Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Ich begrüße Sie alle sehr herzlich zu unseren heutigenBeratungen, die etwas länger dauern werden, als das aneinem Mittwoch üblicherweise der Fall ist.Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt 1 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung des InVeKoS-Daten-Gesetzes und desDirektzahlungen-Verpflichtungengesetzes– Drucksache 16/8147 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
HaushaltsausschussEine Aussprache dazu ist nicht vorgesehen. Deshalbkommen wir gleich zur Überweisung. Interfraktionellwird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/8147an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüssevorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ichsehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be-schlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:ghbswSzszWwwdnrgsCzzlRedetBefragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Verbesse-rung der Ausbildungschancen förderungsbedürftigerjunger Menschen.Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Berichthat der Bundesminister für Arbeit und Soziales, OlafScholz.Olaf Scholz, Bundesminister für Arbeit und Sozia-les:Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DasBundeskabinett hat soeben dem GesetzentFünften Gesetz zur Änderung des Dritten Bucgesetzbuch zugestimmt. Das klingt ziemlictisch, dahinter verbirgt sich aber eine sehr wi
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Klugen Vorschlägen, wie Missbrauch vermieden werden
kann, stehen wir ganz offen gegenüber.
In unserem Gesetzesentwurf ist folgende Regelung
vorgesehen: Wenn man erkennen kann, dass mit Blick
auf die Förderung an der Zahl der Auszubildenden „ge-
arbeitet“ wurde, dann kann sie verweigert werden. Hier
haben wir also eine Handhabe gegen Missbrauch.
Andererseits sage ich ausdrücklich: Wir dürfen uns
jetzt nicht die ganze Zeit vertieft mit den Missbrauchs-
fällen beschäftigen. Denn dann könnte es passieren, dass
wir eine Regelung treffen, die niemand mehr anwenden
kann. Das ist zwar eine beliebte Gesetzestechnik, wie ich
als Abgeordneter selbstkritisch sagen muss;
eigentlich geht es aber darum, ein Problem zu lösen. Das
Problem ist, dass die jungen Leute darauf warten, einen
Ausbildungsplatz zu bekommen, um einen Einstieg ins
Berufsleben zu schaffen.
Nächster Fragesteller ist der Herr Kollege Dr. Seifert.
Herr Minister, das, was Sie vortragen, klingt durchaus
beeindruckend. Wenn Sie das tatsächlich schaffen, dann
haben Sie mich bzw. uns mit Sicherheit auf Ihrer Seite.
Ich möchte eine Nachfrage zum Adressatenkreis stel-
len. Sie sprachen von einem Hauptschulabschluss und
von einem schlechten Realschulabschluss. Jeder, der es
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Meine Kollegin, es geht wirklich nach der Reihenfolge
er Meldungen. – Herr Kollege Rohde, bitte sehr.
Ja, auch ich habe geduldig gewartet. Danke, Frau Prä-identin. – Herr Minister, es ist eine sehr knifflige Auf-abe. Wir sind uns in der Bewertung einig, dass dieseroblemgruppe, die Sie jetzt beschreiben – Jugendliche,ie einen Hauptschulabschluss haben und schon längeruf eine Ausbildungsstelle warten –, einer besonderenetreuung bedarf. Das Problem ist natürlich, das so ziel-erichtet zu tun, dass man den Punkt trifft.Eine Frage ist daher: Welche Auswirkungen erwartenie zum Beispiel für die Jugendlichen, die nicht unterie Förderung fallen und ohne das Förderprojekt, das Sieetzt anschieben, eine Chance auf einen Ausbildungs-latz hätten, ihn aufgrund der Förderung aber nicht er-alten, weil jemand anderer vorgezogen wird, weshalbie allein aufgrund dieser Tatsache ein Jahr länger war-en müssen? Im nächsten Jahr werden sie im Rahmenieses Förderprojektes dann vielleicht selber anspruchs-erechtigt sein. Das wäre für den betroffenen Jugendli-hen natürlich eher eine nicht so glückliche Aussicht.
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Jörg RohdeEs stellt sich natürlich auch die Frage, ob dann, wennsich, aus welchen Gründen auch immer, nur Unterneh-men aus einer ganz bestimmten Branche meldeten, diesich vorstellen können, über Bedarf auszubilden – zurErläuterung: es gab beispielsweise bisher 50 durch dieKammer bestätigte Ausbildungsplätze, nun werden75 angeboten –, 25 zusätzliche Ausbildungsplätze in die-sen Unternehmen gefördert werden und was passierenwird, wenn die Jugendlichen nach zwei Jahren mit derAusbildung fertig sein werden, ihre Ausbildung definitivüber Bedarf war und sie dann eine Ausbildung haben,die sie nicht in einen Job führt. Auch solche Fragen mussman berücksichtigen. Wie denkt die Bundesregierungdarüber?Olaf Scholz, Bundesminister für Arbeit und Sozia-les:Zunächst einmal denken wir, dass wir ein Problemhaben: zu wenige Ausbildungsplätze für die jungenLeute. Dieses Problem kann man auch so beschreiben:Es ist ganz schlecht, nicht mit einer Ausbildung zu be-ginnen. Es wird durchaus vorkommen, dass der eineoder andere eine Ausbildung macht, die nachher fürseine Berufstätigkeit zwar als Ausbildung zählt, nichtaber das, was er konkret gelernt hat. Aber auch dies istwichtig; denn wir sehen ja, wie schwierig es für vieleLeute ist, unterzukommen. Ich verbinde dies mit demHinweis, dass die Auszubildenden früher 14, 15 oder16 Jahre alt waren. Viele Leute, die selbst so angefangenhatten, haben dies vergessen und stellen sich heute untereinem Auszubildenden einen 18-jährigen Abiturientenvor. Das hat sich in Deutschland nicht vernünftig entwi-ckelt. Deshalb müssen wir etwas tun, damit sich die Zahlder Ausbildungsverträge noch einmal vergrößert. Wirhoffen, dass dadurch viele Leute eine bessere Berufsper-spektive bekommen. Planen und steuern können wir diesnicht. Es wird der FDP sicherlich gefallen, dass wir dasnicht wollen. Vielmehr wollen wir anregen, dass es vieleAusbildungsverträge gibt.Müssen wir befürchten, dass jetzt darauf geachtetwird, wie man möglichst viele Benachteiligte in den Be-trieb bekommt, während diejenigen, die eigentlich ein-gestellt würden, nicht eingestellt werden? Meine Theseist: Nein. Ob sich meine These erhärten wird, werdenwir durch Begleitforschung ermitteln. Allerdingskomme ich in vielen Betrieben herum und spreche mitvielen, die ausbilden. Gerade unter den sehr engagiertenAusbildungsbetrieben gibt es viele, die überhaupt nie-manden nehmen, der länger gewartet hat: Sie nehmendie Leute direkt von der Schule mit einem sehr gutenHauptschulabschluss, mit Realschulabschluss oder Abi-tur und sind den anderen gegenüber skeptisch. Wir ver-suchen jetzt – nichts ist ideal; besser wäre es, wir hättendamit gar nichts zu tun –, die Ausbildungsbetriebe, dieschon engagiert sind, dazu zu überreden, noch einenAuszubildenden oder eine Auszubildende zusätzlich zunehmen, damit wir insgesamt genug Plätze für die jun-gen Leute bekommen.
Nun hat die Kollegin Sager das Wort.
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Bundesminister Olaf Scholznen wir Schwierigkeiten vermuten, schon in der Schuleidentifizieren und sie bis in den Betrieb hinein begleiten,um Schwierigkeiten zu beseitigen, die manchmal auftre-ten, und die verhindern, dass jemand nicht durchhält. Esgibt Betriebe, die jemanden ausbilden wollen, auchwenn sie ihn immer wieder überzeugen müssen, dass esgut ist, sich ausbilden zu lassen und am nächsten Tagwiederzukommen. Vielleicht hätten diese Betriebe gerndie Telefonnummer eines Ansprechpartners, dem sie sa-gen können, dass es wieder Schwierigkeiten gibt, damitsich jemand kümmert. Das ist das, was wir erreichenwollen.
Damit sind wir am Ende der Regierungsbefragung.
Herr Minister, ich danke Ihnen für den Bericht und für
die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
– Drucksachen 16/8113, 16/8174, 16/7998 –
Bevor wir mit der Fragestunde beginnen, will ich da-
rauf hinweisen, dass im Anschluss an die Fragestunde
eine vereinbarte Debatte zur Zukunft des Kosovo nach
der Unabhängigkeitserklärung vorgesehen ist. Deshalb
wird die Fragestunde schon um 15 Uhr beendet sein.
Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10
Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringli-
chen Fragen auf Drucksache 16/8174 auf. Diese betref-
fen den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Für
die Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister
Gernot Erler zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 1 der Kollegin Inge
Höger auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung anläss-
lich der Wellington Conference on Cluster Munitions vom
18. bis 22. Februar 2008 aus den Bitten von Nichtregierungs-
nal in Form eines Moratoriums zum Verbot von
Streumunition auszusenden und ihre Bremserrolle im Oslo-
Prozess aufzugeben“?
Meine Antwort lautet wie folgt: Die Bundesregierung
setzt sich international sowohl beim „Oslo-Prozess zu
Streumunition“ wie auch bei den laufenden Verhandlun-
gen im Rahmen des VN-Waffenübereinkommens, des
CCW, für einen möglichst raschen weltweiten Verzicht
auf Streumunition ein. Ein solcher Verzicht muss aber
von einer breiten Gruppe von Ländern gestützt werden,
darunter möglichst auch den großen Besitzerstaaten von
Streumunition, die am Oslo-Prozess bislang nicht teil-
nehmen. Daher hat die Bundesregierung in beiden Ver-
handlungsprozessen einen Dreistufenplan zum Verzicht
auf Streumunition vorgestellt. Mit dem Dreistufenplan
soll der Staatengemeinschaft ein gangbarer Weg aufge-
zeigt werden, wie weltweit auf Streumunition verzichtet
und das humanitäre Völkerrecht gestärkt werden kann,
ohne dabei notwendige militärische Fähigkeiten zu ver-
nachlässigen. Ein sofortiges übergangsloses Verbot unter
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ministers Dr. Robert M. Gates, dass ein Verbot von Streu-
munition zukünftig gemeinsame NATO-Operationen mit
Beteiligung der USA ausschließen würde?
Um möglichst vielen Staaten, insbesondere den gro-
ßen streumunitionbesitzenden, die Möglichkeit zu eröff-
nen, sich einem Übereinkommen zur Streumunition an-
zuschließen, setzt sich die Bundesregierung dafür ein,
dass die Erhaltung der Interoperabilität im Rahmen der
Bemühungen um ein Übereinkommen zu Streumunition
sowohl im Rahmen des Oslo-Prozesses wie auch im
Rahmen der Verhandlungen zum VN-Waffenüberein-
kommen gewahrt bleibt.
Ihre Nachfrage, Frau Kollegin.
Beabsichtigt die Bundesregierung, in diesem Zusam-
menhang wenigstens sicherzustellen, dass Deutschland
sich zukünftig nicht mehr an multinationalen Militärein-
sätzen beteiligt, bei denen Streumunition zum Einsatz
kommt?
Vorab: Es ist sehr schwierig, diese Frage zu beantwor-
ten. Unser Ziel ist es gerade, die Staaten, die über Streu-
munition in größerer Zahl verfügen – auch solche, die
wir als besonders gefährlich einstufen, insbesondere
dann, wenn die Rate der Blindgänger über 1 Prozent
liegt und damit eine besondere Gefährdung der Bevölke-
rung angenommen werden kann –, dazu zu bringen, sich
an diesem Prozess zu beteiligen. Das ist unser politi-
sches Ziel.
Eine weitere Nachfrage.
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Dann rufe ich auch die Frage 2 der Kollegin Bärbel
Höhn auf:
Wann genau haben der Staatssekretär Matthias Machnig
im BMU und die Parlamentarischen Staatssekretäre Astrid
Klug und Michael Müller beim Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit und der Bundesminister
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Sigmar
Gabriel, Kenntnis von den Untersuchungsergebnissen der
Firma TTM Mayer erlangt, die im Spätsommer 2006 an das
Umweltbundesamt geschickt wurden, und wann ist aus der
Aktenlage nachweisbar, dass das BMU angewiesen hat, dass
die Rußfilter nach Anlage XXVI zur Straßenverkehrs-Zulas-
sungs-Ordnung zu prüfen sind?
As
Verehrte Frau Abgeordnete, Frau Kollegin Höhn, icherlaube mir auch, auf die Fragen etwas umfangreicher zuantworten, als es hier normalerweise meine Art ist. Eshandelt sich ja um ein sehr komplexes Thema mit einemsehr langen Vorlauf. Das Informationsbedürfnis ist zuRecht sehr groß. Ich hoffe, dass ich Ihnen mit meinenAntworten einige der aus Ihrer Sicht offenen Fragenauch beantworten kann.Sie fragen im ersten Teil der Frage 1 danach, warumdas Bundesumweltministerium erst im Sommer 2007das zuständige Bundesverkehrsministerium über Unter-suchungsergebnisse bei schadhaften Dieselrußfiltern in-formiert hat. Dazu meine Antwort: Es gab bis zum Sommer2007 keinen Beleg, dass sich mangelhafte Partikelfilterauf dem Markt befinden. Die ersten belastbaren Hin-weise, dass bestimmte Partikelfilter möglicherweise diegesetzlichen Vorgaben nicht einhalten, lagen erst AnfangAugust 2007 vor. Daraufhin wurde das Bundesverkehrs-ministerium unmittelbar informiert. Das Kraftfahrt-Bun-desamt veranlasste sofort eine Überprüfung der bean-standeten Partikelfilter. Dabei entstand der Verdacht,dass sich zumindest ein Partikelfilterhersteller betrüge-risch durch Manipulation die Allgemeinen Betriebser-laubnisse für seine Filter erschlichen hat. Das KBAschaltete die Staatsanwaltschaft ein und löschte die All-gemeinen Betriebserlaubnisse der betroffenen Partikel-filter.Auf Initiative des BMU und des BMVBS haben derHandel und das Kraftfahrzeuggewerbe Ende November2007 eine Kulanzvereinbarung für die damals bereitsverbauten circa 40 000 schadhaften Systeme getroffen,um im Interesse der betroffenen Fahrzeughalter und derUmwelt möglichst viele schadhafte Systeme schnell, un-bdeBdhSggfztshBn3ugmsPWtmpBgAsdwDPdbndaTIdglidGMURssfhgr
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bereitgestellt wurden. … Ich bitte Sie
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ie wissen, dass die Fragestunden zeitlich begrenzt sind
heute ist sie sogar zusätzlich begrenzt – und viele Kol-
eginnen und Kollegen Fragen haben. Gleichwohl wollte
ch Sie in Ihrem Redefluss nicht unterbrechen, auch aus
ücksicht auf die Fragestellerin.
Frau Kollegin Höhn, haben Sie zu diesem ausführli-
hen Bericht noch Nachfragen? – Bitte.
Liebe Frau Staatssekretärin Klug, ich schätze Sie sehr.rotzdem muss ich ehrlich sagen: Ich habe im Aus-chuss zwei ganz kurze, klare Fragen gestellt. Es gehtm einen schwerwiegenden Vorgang. Es geht darum,ass in Deutschland 40 000 Pkws herumfahren, die, ob-ohl ihr Filter nicht funktioniert, eine grüne Plaketteekommen haben und behalten können. Sie dürfen inmweltzonen hineinfahren, obwohl ihr Filter nichtunktioniert. Wenn man die Filter austauschen würde,ntstünde ein Schaden in Höhe von ungefähr 40 Millio-en Euro. Es geht außerdem um die Frage, ob der Staats-ekretär Machnig das Parlament in diesem Zusammen-ang belogen hat. Das sind ganz entscheidende Punkte.uf die Frage, ob er das Parlament belogen hat, hat dertaatssekretär im Ausschuss geantwortet, man habe im-er darauf hingewiesen, und zwar von Anfang an, dassach Anlage XXVI geprüft werden müsse – das ist eineanz entscheidende Frage –, und das sei im Januar 2006n einer E-Mail an das UBA weitergegeben worden. Ichabe nichts anderes gemacht, als darum zu bitten, diese-Mail zu bekommen. Sie haben mir nun gestern Nachtin dickes Paket von 45 Anlagen geschickt, Sie habenir heute einen Vortrag von über einer halben Stundeehalten, aber bis heute habe ich diese E-Mail von Ja-uar 2006 nicht bekommen.Wann bekomme ich diese E-Mail? Was steht in dieser-Mail? Ich möchte Sie bitten, dass Sie mir endlich aufiese einfachen Fragen eine Auskunft geben und nichtine halbe Stunde lang Sachen erzählen, die wir eigent-ich schon alle wissen.
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Zuerst. Es ist nicht meine Absicht, in Zukunft auf Fra-
gen so ausführlich zu antworten. Ich hoffe, dass uns al-
len das in Zukunft erspart bleibt.
Da hier aber so viele Fragen aufgetaucht sind, über
die auch in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, glaube
ich, dass es notwendig war, dieses Thema an dieser
Stelle einmal im Zusammenhang darzustellen. Der Zu-
sammenhang ist wichtig, um zu wissen, wer wann auf
was wie reagiert hat.
Sie haben gestern Akten aus der Kommunikation zwi-
schen dem BMU und dem UBA bekommen. Aus diesen
Akten geht unmissverständlich hervor, dass es keinen
Zweifel daran gab – auch hinsichtlich des von Ihnen ge-
nannten Zeitraums; die einzelnen E-Mails sind ja dort
ganz genau aufgelistet –, dass das Bundesumweltminis-
terium zu jedem Zeitpunkt seit Inkrafttreten der Prüfvor-
schriften darauf beharrt hat, dass nach diesen Prüfvor-
schriften gemessen wird, damit mit den Daten aus dieser
Studie zum Beispiel auch zur Weiterentwicklung dieser
Prüfvorschriften gearbeitet werden kann. Das ergibt sich
zweifelsfrei aus den Ihnen zur Verfügung gestellten Ak-
ten. Einige Beispiele daraus habe ich eben aufgelistet.
Weitere Nachfrage?
Ich bitte darum, dass meine Frage beantwortet wird.
Ich habe jetzt drei Versuche unternommen, diese E-Mail
zu bekommen. Ich bitte einfach darum, dass die Staats-
sekretärin mir die Fragen beantwortet, wo diese E-Mail
ist und was darin steht. Ganz einfach.
Frau Staatssekretärin.
As
Wir haben Ihnen alle E-Mails aus dieser Kommunika-
tion zur Verfügung gestellt, die es in diesem Zeitraum
gab. Es gab in diesem Zeitraum Telefonate und E-Mails.
Sie haben alle E-Mails, und sie betreffen den von Ihnen
genannten Zeitraum. Ich kann sie Ihnen gerne alle noch
einmal vorlesen.
Es ist unerheblich, ob die E-Mail, die Sie meinen, im Ja-
nuar oder Februar 2006 geschrieben wurde. Alles, was
die Aktenlage hergibt, haben wir Ihnen zur Verfügung
gestellt. Die entscheidende Frage ist, ob dem Umwelt-
bundesamt zu diesem Zeitpunkt klar war, dass nach An-
lage XXVI gemessen werden soll und ob das For-
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Entschuldigung, Sie haben vier Fragen gestellt. Jetzt
hat der Kollege Hermann das Wort zu einer Zusatzfrage.
Herr Kollege Hermann.
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, liebe Astrid, es tut
mir außerordentlich leid, dass ausgerechnet du für
Nichtstun bzw. Fehlhandlungen im Ministerium selbst
herhalten musst und dass du jetzt versuchen musst, et-
was zu erklären, was eigentlich jemand anders erklären
müsste, nämlich Staatssekretär Machnig.
Ich will an dieser Stelle nachhaken. Es gibt in der Tat
höchst unterschiedliche und widersprüchliche Aussagen.
So hat Staatssekretär Machnig beispielsweise im Um-
weltausschuss gesagt, dass die Leitungsebene, und zwar
alle zuständigen Staatssekretäre und der Minister, von
Anfang an in das Problem einbezogen war. Er hat auch
deutlich gemacht, dass er bestimmte Entscheidungen ge-
troffen hat. So hat er beispielsweise Ende 2006 entschie-
den, dass die Untersuchungsergebnisse nicht veröffent-
licht werden. Er hat aber unter anderem bei der
Mitarbeiterversammlung des UBA gesagt, dass er davon
erst im August 2007 erfahren hat.
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Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, das, was Sie ge-
ade ausgeführt haben, passt ja wunderbar. In einer E-Mail
es Abteilungsleiters im Bundesumweltministerium an
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wie Sie beiliegendem Sachstandsvermerk entneh-
men können, hat das UBA entgegen unseren expli-
ziten mehrfachen Bitten, Aufträgen und Erlassen
ein Forschungsvorhaben so umgewandelt, dass es
Munition gegen unsere Nachrüstungskonzeption ...
generieren kann.
enn man sich die gesamte Korrespondenz anschaut,
ird einem schlagartig klar, woher das kommt. Sie woll-
en nämlich von vornherein verhindern, dass ein ver-
ünftiges Ergebnis herauskommt. Es wurde allgemein
efürchtet, dass die offenen Filtersysteme teilweise nicht
ernünftig funktionieren. Staatssekretär Machnig war
amals, am 23. August letzten Jahres, schon darüber in-
ormiert.
Meine Frage: Wie bewerten Sie diese E-Mail vom
3. August an den Herrn Staatssekretär, der ja offen-
ichtlich zu entnehmen ist, dass versucht wurde, das
BA daran zu hindern, einen Test durchzuführen, durch
en deutlich würde, dass manche der offenen Filtersys-
eme nicht funktionieren? Ein solches Ergebnis stünde
ämlich dem politischen Konzept entgegen; die Auswir-
ungen wären angeblich zu teuer.
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Diesen Vorwurf weise ich eindeutig zurück; das istieser E-Mail auch nicht zu entnehmen. Diese E-Mail istin Beleg dafür, wann die Hausleitung des Bundesum-eltministeriums über diesen Konflikt informiert wurde.iese Information hat auch zu einer Reaktion geführt:er Fachbereichsleiter im Umweltbundesamt und derräsident des Umweltbundesamtes sind einbezogen wor-en, um diesen Konflikt zu lösen. Am Ende gab es auchine Weisung des Präsidenten des Umweltbundesamtesn den zuständigen Abteilungsleiter, so zu verfahren,ie es das Bundesumweltministerium vorgegeben hat.Es gab mitnichten den Versuch, wie Sie hier unterstel-en, irgendwelche Ergebnisse zu verschleiern. Es gabehr wohl den Versuch, über eine sachgerechte Ausge-
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15184 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2008
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Parl. Staatssekretärin Astrid Klugstaltung des Forschungsvorhabens zu vermeiden, dassganz gezielt nur in eine Richtung gemessen und dann ge-sagt wird, dass bestimmte Filtersysteme – es ging garnicht um bestimmte Filter bestimmter Hersteller – fürdie Nachrüstung untauglich sind. Wir wollten also ver-meiden, dass nur Extremzustände gemessen werden, wasdazu führen würde, dass selbst geschlossene Systemedem nicht standhalten würden, um einen Beleg für dieHypothese zu erhalten, dass nur das Beste vom Bestengefördert werden darf. Das sollte durch die klare Vor-gabe vermieden werden. Für die Markteinführung vonFiltersystemen ist allein entscheidend, ob die Systemeeine Minderung der Emissionen von mindestens30 Prozent gemäß den gesetzlichen Prüfvorschriften er-bringen. Darauf hatte man sich technisch und politischverständigt. Diese Frage sollte im Rahmen des For-schungsvorhabens beantwortet werden. Man hat sichdarauf konzentriert, diese Vorgabe umzusetzen, weil nurdurch die Umsetzung dieser Vorgabe die Ergebnisse po-litisch verwertbar gewesen wären.
