Protokoll:
16124

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 16

  • date_rangeSitzungsnummer: 124

  • date_rangeDatum: 9. November 2007

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  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 15:44 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 16/124 – zu dem Entschließungsantrag der Ab- geordneten Arnold Vaatz, Ulrich Adam, Peter Albach, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Stephan Hilsberg, Andrea Wicklein, Ernst Bahr (Neuruppin), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zu der Un- terrichtung durch die Bundesregie- rung: Jahresbericht der Bundesre- gierung zum Stand der deutschen Einheit 2006 (Drucksachen 16/2870, 16/3310, 16/4041) c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien: – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Lothar Bisky, Dr. Lukrezia Jochimsen, Petra Pau, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Errichtung eines Denkzeichens mit Dokumentationszentrum zur Erin- nerung an die friedliche Revolution 1989 – zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt, Grietje Bettin, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Diskussionsprozess über ein Freiheits- und Einheitsdenkmal unter breit angelegter Beteiligung der Öffentlichkeit initiieren (Drucksachen 16/6925, 16/6776, 16/6926, 12949 D Deutscher B Stenografisc 124. Si Berlin, Freitag, den I n h a Gedenken an historische Ereignisse am 9. No- vember . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 33: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2007 (Drucksache 16/6500) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung – zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Jahresbericht der Bun- desregierung zum Stand der deut- schen Einheit 2006 12949 A 12949 B Dr. Norbert Lammert, Ulrich Adam, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU, der Abgeordneten Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Markus undestag her Bericht tzung 9. November 2007 l t : Meckel, Dr. Gerhard Botz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Cornelia Pieper, Hans-Joachim Otto (Frank- furt), Christoph Waitz, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Errichtung eines Freiheits- und Ein- heits-Denkmals – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dr. Norbert Lammert, Ulrich Adam, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU sowie der Abge- ordneten Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Markus Meckel, Dr. Gerhard Botz, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD: Errichtung eines Frei- heits- und Einheits-Denkmals 16/6927, 16/6974) . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Tiefensee, Bundesminister BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12950 B 12950 C II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 Joachim Günther (Plauen) (FDP) . . . . . . . . . . Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Iris Gleicke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) . . . . . . Dr. Georg Milbradt, Ministerpräsident (Sachsen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . . Jan Mücke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . . Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD) . . . . . . . . . . Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) . . Gunter Weißgerber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Klaas Hübner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Fritz Kuhn, Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Tempolimit 130 km/h auf Autobahnen sofort einführen (Drucksache 16/6894) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Gesine Lötzsch, Dorothée Menzner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Schnellstmögliche Einführung eines generellen Tempolimits von 130 Stundenkilometern auf Bundes- autobahnen (Drucksache 16/6932) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gero Storjohann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg Vogelsänger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Lutz Heilmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerd Bollmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP) . . . . . . . . . 12952 B 12953 D 12955 C 12956 D 12959 B 12960 C 12961 D 12963 C 12964 C 12964 D 12965 A 12966 A 12967 C 12968 A 12969 D 12969 D 12970 A 12971 D 12973 C 12974 B 12975 B 12977 A 12978 C 12979 B 12980 D Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) . . . . . . Heidi Wright (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Uwe Beckmeyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes (Drucksache 16/6924) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 14: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Geset- zes zur Änderung des Bundesministerge- setzes (Drucksache 16/5052) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Olaf Scholz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg van Essen (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartmut Koschyk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 15: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Neurege- lung der Telekommunikationsüber- wachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG (Drucksachen 16/5846, 16/6979) . . . . – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jerzy Montag, Hans-Christian Ströbele, Wolfgang Wieland, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Telekom- munikationsüberwachung (... Gesetz zur Änderung der Strafprozessord- nung) (Drucksachen 16/3827, 16/6979) . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Jörg van Essen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Mechthild 12981 D 12983 C 12984 D 12985 A 12986 B 12986 C 12986 C 12988 C 12989 C 12990 D 12991 D 12992 D 12993 C 12993 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 III Dyckmans, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Reform der Telefon- überwachung zügig umsetzen (Drucksachen 16/1421, 16/6979) . . . . . . . Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . Jörg van Essen (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Uwe Benneter (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gert Winkelmeier (fraktionslos) . . . . . . . . . . . Joachim Stünker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 37: Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Aus- bildung der Polizeikräfte in Afghanistan forcieren (Drucksache 16/3648) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Jürgen Trittin, Silke Stokar von Neuforn, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Ohne Polizei und Justiz keine Sicherheit – Polizei- und Justizaufbau in Afghanistan drastisch be- schleunigen (Drucksache 16/6931) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ralf Göbel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12993 D 12994 A 12995 C 12996 C 12998 B 12999 A 12999 A 13000 B 13001 C 13001 D 13002 B 13002 D 13003 D 13004 B 13006 A 13009 D 13006 B 13006 C 13006 D 13007 D Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gunkel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 17: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Unter- haltsrechts (Drucksachen 16/1830, 16/6980) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Sabine Leutheusser- Schnarrenberger, Sibylle Laurischk, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Unterhaltsrecht ohne weiteres Zögern sozial und verant- wortungsbewusst den gesellschaftli- chen Rahmenbedingungen anpassen (Drucksachen 16/891, 16/6980) . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 18: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes (Drucksachen 16/1829, 16/5444) . . . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/5446) . . . . . . . . . . . . . . . Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Johannes Singhammer (CDU/CSU) . . . . . . . Tagesordnungspunkt 41: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Lothar Bisky, Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Diether Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Anpassung der Sozialgesetzgebung für Kultur-, Me- dien- und Filmschaffende (Drucksache 16/6080) . . . . . . . . . . . . . . . 13012 A 13012 D 13014 D 13016 B 13016 B 13016 C 13016 C 13016 D 13018 A 13019 A 13021 A 13022 B 13023 C 13025 A 13025 B 13027 A IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 b) Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Katrin Göring-Eckardt, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Neue Sicherheit für flexible Arbeitsver- hältnisse (Drucksache 16/6436) . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Telekommunikationsüberwachung (... Ge- setz zur Änderung der Strafprozessordnung) (Zusatztagesordnungspunkt 15 a) . . . . . . . . . . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gunter Weißgerber und Rainer Fornahl (beide SPD) zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung zu den Anträgen: – Errichtung eines Freiheits- und Ein- heits-Denkmals – Errichtung eines Denkzeichens mit Dokumentationszentrum zur Erinne- rung an die friedliche Revolution 1989 – Diskussionsprozess über ein Freiheits- und Einheitsdenkmal unter breit ange- legter Beteiligung der Öffentlichkeit initiieren (Tagesordnungspunkt 33 c) . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christoph Strässer, Niels Annen, Dr. Axel Berg, Lothar Binding (Heidelberg), Marco Bülow, Siegmund Ehrmann, Gabriele Frechen, Martin Gerster, Renate Gradistanac, Angelika Graf (Rosenheim), Gabriele Groneberg, Gabriele Hiller-Ohm, Christel Humme, Josip Juratovic, Anette Kramme, Ernst Kranz, Jürgen Kucharczyk, Katja Mast, Dr. Matthias Miersch, Dr. Rolf Mützenich. Andrea Nahles, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Bernd Scheelen, Ewald Schurer, Wolfgang Spanier und Dr. Ditmar Staffelt (alle SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zur Neuregelung der Telekommunika- tionsüberwachung und anderer verdeckter Er- mittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung 13027 A 13027 C 13029 A 13029 D 13029 D der Richtlinie 2006/24/EG (Zusatztagesord- nungspunkt 15 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Rolf Koschorrek und Dr. Hans Georg Faust (beide CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Neure- gelung der Telekommunikationsüberwa- chung und anderer verdeckter Ermittlungs- maßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG (Zusatztagesordnungs- punkt 15 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Helga Kühn-Mengel, Dr. Reinhold Hemker, Hilde Mattheis, Mechthild Rawert, René Röspel und Jella Teuchner (alle SPD) zur Ab- stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikations- überwachung und anderer verdeckter Ermitt- lungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG (Zusatztagesordnungs- punkt 15 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Eva Möllring, Antje Blumenthal und Manfred Kolbe (alle CDU/CSU) zur Abstim- mung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts (Zusatztages- ordnungspunkt 17 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Maria Eichhorn und Thomas Bareiß (beide CDU/CSU) zur Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Änderung des Unter- haltsrechts (Zusatztagesordnungspunkt 17 a) Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) zur Ab- stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts (Zusatz- tagesordnungspunkt 17 a) . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Norbert Geis (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Ände- rung des Unterhaltsrechts (Zusatztagesord- nungspunkt 17 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13031 D 13032 D 13033 A 13033 B 13033 D 13034 B 13034 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 V Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU) zur Ab- stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts (Zusatz- tagesordnungspunkt 17 a) . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Anpassung der Sozialgesetzgebung für Kultur-, Medien- und Filmschaffende – Neue Sicherheit für flexible Arbeits- verhältnisse (Tagesordnungspunkt 41 a und b) . . . . . . . . . Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU) . . . . Angelika Krüger-Leißner (SPD) . . . . . . . . . . . Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 13 Neuabdruck eines Redebeitrags zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: – zu der Verordnung der Bundesregie- rung: Fünfte Verordnung zur Ände- rung der Verpackungsverordnung – zu dem Antrag: Verpackungsverord- nung sachgerecht novellieren – Wei- chen stellen für eine moderne Abfall- und Verpackungswirtschaft in Deutschland – zu dem Antrag: Weg vom Öl im Kunststoffbereich – Chance der No- velle der Verpackungsverordnung nut- zen und mit Biokunststoffen echte Kreisläufe schließen (123. Sitzung, Tagesordnungspunkt 26) . . . . Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Anlage 14 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13035 B 13035 D 13035 D 13037 B 13038 C 13039 A 13039 D 13040 B 13040 C 13042 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 12949 (A) (C) (B) (D) 124. Si Berlin, Freitag, den Beginn: 9
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    1) Anlage 12 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 13029 (A) (C) (B) (D) – Errichtung eines Freiheits- und Einheits- DenkmalsRunde, Ortwin SPD 09.11.2007 Rainer Fornahl (beide SPD) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu den Anträ- gen: Müntefering, Franz SPD 09.11.2007 Nitzsche, Henry fraktionslos 09.11.2007 Anlage 1 Liste der entschuldi Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Akgün, Lale SPD 09.11.2007 Amann, Gregor SPD 09.11.2007 Andres, Gerd SPD 09.11.2007 Bismarck, Carl-Eduard von CDU/CSU 09.11.2007 Connemann, Gitta CDU/CSU 09.11.2007 Dr. Däubler-Gmelin, Herta SPD 09.11.2007 Dörflinger, Thomas CDU/CSU 09.11.2007 Dreibus, Werner DIE LINKE 09.11.2007 Drobinski-Weiß, Elvira SPD 09.11.2007 Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09.11.2007 Ernst, Klaus DIE LINKE 09.11.2007 Freitag, Dagmar SPD 09.11.2007 Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 09.11.2007 Irber, Brunhilde SPD 09.11.2007 Knoche, Monika DIE LINKE 09.11.2007 Kotting-Uhl, Sylvia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09.11.2007 Kretschmer, Michael CDU/CSU 09.11.2007 Kunert, Katrin DIE LINKE 09.11.2007 Lafontaine, Oskar DIE LINKE 09.11.2007 Dr. Lauterbach, Karl SPD 09.11.2007 Dr. Lippold, Klaus W. CDU/CSU 09.11.2007 Lötzer, Ulla DIE LINKE 09.11.2007 Anlagen zum Stenografischen Bericht gten Abgeordneten Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrü- cken) (DIE LINKE) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Tele- kommunikationsüberwachung (… Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung) (Zusatz- tagesordnungspunkt 15 a) Ich erkläre, dass die Fraktion Die Linke den Gesetz- entwurf ablehnt. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gunter Weißgerber und Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09.11.2007 Dr. Schavan, Annette CDU/CSU 09.11.2007 Schily, Otto SPD 09.11.2007 Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 09.11.2007 Strothmann, Lena CDU/CSU 09.11.2007 Thönnes, Franz SPD 09.11.2007 Wicklein, Andrea SPD 09.11.2007 Wieczorek-Zeul, Heidemarie SPD 09.11.2007 Dr. Wiefelspütz, Dieter SPD 09.11.2007 Winkelmeier-Becker, Elisabeth CDU/CSU 09.11.2007 Wolf (Frankfurt), Margareta BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09.11.2007 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich 13030 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 (A) (C) (B) (D) – Errichtung eines Denkzeichens mit Doku- mentationszentrum zur Erinnerung an die friedliche Revolution 1989 – Diskussionsprozess über ein Freiheits- und Einheitsdenkmal unter breit angelegter Beteiligung der Öffentlichkeit initiieren (Tagesordnungspunkt 33 c) Wir haben in der Diskussion für ein gemeinsames Denkmal in Berlin und Leipzig geworben. Wir haben da- mit gebeten, für ein Denkmal zu stimmen, welches in beiden Städten den langen Weg von deutscher Teilung im besonderen Abbild der Teilung Berlins über die ost- deutsche Freiheit infolge der friedlichen Revolution 1989/90 mit ihrem gewaltigem Anteil der Leipziger Montagsdemonstrationen und letztlich die Vereinigung beider deutscher Staaten am 3. Oktober 1990 abbildet. Seit Jahren wird die Idee eines nationalen Freiheits- und Einheitsdenkmals diskutiert. Ein erster parlamenta- rischer Vorstoß scheiterte 2001 im Deutschen Bundes- tag. Die Zeit schien damals einer Mehrheit noch nicht reif für solch ein Projekt. Jetzt schreiben wir 2007, und es gilt einen Stimmungswandel zu konstatieren. Nicht nur, dass inzwischen eine befürwortende Mehrheit für das Denkmal als sicher angenommen werden kann, es mehren sich sogar die Vorschläge für dessen örtlichen Sitz. Zu Berlin sind zwei Vorschläge hinzugekommen: ein alternativer für Leipzig allein und ein kommunizie- render für Berlin und Leipzig. Sämtliche Ideen haben großes Gewicht, auf eine Lösung sollten wir uns unauf- geregt einigen. Als Leipziger Bundestagsabgeordnete nehmen wir uns das Recht der Einmischung in die Dis- kussion und plädieren für die deutsche Hauptstadt und für Leipzig als übergreifende Orte des Nationalen Ein- heits- und Freiheitsdenkmales. Berlin und Leipzig kön- nen beide nicht allein für diese Idee stehen. Sinnbild der 40-jährigen deutschen Teilung war die blutige Grenze inmitten Deutschlands, inmitten Berlins. In besonders brutalem Maße zerschnitt hier die Grenze die deutsche Hauptstadt, stand die Einmauerung des frei- heitlichen West-Teiles von Berlin für das deutsche Nach- kriegstrauma. An der Blockade Westberlins, am Mauer- bau 1961 nahmen die gesamte deutsche und die Weltöffentlichkeit großen Anteil. Der Volksaufstand von 1953, der unsere 89er politischen Forderungen vorweg- nahm und in Ostberlin begann, sowie das geteilte Berlin wurden weltweit zum Synonym für die deutsche Tei- lung, für die Ost-West-Blockkonfrontation. Hier be- kannte Kennedy, dass er ein Berliner sei, und Reagan forderte den Fall der Mauer. Willy Brandt war der legen- däre regierende „Frontstadt“bürgermeister, der für die meisten Ostdeutschen bis 1989 die verkörperte Hoff- nung auf Freiheit und Demokratie blieb. Westberlin war für die SED der Stachel im Fleisch des kommunistischen Systems, für viele Menschen in der DDR war es das Schaufenster in den freien Westen, die freie Informa- tionsquelle und die ständige Nahrung für die Hoffnung auf demokratische Entwicklungen. In Ostberlin etablierte sich frühzeitig eine rege Unter- grundszene samt einer reichen Samisdatliteratur. Die Umweltbibliothek wurde 1987 von der Stasi gestürmt und die staatlich zelebrierten Luxemburg/Liebknecht- demonstrationen wurden von der Opposition mutig auf ihre Weise in Anspruch genommen. Beispielhaft sei hier die Kundgebung vom Januar 1989 genannt – wenn auch den Demonstranten damals nicht bekannt war, dass sie mit Luxemburg ausgerechnet eine Gegnerin von freien Wahlen auf ihr Schild hoben. In Berlin wurde die Grenze zuerst löchrig, in Berlin beschloss die freie Volkskam- mer gemäß dem Willen der meisten Deutschen in Ost und West den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland, und in dieser Stadt wurde dieser Beitritt der endlich freien und tatsächlich demokratischen DDR nach Art. 23 GG der Bundesrepublik Deutschland im Einvernehmen mit den Siegermächten und unseren Nachbarn vollzo- gen. Mit dem weltweit spektakulären Fall der Mauer kam bildhaft das Ende des Kalten Krieges, kam die Chance auf die europäische Einigung auf friedlichem Wege. Für die Welt steht das vereinigte Berlin, die verei- nigte deutsche Hauptstadt als Symbol für die Überwin- dung der Blockkonfrontation, für das Gelingen freiheitli- cher und demokratischer Volksbewegungen in Mittel- und Osteuropa. Deshalb muss Berlin ein Standort des Nationalen Freiheits- und Einheitsdenkmales werden. In Leipzig muss jedoch das Pendant zum Berliner Denkmal stehen. Die Leipziger Nikolaikirche mit ihren Friedensgebeten seit 1982 war der „Zünder der friedli- chen Revolution 1989/90“, der Leipziger Augustusplatz war mit seinen machtvollen Massendemonstrationen bis zu den Volkskammerwahlen 1990 der wichtigste Garant für den Bestand des am 9. Oktober Erreichten und der unablässig drehende „Motor der Deutschen Einheit“. Bereits im September 1989 schwollen die Leipziger De- monstrationen unter dem selbstbewussten Ruf „Wir sind das Volk“ zu zehntausenden Teilnehmern an. Ein An- schwellen, welches in Verbindung mit der Begeisterung über die Massenausreisen aus Ungarn und der Wut über die Ignoranz der DDR-Staatsführung, die Botschaftsaus- reisenden mit Zügen quer durch den Süden der DDR zu transportieren, zu bürgerkriegsähnlichen Zusammenstö- ßen am Dresdner Hauptbahnhof und zu weiteren bedroh- lichen Situationen an der gesamten Bahnstrecke bis Plauen führten. Nach der am 5. Oktober 1989 in der Leipziger Volks- zeitung veröffentlichten Drohung des Kampfgruppen- einsatzes gegen die Bevölkerung wurde es am 7. Okto- ber in Leipzig, Plauen, auch in Berlin besonders brisant. In diesen drei Städten waren ob bzw. wegen dieser Dro- hung Tausende auf den Beinen und hielten der SED und dem MfS mutig die Stirn entgegen. Die in diesem Zu- sammenhang gestreute „chinesische Lösung“ des Mas- sakers vom „Platz des Himmlischen Friedens“ in Peking als einer realen Möglichkeit für die SED-Führung im Umgang mit den Demonstranten war eine Drohung und durchaus sehr ernst gemeint. Selbst Internierungslager zur Konzentration von Sozialismusfeinden an ausge- suchten Orten waren konzipiert. In dieser spannungs- geladenen Stimmung, die an einen positiven und un- blutigen Ausgang der für den 9. Oktober erwarteten Demonstration in Leipzig nicht denken ließ, kamen den- noch an diesem Montag 70 000 Menschen aus Leipzig und der DDR zwischen Nikolaikirchhof und Augustus- platz zusammen. Eine Menschenmenge, die auf SED und MfS so abschreckend wirkte, dass sie aus einer all- gemeinen Lähmung heraus den Dingen hilflos ihren Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 13031 (A) (C) (B) (D) Lauf lassen musste. Zwar begann die Partei- und Staats- führung dann schnell über den beginnenden Dialogpro- zess und mittels personeller Änderungen in der Führungs- spitze zu versuchen, das Heft des Handelns wieder in die Hände zu bekommen, doch gelangen diese Strategien ge- genüber der wachen Bevölkerung glücklicherweise nicht. Die Menschen in Leipzig, Plauen, Dresden, überall in der DDR wussten, dass die Demonstrationen in großem Stile weitergehen mussten. Die Ergebnisse des 9. Okto- ber von Leipzig bedurften der Sicherung, sollte dieser 9. Oktober 1989 nicht wie der 17. Juni 1953 später als konterrevolutionärer Umsturzversuch der Vergessenheit anheimfallen. Im Windschatten der Leipziger Massende- monstrationen 1989/90 wuchsen die DDR-weiten Kund- gebungen und Demonstrationen zu Ereignissen heran, die dann auch ganz schnell aus dem emanzipatorischen Ruf „Wir sind das Volk“ die politische Forderung „Wir sind ein Volk“ werden ließen. Wohl wissend, dass nur die Einheit in Freiheit ein größtes Maß an Sicherheit vor der Restitution der alten Machtverhältnisse in der DDR bot. Der Mauerfall am 9. November 1989 war dann die lo- gische Folge. Wir haben neben der meist in diesem Zu- sammenhang aufkommenden Erklärung der Überforde- rung der SED-Führung eine eher politische Erklärung anzubieten. Die DDR-Führung suchte nach Druckentlas- tung, geöffnete Grenzen schienen ein passables Mittel in diesem Sinne zu sein. Die Rechnung war einfach und dennoch eine der üblichen Fehleinschätzungen der SED. Die mit der DDR restlos Unzufriedenen sollten gehen, damit den Massendemonstrationen die Kraft nehmend. Die im „Lande“ Verbleibenden sollten die DDR tapezie- ren helfen. Den weitergehenden Montagsdemonstratio- nen sei Dank, diese Rechnung der SED ging nicht auf. Es gelang, die Menschen weiterhin für die Demonstra- tionen bis zu den ersten freien Volkskammerwahlen am 18. März 1990 zu interessieren und so das Errungene des Herbstes 1989 zu sichern. Demgegenüber war Ostberlin, und das soll keine Ge- genrede, wohl aber eine Klarstellung sein, im Herbst 1989 die Arena der Befürworter einer weiteren Zwei- staatlichkeit Deutschlands. In Berlin fand am 4. Novem- ber 1989 die größte DDR-Tapezierungsgroßdemonstra- tion statt, der im Nachgang der DDR-Erhaltungsaufruf von Christa Wolf „Für unser Land“ folgte. Dagegen er- ging aus Leipzig der „Leipziger Aufruf“ von Johannes Wenzel für den Aufbau von konföderativen Strukturen zwischen beiden deutschen Staaten mit dem Ziel der Einheit als schnelle Antwort auf den Ostberliner Aufruf. Leipzig und die gesamte ostdeutsche Provinz standen 1989/90 für die Einheit, (Ost-)Berlin für einen nebulösen „Dritten Weg“. Nachhaltig unterstrichen wird die Notwendigkeit ei- nes korrespondierenden Denkmals Berlin/Leipzig am Beispiel des Siegers im jüngsten Wettbewerb der „Stif- tung für Aufarbeitung“. Der Siegervorschlag sieht 13 In- schriften mit historischen Daten vor. Beginnend mit dem Mai 1949 – der Gründung der Bundesrepublik Deutsch- land – und endend mit der staatlichen Einheit am 3. Ok- tober 1990. Die Kette der Geschichtsdaten zwischen die- sen beiden Punkten ist diskutabel. Nicht diskutabel ist die Abfolge zwischen der ungarischen Grenzöffnung am 2. Mai 1989 unter Auslassung des Beginns der friedli- chen Revolution am 9. Oktober 1989 in Leipzig bis zum der 4. November 1989 Ostberlin. Einmal steht der 4. November 1989 für den Beginn der SED-„Reformer“- Oper „Für unser Land“ und meinte den Erhalt der DDR, und zum anderen fehlt komplett das Wissen um die friedliche Revolution in der DDR. Bleiben wir bei einem Denkmal in Berlin, so wird zukünftig nur noch des Mau- erfalls und der Deutsche Einheit gedacht werden. Dieser Geschichtsverlust ist nicht hinzunehmen! Die friedliche Revolution brachte in Ostdeutschland die Freiheit und den Mauerfall, danach erging der Auftrag der Bevölke- rung an die Politik, die Einheit zügig zu gestalten. Dies sind unsere Gedanken zum Thema. Achten wir im Diskussionsprozess um die Gestaltung des zweiteili- gen Denkmales auf die Berücksichtigung des histori- schen Kontextes: Ohne die inner- und außerkirchliche Opposition in der DDR, ohne die immerwährenden Fluchtbewegungen in den Westen, ohne die Massen- fluchten von 1989, ohne die Montagsgebete und die friedliche Revolution und ohne die Weiterführung dieser Revolution bis zu den Wahlen im März 1990 und in An- betracht der Möglichkeit eines geglückten Moskauer Putsches, beispielsweise der vom August 1991, würden wir heute nicht einmal des 9. Oktober in Freiheit geden- ken, geschweige denn uns der Deutschen Einheit des Jahres 1990 erfreuen können. Seien wir stolz auf die „Neue Ostpolitik“ der Regierung Brandt/Scheel, auf das KSZE-Engagement der Regierung Schmidt/Genscher, und seien wir dankbar, dass die Regierung Kohl/ Genscher Helmut Schmidts Anstrengungen für den Nato-Doppelbeschluss weiterführte und damit dem INF- Vertrag von 1987 – Vernichtung sämtlicher atomarer Mittelstreckensysteme in Europa – zwischen den USA und der Sowjetunion den Boden bereitete. Beide Politik- ansätze, die Entspannungs- als auch die Gleichgewichts- politik, haben beträchtlichen Anteil an der Implosion der Sowjetunion und des Ostblocks. Vergessen wir bei allem Stolz auf eigene Leistungen nicht die Freiheitsbewegungen in unseren östlichen Nach- barstaaten. Ohne die Polen mit ihrer Solidarnosc, ohne die Tschechen mit ihrer Charta 77 und ohne den Mut der „lus- tigsten Baracke im Ostblock“, den Ungarn, würden noch heute Menschen ohne Hoffnung auf Freiheit und Demo- kratie in der Leipziger Nikolaikirche und überall in der DDR beten und sich vor der außer- und innerhalb der Kir- che beobachtenden Staatsmacht fürchten müssen. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christoph Strässer, Niels Annen, Dr. Axel Berg, Lothar Binding (Heidel- berg), Marco Bülow, Siegmund Ehrmann, Gabriele Frechen, Martin Gerster, Renate Gradistanac, Angelika Graf (Rosenheim), Gabriele Groneberg, Gabriele Hiller-Ohm, Christel Humme, Josip Juratovic, Anette Kramme, Ernst Kranz, Jürgen Kucharczyk, Katja Mast, Dr. Matthias Miersch, Dr. Rolf Mützenich, Andrea Nahles, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Bernd Scheelen, Ewald Schurer, Wolfgang Spanier und Dr. Ditmar Staffelt (alle 13032 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 (A) (C) (B) (D) SPD) zur Abstimmung über den Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunika- tionsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG (Zusatztagesord- nungspunkt 15 a) Trotz schwerwiegender politischer und verfassungs- rechtlicher Bedenken werden wir im Ergebnis dem Ge- setzentwurf aus folgenden Erwägungen zustimmen. Erstens. Grundsätzlich stimmen wir mit dem Ansatz der Bundesregierung und der Mehrheit unserer Fraktion dahingehend überein, dass die insbesondere durch den internationalen Terrorismus und dessen Folgeerschei- nungen entstandene labile Sicherheitslage auch in Deutschland neue Antworten benötigt. Dabei sind wir uns auch bewusst, dass insbesondere durch die rasante Entwicklung der Telekommunikation auch in diesem Bereich Maßnahmen zur Verhinderung schwerster Straf- taten notwendig sind. Zweitens. Auf der anderen Seite ist jedoch zu beach- ten, dass – nicht zuletzt befördert durch die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – Frei- heitsrechte wie das Recht auf informationelle Selbstbe- stimmung konstitutiven Charakter für die Existenz unse- res Gemeinwesens haben und die Beachtung dieser Rechte immer wieder angemahnt wurde. Wir erinnern an die Entscheidungen zur Volkszählung, zur „akustischen Wohnraumüberwachung“, zum Luftsicherheitsgesetz oder zum niedersächsischen Polizeigesetz. Drittens. In diesem Abwägungsprozess gilt für uns, dass Sicherheit keinen Vorrang vor Freiheit genießen darf, will man beides gewährleisten. Weder gibt unsere Verfassung ein Grundrecht auf Sicherheit her, noch ist vorstellbar, dass es ohne Abschaffung der Freiheit eine absolute Sicherheit gegen jedwede Gefährdung durch kriminelles Handeln geben kann. Viertens. In den letzten Jahren hat es eine zuneh- mende Tendenz gegeben, ohne die Effektivität bestehen- der Gesetze zu überprüfen, mit neuen Gesetzen ver- meintlich Sicherheit zu erhöhen und Freiheitsrechte einzuschränken. Der vorliegende Gesetzentwurf beför- dert diesen Paradigmenwechsel und ist deshalb bedenk- lich. Am Beispiel der sogenannten Vorratsdatenspeiche- rung sei dies verdeutlicht: Mit dem Gesetz werden die Telekommunikationsunternehmen zum ersten Mal ver- pflichtet, die im Gesetz aufgeführten Daten zum Zwecke unter anderem der Strafverfolgung über einen Zeitraum von sechs Monaten zu speichern. Das ist natürlich ein gravierender Unterschied zur bisherigen Rechtslage, wo- nach den Unternehmen gestattet war, zu Abrechnungs- zwecken die entsprechenden Daten bis zu sechs Monate zu speichern. Aus dem Recht der Unternehmen wird eine Verpflichtung, auch zu anderen Zwecken. Damit ist die Einschätzung nicht von der Hand zu weisen, dass hier ein Generalverdacht gegen alle Bürger entsteht, die solche Kommunikationsmittel benutzen, ohne dass für die Speicherung als solche ein konkretes Verdachtsmo- ment bestehen muss. Ähnliche Bedenken gelten auch hinsichtlich der Regeln im Bereich der Telekommunika- tionsüberwachung hinsichtlich der unterschiedlichen Be- handlung sogenannter Berufsgeheimnisträger. So ist uns zum Beispiel nicht ersichtlich, warum Abgeordnete des Deutschen Bundestages einen höheren Schutz genießen sollen als Rechtsanwälte, Ärzte und insbesondere unter der Geltung des Art. 5 GG auch Journalisten. Fünftens. Wir werden diesem Gesetzentwurf trotz dieser Bedenken zustimmen, weil es den Rechtspoliti- kern unserer Fraktion gelungen ist, hohe Hürden für die Umsetzung dieser problematischen Restriktionen einzu- ziehen. Ein generell geltender Richtervorbehalt zum Beispiel für den Zugriff auf bei den Telekommunika- tionsunternehmen anlasslos gespeicherte Verbindungs- daten, das ausdrückliche Verbot des Rückgriffs auf Informationen, die zum Kernbereich der privaten Le- bensgestaltung gehören, die Beschränkung des Zugriffs und der Verwertung auf „Straftaten von erheblicher Be- deutung“ machen den dargestellten Paradigmenwechsel weniger unerträglich. Auch die erfolgreichen Bemühun- gen der Bundesregierung, Veränderungen bei der EU- Richtlinie 2006/24/EG herbeizuführen – so war dort für die Vorratsdatenspeicherung ein Zeitraum von 36 Mona- ten vorgesehen –, werden ausdrücklich gewürdigt. Der Gesetzentwurf trägt deshalb nach unserer Auffassung nicht den Makel der offensichtlichen Verfassungswidrig- keit auf der Stirn wie beispielsweise die Vorschläge aus dem Innen- bzw. Verteidigungsministerium zur Online- Durchsuchung, zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren über die Vorschriften des Art. 35 Abs. 2, 3 GG hinaus oder gar zur Neuauflage eines Luftsicherheitsgesetzes. Eine Zustimmung ist auch deshalb vertretbar, weil davon auszugehen ist, dass in absehbarer Zeit eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts möglicherweise verfas- sungswidrige Bestandteile für unwirksam erklären wird. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Rolf Koschorrek und Dr. Hans Georg Faust (beide CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikations- überwachung und anderer verdeckter Ermitt- lungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG (Zusatztagesordnungs- punkt 15 a) Dem Gesetzentwurf zur Neuregelung der Telekom- munikationsüberwachung und anderer verdeckter Er- mittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richt- linie 2006/24/EG werde ich nicht zustimmen. Ich stimme diesem Gesetzentwurf nicht zu, weil die vorgesehene Differenzierung zwischen einerseits Seel- sorgern, Strafverteidigern und Abgeordneten sowie an- dererseits weiteren Berufsgeheimnisträgern, zu denen auch Ärzte gehören, meiner Auffassung nach nicht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu ent- nehmen ist. Ich bin zudem der Auffassung, dass das Ver- trauensverhältnis zwischen Patient und Arzt besonders schützenswert und damit dem zu Abgeordneten, Seelsor- gern und Strafverteidigern gleichzustellen ist. Jeder Pa- tient muss ohne Vorbehalt darauf vertrauen können, dass das, was er seinem Arzt mitteilt, geheim bleibt. Durch das Gesetz wird nach meiner Überzeugung der überwie- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 13033 (A) (C) (B) (D) genden Zahl der Patienten der Eindruck vermittelt, dass dem Arzt anvertraute Geheimnisse – anders als bisher – nicht mehr umfassend geschützt sind. Das Bundesverfassungsgericht hat diesbezüglich zu- dem immer wieder betont, dass der Schutz des Patienten höchste Priorität besitzen soll. Wer sich in ärztliche Be- handlung begibt, muss und darf erwarten, dass alles, was der Arzt im Rahmen seiner Berufsausübung über seine Gesundheit erfährt, geheim bleibt und nicht zur Kenntnis Unberufener gelangt. Nur so kann, auch nach Auffas- sung des Bundesverfassungsgerichts, zwischen Patient und Arzt jenes Vertrauen entstehen, das zu den Grundvo- raussetzungen ärztlichen Wirkens zählt. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Helga Kühn-Mengel, Dr. Reinhold Hemker, Hilde Mattheis, Mechthild Rawert, René Röspel und Jella Teuchner (alle SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Te- lekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG (Zusatz- tagesordnungspunkt 15 a) Erstens. Der Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer ver- deckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG schafft die notwendige Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für verdeckte straf- prozessuale Ermittlungsmaßnahmen. Zweitens. Patientinnen und Patienten haben ein Recht darauf, dass ihre Gespräche mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin vertraulich bleiben. § 160 a des Gesetzentwurfes räumt bei der Entscheidung über Ermittlungsmaßnah- men bei Ärzten, Zahnärzten und Psychotherapeuten ei- nen Abwägungsspielraum ein, der dieses Recht unserer Meinung nach nicht ausreichend schützt. Drittens. Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten müssen Geistlichen, Strafverteidigern und Abgeordneten in diesem Zusammenhang gleichgestellt werden. Nur so kann der Schutz des im Arztgespräch regelmäßig betrof- fenen Kernbereichs privater Lebensführung wirksam si- chergestellt worden. Trotz dieser Gesichtspunkte halten wir eine Zustim- mung zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwa- chung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG für richtig. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Eva Möllring, Antje Blumenthal und Manfred Kolbe (alle CDU/ CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts (Zusatztagesordnungspunkt 17 a) Erstens. Ich begrüße, dass minderjährige Kinder im Unterhaltsrecht vorab zu berücksichtigen sind. Zweitens. Durch die Beratungen über die Unterhalts- rechtsnovelle in dieser Wahlperiode wurde erreicht, dass die Ansprüche von unverheirateten Müttern verbessert wurden, sodass die Anspruchsgrundlage des § 1615 BGB jetzt dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gleichheit entspricht. Drittens. Es wird begrüßt, dass die Belange der Kin- der im Rahmen der Verpflichtung zur Betreuung gemäß § 1570 BGB ab dem 3. Lebensjahr zu berücksichtigen sind. Viertens. Bedenklich ist allerdings die Regelung der Rangfolge bei einer konkurrierenden zweiten (und wei- teren) Familiengründung. Der geschiedene kinderbetreuende Elternteil – meis- tens die Ehefrau – verliert im Ergebnis durch die Kon- kurrenz im zweiten Rang einen beträchtlichen Teil der Unterhaltsansprüche. Damit verschlechtert sich auch die finanzielle Versorgung der gemeinsamen Kinder erheb- lich. Die ehelichen Kinder sollten aber gemäß Art. 6 Abs. 5 GG mit nichtehelichen Kindern gleichgestellt sein. Diese Balance wird bislang weitgehend hergestellt, weil der Unterhaltsverpflichtete neben seinem Anteil am Einkommen seinen hohen Selbstbehalt in die neue Fami- lie einbringt. Bei einem Gleichrang der erziehenden El- ternteile werden jedoch die nachfolgenden unehelichen Kinder in der neuen Familie regelmäßig finanziell deut- lich besser versorgt sein als diejenigen, die auf den Un- terhalt und die Erwerbstätigkeit ihrer Mutter angewiesen sind. Es stellt sich deshalb die Frage, ob und wie die Gleichstellung der Kinder verwirklicht werden soll, wenn Art. 6 Abs. 5 GG sich auch auf die elterliche Fi- nanzlage bezieht. Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwieweit das Einkommen der Eltern in die Berechnung des „mittelbaren Kindesunterhalts“ einzubeziehen ist. Schließlich ist unter der Prämisse der Geltung des Art. 6 Abs. 5 GG für den Betreuungsunterhalt als „mittelbaren Kindesunterhalt“ nicht verständlich, warum die geschie- dene Ehefrau der Härteklausel des § 1579 BGB unter- worfen wird, die unverheiratete Mutter dagegen nicht. Die Teilung des 2. Ranges durch kindererziehende El- ternteile ist also nicht geeignet, die gleiche finanzielle Lage der Kinder herzustellen. Gleichzeitig werden maß- gebliche Verfassungs- und Rechtsgrundsätze wie der Schutz der Ehe durch Art. 6 Abs. 1 GG, der Vertrauens- schutz finanziell schwächerer Eheleute und der Wert von Kindererziehung und Hausarbeit außer Kraft gesetzt. Wegen dieser offenen Zweifelsfragen werde ich mich in der Abstimmung über das Gesetz enthalten. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Maria Eichhorn und Thomas Bareiß (beide CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts (Zusatztagesordnungs- punkt 17 a) Erstens. Ich begrüße, dass minderjährige Kinder im Unterhaltsrecht vorab zu berücksichtigen sind. 13034 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 (A) (C) (B) (D) Zweitens. Durch die Beratungen über die Unterhalts- rechtsnovelle in dieser Wahlperiode wurde erreicht, dass der Betreuungsanspruch von unverheirateten Müttern oder Vätern verbessert wird. Das bringt mehr Gerechtig- keit für jene Kinder, deren Eltern getrennt leben. Drittens. Bedenklich ist allerdings die Regelung der Rangfolge bei einer konkurrierenden zweiten bzw. wei- teren Familiengründung. Der geschiedene kinderbetreuende Elternteil – meis- tens die Ehefrau – verliert im Ergebnis durch die Kon- kurrenz im zweiten Rang einen beträchtlichen Teil der Unterhaltsansprüche. Damit verschlechtert sich auch die finanzielle Versorgung der gemeinsamen Kinder erheb- lich. Die ehelichen Kinder sollten aber gemäß Art. 6 Abs. 5 GG mit nichtehelichen Kindern gleichgestellt sein. Diese Balance wird bislang weitgehend hergestellt, weil der Unterhaltsverpflichtete neben seinem Anteil am Einkommen seinen hohen Selbstbehalt in die neue Fami- lie einbringt. Bei einem Gleichrang der erziehenden Elternteile werden jedoch die nachfolgenden unehelichen Kinder in der neuen Familie regelmäßig finanziell deutlich besser versorgt sein als diejenigen, die auf den Unterhalt und die Erwerbstätigkeit ihrer Mutter angewiesen sind. Es stellt sich deshalb die Frage, ob und wie die Gleichstel- lung der Kinder verwirklicht werden soll, wenn Art. 6 Abs. 5 GG sich auch auf die elterliche Finanzlage be- zieht. Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwieweit das Einkommen der Eltern in die Berechnung des „mittelba- ren Kindesunterhalts“ einzubeziehen ist. Schließlich ist unter der Prämisse der Geltung des Art. 6 Abs. 5 GG für den Betreuungsunterhalt als „mittelbaren Kindesunter- halt“ nicht verständlich, warum die geschiedene Ehefrau der Härteklausel des § 1579 BGB unterworfen wird, die unverheiratete Mutter dagegen nicht. Die Teilung des 2. Ranges durch kindererziehende Elternteile ist also nicht geeignet, die gleiche finanzielle Lage der Kinder herzustellen. Viertens. Durch die Gleichstellung aller Betreuungs- ansprüche wird die traditionelle Familie, für welche die Ehe das Fundament ist, weiter geschwächt. Zwar ist auf Drängen der Union der Entwurf dahin geändert worden, dass die Gerichte die Dauer der Unterhaltspflichten bei einer gescheiterten Ehe verlängern können. Auch wer- den langjährige Ehepartner ebenfalls in den Rang 2 auf- genommen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Ehe immer mehr ihre verfassungsgemäße Vorrangstel- lung nach Art. 6 GG verliert und mit anderen Lebensfor- men gleichgestellt wird. Wegen der angesprochenen Probleme werde ich mich bei der Abstimmung enthalten. Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Unterhalts- rechts (Zusatztagesordnungspunkt 17 a) Dem Gesetzentwurf stimme ich zu und gebe folgende Erläuterungen zu Protokoll: Ich begrüße ausdrücklich, dass der Kindesunterhalt in Zukunft immer Vorrang vor allen anderen Unterhaltsan- sprüchen haben wird und dass Eltern, die ihre Kinder be- treuen, Vorrang im Unterhalt vor Ex-Ehepartnern haben, die keine Kinder betreuen. Es ist zudem ein großer Erfolg der CDU/CSU-Frak- tion, dass bei der Dauer des Unterhaltsanspruchs geschiedener und nicht verheirateter Elternteile das Kindswohl sowie die eheliche Gestaltung von Kinderbe- treuung und Erwerbstätigkeit besonders berücksichtigt werden. Doch halte ich es für bedenklich, dass kinderbetreu- ende Mütter und Väter im Rang des Betreuungsunter- halts gleichbehandelt werden, unabhängig davon, ob sie verheiratet waren oder nicht. Diese Regelung trägt dem besonderen Schutz von Ehe und Familie, so wie es das Grundgesetz in Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz gebietet, nicht ausreichend Rechnung – war aber nach der Entschei- dung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Februar 2007 (Az. 1 BvL 9/04; u. a. FamRZ 2007, 965 = NJW 2007, 1735) nicht anders möglich. Ich befürchte, die hier vorgesehene Regelung trägt dazu bei, dass der Stellenwert von Ehe und Familie in Staat und Gesellschaft zusehends zugunsten anderer For- men von Lebensgemeinschaften aufgeweicht wird. Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Norbert Geis (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zur Änderung des Unterhaltsrechts (Zusatz- tagesordnungspunkt 17 a) Erstens. Ich begrüße, dass minderjährige Kinder im Unterhaltsrecht vorab zu berücksichtigen sind. Zweitens. Durch die Beratungen über die Unterhalts- rechtsnovelle in dieser Wahlperiode wurde erreicht, dass der Betreuungsanspruch von unverheirateten Müttern oder Vätern verbessert wird. Alle betreuenden Mütter oder Väter, egal ob in oder außerhalb der Ehe, werden im Interesse des Wohles des Kindes gleichgestellt. Das bringt mehr Gerechtigkeit für jene Kinder, die nicht das Glück haben, dass ihre Eltern zusammenleben. Drittens. Bedenklich ist allerdings die Regelung der Rangfolge bei einer konkurrierenden zweiten (und wei- teren) Familiengründung. Der geschiedene kinderbetreu- ende Elternteil – meistens die Ehefrau – verliert im Er- gebnis durch die Konkurrenz im zweiten Rang einen beträchtlichen Teil der Unterhaltsansprüche. Damit ver- schlechtert sich auch die finanzielle Versorgung der ge- meinsamen Kinder erheblich. Die ehelichen Kinder soll- ten aber gemäß Art. 6 Abs. 5 GG mit nichtehelichen Kindern gleichgestellt sein. Diese Balance wird bislang Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 13035 (A) (C) (B) (D) weitgehend hergestellt, weil der Unterhaltsverpflichtete neben seinem Anteil am Einkommen seinen hohen Selbstbehalt in die neue Familie einbringt. Bei einem Gleichrang der erziehenden Elternteile werden jedoch die nachfolgenden unehelichen Kinder in der neuen Fa- milie regelmäßig finanziell deutlich besser versorgt sein als diejenigen, die auf den Unterhalt und die Erwerbstä- tigkeit ihrer Mutter angewiesen sind. Es stellt sich des- halb die Frage, ob und wie die Gleichstellung der Kinder verwirklicht werden soll, wenn Art. 6 Abs. 5 GG sich auch auf die elterliche Finanzlage bezieht. Darüber hi- naus stellt sich die Frage, inwieweit das Einkommen der Eltern in die Berechnung des „mittelbaren Kindesunter- halts“ einzubeziehen ist. Schließlich ist unter der Prä- misse der Geltung des Art. 6 Abs. 5 GG für den Betreu- ungsunterhalt als „mittelbaren Kindesunterhalt“ nicht verständlich, warum die geschiedene Ehefrau der Härte- klausel des §1579 BGB unterworfen wird, die unverhei- ratete Mutter dagegen nicht. Viertens. Es ist nicht zu übersehen, dass durch die Gleichstellung aller Betreuungsansprüche die traditio- nelle Familie, für welche die Ehe das Fundament ist, weiter geschwächt wird. Zwar ist auf Drängen der Union der Entwurf dahin geändert worden, dass die Gerichte die Dauer der Unterhaltspflichten bei einer gescheiterten Ehe verlängern können. Auch werden langjährige Ehe- partner ebenfalls in den Rang 2 aufgenommen. Dies än- dert jedoch nichts daran, dass die Ehe mehr und mehr ihre verfassungsgemäße Vorrangstellung verliert und mit anderen Lebensformen gleichgestellt wird. Dennoch: In diesem Gesetz geht es in erster Linie um das Wohl des Kindes. Durch die Vorgabe des Verfassungsgerichtes war eine bessere Regelung nicht möglich. Deshalb stimme ich diesem Gesetz zu. Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Unterhalts- rechts (Tagesordnungspunkt 17 a) Ich begrüße, dass minderjährige Kinder im Unter- haltsrecht vorab zu berücksichtigen sind. Durch die Be- ratungen über die Unterhaltsrechtsnovelle in dieser Wahlperiode wurde erreicht, dass die Ansprüche von un- verheirateten Müttern verbessert wurden, sodass die An- spruchsgrundlage des § 1615 BGB jetzt dem verfas- sungsrechtlichen Gebot der Gleichheit entspricht. Es wird begrüßt, dass die Belange der Kinder im Rahmen der Verpflichtung zur Betreuung gemäß § 1570 BGB ab dem dritten Lebensjahr zu berücksichtigen sind. Bedenken habe ich allerdings bezüglich der Folgen, die durch die Regelung der Rangfolge bei einer konkur- rierenden zweiten – und weiteren – Familiengründung entstehen können. Der geschiedene kinderbetreuende El- ternteil – meistens die Ehefrau – wird im Ergebnis durch die Konkurrenz im zweiten Rang einen beträchtlichen Teil der Unterhaltsansprüche verlieren. Damit wird sich auch die finanzielle Versorgung der gemeinsamen Kin- der unter Umständen erheblich verschlechtern. Die ehe- lichen Kinder sollten aber gemäß Art. 6 Abs. 5 GG mit nichtehelichen Kindern gleich gestellt sein. Diese Ba- lance wird bislang weitgehend hergestellt, weil der Un- terhaltsverpflichtete neben seinem Anteil am Einkom- men seinen hohen Selbstbehalt in die neue Familie einbringt. Bei einem Gleichrang der erziehenden Elternteile werden jedoch die nachfolgenden unehelichen Kinder in der neuen Familie regelmäßig finanziell deutlich besser versorgt sein als diejenigen, die auf den Unterhalt und die Erwerbstätigkeit ihrer Mutter angewiesen sind. Ich werde dem Gesetzentwurf trotz dieser Bedenken zustimmen, weil das Bundesverfassungsgericht in sei- nem jüngsten Urteil fordert, die Gleichstellung der Kin- der auch im Betreuungsunterhaltsanspruch der Eltern zu gewährleisten. Ob die nun getroffene Regelung der Tei- lung des zweiten Ranges durch kindererziehende Eltern- teile geeignet ist, die gleiche finanzielle Lage der Kinder gemäß dem Gleichstellungsgebot von Kindern gemäß Art. 6 Abs. 5 GG herzustellen und dem Schutz der Ehe gemäß Art. 6 Abs. 1 GG sowie dem Vertrauensschutz finanziell schwächerer Eheleute entspricht, kann ich aus heutiger Sicht nicht abschließend beurteilen. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Anpassung der Sozialgesetzgebung für Kul- tur-, Medien- und Filmschaffende – Neue Sicherheit für flexible Arbeitsverhält- nisse (Tagesordnungspunkt 41 a und b) Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU): Wir bera- ten heute zwei Anträge. Es handelt sich um den Antrag der Grünen mit dem Titel „Neue Sicherheit für flexible Arbeitsverhältnisse“ und um den Antrag „Anpassung der Sozialgesetzgebung für Kultur-, Medien- und Filmschaf- fende“. Um es direkt am Anfang festzustellen: Wir lehnen die Anträge der Opposition ab. Bevor ich im Einzelnen auf die Anträge eingehe, möchte ich die Prioritätensetzung der Union herausstel- len. Wir möchten zuvörderst neue Arbeitsplätze schaf- fen. Wie unsere Kanzlerin jüngst gesagt hat, müssen wir im Interesse der Gerechtigkeit die Situation auf dem Ar- beitsmarkt weiter verbessern. Wir sind da schon auf ei- nem sehr guten Weg. Wir haben erstmals wieder unter 3,5 Millionen Arbeitslose. Die Zahl sozialversicherungs- pflichtig Beschäftigter ist stark angewachsen. Das ist maßgeblich auf die starke Konjunktur zurückzuführen. Aber wir müssen da weitermachen und dürfen nicht lo- cker lassen. Das ist die Hauptpriorität der Union. Außer- 13036 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 (A) (C) (B) (D) dem sind wir erfolgreich dabei, unseren Staatshaushalt zu sanieren. Von jedem Euro, den der Staat heute ein- nimmt, muss er 20 Cent für Zinsen der Schulden zurück- legen. Die Große Koalition hat sich vorgenommen, im Jahre 2011 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Das sind wir den kommenden Generationen schuldig, und das entspricht auch dem gesunden Menschenver- stand – auch der Privatmann kann nicht auf Pump leben. Ein Staat mit einer Schuldenquote von rund 70 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ist nicht zukunftsweisend und nicht gerecht. Die Beiträge zur Sozialversicherung sind über die Jahrzehnte von ehemals 26,5 Prozent im Jahre 1970 bis auf über 40 Prozent gestiegen. Die Große Koalition hat sich vorgenommen, an dieser für Wachs- tum und Arbeitsplätze so wichtigen Stellschraube zu drehen und wieder unter die Marke von 40 Prozent zu kommen. Da sind wir auch auf einem guten Weg, und darauf werde ich noch später näher eingehen. Vor diesem Hintergrund kommen wir zu den gestell- ten Anträgen. Im Kern geht es darum, da kommen beide Anträge auf den gleichen Nenner, die Arbeitslosenversi- cherung zu flexibilisieren. Geringere Einzahlungszeiten sollen einen Anspruch auf Auszahlung der Versiche- rungsleistungen nach sich ziehen. Diese hätten dann nicht nur Anspruch auf Zahlungen aus der Arbeitslosen- versicherung, sondern auch Anspruch auf Leistungen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt – also bei- spielsweise Fortbildungsprogramme der Bundesagentur für Arbeit. Die Problematik betrifft unter anderem Mit- bürger, die in künstlerischen Berufen arbeiten. Ich möchte hierbei anmerken, dass das Thema Künstlerso- zialversicherung dieses Haus auch in diesem Jahr bereits beschäftigt hat. Ich habe durchaus Verständnis für die Mitbürger, die aufgrund zunehmend flexibler Arbeits- verhältnisse Sorgen vor der beruflichen Zukunft haben. Soweit die Zuständigkeiten des Bundes für Belange von Kunst und Kultur oder anderer flexibler Arbeitsformen betroffen sind, setzt sich die Große Koalition vor allem dafür ein, die Erwerbs- und Beschäftigungschancen der Betroffenen zu verbessern. Ziel der Großen Koalition war und ist es, finanzielle Mittel in erster Linie zur För- derung von Beschäftigung zu nutzen. Deswegen unter- stützt die Große Koalition auch Bestrebungen, Beschäf- tigungsverhältnisse zu verstetigen und damit Zeiten der Arbeitslosigkeit zu verringern. Konkret wurde von der Bundesregierung darauf hingewiesen, dass beispiels- weise die Tatsache, dass Schauspieler in geringerem Maße Ansprüche auf Arbeitslosengeld erwerben als frü- her, auch besondere Gründe hat. Die Ursachen sind, un- abhängig von den Arbeitsmarktreformen, auch auf einer bewusst beschäftigungsbeschränkenden Kostenstrategie der Produktionsbedingungen, beispielsweise in der Filmwirtschaft, zurückzuführen. Erwerbsformen, bei de- nen kurzfristige Beschäftigungen mit überwiegenden Zeiten der Arbeitslosigkeit wechseln, sind nach Ansicht der Regierung gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit grundsätzlich nicht versicherbar. Zur Funktionsfähigkeit eines Systems der Arbeitslosenversicherung bedarf es gewisser Risikobegrenzungen. Sonderregelungen zu- gunsten der Betroffenen solcher Erwerbsformen führen zudem zu Verwerfungen innerhalb der Gruppe der bei- tragspflichtigen Arbeitnehmer, weil Personen mit extrem geringer Beitragszahlung, besonders günstige Leistungs- ansprüche erhalten würden. Der Lebensunterhalt von Künstlern beispielsweise, die keine Ansprüche auf die Versicherungsleistung Arbeitslosengeld erwerben könn- ten, und deren Zugang zu Maßnahmen der beruflichen Wiedereingliederung ist durch die Möglichkeit des Be- zuges von Leistungen der Grundsicherung für Arbeit- suchende gewährleistet. Zudem wird kein Künstler durch die Regelungen des Zweiten und Dritten Sozialge- setzbuches daran gehindert, seiner präferierten berufli- chen Tätigkeit nachzugeben. Auch im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende kann keine Bevor- zugung von Künstlern gegenüber anderen Berufsgrup- pen erfolgen. Insbesondere eine Daueralimentierung von arbeitslosen Künstlern könnte aus Steuermitteln erfol- gen, was hier im Bundestag wohl auch niemand möchte. Die Große Koalition ist sich dabei bewusst, dass die Reformen am Arbeitsmarkt für viele Arbeitnehmer mit Einschränkungen verbunden waren. Dabei wurde auch berücksichtigt, dass die Beiträge zur Arbeitslosenversi- cherung nicht von der gesamten Gesellschaft, sondern von den Arbeitgebern und Arbeitnehmern erwirtschaftet wurden. Was die Arbeitsmarktreformen in Gänze be- trifft, so zeigen die seit 2006 zu verzeichnenden steigen- den Zahlen von sozialversicherungspflichtig Beschäftig- ten sowie der Rückgang der Arbeitslosigkeit und die Senkung der Beiträge zur Bundesagentur für Arbeit die Notwendigkeit, aber auch die Wirksamkeit der Refor- men. Wir sind im Sinne eines „lernenden Systems“ seit- dem darum bemüht, die Reformen den aktuellen Ar- beitsmarktbedingungen anzupassen. Es hat dazu in den vergangenen Jahren seitens der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung umfangreiche Änderungsmaßnah- men gegeben. Das System wird auch in Zukunft ständi- ger Evaluation unterworfen werden. Zu den genannten Anpassungen kann man auch die aktuelle Diskussion in- nerhalb der Koalition zählen, bei der Auszahlung des Arbeitslosengeldes I gewisse Änderungen vorzunehmen. Im Sinne der Generationengerechtigkeit, die ich schon eingangs erwähnt habe, sollten diese Maßnahmen nach Meinung der Union kostenneutral ausgestaltet werden. Die Union legt den Schwerpunkt auf die Schaffung von Arbeitsplätzen. Zu diesem Zweck fordern wir auch eine weitere Senkung der Lohnnebenkosten in Form der Ar- beitslosenversicherungsbeiträge. Ausgehend von zuletzt 6,5 Prozent wollen wir bei den Beiträgen auf 3,5 Prozent herunterkommen. Wissenschaftliche Forschungen zei- gen, dass wir dadurch Wachstum generieren, was sich wiederum in neuen Arbeitsplätzen auszahlt. Somit schließt sich argumentativ wieder ein Kreis, und wir kommen wieder zur ersten Priorität der Union: Sich nicht zufrieden geben mit den aktuellen guten Zahlen, sondern alles zur Schaffung von neuen sozialversiche- rungspflichtigen Arbeitsplätzen unternehmen. Die Poli- tik kann zwar immer nur die arbeits- und wirtschaftspoli- tischen Rahmenbedingungen setzen, aber sie kann dies durchaus erfolgreich gestalten. Der jetzige Aufschwung bestätigt dies. Direkt bezogen auf die Anträge wird der anhaltende Wirtschaftsaufschwung die Arbeitskräf- tenachfrage im künstlerischen Bereich oder im Bereich der Zeitarbeit bzw. anderen „flexibilisierten“ Arbeitsver- hältnissen beleben, was die Beschäftigungschancen der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 13037 (A) (C) (B) (D) Betroffenen erhöhen wird. Um es bildlich auszudrücken: Wir können den Kuchen nicht weiter verteilen, wir müs- sen dafür sorgen, dass der Kuchen größer wird, damit alle ein Stück abhaben können. Zurück zu den Begründungen für die bestehenden Modalitäten bei der Arbeitslosenversicherung, welche die Antragssteller gerne verändern wollen: Im Rahmen der Reformen wurde unter anderem auch die sogenannte Rahmenfrist, innerhalb derer zwölf Monate Anwart- schaftszeit als Voraussetzung für einen Anspruch auf die Versicherungsleistung Arbeitslosengeld vorliegen müs- sen, von bisher drei Jahren auf einheitlich zwei Jahre zu- rückgeführt, was den in den Anträgen formulierten For- derungen entgegensteht. Dazu möchte ich nochmals kurz skizzieren, wieso diese Rechtsänderungen durchgeführt wurden: Risikoversicherungen erbringen Leistungen grundsätzlich nur an Personen, die der Versichertenge- meinschaft unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfal- les angehört und auch dementsprechend Beiträge gezahlt haben. Deshalb hat auch in der Arbeitslosenversicherung nur derjenige Anspruch auf Arbeitslosengeld, der zuletzt vor Eintritt der Arbeitslosigkeit mindestens zwölf Mo- nate Mitglied der Versicherungsgemeinschaft gewesen ist. Dabei gibt es Härtefallregelungen, damit beispiels- weise Krankheit, vorübergehende Erwerbsunfähigkeit, Mutterschaft und Kindererziehung sowie die Pflege von Angehörigen nicht zulasten des Beitragszahlers gehen. Daher kann die 12-Monatsfrist in den genannten Fällen unterbrochen werden. Mit den Reformen am Arbeits- markt sind diese Risikozeiten jedoch schrittweise als Versicherungszeiten in der Arbeitslosenversicherung ausgestaltet worden, für die der Bund oder der zustän- dige Leistungsträger Beiträge an die Bundesagentur für Arbeit abführt. Deshalb existieren in der Regel keine Lü- cken mehr in den Versicherungsverhältnissen. Die Rah- menfristregelung konnte deshalb von drei auf zwei Jahre zurückgeführt werden. Danach sind nunmehr auch sol- che Personen in den Schutz der Arbeitslosenversiche- rung einbezogen, die nur die Hälfte eines Kalenderjahres versicherungspflichtig beschäftigt sind. So erwerben sie innerhalb von zwei Jahren einen Anspruch auf Arbeits- losengeld von sechs Monaten. Die Zeit reicht leider nicht, um das Thema in voller Breite und in allen Facetten darzustellen. All diese Pro- bleme wurden aber auch schon von einer Enquete-Kom- mission aufgegriffen und ausführlich diskutiert. Es dürfte jedoch klar geworden sein, dass wir andere Priori- täten setzen. Ich bleibe deshalb dabei: Wir müssen unsere Kräfte bündeln, um sozialversicherungspflichtige Beschäfti- gung zu schaffen und um den Staatshaushalt zu sanieren. Für dieses Ziel müssen wir weiterhin arbeiten und klare Prioritäten setzen. Die Große Koalition ist da auf einem sehr guten Weg. Angelika Krüger-Leißner (SPD): Die Verkürzung der sogenannten Rahmenfrist, innerhalb der ein An- spruch auf Arbeitslosengeld erworben werden muss, war in der vergangenen Legislaturperiode Bestandteil unse- rer umfassenden Reformen am Arbeitsmarkt. Zwölf Mo- nate sozialversicherungspflichtige Beschäftigung müs- sen nicht mehr im Verlauf von drei Jahren, sondern in zwei Jahren nachgewiesen werden. Für diese Regelung gab es und gibt es immer noch gute Gründe. Und diese Regelung hat sich bewährt – mit einer Ausnahme: Die Teilgruppe der unständig Beschäftigten hat damit ein Problem, und zwar vor allem die Beschäftigten im Kul- tur- und Medienbereich. Das wissen wir nicht erst seit den Anträgen von Lin- ken und Grünen, die heute auf dem Tisch liegen. Seit dem 1. Februar 2006 gilt die verkürzte Rahmenfrist. Und nicht erst seit diesem Datum bin ich in engem Kontakt mit den Betroffenen und den Verbänden, um mich über die Auswirkungen zu informieren. Auch die Enquete- Kommission „Kultur in Deutschland“ hat sich frühzeitig mit diesem Problem befasst. Die wirtschaftliche und so- ziale Lage der Künstlerinnen und Künstler war eines ih- rer Schwerpunktthemen. In Anhörungen und Experten- gesprächen wurden auch die Auswirkungen der Hartz- Gesetzgebung auf den Kulturbetrieb beleuchtet. Mitte Dezember werden wir an dieser Stelle die Ergebnisse im Einzelnen beraten. Zur Rahmenfrist sagt die Enquete ganz klar: Hier brauchen wir eine Sonderregelung für Versicherte mit wechselnden und kurz befristeten An- stellungen. Die SPD-Fraktion begrüßt diese Handlungsempfeh- lung ausdrücklich, und wir machen sie zur Grundlage unserer weiteren Bemühungen. Und genauso deutlich sagen wir: Einen Schnellschuss, wie er jetzt von der Lin- ken und von den Grünen kommt, lehnen wir ab. Ange- sichts der ungeklärten Datenlage ist es völlig unseriös, irgendwelche Scheinlösungen aus dem Hut zu zaubern. Ich bin sehr verärgert darüber. Denn ganz offensichtlich geht es den beiden Fraktionen gar nicht um die Lösung des Problems. Es geht um parteitaktisches Kalkül auf Kosten der Betroffenen. Die warten dringend auf eine Lösung – die mit den vorliegenden Anträgen nur schwie- riger wird. Lassen Sie mich das begründen: Eine Sonderregelung bei der Rahmenfrist für die unständig Beschäftigten stößt auf ein zentrales Problem: die schwierige Daten- lage – und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht. Das fängt schon damit an: Die Auswirkungen der verkürzten Rah- menfrist zeigen sich nicht mit dem Stichtag 1. Februar 2006. Denn die meisten betroffenen Beschäftigten hatten noch Ansprüche gesammelt, die erst im Verlauf des Jah- res aufgezehrt wurden. Erst gegen Ende 2006/Anfang 2007 war damit zu rechnen, dass sich das Problem auch statistisch fassen ließ. Aber selbst mit den aktuelleren Zahlen lassen sich keine klaren Effekte nachweisen. Ein eigens erstelltes Gutachten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) kann keine signifikanten Un- terschiede feststellen zwischen den Beschäftigten insge- samt und den im Kulturbereich Beschäftigten. Solche Befunde stehen in krassem Widerspruch zu dem, was die Betroffenen und was die Verbände mir berichten. Ganz offensichtlich sind die Grundlagen der offiziellen Statistiken von Arbeitsverwaltung und Rentenversicherung nicht so angelegt, dass damit die 13038 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 (A) (C) (B) (D) Lebenswirklichkeit von einzelnen Teilgruppen abgebil- det werden. Zwei Ansätze sind also zu verfolgen: Zum einen muss die offizielle Statistik ihre Instrumentarien weiterentwi- ckeln – hier bin ich in Gesprächen mit dem IAB und der Bundesagentur. Zum anderen müssen wir Erkenntnisse berücksichtigen und auswerten, die die betroffenen Ver- bände selber aufbereitet haben. So gibt es ganz aktuell eine Umfrage von Verdi unter Filmschaffenden, die Ende November öffentlich vorgestellt wird. Auch hier bin ich im Gespräch. Ähnliche Bemühungen hat der Bundesverband der Film- und Fernsehschauspieler (BFFS) unternommen. Auch diese Ergebnisse müssen wir einbeziehen. In der Schweiz gilt seit einigen Jahren eine Sonder- regelung für den Versicherungsanspruch von Kultur- schaffenden. Diese Erfahrungen müssen wir nutzen. Ich habe beim zuständigen Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft einen Erfahrungsbericht angefordert. Vor kurzem haben wir hier gemeinsam einen Antrag zur Kultur- und Kreativwirtschaft beschlossen. Darin ist auch die Rede von den großen Chancen dieses Sektors für den Arbeitsmarkt. Und es wird betont, dass die Be- dingungen der hier entstehenden Beschäftigung beson- ders problematisch sind. In diesem Zusammenhang wird auf die mangelhafte Datengrundlage hingewiesen und Abhilfe gefordert. Allein dieser Hinweis unterstreicht doch, wie schwierig das Feld ist, das wir hier beackern. Und da stellen sich Linke und Grüne hin und machen sich auf eine billige Tour Liebkind bei den Kulturschaf- fenden. Die Linke übernimmt sogar eins zu eins einen Vorschlag von Verdi. Fragen Sie doch mal bei den Ge- werkschaftern nach, ob die wirklich glücklich sind da- mit! Bei Verdi weiß man sehr gut, dass ein solcher parla- mentarischer Antrag derzeit der Sache eher schadet. Die Oppositionsanträge wollen zudem ein Problem lösen, indem sie es aus dem Zusammenhang reißen. Das Problem mit der Rahmenfrist lässt sich nachhaltig nur lösen, wenn wir es im Zusammenhang mit den konkre- ten Arbeitsbedingungen betrachten. So wird bei den auf Produktionsdauer beschäftigten Filmschaffenden zu- nehmend der Tarifvertrag mit Pauschalverträgen unter- laufen. Und diese Pauschalverträge verlangen den Filmschaffenden einen teilweise zerstörerischen Arbeits- einsatz ab. Mit den Pauschalverträgen werden auch ver- einbarte Zeitkonten außer Kraft gesetzt, und für geleis- tete Mehrarbeit zahlen die Produktionsfirmen keine Sozialabgaben. Aus meinen Gesprächen mit Filmschaf- fenden weiß ich, dass das Problem der Pauschalverträge inzwischen weit drängender ist als die verkürzte Rah- menfrist. Eine Sonderregelung bei der Rahmenfrist kann also nur funktionieren, wenn wir auch hier Abhilfe schaffen. Vor der Weihnachtpause wird der Schlussbericht der Enquete-Kommission vorgestellt. Mitte Januar beginnen die Beratungen in den Ausschüssen. Das ist das Zeit- fenster, in dem wir die notwendigen Grundlagen für eine begründete Sonderregelung erarbeiten werden. Halbe Sachen machen wir nicht. Ich hoffe, Grüne und Linke finden zurück auf den Weg der Vernunft und beteiligen sich an einer soliden Lösung. Heinz-Peter Haustein (FDP): James Bond hat die Lizenz zum Töten, Matula löst alle Fälle alleine, und Su- perman ist unsterblich. Wir alle kennen die Helden der Leinwand zu Genüge. Ganz so einfach ist es wie so oft im Leben für diejenigen, die hinter der Kamera arbeiten und zur Produktion von Kino- und Fernsehfilmen beitra- gen, und auch für die, die hinter der Theaterbühne arbei- ten, leider nicht. Die Betroffenen erhalten aufgrund der besonderen Bedingungen der Branche, zum Beispiel aufgrund des großen Kostendrucks, oft nur zeitlich befristete Arbeits- verträge. Zum Teil gelten die Beschäftigungsverhält- nisse nur wenige Tage, sodass auch nur für kurze Zeit- räume Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gezahlt werden. Dadurch erreichen die Beschäftigten nicht im- mer die Mindestanwartschaftszeit, die notwendig wäre, um einen Anspruch auf Zahlung von ALG I zu erwer- ben. Nach der geltenden Rechtslage liegt die Mindestan- wartschaftszeit bei zwölf Monaten innerhalb der Rah- menfrist von zwei Jahren. Grüne und Linke sehen hier eine Gerechtigkeitslücke. Die Betroffenen, so wird argumentiert, seien Beitrags- zahler wie andere auch, hätten jedoch kaum Chancen, ei- nen Anspruch auf ALG-I-Zahlung zu erwerben. Darum fordert Die Linke, die Anwartschaftszeit von zwölf auf fünf Monate herabzusetzen. Der Vorschlag der Grünen sieht eine Staffelung der Mindestanwartschaftszeit vor, die kürzere Bezugszeiten nach sich ziehen soll. Im Ex- trem soll nach einer viermonatigen Mindestanwart- schaftszeit ein Anspruch auf ALG-I-Zahlung für zwei Monate bestehen. Wenn der Grünen-Vorschlag auch als der moderatere angesehen werden kann, so muss doch klargestellt werden, dass es sich hier in beiden Fällen um Anträge handelt, die eine Aufweichung der bestehenden Regelungen bedeuten. Die FDP sieht die Gerechtigkeitslücke nicht in der be- stehenden Rechtslage, sondern in der hier beantragten. Denn folgte man jetzt den Anträgen zugunsten der Film- schaffenden, so müsste man erklären, warum man nicht auch weiteren Branchen günstigere Regelungen zuzuge- stehen bereit ist. Das wäre der Dammbruch; denn nie- mand kann dann noch eine Grenze ziehen zu Branchen, denen man den erleichterten Bezug nicht zugestehen will. Das Gaststättengewerbe beispielsweise sieht sich bei den saisonalen Beschäftigungsverhältnissen mit ähn- lichen Problemen konfrontiert. Wir sehen durchaus die Härten und Schwierigkeiten, die manche Branche hat. Ich halte jedoch die mit dem dritten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeits- markt geschaffenen Sondertatbestände für richtig. Sie dienen der Rechtsvereinfachung und Transparenz. Das haben wir bei der von Herrn Beck wieder in Gang ge- setzten Diskussion um längere Bezugszeiten für ältere Arbeitnehmer abgelehnt, und das lehnen wir auch hier ab. Die Arbeitslosenversicherung ist eine Risikoversi- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 13039 (A) (C) (B) (D) cherung. Eine Abweichung von diesem Prinzip ist falsch. Ich verweise aber an dieser Stelle ausdrücklich auf unseren Antrag zur Neustrukturierung der Bundesagen- tur für Arbeit. Wir haben in unserem Konzept zur Neu- organisation der Arbeitslosenvermittlung und Arbeitslo- senversicherung auch Wahltarife vorgesehen, mit denen den individuellen Bedürfnissen der Betroffenen Rech- nung getragen werden kann. Ein Bezug nach kürzeren Anwartschaftszeiten ist damit möglich. Für die schwierige Situation der Betroffenen ist, wie ich eingangs erwähnte, vor allem die Branche mit ihren Spezifika verantwortlich. Insofern sind hier zuallererst die Tarifparteien der Filmbranche gefragt. Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE): In der deutschen Kulturwirtschaft gibt es im Vergleich zu anderen Bran- chen nur wenige Festangestellte, die unbefristet, sozial- versicherungspflichtig und vollzeitbeschäftigt sind. Sie sind eher die Ausnahme. In der Regel arbeiten die Kul- tur-, Medien- und Filmschaffenden in kurzzeitigen Be- schäftigungsverhältnissen. Die wirtschaftliche und soziale Lage von Schauspie- lern, Regisseurinnen und Regisseuren, Malern, Musike- rinnen und Musiker, Dramaturgen, Mediengestalterinnen und Mediengestalter usw. war – von wenigen Ausnah- men abgesehen – auch in der Vergangenheit nie beson- ders rosig: Arbeit und Arbeitslosigkeit wechselten sich regelmäßig ab. Dies haben die Betroffenen in Kauf ge- nommen, weil sie in den Phasen ohne Engagement zu- mindest Arbeitslosengeld erhielten. Durch die Hartz-Gesetze wurde ihre Situation unzu- mutbar verschärft und für manch einen Existenz bedro- hend verschlechtert. Dies darf nicht so bleiben. Früher genügten 360 Tage sozialversicherungspflichtiger Be- schäftigung innerhalb der vergangenen drei Jahre, um Arbeitslosengeld I zu erhalten. Seit dem 1. Februar 2006 wurde diese sogenannte Rahmenfrist auf zwei Jahre ver- kürzt. Für die meisten Kreativen mit wechselnden oder befristeten Anstellungen ist das in der Realität nicht zu schaffen. Die Folge: Statt Arbeitslosengeld I erhalten sie bestenfalls Arbeitslosengeld II, also Hartz IV, und selbst um diese 347 Euro und die Wohnkosten zu erhalten, müssen sie vorher fast ihr gesamtes eigenes Vermögen aufzehren. Wie Sie wissen, lehnen wir Linken diese Regelung grundsätzlich ab, aber für die Kreativen ist sie eine ganz besondere Härte. Sie sind hoch motiviert und arbeiten oft bis zum Umfallen für die jeweilige Produktion oder das jeweilige Projekt. Aber sie haben gar keine Chance, die Bedingungen zu erfüllen; das darf nicht so bleiben. Darum wundert es mich auch nicht, dass bis zu 80 Pro- zent der Betroffenen mit der ihnen gewährten sozialen Absicherung unzufrieden sind. Das kann ich gut verste- hen. Lassen Sie uns gemeinsam die Sorgen der Betroffe- nen ernst nehmen. Dazu müssen wir die besonderen Ar- beitsbedingungen in der Kultur-, Medien- und Filmbran- che berücksichtigen und das Sozialgesetzbuch III entsprechend ändern. Die Linke schlägt vor, dass die Kreativen künftig nicht mehr zwölf Monate sozialversi- cherungspflichtiger Beschäftigung innerhalb der Rah- menfrist von zwei Jahren nachweisen müssen, sondern nur noch fünf Monate. Diese Verkürzung der „Anwart- schaftszeit“ von zwölf auf fünf Monate wäre eine Lö- sung im Interesse der Beschäftigten. Das Problem ist nicht neu. Bereits in der 15. Legislaturperiode wurde es grundsätzlich und partei- übergreifend erkannt. Das wurde in der Anhörung „Aus- wirkungen der Hartzgesetzgebung auf den Kulturbe- reich“ – im Rahmen der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ – ja deutlich. Unter den Kulturpolitike- rinnen und Kulturpolitikern aller Fraktionen besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass hier ein dringender Handlungsbedarf besteht. Erst vor zwei Wochen hat der Kollege Ehrmann von der SPD hier in der Debatte zur Kulturwirtschaft auf die sehr problematische wirtschaftliche Situation insbeson- dere der Künstlerinnen und Künstler hingewiesen. Auch die Enquete-Kommission „Kultur“ fordert, die wirt- schaftliche und soziale Lage der Kulturschaffenden zu verbessern. Sie empfiehlt einstimmig das Schweizer Modell. Danach werden die ersten 30 Tage einer Be- schäftigung für die Anrechnung von Arbeitslosengeld doppelt gezählt. Auch diesem Vorschlag würden wir uns nicht verschließen. Damit Sie mich nicht falsch verste- hen: Unser Ansatz ist der konsequentere, da er auf den Erfahrungen der organisierten Kreativschaffenden in diesem Lande basiert. Aber wir versperren uns keines- wegs anderen Lösungen. Alle Vorschläge, die Sie ma- chen, um die soziale Lage der Kreativschaffenden zu verbessern, werden wir nach Kräften unterstützen. Die Verkürzung der Anwartschaftszeit auf fünf Mo- nate ist meines Erachtens die beste Lösung für die Be- troffenen. Darum werbe ich hier für unseren Antrag und bitte Sie um Ihre Zustimmung, damit auch Sie künftig guten Gewissens ins Theater, Konzert oder ins Kino ge- hen können. Ich wünsche Ihnen nun einen schönen Fei- erabend und ein kulturvolles Wochenende. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zurzeit wird sehr viel über den verlängerten Bezug von Arbeitslosengeld I für Ältere gestritten. Unsere Meinung dazu ist bekannt. Wir fürchten nicht nur, dass dadurch alte Frühverrentungsstrategien wieder fröhlichen Ur- stand feiern, sondern auch, dass die Umsetzung zulasten jüngerer Menschen erfolgt. Der nordrhein-westfälische CDU-Arbeitsminister hat eine Finanzierung zulasten Jüngerer heute noch mal ausdrücklich gefordert, wie dem Handelsblatt zu entnehmen ist. Unsere ablehnende Haltung bedeutet aber nicht, dass wir keinen Handlungs- bedarf bei der Arbeitslosenversicherung sehen. Wer es nicht schafft, innerhalb von zwei Jahren min- destens zwölf Monate in die Arbeitslosenversicherung einzuzahlen, hat keinerlei Anspruch auf Arbeitslosen- geld. Auch nicht, wenn sie oder er elf Monate eingezahlt hat. Zunehmend mehr Menschen sind von dieser Unge- rechtigkeit betroffen. Für sie müssen wir mehr Siche- rung schaffen. Denn obwohl die Betroffenen relativ lange und auch immer wieder in die Arbeitslosenversi- 13040 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 (A) (C) (B) (D) cherung einzahlen, werden sie sofort ins Arbeitslosen- geld II abgedrängt, mit all den damit verbundenen Kon- sequenzen. Und weil die Anzahl der atypischen Beschäftigungsverhältnisse und der befristeten Arbeits- verhältnisse steigt, nimmt das Problem zu. Nach einer neuen Studie des Wirtschafts- und Sozial- wissenschaftlichen Instituts, WSI, ist mittlerweile gut ein Drittel aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland atypisch beschäftigt. Sie haben oft weniger Lohn und schlechtere Perspektiven als Beschäftigte mit klassischer fester Vollzeitstelle. Befristet Beschäftigte und Leiharbeitnehmer tragen ein vier Mal so hohes Risiko, arbeitslos zu werden. Dabei handelt es sich aber keineswegs ausschließlich um Kultur-, Medien- und Filmschaffende. Auch in den klassischen Industriezwei- gen, wie Automobil- und Maschinenbau, gibt es zuneh- mend befristete Arbeitsverhältnisse. Wir müssen das Problem deswegen auch grundsätzlich angehen. Davon profitieren dann natürlich auch diejenigen, die im Be- reich Kultur und Medien schon seit längerem mit flexi- blen Beschäftigungsverhältnissen konfrontiert sind. Wir schlagen Ihnen ein gestaffeltes Modell vor. Wer vier Monate innerhalb von 24 Monaten in die Arbeitslo- senversicherung einzahlt, erhält zwei Monate Arbeitslo- sengeld. Die Anspruchsdauer steigt dann in Stufen bis zu der heute gültigen Regelung: zwölf Monate Beitragszah- lung innerhalb von zwei Jahren ergibt sechs Monate An- spruch. So erhalten diejenigen, die auf befristeten Ar- beitsverhältnissen beschäftigt und stärker von Arbeitslosigkeit betroffen sind, sowohl eher einen An- spruch auf Arbeitslosengeld und damit ein höheres Ein- kommen als auch eine vernünftige Weiterversicherung bei der Rente. Das schafft mehr Sicherheit. Es geht uns mit unserem Antrag aber nicht nur um den Anspruch auf Arbeitslosengeld bei kürzeren Bei- tragszahlungszeiten. Wir fordern darüber hinaus Ände- rungen im Sozialgesetzbuch, die es Arbeitslosen zukünf- tig ermöglichen, eine befristete Vermittlungspause zu vereinbaren. Viele Arbeitsbereiche, insbesondere auch im Kultur- und Medienbereich, erfordern heute eine Pro- jektorientierung und damit ein anderes Herangehen an einen möglichen neuen Arbeitsplatz, als dies unter dem „Korsett“ der üblichen Vermittlungsaktivitäten möglich ist. Wenn zunehmend Flexibilität gefordert wird, dann muss den Arbeitsuchenden auch Freiraum für eigene Aktivitäten ermöglicht werden, und es muss eine neue Absicherung auch bei kurzen Beschäftigungszeiten ge- schaffen werden. Das leistet unser Konzept. Anlage 13 Neuabdruck eines Redebeitrags zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: – zu der Verordnung der Bundesregierung: Fünfte Verordnung zur Änderung der Ver- packungsverordnung – zu dem Antrag: Verpackungsverordnung sachgerecht novellieren – Weichen stellen für eine moderne Abfall- und Verpackungs- wirtschaft in Deutschland – zu dem Antrag: Weg vom Öl im Kunststoff- bereich – Chance der Novelle der Verpa- ckungsverordnung nutzen und mit Bio- kunststoffen echte Kreisläufe schließen (123. Sitzung, Tagesordnungspunkt 26) Michael Brand (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Prä- sidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich feststellen: Dass wir zu so später Stunde über ein Thema sprechen, das Millionen von Fa- milien in privaten Haushalten und Hunderttausende von Betrieben und alle Kommunen in Deutschland betrifft, das zeigt zum einen, dass der Deutsche Bundestag ein wirkliches Arbeitsparlament ist. Zum anderen zeigt es die weitreichenden Folgen einer Verordnung, die immer wieder die Gemüter erregt und zu Diskussionen führt. Ich will jetzt nicht nur auf die lustige Art und Weise auf die erwähnten Plastikenten abstellen; denn dies ist ein ernstes Thema, weil es einen Teil unseres täglichen Lebens betrifft. (Peter Bleser [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Die Verpackungsverordnung ist deshalb von so weit- reichender Bedeutung, weil jedes Kind von Schokolade bis Spielzeug zunächst die Verpackung sieht und weil jede Familie und jeder Single beim täglichen Einkauf mit Verpackungen zu tun hat, die später einer ordentli- chen Verwertung zugeführt werden sollen und müssen. Wir als CDU/CSU stehen zu der haushaltsnahen Sammlung. Das tun wir aus guten Gründen. Erstens. Das System ist ökologisch, weil es Ressourcen schont. Zwei- tens. Es ist ökonomisch, vor allem dann, wenn Wettbe- werb seine faire Chance hat. Drittens. Das System ist bürgerfreundlich, wenn es in enger Abstimmung mit den Kommunen den Bedürfnissen der Verbraucherinnen und Verbraucher gerecht wird. Die CDU/CSU hatte bereits im Dezember 2005 da- rauf gedrängt, die Stabilisierung der haushaltsnahen Sammlung anzugehen. Nachdem Kollege Müller für die Bundesregierung dies im Ausschuss sehr befürwortet hatte, gab es von seinem Kollegen Staatssekretär Machnig zunächst widersprechende Verlautbarungen. Wir in der Union waren jedenfalls überrascht und er- freut, dass der Novellierungsprozess schlussendlich be- gonnen wurde. Wir wissen auch um den Anteil der Um- weltministerkonferenz und der Länder, die hier wertvolle Hinweise gegeben haben. Etwas bedauerlich hat sich die praktische Umsetzung des Novellierungsverfahrens in puncto Offenheit und Transparenz dargestellt. Sofern wir uns noch einmal mit dieser oder einer nächsten Novelle befassen sollten, wäre eine bessere Information des Parlaments sicher an- gemessen. Auch das muss in dieser Beratung angespro- chen werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 13041 (A) (C) (B) (D) Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem Entsor- gung und Verwertung von Verpackungen heute sowohl im privaten Bereich der Haushalte als auch im gewerbli- chen Bereich, zum Beispiel in Gaststätten, Krankenhäu- sern und Kasernen, auf dem sehr grundlegenden Prinzip der individuellen Produktverantwortung – Herr Staats- sekretär Müller, Sie haben es angesprochen – beruhen, hat dieser Entwurf dieses Prinzip im Bereich der Verpa- ckungsentsorgung gestrichen und an seine Stelle eine Pflicht zur Beteiligung an dualen Systemen gesetzt. Neben dieser faktischen Zwangsmitgliedschaft in ei- nem der dualen Systeme hat der Entwurf eine weitere Zwangsmitgliedschaft eingeführt, nämlich an der Stelle, an der nun alle dualen Systeme gemeinsam die Aus- schreibungen koordinieren sollen. Dass uns als Union das Streichen der Produktverantwortung durch den Um- weltminister umweltpolitisch schwerfällt, nachdem die Vorgänger gerade dieses Prinzip hochgehalten haben, ist sicher auch für den Koalitionspartner nachvollziehbar. Die Auffassung, dass Zwangsmitgliedschaften nicht den allerbesten Lösungsansatz darstellen, teilen wir sicher mit der SPD und den anderen Fraktionen des Hohen Hauses. Dennoch, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt: Nachdem Bundesminister Gabriel nur in einem solchen Systemwechsel die Stabilisierung der haushaltsnahen Sammlung umsetzen will, folgen die Koalitionsfraktio- nen dem verantwortlichen Minister. Alle in dieser Koali- tion und viele darüber hinaus teilen den Grundsatz, dass wir eine ökologisch verantwortungsvolle und ökono- misch vernünftige Verpackungsentsorgung dauerhaft ga- rantieren wollen. (Beifall des Abg. Marco Bülow [SPD]) Nachdem zur Anhörung des Bundestages am 10. Ok- tober schriftlich und mündlich ernsthafte Bedenken am Entwurf geäußert wurden, haben wir uns in der CDU/ CSU zunächst noch einmal zu einer Absetzung der No- velle von der Tagesordnung durchgerungen; Herr Kollege Meierhofer hat das eben in seinem Beitrag ange- sprochen. Es ging uns in den Gesprächen mit dem Koali- tionspartner darum, sicherzustellen, die Novelle so rechtssicher zu halten, dass uns – und mehr noch den Bürgerinnen und Bürgern – nicht aufgrund rechtlicher Risiken die haushaltsnahe Sammlung sozusagen um die Ohren fliegt. Nachdem uns die SPD gemeinsam mit den Beamten von Minister Gabriel nochmals deutlich gemacht hat, dass sie auch in Kenntnis der geäußerten Bedenken keine Veranlassung für eine Änderung der Novelle sieht, stimmen wir als CDU/CSU dieser Novelle heute zu. Nun wird diese Novelle in den kommenden Wochen nochmals auf Herz und Nieren geprüft werden, wenn die ebenfalls mit großem Sachverstand ausgestatteten Län- der mit dem Entwurf befasst sein werden. Vom Ergebnis dieser Beratungen wird auch abhängen, ob diese Novelle das Schicksal der Vorgänger erleben wird, nämlich an- ders aus dem Bundesrat herauszukommen, als sie hi- neingegangen waren. Insofern bleibt auch abzuwarten, ob die optimistische Annahme aus dem Hause Gabriel zutreffen wird, dass es keine nennenswerten Änderungs- anträge zu diesem Entwurf geben werde. Ich will dazu- sagen, dass wir diesbezüglich ganz unterschiedliche Signale hören. Vor dem Hintergrund der sicherlich fortlaufenden Diskussionen in den Ländern will ich für die CDU/CSU- Fraktion gerne nochmals festhalten: Wir alle hier wollen unseriöse Verrechnungen und den Missbrauch der dua- len Systeme beenden. Auch das ist unter anderem ein Grund für diese Novelle: Wir alle hier wollen, dass für Leistungen gezahlt wird. Deshalb sind wir für die wei- testmögliche Eindämmung von Trittbrettfahrern. Das BMU hat dazu den Weg eines völligen System- wechsels gewählt, und das ist als federführendes Ressort sein gutes Recht. Bei einem solch einschneidenden Sys- temwechsel mit einer Marktauswirkung von Hunderten von Millionen Euro muss allerdings sehr sorgfältig da- rauf geachtet werden, dass die daraus zwangsläufig ent- stehende faktische Beendigung der bisher erstrangig vorgesehenen Selbstentsorgung rechtliche Probleme auf- werfen kann, die nicht wir hier im Parlament entschei- den werden: Dies werden im Streitfalle die Gerichte zu entscheiden haben, und deshalb legen wir als CDU/CSU Wert auf die Feststellung, dass Bundesminister Gabriel auch in diesem Punkt so klar für diese Novelle einsteht und die Verantwortung dafür übernimmt, dass die haus- haltsnahe Sammlung nicht zusammenbricht, weil die rechtlichen Risiken kontrollierbar seien. Wenn nun auch weitere Themen wie der Einbruch der Mehrwegquote, die umstrittene Praxis der Handelslizen- zierung, die umstrittene Verrechnung von Pfandmengen, die Umdeklarierung von Transportverpackungen, die Missbräuche bei diätetischen Getränken außen vor ge- blieben sind, so ist der Ansatz der Sicherung der haus- haltsnahen Sammlung bei allen strittigen Details im An- satz sehr zu begrüßen. Allen Beteiligten war klar, dass mit dieser Novelle die Reparatur der aufgerissenen Löcher auf dem ökologi- schen Weg der haushaltsnahen Sammlung nicht vollstän- dig erledigt werden konnte; so sollen bestehende Löcher auf diesem Entsorgungsweg repariert werden. Sofern wir keine weiteren Schlaglöcher aufgerissen haben, wird diese Novelle einen großen Teil ihrer Ziele erreichen. Weil wir als Union die Erfinder der haushaltsnahen Sammlung sind und mit dem damaligen Umweltminister Töpfer und seiner Nachfolgerin, der heutigen Bundes- kanzlerin Angela Merkel, diesen erfolgreichen Weg ein- geschlagen haben, wollen wir den Weg der getrennten Sammlung an den Haushalten weiter gehen. Wir werden auch weiterhin alle nötigen Schritte, die zur Sicherung dieses guten Weges notwendig sind, unterstützen. Ich danke Ihnen sehr herzlich für die Aufmerksam- keit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) (A) (C) (B) (D) Anlage 14 Amtliche Mitteilungen Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Innenausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Migrationsbericht 2005 – Drucksache 16/2000 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung gemäß § 5 Abs. 3 des Bun- desstatistikgesetzes für die Jahre 2005 und 2006 – Drucksachen 16/5300, 16/5682 Nr. 2 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über den Stand der Ab- wicklung des Fonds für Wiedergutmachungsleistungen an jüdische Verfolgte – Stand 30. Juni 2007 – – Drucksachen 16/6274, 16/6369 Nr. 1.11 – Ausschuss für Wirtschaft und Technologie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Sechzehntes Hauptgutachten der Monopolkommission 2004/2005 – Drucksache 16/2460 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Anlagenband zum Sechzehnten Hauptgutachten der Monopolkom- mission 2004/2005 – Drucksache 16/2461 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Sechzehntes Hauptgutachten der Monopolkommission 2004/2005 – Drucksachen 16/2460 und 16/2461 – Stellungnahme der Bundesregierung – Drucksachen 16/5881, 16/6369 Nr. 1.7 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Nationales Reformprogramm Deutschland 2005 bis 2008 Umsetzungs- und Fortschrittsbericht 2007 – Drucksache 16/4560 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Deutschen Energie-Agentur GmbH (dena) über die Exportinitiative Erneuerbare Energien für das Jahr 2005 – Drucksachen 16/5016, 16/5327 Nr. 2 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zum Stand der Doha- Runde der Welthandelsorganisation und das Treffen der EU-Handelsminister am 22. Juli 2007 in Brüssel – Drucksachen 16/6287, 16/6487 Nr. 1.3 – sellschaft mbH, Amsterdamer Str. 19 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Anwendung der Richtlinie 95/50/EG des Rates über einheitliche Verfah- ren für die Kontrolle von Gefahrguttransporten auf der Straße – Drucksachen 16/6130, 16/6369 Nr. 1.10 – Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht gemäß Nummer VI der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Eu- ropäischen Union – Drucksachen 16/5875, 16/6008 Nr. 3 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU- Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- tung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 16/6389 Nr. 2.108 Haushaltsausschuss Drucksache 16/6389 Nr. 2.2 Drucksache 16/6389 Nr. 2.37 Drucksache 16/6389 Nr. 2.44 Drucksache 16/6389 Nr. 2.50 Drucksache 16/6389 Nr. 2.98 Drucksache 16/6389 Nr. 2.132 Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 16/5199 Nr. 2.16 Drucksache 16/6389 Nr. 2.22 Drucksache 16/6389 Nr. 2.24 Drucksache 16/6389 Nr. 2.91 Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 16/6389 Nr. 1.45 Drucksache 16/6389 Nr. 1.83 Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Drucksache 16/5806 Nr. 1.1 Drucksache 16/5806 Nr. 1.13 Drucksache 16/5806 Nr. 1.14 Drucksache 16/6041 Nr. 1.8 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 16/5681 Nr. 1.9 Drucksache 16/5681 Nr. 1.12 Drucksache 16/5681 Nr. 1.40 Drucksache 16/6041 Nr. 2.20 13042 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 nd 91, 1 2, 0, T 22 124. Sitzung Berlin, Freitag, den 9. November 2007 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13 Anlage 14
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612400000

Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie
herzlich und wünsche uns allen einen guten Morgen und
gute Beratungen.

Heute ist der 9. November, der Tag im Jahresablauf,
der wie kein zweiter herausragende Ereignisse, Höhe-
punkte und Tiefpunkte der deutschen Geschichte mar-
kiert, von der Ausrufung der Republik 1918 über die
staatlich organisierten Judenpogrome 1938 bis zum Fall
der Mauer 1989. Fast auf den Tag genau vor 200 Jahren
wurde Robert Blum geboren, deutscher Revolutionär,
Kämpfer für Einheit und Freiheit, Mitglied der Frankfur-
ter Nationalversammlung. Robert Blum reiste zusam-
men mit zwei weiteren Abgeordneten im Oktober 1848
nach Wien, wo nach der Wiener Märzrevolution Frei-
heitsbewegungen der nichtdeutschsprachigen Nationen
ausgebrochen waren, zur Unterstützung der dortigen
Aufständischen. Nach einigen öffentlichen Auftritten
und Reden wurde er am 4. November verhaftet. Unmit-
telbar nach seiner Verhaftung schrieb er seiner Frau:

Ich werde unfreiwillig hier zurückgehalten. Denke
dir indes nichts Schreckliches, wir werden sehr gut
behandelt. Allein die große Menge der Verhafteten

Rede
kann die Entscheidung wohl etwas hinausschieben.

Am 9. November 1848 wurde er standrechtlich erschos-
sen. Einen Tag später wäre er 41 Jahre alt geworden.

Die Geschichte der Bemühungen der Deutschen um
die Verbindung von Einheit und Freiheit ist lang und
schwierig. Sie ist von vielen tragischen Ereignissen be-
gleitet, bevor sie 1989/90 ihren glücklichen Abschluss
gefunden hat.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 c
auf:

a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Jahresbericht der Bundesregierung
der deutschen Einheit 2007

– Drucksache 16/6500 –
tzung

9. November 2007

.00 Uhr

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss)


– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung

Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand
der deutschen Einheit 2006

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne-

text
ten Arnold Vaatz, Ulrich Adam, Peter Albach,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Stephan

(Neuruppin)

tion der SPD zu der Unterrichtung durch die
Bundesregierung

Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand
der deutschen Einheit 2006

– Drucksachen 16/2870, 16/3310, 16/4041 –

Berichterstattung:
eordneter Roland Claus

ng der Beschlussempfehlung und des Be-
des Ausschusses für Kultur und Medien
zum Stand
Abg

c) Beratu
richts


(22. Ausschuss)







(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
– zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Börnsen (Bönstrup), Dr. Norbert Lammert,
Ulrich Adam, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten
Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Markus Meckel,
Dr. Gerhard Botz, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten

(Frankfurt)

und der Fraktion der FDP

Errichtung eines Freiheits- und Einheits-
Denkmals

– zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Börnsen (Bönstrup), Dr. Norbert Lammert,
Ulrich Adam, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordne-
ten Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Markus Meckel,
Dr. Gerhard Botz, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD

Errichtung eines Freiheits- und Einheits-
Denkmals

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Lothar
Bisky, Dr. Lukrezia Jochimsen, Petra Pau, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Errichtung eines Denkzeichens mit Doku-
mentationszentrum zur Erinnerung an die
friedliche Revolution 1989

– zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin
Göring-Eckardt, Grietje Bettin, Ekin Deligöz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Diskussionsprozess über ein Freiheits- und
Einheitsdenkmal unter breit angelegter Be-
teiligung der Öffentlichkeit initiieren

– Drucksachen 16/6925, 16/6776, 16/6926,
16/6927, 16/6974 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Wolfgang Börnsen (Bönstrup)

Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)

Dr. Lukrezia Jochimsen
Katrin Göring-Eckardt

Der Ausschuss für Kultur und Medien hat in seine
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6974 die An-
träge der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sowie
der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen
betreffend die Errichtung eines Freiheits- und Einheits-
denkmals auf den Drucksachen 16/6925, 16/6926 und
16/6927 einbezogen. Über diese Vorlagen soll jetzt
ebenfalls abschließend beraten werden. – Ich stelle fest,
dass dazu Einverständnis besteht. Dann ist das so be-
schlossen.

Zum Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand
der deutschen Einheit 2007 liegt ein Entschließungsan-
trag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sowie
ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor.
Zu den Anträgen auf den Drucksachen 16/6776 und
16/6925 zur Errichtung eines Freiheits- und Einheits-
denkmals liegt ein Änderungsantrag von einer Gruppe
von Abgeordneten vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Hierzu
höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
sen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält als Erster
der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung, Wolfgang Tiefensee.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Gäste! Ich bin sehr dankbar,
dass wir den Bericht zur deutschen Einheit heute, am
9. November, beraten. Wenn ich auf die Tribüne schaue,
wo ich eine Vielzahl von jungen Leuten sehe, dann führe
ich mir vor Augen, dass gerade Sie, die Sie vielleicht 18,
19 Jahre alt sind, die Ereignisse um Ihre Geburt herum
nur vom Hörensagen kennen.

Der 9. November 1989 ist eine Zäsur in der deutschen
Geschichte, eine Zäsur nicht nur für Deutschland, son-
dern auch für Europa und die ganze Welt. Für mich als
jemanden, der in den neuen Bundesländern groß gewor-
den ist, ist mit dem Fall der Mauer am 9. Novem-
ber 1989 in vielerlei Hinsicht ein Tor aufgegangen. Das,
was wir über Jahre und Jahrzehnte ersehnt haben, ist
Wirklichkeit geworden: endlich Demokratie, Freiheit
und der Weg hin zur Einheit.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dieser Tag ist nicht vom Himmel gefallen, auch wenn
es wie ein Wunder scheint. Er hatte Vorläufer. Deshalb
halte ich es für ausgesprochen sinnvoll, heute auch über
ein Denkmal für die Freiheit und Einheit zu diskutieren.
Wir müssen an diesen Tag erinnern und uns dennoch vor
Augen führen, dass wir eine Bringschuld gegenüber un-
seren polnischen Nachbarn – Stichwort Gdańsk – und
unseren tschechischen Nachbarn – Charta 77 – haben.
Sie und Perestroika, Glasnost und der zerschnittene Sta-
cheldrahtzaun in Ungarn gemahnen uns: Es gibt Men-
schen, die mit ihrem Blut diesen 9. November 1989
möglich gemacht haben. Wir sollten an sie erinnern,
wenn wir über ein Denkmal, über Denkmäler sprechen.
Ohne diese Menschen gäbe es keine deutsche, keine eu-
ropäische Einheit.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


In diese Zeit fällt ein wunderbares Wort von Willy
Brandt: Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört. –
Wir legen Ihnen einen Bericht vor, der von diesem Zu-
sammenwachsen spricht. Dieser Bericht hat aber auch
eine Problematik. Er beschreibt nämlich vorwiegend die






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Wolfgang Tiefensee
Differenzen. Er setzt die wirtschaftliche Entwicklung,
die soziale Entwicklung, die Entwicklung auf dem Ar-
beitsmarkt in den neuen Bundesländern immer in Rela-
tion zu der in den alten Bundesländern. So kann es leicht
passieren, dass wir die Diskussion nur über die Unter-
schiede führen. Deshalb wünschte ich, dass dieser Be-
richt mit seiner realistischen Sicht auf das, was sich in
den neuen Bundesländern in den letzten Monaten und
Jahren verändert hat, die Tür für eine weitere Herange-
hensweise öffnet, die ich mit „Zusammen wachsen“ be-
zeichnen möchte; denn nicht nur zusammenzuwachsen
im Willy-Brandt’schen Sinne ist wichtig, sondern auch,
dass Deutschland in Ost und West gleichermaßen die
Herausforderungen annimmt und dass die neuen Bun-
desländer ihren Beitrag dazu leisten. Wir sollten also die
produktive Spannung von Differenzen, die darin besteht,
dass wir in den neuen Bundesländern anderes als die al-
ten Bundesländer einbringen können, um Deutschland
und Europa insgesamt voranzubringen, in der Zukunft
mehr in den Blick nehmen.

Es gibt äußerst positive Entwicklungen in den neuen
Bundesländern. Sie sind markiert durch die hervorra-
gende industrielle Entwicklung, die ein deutliches Mehr
in Relation zu den anderen Bundesländern aufweist.
10 Prozent, 11 Prozent Wachstum zeigen, dass wir auf-
holen. Die schlechte Nachricht: von einem vergleichs-
weise niedrigen Niveau aus. Der Arbeitsmarkt belebt
sich. Die Zahl der Kurzzeitarbeitslosen wird in den
neuen Bundesländern in gleichem Maße wie in den alten
reduziert. Die schlechte Nachricht: Das Niveau ist nach
wie vor hoch, zu hoch, immer noch doppelt so hoch wie
in den alten Bundesländern. Die Langzeitarbeitslosigkeit
verfestigt sich auf hohem Niveau. Wir haben eine gestei-
gerte Exportquote zu verzeichnen. Das Bruttoinlands-
produkt steigt. Das ist gut. Die schlechte Nachricht: Es
beträgt im Vergleich zu den alten Bundesländern nur
67,5 Prozent. Dieses Sowohl-als-auch, dieses Viel-er-
reicht-viel-zu-tun, markiert diesen Bericht zum Stand
der deutschen Einheit.

Was müssen wir tun? Wir müssen bei der wirtschaft-
lichen Entwicklung ansetzen. Deshalb muss alles
unterstützt werden, was in Richtung Stärkung der Ge-
meinschaftsaufgabe, Förderung der industriellen Dienst-
leistungen und des Beherbergungsgewerbes geht. Wir
brauchen eine Aufstockung in diesem Bereich. Ich
denke dabei auch an die Investitionszulage. Wir müssen
die Zahlung der Investitionszulage über das Jahr 2009
hinaus fortsetzen, damit sowohl in den kleinen und gro-
ßen Wachstumszentren als auch auf dem flachen Lande,
also in den ländlichen Räumen, gefördert werden kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir müssen etwas tun, um denjenigen eine Perspek-
tive zu geben, die langzeitarbeitslos sind. Die Langzeit-
arbeitslosigkeit ist die Geißel in den neuen Bundeslän-
dern. Mein Kollege Franz Müntefering und ich haben
deshalb das Modell „Kommunal-Kombi“ ausgearbeitet;
gestern haben wir darüber mit den Ländervertretern noch
einmal diskutiert. Wir wollen sozialversicherungspflich-
tige Arbeitsplätze für diejenigen schaffen, die länger als
zwei Jahre arbeitslos sind und beheimatet sind in Regio-
nen, die eine Arbeitslosigkeit von über 15 Prozent aus-
weisen. Das Neue ist, dass das auch Gebiete in den alten
Bundesländern treffen wird, weil auch sie von dieser
Problematik betroffen sind.

Wir müssen mehr für Forschung und Entwicklung
tun. Wir tun das, indem wir mit Innovationswettbewer-
ben wie „Wirtschaft trifft Wissenschaft“ die Verbindung
von Industrie und Wissenschaft, Forschungseinrichtun-
gen und Forschungsinstitutionen verbessern.

Wir müssen auch bei der demografischen Entwick-
lung ansetzen. Noch immer wandern viel zu viele krea-
tive Menschen aus. Sie gehen in die alten Bundesländer
oder in die Wachstumszentren der neuen Bundesländer,
und die ländlichen Räume bluten aus. Am Stettiner Haff
und um den Kyffhäuser herum erproben wir mit Modell-
projekten, wie der ländliche Raum Attraktivität und da-
mit Bindewirkung entfalten kann, damit junge, kreative
Leute, damit Frauen und Männer diese Orte nicht verlas-
sen, sondern bleiben bzw. hinziehen. Das ist eine gigan-
tische Zukunftsaufgabe, der wir uns stellen. Wir sind auf
gutem Wege. Wir brauchen alle Instrumentarien, um den
Aufschwung Ost zu beschleunigen.

Hierzu dient die Betrachtung der Geschichte. Demo-
kratie, demokratische Entwicklung, der Aufbau der
neuen Länder zusammen mit den Bürgerinnen und Bür-
gern, das ist die Essenz, aus der ein weiterer Auf-
schwung entstehen kann. Ich sage noch einmal: Lassen
Sie uns in Berlin an die Zeit des 9. November 1989 erin-
nern, und zwar nicht nur als Rückbezug auf die Ge-
schichte davor und um dieses Datum herum, sondern
auch, um über Demokratie, Aufbruch zur Demokratie
und Stabilität der Demokratie zu reden.

Wir haben das Problem des aufkeimenden Rechts-
extremismus. Wir haben das Problem, dass Straftaten
mit rechtsradikalem Hintergrund in Deutschland zuneh-
men, besonders in den neuen Bundesländern. Wir müs-
sen auch im Hinblick auf das Datum 9. November
– 9. November 1989, aber auch 9. November 1938 –
über diese Fragen diskutieren.

Entscheidend war nicht zuletzt der 9. Oktober 1989 in
meiner Heimatstadt Leipzig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)


Diejenigen, die die friedliche Revolution miterlebt ha-
ben, wissen, dass es ohne Leipzig einen solchen 9. No-
vember nicht gegeben hätte. Auch hier gilt es, in der
Öffentlichkeit ein markantes, signifikantes Zeichen zu
setzen, damit wir uns daran auch in Zukunft erinnern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wenn es darüber hinaus gelingt, an bestimmten Orten
Zeichen zu setzen, wie es schon heute beispielsweise in
Magdeburg geschieht, damit Eltern eine Anlaufstelle ha-
ben, um ihren Kindern zu sagen: „Ich war damals dabei;
ich habe mit dafür gesorgt, dass du frei reden und reisen
kannst, dass du dich organisieren kannst, dass du in






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Wolfgang Tiefensee
Demokratie und Freiheit lebst“, dann wären das Erin-
nern und der Aufbruch komplett.

Willy Brandt hat gesagt:

Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein, im
Inneren und nach außen.

Lassen Sie uns den Bericht zum Stand der deutschen
Einheit und den 9. November 1989 dazu nutzen, unsere
Kraft für ein Zusammenwachsen in Deutschland einzu-
setzen und dafür, dass Freiheit und Demokratie nicht nur
hier, sondern auch andernorts zum Durchbruch kommen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612400100

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Besuchertri-

büne hat Lothar de Maizière, der erste und letzte frei
gewählte Ministerpräsident der DDR, Platz genommen.
Lieber Herr de Maizière, ich begrüße sie ganz herzlich
heute im Deutschen Bundestag.


(Beifall)


Ich verbinde meinen und unseren Gruß ausdrücklich mit
unserem großen Respekt, den ich Ihnen stellvertretend
für viele Frauen und Männer diesseits und jenseits politi-
scher Ämter für den herausragenden Beitrag zum Aus-
druck bringen möchte, den Sie zur Vollendung der Ein-
heit in Freiheit und Frieden geleistet haben.


(Beifall)


Mein herzlicher Gruß gilt auch Bischof Huber, dem
ich zugleich für seinen geistigen und geistlichen Einstieg
in den heutigen Tag bei der ökumenischen Morgenbesin-
nung herzlich danken möchte.


(Beifall)


Wir setzen die Aussprache fort. Der nächste Redner
ist der Kollege Joachim Günther für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Joachim Günther (FDP):
Rede ID: ID1612400200

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-

nen und Kollegen! Ich finde es gut, dass Sie, Herr
Präsident und Herr Minister, den 9. November bereits
gewürdigt haben. Ich möchte mich dem voll und ganz
anschließen. Ich finde es sehr gut, dass wir die Debatte
zur deutschen Einheit an diesem Tag zu einer Stunde
durchführen, in der eine breite Öffentlichkeit sie mitbe-
kommt.

