor. Der Ge-etzentwurf beruht im Wesentlichen auf den Ergebnisseniner Bund-Länder-Arbeitsgruppe, an der auch die CDU/SU beteiligt war.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16903
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Dr. Margrit SpielmannDieser Gesetzentwurf enthält Regelungen, die den recht-lichen Rahmen für die Überführung der diamorphin-gestützten Therapie Schwerstopiatabhängiger in die Re-gelversorgung bilden.Ich fasse zusammen: Wir fordern, dass Diamorphinals verschreibungsfähiges Betäubungsmittel eingestuftwird und damit eine ausreichende Regelung geschaffenwird, gemäß der Diamorphin zur Behandlung verwendetwerden kann. Wir fordern, dass das Betäubungsmittel-gesetz, die Betäubungsmittel-Verschreibungsverord-nung und das Arzneimittelgesetz entsprechend ergänztund geändert werden, Frau Knoche. Wir fordern, dassdie Diamorphinsubstitution nur bei Schwerstopiatabhän-gigen Anwendung findet, die von anderen Therapiefor-men nicht erreicht werden können. Diamorphin soll unterstrengen Auflagen und ärztlicher Kontrolle vergeben wer-den. Wir wollen, dass am gesetzlich festgelegten Zieljeder Substitutionsbehandlung, nämlich an der Wiederher-stellung der Betäubungsmittelabstinenz sowie der Besse-rung und Stabilisierung des Gesundheitszustandes, festge-halten wird. Das soll ohne Einschränkung auch für diediamorphingestützte Substitutionsbehandlung Schwerst-opiatabhängiger gelten.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 6:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Jugendschutzge-
setzes
– Drucksache 16/8546 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
– Drucksache 16/9024 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Antje Blumenthal
Jürgen Kucharczyk
Miriam Gruß
Elke Reinke
Kai Gehring
Hierzu liegt uns jeweils ein Entschließungsantrag der
Fraktion der FDP und von Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Antje Blumenthal, CDU/CSU-Fraktion.
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Auch wenn Sie es wissen, so erkläre ich es doch denbrigen Kollegen. – All denjenigen, die sich im tagtägli-hen Leben nicht mit den Handlungssträngen von ge-alttätigen Actionspielen oder Shootern beschäftigen,ei gesagt: Alle drei sind schwerbewaffnete Hauptcha-aktere in aktuellen Videospielen.Wir stehen also vor einem Dilemma. Es gibt Spiele,ie für Kinder und Jugendliche wegen ihrer Härte undhrer brutalen Darstellung gänzlich ungeeignet sind, undir haben Eltern und Erzieher, die sich leider allzu seltenit den Medien, die ihre Kinder konsumieren möchten,uskennen.
llen Menschen, die Kinder erziehen und sich um derenntwicklung sorgen, kann ich deshalb nur zurufen:chaut hin! Schaut hin, was ihr den Kindern kauft, undchaut hin, womit sich eure Kinder vielleicht schoneute zu Hause beschäftigen! Denn in allererster Linieiegt es an den Eltern, abzuschätzen, welche Medienin-alte ihre Kinder sehen und welche Spiele sie konsumie-en dürfen. Aber – und hier kommt die Politik ins Spiel –ltern brauchen Unterstützung bei ihrer Erziehungsauf-abe; denn auf den ersten Blick ist nicht zu erkennen, obin Film oder ein Spiel für ein bestimmtes Alter freige-eben ist. Bisher haben wir zwar die Alterskennzeich-ungen; sie sind jedoch so klein und oftmals so
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Antje Blumenthalversteckt, dass wir den Eltern das Hinsehen unnötigschwer machen.Mit der heutigen Änderung im Gesetz machen wir Ju-gendschutz sichtbar,
weil wir die Größe der Alterskennzeichnung verdoppelnund weil wir die Altersfreigabe nun verpflichtend vorneauf dem Cover platziert haben; denn schließlich mussdie Altersangabe auf Filmen und auf Spielen für allesichtbar und erkennbar sein, um Kinder und Jugendlichezu schützen.Genauso wichtig wie das Sichtbarmachen von Alters-angaben ist aber noch ein Zweites: Wir müssen gefährli-che Inhalte für Kinder unsichtbar machen. Genau das tunwir mit den Klarstellungen der Indizierungskriterien.
Für die Indizierung kraft Gesetzes fügen wir „Darstel-lungen selbstzweckhafter Gewalt ..., die das Geschehenbeherrschen“ hinzu. Auch die Liste der jugendgefähr-denden Medien der Bundesprüfstelle erhält mit der Ge-setzesänderung klarere Richtlinien. Beides dient einemZweck: Medien, sowohl PC- als auch Videospiele undFilme, deren gewalthaltiger Inhalt für Kinder nicht ge-eignet ist, werden für sie nahezu unsichtbar. Denn washeißt es eigentlich, wenn ein Medium auf dem Indexsteht, ganz gleich ob es kraft Gesetzes indiziert oder vonder Bundesprüfstelle auf diese Liste gesetzt wurde? Esheißt, dass das Spiel und der Film nicht ausgestellt, nichtbeworben und vor allem nicht für Kinder und Jugendli-che frei zugänglich gemacht werden dürfen. IndizierteMedien werden damit für Kinder unsichtbar.Aber, wenn wir von Sichtbarkeit reden, dürfen wirunsere Augen nicht davor verschließen, dass Eltern beider Erziehung ihrer Kinder zu medienkompetenten Men-schen von den verschiedensten Stellen behindert werden.Wir müssen unseren Blick auf die unterschiedlichen Ak-teure und Einrichtungen richten, die Einfluss auf die Me-dienkompetenz und auf den Medienkonsum unsererJüngsten haben können. Was ist mit der Verkäuferin, dieversehentlich oder aber fahrlässig das Alter eines ju-gendlichen Spiele- oder Filmkäufers nicht überprüft?Was ist mit den Großeltern, die ihrem minderjährigenEnkel seinen heißersehnten Shooter schenken? Was istmit dem Versandhandel im In- und Ausland? Schlimmernoch: Was ist mit den nicht jugendfreien Filmen undSpielen, die sich die Kinder schon heute illegal aus demNetz ziehen können?
Mir fallen viele solcher Szenarien und damit verbundeneFragen ein, die noch nicht gelöst sind. Mir schießen di-verse Möglichkeiten durch den Kopf, wie Kinder undJugendliche an nicht altersgerechte Medien herankom-men können. Ich weiß auch, dass es hier nicht reicht, dieEltern aufzufordern, hinzusehen, und ein Gesetz zu er-lassen.
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Ich habe es bereits kurz erwähnt: Der Jugendschutzm Onlinebereich, also im Internet, wird mit der vorlie-enden Gesetzesänderung noch nicht berührt. Geradeber das Internet bietet Einfallstüren, um den Jugend-chutz zu umgehen, was die anstehende Überarbeitungdarin sind wir uns hier im Hause alle einig – dringendrforderlich macht.
as Internet bietet nämlich Kindern und Jugendlichenahlreiche Möglichkeiten, an nicht altersgerechte bzw.icht freigegebene Medien illegal heranzukommen undu spielen.Hier besteht also noch erheblicher Handlungsbedarf,ei dem die Bundesländer unabdingbar sind. Denn derugendmedienschutz-Staatsvertrag, der die Onlineme-ien regelt, steht unter dem Vorbehalt der Länder. Damitomme ich jetzt zu den beiden Entschließungsanträgener Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und FDP.Meine Damen und Herren, die von Ihnen angespro-henen Punkte sind bereits Thema in den laufendenund-Länder-Gesprächen. Des Weiteren sind die einzel-en Länder bereits dabei, zum Beispiel bei den Bußgeld-ätzen transparente Regelungen festzusetzen. Also,
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Antje Blumenthalmeine Damen und Herren von der Opposition, achtenSie zunächst auf die von der Verfassung vorgegebeneAufgabenverteilung und warten Sie bitte die Ergebnisseder laufenden Bund-Länder-Gespräche ab.
Ich denke, diesbezüglich sind wir auf einem guten Weg.Gerade mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurfwerden die am runden Tisch vereinbarten bundesgesetz-lichen Maßnahmen umgesetzt. Ich bitte Sie deshalb umZustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf. Wir wer-den die beiden Entschließungsanträge aus den von mirgenannten Gründen ablehnen.Vielen Dank.
Ich gebe das Wort dem Kollegen Christoph Waitz,
FDP-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Die Gesetzesinitiative der Bundesregierungzur Novelle des Jugendschutzgesetzes ist sicher gut ge-meint. Leider fasst die Initiative die eigentlichen Pro-bleme nicht an, und da ist es auch nicht verwunderlich,dass wir in Ihrem Gesetzespapier keine Lösungsvor-schläge für die eigentlichen Probleme finden konnten.
Frau von der Leyen ist heute leider nicht anwesend,
aber wir haben es schon in der ersten Lesung gesagt: IhrGesetzentwurf ignoriert die aktuellen Empfehlungen desHans-Bredow-Instituts.
Dabei hat das Institut im Auftrag ihres Ministeriums denaktuellen Jugendschutz auf Schwachstellen hin abge-klopft. Das Hans-Bredow-Institut hat viele Verbesse-rungsvorschläge gemacht, die jetzt der Gefahr unterlie-gen, ins Leere zu laufen.
Ihr Gesetzentwurf, Frau Bundesministerin, ist unzurei-chend, und wir bedauern das. Eltern, Kinder und Jugend-liche in unserem Land hätten es verdient, dass wir unsgemeinsam mehr Zeit für eine sorgfältige Prüfung derProbleme genommen hätten. Mit Ihrem Zeitmanagementhaben Sie die Chance verpasst, den Jugendmedienschutznoch in der 16. Wahlperiode effektiv zu reformieren.s–lrhSErgnhmVmkuupSBndbedgunkvbtwKsdGssAmgVSd
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir Liberaleind der Meinung, dass ein effektiver Jugendschutzauch Jugendmedienschutz – in den Familien und Schu-en anfangen muss. Ohne diese Basis können alle weite-en begleitenden Maßnahmen keine Wirkung haben.Aber in Deutschland wird nur in jedem vierten Haus-alt mit Kindern zum Beispiel eine Filtersoftware zumchutz der Kinder eingesetzt. Lediglich 17 Prozent allerltern in Deutschland kontrollieren das Surfverhalten ih-er Kinder. Kinder und Jugendliche spielen zu einemroßen Teil unbeaufsichtigt am Computer. Aber das isticht nur ein Problem der Aufsicht und der Kontrolle; esängt auch damit zusammen, dass viele Eltern gar nichtehr verstehen, was ihre Kinder am Computer machen.
iele interessieren sich auch gar nicht mehr dafür. Daüssen wir ansetzen.
Die Alterskennzeichnung der Unabhängigen Selbst-ontrolle gibt Hinweise, welche Spiele für unsere Kindernd Jugendlichen geeignet sind. Aber auch eine größerend eine eindeutigere Kennzeichnung auf der Ver-ackung scheitert, wenn mehr und mehr Kinder ihrepiele direkt aus dem Internet herunterladen. Fraulumenthal, da war ich in Ihrer Analyse sehr nah bei Ih-en. Leider Gottes werden im Gesetzentwurf der Bun-esregierung nicht die nötigen Konsequenzen gezogen.
Wir müssen die Frage beantworten, wie wir im Hin-lick auf das Internet zu einer Jugendschutzprüfung undiner altersgerechten Freigabe kommen. Wir brauchenie Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertra-es der Länder, und das besser heute als morgen. Da sindnsere Positionen nah beieinander.Kinder müssen von klein auf lernen, wie sie mit deneuen Medien umgehen sollten. Wir brauchen die Stär-ung der pädagogischen Medienarbeit. Wir brauchenerpflichtende Lehrerfortbildungen und Aufklärungsar-eit für die Eltern an den Schulen.Im April hat die Konferenz der Datenschutzbeauf-ragten des Bundes und der Länder die dringende Not-endigkeit der Förderung der Medienkompetenz vonindern und Jugendlichen eingefordert. Für die Daten-chützer stehen dabei die Datensicherheit und der Schutzer Privatsphäre im Vordergrund. Die Komplexität derefahren moderner Mediennutzung macht deutlich, dasstarre Verbotsgesetze die vielleicht schlechteste aller Lö-ungen darstellen und dass wir besonders Prävention undufklärung zu Schwerpunkten in unserer Arbeit machenüssen.Gerade die renommierte Harvard-Universität hat eineroße Studie zu den Auswirkungen von Computer- undideospielen auf Kinder und Jugendliche erstellt. Diesetudie kommt zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass Kin-er, die nicht spielen, mehr Probleme im Elternhaus oder
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Christoph Waitzin der Schule haben als diejenigen, die spielen. Nicht-spielen von Computerspielen bedeutet in den Augen die-ser Forscher sogar ein Zeichen fehlender Sozialkompe-tenz. Computerspiele könnten also auch positive Effektehaben. Das ist ein Ergebnis, über das wir noch diskutie-ren müssen.Bündnis 90/Die Grünen haben in ihrem Antrag denVorschlag gemacht, europaweit einheitliche Jugend-schutzregelungen zu schaffen. Wir glauben, dass eineeuropäische Regelung des Jugendschutzes die Gefahr insich birgt, dass wir – wie in so vielen Fällen – zu einemeuropäischen Minimalkonsens kommen. Damit ist ge-rade dem deutschen Jugendmedienschutz nicht geholfen.Solange die Server in der Karibik oder in Asien stehen,hat die Europäische Union leider keinen Einfluss auf diezur Verfügung gestellten Inhalte.
Wir können dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünennicht in allen Punkten zustimmen und werden uns daherbedauerlicherweise enthalten müssen, Herr Gehring.Der von der Bundesregierung eingebrachte Entwurfeines Gesetzes zur Änderung des Jugendschutzgesetzeswird von der FDP-Fraktion abgelehnt.
Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Kucharczyk,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Jugendschutz bedeutet nicht, die Welt vor Kindern und
Jugendlichen zu schützen. Jugendschutz bedeutet, Kin-
der und Jugendliche vor negativen Einflüssen und Aus-
wirkungen aus der Welt der Erwachsenen zu schützen.
Das Wohl der Kinder und jungen Menschen hat Vor-
rang. Im Fokus steht nicht, welche marktwirtschaftlichen
Gesichtspunkte und Anteile sich am besten über Kinder
und Jugendliche generieren lassen. Wir als Gesetzgeber
sind in der Pflicht, die Rahmenbedingungen dafür zu
schaffen, dass ein gutes Aufwachsen möglich ist. Aus
der Wissenschaft und der Medizin liegen uns Erkennt-
nisse vor, dass Kinder im Alter von null bis acht Jahren
ihre aufnahmefähigste Phase des Lernens, der Kreativi-
tät und der Talentförderung haben. Es ist erschreckend,
dass Untersuchungsergebnisse bestätigen, dass Kinder
und Jugendliche am Tag drei bis fünf Stunden TV,
Videos, Computer, Spielkonsolen oder Gameboys nut-
zen. Die Zeit, die sie mittlerweile mit Handys verbrin-
gen, ist da noch gar nicht hinzugerechnet.
„Bildung von Anfang an“ ist die Erkenntnis, die sich
mittlerweile in allen Fraktionen verfestigt hat. Unsere
Zukunft ist unmittelbar abhängig von unserem Know-
how hier in Europa. Die Informationstechnologien spie-
len dabei natürlich eine große Rolle. Computertechnik
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iese Fragen stellen Herausforderungen dar, denen wir
ns in den nächsten Wochen und Monaten stellen müs-
en. Insofern bitte ich Sie, dem Koalitionsantrag zuzu-
timmen.
Danke schön.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Lothar Bisky,raktion Die Linke.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16907
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir be-
finden uns in einem kulturellen Umbruchprozess, der
vor allem durch die fortschreitende Digitalisierung na-
hezu aller Lebensbereiche gekennzeichnet ist. Digitale
Spiele sind heute zu normalen Produkten der Alltagskul-
tur geworden. Am meisten verbreitet sind die sogenann-
ten Ballerspiele; manche nennen sie auch Killerspiele.
Wir müssen – das ist meine Position – den Herausforde-
rungen des digitalen Zeitalters vor allem kulturell begeg-
nen.
Erwachsene, aber vor allem Kinder und Jugendliche
müssen Medienkompetenz erwerben. Darum geht es.
Medienkompetenz ist die Schlüsselkategorie. Eine mo-
derne Mediensozialisation kommt ohne einen kritischen
Verstand und ohne die Fähigkeit, Realität und Fiktion zu
unterscheiden, nicht aus. Das sind unabdingbare Voraus-
setzungen. Daher tritt die Linke dafür ein, Medienkom-
petenz so früh wie möglich entwickeln zu helfen und
entsprechende Maßnahmen Kindergärten, Horten und
Schulen institutionell verpflichtend vorzugeben.
Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen muss
gefördert werden. Sie brauchen eine Schulung in Sachen
Medienkompetenz, sonst sind sie für die Zukunft in ei-
ner digitalen Welt nicht gut gerüstet.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetz-
entwurf zur Änderung des Jugendschutzgesetzes be-
inhaltet kein Totalverbot mit Strafandrohung für Herstel-
ler, Verbreiter und Nutzerinnen und Nutzer von solchen
Spielen. Gut so; denn solche Verbote bringen nichts. Der
Gesetzentwurf bleibt jedoch im Kern unzureichend. Das
zeigt sich besonders in der Neufassung des § 18. Wenn
künftig nun auch solche Medien in die Liste jugendge-
fährdender Medien aufzunehmen sind, die, wie es im
Gesetzentwurf heißt,
Gewalthandlungen wie Mord- und Metzelszenen
selbstzweckhaft und detailliert
darstellen, werden die Gerichte sehr viel zu tun bekom-
men.
Von diesem rechtsunsicheren Passus sind nämlich nicht
nur Computerspiele betroffen, sondern ebenso Spiel-
filme und auch so mancher Antikriegsfilm.
Nein, mit Verboten kommt man hier nicht weiter.
Auch die Indexierung von Medien, die „Selbstjustiz
als einzig bewährtes Mittel zur Durchsetzung der ver-
meintlichen Gerechtigkeit“ nahelegen, ist aus meiner
Sicht falsch. Selbstjustiz ist zu Recht strafbewehrt. Aber
sollte diese Formulierung Gesetzeskraft erlangen, so
würde demnächst mancher Film etwa mit Charles
Bronson auf dem Index stehen. Nun kann ich mir gut
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Meine Damen und Herren, der oft behauptete wissen-
chaftliche Nachweis eines Zusammenhangs von virtuel-
em Spiel und realer Gewalt ist nichts anderes als ein
ythos.
ewalt und Amokläufe an Schulen entstehen nicht allein
urch den Konsum von gewalthaltigen Computerspie-
en. Ein sehr komplexes Bedingungsgefüge aus sozialen,
sychologischen und familiären Komponenten muss als
rsache betrachtet werden. Aus Zeitgründen kann ich
ie hier im Einzelnen nicht aufführen.
Ich komme zum Schluss. Der vorliegende Gesetzent-
urf ist ein untauglicher Versuch, diesen neueren sozia-
en Bedingungen in der gebotenen Komplexität zu
egegnen. Er trägt nicht dazu bei, die kulturellen He-
ausforderungen des digitalen Zeitalters zu gestalten.
ie Linke lehnt eine prohibitive Politik im Umgang mit
ewalthaltigen Computerspielen ab. Darum lehnen wir
uch diesen Gesetzentwurf ab.
Ich bedanke mich.
Für Bündnis 90/Die Grünen gebe ich dem Kollegen
ai Gehring das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!as Jugendschutzgesetz sollte Prävention, Erziehungnd Selbstverantwortung durch klare und konsistenteegelungen unterstützen. Jede Novelle muss sich daranessen lassen, ob sie tatsächlich zu einem effektiverenugendschutz beiträgt. Viel zu prüfen gibt es aber beiieser Mininovelle wahrlich nicht: Die vorgeschlageneergrößerung der Alterskennzeichnungen auf Trägerme-ien ist ein Tropfen auf dem heißen Stein, und die neuenewaltdefinitionen für Computerspiele sind unnötig undnklar und bringen mehr Rechtsunsicherheit.
Anstatt endlich die Empfehlungen der gelungenenvaluation des Hans-Bredow-Instituts und des rundenisches zum Jugendschutz umzusetzen, verweisen Sieuf mögliche weitere Novellen und damit vermutlich aufen Sankt-Nimmerleins-Tag. Warum regeln Sie in dieserovelle nicht auch, wie Alterskennzeichnungen ver-tändlicher und klarer werden, anstatt sie einfach nur zuergrößern? Warum schaffen Sie unklare Rechtsbegriffeie „selbstzweckhafte Gewalt“, anstatt die offensichtli-hen Defizite zwischen Selbstkontrolle und Bundesprüf-telle zu beseitigen?
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16908 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Kai GehringIhr Vorgehen gaukelt nur Aktivität vor.
Offensichtlich wollen Sie verschleiern, dass sich dieGroße Koalition beim Jugendschutz in einer populisti-schen Sackgasse befindet. Aus Bayern kommen völligüberzogene Verbotsforderungen bei sogenannten Killer-spielen. Auf der anderen Seite will NRW seine florie-rende Computerspielindustrie schützen. Daraus strickenSie nun unwirksame gesetzliche Regelungen, die nie-mandem nützen.
Beim Thema Alkohol fordert die Unionsfraktion indieser Woche im Bundestag wie zuvor bereits die Minis-terin von der Leyen ein absolutes Alkoholabgabeverbotan bzw. Alkoholverbot für alle unter 18-Jährigen. Einesolche Forderung ist aus meiner Sicht weltfremd.
Es ist zweifellos erschreckend, dass laut Drogenberichtim Jahr 2006 rund 20 000 Kinder und Jugendliche mitAlkoholvergiftungen ins Krankenhaus eingeliefert wor-den sind. Hiergegen brauchen wir dringend umfassendePräventionsstrategien, die früh ansetzen müssen: Im El-ternhaus, in den Schulen und in den Jugendeinrichtun-gen muss zusammen mit vielen Kooperationspartnerneine ganze Menge passieren. Mit Ihrem Vorschlag würdeder Alkoholkonsum jedoch lediglich mit noch wenigersozialer Kontrolle ins Private verlagert. Ebensolche Ver-drängungseffekte bringen innerstädtische Alkoholver-botszonen. Großbritannien und die USA sind bereits miteiner solchen Verbotspolitik gescheitert. Wieso solltenwir anderswo gescheiterte Ansätze importieren?
Nein, wir müssen Kontroll- und Vollzugsdefizite imJugendschutz beheben. Diese packen Sie aber mit IhrerNovelle definitiv nicht an,
und das, obwohl Sie dafür zweieinhalb Jahre Zeit gehabthätten, auch für die Bund-Länder-Gespräche, die dafürnotwendig sind. Wo bleiben Initiativen für spürbare undabschreckende Mindestbußgelder für Jugendschutzver-stöße? Wo sind Verpflichtungen des Handels zu Kassen-systemen mit akustischen Signalen, sobald ein jugend-schutzrelevantes Produkt über die Ladentheke geht? Wosind Vorstöße für mehr Kontrollen vor Ort? Das müssteheute hier beantwortet werden; denn diese Maßnahmenwären wirksam. Das fehlt in Ihrer Novelle. Deshalbspringen Sie beim Jugendschutz zu kurz.Dagegen hat die Evaluation vom Hans-Bredow-Insti-tut nicht nur die Wirksamkeit der rot-grünen Jugend-schutzreform bestätigt, sondern auch die Anpassung anneue technische Entwicklungen vorgeschlagen – Ent-wicklungen, die Sie völlig verschlafen; darauf ist bereitshingewiesen worden. Es darf nicht sein, dass Online-sWCwIrsNLgAdtnaauwSWlBsdgtrKLaSwgsshcu
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
erstin Griese, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ieber Kollege Gehring, wir haben unsere ganze Energieuf breiter Spur eingesetzt, um den Jugendschutz eintück voranzubringen. Natürlich wird man das immereiter tun müssen. Das ist der Sache immanent: Der Ju-endmedienschutz entwickelt sich immer weiter, weilich auch die Medien immer weiter entwickeln. Aus die-em Grund brauchen wir hier neue Regelungen, und des-alb ist es richtig, dass wir heute einen ersten Schritt ma-hen.Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass wir 2003 mitnserem – übrigens damals gemeinsam beschlossenen –
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16909
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Kerstin GrieseJugendschutzgesetz zum ersten Mal in Angriff genom-men haben, den Bereich der Computerspiele zu regeln.
Das gab es vorher nicht. Das war ein wichtiger Schritt.Jetzt gibt es eine Evaluation, übrigens erst seit ein paarMonaten, die wir gut durcharbeiten und deren Ergeb-nisse wir umsetzen werden. Wenn Sie sich damit be-schäftigen, wissen Sie, dass ein großer Teil dieses Be-reichs Ländersache ist, sodass wir gemeinsam mit denLändern an weiteren Verbesserungen arbeiten werden.
Wirksamer Jugendmedienschutz muss gleicherma-ßen auf drei Säulen beruhen: erstens auf der Stärkungder Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen– übrigens auch von Eltern –, zweitens auf der gezieltenAufklärung und drittens auf einem System sinnvoller Al-tersbeschränkungen. Denn damit können wir deutlichmachen, welche Werte und welche Grenzen in unsererGesellschaft gültig sind. Ich sage es noch einmal: Wirwerden hier mit Sicherheit immer wieder über den Ju-gendmedienschutz sprechen, weil sich die Technik wei-terentwickelt, weil es eine stetige Veränderung gibt.Das wird auch in der Evaluation deutlich. Das Hans-Bredow-Institut hat in dieser Evaluation festgestellt,dass sich allein durch die technologische Entwicklungdie Grafiken so verändert haben, dass die Darstellungvon Gewalt heute realitätsnäher und detailgetreuer mög-lich ist als vor einigen Jahren. Der andere Grund für dieWeiterentwicklung ist die Medienkonvergenz, das heißtdie Übertragbarkeit der Inhalte von einem Medium aufein anderes.Ich bin sehr dafür, dass wir die Diskussion über ge-walthaltige Spiele sachlich und ohne populistische Zwi-schentöne führen. Denn selbstverständlich sind nicht alleKonsumenten von sogenannten Killerspielen, mit denenja meistens die Ego-Shooter gemeint sind, gewalttätig.Tatsache ist aber auch, dass es inzwischen nur nochwenige Lobbyisten gibt, die behaupten, dass brutaleSpiele und Gewalt überhaupt nichts miteinander zu tunhätten. Wenn Sie sich mit diesem Thema beschäftigen,dann wissen Sie, dass sich die Wissenschaft durchausschwertut, direkte Zusammenhänge herzustellen: Washaben gewalttätige Spiele mit Aggressionen aufseitender Nutzer zu tun? Es ist tatsächlich noch ungeklärt, wiesich Gewaltdarstellungen auf das reale Verhalten vonSpielern auswirken.Es ist aber auch klar, dass es einen Zusammenhangzwischen dem häufigen Konsum von gewalthaltigenComputerspielen und einer Abnahme von Empathie, vonEinfühlungsvermögen, und von sozialen Verhaltenswei-sen gibt. Das hat die Evaluation deutlich gezeigt. Des-halb müssen wir handeln.