Keine weiteren Fragen?
– Dann sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Frau
Staatssekretärin, ich danke Ihnen.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Bildung und Forschung auf. Für die Beant-
wortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatsse-
kretär Andreas Storm zur Verfügung.
Wir kommen zu Frage 3 der Kollegin Cornelia
Hirsch:
Wie bewertet die Bundesregierung die konstituierende Sit-
zung der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz am 18. Fe-
bruar 2008, und was sind die wesentlichen Ergebnisse?
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Ich beantworte die Frage der Abgeordneten Hirsch
wie folgt: Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz,
GWK, ist der Ort, an dem Bund und Länder die sie ge-
meinsam berührenden Fragen der Forschungsförderung,
der wissenschafts- und forschungspolitischen Strategien
und des Wissenschaftssystems behandeln. Wichtige
Weichenstellungen zur Struktur und Weiterentwicklung
des Wissenschaftssystems werden in der GWK vorge-
nommen.
Folgende Ergebnisse der konstituierenden Sitzung der
GWK am 18. Februar 2008 sind besonders hervorzuhe-
ben:
Erstens. Die GWK hat sich auf das Konzept einer Na-
tionalen Akademie verständigt. Die Leopoldina wird
künftig die Aufgaben einer Nationalen Akademie auf
dem Gebiet der Politikberatung übernehmen und die
deutschen Akademien in internationalen Gremien reprä-
sentieren. Dabei wird sie mit der Deutschen Akademie
für Technikwissenschaften und mit Vertretern der Län-
derakademien zusammenarbeiten, insbesondere mit der
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Da meine nächste Frage mit dieser Frage im Zusam-
menhang steht, bitte ich darum, dass der Herr Staatsse-
kretär diese Frage auch erst beantwortet.
Dann rufe ich die Frage 9 des Kollegen Dr. Anton
Hofreiter auf:
Was sind die nächsten Schritte im Verfahren zum Ausbau
der Donau zwischen Straubing und Vilshofen, und wie sind
diese Schritte auf den bestehenden Bundestagsbeschluss zum
Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen abge-
stimmt?
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Diese Frage beantworte ich wie folgt: Gemäß der in
der Sitzung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt-
entwicklung des Deutschen Bundestages vom 4. Juli 2007
im Einklang mit dem Beschluss des Deutschen Bundes-
tages bekannt gegebenen Entscheidung von Herrn Mi-
nister Tiefensee wurde variantenunabhängig ein Förder-
antrag bei der Europäischen Kommission eingereicht.
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Sehr geehrter Herr Staatssekretär, der Verlauf des bis-
erigen Raumordnungsverfahrens und die einzelnen
erfahren sind mir sehr wohl bekannt. Es ging bei der
rage nicht darum, ob in Bayern ein Raumordnungsver-
ahren stattgefunden hat oder wie dieses Verfahren ver-
äuft; es ging vielmehr darum, dass – wie es aus Quellen
hres Hauses heißt – das Bundesverkehrsministerium
ach Abschluss des Raumordnungsverfahrens eine Be-
ertung der Variante C 280 vorgenommen hat. Deshalb
rage ich Sie nach dem Inhalt dieser Bewertung. Denn,
ie gesagt, wir wissen, dass sie in Ihrem Hause vorliegt.
U
Ich kann Ihnen noch einmal die offizielle Meinung
er Leitung des Hauses mitteilen: Die Varianten A, C
nd D 2 wurden im Rahmen der vertieften Untersuchun-
en im Jahr 2001
om Bund und von Bayern gemeinsam bewertet. Diese
ewertungen sind im Internet öffentlich zugänglich. Al-
es andere hat, glaube ich, in diesem Zusammenhang
eine Relevanz.
Haben Sie noch eine weitere Frage?
Doch, es hat Relevanz. Ich frage Sie: Gibt es eine in-
erne Bewertung des Ministeriums der Variante C 280, ja
der nein?
U
Diese Bewertung ist mir nicht bekannt.
Gibt es weitere Fragen Ihrerseits, Herr Dr. Hofreiter?
Herr Staatssekretär, wir haben gerade eine Verhand-
ung erlebt, bei der es darum ging, dass Herr Staatssekre-
är Machnig mit sehr eindeutigen Aussagen in gewisse
chwierigkeiten gekommen ist. Deswegen: Sind Sie sich
anz sicher, dass Ihrem Haus eine solche Bewertung
icht vorliegt?
U
Ich kann nur wiederholen, was ich eben gesagt habe:iese Bewertung ist mir nicht bekannt.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2008 15187
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Frau Kollegin Blank, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, es ist Ihnen doch bekannt, dass
der Verkehrsausschuss damals – ich glaube, es war 2002 –
die Variante A mit Mehrheit beschlossen hat und dass es
auch Gegenstimmen gab. Die entscheidende Frage be-
trifft die variantenunabhängige Anmeldung bei der EU.
Herr Staatssekretär, im Antrag ist auch von der Variante
C 280 die Rede. Ist Ihnen das bekannt, vielleicht nicht
persönlich, wohl aber Ihrem Haus?
U
Ich kann an dieser Stelle nur noch einmal sagen – das
war mein einleitender Satz –: Ich habe diesen Vorgang
von der Kollegin Roth vor fünf Minuten übernommen.
Ich sage Ihnen gerne zu, dass wir alle weiteren konkre-
ten Fragen schriftlich beantworten.
Eine Frage hat der Kollege Winkler.
Danke, Frau Präsidentin. – Ich möchte an die Frage
von Herrn Dr. Hofreiter anschließen. Wenn Ihnen eine
solche Bewertung nicht bekannt ist, wäre es Ihnen mög-
lich, einen solchen Vorgang, wenn er Ihrem Haus be-
kannt ist bzw. stattgefunden hat, in schriftlicher Form
mitzuteilen, ja oder nein?
U
Wie Sie wissen, haben wir im Ministerium einen Ge-
schäftsverteilungsplan, aus dem die inhaltliche Zustän-
digkeit der Parlamentarischen Staatssekretäre resultiert.
Ich werde der Frage von Herrn Dr. Hofreiter im Ressort
nachgehen. Sie bekommen dann eine entsprechende
Antwort.
Die Frage 10 des Kollegen Rainder Steenblock wird
schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beant-
wortung.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich der Bundes-
kanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Für die Beant-
wortung der Fragen steht Frau Staatsministerin Professor
Dr. Maria Böhmer zur Verfügung.
Die Fragen 11 und 12 des Kollegen Christoph Waitz
werden schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 13 des
Kollegen Rainder Steenblock.
Damit rufe ich nun die Frage 14 des Kollegen Josef
Philip Winkler auf:
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bzw. wenn türkische Staatsangehörige durch das von
Frau Staatsministerin, bitte.
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Ich darf die Frage 14 wie folgt beantworten: Ziel derntegrationspolitik der Bundesregierung ist die gleichbe-echtigte Teilhabe der Migrantinnen und Migranten amozialen, gesellschaftlichen, politischen und kulturelleneben. Dieses Ziel verfolgt die Bundesregierung nichtuletzt mit dem Nationalen Integrationsplan. Er dientit vielen seiner Selbstverpflichtungen der Verbesse-ung der Integration und damit unmittelbar dem Ziel,ine spätere Einbürgerung zu erleichtern. Den Zielzu-ammenhang von Integration und Einbürgerung bestätigt10 Abs. 3 des Staatsangehörigkeitsgesetzes.Eine gelungene Integration drückt sich am stärkstenn der Beantragung der deutschen Staatsangehörigkeitus. Sie verleiht nicht nur das kommunale, sondern dasllgemeine Wahlrecht auf allen staatlichen Ebenen. Dieundesregierung wirbt dafür, dass die in Deutschland le-enden ausländischen Staatsangehörigen sich verstärktm ihre Einbürgerung bemühen. Die Beauftragte wird inürze mit einer Einbürgerungsbroschüre über die novel-ierte Gesetzeslage aufklären und Migrantinnen und Mi-ranten zur Einbürgerung ermutigen.Von Zuwanderern, die im Rahmen des Ehegatten-achzugs nach Deutschland kommen, sollte grundsätz-ich erwartet werden können, dass sie sich bereits vor derinreise auf die anstehende Integration angemessen vor-ereiten. Dazu gehört der Erwerb deutscher Sprach-enntnisse. Eine Befreiung vom Nachweis einfachereutscher Sprachkenntnisse vor der Einreise gilt unternderem für Ehegatten von Ausländern, die auch für län-ere Aufenthalte visumfrei einreisen können und einenufenthaltstitel erst im Bundesgebiet beantragen müs-en. Die Befreiung knüpft damit an die bereits vor dernderung des Ehegattennachzugs durch das Richtlinien-msetzungsgesetz bestehende Vergünstigung im Visum-erfahren für Angehörige bestimmter Staaten nach derogenannten Staatenliste nach § 41 der Aufenthaltsver-rdnung an. Bei den Staaten dieser Staatenliste handelts sich um solche, zu denen Deutschland enge wirt-chaftliche Beziehungen pflegt.
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15188 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2008
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Herr Kollege, haben Sie eine Nachfrage? – Bitte sehr.
Danke, Frau Präsidentin. – Danke, Frau Staatsminis-
terin, für die Antwort. Habe ich Sie jetzt richtig verstan-
den, dass Sie von Ihrem in dem Interview mit der Frank-
furter Allgemeinen Zeitung geäußerten Satz, dass
deutsche Integrationspolitik auf der gleichberechtigten
Teilhabe der hier lebenden Migrantinnen und Migranten
beruhe, Abstand nehmen? Denn Sie haben gerade ge-
sagt, dass das am Ende des Integrationsprozesses für ei-
nige von den Migranten infrage kommt und Sie das un-
terstützen wollen. Gleichzeitig scheidet dann die
gleichberechtigte Teilhabe für die anderen ebenfalls hier
zu integrierenden Ausländer aus. Das ist ein logischer
Widerspruch.
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Herr Kollege Winkler, ich sage zu der Frage, ob ich
Abstand nehme, ganz klar: Nein. Die gesamte Integra-
tionspolitik der Bundesregierung ist auf gleichberech-
tigte Teilhabe ausgerichtet. Ich habe am Anfang in mei-
nem ersten Satz, den Sie mit Sicherheit verfolgt haben,
von der gleichberechtigten Teilhabe der Migrantinnen
und Migranten am sozialen, am gesellschaftlichen, poli-
tischen und kulturellen Leben gesprochen. Das ist ein
sehr umfassender Begriff der gleichberechtigten Teil-
habe. Deshalb haben wir auch einen sehr umfassenden
Nationalen Integrationsplan aufgelegt, der sich an alle
der circa 15 Millionen Menschen aus Zuwandererfami-
lien in unserem Land richtet. Da wird keiner ausge-
schlossen. Im Gegenteil: Wir wenden uns an alle und be-
ziehen alle ein.
Eine weitere Nachfrage? – Bitte.
Danke, Frau Präsidentin. – Frau Staatsministerin, wie
bewerten Sie denn vor dem Hintergrund dessen, was Sie
gerade gesagt haben, die Kritik einer Vielzahl von Ver-
bänden und Organisationen an den Maßnahmen zur Er-
schwerung der Einbürgerung im letzten Jahr, die Sie be-
fürwortet haben und die Gesetz wurden, und an Ihrer
Äußerung, dass das kommunale Wahlrecht für langjährig
hier lebende Drittstaatenangehörige eine halbe Sache
sei, die Sie nicht befürworteten? Wie bewerten Sie, dass
viele Verbände bei dieser Regelung in dem Gesetz – Sie
haben sie selbst genannt –, nämlich dem Deutscherwerb
vor der Einreise, von einer Antitürkeiklausel gesprochen
haben, weil jemand, der zum Beispiel aus Honduras
kommt, überhaupt keine Probleme mit dem Ehegatten-
nachzug hat, aber jemand, der aus der Türkei kommt, in-
zwischen sehr große Probleme hat, sehr viel Geld auf-
wenden und sehr lange reisen muss?
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Nein. Wir haben den zeitlichen Rahmen der Frage-stunde ohnehin schon etwas überzogen, Herr Kollege.Deshalb bitte ich um Verständnis dafür, dass ich hierjetzt Schluss mache.
Die restlichen Fragen, also die Fragen 15 bis 43, wer-den schriftlich beantwortet. Frau Staatsministerin, ichdanke Ihnen herzlich für die Beantwortung der Fragen.Wir sind am Ende der Fragestunde, wie vereinbart.Die Fraktionen sind übereingekommen, heute einevereinbarte Debatte zur Zukunft des Kosovos nach derUnabhängigkeitserklärung – Zusatzpunkt 1 – durchzu-führen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dannverfahren wir so.Ich rufe den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 1 auf:Vereinbarte DebatteZukunft des Kosovos nach der Unabhängig-keitserklärungNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ichsehe dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so ver-fahren.Als erstem Redner in der Aussprache erteile ich dasWort für die Bundesregierung Herrn BundesministerFrank-Walter Steinmeier.
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Ich habe in einem der vielen Leitartikel aus den ver-angenen Tagen gelesen: Vielleicht war ein neuer Klein-taat auf dem westlichen Balkan im Ursprung nicht dasunschkind der Weltgemeinschaft. – All diejenigen, dieas sagen, haben recht. Aber ich erinnere daran: Neunahre insgesamt haben wir uns um eine einvernehmlicheösung bemüht. Eine einvernehmliche Lösung hättenlle lieber gesehen als das Prozedere, das wir jetzt vorns haben. Sie war aber nicht möglich.Darum ist jetzt unsere Verantwortung gefordert, in ei-er Situation, in der wir uns nicht in Enthaltung flüchtenönnen, selbst wenn einige das möchten. Jetzt müssenir mit aller Kraft gemeinsam versuchen, den Kosovond seine Menschen zu unterstützen und – das sage ich,bwohl ich weiß, aus welcher Situation wir dort kom-en – das Beste daraus zu machen. Das Beste heißt: ei-en demokratischen Rechtsstaat zu schaffen, europäi-che Werte im Kosovo, aber nicht nur dort, sondern aufem gesamten westlichen Balkan, durchzusetzen. Ichage noch einmal: Nur das ist am Ende das Fundamentür Stabilität und fairen Ausgleich in der gesamten Re-ion und nicht nur im Kosovo.
Das ist der Grund, dass sich die Bundesregierungeute in ihrer Kabinettssitzung entschlossen hat, den Ko-ovo als unabhängigen Staat anzukennen. Ich sehe darin das habe ich auch am Montag in Brüssel gesagt – denchlusspunkt aus dem – teilweise gewaltsamen – Zerfalles ehemaligen Jugoslawiens und nicht einen Sonder-all. Das sollte für uns alle der Ausgangspunkt europäi-cher Politik sein. Wir Europäer müssen beweisen, dassir in der Lage sind, die Konflikte auf unserem Konti-ent wirklich dauerhaft und vor allen Dingen wirksamu lösen.
Wir sind dabei in den letzten 15 Jahren weiter gekom-en, als manche meinen. Es gab damals nur wenige, die
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15190 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2008
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Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeiergesagt haben: Was sich auf dem Balkan ereignet, ist ei-gentlich keine Angelegenheit von Außenpolitik, sondernist europäische Innenpolitik. – Das war eine Position, dievor 15 Jahren noch allerhöchstes Erstaunen ausgelösthat, heute aber – ich finde, darüber sollte man nicht un-glücklich sein – sehr viel selbstverständlicher gewordenist.Seit 13 Jahren – daran ist zu erinnern – leisten deut-sche Soldaten in Bosnien-Herzegowina und im Kosovojeden Tag Dienst am Frieden. Das heißt auch: Seit neunJahren schweigen dort die Waffen. Ich vergesse nicht– viele von Ihnen auch nicht – die Gräueltaten, die Men-schen dort einander angetan haben. Ich bin froh darüber,dass auch auf dem westlichen Balkan – das haben meinevielen Gespräche in der Region in den vergangenen Jah-ren gezeigt – immer mehr Menschen nach vorn schauen,darauf hoffen, irgendwann als gleichberechtigte Mitglie-der am Tisch der europäischen Nationen zu sitzen unddamit eine konkrete Perspektive für Frieden, Prosperitätund vor allen Dingen besseres Leben zu haben.Sie haben die Bemühungen der europäischen Außen-minister am vergangenen Montag und insbesondere dieBerichterstattung darüber zur Kenntnis genommen. Esist gelungen, eine gemeinsame europäische Plattform zufinden, trotz der sehr unterschiedlichen Ausgangspunkteder 27 Mitgliedstaaten. Es ist gelungen, in dieser ge-meinsamen Plattform die gemeinsame europäische Ver-antwortung auf dem westlichen Balkan zum Ausdruckzu bringen.Mit Blick darauf, dass viele geschrieben haben: „Dasist der kleinste gemeinsame Nenner“, sage ich: Ja, das istder kleinste gemeinsame Nenner. Nur bestand leidernicht die Auswahl zwischen dem größten und demkleinsten gemeinsamen Nenner, sondern nur die Aus-wahl zwischen dem kleinsten gemeinsamen Nenner undnichts, und was das für die europäische Außenpolitikund ihre Zukunft bedeutet hätte, meine Damen und Her-ren, muss ich Ihnen nicht sagen. Deshalb bitte ich wert-zuschätzen, dass sich die 27 Mitgliedstaaten zu einer ge-meinsamen Position zusammengefunden haben, dienatürlich nicht das bilaterale Anerkennungsverfahren er-setzen kann, das aber auch nie wollte.Besonnenheit und Vernunft sind jetzt das Gebot derStunde. Ich habe der Führung der Kosovo-Albaner aus-gerichtet und ich sage auch den Verantwortlichen in Ser-bien: Lassen Sie uns in diesen Tagen und in der kom-menden Zeit die Gespenster der Vergangenheit ruhen!Gehen Sie mit uns den friedlichen Weg nach Europa!Arbeiten Sie mit uns gemeinsam an einer Region derKooperation und der Zusammenarbeit, in der nicht mehrwie in der Vergangenheit das Blutvergießen das Lebender Kinder und zukünftiger Generationen bestimmt! Ichglaube, das ist die Hauptsache.
Ich richte mich hier in diesem Hause auch an dieAdresse Russlands. Obwohl wir am Ende trotz vieler ge-meinsamer Bemühungen die Meinungsverschiedenhei-ten nicht haben ausräumen können, appelliere ich an dieFbmPredFnddHvklAadfSczmuwshegEdsbEidawthKgRbdabssZtRzbs
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2008 15191
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Nächster Redner ist der Kollege Dr. Werner Hoyer für
die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Bundesregierung hat heute Morgen eine außer-ordentlich schwerwiegende, eine außerordentlichschwierige Frage beantwortet und eine entsprechendeEntscheidung getroffen. Ich bin sicher, dass die nieman-dem am Kabinettstisch leichtgefallen ist. Auch keinemvon uns, die wir heute hier darüber debattieren, fällt dieBewertung leicht. Wir als Liberale sind bei dem, was wirheute zu kommentieren haben, außerordentlich problem-bewusst. Unter dem Strich kommen wir aber zu dem Er-gebnis, dass die Bundesregierung bei allen Details, überdie wir noch streiten mögen, eine wahrscheinlich unver-meidbare Entscheidung getroffen hat, eine Entschei-dung, die möglicherweise die am wenigsten schlechteunter vielen unbefriedigenden Lösungen darstellt.Es treten jetzt sehr viele auf den Plan, die uns sagen,warum das alles schwierig und vielleicht sogar falsch ist.Es treten viele exzellente Analytiker und Beobachterauf, es treten aber auch Besserwisser auf, deren Argu-mentation bei allen Stärken im Detail insgesamt einegroße Schwäche hat, nämlich: Sie zeigt keine Alternati-ven auf, die wirklich tragen würden.
Wir alle wissen zum Beispiel um die Problematik, diesich an großalbanische Träume anknüpft. Wir alle wis-sen auch um die Problematik, die die gigantische organi-sierte Kriminalität, die vom Kosovo ausgeht, betrifft.Die gibt es übrigens mit und ohne Anerkennung desKosovos als selbstständiger Staat.Wir wissen, dass wir die europäische Friedensord-nung nach dem Kalten Krieg auf Kurs halten müssenund dass das, was in der Schlussakte von Helsinki steht,nicht falsch ist, bloß weil wir wie schon früher bei derAufarbeitung der Vergangenheit des früheren Jugosla-wien hier eine Entscheidung treffen müssen, die auf denersten Blick nicht zu dem passt, was in Helsinki verein-bsKdrdsEgbrMvbmgPBcwmesfuswnnzsabELdBVoJunnswnotKWm
Das, was der australische Premierminister Rudd nachahrzehnten des Aufkochens von Missverständnissennd Unmut in Australien auf den Weg gebracht hat,ämlich die Entschuldigung gegenüber den Ureinwoh-ern, könnte für manchen in Europa vielleicht Vorbildein.Wenn wir schon die Historie bemühen, dann kommenir an ein paar historischen Wahrheiten nicht vorbei, de-en wir uns stellen müssen. Erstens haben wir ganzffensichtlich das hehre Ziel der Schaffung einer mul-iethnischen Gesellschaft im Kosovo nicht erreicht. Imosovo gilt ebenso bitter wie für Bosnien-Herzegowina:ir haben damals gigantische Anstrengungen unterneh-en müssen und unseren Soldaten, Polizisten, Beamten,
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15192 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2008
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Dr. Werner HoyerNGOs, Zivilorganisationen aufgeben müssen, weil wirdie ethnischen Säuberungen und das Morden nicht ak-zeptieren konnten, wollten und durften. Jetzt da wir dortsind – auch militärisch, mit anderem Personal und mitPolitik –, hat man den Eindruck, das Ergebnis einer eth-nischen Säuberung wird, nur mit umgekehrten Vorzei-chen, militärisch abgesichert. Das kann es nicht sein. Sohaben wir uns unser Engagement auf dem Balkan nichtvorgestellt.Wir hängen jetzt unsere Hoffnungen an einen Stroh-halm, an eine Selbstverständlichkeit, nämlich die desSchutzes der serbischen Minderheit. Wir werden genau-estens darauf achten müssen, dass dieser Teil desAhtisaari-Plans im Bewusstsein aller Handelnden hän-gen bleibt, und müssen unsere kosovarischen Partner,die dort jetzt eine Regierung bilden, auch daran messen,ob sie diesen Verpflichtungen gerecht werden.