Heute vor 18 Jahren ist die Mauer gefallen. Das ist
ein Thema, das uns 18 Jahre danach weiter beschäftigt
und, wenn wir diesen Bericht genau betrachten, sicher-
lich auch in 18 Jahren noch beschäftigen wird. Sie, Herr
Minister, haben uns einen Bericht vorgelegt, der – das
sage ich bewusst – strukturierter und aussagekräftiger ist
als die Berichte der Vorjahre. Aber auch dieser Bericht
enthält kein Gesamtkonzept zur Entwicklung Ost; ein
solches fordern wir schon seit Jahren im Zusammenhang
mit diesem Bericht.


(Beifall bei der FDP)


Es kommt jetzt darauf an, die Konsequenzen aus die-
sem Bericht und denen der Vorjahre schneller als in der
Vergangenheit aufzunehmen und sie in die Realität um-
zusetzen. Deshalb möchte ich einige Fakten aus dem Be-
richt darlegen und versuchen, ein paar Lösungswege
aufzuzeigen.

Fakt ist zwar, dass die Arbeitslosigkeit im Osten
unseres Landes, wie Sie, Herr Minister, gesagt haben,
zurückgegangen ist. Aber sie ist nach wie vor doppelt
so hoch wie in den alten Bundesländern. Fakt ist auch,
dass die überwiegende Zahl der Geringverdiener und
ALG-II-Empfänger im Osten Deutschlands wohnt.

Ich möchte deshalb die wirtschaftliche Lage etwas
detaillierter betrachten. Das Bruttoinlandsprodukt – so
steht es in Ihrem Bericht – stieg im Osten real mit
3 Prozent leicht stärker als im Westen mit 2,7 Prozent.
Damit sind wir beim Pferdefuß der Entwicklung. Die
Wirtschaftskraft je Einwohner beträgt in den neuen Bun-
desländern nach wie vor zwei Drittel der Wirtschafts-
kraft in den alten Bundesländern. Wenn wir die Anglei-
chung von Ost und West weiter in solchen Schritten
betreiben, werden wir noch in Jahrzehnten über die An-
gleichung reden. Deshalb muss uns hier etwas Neues
einfallen.


(Beifall bei der FDP)


Weniger produktive Arbeitsplätze und geringere Be-
zahlung bedeuten mehr Abwanderung im Osten
Deutschlands; das ist ein Kreislauf, infolgedessen in ei-
nigen Jahren junge und qualifizierte Arbeitskräfte fehlen
werden. Dies hat die Bundesregierung in ihrem Bericht
richtig aufgezeigt. Dort heißt es:

Die Bevölkerungszahl in den neuen Ländern geht
kontinuierlich zurück.

Das stimmt, und das wird in einigen Gebieten auch nicht
zu verhindern sein. Ich zumindest bin aber nicht bereit,
das Ganze einfach hinzunehmen oder als unabwendbar
zu bezeichnen.


(Beifall bei der FDP)


Diskussionen, wie sie jetzt in Brandenburg begonnen ha-
ben, darüber, ganze Randgebiete der Entvölkerung zu
überlassen, können nicht das Ziel sein, wenn man eine
liebenswerte Heimat erhalten will.


(Beifall bei der FDP)


Deshalb müssen wir ständig versuchen, die Rahmenbe-
dingungen, die wir – das betone ich – selbst beeinflussen
können, zum Positiven zu wenden.

Wir als FDP haben dafür in den vergangenen Jahren
konkrete Vorschläge unterbreitet; sie liegen auch jetzt
wieder vor. Ich möchte nur zwei davon ganz kurz strei-
fen: Wie lange wurde in allen Parteien über die Schaf-
fung von Modellregionen gesprochen und gerichtet?
Nichts ist auf den Weg gekommen. Die Infrastrukturpro-
jekte „Deutsche Einheit“ müssen konsequent zu Ende






(A) (C)



(B) (D)


Joachim Günther (Plauen)

geführt werden, ohne Zeitverzögerungen in einigen Be-
reichen.

Ich bitte die Bundesregierung, die Fördermittel für die
EU-Osterweiterung aus den Strukturfonds wirklich für
den grenzüberschreitenden und transeuropäischen Aus-
bau der Verkehrsnetze einzusetzen. Dies wird immer
dringender. Vor uns steht der 21. Dezember 2007: Die
Grenzkontrollen zu Tschechien entfallen. Das Schengen-
Abkommen tritt dort in Kraft. Die Situation wird dem zu
erwartenden Verkehr nicht gerecht. Da müssen wir Ab-
hilfe schaffen.


(Beifall bei der FDP)


Nehmen wir das Beispiel „Bildung und Hochschul-
standorte“, also die Voraussetzung, dass die Jugend im
Lande bleibt und sich weitere Industrie ansiedelt. Sie als
Bundesregierung schreiben in Ihrem Bericht, dass ost-
deutsche Universitäten vor einer besonderen Heraus-
forderung stehen und bis 2020 einen Minderbedarf von
150 000 Studienplätzen haben. Wer diese Zahl theore-
tisch hochrechnet, der kommt zu dem Schluss: Diese
Universität wird geschlossen, und diese Universität wird
geschlossen. – Das ist meines Erachtens nicht hinnehm-
bar.

Ich freue mich besonders, dass Sie in Ihrem Bericht
mitteilen, dass der Bund finanzielle Mittel zur gezielten
Anwerbung westdeutscher Studenten und zum Aufbau
der Universitäten zur Verfügung stellt. Das ist gut, aber
es muss sofort erfolgen. Die Universitäten im Osten
müssen die Voraussetzungen erhalten, sich selbstständig
zu Eliteuniversitäten zu entwickeln. Wir haben den
Traum – mit Blick in Richtung Osteuropa –, auch Stu-
denten aus dem Ausland in diese Regionen zu bekom-
men, wenn wir im Osten solche Eliteuniversitäten haben.
Das wäre ein Aufschwung, und das wäre eine Verfesti-
gung der Universitätslandschaft.


(Beifall bei der FDP)


Wenn wir von Forschung sprechen, dann möchte ich
nur erwähnen: Seit Jahren reden wir über die Ansiedlung
einer Großforschungsanlage im Osten Deutschlands.


(Uwe Barth [FDP]: Das steht im Koalitionsvertrag!)


Wir haben noch keine, die diesen Namen wirklich ver-
dient. Deswegen gilt es, auch auf diesem Gebiet weiter
voranzukommen.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Markus Meckel [SPD])


Neben den Universitäten gäbe es noch viele andere
Punkte zu erwähnen. Herr Minister, wenn meine Zeit et-
was länger wäre, würde ich die Stadtumbaupro-
gramme besonders loben; denn sie sind ein sehr positi-
ves Beispiel dafür, wie es in diese Richtung weitergeht.
Sie greifen inzwischen in Ost und West. Sie sind das
Fundament dafür, dass wir in der Stadtentwicklung vo-
rankommen.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Iris Gleicke [SPD])

Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, den ich als
gefährlich betrachte und der für unser Land kompliziert
werden kann. Neben Universitäten und industriellen
Schwerpunkten dürfen wir den ländlichen Raum nicht
außer Acht lassen. Als ein Beispiel möchte ich hier das
Erzgebirge nennen, eine Region, wo es im Moment noch
Löhne gibt, die irgendwo bei 3,40 Euro beginnen. Das
ist zu gering für das tägliche Leben. Aber ich bitte Sie,
noch weiter zu denken. Wenn diejenigen, die solche
Löhne erhalten, in 10 bis 15 Jahren in das Rentenalter
kommen, dann wird die Durchschnittsrente so drastisch
sinken, dass wieder andere Mittel aus dem Sozialbereich
eingesetzt werden müssen. Es besteht die Gefahr, dass
wir in einigen Gebieten in Deutschland eine Art Armen-
haus bekommen. Da müssen wir gegensteuern.

Auch hierzu gibt es ein Konzept von uns. Ich weiß,
dass es darüber viele Diskussionen gibt. Das Bürger-
geld für Geringverdienende einzuführen, um ein men-
schenwürdiges Leben zu ermöglichen, fände ich wich-
tig; das wäre eine tolle Sache.


(Beifall bei der FDP)


Sie sehen, meine Damen und Herren: Es gibt in unse-
rem Vaterland auch 18 Jahre nach dem Mauerfall noch
viel zu tun. Wer mich vor 17 Jahren, als wir über die
Einheit gesprochen haben, gefragt hat: „Wie lange wird
dieser Angleichungsprozess denn dauern?“, dem habe
ich damals gesagt: Ich schätze, fünf bis zehn Jahre. –
Heute weiß ich: Das war deutlich zu kurz gesprungen.
Heute weiß ich, dass wir noch mehr dafür tun müssen
und unsere Anstrengungen verdoppeln müssen, damit es
nicht zu großen Unterschieden und sozialen Spannungen
kommt.

Wir sind dazu bereit. Wir arbeiten an diesem Projekt
konkret mit. Die Vorschläge der FDP liegen vor. Ich
wäre Ihnen dankbar, wenn wir uns miteinander offensiv
damit befassen könnten, um das Ziel zu erreichen, dass
sich der Osten Deutschlands in einigen Jahren sozusagen
als angeglichene Gesellschaft innerhalb unseres Vater-
landes versteht.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Markus Meckel [SPD])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612400300

Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun der Kollege

Volker Kauder das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1612400400

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Der 9. November hat für uns Deutsche zwei Ge-
sichter. Da ist der 9. November, die Pogromnacht, in der
die Juden in unserem Land körperlich verfolgt und er-
mordet wurden, in der Synagogen angezündet, Ge-
schäfte geplündert wurden und in der es keine Proteste
auf den Straßen in Berlin und in unserem Land gab. Es
wurde weggeschaut. Dieser Tag ist für uns ein Tag, der
uns beschämt, ein Tag, an dem der Naziterror so richtig






(A) (C)



(B) (D)


Volker Kauder
begonnen hat, der unser Land weit zurückgeworfen hat.
Die moralischen Grundlagen sind zerstört worden.

Dann, 50 Jahre später: Die Deutschen im Osten ste-
hen auf. Tausende versammeln sich vor den Grenzaus-
gangsstellen und rufen: Wir wollen raus. Sie protestieren
mutig, obwohl sie die Kenntnis vom 17. Juni 1953 hat-
ten. Diese Menschen gehen auf die Mauer, stürmen die
Mauer. Deswegen dürfen sie heute mit Stolz auf das
schauen, was damals gemacht wurde und was heute
18 Jahre alt wird: die deutsche Einheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit der deutschen Einheit hat etwas ganz Neues be-
gonnen. Aber vor allem hat für viele Menschen ein
neues Leben, für viele hat eigentlich erst ihr Leben be-
gonnen: Sie waren befreit aus den Gefängnissen von
Bautzen und Hohenschönhausen. Todesstreifen und Sta-
cheldraht, Bedrängung und Vernehmungen gab es nicht
mehr. Das Leben der anderen ist zum eigenen Leben ge-
worden.

Wir haben heute einige derjenigen, die unter diesem
menschenverachtenden Drucksystem gelitten haben,
eingeladen. Ich heiße sie herzlich willkommen und freue
mich darüber, dass sie die neu gewonnene Freiheit jetzt
für neues Leben nutzen konnten.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Wir haben uns in der Großen Koalition nicht nur mit
der Frage beschäftigt, wie es in den neuen Ländern wei-
tergeht, sondern natürlich auch an diejenigen Menschen
gedacht, die unter dem alten System gelitten haben. Es
war zwar nicht ganz einfach; aber wir haben es ge-
schafft, eine Pension, eine Entschädigung für diejeni-
gen einzuführen, die in den Gefängnissen der DDR ei-
nen Teil ihres Lebens gelassen haben. Ich danke allen
Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition dafür,
dass dies gelungen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die deutsche Einheit war nicht selbstverständlich. Sie
war das Werk der Menschen. Aber sie konnte nur gelin-
gen, weil es im Osten und im Westen immer Menschen
gab, die an die deutsche Einheit geglaubt haben. Die
deutsche Einheit konnte nur aus folgendem Grund gelin-
gen: Es war Schicksal – dies gilt nicht für den
9. November 1938 und den 9. November 1989; das wa-
ren Geschehnisse, die von Menschen gemacht wurden –,
dass genau zu dieser Zeit einer Kanzler war, der die
deutsche Einheit wollte. Nur wer die deutsche Einheit
wollte, konnte die Einheit herbeiführen und zum Kanzler
der Einheit werden: Helmut Kohl.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


– Frau Kollegin von der Linken, da gibt es überhaupt
nichts zu lachen. An Ihrer Stelle würde ich das Gesicht
nicht verziehen und eisern schweigen. Es war nämlich
Ihr Parteivorsitzender, Oskar Lafontaine, der in einem
Interview im Morgenmagazin des WDR und in einem
Interview in einer großen Tageszeitung auf die Frage,
wie es nun weitergehen soll, gesagt hat: Soll etwa jeder,
der deutscher Abstammung ist, jetzt auf einmal Rente
beziehen?

Soll jetzt jeder, der deutscher Abstammung ist, auf
einmal unser Kindergeld bekommen? – Da kann ich nur
sagen: Wer den Deutschen im Osten die Sozialleistungen
nicht gegönnt hat, braucht sich heute nicht als jemand
aufzuspielen, der die Interessen der Menschen im Osten
wahrnimmt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD Lesen Sie die Interviews von Oskar Lafontaine! Dann wird für Sie von den Linken der 9. November 1989 zu einem noch größeren Tag der Schande, als er ohnehin für Sie und Ihre Vorgänger geworden ist. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Wo ist er denn?)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, viele Zei-
tungen titeln heute: Die deutsche Einheit wird 18; sie
wird volljährig. – Ja, aber jeder weiß: Auch derjenige,
der volljährig ist, hat noch eine große Entwicklung vor
sich. Die Entwicklung ist noch lange nicht abgeschlos-
sen. Das sehen wir auch im Bericht zur deutschen Ein-
heit.

Wir haben viel erreicht, und darauf dürfen wir alle
miteinander stolz sein. Ich sage nur ein Beispiel von vie-
len, die man nennen könnte: 4,8 Milliarden Euro hat der
Bund bisher im Zusammenhang mit der Wismut ausge-
geben, um ein Gebiet zu sanieren, das in der DDR ver-
wüstet wurde. Dort sind im Übrigen, unbestritten blü-
hende Landschaften entstanden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Minister Tiefensee hat darauf hingewiesen, dass es
aber noch viel zu tun gibt. Herausforderungen sind für
uns in besonderer Weise die demografische Entwick-
lung, dass zu wenige Menschen in den neuen Ländern
geboren werden – das ist kein Sonderproblem; das haben
wir in der ganzen Bundesrepublik, aber dort herausra-
gend –, und die Abwanderung.

Die Abwanderung ist natürlich eine freie Entschei-
dung der Menschen. Ich bitte bei allen Diskussionen zu
berücksichtigen: Es wäre wohl zynisch, denjenigen, die
Jahrzehnte hinter Mauer und Stacheldraht gehalten wur-
den und nicht reisen konnten, jetzt zu sagen: Ihr müsst in
den neuen Ländern bleiben und dürft nicht weg. Es wur-
den aber auch keine Räume entleert, wie einmal formu-
liert worden ist. Vielmehr haben die Menschen eine freie
Entscheidung getroffen.

Wir müssen nun in den neuen Ländern Bedingungen
schaffen, dass junge Menschen aus den alten Bundeslän-
dern in die neuen Länder zurückkehren, dass es attraktiv
ist, in den neuen Ländern zu studieren, dass es attraktiv
ist, in den neuen Ländern berufstätig zu sein. Von dieser
Debatte muss das Signal ausgehen: Es lohnt sich, in den






(A) (C)



(B) (D)


Volker Kauder
neuen Ländern zu lernen, es lohnt sich, in den neuen
Ländern zu leben.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Es ist nicht nur in Baden-Württemberg und Bayern
schön, sondern es ist auch in Mecklenburg-Vorpommern
und in Sachsen schön.


(Iris Gleicke [SPD]: Und Thüringen! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Und in Brandenburg!)


– Und in Thüringen und in vielen anderen Ländern.


(Heiterkeit)


Es ist in ganz Deutschland schön, und zu Deutschland
gehören auch die neuen Bundesländer.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Deswegen ist es gut, dass es – auch wenn der Begriff
schon ziemlich abgegriffen ist – Leuchtturmprojekte
gibt. Wir müssen darüber reden, dass die allermeisten
Universitäten in den neuen Ländern Leuchtturmprojekte
sind. Wenn ich mich erinnere, wie bei uns zu meiner Stu-
dienzeit das Zahlenverhältnis von Studenten zu Profes-
soren war, und wenn ich mir heute das Zahlenverhältnis
von Studenten zu Professoren an den Universitäten in
den neuen Ländern anschaue, kann ich nur sagen: Ei-
gentlich müsste jeder ein Interesse daran haben, in einer
so guten Situation zu studieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen Leuchtturmprojekte in den neuen Ländern
aufbauen, damit die Menschen sagen: In diesem Umfeld
sehe ich Chancen und Zukunft.

Es gibt ein Projekt, bei dem man geradezu darüber-
schreiben könnte: Bei uns wird Zukunft gemacht. Ich
meine das Biomasseforschungszentrum in Leipzig, aus
dem heraus neue Impulse für erneuerbare Energien kom-
men werden. Es lohnt sich, sich um dieses Projekt herum
anzusiedeln, sowohl für den Mittelstand als auch für
junge Menschen, die sich für diese Forschung interessie-
ren.

In den neuen Bundesländern wachsen eine moderne
Wirtschaft und eine moderne Industrie. Nun kommt es
darauf an, dass wir diesen Wachstumsprozess im Osten
ebenso wie im Westen befördern. Das Wachstum kommt
ebenso wenig von allein, wie die deutsche Einheit von
allein kam. Gerade im Hinblick auf die Entwick-
lungschancen und die Entwicklungsmöglichkeiten, die
in den neuen Ländern bestehen, gilt, dass wir in der Gro-
ßen Koalition Kurs halten und den Aufschwung weiter
anfeuern müssen. Das muss unser Thema sein. In der
Konsequenz muss der Aufschwung bei allen Menschen
in unserem Land ankommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die deutsche Einheit, die mit dem heutigen Tag
18 Jahre alt geworden ist, ist für uns eine immer wieder
neue Herausforderung. Wir sehen, dass wir mit unserer
Arbeit etwas erreichen können. Das macht uns Mut und
gibt uns Optimismus, dass wir bei allem, was noch zu
tun ist, der inneren Einheit Tag für Tag und Jahr für Jahr
ein Stück näher kommen werden. Damit dies gelingt,
muss man sich, trotz aller Probleme, die wir haben, im-
mer wieder an das zurückerinnern, was 1989 geschehen
ist: an die Freude des Aufbruchs zu Einheit und Freiheit.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612400500

Das Wort erhält nun die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch,

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612400600

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Herr Präsident, Sie haben in Ihren
einführenden Worten auf die wechselvolle Geschichte
des 9. November hingewiesen. Für meine Fraktion
möchte ich ganz deutlich sagen: Wir dürfen nie den An-
blick der brennenden Synagogen vom 9. November
1938 aus unserem Gedächtnis entlassen. Das muss im-
mer Anlass für uns sein, gegen Neofaschismus und
Rechtsextremismus zu kämpfen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben
frenetisch geklatscht, als mein Vorredner auf Oskar
Lafontaine und seine Äußerungen in den Jahren 1989/90
einging. Ich möchte Sie daran erinnern: Oskar
Lafontaine war damals Ihr Kanzlerkandidat und später
Ihr Parteivorsitzender.


(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU und der SPD – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Dann ist er angekommen, wo er hingehört!)


Um einen Uferweg am Potsdamer Griebnitzsee ist ein
heftiger Streit entbrannt. Nach dem Mauerfall schlender-
ten dort täglich Spaziergänger mit Blick auf wunder-
schöne Weiden und das tiefgrüne Wasser des Griebnitz-
sees entlang und genossen die gewonnene Freiheit.
Damit soll nach Auffassung der dortigen Villenbesitzer
Schluss sein. Sie reklamieren den Weg für sich. Sie lie-
ßen den Weg kurzerhand durch eine Handvoll Schläger-
typen absperren. Da diese Wildwestmethoden untersagt
wurden, versuchen die Anwälte der Villenbesitzer jetzt
mit allen juristischen Mitteln, den Weg für die Öffent-
lichkeit sperren zu lassen. Diese Leute wollen den Blick
auf den See mit niemandem teilen. Sie wollen ihn ganz
für sich allein haben.

Diese Geschichte beschreibt die Situation in unserem
Land plastischer als alle Berichte und Studien, die die
Bundesregierung bisher vorgelegt hat.


(Jan Mücke [FDP]: Das glauben Sie doch selbst nicht!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gesine Lötzsch
Jeden Tag erleben wir, wie öffentliches Eigentum in pri-
vate Taschen fließt, wie Bürgerinnen und Bürger enteig-
net werden, und jeden Tag erleben wir, wie die Bundes-
regierung Zäune zieht, die die Gesellschaft in viele
kleine Teilgesellschaften aufspalten.


(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der SPD)


Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat in
einer aktuellen Studie festgestellt, dass 10 Prozent der
Deutschen fast zwei Drittel des gesamten Volksvermö-
gens besitzen, die Mehrheit dagegen fast nichts hat. Die
Studie zeigt, dass das Durchschnittsvermögen eines
Westdeutschen zweieinhalbmal höher als das eines Ost-
deutschen ist. Ostdeutsche sind eher verschuldet und be-
sitzen seltener Wohneigentum. Auch Frauen sind be-
nachteiligt. Ihr Kapital ist im Schnitt fast 30 000 Euro
niedriger als das von Männern.


(Zuruf von der CDU/CSU: 40 Jahre!)


Diese Verteilung ist nicht von Gott gegeben, sie ist auch
nicht mit dem Zuruf „40 Jahre!“ zu erklären, sie ist das
Ergebnis der Umverteilungspolitik der alten und der
neuen Bundesregierung.


(Beifall bei der LINKEN)


Die CDU/CSU-SPD-Regierung denkt nicht im Traum
daran, diese Umverteilung zu stoppen. Nein, Sie legen
immer noch eins drauf. Die geplante Erbschaftsteuerre-
form wird die Reichen noch reicher machen. Das ist ein
Skandal.


(Beifall bei der LINKEN)


Der geplante Verkauf der Bahn ist eine Enteignung
der Bürgerinnen und Bürger, die die Bahn mit ihren
Steuern über Jahrzehnte finanziert haben. Für den Osten,
Herr Kollege Tiefensee, ist dieser Verkauf besonders
schlimm, weil er zu vielen Streckenstilllegungen in den
neuen Bundesländern führen wird. Auch die Einführung
von Studiengebühren schafft Bildungsmauern, die sich
nicht durch Stipendien durchbrechen lassen werden.


(Beifall bei der LINKEN – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Sie hätten sich aus Anlass dieses Tages ein bisschen mehr Mühe geben können!)


Für eine ostdeutsche Familie, die kaum über Ersparnisse
verfügt, ist es eine große finanzielle Belastung, ihre Kin-
der auf die Universität zu schicken.

Zusammengefasst kann man sagen: Es ist nicht gut,
wenn man arm ist. Es ist gar nicht gut, wenn man arm ist
und im Osten lebt. Es ist ganz schlecht, wenn man arm
im Osten lebt und eine Migrantin ist.

Wer für Ostdeutschland eine Zukunft will, der muss
in Bildung investieren. Ich interessiere mich schon län-
ger für die Verteilung der Gelder im Rahmen von Bun-
desprogrammen. Es zeigt sich, dass der Osten unter-
durchschnittlich wenig Geld aus diesen Programmen
erhält. Für die Raumfahrt gehen nur 7 Prozent, für die
Energieforschung nur 10 Prozent und für den Studenten-
und Wissenschaftleraustausch nur ganze 4 Prozent der
Mittel dieser Bundesprogramme in den Osten. Bei der
Exzellenzinitiative der Bundesregierung gingen die ost-
deutschen Universitäten ganz leer aus. Die Begründung
der Bundesregierung war lapidar: Wir fördern nur die
Besten. Wenn der Osten nicht gut ist, dann hat er Pech
gehabt. Da frage ich mich, Herr Tiefensee: Was machen
Sie als Ostbeauftragter der Bundesregierung? Haben Sie
mehr zu bieten als schöne Worte und kleinlaute Forde-
rungen an die Bundesregierung? Ich habe von Ihnen bis-
her vor allen Dingen schöne Worte gehört, aber keine
konkreten Taten gesehen. Die erwarten wir.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir als Linke wollen mit den vielen abgestuften Un-
gerechtigkeiten in unserem Land Schluss machen. Wir
wollen einen gerechten Mindestlohn, egal ob in Ost oder
West.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen eine armutsfeste Rente. Sie soll im Osten
nicht niedriger sein als im Westen. Wir wollen bessere
Bildungschancen für alle, egal ob sie in Frankfurt/Oder
oder in Frankfurt/Main zur Universität gehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass Herr
Lothar de Maizière hier so freundlich begrüßt wurde. Ich
möchte Sie aber daran erinnern, dass auch der letzte Mi-
nisterpräsident der DDR, Hans Modrow, einen wesentli-
chen Anteil daran hatte, dass der Weg in die deutsche
Einheit friedlich und erfolgreich gegangen werden
konnte.


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!)


Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612400700

Das Wort erhält jetzt der Kollege Peter Hettlich für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612400800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Kollegin Lötzsch, das war eine wirklich
schwache Rede.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen – wir kennen uns
schon lange –: Die Redebeiträge der Linken in den De-
batten über den Bericht zum Stand der deutschen Einheit
in den letzten Jahren hatten mehr Qualität; Sie waren
schon erheblich weiter. Das heute war nur billige Pole-
mik. Sachliche und inhaltliche Punkte waren in Ihrer
Rede nicht zu finden. Das bedauere ich zutiefst.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf!)







(A) (C)



(B) (D)


Peter Hettlich
An der heutigen Debatte ärgert mich: Wir diskutieren
viel zu selten über Themen, die die neuen Bundesländer
betreffen. Ich kann zwar verstehen, dass Sie über das
Freiheits- und Einheitsdenkmal heute, am 9. November,
an prominenter Stelle diskutieren wollen, aber warum
musste das in einer verbundenen Debatte stattfinden?
Wir haben eh wenig Zeit, um über die Rede von Herrn
Tiefensee zum Stand der deutschen Einheit zu diskutie-
ren. Damit belasten wir diese Debatte, die wir einmal im
Jahr führen. Warum waren Sie, wenn es schon so ein
wichtiges Thema ist, nicht in der Lage, einen separaten
Debattenpunkt aufzusetzen oder wenigstens die Debat-
tenzeit um eine Stunde zu verlängern?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das ist bedauerlich und zeigt die Arroganz der Großen
Koalition, die wir an dieser Stelle wieder erleben.

Ich habe jetzt das Problem, dass ich zwei Reden hal-
ten muss, die inhaltlich schwer miteinander zu verknüp-
fen sind. Aber ich fange jetzt an.

Die Diskussion über das Freiheits- und Einheits-
denkmal hat von Anfang an einen sehr unglücklichen
Verlauf genommen. Es ist im Hauruckverfahren hier
heute aufgesetzt worden. Dies kann man nicht als seriös
bezeichnen. Wir hatten nicht einmal in unserem Aus-
schuss, der für die Belange der neuen Bundesländer zu-
ständig ist, eine vernünftige Vorlage. Wir haben zum
Schluss über einen Antrag abstimmen müssen, von dem
wir zu diesem Zeitpunkt schon wussten, dass er nicht
mehr aktuell war. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Das hilft
dieser Debatte und ihrem weiteren Verlauf ganz sicher
nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich erwarte, dass wir hier in Zukunft zu einer anderen
Kultur des Umgangs miteinander kommen.

Der Tagesspiegel hat in einem Artikel über den grü-
nen Antrag auf unsere Tendenz zum Grundsätzlichen
hingewiesen, und das nehmen wir eindeutig als Kompli-
ment an. Denn das ist unsere Stärke. Wir fordern, über
dieses Thema noch einmal eine grundsätzliche Diskus-
sion über das Ob, das Wann und die Form eines solchen
Denkmals zu führen. Dabei müssen wir die Öffentlich-
keit, Verbände und Initiativen stärker in den Prozess die-
ser Ausgestaltung einbeziehen.

Herr Präsident Lammert hat in seiner Rede am
Montag gesagt, dass das nicht von oben verordnet wer-
den darf. Die friedliche Revolution war eine basisdemo-
kratische Revolution, und sie wurde von unten getragen.
Insofern muss es auch so sein, dass über das Thema ei-
nes Denkmals auch basisdemokratisch diskutiert wird
und dass wir deswegen die Leute, die damals mit auf die
Straße gegangen sind, auch in dieser Diskussion mitneh-
men.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein gutes Beispiel für einen solchen Prozess ist die Dis-
kussion um das Berliner Mauergedenken. Wir brauchen
keine allfälligen Festlegungen, sondern wir brauchen
eine öffentliche Diskussion. Wir signalisieren mit unse-
rem Antrag eindeutig die Ernsthaftigkeit dieses Anlie-
gens.

Übrigens hat Herr Minister Tiefensee am Montag
– das hat man mir zugetragen – zugegeben, dass 2009
offensichtlich ein sehr ehrgeiziger Zeitplan ist, und da-
mit wäre dieses symbolträchtige 20. Jahr der friedlichen
Revolution gefährdet. Das ist beispielsweise wieder ein
Problem, das man schon sehr lange hätte diskutieren
können. Wir wissen, dass wir bereits vor sieben Jahren
einen Gemeinschaftsantrag hier im Bundestag hatten,
der von der Mehrheit abgelehnt worden ist.

Denkmäler sind mehr als ein zu Beton erstarrtes Hel-
dengedenken. Wir erwarten mehr als die Manifestation
von Geschichte. Wir wünschen uns, dass ein solches
Denkmal auch eine Inspirationsquelle ist und vor allen
Dingen Raum für eine Diskussion über die Zukunft der
1989 erkämpften Freiheiten schafft.

Abschließend möchte ich noch etwas zum Standort
sagen. Ich unterstütze den Änderungsantrag der Kolle-
gen Weißgerber und Fornahl, wohl wissend, dass dieser
Antrag vermutlich heute hier nicht die Mehrheit finden
wird, was ich sehr bedauere, und wohl wissend, dass ich
damit eher ein Signal für eine offene Debatte über den
Standort setze. Es wären nämlich neben Leipzig und
Berlin noch andere Städte zu nennen. Der Kollege
Günther weiß, dass in Plauen bereits im September des
Jahres 1989 die Menschen auf die Straße gegangen sind.
Also, wir müssen diese Debatte offener führen, und ich
plädiere an dieser Stelle dafür, dass die Einbringung die-
ses Antrags in den Bundestag heute nicht das Ende die-
ser Debatte sein darf.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Jede Gemeinde kann frei entscheiden, was sie macht!)


Aus diesem Grunde bitte ich noch einmal um etwas
mehr Nachdenklichkeit und etwas mehr Seriosität in der
Zukunft bei der Behandlung dieses Themas.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, wir kommen nun zum
Bericht über den Stand der deutschen Einheit. Wenn
ich nach rechts schaue, sehe ich, dass Frau Bundeskanz-
lerin Merkel auch dieses Jahr wieder nicht anwesend ist;
letztes Jahr war sie wenigstens eine halbe Stunde hier.
Und wenn ich auf die linke Seite schaue, dann freue ich
mich, dass ich wenigstens einmal wieder einen sächsi-
schen Ministerpräsidenten hier im Bundestag begrüßen
darf. Die anderen Ministerpräsidenten glänzen wie
üblich durch Abwesenheit. Vermutlich liegt es daran,
dass in den Ländern keine Wahlen stattfinden. Ich finde
es sehr bedauerlich. Denn das ist ein ganz wichtiges
Thema, und ich möchte, dass dieses Thema unter mög-
lichst großer Anteilnahme von den jeweils Betroffenen
und Verantwortlichen auch hier im Bundestag behandelt
wird. Das ist wirklich ein sehr trauriges Bild.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Peter Hettlich
Da wir schon bei traurigen Bildern sind, können wir
direkt zu Ihrer Rede kommen, Herr Minister. Diese war
ein saft- und kraftloser Versuch, so zu tun, als ob es für
den Aufbau Ost eine Strategie Ihres Hauses gäbe und als
würde diese nicht vorhandene Strategie auch noch nach
Plan verlaufen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben diese im Bericht zum Stand der deutschen
Einheit mit wunderbaren blumigen Worten garniert. Ich
zitiere:

Die neuen Bundesländer befinden sich auf einem
guten wirtschaftlichen Weg. Oder: Ostdeutschland
hat sich zum Land der Chancen entwickelt. Oder:
Die Schere zwischen Ost und West schließt sich
wieder.

– Das sind Rückfälle in alte Zeiten. Ich dachte, wir hät-
ten das mit dem letzten Bericht zum Stand der deutschen
Einheit überwunden.

Ich komme auf die letzte Aussage mit der Schere zwi-
schen Ost und West zurück, weil man sich mit ihr inten-
siver auseinandersetzen muss. Herr Tiefensee kommt zu
der Erkenntnis, dass sich diese Schere schließt, weil das
Wachstum in Ostdeutschland im letzten Jahr um
0,3 Prozent höher war als in Westdeutschland. Das ist so
ähnlich, als wenn Herr Gabriel sagen würde: Wir hatten
einen verregneten Sommer. Der Klimawandel ist kein
Problem. – Dieses Jahr werden die Zahlen ganz anders
aussehen. Der Vorsprung der ostdeutschen Bundesländer
gegenüber den westdeutschen Bundesländern ist einge-
büßt, und die Schere ist eingerostet. Das ist nicht zum
ersten Mal der Fall, sondern das erleben wir seit Mitte
der 90er-Jahre.

Woher soll das Wachstum, von dem Sie immer spre-
chen, eigentlich kommen? Schauen wir uns doch einmal
die entsprechenden Parameter in der Wirtschaftstheorie
an. Auf der Nachfrageseite gibt es ein ganz klares Krite-
rium: die Bevölkerungsentwicklung. Über dieses
Thema brauche ich hier wohl nicht lang und breit zu
sprechen. Wir alle wissen, welche Probleme wir hier ha-
ben. Die Bevölkerungszahlen sinken aus den vielfältigs-
ten Gründen dramatisch. Diesen Wachstumstreiber wer-
den wir in Ostdeutschland auf lange Sicht nicht haben.

Auf der Angebotsseite geht es um die Ausstattung mit
Humankapital; das ist die nächste Baustelle. In Ost-
deutschland findet nicht nur ein allgemeiner Rückgang
der Bevölkerungszahl statt, sondern vor allen Dingen
auch ein Rückgang der Zahl der Erwerbstätigen und ins-
besondere der qualifizierten Erwerbstätigen. Wie wir
wissen, wandern hauptsächlich junge und gut qualifi-
zierte Frauen ab. Weil diese Jahrgänge dann auch im
Hinblick auf die Geburtenjahrgänge fehlen, kommen
hier zwei Dinge zusammen. Insofern verschärft sich die
Situation noch weiter. Auch dieser Wachstumstreiber
fällt also aus.

Der dritte Wachstumstreiber ist die Kapitalakkumu-
lation. Bis jetzt ist es noch so, dass durch den Solidar-
pakt über Investitionszuschüsse und Förderungen die
Kapitalakkumulation, die eigentlich aus privatem Kapi-
tal stammen müsste, in großem Umfang kompensiert
wird. Die Zuschüsse im Rahmen des Solidarpakts wer-
den ab 2009 stetig sinken. Wir fragen uns, wodurch
diese Lücke ab 2019 geschlossen werden soll. Wir sind
sehr skeptisch, ob die Banken bereit sein werden, sich
hier einzubringen. Ich sehe keine Perspektive, dass sich
an dieser Stelle ein Wachstumstreiber entwickeln wird.

Wie wir am Mittwoch dieser Woche in unserer Dis-
kussion im Ausschuss erlebt haben, kommen Sie in die-
sem Zusammenhang immer wieder auf die Verkehrs-
infrastruktur zu sprechen. Wie eine Monstranz wird
dieses Thema von der Regierung, von Ihrer Partei, aber
auch von anderen Kollegen vor sich hergetragen. Ich
habe Ihnen gesagt, dass wir eine Studie mit dem Titel
„Jobmaschine Straßenbau“ durchgeführt haben, die ich
Ihnen nur empfehlen kann und die ich den Kollegen
gerne zukommen lasse. Darin haben wir sehr detailliert
deutlich gemacht, dass es keine Korrelation zwischen
Straßenbau und wirtschaftlicher Weiterentwicklung gibt.

Lieber Kollege Hacker, da Sie das Beispiel Ludwigs-
lust als ein Beispiel für gelungene Verkehrsinfrastruktur
in Verbindung mit Wirtschaftswachstum angeführt ha-
ben, möchte ich Sie darauf hinweisen: Gestern wurde
hier bemängelt, dass die Benzinpreise in Deutschland
ein Rekordniveau erreicht haben. Wenn Sie sagen, durch
die Verkehrsinfrastruktur sei es uns gelungen, dass die
Leute aus Schleswig-Holstein bis nach Ludwigslust pen-
deln, dann frage ich Sie: Wovon sollen diese Leute in
Zukunft die Spritkosten für die Auspendelung bezahlen?
Das müssen Sie mir einmal erklären. Das ist keine Ant-
wort auf die Probleme in Ostdeutschland.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum nächsten Punkt. Wie sieht es eigentlich mit den
Wachstumstreibern aus? Ich empfehle Ihnen die Studie
des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung
mit dem Titel „Talente, Technologie und Toleranz – wo
Deutschland Zukunft hat“. Schauen Sie sich einmal an,
auf welchen Plätzen die neuen Bundesländer stehen. Bei
der Technologie liegt Sachsen auf Platz neun, Thüringen
auf Platz elf, und die drei anderen ostdeutschen Bundes-
länder belegen die letzten Plätze. Bei den Talenten ist
Sachsen auf Platz zehn, Brandenburg auf Platz zwölf,
und die anderen sind auf den letzten Plätzen. Bei der To-
leranz findet man Sachsen, Thüringen, Brandenburg,
Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt auf den
letzten Plätzen.

Da ich gerade beim Thema Toleranz bin, möchte ich
Ihnen, Herr Ministerpräsident, sagen: Sie haben auf dem
Landesparteitag Ihrer Partei in Sachsen zu den Vor-
kommnissen in Mügeln – ich komme aus diesem Land-
kreis und kenne Mügeln daher sehr gut – gesagt: Das,
was in Mügeln passiert ist, sei keine Hetzjagd in Mügeln
gewesen, sondern eine Hetzjagd auf Mügeln. – Ich frage
Sie: Wie verträgt sich diese Aussage damit, dass Bun-
deskanzlerin Merkel bei Manmohan Singh in Indien für
Investitionen in Deutschland wirbt?

Der dumpfe Spruch „Deutschland den Deutschen!“
ist in bestimmten Regionen Deutschlands zum Teil
schon bittere Realität. Wenn man sich diese Regionen






(A) (C)



(B) (D)


Peter Hettlich
anschaut, stellt man fest: Diese Regionen sind die rück-
ständigsten, sowohl was ihre wirtschaftliche Entwick-
lung als auch was ihre politische und gesellschaftliche
Entwicklung angeht. Durch solche Aussagen kann man
diese Situation nicht verbessern. Hier muss man ganz
klar Position beziehen. Nur dann, wenn in Ostdeutsch-
land Toleranz herrscht, haben wir in Anbetracht der
globalisierten Welt die Chance, Ansiedlungen zu ermög-
lichen, auch aus Indien, was ich mir ausdrücklich wün-
schen würde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Meine Damen und Herren, ich komme zum Ende
meiner Rede. Herr Tiefensee – ich spreche Sie nicht per-
sönlich, sondern stellvertretend für die Bundesregierung
an –, wenn Sie schon kein Konzept für den Aufbau Ost
haben, dann seien Sie wenigstens so realistisch und ehr-
lich, den Menschen zu sagen, dass ihnen die Politik der
Großen Koalition nicht helfen wird.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Na, Peter!)


Dann wissen die Menschen zumindest, dass sie ihr
Schicksal selbst in die Hand nehmen müssen.

Wir haben uns Gedanken darüber gemacht, wie man
die endogenen Potenziale in Ostdeutschland stärken
kann. Auch dieses Schriftstück, das ich gerade in den
Händen halte – die Untersuchung „Existenzgründungen
in Ostdeutschland“ –, empfehle ich Ihnen sehr.


(Iris Gleicke [SPD]: Wir haben schon gesehen, dass du drei Stück dabei hast!)


– Ja, ich habe drei Exemplare hier. – Dieses Thema ist
nämlich sehr wichtig. Wenn uns von oben die große
Politik nicht mehr hilft, dann müssen wir uns selber hel-
fen.

Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612400900

Die Kollegin Iris Gleicke ist die nächste Rednerin für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Iris Gleicke (SPD):
Rede ID: ID1612401000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

18 Jahre nach dem Fall der Mauer haben wir eigentlich
allen Grund, stolz auf das zu sein, was wir erreicht ha-
ben. Aber das Ziel der Angleichung der Lebensver-
hältnisse ist noch längst nicht erreicht. Für diejenigen,
die bis heute keine Arbeit gefunden haben, für diejeni-
gen, die nach langen Jahren der Arbeitslosigkeit nur ei-
nen ganz kleinen Rentenanspruch haben, für Jugendli-
che, die trotz aller Anstrengungen, die wir unternommen
haben, bis heute keine Chance auf einen Ausbildungs-
platz haben, ist dieses Ziel noch in weiter Ferne.

Insofern ist die Frage nach dem Stand der deutschen
Einheit immer auch eine Frage der Perspektive. Ich will
das sehr deutlich sagen: Wir müssen das Positive in die-
sem Prozess herausstellen; liebe Frau Kollegin Lötzsch,
das sage ich gerade an Ihre Adresse. Denn wenn wir die-
ses nicht tun, werden ein weiteres Mal die Lebensleis-
tungen der Menschen entwertet. Aber wir dürfen auch
nichts schönreden, und wir dürfen uns nicht damit abfin-
den, dass sich eine große Zahl von Menschen leider nach
wie vor als Verlierer im Prozess der deutschen Einheit
betrachtet. Es ist wahr: In diesem Prozess von Einheit
und fortschreitender Globalisierung gibt es Gewinner,
aber es gibt eben auch Verlierer.

Dennoch ist ein Mehrwert entstanden, der sich nicht
in Zahlen und Tabellen beschreiben lässt. Zu diesem
Mehrwert gehört die individuelle Freiheit ebenso wie
das wachsende demokratische Bewusstsein und die Be-
reitschaft, Verantwortung für sich, für andere und auch
für unser Gemeinwesen zu übernehmen. Zu diesem
Mehrwert gehört auch, dass die junge Generation in Ost-
und Westdeutschland ganz unbefangen aufeinander zu-
geht. Wir müssen allerdings darauf achten, dass aus die-
ser Unbefangenheit keine Geschichtslosigkeit wird.
Freiheit und Demokratie sind bei uns im Osten erst
17 Jahre jung und stehen noch längst nicht in voller
Blüte. Freiheit und Demokratie müssen täglich aufs
Neue erkämpft und bewahrt werden. Unsere Grund-
rechte sind eben nicht vom Himmel gefallen. Das muss
auch an dem Freiheits- und Einheitsdenkmal, über das
noch zu diskutieren ist, deutlich werden.

Aber auch die braunen Rattenfänger, die besonders
im Osten ihr Unwesen treiben, sind nicht vom Himmel
gefallen. Hier gilt es, sorgfältig zu unterscheiden zwi-
schen den Verführern und den Verführten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das verbreitete Gefühl einer kollektiven Demütigung,
das Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, das
sind wesentliche Bestandteile des Nährbodens für
rechtsextremistische Ideen und Bestrebungen. Deshalb
kann heute niemand im Ernst bestreiten, dass der
Rechtsextremismus in Ostdeutschland ein schwerwie-
gendes Problem ist. Seine Ursachen sind aber nicht in
den Töpfchen der DDR-Krippen zu finden, sondern in
dem verbreiteten Gefühl von Deklassierung und der
ebenso verbreiteten Orientierungslosigkeit. Es ist wahr:
Wer offen und ehrlich über den Stand der deutschen Ein-
heit sprechen will, muss auch über die damit zusammen-
hängenden Probleme sprechen. Damit erweckt man lei-
der fast zwangsläufig den Eindruck, das Glas sei halb
leer. Wir alle wissen aber: Das Glas ist mehr als halb
voll.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Damit sind wir wieder bei dem, was wir erreicht ha-
ben und worauf wir durchaus stolz sein können. Es geht
nicht darum, das Erreichte mehr oder weniger würdevoll
in Feierstunden zu beweihräuchern. Solange die Arbeits-
losigkeit in Ostdeutschland mehr als doppelt so hoch ist
wie in Westdeutschland, würden die Leute das als zy-
nisch empfinden. Wir im Osten sitzen nicht mehr hinter
der Mauer und machen Westpakete auf, und wir sind






(A) (C)



(B) (D)


Iris Gleicke
auch nicht mehr die Brüder und Schwestern, derer man
am 17. Juni gedenkt. Wir sind Bürgerinnen und Bürger
dieser Bundesrepublik Deutschland, mit gleichen Rech-
ten und mit gleichen Pflichten.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Einheit ist Realität. Nun gilt es, sie zu vollenden.
Nun gilt es, die mit ihr verbundenen Wünsche und Hoff-
nungen zu erfüllen. Dass die jungen Deutschen aus Ost-
und Westdeutschland einander in großer Unbefangenheit
gegenübertreten, muss uns ermutigen. Dass bei der älte-
ren Generation im Osten oft noch ein Gefühl der Demü-
tigung überwiegt, muss uns nachdenklich stimmen.

Gleichwertige Lebensverhältnisse – das ist das Ziel,
auf das wir verpflichtet sind und bleiben. Gelegentlich
hat man jedoch das Gefühl, dass die Buchhalter und Erb-
senzähler das Steuer übernehmen und den Prozess des
Zusammenwachsens in eine andere Richtung lenken
möchten. Sie reden viel von Transfermitteln, von Geld
und von Bilanzen. Der Lebensrealität der Menschen
wird das nicht gerecht. Ich sage es ohne Bitterkeit, aber
auch nicht ohne einen gewissen Zorn: Die ostdeutschen
Länder sind schon seit langem Beteiligte an einem Ver-
teilungskampf, bei dem es ums liebe Geld geht. Beim
Geld, das wissen wir alle, hört bekanntlich die Freund-
schaft auf – nicht immer, aber immer öfter.


(Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!)


Deshalb war es sehr gut, dass Gerhard Schröder da-
mals mit den Bundesländern den Solidarpakt II ge-
schnürt hat. Der Solidarpakt II ist zum Symbol für Zu-
verlässigkeit und Beständigkeit beim Aufbau Ost
geworden. Das zeigt sich auch immer dann, wenn ver-
sucht wird, dieses Paket wieder aufzuschnüren. Wir wer-
den das nicht zulassen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir werden gegebenenfalls immer wieder und, wenn nö-
tig, mit der gebotenen Deutlichkeit und auch Lautstärke
daran erinnern, dass manche der heutigen Geberländer,
wie etwa Bayern, selbst jahrzehntelang unterstützt wor-
den sind und auch heute – beispielsweise beim Ausbau
der Bundesfernstraßen in Bayern – nicht ganz schlecht
bedient werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, all denen, die am Sinn des Auf-
baus Ost zweifeln, empfehle ich einen Blick in den Jah-
resbericht 2007 zum Stand der deutschen Einheit. Darin
steht nämlich, was alles erreicht worden ist. Das ist eine
ganze Menge, und wir können stolz darauf sein.

Durch den Bericht wird aber auch deutlich, was noch
alles zu tun ist. Diese Arbeit wird noch etliche Jahre in
Anspruch nehmen. Dabei sind wir jetzt und in Zukunft
auf zuverlässige Rahmenbedingungen angewiesen. Da-
ran lassen wir nicht rütteln, und dafür stehen wir ein.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612401100

Das Wort erhält nun der Kollege Hans-Joachim Otto

für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1612401200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die libe-

rale Fraktion begrüßt es sehr, dass wir mit den Koaliti-
onsfraktionen eine grundsätzliche Übereinstimmung
über die Errichtung eines Freiheits- und Einheitsdenk-
mals haben herstellen können. Das ist, wie ich finde, ge-
rade an diesem heutigen Tage ein sehr wichtiges politi-
sches Signal.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Für uns Liberale sind – Sie werden das verstehen –
die persönliche und die gesellschaftliche Freiheit Werte
von ganz besonderer Bedeutung. Deswegen begrüßen
wir es auch sehr, dass dieses Denkmal ein Freiheits- und
Einheitsdenkmal – also in dieser Reihenfolge – ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es sind einige Namen von Menschen erwähnt wor-
den, die für die Einheit sehr wichtige Beiträge geleistet
haben. Ich möchte hier auch einen Namen ausdrücklich
erwähnen, der in diesem Zusammenhang erwähnt wer-
den muss, nämlich Hans-Dietrich Genscher.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Er ist der Mann, der Entscheidendes für die deutsche
Einheit getan hat.

Als Partei Hans-Dietrich Genschers ist es für die FDP
deshalb von besonderer Bedeutung, ein Denkmal für die
Gewinnung der deutschen Einheit zu errichten. Die deut-
sche Einheit ist zu einer Selbstverständlichkeit geworden
und wird allenfalls thematisiert – Herr Tiefensee hat das
vorhin angesprochen –, wenn es um die Probleme und
die Unterschiede geht. Dass es aber ein großes Glück ist,
dass wir 1989 und 1990 die friedliche Revolution und
die Wiedervereinigung erleben durften, in deren Verhält-
nis die Unterschiede und Probleme nachrangig sind,
kann man nicht oft genug betonen. Ich freue mich des-
halb sehr, dass wir heute die Errichtung eines Denkmals
beschließen, welches daran erinnert.

Bei der Überlegung hinsichtlich der spannenden
Frage, wo dieses Freiheits- und Einheitsdenkmal stehen
sollte, hat mich die Argumentation des Bundestagspräsi-
denten Norbert Lammert überzeugt. In seiner sehr be-
merkenswerten Rede zum Tag der Deutschen Einheit am
3. Oktober 2007 in Schwerin sagte er wörtlich:

Wir haben aus gutem Grund insbesondere in der
Hauptstadt zahlreiche auffällige Stätten der Erinne-
rung an die Verbrechen zweier Diktaturen in
Deutschland. Es gibt keinen vernünftigen Grund,
nicht auch in ähnlich demonstrativer Weise der
Freiheits- und Einheitsgeschichte unseres Landes
zu gedenken.

Sehr richtig.






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Joachim Otto (Frankfurt)


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Peter Hettlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Gerade die Tatsache, dass die nationalen Denkmale
und Mahnmale zur Erinnerung an die dunklen Seiten der
deutschen Geschichte in der Hauptstadt, in der Mitte
Berlins, versammelt sind, unterstreicht für mich die Not-
wendigkeit, dass auch die Erinnerung an eines der glück-
lichsten Ereignisse der deutschen Geschichte in, wie es
Norbert Lammert ausgedrückt hat, „ähnlich demonstrati-
ver Weise“ in Berlin stehen muss. Dieses Gegenüber
von Schrecken und Freude, die Abbildung der Ge-
schichte nicht nur in ihren negativen, sondern auch in ih-
ren positiven, optimistischen und vorbildhaften Facetten
halte ich für besonders wichtig.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dies ist für mich auch das wichtigste Argument dafür,
dass wir überhaupt ein Freiheits- und Einheitsdenkmal
errichten sollten.

Viele sagen – auch in meiner Fraktion –, dass doch
das Brandenburger Tor das beste Freiheits- und Einheits-
denkmal sei, was man sich nur vorstellen könne. Manche
halten auch das Reichstagsgebäude, in dem wir heute
mit einer Selbstverständlichkeit tagen, die noch vor
20 Jahren unvorstellbar war, für ein Symbol für die Frei-
heit und die Einheit Deutschlands. Beides trifft ohne
Zweifel zu, und es gibt darüber hinaus zahllose weitere
inoffizielle und persönliche Freiheits- und Einheitsdenk-
male, beispielsweise die unvermittelt geöffneten Grenz-
übergänge, die gestürmten und besetzten Zentralen der
Unterdrücker von MfS und SED oder das schmale Band
des ehemaligen Mauerverlaufs. Aber all diese Freiheits-
und Einheitsdenkmale können ein nationales Denkmal in
Berlin, das zur Erinnerung an die friedliche Revolution
im Herbst 1989 und an die Wiedervereinigung errichtet
wird, nicht ersetzen.

Meine Damen und Herren, noch ein Wort zu dem
Gruppenantrag: Ich hoffe sehr, dass die Frage, Leipzig
und Berlin oder Berlin, nicht die grundsätzliche Über-
einstimmung verdunkeln kann. Berlin muss es sein; das
habe ich begründet. Ich würde mich durchaus freuen,
wenn auch ein Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leip-
zig errichtet würde;


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


aber nicht nur dort und nicht als Denkmalpaar. Leipzig
war unbestritten der wichtigste Ort des Widerstands und
die Keimzelle der friedlichen Revolution. Aber wollen
wir wirklich neben der Hauptstadt allein Leipzig als
zweite Stadt hervorheben? Was ist mit all den anderen
Orten, mit Suhl, mit Plauen, mit Magdeburg oder mit
Greifswald, um nur einige zu erwähnen?


(Beifall des Abg. Markus Meckel [SPD])


Ich habe mir eine Karte angesehen, in der die Demon-
strationen von August 1989 bis April 1990 verzeichnet
sind. In nicht weniger als 80 Orten gab es in diesem
Zeitraum jeweils mehr als zehn Demonstrationen. Ein
Denkmalpaar würde dieser Revolution in allen Bezirken
der ehemaligen DDR nicht gerecht werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Daher lassen Sie uns in der Hauptstadt ein Freiheits-
und Einheitsdenkmal für die ganze Republik errichten
und die Städte und Bundesländer ermutigen und auffor-
dern, weitere Denkmale für die Freiheit und Einheit zu
errichten.

Dazu noch ein letztes Wort: Herr Ministerpräsident
Milbradt – Sie sprechen gleich anschließend –, wäre es
nicht eine großartige Idee, wenn der Freistaat Sachsen
im Gedenken an die Ereignisse in Leipzig in dieser
Stadt ein Freiheits- und Einheitsdenkmal errichtete und
wir auch andere Länder ermutigten, es Ihnen gleichzu-
tun?