Es gibt Studien, die deutlich zeigen, dass Spiele ein sol-ches Verhalten verstärken, wenn Jugendliche von vorn-hgltddiztlzbradsfmlambgKIdusaeULiiSvdggwngtdnsUc
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16910 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Das Telemediengesetz setzt den Rahmen für diewirtschaftliche Betätigung im Internet und ist damit daszentrale Gesetz für die Internetwirtschaft in Deutsch-land. Im vergangenen Jahr haben wir mit dem Teleme-diengesetz unsere Medienordnung grundlegend refor-miert. Die FDP hat damals zugestimmt.
Wir haben den Mediendienste-Staatsvertrag, das Tele-dienstegesetz und das Teledienstedatenschutzgesetz zueinem einzigen Gesetz, zum Telemediengesetz, zusam-mengefasst und damit den Rechtsrahmen nicht nur ver-einfacht, sondern auch vereinheitlicht und den Grund-stein für den Boom der Internetwirtschaft in Deutschlandgelegt, wie wir ihn im vergangenen Jahr erlebt haben.
Wir haben das Gesetz verabschiedet – ich erinneremich noch genau –, obwohl uns allen damals bewusstwar, dass wir wichtige Bereiche außen vor gelassen ha-ben.
Wir haben es dennoch getan, weil damals eine Novellie-rung der E-Commerce-Richtlinie im Raum stand – auchSie, Herr Otto, werden sich erinnern –,
die genau diese Lücken schließen sollte, die wir außenvor gelassen haben.
Man hat dann auf EU-Ebene davon Abstand genommen.Seitdem ist klar, dass von EU-Ebene nichts kommt undwir das Telemediengesetz nicht zweimal ändern müssen.Das Wirtschaftsministerium
arbeitet mit Hochdruck – das ist wahrscheinlich derGrund, warum noch keiner hier ist –
an der Überarbeitung des Telemediengesetzes.
Es wird Zeit – da sind wir uns, glaube ich, einig –, dassdas Telemediengesetz überarbeitet wird, um die Lückenzu schließen, die wir damals bewusst offengelassen ha-ben.–kKsvsDtfwttswwIkDPaIsDDgw––suGwRT
PGF-Dienst hat mein Kollege Manfred Grund. Ichann Ihnen diese Frage jetzt nicht beantworten, Frauumpf. Aber ich habe ja eben gesagt, dass das Wirt-chaftsministerium mit Hochdruck arbeitet. Ich denke,or lauter Arbeit haben sie die Uhrzeit vergessen. Ich binicher, die werden gleich kommen.
Worum geht es uns bei der Überarbeitung des TMG?er wichtigste Bereich sind aus meiner Sicht die Haf-ungsregeln und die Verantwortlichkeiten im Internet
ür Inhalte – das ist wichtig –, die von Dritten eingestellterden. Das betrifft Internetunternehmen, die Datenransportieren, also die Internetserviceprovider. Das be-rifft Forenbetreiber, Internetauktionshäuser, Suchma-chinenbetreiber oder Betreiber von Hyperlinks.
Anhand eines Beispiels aus der sogenannten Offline-elt, also aus der realen Welt, will ich verdeutlichen,orum es geht: Niemand von uns käme doch auf diedee, dass die Deutsche Post AG für den Inhalt der Pa-ete, die sie von A nach B bringt, verantwortlich ist.eshalb verlangt auch keiner, dass die Deutscheost AG den Inhalt der Pakete vorher kontrolliert. Wirlle würden sogar sagen: Das wäre völlig absurd. Imnternet ist das aber nicht so klar, obwohl ein Internet-erviceprovider eigentlich nichts anderes macht als dieeutsche Post AG. Er transportiert Pakete, allerdingsatenpakete, von A nach B. Hier ist aber nicht klar gere-elt, welche Kontrollfunktionen er ausüben muss undelche Verantwortung er hat.
Herr Otto, entspannen Sie sich.
Ich bin in tiefer Sorge um Ihre Gesundheit, wenn Sieo aufgeregt auf der Oppositionsbank sitzen. – Wir sindns alle einig, dass die Zeit drängt und wir schnell einesetz brauchen; denn die Lücken, die wir damals be-usst im Gesetz gelassen haben, führen inzwischen zuechtsunsicherheit. Ursächlich ist unter anderem dieatsache, dass sich eine Rechtsprechung etabliert hat,
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Dr. Martina Krogmanndie widersprüchlich und für die Unternehmen daherschwer zu kalkulieren ist. Es herrscht also Rechtsunsi-cherheit.Ich will auch dafür ein Beispiel bringen: die berühm-ten Rolex-Urteile. Es ging darum, dass jemand ge-fälschte Rolex-Uhren über ein Internetauktionshaus an-geboten hat.
– Das war nicht Ebay, sondern Ricardo. – Die Frage war,wie das Auktionshaus damit umgehen soll. Es ist selbst-verständlich, dass das Auktionshaus dieses Angebot lö-schen muss, sobald es davon erfährt, dass gefälschteRolex-Uhren auf seiner Plattform angeboten werden.Die Rechtsprechung fordert aber auch, dass die Auk-tionshäuser die Angebote vor Einstellung ins Internetprüfen. Die Urteile lassen allerdings offen, wer was inwelchem Umfang nach welchen Kriterien prüfen soll. Esherrscht also völlige Rechtsunsicherheit. Soll jeder Arti-kel vorher geprüft werden? Ist das zumutbar, und washeißt in diesem Zusammenhang überhaupt „zumutbarePrüfung“?Ich glaube, dass diese Beispiele deutlich machen, wo-rum es geht: Wir brauchen schnell klare, präzise undnachvollziehbare Bestimmungen für Verantwortlichkei-ten bei Inhalten, die Dritte eingestellt haben. Aus unsererSicht muss bei der Überarbeitung des Telemediengeset-zes das Prinzip gelten – diesbezüglich stimmen wir mitden Anträgen der Grünen und der FDP überein –, dassdie Anbieter nicht mit unerfüllbaren, unpraktikablen undunverhältnismäßigen Verantwortungsregelungen belastetwerden dürfen.Dieser Grundsatz muss unserer Ansicht nach für dievier unterschiedlichen Bereiche der Internetwirtschaftgelten: für die Internetserviceprovider, die Hostprovider,also die Auktionshäuser und Forenbetreiber, für die Be-treiber von Suchmaschinen und für all diejenigen, diemit Links auf andere Homepages verweisen, also für denBereich der Hyperlinks. Bei den Serviceprovidern musses bei der Regelung bleiben, dass sie die Daten, die sieverschicken, vorher nicht kontrollieren müssen. Wirwerden sicherstellen, dass es auch bei den Hostprovidernkeine generellen Vorabprüfungen gibt. Gleiches wird fürdie Betreiber von Suchmaschinen gelten. Aus meinerSicht wäre es völlig absurd, wenn Inhaber von Homepa-ges die Seiten, auf die sie mit Links verweisen, waswahrscheinlich jeder von uns tut, ständig kontrollierenmüssten. Das wäre überzogen. Wir werden eine gesetzli-che Regelung finden, die praktikabel ist, und so endlichauch bei den Hyperlinks für Rechtssicherheit sorgen.
Ich freue mich, dass wir uns im Grundsatz mit derFDP und den Grünen einig sind.
Überzogen sind allerdings die Forderungen der Linkenund der Grünen zum Datenschutz, insbesondere zum un-eingeschränkten Koppelungsverbot.Worum geht es hierbei? Koppelung heißt, dass ichmich, wenn ich beispielsweise einen kostenlosen DienstnktkwggmsfgwusztdzdeaedDmntdSwvBwmDrpfmuSS
Frau Kollegin Krogmann, das wäre ein wunderbares
chlusswort. Sie haben Ihre Redezeit endlos überzogen.
ie müssen jetzt zum Schluss kommen.
Frau Präsidentin, ich komme jetzt gerne zum Schluss.
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Dr. Martina KrogmannDies ist einer der Punkte, warum wir die Anträge derOppositionsfraktionen ablehnen. Wir freuen uns aber aufeine konstruktive Debatte und ein konstruktives Zusam-menarbeiten bei der Überarbeitung des Telemedienge-setzes.Herzlichen Dank.
Ich gebe das Wort dem Kollegen Hans-Joachim Otto,
FDP-Fraktion.
Liebe Frau Kollegin Dr. Krogmann, ich habe Ihnenmit großer Begeisterung zugehört. Ich habe lange nachGründen gesucht, warum Sie, nachdem Sie praktisch al-les richtig gesagt haben, unserem Antrag nicht zustim-men. Wir waren uns einig. Wir haben das Telemedienge-setz im vergangenen Jahr gemeinsam verabschiedet. Wirwaren und sind uns einig, dass Änderungen dringend er-forderlich sind. Sie haben die Änderungen in hervorra-gender Weise geschildert. Wenn jetzt von der Bundesre-gierung keine Änderungen vorgelegt werden, dann wirdin dieser Legislaturperiode nichts mehr passieren, unddie Konsequenzen sind katastrophal. Auch darüber sindwir uns einig. Ihre Rede war super, nur der Schluss warschlecht, als Sie sagten, dass Sie unserem Antrag nichtzustimmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, alles, was KolleginKrogmann eben gesagt hat, wissen wir schon seit derAnhörung im Wirtschaftsausschuss im Dezember 2006.Damals ist gesagt worden, es sei unbedingt notwendig,das Gesetz schnell zu verabschieden. Wir haben unsdazu hinreißen lassen, die Zustimmung dazu zu erteilen,haben aber gesagt, dass Änderungen notwendig sind. Siehaben uns öffentlich zugesagt, dass Änderungsvor-schläge zeitnah und umgehend eingebracht werden. Dasist leider nicht passiert.Öffnen wir die Augen! Die Konsequenz aus dieserSäumigkeit des Gesetzgebers ist, dass die gesamte Infor-mations- und Telekommunikationsbranche einem erheb-lichen Maß an Rechtsunsicherheit ausgesetzt ist. Das be-legen zahlreiche Urteile – eines hat Frau Krogmann ebenerwähnt –, die gegensätzlicher nicht sein können. Ichmöchte Ihnen ein weiteres Beispiel nennen – es ist janicht überraschend, dass eine Dame die Rolex-Entschei-dung anführt –:
Die Tatsache, dass in die Zukunft gerichtete Überwa-chungspflichten von Meinungsforen und artverwandtenPlattformen nicht grundsätzlich ausgeschlossen wurden,führt zu der absurden Situation, dass einige Betreiberihre Kommentarfunktion gleich ganz abschalten muss-tznmw2wPdswHHviVOtdizdeslgzbvhsdsedsoludwImcbmzus
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16914 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Dass die Behandlung dieser Anträge heute offensichtlichauf Betreiben der jeweiligen Antragsteller auf die Tages-ordnung gesetzt wurde, kann ich von der Sache her aller-dings nicht verstehen. Denn damit zwingen Sie uns imGrunde genommen, sie heute abzulehnen.
Herr Otto, wir alle wissen, dass es sich bei diesemThema um eine komplizierte Rechtsmaterie handelt unddass es im Bereich der elektronischen Kommunikationständig neue Entwicklungen, neue Geschäftsmodelleund neue Missbrauchstatbestände gibt, auf die wir unseinstellen müssen.Wir wissen alle, warum wir damals gemeinsam Ände-rungs- und Ergänzungsbedarf beim Telemediengesetzgesehen haben und noch immer sehen. Wir mussten die-ses Gesetz seinerzeit, im Januar 2007 – Sie haben es er-wähnt –, unter Termindruck verabschieden, damit eszeitgleich mit dem neuen Rundfunkstaatsvertrag derLänder am 1. März 2007 in Kraft treten konnte. Damitwurden das frühere Teledienstegesetz und der Medien-dienste-Staatsvertrag zusammengeführt. Bestimmte Fra-gen, die angesprochen worden sind, beispielsweise dieFragen der Anbieterhaftung, der Spambekämpfung unddes Telemediendatenschutzes, konnten wir damals nichtmehr vollständig klären.Wir alle wissen auch, dass die vorgetragenen Ände-rungswünsche teilweise durchaus erwägenswert, teil-weise aber auch strittig sind; Sie werden das noch hören.Wenn man sich die drei vorliegenden Anträge anschaut,dann merkt man, dass sie völlig unterschiedlich und ge-gensätzlich sind. Deswegen kann man hier nicht einfachsagen: Wir setzen alles um.Zum einen geht es um die Fragen der Definition undAbgrenzung von Telemedien, Telekommunikation undRundfunk. Hier sehen wir keinen Handlungsbedarf. MitRjDdARheAjgvrGhgErDezÄmzlnematFswgbDPDrtDsgDemamsE
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Man läuft Gefahr – das ist uns bewusst –, deutsche An-bieter kaputtzumachen, ohne dass sich in der Sache et-was ändert. Deswegen müssen wir an dieser Stelle dieinternationale Entwicklung des Rechts im Auge behal-ten. Es gilt zum Beispiel, abzuschätzen und zu berück-sichtigen, welche Auswirkungen der neue europäischeRechtsrahmen für die Telekommunikation haben könnte.Dieser Rechtsrahmen befindet sich zurzeit in Überarbei-tung, gerade was die Verbrauer- und Nutzerrechte be-trifft.Wir stehen zum Beispiel vor der Frage, ob wir es zu-lassen, dass das Internet wegen unseriöser Praktiken eineverzerrte Alltagswahrnehmung produziert. Wenn man„Klaus Barthel“ als Suchbegriff bei Google eingibt, er-hält man in 0,19 Sekunden 44 800 Treffer.
– Moment! Das ist ganz bescheiden. – „Merkel“ ergibtin derselben Zeit 14,7 Millionen Treffer. Sucht man nach„Beleidigungen“ und „Merkel“, erhält man immerhinnoch 87 000 Treffer. Ich meine, es kann nicht sein, dassdie Bundeskanzlerin gegen in Zeitungen oder Bücherngedruckte Beleidigungen jederzeit gerichtlich vorgehenkann, Beleidigungen im World Wide Web hingegen hilf-los gegenübersteht. Wir wollen trotzdem keine generelleVorabzensur der Angebote im Internet.BamAxfgrfShladSIHkdigcevIlDfeÄzdKrStbw
ch war noch bei Ihren Gedanken, dabei, wo wir keinenandlungsbedarf sehen. Spamming beispielsweiseonnte durch wirksamere Filter, aber auch durch die An-rohung von Bußgeld zurückgedrängt werden.Die Rechtsprechung schafft auch an anderer Stellemmer mehr Klarheit. So hat zum Beispiel der Bundes-erichtshof in seinem Urteil vom 10. April 2008 in Sa-hen Haftung von Ebay bei „Namensklau“ im Internetine weise Entscheidung getroffen: Er hat die Haftungon Internetauktionshäusern bejaht, sie aber begrenzt.ch kann das jetzt aus zeitlichen Gründen nicht näher er-äutern.
as eine oder andere erübrigt sich also durch die lau-ende Rechtsprechung.Ich habe aber auch gesagt – Frau Krogmann hat dasbenfalls deutlich gemacht –, dass wir in Teilbereichennderungsbedarf sehen. Dieser Änderungsbedarf wirdurzeit – das dürfte allgemein bekannt sein – zwischenen Ressorts der Bundesregierung abgestimmt. Wir alsoalitionsfraktionen drängen darauf, dass diese Ände-ungen auf den Tisch kommen.Unsere Zusage steht – lassen Sie mich das zumchluss noch einmal deutlich machen –: Die Opposi-ionsfraktionen werden in die Beratungen einbezogen,evor der Kabinettsentwurf fertiggestellt wird. Insofernar es sicherlich verdienstvoll und hilfreich, dass Sie
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Klaus Barthel– FDP, Linke und Grüne – Ihre Änderungswünsche vor-gelegt haben. Einiges, aber nicht alles werden wir sicher-lich berücksichtigen können.Vor dem Hintergrund dessen, was Frau Krogmannund ich vorgetragen haben, werden Sie verstehen, dasswir heute Ihre Anträge ablehnen müssen, damit wir ge-meinsam zu einem vernünftigen Ergebnis kommen. Daswird sicherlich noch in diesem Jahr sein. Der Zeitdruckist uns durchaus klar.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Lothar Bisky,
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In einer
Frage sind wir uns einig: Das bestehende Telemedienge-
setz vom vergangenen Jahr ist in wesentlichen Teilen für
die Praxis ungeeignet. Das ist kein Wunder; denn es war
bereits bei seiner Verabschiedung veraltet. Auch wir
Linken halten es für richtig und notwendig, die Regelun-
gen aus dem früheren Teledienstegesetz und dem Me-
diendienste-Staatsvertrag zusammenzuführen. Mit dem
geltenden Telemediengesetz ist das allerdings misslun-
gen.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoali-
tion, Sie haben es versäumt, den Begriff „Telemedien“
im Gesetz eindeutig zu verankern und ihn mit den beste-
henden EU-Richtlinien abzugleichen. Viel schwerer aber
wiegt, dass Sie Tausende Betreiber und Betreiberinnen
von Webseiten, Blogs, Foren und anderen Onlinediens-
ten bei der Frage der Haftung alleinlassen. Sie haben es
verpasst, die bestehenden Regelungen klarer und ver-
ständlicher zu formulieren und die Intention, die mit den
Regelungen verfolgt wird, zu verdeutlichen. Nie war die
Rechtsunsicherheit im Internet größer. Das bisherige Te-
lemediengesetz ist hinsichtlich der Rechtssicherheit das
Papier nicht wert, auf dem es geschrieben steht. Hier
muss dringend nachgebessert werden. Machen Sie klar,
wer wann, für was und warum haften soll; denn jemand,
der ein Angebot im Netz bereitstellt, darf keinen unkal-
kulierbaren Haftungsrisiken ausgesetzt sein. Rechts-
sicherheit brauchen alle. Was wir nicht brauchen, sind
präventive Überwachungspflichten.
Auch der Datenschutz kommt im Telemediengesetz
zu kurz. Die Linksfraktion fordert ein Recht auf Anony-
mität im Internet. Die meisten Menschen bewegen sich
auch im normalen Leben, also außerhalb des Internets,
häufig anonym in ihrer Umwelt. Noch ist das so, und ich
hoffe, dass dies auch noch lange so bleiben wird. Wir
alle wissen: Gerade im Internet ist der Datenschutz be-
sonders wichtig. Darum muss er auch im Netz gelten.
Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Manch einen Inter-
netdienst dürfen Sie nur dann nutzen, wenn Sie gleich-
zeitig der Zusendung von Werbung zustimmen. Damit
werden Sie quasi genötigt, Ihre persönlichen Daten un-
freiwillig preiszugeben. Das mögen Sie anders sehen.
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Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
icole Maisch, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenamen und Herren! Das Telemediengesetz ist noch nichtehr alt, aber leider schon jetzt veraltet. Darüber bestehtier im Haus Einigkeit. Uns wurde die Neuordnung deredienlandschaft verkauft. Das Versprechen wurde lei-er nicht gehalten.
Wir sind der Ansicht, dass die Bundesregierung wich-ige Meinungen von Experten ignoriert hat, die gesagtaben, dass das Gesetz weder den Anforderungen an ei-en bürgerfreundlichen und einheitlichen Datenschutzoch den Anforderungen an einen modernen Verbrau-herschutz im digitalen Raum gerecht wird.
ch habe auch gewisse Zweifel, ob der Boom der Inter-etwirtschaft nur auf dieses Gesetz zurückzuführen ist.ch glaube, er hält schon etwas länger an, als dieses Ge-etz in Kraft ist; er wurde nicht ausschließlich dadurchefördert.Wir Grüne bemängeln, dass in diesem Gesetz eineefinition dessen fehlt, was ein Telemedium eigentlichst. Was ist zum Beispiel mit Spiegel Online, die Textend Videoclips im Internet anbieten? Ist ein Text Presseder Telemedium? Sind Videoclips Rundfunk? Es fehltuch eine Definition dessen, wer für die Aufsicht dieseredien zuständig ist. Wer ist für den Jugendschutz zu-tändig? Muss ein Anbieter den Inhalt seiner Videos vonen Landesmedienanstalten oder von der Kommissionür Jugendmedienschutz kontrollieren lassen? Das inte-
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Nicole Maischressiert nicht nur große kommerzielle Anbieter, sondernauch viele private Blogger und Forenanbieter. Die müs-sen wissen, welches Recht für sie gilt und welche Ver-antwortung sie für ihr Angebot übernehmen müssen.Wir Grüne kritisieren insbesondere, dass die Bundes-regierung die Welt des Internets ohne den Blick auf dieNutzerinnen und Nutzer gestaltet hat. Sie verkennt, dassBürgerrechte, zum Beispiel beim Datenschutz, selbstver-ständlich auch im digitalen Raum gelten müssen.
Wir Grüne kritisieren, dass die Bundesregierung es ver-passt hat, einen einheitlichen Datenschutz für Rundfunk,Telekommunikation und Telemedien zu schaffen.Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das Koppe-lungsverbot, das verhindert, dass die Nutzung von Inter-netdiensten an die Herausgabe persönlicher Daten ge-bunden ist. Das StudiVZ, das in diesem Kontext genanntwurde, ist, glaube ich, ein gutes Beispiel. Die KolleginKrogmann hat kritisiert, dass Menschen im Internet ihrepersönlichen Daten freigeben. Ich stimme mit Ihnen da-rin überein, dass man das nicht regulieren kann. GegenNaivität und Dummheit helfen nun einmal keine Ge-setze. Man kann aber regulieren, dass die Anbieter dieserForen die Menschen, die sie nutzen wollen, dazu zwin-gen, ihnen eine große Anzahl persönlicher Daten als Vo-raussetzung dafür zu überlassen, dass man an solchenAngeboten teilnehmen kann. Das meinen wir mit Kop-pelungsverbot, und wir glauben, dass dringend Hand-lungsbedarf besteht.
Was den Datenschutz betrifft, gibt es also keinenFortschritt. Stattdessen hat das Gesetz den Zugriff aufpersönliche Daten sogar noch erweitert. Bestandsdatendürfen unbegrenzt für die Gefahrenabwehr im Bereichder polizeilichen Vorbeugung und zur Durchsetzung derRechte am geistigen Eigentum herausgegeben werden.Darin sehen wir Grünen eine Zweckentfremdung perso-nenbezogener Daten. Wir glauben, dass Sie damit zuweit gegangen sind.Auch was den digitalen Verbraucherschutz angeht,glauben wir, dass dieses Gesetz dringend überarbei-tungswürdig ist. Wir möchten, dass Verbraucherinnenund Verbraucher effektiver vor Spams geschützt werden.Wir glauben nicht, dass die Vorschläge der FDP, einefreiwillige Selbstkontrolle der Wirtschaft einzuführen,weiterführen.Wir wollen eine klare und einheitliche Kennzeich-nung von Werbemails, damit Verbraucherinnen und Ver-braucher nicht so leicht in die Irre geführt werden kön-nen. Wir wollen außerdem klare Bußgeld- undVerbotsregelungen für Spams und Werbemails.
Die Verfolgung von Spammern und Werbemailabsen-dern möchten wir bei der Bundesnetzagentur ansiedeln;denn Spam nervt nicht nur, sondern verursacht auch ei-nen immensen volkswirtschaftlichen Schaden.mGkasssdTsfBFClsssdiGFBdDcdeDSta
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zu der Beschlussempfehlung des Aus-chusses für Wirtschaft und Technologie auf Druck-ache 16/8099. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe aeiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antragser Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5613 mit demitel „Notwendige Verbesserungen am Telemedienge-etz jetzt angehen“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-ehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dieeschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen derraktion Die Linke, SPD, Bündnis 90/Die Grünen undDU/CSU bei Gegenstimmen der FDP angenommen.Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-ehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck-ache 16/6772 mit dem Titel „Telemediengesetz verbes-ern – Datenschutz und Verbraucherrechte stärken“. Wertimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmtagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlungst mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP beiegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und derraktion Die Linke angenommen.Schließlich empfiehlt der Ausschuss unteruchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnunges Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aufrucksache 16/6394 mit dem Titel „Fehlende Verbrau-herschutzregeln und Rechtsunsicherheiten im Teleme-iengesetz beseitigen“. Wer stimmt für diese Beschluss-mpfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –ie Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen vonPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Frak-ion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linkengenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-nologie
– zu dem Antrag der Abgeordneten LaurenzMeyer , Peter Bleser, Julia Klöckner,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derCDU/CSU sowie der Abgeordneten ElviraDrobinski-Weiß, Dr. Rainer Wend, IngridArndt-Brauer, weiterer Abgeordneter und derFraktion der SPDSicheres Spielzeug für unsere Kinder– zu dem Antrag der Abgeordneten NicoleMaisch, Ulrike Höfken, Cornelia Behm, weite-rer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
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16918 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerEU-Spielzeugrichtlinie modernisieren undVerbraucherschutz ausbauen– Drucksachen 16/8496, 16/7837, 16/8977 –Berichterstattung:Abgeordnete Doris BarnettNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-gin Julia Klöckner, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ein Grund für die heutige Debatte sind die Er-
fahrungen aus dem vergangenen Sommer, als die Schlag-
zeilen einander jagten. Unsicheres Spielzeug wurde vom
Markt zurückgerufen. Betroffen waren 20 Millionen
Spielzeuge zum Beispiel von Mattel, einem Markenher-
steller. Selbst bei solchen Herstellern kann man nicht da-
von ausgehen, dass die Produkte sicher und ungefährlich
sind. Noch schlimmer waren die Schlagzeilen, dass Kin-
der erstickt sind, dass Vergiftungsgefahren bestehen und
dass sich Eltern, die meistens damit befasst sind, ihre
kleinen Kinder von gefährlichen Gegenständen wie
Scheren fernzuhalten, Sorgen machten. Darüber, dass
von harmlos erscheinenden Spielzeugen Gefahren aus-
gehen, sollten wir nicht nur diskutieren. Vielmehr sollten
wir auch die Konsequenzen ziehen. Eines ist für die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion ganz klar: Es darf keine
Kompromisse geben, wenn es um die Sicherheit und die
Gesundheit unserer Kinder geht. Alle Produkte, die bei
uns auf den Markt kommen und die Verbraucherinnen
und Verbraucher hier erwerben können, müssen sicher
sein. Es gibt keine Entschuldigung dafür, dass Spielzeug
giftige und gefährliche Stoffe enthält und dass letztlich
unsere Kinder in Europa gefährdet werden.
Ein anderer Grund für die heutige Debatte ist die an-
stehende Spielzeugrichtiglinie, über die auf europäischer
Ebene verhandelt wird. Ich möchte mich ganz herzlich
bei meiner Kollegin Frau Drobinski-Weiß bedanken.
Wir beide haben damals zusammen mit der Wirtschafts-
arbeitsgruppe den Antrag auf den Weg gebracht, der
heute vorliegt. Wir haben ihn zwar im vergangenen Jahr
erarbeitet. Aber er ist aktueller denn je. Mich hat sehr er-
staunt, dass mit der vorgelegten Spielzeugrichtlinie, die
Sicherheit bringen soll, nicht das umgesetzt wird, was
der zuständige EU-Kommissar Verheugen in allen Re-
den sagt. Das heißt, dass krebserregende und erbgutschä-
digende Stoffe auch in Zukunft in Kinderspielzeugen zu
finden sein werden, wenn die Richtlinie in der jetzigen
Form umgesetzt wird. Vor allen Dingen werden Grenz-
werte dann flexibler gehandhabt. Das heißt, dass man
gegenüber krebserregenden Stoffen etwas toleranter sein
wird. Ein weiterer Punkt, der uns besonders auf den Nä-
geln brennt, ist, dass das GS-Zeichen, das auf nationaler
Ebene für geprüfte Sicherheit steht und ein hervorragen-
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Die Kinderkommission war sich in dieser Frage einig.Dazu werden wir im Zusammenhang mit dem GS-Zei-chen noch kommen. Es wäre auch ganz gut, wenn wiruns einig werden; aber wir sind uns ja ziemlich einig.Die FDP wird dem Antrag der CDU/CSU und der SPDzustimmen.