Wir müssen uns vielleicht auch fragen, ob wir insofernunsere Möglichkeiten überschätzt haben, das zu verhin-dern, was in den letzten zehn Jahren passiert ist.Vor dem Hintergrund wird auch die Einzigartigkeitdes Falles Kosovo klar. Denn so schwierig die Situationvon einigen Volksgruppen, die auf ihr Selbstbestim-mungsrecht rekurrieren, auch sein mag: Das, was denKosovo-Albanern in den letzten Jahrzehnten zugefügtworden ist, können sie nicht für sich reklamieren undbrauchen es Gott sei Dank auch nicht. Insofern möchteich jenseits der sogenannten Sui-generis-Debatte sagen:Machen wir uns nicht verrückt; der Kern der Schlussaktevon Helsinki steht für uns Liberale, die wir kräftig daranmitgearbeitet haben, nicht zur Disposition.Zweitens müssen wir selbstkritisch feststellen, dassdas Konzept „Standards vor Status“ für das Kosovo die-sen nicht auf jenen Level von Rechtsstaatlichkeit, De-mokratie und wirtschaftlicher Überlebensfähigkeit auseigener Kraft gebracht hat, den wir uns vorgestellt hat-ten. Das Kosovo wird noch lange am Tropf der UNO,der NATO und insbesondere der Europäischen Unionhängen, mit allen Problemen und Verantwortlichkeiten,die damit verbunden sind. Ich habe, offen gesagt, auchZweifel daran, ob die Einschätzung wirklich richtig war,dass die ungelöste Statusfrage die Entwicklung der Stan-dards endgültig behindert hat. Aber das werden die His-toriker eines Tages zu bewerten haben.Drittens. Wir haben in der europäischen und über-europäischen Verhandlungsstrategie darauf gesetzt, dassRussland am Ende doch mitgehen würde und dass dieEuropäische Union am Ende eine gemeinsame Haltungzustande bringen würde. Beide Annahmen haben sichnicht erfüllt. Ich denke, wir müssen noch einmal prüfen,wie es kommen konnte, dass die handelnden Regierun-gen das offenbar so falsch eingeschätzt haben.In diesem Zusammenhang ist es aus deutscher Sichtin der Tat ein Lichtblick, Herr Minister, dass wir aufbau-end auf der Kreativität, die Wolfgang Ischinger in diesenProzess eingebracht hat, zumindest einen Weg gewiesenhtgIdnvDBvkigddklmddtRiwsnsdkuAtmlSSbFwjhssSwvtwB
Viertens. Was Russland angeht, möchte ich sagen,ass ich niemandem auf den Leim gehe. Aber man kannicht alle Argumente, die aus Moskau kommen, vonornherein vom Tisch wischen. Was die rechtlicheimension angeht, kann man vielleicht noch ein paarrücken bauen; das habe ich eben dargestellt. Wir habenersucht, an der völkerrechtlichen Beratung teilhaben zuönnen, nachdem die Bundesregierung entschieden hat,hr Rechtsgutachten dem Bundestag und den zuständi-en Ausschüssen nicht zur Verfügung zu stellen. Ich be-aure das sehr. Denn es kann nicht sein, dass wir uns vorem Verfassungsgericht sehen, weil die Kommunistenlagen, um erst dann zu erfahren, welche Rechtsgrund-age die Bundesregierung zur Basis ihres Handelns ge-acht hat.
Wir müssen die Besorgnis der Russen ernst nehmen,ass wir hier der Erosion der Schlussakte von Helsinkias Wort reden und dass das Russland eines Tages selberreffen könnte – und nicht nur deswegen, weil wir denussen keinen Vorwand liefern wollen, möglicherweisergendwo anders zu zündeln, sondern auch deswegen,eil Russland in der Tat ein paar ernste Sorgen auf die-em Gebiet hat.Die völkerrechtliche Dimension wird uns in denächsten Wochen noch stark beschäftigen. Wir sind nachorgfältigen Überlegungen zu dem Ergebnis gekommen,ass die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates tragenann, wenngleich man sich ganz schön anstrengen muss,m das hinzubekommen.
ber ich komme zu dem Ergebnis, dass man die Resolu-ion 1244 als ein geschlossenes Konstrukt betrachtenuss. Man muss eine stabile Brücke bauen und klarstel-en, dass das, was in der Resolution 1244 des UN-icherheitsrates auch niedergelegt ist, nämlich das Rechterbiens auf Sicherheitspräsenz im Norden des Kosovoei den eigenen Volksgruppen, tatsächlich gilt. Dierage, wie man das erreichen will, erfordert noch Ant-orten, die wir von der Bundesregierung und denen, dieetzt Verantwortung tragen, insgesamt erwarten.Sie merken, wir Liberale tun uns schwer, die Unab-ängigkeit im Rahmen einer einfachen Entscheidung ab-egnen zu wollen. Wir würden uns aber vor der Ent-cheidung drücken, wenn wir sagen würden: Wir sehenchwierigkeiten; deswegen schrecken wir vor einer Ant-ort, die jetzt gegeben werden muss, zurück. Wir solltenielmehr den Blick in die Zukunft richten und die Erwar-ungen äußern, die wir an die Kosovaren haben. Einigeie zum Beispiel den Schutz der Minderheiten und dieekämpfung der Kriminalität habe ich schon genannt.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2008 15193
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Dr. Werner HoyerWir haben natürlich auch die Erwartung an die Serben,dass sie besonnen reagieren. Ich unterstütze das, was derMinister diesbezüglich gesagt hat.Ich habe auch Erwartungen an die Europäer, nämlichdass sie jetzt auf Russland zugehen und sich ernsthaftdarum bemühen, Russland klarzumachen, dass wir keinInteresse an einer Desintegration Russlands und einerVerwischung dessen, was in der Schlussakte von Hel-sinki steht, haben.Ich erwarte auch, dass wir Europäer auf die Serben– und nicht nur auf die Kosovaren – zugehen und ihnenklarmachen, dass sie jetzt nicht auch noch die europäi-sche Perspektive verlieren dürfen, nachdem sie nicht zu-letzt durch das eigene Verhalten das Kosovo verloren ha-ben. Um in diesem Punkt glaubhaft zu sein, müssen wiruns um die jungen Menschen in Serbien bemühen, dienoch jetzt von den Entwicklungen in der EuropäischenUnion abgeschnitten sind und die in den letzten zehnJahren einen großen Rückstand haben hinnehmen müs-sen. Laden wir sie nach Europa ein, aber nicht, indemwir die Europäische Union für Serbien ohne Beachtungder Kopenhagener Beitrittskriterien öffnen, sondern in-dem wir Serbien ein Angebot machen: Seht euch dieseEuropäische Union an! Wir bieten auch euch dieses Er-folgsmodell für eure Zukunft an! – Wir hoffen, dass einegemeinsame Zukunft von Kosovaren und Albanern inder Europäischen Union eines Tages Wirklichkeit wird.Herzlichen Dank.
Der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff ist der
nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieCDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt nachdrück-lich die heutige Entscheidung der Bundesregierung, dasKosovo diplomatisch anzuerkennen. Auch wir hättenuns eine Lösung auf dem Verhandlungswege gewünscht.Aber dafür hat der Wille gefehlt. Wir sind überzeugt,dass eine rasche Anerkennung durch möglichst vieleStaaten geeignet ist, dauerhafte Stabilität für die gesamteRegion zu schaffen.Die Unabhängigkeitserklärung des kosovarischenParlaments und die Anerkennung der eingeschränktenUnabhängigkeit sind ein notwendiger Schritt und ohneAlternative. Dafür gibt es aus unserer Sicht drei Gründe:Erstens. Alle Verhandlungsmöglichkeiten sind ausge-schöpft worden; der Bundesaußenminister hat das darge-legt. Durch die Verhandlungen des VN-UnterhändlersAhtisaari sind für die Kosovaren ganz wesentliche Auf-lagen, beispielsweise der Schutz der serbischen Minder-heit, festgelegt worden, zu deren Einhaltung sich dasKosovo jetzt verpflichtet hat.tiRusvrHgkHanEddtDddsurarrMDtsdsucanKWf–fcddtRn
as aber liegt nicht in unserem Sicherheitsinteresse;enn ein weiteres Offenhalten der Statusfrage – das ister zweite Grund – würde nur zu neuen Unruhen im Ko-ovo und vielleicht darüber hinaus in der Region führennd die auf dem westlichen Balkan erzielten Stabilisie-ungserfolge infrage stellen. Das aber wäre völlig unver-ntwortlich. Dies kann in niemandes Sicherheitsinte-esse liegen – auch nicht im Interesse Serbiens.Drittens. Es sollte sich keiner von uns Illusionen da-über machen, wie schwierig es angesichts einerassenarbeitslosigkeit von 80 Prozent und einemurchschnittsalter von 25 Jahren ist, einen sich selbstragenden wirtschaftlichen Aufbauprozess in Gang zuetzen. Um aber überhaupt ausländische Investitionen,ie zur wirtschaftlichen Entwicklung Kosovos beitragenollen, zu gewinnen, war eine Klärung der Statusfragenverzichtbar.Herr Hoyer, Sie haben die Rechtsgrundlage angespro-hen. Es wird in Zweifel gezogen, ob die einseitige Un-bhängigkeitserklärung des Kosovo oder die Anerken-ung des Landes legal seien. Diese widersprächen derosovo-Resolution 1244. Ich sage für die CDU/CSU:ir halten diese Auffassung in der Sache und politischür falsch.
Nein, sie ist nicht überzeugend, Herr Kollege Gehrcke.Erstens ist doch unstreitig, dass die Resolution 1244ortbesteht, bis sie durch eine andere Resolution des Si-herheitsrates abgelöst wird. Das ist im Übrigen auch füras KFOR-Mandat wichtig. Für unsere Soldaten, dieort einen schwierigen, aber erfolgreichen Dienst leis-en, ist ganz entscheidend, dass die Kosovo-esolution 1244 fortbesteht und sie ihren Dienst auf ei-er sicheren Rechtsgrundlage erfüllen.
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15194 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2008
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Dr. Andreas SchockenhoffZweitens wird in der Resolution 1244 eine einseitigeUnabhängigkeitserklärung nicht verboten. Sie sagtnichts zum endgültigen Status aus. Das wäre auch ab-surd; denn dann könnte im Umkehrschluss eine Seitejede Lösung blockieren und mit einer solchen Blockadedie Kosovo-Frage zu einem permanenten Frozen Con-flict machen. Das kann niemand wollen, weder der Si-cherheitsrat noch Russland und China.Drittens ist die einseitige Unabhängigkeitserklärungdes Kosovo kein Präzedenzfall, auf den sich andere be-rufen können. Angesichts des Konflikts, der ethnischenSäuberungen und der humanitären Katastrophe in den90er-Jahren sowie der langen Phase unter internationalerVerwaltung – neun Jahre – ist dies ein einzigartiger Fall,der keine Präzedenzen schafft. Weder die Situation inAbchasien noch in Südossetien noch in Nagornij Kara-bach noch in Transnistrien ist mit diesem Fall vergleich-bar oder hat in irgendeiner Weise eine vergleichbare Be-rufungsgrundlage.Dies gilt noch viel weniger für die ungarische Min-derheit in Rumänien. Wenn jetzt deren politischer Ver-treter entsprechende Äußerungen macht, dann wider-spricht das im Übrigen dem Stabilitätspakt, der in den90er-Jahren mit Ungarn, Rumänien und der Slowakeizur Vorbereitung ihrer EU-Mitgliedschaft geschlossenwurde. Die ungarische Minderheit in Rumänien, zu de-ren Schutz und zur Gewährleistung ihrer Rechte dieserStabilitätspakt geschlossen wurde – es geht um denSchutz ihrer Rechte –, muss wissen: Wenn in verantwor-tungsloser Weise gezündelt wird, dann schadet das ihreneigenen Interessen, und das wird auf den massiven Wi-derstand der gesamten EU stoßen.Das Kosovo hat keine vollständige Souveränität, son-dern eine eingeschränkte Unabhängigkeit erlangt. Es hatsich zur vollständigen Umsetzung des Ahtisaari-Plansverpflichtet. Das betrifft insbesondere den Schutz derserbischen Minderheit und ihrer Kulturgüter. Wir wer-den sehr genau darauf achten, dass das Kosovo diesenVerpflichtungen uneingeschränkt Folge leistet. Eine wei-tere, ebenso wichtige Voraussetzung für die Anerken-nung der Unabhängigkeit ist, dass sich das Kosovo zurengen Zusammenarbeit mit der Internationalen Verwal-tungsbehörde, der europäischen Rechtsstaatsmission, derNATO und nicht zuletzt mit dem Internationalen Ge-richtshof in Den Haag verpflichtet hat.Wir gehen davon aus, dass Regierung und Parlamentdes Kosovo diesen Verpflichtungen vollständig nach-kommen werden. Wir erwarten ferner, dass die interna-tionale Gemeinschaft nicht von ihrem Recht Gebrauchmachen muss, zum Schutz der serbischen Minderheit,zur Verfolgung von Kriegsverbrechen, zur Bekämpfungder organisierten Kriminalität oder gegebenenfalls zurAnnullierung von Gesetzen direkt exekutiv einzugreifen.Wir werden uns auf eine sehr lange Mission und einenschwierigen Prozess im Kosovo einstellen müssen; ichhabe die Wirtschaftsprobleme erwähnt. Wir haben aberkeine Alternative, als uns mit aller Kraft zu engagieren;denn es liegt im Sicherheitsinteresse Europas, dass imKfoDwuKzRcnisdgkrsFrDdziwdAghSdtWsbsassBsgkw
Die Zukunft Serbiens liegt ganz klar in der Europäi-chen Union. Serbien sollte den Prozess der Annäherungn die EU deshalb jetzt nicht unterbrechen oder verlang-amen. In dem Moment, in dem die EU bereit ist, bei-pielsweise durch Visaerleichterungen für die serbischenürger, die Tür nach Europa weiter zu öffnen,
ollte die serbische Regierung diese Tür nicht zuschla-en und ihre Bürger einsperren.Die Anerkennung der eingeschränkten Unabhängig-eit des Kosovo löst die Probleme nicht, aber sie ist not-endig und ohne Alternative.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2008 15195
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Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Norman Paech
für die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Eine Bemerkung zuvor: Wirmachen uns natürlich keine Illusionen. Wir wissen, dasswir das Rad der Entwicklung nicht zurückdrehen könnenund dass wir die Abspaltung des Kosovo nicht rückgän-gig machen können. Aber wir lehnen die Art ab, wie Siedieses Rad drehen: mit einer Verachtung des Völker-rechts, wie wir sie jetzt schon zum zweiten Mal erleben.
Es ist nicht lange her: Im März 1999 haben Sie dieZerstörung Ex-Jugoslawiens mit der völkerrechtswidri-gen Bombardierung begonnen. Neun Jahre später zerle-gen Sie nun das verbliebene Serbien in zwei Teile, Siespalten den Kosovo ohne Grundlage des Völkerrechtsab.
Das mag, Herr Minister, dem Wunsch der Kosovarenentsprechen. Aber wenn es danach ginge, dann hättendie Kurden, die Basken, die Katalanen, die Korsen, dieAbchasen und die Osseten schon lange ihren eigenenStaat. Danach geht es allerdings nicht.
Erlauben Sie mir, den ehemaligen kanadischen Bot-schafter James Bissett, der in den 90er-Jahren in Jugo-slawien gewesen ist, zu zitieren. Er sagt:Die Unabhängigkeit des Kosovo bricht das Völker-recht. Die Charta der Vereinten Nationen und dieSchlussakte von Helsinki werden verletzt. Die terri-toriale Unversehrtheit, Souveränität und Unverletz-barkeit der Grenzen sind elementare Gesetzmäßig-keiten, die nicht nach Lust und Laune der NATO-Länder beiseite gewischt werden können.
Diese Prinzipien zu ignorieren, bedeutet, die we-sentlichen Grundsätze über die Beziehungen zwi-schen Staaten seit Ende des Zweiten Weltkriegs zuverletzen.Mit der Anerkennung des Kosovo verletzen Sie nichtnur die Souveränität und die territoriale Integrität Serbi-ens, sondern Sie verstoßen auch gegen die UN-Resolu-tion 1244, die in ihrem Wortlaut die Souveränität undterritoriale Integrität Serbiens garantiert. Sie legen Handan die gesamte Völkerrechtsordnung. Nach Gutsherren-art bedienen Sie sich der Teile der UNO-Charta, die Ih-nen passen. Die, die Ihnen nicht passen, ignorieren Sie.SksbscAsRznifaSSaweridbWV
ie zerstören damit das grundlegende Prinzip der Völ-errechtsordnung, das Prinzip der Universalität, das be-agt, dass das Völkerrecht für alle Staaten gleich ver-indlich ist, für große und kleine, für starke wiechwache. Das Schlimme ist: Sie wissen das und ma-hen es trotzdem vorsätzlich. Das dulden wir nicht.
Die Frage ist: Was gewinnen Sie eigentlich dadurch?uch hier noch einmal Botschafter James Bissett. Eragt:Die Führung des Kosovo und die UCK sind in mei-nen Augen Kriegsverbrecher. Sie haben unter derNATO-Besatzung fast die gesamte nicht-albanischeBevölkerung vertrieben, über 150 christliche Kir-chen und Klöster zerstört. Die Unabhängigkeit desKosovo wird den Traum eines „Groß-Albanien“ an-heizen und den Balkan weiter destabilisieren.Diese Leute gehören vor Gericht und nicht auf eineegierungsbank. Diese Regierung ist von der gleichenweifelhaften Vasallennatur, wie wir sie schon in Afgha-istan und auch im Irak haben.
Das Kosovo – wenn Sie sich das genau überlegen –st die erste moderne Kolonie der EU. Ihr fehlt eine ef-ektive Staatsgewalt, eine der drei unabdingbaren Vor-ussetzungen dafür, dass es sich überhaupt um einentaat handelt.
tattdessen muss die EU dieses lebensunfähige Gebildeuf Jahre hinaus durchfüttern. Die wesentlichen Ent-icklungen werden sowieso in Washington und Brüsselntschieden und nicht in Priština.EULEX heißt nun die neue Mission des Rates der Eu-opäischen Union, die neben UNMIK errichtet wordenst. Sie ist in der Resolution 1244 gar nicht erwähnt wor-en, soll aber die Rechtsstaatlichkeit im Kosovo auf-auen. Das ist schon ein kurioser Vorgang.
ie kann ich Rechtsstaatlichkeit unter Verletzung desölkerrechts aufbauen?
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Dr. Norman PaechUNMIK und KFOR sollen weiter im Kosovo bestehenbleiben; beide ohne völkerrechtliche Grundlage.Denn Resolution 1244 ist zwar formal nicht aufgeho-ben worden, aber mit der Beendigung der Übergangsver-waltung, die sie organisieren sollte, ist sie hinfällig ge-worden. Sie ist ohne weitere Gültigkeit und ohne weiterelegitimatorische Kraft. Sie müsste für die neuen Aufga-ben, die sich jetzt stellen, durch eine neue Resolution er-setzt werden. Aber Sie wissen selber: Die Russen undauch die Chinesen werden einen Völkerrechtsverstoßnicht nachträglich legitimieren. Was machen Sie? Wieschon die NATO 1999 und die USA 2003 lassen Sie dieUNO einfach links liegen und fahren dann mit dem Völ-kerrecht Schlitten. Das können und wollen wir so nichtdurchgehen lassen.
Ein Letztes. Es fehlt damit ein auch über die Beendi-gung der Übergangsverwaltung hinaus gültiges Bundes-tagsmandat. Sie können nicht einfach ohne Mandat denEinsatz deutscher Truppen beliebig verlängern.
Das ist eine Verletzung der Rechte des Bundestages, wasIhnen offensichtlich noch gar nicht aufgegangen ist. DieÜbergangsverwaltung auf der Grundlage der Resolu-tion 1244 – das wiederhole ich – ist mit der einseitigenAbspaltung und ihrer Anerkennung beendet worden. Abjetzt agieren UNMIK und KFOR ohne UNO-Mandatund ohne Bundestagsmandat. Das lassen wir uns nichtbieten. Wir werden unser Recht vor dem Bundesverfas-sungsgericht einklagen.Danke schön.
Jürgen Trittin ist der nächste Redner für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! KollegePaech, man kann sicherlich eine ganze Reihe von Ursa-chen benennen, warum Jugoslawien zerbrochen ist. Dashat etwas mit der Geschichte, auf die Herr Hoyer hinge-wiesen hat, mit dem dortigen System und mit ökonomi-schen Gründen zu tun.
Aber wenn wir uns über wirkliche Ursachen unterhal-ten wollen, dann kann man sich hier nicht hinstellen undeinen der ganz zentralen Gründe für den Zerfall Jugosla-wiens verschweigen: Das ist der brutale, menschenver-achtende serbische Nationalismus gewesen.
MshweumrIrhJuhEUDsteJazwPdVrvbNhsvtddsuns
as dort im Schoß der föderativen Republik Jugoslawienntstanden ist. Ein menschenverachtender Nationalismusnter dem Deckmantel linker und sozialistischer Politikuss jedem Linken und jedem Sozialisten die Schames-öte ins Gesicht treiben.
ch finde, dazu hätten Sie ein Wort sagen können.
Ich will mit Ihnen gar nicht darüber streiten, ob esichtig oder falsch ist, dass sich die Kosovaren für unab-ängig erklärt haben. Darum geht es überhaupt nicht.
eder, der die Geschichte kennt, weiß, dass es gar nichtm die Frage geht, ob, sondern nur, wann sie es getanaben.
s ist auch kein Privileg der UÇK gewesen, sich für dienabhängigkeit des Kosovo stark gemacht zu haben.as war auch und gerade das Programm des Schatten-taates, den Rugova unter dem Druck einer brutalen Dik-atur gewaltfrei organisiert hat. Es muss im Gegenteilher gesagt werden, dass die Kosovaren in den letztenahren ein erhebliches Maß an Geduld bewiesen haben.Die Frage, vor der die Europäische Union und damituch Deutschland heute steht, ist: Wollen wir den Pro-ess, dass sich das Kosovo für unabhängig erklärt hat,eiterhin politisch mitgestalten, oder wollen wir diesenrozess ungesteuert laufen lassen? Vor dieser Frage stehtie Europäische Union.Ich verstehe an dieser Stelle die Spanier. Aber miterlaub: Die Basken brauchten keine Kosovaren, um ih-en Wunsch nach Unabhängigkeit zu formulieren; soiel zum Thema Präzedenzwirkung.Man muss doch zur Kenntnis nehmen, dass die EUei aller unterschiedlichen Auffassung, ob man dieseation bilateral anerkennen soll, eines geschafft hat: Sieat sich in dieser Frage nicht auseinanderdividieren las-en, weder von den Spekulationen aus Russland nochon den klammheimlichen Überlegungen aus Washing-on. Das halte ich für eine richtige Entscheidung.Deswegen tragen wir es ausdrücklich mit, dass hierer Versuch gemacht wird, das, was Ahtisaari ausverhan-eln wollte, nämlich eine beschränkte Souveränität – esind nämlich zwei Dinge: die Unabhängigkeitserklärungnd eine beschränkte Souveränität des Kosovo –, mit ei-er starken und großen zivilen Sicherheits- und Rechts-taatsmission durch die Europäische Union zu begleiten.