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612401300

Das Wort hat nun der Ministerpräsident des Freistaa-

tes Sachsen, Dr. Georg Milbradt.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1612401400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die

Debatte am heutigen Tage bin ich dankbar. Wir sind der
Erfüllung eines Versprechens näher gekommen: Es gibt
in Ostdeutschland eine Reihe blühender Landschaften.
Dafür bedanke ich mich bei Ihnen, meine Damen und
Herren Abgeordneten, und bei der Bundesregierung für
die Unterstützung.

Mein Dank gilt aber auch den Leistungen der Men-
schen zwischen Rügen und dem Fichtelberg. Sie alle ha-
ben sich mit teilweise schmerzlichen Anpassungen in
eine neue Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung hinein-
gefunden. Jeder Einzelne hat nach seinen Kräften mit
angepackt. Das ist eine beeindruckende und bewun-
dernswerte Leistung, die in Debatten über den Osten oft
unbeachtet bleibt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Ich bedanke mich herzlich für die Hilfe und die Soli-
darität aus dem Westen, die Ostdeutschland immer noch
erfährt, insbesondere über den Bundeshaushalt und die
Sozialversicherungen. Deswegen habe ich Verständnis
für jeden, der Fragen zum Stand zur deutschen Einheit
hat und der nach 17 Jahren Aufbau Ost genau hinsehen
möchte. Ich habe auch Verständnis für jeden, der ange-
sichts der Erfolge in Ostdeutschland Schlaglöcher und
soziale Probleme in westdeutschen Gemeinden diskutie-
ren möchte.






(A) (C)



(B)


Ministerpräsident Dr. Georg Milbradt (Sachsen)

Wir müssen uns immer wieder die tatsächlichen Ver-
hältnisse deutlich vor Augen führen. Zwar gibt es auch
in Westdeutschland Problemkommunen, aber sie liegen
in einem wirtschaftlich starken Umfeld. Es ist unbestrit-
ten, dass wir – insbesondere die jeweiligen Länder im
Rahmen des regionalen Ausgleichs – uns darum küm-
mern müssen.

Im Osten dagegen verhält es sich umgekehrt: Ein-
zelne wirtschaftlich starke Städte stehen immer noch ei-
ner großen Anzahl schwacher Gebiete gegenüber; denn
der Ostdurchschnitt liegt nur bei etwa 70 Prozent West.
Die Arbeitslosigkeit ist flächendeckend doppelt so hoch
wie in Westdeutschland.

Es ist kein Geheimnis, dass niemand in den neuen
Ländern glücklich über diesen Zustand ist. Niemand will
sich dauerhaft auf Transfergeldern ausruhen. Wir wollen
keine Kostgänger sein, sondern auf eigenen Beinen ste-
hen. Jedes Land hat sich in den vergangenen Jahren nach
Kräften angestrengt. Auch das verdient Anerkennung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Ich sage ganz deutlich – auch an die Linksfraktion ge-
richtet –: Wir wollen nicht dauerhaft von Umverteilung
leben, sondern von dem, was wir selber erwirtschaften.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)


Das Aufholen wird uns aber nicht immer leicht gemacht.
Denn leider heißt die Politik, die wir in Deutschland für
Ostdeutschland machen, viel zu oft „Überholverbot“.

Wir brauchen Regeln, die der spezifischen Situation
in Ostdeutschland angepasst sind. Wir brauchen die
Möglichkeit, unsere Wirtschaft nach allen Regeln der
Kunst zu tunen, wie es unsere europäischen Nachbarn
auch tun. Wir würden auch manchmal gerne mehr Gas
geben.

Wir haben zum Beispiel in Leipzig/Halle in Rekord-
zeit einen Flughafen gebaut. Das ist mit der Marscher-
leichterung durch das Bundesverkehrswegeplanungsbe-
schleunigungsgesetz möglich geworden, das heute in
Gesamtdeutschland gilt, leider aber nur in stark ver-
wässerter Form. Wir haben diesen Flughafen mit DHL
zum internationalen Frachtdrehkreuz ausgebaut. Das
Konzept ist aufgegangen. Die Arbeit trägt Früchte:
2 000 Arbeitsplätze sind schon entstanden; 10 000 wei-
tere werden folgen.

Der Bundesverkehrsminister hat sich in den vergan-
genen Tagen von den Vorständen von Lufthansa Cargo
die beeindruckende Entwicklung zeigen lassen. DHL hat
sein Zentrum von Brüssel nach Leipzig verlegt. Weitere
Luftfahrtunternehmen sollen folgen. Das heißt aber
auch, dass Berlin den 24-Stunden-Betrieb in Leipzig
rückhaltlos unterstützen muss,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


indem unsere gesetzlichen Regeln den europäischen
Standards angepasst werden und damit denen unserer
europäischen Wettbewerber entsprechen.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Wir kämpfen in Ostdeutschland jeden Tag um jeden
Arbeitsplatz. Ich führe genauso wie meine Kollegen in
den anderen Ländern viele Gespräche, um Vertrauen zu
gewinnen und zu stärken. Hier müssen die Bundes- und
die Landespolitik synchron sein. Mehr Jobs lautet die
Antwort auf das Problem der Abwanderung. Es gibt eine
ganze Reihe von Regionen – das wurde bereits ange-
sprochen –, in denen es anderen lohnenswert erscheint,
zu uns zu kommen.

In Ostdeutschland gibt es bereits Zentren, die Zuwan-
derung verzeichnen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, aber
sie sinkt, und die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse
steigt. Die Erfolge werden in den Zentren sichtbar. Dies
muss sich auch mehr und mehr auf die peripheren Regio-
nen ausdehnen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber jede undifferenzierte, die unterschiedliche Wirt-
schaftskraft nicht beachtende Diskussion über Löhne
verunsichert nicht nur die lokalen Arbeitgeber, sondern
schadet auch den Arbeitnehmern. Jeder weiß, dass in
manchen Branchen und Regionen zum Beispiel ein Lohn
von 7,50 Euro schlichtweg nicht durchsetzbar oder in
anderen Bereichen eine Anpassung an den Westlohn zur-
zeit nicht möglich ist. Hier muss mit Augenmaß gehan-
delt werden. Selbstverständlich möchten wir nicht, wenn
es möglich ist, auf Lohnerhöhungen verzichten, aber wir
müssen deutlich machen, dass auch die Alternativen zu
einer undifferenzierten Entwicklung der Löhne genannt
werden müssen: Arbeitslosigkeit, Schwarzarbeit und
Abwanderung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dank einer weitsichtigen Bundes- und Landespolitik
ist rund um Dresden das größte und einzige europäi-
sche, weltweit konkurrenzfähige Halbleitercluster ent-
standen; hier gibt es 25 000 Arbeitsplätze in 250 Firmen.
Jeder fünfte Mikroprozessor weltweit kommt aus Ost-
deutschland. Europa spielt hier wieder in der Weltliga
mit.

Wir erleben neuerdings, dass wichtige Mikroelektro-
nikfirmen nicht in Europa investieren, sondern in Ame-
rika oder Asien, wo sie mehr Unterstützung bekommen,
die uns von der EU verwehrt wird. Meines Erachtens
darf Europa nicht tatenlos zusehen, wenn eine Zukunfts-
technologie an ihrer Zukunft bei uns, auch in Ost-
deutschland, zu zweifeln beginnt.

Wir erwarten, dass sich Berlin und Brüssel für eine
neue europäische technologieorientierte Industriepolitik
starkmachen. Europa muss sich entscheiden, welche
Branchen und Entwicklungen strategische Bedeutung im
Ringen der großen Wirtschaftsräume der Welt um Ein-
fluss und Gestaltung des 21. Jahrhunderts haben, so wie
das auch unsere Konkurrenten in Amerika und Asien
tun. Die Luft- und Raumfahrt gehört zum Beispiel
ebenso dazu wie die Mikroelektronik in Ostdeutschland.

Meine Damen und Herren, in den nächsten Wochen
fallen die Kontrollen an unseren Ostgrenzen weg; der

(D)







(A) (C)



(B) (D)


Ministerpräsident Dr. Georg Milbradt (Sachsen)

Schengen-Raum erweitert sich. Das ist aber nicht nur ein
Thema für den Innenminister, der beispielhaft in den
Grenzregionen wirbt und Vertrauen schafft. In den neuen
Räumen werden sich, ähnlich wie in den Grenzregionen
Westdeutschlands, die Wirtschaftsbeziehungen neu
orientieren. Das ist eine große Chance für Deutschland
und insbesondere für die Regionen an der Ostgrenze von
Passau bis zur Ostsee. Wir stehen vor einer immensen
Steigerung des Handelsvolumens mit Mittel- und Ost-
europa. Das wollen wir auch. Voraussetzung ist aber,
dass Umfang und Qualität der grenzüberschreitenden
Verkehrsnetze bald denen an der West- und Südgrenze
entsprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts her-
vorgerufenen Beeinträchtigungen müssen wir überwin-
den. Unser Horizont darf nicht an der Grenze enden. Wir
liegen – Gott sei Dank – in der Mitte Europas und sollten
das nutzen.

Dazu brauchen wir deutlich mehr Geld für Infrastruk-
tur, und zwar in Ost und West, an der Grenze wie im
Binnenland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir sind das Herz Europas; wir sind in der Mitte, und
wir sollten unsere Aufgaben erfüllen, im Interesse unse-
rer eigenen wirtschaftlichen Zukunft.

Ich bin froh, dass die Investitionszulage noch nicht
vom Tisch ist. Für uns ist wichtig, dass die Fortführung
bis 2013 noch einmal sehr sorgfältig erwogen wird; denn
wir brauchen mehr Wirtschaftskraft. Nach wie vor wer-
den nur zwei Drittel des ostdeutschen Einkommens
selbst erwirtschaftet.

Hier sind West und Ost in einem Boot. Wenn die
Transferbelastung des Westens, insbesondere über die
öffentlichen Haushalte und die Sozialsysteme, sinken
soll, was wir alle wollen, dann muss der Osten weiter
stärker wachsen als der Westen. Das gilt insbesondere
für die Industrie.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Das ist die einzige Möglichkeit, das leidige Trans-
ferthema zu bewältigen. Sonst bleibt es bei dem unbe-
friedigenden Zustand, den alle Beteiligten, sowohl dieje-
nigen, die empfangen, als auch diejenigen, die zahlen,
beklagen.

Wir können uns – und sollten das auch – gemeinsam
über die Erfolge beim Aufbau Ost freuen. Aber wir dür-
fen in unseren Anstrengungen nicht nachlassen, sondern
müssen jede Initiative belohnen, die Bremsklötze besei-
tigen kann, und jede Unterstützung gewähren, die die
ostdeutschen Länder in die Lage versetzt, auf eigenen
Beinen zu stehen.

Das ist nicht immer nur die finanzielle Unterstützung,
sondern auch die Berücksichtigung der nach wie vor
sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen und sozialen Be-
dingungen, eine faire und solidarische Diskussion sowie
die Anerkennung der Leistungen der Deutschen in Ost
und West im Rahmen des Vereinigungsprozesses. Wir
haben – darauf ist hier schon hingewiesen worden –
durch die friedliche Revolution eine einmalige Chance
in unserer Geschichte bekommen: die Wiedervereini-
gung in einem friedlich zusammenwachsenden Europa.
Es liegt an uns, diese Chance zu nutzen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612401500

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Lukrezia

Jochimsen für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612401600

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich spre-

che nach den großen Daten, auf die der Ministerpräsi-
dent verwiesen hat, zu einem speziellen Thema, nämlich
der Errichtung eines Freiheits- und Einheitsdenkmals.
Schnell, schnell, schnell, bloß keine Diskussion, kein
Nachdenken, so müsste man den Antrag der Koalitions-
fraktionen und der FDP auf Errichtung eines Freiheits-
und Einheitsdenkmals überschreiben.


(Beifall bei der LINKEN)


Noch nicht einmal der federführende Kulturausschuss
hatte vorgestern Zeit für eine Aussprache. Der Antrag
wurde per Mehrheit aufgesetzt, angenommen und in ei-
ner Weise durchgezogen, die aus meiner Sicht allen par-
lamentarischen Sitten hohnspricht,


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Peter Hettlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


und das ausgerechnet bei einem Denkmal, das der Errin-
gung demokratischer Freiheiten in der DDR gewidmet
werden soll. Sie merken offensichtlich noch nicht ein-
mal, wie weit Ihr Gebaren von der Atmosphäre und dem
Niveau der runden Tische entfernt ist, an denen die De-
mokratie in der DDR neu geboren wurde. Und warum?
Weil heute der 9. November ist und an diesem Symbol-
tag ein neues Nationalsymbol etabliert werden soll.
Basta! Und was soll symbolisiert werden? Einerseits die
friedliche Revolution im Herbst 1989 und andererseits
die Wiedergewinnung der staatlichen Einheit sowie die
freiheitlichen Bewegungen und Einheitsbestrebungen
der vergangenen Jahrhunderte.

Man merkt sofort: Da sind große Verwischtechniker
am Werk, die alles Mögliche zusammenbringen wollen,
ohne zu fragen, ob das überhaupt geht. Hauptsache, das
Denkmal steht 2009 in Berlin. Seit heute früh gibt es ei-
nen zusätzlichen Vorschlag. Er sieht zwei Denkmäler,
genannt ein Denkmalpaar, vor, das eine in Berlin und das
andere in Leipzig. Wenn es nach Herrn Minister
Tiefensee geht, soll es Hunderte Denkmäler überall im
Land geben. So wurde der Minister neulich in den Zei-
tungen mit der Aussage zitiert, wo die vielen Krieger-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Lukrezia Jochimsen
denkmäler stünden, könnten doch nun Freiheitsdenk-
mäler errichtet werden. Das ist doch grotesk.

Wir machen dabei nicht mit, und zwar nicht weil uns
Freiheit und Einheit egal sind, sondern weil wir uns dem
politischen Erbe der ostdeutschen Bürgerrechtsbewe-
gung besonders verpflichtet fühlen.


(Lachen bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ist purer Hohn! Schämen Sie sich eigentlich nicht? – Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Unglaublich!)


– Beruhigen Sie sich! – Wer die friedliche Revolution im
Herbst 1989 mit der Wiedergewinnung der staatlichen
Einheit Deutschlands 1990 in eins wirft, wird diesem
Erbe nicht gerecht, weil beide Vorgänge zwei Stufen ei-
nes komplexen internationalen, historischen Prozesses
darstellen, die nicht unmittelbar aufeinander bezogen
werden können. Diese Revolution mit dem Ruf „Wir
sind das Volk“ ist singulär in der deutschen Geschichte,
sodass sie erst recht nicht mit den freiheitlichen Bewe-
gungen und Einheitsbestrebungen der vergangenen Jahr-
hunderte vermengt werden kann.

Wir schlagen deshalb ein anderes Erinnern vor:


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das glaube ich gern!)


Erinnern an diejenigen, die oft unter großer persönlicher
Gefahr Demokratie und Freiheit in der DDR einforder-
ten, Erinnern an die Abertausend Bürger und Bürgerin-
nen in Leipzig, die demonstriert, protestiert, geredet und
andere überzeugt haben, Erinnern an diejenigen, die in
den Kasernen und Polizeiwachen geblieben sind und da-
für gesorgt haben, dass die Demokratie ohne Blutvergie-
ßen begann. Dafür treten wir mit unserem Antrag ein.


(Unruhe bei der CDU/CSU – Lachen des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU])


Da aus unserer Sicht eine solche unblutige Revolution
keinen herkömmlichen Denkmalkult erlaubt, möchten
wir in Leipzig ein Denkzeichen zusammen mit einem
Ort der Information und einem aktiven Museum errich-
ten, welches den Nachgeborenen die grundsätzliche
Auseinandersetzung mit der Idee der Freiheit eröffnet.

Natürlich muss darüber eine groß angelegte öffentli-
che Diskussion geführt werden – in diesem Sinne stim-
men wir dem Antrag der Grünen zu –, eine Diskussion,
ausführlich statt schnell, schnell, schnell, nachdenklich
statt unüberlegt und vor allem jene Bürgerrechtler und
Bürgerrechtlerinnen einbeziehend, die damals das Land
verändert haben und die sich heute von der Politik nicht
mehr vertreten sehen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612401700

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Jan

Mücke das Wort.

Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1612401800

Frau Kollegin Jochimsen, Sie haben soeben die, ich

muss schon sagen: Unverschämtheit besessen, die Bür-
gerrechtsbewegung in der DDR für Ihre Zwecke zu be-
nutzen.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zurufe von der LINKEN: Oh!)


Ich glaube, dass gerade Sie als Angehörige der Fraktion
einer Partei, die mehrfach umbenannt wurde und fusio-
nierte, aber in der Kontinuität der alten SED steht, nicht
diejenigen sein sollten, die an die Bürgerrechtsbewegung
in Leipzig erinnern.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Deswegen haben der Kollege Weißgerber und ich ge-
meinsam mit vielen anderen Kollegen einen Gruppen-
antrag eingebracht, der zur Abstimmung steht und für
den ich um Zustimmung werben möchte. In ihm steht,
dass wir an beiden Standorten, in Berlin und in Leipzig,
der Freiheit und der Wiedergewinnung der Einheit unse-
res Vaterlandes gedenken. Sie haben offensichtlich ver-
gessen, gegen wen die 70 000 Leipziger am 9. Oktober
eigentlich auf die Straße gegangen sind. Es ist gegen die
SED gewesen, als deren Nachfolgerin Ihre Partei heute
im Bundestag sitzt. Ich finde, dass Ihnen eine solche Be-
merkung nicht zusteht.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612401900

Zur Erwiderung.


Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612402000

Herr Kollege Mücke, es tut mir eigentlich leid, dass

Sie die Diskussion jetzt auf dieses Niveau herunterbrin-
gen.


(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Pfui! – Volker Kauder [CDU/ CSU] und Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Gut, dass er das ausgesprochen hat!)


Ich bin versucht, Sie zu fragen, wie Sie eigentlich mit
den zwei Blockparteien umgehen, die Ihre Partei über-
nommen hat.


(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der FDP)


Mich brauchen Sie nicht zu fragen, möglicherweise ge-
nauso wenig wie ich Sie dazu befragen kann.

Natürlich erinnern wir uns in unserer Fraktion und in
unserer Partei genau an diese Geschichte.


(Zuruf von der CDU/CSU: Übernehmen Sie doch dann mal Verantwortung für Ihren Laden!)


Es liegt uns am Herzen, dass viele der Menschen, die da-
mals diesen Wandel herbeigeführt haben – gehen Sie






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Lukrezia Jochimsen
doch einmal durch die ostdeutschen Länder –, sich heute
nicht mehr vertreten fühlen. Deswegen finden wir: Wenn
es ein Denkmal gibt, dann muss das Denkmal zuerst
nach Leipzig.


(Jan Mücke [FDP]: Ausgerechnet Sie fordern das!)


Dort hat alles angefangen, dort soll erinnert werden, und
dafür bin ich hier eingetreten.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612402100

Nächster Redner ist nun der Kollege Wolfgang

Thierse für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1612402200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kol-

legin Jochimsen, Ihre Rede – lassen Sie mich Ihnen das
sagen – war von einer Dreistigkeit, dass mir regelrecht
die Luft weggeblieben ist.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Idee für ein
Freiheits- und Einheitsdenkmal, über die wir heute de-
battieren, ist nicht neu. Die Diskussion darüber währt
schon lange. Prominente Befürworter haben sich geäu-
ßert, von Lothar de Maizière bis zu Richard Schröder,
den ich herzlich begrüße,


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Egon Bahr und Wolfgang Huber. Vor drei Jahren hatte
bereits eine große Anzahl von Abgeordneten aus ver-
schiedenen Fraktionen einen ähnlichen Antrag unter-
stützt. Es geht also nicht um ein Hauruckverfahren, Kol-
lege Hettlich. Das Motiv war und ist: Wir Deutschen
sollten all unseren Mut zusammennehmen und mit ei-
nem Denkmal daran erinnern, dass deutsche Geschichte
auch einmal gut ausgehen kann und gut ausgegangen ist.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Wir sollten an das Annus mirabilis, an das Jahr der Wun-
der 1989/90, erinnern. Wir sollten ein Erinnerungsmal
daran errichten, dass – mit den Worten des großen Histo-
rikers Fritz Stern – die Bevölkerung der DDR die erste
und einzige erfolgreiche friedliche Revolution in Gang
gesetzt hat, die Deutschland je erlebt hat. Wir sollten ein
Denkzeichen dafür errichten, dass endlich Einheit und
Freiheit, Freiheit und Einheit zusammen verwirklicht
werden konnten und nicht das eine dem anderen geopfert
wurde.


(Beifall bei der SPD)


Wir sollten ein Mahnmal unseres historischen Glücks er-
richten, damit wir nicht vergessen, wie kostbar und wie
verletzlich Freiheit und Einheit sind und wozu uns unser
nationales Glück verpflichtet.
Gewiss, wir Deutschen sind und bleiben verpflichtet,
uns unserer Schandtaten, vor allem der Verbrechen des
NS-Staates und seiner Opfer, zu erinnern. Es war not-
wendig und richtig, dass der Deutsche Bundestag in sei-
ner letzten Sitzungswoche in Bonn im Juni 1999 die Ent-
scheidung für das Holocaust-Denkmal im Zentrum der
deutschen Hauptstadt getroffen hat. Dieser Pfahl in un-
serem nationalen Fleisch ist schmerzlich notwendig. Wir
haben dauerhaft der Opfer zu gedenken.

Aber ein Volk kann vermutlich nicht nur aus seinem
Versagen Orientierung gewinnen. Auch wir Deutschen
können Ermunterung vertragen, zum Beispiel durch die
Erinnerung an die freundlichen Seiten unserer Ge-
schichte, an die Freiheits- und Einheitsbestrebungen, an
die Aufbrüche und Anfänge, an die Erfolge, ohne die
Widersprüche, das Scheitern, die Schandtaten zu ver-
drängen, zu vergessen.

Also erinnern wir an 1848 und 1918, an 1945 und
eben an 1989 und daran, dass Einheit und Freiheit zu-
sammengehören und dass das so bleiben soll.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Seien wir endlich ein normales, ein durchschnittliches,
ein gewöhnliches europäisches Volk, das auch dies kann.

Wir schlagen vor, dieses Denkmal in Berlin zu errich-
ten, weil es sinnvollerweise in die Hauptstadt gehört.
Hier in Berlin wurde die Mauer erstürmt und zerbro-
chen, gewiss. Aber die friedliche Revolution war bei-
leibe kein Berliner Ereignis; sie ereignete sich in vielen
Orten der DDR. Leipzig war ein entscheidender Ort. Das
werde ich, das sollten wir alle nicht vergessen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Deshalb sollten wir in der weiteren Diskussion, im Wett-
bewerb und in der Realisierung darüber nachdenken, wie
auch in Leipzig der Selbstbefreiung und Wiedervereini-
gung ein Zeichen der Erinnerung gesetzt werden kann,
und uns dazu auch verpflichten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Weil wir das wollen, ist der vorgelegte Änderungsantrag,
liebe sächsische Kollegen, überflüssig.


(Joachim Günther [Plauen] [FDP]: Nein!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, diesem Anliegen,
diesem Projekt werden auch – wenig überraschend –
Skepsis und Ablehnung entgegengebracht. Es heißt, ein
solches Denkmal sei schlicht überflüssig, es komme zu
früh, wir seien zu eilfertig. Nun ja, ohne Diskussionen
wird es und soll es auch nicht gehen. Wir wollen kein
Denkmal, das in einer ministeriellen oder parlamentari-
schen Geheimaktion geplant und verwirklicht wird. Im
Gegenteil, die Verständigung über Sinn, Gestalt und Ort
eines solchen Denkmals kann und soll der kollektiven
Selbstverständigung der Deutschen dienen. Einmi-
schung ist ausdrücklich erwünscht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Die intellektuelle und künstlerische Herausforderung
ist ohnehin beträchtlich. An die deutsche Freiheitsge-
schichte, die Wiedervereinigung und ihre europäischen
Zusammenhänge zu erinnern und das künstlerisch Ge-
stalt annehmen zu lassen, das ist wahrlich eine giganti-
sche Aufgabe. Wir kennen Helden- und Kriegsdenkmä-
ler, Opfer- und Totendenkmäler. Wir kennen mehr oder
weniger peinliche Nationaldenkmäler. Aber wie soll his-
torisches Glück, wie sollen Freiheit und Einheit in eine
dauerhafte künstlerische Form gerinnen? Ich bin sehr ge-
spannt.

Wir stehen vor einer großen Herausforderung. Es
wäre trotzdem gut, wenn wir es bis zum 20. Jahrestag
der deutschen Einheit schaffen könnten. Das ist ein ehr-
geiziges Ziel, aber kein Dogma. Beschließen wir heute
also den Start dieses notwendigen und wichtigen Pro-
jekts.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612402300

Ich erteile das Wort dem Kollegen Wolfgang Börnsen

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1612402400

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Der 9. November ist ein Tag der Trauer und gleichzeitig
ein Tag des Glücks, ein deutscher Tag: Reichskristall-
nacht und Mauerfall. 1938 die hässliche Fratze unserer
Vergangenheit und 1989 ein Tag, an dem die Träume
tanzen lernten.

Ich habe den für mich bewegendsten Augenblick un-
serer jüngsten Geschichte im Bonner Wasserwerk erlebt.
Es war gegen 21 Uhr. Auf der Tagesordnung stand die
Beratung des Vereinsförderungsgesetzes. Der Plenarsaal
war gut besetzt, es sollte nämlich eine namentliche Ab-
stimmung folgen. Annemarie Renger unterbrach plötz-
lich die Debatte. Kanzleramtsminister Rudolf Seiters er-
hielt das Wort – dann die explosive Mitteilung: Die
Mauer ist gefallen. Wir sind das glücklichste Volk der
Welt. Liesel Hartenstein fiel Willy Brandt in die Arme.
Alfred Dregger und Wolfgang Mischnick kämpften auf-
gewühlt mit ihren Tränen. Spontan sang das gesamte
Parlament unsere Nationalhymne von Einigkeit und
Recht und Freiheit. Drei Kollegen von den Grünen ver-
ließen den Plenarsaal. Trotzdem werde ich diesen wun-
derbarsten Augenblick meines parlamentarischen Le-
bens nie vergessen, weil ich miterleben durfte, dass sich
in meinem eigenen Land der Wille zur Freiheit friedlich
Bahn gebrochen hat durch die unbändige Spontaneität
der Leipziger, die Courage der Bürgerrechtler und den
Mut von Menschen in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Deutschlands Freiheits- und Einheitsgeschichte geht
jedoch über diesen epochalen Augenblick hinaus. Schon
1817 stritten Studenten beim Wartburgfest für Freiheit
und ein geeintes Vaterland. Beim Hambacher Fest for-
derte man Freiheit und Demokratie. Doch erst 1848
brach sich die Freiheitsrevolution Bahn. Freiheit,
Gleichheit, bürgerliche Rechte, Pressefreiheit, Gewal-
tenteilung – diese zutiefst demokratischen Ideen gehören
seitdem zu unserem politischen und historischen Erbe.
100 Jahre später hat der Parlamentarische Rat sie ganz
bewusst im Grundrechtekatalog unserer Verfassung ver-
ankert.

Vorher gab es die Weimarer Verfassung von 1919. Sie
war eine freiheitliche Verfassung mit liberalen und so-
zialen Grundrechten und vielleicht zu vielen plebiszitä-
ren Elementen. Sie – nicht eine Räterepublik oder Räte-
diktatur nach sowjetischem Vorbild – war das Ergebnis
der Revolution von 1918. Diese junge Demokratie hatte
nur einen kurzen Atem, ging unter im menschenverach-
tenden Terror des NS-Regimes.

Dann kamen mit der Gründung der Bundesrepublik
1949 Demokratie, Rechtsstaat und Parlamentarismus.
Die Freiheit, den Alliierten geschuldet, fand zurück zu
ihren Wurzeln. Sie durfte im Westen gelebt werden. Im
Osten schlugen am 17. Juni 1953 die sowjetische Besat-
zungsmacht und DDR-Grenztruppen den Volksaufstand
nieder. Es gab über 100 Tote, 20 Hinrichtungen und
3000 Verhaftungen. Die erste große Freiheitsbewegung
gegen die kommunistische Diktatur wurde niedergepan-
zert. Der 17. Juni gehört zu unserer Freiheitsgeschichte.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Ohne Freiheit gibt es keine Demokratie. Die Deutsche
Demokratische Republik war eine demokratische Täu-
schung, ein Potemkinsches Dorf der Begrifflichkeiten.
Die Freiheit? Ein Traum, eingesperrt zwischen Stachel-
draht und Staatssicherheit. Erst 1989 wurde sie er-
kämpft, friedlich und ohne Blutvergießen.

Es ist an der Zeit, sich der gesamten Freiheitsge-
schichte unseres Landes zu erinnern. Keine Nation kann
ihre Identität und ihre Orientierung allein aus ihrem Ver-
sagen und ihren dunklen Kapiteln gewinnen. Vorgestern,
bei der Anhörung des Kulturausschusses zum Gedenk-
stättenkonzept, hat sich Salomon Korn wie die überwie-
gende Mehrzahl der Historiker für das Freiheits- und
Einheitsdenkmal hier in der Hauptstadt ausgesprochen,
weil die Befreiung von Diktaturen als Zeichen der Ermu-
tigung dokumentiert werden muss. Doch es gilt, unsere
gesamte Freiheitsgeschichte wahrzunehmen. Ein Denk-
mal für Freiheit und Einheit kann diese Funktion erfül-
len. Es macht die Signalfunktion von Freiheit deutlich.
Es steht für die glücklichen Augenblicke unserer Ge-
schichte. Solche Momente gehören nicht in die Besen-
kammer der Erinnerung.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Im Gegenteil, es wird Zeit, sich daran zu erinnern: Un-
sere Landsleute haben sich über viele Jahrhunderte mit
Leidenschaft und ihrem Leben für die Freiheit einge-
setzt. Diese Tugenden haben Vorbildcharakter für die
junge Generation. Erinnern braucht Gestalt. Denkmäler
sind notwendig. Ohne sie geht Erinnerung verloren. Er-
innern braucht vor allen Dingen Wissen. Nur wer infor-
miert ist, kann auch gedenken.






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Börnsen (Bönstrup)

Ein Denkmal muss auch ein Lern- und Erinnerungsort
sein. Dafür sind Voraussetzungen zu schaffen; denn, wie
die Sachverständigen bei der Anhörung feststellten, es
gibt einen Mangel an positiven Geschichtserinnerungen.
Es fehlt an Kenntnis über die deutsche Freiheitsge-
schichte. Das Denk-Mal muss die Ausrichtung der Ge-
staltung bestimmen. Das Nach-Denken ist ebenso anzu-
regen wie das Voraus-Denken.

Wo soll es stehen? Wir sagen: in Berlin. – Der
Wunsch der Leipziger, es bei sich aufzustellen, ist außer-
ordentlich verständlich, gingen doch von dort die folgen-
reichen Montagsdemonstrationen aus.


(Beifall des Abg. Jan Mücke [FDP])


Eine Stele an der Nikolaikirche erinnert bereits an die
beispielgebende Tat der Leipziger in dieser Stadt. Da wir
aber die ganze Freiheitsgeschichte unseres Landes auf-
nehmen wollen, ist die Hauptstadt der richtige Ort.

Klar ist: Das Freiheitsdenkmal muss 2009 errichtet
werden, in einem Jahr vierfachen Jubiläums: 160 Jahre
Paulskirche, 20 Jahre Mauerfall, 90 Jahre Weimarer Ver-
fassung, 60. Geburtstag der Bundesrepublik. Das ist ein
Jahr, um der Freiheitsgeschichte unseres Landes in
Würde, aber auch in Freude und Fröhlichkeit zu erin-
nern.

Die Verwirklichung des Denkmals erfolgt gemeinsam
mit der Deutschen Gesellschaft. Sie steht für Seriosität
und Kompetenz. Ihre Mitstreiter Lothar de Maizière,
Jürgen Engert, Florian Mausbach, Günter Nooke,
Richard Schröder – einige sind heute hier – haben mit
dafür gesorgt, dass eine Idee aus der Mitte der Gesell-
schaft Gestalt annahm.

Heute sorgen wir im Deutschen Bundestag dafür, dass
sie Realität wird. Bemerkenswert ist, dass die drei vor-
liegenden Anträge in ihrer Zielsetzung fast übereinstim-
men. Vor sieben Jahren scheiterte eine solche Initiative.
Bei meinen zahlreichen Gesprächen in den vergangenen
zwei Jahren zur Beförderung des Antrags habe ich die
Erfahrung gemacht: Heute sind alle, ob Kritiker oder Be-
fürworter, in ihrer geschichtlichen Betrachtung differen-
zierter geworden als in der Vergangenheit. Sie sind viel
bereiter, dem ermutigendem Freiheits- und Einheitsge-
danken einen höheren Stellenwert einzuräumen. Auch
das ist ermutigend.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612402500

Herr Kollege, Sie denken bitte an die Redezeit – trotz

des wichtigen Themas.


Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1612402600

Herr Präsident, ich komme zum Schluss.

Kein Text fasst dieses Ideal von Freiheit schöner als
das Volkslied aus dem Jahr 1780, dass 1848 verboten
wurde: Die Gedanken sind frei. Darin heißt es in der drit-
ten Strophe:

Und sperrt man mich ein
im finsteren Kerker,
das alles sind rein
vergebliche Werke.
Denn meine Gedanken
zerreißen die Schranken
und Mauern entzwei:
Die Gedanken sind frei!

Bitte stimmen Sie mit für das Denkmal für Freiheit
und Einheit hier in der Hauptstadt!


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612402700

Das Wort erhält nun der Kollege Gunter Weißgerber,

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Peter Hettlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Gunter Weißgerber (SPD):
Rede ID: ID1612402800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es redet

ein Leipziger, und daher meinen viele, dass es lokalpa-
triotisch zugeht. Überhaupt nicht!

Für mich ist es undenkbar, in Leipzig ein Denkmal
hinzustellen und es in Berlin nicht zu tun. Die deutsche
Nachkriegsgeschichte ist für mich ohne die geteilte Stadt
Berlin, ohne die Blockade, ohne den Volksaufstand,
ohne den Mauerbau, ohne die Ostberliner Untergrund-
szene und ohne den Sturm auf die Umweltbibliothek
überhaupt nicht denkbar. Deshalb gehört nach Berlin auf
jeden Fall ein ganz wichtiges Denkmal, und zwar dieses.
Deshalb verstehe ich überhaupt nicht, warum die Linke
die Geschichte so verkürzt.

Klar ist natürlich: Der Mauerfall, der auch mit Berlin
zusammenhängt, ist eine Folge von Ereignissen, die sich
speziell im Herbst 1989 in Ostdeutschland vor allem in
der Provinz abgespielt haben; aber natürlich auch in Ost-
berlin; ich denke an die Gethsemanekirche. Die ganzen
Bilder habe ich noch vor mir. Ich habe vor dem Fernse-
her mitgelitten. In der Provinz aber ging die Bewegung
los, speziell in Leipzig. Sie werden in Ostdeutschland
fast niemanden finden, der nicht sagen wird – egal wo er
wohnt und wo seine Demonstrationen stattfanden –: ei-
gentlich Leipzig. Dort hat sich nämlich alles fokussiert.

Es waren ja nicht nur 70 000 Leipziger am 9. Okto-
ber 1989 auf der Straße. Es waren auch viele von aus-
wärts dabei. Sie sind nach Leipzig gefahren, weil klar
war: Von dort ist das Signal am mächtigsten. Aus diesem
Grunde und deshalb, weil der Ruf „Wir sind das Volk“ in
Leipzig entstanden ist – daraus wurde: „Wir sind ein
Volk“; wir sind jetzt ein Volk in einem freien Land; wun-
derbar! –, haben wir diesen Änderungsantrag vorgelegt.

Ich bedanke mich ausdrücklich bei denjenigen, die
mir hierbei Unterstützung erwiesen haben. Es sind übri-
gens nicht nur Sachsen; die Kolleginnen und Kollegen
kommen aus allen Bundesländern, aus Ost wie West. Die
Unterstützung vollzieht sich also auf nationaler Ebene
und nicht nur auf regionaler Ebene. Dafür bedanke ich
mich.


(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612402900

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Klaas Hübner, SPD-Fraktion.


Klaas Hübner (SPD):
Rede ID: ID1612403000

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Lieber Kollege Gunter Weißgerber, ich kann gut
verstehen, dass man darauf hinweist, dass die friedliche
Revolution, die zur Einheit geführt hat, in Gesamtost-
deutschland stattgefunden hat und dass ihrer überall ge-
dacht werden soll. Aber wir haben heute über den
Antrag zu entscheiden, ein bestimmtes Denkmal zu er-
richten, und zwar hier in der Hauptstadt Berlin. Richard
Schröder hat gesagt:

Berlin [ist] die Hauptstadt des Landes und damit
auch die Hauptstadt unserer Erinnerungskultur.

Wir entscheiden heute über einen entsprechenden An-
trag. Deshalb möchte ich darum bitten, ihm in der vorlie-
genden Fassung zuzustimmen.

Das enthebt uns nicht der Notwendigkeit der Diskus-
sion, gemeinsam mit den Landesregierungen und den
Menschen darüber nachzudenken – einer meiner Vorred-
ner hat es gesagt –, wie man auch an anderen Orten eine
Stätte des Erinnerns und des Ehrens dessen, was 1989
geschehen ist, in geeigneter Weise errichten kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte im Rahmen des Jahresberichts zum Stand
der deutschen Einheit noch auf einen ganz anderen As-
pekt eingehen. Die Wirtschaftskraft Ostdeutschlands ist
in den letzten 17 Jahren deutlich gestiegen. Wir haben
zwar heute nur 70 Prozent der Wirtschaftskraft des Wes-
tens; aber immerhin haben wir sie. Dass wir in den letz-
ten 17 Jahren so weit gekommen sind, ist eine gewaltige
Leistung des Gesamtstaates. Es ist nicht nur eine Leis-
tung Ostdeutschlands, sondern sie ist auch geprägt von
der Solidarität des Westens, wofür ich mich an dieser
Stelle ausdrücklich bedanken will.

Wir müssen aber weiterkommen. Wir müssen Chan-
cen ergreifen, um schneller an die durchschnittliche
Wirtschaftskraft Gesamtdeutschlands aufzuschließen.
Dabei muss man erkennen, dass uns das nur sehr schwer
gelingen wird, wenn wir versuchen, den Aufholprozess
dadurch zu generieren, dass wir parallele Strukturen zu
bestehenden Industriezweigen aufbauen. Solche Indus-
trien hätten sich nachher in einem Verdrängungswettbe-
werb zu behaupten.

Es wird vielmehr notwendig sein, dass wir in Ost-
deutschland Forschung und Innovationen bei neuen
Technologien fördern und damit auf neue Märkte vorsto-
ßen; denn dort, wo neue Märkte entstehen, ist es am ein-
fachsten, entsprechend zu wachsen und schnell an die
Spitze zu kommen. Darum haben die Koalitionsfraktio-
nen in ihrem Entschließungsantrag zum Jahresbericht
zum Stand der deutschen Einheit einen besonderen
Schwerpunkt auf eine verstärkte Förderung von For-
schung und Innovationen in den neuen Bundesländern
gelegt. Hierin sehe ich eine Chance, Ostdeutschland
nach vorne zu bringen.

(Beifall bei der SPD)


Es gibt gute Beispiele dafür, in welchen Bereichen
uns dies schon gelungen ist. Ich denke an den Bereich
der erneuerbaren Energien und an den Bereich der Solar-
zellentechnologie. In meinem Wahlkreis hatten vor
sieben Jahren zehn junge Leute die Idee, eine Solarzel-
lenproduktion aufzubauen. Sie haben damals zu zehnt
angefangen. Heute beschäftigen sie in ihrer eigenen
Firma 1 500 Mitarbeiter. Das hat mittlerweile zu
weiteren Investitionen aus Kanada und den USA in die
Region um Wolfen und Thalheim bei Bitterfeld ge-
führt. Insgesamt sind in diesem Bereich dort heute
5 000 Menschen beschäftigt.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Nach den jetzigen Investitionsplanungen ist fest davon
auszugehen, dass im Jahre 2010 10 000 Menschen in ei-
nem vollkommen neuen Technologiebereich einen Ar-
beitsplatz haben werden.

Das zeigt: Es lohnt sich, in neue Technologien zu in-
vestieren. Es lohnt sich auch, das von staatlicher Seite
durch eine gute Förderpolitik zu begleiten. Dies bringt
den Menschen etwas. Dies führt zur Schaffung von Ar-
beitsplätzen und ist gut für die neuen Bundesländer.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


In diesem Zusammenhang möchte ich auf einen
Punkt hinweisen, der auch Bestandteil unseres Ent-
schließungsantrages ist. Er betrifft die Verstetigung des-
sen, was wir GA-Mittel-Förderung nennen. Hierbei geht
es um eine Investitionsförderung, die die zielgenaueste
ist, die wir haben. Denn hier werden Investitionen geför-
dert, die zur Schaffung von Arbeitsplätzen führen. Die
Mittel für dieses zielgenaue Instrument sollten wir auf
möglichst hohem Niveau verstetigen. Das bietet uns die
beste Gelegenheit, eine zielgenaue Wirtschaftspolitik zu
betreiben. Insofern bitte ich den Haushaltsausschuss,
noch einmal zu überdenken – ich weiß, dass das in Zei-
ten, in denen die Steuerschätzung nicht so gut ausfällt,
wie man sich das wünscht, schwierig ist –, ob man nicht
eine Verstetigung der Mittel auf altem Niveau erreichen
kann. Ich glaube, dies wäre gut für die neuen Bundeslän-
der.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Sicherlich sollten wir gerade bei einer Debatte um die
deutsche Einheit nicht verschweigen, dass es noch Pro-
bleme gibt. Wir sollten aber vor allen Dingen auf die Er-
folge und auf die ungemeinen Chancen der vor uns
liegenden Entwicklung hinweisen. Wir sollten den Men-
schen keine Angst machen, sondern Mut machen, diese
Chancen zu ergreifen. Dadurch, dass sich die Europäi-
sche Union nach Osteuropa erweitert hat, hat die Zahl
der Menschen in Europa um 20 Prozent, die Wirtschafts-
kraft aber nur um 5 Prozent zugenommen. Das heißt,
hier ist ein Potenzial, das noch entwickelt werden kann
und entwickelt werden muss. Das ist ein Wachstums-
potenzial direkt an der Grenze der neuen Bundesländer,
das wir als Chance begreifen sollten und nutzen müssen.
Die EU-Erweiterung stellt für die neuen Bundesländer in






(A) (C)



(B) (D)


Klaas Hübner
erster Linie nicht ein Risiko, sondern eine Chance dar.
Lassen Sie uns das den Menschen sagen! Lassen Sie uns
ihnen Mut machen. Ich glaube, das haben die Menschen
in Ostdeutschland, aber auch in Gesamtdeutschland ver-
dient.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612403100

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/6500 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Entschließungs-
anträge auf den Drucksachen 16/7014 und 16/7015 sol-
len an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Sind
Sie damit einverstanden? – Das sieht so aus. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen unter dem Tagesordnungspunkt 33 b zur
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung zu dem Jahresbericht der Bundes-
regierung zum Stand der deutschen Einheit 2006 und zu
dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD zu diesem Bericht.

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/4041, in Kenntnis der Unter-
richtung auf Drucksache 16/2870 den Entschließungs-
antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 16/3310 anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich der Stimme? – Die Beschlussempfehlung ist
mit Mehrheit angenommen.

Unter Punkt 33 c unserer Tagesordnung geht es um
die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur
und Medien auf der Drucksache 16/6974.

Wir kommen zunächst zu dem Antrag der Fraktionen
der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 16/6925
sowie zum Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD auf Drucksache 16/6776 mit gleichlautenden Ti-
teln: Errichtung eines Freiheits- und Einheits-Denkmals.

Unter Buchstaben a und b empfiehlt der Ausschuss,
die genannten Anträge zusammenzuführen und in der
Fassung des Antrags auf Drucksache 16/6925 anzuneh-
men.

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten
Gunter Weißgerber, Rainer Fornahl, Simone Violka und
weiterer Abgeordneter vor. Darüber stimmen wir nun
zunächst ab. Wer für diesen gerade genannten Ände-
rungsantrag auf Drucksache 16/7047 stimmt, den bitte
ich um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich der Stimme?


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist nicht ganz klar!)


– Das Präsidium ist sich einig, dass die Mehrheit knap-
per war, als vermutet wurde, dass aber das Zweite er-
kennbar die Mehrheit war. Das heißt, der Änderungs-
antrag ist damit abgelehnt.

Ich erlaube mir in diesem Zusammenhang den Hin-
weis, der im Übrigen in der Debatte von verschiedenen
Rednern vorgetragen worden ist, dass niemand ernsthaft
erwartet, dass mit dem heutigen Beschluss die Debatte
zu Ende ist. Sie soll damit ausdrücklich auf eine mög-
lichst breite Basis gestellt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich darf noch darauf hinweisen, dass mir zu der Ab-
stimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses eine persönliche Erklärung zum Abstimmungsver-
halten nach § 31 unserer Geschäftsordnung von den
Kollegen Gunter Weißgerber und Rainer Fornahl vor-
liegt.1) Die nehmen wir selbstverständlich zu Protokoll.

Wir stimmen jetzt über die Beschlussempfehlung ab,
also über die Zusammenführung der Anträge und Annahme
in der Fassung des Antrages auf Drucksache 16/6925. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Das war jetzt zweifellos
eindeutiger. Das Erste war die Mehrheit. Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen.

Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrages der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/6926 mit dem Titel „Errichtung eines
Denkzeichens mit Dokumentationszentrum zur Erinne-
rung an die friedliche Revolution 1989“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit
eindeutiger Mehrheit angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch-
stabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/6927 mit dem Titel „Diskussionsprozess
über ein Freiheits- und Einheitsdenkmal unter breit an-
gelegter Beteiligung der Öffentlichkeit initiieren“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen ange-
nommen.

Ich rufe nun die Zusatzpunkte 11 und 12 auf:

ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Fritz
Kuhn, Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Tempolimit 130 km/h auf Autobahnen sofort
einführen

– Drucksache 16/6894 –

ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Gesine Lötzsch,
Dorothee Menzner, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE

1) Anlage 3






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
Schnellstmögliche Einführung eines generellen
Tempolimits von 130 Stundenkilometern auf
Bundesautobahnen

– Drucksache 16/6932 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

Diese Beratung unterscheidet sich von der vorherigen
auch dadurch, dass der Antrag auf schnellstmögliche
Umsetzung bei dem eben mit Mehrheit beschlossenen
Antrag nicht gestellt wurde.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
sen.

Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich um
schnellstmögliche Herstellung der nötigen Aufmerksam-
keit bei denjenigen, die an dieser Debatte teilnehmen
können und wollen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Kollege Fritz Kuhn für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.


Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612403200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

möchte mit zwei Zitaten beginnen:

Wir wollen die steuerliche Besserstellung hochver-
brauchender Dienstwagen abschaffen.

Ein schneller und unbürokratischer Weg zum Kli-
maschutz ist die Einführung einer allgemeinen Ge-
schwindigkeitsbegrenzung von 130 km/h.

Das ist vor wenigen Tagen auf dem SPD-Parteitag in
Hamburg so beschlossen worden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich
will Ihnen sagen, dass wir diesen Beschluss gut finden.
In unserem Programm haben wir uns zwar für ein Tem-
polimit von 120 km/h ausgesprochen, heute beantragen
wir aber die Umsetzung Ihres Beschlusses. Ich will deut-
lich machen, aus welchen Gründen wir das tun. Im We-
sentlichen sprechen vier Gründe für diese Position:

Erstens. Ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen
bringt sofort – ich betone: sofort – eine Reduktion der
CO2-Emissionen um mindestens 2,5 Millionen Tonnen
jährlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das entspricht immerhin 7 bis 8 Prozent der durch Pkws
auf Autobahnen verursachten Emissionen.

Der zweite Grund ist, dass ein Tempolimit auf Auto-
bahnen die Zahl der Verkehrstoten reduzieren würde.
Von den jährlich 600 Verkehrstoten auf Autobahnen in
Deutschland könnte ein Viertel – das besagt eine Studie,
die im Auftrag der Brandenburger Landesregierung ent-
standen ist – gerettet werden. Das ist ein elementarer
Grund. An dieser Stelle frage ich immer wieder die
Union und die FDP: Wieso weichen Sie diesem Grund
immer aus? Wieso wollen Sie diesen sachlichen Grund
nicht zur Kenntnis nehmen? Wir können Menschenleben
retten. Ich fordere die CDU/CSU auf, dies zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der dritte Grund ist nicht minder wichtig: Es würde
weniger Staus auf unseren Autobahnen geben;


(Jörg van Essen [FDP]: Das Gegenteil ist der Fall!)


denn Staus entstehen, wenn Fahrer mit sehr hohen Ge-
schwindigkeiten auf Fahrer mit niedrigerer Geschwin-
digkeit stoßen. Der Verkehrsfluss würde durch ein Tem-
polimit also harmonisiert. In der Studie, die gestern von
der Brandenburger Regierung vorgestellt wurde, wurde
das empirisch untersucht. Sie kommt zu dem Ergebnis,
dass bei einem Tempolimit von 130 km/h auf einer
sechsspurigen Autobahn pro Tag 7 200 Fahrzeuge mehr
durchkämen, sich der Verkehrsdurchfluss also entspre-
chend erhöhen würde, und zwar, weil die Harmonisie-
rung des Verkehrs durch ein Tempolimit gegeben wäre.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der vierte Grund – wenig diskutiert in der Öffentlich-
keit, aber ich will ihn nennen –: Stress und Aggressio-
nen würden abgebaut, und vor allem für ältere Men-
schen wären die Autobahnen wieder leichter benutzbar.


(Jörg van Essen [FDP]: Keine Altersdiskriminierung!)


Ich richte folgende Frage an die CDU/CSU: Wenn wir
eine alternde Gesellschaft haben und auch mehr ältere
Menschen auf den Autobahnen fahren, muss man dann
nicht irgendwann einmal von diesem Hochgeschwindig-
keitswahn abkommen, der nur noch in Deutschland, aber
sonst nirgendwo in Europa stattfindet?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der FDP: Ein solcher Quatsch!)


Deswegen sage ich denen von der FDP, die jetzt hier
geifern – den jungen Mann kannte ich bisher noch gar
nicht –: Das Tempolimit in Deutschland wird kommen,
so wie das Rauchverbot in den Gaststätten gekommen
ist. Sie können sich noch ein Weilchen dagegen wehren,
aber die Vernunft wird sich an dieser Stelle schlicht und
einfach durchsetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte zu zwei Gegenargumenten kommen, die
immer vorgebracht werden. Das erste Argument, das
auch von Umweltminister Gabriel in Interviews genannt
wird, –


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist er eigentlich?)







(A) (C)



(B) (D)


Fritz Kuhn
– vielleicht steckt er im Stau, weil wir kein Tempolimit
haben; das kann man in seinem Fall nicht wissen –


(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)


lautet: Die CO2-Einsparungen in Höhe von
2,5 Millionen Tonnen durch ein Tempolimit seien zu we-
nig, man müsse die CO2-Emissionen um 270 Millionen
Tonnen reduzieren, um die Klimaschutzziele zu errei-
chen. Ich kann nur sagen: Das ist ein absurdes Verständ-
nis dessen, wie wir Klimaschutz in Deutschland betrei-
ben sollten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn es ist doch klar, dass wir alle Maßnahmen brau-
chen. Wir sind doch nicht in der komfortablen Situation,
uns von 20 Maßnahmen drei auszusuchen. Klimaschutz,
die Reduzierung um 270 Millionen Tonnen erreichen
wir nur, wenn wir alle Maßnahmen anpacken.

Im Übrigen hat man – auch Frau Merkel und Herr
Gabriel – uns immer erzählt, das Gebäudesanierungspro-
gramm – es ist wirklich gut – sei ein so tolles Programm,
das man unbedingt machen müsse. Es sei ein Glanzstück
des Klimaschutzes. Dieses Programm hat im Jahr 2006
1 Million Tonnen CO2 eingespart. Warum sind
2,5 Millionen Tonnen plötzlich zu wenig, wenn bei an-
deren Programmen 1 Million Tonnen eine riesige und
gute Zahl ist?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen sage ich an die Adresse der Bundesregierung:
Wer ein wirkliches Klimaschutzprogramm umsetzen
und verwirklichen will, kommt an einem Tempolimit auf
den deutschen Autobahnen nicht vorbei.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das zweite Argument ist industriepolitischer Art. Es
wird gesagt, die deutsche Automobilindustrie könne nur
auf dem heutigen Stand weiter exportieren, wenn wir
kein Tempolimit haben, weil auf unseren Fahrzeugen
das Marketinglabel „Tested on the German Autobahn“
stehen müsse. Dazu kann ich nur sagen: Wer die Realität
der Exporte der deutschen Automobilindustrie kennt,
der weiß, dass das eine absurde Konstruktion ist. Por-
sche exportiert vorwiegend in die Vereinigten Staaten,
die ja nun nachgerade ein Tempolimit der Sonderklasse
haben. Daran kann es also wirklich nicht liegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Außerdem produziert der größte Konkurrent der deut-
schen Automobilindustrie, Toyota, in Japan, wo es ein
Tempolimit von 110 km/h gibt. Die Automobilindustrie
kann also durch eine allgemeine Geschwindigkeitsbe-
grenzung auf Autobahnen nicht so sehr geschwächt wer-
den.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es geht, glaube ich, um eine ganz einfache Frage.
Wenn wir eine Geschwindigkeitsbegrenzung hätten,
würde der Drang, immer größere, schnellere und auf-
grund der Sicherheitstechnik schwerere Autos zu bauen,
endlich aufhören. Es würden endlich ein vernünftiges
Downsizing und ein Wettbewerb um das ökologischste
Auto stattfinden. Das geht ohne Tempolimit nicht ohne
Weiteres.

Ich will zum Schluss sagen: Manches ist einfach eine
Angewohnheit, die man nicht so gerne aufgeben will.
Ich darf Frau Nahles von der SPD zitieren.


(Ulrich Kelber [SPD]: Das ist bekannt!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612403300

Kollege Kuhn, das müssen Sie sich bitte aufheben.

Sie haben Ihre Redezeit schon überschritten.


(Zuruf von der SPD: Das kann man auch weglassen!)



Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612403400

Es dauert eine halbe Minute, Frau Präsidentin.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612403500

Ein letzter Satz!


Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612403600

Frau Nahles sagte nach dem Parteitag:

Aber ich fahre gerne auch mal schnell Auto, wo das
möglich ist. Auf meine Lieblings-Rennstrecke auf
der A 48 würde ich nur sehr ungern verzichten.