Liebe Freunde, wir müssen schon einmal hinschauen.Es muss jedem ein Schauer den Rücken hinunterlaufen,wenn er feststellt – die Zahlen sind jetzt von demRAPEX-Schnellwarnsystem veröffentlicht worden –,dass es 1 605 Produktwarnungen im Jahr 2007 gegebenhat, also 53 Prozent mehr als im letzten Jahr. In400 Fällen handelte es sich um Spielwaren. Das betrifftalso genau den Problembereich, den Julia Klöckner ebenangesprochen hat. Da geht es um Gifte und krebserre-gende Substanzen im Spielzeug. Man muss ganz klar sa-gen, dass das Sicherheitsniveau auf der europäischenEbene weit hinter dem zurückbleibt, was wir uns wün-schen.
Es ist richtig, was hier angesprochen worden ist, näm-lich dass man sich von allen Seiten ein bisschen mehrSchlagkraft wünschen würde. Wir wissen, dass Grenz-werte bei Spielzeug einfach nicht ausreichen. Deswegenbitte ich darum, dass diejenigen, die an der Regierungbeteiligt sind, SPD und CDU/CSU, auch auf unseren Mi-nister und den geschätzten, immer anwesenden Staatsse-kretär Herrn Müller einwirken, damit sie in Brüssel – ichsage das einmal etwas locker – auf den Putz hauen; denndas, was in Brüssel passiert, ist ein tolles Ding.
– Da bin ich nicht so ganz sicher.Es gibt ein super Zeichen in Deutschland, das GS-Zeichen. Die europäische Ebene wird sich möglicher-weise nur auf das CE-Zeichen einigen. Das heißt nicht,dass das GS-Zeichen vom Markt ist. Aber das heißt, dassim europäischen Wettbewerb nur das CE-Zeichen gilt.Dieses CE-Zeichen hat nun einmal klare Mängel gegen-über dem GS-Zeichen. Deswegen sollten wir uns ge-meinsam dafür einsetzen, dass das qualifizierte GS-Zei-chen zum Tragen kommt; denn im großen Unterschiedzum europäischen CE-Zeichen wird die Übereinstim-mung von Baumustern mit den später in den Handel ge-brachten Produkten überprüft. Das ist der entscheidendePunkt. Es wird also nicht nur ein Baumuster irgendwanneinmal vorgestellt, sondern es wird permanent überprüft,ob das Produkt, das auf dem Markt ist, mit dem Baumus-ter im Einklang ist. Das ist eine wirklich gute Sache.Deswegen noch einmal der Appell an das Ministe-rium, Herr Staatssekretär, sich um diesen Bereich ener-gisch zu kümmern. Das Verbraucherinformationsgesetzist schön und gut, aber ein Verbraucherinformationsge-setz, das mit relativ hohen Kosten auch für diejenigenvieesdbmatWslEsudsrhuBtpdgDSuy&roLwSseGbak
assen Sie uns gemeinsam dafür arbeiten, damit das,as heute beschlossen wird, auf europäischer Ebenechlagkraft hat.Liebe Freunde von der Großen Koalition, schauen Sieich Ihren Antrag noch einmal an. Ich meine, er enthältine Verdächtigkeit. Ich glaube, dass wir zu schnell dasS-Zeichen für ein europäisches CE-Zeichen preisge-en. Lassen Sie uns gemeinsam dafür arbeiten, dass esuf europäischer Ebene hoffentlich zur GS-Qualitätommt.Herzlichen Dank.
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16920 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Das Wort hat die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Falls Sie gleich
ein paar Zahlen noch einmal hören, macht das, so denke
ich, gar nichts. Dann bleibt es besser hängen.
Vor drei Wochen hat die EU-Kommission den
RAPEX-Jahresbericht für 2007 vorgelegt, der die Zahlen
des europäischen Schnellwarnsystems für gefährliche
Konsumgüter enthält. Der Kollege Goldmann hat es be-
reits gesagt: Um über 50 Prozent ist die Anzahl dieser
Fälle angestiegen. Um genau zu sein, Herr Goldmann:
Es waren 417 Meldungen, die vor allen Dingen gefährli-
ches Spielzeug betrafen. Das heißt, es war pro Tag mehr
als ein Fall.
„Ein Spielzeug gibt zuerst Genuss durch seine Er-
scheinung und dann Heiterkeit durch seinen Gebrauch“,
heißt es bei Jean Paul in der Erziehlehre. Heutzutage
müsste es wohl eher heißen: Ein Spielzeug gibt zuerst
Genuss durch seine Erscheinung und dann Vergiftungs-,
Erstickungs- und Verletzungsgefahr durch seinen Ge-
brauch.
Mit ein paar Beispielen will ich das illustrieren. Seit
der letzten Lesung zu diesem Gesetzentwurf Mitte März
sind täglich neue gefährliche Produkte aufgetaucht; ich
möchte sie aneinanderreihen: Verschiedene Spielzeug-
waffen mit Laser, Hersteller unbekannt, Warnung: Er-
blindungsgefahr durch zu starken Laser; Schaukelpferd,
Hersteller unbekannt, Warnung: Schaukelpferd kann
sich mit Kind überschlagen; ferngesteuerter Helikopter,
Hersteller: AEOLUS, Warnung: Gefahr durch Strom-
schläge; Plastikdinosaurier, Hersteller unbekannt, War-
nung: enthält nicht zugelassene, krebserregende chemi-
sche Substanzen. Beim Spielhandy von Super Hero
können sich die Kinder Gehörschäden holen. Beim Krei-
sel des Herstellers TEDi können sie sich durch einen zu
hohen Anteil an Weichmachern vergiften. Ebenso ist es
beim Malen mit den Kinderfarben von TOY PLACE;
denn bei denen werden die Chemikaliengrenzwerte
überschritten.
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind nur einige
wenige Beispiele aus einer langen Liste. Von Heiterkeit
durch den Gebrauch kann also keine Rede sein. Solche
Produkte gehören nicht in Kinderhände und Kindermün-
der.
Der Vorschlag der EU-Kommission zur Spielzeug-
richtlinie reicht nicht aus; auch das ist schon von meinen
Vorrednerinnen und Vorrednern gesagt worden. Dieser
Entwurf enthält zwar ein Verwendungsverbot für
krebserregende, erbgut- und fortpflanzungsschädigende
Stoffe – k/e/f-Stoffe genannt –, dieses Verbot gilt aller-
dings nur dann, wenn die Konzentrationsgrenzwerte ent-
sprechend den Regelungen im Chemikalienrecht über-
schritten werden. Damit wird der Gehalt des jeweiligen
Stoffes im Produkt als entscheidend angesehen. Für die
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Ende Mai soll ein Sicherheitspakt zwischen führen-
en Spielzeugherstellern aus der EU und der EU selbst
eschlossen werden. Das ist zwar begrüßenswert; aber
igentlich ist dies eine Selbstverständlichkeit.
ie Hersteller müssen natürlich dafür sorgen, dass das
on ihnen angebotene Spielzeug für die Kinder sicher
st. Kinder sind besonders schutzbedürftig; dies betonen
ir immer wieder. Kleine Kinder nehmen Spielzeug in
en Mund. Deshalb sollte Spielzeug wie ein Lebensmit-
el behandelt werden und den sogenannten Lebensmittel-
edarfsgegenständen gleichgestellt werden.
Un
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bei der Sicherheiton Kindern darf es keine Kompromisse geben. – Bittenterstützen Sie uns alle dabei und stimmen Sie für un-eren Antrag.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16921
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Das Wort hat die Kollegin Karin Binder von der Frak-
tion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir führen heute eine un-
gewöhnliche Debatte.
Denn wir sind uns quer durch alle Fraktionen einig, dass
die sogenannte Spielzeugrichtlinie der EU nicht akzepta-
bel ist. Sie schützt kein Kind vor unsicherem oder gar
gefährlichem Spielzeug.
Als Parlamentarier und Parlamentarierinnen müssen
wir daher auf zwei Ebenen aktiv werden: auf der Bun-
des- und auf der EU-Ebene. Auf der Bundesebene sind
wir uns in den wesentlichen Punkten einig; deshalb un-
terstützt meine Fraktion die vorliegenden Anträge. Darin
wird die EU aufgefordert, das CE-Zeichen zu einem
Prüfsiegel zu entwickeln,
das dem Schutzbedürfnis von Kindern gerecht wird und
dem die Verbraucher und Verbraucherinnen trauen kön-
nen. Die Mindestforderung lautet in diesem Fall, das
deutsche GS-Siegel so lange zu erhalten, bis das CE-Zei-
chen der EU den Anspruch eines vergleichbaren Prüfsie-
gels erfüllt.
Die EU-Kommission hat jedoch andere Vorstellun-
gen. Sie beharrt auf dem nichtssagenden und unkontrol-
lierten CE-Zeichen. Mit dem Aufdruck des CE-Zeichens
erklärt ein Hersteller lediglich, dass er bei der Herstel-
lung des Produktes die Sicherheits- und Gesundheitsan-
forderungen geltender Gesetze eingehalten hat. Eine
Prüfung des Produkts findet nicht statt. So soll es nach
dem Willen der EU-Kommission auch bleiben. Mit der
überarbeiteten Spielzeugrichtlinie sollen Sicherheits-
standards eher noch heruntergefahren und Grenzwerte
angehoben werden. Der Kommission geht es nämlich in
erster Linie um die weitere Liberalisierung der Märkte
und um den Abbau von sogenannten Handelshemmnis-
sen, also um die Wirtschaft. Die Menschen in Europa
werden hintangestellt. Ihnen wird mit dem CE-Zeichen
eine Sicherheit vorgegaukelt, die es nicht gibt.
Im Gegensatz dazu unterliegen Produkte mit dem
deutschen GS-Siegel strengen Sicherheitskontrollen.
Das ist ein Verkaufsargument. Das GS-Zeichen hat nur
einen Fehler: Es ist bisher nicht verbindlich. Spielwaren-
hersteller allerdings, die etwas auf sich und ihre Pro-
dukte halten, unterziehen sich freiwillig dieser Kon-
trolle, um das GS-Siegel zu erhalten.
Andere jedoch produzieren munter weiter drauf los.
Besser gesagt, sie lassen produzieren, insbesondere in
China, in sonstigen asiatischen, aber auch in anderen
Billiglohnländern. Sie machen ihre Gewinne mit um-
weltschädlichen Produktionsmethoden, und sie beuten
Menschen aus: Die Beschäftigten arbeiten zum Teil in
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Eine behördliche Marktaufsicht ist gut und wichtig,
ber noch wichtiger und viel effizienter ist eine gute Vor-
orge, in diesem Fall die Produktprüfung, bevor ein
pielzeug auf den Markt kommt. Sie können sicher sein:
angfristig werden die Kosten für diese Vorsorge schnell
ufgefangen; denn im Zuge dessen entstehen wesentlich
eringere Kosten für eine auf diese Weise vermeidbare
achsorge. Letztendlich zahlen sonst nämlich die Ver-
raucher und Verbraucherinnen die Zeche: den Preis für
ualitativ schlechte Produkte, Rückrufaktionen und ver-
chwendete Ressourcen.
Vor allem anderen aber hat die Sicherheit von Kin-
ern Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Nicole Maisch von
er Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damennd Herren! Eine Novellierung der Spielzeugrichtliniear nach 20 Jahren längst überfällig. Darüber, denkech, herrscht hier ebenso Einigkeit wie in der grundsätz-ichen Bewertung dieses Richtlinienentwurfs.Ein Blick ins Schnellwarnsystem der EU, RAPEX,acht deutlich, wie viele gefährliche Spielzeuge aufem europäischen Markt sind und dass auch die Pro-ukte namhafter Markenhersteller darunter sind. Daseißt, Eltern haben heute, wenn sie 40 oder 50 Euro fürine Puppe ausgeben, nicht mehr die Sicherheit, dass die
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16922 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Nicole Maischverwendeten Materialien nicht giftig oder gefährlichsind. Deshalb braucht der Spielzeugmarkt sinnvolleRahmenbedingungen zum Schutz der sensibelsten Kon-sumentengruppe, der Kinder.
Um es noch einfacher zu sagen: Eltern brauchen die Ge-wissheit, dass Spielzeuge, die auf dem deutschen Marktsind, ihre Kinder nicht vergiften – weder durch bleihal-tige Farbe noch durch giftige Duftstoffe.Die Sicherheit, die wir für den Spielzeugmarkt brau-chen, wird durch den momentan vorliegenden Richt-linienvorschlag allerdings nicht erreicht. Der Vorschlagder Kommission hat viele Schwachstellen; dadurchkönnte es dazu kommen, dass die Spielzeuge für unsereKinder nicht sicherer, sondern im Gegenteil sogar ge-fährlicher werden. Dies haben wir von Bündnis 90/DieGrünen in unserem Antrag „EU-Spielzeugrichtlinie mo-dernisieren und Verbraucherschutz ausbauen“ und in denzurückliegenden Beratungen wiederholt deutlich ge-macht. Auch der Antrag der Koalition weist auf denNachbesserungsbedarf hin. Auch der Bundesrat, die Ab-geordneten des Europäischen Parlaments und viele Ver-bände fordern Nachbesserungen am Entwurf. Ichmöchte auf einige Punkte genauer eingehen.Es wird behauptet, dass durch die Regelungen fürkrebserregende, erbgutschädigende und fortpflanzungs-gefährdende Stoffe sowie die Regelungen zu Schwerme-tallen wie Blei oder Quecksilber ein besseres Schutzni-veau erreicht würde. Das Gegenteil ist der Fall. DieKoppelung an das europäische Chemikalienrecht be-wirkt, dass das Schutzniveau für Kinder schlechter wird.Wir stellen uns klar gegen eine Aufweichung der Rege-lungen in diesem Bereich.
Giftige und erbgutschädigende Stoffe gehören nicht inKinderspielzeug.Eine ernst zu nehmende europäische Spielzeugrichtli-nie muss auch gewährleisten, dass die Sicherheitsmaß-nahmen der Spielzeughersteller systematisch kontrolliertwerden und diese Kontrollergebnisse öffentlich zugäng-lich gemacht werden.Die Verbraucherinnen und Verbraucher brauchen um-gehend alle relevanten Informationen. Es wäre sehrschön, wenn sie ihnen auf Deutsch, barrierefrei undleicht verständlich zugänglich gemacht würden.
Über das GS-Zeichen ist schon einiges gesagt wor-den. Einen Aspekt möchte ich noch hinzufügen: Wirvom Bündnis 90/Die Grünen stehen hinter dem bewähr-ten GS-Zeichen. Das CE-Zeichen bietet keinen ausrei-chenden Schutz und ist kein Ersatz für das GS-Zeichen.Wir wollen ein europäisches Sicherheitssiegel für sen-sible Verbrauchsgüter, das ähnlich wie das GS-Siegel einhafssndhdmhrSfwBgkzEgdDdmbctCIdfhDnm
amit dies keine leeren Versprechungen bleiben – es istoch noch eher eine leere Versprechung –,
üssen Sie ihm vonseiten der Bundesregierung noch einisschen Anschub geben. Ein erster Schritt für einen sol-hen Anschub wäre eine Zustimmung zum grünen An-rag.
Das Wort hat der Kollege Franz Obermeier von der
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!ch habe in diesem Hause selten eine Debatte erlebt, iner die Übereinstimmung in den Ansichten so übergrei-end war, wie es bei dieser Debatte der Fall ist. Offenbaraben wir auf nationaler Ebene gute Vorarbeit geleistet.ennoch gibt es eine ganze Reihe von Punkten, bei de-en wir zusammenstehen und unseren Einfluss geltendachen sollten, damit die europäische Richtlinie nicht in
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16923
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Franz Obermeierder Form in Kraft tritt, in der sie jetzt novelliert werdensoll. Neben den schon mehrfach genannten Punkten wiedem, dass eine unabhängige dritte Prüfstelle eingerichtetwerden soll, die nicht nur die physikalisch-mechani-schen Anforderungen, sondern auch die chemischen An-forderungen an Kinderspielzeug prüft, gibt es etlicheweitere Punkte, die wir in Brüssel vertreten sollten.Im Koalitionsantrag fordern wir die Beibehaltung desdeutschen GS-Zeichens, weil es einen Meilenstein desVerbraucherschutzes im Allgemeinen darstellt. Hierprüft nicht nur der Hersteller, sondern etwa ein TÜV einProdukt auf seine Sicherheit, und es gibt auch nicht nureine Baumusterprüfung, sondern die Substanzen in die-sem Artikel werden im weiteren Verlauf der Produktionimmer wieder geprüft. Dies hat sich bewährt. Die Bun-desregierung hat auf EU-Ebene bereits mehrfach für denErhalt des GS-Zeichens gekämpft. Das GS-Zeichenmuss zumindest so lange erhalten bleiben, bis ein ebensoeffektives EU-einheitliches Sicherheitszeichen obligato-risch wird. Hier darf es keine Novellierung geben. StattAbschaffung des GS-Gütesiegels sollten wir weiterhinauf ein europaweites unabhängiges Prüfzeichen für dieProduktsicherheit drängen. Das Gütesiegel sollte von ei-ner objektiven dritten Seite verliehen werden. Dannhätte der europäische Verbraucher eine einheitlicheOrientierung. Es muss so gestaltet werden, dass auch dieImporte nach Europa den Prüfungsmechanismen unter-worfen werden.
Ich bitte Sie, unsere Kollegen im Europäischen Parla-ment verstärkt auf die Zusammenhänge in dieser Ange-legenheit anzusprechen, damit sie im Parlament auf dieForderungen, die wir hier übereinstimmend erheben,deutlich hinweisen und uns beim Schutz unserer Kinder,unserer Verbraucherinnen und Verbraucher unterstützen.
Ich möchte kurz noch auf die Punkte eingehen, die inden anderen Anträgen enthalten sind. Der Oppositions-antrag enthält Maximalforderungen, die zum Teil recht-lich problematisch sind. Ich nenne den Rückruf ver-meintlich unsicherer Produkte. Eine solche pauschaleAbwälzung von Kosten kann nicht in einer EU-Richtli-nie geregelt werden. Das widerspricht dem Subsidiari-tätsprinzip. Davor sollten wir uns hüten. Ähnliches giltfür ein generelles Verbot von polyaromatischen Kohlen-wasserstoffen; es wäre pauschalierend und zu weitge-hend. Es gibt eine ganze Anzahl von Phthalaten und an-deren Weichmachern, die toxikologisch unbedenklichsind und deshalb nicht unbedingt verboten werden müs-sen. Der Grenzwert für Blei ist im Richtlinienentwurfselbst geregelt. Somit ist eine Mitsprache des Europapar-laments zwingend.Ich bin überzeugt, dass die europäische Spielzeug-richtlinie von deutscher Seite bestmöglich auf den Wegund entscheidend nach vorn gebracht wird. Wir solltenaeMmddrülsdKPfkhHm1awssSddgdgvhkDpePdD
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
er Kollege Jürgen Kucharczyk von der SPD-Fraktion
as Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist bereits vielber RAPEX gesagt worden. Aber es ist schon erstaun-ich, was man auf den Seiten dieses europäischen Warn-ystems, insbesondere für die letzte Berichtswoche, fin-et, gerade im Zusammenhang mit Spielzeug, durch dasinder großen Gefahren ausgesetzt werden, darunter einiratenset aus Plastik, das zu mehr als 30 Prozent aus ge-ährlichen Weichmachern besteht – hergestellt in Hong-ong –, ein hölzernes ABC-Lernspiel aus China mit ho-em Blei- und Chromanteil, eine Schnecke zuminterherziehen, also für die ganz Kleinen, die eine vier-al so lange Schnur wie erlaubt hat. Insgesamt45 Spielzeuge listet RAPEX für das Jahr 2008 schonuf – und wir haben gerade erst Mai.All diese Beispiele beweisen leider: Spielzeug bleibteiterhin ein Problem und ein Gefahrenpotenzial für un-ere Kinder. Es ist daher gut und richtig, dass sich insbe-ondere die Koalitionsfraktionen dem Thema „Sicherespielzeug“ gewidmet haben. In der EU hat sich die Zahler gefährlichen Spielwaren innerhalb eines Jahres ver-oppelt. Durch die EU-Spielzeugrichtlinie soll dem ent-egengewirkt werden.Uns geht die Richtlinie jedoch nicht weit genug, undas vor allem in drei Punkten:Krebserregende, erbgut- und fortpflanzungsschädi-ende Stoffe haben im Spielzeug nichts verloren. Dieorgeschlagenen Grenzwerte für diese Stoffe sind zuoch. Unsere Zielsetzung und unsere Forderung sind einomplettes Verbot.In der EU-Richtlinie sind auch noch 38 allergeneuftstoffe erlaubt. Auch hier setzen wir uns für ein kom-lettes Verbot ein.Das GS-Zeichen und die CE-Kennzeichnung sind dieinzigen gesetzlich geregelten Prüfzeichen in Europa fürroduktsicherheit. Daher ist umso unverständlicher, dassie EU das Geprüfte-Sicherheit-Zeichen abschaffen will.a machen wir nicht mit.
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Jürgen KucharczykWir setzen uns für dessen Erhalt ein. Unser GS-Zeichenist zurzeit in Europa ein beispielhaftes Vorbild. Es bestä-tigt durch eine unabhängige Stelle, dass die Produkte dieVorschriften in Bezug auf Sicherheit und Gesundheit er-füllen.Spielen ist Erfahrung, Handeln und Emotion. BeiWerten wie Geborgenheit, Vertrauen und Tradition, diemir im Zusammenhang mit Spielzeug ebenfalls in denSinn kommen, denke ich an die Eltern und an die Bran-che der Hersteller. Erfreulich ist, dass der Plüschtierher-steller Steiff seine Produktion aus China zurückholt. Da-mit übernimmt und stellt sich das Unternehmen derVerantwortung bei der Herstellung von Spielzeug.
Wir müssen die Eltern und all diejenigen, die Kindernmit Spielzeug eine Freude machen wollen, in die Lageversetzen, bewusste Verbraucherentscheidungen zu tref-fen. Diesbezügliche Informationen müssen verfügbarund transparent sein. Der Gedanke der Nachhaltigkeitmuss auch beim Spielzeug in den Vordergrund rücken.Nachhaltigkeit heißt für mich in diesem Zusammenhang:Verwendung von umweltschonendem Material, keineSchadstoffe, Sicherheit, Langlebigkeit, Einhaltung desVerhaltenskodex des Weltverbandes der Spielwarenin-dustrie sowie keine Kinderarbeit.Unser Koalitionsantrag zeigt gangbare Wege, wie wirals Politiker, Eltern und Unternehmer zu nachhaltigemund sicherem Spielzeug beitragen können. Zugleich be-wahren wir damit zwei unserer höchsten Güter: die Ge-sundheit unserer Kinder und die Freude unserer Kinderam Spielzeug.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache
16/8977. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/8496
mit dem Titel „Sicheres Spielzeug für unsere Kinder“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist einstimmig angenommen.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/7837 mit dem Titel „EU-Spielzeugricht-
linie modernisieren und Verbraucherschutz ausbauen“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
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– Kollege Korte, Sie können das nachher in Ihrem Bei-trag anders darstellen. – Die Ausschlussgründe im Bun-desentschädigungsgesetz hat übrigens das Bundesverfas-sungsgericht 1961 für eindeutig verfassungsgemäßerklärt.Der Antrag, der heute von den Linken vorgelegt wird,ist erneut der Versuch, die Gegner der Bundesrepublik,also diejenigen, die gegen den freiheitlich-demokrati-schen Staat gearbeitet haben, von Tätern zu Opfern zustilisieren.
– Ich habe damit gesagt, dass Sie versuchen, Täter, diegegen die Bundesrepublik gearbeitet haben, heute alsOpfer darzustellen und ihnen oder ihren Erben eine Ent-schädigung zuzugestehen.
Die KPD war 1956 durch ein Urteil des Bundesver-fassungsgerichts in der Bundesrepublik verboten, weilsie gegen den freiheitlichen Staat gearbeitet hat. Alleindem Verfassungsgericht obliegt das Entscheidungsmo-nopol – das wissen Sie, Kollege Korte –, eine Partei zuverbieten oder nicht, wenn sie gegen die demokratischeGrundordnung gerichtet ist. Das Gericht kann im Gegen-zug eine Partei auch dann für verfassungswidrig erklä-ren, wenn keine Aussicht besteht, dass sie ihre verfas-sungswidrige Absicht in absehbarer Zeit verwirklichenkann. Damit spielte es aus damaliger Sicht keine Rolle,ob die KPD jemals ihr Ziel des revolutionären SturzesAdenauers – das wollte sie nämlich – erreicht hätte. Esgeht allein darum, dass sie dies erklärt hat und mit einerVielzahl von Maßnahmen gegen den Staat gearbeitet hat.Wir wissen aus der Statistik: Es gab eine Vielzahl vonGerichtsurteilen gegen diejenigen, die gegen den Staatgearbeitet haben.
Somit können wir den heute erneut vorgelegten Antrag,das Bundesentschädigungsgesetz zu ändern, nicht unter-stützen. Dieser Antrag ist auch gar nicht durchsetzbar.Ich möchte noch deutlich sagen, dass eine zweiteGruppe von Opfern – ich hatte vorhin von zwei Gruppengesprochen –, nämlich diejenigen, die zu einer Freiheits-strafe von mehr als drei Jahren verurteilt wurden, keineEntschädigung erhalten hat. Das heißt, sie musstenschwere Delikte in der Bundesrepublik begangen haben,ehe sie zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurden.Der Gesetzgeber hat heute wie damals einen Gestal-tungsspielraum, Personen von einer Entschädigungsleis-tung auszuschließen. Das war gewollt und aus unsererheutigen Sicht eindeutig richtig.
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nders als in der Bundesrepublik waren Richter undtaatsanwälte bei der Urteilsfindung in der DDR nichtem Rechtsstaat verpflichtet. Hier wurden Bürger für ih-en mutigen Einsatz für Freiheit, Demokratie und Ge-echtigkeit gnadenlos verurteilt.
Ich spreche von einer anderen Gruppe, Herr Korte. Sieollten einmal zuhören.
Herr Kollege Baumann, erlauben Sie eine Zwischen-
rage des Kollegen Winkelmeier?
Bitte.
Herr Kollege Baumann, ist Ihnen bekannt, dass Mit-
lieder der Kommunistischen Partei Deutschlands am
rundgesetz der Bundesrepublik Deutschland mitgear-
eitet haben?
st Ihnen bekannt, dass der damalige Fraktionsvorsit-
ende der KPD bei der Verabschiedung des Grundgeset-
es gesagt hat: „Die Mitglieder der KPD stimmen zwar
eute dem Grundgesetz nicht zu, weil es zur Spaltung
eutschlands beiträgt; aber es wird die Zeit kommen, in
er wir als Kommunisten die demokratischen Errungen-
chaften des Grundgesetzes verteidigen werden“?
Das habe ich hier in keiner Weise infrage gestellt.uch Mitglieder der KPD haben eine Entschädigung be-ommen – das habe ich deutlich gesagt –, aber nicht die-enigen, die gegen den Staat gearbeitet haben und recht-äßig verurteilt worden sind.
in großer Teil der KPD-Mitglieder hat eine Entschädi-ung erhalten.