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Jürgen TrittinMit Verlaub, gerade das ist im Interesse der dort lebendenSerbinnen und Serben.
Das ist der einzige Weg, um sicherzustellen, dass ser-bische Kulturgüter dort nicht wieder zerstört werden unddass es nicht erneut zu Übergriffen kommt. Nur eine in-ternationale Präsenz und der Aufbau rechtsstaatlicherVerhältnisse können die Antwort auf das sein, was Sie zuRecht erwähnt haben: dass es dort auch von kosovari-scher Seite zu ethnischen Säuberungen, zu Übergriffenetc. gekommen ist. Das beklagen Sie. Wenn es aber da-rum geht, zu verhindern, dass sich das wiederholt, dannsagen Sie: Die Welt ist ein Amtsgericht, und meineRechtsauffassung lässt das nicht zu.
Ich habe ja immer großen Respekt vor dem Völker-rechtler Paech. Vielleicht sollten Sie aber noch einmalüber Ihre Rechtsauffassung nachdenken, dass die UN-Resolution 1244 nicht mehr gelten würde. Da sind dieRussen und die Chinesen ganz anderer Auffassung.
Denn sie sagen: Weil sie gilt, hätte man nicht anerken-nen dürfen. Eben hat jemand dazwischengerufen, Sieseien der Sprecher des russischen Außenministeriums.Darüber sollten Sie noch einmal nachdenken.
Der Umstand, dass es in einzelnen Bereichen auf-grund der Unabhängigkeitserklärung zu anderen Rege-lungen kam, darf nicht automatisch dazu führen, dasseine Resolution des Weltsicherheitsrates für ungültig er-klärt wird. Wenn man über die Resolution redet, dannmuss man sich darüber im Klaren sein, dass von Russ-land der Antrag gestellt wurde, zu sagen, die Unabhän-gigkeitserklärung sei unzulässig. Das hat der Sicher-heitsrat aber nicht bestätigt. Sie stellen sich hier hin undsagen, das sei völkerrechtswidrig. Das hat der Sicher-heitsrat so aber nicht beschlossen.
Das soll keine juristische Spitzfindigkeit sein. Ichgebe zu, dass das eine schwierige und auch völkerrecht-lich nicht einfache Situation ist, und zwar auch mit Blickauf die dort stationierten Soldaten. Darüber schaut nie-mand hinweg. Aber die Frage ist, wie man sich in einersolch schwierigen Situation verhält. Beschränkt mansich auf das Filibustern, oder versucht man, diese Situa-tion ausgehend von den Prinzipien des internationalenRechts, des Schutzes der Menschenrechte, der Herstel-lung rechtsstaatlicher Verhältnisse und der Sicherungauch und gerade von Minderheitenrechten zu gestalten?nwiatbMhgdaRtAKnWgtSApBrEhmwnBhtmKSsddBsd
ir müssen all dies sehr ernst nehmen und Serbien ge-enüber offen sein. Serbien gehört zu Europa.
Nun spricht der Kollege Walter Kolbow, SPD-Frak-
ion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DiePD-Bundestagsfraktion stimmt der völkerrechtlichennerkennung der Republik Kosovo durch die Bundesre-ublik Deutschland sowie der Aufnahme diplomatischereziehungen zu. Herr Kollege Hoyer und andere habenecht: Das war eine der schwierigeren außenpolitischenntscheidungen, die unser Kabinett heute zu treffenatte.Auch nach dieser Entscheidung, die wir unterstützen,üssen wir die Kritik, die am Gesamtprozess geübtird, aufgreifen: im Parlament, in den Fraktionen, aberatürlich auch im Land. Die Defizite im Kosovo, die dieürgerinnen und Bürger den dort Verantwortlichen aucheute vorhalten – die große Arbeitslosigkeit, die Korrup-ion und die Kriminalität –, sind auch von uns im Rah-en der Partnerschaft, die die Europäische Union denosovaren jetzt zugesagt hat, anzusprechen.Der Bevölkerung vom Kosovo ist zur erlangtenelbstbestimmung zu gratulieren und alles Gute zu wün-chen. Wir begrüßen die Republik Kosovo als Mitglieder Gemeinschaft der freien und unabhängigen Staatener Welt. Auch im Zusammenhang mit dem, was ich zueginn kritisch gesagt habe, bin ich mir sicher, dass manich bei aller Euphorie in Pristina bewusst ist, dass mitieser Unabhängigkeitserklärung und der Anerkennung
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Walter Kolbowdurch wichtige Staaten erst ein Anfang gemacht ist. Eswird ein schwerer Weg folgen, auf dem harte Arbeit undviel politische Umsicht gefragt sind.Ziel aller Kosovaren ist es letztlich, in nicht allzu fer-ner Zeit ein vollwertiges Mitglied der europäischen Völ-kerfamilie zu werden. Aus Sicht der SPD-Bundestags-fraktion gilt auch für diesen Staat die Zusage derEuropäischen Union von Thessaloniki, bei Vorliegen derVoraussetzungen eine klare Perspektive zum Beitritt zurEU zu erhalten. Alle Anstrengungen der Kosovaren undauch der verschiedenen internationalen Missionen inKosovo werden diesem Ziel von nun an verpflichtetsein.Die Europäische Union ist mit ihrer nun beginnendenund im Europäischen Rat einstimmig beschlossenenRechtsstaatsmission EULEX dazu gut aufgestellt. Zu-sammen mit KFOR wird sie diesen Prozess auf der Basisder von Ministerpräsident Hashim Thaçi ausgesproche-nen Einladungen und der fortgeltenden UN-Resolution1244, die im Übrigen auch der Generalsekretär der Ver-einten Nationen am Wochenende aufgenommen und be-stätigt hat, konstruktiv begleiten. Es ist auch gut, dassder Verteidigungsminister heute ins Kosovo gereist istund dort unsere Soldaten besucht und politische Gesprä-che führt. Das ist ein richtiger Umgang mit der getroffe-nen politischen Entscheidung.
Ich danke auch dem Herrn Außenminister, dass er un-ser Gewicht bei den Verhandlungslösungen immer wie-der mit Umsicht in die Waagschale geworfen hat. DerAhtisaari-Prozess und auch das, was Wolfgang Ischingergeleistet hat – das wurde vom Haus zu Recht mit Beifallbedacht –, sind immer auch im Zusammenhang mit denWirkungsmöglichkeiten und den Anstrengungen von Ih-nen, Herr Steinmeier, zu sehen. Deshalb gebührt Ihnenauch der Dank unserer Fraktion für Ihre Arbeit.
Ich glaube, dass sich daraus auch schlüssig ableitenlässt, dass die Europäische Union Kosovo bei den weite-ren Reformen und Prozessen des institutionellen Auf-baus und bei der Vermittlung eines besseren Verständnis-ses der EU-Politiken und EU-Standards unterstützenwird, um so die Abkopplung von den Entwicklungen inder Region zu vermeiden. Ich glaube – ich kenne ihnpersönlich –, dass der EU-Sondergesandte Pieter Feithbei seiner Arbeit wirkliche Unterstützung von allen ver-dient und dass er mit seiner Person auch eine Vorausset-zung dafür bietet, dass erfolgreich für diese Ziele gear-beitet wird.
Ich bekenne an dieser Stelle, dass ich in dieser Ange-legenheit der Kosovaren nicht frei von Emotionen undBefangenheit bin. Als Parlamentarischer Staatssekretärbeim Bundesminister der Verteidigung habe ich im Jahr1999 im Auftrag der damaligen Bundesregierung undder Europäischen Union die humanitäre Hilfe für die ko-snhdgcsggdsvzKuhttrnKUashbHdwniRtnIdbdmdcwdpsngwdmd
Was zu den Wünschen, über Verhandlungen zu einemnderen Ergebnis zu kommen, gesagt worden ist, unter-treiche ich an dieser Stelle. Ich weiß, dass die zu Ver-andlungslösungen ausgestreckten Hände von den Ser-en und den Russen immer zurückgewiesen wurden;err Trittin, Herr Hoyer und Herr Schockenhoff habenazu das Notwendige gesagt. Ich meine auch – um es et-as volkstümlich zu formulieren –: Wann denn, wennicht jetzt die Unabhängigkeit des Kosovo, nicht zuletztm Interesse einer dauerhaften Stabilität in der gesamtenegion?Herr Kollege Trittin, ich will Ihre Rechtsargumenta-ion nicht so aufnehmen, wie Sie es gesagt haben, umicht ein Amtsgericht zu diskreditieren. Aber ich stimmehnen völlig zu, dass ein Amtsgericht dafür nicht zustän-ig ist und man sich einer anderen Herangehensweiseefleißigen sollte. Ich weiß auch, dass uns die Debattearüber, wie wir die rechtliche Dimension bewältigenüssen, weiterhin beschäftigen wird, weil Irritationenarüber, wie wir uns rechtlich positioniert haben, mögli-herweise auch im westlichen Balkan eine Rolle spielenerden. Wir haben uns mit dem Beschluss, den die Bun-esregierung heute gefasst hat, rechtlich einwandfreiositioniert.Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass so, wieich die Dinge gerade in dem konkreten Fall vor undach dem Kosovo-Krieg entwickelt haben, der Rechts-edanke einer „clausula rebus sic stantibus“ einbezogenerden kann und meines Erachtens im Hinblick auf dieortige Rechtsentwicklung auch einbezogen werdenuss. Es ist eben auf dem westlichen Balkan zwischenem Kosovo und Serbien eine neue Lage entstanden, die
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Walter Kolbowauch rechtlich neu zu bewerten ist. Aus diesem Rechts-verständnis, aus dieser Argumentation ist eine Causa-sui-generis-Linie der Anerkennung des Kosovo gerecht-fertigt und kein Präzedenzfall abzuleiten, wie es auch dieEU unterstrichen hat.Meine Damen und Herren, wir müssen insbesonderedie ökonomische Entwicklung des Kosovo im Visier ha-ben. Es ist wichtig, dass auch in der Erklärung desStaatspräsidenten der Schutz der Minderheit, die Men-schenrechte und die partnerschaftliche Standardentwick-lung in der Europäischen Union als Voraussetzungen desMitwirkens zugesagt und nicht nur als Programm darge-stellt worden sind. Ich weiß auch, wie wichtig es ist, dasswir den Kosovaren unsere Unterstützungsleistung wei-terhin geben. Die SPD-Fraktion wird sich dafür einset-zen, dass Deutschland auch weiterhin gewichtige Ent-wicklungshilfe leistet. Seit 1999 haben wir immerhin240 Millionen Euro zur Verfügung gestellt; wir werdendies auch in Zukunft tun.Die neue Staatsflagge der Republik Kosovo mit ihrensechs Sternen, die für sechs verschiedene Ethnien ste-hen, belegt, dass sich Kosovo auf den Weg nach Europagemacht hat. Hier finden sich – nicht nur in dieser neuenFlagge – Zeichen einer vielversprechenden Symbolik.Es ist zu hoffen, dass diese Symbolik nun auch in derLebenswirklichkeit umgesetzt wird und dass wir allemiteinander – auch die Betroffenen vor Ort einschließ-lich der Serben – dem westlichen Balkan eine friedlicheZukunft in Europa geben, zusammen mit der jungen,nachfolgenden Generation, aber auch mit den Generatio-nen, die in der jüngeren Vergangenheit oder auch jetztdirekt davon betroffen gewesen sind.Das Händegeben ist unser aller Auftrag für die Ver-söhnung in der Gegenwart. Denn sie bedeutet Friedenfür die Zukunft.
Das Wort erhält nun der Kollege Gunther Krichbaum
für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Derfrühere baden-württembergische Ministerpräsident
– Erwin Teufel –
hat einmal formuliert: Politik beginnt beim Betrachtender Realitäten. Ich denke, das zeigt auch die Ausgangs-lage, in der wir uns heute befinden.Ich habe mich gewundert, Herr Kollege Paech, mitwelcher eindimensionalen Geschichtsvergessenheit Siein Ihrem Beitrag an die Probleme herangegangen sind.Ed6sBAFTwBbg1sdrBal2vIKdkvaIk4SrhDddKSgtsckbnkeudsww
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Stichwort Zivilgesellschaften: Wir haben gerade ein-mal drei Städtepartnerschaften zwischen Orten der Bun-desrepublik Deutschland und Serbiens. Drei! Das ist vielzu wenig. Auch hier kann sehr viel mehr passieren. Eur-opa ist immer nur so gut wie die Begegnungen zwischenden Menschen.Von Serbien erwarten wir ganz klar, dass Übergriffewie gestern Nacht auf die Grenzstationen nicht gutgehei-ßen werden, wie es Einzelne getan haben. Ich erwartevon den Verantwortungsträgern in Serbien mehr Verant-wortung gerade im Hinblick auf die junge Generation.Das sind alle politisch Verantwortlichen in Serbien derjungen Generation schuldig; denn diese junge Genera-tion hat bei der letzten Präsidentenwahl dafür gesorgt,dass der europafreundliche Präsident Tadić eine Mehr-heit bekam. Einen Rückzug der serbischen Botschafteraus den Ländern, die das Kosovo anerkannt haben, be-trachte ich deshalb als eine vorübergehende Erschei-nung.NgemMFevDGBDindkrKLwkaNcgnwmdGr
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin
onika Knoche das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Für dieraktion Die Linke sage ich hier klipp und klar: Was mitinem völkerrechtswidrigen Krieg begann, soll mit einerölkerrechtswidrigen Anerkennung fortgesetzt werden.as werden wir nicht akzeptieren.
Herr Trittin, ich war damals Mitglied der Fraktion derrünen, als die Herren Fischer und Schröder bei Herrnill Clinton zum Rapport gebeten wurden und klar war:iese Regierung wird Krieg führen; die Verhandlungenn Rambouillet werden so geführt, dass als Ergebnisichts anderes herauskommt, als den Vorratsbeschlusses alten Bundestages umzusetzen und einen Angriffs-rieg gegen Jugoslawien zu führen, der völkerrechtswid-ig ist. Ich erinnere mich noch sehr gut.
ommen Sie mir also nicht mit der Verantwortung derinken! Sie haben Ihre Verantwortung damals nichtahrgenommen.
Es ist nicht richtig, der Linken zu unterstellen, sie er-enne nicht an und bedauere nicht, welche Verbrechenn den Menschen im serbischen und im kosovarischenamen begangen wurden.
Jetzt gibt es also ein Kosovo, das schon 1999 verspro-hen wurde. Aber was ist Kosovo für ein Staat? Es istar kein eigener Staat, es ist ein Protektorat, so wie Bos-ien-Herzegowina eines ist, das keine eigene Staatsge-alt ausübt. Nein, Herr Premier Thaçi wird es nicht ver-ögen, seine Bevölkerung von der Tatsache abzulenken,ass es die EU, die EULEX ist, die alles bestimmen undesetze erlassen kann. Verwaltung, Polizei und Ge-ichtsbarkeit, alles, was Staatsgewalt ausmacht, wird
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Monika Knochenicht durch das Kosovo bestimmt werden. Wenn die Be-völkerung das einmal merkt, dann wird sich der bishe-rige Nationalismus als nicht befriedigend erweisen.Aber Serbien und Serben werden eines nicht fühlen:Sicherheit. Vielleicht wird es nationalistisch motivierteAnschläge geben. Eines ist gewiss: In Europa wird eswieder eine geteilte Stadt geben, nämlich die Stadt Mi-trovica. Das ist ein Ergebnis dieser Unabhängigkeitser-klärung. Ich kann aus europapolitischen Gründen schongar nicht akzeptieren,
auch aus menschenrechtlichen Gründen nicht, was denMenschen und Familien angetan wird, die jetzt getrenntsind. Auch dazu möchte ich von Ihnen einmal etwas hö-ren.
Wir wissen: Obwohl Serbien aufs Schärfste verurteilt,was dort geschehen ist, wird es keine Gewalt anwenden.Das ist erklärt worden. Wir wissen aber genauso gut:Serbien wird alles unternehmen – es wird nicht nur vorden Internationalen Gerichtshof ziehen –, um die Le-bensumstände der Menschen, die in diesem neuen Ge-bilde leben, so stark wie nur irgend möglich zu erschwe-ren. Die Hoffnungen auf wirtschaftliche Prosperität, diedie Menschen dort haben, werden sich nicht erfüllenkönnen. Es werden ihnen die Augen aufgehen, was ih-nen diese Unabhängigkeit gebracht hat. Wahrscheinlichgar nichts, was die Verbesserung ihrer Lebenssituationbetrifft. Wenn hier noch nicht einmal der Zweck die Mit-tel rechtfertigt, wie wollen Sie dann die Entscheidungzur Anerkennung überhaupt noch mit Ihren eigenen Ka-tegorien rechtfertigen?
Es gibt keine Begründung, die Sie für den einseitigenSchritt der Unabhängigkeit anführen können. Wir Linkehaben immer klar darauf hingewiesen, dass das Völker-recht keine Möglichkeit bietet, eine einseitige Sezessionfür rechtens zu erklären.
Wir stellen noch einmal fest: Die kriegsbeendendeUN-Resolution 1244 hat das Kosovo als autonome Pro-vinz Serbiens ausgewiesen. Alle Kraft hätte darauf ver-wendet werden müssen, eine weitestgehende Autonomiezu ermöglichen und zu einer friedlichen Übereinkunft zukommen, die grassierende Korruption, Kriminalität undArbeitslosigkeit zu beenden und dem Kosovo innerhalbSerbiens eine EU-Perspektive zu geben.
DalSWsk–idED–fuT–amFevlsaktsdsF
ir erinnern uns doch sehr gut, dass der deutscher Bot-chafter Ischinger letztlich auf die Position einschwen-en musste, die die US-Amerikaner haben.
Umso schlimmer ist es, wenn das die eigene deutschest. – Was wollen die US-Amerikaner? Sie wollen mitem Kosovo einen neuen NATO-Staat haben.
s gibt ein strategisches Interesse, das zu realisieren.as ist den Preis aber nicht wert.
Ich bitte Sie. Sie sollten sich in Erinnerung rufen, wiereundschaftlich Sie mit dem ehemaligen UÇK-Führermgehen, der heute Premierminister ist, mit Herrnhaçi.
Ich bitte Sie sehr, bleiben Sie korrekt! Erkennen Sien, dass Verbrecher auf beiden Seiten existieren und dassan nicht mit Sympathie und Antipathie kommen kann.Wir müssen eine eminent wichtige, europapolitischerage klären. Was jetzt im Kosovo geschehen ist, hat mitinem multiethnischen Europa, das Sie im EU-Reform-ertrag beschwören, nichts zu tun. Spanien, Griechen-and, Zypern, Bulgarien, Rumänien, alle diese Länderind OSZE-Mitgliedstaaten, alle sind EU-Staaten, undlle diese Staaten sagen, dass sie das Kosovo nicht aner-ennen werden, weil sie Probleme mit den eigenen na-ionalen Minderheiten bekommen werden.
Kollegin Knoche, kommen Sie bitte zum Schluss.
Das kann doch keine europapolitische Perspektive
ein, die Sie dem Kosovo eröffnen wollen. Sie haben
em Prozess der europäischen Integration viel mehr ge-
chadet als genutzt. Probleme haben Sie keine gelöst.
Das Wort hat die Kollegin Marieluise Beck für dieraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Es verschlägt mir fast die Sprache, Frau Knoche,
dass Sie seit 1992, seit dem Überfall der jugoslawischenArmee auf die kroatische Stadt Vukovar, dem keine Ag-gression von kroatischer Seite vorausgegangen war, an-scheinend blind durch die Welt gegangen sind und nichtgesehen haben, wie sich in diesem zerfallenden Jugosla-wien ein Verbrechen nach dem anderen abgespielt hat.
Europa war demgegenüber hilflos. Die UNO hatte keinevölkerrechtlichen Mittel zur Verfügung, um wirklich ad-äquat zu reagieren.Was passierte denn in Bosnien? Mit einem friedens-bewahrenden Mandat wurden Blauhelme in dieses Landgeschickt, in dem kein Frieden mehr zu bewahren war,in dem die Paramilitärs, die Arkan-Truppen unter Bei-hilfe der „jugoserbischen“ Armee innerhalb von weni-gen Wochen einen Feldzug durch Bosnien-Herzegowinamit unendlich vielen Toten geführt haben. Bevor Europaverstanden hat, was dort passiert war, kam es zu denMassakern in Srebrenica und in vielen anderen Orten,zum Beispiel in Prijedor, in Bijeljina. Wir konnten wis-sen: Überall dort, wo es den Tschetniks gelungen war, indie Dörfer und Städte einzudringen, hat es Mord, Tot-schlag und Vergewaltigung gegeben. Die friedensbewah-renden UN-Soldaten schauten zu, statt einzugreifen, wiees, wie ich meine, ihre völkerrechtliche Verpflichtunggewesen wäre.
Das Völkerrecht der Vereinten Nationen, niedergelegtin der Charta der Vereinten Nationen, die auf dem Hin-tergrund des deutschen Faschismus und der verheeren-den Verbrechen, die in seinem Namen begangen wordensind, verabschiedet worden ist, hat zur Aufgabe, Geno-zid zu verhindern. Was passiert denn, wenn der Sicher-heitsrat dieser Aufgabe nicht nachkommt, sich dieserAufgabe also völkerrechtswidrig verwehrt? Was soll dieStaatengemeinschaft denn da machen? Soll sie weg-schauen? Genau das war die Situation, in der die Inter-vention im Kosovo stattfand, die – jawohl! – eine pre-käre völkerrechtswidrige Grundlage hatte. Man hat ausSrebenica Lehren gezogen, man hat überlegt und nach-gedacht: Wollen wir jetzt so lange zuschauen, bis es imKosovo ein zweites Srebenica gibt? Gibt es erst dann dasRecht zur Intervention, oder besteht nicht vielmehr diePflicht zur Intervention? Besteht nicht die Pflicht, einzweites Srebenica zu verhindern? Über diese völker-rechtlichen Fragen haben wir zu reden.FgtSddhmWvlgcdndtMtDlNUuFcsdKGmdJind–
rau Knoche, so einfach, wie Sie sich das hier machen,eht es nicht.Wir haben es jetzt mit einer schwierigen Situation zuun. Niemand bejubelt es, dass wir hier letztlich einenchritt tun, der eine Realität, die nicht mehr zurückzu-rehen ist, gestalten muss. Da kann man sich nicht weg-ucken und sagen: Damit wollen wir jetzt nichts zu tunaben, wir machen die Augen zu. Dann hat man viel-ehr die Verantwortung, das, was durch geschichtlichesirken, durch viele Verbrechen, durch viele Morde undiel Niedertracht, denen EU und Vereinte Nationen hilf-os zugeschaut haben, entstanden ist, zu gestalten und, sout wir es können, in Bahnen zu lenken, die es ermögli-hen, dass die Menschen wieder leben können.Dazu gehört auch, dass wir den Menschen in Serbienie Türen aufmachen. Damit meine ich nicht die Natio-alisten, die heute noch „heizen“. Gerade erst haben wirie Nachricht bekommen, dass die aufrechten Demokra-en dort sagen: Wir, Serbien, müssen auch in dieilošević-Zeit schauen und die historische Verantwor-ung, die da entstanden ist, annehmen und aufarbeiten.iese Menschen werden derzeit mit Morddrohungen be-egt. Ihre Fenster werden mit Steinen eingeworfen. Dieationalisten in Serbien sind nicht unsere Partner.
nsere Partner und Partnerinnen sind die Bürgerinnennd Bürger, die diese Zeit überwinden wollen, die auchreiheit und Demokratie wollen, die zu einem westli-hen demokratischen Europa gehören wollen. Ihnenollten wir die Tür öffnen. Die heutige Entscheidung istafür eine der Voraussetzungen.