Frau Nahles, ich kann nur sagen: Das ist ein Fall für die
Drogenbeauftragte der Bundesregierung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612403700

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege

Storjohann das Wort.


Gero Storjohann (CDU):
Rede ID: ID1612403800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Herr Kuhn hat uns eben eine Studie aus Bran-
denburg zum Besten gegeben, mit der er als Beispiel die
sechsspurigen Autobahnen anführte. Ich hatte vor mei-
nem Auge jetzt überprüft, wo wir in Schleswig-Holstein
sechsspurige Autobahnen haben und wo sich die Grünen
jemals für einen sechsspurigen Autobahnausbau ausge-
sprochen hätten. Deswegen gibt es einen Konflikt: Sie
werden die Verkehrssicherheit insgesamt forcieren
müssen, aber dann müssen Sie auch den Ausbau von
Straßen bei uns unterstützen.

Knapp 23 Jahre ist es her, da beantragten die Grünen
im Deutschen Bundestag aus Gründen des Umweltschut-
zes und der Verkehrssicherheit ein Tempolimit von
100 km/h; das war in der 10. Wahlperiode 1985. In der
11. Wahlperiode, im September 1988, beantragten die
Grünen Tempo 100 als Maßnahme gegen Luftver-
schmutzung und Gesundheitsgefährdung wegen fotoche-
mischen Smogs. In der 12. Wahlperiode, im September
1993, wollten die Grünen dann 20 km/h mehr, also
Tempo 120 durchsetzen. Grund war diesmal die Be-
kämpfung des Waldsterbens.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt ja auch alles!)







(A) (C)



(B) (D)


Gero Storjohann
In der 13. Wahlperiode, im Oktober 1997, wollten die
Grünen für Pkw bis 2,8 Tonnen Gesamtgewicht
Tempo 100 auf Autobahnen und für alle anderen
Tempo 80 einführen. Diesmal musste unter anderem die
neue Erscheinung wilder Straßenrennen dafür herhalten,
wie es in dem damaligen Antrag hieß. In der 14. und der
15. Wahlperiode stellten die Grünen gar keinen Antrag
zum Tempolimit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Da haben sie auch regiert!)


– Da regierten sie.

Meine Damen und Herren von den Grünen, wenn Ih-
nen wirklich an einem allgemeinen Tempolimit gelegen
wäre, dann hätten Sie als Regierungspartei sieben Jahre
Zeit dafür gehabt, es einzuführen. Stattdessen stellen Sie
jetzt, in der 16. Wahlperiode und wieder in der Opposi-
tion, in einem Jahr bereits den zweiten Antrag zum Tem-
polimit.

Ihrem Anliegen eines Tempolimits erweisen Sie ei-
gentlich einen Bärendienst. Es geht Ihnen gar nicht um
die Sache, sondern um das Vorführen unseres Koaliti-
onspartners SPD.


(Zuruf von der FDP: So ist es!)


Das ist keine seriöse Politik.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geben Sie zu: Das freut Sie!)


Anfang des Jahres wollten Sie als klimapolitische So-
fortmaßnahme Tempo 120 auf allen deutschen Autobah-
nen. Jetzt wollen Sie wieder Tempo 130. Wer diesen
Zickzackkurs noch nachvollziehen kann, möge sich bitte
melden.

Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion
lehnt ein allgemeines Tempolimit auf den deutschen Au-
tobahnen ab.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erklären Sie doch mal, warum!)


Für den Klimaschutz würde ein generelles Tempo-
limit auf Autobahnen kaum erkennbare Verbesserungen
bringen. Die BASt hat im Jahre 1992 berechnet, dass
rund zwei Drittel der Fahrleistungen auf Autobahnen mit
Geschwindigkeiten unter der Richtgeschwindigkeit von
130 km/h abgewickelt werden. Damals wurde festge-
stellt, dass nur etwa 13 Prozent aller von Personenkraft-
wagen erbrachten Fahrleistungen mit Geschwindigkei-
ten von über 150 km/h gefahren werden.

Seit der Erhebung vor 15 Jahren hat sich das Ver-
kehrsaufkommen auf unseren Straßen jedoch um ein
Vielfaches erhöht. Das bedeutet, dass schon heute auf
vielen Streckenabschnitten gar nicht mehr schneller als
mit Tempo 130 gefahren werden kann. Das gilt insbe-
sondere an Autobahnkreuzen, in der Nähe von Städten
und in Ballungszentren.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Und Kindergärten, Schulen und Zebrastreifen!)


Darüber hinaus sind heute bereits knapp 40 Prozent
des Autobahnnetzes dauerhaft oder durch Baustellen ge-
schwindigkeitsbeschränkt. Auf knapp 10 Prozent des
Netzes werden Geschwindigkeitsbeschränkungen
durch Verkehrsbeeinflussungsanlagen in Abhängigkeit
von Verkehrsdichte oder Wetterlage angeordnet. Damit
unterliegt knapp die Hälfte des deutschen Autobahnnet-
zes faktisch schon heute einem Tempolimit.

Außerhalb dieser Bereiche gibt es keinen vernünfti-
gen Grund, ein allgemeines Tempolimit einzuführen –
schon gar nicht aus Gründen der Verkehrssicherheit. Un-
sere Autobahnen sind die bei Weitem sichersten Straßen
in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Auf den Bundesautobahnen werden rund 31 Prozent
aller in Deutschland von Kraftfahrzeugen gefahrenen
Kilometer zurückgelegt. Der Anteil an Verkehrstoten
liegt auf den Bundesautobahnen bei etwa 12 Prozent und
ist somit im Vergleich zu allen anderen Straßen wesent-
lich geringer.


(Zuruf von der SPD: Viel zu hoch!)


– Ja, er ist noch zu hoch. Deswegen arbeiten wir an vie-
len Konzepten, und natürlich muss auch der Kontroll-
druck erhöht werden. All das wollen wir gemeinsam an-
packen.

60 Prozent aller tödlichen Verkehrsunfälle – dieser
Anteil ist viel zu hoch – geschehen auf Landstraßen; hier
gibt es übrigens ein allgemeines Tempolimit von
100 km/h. Danach folgen mit 28 Prozent die Unfälle, die
innerorts passieren; hier gilt ein allgemeines Tempolimit
von 50 km/h. Auf den deutschen Autobahnen verun-
glücken rund 7,5 Prozent aller Verkehrsteilnehmer. Le-
diglich 6 Prozent aller Unfälle mit Personenschaden er-
eignen sich hier. Daher sollten Tempolimits auf
Autobahnen nur an bekannten Unfallschwerpunkten und
bei hohem Verkehrsaufkommen angeordnet werden. In
der Studie aus Brandenburg wurde deutlich, dass die An-
ordnung eines Tempolimits von 130 km/h auf dem lan-
gen Abschnitt vor Berlin durchaus sinnvoll war und sich
im Nachhinein als sehr richtig erwiesen hat.


(Zuruf von der LINKEN: Ach?)


Geschwindigkeitsbeschränkungen müssen für den
Verkehrsteilnehmer immer nachvollziehbar sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der FDP: Sehr richtig!)


Bereits heute leisten verkehrsabhängige Streckenbeein-
flussungsanlagen, mit deren Hilfe die Anordnung von
Geschwindigkeitsbeschränkungen und Überholverboten
situationsabhängig geregelt werden kann, einen großen
Beitrag zu einem optimalen Fahrverhalten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)


Dadurch wird der Verkehrsablauf auf unseren Autobah-
nen verbessert und die Verkehrssicherheit erhöht.






(A) (C)



(B) (D)


Gero Storjohann
Die CDU/CSU spricht sich für den verstärkten Aus-
bau elektronischer Verkehrsbeeinflussungsanlagen
entlang unserer Autobahnen aus. Im Bundeshaushalt für
dieses Jahr haben wir für den Bau solcher Anlagen
30 Millionen Euro vorgesehen. Eine flexible Geschwin-
digkeitsregelung ermöglicht, dass die Autofahrer ihr
Fahrtempo an die jeweilige Verkehrssituation und an die
Umfeldbedingungen wie das Wetter und den Straßenzu-
stand anpassen.

Untersuchungen haben ergeben, dass die Zahl der Un-
fälle beim Einsatz elektronischer Verkehrsbeeinflus-
sungsanlagen um 20 bis 30 Prozent zurückgegangen ist.
Das hat auch zur Folge, dass diese flexible Regelung bei
den Autofahrern große Akzeptanz erfährt.


(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frenetischer Beifall bei der CDU/ CSU!)


Diese Flexibilität erlaubt im Gegensatz zur Anord-
nung eines starren Tempolimits, dessen Einführung
Grüne und Linke heute vorschlagen, die optimale Nut-
zung der Autobahn. Ein allgemeines Tempolimit ist im
Gegensatz zur Anordnung der Geschwindigkeit durch
Verkehrsbeeinflussungsanlagen nicht sinnvoll. Es muss
alles vermieden werden, wodurch die Attraktivität der
sichersten Straße in Deutschland, nämlich der Autobahn,
beeinträchtigt werden könnte.


(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Das gibt es ja wohl nicht!)


Durch Einführung eines allgemeinen Tempolimits würde
diese Attraktivität geschmälert.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie das selber geschrieben, oder wie?)


Durch die Anordnung eines allgemeinen Tempolimits
laufen wir außerdem Gefahr, dass sich ein erheblicher
Anteil des Verkehrs auf die Landstraßen verlagert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, Landstraßen sind aufgrund
des Begegnungsverkehrs besonders gefährlich. Das Ri-
siko, auf einer Landstraße getötet zu werden, ist viermal
so hoch, wie es auf der Autobahn ist. Überdies werden
Landstraßen mit ihren häufigen Ortsdurchfahrten im Ge-
gensatz zu Bundesautobahnen von schwach motorisier-
ten Verkehrsteilnehmern, von Radfahrern und Fußgän-
gern genutzt.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Wie schrecklich!)


Eine Verlagerung des Verkehrs von Bundesautobahnen
auf Landstraßen würde eine erhebliche Gefährdung aller
Verkehrsteilnehmer nach sich ziehen und auf Kosten der
Verkehrssicherheit gehen.

Dies alles macht deutlich: Die Anträge der Grünen
und der Linken sind nicht durchdacht. Sie sind reiner
Aktionismus. Daher lehnt die CDU/CSU-Bundestags-
fraktion die Vorschläge der Linksfraktion und der Frak-
tion des Bündnisses 90/Die Grünen zur Einführung eines
allgemeinen Tempolimits ab.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf von der SPD: Schwach!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612403900

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Döring das

Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)



Patrick Döring (FDP):
Rede ID: ID1612404000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich bin schon überrascht, wie undifferenziert Sie, Herr
Kollege Kuhn, versucht haben, Ihren früheren Koali-
tionspartner hier durch Verwendung falscher Zahlen vor-
zuführen.


(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche waren denn falsch?)


Ich will versuchen, ein wenig sachlicher zu bleiben und
die Zahlen zu nennen, die tatsächlich Grundlage einer
Debatte zu diesem Thema sein sollten.

Ich habe mich übrigens gefragt, was sich seit dem
20. September dieses Jahres eigentlich geändert hat. An
diesem Tag haben wir an dieser Stelle nämlich schon
einmal mit den Stimmen der Koalition und der FDP Ihre
gleichlautenden Anträge abgelehnt; dass es in dem einen
Fall um 120 km/h und in dem anderen Fall um 130 km/h
ging, sei einmal übersehen. Damals haben wir in einer,
wie ich finde, sehr differenziert geführten Debatte deut-
lich gemacht, warum wir diese Anträge ablehnen. Es
geht nämlich gerade nicht um das Motto „Freie Fahrt für
freie Bürger“,


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Na klar!)


sondern darum, dass man Tempolimits an Stellen, an de-
nen sie sinnvoll sind, einführen sollte, dass man sie aber
dort, wo sie vom Fahrer bzw. vom Nutzer der Straße
eher nicht verstanden werden, nicht generell einführen
sollte. Generelle Lösungen sind nicht so gut wie ausge-
feilte und strukturell richtige Lösungen. Das muss man
zur Kenntnis nehmen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Das kann man auch belegen. Einige Zahlen sind eben
schon genannt worden. Ich gebe Ihnen recht, dass wir in
Deutschland mit 5 600 Toten zu viele Opfer durch Ver-
kehrsunfälle haben. Wir alle arbeiten gemeinsam daran,
das zu ändern. Aber wenn wir uns das genauer an-
schauen, sehen wir: Weniger als die Hälfte kommt bei
Unfällen zu Tode, die durch nicht angepasste Geschwin-
digkeit verursacht sind. Das ist das Erste, was man zur
Kenntnis nehmen muss: Weniger als die Hälfte wird des-
wegen Opfer im Verkehr, weil der Unfall durch über-
höhte Geschwindigkeit zustande kommt, sagt das Kraft-
fahrt-Bundesamt; dessen Zahlen nehme ich jetzt einmal.

Insofern sind die Hochrechnungen zu Vermeidungs-
potenzialen absolut falsch. Denn 40 Prozent des Ver-
kehrs finden heute auf Autobahnen statt, und lediglich
12 Prozent der Opfer sind bei Unfällen auf Autobahnen
ums Leben gekommen. Das heißt, trotz des massiven






(A) (C)



(B) (D)


Patrick Döring
Verkehrsanteils der Autobahnen kommen die meisten
Menschen auf tempolimitierten Straßen zu Tode, näm-
lich auf Bundesstraßen und innerorts. Wie hat die SPD-
Fraktion zu Recht in ihrem Vermerk zu dem Antrag auf
dem Parteitag geschrieben:


(Ulrich Kelber [SPD]: Nicht zu diesem Parteitag!)


Die Gefahr, auf Bundesstraßen oder innerorts zu Tode
zu kommen, ist viermal so hoch wie auf Autobahnen.
Das war ein Grund, warum die SPD-Fraktion dieses
Tempolimit abgelehnt hat.


(Ulrich Kelber [SPD]: Falsch zitiert!)


– Das war der Vermerk Ihrer Fraktion zu dem Antrag auf
dem Parteitag im letzten Jahr.


(Ulrich Kelber [SPD]: Nein! 2005! Richtig zitieren!)


Das zweite Argument, das für ein Tempolimit ins
Feld geführt wird, ist die Verringerung der CO2-Emis-
sionen. Ich habe schon in der Debatte am 20. September
deutlich gemacht, dass die Zahlen des Umweltbundes-
amtes widerlegt sind, weil das Amt von zwei falschen
Grundannahmen ausgegangen ist. Die erste Annahme,
von der das UBA ausgegangen ist, lautet: Alle, die
schneller fahren können, fahren auf den 60 Prozent der
Strecken, auf denen kein Tempolimit herrscht, auch
schneller als 130. Das ist aber, wie wir alle, die wir in
Deutschland unterwegs sind, wissen, nicht der Fall.
Viele Menschen fahren auch auf nichtlimitierten Stre-
cken nicht schneller als 130, sodass das Minderungspo-
tenzial eine völlig andere Basis hat.

Die zweite Annahme, von der das Umweltbundesamt
ausgegangen ist, lautet: Bei einem allgemeinen Tempoli-
mit halten sich auch alle an dieses Tempolimit. Auch das
wird durch das, was wir täglich erleben auf deutschen
Straßen, widerlegt. Denn dort, wo wir allgemeine Tem-
polimits haben – auf Bundesstraßen und innerorts –, fin-
den 75 Prozent der Verstöße gegen Tempolimits statt.
Nur etwas mehr als 20 Prozent der Verstöße gegen Ge-
schwindigkeitsbeschränkungen finden auf Autobahnen
statt. Auch diese Zahlen stammen vom Kraftfahrt-Bun-
desamt. Das heißt, überall dort, wo den Menschen gene-
relle Lösungen vorgesetzt werden und diese nicht ver-
standen werden, kommt es nicht zu mehr
Verkehrssicherheit und nicht zu weniger Emissionen,
sondern zum Gegenteil. Deshalb sind die Anträge wie
am 20. September abzulehnen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612404100

Das Wort hat der Kollege Jörg Vogelsänger für die

SPD-Fraktion.


Jörg Vogelsänger (SPD):
Rede ID: ID1612404200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Es ist schon interessant, Herr Kuhn:
Im Regierungshandeln ist alles ein bisschen schwieriger.
Wir hatten 2000, glaube ich, eine Abstimmung, bei der
ich mit dabei war, da hat ein Umweltminister Trittin so
einen Antrag abgelehnt. Das muss man sich in Erinne-
rung rufen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)


Herr Trittin kann es ja richtigstellen, wenn ich etwas Fal-
sches sage.

Der Bundesparteitag der SPD in Hamburg wurde
von vielen Medien begleitet. Das ist ein gutes Zeichen
für meine Partei.


(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)


Das Interesse ist auch bei den Mitgliedern des Deutschen
Bundestages immer noch sehr groß: Die Grünen und die
Linken schreiben einen Antrag nach dem anderen ab und
bringen ihn in den Bundestag ein. Besonders kreativ ist
das nicht, meine Damen und Herren. Da lobe ich mir die
FDP; die hat so etwas nicht nötig.

Die Frage einer Tempobegrenzung auf 130 km/h auf
deutschen Autobahnen wird immer sehr emotional dis-
kutiert. Das betrifft Befürworter und Gegner gleicherma-
ßen. Vielleicht ist heute eine gute Gelegenheit für beide
Seiten, ein wenig abzurüsten; das täte uns allen gut.


(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)


Der Beschluss auf dem Bundesparteitag der SPD wurde
in erster Linie unter dem klimapolitischen Aspekt ge-
fasst. Dazu das Zitat:

Ein schneller und unbürokratischer Weg zum Kli-
maschutz ist die Einführung einer allgemeinen Ge-
schwindigkeitsbegrenzung von 130 km/h.


(Beifall des Abg. Ulrich Kelber [SPD])


Wir als SPD-Fraktion werden die Umsetzung des Be-
schlusses erörtern, und wir Verkehrspolitiker werden mit
unserem Koalitionspartner über ein Verkehrssicherheits-
paket beraten. Das gehört sich nun einmal so.

Die Debatte über ein Tempolimit von 130 km/h hat
sowohl einen klimapolitischen als auch einen verkehrs-
politischen und Verkehrssicherheitsaspekt. Mein Kol-
lege Gerd Friedrich Bollmann ist da ein ausgewiesener
Experte und wird einige Ausführungen zum klimapoliti-
schen Aspekt machen. Ich werde mich auf die beiden an-
deren Bereiche konzentrieren.

Es bleibt dabei: Die Autobahnen sind die sichersten
Straßen in Deutschland. Das sollte man hier auch nicht
wegreden. Aufgrund des Parteitagsbeschlusses haben
wir zu prüfen, ob man diese noch sicherer machen kann.
Das werden wir auch tun. Dabei ist das Tempolimit von
130 km/h nur ein Aspekt. Ich bin der festen Überzeu-
gung, dass durch die Erweiterung der Verkehrsbeein-
flussungsanlagen mit flexiblen Geschwindigkeitsre-
gelungen ein großer Beitrag geleistet werden kann.
Darin gibt es Übereinstimmung hier im Haus. Damit
habe ich auch gar kein Problem. Das hat auch für mich
weiterhin eine hohe Priorität.

Wenn der Autofahrer nachvollziehen kann, warum
eine bestimmte Höchstgeschwindigkeit vorgeschrieben






(A) (C)



(B) (D)


Jörg Vogelsänger
ist, dann wird er sich auch stärker daran halten. Das ist
so. Unvernünftige Autofahrer wird es immer geben.


(Zuruf von der FDP: So ist es!)


Hier müssen Kontrollen greifen. Auch wenn das nicht
flächendeckend möglich ist, sind die Bundesländer in
besonderer Pflicht. Leider wird in den meisten Bundes-
ländern bei der Polizei eher Personal abgebaut. Das be-
trifft übrigens Landesregierungen jeder Farbe. Wenn mir
andere Beispiele genannt würden, wäre ich froh.

Im Übrigen muss das Gespräch mit den Ländern oh-
nehin gesucht werden. Die Einführung des Tempolimits
von 130 km/h erfordert eine Änderung des § 3 der Stra-
ßenverkehrsordnung. Dies ist nach meiner Kenntnis im
Bundesrat zustimmungspflichtig.

Die Debatte über ein Tempolimit von 130 km/h
könnte versachlicht werden, wenn neues Datenmaterial
zur Verfügung gestellt würde. Ich habe heute früh um
7.30 Uhr – es wird also früh gearbeitet – ein Gespräch
dazu mit dem Brandenburger Verkehrsminister geführt.
Das Datenmaterial wird nicht von heute auf morgen vor-
liegen, aber wir sollten das Bundesamt für Straßenver-
kehr beauftragen, neues Datenmaterial zusammenzustel-
len, damit wir diese Debatte noch sachlicher führen
können. Das Material ist vielfach über ein Jahrzehnt alt.
Das muss man hier einfach sagen.

Ich habe mir den § 3 der Straßenverkehrsordnung
noch einmal genau angesehen. Eine denkbare Sofort-
maßnahme wäre die Herabsetzung der zulässigen
Höchstgeschwindigkeit für Kleintransporter von 2,8
bis 3,5 Tonnen.


(Heidi Wright [SPD]: Sehr gut! Das ist überfällig!)


Darüber muss man auch debattieren. Gerade diese Fahr-
zeuggruppe ist zunehmend in schwerste Verkehrsunfälle
verwickelt. Ich kann Ihnen hierzu Beispiele aus meinem
Wahlkreis nennen.

Eine andere Möglichkeit wäre es, die Entwicklung
des Unfallgeschehens bei dieser Fahrzeuggruppe über
die Bundesanstalt für Straßenwesen zu beobachten. Viel-
leicht könnte dies zu einer Versachlichung der Diskus-
sion beitragen.

Dies wünsche ich mir auch in den Ausschüssen, wo-
bei ich neben einer Debatte im Verkehrsausschuss und
im Umweltausschuss auch eine Debatte im Rechtsaus-
schuss anrege.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612404300

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Lutz

Heilmann das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Lutz Heilmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612404400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Werte Gäste! Leider vermisse ich bei unserer Debatte
über das Tempolimit den zuständigen Fachminister.
Auch dies zeigt ganz einfach wieder, welchen Stellen-
wert Herr Tiefensee dieser Problematik offensichtlich
zumisst. Auch der des Weiteren mit diesem Thema be-
fasste Umweltminister Gabriel lässt sich durch einen
Staatssekretär vertreten.


(Zuruf von der SPD: Ein guter Mann!)


Daran sieht man, wie ernst die Bundesregierung die Kli-
madebatte nimmt.

Herr Storjohann, ich danke Ihnen für Ihre Zusammen-
stellung der Geschichte der Diskussion im Deutschen
Bundestag über ein Tempolimit. Ich komme allerdings
zu einem anderen Ergebnis: Ein Tempolimit steht auch
weiterhin auf der Tagesordnung, und es wird demnächst
kommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Tempolimit ist
in dieser Wahlperiode ein Dauerbrenner im Bundestag,
und zwar zu Recht. Die letzte Debatte ist noch nicht so
lange her; sie fand am 20. September statt, Herr Döring
erwähnte sie auch. In dieser Debatte haben CDU/CSU,
SPD und FDP wortreich erklärt – heute haben sie alles
wiederholt –,


(Patrick Döring [FDP]: Die Argumente haben sich auch nicht verändert!)


warum Deutschland kein allgemeines Tempolimit
braucht. Die vorgebrachten Argumente sind allerdings
so wenig überzeugend, dass ich es mir erspare, erneut
darauf einzugehen.

Aber dann kam vor zwei Wochen die Kehrtwende bei
der SPD.


(Zuruf von der SPD: Das war ja gar keine!)


Auf ihrem Parteitag fasste sie den Beschluss, den der
Kollege Vogelsänger heute schon zitierte. Dazu kann ich
nur sagen: Donnerwetter! Mit diesem Beschluss nähert
sich die SPD übrigens zumindest im Bereich der Ver-
kehrspolitik der Linken an.


(Lachen bei der SPD)


Sie zeigen damit, dass Sie lernfähig sind, und Sie arbei-
ten daran, für die Linke koalitionsfähig zu werden. Wir
stehen gewissermaßen gemeinsam erstens für Klima-
schutz und CO2-Reduzierung, zweitens für Verkehrssi-
cherheit, weniger Verkehrsunfälle und Verkehrstote und
drittens für kleinere und sparsamere Fahrzeuge.

Aber machen wir uns keine Illusionen! Herr
Tiefensee, der jetzt nicht anwesend ist, ließ als zuständi-
ger Fachminister kürzlich verlautbaren: „Tempolimit für
Klimaschutz nutzlos“. Ja, was denn nun, liebe Kollegin-
nen und Kollegen von der SPD? Ich will Ihnen jetzt
nicht zu nahe treten; aber Sie sollten vielleicht ganz ein-
fach einmal darüber nachdenken, ob dieser Minister
wirklich der richtige Mann ist, die Linie der Partei in der
Regierung zu vertreten;


(Beifall bei der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Die Linie der Partei“? Das war mal!)







(A) (C)



(B) (D)


Lutz Heilmann
denn nicht nur beim Tempolimit, auch beim geplanten
Verkauf von Anteilen der Bahn und bei der Besteuerung
von Dienstwagen liegt der Minister nicht nur neben un-
serer Linie, sondern auch neben der seiner eigenen Par-
tei. Davon einmal abgesehen, wäre es doch eine Revolu-
tion gewesen, wenn in unserem gelobten Land des
Geschwindigkeitswahns der Verkehrsminister ein Tem-
polimit gefordert hätte. Aber Pustekuchen!

Sehr bedauerlich ist auch, dass selbst der Umweltmi-
nister, der sich heute ebenfalls nur vertreten lässt, in die-
sen Kanon einstimmt. Erst befürwortet er ein Tempoli-
mit, um es wenige Wochen später abzulehnen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Stimmt ja gar nicht!)


Jetzt beginnt er ganz zaghaft, wieder eines zu fordern.
Ich zitiere ihn: Wer ein Tempolimit allein zur Begren-
zung des Kohlendioxidausstoßes befürworte, laufe Ge-
fahr, sich in unnötigen Debatten zu verzetteln. Ich denke,
der Minister hat sich hier wohl eher beim Basteln an sei-
ner Karriere verzettelt, wenn ich die letzten Nachrichten
richtig verstanden habe.


(Zuruf von der SPD: Er hat es nie abgelehnt! Zitieren Sie es doch!)


Konsequenterweise wurde der Antrag auf dem SPD-Par-
teitag gegen die ausdrückliche Empfehlung des Minis-
ters beschlossen.

Ich kann den Ministern Tiefensee und Gabriel nur sa-
gen: Selbstverständlich dient ein Tempolimit sowohl
dem Klimaschutz als auch der Verkehrssicherheit. Ich
bin der Meinung, dass sich Deutschland endlich zu einer
Vision Zero bekennen sollte; denn jeder und jede Ver-
kehrstote sind einer und eine zu viel.


(Beifall bei der LINKEN)


Von daher ist es natürlich schon verwunderlich, dass sich
das Verkehrsministerium für dieses Thema nicht erwär-
men kann. Dort scheint man eher der Meinung zu sein,
dass großflächige Plakate – wahlweise mit Tieren oder
mit Prominenten – wirksamer als ein Tempolimit sind.

Da ich gerade bei Tieren bin, stelle ich eine Frage an
H
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1612404500
Was sagt eigentlich Knut im Berliner
Zoo zum Tempolimit? Hat nicht das Umweltministerium
vor zwei Tagen mit sehr viel Wirbel die nationale Biodi-
versitätsstrategie verabschiedet, die nach den eigenen
Aussagen des Ministers über 300 Zielvorgaben enthält?
Aber Sie streben mit dieser Strategie nur Sachen an; ver-
pflichten wollen Sie sich zu nichts.

Ich freue mich jedenfalls, der SPD und besonders
dem Umweltminister mitteilen zu können, dass wir die
Bedeutung der Verkehrssicherheit in unserem Antrag
selbstverständlich berücksichtigt haben. Wenn also nur
der fehlende Bezug zur Verkehrssicherheit im Beschluss
der SPD der Grund für dessen Ablehnung war, dann
steht Ihrer Zustimmung zu unserem Antrag nichts im
Wege.


(Ulrich Kelber [SPD]: Außer Ihrer Rede!)

Ein Wort möchte ich noch an meine Kollegin aus Lü-
beck, Frau Hiller-Ohm, richten. Sie ist heute leider nicht
hier. Ich bedauere das sehr, da sie sich erst letzte Woche
in einer Pressemitteilung im Wahlkreis Lübeck vehe-
ment für ein Tempolimit ausgesprochen hat und sehr
engagiert dafür kämpft. Ich habe sie auch am 20. Sep-
tember bei der Abstimmung über unseren damaligen An-
trag vermisst. Ich sage ihr trotzdem – sie verfolgt die Sit-
zung vielleicht am Fernsehgerät –: Frau Kollegin, lassen
Sie Ihren Ankündigungen und Pressemitteilungen end-
lich Taten hier in Berlin folgen! Oder sind Sie tatsächlich
der Meinung, dass die Menschen in Lübeck das nicht
mitbekommen? Die Kollegin Heidi Wright war da we-
sentlich konsequenter. Sie hat unermüdlich für ein Tem-
polimit gestritten. Dafür gebührt ihr mein Respekt und
meine Hochachtung.


(Patrick Döring [FDP]: Vergiftetes Lob!)


Bevor hier die Freude auf der rechten Seite überhand-
nimmt, möchte ich ein paar Worte an die CDU/CSU
richten. Angela Merkel lässt sich gerne landauf, landab
als Klimaschützerin feiern.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Zu Recht!)


Was die internationalen Beschlüsse angeht, erkennen wir
auch an, dass es Fortschritte gibt. Auf nationaler Ebene
sieht die Bilanz aber sehr dürftig aus. Das vor wenigen
Wochen mit großem Tamtam verkündete Klima- und
Energiepaket droht im Dschungel der Ressortabstim-
mung vom Tiger zum Bettvorleger zu mutieren. Mit ih-
rer eindeutigen Absage an ein Tempolimit – ich zitiere:
„Mit mir wird es das nicht geben“ – hat Frau Merkel ge-
zeigt, dass es ihr mit dem Klimaschutz nicht ernst ist.

Ähnlich verhielt sie sich Anfang des Jahres, als sie die
deutsche Autoindustrie vor allzu strengen Anforderun-
gen der EU geschützt hat. Das Wohl der Industrie ist ihr
wichtiger als das Wohl der Menschen und der Schutz des
Klimas.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auf internationaler Ebene Gas geben, aber zuhause auf
der Bremse stehen: Das passt nicht zusammen, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Union.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Mein Gott!)


In meiner letzten Rede zum Tempolimit erwähnte ich,
dass die Mehrheit der Deutschen den Börsengang der
Bahn ablehnt. Das Protokoll verzeichnet daraufhin „Bei-
fall bei Abgeordneten der CDU/CSU“. Verständlicher-
weise verzeichnet es keinen Beifall von Ihnen, als ich
darauf hinwies, dass 73 Prozent der Deutschen ein Tem-
polimit befürworten. Verstehen Sie mich richtig: Ich er-
warte nicht, dass ausgerechnet Sie mir Beifall klatschen.
Das würde mir, nebenbei bemerkt, auch zu denken ge-
ben. Sie sollten aber zur Kenntnis nehmen, dass auch
40 Prozent der Wählerinnen und Wähler der CDU/CSU
für ein Tempolimit von 130 Stundenkilometer sind. Ich
frage mich, wer diese Menschen in Ihrer Fraktion ver-
tritt.






(A) (C)



(B) (D)


Lutz Heilmann

(Patrick Döring [FDP]: Darüber müssen Sie sich Ihren Kopf nicht zerbrechen!)


Abschließend erinnere ich Sie und alle, die sich – aus
welchen Gründen auch immer – gegen ein Tempolimit
aussprechen, an das heutige Datum. Heute vor 18 Jahren
fiel zu Recht die Mauer. Was kurz davor noch fast un-
denkbar schien, wurde Realität. Ich hoffe, dass Sie sich
heute einen Ruck geben, damit auch beim Tempolimit
das Undenkbare geschieht und die Mauer in Ihren Köp-
fen fällt.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche ein
schönes Wochenende.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612404600

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege

Dr. Andreas Scheuer das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andreas Scheuer (CSU):
Rede ID: ID1612404700

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Herr Kollege Heilmann, dass Sie als Führungskraft
in der DDR hier diesen symbolträchtigen Tag in Bezug
auf die Wiedervereinigung ansprechen, zeigt, wie schi-
zophren Ihre Politik ist. Denn in der Republik des Trabis
fanden keine Diskussionen über Verkehrssicherheit oder
Klimaschutz und sicherlich auch nicht über ein Tempo-
limit statt.


(Heidi Wright [SPD]: Das ist jetzt aber ein bisschen schwach!)


Das zeigt die Doppeldeutigkeit, mit der Sie Politik ma-
chen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Anträge der Grünen und der Linken zum Tempo-
limit sind heute wieder einmal Symbolpolitik, reine
Ideologie und parlamentarische Bewegungstherapie.
Mein Kollege Storjohann hat Ihnen, verehrte Kollegin-
nen und Kollegen der Grünen, schon den Spiegel Ihrer
politischen Geschichte in Bezug auf das Tempolimit vor-
gehalten. Sie waren sieben Jahre in der Regierung. Gott
sei Dank waren Sie so durchsetzungsschwach, dass Sie
das Tempolimit nicht auf den Weg gebracht haben.

Da der Herr Kollege Trittin vorhin mit Zwischenrufen
geglänzt hat, möchte ich ihn fragen, wie oft er früher
wohl unter Termindruck unterwegs war. Wenn er mit
dem Dienstwagen


(Jürgen Koppelin [FDP]: Und der Flugbereitschaft!)


– und der Flugbereitschaft; danke für den Hinweis, Herr
Kollege Koppelin – durch die Republik gereist ist, wird
er sich wahrscheinlich auch nicht an die Richtgeschwin-
digkeit gehalten haben.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie gleich die Fahrbereitschaft am Hals!)

Aber das ist die Scheinheiligkeit, mit der hier zu Werke
gegangen wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ohne die Steilvorlage, die der Kollege Kuhn für seine
heutige Rede bekommen hat, hätte er die Rede wahr-
scheinlich gar nicht halten können, weil sie dann kein
Volumen gehabt hätte. Ein einziger Presseartikel zum
Bereich Tempolimit ist die Grundlage für seine ganzen
Ausführungen. Aber das Thema ist vielschichtiger.

Wir diskutieren hier zum zweiten Mal binnen weniger
Monate darüber. Erst musste der SPD-Parteitag stattfin-
den, damit die Opposition aus Grünen und Linken re-
flexartig aus dem Oppositionsschlaf erwacht und das
Thema aufgreift. Aber die Grundlage der Debatte sind
wieder Verbote und Limits. Ihnen fällt nichts anderes
ein, vor allem nicht, Politik auf der Basis von Selbstbe-
stimmtheit und Eigenverantwortung zu machen. Viel-
leicht wird das Ganze noch darin gipfeln, dass Sie wegen
dem Ausstoß von Treibhausgasen ein Weideverbot für
Kühe beantragen, verbunden mit einem Arbeitsverbot
für Landwirte.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Marco Bülow [SPD]: Passauer Festspiele!)


Wir haben attraktive Autobahnen. Sie wollen durch
solche Diskussionen diese Autobahnen in ihrer verkehrs-
politischen Bedeutung degradieren,


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


sie unattraktiver machen und durch das Tempolimit Aus-
weichverkehre ermöglichen. Schauen Sie sich einmal
die Unfallzahlen an. Wir arbeiten als Verkehrspolitiker
wirklich hart daran, die Vision Zero zu erfüllen, die Zahl
der Unfälle und der Verkehrstoten weiter zu reduzieren,
weitere Verbesserungen in Europa zu erreichen. Sie kön-
nen deutsche Autobahnen einfach nicht mit Autobahnen
in Italien, zum Beispiel über den Brenner, vergleichen,
die viel enger und kurvenreicher sind. Auf unseren älte-
ren Autobahnen haben wir ohnehin schon ein Tempoli-
mit,


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die Autobahnen durch München und Augsburg? Gucken Sie sich die mal an!)


eine Verkehrsregelung, die dieser Autobahnsituation an-
gemessen ist.

Dort, wo die Richtgeschwindigkeit gilt und wo es
keine Limitierung gibt, hat man die Möglichkeit, den
Verkehr zu beschleunigen und die Mobilität zu erhöhen.
Angesichts der Zahl der Verkehrstoten sind wir uns alle
einig, dass wir weiterhin an der Reduzierung dieser Zahl
arbeiten müssen. Wenn wir aber die Zahlen von
Deutschland mit denen von Belgien, Österreich, Slowe-
nien, Tschechien oder den USA vergleichen, dann
schneidet Deutschland – auch ohne Tempolimit – viel
besser ab.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Da ist also kein Zusammenhang festzustellen.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Andreas Scheuer
Meine Damen und Herren, bezogen auf den Gesamt-
kraftstoffausstoß ist es sehr optimistisch gerechnet, dass
der Ausstoß durch ein Tempolimit um 1,4 Prozent redu-
ziert werden würde. Das Tempolimit würde allerdings zu
einer unverhältnismäßig massiven Gängelung der Bür-
gerinnen und Bürger führen. Das halte ich für falsch.
Umwelt- und Klimaschutz dürfen nicht reflexartig und
blindwütig gemacht werden, sondern müssen sich an
Realität und Vernunft anpassen.


(Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Vernunft, Herr Scheuer, vermisse ich bei Ihnen!)


Bezogen auf Verkehrssicherheit und Klimaschutz ist
ein Tempolimit die falsche Antwort.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie wäre es mit einem Misstrauensantrag gegen die Bundeskanzlerin?)


Das Tempolimit ist unsinnig in Bezug auf die Verkehrs-
sicherheit, mobilitätspolitisch nachteilig und geht um-
weltpolitisch ins Leere. Führen wir doch lieber
Verkehrssicherheitstrainings mit einem Spritsparmodul
durch, vielleicht sogar verpflichtend.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Gängelei!)


Es wird alles Mögliche angeboten, auch intelligente Ver-
kehrsleitsysteme, die flexibel und innovativ sind. Setzen
wir uns an die Spitze der Bewegung, damit wir in
Europa mit diesen Verkehrsleitsystemen weiterhin
Marktführer sind!

Ein Appell an die Medien zu der Raserdarstellung.
Frau Kollegin Künast, Sie machen ja immer die Andeu-
tung, dass die unbeschränkte Geschwindigkeit gerade
für Männer wichtig sei, quasi als Potenzmittel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, sprechen Sie es aus!)


Es ist wirklich schäbig, wenn Sie so argumentieren.
Denn die Berichte in den Medien über Raser, die mit ei-
nem großen Wagen durch das Land fahren und dabei
ständig Gas geben, sich also unter dem Aspekt der Ver-
kehrssicherheit unvernünftig verhalten, zeichnen kein
vollständiges Bild der Realität. Sehr viele Bürgerinnen
und Bürger halten sich an die Richtgeschwindigkeit. Die
Durchschnittsgeschwindigkeit liegt unter 100 km/h, be-
zogen auf alle Straßen. Wir sollten ausreichend Kraft ha-
ben und auf die Eigenverantwortung und die Freiwillig-
keit der Bürger setzen, anstatt ständig zu gängeln und
mit Verboten zu drohen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Hätten wir bereits ein generelles Tempolimit, wäre
das Autoland Deutschland definitiv nicht an der Spitze
bei intelligenten Verkehrssicherheitssystemen.


(Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Ich möchte kein Autoland Deutschland!)

Schauen Sie sich die Zahlen in den USA an! Bei der dor-
tigen Produktion der großen Klimaschutzkiller orientiert
man sich gar nicht an Verkehrssicherheitsaspekten. Wir
sind an der Spitze der Bewegung für Innovation und Kli-
maschutz. Wir müssen die deutsche Automobilindustrie
weiterhin auf diesem Weg unterstützen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn das Frau Merkel gehört hätte!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612404800

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der

Kollege Dr. Anton Hofreiter das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Andi, tut mir leid, aber das war unfreiwillig
komisch.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Vorwurf der Potenzraser hat dich anscheinend so
schwer getroffen, dass du dich rechtfertigen musstest.
Das ist hoffentlich nicht das Bild von Bayern.

Zurück zur Ernsthaftigkeit, denn es handelt sich um
ein ernstes Problem. Die Regierung spricht gerne über
den Klimaschutz und die Sicherung der Mobilität der
Bürger. Aber unsere Aussitzkanzlerin Merkel und die
traurigen Ankündigungsminister Gabriel und Tiefensee
sind noch nicht einmal in der Lage, ein Tempolimit auf
Autobahnen einzuführen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dabei würde ein Tempolimit CO2 in der Größenordnung
des Ausstoßes eines durchschnittlichen Kohlekraftwer-
kes einsparen sowie die Zahl der Toten und Schwerver-
letzten reduzieren. Wir behaupten sicherlich nicht, dass
allein ein Tempolimit als Klimaschutzstrategie ausreicht.
Aber es ist ein wichtiger Baustein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Angesichts der sinkenden Rohölvorräte gefährdet
Ihre Verkehrspolitik, insbesondere die Ihres traurigen
Verkehrsministers, die Mobilität der Bürger. Ihnen liegt
offensichtlich nur etwas an der Mobilität für wenige Ra-
ser und Drängler. Ein Beispiel: Ein Porsche Cayenne
verbraucht in der Spitze fast 70 Liter auf 100 Kilometer.
Das wollen Sie weiter zulassen. Das ist ein Skandal.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Ortwin Runde [SPD]: Das ist ein Zerrbild, das Sie entwerfen!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Anton Hofreiter
So populistisch wie Sie von der CDU/CSU normaler-
weise sind, lassen Sie sich sagen: Die Mehrheit der Bür-
ger ist mittlerweile für ein Tempolimit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Heidi Wright [SPD])


Im Bereich der Verkehrssicherheit ist die Nichtein-
führung eines Tempolimits ein Skandal. Gestern wurde
bekannt, dass die Bundesanstalt für Straßenwesen bereits
1984 geschätzt hat, dass die Zahl der Toten durch ein
Tempolimit um 20 Prozent reduziert werden könnte.
Aber wie haben alle roten und schwarzen Verkehrsmi-
nister bis heute reagiert? Statt ein Tempolimit einzufüh-
ren, haben sie diese Studie weggeschlossen und der
BASt weitere Untersuchungen verboten. Angesichts von
600 Toten sollten sie sich schämen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Patrick Döring [FDP]: Wir haben die Senkung doch ohne Tempolimit geschafft! Guck dir doch die Zahlen an!)


Die SPD beschließt auf ihren Parteitagen immer dann
ein Tempolimit, wenn sie nicht an der Macht ist.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Was?)


– Ich habe gesagt: nicht an der Macht. Sie mögen an der
Regierung beteiligt sein. Aber angesichts Ihrer traurigen
Ergebnisse muss man sagen, dass Sie nicht an der Macht
sind.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Uwe Beckmeyer [SPD]: Anton, jetzt hast du aber überzogen!)


Es wird uns vorgeworfen, dass wir damals, als wir mit
8 Prozent an der Regierung und der Macht beteiligt wa-
ren, kein Tempolimit eingeführt haben. Im Vergleich zu
Ihren traurigen Ergebnissen in dieser Regierung waren
wir grandios, sogar mehr als das.

Angesichts dieser Tatsachen kann man der Mehrheit
dieses Hauses nur eines sagen: Verabschieden Sie sich
aus der verkehrspolitischen Steinzeit und führen Sie ge-
nauso wie alle anderen kultivierten Nationen ein Tempo-
limit für entspanntes Fahren, mehr Sicherheit und mehr
Klimaschutz ein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Patrick Döring [FDP]: Generallösungen, nichts anderes!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612404900

Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Gerd

Bollmann.


(Beifall bei der SPD)



Gerd Bollmann (SPD):
Rede ID: ID1612405000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich nehme ein Ergebnis meiner Rede gleich vorweg: Sie
von den Fraktionen der Grünen und der Linken wissen
ganz genau, dass wir von der Koalition Ihren Anträgen
nicht zustimmen werden, so richtig sie auch sein mögen.
In der rot-grünen Koalition mussten Sie und wir ähnliche
Erfahrungen machen; gegen den Willen des Koalitions-
partners wird nicht gestimmt. Ich würde mich auch wun-
dern, wenn im Berliner Senat die Parteitagsbeschlüsse
der Linken eins zu eins umgesetzt würden.


(Beifall bei der SPD)


Von Vorführen kann hier absolut nicht die Rede sein.

Aber in der Sache gebe ich Ihnen weitgehend recht.
Ich bin froh, dass das Thema durch den SPD-Parteitags-
beschluss wieder Fahrt aufgenommen hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wenn der Parlamentarische Geschäftsführer der Union
erklärt, in dem Parteitagsbeschluss der SPD erkenne er
eine ideologisch linke Bevormundungspolitik, so muss
erstaunt festgestellt werden, dass es offensichtlich auch
in den USA diese linke Bevormundungspolitik gibt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Josef Göppel [CDU/CSU])


Darüber hinaus: Außer in Nepal, Uganda und auf der
Isle of Man hat diese linke Bevormundungspolitik offen-
sichtlich weltweit Platz ergriffen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In Europa ist Deutschland das letzte Land, das sich
den Luxus erlaubt, auf ein Tempolimit zu verzichten. In
allen europäischen Ländern liegen die Begrenzungen
zwischen 90 und 130 Kilometern pro Stunde. Für ein
Land, dem in der Klimafrage eine Führungsrolle zuge-
rechnet wird, ist dies meiner Meinung nach unglaubwür-
dig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Daher gilt: Ein guter Grund, der für das Tempolimit
spricht, ist der Umweltschutz. Der Ausstoß von Treib-
hausgasen ließe sich pro Jahr um mehr als 2,5 Millionen
Tonnen CO2 reduzieren. Das ist ein Wert, der zu einer
Zeit ermittelt wurde, als die Zahl der Kraftfahrzeuge und
deren Leistung deutlich geringer waren. Seit 1992 er-
höhte sich die Zahl der zugelassenen Kfz von
36 Millionen auf 55 Millionen, das ist eine Steigerung
um mehr als 50 Prozent. Wir können also gut und gerne
davon ausgehen, dass die Einsparungen deutlich höher
wären. Es ist unverständlich, dass bis heute keine neuen
Zahlen ermittelt wurden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Josef Göppel [CDU/ CSU] – Patrick Döring [FDP]: Im Gegenteil! Weil die Motoren viel effizienter geworden sind!)


Ein Tempolimit wäre eine der wenigen Maßnahmen, die
ohne jegliche Anlauf- und Investitionskosten durchzu-
führen wären. Die erreichten CO2-Einsparungen lassen
sich trotz aller Versuche nicht kleinreden.






(A) (C)



(B) (D)


Gerd Bollmann
Das energetische Gebäudesanierungsprogramm ist si-
cherlich in hohem Maße lobenswert, nicht nur allein we-
gen der vielen Arbeitsplätze, die dadurch geschaffen
wurden. Aber warum ist eine Einsparung von 1 Million
Tonnen CO2 bei der Gebäudesanierung und einem Ein-
satz von 1 Milliarde Euro viel, wenn eine Einsparung
von 2,5 Millionen Tonnen CO2 beim Tempolimit wenig
sein soll?


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Energie- und Klimaschutzprogramm, das in Me-
seberg beschlossen wurde, soll unter Berücksichtigung
bisheriger Maßnahmen für CO2-Einsparungen in Höhe
von 36 Prozent gut sein. Wir brauchen aber 40 Prozent.
Das Tempolimit wäre ein weiterer, wenn auch vielleicht
kleiner Schritt hin zu diesem Ziel.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Oder anders und pragmatisch von Brandenburgs Ver-
kehrsminister Dellmann ausgedrückt: Auch Kleinvieh
macht Mist. –


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es wären keine komplizierten Verordnungen mit el-
lenlangen Anhängen nötig. Das zuständige Ministerium
müsste nicht ganze Abteilungen allein mit der Frage der
Durchsetzung beschäftigen, wie es vielfach bei anderen,
technisch hochkomplizierten Punkten des Klimaschutz-
programms der Fall ist. Aber der Umweltschutz geht be-
kanntlich über den Schutz des Klimas hinaus. So ließe
sich zum Beispiel auch der Ausstoß von Kohlenmonoxid
und anderen Schadstoffen reduzieren, und nicht zuletzt
würde auch die Lärmbelästigung abnehmen. Im Übrigen
steigt der Schadstoffausstoß ab 130 Stundenkilometern
exponentiell an.

Die Gegner eines Tempolimits führen gerne den Ver-
lust von Arbeitsplätzen in der deutschen Automobilin-
dustrie ins Feld. Ich weiß natürlich, dass der Verlust von
Arbeitsplätzen gern als Totschlagargument für alles
Mögliche missbraucht wird. Circa 75 Prozent der in
Deutschland produzierten Autos werden ins Ausland ge-
liefert, und zwar nachweislich nahezu vollständig in
Länder, in denen ein Tempolimit gilt. Der größte Teil der
außereuropäischen Lieferungen geht mit mehr als einer
halben Million Autos in die USA. Glauben Sie zum Bei-
spiel, dass viele dieser Käufer in den Vereinigten Staaten
wirklich wissen, dass wir in Deutschland immer noch
mit 200 Stundenkilometern über die Autobahn brettern
dürfen? Glauben Sie wirklich, wir verkauften auch nur
ein einziges Auto weniger, wenn in Deutschland ein
Tempolimit von 130 Stundenkilometern eingeführt wird?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Was die Zukunft der Automobilindustrie betrifft: Ein
Tempolimit würde die Entwicklungsbemühungen in
fruchtbare Bahnen lenken. Nicht mehr die Leistungs-
stärke wäre ausschlaggebend, sondern Umweltverträg-
lichkeit, Komfort und Sicherheit wären die Kriterien, an
denen sich die Ingenieure messen lassen müssten. Es
gibt gar kein besseres Mittel, die Zukunftsfähigkeit der
deutschen Automobilindustrie und somit Arbeitsplätze
zu sichern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
wir Sozialdemokraten nehmen das Thema „Tempolimit“
sehr ernst. Anträge, in denen die schnellstmögliche oder
die sofortige Einführung gefordert werden, bringen uns
aber nicht weiter, sondern schaden eher der gemeinsa-
men Sache. Ich bin sicher: Gute Argumente – ich bin
überzeugt, dass sie eindeutig aufseiten der Befürworter
eines Tempolimits sind – werden in Zukunft immer mehr
Menschen von der Notwendigkeit eines Tempolimits
überzeugen. Lassen Sie uns deshalb auch im politischen
Alltag das gemeinsame Ziel nicht aus den Augen verlie-
ren!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Josef Göppel [CDU/CSU])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612405100

Das Wort hat der Kollege Horst Friedrich für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Ich hoffe, Sie berücksichtigen die Argumente Ihres Namensvetters aus dem UBA mal!)



Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1612405200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Als Abgeordneter, der diesem Hause schon ein bisschen
länger angehört, habe ich einmal im Archiv gestöbert
und festgestellt, dass ich vor ziemlich genau 16 Jahren
meine erste Rede zum Thema „Tempolimit“ gehalten
habe. Damals war die SPD in der Opposition, auch die
Linken, vertreten unter anderem durch die Abteilung
Bündnis 90, und es gab eine übereinstimmende Argu-
mentation für ein Tempolimit. Die seitdem diskutierten
Fakten haben sich nicht verändert.

Erstens. Mich fasziniert, Herr Kollege Hofreiter, dass
Sie es trotz Ihres Appells, die verkehrspolitische Stein-
zeit zu verlassen, in der Phase von 1998 bis 2005 – da-
mals haben Sie mit den Kollegen von der SPD offen-
sichtlich die Grundüberzeugung geteilt, dass es besser
ist, nicht für ein Tempolimit einzutreten – nicht geschafft
haben, ein Tempolimit einzuführen. Entweder haben die
Kollegen von der SPD ihre Anträge bis 1998 nicht wirk-
lich ernst gemeint, oder Sie haben nicht nachhaltig ver-
sucht, das Ganze umzusetzen. Ein gewisses Maß an
Glaubwürdigkeit würde Ihren Anträgen schon guttun.


(Beifall bei der FDP)


Sie stellen diese Anträge immer dann, wenn es dafür
keine Mehrheit gibt. Aber wenn Sie dafür eine Mehrheit
hätten – sieben Jahre hatten Sie dafür Zeit; in dieser Phase






(A) (C)



(B) (D)


Horst Friedrich (Bayreuth)

ist von Ihnen kein einziger Antrag gestellt worden –, stel-
len Sie sie nicht. Das macht Sie nicht glaubwürdiger.

Zweitens. Herr Kollege Bollmann, Sie argumentieren
auf der Basis von 1992 und stellen die Hochrechnung an,
dass mit einem Ansteigen der Anzahl der Pkws auch die
Ersparnis größer wird. Sie sollten wenigstens zur Kennt-
nis nehmen, dass sich auch die Motortechnologie verän-
dert hat, und zwar zum Positiven. Deswegen ist ein
schlichtes Hochrechnen auf der Basis von 1992 nicht
nachvollziehbar.


(Widerspruch des Abg. Gerd Bollmann [SPD])


– Sie haben es gerade vorgerechnet. Ich habe Ihrer Rede
doch zugehört. – Dieser Punkt ist, wie gesagt, aus mei-
ner Sicht nicht ganz nachvollziehbar.


(Beifall bei der FDP)


Im Übrigen vergessen Sie hier offensichtlich, dass auf
den Autobahnen in Deutschland weder eine Durch-
schnittsgeschwindigkeit von 130 noch von 150 Stunden-
kilometern oder noch schneller gefahren wird. Das ist
aus Gründen der Dichte überhaupt nicht mehr möglich.
Da Sie aus Wanne-Eickel kommen und in der Nähe des
Kölner Rings wohnen, müssten Sie eigentlich wissen,
worum es geht.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wanne-Eickel liegt nicht in der Nähe des Kölner Rings!)


Ich bin im Übrigen gespannt, ob Sie mir wirklich ein-
mal eine Autobahn zeigen können, auf der man noch un-
gestört 200 km/h fahren kann, wenn man es denn will.
Es kann ja sein, dass das morgens um 3 Uhr irgendwo
auf der A 20 möglich ist, aber Realität ist es auf deut-
schen Autobahnen nicht.


(Frank Schwabe [SPD]: Warum stellen Sie sich dann so an? – Ulrich Kelber [SPD]: Dann ist es ja kein Problem!)