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16926 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Günter BaumannIch habe von denen gesprochen, die in dem Unrechts-staat DDR verurteilt worden sind, weil sie sich für Frei-heit und Demokratie eingesetzt haben. Es gab, wie wirheute alle wissen, hochgradige Unrechtsurteile und poli-tische Verfolgung. Die politische Strafjustiz der DDRwar verbrecherisch, was ein markantes Merkmal einerDiktatur ist.Die Opfer der DDR-Willkür haben für ihren mutigenEinsatz für Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit nachder Wende in unserem Land eine moralische Wiedergut-machung erfahren. Das letzte Gesetz hierzu war das3. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz von 2007. KollegeKorte, auch in dieses Gesetz haben wir bewusst einenAusschlussgrund hineingeschrieben. Wir haben gesagt,dass eine gewisse Gruppe diese Entschädigung nicht er-hält. Wir haben festgelegt: Keine Leistung erhält, wer„gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder derRechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendemMaße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zumNachteil anderer missbraucht hat.“ Das sind politisch ge-wollte Ausschlussgründe, ebenso wie damals.Der wiederholt eingebrachte Antrag der Fraktion DieLinke – die PDS-Fraktion hat diesen Antrag früherschon einmal eingebracht; er ist also nicht neu – ist deruntaugliche Versuch, diejenigen, die einen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat beseitigen wollten, zu Op-fern zu machen.
Das ist eine Verhöhnung derer, die in Deutschland wirk-lich Opfer von Diktaturen waren.
Dass Sie als Fraktion Die Linke derartige Anträgeheute immer noch stellen, zeigt der Öffentlichkeit inDeutschland deutlich, dass Sie noch nicht in der Demo-kratie angekommen sind.
Sie sollten Ihre Kraft lieber darauf verwenden, Ihre ei-gene Geschichte aufzuarbeiten. Wir werden Ihren Vor-schlag ebenso wie im Innenausschuss ablehnen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Ernst Burgbacher von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Kollegen von der Linksfraktion, es ist klar, warumSie diesen Antrag heute noch einmal beraten lassen. Füruns ist das aber eine gute Gelegenheit, noch einmal zuasuugEedsdrJtBnZMe–wSvglBsVhUstsgazmllfsdrt
Die bloße Mitgliedschaft in der KPD war zu keinereit ein Ausschlussgrund. Hierauf hat mein Kollegeax Stadler immer wieder hingewiesen. Das sollten Sieinmal zur Kenntnis nehmen.
Ich lasse jetzt keine Zwischenfragen zu, weil ich daseiter ausführen möchte.Ich will darauf hinweisen – auch diesbezüglich liegenie falsch –, dass die Bundesrepublik Deutschland inielen Fällen, in denen ein Ausschlussgrund vorlag,leichwohl Leistungen erbracht hat. In meinem Bundes-and zum Beispiel, in Baden-Württemberg, haben vieleetroffene einen Härteausgleich nach dem Bundesent-chädigungsgesetz erhalten.
on einer Gerechtigkeitslücke kann entgegen Ihrer Be-auptung also überhaupt keine Rede sein; das ist purernsinn.Sie laufen Gefahr, mit Ihrem Antrag neues Unrecht zuchaffen, mindestens alte Wunden aufzureißen. Es schüt-elt mich, wenn ich in einem Bericht des Innenausschus-es lesen muss, „Kommunisten, die Opfer des NS-Re-imes waren, müssten ausnahmslos“ – ich wiederhole:usnahmslos – „mit anderen Geschädigten nationalso-ialistischer Verfolgung gleichgestellt werden“. Ich hätteit diesem Satz kein Problem, stünde da „grundsätz-ich“. Die Formulierung „ausnahmslos“ geht aber wirk-ich zu weit. Das liefe darauf hinaus, diejenigen, die sichür Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einge-etzt haben, ebenso zu behandeln wie diejenigen, die auser Geschichte nichts gelernt haben und einen neuen Un-echtsstaat errichten wollten. Das können wir nicht mit-ragen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16927
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Ernst BurgbacherIch will auf weitere Einzelheiten gar nicht eingehen.Aber eines möchte ich deutlich sagen: Das KPD-Ver-botsurteil stellt eine Gefahr dar; das ist richtig. Damalshatte die FDP einen Antrag für eine gewisse Amnestiegestellt, mit dem sie nicht durchgekommen ist. Das istGeschichte.
Es war auch so, dass einige übereifrige Staatsanwälte er-mittelt haben, was aus heutiger Sicht zu weit ging. Aberfür die Funktionsfähigkeit unseres Rechtsstaates sprichteindeutig, dass derartige Verfahren nur in verhältnis-mäßig wenigen Fällen überhaupt zu einer Anklage odergar Verurteilung führten.Gleiches, liebe Kolleginnen und Kollegen von derLinken, lässt sich über die DDR leider nicht sagen. Dortwurde nicht nur systematisch gegen tragende Prinzipiendes Rechtsstaats verstoßen, dort gab es darüber hinaussystemimmanente Sachverhalte von Unrecht. Das mussimmer wieder gesagt werden, man muss immer wiederdarauf hinweisen. Wenn Sie eine öffentliche Debattewollen, dann müssen Sie das akzeptieren. Diese Unter-scheidung ist notwendig und erlaubt, damit keine Ge-schichtsklitterung betrieben wird.
Ich würde mich freuen, wenn Sie sich dieser Erkenntnisendlich nicht länger verschließen und Ihren Antrag zuden Akten legen.Herzlichen Dank.
Bevor ich dem Kollegen Wolfgang Gehrcke das Wort
zu einer Kurzintervention gebe, will ich darauf hinwei-
sen, dass das die letzte Kurzintervention ist, die ich heute
zulasse. Ich bitte, auch von Zwischenfragen abzusehen,
damit die Debatte nicht zu weit in den Abend hineingeht.
Jetzt hat Kollege Gehrcke das Wort zu einer Kurz-
intervention.
Wenn Sie schon Biografien lesen, dann lesen Sie sie
vollständig. Ich war nicht nur DKP-Vorsitzender in
Hamburg,
sondern auch Mitglied des Präsidiums.
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16928 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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oder wegen politischer Tätigkeit als Kom-
– Nein, nicht zwangsläufig.
Nach richterlicher Auffassung – ich zitiere jetzt auseinem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus demJahre 1961 – „muss der Betroffene bewusst das Ziel ver-folgt haben, mit seiner Tätigkeit zum Kampf gegen diefreiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesre-publik Deutschland“ beizutragen. Als das BEG imJahre 1956 beschlossen wurde, hat man sich bewusst fürdie Bekräftigung, die unter anderem in dem Begriff„Kampf“ zum Ausdruck kommt, entschieden. § 6 desBEG bezieht sich also nicht allgemein auf die Mitglied-schaft in der Partei, sondern auf die konkreten Aktivitä-ten einer einzelnen Person, sei sie Mitglied der KPDoder einer anderen Vereinigung oder sei sie privat tätig,um die freiheitlich-demokratische Grundordnung aktivzu bekämpfen, zu zerstören.Der Gesetzgeber hat bewusst kämpferische Aktivitä-ten als Ausschlussgrund angeführt. Dem ist auch das Ge-richt in seiner späteren Betrachtung gefolgt. Ich zitiere§ 6 des BEG, der in diesem Zusammenhang eine wich-tige Rolle spielt:Von der Entschädigung ausgeschlossen ist, … wernach dem 23. Mai 1949 die freiheitliche demokrati-sche Grundordnung im Sinne des Grundgesetzesbekämpft hat …ddHllaeiszmG2zsfnbHdEntLmBdcggKsrsOdradd6esL
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16929
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Nein, ich bedaure.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Ich möchte deutlich sagen: Wenn esum die Anerkennung der Opfer des Nationalsozialismusgeht, sollte man einmal zurückblicken, um zu erfahren,wie lange es gedauert hat, bis zum Beispiel die Opfer des20. Juli überhaupt als Widerständler anerkannt wurden.
Sie können doch nicht allen Ernstes behaupten, in derGeschichte der Bundesrepublik habe es eine Gedenkkul-tur gegeben, bei der insbesondere der Opfer der Arbei-terbewegung gedacht worden sei. Solch eine Positionkönnen Sie nicht allen Ernstes in diesem Hause vertre-ten.Ich möchte daran erinnern, dass BundestagspräsidentLammert bei der Gedenkstunde zum Jahrestag derMachtergreifung richtigerweise darauf hingewiesen hat,dass Kommunistinnen und Kommunisten die Ersten ge-wesen sind, die in die Konzentrationslager gewandertsind. Sie waren die Allerersten, die einen unerträglichhohen Blutzoll gezahlt haben.
Ich verstehe nicht, wie man hier in der Diskussion ei-nen gesellschaftlichen Kontext einfach verschweigenkann: Während des Kalten Krieges herrschte in der Bun-desrepublik ein quasi staatsreligiöser Antikommunis-mus. Damals stellte es schon eine Handlung gegen diefreiheitliche demokratische Grundordnung dar, wenn einTurnverein aus der Bundesrepublik einen Turnverein inder DDR besucht hat; selbst das wurde in dieser Zeitverfolgt. Man muss verdeutlichen, welche Verhältnissehier damals geherrscht haben.
Im Bundesentschädigungsgesetz – darum geht es hier; eswurde heute exakt daran vorbei geredet – ist von einer„Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts“die Rede; es diene der „Anerkennung der Tatsache“ – sosteht es in der Präambel –, dass der „geleistete Wider-stand ein Verdienst um das Wohl des Deutschen Volkesund des Staates war“.Der Rechtswissenschaftler Alexander von Brünneckhat dezidiert nachgewiesen, dass ganz viele Leute nichtunter die Regelungen des BEG gefallen sind bzw. ihreWSkKztgrrtEramdgNrlarnS1OnLDUgrlIbhwLhl
eshalb fordere ich Sie auf, das zurückzunehmen.
Ich möchte eine letzte Anmerkung an die Reihen dernion machen. Sie reden über die Aufarbeitung der Ver-angenheit der DDR und des dort geschehenen Un-echts. Wir befassen uns seit 1990 kritisch und ausführ-ich damit.
ch habe bisher von keiner Tagung der Union – wederei der Konrad-Adenauer-Stiftung noch bei Ihnen – ge-ört, bei der Sie sich damit auseinandergesetzt haben,as es mit Leuten wie Globke, Oberländer und andereneuten auf sich hat, die die Politik der Union in der frü-en Bundesrepublik maßgeblich bestimmt haben. Viel-eicht können Sie einmal damit beginnen.
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16930 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Wieland von
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So etwas
geschieht selten: Ich kann mich keinem der Vorredner
vorbehaltlos anschließen. Ich habe mich wundern müs-
sen, dass wir heute, am 8. Mai, argumentativ zum Teil in
die Zeit des Kalten Krieges zurückgefallen sind. Als
hätte es die große Rede Richard von Weizsäckers vom
8. Mai 1985 – das Begrüßen dieses Datums als Tag der
Befreiung und damit einhergehend ein Blick auf die, die
bis dato die ausgegrenzten und vergessenen Opfer des
Nationalsozialismus gewesen sind – nicht gegeben!
Darum geht es bei dem Antrag der Linksfraktion,
auch wenn er aus unberufenem Munde kommt und auch
wenn er – das will ich auch sagen – ziemlich hingerotzt
ist. Ihr zeigt keinen Weg auf, ihr schreibt nur, die Bun-
desregierung soll ein Gesetz ändern. Die Exekutive soll
die Gesetze machen? Wo leben wir eigentlich? Außer-
dem wird nicht gesagt, wie. Zudem wird vergessen, dass
– wie hier zu Recht gesagt wurde – auf Länderebene seit
jener Mitte der 80er-Jahre nachgearbeitet wurde, mit
Härtefallregelungen aufgefangen wurde, im Land Berlin
beispielsweise. All das müsste man berücksichtigen,
wenn man den Menschen wirklich helfen will. Da reicht
es nicht, agitpropmäßig einen Stein ins Wasser zu wer-
fen.
Dennoch gebe ich dem Kollegen Korte recht: Das
Anliegen ist berechtigt. Die Täter haben nach 1945 eine
Rente bekommen, selbst die, die aus dem Beamtenver-
hältnis entlassen worden waren; sie sind in der Sozial-
versicherung nachversichert worden und bekamen dann
eben eine gesetzliche Rente. Freislers Witwe bekam die
Rentenerhöhungen bis zum Schluss.
Die Opfer wurden zum Teil gar nicht entschädigt. Im
Hinblick auf Sinti und Roma hieß es: Das waren asoziale
Landfahrer, das war keine politische Verfolgung. Im
Hinblick auf Zwangssterilisierte hieß es: Das Erbge-
sundheitsgesetz ist kein Unrechtsgesetz, ist nicht per se
rechtswidrig. Kommunisten und andere wurden ausge-
grenzt, weil ihnen aktive Gegnerschaft gegen die frei-
heitlich-demokratische Grundordnung teils unterstellt,
teils nachgewiesen wurde. Der Fraktionsvorsitzende Ren-
ner, von dem in der Zwischenfrage die Rede war, musste
Entschädigungsleistungen in Höhe von 25 000 DM zu-
rückzahlen, ohne dass er je verurteilt worden wäre. Es
hieß schlicht: Du bist als KPD-Vorsitzender aktiv gegen
die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Bei ande-
ren langte ein achtmaliges Verteilen der Zeitung Die
Wahrheit oder das Hissen einer roten Fahne am 1. Mai.
Ganz im Ernst stand das noch 1970 in einem Urteil des
Bundesgerichtshofes. Hier wäre enormer Aufarbeitungs-
und Änderungsbedarf. Ich sage auch: Heute würde man
es so nicht mehr sehen.
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Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Innenaus-chusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit demitel „Entschädigung für Opfer nationalsozialistischererfolgung“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-chlussempfehlung auf Drucksache 16/7950, den Antrager Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3536 abzu-ehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –egenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-ehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionennd der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktionie Linke und Enthaltung vom Bündnis 90/Die Grünenngenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Änderung der
– Drucksache 16/4972 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
InnenausschussWie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden dieeden zu Protokoll gegeben. Es handelt sich um die
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16931
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsReden der Kollegen Michael Grosse-Brömer, CDU/CSU, Christoph Strässer, SPD, der Kollegin MechthildDyckmans, FDP, der Kollegen Wolfgang Nešković, DieLinke, und Jerzy Montag, Bündnis 90/Die Grünen, so-wie des Parlamentarischen Staatssekretärs AlfredHartenbach.
Ausgangspunkt des vorliegenden Gesetzentwurfs zur
Neuregelung des Zugangs zum Anwaltsnotariat ist das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. April
2004. Darin hatte das Gericht die bisherige zu § 6 Abs. 2
u. 3 Bundesnotarordnung entwickelte Verwaltungspraxis
gerügt. Hauptkritikpunkt: Das Auswahlsystem werde
dem Prinzip der Bestenauslese nicht ausreichend gerecht,
deshalb sei es zumindest teilweise verfassungswidrig.
Notare sind für eine verlässliche und funktionstüchtige
Rechtspflege unentbehrlich. Deshalb ist das Eintreten des
höchsten deutschen Gerichts für die Bestenauslese im
Rahmen der Notarauswahl richtig und konsequent. Über
die Verwaltungsvorschriften der Länder ist ein verfas-
sungskonformes Auswahlsystem nicht zufriedenstellend
zu regeln. Mit dem Bundesrat bin ich deshalb der Ansicht,
dass aufgrund des erwähnten Urteils gesetzgeberischer
Handlungsbedarf besteht.
Durch die derzeit vorhandenen Schwächen beim Zu-
gang zum Anwaltsnotariat kommt es erfahrungsgemäß
auch immer wieder zu langwierigen Konkurrentenstreit-
verfahren. Dadurch können vakante Notarstellen oft län-
gere Zeit nicht wiederbesetzt werden. Auch dieses Manko
soll durch den Entwurf abgebaut werden.
Der maßgebliche Lösungsansatz des Gesetzentwurfs
– eine stärkere Berücksichtigung notarspezifischer Leis-
tungen – ist richtig. Den Rechtsanwälten, die den Wunsch
nach einer Bestellung als Anwaltsnotar haben, kann da-
durch der Quasi-Rückfall in studentische Zeiten, das
heißt innerhalb möglichst kurzer Zeit möglichst viele
Fortbildungsnachweise anzusammeln, erspart werden.
Unter dem Druck, häufig notarielle Fortbildungskurse
zu besuchen, welche regelmäßig an Wochenenden statt-
finden, leiden bislang wohl vor allem Frauen mit Kindern
bzw. Frauen mit Kinderwunsch. Das hat jedenfalls die
„Arbeitsgemeinschaft Anwältinnen“ des DAV in einem
Memorandum ausdrücklich bemängelt. Insoweit ist zu
hoffen, dass durch den Wegfall des „Zwangs zum Schei-
nesammeln“ sowohl der niedrige Anteil von Frauen bei
den Anwaltsnotaren als auch der Familienzusammenhalt
erhöht werden können. Künftig soll es de lege ferenda
neben dem Ergebnis der Zweiten Juristischen Staatsprü-
fung entscheidend auf das Ergebnis einer vor einem ei-
genständigen Prüfungsamt abzulegenden „notariellen
Fachprüfung“ ankommen. Auch dieses Konzept der Bes-
tenauslese mittels einer fachspezifischen Prüfung er-
scheint vom Ansatz her überzeugend. Gleichwohl lässt
ein Blick auf den geplanten Prüfungsaufwand und Prü-
fungsumfang etwas Besorgnis aufkommen. Bereits die
umfangreichen Einzelbestimmungen über die notarielle
Fachprüfung – §§ 7a bis 7i der geänderten BNotO – las-
sen bei mir die Befürchtung entstehen, dass sich die nota-
rielle Fachprüfung in der Praxis als „drittes juristisches
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gehörigkeitsvorbehalt des § 5 BNotO, der nach Ansicht
der Kommission gegen die in den Art. 43 und 45 EGV sta-
tuierte Niederlassungsfreiheit verstößt. Sollte die Kom-
mission mit ihrer Klage obsiegen, hätten es deutsche No-
tare wohl bald mit europäischer Konkurrenz wie dem
solicitor und notary public Mark Kober-Smith aus Kent
zu tun. Dieser hatte – einen lukrativen Markt vor Augen –
das Vertragsverletzungsverfahren maßgeblich mitini-
tiiert.
Nun wäre die englische Konkurrenz aus meiner Sicht
nicht zu fürchten. Es könnte aber zu einer Inländerdiskri-
minierung kommen, wenn die deutschen Notare gemäß
§ 10a BNotO an ihren Amtsbereich gebunden wären, ihre
ausländischen Kollegen dagegen nicht. Dass mit diesem
Szenario das System der Bestenauslese und das Erforder-
nis der örtlichen Wartefrist aus einem ganz anderen
Blickwinkel zu bewerten wären, brauche ich hier wohl
kaum ausführlicher zu erläutern.
Worum es mir letztendlich geht, ist nicht vorauseilen-
der Gehorsam gegenüber Europa. Der EuGH muss
schließlich erst noch entscheiden. Ich möchte lediglich
die Sensibilität dahin gehend erhöhen, dass eine wichtige
und weitreichende Entscheidung in Europa zum hier
maßgeblichen Thema noch aussteht. Deshalb halte ich es
für angebracht, im vorliegenden Fall der Neuregelung
des Zugangs zum Anwaltsnotariat die Entwicklung in Eu-
ropa sehr genau zu verfolgen. Wenig wäre damit gewon-
nen, ein neues System des Zugangs zum Anwaltsnotariat
zu etablieren, nur um dieses dann anschließend nach dem
Urteil des EuGH wieder nachbessern zu müssen.
Nach allem unterstütze ich den Gesetzentwurf grund-
legend und in seinen wesentlichen Regelungen. Ich er-
laube mir aber auch die Mahnung zu einem aufmerksa-
men Blick nach Europa zu diesem Thema.
In der letzten Sitzungswoche haben wir uns einem Ge-setzentwurf die Anwaltschaft betreffend gewidmet. In die-ser Woche richten wir unser Augenmerk auf das Berufs-bild des Notars. „Der Notar ist der weltliche Beichtvater.Er ist Puritaner von Profession und Ehrlichkeit“, heißt esbei Shakespeare. Dem Berufsbild des Notars werdendurch die Rechtsuchenden demnach einige herausra-gende Eigenschaften zugeschrieben. Und tatsächlichkommt dem Notar in unserem Rechtssystem eine wichtigeBedeutung zu. Der Notar ist Amtsperson und betreut dieRechtsuchenden bei schwierigen und folgenreichenRechtsgeschäften. Notare sind besonders ausgebildeteund erfahrene Juristen. Dementsprechend sind nur quali-fizierte Juristen mit spezifischen Fachkenntnissen alsN1wvwdDtin–msSfüpznsdRggfgBwudnzzgunBptrmnalAvnZMWBnslbrtZu Protokoll ge
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16932 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
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16934 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Marieluise Beck und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENDie europäische Zukunft Bosniens und Herze-gowinas– Drucksachen 16/4796, 16/6313 –b) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Rainer Stinner, Michael Link ,Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDPEigenverantwortung Bosnien-Herzegowinasstärken – Amt des Hohen Repräsentanten ab-schaffen – Notstandsrecht international absi-chern– Drucksache 16/8541 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
VerteidigungsausschussAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionc) Beratung des Antrags der AbgeordnetenMarieluise Beck , Rainder Steenblock,Dr. Uschi Eid, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENEuropäische Verantwortung für Bosnien-Her-zegowina ernst nehmen– Drucksache 16/9069 –Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei dieraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhaltenoll. Gibt es Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dannst das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-erin der Kollegin Marieluise Beck vom Bündnis 90/Dierünen das Wort.Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIERÜNEN):Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Die Deutsch-Bosnische Parlamentarier-ruppe ist vor einigen Wochen in Bosnien unterwegs ge-esen. Unsere Eindrücke waren sehr gemischt. Der Auf-au geht auch nach zwölf Jahren internationalenngagements doch nur schleppend voran. Die Zentrifu-alkräfte sind in diesem kleinen Staat nach wie vor stark,nd die Institutionen sind äußerst ineffektiv. Das Staats-ebäude ist in sich so irrational und verschachtelt, dasss in diesem Land 180 Minister gibt. Da kann man alsotwas werden.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16937
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Marieluise Beck
Dies alles ist nicht eine Folge der Inkompetenz derBosnier, sondern das ist eine Folge der Unentschieden-heit von Dayton. Wir wissen: In Dayton haben dieKriegsverbrecher mit am Tisch gesessen.
Deswegen sage ich: Die internationale Gemeinschaft istnach wie vor verantwortlich für dieses Land.
Sie muss für das, was sie dort zusammengerührt hat, nunauch die Verantwortung tragen.Daraus folgt, dass die zeitliche Befristung des OHR,die wir Jahr für Jahr von neuem vorgenommen haben,immer falsch gewesen ist. Es ist sehr gut, dass der PeaceImplementation Council mit diesem Unsinn endlichSchluss gemacht und im Januar 2008 gesagt hat: Wirführen nicht alle sechs Monate eine Debatte darüber,wann das OHR geschlossen wird, sodass die qualifizier-ten Leute weggehen, sondern wir setzen Benchmarks.Anhand dieser Benchmarks wird entschieden, ob dasOHR weiter bestehen kann und ob die „Bonn Powers“auch weiterhin gelten bzw. wann dies beendet wird. Ichsage: Die Benchmark lautet, dass dieses Land eine Ver-fassung braucht, die demokratischen Standards genügt.Es gibt Differenzen hinsichtlich dieser Frage. Es gibtauch eine Fraktion, die es richtig finden würde, wenn dasOHR geschlossen und dem Land die Selbstständigkeitgegeben wird. Das kann man als gut gemeinte Positionansehen, aber ich finde, dass es uns doch sehr skeptischmachen muss, dass in dem Landesteil, in dem vor einigerZeit noch damit gedroht wurde, ein Referendum durch-zuführen, um sich abzuspalten, genau diese Forderunggetragen wird. Dort bekommt man Beifall für die Forde-rung, das OHR zu schließen. Das sollte uns sehr hellhö-rig machen, Herr Kollege Stinner.
Die Benchmark für die OHR-Reform ist eine Verfas-sungsreform nach europäischen Demokratievorstellun-gen. Auch wenn es in Bosnien drei konstitutive Völkergibt, gehört zu den Kriterien der Demokratie, dass alleZugang zu allen Ämtern haben müssen und dass das pas-sive und aktive Wahlrecht für jedermann und jede Fraugilt. Man kann nicht die ethnischen Zuordnungen, die inBosnien in der Verfassung festgelegt sind, ignorieren.Nach EU-Standards können wir erst dann von einerEU-fähigen Demokratie sprechen, wenn ein Jude odereine Jüdin, ein Rom oder eine Romni oder ein Angehöri-ger gemischtreligiöser Gruppen, die sich nicht eindeutigzuordnen können und wollen, weil vielleicht der Vaterkroatischer und die Mutter serbischer Herkunft ist, Zu-gang zu allen Ämtern bekommt.Wer über Bosnien spricht, muss in diesen Tagen auchüber Serbien sprechen. Wir waren uns gestern im Aus-wärtigen Ausschuss darüber einig, dass die Politik derEuropäischen Union, noch einmal sehr deutlich die Ein-ladung an die serbischen Bürgerinnen und Bürger–rcEtsdufeISegSsnggVwmasgmEeIuztfC
Es ist schwer auszuhalten, dass nach wie vor die For-erung, die mutmaßlichen Kriegsverbrecher Karadžićnd Mladić auszuliefern, nicht mehr als Voraussetzungür die Unterzeichnung des SAA gilt. Wir sind immerin Stück weiter zurückgegangen.
ch will das nicht brandmarken; denn die Situation inerbien ist sehr schwierig. Vielleicht ist es klug und gut,in Stück zurückzugehen. Aber es ist eine prekäre Strate-ie. Es wird dann unerträglich, wenn der Termin zurAA-Unterzeichnung am 26. Mai nicht haltbar ist, weilich die Europäische Union aus technischen Gründenicht in der Lage sieht, die Vorlagen zu übersetzen. Daseht nicht an.
In diesen Tagen wurde Serbien der Verzicht auf Visa-ebühren für 80 Prozent der Serben angeboten. Dieisaliberalisierung ist gut und richtig. Es soll gereisterden. Die Menschen sollen sehen, wie westliche De-okratien und Freiheit funktionieren. Es geht aber nichtn, das gleichzeitig den Bosniern vorzuenthalten, weilie sich sozusagen in politischer Hinsicht nicht schlechtenug benommen haben.
Die Botschaft der EU darf nicht lauten: Wer mit extre-em Nationalismus droht, bekommt zur Belohnung eineinladung, und die Standards werden gesenkt. Das istin Armutszeugnis.
ch bitte das Auswärtige Amt eindringlich, alles zu tun,m dafür zu sorgen, dass das SAA am 26. Mai unter-eichnet werden kann. Der Umstand, dass angeblichechnische Gründe zu einer solchen Ungleichbehandlungühren, ist schlichtweg skandalös.Schönen Dank.
Das Wort hat der Kollege Holger Haibach von derDU/CSU-Fraktion.