Kollegin Beck, lassen Sie eine Zwischenfrage der
ollegin Knoche zu?
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN):
Es geht nicht darum: das Kosovo gegen Serbien. Viel-
ehr sollte die Europäische Union, die hoffentlich aus
em gelernt hat, was die 90er-Jahre des vergangenen
ahrhunderts in fürchterlicher Weise gekennzeichnet hat,
hre Tür sowohl für das Kosovo als auch für Serbien öff-
en.
Bitte, Frau Knoche.
Das war sehr geschickt für die Verlängerung der Re-ezeit.
Die Frage hatte ich vorher schon gestellt.
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Wenn ich auch erkennen muss, Frau Kollegin Beck,
dass Sie sich in Ihrer Rede sehr stark auf die Vergangen-
heit von 1999 beziehen
und nicht auf die jetzt zu regelnde Frage eingehen, die ja
eine völkerrechtsrelevante ist, möchte ich Sie fragen:
Können Sie dem Argument etwas abgewinnen, dass auf-
grund des völkerrechtswidrigen Vorgehens – Sie wissen
selber, auf welch tönernen Füßen die rechtliche Regie-
rungsargumentation steht; wir haben das Recht auf terri-
toriale Integrität bei der OSZE, beim Völkerrecht usw. –,
aufgrund dessen, was den Kosovo-Albanern auf ihr Be-
gehren hin von westlicher Seite seit Jahren versprochen
worden ist, auf beiden Seiten Nationalismen aufgewach-
sen sind, die sich heute gefährlich entladen können, und
dass die demokratischen Kräfte, die es in Serbien gibt
und die ich sehr schätze,
geschwächt werden, indem man einseitig dem Nationa-
lismus das Prä gibt? Teilen Sie die Auffassung, dass Ex-
tremismus wächst, wenn man sich außerhalb des Völker-
rechts zu solchen Entscheidungen zusammenfindet?
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Extremismus wächst in der Tat, wenn Recht nicht be-
achtet wird.
Nur, es gibt nicht immer ganz klare völkerrechtliche
Auflösungen. Das ist das Dilemma, mit dem wir zu tun
haben. Das Vermächtnis von Kofi Annan ist: Entwickelt
das Völkerrecht endlich weiter!
Nehmen Sie folgendes Beispiel: Die Sozialistische
Republik Vietnam ist im Jahr 1978 über die Grenze nach
Kambodscha gegangen
und hat dort dem Mordregime Pol Pots, das innerhalb
weniger Jahre 1,8 Millionen Menschen umgebracht
hatte, ein Ende bereitet. Es gab keine klare völkerrechtli-
che Grundlage für die Entscheidung, die die Sozialisti-
sche Republik Vietnam in jenem Jahr gefällt hat. Trotz-
dem würde ich sagen: Sie war richtig; denn sie hat
Verbrechen beendet.
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Wir haben als Vorgabe der UNO zwei Grundsätze.
ir haben einmal den Grundsatz, dass es eine Integrität
er Grenzen geben soll.
ir haben aber auch den Grundsatz, dass Genozid zu
erhindern ist. Das Verhältnis dieser beiden Grundsätze
st im Völkerrecht bisher nicht eindeutig geklärt.
Was Kofi Annan uns als Vermächtnis gegeben hat,
ämlich: Responsibility to protect, ist die Aufgabe, Völ-
errecht so weiterzuentwickeln,
ass wir zukünftig eine sicherere und festere Grundlage
aben, auf der wir uns bei solchen Konflikten bewegen
önnen.
Schönen Dank.
Das Wort hat der Kollege Gert Weisskirchen für die
PD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!vo Andrić hat in seinem Buch „Die Brücke über dierina“ lakonisch knapp daran erinnert, was das Problemerbiens und der gesamten Region ist. Die aneinander-eketteten Schicksale der Völker des Balkans leiden da-an, so heißt es: Von West nach Ost ist in jedem Punkteeilung.Das ist das, was die Menschen in dieser Region mit-inander verbindet – an Leid, an Angst, an Schreckennd an geschichtlicher Last, unter der sie manchmal fastusammenbrechen.Heute, jetzt gerade erleben wir die schwere Geburtes schwierigsten staatlichen Gebildes der jüngsten eu-opäischen Geschichte. Immer schon war Kosova, dasmselfeld, historischer Kampfplatz für Identitätspolitik.u selten vereinigten sich unterschiedliche politischensprüche auf gemeinsame Ziele. Häufig richteten sieich gegeneinander. Und das Schlimmste: Gewalt explo-ierte viel zu oft.Verheerend waren die Folgen ebenjener Gewaltaus-rüche. Zuletzt zwang – liebe Kollegin Knoche, das dür-en Sie nicht vergessen – Milošević den Kosovo-Alba-ern seine nationalistische Diktatur auf. Wir erinnernns doch alle noch an Ibrahim Rugova, diesen freundli-hen, offenen, liberalen Kosovaren, der mit seiner inne-
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Gert Weisskirchen
ren Leidenschaft zum Pazifismus versucht hat, friedlichzu helfen, damit das Kosovo anders leben kann, als esunter der Diktatur hat leben müssen. In einem Schatten-reich, wie es der Kollege Trittin richtig gesagt hat, in ei-nem inneren Exil mussten die Kosovo-Albaner leben.Sie waren gewaltsam unterdrückt.Man darf auch die furchtbare Zeit der ethnischen Ver-treibung nicht vergessen, wenn hier über das Kosovo ge-redet wird, Frau Knoche.
– Nun reden Sie das nicht ab. Warum sagen Sie hierdann nicht, dass Milošević genau an diesem Punkt dieZukunft des Kosovo innerhalb Serbiens verspielt hat? Erwar es, der durch den Einsatz dieser ungeheuren Gewaltgegenüber den Kosovaren genau die Chance verspielthat, die bei einem anderen Zusammenschluss Serbiensund des Kosovo hätte möglich werden können. Er hat esverspielt!
Wissen Sie, was meine wirkliche Sorge ist? Wir wer-den es morgen auf den Straßen Belgrads sehen. Meinewirkliche Sorge gilt denjenigen, die daraus einenSchluss gezogen haben, den serbischen Demokraten, dieden Schluss gezogen haben, ihn loszuwerden, sichdurchzukämpfen gegen Milošević. Wo waren Sie dennda? Ich erinnere mich gut: Gregor Gysi hat bis zuletztversucht, mit Herrn Milošević zu reden.
Haben Sie das vielleicht vergessen? Ich habe es nichtvergessen.
Ich möchte noch hinzufügen, dass zu jenem Zeitpunkt– auch das gehört zur historischen Wahrheit – die USAversucht haben, Zoran Djindjic, der nachher der Wich-tigste war, an die Seite zu drücken und auf VukDrašković zu setzen.
Herr Weisskirchen, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Gehrcke?
Bitte schön.
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Man muss das ertragen können. Das sollten Sie zumin-
est unterstellen, und davon sollten Sie ausgehen.
Das sind unglaublich dumme Zwischenrufe. Ange-
ichts dieser ernsthaften Debatte vom Wiederaufbau der
auer zu reden, sollte sich angesichts der Würde dieses
auses von selbst verbieten. Das sage ich Ihnen in aller
rnsthaftigkeit.
Ich sage Ihnen auch in aller Ernsthaftigkeit: Ich
laube, dass an Ihrer Feststellung, dass Milošević die
ukunft Serbiens einschließlich des Kosovo verspielt
at, sehr viel dran ist. Ich sage Ihnen aber genauso ernst-
aft, dass der Versuch von Gregor Gysi, in letzter Minute
ilošević klarzumachen: „Wer die UNO nicht will, wird
ie NATO erhalten, wird einen Krieg erhalten“, leider
escheitert ist. Wäre er erfolgreich gewesen, wäre sehr
iel Leid erspart geblieben.
ch finde, darüber kann man in historischer Ernsthaftig-
eit miteinander reden.
Jetzt habe ich ganz vergessen, was ich fragen will. Es
st das Übliche: Können Sie das verstehen?
Lieber Kollege Gehrcke, manche von uns sind ja inieser Debatte befangen. Walter Kolbow hat eben daraufingewiesen; ich darf das für mich selber auch sagen.Ich habe mit Zoran Djindjic noch wenige Tage voreinem Tod gesprochen. Ich habe sehr genau in Erinne-ung, was ihn bewegt hat. Ihn hat die Frage bewegt, wieas demokratische Serbien es schafft, diese Schrankees Nationalismus zu durchbrechen, für die Miloševićtand.
Das war zwar eigentlich eine Maskerade. Miloševićar nämlich vorher Kommunist, und als er meinte, es
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Gert Weisskirchen
gehe nicht mehr anders, hat er eine Maske aufgesetzt,nämlich die Maske des Nationalisten.
Mit solchen Leuten ernsthaft zu verhandeln – verdammtnoch mal –, auf diese Idee kann niemand kommen, derwirklich versuchen will, Demokratie in diesem Landedurchzusetzen. Wie man so etwas tun kann, kann ichüberhaupt nicht verstehen.
Nein, Zoran Djindjic hat ganz deutlich gesagt, worumes geht. Es ist die europäische Bestimmung Serbiens,Demokratie von unten aufzubauen und dieses Land mitseiner unendlich schweren Last der Geschichte in dieEuropäische Union zu führen. Er wusste sehr genau– das hat er auch in diesem Gespräch gesagt –, wer denPreis dafür zu bezahlen hat. – Zehn Tage später wurde ererschossen.Das, was in Serbien nun geschieht – das lege ich unsallen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ans Herz; eswurde in dieser Debatte ja schon häufig angesprochen –,muss uns ganz ernst sein. Wir müssen all unsere Kräftezusammenlegen. So möchte ich gerne das aufnehmen,was der Kollege Krichbaum gesagt hat: Wir müssen jetztgemeinsam schauen, wie es uns gelingen kann, dass Ser-bien ebenfalls einen Weg in die Europäische Union fin-det.Zeiten wie diese können als Zeitbeschleuniger ge-nutzt werden. Richten wir einmal einen Blick in die ge-meinsame Zukunft. Wenn wir uns nun darum bemühen,die Architektur der Europäischen Union zugunsten die-ser schwierigen Region Südosteuropa zu vollenden,dann ziehen wir aus den Ereignissen den richtigenSchluss. Ansonsten kämen vielleicht andere Zeitbe-schleuniger zum Zuge, nämlich diejenigen, die zurück indie nationalistische Vergangenheit gehen wollen. DieserWeg führt aber in die Isolation. Wir wollen, dass Serbienin Zukunft gemeinsam mit uns europäische Verantwor-tung wahrnimmt. Wenn wir aus dieser Debatte diesenSchluss ziehen, dann wäre das, wie ich finde, genau derrichtige.
Nachdem ich vorhin schon Zoran Djindjic erwähnthabe, möchte ich auch gerne noch diejenigen, die mor-gen in Belgrad Reden vor vielleicht Zehntausenden vonMenschen halten, daran erinnern, was er vielleicht indieser Situation sagen würde, wenn er denn auf dieserDemonstration sprechen könnte. So darf ich zitieren,was er in einer großen Rede in Zürich im Oktober 2002,also wenige Monate vor seinem Tod, ganz deutlichsagte:Was soll eine große mobilisierende Idee sein, diestark genug ist, das Positive im Menschen zu bewe-gen? Man kann Menschen nicht bewegen mit einA–StgcnaMksdlgbUkwSdzutdMsstAcw
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Thomas
ilberhorn das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Geradeie ausgewogenen Beiträge in dieser Debatte haben ge-eigt: Wir haben keine optimale Lösung für das Kosovo,nd es gibt sie auch nicht. Wir haben auch keine endgül-ige Lösung aller Fragen; aber es musste jetzt entschie-en werden.Deshalb möchte ich in Erinnerung rufen, dass alleöglichkeiten einer einvernehmlichen Verhandlungslö-ung im Hinblick auf den Status des Kosovo ausge-chöpft worden sind, unter maßgeblicher deutscher Be-eiligung in der Troika, die leider ergebnislos geendet ist.uch wenn nun Staaten wie Russland und andere versu-hen, eine Statuslösung zu blockieren, wird das nichteiterführen. Ich darf daran erinnern, dass erst kürzlich,
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Thomas Silberhornam 6. Januar, UN-Generalsekretär Ban Ki-moon geäu-ßert hat, der Status quo im Kosovo könne jedenfallsnicht aufrechterhalten werden; eine weitere Verzögerungder Statusfrage würde noch zusätzlich Konfliktpotenzialschüren. Deswegen ist die Unabhängigkeit des Kosovojetzt die vernünftigste und politisch wohl einzig tragfä-hige Lösung, meine Damen und Herren.Die Unabhängigkeit ist – darauf muss mit aller Deut-lichkeit hingewiesen werden – eine direkte Folge derschweren Menschenrechtsverletzungen, der Massenver-treibungen von Albanern aus dem Kosovo durch Serbienunter Milošević.
Diese schweren Menschenrechtsverletzungen begrün-den, dass wir im Kosovo einen Sonderfall haben. Dassdiese schweren Menschenrechtsverletzungen gegenwär-tig nicht mehr vorkommen, weil zwischenzeitlich eineVerhandlungslösung angestrebt worden ist, die im Er-gebnis leider erfolglos geblieben ist, unterbricht nichtden direkten Zusammenhang, dass diese der Grund dafürwaren, dass eine andere Lösung nicht möglich war undim Ergebnis das Kosovo einseitig seine Unabhängigkeiterklärt hat.Diese Unabhängigkeitserklärung schreibt einen Zu-stand fest, der bereits politische Realität ist, nämlich dassSerbien seit der Errichtung eines internationalen Protek-torats unter UN-Verwaltung durch die Resolution 1244keinen direkten Einfluss mehr auf das Kosovo ausübt.Meine Damen und Herren, die Verhandlungen derTroika mögen im Blick auf das Verhandlungsziel zwarerfolglos gewesen sein; aber sie sind nicht ohne Ergebnisgeblieben. Ergebnis dieser Verhandlungen ist immerhin,dass beide Seiten ausdrücklich einen Gewaltverzicht er-klärt haben, und Ergebnis dieser Verhandlungen ist wohlauch, dass sie innerhalb der Europäischen Union denBoden dafür bereitet haben, eine gemeinsame Grundlagefür die nationalen Entscheidungen über die Anerken-nung eines unabhängigen Kosovo zu finden. Deswegen,meine ich, wird dadurch jetzt auch eine Basis gelegt, umden Balkan dauerhaft stabilisieren zu können. Das jeden-falls muss unser gemeinsames übergeordnetes Ziel sein.Die Unabhängigkeit des Kosovo ist dazu nur ein ers-ter Schritt. Es liegt jetzt vor allem am Kosovo selbst, zuzeigen, dass es zum Aufbau stabiler staatlicher Struktu-ren in der Lage ist, bei Verwaltung und Justiz, bei derBeachtung von Minderheitsrechten und bei der Aus-übung polizeilicher Hoheitsgewalt im gesamten Staats-gebiet. Das muss im Ergebnis erreicht werden.Die Europäische Union leistet dazu vielfältige Unter-stützung gemeinsam mit anderen Staaten: mit der Ent-sendung der Polizei- und Rechtsstaatsmission, die imEinvernehmen mit allen EU-Mitgliedstaaten beschlossenworden ist, mit der Ernennung eines Sonderbeauftragten,mit der Errichtung der internationalen Verwaltungsbe-hörde sowie mit finanzieller und wirtschaftlicher Unter-stützung. Kurzum: Die Leistungen der EuropäischenUnion zeigen, dass wir die Stabilisierung des Balkans alsunsere eigene Aufgabe begreifen. Denn wenn sie nichtgFUbEdAnmelKdEvLrddgrTgTwlsaansL–PwgtdEWalSwGnbmdkn
Ich begrüße es, dass wir neben der Europäischennion eine breite internationale Präsenz im Kosovo ha-en werden: die NATO, die OSZE, die Weltbank, deruroparat und andere. Insbesondere der KFOR-Missioner NATO wird in den nächsten Monaten die wichtigeufgabe zukommen, einen friedlichen Übergang zu ei-er kosovarischen Verwaltung sicherzustellen. Es istehr als eine Fußnote, dass beispielsweise Spanien, dasine Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo ab-ehnt, ausdrücklich seine Bereitschaft erklärt hat, an derFOR-Mission weiter mitzuwirken.Es kommen nun gewaltige Herausforderungen aufas Kosovo zu. Es darf nicht dauerhaft am Tropf deruropäischen Union hängen, sondern – das ist die Ziel-orstellung – muss mit unserer Unterstützung in dieage versetzt werden, Staatsgewalt auf dem eigenen Ter-itorium effektiv ausüben zu können. Das Kosovo mussen Anspruch haben, selbstständig lebensfähig zu wer-en. Dazu bedarf es gewaltiger Anstrengungen. Ichlaube, dass es wichtig ist, das jetzt exakt zu formulie-en. Wer nämlich in der Erwartung, dass großalbanischeräume irgendwann diskutiert werden könnten, Anstren-ungen hintanstellt, dem muss man sagen, dass solcheräume die jetzt erklärte Unabhängigkeit infrage stellenürden. Dorthin kann kein Weg führen. Das muss deut-ich gesagt werden.Eine der ersten Aufgaben für das Kosovo wird esein, eine Verfassung zu entwerfen. Ich hoffe und regen, dass insbesondere der Schutz der Minderheiten darinusdrücklich Berücksichtigung findet. Das Kosovo mussach internationalen Standards die eigenen Minderheitenchützen sowie das kulturelle und christliche Erbe desandes bewahren.Ich denke, wir sind uns darin einig, dass das Kosovowie der gesamte westliche Balkan – eine europäischeerspektive braucht. Das gilt auch für Serbien, auchenn in den nächsten Wochen diplomatische Spannun-en wohl unvermeidlich sein werden. Ich rufe die poli-isch Verantwortlichen gerade in Serbien und insbeson-ere die junge Generation auf, die Annäherung an dieuropäische Union nicht aus dem Auge zu verlieren.ir haben bislang weitgehend besonnene Reaktionenus Serbien verzeichnen können, die zumindest hoffenassen, dass es eine tragfähige Kooperation zwischenerbien und der EU geben kann.Allerdings muss deutlich gesagt werden, dass die ge-altsamen Aktionen, die jetzt an Zollposten an derrenze zum Kosovo stattgefunden haben, nicht hin-ehmbar sind. Wenn der für das Kosovo zuständige ser-ische Minister erklärt, dass diese Aktionen im Einklangit der allgemeinen Regierungspolitik Serbiens stünden,ann muss man ihn sehr deutlich an den ausdrücklich er-lärten Gewaltverzicht der serbischen Regierung erin-ern.
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Thomas Silberhorn
Insbesondere die kürzlich abgehaltenen Präsident-schaftswahlen in Serbien zeigen, dass eine Mehrheit derserbischen Bevölkerung sehr wohl die Integration ineuropäische Strukturen anstrebt und sich ausdrücklichgegen Isolation ausgesprochen hat. Das gilt besondersfür die junge Generation. Daran sollten wir anknüpfen.Die Europäische Union hat ganz konkrete Vorschlägeunterbreitet: ein politisches Abkommen hinsichtlich ei-ner Liberalisierung des Visaregimes und der Abschlusseines Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens.Kurzum: Die Stabilisierung des Balkans wird nurdurch eine solche Annährung an die Europäische Uniongelingen. Eines Tages wird man die Grenzen aufgrundder Integration in die Europäische Union überwindenkönnen. Das muss unser gemeinsames Ziel sein. Darinliegt unsere gemeinsame Zukunft.Vielen Dank.
Der Kollege Ernst-Reinhard Beck aus der Unions-
fraktion hat nun das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-ginnen und Kollegen! Die Unabhängigkeitserklärungdes Kosovo ist – das sage ich ganz bewusst – der logi-sche und folgerichtige Abschluss einer politischen Ent-wicklung, die durch die serbische Unterdrückungs- undGewaltpolitik unter Milošević ausgelöst wurde. Der Ver-bleib im oder die Rückkehr in den serbischen Staatsver-band waren der großen Mehrheit der kosovarischen Be-völkerung nicht mehr zuzumuten. Die Bilder von Fluchtund Vertreibung des Jahres 1999 sind nicht nur uns, son-dern auch dort noch in schrecklicher Erinnerung.Bedauerlich ist – das wurde vorhin angesprochen –,dass in Belgrad nun die Demokraten die Suppe auslöf-feln müssen, die ihnen der Diktator Milošević einge-brockt hat. Wir alle hätten uns eine einvernehmlicheLösung gewünscht. Eine solche war aber – dies wurdemehrfach gesagt – wegen der Haltung Russlands leidernicht möglich.Der Schritt in die Unabhängigkeit gibt daher dieserim Durchschnitt sehr jungen Bevölkerung Hoffnung aufeine bessere Zukunft und endlich eine Perspektive. DieAnerkennung gerade auch durch Deutschland ist einwichtiger Beitrag und ein ermutigendes Signal.Gleichwohl bedarf die Entwicklung des Kosovo hinzu einer stabilen Demokratie weiterhin der politischenBegleitung durch die internationale Staatengemein-schaft. Es ist daher gut und richtig, dass die EU das Ko-sovo auf der Grundlage der im Ahtisaari-Papier enthalte-nen Vorschläge auch in Zukunft begleitet. DeutschlandsBsKScDsuh8gegzdbrbFNidZkmwDHdlBgfmTfseSbndhsiDlk
ie Soldaten – in den Kontingenten waren im Durch-chnitt 6 500 und jetzt am Schluss 2 800 präsent – habennseren Dank und unsere Anerkennung verdient. Ichabe es einmal hochgerechnet: Seit 1999 waren über4 000 deutsche Soldatinnen und Soldaten in 30 Kontin-enten im Einsatz. Sie waren es, die durch die Aufrecht-rhaltung der Ordnung und der Sicherheit den Rahmenebildet haben, innerhalb dessen die Aufbauarbeit derahlreichen Hilfsorganisationen überhaupt erst stattfin-en konnte.Nicht zuletzt leisteten Soldaten der Bundeswehr vor-ildliche Arbeit im humanitären Bereich, beim Minen-äumen und beim Wiederaufbau unzähliger Häuser. Ne-enbei sammelten Soldaten in Deutschland und imeldlager kontinuierlich Sach- und Geldspenden, um dieot der Bevölkerung zu lindern. Wenn das Kosovo nochmmer die einzige Region in Europa ist, wo nicht einmalie Stromversorgung funktioniert und in der fast jederweite arbeitslos ist und mehr als ein Drittel der Bevöl-erung mit weniger als 1,50 Euro pro Tag auskommenuss, dann lag dies nicht an den Soldaten der Bundes-ehr.Auch die Übergangsverwaltung der UNMIK mit demeutschen Dr. Rücker an der Spitze verdient Dank.ierbei ist auch der wichtige Beitrag zu erwähnen, deneutsche Polizeibeamte in diesem Zusammenhang ge-eistet haben.