– Herr Kollege Kelber, weder in der Opposition noch in
der Regierung haben Sie einen Antrag für ein starres
Tempolimit gestellt. Sie versuchen jetzt, mit einer festen
Reglementierung – unabhängig von der Situation – ein
Problem zu lösen, das Sie damit nicht lösen können.


(Beifall bei der FDP)


Wir sind schon immer für intelligente Verkehrsleitsys-
teme gewesen.


(Heidi Wright [SPD]: Oh!)


– Frau Kollegin Wright, Ihre geschätzte Kollegin Ferner
hat, als sie noch verkehrspolitische Sprecherin Ihrer
Fraktion war, alle Anträge der damaligen Koalitionsfrak-
tionen von Union und FDP zum Thema Telematik und
intelligente Verkehrsleitsysteme abgelehnt. Sie hat ge-
glaubt, uns mit Vorschlägen aus der Steinzeit – dazu ge-
hörte beispielsweise das Aufstellen von Schildern –
übertrumpfen zu können.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der Steinzeit gab es überhaupt keine Verkehrsschilder!)

– Ich orientiere mich nur an Ihrem Kollegen Hofreiter,
der von verkehrspolitischer Steinzeit gesprochen hat.
Wenn es eine verkehrspolitische Steinzeit gegeben hat,
hat es wahrscheinlich auch dementsprechende Schilder
gegeben, ganz zu schweigen davon, dass die Schilder
aufgestellt und gepflegt werden müssen, was Geld kos-
tet.


(Beifall bei der FDP)


Vor diesem Hintergrund ist es völlig eindeutig, dass
Sie diesen Antrag heute nur gestellt haben, um die SPD
zu ärgern. Das kann man als FDP gerade noch akzeptie-
ren.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Das wird aber den Themen Unfallsicherheit, Todesrate
auf Autobahnen und Erhöhung der Akzeptanz von Vor-
schriften nicht gerecht.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])


Ihrer Glaubwürdigkeit im Hinblick auf die Durchsetz-
barkeit von Anträgen im Falle einer Regierungsbeteili-
gung haben Sie erst recht keinen Gefallen getan.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])


Es bleibt wieder nur bei Schauanträgen, die nicht
ernst gemeint sind. Vielleicht sollten wir uns irgendwann
einmal ernsthaft über die Lösung der Probleme unterhal-
ten und gemeinsam darüber nachdenken, wie wir die
Verkehrssicherheit in Deutschland über das Niveau hi-
naus, das wir jetzt schon haben, weiter verbessern kön-
nen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612405300

Für die Fraktion der CDU/CSU hat nun der Kollege

Dirk Fischer das Wort.


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1612405400

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Deutschland braucht kein Tempolimit.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Die Debatte darüber ist alt. Unsere Fraktion hat ein star-
res Tempolimit auf Autobahnen immer abgelehnt, und
zwar aus guten Gründen.

Fakt ist, dass die deutschen Autobahnen die bei wei-
tem sichersten Straßen sind, um die wir weltweit benei-
det werden. Es gibt keinen Zusammenhang zwischen ei-
nem generellen Tempolimit und dem Sicherheitsniveau
auf Autobahnen im internationalen Vergleich. Im Gegen-
teil: Unsere Maßnahmen sind viel erfolgreicher gewesen
als die anderer Länder, die ein starres Tempolimit haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Was wirkt hier zusammen? Es sind: Verkehrsleit-
systeme, die aktuelle Informationen über die jeweils
angepasste Geschwindigkeit im Sinne von § 1 der
Straßenverkehrs-Ordnung liefern; spezielle Geschwin-
digkeitsbeschränkungen, die es auf Autobahnen






(A) (C)



(B) (D)


Dirk Fischer (Hamburg)

zahlreich gibt; ein guter Straßenbau, im Hinblick auf die
gesamte Verkehrssicherheitsbilanz ist insbesondere der
Bau von Ortsumgehungen hervorzuheben, wodurch der
Schwerlastverkehr aus den geschlossenen Ortslagen he-
rausgehalten wird; Aufklärung und Erziehung in der
Fahrschulausbildung und danach; die hohe Qualität un-
serer Kfz, die sich positiv auf Sicherheit und Umwelt
auswirkt.

Ein starres Tempolimit würde zu Rückverlagerungen
des Verkehrs von den Autobahnen auf die Landstraßen
führen, die oftmals noch durch geschlossene Ortschaften
führen. Damit würden wir unserer Verkehrsunfallbilanz
einen Tort antun, denn diese Landstraßen und insbeson-
dere die innerörtlichen Straßen sind die gefährlichsten
Straßen, die wir in Deutschland haben.


(Patrick Döring [FDP]: So ist es!)


Es ist schon gesagt worden, dass der Fahrleistungsan-
teil auf Landstraßen 40 Prozent beträgt, sich dort aber
60 Prozent aller tragischen Unfälle mit Todesfolge ereig-
nen, obwohl es ein starres Tempolimit von 100 km/h
gibt. Das ist fast viermal so viel wie auf unseren Auto-
bahnen.


(Patrick Döring [FDP]: So ist es!)


Das wäre ein ganz schlechter Abschlag. Das würden wir
mit der Verschlechterung unserer Verkehrsunfallbilanz
teuer bezahlen.

Man muss einmal daran erinnern: Wir hatten 1970
ohne die neuen Bundesländer, also mit einer um etwa
20 Prozent geringeren Fläche und Bevölkerung, fast
20 000 Verkehrstote. Heute liegt die Zahl leicht oberhalb
von 5 000. Das ist eine gute Entwicklung, die wir weiter-
führen wollen, weil jedes Leben wertvoll ist und ge-
schützt werden muss.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir müssen aber alles dafür tun, dass der Verkehr gebün-
delt da abgewickelt wird, wo das am sichersten ist, und
das ist nun eindeutig auf den Autobahnen der Fall.

Auch für den Umwelt- und Klimaschutz ergeben
sich keine signifikanten Verbesserungen durch ein Tem-
polimit. Der Pkw-Verkehr ist an den CO2-Emissionen in
Deutschland mit ungefähr 12 Prozent beteiligt. Ein gene-
relles Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen beträfe
nur einen begrenzten Anteil des Verkehrs,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können auch Tempolimits in den Städten machen, wenn es Ihnen hilft!)


nämlich nur den Autobahnverkehr, wo auf einem Anteil
von rund 5 Prozent unseres gesamten Straßennetzes sen-
sationelle 32 Prozent unseres gesamten Kfz-Verkehrs
abgewickelt werden – sensationelle Bündelung! –, von
diesem wiederum nur den Pkw-Verkehr und davon nur
den Anteil Fahrleistung oberhalb 130 km/h.

Zudem sind heute bereits knapp 40 Prozent des Auto-
bahnnetzes dauerhaft oder zeitweise geschwindigkeits-
beschränkt. Auf weiteren 9 Prozent des Netzes erfolgt
eine Geschwindigkeitsregelung über Verkehrsbeeinflus-
sungsanlagen. Es ist schon gesagt worden: Mit unserem
Haushaltsantrag wollen wir diesen Anteil möglichst zü-
gig deutlich erhöhen.


(Beifall des Abg. Jörg Vogelsänger [SPD])


Der Bundesumweltminister hat zu Recht darauf hin-
gewiesen, dass es hier eher um eine Symbolpolitik geht;
denn der Mehrverbrauch, der sich aus dem Nichtvorhan-
densein eines starren Tempolimits auf Autobahnen er-
gibt, beträgt etwa 250 Millionen Liter Kraftstoff im Jahr.
Das sind rund 0,4 Prozent; bei der CO2-Emission ist das
deutlich unter 1 Prozent.


(Beifall des Abg. Patrick Döring [FDP])


Wenn man dies so zuspitzt, als würden das Heil und das
Wohl des Landes davon abhängen, dann ist das, gelinde
gesagt, eine zu große Übertreibung, als dass man sie
ernst nehmen könnte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn überhaupt, geht es hierbei um einen marginalen
CO2-Effekt.

Gleiches gilt für den Bereich der Lärmemissionen.
Autobahnen sind hauptsächlich außerorts gelegen. Füh-
ren sie durch Wohngebiete, haben wir heute dort eigent-
lich überall Tempolimits in Deutschland.

Allgemein gilt, dass der Lkw-Anteil am Verkehr die
Höhe des Lärmpegels bestimmt; denn 10 Lkw erzeugen
so viel Lärm wie 100 Pkw. Das kann es also auch nicht
sein.

Umweltpolitisch wird hier eindeutig mit Kanonen auf
Spatzen geschossen. Statt starrer Verbote gilt es viel-
mehr, das flexible Instrument der Verkehrsbeeinflus-
sungsanlagen noch stärker zu nutzen. Mit diesen Anla-
gen kann man flexibel auf Verkehrssituationen und
Witterungsbedingungen reagieren, bei denen ein Tempo
von 130 km/h viel zu hoch wäre. Ich stelle mir einmal
vor: Nebel, Glatteisbildung, und da steht „130 km/h“.
Was ist das für eine Information an den Autofahrer?


(Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Reiner Unsinn! – Zuruf von der SPD: So ein Unsinn!)


Da muss er wissen: In dieser Situation sind 30, 40,
50 km/h genug, gilt nicht das, was dort ausgeschildert
worden ist. Anders als bei einem generellen Tempolimit
können wir also aktuelle Informationen liefern. Deswe-
gen finden solche Anlagen beim Autofahrer eine sehr
hohe Akzeptanz. Wir haben damit auf der A 5 westlich
von Frankfurt in der Gesamtentwicklung hervorragende
Erfahrungen gemacht.

Wer ein allgemeines Tempolimit fordert, muss es
auch kontrollieren können. Daher müsste die Kontroll-
dichte durch die zuständigen Bundesländer deutlich er-
höht werden.


(Beifall des Abg. Jörg Vogelsänger [SPD])


Dann wäre schon jetzt aufgrund geltender Regelungen
viel mehr möglich, insbesondere bei der Bekämpfung
von extremen und hochgefährlichen Regelverstößen.






(A) (C)



(B) (D)


Dirk Fischer (Hamburg)

Herr Kollege Hofreiter, Sie haben hier ein Zerrbild
gezeichnet. Die deutschen Autofahrer, die deutschen
Bürger, sind nicht halbwilde Nörgler, Drängler, Raser
und, und, und. Es sind in aller Regel verantwortungsbe-
wusste Leute. Die Einzelnen, die diesem Bild entspre-
chen, müssen wir herausfiltern und über entsprechende
Bußgelder, Punkte oder Fahrverbote bewirken, dass sie
den Führerschein endgültig verlieren. Denn die haben
nicht das Verantwortungsbewusstsein, das wir von Auto-
fahrern verlangen. Da sind wir uns hier alle einig.


(Patrick Döring [FDP]: So ist es!)


Deswegen spielen Sie diese extremen Verhaltensweisen
bitte nicht gegen das allgemeine Thema aus! Das ist ein
absolutes Zerrbild, das wir nicht im Raum stehen lassen
dürfen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es gibt leider Bundesländer, in denen eine ganz an-
dere Tendenz vorherrscht: Dort wird die Kontrolldichte
eher verringert, als dass sie erhöht wird, was ich sehr be-
dauere. Wer aber immer schärfere Regelungen einführt
und immer weniger kontrolliert, macht aus dem Rechts-
staat einen Popanz nach dem Motto: Es steht zwar auf
dem Papier; aber man braucht sich nicht darum zu küm-
mern, es ändert sich sowieso nichts.


(Beifall des Abg. Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP])


Lassen Sie mich abschließend kurz feststellen: Ein
Tempolimit würde die Interessen der Hersteller und der
Kunden an immer besserer Sicherheits- und Fahrzeug-
technologie eher reduzieren. Eine Antriebsfeder für den
technischen Fortschritt sollte aber sein, dass unsere
Fahrzeuge im Zweifel auch für High Speed ausgerüstet
sind, weil dies auch in anderen Geschwindigkeitslagen
eindeutig positive Wirkungen hat.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612405500

Kollege Fischer, Sie müssen bitte Ihren letzten Satz

formulieren.


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1612405600

Wir glauben, dass wir mit einer verbesserten Fahr-

zeugtechnik, der Umstellung der Kfz-Steuer von der
Hubraumbesteuerung auf die emissionsbezogene Be-
steuerung und dem Eintreten für Antriebsmotoren, die
den Kohlendioxidausstoß verringern – Stichworte: Erd-
gas, Biokraftstoffe, Wasserstofftechnologie –, die rich-
tige Richtung einschlagen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612405700

Herr Kollege Fischer, dazu haben wir in den Beratun-

gen noch Zeit. Ich bitte Sie wirklich, zum Schluss zu
kommen.


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1612405800

Damit haben wir eine bessere Antwort auf die beste-

henden Probleme als Sie mit einem starren Tempolimit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jörg van Essen [FDP])


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612405900

Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Heidi Wright

das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Heidemarie Wright (SPD):
Rede ID: ID1612406000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Freude über den Parteitagsbeschluss der SPD
zum Tempolimit hält immer noch an, ebenso meine
Freude über die Unterstützung meiner Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Koppelin [FDP]: Unsere Freude auch! Das ist eine Schadenfreude!)


Ich danke allen, die mithelfen, dass wir an diesem wich-
tigen Thema dranbleiben und gemeinsam zu guten und
richtigen Ergebnissen kommen werden.

Es ist nicht so, dass die Weisheit eines SPD-Parteita-
ges sich flugs auf alle oder gar auf unseren Koalitions-
partner, die Union, überträgt. Aber es ist klar: Dieser Be-
schluss hat Auswirkungen auf die SPD-Fraktion.

Bei der Union strahlt mir die langjährige Erkenntnis
des Kollegen Josef Göppel entgegen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich weiß: Dies hat Strahlwirkung in Ihre Fraktion. Aller-
dings sind die Abwehrschirme von oben noch festgezurrt
und festgespannt. Aber Sie werden sich noch wundern:
Mit der Unterstützung der Bevölkerung werden wir die-
ses Thema voranbringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden Mehrheiten dafür bekommen. Sie werden
sich noch wundern, wie viel Drive das Thema eines
Tempolimits von 130 Stundenkilometern hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich muss mich leider auf das Thema Verkehrssicher-
heit beschränken;


(Jürgen Koppelin [FDP]: Haben Sie keine Hemmungen!)


denn viele andere Punkte hat mein Kollege Gerd
Bollmann schon angesprochen. Ich will den Vorspann,
also den Hinweis auf unsere Bemühungen um gute An-
sätze in der Verkehrssicherheit, weglassen und gleich zu
den harten Fakten kommen. Harte Fakten sind: mehr als
5 000 Tote – Tendenz steigend; 75 000 Schwerverletzte.


(Patrick Döring [FDP]: Aber nicht auf Autobahnen! Insgesamt!)


Sie erleiden Schädelhirnverletzungen, Querschnittsläh-
mungen und Verluste von Gliedmaßen. Diese Verletzun-
gen führen zu dauerhaften Behinderungen. 12 Prozent
dieser Verletzungen geschehen auf Autobahnen. Das
sind horrende und besorgniserregende Zahlen.






(A) (C)



(B) (D)


Heidi Wright

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Der Verkehrsminister schlägt richtigerweise
Spritspartrainings vor. Er propagiert Antiaggressionsak-
tionen. Dazu werden an den Autobahnen große Plakate
aufgehängt. Darauf heißt es: „Gelassen läuft’s“ oder: Ra-
sen ist wenig sexy.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das besagt alles; diese Aktionen sind richtig. Was sollen
sie bewirken? Runter mit dem Tempo!


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es hilft also kein Drumherumreden. Wir sind zu
schnell auf deutschen Straßen, und zwar auf allen Stra-
ßen.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Kommen Sie mal nach Schleswig-Holstein! Da können Sie gar nicht 130 fahren!)


Deshalb überschreibe ich meine Vorschläge in diesem
Zusammenhang mit „Entschleunigung“. Es geht nicht
nur um ein Tempo von 130 Stundenkilometern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind zu schnell, und bei der Verkehrssicherheit – das
ist unsere Aufgabe – bleiben wir unter unseren Möglich-
keiten. Das ist tödlich. Wir brauchen ein Tempolimit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Nein!)


Wir erkennen, dass wir in der Verkehrssicherheits-
politik wieder mehr bei den Menschen ansetzen müssen.
Somit heißt es im Vorspann des neuen Bußgeldkatalogs:
95 Prozent der Unfälle sind auf das Fehlverhalten des
Fahrers zurückzuführen. – Das bedeutet, dass wir die
Technik nicht wie in der Vergangenheit, in der wir uns
bei der Verbesserung der Verkehrssicherheit hauptsäch-
lich auf die Technik verlassen haben, über alles stellen
dürfen. Technik ist das Zauberwort. Wenn es dann gar
noch als „intelligente“ Technik garniert wird – toll!
Liebe Kollegen, Technik ist nicht alles.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich denke, wir müssen wieder mehr die Menschen,
auch die Defizite der Menschen in den Mittelpunkt stel-
len. Beim Dreiklang der Verkehrssicherheit – Mensch,
Maschine und Infrastruktur – darf der Mensch nicht ver-
nachlässigt, aber auch nicht überfordert werden. Der
Mensch macht Fehler. Bei höheren Geschwindigkeiten
– das soll doch jemand einmal widerlegen! – sind die
Fehler fataler, oft tödlich. Das ist eine Tatsache.

Leider fehlen uns in Deutschland – darauf haben viele
Kollegen hingewiesen – aktuelle Grundlagen. Ich habe
heute Morgen mit dem Präsidenten des UBA gespro-
chen. Präsident Troge ist beauftragt – das wird noch
konkretisiert –, neue Daten schnell zu ermitteln, sie wis-
senschaftlich aufzuarbeiten und uns zur weiteren Ent-
scheidung vorzulegen. Der Präsident sagte mir, seine Er-
wartungen bei den Emissionseinsparungen gingen weit
über 2,5 bis 3 Millionen Tonnen hinaus.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber wir haben bereits Grundlagen. Es gibt die Studie
aus Brandenburg – gestern vorgelegt und heute schon
viel zitiert. Weiterhin haben wir Grundlagen in Form der
zweijährigen Unfallverhütungsberichte. Wir haben inter-
nationale Grundlagen des ETSC, des European Trans-
port Safety Council. All diese Grundlagen lassen jetzt
schon Schlüsse zu. Diese Schlüsse drängen sich regel-
recht auf.

Unangepasste Geschwindigkeit ist die Hauptunfallur-
sache. Die Risikogruppe junge Männer – das sind
8 Prozent – verursacht ein Drittel aller Unfälle. Aber ge-
rade diese Gruppe ist gegen ein Tempolimit. Da liegt es
doch in meiner, in unserer Verantwortung, dass wir die
Sicherheit auch dieser jungen Menschen gewährleisten. –
Ich habe noch so vieles aufgeschrieben und hätte vieles
zu sagen, aber die Zeit drängt mich.

Zum Schuss: Das Tempolimit wird kommen, sehr
verehrte Kolleginnen und Kollegen.


(Patrick Döring [FDP]: Das haben Sie in Ihrer Regierungszeit bewiesen!)


Viele sagen abschätzig: Das ist Symbolpolitik. Ja, das
ist ein gutes Symbol für unsere Verantwortung, und das
ist ein Signal für Veränderung hin zu mehr Verkehrssi-
cherheit und zu mehr Klimaschutz.

Sprüche wie „Freie Fahrt für freie Bürger“ oder gar
„Des Deutschen liebstes Kind ist das Auto“ sind absolut
out und bewirken ein peinliches Image für Deutschland.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612406100

Kollegin Wright, der Kollege Koppelin möchte Ihnen

mit einer Zwischenfrage die Chance geben, noch etwas
zu sagen. Lassen Sie sie zu?


Heidemarie Wright (SPD):
Rede ID: ID1612406200

Ja, gut, wunderbar!


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1612406300

Frau Kollegin, nachdem ich Ihnen aufmerksam zuge-

hört habe, darf ich einmal fragen, warum Sie in der Zeit,
als Sie den Bundeskanzler gestellt haben – da war es
Herr Schröder –, nicht das gemacht haben, was Sie uns
jetzt hier als Weisheit verkünden.


Heidemarie Wright (SPD):
Rede ID: ID1612406400

Das ist ganz wichtig, und ich nehme das auf meine

ganz persönliche Kappe. Wir haben damals keinen sol-
chen Antrag gestellt. Es gab im Jahr 2000 einen Antrag
– Berichterstatter war damals Albert Schmidt von den
Grünen –, den wir damals allerdings abgelehnt haben.
Wir hatten argumentiert, wir hätten Sympathie für den
Antrag, aber die Bevölkerung würde nicht in Gänze da-
hinterstehen. Die Zeiten haben sich geändert, und wir






(A) (C)



(B) (D)


Heidi Wright
haben uns geändert. Wir werden ein Tempolimit bekom-
men.

Glück auf, Kollegen!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Patrick Döring [FDP]: Sie machen Politik nach Umfragewerten! Da würde ich mir ziemlich viele Gedanken machen bei den aktuellen Werten, Frau Kollegin – bei 30 Prozent! – Jürgen Koppelin [FDP]: Politik nach Umfragen!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612406500

Das Wort hat der Kollege Uwe Beckmeyer für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Uwe Beckmeyer (SPD):
Rede ID: ID1612406600

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Wir haben eine engagierte, manchmal ideologi-
sche, manchmal auch emotionale Debatte erlebt. Aber
ich frage den Deutschen Bundestag: Was wollen Sie
denn tun? Es ist keine Mehrheit im Deutschen Bundes-
tag zu erwarten.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt hier schon eine Mehrheit!)


– Herr Kuhn, Ihre Initiative hat doch mit Ihrem Parteitag
zu tun – das sage ich einmal ganz nüchtern –; das ist
nicht nur Eigennutz Ihrer Partei. Das ist doch wahr-
scheinlich ganz persönlich motiviert. – Aber sei’s drum!
Wir haben lange nicht mehr 75 Minuten lang über dieses
Thema diskutiert. Bis zu diesem Zeitpunkt haben wir es
aber genossen.

Was tut der Deutsche Bundestag jetzt? Das ist der ent-
scheidende Punkt. Sind wir Manns oder Frau genug, ha-
ben wir die Kraft, etwas auf den Weg zu bringen, das so-
wohl der Verkehrssicherheit dient als auch zu einer
Verminderung des CO2-Ausstoßes auf deutschen Auto-
bahnen und deutschen Straßen generell führt? An dieser
Stelle möchte ich einmal sagen: Jemand, der auf einer
Landstraße oder Bundesstraße zu Tode kam, ist genauso
ein Verkehrstoter wie jemand, der auf einer Autobahn zu
Tode kam. Manchmal gewinnt man nämlich den Ein-
druck, die Autobahn sei eine besondere Art von Straße
und Unfälle dort seien besondere Unfälle. Ich möchte
deutlich in Erinnerung rufen, dass drei Viertel der Un-
fälle auf Außerortsstraßen nicht auf Bundesautobahnen
stattfinden.

Was tun wir? Die Koalition bereitet einen Antrag vor
– das kündige ich hier an –, der den Gesichtspunkten der
CO2-Reduzierung, aber auch der Reduzierung der Zahl
der Unfallschäden und Unfalltoten auf deutschen Stra-
ßen gerecht werden soll. Wir wollen eine Reduzierung
der Zahl der Unfalltoten und eine Reduzierung der CO2-
Emissionen. Das ist eine klare Orientierung.

In der heutigen Debatte haben Sie mitbekommen,
dass in der Koalition hinsichtlich eines generellen Tem-
polimits von 130 km/h auf Autobahnen keine Einigkeit
herrscht. Gleichwohl finde ich es angemessen, dass die-
ses Ziel in der Koalition verfolgt wird.

(Beifall der Abg. Heidi Wright [SPD])


Wir haben uns vorgenommen, beim Fahrverhalten der
Menschen anzusetzen. In absehbarer Zeit wird ein ent-
sprechender Antrag in den Ausschüssen des Deutschen
Bundestages beraten. Wer mit Bleifuß fährt, trägt stark
zu dem unangemessen hohen CO2-Ausstoß bei. Wenn
wir es erreichen, dass die Menschen in Deutschland ihr
Fahrverhalten ändern und selbstbestimmt ein kraft-
stoffsparendes Fahrverhalten an den Tag legen, kann die
CO2-Emission deutlich reduziert werden, was notwendig
ist. Wir müssen bei der Schulung von Fahrern ansetzen.


(Beifall des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU])


Fahrerinnen und Fahrer von Fahrzeugen mit 2,8 bis
3,5 Tonnen legen ein unangemessenes Fahrverhalten an
den Tag. Das ist eine kleine schnelle Einheit, die auf
deutschen Autobahnen eine Art Flugersatzverkehr be-
treibt. Das betrifft auch die Umzugsfahrzeuge auf deut-
schen Autobahnen. Dies muss uns nachdenklich stim-
men und zu der Überlegung bringen, ob wir nicht bei
diesen Fahrzeugtypen ansetzen können, um eine Redu-
zierung der Unfallträchtigkeit zu erreichen.

Wir müssen uns verstärkt um den Einsatz von Fahr-
assistenztechniken in diesen Fahrzeugen kümmern. Das
ist möglich. Die Industrie bietet entsprechende Techni-
ken an: Fahrzeuge mit Bremsverstärkern, die verhindern,
dass das Fahrzeug aus der Spur kommt, und Fahrzeuge,
bei denen nicht nur Haltepunkte für die Sicherung der
Ladung vorgesehen sind, sondern die echte Ladesiche-
rungssysteme an Bord haben. Ich denke, das sind wich-
tige Punkte. Wir werden Ihnen das in einem Antrag prä-
sentieren.

Wir sind dafür, dass für Kraftfahrzeuge dieser Ge-
wichtsklasse in der Bundesrepublik Deutschland gene-
rell ein Tempolimit gilt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Auch dazu werden wir Ihnen einen Antrag vorlegen.

Bezogen auf die Verkehrssicherheit müssen wir uns
angesichts des tatsächlichen Geschehens auf Außerorts-
straßen überlegen, ob es nicht sinnvoll ist, mit Unterstüt-
zung der Länder gerade auf diesen Straßen die erlaubte
Geschwindigkeit stark zu reduzieren.


(Beifall der Abg. Heidi Wright [SPD])


Es kann nicht sein, dass drei Viertel aller tödlichen Ver-
kehrsunfälle durch unangemessenes Fahrverhalten, un-
angemessene Geschwindigkeit auf baumbestandenen
Alleen – ob es nun eine Landstraße oder eine Bundes-
straße ist – verursacht werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Patrick Döring [FDP])


Zum Schluss ein Appell des Bundestages an die Län-
der: Das alles ist nichts wert, wenn nicht mehr Ver-
kehrsüberwachung stattfindet. Wir brauchen eine stär-
kere Verkehrsüberwachung in der Bundesrepublik
Deutschland, um der Tendenz zum Rasen bei Einzelnen
entgegenwirken zu können. Ich glaube, das ist wichtig.






(A) (C)



(B) (D)


Uwe Beckmeyer

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Diese Koalition wird die Kraft finden, bei der Ver-
kehrsbeeinflussung noch mehr auf die Tube zu drü-
cken. Verkehrsbeeinflussung auf deutschen Autobahnen
gibt es heute schon. Wir haben gute Erfahrungen damit
gemacht. Aber wir wissen auch: Verkehrsbeeinflussung
bedeutet Stauvermeidung, CO2-Reduzierung und einen
Rückgang der Zahl schwerer Unfälle auf Autobahnen.
Gleichzeitig bedeutet es einen deutlichen Zuwachs an
Sicherheit.

Ich habe jetzt für die Koalition ein kleines Bündel von
Maßnahmen vorgestellt. Wir wollen im Deutschen Bun-
destag mit diesem Maßnahmenbündel demnächst unse-
ren Beitrag zur CO2-Reduzierung und zur Verkehrssi-
cherheit auf deutschen Straßen leisten.

Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612406700

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 16/6894 mit dem Titel
„Tempolimit 130 km/h auf Autobahnen sofort einfüh-
ren“. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht na-
mentliche Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der
CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung, und zwar
federführend an den Ausschuss für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung und mitberatend an den Innenaus-
schuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie,
den Ausschuss für Gesundheit, den Ausschuss für Um-
welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, den Ausschuss
für Tourismus sowie an den Haushaltsausschuss.

Die Abstimmung über den Antrag auf Ausschuss-
überweisung geht nach ständiger Übung vor. Ich frage
deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? –
Gegenprobe! – Gibt es Enthaltungen? – Dann ist die
Überweisung so beschlossen. Damit stimmen wir heute
über den Antrag auf Drucksache 16/6894 nicht ab.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/6932 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe die Zusatzpunkte 13 und 14 auf:

ZP 13 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Sie-
benundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung
des Abgeordnetengesetzes

– Drucksache 16/6924 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
ZP 14 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur
Änderung des Bundesministergesetzes

– Drucksache 16/5052 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen.

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die scheinbar
unentschlossen sind, ob sie an dieser Debatte teilnehmen
wollen oder andere Verpflichtungen haben, das schnell
zu entscheiden und die nötige Ruhe herzustellen, sodass
wir der Debatte folgen können.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Olaf Scholz für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Olaf Scholz (SPD):
Rede ID: ID1612406800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir dis-

kutieren hier über ein Thema, das große öffentliche Auf-
merksamkeit genießt und für die Abgeordneten und in
der öffentlichen Diskussion nicht immer leicht ist. Die-
ses Thema wird zu Recht ausreichend gewürdigt. Denn
wir sind mit der besonderen Situation konfrontiert, dass
die Abgeordneten über das, was sie an Gehalt, an Diäten
und an Altersversorgung erhalten, selbst entscheiden; zu
diesem Thema will ich noch kommen. Ich glaube, des-
halb ist es richtig, dass wir mit großer Sachlichkeit und
Vernunft an diese Debatte herangehen.

Was haben wir uns vorgenommen, bei der Änderung
des Abgeordnetengesetzes jetzt durchzusetzen? – Ers-
tens. Die Altersversorgung der Abgeordneten soll redu-
ziert werden. Zweitens. Wir werden auch für die Abge-
ordneten das Renteneintrittsalter mit 67 Jahren festsetzen,
so wie das für die Bürgerinnen und Bürger in der gesetz-
lichen Rentenversicherung auch der Fall ist. Drittens.
Wir werden dauerhaft einen Orientierungsmaßstab für
das festlegen, was die Abgeordneten als Entschädigung,
als Diäten, bekommen sollen. Es soll dem, was ein Bür-
germeister einer Gemeinde mit 50 000 bis 100 000 Ein-
wohnern in Deutschland auch erhält, oder dem, was ein
beisitzender, ein einfacher Bundesrichter an einem der
vielen Gerichtshöfe der Bundesrepublik Deutschland be-
kommt, entsprechen. Das ist – so glauben wir – eine an-
gemessene Bezugsgröße. Über diese drei Entscheidun-
gen wollen wir heute hier diskutieren.

Ich will etwas zur Entschädigung sagen. Der erste
Satz, den man dazu sprechen muss, lautet: Die Abgeord-
neten verdienen viel Geld. Sie verdienen mehr Geld als
die meisten ihrer Wählerinnen und Wähler, und jeder,
der darüber einen falschen Eindruck erweckt, spricht
nicht die Wahrheit. Ich persönlich habe es auch nie ge-
mocht, wenn sich Abgeordnete in öffentlichen Debatten
darüber beklagen, dass sie nicht genug Geld bekämen
und verglichen mit anderen Führungskräften – oft schon
im mittleren Bereich – in der Wirtschaft, in den Verbän-






(A) (C)



(B)


Olaf Scholz
den und in den Gewerkschaften ein relativ geringes Ge-
halt bezögen.

Es gehört meiner Meinung nach auch dazu, zu sagen:
Es ist ein ordentliches, ein hohes Einkommen, das die
Abgeordneten beziehen, und das muss auch klargestellt
werden.

Wenn wir uns also über die Frage unterhalten, was ein
Abgeordneter als Entschädigung bekommen soll, dann
geht es vor allen Dingen darum, dass wir uns einen Maß-
stab überlegen. Wie soll der aussehen? Was sollen dieje-
nigen erhalten, die als 613 Abgeordnete heute darüber
entscheiden, wie es mit den Steuern weitergeht, ob sich
die Bundeswehr an internationalen Einsätzen beteiligt,
ob wir unsere Soldaten in den Kosovo oder nach Afgha-
nistan schicken, um dort den Frieden herzustellen und zu
sichern? Wir sind diejenigen, die Fragen wie beispiels-
weise die einer Beteiligung an einer militärischen Inter-
vention im Irak – wir wollten uns nicht beteiligen – erör-
tern. Wir sind diejenigen, die entscheiden, ob die Steuern
erhöht oder gesenkt werden sollen, wie es mit der Unter-
nehmensbesteuerung und der Erbschaftsteuer weiter-
geht, wie sich das Arbeitslosengeld entwickelt und wie
die Zukunft der Krankenversicherung aussieht.

All das sind Fragen, die die vom Volk gewählten
613 Abgeordneten zu behandeln haben. Sie vertreten
Wahlkreise mit mehr oder weniger als 250 000 Wahlbe-
rechtigten und natürlich all denjenigen, die noch nicht
wahlberechtigt sind, weil sie zu jung sind, aber dennoch
zu den Einwohnern eines solchen Wahlkreises gehören.

Das ist eine sehr verantwortungsvolle Tätigkeit, und
es ist das höchste Amt, in das man in unserer Demokra-
tie vom Volk gewählt werden kann. Direkt gewählt wer-
den kann man vom Volk nur zum Abgeordneten. Die Re-
gierung, die Staatssekretäre, der Präsident und andere
werden durch Versammlungen bestimmt. Wir sind es,
die einer direkten Wahl unterliegen und als Gesetzgeber
Verantwortung tragen.

Wir müssen die Frage beantworten, ob der Maßstab
angemessen ist oder nicht. Wir glauben, dass das, was
vor vielen Jahren schon einmal als Maßstab entwickelt
worden ist, nämlich das Gehalt eines Bürgermeisters ei-
ner Gemeinde mit 50 000 bis 100 000 Einwohnern, ein
angemessener Maßstab ist.

Meine Damen und Herren, das Problem ist also wahr-
scheinlich nicht die Höhe. Auch diejenigen, die vor-
schlagen, man soll das auf eine Kommission delegieren
oder einen Maßstab bzw. eine automatische Erhöhung
fest ins Gesetz hineinschreiben, sagen meistens nicht,
dass sie eine Absenkung der Diätenhöhe wollen; jeden-
falls habe ich Herrn Westerwelle noch nie so verstanden,
dass er für eine Reduzierung der Diäten ist. Deshalb ge-
hört es – so glaube ich – zur Ehrlichkeit der Debatte
dazu, dass wir auch sagen: Wir suchen nach einem Maß-
stab.

Wir entscheiden uns jetzt nicht dafür, eine Verfas-
sungsänderung durchzuführen, die das auf irgendwen
anders delegiert. Obwohl es wahrscheinlich den meisten
Abgeordneten recht wäre, nicht selber die Verantwortung
tragen zu müssen, wäre es letztendlich doch ein bisschen
so, als würde man sich drücken wollen. Wir sollten uns
nicht drücken, sondern uns zu dieser Entscheidung be-
kennen und deshalb den Maßstab, den wir diskutieren,
auch vertreten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir haben jetzt eine Erhöhung in zwei Schritten vor-
gesehen. Natürlich hat das – leider war das zu erwarten,
und darüber will ich mich auch nicht beklagen, weil es
berechtigt ist, so etwas hin- und herzudiskutieren – in
der Öffentlichkeit die aufgeregte Frage ausgelöst, ob es
nicht zu viel sei und ob es nicht auch weniger hätte sein
können.

Meine Damen und Herren, abgesehen davon – darauf
will ich noch zu sprechen kommen –, dass wir auch eine
Änderung bei der Altersvorsorge vornehmen – es liegt
den Menschen berechtigterweise übrigens sehr am Her-
zen, dass diese nicht zu üppig ausfällt –, ist es so, dass
die Erhöhung jetzt so ausfällt, weil wir seit 2003 keine
Erhöhung durchgesetzt haben.

Nun, es hat keine armen Leute getroffen; das muss
man dazusagen. Niemandem von uns ist es schlecht ge-
gangen, weil keine Erhöhungen stattgefunden haben,
und niemand sollte diesen Eindruck erwecken. Aber es
ist auch ein Stück Wahrheit, dass seit 2003 in keinem
Jahr eine Erhöhung der Diäten, des Gehalts der Abge-
ordneten, vorgenommen wurde. Hätten wir für jedes
Jahr – 2004, 2005, 2006, 2007 – und jetzt auch für 2008
und 2009 eine Erhöhung beschlossen, dann wäre es je-
des Mal eine Erhöhung um 1,509 Prozent gewesen. Hier
hätte wohl niemand gesagt, das sei zu viel. Zumindest
hätte niemand gesagt, das sei maßlos. Das spricht doch
dafür, genau so vorzugehen, wie wir es jetzt tun.

Wir wollen einen Maßstab entwickeln und die Höhe
der Diäten an der Höhe der Bezüge der Bürgermeister
mittelgroßer Gemeinden und der einfachen Bundesrich-
ter orientieren; an diesen Maßstab wollen wir uns in Zu-
kunft immer halten. Wenn ihr Gehalt um 1 Prozent
steigt, erhöhen wir auch unsere Bezüge um 1 Prozent.
Wenn ihr Gehalt um 2 Prozent steigt, erhöhen wir auch
unseres um 2 Prozent. Wenn ihre Bezüge nicht steigen,
erhöhen wir auch unsere nicht.

Mein Rat an alle Abgeordneten in diesem Haus und
an die Öffentlichkeit lautet: Sie sollten uns dabei unter-
stützen, damit die Leute nicht mehr denken, dass wir die
Höhe unserer Diäten ganz frei und selbst bestimmen.
Wir wollen einen langfristig angelegten, dauerhaften
Maßstab entwickeln, an dem uns alle messen können. Je-
der soll wissen, woran er in den nächsten 20, 30 Jahren
ist. Heute können wir dafür sorgen, dass das möglich
wird. Vielleicht ist das sogar ein großer Beitrag zur Er-
höhung der Akzeptanz der parlamentarischen Demokra-
tie. Meine Bitte an Sie ist: Helfen Sie mit!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wir müssen natürlich auch
darüber sprechen, dass nicht nur die Diäten der Abge-
ordneten eine ordentliche Höhe haben, sondern dass das
auch für ihre Altersversorgung zutrifft. Anders als bei

(D)







(A) (C)



(B) (D)


Olaf Scholz
der Entschädigung – hier meinen die meisten, das ist im
Großen und Ganzen schon in Ordnung; einige finden al-
lerdings, die Erhöhungen müssten nicht sein; hier muss
man zueinander finden; denn es kann nicht beides richtig
sein – sagen bei der Altersversorgung viele: Das ist zu
viel. – Ich finde – hier bin ich mir mit den Kollegen von
der Union einig –, wer das sagt, hat recht. Hier musste
man handeln.

Ich glaube aber, dass die Kritik am Umfang unserer
Altersversorgung daher rührt, dass die Leute vielfach
noch Regelungen im Kopf haben, die aus anderen Zeiten
stammen.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)


Die Bürgerinnen und Bürger müssen wissen: Bis 1995
war es so, dass ein Abgeordneter für jedes Jahr, das er
Mitglied des Deutschen Bundestages war, 4 Prozent der
Höhe seiner Entschädigung als Altersversorgungsan-
spruch bekommen hat. Das hat den nachhaltigen, weil
bis heute wirkenden Eindruck erweckt, das sei noch im-
mer so und das sei ziemlich viel. Wir haben das bereits
in der Vergangenheit auf 3 Prozent reduziert. Jetzt wol-
len wir den Steigerungssatz noch einmal reduzieren, und
zwar auf 2,5 Prozent. Wenn wir das tun, ist die Versor-
gung völlig anders geregelt, als es damals der Fall war.

Wenn man diese Entwicklung betrachtet, kann man,
wie ich glaube, feststellen: Wir haben uns den Vorstel-
lungen der Menschen angenähert. Es ist richtig, dass wir
mit dieser Reform eine Senkung der Höhe des Altersver-
sorgungsanspruchs verbinden.

Ich bitte Sie darum – das will ich dazusagen –, dass
wir offen und ehrlich miteinander diskutieren. Wer sagt,
dass wir einen Systemwechsel vornehmen – das kann
man durchaus sagen – und unsere Altersversorgung an-
ders organisieren sollten, der bekommt Beifall von Leu-
ten, die systematisch denken und der Meinung sind, dass
ein anderes System besser ist. Meistens bekommt er aber
Beifall von Leuten, die glauben, dass wir, wenn wir von
einem Systemwechsel sprechen, meinen, dass wir den
Umfang unserer Altersversorgung reduzieren; auch
diese Meinung habe ich teilweise gehört, allerdings nicht
von vielen Kollegen in diesem Hause.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612406900

Kollege Scholz, ich verstehe, dass es Sie drängt, auch

das noch zu erklären.


Olaf Scholz (SPD):
Rede ID: ID1612407000

Das mache ich auch.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612407100

Sie haben Ihre Redezeit aber schon weit überschrit-

ten. Vielleicht können Sie mit Ihrem Koalitionspartner
eine Verabredung treffen, wie Sie diesen Aspekt nachher
noch in die Debatte einbringen können.


Olaf Scholz (SPD):
Rede ID: ID1612407200

Ich komme zum Schluss. Ich möchte nur noch auf ei-

nes hinweisen, Frau Präsidentin: Wer sagt, dass ein an-
deres System eingeführt werden sollte, der sollte auch
hinzufügen, welche Konsequenzen das für die Altersver-
sorgung haben soll: Soll ihr Umfang reduziert werden,
soll er gleich bleiben, oder soll er erhöht werden? Alle
drei Varianten sind möglich.

Ich bin dafür, dass wir uns zu dem bekennen, was wir
aufgrund des Wunsches und angesichts der berechtigten
Kritik der Bevölkerung richtigerweise tun müssen: Wir
müssen unseren Altersversorgungsanspruch reduzieren.
Diese Senkung sollten wir nicht hinter einem System-
wechsel „verschwurbeln“, sondern sie real durchführen.
Das wollen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
tun.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612407300

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege van Essen

das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1612407400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die FDP-Bundestagsfraktion lehnt diesen Gesetzentwurf
der Großen Koalition ab.


(Beifall bei der FDP)


Wir wollen einen Systemwechsel, und zwar in mehrfa-
cher Hinsicht.

Wir erleben in der Diskussion, die wir in diesen Tagen
in den Zeitungen lesen können, dass es ganz offensicht-
lich ein großes Akzeptanzproblem für eine Diätenerhö-
hung im Deutschen Bundestag gibt. Das gilt nicht nur
für diese, sondern für jede Diätenerhöhung, die zur De-
batte steht. Deshalb muss es nach meiner Auffassung un-
sere Aufgabe sein, uns ein System zu überlegen, bei dem
die Bürger das Gefühl haben: Das Ganze ist transparent,
und das Ganze ist gerecht. Wenn entschieden wird von
denen, die die Gehaltserhöhung bekommen, haben die
Bürger – das ist ganz natürlich – das Gefühl, dass es
nicht gerecht ist, weil man nicht zu seinen Lasten ent-
scheidet. Wer sich selbst das Gehalt festsetzt, der tut das
in der Regel nicht zu seinem Nachteil. Das ist das Gefühl
der Bürger – was wir nach meiner Auffassung ernst neh-
men müssen.


(Beifall bei der FDP)


Wir sehen das ja auch an den Schreiben, die uns in die-
sen Tagen erreichen.

Wir haben ein weiteres Problem, nämlich das Pro-
blem, im Bundestag selbst die notwendigen Entschei-
dungen, die anstehen, zu treffen. Auch das gehört zur
Beschreibung der Realität. Das war der Hintergrund da-
für, dass wir als FDP sagen: Wir brauchen einen System-
wechsel. – Das Bundesverfassungsgericht hat es uns
nicht leicht gemacht, als es entschieden hat, dass die Ab-
geordneten selbst, durch Gesetz, die Höhe der Diäten
festlegen müssen. Das ist nicht unser Wunsch gewesen;
gleichwohl ist es die Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts.






(A) (C)



(B) (D)


Jörg van Essen

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Eben!)


Deshalb haben wir schon unmittelbar nach der letzten
Bundestagswahl einen sehr gut durchdachten Vorschlag
in das Parlament eingebracht, nämlich einen Vorschlag
zu einer Verfassungsänderung – es bedarf nach unserer
Auffassung einer Verfassungsänderung –, die es ermög-
licht, dass eine unabhängige Kommission vom Bundes-
präsidenten als neutraler Institution einberufen wird, die
in Zukunft die Höhe der Diäten verbindlich festlegt.


(Beifall bei der FDP)


Da Sie die Frage aufgeworfen haben, Herr Kollege
Scholz: Das kann das Gleiche sein wie heute, das kann
mehr sein, das kann aber auch weniger sein.

Ich bin der Auffassung, wir sollten uns einem solchen
Vorschlag unterwerfen. Ich glaube auch, dass das beides
löst: das Mutproblem, das wir haben, aber insbesondere
– das ist für mich das Wichtigste – das Akzeptanzpro-
blem bei den Bürgern. Denn die Bürger müssen das
Gefühl haben, dass die Abgeordneten so, wie die Verfas-
sung das vorschreibt, nämlich angemessen, bezahlt wer-
den, und ich habe den Eindruck, dass die Bürger das
auch wollen.

Ein anderer Punkt, der für uns ganz wichtig ist und
bei dem wir ebenfalls eine Systemänderung wollen, ist
die Frage der Altersversorgung. Unser Vorschlag sieht
vor, dass auch dafür die unabhängige Kommission beim
Bundespräsidenten Vorschläge machen soll. Wir werden
uns diesen Vorschlägen dann selbstverständlich zu unter-
werfen haben. Ich will hierbei für die FDP-Bundestags-
fraktion keinen Zweifel daran lassen, was unser
Wunschmodell wäre: Wir wollen von der jetzigen beam-
tenähnlichen Versorgung weg.


(Beifall bei der FDP)


Der Grund dafür ist einfach: Wir Abgeordneten sind
keine Beamten. Deswegen sollten wir uns weder bei dem
Maßstab der Diäten – B 6 – noch bei der Altersversor-
gung an den Beamten orientieren. Die Abgeordneten sind
frei von Aufträgen und Weisungen, sagt das Grundgesetz
klar und eindeutig. Sie haben damit einen völlig anderen
Status, als es Beamte haben. Deshalb ist unser Vorschlag
der, dass die Abgeordneten in Zukunft selbst, durch ei-
gene Beiträge, für ihre Altersversorgung sorgen sollen.


(Beifall bei der FDP)


Das ist kein theoretisches Modell: Die FDP hat das in
Nordrhein-Westfalen umgesetzt.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben gar nichts umgesetzt! Das war Ihre Landtagsfraktion!)


Wer sich mit den Kollegen in Nordrhein-Westfalen un-
terhält, der stellt fest, dass das auch funktioniert. Alles
das, was hier gegen diesen Vorschlag der FDP vorgetra-
gen worden ist, ist also durch die Praxis widerlegt wor-
den.

Von daher wiederhole ich noch einmal: Die FDP-
Bundestagsfraktion lehnt den Gesetzentwurf der Großen
Koalition ab. Wir wollen einen Systemwechsel.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Flucht vor der Verantwortung!)


Die Diäten sollen durch eine unabhängige Kommission,
die beim Bundespräsidenten anzusiedeln ist, festgesetzt
werden. Und wir wollen, dass die Abgeordneten selbst
für ihre Altersversorgung sorgen müssen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612407500

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege

Dr. Norbert Röttgen das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1612407600

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Die geltende Verfassung gebietet, dass der Bun-
destag in dieser Angelegenheit entscheidet; das steht in
Art. 48 des Grundgesetzes.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Solange dies gilt, müssen wir dem auch gerecht werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich will aber auch sagen, dass ich es inhaltlich für
richtig halte. Ich bin der Auffassung, dass wir zu dem,
was wir in dieser Frage entscheiden, stehen müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin dagegen, dass wir uns hinter einer Kommission
verstecken und sagen: Wir haben das nicht entschieden,
wir müssen doch das nehmen, was die Kommission ge-
sagt hat. – So viel Selbstbewusstsein, Klarheit und
Transparenz – ein viel verwendetes Wort – können die
Bürgerinnen und Bürger von uns erwarten. Wir müssen
an uns den Anspruch haben, dass wir vor sie treten und
vor den Augen der Öffentlichkeit, wie es das Bundesver-
fassungsgericht gesagt hat – ich ergänze: erhobenen
Hauptes –, einen Vorschlag unterbreiten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr van Essen, die Schwäche Ihrer Rede war, dass
Sie abstrakt von einem Systemwechsel und dem, was Sie
sich alles vorstellen können, gesprochen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Nein, zum parlamentarischen Selbstverständnis und Mut
gehört es, die Vorschläge konkret auf den Tisch zu legen
und nicht nur zu kritisieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wer nicht konkret wird, der entscheidet nicht. Wir
müssen auch aus sachlichen Gesichtspunkten und nicht






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norbert Röttgen
nur, weil wir die Pflicht haben, entscheiden. Wer nicht
dafür entscheidet, sondern ablehnt, der entscheidet sich
dagegen, dass das, was wir für die gesetzliche Renten-
versicherung entschieden haben, auch für die Abgeord-
neten gelten soll. Wir sind der Auffassung: Wenn die Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach einem Prozess
von 20 Jahren ein Renteneintrittsalter von 67 Jahren ak-
zeptieren müssen, dann muss das auch der Bundestags-
abgeordnete akzeptieren. Wer dagegen stimmt, der
stimmt auch dafür, dass wir das Privileg behalten, anders
als die arbeitende Bevölkerung mit 65 Jahren in Rente
zu gehen. Wir sind gegen dieses Privileg für Abgeord-
nete. Stimmen Sie mit uns!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Bevölkerung muss mehr für ihre Altersversor-
gung tun, also mehr zurücklegen. Es gibt keine Sitzungs-
woche, in der wir nicht an die Bevölkerung appellieren:
Stellt euch auf die demografische Entwicklung ein! – Es
kann nicht sein, dass wir uns von dieser Entwicklung in
der Bevölkerung, von der wir ihr predigen, ausnehmen,
indem wir bei einer Versorgung bleiben, bei der pro Jahr
Wachstumsschritte von 3 Prozent vorgesehen sind, wo-
mit wir uns besserstellen als die allgemeine Bevölke-
rung. Darum sind wir dafür, dass wir den Aufbau unse-
res Pensionsanspruches um 16,6 Prozent zurückführen.
Das halten wir für geboten und richtig. Wer das ablehnt,
der ist dafür, dass wir ein Privileg behalten. Wir sind ge-
gen dieses Privileg. Wir wollen, dass wir an der Ent-
wicklung der Bevölkerung teilnehmen und auch das leis-
ten, was wir ihr zusätzlich abverlangen.

Das führt dazu, dass die Ansprüche substanziell redu-
ziert werden. Wer will, dass man nach 23 Jahren einen
Anspruch von 69 Prozent erwirbt, der muss unseren Vor-
schlag ablehnen. Wer akzeptiert, dass man dafür
27 Jahre braucht und am Ende nur das Rentenniveau der
gesetzlichen Rentenversicherung erreicht, der muss für
unseren Antrag votieren.

Ein weiterer Punkt. Wer dem Gesetzentwurf nicht zu-
stimmt, der sollte einen Gesetzentwurf einreichen, mit
dem das Abgeordnetengesetz geändert wird.


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Haben wir ja!)


– Das Abgeordnetengesetz.


(Dirk Niebel [FDP]: Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht!)


Vor über zehn Jahren hat das Haus gesagt: Wir haben ei-
nen Maßstab gefunden. Man muss ein System, eine An-
knüpfung finden. Ansonsten kann man den Bürgern
nicht erklären, warum es der und kein anderer – ein nied-
rigerer oder ein höherer – Betrag ist.

Olaf Scholz hat völlig zu Recht gesagt: Wir haben vor
über zehn Jahren den Maßstab gefunden. Wir wollen an
die Regelungen für Bürgermeister kleinerer und mittle-
rer Städte – 50 000 bis 100 000 Einwohner – anknüpfen
und uns an den Bundesrichtern orientieren, die ebenso
wie wir eine unabhängige Tätigkeit ausüben.

Der Maßstab steht seit über zehn Jahren im Gesetz.
Ich finde, es ist ein Gebot der Konsequenz und der parla-
mentarischen Selbstachtung, dass wir bereit sind, das,
was wir selber als Gesetz beschlossen haben, auch um-
zusetzen. Nach 12, 13 Jahren könnte es so weit sein. Das
wollen wir mit diesem Gesetzentwurf erreichen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


In einem ersten Schritt sind das 330 Euro in einem
Zeitraum von fünf Jahren. Wenn ich den Vorschlag unter
allen Gesichtspunkten betrachte, dann muss ich sagen:
Er ist maßvoll und ausgewogen.

Ich möchte eine abschließende Bemerkung zur öffent-
lichen Debatte machen; denn in der öffentlichen Debatte
geht es um mehr als um 330 Euro, also um 4,7 Prozent
innerhalb von fünf Jahren. Ich möchte Heribert Prantl
aus der Süddeutschen Zeitung zitieren,


(Hans-Christian Ströbele GRÜNEN)


der, wie andere auch, etwas über die öffentliche Debatte
hinsichtlich der Abgeordnetendiäten geschrieben hat:

Sogleich wird die Vorurteilsmaschinerie angewor-
fen und das Parlament als Raffkartell beschimpft.
Diese antiparlamentarische Narretei begleitet nun
schon die gesamte Geschichte der Bundesrepublik.

Als den erfreulichsten Punkt dieser Debatte möchte
ich feststellen: Nicht nur Heribert Prantl in der Süddeut-
schen Zeitung, auch die Kommentatoren in der Frank-
furter Rundschau, in der Welt, im Tagesspiegel und in
der Zeit haben dafür gesorgt, dass über diese Narretei
nachgedacht wird. Beim Thema der Abgeordnetendiä-
ten, das man sachlich kritisieren kann – ich nehme keine
dieser Zeitungen für unseren Vorschlag in Anspruch –,
müssen wir zwischen einer sachlichen Debatte und anti-
parlamentarischer Stimmungsmache unterscheiden.