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16938 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Polizeiautos mit Blaulicht, eine Menschentraube
vor der Kirche, warmer Beifall. Die Ordensschwes-
ter an der Orgel kämpft um ein „Glory, glory halle-
luja“. Festmesse in Tuzla. Der Limburger Bischof
– gemeint ist Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst –
besucht am Samstag mit Sarajevos Kardinal Vinko
Puljic die ostbosnische Stadt, um drei Dutzend
junge Leute zu firmen. Noch nie, meinen einige Äl-
tere, habe ein ausländischer Bischof die Stadt be-
sucht.
Das berichtet die KNA über den Besuch des Limburger
Bischofs in Bosnien und Herzegowina.
Dieser Bericht ist bezeichnend. Er ist deshalb be-
zeichnend, weil Bosnien-Herzegowina gegenüber den
Nachbarstaaten Kosovo und Serbien – wenn man beide
als Entitäten bezeichnen will – bisweilen ein bisschen in
Vergessenheit zu geraten scheint und die öffentliche De-
batte über diesen doch sehr wichtigen Staat hinweggeht.
Dabei sind die Vorgänge in der direkten Umgebung die-
ses Staates gerade für das sehr fragile Gleichgewicht
zwischen den Ethnien, Entitäten und religiösen Gemein-
schaften in Bosnien-Herzegowina von immenser Wich-
tigkeit.
Es muss klar sein, dass gerade die EU mit ihrem Um-
gang mit Serbien und dem Kosovo dieses Gleichgewicht
stabilisieren oder destabilisieren kann. So hat die Ent-
scheidung – die Kollegin Beck hat schon darauf hinge-
wiesen –, das Abkommen der EU mit Serbien vor dem
mit Bosnien-Herzegowina zu unterzeichnen – und seien
dafür nur technische Gründe verantwortlich –, für ent-
sprechende Reaktionen gesorgt. Einer der führenden Po-
litiker in Bosnien-Herzegowina hat gefragt: Gelten diese
technischen Probleme – diese bestanden übrigens darin,
dass sich die EU nicht in der Lage sah, die Verträge in
alle Sprachen der EU-Staaten zu übersetzen – eigentlich
nicht auch für die Serben? Ich finde, diese Frage ist sehr
berechtigt. Man kann hieran sehen, dass es sich um einen
reinen Vorwand handelt. Ich will das deutlich anmerken.
Insofern bietet die heutige Debatte eine gute Möglich-
keit, sich die Situation in Bosnien-Herzegowina genau
anzuschauen, sie kritisch zu überprüfen und zu kontrol-
lieren, inwieweit die Politik der EU kohärent und zielge-
richtet ausgerichtet ist.
Die beiden vorliegenden Anträge und die Antwort der
Bundesregierung auf die Große Anfrage zeigen deutlich,
wo Defizite bestehen: zu viel Macht in den Händen der
einzelnen Ethnien, kaum ausgebildete föderale Struktu-
ren, Defizite in den Bereichen Polizei und Justiz, man-
gelnde Bereitschaft zur Kooperation untereinander und
vor allem ungenügende oder gar keine Zusammenarbeit
mit dem UN-Tribunal in Den Haag. FDP und Bündnis 90/
Die Grünen geben zwei quasi diametral entgegenge-
setzte Antworten auf die Frage, wie wir mit diesem Pro-
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ass man dieses Amt auch so ausüben kann, dass auf der
inen Seite die Eigenständigkeit gewährleistet ist und
ass auf der anderen Seite die „Bonn Powers“ nur die
ltima Ratio sind. Ich hätte mir gewünscht, dass er von
ielen Seiten mehr Unterstützung erfahren hätte, als es
atsächlich der Fall war.
Bündnis 90/Die Grünen betonen in ihrem Antrag die
uropäische Verantwortung; das ist auch richtig. Aber
ir dürfen diejenigen, die vor Ort handeln, nicht aus ih-
er Verantwortung entlassen. Die Position des Hohen
epräsentanten darf sozusagen nicht die Rückfallposi-
ion sein, wenn sich beide Seiten nicht einig werden.
eswegen ist mir eine unendliche Perpetuierung dieser
osition ehrlich gesagt zu viel. Deswegen kann ich die-
em Antrag ebenfalls nicht nähertreten.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Beck?
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16939
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Mit großer Freude.
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Geschätzter Herr Kollege, Sie haben eben von einer
unendlichen Perpetuierung des OHR gesprochen. Ich
bitte Sie, genau zu sein. Ich habe von Benchmarking ge-
sprochen und davon, dass es dann, wenn das Land eine
demokratische Verfassung hat, an der Zeit ist, den OHR
abzuschaffen.
Darf ich Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, dass der
verehrte Kollege Schwarz-Schilling vor Ort ständig da-
mit zu kämpfen hatte, dass qualifizierte Leute aus dem
OHR abgewandert sind, weil alle sechs Monate unklar
war, ob das OHR bleiben würde oder nicht? Es war un-
klar, ob es geschlossen würde; dann hat man es nochmals
für einige Zeit verlängert. Das hat zu einer riesigen Inef-
fektivität geführt. Was die Sparsamkeit der Anwendung
betrifft – ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen –,
sind wir vollkommen d’accord.
Sehr geehrte Frau Kollegin, ich bin gerne bereit, das
zur Kenntnis zu nehmen, aber ich glaube, dass es neben
einem unbestimmten Mandat, wie es zurzeit besteht, und
einer halbjährlichen Verlängerung noch andere Möglich-
keiten gibt. Man kann sich verschiedene Dinge überle-
gen. Aber dem Mandat in irgendeiner Form gar kein
Ende zu setzen, fördert nicht gerade den Willen aller Be-
teiligten, am Ende selbstständig zu handeln. Das ist das,
was ich ausdrücken wollte.
Die Frage bleibt nach wie vor: Ist die Politik, die die
Europäische Union auf dem Balkan insgesamt betreibt,
sinngerichtet, und zeigt sie wirklich – was wir alle
möchten – diesen Ländern eine europäische Perspektive
auf? Darüber sind wir uns, glaube ich, einig: Wir können
nur dann auf dem Balkan Frieden stiften, wenn diese
Länder eine wirkliche, eine wahrhaftige europäische
Perspektive haben.
Auch das hat die Kollegin Beck meines Erachtens
völlig zu Recht ausgeführt: Es ist ein bedenkliches Si-
gnal, wenn die Europäische Union zu Beginn der Ver-
handlungen Bedingungen aufstellt, die auch für andere
Staaten, die Mitglieder werden wollen, gelten, und dann
Stück für Stück hinter diese Bedingungen zurückfällt.
Ich glaube, dass das ein schwieriges Zeichen ist, und ich
halte das allein um ihrer Glaubwürdigkeit willen für ex-
trem problematisch. Eines muss vollkommen klar sein:
Die allerletzte Reißlinie ist die Verfolgung von Kriegs-
verbrechen und die Zusammenarbeit mit dem UN-Tribu-
nal. Jede Lösung, sei es eine in Bezug auf Serbien oder
auf Bosnien-Herzegowina, die das nicht berücksichtigt,
ist ein Rückschlag für die gesamte EU.
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Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Rainer Stinner von
er FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!err Präsident, erlauben Sie mir, dass ich den Botschaf-er von Bosnien-Herzegowina heute Abend sehr herzlichuf der Tribüne begrüße. Er wird uns in 14 Tagen verlas-en. Herr Botschafter, ich danke Ihnen für Ihre Tätigkeitn diesem Land und wünsche Ihnen für Ihre Zukunft undür Ihr Land alles Gute im Namen des ganzen Hauses.
err Präsident, ich hoffe, ich durfte das tun.„Wehe dem Staat, der Diplomaten in die Hände fällt.“o hat die FAZ die Entscheidung des PIC im Februar die-es Jahres kommentiert, zum zweiten Mal entgegen denrsprünglichen Planungen das Mandat des OHR zu ver-ängern, und dieses Mal, wie Frau Beck gesagt hat, ohneeitliche Begrenzung, aber mit Bedingungen verbunden,ie sehr einschränkend sind. Wenn jetzt gesagt wird, derHR werde erst nach der Verfassungsdebatte abziehenönnen, dann können wir, verehrte Frau Beck, noch min-estens drei bis vier Jahre warten. Vorher wird dasichts. Ich glaube, das wissen wir alle.
Diese Beschreibung der FAZ ist sicherlich etwasointiert – das will ich zugeben –, aber sie zeigt
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16940 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Dr. Rainer Stinnereinigermaßen, wie erratisch, phantasielos und konzep-tionslos die europäische Balkan-Politik eigentlich ist.Hier komme ich zum OHR. Gleichwohl ist es richtig:Am Anfang hatte es eine wichtige Funktion, aber nach13 Jahren – selbst wenn das OHR von Anfang an blen-dend funktioniert und vieles gebracht hätte; vieles hat esja gebracht – ist ein solches Instrument natürlich ver-braucht.Jetzt haben wir etwas Zusätzliches: Wir stehen davor– Sie haben alles Notwendige gesagt, liebe Frau Kolle-gin Beck –, dass Bosnien das SAA-Abkommen, dasheißt einen gesicherten und klaren Pfad in RichtungEuropa hoffentlich am 26. Mai unterzeichnet.
Wir glauben allerdings immer noch, dass wir das OHRbrauchen. Das ist ein Oktroi im Hinblick auf Europa undein weiterer Grund, das OHR abzuschaffen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir waren vor we-nigen Wochen bei Herrn Lajčák persönlich. Herr Lajčákhat selber gesagt, er messe die Zeitdauer seines Manda-tes in Monaten und nicht in Jahren. Das heißt, sehr ver-ehrter Herr Haibach, ich bin sehr gespannt, ob Sie alsRegierungsfraktion die Bundesregierung dazu bewegenkönnen, gegen das OHR zu stimmen und es weiterbeste-hen zu lassen, wenn mit Zustimmung des Peace Imple-mentation Councils das OHR zum Jahresende geschlos-sen wird.
Das ist nicht realistisch.Das OHR wird am Ende des Jahres, spätestens imnächsten Frühjahr, nicht mehr da sein. Deshalb ist esrichtig, heute hier eine realistische Einschätzung abzuge-ben. Deshalb ist unsere Forderung nach meinem Dafür-halten konsequent, und deshalb können wir Ihrem An-trag, liebe Frau Beck, auch nicht zustimmen, so vielGutes auch in ihm steht.In unserem Antrag haben wir – das hat Herr Haibachgesagt – eine weitere, wie ich finde, kreative Idee. Dennin der Tat gibt es Befürchtungen, dass es wieder zukämpferischen Handlungen kommen kann. Deutschlandhat zwischen 1952 und 1968 ein solches Eingriffsrechtohne große Probleme „erdulden“ müssen. Ich glaube,das könnte ein Referenzpunkt sein.
Wir alle wissen: Die Polizeireform ist ein wesentli-cher Prüfstein gewesen – und sie ist es immer noch – fürdas, was in Bosnien-Herzegowina passiert. Meines Er-achtens hat die internationale Gemeinschaft hier sehr un-glücklich agiert. Erstens. Die Reihenfolge Polizeireformvor Verfassung ist völlig falsch. Wir hätten uns zuerstmit der Verfassung und dann darauf aufbauend mit einerPolizeireform beschäftigen müssen.Pssü–BzzpusKtSnGDPveghwdS1dDtdsmwRiitsPaEwd
Das ist sicherlich richtig, sehr geehrter Herr Kollegerand, aber es gibt keine gemeinsame europäische Poli-eikultur. Es gibt kein einheitliches europäisches Poli-eimodell, sondern sehr viele verschiedene.Drittens. Um des lieben Friedens willen hat die Euro-äische Union zunächst einmal hohe Hürden aufgebaut,nd um des lieben Friedens willen – und um einige Fort-chritte zu zeigen – hat man jetzt – das haben uns dieollegen in Bosnien-Herzegowina letzte Woche berich-et – die Kriterien so weit gesenkt, dass der Schritt zumAA gemacht werden kann. Auch das ist unlogisch undicht besonders glücklich. Das erhöht nicht gerade dielaubwürdigkeit der Europäischen Union.Von daher sage ich hinsichtlich der Polizeireform:er Rahmen muss von Europa gesetzt werden. Wie dieolizei organisiert wird, ist am Ende des Tages Sacheon Bosnien-Herzegowina.Es geht uns darum, dass wir Bosnien-Herzegowinauropafähig machen. Dafür sollen wir Rahmenbedingun-en fordern, etwa Rechtsstaatlichkeit oder die Gleichbe-andlung aller Bürger in diesem Land; keine Frage. Aberie das im Land im Einzelnen organisiert wird, ist Sacheer Bürger des Landes Bosnien-Herzegowina.Damit komme ich abschließend kurz zur Verfassung.ie haben völlig recht und wir sind einer Meinung:3 Jahre nach Dayton ist es dringend überfällig, dass wirie Verfassung entsprechend ändern und fortschreiben.iesen Prozess können wir als Europäer auch nur beglei-en und unterstützen. Wir sollten diesen Prozess aller-ings nicht gestalten.Liebe Frau Beck, hier liegt wohl der einzige Unter-chied zwischen uns. Wir wehren uns gegen ein Mikro-anagement der Europäischen Union und dagegen, dassir sagen, wie sie es machen sollen. Wir wollen denahmen setzen, aber wie die Gesellschaft dieses Landeshre Dinge in diesem rechtsstaatlichen Rahmen gestaltet,st ihre Aufgabe.Daher sage ich abschließend: Trotz der Meinungsun-erschiede zwischen uns, die heute deutlich gewordenind, sind sich der Bundestag und die hier vertretenenarteien in der Unterstützung Bosnien-Herzegowinasuf dem Weg nach Europa einig. Wir sagen: Die Tür zuuropa steht offen. Die Gesellschaft Bosnien-Herzego-inas muss den Weg durch diese geöffnete Tür aller-ings selber gehen.Schönen Dank.
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Das Wort hat jetzt der Kollege Detlef Dzembritzki
von der SPD-Fraktion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einer meiner Vor-redner hatte eben gesagt – ich habe es nicht mehr ganzzuordnen können –, dass wir eine typisch deutsche De-batte führen.
Ich stimme dem zu, weil ein wenig die Gefahr besteht,dass wir schon wieder in die Situation kommen oder denEindruck erwecken, von unserer Seite aus sollten Rege-lungsmechanismen erfunden werden, um die Problemein Bosnien-Herzegowina zu lösen. Meines Erachtens giltdies auch ein Stück weit für die Europäische Union, ob-wohl all das, was hier an Perspektive und Hoffnung for-muliert worden ist, grundsätzlich richtig ist und auchvon mir unterstützt wird.Wenn hier immer wieder von den „Bonn Powers“ ge-sprochen wird, dann will ich für die Zuhörerinnen undZuhörer, die in die Thematik nicht so gut eingeführtsind, zumindest einmal den Versuch unternehmen, da-rauf hinzuweisen, dass es sich hierbei um eine Opera-tionskompetenz des Hohen Repräsentanten der interna-tionalen Gemeinschaft handelt. Die „Bonn Powers“ermöglichen, in die Regierungsgeschäfte von Bosnien-Herzegowina einzugreifen.Darin liegt nun tatsächlich ein Problem. Ich erinnerein diesem Zusammenhang daran, dass wir im Dezem-ber 2003 einmal den Versuch unternommen haben, aufeuropäischer Ebene Fortschritte zu erreichen, und zwarunter Beteiligung von Politikerinnen und Politikern ausLändern, die wirklich gute Beziehungen dorthin haben.Ich denke an den ehemaligen Außenminister Geremekvon Polen, aber auch an Kollegen aus dem Europaparla-ment – seien sie von der Volkspartei, von den Sozialde-mokraten oder von den Liberalen – und an Kollegen ausdiesem Haus. Herr Dr. Stinner und andere Kollegen ha-ben am 16. Dezember 2003 eine gemeinsame Erklärungzum Friedensprozess in Bosnien und Herzegowina– Stichwort „Dayton überwinden“ – mit unterschrieben.Eigentlich haben wir uns bemüht, den zehnten Jahres-tag zu nutzen, um neue Impulse zu geben. Wenn mansich die Leitlinien dieser Erklärung vor Augen führt, diewir damals gemeinsam auf europäischer Ebene einge-bracht haben, dann muss man feststellen, dass fünf Jahrespäter leider immer noch gilt: Das friedliche Zusammen-leben der verschiedenen Gruppen ist nach wie vor ge-fährdet. Der für die wirtschaftliche und politische Ent-wicklung notwendige Gesamtstaat ist zu schwach. DieRolle der internationalen Gemeinschaft ist zunehmendambivalent. Resignation und Stagnation sowie daswachsende Armutsproblem untergraben die noch schwa-chen Fundamente des Friedens. Die Konstruktion vonDayton ist an ihrer Grenze angelangt.KdlhVsbdskhhnHsWBtubdwKdwdmSIrHHMnebesszd
ass damals diejenigen Diplomaten waren, lieber Kol-ege Dr. Stinner, die, wie wir schon so häufig festgestelltaben, zumindest in der entscheidenden Sekunde Krieg,ertreibung und Verbrechen beendet haben. Deswegenollten wir hier mit dem Begriff „Diplomaten“ – Sie ha-en es zitiert; es war nicht Ihre eigene Aussage, sondernie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – etwas vor-ichtiger umgehen und zuerst einmal Respekt dafür be-unden, dass sie versuchen, etwas zu leisten.
Trotzdem muss man in Rechnung stellen, dass esierbei Probleme gibt, die zum Teil obskuren Charakteraben. Ich freue mich, dass der Botschafter von Bos-ien-Herzegowina hier ist. Ich weiß, dass in Bosnien-erzegowina viele bemüht sind, die Dinge besser zu ge-talten und voranzubringen, und dass dies ein schwerereg ist.Wir müssen auch von hier aus dem Botschafter dieotschaft mitgeben, dass im Lande selbst die sogenann-en Entitäten, die einzelnen Verantwortungsträgerinnennd -träger, ein hohes Maß an Verantwortung dafür ha-en,
ass der Dayton-Prozess in Bosnien-Herzegowina über-unden wird.
Aber es ist und bleibt ein Prozess. Deswegen, lieberollege Dr. Stinner, bin ich ein bisschen skeptisch, ober Antrag, den Sie eingebracht haben, nicht so etwasie das Ei des Kolumbus darstellt. Sie wissen ja, dassem Ei des Kolumbus der Kopf abgeschlagen wurde, da-it es stehen konnte. Insofern bin ich ein wenig inorge, ob das die Lösung ist. Ich glaube nämlich, dasshr Notstandsprogramm dann, wenn es nicht funktionie-en sollte, sehr problematisch wird. Dennoch bestehtoffnung. Möglicherweise schafft es der derzeitigeohe Repräsentant, die Zeit zu nutzen, um daraus einonatsprogramm zu machen. Aber dazu ist ein Prozessotwendig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe eben nochinmal unseren Staatsminister bezüglich der Sprachenefragt. Liebe Kollegin Beck, was Sie dazu sagten, istinerseits richtig. Andererseits ist hier auch auf die be-ondere Situation hinzuweisen. Das richtet sich insbe-ondere an die Adresse unserer Freunde in Bosnien-Her-egowina. Wenn diese zum Beispiel darauf bestehen,ass die Europäische Union für Übersetzungen in ihre
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16942 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Detlef Dzembritzkidrei Sprachen sorgt, dann kommt es ein Stück weit zu ei-ner Situation, die wir zumindest als merkwürdig empfin-den. Meinetwegen sollen Übersetzungen stattfinden.
– Liebe Kollegin, ich möchte damit doch nur aufzeigen,wie schwer bzw. leicht – je nachdem, wie Sie es sehenwollen – es sich die Verantwortlichen in Bosnien-Herze-gowina machen.
– Liebe Leute, seid doch einmal etwas kreativer undüberwindet den Rahmen, der gesetzt ist, und geht etwasunkonventioneller an die Sache heran. Wir können dochvon ihnen Flexibilität verlangen, wenn sie Flexibilitätvon der EU verlangen.An dieser Stelle erlaube ich mir den Hinweis, dass sieauch selber dafür Verantwortung tragen, einen Rege-lungsmechanismus im eigenen Land aufzubauen, in des-sen Folge sie sich nicht immer wieder selbst im Wegestehen. Manches könnte schon längst zur Normalität ge-worden sein, wenn die Realitäten als solche akzeptiertwürden. Ich halte es jedoch für problematisch, wenn auf-grund des Festhaltens an den bestehenden Konstruktio-nen von Entitäten oder aus Prestigegründen letztendlichder Raum für eigenes flexibles Handeln immer wiedereingeschränkt wird und der eigene Wille nicht stark ge-nug ist, um sich eine eigene Verfassung zu geben. Es istdoch ganz klar, dass diese im Land selbst erarbeitet wer-den muss. Letztendlich entsteht aus all dem Ungeduld.Ich halte es auch nicht für fair, wenn Serbien undBosnien-Herzegowina verglichen werden. Die Serbenhaben doch keinen Freibrief bekommen, indem ihnenangeboten wurde, das SAA-Abkommen abzuschließen.
– Wo ist denn Herr Karadzic? Auch der internationalenGemeinschaft kommt in diesem Fall hohe Verantwor-tung zu. Zumindest haben die Serben ihren StaatschefMilošević ausgeliefert.
Ich will hier jetzt gar nicht anfangen, zu richten. Ich will,dass Mladic ausgeliefert wird. Aber Ihr Zwischenruf, lie-ber Kollege Brand, macht deutlich, dass wir es uns nichtzu einfach machen dürfen. Wenn zum Beispiel die serbi-sche Regierung nicht bereit ist, mit dem InternationalenStrafgerichtshof zusammenzuarbeiten, dann wird auchder Mechanismus des SAA-Abkommens nicht greifen.
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s steht doch fest, dass Kriegsverbrecher ohne Wennnd Aber ausgeliefert werden müssen.
iese Position wurde auch von der Europäischen Unionicht aufgegeben.Von Bosnien-Herzegowina muss und kann man er-arten, dass es, wenn Dayton überwunden werden soll,icht nur abwartet, was die EU macht, sondern auchurch eigenes Zutun im Lande seinen Beitrag leistet.anchmal habe ich den Eindruck, dass einige Verant-ortungsträger in den Entitäten sich so gut eingerichtetaben, dass sie im Grunde wenig Interesse an der Verän-erung des bestehenden Status haben und dass die jun-en Leute, die ja keine Chance auf ein visafreies Reisenaben und nicht erleben können, wie eine Entwicklungn Freiheit aussehen kann – das bedauere ich zutiefst –,lauben, dass nicht das Problem der fehlenden Freiheit,ondern die Probleme in ihrem Land die grundsätzlichenind.Ich halte es deshalb für dringend notwendig, dass inezug auf die Überwindung der bestehenden Entitätennd der Parallelstrukturen mehr geschieht als bisher.ier kann ich grundsätzlich die Aussagen der Kollegineck bezüglich des Zugangs zu öffentlichen Ämternsw. unterschreiben. Dieser Zugang ist im Augenblickicht in der Form gewährleistet, wie wir ihn in Europals Standard kennen.Um Dayton zu überwinden, müsste all das in einererfassung geregelt werden. Nur darin sehe ich einehance für die Zukunft.
Herr Kollege Dzembritzki, erlauben Sie am Ende Ih-
er Rede noch eine Zwischenfrage der Kollegin Beck?
Wenn die Kolleginnen und Kollegen mir das nicht
bel nehmen, bitte, Frau Kollegin.
Das werden sie nicht tun, wenn die Zwischenfragend die Antwort kurz ausfallen.Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIERÜNEN):Herr Kollege Dzembritzki, sind Sie bereit, zur Kennt-is zu nehmen, dass wir von diesem Parlament aus etwasur Beantwortung der Frage, wo Herr Mladic ist, beitra-en könnten? Es ist bekannt, dass Herr Mladic Diabeti-er ist und ständige medizinische Begleitung braucht. Esst auch bekannt, dass es mitten in Belgrad ein großes
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16943
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Marieluise Beck
Areal gibt, auf dem sich ein Armeeklinikum befindet.Wenn man nun zwei und zwei zusammenzählt, sollte esfür eine Regierung, die Herrn Mladic wirklich findenwill, ein Leichtes sein, ihn zu finden.
Frau Kollegin, ich kann nur noch einmal deutlich un-
terstreichen, dass ich hundertprozentig der Meinung bin,
dass Herr Mladic vor den Internationalen Gerichtshof
gehört und dass jeder Hinweis auf seinen Aufenthaltsort
aufgegriffen werden sollte. Andererseits bin ich der Mei-
nung, dass wir dann, wenn sich in Serbien Kräfte durch-
setzen sollten, die ihre Kampagne auf eine europaun-
freundliche Politik ausrichten – ich formuliere es sehr
vorsichtig –, wahrscheinlich noch weniger Chancen hät-
ten, Herrn Mladic vor dem Internationalen Gerichtshof
zu sehen.
Die Unterstützung der europafreundlichen Kräfte ist also
ganz wichtig, um nicht nur in diesem Land, sondern
auch in Europa zu einem Rechtsfrieden zu kommen.
Als letzter Redner hat der Kollege Wolfgang Gehrcke
von der Fraktion Die Linke das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbeginne mit einer kleinen Polemik. Das brauche ich; an-derenfalls fehlte mir etwas, Kollege Stinner. Es gehört jaauch zum Ritual. Sie haben amüsant die FAZ zitiert:Wehe dem Land, das Diplomaten in die Hände fällt. Esist nicht unbedingt meine Aufgabe, den deutschen diplo-matischen Dienst zu verteidigen. Mir läge näher, zu sa-gen: Wehe dem Land, das Militärs in die Hände fällt.Dann hätten wir es gleich ausgeglichen.
Möglicherweise gibt es friedfertige Militärs und ver-nünftige Diplomaten.Mir ist wichtig, in dieser Debatte festzuhalten, dassman an dem Ziel eines souveränen, sich selbst bestim-menden Staates Bosnien-Herzegowina festhält und dassman das, was man von unserem Land und von Europaaus tun kann, in diese Richtung unternimmt. Gleichzeitigmuss uns klar sein, dass ein Staat nur dann Bestand hatund stabil ist, wenn die dort lebenden Menschen diesenStaat wollen. Deswegen ist es vor allen Dingen ihr Pro-blem. Die Menschen werden einen Staat dann wollen,wenn er ihnen Schutzfunktionen, Rechtsstaatlichkeit,Demokratie und soziale Sicherheit angedeihen lässt. Da-mit überzeugt man Menschen für einen Staat. Dies zuusuwfbnMVAzipHdaddgsdcbsWwscaAVwZgiAkUhdzaoneds
ber ich habe die Sorge, dass wir erneut in einen Pro-ess der Destabilisierung hineingeraten. Deswegen haltech den Vorschlag der FDP gerade zum jetzigen Zeit-unkt für ungeeignet. Ich bin dafür, dass das Mandat desohen Repräsentanten verlängert wird und dass man mitiesem Mandat weiterarbeitet, obwohl ich anfangs einendere Zielprojektion hatte.Ich sage Ihnen eines erneut: Die Kosovo-Entschei-ung wird ihren Preis haben und, wie ich befürchte, iner gesamten Region destabilisierend wirken. Ich habeelesen, dass der Exbundeskanzler Schröder diese Ent-cheidung für falsch und verfrüht hält. Daran sieht man,ass es mehr Leute gibt, die sich darüber einen Kopf ma-hen.