Trotz gelegentlicher Rückschläge, im März 2004 zumeispiel, ist KFOR die schwierige Stabilisierung der Re-ion gelungen. 16 000 Soldaten sind für diese NATO-ge-ührte Mission mit UN-Mandat im Einsatz; 2 317 kom-en aus Deutschland. Sie gehören zur multinationalenaskforce Süd in Prizren, an der übrigens ganz zu An-ang auch ein russisches Bataillon beteiligt war; an die-er Stelle sollte man vielleicht einmal daran erinnern.Nach der Ausrufung der Unabhängigkeit herrschtine prekäre Sicherheitslage. KFOR wird zunächst denchutz der rund 100 000 im Kosovo verbliebenen Ser-en verstärken müssen und Übergriffe auf Grenzstatio-en, wie dies in den letzten Tagen geschehen ist, verhin-ern. Bereits im Vorfeld der jetzt eingetretenen Situationatte KFOR vor dem Hintergrund einer möglichen kri-enhaften Entwicklung und ziviler Unruhen im Kosovom Zusammenhang mit der noch offenen Statusfrage imezember Vorsorge getroffen, um in einer Krise mög-ichst abgestuft, flexibel und umfassend reagieren zuönnen.
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Ernst-Reinhard Beck
Das KFOR-Mandat des Bundestages wird am 11. Juni2008 auslaufen. Die Bundesrepublik unterstützt bereitsheute die EULEX-Mission – European Union Rule ofLaw Mission in Kosovo –, die mit über 1 800 Polizisten,Richtern, Staatsanwälten und Zollbeamten die größte zi-vile Operation der EU darstellen wird. Es ist zu hoffen,dass EULEX in nicht allzu ferner Zukunft eine weiteresignifikante Reduzierung der KFOR-Kontingente er-möglicht und vielleicht in noch fernerer Zukunft die Prä-senz von KFOR völlig überflüssig macht.Der Schritt in die Unabhängigkeit war, wie ich meine,unvermeidlich. Die Unabhängigkeit ist aber noch langenicht der Abschluss dieser Entwicklung. Im Gegenteil:Es wartet noch eine Menge Arbeit, vor allem auf die Ko-sovaren selbst. Der Weg wurde eingeschlagen. Wir dür-fen die Hoffnung der Bevölkerung des Kosovos auf einebessere Zukunft, auf Recht, Ordnung, Sicherheit undwirtschaftliche Prosperität nicht enttäuschen.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen DIE LINKE und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Fehlende Strategien der Bundesregierung in
der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und
Konsequenzen aus den Steuervergehen durch
Finanztransfers ins Ausland
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Fritz Kuhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Deutschland präsentiert sich in diesen Tagen alsein Land, an dessen Spitze von Gier zerfressene wirt-schaftliche Eliten stehen. Das muss uns Sorgen machen,weil es den sozialen und politischen Zusammenhalt inunserem Land gefährdet. Was soll sich eigentlich, so fra-gen wir uns, ein Hartz-IV-Bezieher denken, der beimAusfüllen eines Antrages einen kleinen Fehler machtund deswegen geschröpft wird, wenn er sieht, was dieZumwinkels dieser Republik veranstaltet haben?
Deswegen müssen die Bekämpfung der Steuerhinterzie-hung und das Trockenlegen von Steueroasen in dennächsten Monaten und Jahren Hauptaufgaben der deut-schen Politik sein.
Zurzeit kann man allerorten lesen, Steuerhinterzie-hung sei ein Volkssport. Wenn man die empirischen Da-ten beurteilt, scheint das richtig zu sein. Ich sage IhnenaddrdPddstdmzzSasAkAlktdkndwtvdtzhSWdwwhnfhd
ie müssen doch bedenken, was Sie mit Ihrem Geredenrichten.Logisch ist übrigens auch Oskar Lafontaine nicht. Erchlägt die Erhöhung des Spitzensteuersatzes vor, um dabhilfe zu schaffen; als hätte das etwas damit zu tun, alsönnte man damit Steuerhinterziehung verhindern!
llerorten wird zurzeit also relativ viel Blödsinn abge-iefert.
Wir werden natürlich schauen – das sage ich ganzlar –, ob das Verhalten und das Handeln des BND rich-ig war. Es ist in einer Demokratie übrigens ganz normal,ass man das in einem parlamentarischen Verfahrenlärt. Wir werden das in einer Art und Weise tun, die unsicht in den Verdacht bringt, die Steuerhinterziehung,erer Herr Zumwinkel beschuldigt wird, reinwaschen zuollen. Wir sehen darin einen ganz normalen parlamen-arischen Auftrag.
Als ich gestern gehört habe, wie der Erbprinz Aloison und zu Liechtenstein die Story verkündet hat, nacher ein großes, böses und grausames Land ein kleines, in-egres Land mit 30 000 Einwohnern angreift, habe ichuerst gedacht: Das kann nicht wahr sein. Diese Aussageält einer Betrachtung der Wirklichkeit aber nicht stand:eit 1995 ist Liechtenstein Mitglied im europäischenirtschaftsraum, mit allen wirtschaftlichen Vorteilen,ie das Land daraus schöpft, und die sind immens. Aberas tut es? Es agiert faktisch wie eine Räuberhöhle, ver-eigert jede Amtshilfe bei der Verfolgung von Steuer-interziehung und hat ein Stiftungswesen, das zur Ano-ymisierung beiträgt und nichts anderes ist als eine – ichormuliere es bewusst so hart – staatlich organisierte Bei-ilfe zur Steuerhinterziehung. Das sind die Fakten, umie wir nicht herumreden sollten.
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Fritz Kuhn
Kollege Westerwelle, der nicht anwesend ist, hättebesser überlegen sollen, als er die Einladung der liech-tensteinischen Regierung, am 5. Oktober des letzten Jah-res auf einer Tagung zu sprechen, angenommen hat. Ichzitiere den Titel der Tagung: „Veränderungen meistern:Erfolgsstrategien für Finanzplätze“. Da hätte er viel-leicht nicht sprechen sollen. Falls er das Honorar inHöhe von 7 000 Euro versteuert, kann man immerhin sa-gen, dass diese 42 Prozent eine kleine Rückführung vondem sind, was der liechtensteinische Staat so alles vondeutschen Steuerhinterziehern einkassiert hat.
Aber im Ernst. Ich will Ihnen jetzt zum Abschlusseinmal sagen, was wir tun müssen.Erstens. Wir müssen die Steuerfahndung in Deutsch-land stärken.
Wir müssen die Steuerverwaltung vom Kopf auf dieFüße stellen. Dies bedeutet eine Bundessteuerverwal-tung, weil die Länderkonkurrenz zur Schwächung derSteuererhebung in Deutschland führt.
Zweitens. Wir müssen uns in Europa stärker um eineHarmonisierung der Steuersätze bei allen vergleichbarenSteuern und der Bemessungsgrundlagen bemühen.Drittens. Wir brauchen ein Rechtshilfeabkommen mitLiechtenstein, das dazu führt, dass auch bei Steuerhinter-ziehung Amtshilfe geleistet werden muss. Denn das istgegenwärtig nicht der Fall.
Viertens. Wir müssen dafür sorgen, dass Liechten-stein seinen Aufgaben im europäischen Wirtschaftsraumnachkommt, nämlich erstens eine effektive Quellen-steuer zu erheben, wenn sie schon keine Kontrollmittei-lungen machen wollen, und diese zweitens auch auf Stif-tungskapitalien auszudehnen und nicht nur auf normaleZinserträge. Das wissen viele gar nicht: Bei den Zins-erträgen gibt es eine Miniquellensteuer, bei Anlagen mitZertifikaten und Stiftungen gibt es diese nicht.Fünftens und Letztens. Wir müssen in Deutschland,im Parlament, aber auch im Finanzministerium und beider Regierung, eine systematische Strategie entwickeln,mit der wir Schritt für Schritt dazu kommen, dass dieSteueroasen in Europa und in der Welt stillgelegt werdenkönnen.
Herr Kollege Kuhn, diese Strategie müssen Sie außer-
halb Ihrer Redezeit entwickeln.
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Das Wort hat der Kollege Otto Bernhardt für die Uni-
nsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollegeuhn, Sie fordern hier eine Strategie der Bundesregie-ung, um den Eindruck zu erwecken, als passierte nichts.
ie selber waren bis vor zweieinhalb Jahren in der Re-ierung, und zwar für viele Jahre. Ich frage: Was habenie denn damals gemacht?
Ich stelle fest, dass Steuerhinterziehung in Deutsch-and nicht, wie Sie, Herr Kollege, gesagt haben, ein Ka-aliersdelikt ist. Steuerhinterziehung bedeutet: Die Steu-rn, welche derjenige, der sie eigentlich zahlen müsste,icht zahlt, müssen die anderen zahlen. Das ist ein Ver-toß gegen die Solidarität.
n Deutschland wird Steuerhinterziehung hart bestraft:is zehn Jahre Gefängnis und Gefängnisstrafe schon ab0 000 Euro. Dass dies nicht nur leere Worte sind, zei-en die Zahlen. In jedem Jahr haben wir in Deutschland0 000 Verfahren, 17 000 Strafverfahren; über 1,5 Mil-iarden Euro kommen über diesen Weg rein. Die Steuer-ahndung in Deutschland funktioniert.Einige geben jetzt den Oasen die Schuld. Wir müssentwas tun, dass es möglichst keine Oasen gibt. Ichlaube, es gibt drei in Europa. Andere geben jetzt demteuersystem die Schuld. Nein, Schuld haben nicht dieasen, und Schuld hat nicht das Steuersystem. Schuldaben diejenigen, die die Oasen nutzen oder vor unse-em Steuersystem weglaufen. Das sind die eigentlichchuldigen. Das muss man meines Erachtens in jederebatte mit aller Deutlichkeit betonen.
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Otto BernhardtEs ist natürlich populär, die Reichen, die mehr Steuernzahlen, zu verteufeln. Das macht sich gut, und man be-kommt von bestimmten Teilen dieses Hauses Applaus.Nur, meine Damen und Herren, auch in dieser Debattedürfen wir nicht übersehen: Die Mehrzahl der Deutschenzahlt ehrlich ihre Steuern.
Ich will bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen: Die10 Prozent der Bevölkerung, die am meisten verdienen,zahlen 50 Prozent des Steueraufkommens; das könnensie auch.
– Ja, ich meine die Einkommensteuer. – Die 50 Prozent,die am meisten verdienen, zahlen insgesamt 90 Prozentdes Einkommensteueraufkommens. Das heißt im Um-kehrschluss: Die 50 Prozent, die am wenigsten verdienen,zahlen insgesamt nur zehn Prozent des Einkommensteu-eraufkommens. Daher warne ich vor der Verteufelung derReichen. Denn Reiche können sich der Steuerzahlung inDeutschland ganz legal entziehen;
dafür gibt es viele Beispiele. Sie suchen sich einen ande-ren Wohnsitz, und dann sind sie weg. An dieser Stellemüssen wir ansetzen.Denjenigen, die vor diesem Hintergrund meinen, dieAbgeltungsteuer infrage stellen zu müssen – ich binfroh, dass das Ministerium diesen Weg nicht mitgeht –,muss ich sagen: Die Abgeltungsteuer ist ein Beitrag, umsicherzustellen, dass in Zukunft mehr Geld in Deutsch-land bleibt. Deshalb haben wir sie eingeführt.
Jetzt spreche ich einen kritischen Punkt an, der michsehr nachdenklich gestimmt hat – das erinnert mich anVorverurteilungen, und ich frage mich, wer hierfür dieVerantwortung trägt –: Als die Steuerfandung frühmor-gens auftauchte, stand das Fernsehen schon vor der Tür.
Mit dieser Frage muss man sich beschäftigen. Wenn manmorgens um acht Uhr schon auf allen Programmen imFernsehen zu sehen ist, ist das eine Art Vorverurteilung.
Die Art und Weise, wie die Staatsanwaltschaft vorgegan-gen ist, ist aus meiner Sicht nicht korrekt. Denn inDeutschland gilt immer noch der Grundsatz: Bis zumEnde eines Prozesses gilt jeder als unschuldig.rGsnksFuznsgdkztstfvrPkgsdcskbvhAwse
Eine solche Vorverurteilung ist sicherlich nicht derichtige Weg. Deshalb sage ich: Wir werden, unsererrenzen bewusst, weiterhin alles tun, um die Steueroa-en trockenzulegen. Wunder darf man auf diesem Gebieticht erwarten. Ich vermute allerdings, die jetzige Dis-ussion führt dazu, dass in Deutschland noch mehr Men-chen als bisher zu ehrlichen Steuerzahlern werden.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch für die
raktion Die Linke.
Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damennd Herren! Zur Steuerhinterziehung gehören immerwei: derjenige, der die Steuern hinterzieht, und derje-ige, der zulässt, dass Steuern hinterzogen werden. Ichage Ihnen: Der Bundesfinanzminister und seine Kolle-en in den Ländern tragen die politische Verantwortungafür, dass in diesem Land Steuern hinterzogen werdenönnen.
Es wäre kein Problem, die grassierende Steuerfluchtu beenden, wenn die Finanzminister es wirklich woll-en. Doch das wollen sie gar nicht. Ein aktuelles Bei-piel: Der Bundesrechnungshof, also nicht unsere Frak-ion,
orderte den Finanzminister auf, erstens bei Einkünftenon mehr als 500 000 Euro eine Pflicht zur Aufbewah-ung privater Belege durchzusetzen und zweitens dieflicht zur Begründung von Außenprüfungen bei Ein-ommensmillionären aufzuheben. Wir finden, das sindute Vorschläge. Doch der Finanzminister hat diese Vor-chläge mit der Begründung zurückgewiesen, die Bun-esregierung wolle die Bürokratie abbauen.
Es ist schon erstaunlich: Wenn es um die Überwa-hung von Arbeitslosengeldempfängern geht, danncheut die Bundesregierung keine noch so hohen büro-ratischen Hürden und keinen Aufwand, um herauszu-ekommen, ob ein Arbeitsloser vielleicht 10 Euro zuiel bekommen hat. Ich nenne Ihnen eine Zahl: Inner-alb eines Jahres stieg die Zahl der Sanktionen gegenrbeitslose um 58 Prozent. Allein im September 2007urden 138 700 Sanktionen gegen Arbeitslose ausge-prochen. Welch ein bürokratischer Aufwand und welchin Widerspruch!
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2008 15211
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Dr. Gesine LötzschWenn es um Sanktionen gegen Einkommensmillionäregeht, dann fürchtet der Finanzminister allerdings plötz-lich die anwachsende Bürokratie.Egal welches Politikfeld man betrachtet – ob dieSteuer- oder die Arbeitsmarktpolitik –, muss man fest-stellen: Die Bundesregierung denkt in klaren Strukturen.Die, die nichts haben, werden schikaniert und gedemü-tigt, und die, die im Geld schon fast ersticken, den Halsnicht voll bekommen und Tag und Nacht darüber nach-denken, wie sie das Geld am Finanzamt vorbei ins Aus-land schmuggeln können, werden von der Bundesregie-rung gehätschelt und, solange sie nicht erwischt werden,als leuchtende Vorbilder mit Preisen und Ehrungen über-häuft. Das ist wirklich eine Beihilfe zur Steuerhinterzie-hung.
Die Untätigkeit der Finanzminister hinsichtlich der Prü-fung von Einkommensmillionären ist eine Beihilfe zurSteuerhinterziehung. Damit muss Schluss sein.
Es ist doch geradezu unglaublich, dass sich der Fi-nanzminister dafür feiern lässt, dass er 5 Millionen Euroan einen Informanten gezahlt hat, um an die Informatio-nen zu kommen. Hätte er seinen Job als Finanzministerordentlich gemacht, dann müsste er erstens nicht auf dieArbeit von Geheimdiensten zurückgreifen und zweitensnicht 5 Millionen Euro an Steuergeldern ausgeben.Bei der Steuerprüfung 2006 wurden aufgrund der Prü-fung von Steuerpflichtigen mit bedeutenden Einkommenpro Fall zusätzlich knapp 150 000 Euro eingenommen.Bei diesen Ergebnissen fragt sich doch jeder, warum esso wenige Prüfer gibt. Warum wurde zum Beispiel HerrZumwinkel nicht geprüft? Sie müssen es sich einmalvorstellen: Dieser Multimillionär hatte noch nicht einmalseinen Sparerfreibetrag ausgeschöpft. Das roch dochschon förmlich nach Steuerhinterziehung. Doch dortwurde nicht geprüft.
Man hat also den BND zurate gezogen und zusätzliche5 Millionen Euro an Steuergeldern ausgezahlt. Dabeihätte doch jeder Prüfer, der es hätte sehen wollen, sehenkönnen, was da lief. Warum gibt es also so wenige Prü-fer?
– Sie verteidigen solche Herrschaften. Das haben wir jagerade gehört. Herr Kollege, durch Ihren Zwischenrufhaben Sie das sehr deutlich gemacht.
Die Antwort ist ganz einfach: Die Einkommensmillio-näre gelten bei CDU und SPD als die Elite der Gesell-schaft. Die möchten Sie natürlich auf keinen Fall ver-schrecken.VscrVdSuaNdKbwVdfSTrughflwnWfhltS
Es ist deutlich: Die politische Verantwortung für dieerhinderung von Steuerhinterziehung liegt hier in die-em Hause. Hier in diesem Hause müssen die entspre-henden Beschlüsse gefasst werden. Wenn wir uns da-auf verständigen, endlich einmal die Steuerprüfer in dieerantwortung zu nehmen und die Anzahl der Prüfereutlich zu erhöhen, dann hätten wir auch mehr Geld imtaatssäckel
nd dann könnte sich auch die verehrte Kollegin Künastus Berlin ihre unqualifizierten Zwischenrufe sparen.Vielen Dank.
Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin
icolette Kressl.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Wir führen heute sicherlich eine wichtige De-atte, aber, Frau Kollegin Lötzsch, sie sollte schon einenig von Sachkenntnis geprägt sein.
Dazu gehört zum Beispiel auch, zu wissen, dass dieerantwortung dafür, wie viele Steuerfahnder es gibt, beien Ländern liegt und dass die Umsetzung und Durch-ührung der Gesetze Aufgabe der Länder ist. Ich bitteie, hier nicht um der Polemik willen die grundlegendenatsachen unseres Föderalismus und unseres Steuer-echts völlig zu ignorieren. Das tut der Sache nicht gutnd hilft uns überhaupt nicht, zu einer sachlichen unduten Debatte zu kommen, die wirklich wichtig ist. Des-alb komme ich jetzt zur Debatte selbst.
Wir müssen diese Debatte wirklich auf drei Ebenenühren. Zum Ersten müssen wir sie auf der internationa-en Ebene führen. Das ist mit Sicherheit die wichtigste,enn auch die schwierigste Ebene, weil dabei traditio-ell natürlich sehr dicke Bretter gebohrt werden müssen.ir können hier nicht mit einer Gesetzgebung eingrei-en, sondern wir müssen verhandeln. Ich weise daraufin, dass gerade die deutsche Bundesregierung in denetzten Jahren auf internationalem Gebiet sehr oft initia-iv geworden ist, um in den Bereichen Steuerflucht,teueroase – wir haben kurz darüber gesprochen, ob
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Parl. Staatssekretärin Nicolette Kresslman den Begriff „Steueroase“ nicht in einen Begriff än-dern sollte, der nicht so positiv klingt –
und natürlich auch Zinsbesteuerung etwas zu erreichen.Zweitens muss es um die nationalen Handlungsmög-lichkeiten gehen, die zwar eingeschränkt sind, aber den-noch nicht vernachlässigt werden dürfen. Auch diesfinde ich im Zusammenhang mit dieser Debatte immernoch sehr wichtig.Zum Dritten ist es wichtig, zu diesem Punkt auchnoch einmal eine gesellschaftliche Debatte zu führen,weil es wichtig ist, zu erfahren, wie Steuerhinterziehungbewertet und in welcher Form sie geächtet wird.Ich beginne mit dieser gesellschaftlichen Debatte,weil ich mich in den letzten Tagen nicht des Eindruckserwehren konnte, dass es ab und zu den Zungenschlaggab, nicht mehr die wirklich Verantwortlichen, also die-jenigen, die Steuern hinterziehen, als die Schuldigen zubenennen; vielmehr wurden plötzlich Ausweichdebattengeführt. Das Steuersystem an sich oder die eine oder an-dere steuerliche Regelung als Schuldige zu benennen,gehört für mich ausdrücklich zu solchen Ausweichdebat-ten. Ich halte sie für schädlich, weil sie das falsche Si-gnal senden. Dazu sollten wir uns alle gemeinsam be-kennen.
Deshalb sage ich noch einmal ganz deutlich: Wer inDeutschland ansässig ist und dem Finanzamt gegenüberseine Einkünfte aus ausländischen Quellen nicht erklärt,begeht Steuerhinterziehung.
Wer als Stifter eine ausländische Stiftung gründet unddie Erträge, die ihm nach unseren Steuergesetzen zuzu-rechnen sind, dem Finanzamt gegenüber nicht erklärt,begeht Steuerhinterziehung. Wir sollten uns alle daraufverständigen, dies auch wirklich immer deutlich zu be-nennen.