In diesem Geist haben wir diesen Vorschlag unterbrei-
tet, und in diesem Geist sollten wir die weitere Beratung
miteinander angehen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612407700

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin

Dr. Dagmar Enkelmann das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612407800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr

Kollege Röttgen, ich gestehe, ich bin ein Fan von
Heribert Prantl und lese seine Kommentare in der Süd-
deutschen Zeitung zumeist mit großem Genuss. Ich ver-
weise auf denselben Kommentar, den Sie gerade zitiert
haben. In diesem Kommentar wundert er sich darüber,
dass es eine Schärfe in der öffentlichen Ablehnung der
Diätenerhöhung gibt, sieht uns Abgeordnete am mittelal-
terlichen Pranger und stellt – jetzt zitiere ich ihn – „ab-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Dagmar Enkelmann
gründiges Misstrauen in die Integrität der Volksvertre-
ter“ fest. Ich finde, Prantl hat recht.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Wie gehen wir damit um?)


Dieses Misstrauen besteht; aber ich denke, dieses Miss-
trauen besteht zu Recht.


(Widerspruch bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. CarlChristian Dressel [SPD]: Ist das Ihr Parlamentarismusverständnis, Frau Enkelmann?)


Blicken wir nur auf die letzten Wochen: In der Som-
merpause haben sich Kollegen quer durch alle Fraktio-
nen darüber erregt, dass die Preise für Milch und
Fleischerzeugnisse steigen, und gefordert, darüber nach-
zudenken, dass das Arbeitslosengeld II angehoben wird.
Das Ganze ist im Sommerloch versenkt worden, passiert
ist nichts. Seit Wochen wird hier darüber geredet, dass
die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I verlängert wird.
Nichts liegt dazu auf dem Tisch. Es wurde großartig
angekündigt, die Kürzung der Pendlerpauschale zurück-
zunehmen. Auch das ist wieder vom Tisch gefegt. Rent-
nerinnen und Rentner wurden in diesem Jahr mit
0,54 Prozent abgespeist. Es hieß, mehr sei nicht drin.
Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Nun aber sollen im Hauruckverfahren die Diäten mal
eben ordentlich um 9,4 Prozent angehoben werden. Um
es in absoluten Zahlen auszudrücken – wir reden hier
über zwei Jahre, nicht über fünf oder sieben Jahre –: in
zwei Jahren um immerhin fast 700 Euro. Angesichts
dessen braucht man sich über Misstrauen nicht zu wun-
dern.

Das Ganze wird mit dem wirtschaftlichen Auf-
schwung begründet. Abgesehen davon, dass man sich
hier offenkundig mit fremden Federn schmückt, ist es
eine Tatsache – darüber haben wir hier auch mehrfach
diskutiert –, dass viele Menschen von diesem wirtschaft-
lichen Aufschwung nicht profitieren: diejenigen, die
nach wie vor keine Arbeit haben; diejenigen, die mit ei-
nem Hungerlohn auskommen müssen und als soge-
nannte Aufstocker ergänzende Sozialleistungen brau-
chen; diejenigen, die als Leiharbeiter arbeiten und
fürchten müssen, dass sie als Erste gefeuert werden; oder
diejenigen, die inzwischen zwei oder drei Minijobs ha-
ben, um überhaupt leben zu können. Der Aufschwung
hat Schattenseiten; aber Sie wollen ein gewaltiges Stück
vom Kuchen abbekommen.

Nun versüßen Sie das Ganze der staunenden Öffent-
lichkeit mit der Ankündigung einer Kürzung bei der Al-
tersversorgung. Schauen wir uns diese einmal genauer
an, stellen wir fest, Herr Kollege Scholz, Herr Kollege
Röttgen, dass es eine Milchbubenrechnung ist.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Milchbuben gibt es nicht!)


Eine prozentuale Kürzung bedeutet eben nicht eine auto-
matische Absenkung in absoluten Zahlen; denn wenn die
Diäten höher sind, führt dies auch zum Steigen der Al-
tersversorgung, da sie sich an der Höhe der aktuellen
Diäten bemisst. Auch das sollten Sie ehrlich sagen.

(Beifall bei der LINKEN)


Während der Anspruch auf Altersversorgung heute
erst nach acht Jahren entsteht, soll er nach dem neuen
Vorschlag bereits nach einem Jahr entstehen. Auch dies
erklären Sie nicht.

Ein Weiteres sage ich ganz deutlich: Wir haben uns
hier im Bundestag gegen die Rente ab 67 ausgesprochen,
und wir sind auch gegen die Rente ab 67 für Abgeord-
nete. Aber während es Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmern immer schwerer gemacht wird, über Altersteil-
zeit, Erwerbsminderung usw. vorzeitig in die Rente
einzusteigen, ist es bei Abgeordneten nach 18 Jahren Zu-
gehörigkeit zum Bundestag durchaus möglich, mit
57 Jahren ohne Abschläge in die Rente zu gehen. Daran
wird nichts geändert.

Es bleibt bei unserer grundsätzlichen Kritik, dass Ab-
geordnete Leistungen beziehen, für die sie keinerlei Bei-
träge einzahlen. Mit dieser Privilegierung muss endlich
Schluss gemacht werden. Wir werden einen Vorschlag
auf den Tisch legen, der vorsieht, dass Abgeordnete in
die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen sind.


(Beifall bei der LINKEN)


Heribert Prantl sieht uns am Pranger. Gott sei Dank
wurde der Pranger in der 48er-Revolution abgeschafft.
Aber die Empörung vieler Bürgerinnen und Bürger kön-
nen wir sehr gut nachvollziehen.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612407900

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun

der Kollege Volker Beck.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612408000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann

mich des Eindrucks nicht erwehren, Herr Prantl könnte
genau solche Reden gemeint haben, wie sie gerade ge-
halten wurden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Solche Angriffe sind in einer seriösen Debatte über die
Abgeordneten und ihre Stellung in Verfassung und Ge-
sellschaft unangemessen.

Trotzdem muss ich feststellen, geschätzte Koalition:
So, wie Sie das Thema angegangen sind, müssen Sie
sich nicht wundern, wenn das manchen sauer aufstößt.
Nach einer Koalitionsrunde am Wochenende liegt kein
Ergebnis vor. Die Koalition schafft es zwar nicht, sich
auf eine Mindestlohnregelung für Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer zu einigen, sorgt aber für die Min-
destversorgung der Abgeordneten.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Das ist doch nicht dasselbe! Das ist doch auch populistisch!)


Wenn man nichts zustande bekommt und dann mit ei-
nem solchen Vorschlag kommt, dann muss man sich






(A) (C)



(B) (D)


Volker Beck (Köln)

nicht wundern, wenn das gegen das Parlament und die
Politik verwendet wird. Das muss man Ihnen bei aller
Seriosität in der Sache entgegenhalten. Das ist einfach
unsensibel. So darf man solche Debatten nicht führen.

Trotzdem wende ich mich eindeutig gegen bestimmte
Töne in der Debatte. Wenn das Parlament aufgrund der
verfassungsrechtlichen Lage das Abgeordnetengesetz
ändern muss – niemand auf dieser Welt kann ihm das ab-
nehmen; es gibt kein höheres Wesen, dass diese Entschei-
dungsgewalt hat –, dann darf man das nicht als Selbstbe-
dienung denunzieren, lieber Kollege Westerwelle.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Das ist schofel. Es ist antiparlamentarisch und beschä-
digt die parlamentarische Demokratie.

Nach unserer Verfassung haben die Abgeordneten
Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit si-
chernde Entschädigung. Der Sinn dieser Bestimmung
liegt darin, dass die Abgeordneten nach bestem Wissen
und Gewissen die Entscheidungen zum Wohle des deut-
schen Volkes treffen – nur das sollte sie im Herzen be-
wegen –,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


statt den Verlockungen der Wirtschaft durch Nebenjobs
und Anschlussjobs nachzugeben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dass wir eine vernünftige Entschädigung brauchen,
ist unbestritten. Trotzdem müssen wir feststellen, dass
nicht verstanden wird, was wir hier machen. Deshalb
meine ich, dass wir bei der Beratung des Gesetzentwurfs
darüber nachdenken sollten, ob wir nicht einen System-
wechsel machen. Wir haben in unserer Fraktion seit Be-
ginn der Wahlperiode darüber geredet. Wir haben über
den Präsidenten ein Gutachten in Auftrag geben lassen,
das inzwischen vorliegt.

Das Gutachten ist zu folgendem Ergebnis gekommen:
Wenn wir das jetzige Niveau der Altersversorgung der
Abgeordneten – ich will nicht den falschen Eindruck er-
wecken, dass wir unheimlich kürzen würden – durch ein
Versorgungswerk für Abgeordnete finanzieren würden,
dann würde das Pi mal Daumen einen monatlichen Be-
trag von 2 600 bis 3 000 Euro pro Abgeordneten bedeu-
ten. Das ist das Ergebnis des Gutachtens, das, um zu ei-
ner seriösen Grundlage zu kommen, gegebenenfalls
überprüft werden müsste.

Ich glaube, eine solche Lösung wäre verständlicher
als das bestehende komplizierte Regelwerk im Abgeord-
netengesetz. Denn bisher fragen immer wieder Kollegin-
nen und Kollegen bei den Parlamentarischen Geschäfts-
führungen nach – das ist bei Ihnen sicherlich nicht
anders –, was das Gesetz im Einzelfall für sie bedeutet.
Der einfache Abgeordnete weiß also nicht einmal selber,
wie das Gesetz auszulegen ist, weil es zu kompliziert ist.
Wie sollen die Menschen draußen im Lande das verste-
hen?

Ich glaube, dass das kein populistisches Argument ist.
Uns geht es vielmehr darum, offenzulegen, was wir für
die Altersversorgung zurücklegen. Das kann jeder nach-
vollziehen. Mit diesem Vorschlag als Alternative zum
bestehenden System sollte man sich meines Erachtens
ernsthaft beschäftigen.

Sie haben vorhin angesprochen, Herr Röttgen – die
Zahlen sind richtig –, dass Sie die Diäten in zwei Schrit-
ten um 4,7 Prozent und 4,48 Prozent erhöhen wollen.
Das sind keine dramatisch hohen Zahlen. Gleichzeitig
wird die Altersversorgung um 16,6 Prozent gesenkt.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Richtig!)


Nachdem Sie es für richtig gehalten haben, den Spiegel
noch vor den Oppositionsparteien über Ihre Vorschläge
zu informieren, war am Montag dieser Woche im Spiegel
in einer Überschrift zu lesen: „Diäten steigen kräftig,
Pensionen sinken leicht“.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612408100

Kollege Beck, Sie müssen bitte weitere Literaturemp-

fehlungen nachreichen und zu Ihrem letzten Satz kom-
men.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612408200

Das ist wunderbar. – Das zeigt zumindest, dass kein

Mensch versteht, was wir hier tun. Deshalb sollten wir
zu einem verständlicheren System kommen. Wir sollten
auch über die Doppelversorgung der Abgeordneten auf
der Regierungsbank reden. Ich kann nicht verstehen,
dass ein Bundesminister, der diesem Hohen Haus ange-
hört, sowohl die Abgeordnetenversorgung als auch die
Ministerversorgung bekommt,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


wenn auch nicht zu 100 Prozent; das wird verrechnet.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612408300

Kollege Beck, ich bitte Sie!


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612408400

Aber diese Doppelversorgung – auch darüber sollten

wir reden – muss meines Erachtens weg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612408500

Für die Fraktion der CDU/CSU hat nun der Kollege

Hartmut Koschyk das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1612408600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Unser Bundestagspräsident hat seit Beginn dieser Legis-
laturperiode die Vorsitzenden aller Fraktionen dieses
Hauses zweimal zu ausführlichen Gesprächen über die
Entwicklung der Abgeordnetenentschädigung, der Al-
tersversorgung der Abgeordneten und alle in diesem Zu-
sammenhang stehenden Fragen eingeladen. Die Koali-
tionsfraktionen haben bei diesen Gesprächen gespürt
– ich sage das sehr offen –, dass daraus kein gemeinsa-






(A) (C)



(B) (D)


Hartmut Koschyk
mer Vorschlag für das Hohe Haus erwächst. Deshalb ha-
ben die Koalitionsfraktionen sich auf den Vorschlag ver-
ständigt, der Ihnen heute vorliegt.

Lieber Herr Kollege Beck, ich darf Ihnen sagen, dass
selbstverständlich auch wir die Frage von Alternativen
in der Versorgung bis hin zu einem Versorgungswerk ge-
prüft haben. Wir haben einen solchen Vorschlag heute
aber auch deshalb nicht unterbreitet, weil wir meinen,
dass wir nicht auf der einen Seite Sonderversorgungssys-
teme in unserem Land schließen und auf der anderen
Seite ein Sonderversorgungswerk für Abgeordnete auf-
bauen können, für das am Ende der deutsche Steuerzah-
ler dasselbe aufwenden muss wie für die bisherige Ver-
sorgung der Abgeordneten. Letztendlich hat sich dann
nur die Technik, die Systematik verändert. Sie haben ja
ehrlicherweise gesagt, dass es Ihnen auch darum geht,
durch einen Systemwechsel die gleiche Versorgung zu
erreichen. Sorgen wir doch lieber, wie mit unserem Vor-
schlag, dafür, dass die Altersversorgung um 16 Prozent
sinkt und wir uns damit dem allgemeinen Trend der Ab-
senkung von Altersversorgungen anschließen!

Ich will etwas zu dem Thema Maßstab sagen. Wir
diskutieren – ich habe mir das extra noch einmal angese-
hen – seit 1977 über eine Bezugsgröße für die Abgeord-
netenentschädigung. Bereits damals wurde in den Debat-
ten auf Wahlbeamte von kommunalen Körperschaften
mittlerer Größe verwiesen. Wir haben 1994 beschlossen,
dass die Richtgröße B 6/R 6 ist, aber nicht, weil wir das
für die einzig wahre Bezugsgröße hielten. 1993 hat es
eine Kommission gegeben, geleitet vom damaligen Prä-
sidenten des Bundesarbeitsgerichtes, Professor Kissel.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was Ihnen die Koali-
tionsfraktionen heute vorschlagen, ist genau das, was die
Kissel-Kommission 1993 vorgeschlagen hat und was wir
1994 beschlossen haben.

In den letzten Jahren hat es gute Gründe dafür gege-
ben – die wirtschaftliche Situation unseres Landes, die
Arbeitsmarktsituation –, den Beschluss von 1994 nicht
zu verwirklichen. Aber ich meine, nun ist die Zeit ge-
kommen, dass der Deutsche Bundestag, nachdem er ein-
mal eine solche Richtgröße – Entschädigung eines Ober-
bürgermeisters einer mittleren Stadt, eines Landrates
eines mittleren Kreises in Deutschland – beschlossen
hat, dazu steht und das umsetzt. Deshalb sollten wir das,
was die Koalitionsfraktionen vorgelegt haben, in der Be-
ratung sachlich diskutieren.

Ich sage ganz offen: Wenn ich den Bürgerinnen und
Bürgern in meinem Wahlkreis, der eine Stadt und andert-
halb Landkreise umfasst, erkläre, dass ich es aufgrund
meiner Arbeit als direkt gewählter Abgeordneter für an-
gemessen halte, dass meine Bezüge auf dem gleichen
Niveau sind wie die des Oberbürgermeisters und der bei-
den Landräte, dann bin ich sicher, dass ich kein Problem
haben werde. Die Menschen werden meine Bezüge
ebenfalls für angemessen halten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir senken nun das Niveau der Altersversorgung und
führen die Rente mit 67 für Abgeordnete ein. Das ent-
spricht vielem, was der Bundestag längst beschlossen
hat. Wir sollten jetzt den Mut haben, endlich dazu zu ste-
hen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612408700

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/6924 und 16/5052 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Zusatzpunkte 15 a und 15 b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Neuregelung der Telekommu-
nikationsüberwachung und anderer ver-
deckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur
Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG

– Drucksache 16/5846 –

– Zweite und dritte Beratung des von den Ab-
geordneten Jerzy Montag, Hans-Christian
Ströbele, Wolfgang Wieland, weiteren Abge-
ordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Reform der Telekommunikati-

(… Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung)


– Drucksache 16/3827 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/6979 –

Berichterstattung:

(VillingenSchwenningen)

Joachim Stünker
Klaus Uwe Benneter
Jörg van Essen
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Jörg van Essen,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Mechthild
Dyckmans, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP

Reform der Telefonüberwachung zügig umset-
zen

– Drucksachen 16/1421, 16/6979 –

Berichterstattung:

(VillingenSchwenningen)

Joachim Stünker






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
Klaus Uwe Benneter
Jörg van Essen
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag

Zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Telekommuni-
kationsüberwachung und anderer verdeckter Ermitt-
lungsmaßnahmen, über den wir später namentlich
abstimmen werden, liegt ein Änderungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen sowie ein Entschließungs-
antrag der Fraktion der FDP vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundes-
ministerin der Justiz, Brigitte Zypries.


(Beifall bei der SPD)



Brigitte Zypries (SPD):
Rede ID: ID1612408800

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten
heute abschließend über zwei Gesetzentwürfe: zum ei-
nen über den Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Te-
lekommunikationsüberwachung und zum anderen über
den Entwurf eines Gesetzes, mit dem eine europäische
Richtlinie – Stichwort „Vorratsdatenspeicherung“ – um-
gesetzt werden soll. Im Hinblick auf die Redezeit haben
der Kollege Stünker und ich vereinbart, dass er zur Tele-
kommunikationsüberwachung redet und ich zur Vorrats-
datenspeicherung. Nicht, dass Sie sich wundern, warum
ich einen Teil in meiner Rede ausspare.

Das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung dient der
Umsetzung einer europäischen Richtlinie. Wie kam es
zu dieser europäischen Richtlinie? Nach den Attentaten
von Madrid wurde anhand von Handys, die man gefun-
den hatte, festgestellt, mit wem die Attentäter zuvor tele-
foniert hatten. Auf diese Weise konnte man andere aus
dem terroristischen Umfeld fangen, die an den Attenta-
ten beteiligt waren. Das war der Anlass für England,
Schweden, Frankreich und Irland, eine Initiative im Rat
zu starten mit dem Ziel, dass künftig in ganz Europa Ver-
bindungsdaten gespeichert werden.

Es ist also keineswegs so, dass Deutschland, wie Frau
Leutheusser-Schnarrenberger in einem Artikel der Stutt-
garter Zeitung heute behauptet, dieses Thema bei der
EU lanciert habe. Vielmehr haben die genannten Länder
massiv auf die Umsetzung ihrer Vorschläge gedrungen.
Diese sahen die Speicherung der Daten bis zu
36 Monaten vor, darunter die Daten jedes versuchten
Anrufes, der Bewegungsdaten beim Telefonieren mit
dem Handy sowie vieles andere. Der Antrag dieser Län-
der war in der dritten Säule. Das heißt, es musste Ein-
stimmigkeit herrschen.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu Recht in der dritten Säule!)


– Darüber wird der Europäische Gerichtshof entschei-
den, Herr Kollege Montag, und nicht Sie.

(Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD])


Deutschland hat sich ungefähr ein gutes Jahr lang
– und zwar allein auf weiter Flur – im Europäischen Rat
gegen diese weitgehenden Vorschläge der vier Staaten
ausgesprochen.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rot-Grün!)


Wir haben unter Rot-Grün, aber auch mit Unterstützung
des ganzen Deutschen Bundestages deutlich gemacht,
dass uns das viel zu weit geht. Wir haben in ausführli-
chen Gesprächen – auch mit Telekommunikationsunter-
nehmen – darauf hingewiesen, dass man allenfalls die
Daten speichern kann, die ohnehin beim Telefonieren er-
hoben und bereits zu Abrechnungszwecken gespeichert
werden. Wir Deutsche haben uns in Europa dafür einge-
setzt, die Richtlinie so zu formulieren, dass das möglich
ist.


(Beifall bei der SPD)


Ich möchte Sie bitten, das zur Kenntnis zu nehmen und
nicht zu behaupten, wir hätten auf europäischer Ebene
etwas lanciert, was wir jetzt umsetzen. Das ist völlig da-
neben.

Die Tatsache, dass die Iren gegen diese Richtlinie kla-
gen, heißt nicht, dass sie inhaltlich dagegen sind; sie wa-
ren ja Antragsteller. Das heißt nur, dass sie den System-
wechsel angreifen, den die Engländer während ihrer
Präsidentschaft durch die Überführung der Entscheidung
von der dritten in die erste Säule vorgenommen haben.
Die Engländer haben das getan, um eine Mehrheitsent-
scheidung herbeiführen zu können und damit Deutsch-
land als blockierendes Land auszubremsen und die
Macht Deutschlands zu beschränken. Es geht bei der
Klage nicht um den Inhalt der Richtlinie. Deswegen
kann man nicht glauben, dass der Europäische Gerichts-
hof über den Inhalt entscheiden wird. Da liegen Sie völ-
lig falsch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben erreicht, dass die Richtlinie ganz erheblich
entschärft wurde. Wir setzen jetzt diese Richtlinie, die
bei der Umsetzung einen gewissen Spielraum lässt, in
minimaler Weise um. Wir sehen von den möglichen
Speicherfristen die geringste Speicherfrist von sechs
Monaten vor, und wir orientieren uns auch an anderer
Stelle am geringsten Level. Frau Leutheusser, Sie haben
in Ihrem Interview mit der Berliner Zeitung behauptet,
dass wir mit diesem Gesetz dem Verfassungsschutz und
sonstigen Geheimdiensten Tür und Tor öffnen würden.
Das ist einfach nicht richtig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dieses Gesetz enthält überhaupt keine Regelungen über
künftige Kompetenzen der Geheimdienste. Dies muss in
einem anderen Gesetz geregelt werden. Damit wir uns
darüber klar sind: Aufgrund dieses Gesetzes ist kein Zu-
griff möglich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Brigitte Zypries
Aufgrund dieses Gesetzes bleibt es dabei, dass die
Daten gespeichert werden, die heute bereits zu Abrech-
nungszwecken drei Monate gespeichert werden. Die Da-
ten umfassen Angaben darüber, mit wem ich telefoniert
habe, wann ich telefoniert habe, wie lange das Gespräch
gedauert hat und wie teuer es war. Diese Daten, die für
Abrechnungszwecke gebraucht werden, werden gespei-
chert, nicht mehr und nicht weniger. Richtig ist, dass die
Daten künftig nicht drei Monate, wie es heute üblich ist,
sondern sechs Monate gespeichert werden. Richtig ist
ebenfalls, dass wir auch Daten speichern, die heute nicht
gespeichert, aber generiert werden. Es werden nur Daten
gespeichert, die ohnehin generiert werden; es müssen
keine zusätzlichen Daten generiert werden. Das heißt,
dass auch die Daten, die bei Nutzung einer Flatrate an-
fallen, gespeichert werden müssen. Insoweit ist das eine
Regelung, die über das, was heute möglich ist, hinaus-
geht, aber eben auch nur insoweit. Ich wäre dankbar,
wenn man diese Tatsache zur Kenntnis nehmen würde.

Mit der Erweiterung von Telekommunikationsüber-
wachungsmöglichkeiten hat die Regelung schon gar
nichts zu tun. Dass da ein großer Unterschied besteht,
wollen wir auch dadurch deutlich machen, dass zu den
beiden Gesetzen unterschiedliche Personen reden. Die
TKÜ-Novelle ist eine Novelle, die nur dazu führt, dass
die Rechte der deutschen Bundesbürgerinnen und Bun-
desbürger im Hinblick auf Datenüberwachung oder Ab-
hörmöglichkeiten verbessert werden. Sie werden über-
haupt nicht verschlechtert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Durch die einfache Speicherung der Vorratsdaten wird
auch nichts verschlechtert; denn es bleibt dabei, dass die
Daten nicht beim Staat, sondern wie heute bei den Tele-
kommunikationsunternehmen gespeichert werden. Es
bleibt dabei: Einen Zugriff auf diese Daten kann es nur
geben, wenn man den Verdacht auf eine erhebliche
Straftat hat und ein richterlicher Beschluss vorliegt. Es
kann nicht willkürlich auf Daten zugegriffen werden.
Deswegen sind die Beispiele aus den genannten Inter-
views falsch.

Ich wäre dankbar, wenn Sie diesen Unterschied zur
Kenntnis nähmen und helfen würden, auch in der öffent-
lichen Kommunikation deutlich zu machen, dass wir
nicht auf dem Weg in einen Überwachungsstaat sind,
sondern dass wir die Voraussetzungen dafür schaffen,
dass schwerste Kriminalität, terroristische Taten und or-
ganisierte Kriminalität wirksam bekämpft werden kön-
nen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612408900

Das Wort hat jetzt der Kollege Jörg van Essen für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1612409000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

sprechen heute über zwei Themenfelder: erstens über die
Telekommunikationsüberwachung und zweitens über
die Vorratsdatenspeicherung. Gerade die Telekommuni-
kationsüberwachung ist ein Thema, das mich seit mei-
nem Eintritt in den Deutschen Bundestag beschäftigt.
Ich bin derjenige gewesen, der Jahr für Jahr die Überwa-
chungszahlen abgefragt hat, weil diese Zahlen sonst
nicht errechnet worden wären. Das ärgert mich; denn die
Parlamente müssen natürlich wissen, ob sie gegebenen-
falls eingreifen müssen.

Das Ergebnis der Berichte, nach denen ich bei der
Bundesregierung gefragt habe, war, dass wir von Jahr zu
Jahr erhebliche Steigerungsraten hatten. Im letzten Jahr
hat es – Gott sei Dank; auch das darf man hier sagen –
zum ersten Mal einen Rückgang gegeben. Ich finde, dass
sich ein Parlament damit beschäftigen muss, warum es
diesen Anstieg gab. Das ist erklärungsbedürftig. Es be-
deutet nämlich einen ganz erheblichen Eingriff in die In-
timsphäre eines Bürgers, wenn Telefonate abgehört wer-
den.

Die parlamentarischen Beratungen in der Vergangen-
heit haben deutlich gemacht, dass es Verbesserungsbe-
darf gab, insbesondere bei den Verfahrenssicherungen.
Deshalb will ich zunächst zu dem aus meiner Sicht einzi-
gen positiven Punkt kommen: Bei den Verfahrenssiche-
rungen gibt es eindeutig Fortschritte. Das will ich als
Vertreter der Opposition ausdrücklich anerkennen.

Es gibt aber auch heftige und, wie ich finde, berech-
tigte Kritik. Insbesondere für Berufsgruppen, die be-
wusst geschützt werden müssen, gibt es Regelungen, die
nicht nachvollziehbar sind. Absolut geschützt sind nur
Geistliche, Verteidiger und Abgeordnete.


(Zurufe des Abg. Siegfried Kauder [VillingenSchwenningen] [CDU/CSU] und des Abg. Joachim Stünker [SPD])


– Sie können gleich dazu Stellung nehmen. – Wie absurd
das Ganze ist, können wir gerade bei dem Beruf des Ver-
teidigers erleben. Viele Beratungen finden zunächst ein-
mal nicht unter dem Aspekt des Strafrechts, also der Ver-
teidigung, statt. Deshalb kann man vieles gar nicht
vorhersehen; die Entwicklung kann sich sehr schnell
wandeln. Daher ist die Kritik, die insbesondere von den
entsprechenden Verbänden geübt wird, absolut berech-
tigt; sie findet ausdrücklich unsere Unterstützung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Anwälte, Ärzte und viele andere Berufsgruppen haben
berechtigterweise Sorgen. In Zukunft findet eine Ver-
hältnismäßigkeitsprüfung statt. Keiner kann mehr sicher
sein, dass das Vertrauensverhältnis, das gegenüber einem
Arzt, einem Rechtsanwalt oder anderen bestehen muss,
nicht in Gefahr gerät.


(Joachim Stünker [SPD]: Und wie ist das heute?)







(A) (C)



(B) (D)


Jörg van Essen
Wir haben genauso heftige und, wie ich gleich darle-
gen werde, berechtigte Kritik an der Vorratsdatenspei-
cherung. Es mangelt doch bereits an einer wirklich
tragfähigen Grundlage, Frau Ministerin. Sie haben dar-
gestellt, wie es zu der EU-Richtlinie gekommen ist. Das
ändert aber nichts daran, dass Irland berechtigterweise
den Europäischen Gerichtshof angerufen hat. Ich weiß,
wie das Urteil aussehen wird. Wer das Urteil zu der
Fluggastdatenspeicherung gelesen hat, weiß, zu wel-
chem Urteil es hier kommen wird. Sie hätten warten
müssen, bis dieses Urteil vorliegt.

Die Bundeskanzlerin hat zu Beginn der Legislaturpe-
riode das Versprechen gegeben, dass EU-Richtlinien in
Zukunft nur noch eins zu eins umgesetzt werden. Dieses
Versprechen ist erneut gebrochen worden. Das ärgert
uns.


(Beifall bei der FDP)


Diese Richtlinie gibt vor, Regelungen zum Umgang mit
schweren Straftaten zu treffen. Sie haben den Umfang
der Regelungen auf erhebliche Straftaten, auf Straftaten,
die mit Telekommunikation zu tun haben, erweitert. Da-
mit gehen Sie weit über die EU-Richtlinie hinaus.

Uns macht die anlass- und verdachtslose Speicherung
von Daten von Bürgern am meisten Sorgen. Bürger wer-
den unter Generalverdacht gestellt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Das ist ein klarer und eindeutiger Verstoß gegen das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Ich bin
deshalb sehr froh, dass mehrere Kollegen meiner Frak-
tion prüfen, ob es sinnvoll ist, das Bundesverfassungsge-
richt anzurufen. Ich bin sicher, dass sie das tun werden,
und ich bin genauso sicher, dass sie ausgesprochen gute
Chancen haben, zu erleben, dass das Bundesverfas-
sungsgericht dieses Gesetz kippt. Es muss gekippt wer-
den.

Frau Ministerin, ich erinnere daran, dass der Bundes-
tag Sie mit den Stimmen aller Fraktionen ausdrücklich
aufgefordert hat, einer solchen Vorratsdatenspeicherung
nicht zuzustimmen.


(Beifall des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir erleben heute eine klare und eindeutige Missachtung
des Deutschen Bundestages. Das ist für uns nicht akzep-
tabel.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Die Entscheidung meiner Fraktion ist unzweideutig:
Wir lehnen Ihre Vorschläge heute hier ab.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612409100

Das Wort hat der Kollege Siegfried Kauder von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Jetzt kommt wieder Sachkunde in die Debatte!)


Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/
CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!
Wer im Zusammenhang mit dem Entwurf eines Gesetzes
zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung
und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie
zur Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspei-
cherung das Schreckgespenst eines Orwell’schen Über-
wachungsstaates an die Wand malt, der zündelt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Er zündelt in einem hochsensiblen Bereich und versucht,
das Vertrauen der Bevölkerung in staatliches Handeln zu
unterminieren. Er zündelt im Bereich der inneren Sicher-
heit sowohl am Ende der Prävention als auch am Ende
der Repression. Das dürfen wir nicht zulassen.

Wie ist denn die augenblickliche Gesetzeslage? Es
geht bei diesem Gesetzentwurf nicht um den Großen
Lauschangriff; den haben wir schon in der Strafprozess-
ordnung. Es geht nicht um das Abhören von Telekom-
munikationsinhalten; das haben wir schon. Es geht um
das Abgreifen von Übermittlungsdaten, sogenannten
Verkehrsdaten. Herr Kollege Ströbele, auch das haben
wir schon in § 100 g und § 100 h der Strafprozessord-
nung.

Genau bei diesen beiden Vorschriften bestand Hand-
lungsbedarf; denn diese beiden Paragrafen laufen zum
31. Dezember 2007 aus. Hätte die Bundesregierung
nicht reagiert, würde das bedeuten, dass wir Verkehrsda-
ten ab dem 1. Januar 2008 überhaupt nicht mehr abfra-
gen dürfen. Das ist unter dem Gesichtspunkt der inneren
Sicherheit ganz und gar nicht vertretbar.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Bundesregierung ist über das, was man aus ge-
setzgeberischer Sicht dringend tun musste, hinausgegan-
gen, aber nicht, um in die Rechte unbescholtener Bürger
einzugreifen, sondern um den achten Abschnitt des ers-
ten Buches der Strafprozessordnung neu zu ordnen. Das
war auch geboten. Fachkundige können sich den gelten-
den § 100 h der Strafprozessordung gern einmal an-
schauen. Im ersten Absatz gibt es eine Verweisungskette,
die keiner nachvollziehen kann. Im zweiten Absatz ist
etwas enthalten, das viele übersehen, nämlich der Schutz
von Berufsgeheimnisträgern. Schauen Sie sich § 100 h
Abs. 2 StPO einmal genau an! Die nichtprivilegierten
Berufsgeheimnisträger sind dort überhaupt nicht ge-
schützt.


(Joachim Stünker [SPD]: Richtig!)







(A) (C)



(B) (D)


Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)

Dieses Gesetz wird also zu einer Verbesserung der
Rechte der Berufsgeheimnisträger führen und nicht zu
einer Verschlechterung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Man wird es der Bundesregierung nicht verübeln kön-
nen, dass sie die neueste Rechtsprechung des Bundes-
verfassungsgerichts zum Schutz des höchstpersönlichen
Lebensbereichs mit eingebunden hat, enthalten in
§ 100 a Abs. 4 des Gesetzentwurfes. Dem wird sich
wohl keiner verwehren können.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Placeboregelung! Die hat keinerlei Wirkung!)


Streit ist bei der Frage entstanden, ob es zwei unter-
schiedliche Gruppen von Berufsgeheimnisträgern geben
darf oder nicht. Ich wiederhole es: Diese Unterscheidung
gibt es schon nach jetzigem Recht. Ich erlaube mir, auf
eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im
107. Band der amtlichen Sammlung auf Seite 299 hinzu-
weisen. Es ging um einen Fall, in dem ein Terrorist mit
sechs Tatgenossen einen Anschlag auf die OPEC-Konfe-
renz in Wien im Jahr 1975 verübt hat. Drei Menschen
wurden getötet, 70 wurden als Geisel genommen. Die
Ermittlungsbehörden hatten die begründete Vermutung,
dieser Top-Terrorist aus Deutschland habe sich ins Aus-
land abgesetzt und halte Kontakt zu einer Journalistin ei-
nes großen Magazins in Deutschland. Dann wurden Ver-
bindungsdaten erhoben. Diese Erhebung hat dazu
geführt, dass man diesen Top-Terroristen festnehmen
konnte und, obwohl er von der Kronzeugenregelung Ge-
brauch gemacht hat, zu neun Jahren Freiheitsstrafe ver-
urteilen konnte. – Genau diesen Zustand wollen wir bei-
behalten. Das Bundesverfassungsgericht hat bestätigt,
dass Drittbetroffene in solchen gravierenden Fällen ab-
gehört werden dürfen und dass Verbindungsdaten erho-
ben werden dürfen. Das soll auch so bleiben.

Natürlich soll es auch den Schutz von nichtprivile-
gierten Berufsgeheimnisträgern wie Ärzten, Anwälten
und Journalisten geben. Das Bundesverfassungsgericht
sieht vor, dass in solchen Fällen ein Abwägungsprozess
stattzufinden hat; genau das ist im neuen § 160 a des
Entwurfes zur Änderung der Strafprozessordnung vorge-
sehen, nichts anderes.

Nun kann man sich darüber aufregen, dass Verteidiger
gegenüber Anwälten, Abgeordnete gegenüber Ärzten
und Geistliche gegenüber Journalisten privilegiert sind;
denn bei den jeweils zuerst Genannten besteht jeweils
ein absolutes Beweisverwertungsverbot. Das ist aber
verfassungsrechtlich nun einmal so vorgegeben.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn?)


Man muss von unten anfangen zu argumentieren: Bei
den Ärzten, Anwälten und Journalisten ist es verfas-
sungsrechtlich nicht geboten. Die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts im 107. Band auf Seite 299
hat das glasklar zum Ausdruck gebracht. Bei den ande-
ren drei Berufsgruppen ist es zwingend vorgeschrieben.
Genau diese Vorgaben berücksichtigt der Gesetzent-
wurf. Deswegen gibt es daran überhaupt nichts zu kriti-
sieren. Es wird keinen Überwachungsstaat geben, um
das klar zum Ausdruck zu bringen.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach nee!)


Wir wollen keinen gläsernen Menschen, wir wollen ei-
nen gläsernen Verbrecher. Daran werden wir festhalten.
Um nichts anderes geht es bei diesem Entwurf.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt Populismus!)


Man darf nicht den Eindruck erwecken, als würden
wir flächendeckend Daten erheben. Um was geht es
denn bei der Vorratsdatenspeicherung? Es geht darum,
dass Sinn und Zweck eines ohnehin schon bestehenden
Zustands anders gelagert werden. Schauen Sie in § 100 g
der Strafprozessordnung im derzeitigen Zustand! Er be-
sagt, dass man Verbindungsdaten für Zwecke der poli-
zeilichen Ermittlung erheben darf.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nur bei einem bestimmten Verdacht!)


Wer den dritten Satz des ersten Absatzes des § 100 g
liest und versteht, der wird sehr schnell feststellen, dass
man auch zukünftig anfallende Verbindungsdaten ab-
greifen darf.

Was ändert sich mit dem Gesetzentwurf an der jetzi-
gen Gesetzeslage? Nichts Wesentliches.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen es besser!)


Der einzige technische Unterschied ist, dass Telekom-
munikationsunternehmen die Daten nicht mehr freiwillig
speichern, sondern dass sie gesetzlich dazu aufgerufen
werden.


(Joachim Stünker [SPD]: Verpflichtet! – HansChristian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu einem anderen Zweck!)


Der Staat darf aber auf diese gespeicherten Daten nicht
willkürlich zugreifen, sondern nur bei erheblicher Kri-
minalität und nur dann, wenn der Richter es bewilligt.
Das sind genau die Vorgaben, die das Bundesverfas-
sungsgericht gemacht hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen, Herr Kollege van Essen, habe ich keine gro-
ßen Sorgen, dass dieses Gesetz vor dem Bundesverfas-
sungsgericht nicht standhält. Im Übrigen dürfen wir
nicht immer wie das Kaninchen vor der Schlange vor
verfassungsgerichtlichen Entscheidungen stehen, die
noch gar nicht gefallen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Jürgen Gehb [CDU/ CSU]: So ist das! Wir sind der Gesetzgeber!)







(A) (C)



(B) (D)


Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)

Natürlich dürfen wir uns nur im grundrechtlich zuläs-
sigen Rahmen bewegen. Darüber haben wir uns lange
Gedanken gemacht. Die Pressefreiheit ist zu wahren.
Um auch das klar zu sagen: Journalisten verbessern sich
gegenüber dem bestehenden Zustand ganz deutlich. Wir
legen im neuen Abs. 3 des § 108 der Strafprozessord-
nung fest, dass die Verwertung von Zufallsfunden bei
Journalisten nur in deutlich eingeschränktem Maße zu-
lässig ist.


(Daniela Raab [CDU/CSU]: So ist es!)


Kommen die Ermittlungsbehörden im Rahmen einer
Hausdurchsuchung in eine Redaktion, dürfen sie etwas,
was sie zufällig finden und sich auf § 353 b des Strafge-
setzbuches, also auf Geheimnisverrat, bezieht, nicht ver-
werten; da wird eine Sperre eingebaut.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur zu Beweiszwecken nicht!)


– Zu Beweiszwecken, Herr Kollege Montag. – Die Jour-
nalisten verbessern sich also deutlich in ihrer Position.
Sie sind damit – wir haben mit ihnen gesprochen – ei-
gentlich auch zufrieden.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit wem haben Sie denn da gesprochen?)


Sie sehen also, dass wir berechtigte Interessen sehr
wohl berücksichtigen. Populismus werden wir aber nicht
unterstützen.

Wer innere Sicherheit in diesem Lande will, wer will,
dass Menschen sicher und in Freiheit leben, der darf
nicht nur auf Freiheitsrechte schauen, sondern der muss
sich dessen bewusst sein, dass wir einen von der Verfas-
sung gegebenen Auftrag haben, die innere Sicherheit zu
schützen. Daran werden wir festhalten. Deswegen bitte
ich alle, die diesem Ziel folgen, dem Gesetzentwurf zu-
zustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612409200

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der

Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der
FDP-Fraktion.


(Joachim Stünker [SPD]: Warum darf die das?)



Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1612409300

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Ich bin in der Debatte angesprochen worden und
möchte die Gelegenheit nutzen, etwas zu ergänzen zu
den Ausführungen meines Fraktionskollegen van Essen,
der die Kernpunkte unserer Kritik richtig benannt hat,
aber auch die Punkte angesprochen hat, die wir für eine
Verbesserung halten, wie wir es auch im Ausschuss ge-
sagt haben. Wir setzen uns mit diesem umfangreichen
Gesetzgebungsvorhaben also sehr konstruktiv auseinan-
der.

(Joachim Stünker [SPD]: Na, na!)


Dabei muss auf manche Bestimmungen hingewiesen
werden, die bisher nicht so sehr im Fokus der Debatte
standen, die aber große Besorgnis im Hinblick auf die
Bestandskraft der Regelungen rechtfertigen.

Sie ändern mit diesem Gesetzentwurf nicht die Kom-
petenzen von Bundesnachrichtendienst, Verfassungs-
schutz und Militärischem Abschirmdienst, aber Sie neh-
men im neuen § 113 b Telekommunikationsgesetz
ausdrücklich Regelungen auf, wonach die Verpflichteten
die Daten, die pauschal von jedem gespeichert werden,
der telefoniert, surft oder mailt, auf Anforderung an Ver-
fassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Militäri-
schen Abschirmdienst – im Rahmen der Kompetenzauf-
gaben – herausgeben dürfen. Nach der Richtlinie wäre
das nicht geboten gewesen. Hier geht man deutlich über
die Richtlinie hinaus. Warum gibt es überhaupt diese
Verpflichtung der Diensteanbieter, in der Weitergabe der
Daten viel weiter zu gehen?

Nicht die Inhalte werden gespeichert; das sagen auch
wir bei jeder Gelegenheit. Aber alle Telekommunika-
tionsverbindungsdaten werden gespeichert. Das ist mehr,
als derzeit zu Abrechnungszwecken gespeichert wird.
Dass man aus diesen Daten, aus allen Telefonnummern,
aus dem Zeitpunkt der Verbindung und aus allen IP-
Nummern, sehr wohl nachvollziehen kann, wie das Tele-
kommunikationsverhalten eines Bürgers bzw. einer Bür-
gerin aussieht, ist absolut unstreitig. Dass aufgrund des-
sen Profile erstellt werden können, ist vollkommen
unstreitig. Genau das ist datenschutzrechtlich relevant.


(Joachim Stünker [SPD]: Das geht doch gar nicht! Das ist Volksverdummung, was Sie machen!)


– Das ist keine Volksverdummung, sondern das Rekur-
rieren auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungs-
gerichtes.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Denn das Bundesverfassungsgericht sagt: Schon die Er-
hebung und Speicherung dieser Daten sind grundrechts-
relevant.

Ihr Hinweis, Frau Ministerin, wie heute in einem In-
terview von Ihnen zu lesen ist, dass das Recht auf infor-
mationelle Selbstbestimmung durch die Benachrichti-
gung der Bürgerinnen und Bürger gewährleistet wird,
reicht hier eben nicht aus.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das ist doch eine Kurzintervention, oder?)


Ich denke, das zu sagen, gehört zu dieser Debatte.


(Beifall bei der FDP, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612409400

Zur Erwiderung Herr Kauder.






(A) (C)



(B) (D)

Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/
CSU):

Es war schon bemerkenswert, was Frau Kollegin
Leutheusser-Schnarrenberger von sich gegeben hat.
Kein Wort zum Interesse und zu der Aufgabe des Staa-
tes, die innere Sicherheit zu wahren!


(Zurufe von der FDP: Oh!)


Sind wir nicht aufgerufen, schwere und schwer zu ermit-
telnde Straftaten aufzuklären? Darauf hat die Bevölke-
rung einen Anspruch. Auch das ergibt sich aus der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in meh-
reren, wenn nicht gar zahlreichen Urteilen. Es fällt auf,
dass darauf hinzuweisen Sie tunlichst unterlassen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612409500

Das Wort hat jetzt der Kollege Jan Korte von der

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612409600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu-

erst einmal möchte ich feststellen, dass es grundsätzlich
sinnvoll ist, eine Gesamtregelung für alle im Bereich der
Telekommunikation bestehenden Maßnahmen zu schaf-
fen; darin sind wir uns, glaube ich, einig. Allerdings
wird Sie nicht überraschen, dass wir die gesamte Stoß-
richtung für nicht richtig halten.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Ich will das an zwei Punkten verdeutlichen. Der eine
Punkt ist der Schutz des Kernbereichs; er ist angespro-
chen worden. Ich möchte noch einmal für alle deutlich
machen: Das ist der Raum, wo Menschen völlig unge-
stört und unbeobachtet, zum Beispiel im Schlafzimmer
oder in intimsten Gesprächen im engen Familienkreis,
kommunizieren. In dem Gesetzentwurf, der heute vor-
liegt, steht zum Schutz dieses Kernbereichs, dass eine
Überwachungsmaßnahme dann unzulässig ist, wenn
– ich zitiere – „allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich
privater Lebensgestaltung erlangt würden“. Das ist das
entscheidende Problem. Die Telekommunikation bzw.
die Kommunikation zwischen Menschen läuft doch
nicht nach einer bestimmten Tagesordnung ab, nach dem
Motto: Von 10.00 bis 10.15 Uhr rede ich über intime An-
gelegenheiten des Kernbereichs und von 10.20 bis
10.30 Uhr über eventuelle terroristische Aktivitäten. So
funktioniert es nicht. Das ist das Problem an dieser
Stelle.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Lachen des Abg. Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU])


– So funktioniert nun einmal Kommunikation.

Der zweite Punkt ist die Vorratsdatenspeicherung, die
nicht nur uns, die Opposition, sondern auch viele andere
Menschen und Organisationen in diesem Land bewegt.
Es sollte noch einmal deutlich gemacht werden, worum
es dabei geht. Per Gesetz – das ist die Neuerung, also
verpflichtend – werden die Telekommunikationsunter-
nehmen verpflichtet, Verbindungsdaten sechs Monate
lang auf Vorrat zu speichern. Ganz konkret bedeutet
dies, dass es möglich ist, nachzuvollziehen, wer mit
wem in den letzten sechs Monaten wie lange und von wo
aus per Telefon, Handy, SMS oder E-Mail in Verbindung
stand. „Vorratsdatenspeicherung“ ist in diesem Zusam-
menhang vielleicht nicht der politisch absolut treffliche
Begriff. Trefflicher müsste es vielmehr heißen: Wir ha-
ben es hier mit einer Totalregistrierung von menschli-
chem Kommunikationsverhalten zu tun. – Das ist der
Kern, um den es heute geht.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Wir beschließen heute, wie ich finde, viel zu kurz und
viel zu fahrlässig mal eben schnell einen Paradigmen-
wechsel. Dieser besteht darin, dass ab 2008 das Tele-
kommunikationsverhalten von 80 Millionen Menschen
in der Bundesrepublik auf Vorrat gespeichert wird, und
zwar ohne jeden Verdacht und ohne jeden Anlass. Statt
Datensparsamkeit exorbitante Datensammelwut!

Die Bundesregierung geht sehr wohl über die EU-
Richtlinie hinaus; das ist hier bereits angesprochen wor-
den. Denn in der Richtlinie heißt es, die Speicherung
diene „zum Zwecke der Ermittlung, Feststellung und
Verfolgung von schweren Straftaten“.

Bei der Bundesregierung soll der Zugriff bei erhebli-
chen Straftaten und bei einer „mittels Telekommunika-
tion“ begangenen Straftat geregelt werden. So steht das
dort drin. Das beinhaltet beispielsweise auch eine Belei-
digung am Telefon oder das illegale Herunterladen von
Klingeltönen oder was auch immer. Das ist die Logik da-
von.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das ist Ihre Logik!)


Deswegen ist es heute ein ganz trauriger Tag für die De-
mokratie, wenn das hier umgesetzt wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Man muss sich auch darüber im Klaren sein, was das
für die Menschen praktisch bedeutet. Erstens werden sie
ihr Kommunikationsverhalten ändern. Sie werden versu-
chen, unauffällig zu kommunizieren, und sich anpassen.
Wir als Linke wollen das Gegenteil, dass sie unangepasst
und frei kommunizieren können.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens ist das ein Eingriff in die Pressefreiheit; das
ist hier schon angesprochen worden. Nicht nur wir, son-
dern sämtliche Journalistenverbände und viele andere
sagen, dass dies einer der größten Eingriffe in die Pres-
sefreiheit ist.


(Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht! Sehen Sie einmal in das Gesetz!)







(A) (C)



(B) (D)


Jan Korte
Erfahrungen aus Belgien zeigen ganz deutlich, dass nach
der Einführung der Vorratsdatenspeicherung Kontakte
zwischen Informanten und Journalisten ein Ende gefun-
den haben. Das ist in Belgien nachweislich der Fall ge-
wesen.

Im Zusammenhang mit den Datenmengen erinnere
ich an die Debatten über die Mautdaten und daran, wel-
che Begehrlichkeiten dort geweckt wurden. Bei den
gigantischen Datenmengen, die hier gesammelt werden,
sind der Missbrauch und das Wecken von Begehrlichkei-
ten schon vorprogrammiert.


(Beifall bei der LINKEN)


Nun noch ein Wort an die Kolleginnen und Kollegen
der SPD: Auf Ihrem Hamburger SPD-Parteitag heißt es
in Ihrem Beschluss zur Innenpolitik: „Die SPD ist die
Partei der Bürgerrechte und der rechtsstaatlichen Terror-
bekämpfung.“ Wenn dies wirklich ernst gemeint ist,
wäre es an der Zeit, eine Kurskorrektur vorzunehmen
und der Vorratsdatenspeicherung hier heute nicht zuzu-
stimmen. Dazu fordern wir Sie auf.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke hat in den letzten Monaten die vielfältigen
Protest- und Widerstandsaktionen in diesem Lande un-
terstützt. Wir freuen uns, dass bereits über 7 000 Men-
schen dieses Landes Vollmachten für eine Verfassungs-
beschwerde eingereicht haben. Ich finde, es ist ein gutes
Zeichen für die Demokratie, dass sich die Leute zusam-
menschließen und ihre Rechte wahrnehmen. Wir unter-
stützen das ganz deutlich.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich glaube, dass es heute wirklich Zeit ist – das muss das
Signal in die Öffentlichkeit sein, auch wenn dieser Ge-
setzentwurf heute von Ihnen beschlossen werden sollte –
für eine neue, energische und freche Bürgerrechtsbewe-
gung. Dafür gibt es gute relevante Indikatoren. Denn ei-
nen Staat, den Sie in Richtung Überwachung dirigieren
wollen, möchten wir nicht und möchten ganz viele an-
dere in diesem Lande auch nicht.

Schönen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612409700

Das Wort hat der Kollege Jerzy Montag vom Bündnis

90/Die Grünen.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612409800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute ist

ein schwarzer Tag für die Bürgerrechte in der Bundesre-
publik Deutschland – ein tiefschwarzer Tag!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wie schwarz dieser Tag für die Bürgerrechte in Deutsch-
land ist, können Sie dieser deutschen Zeitung entneh-
men: Meine Damen und Herren, hier in meiner Hand se-
hen Sie den Donaukurier aus Bayern, eine konservative
Zeitung. Ich nehme die Chefredaktion und den Verleger
ausdrücklich vor dem Vorwurf in Schutz, sie seien Zünd-
ler, wenn sie in dieser Woche in dieser Zeitung schrei-
ben: Wir wehren uns gegen die Einschränkungen von
Grundrechten und der Pressefreiheit in der Bundesrepu-
blik Deutschland.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)


Die Zeitungsverleger in Land und Bund sind keine
Zündler. Aber sie sind gegen Ihr Gesetz.


(Abg. Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612409900

Herr Kollege Montag, erlauben Sie eine Zwischen-

frage?


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612410000

Nein, ich möchte keine Zwischenfragen beantworten.


(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD)


Bei einer Redezeit von fünf Minuten will ich das nicht.

Die Bundesrechtsanwaltskammer gehört nicht zu den
Zündlern in diesem Lande, die Bundesärztekammer und
der Bundeshebammenverband auch nicht. Ich komme
auf die Hebammen noch zurück. Ich nehme mir hier aus-
drücklich das Recht heraus, zu sagen: Es steht Ihnen
nicht an, die Bürgerinnen und Bürger, die sich Sorgen
um ihr Land machen, als „Zündler“ zu beschimpfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)


Ich will die Kritik beim Namen nennen. Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen von der SPD, erinnern Sie sich
noch an Ihren hochverehrten Kollegen Hermann
Bachmaier?


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist ein ernstzunehmender, nachdenklicher Rechtspo-
litiker, mit dem wir hier viele Jahre gemeinsam gearbei-
tet haben. Er hat sich die Freiheit genommen, Ihnen zu
sagen – das steht in der Süddeutschen Zeitung in dieser
Woche –, die Große Koalition wahrt nicht den Berufsge-
heimnisschutz in der Bundesrepublik, sondern begeht,
wie er schreibt, „Geheimnisverrat per Gesetz“. Das sa-
gen nicht wir Grünen oder irgendwelche Radikalinskis,
sondern das sagen die, die Sie als „Zündler“ bezeichnen,
das ist Ihr ehemaliger Bundestagsabgeordneter Bach-
maier.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Hier wurde behauptet, dass diejenigen, die vom Über-
wachungsstaat reden, „Zündler“ seien. In Richtung
Union sage ich: Ich erinnere Sie an den Verfassungsrich-
ter Udo di Fabio. Udo di Fabio ist ein Konservativer. Er
hat Ihnen am Dienstag dieser Woche ins Stammbuch ge-






(A) (C)



(B) (D)


Jerzy Montag
schrieben – ich zitiere wörtlich –: Die Bürger wollen
nicht den totalen Überwachungsstaat. – Das sind nicht
meine Worte, sondern die Worte eines amtierenden Ver-
fassungsrichters in diesem Land. Das Wort vom totalen
Überwachungsstaat ist gegen Sie gerichtet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Die Bundesjustizministerin hat vor einigen Tagen ein
Interview gegeben und sich dabei darüber mokiert, dass
die Kritiker des heutigen Gesetzentwurfs von wenig
Sachkunde beleckt seien. Ich muss und will in aller
Deutlichkeit sagen, alle Punkte, die von der Bundesjus-
tizministerin in diesem Interview zur Verteidigung die-
ses Gesetzes vorgebracht wurden – zum Teil tauchten sie
in ihrer heutigen Rede auf –, sind in der Sache falsch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie hat gesagt, der Straftatenkatalog des § 100 a StPO
würde von Ihnen entrümpelt. Nein, Sie machen ihn zur
Hydra: Sie haben einen Kopf abgeschnitten und fünf
weitere hinzugefügt. Die Ministerin hat gesagt, nach ih-
rem Gesetz könnte man nur noch abhören, wenn eine
Freiheitsstrafe von ein bis fünf Jahren droht. Falsch, Sie
schlagen vor, dass man selbst bei Straftatbeständen, bei
denen nur eine Geldstrafe inmitten steht, abhören kann.