Es wurde von den Wahlen in Serbien gesprochen. Ichin sehr skeptisch, ob die Entscheidung der Europäi-chen Union in dem gewünschten Sinne Einfluss auf dieahlen in Serbien haben oder das Gegenteil befördernird, weil dort der Eindruck, man solle gekauft werden,ehr stark ist. Auch darüber ist nachzudenken: Was ma-hen wir denn, wenn die Wahlen in Serbien ganz andersusgehen, als wir es uns vielleicht wünschen? Welcheuswirkungen wird dies auf die Nachbarländer haben?ielleicht ist es im Moment vernünftig, einen uner-ünschten Zustand einzufrieren, weil ein eingefrorenerustand berechenbarer als ein Zustand ist, der wieder inewaltsamen Auseinandersetzungen eskalieren kann.Aus diesem Grunde – nicht, weil ich den Zustand fürdeal hielte – glaube ich, im Moment ist es besser, beimmt des Hohen Repräsentanten zu bleiben und hiereine Veränderungen vorzunehmen. Die Europäischenion sollte ihrerseits all das, was sie Serbien angebotenat, auch Bosnien-Herzegowina anbieten – statt es mitummen Argumenten in der Art, dass man eine Überset-ung nicht hinbekomme, zu verweigern – und in Bezuguf freien Reiseverkehr, Austausch und kulturelle Ko-peration alle Türen öffnen. Das ist menschlich und ver-ünftig. In diese Richtung kann man ein Stück Politikntwickeln.Meine Sorgen sehen Sie mir bitte nach. Ich hoffe,ass ich durch die Realität nicht bestätigt werde; aber esieht leider so aus.Danke sehr.
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16944 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/8541 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlos-
sen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/9069
mit dem Titel „Europäische Verantwortung für Bosnien-
Herzegowina ernst nehmen“. Wer stimmt für den An-
trag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Antrag
ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Zustimmung
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergän-
zung der Bekämpfung der Geldwäsche und
– Drucksachen 16/9038, 16/9080 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Hier sollen die Reden zu Protokoll genommen wer-
den. Es handelt sich um die Reden der Kollegen Helmut
Brandt, CDU/CSU, Frank Hofmann, SPD, Gisela Piltz,
FDP, Ulla Jelpke, Die Linke, und Wolfgang Wieland,
Bündnis 90/Die Grünen.
Heute diskutieren wir in erster Lesung den Entwurf des
Gesetzes zur Ergänzung der Bekämpfung der Geldwä-
sche und der Terrorismusfinanzierung. Grundlagen für
die Gesetzesinitiative sind das am 15. August 2002 in
Kraft getretene Geldwäschebekämpfungsgesetz und die
Richtlinien des Europäischen Parlamentes und des Rates
sowie der Kommission aus den Jahren 2005 und 2006.
Diese Richtlinien sind nunmehr umzusetzen und bilden
den Rahmen für das Ergänzungsgesetz.
Die Bedeutung der Bekämpfung der Geldwäsche und
der Terrorismusfinanzierung hat in den letzten Jahren
nicht abgenommen, sondern im Gegenteil zugenommen.
Die Änderung des bestehenden Geldwäschegesetzes mit-
tels der Umsetzung der entsprechenden Richtlinien
bedeutet die notwendige Anpassung an die sich verän-
dernden Gegebenheiten. Terroristen, aber auch die orga-
nisierte Kriminalität sind auf weltweite Geldflüsse ange-
wiesen, um ihr verbrecherisches Tun zu finanzieren und
das gewonnene Kapital zu platzieren. Gelingt es mithin,
die Geldwäsche wirksam zu bekämpfen und den weltwei-
ten Finanzfluss zur Finanzierung des Terrorismus einzu-
dämmen, so würde dies einen bedeutenden Schritt zur Be-
kämpfung dieses Kriminalitätsfeldes darstellen und
zudem das organisierte Verbrechen empfindlich treffen.
Zu Recht bemüht sich der Gesetzesentwurf, möglichst
eine von uns gewünschte Eins-zu-eins-Umsetzung der
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Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 16/4208 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Vorlagefederführend vom Ausschuss für Arbeit und Soziales be-raten werden soll. Sind Sie damit einverstanden? – Dasist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ältestenrates zu dem Antrag der Abge-ordneten Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, SylviaKotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENDen Deutschen Bundestag zum Vorbild für diesparsame und klimafreundliche Stromversor-gung machen– Drucksachen 16/7529, 16/8820 –Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Norbert LammertAuch hier sollen die Reden zu Protokoll genommenwerden. Es handelt sich um die Reden der KollegenBernhard Kaster, CDU/CSU, Iris Gleicke, SPD, ErnstBurgbacher, FDP, Hans-Kurt Hill, Die Linke, und Hans-Josef Fell, Bündnis 90/Die Grünen.
In der heutigen Debatte haben wir uns mit einem An-
trag auseinanderzusetzen, der suggeriert, der Bundestag
habe erheblichen Nachholbedarf, was die sparsame und
klimafreundliche Stromversorgung für den Bundestag an-
geht. Tatsächlich ist dieser Antrag lediglich der durch-
sichtige Versuch, sich öffentlichkeitswirksam zu profilie-
ren. Ein typischer Schaufensterantrag. Der Deutsche
Bundestag ist längst ein Vorbild für sparsame und klima-
freundliche Stromversorgung.
Die Entscheidung Anfang der 90er-Jahre, mit Parla-
ment und Regierung von Bonn nach Berlin umzuziehen,
hat der damalige Deutsche Bundestag zum Anlass ge-
nommen, bei den Bundestagsneubauten zukunftswei-
sende, umweltpolitisch verantwortungsvolle und vorbild-
liche Energiekonzepte zu realisieren. Bereits in der
13. Wahlperiode, im November 1995, haben die Koali-
tionsfraktionen CDU/CSU und FDP gemeinsam mit der
SPD und Bündnis 90/Die Grünen den Antrag auf Bundes-
tagsdrucksache 13/3042 „Ökologische Konzepte für die
Parlaments- und Regierungsbauten in Berlin“ im Bun-
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g1) Anlage 6
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16950 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16951
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16952 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
reifende Vernetzung saisonaler Arbeitsmöglichkeiten in
en Dörfern vom Forstbetrieb über Gartenbau und Land-
irtschaft bis hin zu anderen gewerblichen Arbeitszwei-
en. So kann die Jahresgesamtarbeitszeit an verschiede-
en Arbeitsstellen erbracht werden.
Die zweite Säule der EU-Agrarpolitik muss finanziell
esser ausgestattet werden, damit durch eine höhere
U-Förderung, gemeinsam mit einer zusätzlichen Bun-
esförderung, Entwicklungen wie etwa der grünen Ar-
eitsmarktagenturen finanziert werden können. Darü-
er hinaus fordern wir einen fairen Mindestlohn für die
eschäftigten in den grünen Berufen und unterstützen das
rojekt der Gewerkschaft IG BAU gegen Lohndumping
nd schlechte Arbeitsbedingungen. Mehr Arbeitslose für
ätigkeiten in den grünen Berufen zu vermitteln, kann nur
ann gelingen, wenn die Anforderungen der Betriebe an
otivierte, qualifizierte und zuverlässige Mitarbeiter auf
er einen Seite und der berechtigte Anspruch der Arbeit
uchenden Menschen nach einer beruflichen Perspektive
uf der anderen Seite zur Deckung gebracht werden. Die
eutige Agrarpolitik benachteiligt zudem Betriebe mit
ielen Arbeitsplätzen. Dies wollen wir im Rahmen der
etzt anstehenden EU-Agrarreform ändern. Wir fordern,
ass die landwirtschaftlichen Direktbeihilfen auch an den
aktor Arbeitskraftbesatz gebunden werden müssen. Die
undesregierung muss ihre Blockadehaltung gegen eine
ukunftsorientierte Weiterentwicklung der europäischen
grarpolitik endlich aufgeben.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss fürirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Be-chlussempfehlung auf Drucksache 16/8262, den Antrager Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4806 abzu-ehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –egenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-ehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionennd der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionie Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an-enommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten WinfriedNachtwei, Alexander Bonde, Markus Kurth, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENOslo-Prozess zum Erfolg führen – JeglicheStreumunition ächten– Drucksache 16/8909 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
VerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAuch hier werden die Reden zu Protokoll genom-en. Es handelt sich um die Reden der Kollegenr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, CDU/CSU,ndreas Weigel, SPD, Florian Toncar, FDP, Inge Höger,ie Linke, Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen,owie Gert Winkelmeier, fraktionslos.
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Lassen Sie mich gleich zu Beginn meines Redebeitra-ges zum Ausdruck bringen, als wie wohltuend ich das En-gagement und die in den letzten Wochen und Monatenentstandene ungemeine Dynamik empfinde, mit welchervonseiten des Parlamentes im Bereich der Streubomben-thematik gewirkt wurde. Hierin offenbart sich nicht nurein hohes Maß an Unabhängigkeit, welche die Legisla-tive bei ihrer Arbeit an den Tag legt sowie die beachtlicheinhaltliche Leistungsfähigkeit der parlamentarischenAusschüsse, sondern auch die große Bedeutung, welchedem Oslo-Prozess als Impulsgeber zukommt. Unterstütztvon verdienstvollen Nichtregierungsorganisationen ist esvor dem Hintergrund des Oslo-Prozesses gelungen, Par-lamentarier und Regierungsvertreter gleichermaßen andie komplexe Thematik heranzuführen, Zusammenhängeaufzuzeigen, Positionen kritisch zu hinterfragen und ver-meintliche Gewissheiten auf den Prüfstand zu stellen. Diein den letzten Wochen offenbar gewordene, lebendigeparlamentarische und außerparlamentarische Debattehat gezeigt, dass der seinem Gewissen verpflichtete Ab-geordnete nicht nur ein Postulat unseres Grundgesetzesist, sondern Realität. Das allein ist bereits bemerkenswertund verdient eine ausdrückliche Würdigung in diesemRund.Getragen von einer gemeinsamen Zielsetzung habensich Vertreter aller Parteien mit hohem Sachverstand, mitzielgerichteter Konstruktivität aber vor allem mit einerbemerkenswerten Unabhängigkeit in den zuständigenAusschüssen und Unterausschüssen beständig gemüht,Fortschritte auf einem schwierigen, vielschichtigen undkomplexen Feld zu befördern. Nationale und internatio-nale Prozesse und Abstimmungen gilt es, hierbei ebensoabzuwägen wie – vielleicht erst auf den zweiten Blicksichtbare – ökonomische und vor allem auch bündnispo-litische Fragen. Ein von den Antragstellern gefordertesnationales Moratorium, welches den Einsatz, die Ent-wicklung, die Herstellung, die Modernisierung, die Be-schaffung, den Verkauf, die Vermittlung sowie die Ein-,Aus- und Durchfuhr von Streumunition untersagt, wärehingegen bündnispolitisch nicht leistbar und drohte letzt-lich, die Bündnisfähigkeit Deutschlands zu unterhöhlen.Ich gebe zu bedenken, dass solch ein Antrag wohl kaumder grünen Regierungspartei gestellt worden wäre. Diesesicherheitspolitischen Folgen einer Umsetzung ihrerForderungen stünden – und das wissen auch Sie – in kei-nem Verhältnis zum vielleicht erzielten Effekt.Auch die von den Antragstellern gewählte Diktion der„Terrorwaffe“ als Charakterisierung für Streumunitionerscheint mir in der Tat nur schwer erträglich und etwasinspiriert von übersteigerter oppositioneller Dramatik.Derartige Begrifflichkeiten dürfen gerade angesichts derThematik nicht leichtfertig verwandt und semantischverwässert werden. Ich nehme nicht an, dass die hier an-wesenden Vertreter der Grünen Deutschland und seinenVerbündeten den Besitz und die Produktion einer „Ter-rorwaffe“ unterstellen möchten. Die schrecklichen Aus-wirkungen von Streubomben bleiben Opfern wie Nutzerngleichwohl wie in Stein gebrannt. Dies würde auch aufSnFszubbbsnKgurszSdvjd–gtGdedBsdwblEwtßtSzmnvwinbwwztvezZu Protokoll ge(C(Die, meine Damen und Herren von der Fraktion der Grü-en, zurückfallen.Auch wenn die Antragsteller in ihren Forderungen undormulierungen weit über das eigentliche Ziel hinausge-chossen sind, so ist ihr Engagement, in der Sache selbstu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen, dennochnbenommen. Letztlich sind auf dem Gebiet der Streu-omben tatsächlich humanitäre Aspekte ausschlagge-end. Es sollte jedoch nicht verschwiegen werden, dassereits im Vorfeld der anstehenden Konferenz große Fort-chritte erreicht werden konnten. So stellt es durchaus ei-en Erfolg dar, dass von der Union gemeinsam mit demoalitionspartner im letzten Jahr ein Antrag bezüglichefährlicher Streumunition in den Bundestag eingebrachtnd verabschiedet werden konnte. Dieser sah unter ande-em vor, Streumunition der Bundeswehr außer Dienst zutellen, die eine Blindgängerquote von über einem Pro-ent hat, von der Neubeschaffung von herkömmlichertreumunition abzusehen und die Produktion als auchen Export von Streumunition mit einer Blindgängerrateon über einem Prozent zu verbieten. Dieser Antrag kannedoch nur einen ersten Schritt in die richtige Richtungarstellen. An einer Fortentwicklung dieser Positionauch und besonders im internationalen Rahmen – musserade in diesen entscheidenden Tagen intensiv gearbei-et werden.Bei allem Lob für die Arbeit der parlamentarischenremien sollte jedoch auch die bisherige Rolle der Bun-esregierung gelobt werden. Als zuständiger Bericht-rstatter der CDU/CSU begrüße und unterstütze ich aus-rücklich die grundsätzlich erklärte Zielsetzung derundesregierung, auf internationaler Ebene ein umfas-endes Verbot von Streumunition zu erreichen.Diese Zielsetzung ist jedoch ein hoher Maßstab, denie Bundesregierung selbst an sich angelegt hat und anelchem sie sich stets messen lassen muss. Dies gilt ins-esondere für den erfolgreichen Abschluss der Verhand-ungen über ein internationales Abkommen, welchesnde Mai im Rahmen des Oslo-Prozesses abgeschlossenerden soll. Ein Erfolg des Oslo-Prozesses und eine Un-erschrift Deutschlands unter den Ende Mai zu beschlie-enden Vertrag von Dublin, der sich die weltweite Äch-ung von Streumunition zum Ziel gesetzt hat, erscheint alschritt hin zu einem globalen Abkommen nahezu unver-ichtbar.Bei aller Aufmerksamkeit, die der Oslo-Prozess mo-entan berechtigterweise bindet, sei jedoch daran erin-ert, dass es für die Umsetzung einer globalen Ächtungon Streubomben auch darauf ankommen wird, schritt-eise die großen Halterstaaten miteinzubeziehen. Diesst mittels des Oslo-Prozesses bedauerlicherweise bishericht gelungen. Die Ansätze des Oslo-Prozesses sind am-itioniert und bewusst weit gefasst. Sie werden daherohl in absehbarer Zeit nicht von allen Staaten geteilterden. Gleichwohl kommt dem Oslo-Prozess eine nichtu unterschätzende Bedeutung zu, da mittels dieses Un-ernehmens entscheidende Impulse und Problemlösungs-orschläge hervorgebracht wurden und dies durchausine Strahlkraft für den tendenziell stockenden VN-Pro-ess hat.
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16958 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
gebene Reden
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Es ist daher zu begrüßen, dass sich die Bundesregie-rung – trotz durchaus frustrierender Erfahrungen – wei-terhin aktiv an der Überprüfungskonferenz für das Waf-fenübereinkommen der Vereinten Nationen, CCW der VN,beteiligt. Und es sollte in der laufenden Diskussion nichtunterschlagen werden, dass auch auf dieser Ebene zu-mindest schüchterne Fortschritte gezeitigt werden. So hatdie dritte Überprüfungskonferenz des VN-Waffenüberein-kommens am 17. November 2006 die Einsetzung einerCCW-Expertengruppe zu Streumunition beschlossen, wasvon der Bundesregierung als Vorstufe zu Verhandlungenüber ein flankierendes Abkommen zum Thema Streumuni-tion gewertet wird.Es ist bedauerlich, dass hinsichtlich eines konkretenVorgehens für allfällige Verhandlungen noch keine vonallen relevanten Streumunitionshaltern geteilte Einigungerreicht werden konnte. Russland lehnt nach wie vor Ver-handlungen jeder Art ab, die eine Ächtung von Streumu-nition zum Gegenstand haben. Auch andere Staaten wieetwa die USA und China verhalten sich in dieser Fragealles andere als kooperativ. Dennoch stellt die Befassungder Überprüfungskonferenz einen ersten Beitrag hin zueinem wirksamen Verbot von Streumunition dar. Es giltdaher, den laufenden Diskussionsprozess in einen sub-stanziellen Verhandlungsprozess im CCW-Rahmen zuüberführen, an dem die wichtigsten Besitzer und Anwen-der von Streumunition teilnehmen. Einseitig auf denOslo-Prozess zu setzen, mag aus Gründen konzeptionel-ler Orthodoxie befriedigender sein, doch mit Blick auf einanzustrebendes globales Abkommen wäre dies sicherlichnicht zielführend. Den Ansatz einer deutschen Beteiligung an beidenProzessen gilt es also weiterzuverfolgen. Zudem mussDeutschland auch bei seinen Partnern in der Nato undder EU energisch um Fortschritte in der Sache werben.Dies gilt auch und insbesondere für die USA, die amOslo-Prozess bisher nur als Beobachterstaat teilnehmen.Der Oslo-Prozess ist zum Motor der weltweiten Bemü-hungen geworden, eine weltweite Ächtung von Streubom-ben herbeizuführen. Vor dem Dubliner Treffen des Oslo-Prozesses droht nun jedoch eine Situation, in welcherDeutschland nicht an der Abschlusserklärung der Konfe-renz beteiligt sein könnte.Die deutsche Delegation fordert nach wie vor Über-gangsfristen für das Verbot und eine Ausnahme für be-stimmte sensorengesteuerte Waffen. Die Haltung derdeutschen Regierung wurde auf der Konferenz aus die-sem Grunde bereits scharf kritisiert. Ein AusscheidenDeutschlands aus dem Prozess erschien zeitweise mög-lich. Diese Gefahr ist ganz offensichtlich noch nicht ge-bannt, denn trotz verheißungsvoller und blumiger Prokla-mationen des federführenden Auswärtigen Amtes scheintsich die Haltung Deutschlands bisher nicht flexibilisiertzu haben. Das Auswärtige Amt scheint den eigens aufge-stellten Maßstäben in Sachen Abrüstung im konkretenFall nicht vollumfänglich entsprechen zu können.Bedauerlich muss auch erscheinen, dass es auf derKonferenz zunehmend zu Konfrontationen zwischen denNichtregierungsorganisationen und der Bundesregie-rung gekommen ist. Offensichtlich hat das einst konstruk-tlFgFiDdddsFltnwwnlzsksPoDAoFSievfgegfdPdlnsksddtUskskBZu Protokoll ge(C(Dive Klima schwer gelitten. Eine in jüngsten Pressever-autbarungen des Auswärtigen Amtes angedeutetelexibilisierung der deutschen Haltung erschiene mir be-rüßenswert. Vor diesem Hintergrund erscheint dierage relevant, ob und inwiefern die Bundesregierunghre Haltung in den anstehenden Verhandlungen vonublin zu ändern gedenkt. Den jüngsten Proklamationener Bundesregierung konnte leider nicht entnommen wer-en, ob hierauf tatsächlich substanzielle Positionsverän-erungen folgen sollen. Für wohl alle in der Sache zu-tändigen Parlamentarier würde ich daher sehr gerne dierage aufwerfen, ob und inwiefern die deutsche Verhand-ungsposition flexibilisiert werden soll und welchen wei-eren Verhandlungsspielraum die Bundesregierung in-erhalb des Oslo-Prozesses sieht.Der Oslo-Prozess würde in gewisser Weise entwerteterden, wenn die wenigen relevanten Teilnehmerstaatenie Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Ka-ada, aus einem anzustrebenden Abkommen herausfie-en. Eine solche Entwicklung drohte, den gesamten Pro-ess irrelevant zu machen.Die offizielle Position Deutschlands bedarf einer kriti-chen Revision unter Beteiligung des Parlamentes. Dasategorische Festhalten der im Dreistufenplan darge-tellten Haltung Deutschlands scheint mir in nicht allenunkten vollständig schlüssig zu sein. Zudem verbleibenffene Fragen bezüglich der konkreten Umsetzung desreistufenplanes. Gemeinsam mit meinem Kollegenndreas Weigel habe ich in diesen Tagen die zahlreichenffenen technisch-militärischen wie auch politischenragen in einem Schreiben an die Bundesministerteinmeier und Jung übermittelt. Im Folgenden möchtech in aller gebotenen Kürze auch in diesem Hohen Hauseinige der überwölbenden Fragen aufwerfen:Offene Fragen bestehen beispielsweise bezüglich deron der deutschen Delegation geforderten Übergangs-risten für sogenannte Streumunition mit einer Blindgän-erquote von unter einem Prozent. Nach wie vor ist nochrheblicher Klärungsbedarf hinsichtlich der zuverlässi-en Erfüllung der vom Gesetzesantrag der Koalition ge-orderten Blindgängerquote von unter einem Prozent fürie Übergangsbestände der Bundeswehr gegeben. Es istflicht und Aufgabe des Parlaments, über die Einhaltunger geforderten Maßstäbe für die übergangsweise er-aubten Streumunitionsbestände Klarheit zu erlangen.Auch die von der Bundesregierung geforderten Aus-ahmen für Alternativmunition, namentlich sensorenge-teuerte Waffen, bedürfen meiner Auffassung nach einerritischeren Überprüfung als bisher. Es muss sicherge-tellt sein, dass die Alternativmunition tatsächlich die voner Regierung und den Herstellern dargestellten Anfor-erungen erfüllt. Der deutsche „Dreistufenplan“ setzt dieechnische Zuverlässigkeit aller Submunitionen voraus.nklar erscheint mir hierbei noch, auf welche Angabenich die Bundesregierung verlässt, um diese Zuverlässig-eit zu überprüfen.Insgesamt muss seitens der Bundesregierung nochchlüssiger als bisher der militärische Nutzen und kon-rete Bedarf für die – mittelfristig in den Beständen derundeswehr verbleibende – Streumunition und die anzu-
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16959
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberggebene Reden
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schaffende Alternativmunition Erklärung finden. Solltedieser Bedarf nicht zwingend zum Schutz unserer Solda-ten geboten sein, erschienen mir allzu großzügige Rege-lungen hinsichtlich Übergangsfristen und Alternativmu-nitionen als nicht notwendig und ganz im Gegenteil aushumanitären Gesichtspunkten sehr bedenklich. In diesergrundsätzlichen Conclusio stimme ich auch mit den An-tragstellern überein.Die Unterschrift Deutschlands unter den Vertragsent-wurf von Dublin darf schlichtweg nicht an den aufgezeig-ten offenen Fragen und einer intransigenten deutschenVerhandlungshaltung scheitern. Keinesfalls darf der Ein-druck entstehen, dass sich die Bundesregierung auf die-sem Feld von den Interessen der militärischen Industrieunter Druck setzen lässt. Auch der scheinbaren Rück-sichtnahme auf enge bilaterale Partner sind hinsichtlichdieser Thematik gewisse Grenzen gesetzt. Eine flexiblereHaltung – insbesondere hinsichtlich der von Deutschlandeingeforderten Übergangsfristen – sollte daher aus mei-ner Sicht ernsthaft erwogen werden.