Wie wir wissen, werden Einkunftsquellen, die zusteuerpflichtigen Einkünften führen, nicht wahllos insAusland verlagert. Einkunftsquellen werden oft gezieltin Staaten verlagert, in denen keine Steuern anfallenoder, wenn doch, man sie eher als Dienstleistungsgebührbezeichnen könnte. Der Anreiz der Nicht- oder Niedrig-besteuerung allein genügt jedoch nicht – mir ist es wich-tig, auch dies hier noch einmal deutlich zu machen –, umeinen Staat oder ein bestimmtes Gebiet zu einer attrakti-ven Steueroase für dort nicht ansässige Ausländer zumachen. Es müssen mindestens zwei weitere Bedingun-gen erfüllt sein, die Anonymität garantieren: erstens keinZugang zu Eigentümerinformationen und zu Bankinfor-mationen für Besteuerungszwecke und zweitens die Ge-währ, dass die Behörden des betreffenden Staates oderGebietes mit ausländischen Steuerbehörden nicht zu-sammenarbeiten und kein Auskunftsaustausch stattfin-dbzsmDatadzNttswtvügmcdswSGnrabrbbkssnDfABlbarwvDazg
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Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Volker
Wissing das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Kollege Kuhn, Sie haben darauf hingewiesen, dassHerr Westerwelle bei einer Tagung in Liechtenstein ge-wesen ist. Ich weiß nicht, was das mit dem Thema dieserAktuellen Stunde zu tun hat, aber es wäre sinnvoll gewe-sen, wenn Sie dann auch erwähnt hätten, dass OttoSchily, Joschka Fischer und der Vorsitzende des Finanz-ausschusses, Herr Oswald, bei einer solchen Tagung wa-ren. Herr Eigen von Transparency International warebenfalls bei einer solchen Tagung.Außerdem frage ich Sie, Herr Kuhn, ob das, was Sievorgetragen haben, ernst zu nehmen ist, nämlich dassman einerseits mit Liechtenstein Abkommen schließen,aber andererseits nicht hinfahren soll, um mit den Ver-antwortlichen vor Ort zu reden.
Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt, sonderneine Straftat. Wenn es um Millionenbeträge geht, dannist es eine sehr schwere Straftat. Daran gibt es keinenZweifel. Ich will an dieser Stelle betonen, dass es michwahnsinnig stört, wenn manche davon reden, es würdenSpielregeln verletzt oder es gehe um Steuersünder. Ver-letzt werden Strafvorschriften, und die handelnden Per-sonen sind Straftäter. Das sage ich in aller Deutlichkeit.
Ein Rechtsstaat kann es sich nicht leisten, so etwas zudulden, er kann es sich aber auch nicht leisten, dass derBundesnachrichtendienst in unkontrollierten, vielleichtrechtsfreien Räumen agiert. Deshalb muss das Vorgehendieser Behörde aufgeklärt werden.DNdEwSvnnsimzwSgmSmu1DsineVeSz„nBcdineSzdRlm
as rechtfertigt zwar keine Steuerhinterziehung, aberolche Beispiele machen deutlich, dass der Staat nichtmmer verantwortungsvoll mit dem Geld der Bürgerin-en und Bürger umgeht. Auch an dieser Stelle kann maninen Beitrag zur Steuermoral leisten. Auch dort ist eineorbildfunktion gefragt.
Wir haben die Bundesregierung gefragt: Wie steht esigentlich mit der Steuerverschwendung? Was macht dertaat dagegen? Denn auch Steuerverschwendung führtu Steuererhöhungen. Die Antwort lautete, der BegriffSteuerverschwendung“ sei der Umgangssprache ent-ommen und gehöre nicht zum Sprachgebrauch derundesregierung. Angesichts dessen verwundert man-hes nicht mehr. Wenn die Regierung Steuerverschwen-ung nicht kennt, wenn der Begriff noch nicht einmal inhrem Sprachgebrauch vorkommt, dann kann man auchicht dagegen vorgehen.
Die FDP begrüßt jedes sinnvolle und rechtsstaatlichinwandfreie Engagement der Bundesregierung gegenteuerhinterziehung. Man sollte sich aber auch der Frageuwenden, wie wir in Deutschland mit Steuerverschwen-ung umgehen. Der Bundesfinanzminister hat – zuecht – gesagt, er freue sich, dass mehrere Hundert Mil-ionen Euro Steuermehreinnahmen durch Aufklärungöglich sind.
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Dr. Volker Wissing– Herr Kuhn, was wollen Sie denn? Sie haben hier einepopulistische Rede gehalten und nichts zur Sache gesagt.
Nun rufen Sie dazwischen. Hören Sie doch einmal zu!Dann können Sie vielleicht noch etwas erfahren.
Ich will darauf hinweisen, dass die Finanzbehördenallein im Jahr 2005 auf 366 Millionen Euro freiwillig– gestundet oder erlassen – verzichtet haben. Bundeslän-dern wie Berlin, in denen Sie mitregieren, liebe KolleginLötzsch, wurden sogar besonders viele Steuern erlassen.Darüber müssen wir hier auch einmal reden. Wenn wirdie Bundesländer beim Steuervollzug erwischen, dasssie Standortpolitik machen, dass im Bereich der Steuer-fahndung Personal abgebaut wird, weil Mehreinnahmenim Länderfinanzausgleich verschwinden und die Kostenvor Ort hängen bleiben, dann besteht für uns Handlungs-bedarf.
Die Betrogenen sind auch an dieser Stelle die Bürgerin-nen und Bürger, die dann höhere Steuern zahlen müssen.Sie haben sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von derGroßen Koalition, kräftig zur Kasse gebeten.
Steuerhinterziehung ist eine Straftat, die zum Teil miterheblicher krimineller Energie begangen wird. Das lässtsich nicht entschuldigen und muss mit aller Konsequenzaufgeklärt werden. Aber die Lösung besteht nicht darin,populistische Parolen in die Welt zu posaunen, sonderndarin, die Ermittlungsbehörden – das sind die Staats-anwaltschaften und die Steuerfahnder – personell undsachlich so auszustatten, dass sie dieser Aufgabe nach-gehen können. Wir müssen uns aber auch mit der Fragebefassen, ob unser Steuersystem die notwendige Akzep-tanz hat. Wenn Sie bereit wären, mit uns über ein einfa-cheres und gerechteres Steuersystem mit niedrigerenSteuersätzen ernsthaft zu diskutieren und es auch umzu-setzen, könnten wir die Akzeptanz des Steuersystemsund die Steuermoral in Deutschland verbessern. DiesenBeitrag sollten wir leisten. Lassen Sie uns das gemein-sam tun.
Das Wort hat der Kollege Olav Gutting für die Uni-
onsfraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Wer die Bibel kennt, weiß: Schon Kaiser Augustushatte vor 2000 Jahren Schwierigkeiten, Steuern einzu-treiben. Auch im Mittelalter haben die Leute ihreSchweine und Hühner versteckt, wenn die Steuereintrei-ber des Königs kamen. Steuerhinterziehung ist also keinPlEbddsptiSsWdwMlR–eddutBrbiDOkrmPvDcfJGgdw
ichtig ist festzuhalten: Es sind nicht alle, sondern iner Regel einige wenige. Vor Pauschalverurteilungen,ie sie in den letzten Tagen und auch in den letzteninuten zu hören waren, sollten wir uns hüten.
Die Ursachen für den Betrug an der Gemeinschaft al-er in unserem Staat Lebenden sind vielfältig. In deregel ist es eine Mischung aus zu hoher Abgabenlastnicht nur Steuern –, sich bietenden Gelegenheiten undiner moralischen Schwäche. Eine ganz wichtige Rolleabei spielt auch das Gefühl des Steuerzahlers bezüglichessen, was mit seinem Geld passiert. Wer anständig istnd ehrlich Steuern zahlt, der möchte sein hart verdien-es Geld nicht in irgendwelchen Milliardenlöchern imundeshaushalt verschwinden sehen.
Die mittlerweile monströse Umverteilungsmaschine-ie, die wir in diesem Land in Jahrzehnten gezüchtet ha-en, gibt vielen Menschen gerade nicht das Gefühl, dasshr Geld beim deutschen Fiskus in guten Händen ist.
ieses Gefühl gibt es gerade bei denjenigen – Kollegetto Bernhardt hat es vorhin schon gesagt –, die alsleine Gruppe von weniger als 10 Prozent der Bevölke-ung mehr als die Hälfte des Einkommensteueraufkom-ens in Deutschland erwirtschaften. Viele haben dasrinzip „linke Tasche, rechte Tasche“ durchschaut underlieren darüber ihre Steuermoral.
ie Menschen wollen von ihrem Steuergeld verständli-herweise auch etwas sehen. Keiner zahlt gerne Steuernür vermeintliche Wohltaten des Staates aus den letztenahren oder aus der Vergangenheit. Auch aus diesemrund hat sich die Große Koalition ein wichtiges Zielesetzt, nämlich einen ausgeglichen Bundeshaushalt inen nächsten Jahren zu erreichen.Den Betrug am Staat, am Allgemeinwesen, werdenir nie völlig zurückdrängen können.
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Olav Gutting
Solange es Steuern und Abgaben gibt, solange wird esVersuche geben, deren Zahlung zu vermeiden.
Das soll nun nicht bedeuten, dass wir uns dem Schicksalder Steuerhinterziehung fügen. Selbstverständlich hatunser Staat, haben wir als Gesetzgeber die Pflicht, zuhandeln. Es ist zwischen tauglichen auf der einen unduntauglichen Mitteln auf der anderen Seite zu unter-scheiden. Klar ist: Steueroasen innerhalb Europas kön-nen nicht mehr geduldet werden. Liechtenstein, Monacound andere – hier ist die Europäische Union aufgerufen,die teilweise staatlich organisierte Steuerhinterziehungzu beenden und dieser einen Riegel vorzuschieben. Eswird weiterhin andere Steueroasen geben – CaymanIslands, Bermudas, Singapur –, aber Geld aus Deutsch-land dorthin zu bringen, ist lange nicht so bequem, wieeinfach zum Nachbarn zu marschieren. Wir, die GroßeKoalition, werden mit dem Austrocknen illegaler euro-päischer Steueroasen konsequent weitermachen.Untauglich sind hingegen höhere Strafen, die jetzt ge-fordert wurden.
Wir sollten hier nicht den Eindruck erwecken, dass Steu-erhinterzieher in Deutschland mit Samthandschuhen an-gefasst werden. Die Realität ist eine andere. Die Justizverhängt in der Regel empfindliche Strafen gegen er-tappte Steuersünder – und das völlig zu Recht. Hinzukommt noch die soziale Strafe, die die Betroffenen zu-sätzlich erfahren.
Noch sind nicht alle Einzelheiten der aktuellen Steuer-hinterziehungsfälle bekannt. Ich möchte hier daran erin-nern, dass in Deutschland immer noch die Unschulds-vermutung gilt. Eines – das ist wichtig – hat die aktuelleDebatte bereits heute gebracht, nämlich das Bewusst-sein, dass für eine funktionierende Gesellschaft auchMoral und Werte wie Anständigkeit und Gemeinsinneine Rolle spielen. Wer sich außerhalb des Gesetzes undder Gemeinschaft stellt, kann sich nicht als heimlich be-wunderter Steuerakrobat fühlen, sondern muss mit derÄchtung durch die Mehrheit der Ehrlichen rechnen.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Christine Scheel das Wort.
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as Volk ist empört, die Leute sind entrüstet darüber,as in Deutschland passiert, und der eine redet von ir-endwelchen Hausschweinen und Geflügel, und der an-ere hält hier eine Steuerhinterziehungsschutzrede.
a muss man sich wirklich fragen: Was ist los in diesemaus?
enn dann noch gesagt wird, es gebe soziale Strafennd diese seien furchtbar, dann heißt das, dass man nocherständnis für diejenigen hat,
ie seit Jahren Millionen in Steueroasen im Auslandchaffen. Das dürfen wir nicht dulden; denn es geht hierm Fairness und um Gerechtigkeit in dieser Gesell-chaft, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt undicht um ein soziales Verständnis für Leute, die ihr Geldns Ausland schaffen.
Ich sage, zur FDP und zu Teilen der CDU/CSU ge-andt: Steuerhinterziehung kann man nicht mit Steuer-enkungen vermeiden. Ich sage das ganz bewusst. Füriejenigen, die in den letzten Jahren die Möglichkeit hat-en, relativ gefahrlos keinerlei Steuern zu zahlen, wareniedrige Steuersätze kein Anreiz zur Ehrlichkeit.
uch das muss man an dieser Stelle einmal sagen. Wir,ot-Grün, haben damals eine großzügige Amnestierege-ung geschaffen. Sie haben später die Abgeltungsteuereschlossen. Doch all das reicht immer noch nicht.Diesen Steuerhinterziehern geht es nicht darum,5 Prozent Steuern zu bezahlen, sondern darum, höchs-ens etwas mehr als 0 Prozent Steuern zu bezahlen. Dasönnen wir nicht akzeptieren.
enau diese Leute erwarten von dem Land Bundesrepu-lik Deutschland nämlich, dass Straßen gebaut werden,ass Flughäfen bereitstehen, dass die Bundesbahn fährtnd dass Schulen gebaut werden. Wenn das geschehenst, überlegen sie sich: Welchen Beitrag möchte ich leis-
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Christine Scheelten? Sie entscheiden dann selbst, wie sie den Staat unter-stützen.Ich finde, wir haben ein gesundes Rechtssystem. Die-sem Rechtssystem darf sich niemand entziehen. Deswe-gen brauchen wir auch an dieser Stelle keine Strafen von15 Jahren – diese Forderung wurde übrigens auch ausden Reihen der CDU erhoben –; vielmehr müssen wirden bestehenden Strafrahmen vernünftig ausschöpfen.Darum geht es.
Damit es hier kein Missverständnis gibt: Es darf nichtsein, dass wir heute hier diese Debatten führen, dass dasnach außen dringt und dass eine hochemotional geführteDiskussion, wie sie in der Öffentlichkeit derzeit geführtwird, folgenlos bleibt. Deswegen erwarten wir Grünen,dass es ganz konkrete Maßnahmen gibt.
Fritz Kuhn hat konkrete Maßnahmen genannt. Er warbislang übrigens der Einzige, der dies hier getan hat.Bei uns sollten nicht nur die Zinsen einer Quellenbe-steuerung unterliegen, sondern auch Wertpapiererträgeund die Erträge von Stiftungen. Genau diesen Punkt ha-ben die Grünen seit Jahren angesprochen: Die Zinssteu-errichtlinie hat – auch wenn sie im europäischen Kontextnoch so gut gemeint war – Lücken.
– Sie können so viel dazwischenplärren, wie Sie wollen. –Sie haben darauf noch nie hingewiesen. Die FDP hatsich vielmehr immer hinter den Steuerhinterziehern ver-steckt.
Das ist doch Ihre Politik. Ich brauche mir hier gar nichtIhre blöden Zwischenrufe anzuhören.Uns geht es darum, dass Liechtenstein und andereSteueroasen Amtshilfe leisten, dass die Steuerschlupflö-cher gestopft werden und dass wir letztendlich zu mehrSteuerehrlichkeit insgesamt kommen.Ich sage Ihnen auch:
Es geht natürlich nicht, dass hinter jedem Bürger und je-der Bürgerin, hinter jedem Betrieb ein Betriebsprüferoder ein Steuerfahnder steht.
Es ist wichtig, dass wir in diesem Bereich mehr Personaleinstellen.bwevdlHmiebgsAFIhdesswdHsAbtnasnbwzBK
Der Kollege Ortwin Runde spricht nun für die SPD-
raktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ch weiß nicht, wie es Ihnen gegangen ist. Wenn manört, dass jemand, der 3 Millionen Euro im Jahr ver-ient, der noch Aktienoptionen hat, der im Leben richtigrfolgreich gewesen ist, muss man sich doch fragen, wieo jemand auf die Idee kommen kann, sein Lebenswerk,ein Ansehen, seinen Ruf aufs Spiel zu setzen. Das ist et-as, worüber man nachdenken muss.
In letzter Zeit häuft sich das unter den Managern unden Reichen. Es gilt, darüber nachzudenken, was derintergrund ist. Dazu muss ich sagen: Diese unmorali-chen Verhaltensweisen – die gibt es auch bei Boni oderbfindungen oder in Form der Steuerhinterziehung – ha-en ein bisschen mit der Entwurzelung dieser Leute zuun. Sie stellen sich außerhalb der Gesellschaft. Sie sindicht mehr im Wertesystem unseres Gemeinwesens ver-nkert. Diese Erscheinungsform in der Globalisierungtimmt tief nachdenklich.Die Tatsache, dass diese Leute gleichzeitig die Unter-ehmensleitbilder bestimmen, mit denen sie den Mitar-eiterinnen und Mitarbeitern beibringen,
ie sie sich redlich zu verhalten haben, als Vorausset-ung dafür nämlich, dass das Ganze funktioniert, ist eineankrotterklärung. Wir befinden uns in einer tiefenrise.
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Ortwin RundeHerr Wissing, in Ihrer Rede haben Sie gerade nocheingeräumt: Steuerhinterziehung ist eine Straftat; das istnichts, worüber man irgendwie hinwegkommen kann.
Aber dann haben Sie schon angefangen, alle Entschuldi-gungsgründe aufzuzählen. Sie haben gesagt: Man mussein bisschen Verständnis haben. Man muss bedenken,dass die so gequält werden.
Dann gibt es noch den Bund der Steuerzahler – oder, wieman ihn besser nennen könnte, den Bund der Steuerhin-terzieher –, der immer aufführt, dass die staatlichen Mit-tel nicht vernünftig eingesetzt werden.
Wir bräuchten wirklich ein etwas anderes Staatsbe-wusstsein. In Skandinavien etwa ist man stolz darauf,wenn man Steuern zahlt, weil man dann etwas für seinGemeinwesen, für die Zukunftsfähigkeit, für Bildungs-infrastruktur usw. leistet.
Für jede Scheißkinokarte wird ganz selbstverständlichgezahlt, aber für das Gemeinwesen will man hier nichtzahlen. Das ist schon eine merkwürdige Geisteshaltung.Da spielt auch der Professor aus Heidelberg eineRolle.
Den habe ich heute im Deutschlandfunk gehört. Mirstanden die Haare zu Berge! Er äußerte viel Verständnisund sagte: Wenn das Steuersystem einfacher wäre, dannhätten wir diese Steuerhinterziehung nicht. – Das sindwirklich merkwürdige Ansätze.
Wenn ich an die Zahl der Reden im Bundestag denke,in denen mangelnder Stolz auf den Staat und die staatli-che Leistung zum Ausdruck kommt, wird mir ein biss-chen klar, woher diese Erosion von Moral und Wertenkommt.
Wir alle können dazu beitragen, dass sich das ändert.Aber wer sich die Debatten der letzten Jahre vor Augenführt, erkennt: Wenn es darum ging, die Handlungsfä-higkeit des Staates in dem Bereich und besonders dieBekämpfung von Steuerhinterziehung zu verbessern,dann waren Sie von der FDP es, die gesagt haben: „Iden-titätsnummer, das gibt es nicht; Kontenabfrage, das gibtes nicht“ usw. usf. Ich könnte ein ganzes Register aufma-chen. Sie müssen mir einmal ein Beispiel dafür nennen,dfekgbta2hshmsbFFlDSddEurahvdVgtS5bnike
001 hatten wir in Hamburg noch 60 Steuerfahnder;eute sind es nur noch 49. Frau Scheel hat gesagt, wieich die Zahl der Verfahren verringert hat. Wir habeneute 20 Prozent weniger Steuerfahnder. Dann kann ichich aber nicht sonntags hinstellen und sagen: Wir müs-en die Raffkes bekämpfen.Es gilt, die Möglichkeiten des Staates wirklich zu ver-essern. Natürlich gehört dazu, eine Trutzburg wie dasürstentum Liechtenstein trockenzulegen.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Barbara Höll für die
raktion Die Linke.
Werte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-egen! Jede Form von Steuerhinterziehung ist kriminell.as stelle ich klipp und klar fest. Aber zur erfolgreichenteuerhinterziehung gehören immer zwei: einer, der dieafür nötige kriminelle Energie aufbringt, und ein Staat,er dies zulässt.Dank der Regierungspolitik der letzten Jahre sindinkommen und Vermögen in Deutschland zunehmendngleicher verteilt. Entsprechend wurden auch die An-eize und die Möglichkeiten zur Steuerhinterziehungusgebaut. Menschen ohne Einkommen, ALG-II-Bezie-erinnen und -Bezieher, unterliegen im Prinzip einerollständigen Kontrolle. Bei Arbeitseinkommen wirdie Lohnsteuer umgehend abgeführt. Aber Reiche undermögende haben in den letzten Jahren unter der rot-rünen und unter der Großen Koalition massive Entlas-ungen erfahren, beispielsweise durch die Senkung despitzensteuersatzes, der bei Helmut Kohl noch3 Prozent betrug und inzwischen nur noch 42 Prozenteträgt.Das reicht Betuchten wie Herrn Zumwinkel offenbaricht aus. Sie wenden viel kriminelle Energie auf, umhre Steuerpflicht auf eigene Faust noch weiter zu sen-en. Die Bundesregierungen haben dafür gesorgt, dassntsprechende Gesetzeslücken existieren.
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Dr. Barbara HöllMit der Abgeltungsteuer wird ab 1. Januar eine zusätzli-che große Lücke entstehen. Zukünftig werden insbeson-dere die Besserverdienenden ihre Kapitaleinkünfte– viele Menschen haben ja überhaupt keine – gar nichtmehr angeben. Damit erhalten die Finanzbehörden nichteinmal mehr einen Hauch von Informationen über dieKapitaleinkünfte. Nach Aussagen der Deutschen Steuer-Gewerkschaft führt oft aber nur eine Spur die Finanzbe-hörden zu nicht angezeigten Kapitaleinkünften. Zukünf-tig werden die Finanzbehörden vollständig im Dunkelntappen, und dafür sind Sie verantwortlich.
Glauben Sie etwa, dass durch die Abgeltungsteuerund die Senkung des Steuersatzes auf nur noch25 Prozent, wodurch Menschen mit geringen Kapitalein-künften mehr belastet und die mit hohen Einkünften zu-sätzlich entlastet werden,
Steuerhinterzieher veranlasst werden, jetzt auf einmaldie Steuern zu zahlen? Ich erinnere nur an den Flop vonHerrn Eichel mit der Steueramnestie. Es wurde verspro-chen, 4 Milliarden Euro kämen wieder herein, abernichts geschah.
Die Raffgier vieler Besserverdienender kennt offenbarkeine Grenzen.Das Problem der Steuerhinterziehung ist seit Jahrenbekannt. Grund hierfür ist natürlich die unterschiedlichhohe Besteuerung der Kapitaleinkünfte im internationa-len Bereich inklusive des Vorhandenseins von Steueroa-sen. Die Deutsche Steuer-Gewerkschaft geht davon aus,dass jährlich 400 Milliarden Euro illegal ins Auslandverbracht werden.
Daraus errechnen sich etwa 30 Milliarden Euro Steuer-hinterziehung pro Jahr.
Solange dieses internationale Steuergefälle existiert,wird es natürlich legal über Steuervermeidung und ille-gal über Steuerhinterziehung ausgenutzt werden. Aber– ein ganz großes Aber – die Bundesregierungen derletzten Jahre beteiligen sich doch an der Aufrechterhal-tung dieses internationalen Steuergefälles.