Deutschland ist nicht der Bremser in den parallel lau-fenden multilateralen Verhandlungen über eine Ächtungvon Streumunition und wird das auch in den anstehendenVerhandlungsrunden nicht sein – auch wenn der hier be-handelte Antrag der Grünen diesen Eindruck zu erwe-cken versucht.Ganz im Gegenteil: Die Bundesregierung hat im ver-gangenen Jahr eine viel beachtete Initiative für einenschrittweise universellen Verzicht auf Streumunition er-griffen. An den internationalen Verhandlungen – sowohlim UN-Rahmen wie auch im Oslo-Prozess – warDeutschland nicht nur von Anfang an engagiert beteiligt,sondern hat zudem bereits in einem sehr frühen Stadiumerste konkrete Vorschläge und Textbausteine für eine Völ-kerrechtsergänzung eingebracht.Richtig ist, dass sich die Bundesregierung um eineEinbindung möglichst vieler Staaten bemüht. Die deut-sche Verhandlungsposition orientiert sich sowohl anEmpfehlungen des Internationalen Komitees vom RotenKreuz als auch an Vorgaben des Waffenübereinkommensder Vereinten Nationen. Das macht deutlich, dass derVorwurf, Deutschland trete auf die Bremse, nicht zu hal-ten ist. Vielmehr nimmt Deutschland bei den Verhandlun-gen – innerhalb und außerhalb des UN-Rahmens – eineVorreiterrolle ein.Ich bin sehr zuversichtlich, dass bei der Weiterent-wicklung humanitärer Rüstungskontrolle noch im Jahr2008 ein Durchbruch gelingt. Auf Initiative der SPD-Fraktion hat der Bundestag die Bundesregierung bereitsim Jahr 2006 dazu aufgefordert, Schritt für Schritt aufeine völkerrechtliche Ächtung von Streumunition hinzu-arbeiten. Im Parlament haben wir die internationalenVerhandlungen seitdem in mehreren Plenardebatten so-wie in regelmäßigen Berichterstattungen und Anhörun-gen in den zuständigen Fachausschüssen eng begleitet.Wir haben dabei stets betont, dass ein umfassendesVerbot der Herstellung, Verwendung und Verbreitung die-sn–msdmwmkrWmgutnmosVdtltDnbpetastMn2zEKniesDscdvtwAZu Protokoll ge(C(Der Munition aus unserer Sicht alternativlos ist. Streumu-ition verursacht unermessliches menschliches Leidinsbesondere unter Zivilisten –, sie ist aber auch ausilitärischen Erwägungen schlichtweg überflüssig. Dennie ist unzuverlässig, gefährdet zudem die sie einsetzen-en Militärs und schmälert darüber hinaus die Akzeptanzilitärischer Operationen bei der ZivilbevölkerungDie von den Grünen verwendete Bezeichnung „Terror-affe“ halte ich aber für unglücklich. Im Fall von Streu-unition sind wir schließlich nicht etwa mit dem Problemonfrontiert, dass es in erster Linie transnational operie-ende, nichtstaatliche Terrornetzwerke sind, die dieseaffe zum Einsatz bringen, sondern es geht darum, Streu-unition als konventionelle Waffen aus den Beständen re-ulärer staatlicher Armeen auszumustern, zu vernichtennd ihren Einsatz zu ächten.Ob das gelingt, hängt nicht zuvorderst vom konstruk-iven Verhalten der Bundesregierung ab – so wie die Grü-en suggerieren –, sondern schon eher von ihrem diplo-atischen Verhandlungsgeschick. Entscheidend ist doch,b es gelingt, diejenigen Staaten in einen Vertragsab-chluss einzubinden, die bislang bei den internationalenerhandlungen tatsächlich auf die Bremse treten. Dennas sind ausgerechnet die Staaten mit den umfangreichs-en Streumunitionsarsenalen – die USA, China und Russ-and, zudem Indien, Pakistan, Israel und Brasilien.Was die Einbindung dieser Staaten betrifft, bleibt wei-erhin noch erhebliche Überzeugungsarbeit zu leisten.enn in ihren Militärstrategien nimmt Streumunitionach wie vor einen ungleich höheren Stellenwert ein alseispielsweise die weltweit nicht mehr eingesetzten Anti-ersonenminen. Darum hat Deutschland von Beginn aninen ausgewogenen Ansatz verfolgt, der auch aus mili-ärischen Gesichtspunkten überzeugen soll.Allerdings wird sich auch die deutsche Position in dennstehenden Verhandlungen noch weiterentwickeln müs-en. Die Grünen behaupten ja, die Bundesregierung un-erscheide zwischen gefährlicher und ungefährlicherunition. Das ist so nicht zutreffend. Ungefährliche Mu-ition gibt es nicht. Allerdings hat sich im Libanonkrieg006 in der Tat gezeigt, dass auch neuere, vermeintlichuverlässigere Streumunitionsmodelle die in sie gesetztenrwartungen nicht erfüllt haben.Daraus sind nun auch seitens der Bundesregierungonsequenzen zu ziehen. Selbst wenn und gerade weil esie zu ihrem Einsatz durch die Bundeswehr gekommenst: Streumunition darf nicht weiterhin nach einer nichtindeutig belegten Blindgängerrate eingestuft, sondernollte ohne weitere Übergangsfristen unverzüglich außerienst gestellt werden.Aus militärstrategischer Sicht verlangen heutige Ein-atzszenarien die Fähigkeit zur Punkt- und nicht zur Flä-henzielbekämpfung. Dafür gibt es Punktzielmunition,ie bezüglich ihrer Bauart, ihrer Wirkweise und ihrer Zu-erlässigkeit grundlegende Unterschiede zu Streumuni-ion aufweist. Insofern sollte sie weder in engerem noch ineiterem Sinne mit Streumunition gleichgesetzt werden.Punktzielmunition ist mit einer erheblich geringerennzahl an Explosivkörpern ausgestattet – weniger als
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16960 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberggebene Reden
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zehn im Vergleich zu den bis zu Tausend bei Streumuni-tion. Bei neueren Modellen, die mittels kinetischer Ener-gie funktionieren, wird gänzlich auf Explosivkörper ver-zichtet.Wenn nun aber in den laufenden internationalen Ver-handlungen neben der umfassenden Ächtung von Streu-munition auch eine völkerrechtliche Eingrenzung desEinsatzes von Punktzielmunition diskutiert wird, danngeht es dabei nicht darum, einzelnen modernen Muni-tionsmodellen einen Persilschein auszustellen, sondernes geht darum, eindeutige, von unabhängiger Seite nach-prüfbare Kriterien zu definieren, die diese Munition erfül-len muss: erstens eine strikte Limitierung der durch dieseMunition verbrachten Sprengkörper; zweitens eine nach-gewiesene hohe technische Zuverlässigkeit; drittens dienachgewiesene Fähigkeit dieser Munition, militärischeZiele tatsächlich punktgenau zu bekämpfen.Die Bundesregierung steht dabei in der Pflicht, demParlament als unabhängigem Kontrollorgan gesicherteund detaillierte Nachweise über die Einhaltung dieserMaßstäbe vorzulegen.Ein entscheidender Aspekt kommt im hier diskutiertenAntrag der Grünen viel zu kurz: der Blick über den Oslo-Prozess hinaus. Die vom Oslo-Prozess ausgehende Dyna-mik hat die Genfer Verhandlungen zur Ergänzung desWaffenübereinkommens der Vereinten Nationen neu be-lebt. Im November 2007 haben sich die UN-Vertragsstaa-ten in Genf zur Aufnahme von Verhandlungen über einZusatzprotokoll zur „dringlichen Frage der humanitärenAuswirkungen von Streumunition“ bereiterklärt. Dassdamit erstmals alle Vertragsstaaten des UN-Waffenüber-einkommens in Verhandlungen eingebunden werden, istein wichtiger Fortschritt. Es ist ein besonderer Verdienstder am Oslo-Prozess beteiligten Staaten und zivilgesell-schaftlichen Akteure, dass sie die Vertragsstaaten ver-stärkt für die humanitären Folgen des Einsatzes vonStreumunition sensibilisiert haben.Unbedingt zu verhindern ist nun freilich, dass UN-Ver-handlungen und Oslo-Prozess gegeneinander ausgespieltwerden. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass beiden Verhandlungen im Rahmen des Oslo-Prozesses EndeMai ein präziser Textentwurf erarbeitet wird, der dannden anschließenden UN-Verhandlungen als Vorlage die-nen kann. Die Bundesregierung ist gefordert, die Impulsedes Oslo-Prozesses aufzugreifen und geeignete Maßnah-men für eine rasche Ratifizierung und Universalisierungder dort erzielten Übereinkunft in die Wege zu leiten.Zugegeben, der Spagat zwischen den beiden parallellaufenden multilateralen Verhandlungsprozessen ist einekomplizierte Übung, die wohl nicht ganz ohne Verrenkun-gen gelingen kann. Aber ich denke, wir sollten auf diedeutsche Verhandlungsführung vertrauen.
Heute beraten wir über ein Thema, das aus humanitä-ren Gründen von großer Bedeutung ist: das Verbot vonStreumunition. Streumunition wird durch Bomben, Artil-lerie oder Raketen verschossen, die über dem Ziel einegroße Menge von Submunitionsladungen verteilen undgvbdleosghfSameFtdtzehdAdPpdLhKtKvgdSntßsBPwahdwgALßndgtfhSZu Protokoll ge(C(Droßflächig zur Explosion bringen. Ein großer Teil dererschossenen Submunitionen detoniert jedoch nichteim Aufschlag, sondern bleibt als Blindgänger am Bo-en liegen. Auch Jahre nach dem Ende von Kampfhand-ungen stellen diese Blindgänger ähnlich wie Landminenine Gefahr für die Zivilbevölkerung dar. Sie verletzender töten Menschen, wobei es sich besonders oft umpielende Kinder handelt. Ferner lähmt die von Blind-ängern ausgehende Angst den Wiederaufbau und ver-indert die Nutzung von Landwirtschaftsflächen, Wohn-lächen und Verkehrswegen. Diese schlimmen Folgen vontreumunition rücken immer weiter in das Blickfeld derktuellen Abrüstungsdebatte. Um den schrecklichen hu-anitären Folgen von Streumunition zu begegnen, mussndlich gehandelt werden. Aus diesem Grund hat sich dieDP bereits im September 2006 für die umfassende Äch-ung von Streumunition ausgesprochen. Daneben fordertie FDP die Ächtung der verbliebenen Landminen, dennrotz des Verbots von Antipersonenminen sind Antifahr-eugminen weiterhin erlaubt. Diese Minen verfügen überine weitaus größere Sprengkraft und gefährden weiter-in Zivilisten in Konfliktgebieten. Besonders zynisch ist,ass auch Antifahrzeugminen, die mit einer sogenanntenufhebesperre versehen sind, erlaubt bleiben, obwohliese Aufhebesperre bewirkt, dass die Mine von einererson ausgelöst werden kann und somit wie eine Anti-ersonenmine wirkt. Die Bundesregierung macht sichiese in der Ottawa-Konvention enthaltene semantischeücke zunutze, um auch an Antifahrzeugminen mit Auf-ebesperre festzuhalten.Neben den Liberalen legten im Herbst 2006 auch dieoalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD einen An-rag zum Umgang mit Streumunition vor. Der Antrag deroalitionsfraktionen sah nur die Abrüstung von „für Zi-ilisten gefährlicher“ Streumunition mit einer Blindgän-errate von über einem Prozent vor. Dies sollte der Bun-esregierung erlauben, an einem Teil der deutschentreumunition festzuhalten. Diese Unterscheidung isticht sinnvoll, da auch Streumunition mit einer prozen-ual niedrigen Blindgängerrate aufgrund der meist au-erordentlich hohen Zahl verschossener Submunitions-prengkörper zu einer großen Gefahr werden kann. Dieundesregierung stieß mit ihrem Konzept sowohl hier imarlament als auch in der Öffentlichkeit auf Kritik. Auchir Liberale haben diesen Ansatz von Regierung und Ko-litionsfraktionen hier im Deutschen Bundestag wieder-olt als unzureichend abgelehnt. Es ist erfreulich, dassieser Druck Wirkung gezeigt hat. Die Bundesregierungill nun mittelfristig auch auf die von ihr bisher als un-efährlich eingestufte Streumunition verzichten, sobaldlternativen zur Verfügung stehen, die die entstehendeücke im Ausrüstungsportfolio der Bundeswehr schlie-en können. Auch wenn diese alternativen Waffen heuteoch nicht einsatzbereit sind, zeichnet sich schon ab, dassiese nicht zu der humanitär problematischen Blindgän-erbelastung führen werden wie dies bei der Streumuni-ion der Fall ist.Der heute zur Debatte stehende Antrag der Grünen be-asst sich mit dem sogenannten Oslo-Prozess zur Aus-andlung eines umfassenden Verbotsabkommens fürtreumunition. Im Mai 2008 gehen diese Verhandlungen
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16961
Andreas Weigelgebene Reden
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bei einer Konferenz in Dublin in ihre entscheidendePhase. Dabei geht es darum, möglichst viele Staaten zueinem Verbot dieser Waffen zu bewegen. Es dürfen keineAusnahmen vom Verbot der Streumunition gemacht wer-den, die schwerwiegende humanitäre Folgen haben. Aufder anderen Seite muss ein Abkommen auch die Wege zurVerwendung von Waffen offenhalten, die eben nicht die-selben gravierenden Folgen für die Zivilbevölkerung nachsich ziehen wie die bisher verwendete Streumunition. Sonstwerden wichtige Prozenten- und Nutzerstaaten von Streu-munition dem Verbotsabkommen nicht beitreten. Wennaber hauptsächlich Staaten die Oslo-Konvention unter-schreiben, die niemals nennenswerte Bestände an Streu-munition besessen haben, wäre das Abkommen nur einesymbolische Geste. Dies würde das Verbot von Anfang anschwächen. Viel wird daher vom Geschick der an den Ver-handlungen beteiligten Diplomaten abhängen.Insgesamt unterstützt die FDP daher die Stoßrichtungdes vorliegenden Antrags der Grünen. Gleichwohl wirdbei den Beratungen im federführenden Ausschuss nochüber einige Formulierungen näher zu sprechen sein.Es wäre zu begrüßen, wenn der Deutsche Bundestagein starkes Signal für die Ächtung von Streumunition set-zen würde. Die Verhandlungen müssen rasch zu einem er-folgreichen Ende geführt werden. Dabei muss Deutsch-land einen konstruktiven Beitrag leisten. Eines ist klar:Die Bundesregierung muss in den Verhandlungen endgül-tig von ihrem Kriterium einer Blindgängerrate von 1 Pro-zent abrücken. Langfristig wäre eine solche Ausnahmekontraproduktiv und unterliefe ein umfassendes Verbot.Es bleibt zu hoffen, dass möglichst viele Staaten der Oslo-Konvention am Ende beitreten werden. Die hohe Zahl derunschuldigen Opfer dieser grausamen Waffen können wirnicht akzeptieren. Das Beispiel der Ottawa-Konventionstimmt optimistisch. So ist der Handel mit Antiper-sonenminen nahezu zum Erliegen gekommen. Es wärewünschenswert, wenn ein umfassendes Verbot von Streu-munition den gleichen Effekt hätte. Die Verhandlungen inDublin werden hierfür entscheidend sein.
In gut einer Woche, am 19. Mai 2008, beginnt in Dub-
lin eine elftägige Konferenz, deren Ziel das völkerrecht-
lich verbindliche Verbot von Streumunition ist. Ob die
Vertreter der Bundesrepublik Deutschland dabei eine
konstruktive Rolle spielen werden, ist zu bezweifeln. Der
Handlungsbedarf zu diesem Thema ist auf jeden Fall
nicht zu ignorieren. Streumunition verseucht heute in
mindestens 25 Staaten ganze Landstriche. Mehr als
100 000 Menschen fielen bis heute dieser brutalen Tech-
nologie zum Opfer. Für die Bevölkerung stellen die un-
zähligen Blindgänger noch lange nach kriegerischen
Auseinandersetzungen eine Bedrohung dar. Die Gefähr-
dung für die Zivilbevölkerung entspricht der durch Land-
minen, denn der Einsatz von Streumunition richtet sich
unterschiedslos gegen militärische und zivile Ziele. Diese
unterschiedslose Gefährdung von Zivilisten und Kombat-
tanten ist durch das Völkerrecht verboten. Streumunition
ist grausam und unmenschlich.
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Zu Protokoll ge
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Die Bundesrepublik hat sich mit ihrem Acht-Punkte-
lan immer wieder faktisch als Bremser für eine verbind-
iche und umfassende Lösung betätigt. Um die Zivilbevöl-
erung zu schützen, reicht es definitiv nicht, wie von der
undesrepublik gefordert, nur ein Teilverbot gegen be-
timmte Munitionstypen umzusetzen. Die Unterscheidung
wischen „guter“ und „schlechter“ Streumunition ist zy-
isch und sorgt dafür, dass die Tabuisierung von Streumu-
ition schwieriger wird. Zum Glück sind es nur einige
enige Staaten, die glauben, dass ein Teilverbot älterer
unitionstypen ausreicht, um inakzeptablen Schaden von
er Zivilbevölkerung abzuwenden. Nicht zufällig sind
ies vor allem die Hersteller- und Anwenderstaaten von
treumunition. Leider gehört die Bundesrepublik zu die-
en Staaten, die Hightech-Streumunition als für Zivilisten
ngefährliche Alternativwaffe bezeichnen. Die Haltung
er Bundesregierung ist aus humanitärer Sicht nicht
achvollziehbar. Für die Regierung sind militärische
berlegungen inklusive der Möglichkeit gemeinsamer
ilitärischer Operationen mit Armeen, die Streumunition
insetzen, ganz offensichtlich die oberste Priorität.
Die Bundesregierung möchte durch ihren Acht-
unkte-Plan angeblich andere Länder wie die USA oder
ussland, die Streumunition produzieren und einsetzen,
it integrieren. Dass dieses Vorhaben gescheitert ist, hat
ich spätestens im November 2007 gezeigt, als sich die
ertragsstaaten des UN-Waffenübereinkommens für ihr
eiteres Vorgehen bezüglich Streumunition nur auf einen
nverbindlichen Meinungsaustausch einigen konnten.
Es geht der Bundesregierung leider in erster Linie da-
um, Rüstungstechnologien zu schützen und nicht die be-
roffenen Menschen. Vertreter des Aktionsbündnisses
andminen formulierten deswegen treffend:
Es wundert uns nicht, dass die deutsche Rüstungs-
industrie die Politik der Bundesregierung aus-
drücklich unterstützt.
Im Gegensatz zur unehrlichen und halbherzigen Hal-
ung der Bundesregierung unterstützen weit über
00 Staaten ein umfassendes Verbot. Diese Forderung
ach einem vollständigen Verbot, ohne Ausnahmen und
hne Übergangsfristen, müssen wir auch hier im Bundes-
ag unterstützen. Die Parlamente in Österreich und Bel-
ien haben bereits vorgemacht, dass dies möglich ist.
Die Fraktion Die Linke hat mit dieser Absicht einen ei-
enen Antrag eingebracht. Heute steht ein Antrag von
ündnis 90/Die Grünen auf der Tagesordnung, dessen
nliegen wir weitgehend teilen. Mit geringfügigen De-
ails haben wir Probleme. Warum etwa soll die Vernich-
ung der Altbestände von Streumunition insgesamt vier
ahr dauern? Bei entsprechendem politischem Willen
eht das deutlich schneller. Das Gesamtziel des Grünen-
ntrags, inklusive der Forderung nach einem Morato-
ium für den Einsatz und die Produktion von Streumuni-
ion, ist aber auf jeden Fall unterstützenswert.
Die Verhandlungen über ein völkerrechtlich verbindli-hes Verbot von Streumunition im Rahmen des Oslo-Pro-esses gehen mit der Dubliner Konferenz vom 19. bis
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16962 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
Florian Toncargebene Reden
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30. Mai in die voraussichtlich letzte und entscheidendePhase. Der endgültige Vertrag soll in Dublin beschlossenund das rechtsverbindliche Verbotsprotokoll dann im De-zember 2008 in Oslo von den beteiligten Staaten gezeich-net werden. Deutschland kommt dabei eine Schlüsselrollezu. Der Erfolg des von Norwegen initiierten Oslo-Prozes-ses wird nicht zuletzt entscheidend vom konstruktivenVerhalten der Bundesregierung abhängen. Weit mehr als zwei Drittel der UNO-Staaten, inklusiveDeutschland, unterstützen den Oslo-Prozess. Deutsch-land wird jedoch zunehmend als Bremser im Oslo-Pro-zess wahrgenommen. Auf der Vorbereitungskonferenz imFebruar dieses Jahres in Wellington/Neuseeland haben85 der 140 Oslo-Staaten die „Declaration of the Welling-ton Conference on Cluster Munitions“ für ein weltweitesVerbot von Streumunition gezeichnet. Dieser breite inter-nationale Konsens ist beeindruckend und ein wichtigerMeilenstein auf dem Weg für ein rasches und vollständi-ges internationales Verbot dieser unterschiedslosen undgrausamen Waffen.Auch Deutschland hat sich der „Wellingtoner Erklä-rung“ angeschlossen. Das ist ausdrücklich zu begrüßen.Eine Unterzeichnung der Erklärung durch die Bundesre-gierung wäre jedoch fast gescheitert. Der Bundesregie-rung geht ein vollständiges Verbot von Streumunition zuweit. Einige wenige Staaten, darunter Deutschland,Großbritannien und Frankreich, wollten den Verbotsent-wurf auf der Wellingtoner Konferenz abschwächen undAusnahmen durchsetzen. Angelehnt an den Acht-Punkte-Plan der Bundesregierung zur Streumunition vom Juni2006 hat die Bundesregierung mit einem Dreistufenplanoperiert, der Übergangsfristen und noch zu entwickelndeAlternativmunition vorsieht. Die Bundesregierung plä-diert dafür, zunächst nur „gefährliche“ Streumunition mithohen Blindgängerquoten und ohne Selbstzerlegungsme-chanismus zu ächten. Abgesehen davon, dass es keine„ungefährliche Streumunition“ gibt, will die Bundesre-gierung im Kern lediglich eine Modernisierung derStreumunitionsbestände und eine Begrenzung der Ein-satzbedingungen. Streumunition mit angeblich geringerFehlerquote oder auch Streuminen sollen vom Verbotausgenommen bleiben. Diese Ermächtigung werden wirder Bundesregierung nicht erteilen. Im Gegenteil: Wirwollen ein sofortiges Einsatzmoratorium und ein voll-ständiges Verbot ohne Ausnahmen und Übergangsfristen. Die Bundesregierung argumentiert, dass der von ihrvorgeschlagene Stufenplan geeignet sei, „den humanitä-ren Schutz vor Streumunition effektiv zu verbessern, ohnedabei militärische Realitäten zu ignorieren“. Das ist einehumanitäre Augenwischerei, die auf der Konferenz inWellington erfreulicherweise von der überwiegendenMehrheit der beteiligten Staaten nicht geteilt wurde. AmEnde haben auch diejenigen, die für eine Revision desVertragstextes eingetreten waren, diesen unverändert ge-zeichnet, ihre Vorbehalte jedoch in den Anhang der Er-klärung aufnehmen lassen. Damit ist klar, dass Deutsch-land weiterhin für einen abgeschwächten Vertragstexteintreten wird. Das wollen wir der Bundesregierung nichtdurchgehen lassen. Ich frage mich: Welchen Schutz hatdie Bundesregierung eigentlich konkret vor Augen? Auchtechnisch modernisierte Streumunition mit einer Blind-gtbSZfnwscAntdgRtlgdwgizte„zMvhtsZBrnvtvwfnEmülvhvHedgBoZu Protokoll ge(C(Dängerrate von unter 1 Prozent stellt eine permanenteödliche Gefahr und Bedrohung für die betroffene Zivil-evölkerung dar. 98 Prozent aller registrierten Opfer vontreumunition sind laut Nichtregierungsorganisationenivilisten. Die Gefährlichkeit und Heimtücke dieser Waf-en ändert sich auch dann nicht, wenn nur noch Streumu-ition mit angeblich geringer Fehlerquote eingesetztird. Jede Berührung mit Streumunition kann tödlichein. Die Unterscheidung zwischen angeblich „gefährli-her“ und „ungefährlicher“ Streumunition kann keinusweg sein. Ein Verbot muss sich an den Wirkungen undicht an technischen Bezeichnungen dieser Waffen orien-ieren.Der Stufenansatz sei außerdem, so wurde von der Bun-esregierung gesagt, geeignet, diejenigen Staaten mitroßen Streumunitionsarsenalen, wie die USA, China undussland, in den Verbotsprozess einzubinden. Diese Staa-en lehnen eine Teilnahme am Oslo-Prozess ab. Ihre Po-itik ist ein Abrüstungshindernis sondergleichen. Ichlaube aber nicht, dass man deren Verweigerungshaltungurch Verwässerung aufweichen kann. Hier bricht daseiche Wasser nicht den Stein. Hier ist vielmehr der Ar-umentation des ehemaligen Leiters des Planungsstabsm Verteidigungsministerium, Franz H. U. Borkenhagen,u folgen, der am 19. April 2008 in der Süddeutschen Zei-ung davor warnte, dass „militärische Erbsenzählerei zuinem Scheitern der Verhandlungen“ führen könne.Eine eingehende militärische Beurteilung würde schnellu dem Schluss kommen, dass es einen Bedarf an dieserunition nicht gibt. Verhandlungen über das Verboton Streumunition würden einen ungeheuren Schub er-alten, wenn es gelänge, mit einem einseitigen und sofor-igen Verzicht einzelner oder mehrerer Staaten ein politi-ches Signal zu setzen. Deutschland könnte jetzt eineichen setzen, dass es der Bundesregierung mit ihrenemühungen um Rüstungskontrolle ernst ist. Die Bundes-egierung sollte ein Moratorium verkünden, das vorsieht,icht nur auf den Gebrauch, sondern auch die Produktionon sowie auf den Handel mit Streumunition zu verzich-en.“Belgien und Österreich haben ein vollständiges Verboton Streubomben beschlossen. Sie haben ebenso wenigie Norwegen Bedenken, dass eine Vertragszeichnungür ein vollständiges Verbot von Streumunition ihre inter-ationalen Verpflichtungen im Rahmen der NATO undU entgegenstehen könnten.Der Acht-Punkte-Plan der Bundesregierung zur Streu-unition ist durch die internationale Entwicklung längstberholt worden. Mehr als 100 Staaten unterstützen mitt-erweile die Forderung nach einem umfassenden Verboton Streumunition. Inzwischen rumort es auch in den Rei-en der Abgeordneten der Regierungskoalitionen. Einigeon ihnen möchten, dass die Bundesregierung ihre starrealtung in der Streumunitionspolitik aufgibt, und fordernin Einsatzmoratorium für Streumunition. Das weist inie richtige Richtung.Wir werden unseren Antrag in die Ausschussberatun-en überweisen. Wir wollen, dass das Thema weiter imundestag diskutiert wird. Ich finde, wir sollten als Abge-rdnete des Deutschen Bundestages unsere parlamenta-
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16963
Winfried Nachtweigebene Reden
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16964 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
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Winfried Nachtweirische Eigenverantwortung tragen und klar Farbe beken-nen. Mit unserem Antrag liegt der Ball nun im Spielfelddes Bundestages. Bis zur Dubliner Konferenz ist nochZeit, um die Bundesregierung dazu zu bewegen, ihreBremserhaltung im Verbotsprozess aufzugeben und allesdafür zu tun, dass die Entwicklung, die Herstellung undder Einsatz jeglicher Streumunition endlich der Vergan-genheit angehört. Eine vollständige internationale Äch-tung von Streumunition ist überfällig! Vielen Dank.
Ich kann mich nicht entsinnen, eine meiner bisherigen
Reden mit einem Lob für die Regierungsfraktionen einge-
leitet zu haben. Aber beim Thema Streumunition erleben
wir erfreulicherweise so etwas wie einen zaghaften An-
satz von Revitalisierung des Parlaments. Das kann ich
nur begrüßen und hoffen, dass dies keine Eintagsfliege
bleibt. Denn allzu oft hatte nicht nur ich Anlass, die un-
kritische Übernahme von Regierungspositionen durch
die Mehrheitsfraktionen zu beklagen. Deswegen will ich
hier ausdrücklich den Kollegen Weigel und von
Guttenberg beipflichten, die sich mit der bisherigen Hal-
tung der Bundesregierung zu einem internationalen Ab-
kommen über ein umfassendes Verbot von Streumunition
nicht abfinden wollen. So entnehme ich das jedenfalls der
Presseberichterstattung.
Die Bundesregierung versucht zwar den Eindruck zu
erwecken, als habe sie sich an die Spitze dieses Teilabrüs-
tungsprozesses gesetzt und lässt auf der Homepage des
Auswärtigen Amtes titeln:
Bundesregierung setzt sich für umfassendes Verbot
von Streumunition ein.
Liest man jedoch ihre sogenannte Acht-Punkte-Posi-
tion zu Streumunition, wird schnell deutlich, dass sie bei
diesem Thema tatsächlich zu den Bremserstaaten gehört.
Offensichtlich haben sich nämlich die militärischen Ar-
gumente durchgesetzt; denn der Bundesaußenminister
hat die vom Führungsstab der Streitkräfte geschriebene
Punktuation eins zu eins übernommen. Schaut man bei-
spielsweise in die Nr. 5 dieses Papiers, wird deutlich,
dass die Luftwaffe erst nach Ende der Nutzungsdauer des
Waffensystems Tornado auf Streumunition verzichten
will. Das ist also deutlich jenseits des Jahres 2020, kurz
vor dem Sankt-Nimmerleins-Tag sozusagen. Oder: In der
Nr. 4 steht, „langfristig“ soll geprüft werden, ob noch
vorhandene Streumunition durch alternative Wirkmittel
ersetzt werden kann. Was hat denn eine solche Wischiwa-
schi-Formulierung mit der Ankündigung eines „umfas-
senden“ Verbotes zu tun? Die Antwort kann sich wohl je-
der selber geben.
Es kann bei dieser Munition auch nicht darum gehen,
einen völkerrechtlichen Disput über ihre Zulässigkeit zu
führen; das ist ein Streit um des Kaisers Bart und führt
überhaupt nicht weiter. Die Fakten liegen doch auf dem
Tisch und sprechen eine eindeutige Sprache: Streumuni-
tion trifft wegen ihrer Charakteristik überwiegend unbe-
teiligte Zivilisten und bleibt noch Jahrzehnte nach ihrem
Einsatz eine Dauergefahr für die Bewohner des Einsatz-
landes, besonders für die Kinder. In Afghanistan erfahren
das unsere Soldaten doch jeden Tag!
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Deswegen gibt es hier nur eine Lösung: ein sofortiges
oratorium für die Verwendung, Lagerung, Herstellung,
erbringung und Ausfuhr von Streumunition, wie es die
esolution des Europäischen Parlaments vom 28. Okto-
er 2004 fordert. Auch der von der Bundesregierung fa-
orisierte vermeintliche Königsweg, mit technischen Lö-
ungen die Blindgängerrrate auf 1 Prozent zu begrenzen,
st ein Irrweg, für den weitere Unschuldige weltweit zu
üßen hätten. Um das am Beispiel des Libanonkriegs im
ahr 2006 zu erläutern: Wäre diese vorgebliche High-
ech-Munition in gleicher Menge eingesetzt worden, hätte
s immer noch 40 000 Blindgänger gegeben.
Wir sollten uns hingegen an den Parlamenten Belgiens
nd Österreichs ein Beispiel nehmen, die Gesetze zum
mfassenden Verbot von Streumunition verabschiedet ha-
en, um den Abschluss eines internationalen Verbotsver-
rags zu beschleunigen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 16/8909 an die in der Tagesordnung aufge-
ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
o beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainder
Steenblock, Undine Kurth ,
Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Einführung eines Europäischen Tags der
Meere
– Drucksache 16/8213 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Auch diese Reden sollen zu Protokoll genommen
erden. Es handelt sich um die Reden der Kollegen
ernhard Kaster, CDU/CSU, Holger Ortel, SPD,
ngelika Brunkhorst, FDP, Eva Bulling-Schröter, Die
inke, sowie Rainder Steenblock, Bündnis 90/Die Grü-
en.
Der vorliegende Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
rünen bietet Gelegenheit, die Bedeutung der Meeres-
olitik für den Schutz der Umwelt sowie den verantwor-
ungsvollen Umgang mit den ökonomischen Ressourcen
er Meere vertieft in den Blick zu nehmen. Denn von ei-
em Grundsatz müssen wir ausgehen: Aus dem Meer
ommt im sprichwörtlichen Sinne das Leben. Ohne ein
esundes maritimes Ökosystem ist das Leben auf unserem
lauen Planeten – unserem blauen Planeten – schlicht
nmöglich.
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Der Antrag der Grünen ist sicherlich gut gemeint; frei-
lich, gut gemeint genügt oft nicht. So auch hier: Die Bun-
desregierung folgt längst dem Grundanliegen dieses An-
trags, den Meeren verstärkt politische Aufmerksamkeit zu
widmen. Bereits im vergangenen Jahr, während der deut-
schen EU-Ratspräsidentschaft, sind mit der „Bremer Er-
klärung zur Zukunft der Meerespolitik in der EU“
wesentliche Impulse für eine integrierte Meerespolitik ge-
geben worden. Inzwischen hat auch die Europäische
Kommission eine Mitteilung zur integrierten Meerespoli-
tik der EU vorgelegt, die eine Reihe von bedenkenswerten
Anstößen enthält. Zugleich gilt es, von deutscher Seite an
der mit der „Bremer Erklärung“ eingeleiteten Fortent-
wicklung einer integrierten und in sich stimmigen Politik
für die Zukunft unserer Meere weiter zu arbeiten.
Das Bewusstsein für die Gefährdung der Weltmeere
wie auch die Chancen, die sie bieten, betrifft uns Deut-
sche als Anrainer von Nord- und Ostsee ganz konkret. An-
gesichts eines im globalen Vergleich kleinen, aber etwa
mit Blick auf das Ökosystem Wattenmeer besonders ver-
letzlichen Teils der Meere ist gerade an unseren Küsten
stets ein waches Bewusstsein für den Lebensraum Meer
vorhanden gewesen. Die Menschen vor Ort, die Bewoh-
ner der Küste, sind seit Jahrhunderten mit dem Meer in
all seiner Schönheit, zugleich jedoch auch all dem Schre-
cken seiner immer wieder spürbaren Naturgewalten auf-
gewachsen. Alle politischen Maßnahmen, die wir von na-
tionaler Seite wie auch auf europäischer Ebene ergreifen,
sollten daher stets auf die aktive Kooperation der Küsten-
bewohner setzen, auf ihr unvergleichliches Erfahrungs-
wissen zurückgreifen. Dazu gehören nicht zuletzt auch die
Fischer, die das Meer als täglichen Arbeits- und Lebens-
raum so gut wie kaum jemand sonst kennen.
Leider ist es freilich auch wahr: Manche Exzesse in
der Fischerei führen zu erheblichen ökologischen Schä-
den und ökonomischen Problemen bei der Nutzung der
Meere – ich nenne nur das Stichwort Überfischung. Den-
noch sollten wir uns hüten, gleich alle Fischer per se un-
ter Generalverdacht zu stellen und ihnen die Sensibilität
für die Belange des Schutzes der Meere abzusprechen.
Gesetze und Verordnungen, auch die Kontrolle bei der
Verfolgung von Verstößen, sind das eine; gemeinsame
Kooperation, Beachtung regional gewachsener Struktu-
ren, die Zusammenarbeit mit den Nutzern der Meere vor
Ort, an den Küsten und in der Fischerei, müssen anderer-
seits genauso Teil einer integrierten Meerespolitik sein.
Beispielhaft für den Beitrag insbesondere der deut-
schen Fischereiwirtschaft nenne ich etwa deren Engage-
ment in Bezug auf Ökozertifikate für Fischprodukte.
Deutschland gehört inzwischen zu den Ländern mit dem
höchsten Anteil ökozertifizierter Fischprodukte; im Laufe
dieses Jahres wird voraussichtlich die Seelachsfischerei
der Erzeugerorganisation Nordsee als erste deutsche Fi-
scherei nach den Kriterien des „Marine Stewardship
Council“ zertifiziert und damit demonstrieren, dass öko-
nomische Nutzung der Meere keineswegs gegen die um-
weltbewusste Bewahrung des maritimen Naturerbes ver-
stoßen muss.
Meere zu schützen und Meere zu nützen: Das ist aus
meiner Sicht eben kein Widerspruch. Dies wird dann kein
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Zu Protokoll ge
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iderspruch sein, wenn es uns gelingt, in gemeinsamer
nstrengung die Politik der deutschen Küstenländer vor
rt, die Politik der Bundesregierung, Impulse der euro-
äischen Ebene wie auch die globale Zusammenarbeit im
ahmen der Vereinten Nationen noch stärker als bislang
u koordinieren und zu intensivieren. Alles Leben beginnt
m Meer; es ist unsere gemeinsame Aufgabe, dafür zu sor-
en, dieses Leben in seiner vielfachen Gefährdung zu
chützen, damit es uns auch in Zukunft nützen kann.
„Nachhaltige Meerespolitik beginnt in den Köpfen derenschen“. So oder so ähnlich können wir die Notwen-igkeit eines Europäischen Tages der Meere auf einenenner bringen. Dem stimme ich zu.Bislang weiß der Großteil der Bevölkerung kaum et-as von unseren Meeren. Nur die Wenigsten kommen wiech von der Küste. Dabei ziehen wir alle einen unermess-ichen Nutzen aus unseren Meeren, nicht nur aus Nord-nd Ostsee. Die Meere beeinflussen unseren Speiseplan,nser Wetter, unsere Gesundheit und unsere Energiever-orgung.Sie bieten jedes Jahr Millionen Touristen Erholung.roße Teile der Wertschöpfung an der Küste finden imourismus statt. Wir können es uns also gar nicht leisten,uf die Meere nicht achtzugeben; aber das tun wir ja auchicht. Was wir aber tun müssen, ist, die Bevölkerung fürnsere Meere zu sensibilisieren. Deshalb begrüße ich esußerordentlich, dass Europäisches Parlament, Europäi-che Kommission und der Rat der Europäischen Unionie Einführung eines Europäischen Tags der Meere be-chlossen haben, auch wenn der 8. Juni bereits der welt-eite Tag des Meeres ist.Dieser Tag soll das Bewusstsein für unsere Meere iner Bevölkerung schärfen. Bislang hört die öffentlicheahrnehmung nämlich meist an der Basislinie auf. Undas unterhalb der Wasseroberfläche passiert, ist deneisten mehr oder weniger unbekannt. In Gesprächenerke ich immer wieder, dass viele nur gerade so viel wis-en, wie täglich durch die Presse geht. Diese Darstellun-en sind aber in der Regel verkürzt und wenig sachlich.in Bild davon, was im Meer wirklich passiert, kann manich durch solche Informationen nicht machen. Deshalbüssen wir davon wegkommen und den Menschen dieeere nahebringen. Die Menschen müssen das Meer er-ahren. Heute reicht es meist, im Supermarkt an die Kühl-ruhe zu gehen und sich sein Mittagessen auszusuchen.elbst fangen oder ausnehmen muss man den Fisch schonange nicht mehr. Wo das Seelachsfilet aber eigentlicherkommt, weiß heute kaum noch einer. Das ist ja beimchweinefleisch oder der Milch nicht anders.Das heißt übrigens nicht, dass niemand weiß, waseute in den Meeren passiert. Alle diejenigen – an Uni-ersitäten und Verwaltungen, in Brüssel und auch imeutschen Bundestag –, die sich schon viele Jahre mitiesem Thema beschäftigen, haben Enormes für den Er-alt und die Verbesserung des guten Zustandes der Meererreicht. Selbstverständlich gehen die Ansichten je nachranche ein wenig auseinander. Aber insgesamt ist einnormes Wissen vorhanden.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16965
Bernhard Kastergebene Reden
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Ich möchte an dieser Stelle nur grob skizzieren, waswir in den letzten Jahren alles für die Meere getan haben.Die Seeschifffahrt ist sicherer geworden – ich möchtehier nur Doppelhüllentanker ansprechen –, die Schad-stoffeinträge wurden verringert, die Eutrophierung eben-falls. Die sehr oft – häufig zu Unrecht – gescholtene Fi-scherei unternimmt große Anstrengungen, ihre Tätigkeitnoch nachhaltiger zu gestalten. Projekte zur Vermeidungvon Discards, Ökozertifizierung, Maßnahmen zu verbes-serter Kontrolle und gegen illegale Fischerei, auf allenEbenen werden enorme Anstrengungen unternommen.Aber die Möglichkeiten sind noch längst nicht ausge-schöpft. Innovative Techniken zur Reduzierung vonSchadstoffemissionen, die Nutzung regenerativer Ener-gien an Bord von Schiffen, die landseitige Energiever-sorgung von im Hafen liegenden Schiffen, die Reduktionder schifffahrtsverursachten Schwefel- und CO2-Emis-sionen – es gibt noch viel zu tun. Wir müssen mit demtechnologischen Fortschritt auch den ökologischen Zu-stand des Meeres durch nachhaltigen Schiffbau- und be-trieb beachten.Die Kommission hat mit dem „Grünbuch Meerespoli-tik“ den Aufschlag zu einer integrierten Meerespolitik ge-macht und den 20. Mai zum Tag des Meeres erklärt. Wirbrauchen unbedingt einen ganzheitlichen Ansatz, der dieverschiedenen Bereiche der Nutzung der Meere zu ko-ordinieren vermag. Dazu gehört auch eine Raumplanungauf dem Meer. Schon heute haben wir enorme Nutzungs-konflikte zwischen verschiedenen Nutzungsformen: Fi-scherei, Offshorewindparks, Ölplattformen, Schutzge-biete. Alle aufgezählten und noch einige weiterekonkurrieren um den Raum auf See. Über die Raumpla-nung muss ein Weg gefunden werden, all diese Nutzungs-formen zu vereinen, ohne eine auszuschließen.In den Meeren existiert ein enormes Wachstumspoten-zial. Unsere Werften haben wieder Aufträge für dienächsten 15 Jahre. Im Schiffbau stehen wir weltweit anvierter Position mit Umsätzen von über 6 MilliardenEuro. Ganze Regionen sind zu großen Teilen vom Schiffs-bau abhängig – direkt oder indirekt. Auf den Wasserstra-ßen und auf See nimmt die Anzahl der Containerschiffestetig zu. Das können wir nur begrüßen; denn wir brau-chen die Wertschöpfung an unseren Küsten. Schon heuteist die maritime Wirtschaft einer der Eckpfeiler der euro-päischen Volkswirtschaft. Auch Deutschlands Rolle alsExportweltmeister ist von der maritimen Wirtschaft ab-hängig.Die Schifffahrt boomt wie seit Jahren nicht mehr. Un-sere Seehäfen werden ausgebaut, oder es entstehen sogarneue. Leider hat das auch negative Auswirkungen durchden zunehmenden Verkehr. Wir alle kennen die Bilder derverunglückten Frachter „Pallas“ oder „Erika“ und dieverheerenden Folgen für die Umwelt.Aber der Nutzen wird gewaltig sein. Ein einziges Con-tainerschiff kann Hunderte Lastwagen ersetzen und Platzauf deutschen Straßen schaffen. Eine große Anzahl vonArbeitsplätzen entsteht hier und Zulieferer im weiten Um-kreis werden davon profitieren. Die Hafenwirtschaftwächst stetig. Sie wird dieses Jahr rund 300 MillionenTsswkMWisnnsdMmMdsdnzwJMwMdsSdlwJdnssssmMsdgTB1gndaZu Protokoll ge(C(Donnen in Deutschland umschlagen. In der Hafenwirt-chaft sind unmittelbar und mittelbar rund 300 000 Men-chen beschäftigt. Die Infrastruktur hin zu den Häfenird massiv ausgebaut. Ich sehe das bei mir im Wahlkreis.Viel lesen können wir auch jeden Tag über die Auswir-ungen des Klimawandels und die Erwärmung dereere. Zu beobachten ist die Erwärmung auch an deranderung von Fischschwärmen. Der Kabeljau wandertmmer weiter Richtung Norden hin zu kälteren Gewäs-ern. Konnte man vor hundert Jahren in der Nordseeoch Thunfisch angeln, kann man vielleicht bald Sardi-en fangen. In der Themsemündung tummeln sie sichchon.Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass ichiesem Antrag große Sympathien entgegenbringe. Dieeere sind dermaßen wichtig, dass wir alles unterneh-en sollten, die Meere stärker in das Bewusstsein derenschen zu bringen. Ich halte allerdings nicht allzu vielavon, diesen Tag hier im Deutschen Bundestag zu be-chließen. Ein Tag des Meeres wird doch ausgefüllt vonen Menschen vor Ort. Wenn man von jetzt auf gleich ei-en solchen Tag veranstaltet, wird er keine Wirkung er-ielen. Vielmehr muss sich dieser Tag über die Jahre ent-ickeln. Das kann nur eine Entwicklung über mehrereahre sein. Sie können auch nicht das Bewusstsein derenschen von jetzt auf gleich verändern. Im Ausschusserden wir über die Umsetzung zu beraten haben. Ob dieehrheiten für diesen Antrag ausreichen, vermag ich anieser Stelle nicht zu sagen.
Das Ziel des Antrags zur Einführung des Europäi-chen Tags der Meere auch in Deutschland ist es, dieichtbarkeit der maritimen Sektoren zu stärken und soen Blick der Bürgerinnen und Bürger auch in Deutsch-and auf maritime Angelegenheiten zu lenken und ihr Be-usstsein dafür zu schärfen.Auf europäischer Ebene soll der Tag der Meere diesesahr am 20. Mai erstmals begangen werden. Übrigens istie sogenannte Dreiererklärung am 14. Dezember 2007icht verabschiedet worden, wie es im Antrag heißt. Dasoll erst mit Unterzeichnung durch den Kommissionsprä-identen, den Parlamentspräsidenten und die sloweni-che Präsidentschaft am 20. Mai 2008 in Straßburg ge-chehen.Der Europäische Tag der Meere soll die maritime Ge-einschaft Europas zusammenbringen. Die Rolle dereere und Ozeane und die zur See gehörenden Sektorenollen besser sichtbar gemacht und deren Bedeutung füras tägliche Leben stärker ins Bewusstsein der Menschenerufen werden. Die Ankündigung des Europäischenags der Meere soll also Aufmerksamkeit auf maritimeelange richten.Anlässlich des Tags der Meere findet dieses Jahr vom9. bis 20. Mai in Brüssel eine Konferenz der Interessen-ruppen statt. Schwerpunkte der Konferenz sind die regio-ale Gestaltung und Umsetzung der Meerespolitik under Dialog mit Interessenvertretern. Jährlich sollen jeneusgezeichnet werden, die zur Verbesserung der Sicht-
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16966 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
Holger Ortelgebene Reden
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barkeit und des Images der maritimen Sektoren beitra-gen; es soll einen Jahresbericht über Fortschritte in ma-ritimen Angelegenheiten sowie spezifische Kampagnenzur Steigerung der Sensibilität für maritime Themen unddie Organisation einer Reihe von Veranstaltungen geben,die Netzwerke bewährter Praktiken vereinen. Ein weite-res Ziel ist es, Verbindungen zwischen Einrichtungen zurPflege des maritimen Erbes, Museen und Aquarien für ei-nen Erfahrungsaustausch zusammenzubringen. All dieseAktionen sollen verbunden werden und im selben Zeit-raum stattfinden, um so optimale Sichtbarkeit und Medi-enberichterstattung zu gewährleisten. Die EU-Kommis-sion sieht sich in der Rolle eines Moderators und hofftdarauf, dass sich andere EU-Institutionen, Mitgliedstaa-ten und weitere Akteure diese jährliche Veranstaltung zueigen machen.Die Bewusstseinsbildung gerade auch für maritimeAngelegenheiten, vom Schiffbau über Fischerei und öko-logische Fragen bis hin zum Tourismus, ist sicherlich einberechtigtes Anliegen, das ich als Abgeordnete aus Nie-dersachsen grundsätzlich unterstütze. Ich frage mich al-lerdings, ob es Aufgabe gerade der deutschen Bundesre-gierung ist, ein Konzept vorzulegen, wie mit einemEuropäischen Tag der Meere ein Bewusstsein für das ma-ritime Erbe auch auf europäischer Ebene geschaffen wer-den kann, wie dies im Antrag unter Ziffer 2 gefordertwird. Darüber werden wir in den Ausschüssen beraten.
Um es kurz zu machen: Die Linksfraktion begrüßt den
Vorschlag der Europäischen Kommmission, des Rates
und des EU-Parlaments. Ein Europäischer Tag der
Meere, der festlich begangen wird, könnte dazu beitra-
gen, ein Bewusstsein für das gemeinsame maritime Erbe
zu schaffen.
Ein solches Bewusstsein wäre auch mehr als notwen-
dig. Schließlich ist die Bilanz der menschlichen Eingriffe
in die Meereswelt katastrophal. In den letzten hundert
Jahren sind die Bestände vieler Fischarten um fast
90 Prozent zurückgegangen, so schätzen Wissenschaftler.
Weil sich das Ganze jedoch fernab und unter der Was-
seroberfläche abspielt, wird es für viele Menschen wenig
greifbar. Das ist beispielsweise beim Waldsterben anders.
Lichte Kronen und Mittelgebirge mit Baumstümpfen sind
sichtbar. Sie haben viele Bürgerinnen und Bürger für den
„Sauren Regen“ und Luftschadstoffe sensibilisiert.
Der öffentliche Druck war es vor allem, der zur Ver-
schärfung der entsprechenden Grenzwerte für Industrie-
und Verbrennungsanlagen geführt hat.
Und genau solch ein öffentlicher Druck für den Schutz
der Meere fehlt, wenn ich mal von Walen und Delfinen ab-
sehe. Kabeljau, Sprotte und Thunfisch haben keine
Lobby. Sie werden gnadenlos überfischt.
Dabei geht es nicht nur um den Artenschutz, sondern
– wie beim Klimaschutz – auch um Solidarität. Denn
während Millionen Tonnen wertvoller Meerestiere als
Beifänge ungenutzt und tot über Bord gehen, sitzen Mil-
lionen von Küstenbewohnern in Afrika vor leeren Tellern.
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ie Trawler der Industriestaaten saugen ihnen die Meere
eer. Legal und illegal.
Es geht aber nicht nur um Fische. Das Ökosystem
eer als Ganzes zu begreifen und endlich behutsam zu
utzen – das ist die eigentliche Aufgabe, die vor der
enschheit steht. Schließlich sind die Ozeane neben der
berfischung auch durch organische Überfrachtung und
chadstoffeinträge bedroht. Die Überdüngung der Flüsse
us der Landwirtschaft führt in den Meeren zu gefürchte-
en Algenblüten. Schwermetalle und hormonelle Stoffe,
euerdings auch nukleare Belastungen, reichern sich in
en Organismen an. Zunehmend wird auch Lärm zu ei-
em Problem, insbesondere für Großsäuger.
Wie mangelhaft die europäische Meeresschutzpolitik
st, zeigen Grünbuch und Bluepaper der EU-Kommission
enauso wie die Entwicklung der europäischen Meeres-
chutzrichtlinie. Die Gesetzgebung und die Zuständiglei-
en in Bezug auf den Meeresschutz bleiben zersplittert.
in ganzheitlicher ökosystematischer Ansatz ist nicht er-
ennbar. Die Ozeane werden vorrangig als Wirtschafts-
ut betrachtet.
Meeresschutz ist aber deutlich mehr, als konkurrie-
ende Nutzungsansprüche aus Fischerei, Bergbau, See-
ahrt und Tourismus abzugleichen.
Abschließend ein Blick nach vorn, der zeigt, dass mo-
erner Meeresschutz und Meeresnutzung sich auch ge-
enseitig befruchten können. In Neuseeland waren die
ischer einst die stärksten Gegner, als es darum ging,
chutzgebiete einzurichten. Nunmehr gehören die
ischer zu den Verteidigern dieser ökologischen Oasen.
ie dort rasant anwachsenden Bestände wandern näm-
ich aus den Schutzgebieten aus und füllen wieder die
etze.
Greenpeace und andere fordern seit langem, auch in
nderen Teilen der Welt Meeresschutzgebiete einzurich-
en, in denen Fischerei und Rohstoffabbau verboten wer-
en. Konkrete Vorschläge gibt es für Nord- und Ostssee
owie für die außereuropäischen Meere.
Vielleicht kann ein „Europäischer Tag der Meere“
azu beitragen, solche Visionen Wirklichkeit werden zu
assen.
In der EU leben 40 Prozent der Bürgerinnen und Bür-er in küstennahen Gebieten, wo fast die Hälfte des Brut-oinlandsprodukts erwirtschaftet wird. Wohlstand und Le-ensqualität in der Europäischen Union sind direkt mitem Meer verbunden. Das gilt nicht nur für die Gebieteahe der Küste, sondern weit darüber hinaus.Die Bedeutung der Meere liegt auch in ihrer Funktionls Handels- und Transportrouten, Klimaregulierer undebensraum für Tiere und Pflanzen. Wir alle haben dieerantwortung, unser maritimes Erbe zu schützen und zurhalten. Doch der enorm steigende Schiffsverkehr, unsi-here Öltanker, Überfischung, Überdüngung und vielesehr gefährden dieses Erbe.Die Europäische Union hat mit dem Blaubuch zur Eu-opäischen Meerespolitik und noch mehr mit der Meeres-
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008 16967
Angelika Brunkhorstgebene Reden
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16968 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2008
(C)
)
Rainder Steenblockstrategie-Richtlinie erste Weichen zum Schutz der Meeregestellt. Nun will die EU mit einem „Europäischen Tagder Meere“ am 20. Mai jedes Jahres das Bewusstsein fürdas maritime Erbe Europas schärfen. Wir vonBündnis 90/Die Grünen unterstützen diesen Vorschlagund fordern die Bundesregierung in unserem Antrag auf,den Europäischen Tag der Meere am 20. Mai zu feiern.Uns ist aber auch klar, dass der Tag der Meere nur derAuftakt für weitere Initiativen sein kann. Wir brauchenein langfristiges Konzept, wie das Bewusstsein für dasmaritime Erbe auf deutscher und europäischer Ebeneüber die Küstenregionen hinaus gestärkt werden kann.Darüber hinaus müssen auch Nicht-EU-Mitglieder in diedenken angesichts mehrerer Hunderttausend Tonnen Mu-nitionsaltlasten auf dem Grund der Ostsee – zu Recht,denn auf dem Grund von Nord- und Ostsee liegen über500 000 Tonnen konventioneller Munition und Kampf-stoffe. Die Altlasten wurden zum Ende des Zweiten Welt-kriegs von den USA, Großbritannien, der Sowjetunionund der deutschen Marine versenkt. Noch heute gelangenMunition und Blindgänger in die Meere, wenn Bundes-wehr- und NATO-Verbände die Küstengewässer als Ein-satzgebiete nutzen. Minen, Torpedos, Bomben und Gra-naten gefährden Strandbesucher, Fischer, Wassersportlersowie Meerestiere- und -pflanzen. Von Hinweisschildernan gefährdeten Stränden bis hin zur Klärung der Zustän-digkeiten brauchen wir klare Regelungen. Wir Grüne ha-Feierlichkeiten einbezogen werden, wie Russland und dieAnrainer des Schwarzen Meeres und des KaspischenMeeres.Denn unsere Meere bieten uns die Möglichkeit fürmehr regionale Kooperation. Die Ostsee ist eine zentraleHandelsroute nach Osteuropa. Das Schwarze Meer unddas Kaspische Meer werden als Energietransitrouten undHandelswege immer wichtiger. Daher sollten wir nichtnur auf die Ostseekooperation schauen, sondern auch dieKooperation mit den Anrainern des Schwarzen Meeresund des Kaspischen Meeres stärken.Wir dürfen uns nicht ausschließlich auf die Nutzungder Meere konzentrieren. Besonderes Augenmerk müssenwir auch auf den Schutz der Meere richten; denn ohneSchutz keine Nutzung. Der Beschluss der InternationalenSchifffahrtsorganisation, Schweröl in Schiffstreibstoffenab dem Jahr 2020 zu verbieten und nur noch schwefel-arme Treibstoffe zuzulassen, ist ein wichtiger Beitrag fürmehr Meeresschutz. Für Nord- und Ostsee gelten sogarnoch höhere Standards. Hier ist noch Potenzial, dem Zieleines sauberen Schiffsverkehrs mit technischen Innova-tionen wie alternativen Antrieben ein Stück näher zu kom-men. Darüber hinaus muss der Schiffsverkehr in denHandel mit Emissionsrechten einbezogen werden. Wei-tere Forderungen können Sie in unserem Antrag nachle-sen, den wir bereits Ende vergangenen Jahrs eingebrachthaben.Ein ökologisch wie politisch fragwürdiges Projekt istdie geplante Ostseepipeline. Insbesondere Polen und diebaltischen Staaten befürchten, dass Russland die Pipelineals politisches Druckmittel missbrauchen und sie von derEnergieversorgung abschneiden könnte. Darüber hinauswachsen bei den Ostseeanrainern die ökologischen Be-brDPnugEaSRMImtrDfvode(Den hierzu einen Antrag in den Bundestag eingebracht.Tonnenweise Plastikmüll gefährdet Seevögel und Mee-estiere und macht Meere und Strände zu Mülldeponien.ie Bundesregierung scheint sich für dieses wachsenderoblem nicht sonderlich zu interessieren. „Nichts hören,ichts sehen, nichts wissen“ – so liest sich die Antwort aufnsere Kleine Anfrage.Ein Europäischer Tag der Meere ist ein deutliches Si-nal für die Glaubwürdigkeit der deutschen wie deruropäischen Meerespolitik. Lassen Sie uns dieses Signalm 20. Mai gemeinsam setzen. Die Parlamentarischetaatssekretärin im Bundesverkehrsministerium, Karinoth, hat den Vorschlag eines Europäischen Tags dereere beim gestrigen Nautischen Abend aufgegriffen.ch freue mich über die Unterstützung durch die Parla-entarische Staatssekretärin und werbe bei allen Frak-ionen um Zustimmung zu unserem Antrag zur Einfüh-ung eines Europäischen Tags der Meere.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 16/8213 an die in der Tagesordnung aufge-
ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
erstanden? Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf morgen, Freitag, den 9. Mai 2008, 9 Uhr,
in.
Die Sitzung ist geschlossen.