Deutschland ist die größte Volkswirtschaft in Europa,und wir hätten natürlich die Kraft, hier Druck auszu-üben. Aber seit 1998 werden immer wieder, sowohl vonRot-Grün als auch von der Großen Koalition, mit Hin-weis auf den internationalen Steuerwettbewerb die Steu-ersätze für Kapitaleinkünfte gesenkt. Das reicht HerrnZumwinkel offenbar nicht.duHkbzWaadAhkifnEsDhAsvdwdUprfDedSdlhEl
Lassen Sie mich abschließend einmal daran erinnern,ie die USA agiert haben. Die USA haben durchgesetzt,ass auch die Steueroase Liechtenstein gegenüber denS-Steuerbehörden alle Informations- und Zahlungs-flichten erfüllt, die aus der US-Quellensteuer herrüh-en; denn die USA haben Liechtenstein gedroht, andern-alls den Zugang zum US-Kapitalmarkt zu verwehren.ie USA haben ihre wirtschaftliche Macht entsprechendingesetzt. Warum bringen wir hier nicht endlich einmalen Mut auf, tatsächlich zu handeln? Dazu fordern wirie auf!Danke.
Das Wort hat der Kollege Dr. Hans Michelbach für
ie Unionsfraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol-egen! Deutschland ist kein Land von Steuerhinterzie-ern. Es geht hier zuvörderst um die kriminelle Energieinzelner, die rechtsstaatlich zu verfolgen sind. Natür-ich gibt es keine Rechtfertigung für Steuerbetrüger, aber
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2008 15219
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Dr. h. c. Hans Michelbachein Defekt unseres Wirtschaftssystems lässt sich aus die-sen kriminellen Machenschaften von Steuerbetrügernnach meiner Ansicht nicht ableiten. Den Versuch, beidesmiteinander in Verbindung zu bringen, wie wir ihn imMoment erleben, müssen wir gemeinsam im Interesseunserer sozialen Marktwirtschaft und unseres freiheitli-chen Rechtsstaates zurückweisen.
Nicht der mutmaßlich schwere Verstoß Einzelner ge-gen Steuergesetze ist die größte Gefahr für unsere frei-heitliche Wirtschaftsordnung. Ich bin mir ganz sicher:Damit wird unser Rechtsstaat schon fertig. Eine weitausgrößere Gefahr sehe ich in einer Diffamierungskampa-gne gegen unser Wirtschaftssystem, in der Äußerung ei-nes Generalverdachtes gegen die Wirtschaftstreibendenoder auch in einer pauschalen Hexenjagd gegen die Un-ternehmer, wie dies leider in diesen Tagen zu hören war.
– Sehen Sie, Ihre Wortmeldung zeigt ja, wessen GeistesKind Sie sind. – Ich warne ausdrücklich vor Pauschal-verurteilungen der sozialen Marktwirtschaft und der gro-ßen Masse der verantwortungsbewussten Unternehmer.Das ist nichts anderes als Populismus.
Ruhige, ernsthafte und sachbezogene Bewertung dernachlassenden Steuermoral ist jetzt gefragt. Woran dasliegt, muss aufgearbeitet werden, ohne Populismus undVorverurteilungen.
Ich warne ausdrücklich vor der Beschädigung der so-zialen Marktwirtschaft durch diese Steuerhinterzie-hungsdebatte.
Es ging in den letzten Tagen vielen doch nicht umrechtsstaatliche Aufklärung, sondern um Wahlkampf,um Klassenkampf pur und natürlich um kurzfristige po-litische Vorteile. Das ist die Situation.
Frau Höll, wie stellen Sie sich denn eigentlich Steuer-wettbewerb zwischen freien Ländern vor? Wir könnendoch gar nicht bestimmen, welche Steuerregeln undSteuergesetze im Ausland beschlossen werden. Es istdoch nicht so wie früher, dass das in Moskau beschlos-sen wird und Sie das zu befolgen haben.LspdtAssssnpgfnFstDlnSiidljLALadS
etztendlich leben wir in einer freiheitlichen Gesell-chaft. Die soziale Marktwirtschaft – das ist der Kern-unkt – ist das Fundament unseres Wohlstandes und be-eutet den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.Die meisten Unternehmer erfüllen eine Vorbildfunk-ion; sie stehen für den moralischen Grundkonsens, fürnstand und für eine erfolgreiche soziale Marktwirt-chaft in Deutschland. Es wird Zeit, dass sich diese Men-chen auch gegen vordergründige Kampagnen zur Wehretzen. Deutschland ginge es natürlich ohne Zweifel bes-er, wenn der eine oder andere hochdotierte Konzernma-ager das gleiche Verantwortungsbewusstsein wie derersönlich haftende Familienunternehmer an den Tag le-en würde. Aber wir müssen, wenn solche Debatten ge-ührt werden, immer bedenken: 70 Prozent der Arbeit-ehmer in Deutschland arbeiten in mittelständischenamilienunternehmen. Deswegen können wir mit einemolchen Generalverdacht und einer Hexenjagd auf Un-ernehmer großen Schaden anrichten.
eshalb muss das unterbleiben.
Ich kann Ihnen deutlich sagen: All das, was ich in denetzten Tagen gehört habe – Ruf nach härteren Strafen,ach einer Bundessteuerverwaltung, nach Druck aufteueroasen, nach Vereinfachung des Steuersystems –,st es wert, diskutiert zu werden. Alle diese Punkte sindm Rahmen eines Wertekanons, einer Werteordnung zuiskutieren, aber nicht mit Schnellschüssen, Vorverurtei-ungen und Generalverdacht, wie das jetzt passiert.
Die öffentliche Inszenierung und die politische Hetz-agd der letzten Jahre dienen unserem Standort nicht.assen Sie uns eine ruhige, ernsthafte und sachbezogeneufarbeitung des Problems der Steuermoral in unseremand
ngehen. Das ist der richtige Ausgangspunkt. Alles an-ere kann man hier nicht akzeptieren.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Ludwig Stiegler für diePD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha-
ben ja gerade das Wilhelm-Busch-Jahr, und der hat ein-
mal geschrieben: Die Tugend – dieser Satz steht fest – ist
stets das Böse, das man lässt. – Deshalb möchte ich mich
auf das konzentrieren, was wir tun können, um die Tu-
gend zu fördern. Mangel an Gelegenheit bedeutete schon
immer eine große Förderung der Tugend. Viele Sünden
sind vermieden worden, weil sich das Gebüsch nicht bot.
Deshalb, meine Damen und Herren, kommt es darauf
an: Was tun wir, um strukturell zu helfen? Das Erste ist:
Liechtenstein muss kooperieren. Ich habe da ein schönes
Interview von Egon Matt, Chef der Liechtensteiner Op-
position, gelesen, in dem er sagt:
Es gibt etwa 80 000 Stiftungen im Land – das Stif-
tungsgeschäft gehört zum Finanzplatz, es generiert
20 Prozent der Staatseinnahmen. … Eine Liechten-
steiner Stiftung ist nichts anderes als ein Mantel um
ein Vermögen, das man nach außen nicht deklarie-
ren möchte.
Wenn der Großfürst jetzt den Weltsicherheitsrat an-
ruft, weil der Bundesadler den Zaunkönig fressen will,
dann sagen wir ihm: Luxemburg muss mit Deutschland
kooperieren – –
– Liechtenstein – die Luxemburger haben das schon frü-
her gemacht, das ist wahr; sie sind zwei Jahre voraus –
muss mit Deutschland kooperieren. Die Amerikaner ha-
ben es ja erzwungen. Ich empfehle die Website
www.irs.gov. Da sehen Sie all die Auflagen, die die
Liechtensteiner gegenüber den Amerikanern erfüllen.
Liechtenstein will jetzt in den Schengen-Raum. Sollen
wir zur Belohnung für ihre Leistungen jetzt die freie
Durchfahrt für die Geldkofferautos genehmigen, ohne
dass sie kooperieren?
Aufgrund ihrer Zollgemeinschaft mit der Schweiz
sind die Liechtensteiner darauf angewiesen, dass sie dem
Schengen-Raum beitreten können. Wir sagen deshalb:
Liebe Freunde, nur wenn ihr bei der Durchsetzung der
Steuergesetze kooperiert, so wie ihr es im Fall Amerika
tut, dann könnt ihr dem Schengen-Raum beitreten. – Wir
machen das Schlupfloch doch nicht noch größer. Das
müssen wir mit den Liechtensteiner Freunden ernsthaft
besprechen. Es gibt überhaupt keinen Grund für sie, sich
zu beklagen. Wer sein Land quasi wie eine Räuberhöhle
einrichtet, der darf sich nicht wundern, dass sich andere
zur Wehr setzen. Das ist doch eine klare Sache.
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as bekommen wir schon wieder täglich Anzeigen von
eminaren zu sehen, bei denen es um die Hinterziehung
er Quellensteuer geht. Es handelt sich regelrecht um
ine Beratungsindustrie, die viel Geld damit verdient.
uch diesen Sumpf müssen wir austrocknen. Wir wer-
en nur dann auf den Pfad der Tugend zurückkehren,
enn die Zahl der Gelegenheiten, die es in den letzten
ahren in reichlichem Maße gab, nicht mehr so groß ist.
Wir können eine Menge Lektionen lernen. Liechten-
tein muss kooperieren, und wir müssen mit denen, die
m Inland das Geschäft betreiben, robust umgehen.
Nun hat der Kollege Eckhardt Rehberg aus der
nionsfraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abge-rdnete! Frau Kollegin Höll, ich bin ebenfalls für dieeltweite Aufhebung des Bankgeheimnisses. Insbeson-ere verspreche ich mir viel davon, das Geheimnis umas eine oder andere Konto in Liechtenstein zu lüften.ch habe dazu einen durchaus interessanten Artikel in ei-er heute erschienenen Zeitschrift gelesen. Der Deutscheundestag musste sich 16 Jahre lang im Rahmen der un-bhängigen Kommission, die sich mit dem SED-Vermö-en befasste, anstrengen, um 1 Milliarde herauszuholen.ch bin fest davon überzeugt, dass ehemaliges SED-
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Eckhardt Rehbergbzw. PDS-Vermögen weltweit noch auftauchen würde.Partiell in diesem Punkt stimme ich also Ihrem Vor-schlag ganz ausdrücklich zu.
– Wer im Glashaus sitzt, der sollte nicht mit so vielenSteinen werfen.Herr Kollege Stiegler, Sie sind aus meiner Sicht zuRecht auf das eingegangen, was Liechtenstein betrifft.Ein Bankgeheimnis kann nicht sakrosankt sein; Kon-trollmeldungen müssen möglich sein. Erlauben Sie mirnur die Bemerkung – auch mit Blick auf Frau Scheel undHerrn Kuhn –: Das wäre nicht nur eine Aufgabe ab Ja-nuar/Februar 2008, sondern man hätte auch früher schonetwas mehr Druck machen müssen und auch können.Herr Kollege Stiegler, ich gebe Ihnen ausdrücklich recht,dass der Beitritt zum Schengen-Abkommen ein richtigerZeitpunkt ist, diese Punkte anzusprechen. Ich schließemich aber Ihrem Begriff „Räuberhöhle“ ausdrücklichnicht an.
Es kommt nicht nur im Falle Liechtensteins darauf an,für transparente Verhältnisse zu sorgen. Das gilt auch fürandere Steueroasen, die es auf dieser Welt noch gibt.Nur, wir sollten uns an dieser Stelle nicht überheben.Lassen Sie mich auf die Neiddebatte zu sprechenkommen. Ich will ganz unvoreingenommen zumindesteine Stimme zitieren – es gibt derer aber noch viel mehrin den Tageszeitungen –:Steuerhinterziehung ist nicht allein das Privileg vonManagern, Sportlern oder Künstlern, die ihre pri-vate Rendite steigern wollen. Der bewusste Betrugdes Finanzamts ist ein Massenphänomen inDeutschland. In kaum einem anderen Land verwen-den die Bürger so viel Zeit damit, den Fiskus fürdumm zu verkaufen.Beides ist kein Kavaliersdelikt: Steuerbetrug undauch Sozialbetrug.
Wir sollten im Augenblick ein bisschen aufpassen, dieGewichte nicht zu verschieben und zu verlagern, nurweil es auf der einen Seite nicht nur um zwei- oder drei-stellige Beträge, sondern um vier-, fünf-, sechs-, sieben-,acht- oder neunstellige Beträge geht. Wir müssen demBürger klarmachen – da gebe ich Ihnen, Herr KollegeRunde, ausdrücklich recht –, was es bedeutet, den Staatzu betrügen. Auch wenn im Zusammenhang mitHartz IV betrogen wird, betrifft dies Steuergelder. Wennbeim Arbeitslosengeld I betrogen wird, geht es um So-zialbeiträge. Wer Steuern hinterzieht, entzieht dem Staat,uns allen, Mittel für den Infrastrukturausbau, die Bil-dung usw. Der Bürger muss wieder sagen: Diese Mittelbraucht der Staat, weil es für uns, weil es für mich ist.sAwvdfvEwjMwsdggs1lWdSEiosdFKzfskOImdanla–adDh
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Gabriele
rechen das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Auf OECD-Ebene und auf EU-Ebene – nichtuletzt mit der EU-Zinsrichtlinie – wird daran gearbeitet,aire Bedingungen für die Staaten untereinander zuchaffen, damit sie ihre Steueransprüche durchsetzenönnen. Liechtenstein – so ist in den Berichten derECD zu lesen – gehört zu den unkooperativen Staaten.ch denke, das sollte man vor Augen haben, wenn manomentan die Ansprüche und die Aussagen der zustän-igen Herren aus Liechtenstein hört. Deutschland wirdufgrund der internationalen Verflechtungen sicherlichichts im Alleingang erreichen. Aber wir haben Mög-ichkeiten, die wir nutzen können. Nur, wir müssen sieuch nutzen wollen. Ich bin kein misstrauischer Mensch ich glaube, das habe ich hier schon einmal gesagt –,ber ich glaube an die präventive Kraft des Ent-eckungsrisikos.
as heißt: Wenn wir das Risiko, entdeckt zu werden, sooch machen, dass man es schon allein deshalb bleiben
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Gabriele Frechenlässt, dann können es meines Erachtens nur noch Steuer-junkies sein, die Steuerhinterziehung betreiben. Die ei-nen machen Bungeejumping, die anderen gehen ins Ka-sino, um alles zu verlieren, und einigen gibt es halt einenKick, den Staat und die Allgemeinheit zu bescheißen.An die werden wir nie herankommen, egal wie niedrigunsere Steuersätze sind. Deshalb müssen Finanzbehör-den in der Lage sein, im Veranlagungsbereich zu kon-trollieren und Betriebsprüfungen durchzuführen.Mein Heimatland Nordrhein-Westfalen hat im Jahr2003 – wir wissen alle, dass damals Rot-Grün in NRWregierte – 2 932 Bezieher von Einkünften in Höhe vonmehr als 500 000 Euro geprüft, was zu Mehreinnahmenin Höhe von 67 Millionen Euro führte. Bei der Prüfungvon Banken betrug das Mehrergebnis 1,9 MilliardenEuro. Der Finanzminister der schwarz-gelben Regierungfährt jetzt aber den genau gegenläufigen Kurs, der mei-nes Erachtens fatal ist: Er will 931 Stellen streichen, da-von 165 im Bereich der Betriebsprüfung und 25 bei derSteuerfahndung.
Sollte unsere föderale Struktur dazu führen, dass derBund nur noch Gesetze macht, die die Länder nicht mehrvollziehen, müssten wir im Ernst über eine Bundessteu-erverwaltung nachdenken.
Als Erklärung für Steuerhinterziehung habe ich in denletzten Tagen zwei Argumente gehört: Das eine ist, dassunsere Steuersätze zu hoch sind, und das andere, dassunser Steuerrecht zu komplex ist. Beides lasse ich nichtdurchgehen. Wer so einen Schwachsinn glaubt, der ziehtauch die Hose mit der Beißzange an. Unsere Steuersätze– Frau Höll hat uns das eben vorgerechnet – sind deut-lich gesunken. Nach Einführung der Abgeltungsteuerwird der Steuersatz 25 Prozent betragen. Darum geht esaber nicht. Nur wenn der Steuersatz bei 0 Prozent liegt,ist der Steuersatz für diese Verbrecher, für diese Krimi-nellen niedrig genug.
– Ja, im Ernst.
Die Komplexheit unseres Steuerrechts als Argumentanzuführen, ist das Verrückteste überhaupt. Wer so vielGeld hat, dass er es irgendwohin verschieben muss – ineine Räuberhöhle, ein Steuerparadies, eine Steueroaseoder wie immer Sie es nennen wollen –, der hat zuvorgarantiert mit viel Geld alle legalen Tricks ausgenutzt,um Steuern zu sparen. Das reicht solchen Leuten abernoch nicht. Daher wird der Rest von den sauer erarbeite-ten Millionen nach Liechtenstein geschafft. Dafür habeich überhaupt kein Verständnis. Das muss man beim Na-men nennen, auch die Rolle, die Liechtenstein dabeispielt. Wer verbreitet, dass es an diesen zwei Punktenliegt, der macht sich meines Erachtens zum Steigbügel-halter dieser Steuerhinterzieher.drcSD3edbDlDwnktgdmbivwwapmSHd
Auch die Verantwortlichen in Liechtenstein führten inen letzten Tagen die Kompliziertheit unseres Steuer-echts an. Wenn der Botschafter Liechtensteins steuerli-he Tipps für die Überarbeitung unseres komplexenteuersystems gibt, muss ich bei allem Respekt sagen:as Steuersystem Liechtensteins mag in einem Land mit5 000 Einwohnern funktionieren. Dieses System aufin Land mit 82 Millionen Einwohnern zu übertragen,as ganz andere Probleme und Herausforderungen zuewältigen hat, halte ich aber für ein Sandkastenspiel.as sage ich ganz eindeutig. Damit sollten wir uns nichtänger abgeben.
as mag vielleicht daran liegen, dass zu den 35 000 Ein-ohnern 75 000 Briefkästen hinzukommen. Die wollenatürlich auch verwaltet werden.
Führungskräfte sind Vorbilder, und eine Führungs-raft soll Werte vorleben, so zitiert die Mitarbeiterzei-ung der Post Klaus Zumwinkel. Wenn es nicht so verlo-en wäre, könnte man glatt anfangen, zu lachen. Inieser Woche, in der die Zeitung erschienen ist, kannan darüber aber noch nicht einmal lachen.
Kollegin Frechen, kommen Sie bei aller Empörung
itte zum Schluss.
Sofort. – Was hat er eigentlich vorgelebt? Nimm alles
n Anspruch, gib möglichst wenig zurück! Wir verlangen
on Menschen, die zu uns kommen und bei uns leben
ollen, dass sie unsere Werte annehmen. Ich glaube, es
ird höchste Zeit, dass die Eliten in unserem Land das
uch wieder tun.
Kollegin Frechen, ich rege an, für die zukünftige po-
uläre Beschreibung von empörenden Vorgängen parla-
entarische Ausdrücke zu suchen.
Das Wort hat der Kollege Jörg-Otto Spiller für die
PD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Steuergesetze sind einzuhalten – so wie alle an-eren Gesetze auch.
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Jörg-Otto Spiller
Warum haben wir heute diese Aktuelle Stunde? Es gibteinen spektakulären Erfolg bei der Durchsetzung deut-schen Steuerrechts. Ich bekunde Respekt vor der Bochu-mer Schwerpunktstaatsanwaltschaft und vor der guten
– Ja, es hat lange gedauert, und es war mühsam.Zu den Ländern, die sich da ein bisschen schwertun– sie gehören nicht zur EU –, gehört außer der Schweizauch Liechtenstein. Dazu zitiere ich, was der Opposi-Arbeit des Bundesnachrichtendienstes.
Ich bin über manche selbsternannte Zumwinkel-Ad-vokaten erstaunt, die uns glaubhaft machen wollen, esliege am deutschen Steuerrecht, dass so viele Leute aufdie Idee kommen, sich der Steuerpflicht zu entziehen.Mich hat besonders bedrückt, dass auch einige Kollegenin dieser Richtung gesprochen haben. Ich muss auch sa-gen, dass ich kein Verständnis dafür habe – KollegeStiegler hat das erwähnt –, dass der Präsident des Deut-schen Steuerberaterverbandes sagt: Die Gesetze, dasSteuerrecht verleite die Steuerzahler, sich Lücken zu su-chen und Steuern zu hinterziehen. Herr Pinne schadetdamit dem Ansehen seines Berufsverbandes. MeineÜberzeugung ist – so wie Herr Bernhardt gesagt hat –:Die Masse der deutschen Bürger ist steuerehrlich, unddie Masse der Steuerberater berät korrekt und gibt keineBeihilfe zur Steuerhinterziehung.
Wir haben in den vergangenen Jahren – gerade auchunter der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder – die In-strumente zur Durchsetzung des Steuerrechtes, des Steu-eranspruches erheblich verbessert,
und zwar gerade in dem Punkt, der besonders sensibelwar: bei der Erfassung von Kapitalerträgen, HerrWissing. Da geht es darum, dass man zunächst einmalKenntnisse hat. Wir haben durchgesetzt, dass alle Ban-ken ihren Kunden am Ende des Jahres eine Aufstellungüber die Erträge geben. Diese Aufstellung ist dem Fi-nanzamt vorzulegen. Wenn da getrickst wird, wenn dasFinanzamt den begründeten Verdacht hat, dass vielleichtnur ein Teil der Erklärungen vorgelegt wurde und esnoch Erklärungen von anderen Banken gibt, dann greiftdas Instrument der Kontenabfrage, wodurch die Behördefeststellen kann, wo der Bürger ein Konto hat. Die Be-hörde erfährt nicht, welche Erträge oder Guthaben esgibt. – Das ist ein wesentliches Instrument zur Durchset-zung des Steueranspruches.Der wunde Punkt bei Kapitalerträgen: Wie verhält essich, wenn sie im Ausland anfallen? Wir haben auf euro-päischer Ebene mit der europäischen Zinsrichtlinie einenEinstieg erreicht. Es gibt Mängel, aber es ist ein guterAnsatz.tugZinfNigdhEsDRdud9e
Es gibt noch eine Ermutigung: Jean-Claude Juncker,er Regierungschef von Luxemburg, hat zu Recht daraufingewiesen, dass wir auf EU-Ebene und auf OECD-bene eine Verbesserung der Zusammenarbeit bei derteuerlichen Erfassung von Kapitalerträgen brauchen.er Mann weiß, wovon er redet.
Kollege Spiller, das Licht zeigt Ihnen an, dass Ihre
edezeit vorbei ist.
Ich finde, wenn Luxemburg diesen Vorstoß macht,
ann liegt es an Liechtenstein, dem zu folgen.
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Schluss
nserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf morgen, Donnerstag, den 21. Februar 2008,
Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen einen
rfolgreichen und natürlich auch schönen Abend.