(Jörg van Essen [FDP]: So ist es!)


Die Bundesjustizministerin hat gesagt, dass Gesprä-
che im Kernbereich nicht abgehört werden dürfen.
Falsch, die Praxis des Gesetzes, das Sie vorschlagen, ist
anders: Nur dann, wenn die Polizei von vorneherein
sagt, allein zum Kernbereich würde gesprochen, darf
nicht abgehört werden. So etwas ist – das wissen Sie –
nie möglich. Gespräche zwischen Menschen umfassen
immer verschiedenartige Gesprächsinhalte. Das bedeu-
tet, dass Sie mittels dieses Gesetzes immer abhören wol-
len.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Mechthild Dyckmans [FDP])


Sie halten das Zweiklassenrecht, das Recht der Be-
rufsgeheimnisträger, das wir haben, aufrecht. Durch die
Ergänzungsanträge dieser Woche haben Sie das noch
verschlimmert.


(Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] [CDU/CSU]: Das ist nicht wahr!)


Zur Vorratsdatenspeicherung will ich Folgendes sa-
gen: Frau Ministerin, Sie machen mehr, als Sie müssen.
Sie benutzen diese Datei nicht nur zum Kampf gegen
den Terror, sondern auch bei einfachen Straftaten.


(Daniela Raab [CDU/CSU]: Zehn Minuten oder fünf Minuten?)


Das, was Sie machen, ist der erste Schritt. Im zweiten
Schritt werden die Daten auch den Geheimdiensten zur
Verfügung gestellt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612410100

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612410200

Ich komme zum Schluss.

Ich möchte noch einmal daran erinnern, dass der Ver-
leger und die Chefredaktion des Donaukuriers geschrie-
ben haben: – –


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612410300

Herr Kollege Montag, bitte.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612410400

Ich komme zum Ende.

Lassen Sie sich keine weiteren Eingriffe in die de-
mokratischen Grundrechte bieten.

Ich habe Hochachtung vor diesen Journalisten.

Ich sage für meine Fraktion, die Grünen: Wir werden
all diejenigen unterstützen, die sich gegen dieses Gesetz
zur Wehr setzen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612410500

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem

Kollegen Siegfried Kauder von der CDU/CSU-Fraktion.

Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/
CSU):

Kollege Montag hat versucht, den Eindruck zu erwe-
cken, als würde dieser Gesetzentwurf die Rechte von
Journalisten verschlechtern.


(Dirk Niebel [FDP]: Das hat er sogar geschafft!)


Hätte er mir doch nur zugehört! Habe ich nicht aus-
drücklich auf § 100 h Abs. 2 der Strafprozessordnung
hingewiesen? Schon nach jetzigem Recht dürfen Ver-
kehrsdaten zu Ermittlungszwecken abgegriffen werden.
Nach bisherigem Recht haben Journalisten überhaupt
keinen Schutz. Den haben wir erst durch diesen Gesetz-
entwurf in § 160 a der Strafprozessordnung eingefügt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir verbessern den Schutz der Journalisten beim Zu-
fallsfund.

Das, was Sie heute getan haben, Herr Kollege
Montag, ist nicht das, was ich von Ihnen im Ausschuss
gewohnt bin. Das ist keine sachliche Politik, sondern
blinder Populismus. Schade drum.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612410600

Zur Erwiderung, Herr Montag.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612410700

Herr Präsident! Herr Kollege Kauder, Sie wissen ja

– das haben Sie zu Recht erwähnt –, dass ich mich um
eine sachliche Diskussion bemühe,


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Gelingt nicht!)







(A) (C)



(B) (D)


Jerzy Montag
wo sie möglich ist. Deswegen habe ich ganz bewusst in
der heutigen Debatte in weiten Teilen meiner kurzen
fünfminütigen Rede andere zu Wort kommen lassen, wie
zum Beispiel die Konservativen aus Bayern und den
konservativen Verfassungsrichter, der vom totalen Über-
wachungsstaat spricht, in den Sie uns mit diesem Gesetz
führen.

Hinsichtlich der Journalisten gestehe ich zu – Sie ge-
ben mir die Gelegenheit, das jetzt zu tun, also mache ich
es –: In einigen Einzelheiten birgt der Gesetzentwurf
Vorteile.


(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Aha!)


– Wenn man eine rationale Debatte führt, dann finden
Sie auch das verkehrt.

Ich sage Ihnen: In einigen Kleinigkeiten gibt es in
diesem Gesetzentwurf natürlich Verbesserungen gegen-
über dem Status quo; das ist völlig richtig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Ja, beklatschen Sie sich nur selber.

Trotzdem bleibt die Kritik richtig, die nicht nur ich,
nicht nur die Grünen äußern, sondern im breitesten Um-
fang in der öffentlichen Auseinandersetzung erhoben
wird.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Weil sie so befeuert wird!)


Der Journalisten- und der Informantenschutz werden
durch dieses Gesetz ausgehöhlt. Lieber Kollege Kauder,
durch die neuesten Änderungen, die Sie in der letzten
und dieser Woche nachgeschoben haben, wird der
Schutz noch mehr ausgehöhlt als bisher.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612410800

Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Uwe Benneter

von der SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Klaus Uwe Benneter (SPD):
Rede ID: ID1612410900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Herr Montag, dies muss kein
schwarzer Tag werden, wenn wir halbwegs redlich und
seriös bleiben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Wenn Sie sich hier aber aufführen wie Rumpelstilzchen


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Carl-Christian Dressel [SPD])


und entgegen Ihrer sonstigen Art, bei der Sie auf Argu-
mente eingehen, Falschheiten verbreiten, dann wird das
wirklich ein schwarzer Tag für den Parlamentarismus.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Die heutige Situation von Ärzten, Anwälten, Notaren
und Journalisten ist schlechter, als wir sie mit diesem
Gesetz machen werden. Wir schreiben jetzt Abwägungs-
gründe – Dinge, die bisher nicht eingehalten wurden – in
das Gesetz.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben Sie gestrichen!)


Unser Grundsatz bleibt: Vertrauliche Gespräche dieser
Berufsgeheimnisträger bleiben geschützt und müssen
geschützt bleiben.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: § 160 a Abs. 2! Sie haben die Gründe gestrichen!)


– Wir haben Riegel vorgeschoben. Wir haben neue Hür-
den gesetzt.

Schwere Straftaten haben wir im Katalog zusammen-
gefasst. Das ist nichts Neues. Aber wir haben jetzt hi-
neingeschrieben, dass Straftaten mit im Höchstmaß we-
niger als fünf Jahren herausfallen. Sie können jedenfalls
heute nicht mehr mit heimlichen TKÜ-Maßnahmen
überzogen werden. Das ist ein Fortschritt.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht das?)


– Das steht im Gesetz.


(Lachen des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Das steht in § 100 a Abs. 4. Gucken Sie doch rein!


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Witz, den Sie hier verbreiten!)


Außerdem ist es notwendig, dass es nicht nur abstrakt
eine schwere Straftat sein muss, sondern es muss auch
im konkreten Einzelfall eine schwere Straftat sein. Auch
das ist eine weitere Hürde, die wir jetzt eingebaut haben.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612411000

Herr Kollege Benneter, erlauben Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Ströbele?


Klaus Uwe Benneter (SPD):
Rede ID: ID1612411100

Bitte.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612411200

Bitte, Herr Ströbele.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kollege Benneter, geben Sie mir recht, dass nach
der Vorschrift, die Sie heute verabschieden wollen, so
schwere Straftaten wie einfacher Diebstahl Anlassstraf-
taten sind, um abzuhören, und dass Sie den Straftatenka-
talog, den Sie schon vorgefunden haben, um eine ganze
Reihe von zusätzlichen Straftaten erweitert haben, so-
dass davon auszugehen sein wird, dass über das Maß
dessen hinaus, was in Deutschland in den letzten Jahren
abgehört worden ist – Deutschland hat sich bereits als






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Christian Ströbele
Weltmeister im Abhören erwiesen –, weitere Abhörmaß-
nahmen zu erwarten sind – das heißt, es wird zu einer
Steigerung auf mehr als 50 000 solcher Anordnungen im
Jahr kommen –, und dass das genau der falsche Weg ist?


Klaus Uwe Benneter (SPD):
Rede ID: ID1612411300

Das gebe ich nicht zu.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir nicht anders erwartet!)


Wir haben das Gegenteil dessen gemacht und das Ge-
genteil dessen ins Gesetz geschrieben.

Was den Schutz der Berufsgeheimnisträger angeht, so
haben wir die Maßstäbe für die Abwägung ausdrücklich
mit ins Gesetz hineingenommen. Es müssen Straftaten
von erheblicher Bedeutung sein; ansonsten ist kein Straf-
verfolgungsinteresse gegeben. All das sind Dinge, die
bisher so nicht im Gesetz standen. Selbst wenn bei Jour-
nalisten ein konkreter Verdacht auf Verstrickung besteht,
ist es nicht mehr möglich – das haben wir ausdrücklich
ins Gesetz geschrieben –, Zufallsfunde zu beschlagnah-
men und mitzunehmen. Das ist ein ganz wesentlicher
Forschritt gegenüber dem, was wir bisher hatten.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Selbst das stimmt nicht! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Selbst das steht nicht im Gesetz!)


Obwohl es in der Praxis bisher üblich war, die Verstri-
ckung über den sogenannten Geheimnisverratsparagra-
fen herzustellen, haben wir jetzt klargestellt, dass, wenn
es um Geheimnisverrat geht, es keine solche Verstri-
ckung für Journalisten gibt. All das sind wesentliche
Fortschritte, die es zu berücksichtigen gilt, und deshalb
ist es unredlich, hier in dieser Art und Weise Besorgnis
zu mobilisieren, die hier nicht angebracht ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Eine wirksame Strafverfolgung – das wird hier im
Hause wohl jeder einräumen – ist nicht nur legitim, son-
dern eine der wesentlichen Aufgaben, die der Staat leis-
ten muss. Wir haben ein Interesse an der Ermittlung der
Täter, an der Feststellung ihrer Schuld und auch ihrer
Verurteilung bzw. am Freispruch bei Unschuldigen. Das
alles ist unter den heutigen Bedingungen nur möglich,
wenn auch die Kommunikationsmöglichkeiten über-
wacht, erhoben und gespeichert werden. Deshalb hat das
Bundesverfassungsgericht in einer kürzlich ergangenen
Entscheidung ausdrücklich hervorgehoben, dass dies
möglich und auch notwendig ist


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht für alle Bundesbürger!)


und dass dies geeignet, erforderlich und angemessen ist,
wenn es sich um eine entsprechend schwere Straftat han-
delt.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Sie doch ohne Anlass!)

– Ohne Anlass wird bei den Telekommunikationsunter-
nehmen gespeichert, und dort bleiben die Daten. Das
sind alles automatisiert erfasste Daten, und da guckt kei-
ner rein.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer es glaubt, wird selig!)


Es darf erst zugegriffen werden, wenn ein ganz konkre-
ter Verdacht auf eine erhebliche Straftat vorliegt. Sonst
darf darauf nicht zugegriffen werden. Alles andere ist
unwahr. Es ist unwahr, wenn Sie hier so tun, als ob wir
alle unter Generalverdacht gestellt würden.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber so!)


Das ist Quatsch. Dann würde heute auch jeder unter Ge-
neralverdacht stehen, der irgendwo ein Konto hat. Denn
auch darauf darf bei entsprechenden Verdachtsmomen-
ten zugegriffen werden. Es ist unredlich, hier gegenüber
Regelungen, die verfassungsgemäß sind, Besorgnis zu
formulieren. Es wäre verfassungswidrig, dem Strafge-
bot, das der Staat zu verwirklichen hat, nicht nachzu-
kommen und alle Berufsgeheimnisträger in diesen
Schutz einzubeziehen. Nichts wurde verschlechtert, aber
vieles verbessert, insbesondere für die Berufsgeheimnis-
träger.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben Sie doch selber nicht, was Sie da sagen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612411400

Das Wort hat der Kollege Gert Winkelmeier.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Oh! Jetzt kommen die Betroffenen zu Wort!)



Gert Winkelmeier (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612411500

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

„Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen,
wird am Ende beides verlieren.“ Das sagte bereits
Benjamin Franklin, und das hat noch heute Gültigkeit.
Dies sollten wir bedenken, wenn wir heute über den vor-
liegenden Gesetzentwurf namentlich abstimmen.

In der Bevölkerung und in vielen Berufsverbänden
mehrt sich der Widerstand gegen die Neuregelung der
Telekommunikationsüberwachung und gegen die ge-
plante Vorratsdatenspeicherung. Noch sind es keine
Hunderttausende von Menschen, die auf die Straße ge-
hen. Aber die Gegner formieren sich. Mehr als
7 000 Bürgerinnen und Bürger wollen sich an einer
Sammelbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht be-
teiligen. Auch ich habe meine Solidarität erklärt und ge-
höre zu den Unterstützern.

Zum Glück begreifen immer mehr Bürgerinnen und
Bürger, dass dieses Gesetz jede und jeden unter General-
verdacht stellt. Zudem ermöglicht die Vorratsdatenspei-
cherung, Bewegungsprofile zu erstellen. Dies wider-
spricht nicht nur dem Recht auf informationelle
Selbstbestimmung, sondern kann auch zu Veränderungen






(A) (C)



(B) (D)


Gert Winkelmeier
im Kommunikationsverhalten der Menschen führen.
Hier geht es um sensible Informationen über soziale Be-
ziehungen im privaten, im geschäftlichen und im indivi-
duellen Bereich. So könnte man zumindest annehmen,
dass derjenige, der mehrmals mit einem Psychologen te-
lefoniert, seelische Probleme hat. Das geht den Staat
nichts an.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Es ist richtig, es darf auf die gewünschten Daten nur
mit richterlichem Beschluss zugegriffen werden. Aber so
wie sich dieser Staat in den vergangenen Jahren im
Wahn und auf der Suche nach vermeintlicher Sicherheit
verändert hat, so verändert sich nach und nach auch das
Bewusstsein für die Verhältnismäßigkeit. Dass allein die
Möglichkeit besteht, die Telekommunikationsdaten von
mehr als 80 Millionen Menschen uneingeschränkt zu
speichern, widerspricht unserer Verfassung. Ich prophe-
zeie: Dieses Gesetz wird vor dem Bundesverfassungsge-
richt keinen Bestand haben.

Es ist sowieso unverständlich, weshalb sich die Re-
gierung bei einem derart sensiblen Thema nicht etwas
mehr Zeit lässt. Zeit hätte sie gehabt. Denn noch ist vor
dem Europäischen Gerichtshof eine Klage Irlands gegen
die entsprechende EU-Richtlinie anhängig. Ehe dort
nicht entschieden ist, gibt es, was den heute vorliegen-
den Gesetzentwurf angeht, sowieso keine Bestands-
sicherheit. Man hätte sich also mehr Zeit lassen können.

Dem Justizministerium, nicht aber den Abgeordneten,
liegt ein Gutachten zu den Erfahrungen der deutschen
Ermittlungsbehörden mit der Telekommunikationsüber-
wachung vor. Ich frage die Bundesregierung: Warum
wird dieses Gutachten den Abgeordneten vorenthalten?
Es gibt keinen plausiblen Grund, warum wir ohne diese
Sachkenntnis entscheiden sollten. Dieses Gutachten
wurde vom Deutschen Bundestag in Auftrag gegeben.
Warum warten wir mit unserer Entscheidung nicht, bis
wir es gelesen haben?

Die deutsche Fußballnationalmannschaft der Frauen
ist Weltmeister geworden, und die Handballnational-
mannschaft der Männer ist ebenfalls Weltmeister gewor-
den; das ist phantastisch. Deutschland ist schon jetzt Da-
tensammelweltmeister. Darauf sollten wir nicht stolz
sein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612411600

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat

der Kollege Joachim Stünker von der SPD-Fraktion das
Wort.


Joachim Stünker (SPD):
Rede ID: ID1612411700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Zitate von Bundesverfas-
sungsrichtern ersetzen nicht die Rechtspolitik. Die
Rechtspolitik haben wir hier im Deutschen Bundestag zu
machen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Zur wirksamen Kriminalitätsbekämpfung und zur Auf-
klärung von Straftaten sind Methoden der verdeckten Er-
mittlung unerlässlich; das wissen Sie alle, die Sie heute
zu diesem Thema gesprochen haben.


(Beifall der Abg. Daniela Raab [CDU/CSU])


Das gilt insbesondere für die Bekämpfung der organi-
sierten Kriminalität weltweit, für die Bekämpfung von
Wirtschaftsstraftaten und für die Bekämpfung von Be-
täubungsmittelstraftaten. All dies sind Delikte schwerer
Kriminalität, häufig mit erheblichen Verletzungen von
Opfern und hohem wirtschaftlichen Schaden. Die Vor-
ratsdatenspeicherung dient auch der Abwehr terroristi-
scher Angriffe auf die Sicherheit dieses Landes. Darum
geht es und um nichts anderes.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Die Menschen in diesem Land haben ein Recht darauf
– und sie können sich darauf verlassen – dass der Staat
sie wirksam vor diesen Straftätern schützt und diese Er-
scheinungsformen der Kriminalität wirksam bekämpft.
Darum geht es und um nichts anderes.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Nichts anderes tun wir mit unserer Novelle zum Tele-
kommunikationsüberwachungsrecht. Das wissen Sie alle
ganz genau, auch wenn Sie heute in Ihren Barrikadenre-
den, kann man fast sagen, etwas anderes behauptet ha-
ben.

Andererseits bedeutet jede verdeckte Ermittlungs-
maßnahme in der Regel einen Eingriff in verfassungs-
rechtlich geschützte Grundrechtspositionen der Bürge-
rinnen und Bürger. Wir alle sind uns dessen bewusst.
Betroffen sind in der Regel das Brief-, Post- und Fern-
meldegeheimnis, der Schutz der Wohnung und im Er-
gebnis auch die Pressefreiheit. Deshalb bedarf es der
Abwägung, bereits im Gesetz: Es ist in jedem Einzelfall
streng zu prüfen, ob das Allgemeininteresse an effekti-
ver Kriminalitätsbekämpfung oder aber der Grund-
rechtsschutz des Einzelnen überwiegt. Beides sind abso-
lut schutzwürdige Rechtsgüter. Deshalb muss jeder
Eingriff so schonend wie möglich ausgestaltet sein: So
viel Eingriff wie nötig, aber so viel Schutz der Freiheits-
rechte wie möglich.

Genau das tun wir mit der vorliegenden Novellierung
der Regelungen zur Telefonüberwachung. Wir verschär-
fen die Eingriffsvoraussetzungen: Es muss im Einzelfall
immer eine schwere Straftat vorliegen. Wir verschärfen
die inhaltlichen Schranken bei der Überwachung, indem
wir Verwertungsverbote einführen. Wir erweitern – es ist
darauf hingewiesen worden – den Schutz der Berufsge-
heimnisträger. Heute ist vom Marburger Bund der Ein-
druck erweckt worden, als könnten zukünftig Patienten-
daten auf diesem Wege mitgenommen werden. Da kann
ich nur sagen: Das ganze Gesetz muss man lesen. Patien-
tendaten dürfen nach § 97 unserer Strafprozessordnung
nicht beschlagnahmt werden; sie sind von dem, was wir






(A) (C)



(B) (D)


Joachim Stünker
hier im Ergebnis verabschieden, überhaupt nicht betrof-
fen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir verstärken den Grundrechtschutz durch Verfahrens-
garantien, obwohl uns die Praxis schon sagt: Das wird
uns alles viel zu kompliziert. Wir machen durch Verfah-
rensgarantien massiven Grundrechtschutz. Die An-
schlusskontrolle, die wir für eine umfassende, öffentli-
che Transparenz der Maßnahme vorsehen, hat hier auch
keiner erwähnt: Zukünftig müssen die Länder und der
Generalbundesanwalt jedes Jahr über Art und Umfang
der Maßnahmen, die sie getroffen haben – sowohl bei
der Vorratsdatenspeicherung als auch bei der Anordnung
von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen –
berichten. Transparenz ist der wirksamste Schutz vor
Missbrauch.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich empfehle all denen, die hier so leichtfertig daher-
geredet haben – vor allen Dingen der linken Seite –, sich
einmal die Mühe zu machen, den § 97 StPO im gelten-
den Recht und den § 108 Abs. 3 (neu) zu studieren.
Dann werden Sie feststellen, dass zukünftig der Berufs-
geheimnisträger, Medienmitarbeiter fast umfassend vor
Eingriffsmaßnahmen geschützt ist, es sei denn, er verab-
redet selber am Telefon schwere Straftaten. Aber ansons-
ten ist er massiv geschützt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Deshalb halte ich es für grob fahrlässig, wenn durch Re-
den oder durch Veröffentlichungen in den Medien, vor
allen Dingen in den Printmedien, in den letzten Tagen
und Wochen gezielt der Eindruck erweckt worden ist, als
würde von heute an das massive Abhören von Telefon-
gesprächen möglich. In Wahrheit ist bei dem, was wir
heute beschließen wollen, das Gegenteil der Fall.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Lassen Sie mich eine letzte Anmerkung machen. Es
ist eigentlich müßig, darauf hinzuweisen. Aber nach den
Diskussionen der letzten Wochen und Monate, die ich
mitgemacht habe, und der Debatte, die heute geführt
worden ist, muss ich feststellen: Es ist bedauerlich, dass
solche Reden heute gehalten worden sind. Alle diese
Maßnahmen, von denen wir reden, stehen unter dem
Richtervorbehalt. Bei jeder Maßnahme bedarf es einer
richterlichen Entscheidung, zum Beispiel wenn Ver-
kehrsdaten an den Staat herausgegeben werden sollen.
Es bedarf einer richterlichen Entscheidung, wenn ein Te-
lefongespräch abgehört werden soll. Wir haben einen
umfassenden Richtervorbehalt. Was ist das letzten Endes
für ein Verständnis von Gewaltenteilung, wenn Sie der
dritten Gewalt nicht zutrauen, diese Gesetze rechtsstaat-
lich, im Interesse der Menschen in diesem Land, einzu-
halten?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Es ist absurd, was hier teilweise erzählt worden ist. Da
wird teilweise bewusst Massenhysterie verursacht. Des-
halb sage ich deutlich: Zielobjekt aller Maßnahmen sind
nur Personen, die irgendwie im Bereich der Begehung
von Straftaten stehen. In aller Deutlichkeit sage ich Ih-
nen: Ich stehe mit fester Überzeugung – ich glaube, die-
jenigen, die mich kennen, wissen das – für Rechtsstaat-
lichkeit. Heute ist in diesem Land ein guter Tag für den
Rechtsstaat.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612411800

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neurege-
lung der Telekommunikationsüberwachung und anderer
verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umset-
zung der Richtlinie 2006/24/EG.

Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6979, den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/5846
in der Ausschussfassung anzunehmen.

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen.


(Unruhe)


– Meine Damen und Herren, wir sind noch nicht bei der
namentlichen Abstimmung. Ich kann das Abstimmer-
gebnis nicht feststellen, wenn Sie sich vor dem Platz des
Präsidenten gruppieren. Nehmen Sie bitte Ihre Plätze
wieder ein. – Wer stimmt für den Änderungsantrag auf
Drucksache 16/7016?


(Unruhe)


Anscheinend niemand.


(Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Man versteht nichts!)


Ich wiederhole das Ganze: Es liegt ein Änderungsan-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den
wir jetzt zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Ände-
rungsantrag auf Drucksache 16/7016? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist bei Zustim-
mung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den
Stimmen aller übrigen Fraktionen abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Hand-
zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-
tionsfraktionen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Die Fraktionen der FDP und
des Bündnisses 90/Die Grünen haben namentliche Ab-
stimmung beantragt. Ich bitte die Schriftführerinnen und






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. –
Ich bitte, abzustimmen.

Haben alle Mitglieder ihre Stimmkarte abgegeben? –
Das ist offenkundig der Fall. Dann schließe ich die Ab-
stimmung. Ich bitte, auszuzählen.

Ergänzend möchte ich mitteilen, dass zu dieser Ab-
stimmung zahlreiche schriftliche Erklärungen gemäß
§ 31 unserer Geschäftsordnung vorliegen, die wir mit Ih-
rer Erlaubnis zu Protokoll nehmen.1)

Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ih-
nen später bekannt gegeben.2)

Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den Gesetz-
entwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Re-
form der Telekommunikationsüberwachung. Der
Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/6979, den Ge-
setzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/3827 abzulehnen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der FDP-Frak-
tion und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Damit ent-
fällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Bera-
tung.

Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu dem
Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Reform der
Telefonüberwachung zügig umsetzen“: Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/6979, den Antrag der FDP-
Fraktion auf Drucksache 16/1421 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der
FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke angenommen.

Da das Ergebnis der namentlichen Abstimmung noch
nicht vorliegt, rufe ich nun den Tagesordnungspunkt 37
sowie den Zusatzpunkt 16 auf:

37 Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Ausbildung der Polizeikräfte in Afghanistan
forcieren

– Drucksache 16/3648 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
Federführung strittig

1) Anlagen 4 bis 6
2) Seite 13009 D
ZP 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Nachtwei, Jürgen Trittin, Silke Stokar von
Neuforn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ohne Polizei und Justiz keine Sicherheit –
Polizei- und Justizaufbau in Afghanistan dras-
tisch beschleunigen

– Drucksache 16/6931 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Federführung strittig

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Beratung eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Frak-
tion der FDP sechs Minuten erhalten soll. Gibt es dage-
gen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall, dann ist das so
beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Kollegin Gisela Piltz für die FDP-Fraktion das
Wort.


(Beifall bei der FDP)



Gisela Piltz (FDP):
Rede ID: ID1612411900

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Sicherheit braucht funktionierende Sicherheits-
behörden. Gut ausgebildete und mit den notwendigen
Mitteln ausgestattete Polizistinnen und Polizisten ge-
währleisten die Sicherheit der Menschen im Land. Dies
gilt nicht nur in Deutschland; dies gilt ebenso und umso
mehr in einem Land wie Afghanistan, das von Bürger-
krieg und Krieg gebeutelt und zerstört wurde. Das, was
Deutschland in Afghanistan leistet, ist deshalb besonders
wichtig für die Zukunft des Landes, zum einen in prakti-
scher Hinsicht: eine solide Ausbildung der Polizeikräfte.
Es geht aber auch um eine ganz grundsätzliche Aufgabe;
denn es geht um die Vermittlung rechtsstaatlicher Struk-
turen, die sich ganz besonders in der Polizeiarbeit zeigt.


(Beifall bei der FDP)


Gerade an der Arbeit der Sicherheitsbehörden zeigt sich,
ob ein Land die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und
die Menschenrechte anerkennt und achtet.

Klar ist: Die Polizisten, die bereits in Afghanistan
sind oder dort hingehen werden, brauchen eine bessere
Ausstattung. Nur so können sie ihre Aufgabe überhaupt
erfüllen.


(Beifall bei der FDP)


Notwendig ist zunächst eine Aufstockung der Zahl
der Ausbilder, die vor Ort tätig sind. Wichtig ist ebenso,
dass diese Ausbilder außerhalb von Kabul eingesetzt
werden. Denn die afghanischen Dienstposten brauchen
dort auch nach Abschluss der Ausbildung weiterhin Un-
terstützung bei der Erfüllung ihrer Aufgaben. Hierzu






(A) (C)



(B) (D)


Gisela Piltz
kann Deutschland einen erheblichen Beitrag leisten, um
neuerliche Korruption erst gar nicht aufkommen zu las-
sen und zukunftsfähige Strukturen zu verankern und zu
stärken.

Bei der Ausbildung der Polizeikräfte in Afghanistan
arbeitet Deutschland eng mit den internationalen Auf-
baupartnern zusammen, insbesondere mit den Vereinig-
ten Staaten, die die Ausbildung des einfachen Dienstes
in der afghanischen Polizei übernommen haben.
Deutschland hingegen ist für die Ausbildung des mittle-
ren und gehobenen Dienstes zuständig. Das ist gut und
richtig; denn die Verzahnung zwischen den Curricula der
Ausbildung für den einfachen Dienst und den mittleren
wie auch gehobenen Dienst muss dringend gewährleistet
und besser abgestimmt sein.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


In der Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Frak-
tion wurde klar, dass ein großes Problem bei der Ausbil-
dung das Analphabetentum ist, das in Afghanistan ver-
breitet ist. Umso wichtiger sind auch hier weitere
Verbesserungen, da nur so eine Ausbildung richtig funk-
tionieren kann. Daher müssen wir Deutschen uns – auch
wenn in erster Linie nicht wir dafür zuständig sind – für
eine Verbesserung der Ausbildung im einfachen Dienst
einsetzen; denn klar ist: Wenn man nicht lesen und
schreiben kann, ist eine Ausbildungsvermittlung extrem
schwierig und dauert viel zu lange.

Eine gute Ausbildung muss einhergehen mit einer gu-
ten Ausstattung. Die Bedenken der Bundesregierung, zur
Wahrung der eigenen Sicherheitsinteressen an andere
Länder keine Mittel auszuliefern, die repressiv einge-
setzt werden können, in allen Ehren. Aber in diesem Fall
ist gar nicht der Sachverhalt gegeben, dass Waffen an
Staaten ausgeliefert werden, die ohne unsere Kontrolle
damit hantieren können, wodurch gegebenenfalls eine
Bedrohung unserer eigener Sicherheitsinteressen zu be-
fürchten wäre.

Hier liegt der Fall doch völlig anders. Wir haben ein
eigenes Sicherheitsinteresse an einer funktionierenden
Polizeiarbeit in Afghanistan. Die Polizei dort befindet
sich im Aufbau, an dem Deutschland einen entscheiden-
den Anteil hat und vermutlich noch länger haben wird.
Die gelieferten Materialien wie Tränengas werden quasi
unter unseren Augen eingesetzt. Wir sprechen dabei üb-
rigens nicht von Panzern, sondern von Hilfsmitteln.

Die deutschen Ausbilder schulen die dortigen Polizei-
kräfte gerade darin, solche Mittel so einzusetzen, dass
rechtstaatliche Grundsätze gewahrt bleiben. Wenn heute
diese Mittel nicht anderweitig von den Afghanen selbst
angeschafft werden können, besteht die Gefahr, dass sie
erst zu einer Zeit zur Verfügung stehen, in der keine in-
ternationale Kontrolle mehr möglich ist, und dann ohne
unsere Beratung und Kontrolle eingesetzt werden könn-
ten. Damit wäre nun wirklich niemandem geholfen.


(Beifall bei der FDP)


Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die afghani-
schen Polizeikräfte regelmäßig und in ausreichender
Höhe bezahlt werden. Das ist sicherlich die beste Kor-
ruptionsvorsorge. Deutschland muss daher an entschei-
dender Stelle ganz konsequent darauf drängen, dass die
Auszahlungen an die Polizistinnen und Polizisten über-
prüfbar und in voller Höhe ankommen.

Weiter erwarten wir von der Bundesregierung, dass
sie sich für ein funktionierendes Justiz- und Vollzugssys-
tem einsetzt. Nur im Zusammenhang mit einem funktio-
nierenden Justizsystem kann die Polizei in einem rechts-
staatlichen Rahmen tätig werden. Schließlich nützt es
nichts, wenn die ausgebildete Polizei ihren Job gut
macht, dies aber wegen eines mangelhaften Justizsys-
tems keine Konsequenzen hat. Das wäre eher Verdum-
mung als eine konsequente Aufbauhilfe.


(Beifall bei der FDP)


Wir als FDP-Bundestagsfraktion erwarten eine konti-
nuierliche Evaluation des Geleisteten. Die Bundesregie-
rung muss daher für überprüfbare und zu überprüfende
Zwischenziele bei der Polizeiausbildung eintreten, die
sie auch international vereinbaren muss, vor allem nach-
dem der Abschluss des Aufbaus der Polizei auf 2010
verschoben wurde.

Schließlich ist es aus unserer Sicht auch notwendig,
dass uns regelmäßig Bericht erstattet wird. Die schwie-
rige und engagierte Arbeit der deutschen Ausbilder in
Afghanistan muss vom Parlament begleitet werden.
Dazu bekennen wir uns ausdrücklich.

Der Deutsche Bundestag hat großen Respekt vor der
Arbeit unserer Polizistinnen und Polizisten in Afghanis-
tan, wo sie sich teilweise unter Einsatz ihres Lebens für
Menschenrechte und den Rechtsstaat einsetzen.

Ich denke, es ist selbstverständlich, dass der Bundes-
tag das würdigt und, je nachdem, kritisch oder positiv
begleitet.

Aus der bisherigen Ausbildung müssen daher aus un-
serer Sicht dringend Konsequenzen gezogen werden.
Um in Afghanistan und damit auch für die Staatenge-
meinschaft erfolgreich tätig sein zu können, muss die
Ausbildung der Polizei jetzt – und nicht irgendwann –
dringend verbessert werden. Wer länger wartet, gefähr-
det den Entwicklungsprozess. Das will die FDP verhin-
dern.


(Beifall bei der FDP – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir alle verhindern!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612412000

Das Wort hat jetzt der Kollege Ralf Göbel von CDU/

CSU-Fraktion.


Ralf Göbel (CDU):
Rede ID: ID1612412100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

Aufbau einer funktionierenden und rechtsstaatlich agie-
renden Polizei in Afghanistan ist eines der wichtigsten
Projekte zur Schaffung und Stabilisierung ziviler Struk-
turen in Afghanistan. Deutschland hat dazu in der Ver-
gangenheit einen wichtigen Beitrag geleistet und wird
auch in Zukunft eine wichtige Rolle bei der Polizeiaus-
bildung in Afghanistan spielen.






(A) (C)



(B) (D)


Ralf Göbel
Der Antrag der FDP-Fraktion kann hierzu heute aller-
dings nicht mehr die Grundlage bieten, und zwar nicht,
weil die Zielsetzungen, die dort beschrieben sind, falsch
wären – im Gegenteil, wir sind uns in sehr vielen Berei-
chen einig –, sondern allein deswegen, weil die Zeit im
Grunde über diesen Antrag hinweggegangen ist und wir
eine neue Ausgangslage haben.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unser Antrag ist sehr aktuell, oder?)


– Das ist wahr, Herr Nachtwei.

Gleichwohl halten wir es für wichtig, dass im Zusam-
menhang mit der Entwicklung in Afghanistan nicht nur
das militärische Engagement Deutschlands im Deut-
schen Bundestag debattiert wird. Beim Aufbau der Poli-
zei in Afghanistan ist Deutschland seit 2002 engagiert.
Wir waren die Leading Nation für diesen Teil der Schaf-
fung einer staatlichen Ordnung in Afghanistan. Deswe-
gen ist es richtig, dass wir im Deutschen Bundestag auch
über diesen Teil unseres Engagements in Afghanistan
diskutieren.

Die deutsche Mission ist durch eine Entscheidung des
Außenministerrats vom 30. Mai dieses Jahres in eine eu-
ropäische Mission überführt worden. Wir halten dies
grundsätzlich für richtig. Europa kann und muss sich ak-
tiv und nachhaltig am Aufbau in Afghanistan beteiligen.
Ich verhehle allerdings nicht, dass die Überführung in
die europäische Mission mit Schwierigkeiten verbunden
war und, wie man hört, weiterhin Anlaufschwierigkeiten
bestehen.

Wir wissen alle, dass die Sicherheitslage in Afghanis-
tan alles andere als gut ist. Ich plädiere sehr dafür, dass
wir dies auch in öffentlicher Debatte immer wieder dar-
stellen. Die Bevölkerung muss wissen, wohin wir unsere
Soldaten und Polizeibeamten schicken und welchen Ge-
fährdungssituationen sie in diesem Land ausgesetzt sind.
Das gehört zu einer transparenten Debatte über dieses
Thema unabdingbar dazu.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Bei Anschlägen sind deutsche Soldaten und auch
Polizeibeamte nicht nur gefährdet worden, sondern es
sind auch einige ums Leben gekommen. Auch in dieser
Woche hatten wir wieder einen Beweis für die Gefähr-
lichkeit der Situation in Afghanistan. Bei dem schreckli-
chen Anschlag am Dienstag sind Parlamentskollegen aus
Afghanistan ums Leben gekommen. Dieser Anschlag
hat im deutschen Verantwortungsbereich stattgefunden.
Das macht deutlich, dass wir uns in einem gefährlichen
Land bewegen.

Gerade deshalb tragen wir eine besondere Verantwor-
tung und müssen alles dafür tun, dass die Soldaten und
Polizeibeamten den besten Schutz erhalten, der unter
diesen Umständen möglich ist. Aus diesem Grund geht
an den Außenminister meine Bitte, im Rahmen der
neuen Mission auf der europäischen Ebene dafür zu sor-
gen, dass die Polizeibeamten der europäischen Mission
mit allem ausgestattet werden, was sie zu ihrem Schutz
benötigen. Ich weiß, dass Bundesinnenminister Schäuble
sich mit Herrn Solana getroffen hat, dieses Petitum vor-
getragen hat und sich nachhaltig dafür einsetzt. Wir
brauchen hier aber die Unterstützung aller, damit unsere
Polizeibeamten in Afghanistan ihren Dienst in relativer
Sicherheit tun können.

In diesem Zusammenhang möchte ich mich bei allen
Polizeibeamtinnen und -beamten sowie den Soldaten,
die in Afghanistan ihren Dienst tun, herzlich dafür be-
danken, dass sie sich dieser Mission stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Die deutsche Polizeimission hatte die Aufgabe, für
die Ausbildung der afghanischen Polizei zu sorgen. Ins-
gesamt waren 183 Polizeibeamte und 151 Kurzzeit-
experten in Afghanistan eingesetzt. Bund und Bundes-
länder waren daran beteiligt. Über 19 000 afghanische
Polizeibeamte sind seit 2002 ausgebildet worden. Ein
Großteil von ihnen wurde in den für uns wichtigen The-
menbereichen Menschenrechtsschutz, moderne Polizei-
technik und Polizeiführung, Kriminaltechnik und Ver-
kehrswesen fortgebildet. Zusätzlich – das sage ich mit
einem etwas kritischen Unterton – läuft die Ausbildung
von Personen für den einfachen Dienst in Afghanistan.
Diese Ausbildung wird von Amerika gesteuert und fi-
nanziert. Wer die Unterschiede zwischen der europäi-
schen und der amerikanischen Polizeiphilosophie kennt,
wird sehr schnell zu der Erkenntnis kommen, dass wir
eine internationale Harmonisierung brauchen, damit
nicht zwei gegensätzliche Philosophien im gleichen
Land, in der gleichen Organisation, in der gleichen Poli-
zei verfolgt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben Modelle für Organisations-, Dienst- und
Gehaltsstrukturen entwickelt. Diese Modelle wurden
auch in die Tat umgesetzt. Wir haben also Grundstruktu-
ren für eine funktionsfähige Polizei geschaffen. Aber wir
müssen feststellen, dass dies noch nicht ausreichend ist,
um wirklich stabile Strukturen in Afghanistan herzustel-
len; Frau Piltz hat das bereits angesprochen. Es ist auch
richtig, dass das mit der Polizei korrespondierende Jus-
tizsystem nicht so funktioniert, wie wir uns das vorstel-
len. Wir sind also noch ein ganzes Stück von dem Ziel
der Herstellung einer stabilen Ordnung in Afghanistan
entfernt. Aber der Grundansatz, den wir gewählt haben,
ist richtig.

Wir bilden in Afghanistan diejenigen Frauen und
Männer aus, die später in ihrem Land verantwortlich
Aufgaben zur Schaffung von Sicherheit und Ordnung
übernehmen sollen. Wir versetzen sie in die Lage, selbst-
ständig die Ordnung zu entwickeln, die für ihr eigenes
Land die richtige Ordnung ist. Es geht nicht darum,
Afghanistan etwas überzustülpen. Das Land muss seinen
eigenen Weg gehen. Wir müssen den Afghanen jedoch
so lange helfen, bis sie in der Lage sind, sich selbst zu
helfen und ihr Land nach ihren eigenen Vorstellungen
friedlich weiterzuentwickeln.

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass nur derjenige,
der seine Ordnung selbst entwickelt hat und in dieser






(A) (C)



(B) (D)


Ralf Göbel

mit verhältnismäßigen Mitteln dagegen vorzugehen.

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mehr haben wir auch nie behauptet! wonach die Bundesrepublik Deutschland keine Gegenstände an Staaten liefert, die zur Anwendung unmittelbaren Zwanges geeignet sind. Dieser Grundsatz wurde für Afghanistan durch eine Entscheidung des Innenund des Außenministers aufgehoben. Wir liefern nun auch Einsatzmittel nach Afghanistan, die geeignet sind, unmittelbaren Zwang auszuüben. Wir haben dies übrigens schon einmal getan. Wir haben bei den damaligen Unruhen auf dem Balkan durch eine besondere Entscheidung zugelassen, dass Reizgas in schwierigen Situationen eingesetzt werden kann, obwohl es bei uns in der Bundesrepublik Deutschland nicht eingesetzt werden darf. Wir sind aktiv auch beim Aufbau von Polizeistationen, sozusagen der Infrastruktur der afghanischen Polizei. Wir haben an zwölf Standorten Polizeigebäude errichtet. Wir helfen zudem beim Aufbau von Drogenbekämpfungseinheiten; das ist ein wichtiger Punkt. Ich sage offen und klar: Die Entwicklung des Drogenanbaus in Afghanistan bereitet uns Sorge, genauso wie die Tatsache, dass die internationale Gemeinschaft nicht in der Lage ist, dieses Phänomen so einzudämmen, wie es sein müsste. In Afghanistan müssen vermehrt Anstrengungen zur Bekämpfung des Drogenanbaus, aber auch zur Schaffung alternativer Erwerbsquellen für diejenigen, die die Drogen anbauen, unternommen werden. Alles hängt mit allem zusammen. Es bedarf eines insgesamt kohärenten, großen Ansatzes, um den Friedensund Stabilisierungsprozess in Afghanistan voranzubrin Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 524; davon ja: 366 nein: 156 enthalten: 2 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser tätig zu werden, ist ein Skandal!)


(Reutlingen)


Am Ende will ich sagen: Der Einsatz verlangt En-
gagement, der Einsatz verlangt Geduld. Wir haben die
Erfahrung auf dem Balkan gemacht, wie lange es dauert
und wie viele kleine Schritte notwendig sind, um einen
Stabilisierungsprozess so zu gestalten, dass am Ende
auch das Ziel, nämlich eine stabile Gesellschaft, erreicht
wird. Ich bin davon überzeugt, dass wir in Afghanistan
noch viele Schritte brauchen werden, um dieses Ziel zu
erreichen. Aber ich glaube auch, jeder erreichte Schritt
ist ein großer Fortschritt und bringt uns diesem Ziel nä-
her, auch wenn wir sicherlich noch viele Jahre über un-
ser Engagement in Afghanistan in diesem Hause werden
diskutieren müssen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612412200

Ich unterbreche die Aussprache und gebe Ihnen das

von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte
Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung der
Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeck-
ter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der
Richtlinie 2006/24/EG bekannt. Abgegebene Stimmen
524. Mit Ja haben gestimmt 366, mit Nein haben ge-
stimmt 156, zwei Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist
damit angenommen.

Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Leo Dautzenberg

Hubert Deittert
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Frau Piltz hat den allgemeinen Grundsatz angesprochen, Nur, dass Bayern sich weigert, in Afghanistan
Ordnung lebt, bereit ist, dies
von innen und außen zu ve
friedlichen Entwicklung sind
sprochen; darin sind wir uns
rechte, die Gleichheit vor d
Bevölkerung vor Gefahren u
fasstheit des Staates. Dies tra
ausbildung nach Afghanistan
die ausgebildeten Polizeibe
Multiplikatoren in das gesam

Die Ausbildung kann im G
chenden Ausstattung umgese
den schweren Unruhen in Ka
afghanische Bereitschaftspol
e Ordnung gegen Angriffe
rteidigen. Die Basis einer
– das wurde bereits ange-
alle einig – die Menschen-
em Gesetz, der Schutz der
nd die demokratische Ver-
gen wir durch die Polizei-
. So sorgen wir dafür, dass
amten dies wiederum als
te Land tragen.

runde nur mit der entspre-
tzt werden. Wir haben bei
bul 2006 gesehen, dass die
izei nicht in der Lage war,
gen. Wir alle müssen daran
Europäischen Union, in Deu
Bundesländer, und zwar nach
auch bisher beachtet haben, d
dort ihren Dienst verrichten,
tun. Es darf kein Bundesland
zeibeamte in ein bestimmtes
trag der Grünen wird Bayern
ich nur sagen: Das Bundesla
amte auch in größerer Zahl fü
Es sind keine dabei, die nach
sind Polizeibeamte dabei, die
tige Dienste tun.
arbeiten, alle Länder in der
tschland der Bund und die
den Grundsätzen, die wir
ass die Polizeibeamten, die
dies auf freiwilliger Basis
gezwungen werden, Poli-

Land zu schicken. Im An-
lobend erwähnt. Dazu will
nd Bayern stellt Polizeibe-
r internationale Missionen.

Afghanistan gehen, aber es
in anderen Ländern wich-






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Josef Göppel
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu

Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler (Wiesbaden)

Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich

Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer (Altötting)

Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Laurenz Meyer (Hamm)

Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Bernward Müller (Gera)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Klaus Riegert
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Albert Rupprecht (Weiden)

Peter Rzepka
Anita Schäfer (Saalstadt)

Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Andreas Schmidt (Mülheim)

Ingo Schmitt (Berlin)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr (Neuruppin)

Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Nina Hauer
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz (Essen)

Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h. c. Susanne Kastner
Christian Kleiminger
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel (Berlin)

Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller (Chemnitz)

Michael Müller (Düsseldorf)

Gesine Multhaupt
Dr. Rolf Mützenich






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche (Cottbus)

Gerold Reichenbach
Christel Riemann-

Hanewinckel
Walter Riester
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Dr. Frank Schmidt
Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Heinz Schmitt (Landau)

Carsten Schneider (Erfurt)

Olaf Scholz
Reinhard Schultz


(Everswinkel)

Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen


(Wiesloch)

Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Engelbert Wistuba
Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Nein

CDU/CSU

Dr. Hans Georg Faust
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Rolf Koschorrek
Katharina Landgraf

SPD

Wolfgang Gunkel
Petra Heß
Eike Hovermann
Ulrich Kelber
Sönke Rix
Frank Schwabe
Jörn Thießen

FDP

Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Daniel Bahr (Münster)

Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)

Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Michael Link (Heilbronn)

Markus Löning
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Martin Zeil

DIE LINKE

Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Dagmar Enkelmann
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Jan Korte
Michael Leutert
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer (Köln)

Volker Schneider


(Saarbrücken)

Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Hans-Josef Fell
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz (Herborn)

Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Fritz Kuhn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler

fraktionslos

Gert Winkelmeier

Enthaltung

SPD

Dr. Hermann Scheer
Ottmar Schreiner






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ich muss


(Zuruf von der SPD: Beichten! – Heiterkeit)


Sie noch bitten, über einen Entschließungsantrag der
FDP abzustimmen, den ich vorhin versehentlich nicht
zur Abstimmung vorgelegt habe.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen Ihnen keine Absicht unterstellen! – Heiterkeit)


Es handelt sich um den Entschließungsantrag der FDP-
Fraktion auf Drucksache 16/7017. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen bei Zustimmung der FDP und der Fraktion
Die Linke abgelehnt.

Wir können dann mit der Aussprache fortfahren. Ich
gebe das Wort der Kollegin Inge Höger von der Fraktion
Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612412300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Afghanis-

tan braucht Frieden, Afghanistan braucht Stabilität, aber
vor allem braucht Afghanistan eine Entwicklungsper-
spektive.


(Beifall bei der LINKEN)


Eine funktionierende Polizei im Rahmen eines zuverläs-
sigen Justizsystems könnte dabei eine wichtige Rolle
spielen. Tatsache ist jedoch, dass die Polizei zurzeit we-
nig Vertrauen in der Bevölkerung genießt. Nach aktuel-
len Umfragen wenden sich die Menschen in Afghanistan
mehrheitlich an traditionelle Autoritäten, um Dispute zu
lösen. Polizeikräfte werden von der Bevölkerung häufig
als Bedrohung erlebt. Dieses Misstrauen gegenüber der
Polizei hat im Wesentlichen zwei Ursachen: Einerseits
machen sich Willkür und Korruption auf allen Ebenen
des Polizeiapparates breit – auch bei gut ausgebildeten
Polizistinnen und Polizisten –, andererseits werden Poli-
zisten in militärischen Auseinandersetzungen zu Tätern
und zu Opfern. Polizisten werden als Kanonenfutter der
NATO verheizt. Gleichzeitig werden sie von Teilen der
Bevölkerung nur als verlängerter Arm der militärischen
Besatzung gesehen. Um es klar zu sagen: Die Polizei-
kräfte in Afghanistan sind momentan in die militärischen
Aktivitäten von ISAF und OEF integriert,


(Beifall bei der LINKEN)


und das sowohl auf der Ebene der Ausbildung als auch
bei Einsätzen. Eine solche Vermischung von militäri-
schen und polizeilichen Aufgaben ist nicht akzeptabel.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn die Menschen in Afghanistan eine auch nur an-
nähernd vertrauenswürdige Polizei bekommen sollen,
dann muss Folgendes berücksichtigt werden: Erstens
Trennung von Militär und zweitens Rechtsstaatlichkeit.


(Beifall bei der LINKEN)

Dem tragen weder die Regierungspolitik noch die EU-
POL-Strategie noch die beiden hier vorliegenden An-
träge Rechnung.

Die US-amerikanische Schnellausbildung für Polizis-
ten durch private Sicherheitsfirmen ist völlig untauglich
und gefährlich. Doch auch die deutsche Polizeiausbil-
dung erhält durch den Einsatz von Feldjägern und eines
früheren GSG-9-Generals eine paramilitärische Ausrich-
tung. EUPOL ist nach den Angaben des Generalsekreta-
riats des EU-Rates eng mit der NATO und den USA ver-
knüpft. Eine neutrale Polizeiausbildung sieht anders aus.

Der Antrag der FDP problematisiert an keiner Stelle
die Instrumentalisierung der Polizei für militärische Auf-
gaben. Die Grünen scheinen das Dilemma immerhin er-
kannt zu haben. Das, was sie daraus folgern, ist jedoch
ein abenteuerlicher Vorschlag, nämlich, eine separate
Gendarmerietruppe aufzubauen. Zu deren Aufbau soll
die paramilitärische European Gendarmerie Force heran-
gezogen werden. Dieser Vorschlag ist aus Sicht der Lin-
ken inakzeptabel.


(Beifall bei der LINKEN)


Polizeiausbildung an sich ist kein Heilsweg. Das ist
klar, es sei denn, man verschließt die Augen vor der Rea-
lität. Wer Polizisten in größerem Umfang ausbilden will,
muss auch Lösungen für das Problem der Desertion fin-
den. Eine beträchtliche Anzahl der ausgebildeten Poli-
zisten verlassen ihre Dienstposten und suchen sich an-
dere Auftraggeber: private Sicherheitsdienste, Warlords,
Drogenmafia oder Talibanverbände. Dies betrifft übri-
gens nicht nur die schlecht ausgebildeten Hilfspolizisten.


(Ralf Göbel [CDU/CSU]: Das ist doch keine Desertion!)


Es darf nicht sein, dass durch Polizeiausbildung und
-ausrüstung das Gewaltpotenzial in Afghanistan noch
verstärkt wird. Wichtig ist deswegen in erster Linie nicht
die Quantität der Ausbildung, sondern die Qualität des
Gesamtkonzeptes.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612412400

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Gunkel für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Wolfgang Gunkel (SPD):
Rede ID: ID1612412500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die

Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion und in ziel-
sicherer Kurzfristigkeit natürlich auch die Kollegen vom
Bündnis 90/Die Grünen haben uns jeweils einen Antrag
vorgelegt, die sich nach meiner Lesart insbesondere mit
fünf Problembereichen rund um den deutschen Beitrag
zum Wiederaufbau der Polizei in Afghanistan befassen.
Darauf möchte ich hier kurz eingehen. Vom Kollegen
Göbel ist die grundsätzliche Auffassung der Bundesre-
gierung hierzu schon dargestellt worden. Wir müssen
dennoch feststellen, dass die fünf umrissenen Problem-
bereiche sicherlich diskussionswürdig sind. Die von der
FDP und von den Grünen formulierten Forderungen sind






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Gunkel
nicht von vornherein abzulehnen; vielmehr beinhalten
sie einiges Wahres.

Damit nicht der Eindruck entsteht, hier wäre in den
vergangenen Jahren nichts gemacht worden, will ich ein-
mal herausstellen, was aus unserer Sicht im Einzelnen
bewegt worden ist.

Die Notwendigkeit des Ob des Polizeiaufbaus wird
glücklicherweise von keinem bezweifelt. In beiden An-
trägen wird zu Recht festgestellt, dass wir ohne eine sich
selbst tragende, ihrer Aufgabe gerecht werdende, nach
zivilen und menschenrechtlichen Standards arbeitende
afghanische Polizeistruktur einen der wichtigsten
Grundsteine zum Wiederaufbau Afghanistans noch nicht
gelegt haben. Das ist wahrlich richtig. Deswegen will ich
Folgendes anführen:

Zunächst einmal ist mir aufgefallen, dass es um die fi-
nanzielle und personelle Beteiligung Deutschlands an
der Polizeiausbildung vor Ort geht. Dazu ist festzustel-
len, dass die finanzielle Untersetzung des Polizeiprojekts
natürlich eine politische Entscheidung ist. Das ist auch
in der vergangenen Woche an höchster Stelle noch ein-
mal deutlich geworden, als sich die Bundeskanzlerin für
eine Aufstockung der Mittel für den Polizeiaufbau aus-
gesprochen hat. Das begrüßen wir als SPD-Fraktion aus-
drücklich.

Hinsichtlich der Erhöhung der Anzahl der Einsatz-
kräfte müssen wir uns immer zweier Tatsachen bewusst
sein:

Erstens. Die Polizeibeamtinnen und -beamten werden
nicht angewiesen, sondern sie melden sich freiwillig für
derartige Auslandsverwendungen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das darf man nicht vergessen. Das unterscheidet sich
deutlich davon, wie die Bundeswehr ihre Einsatzkräfte
für Auslandseinsätze erhält. Sobald wir also beschließen,
mehr deutsche Polizisten zu entsenden, müssen wir auch
verstärkt um sie werben. Hierbei sind natürlich der Bun-
desinnenminister und insbesondere die Länderinnenmi-
nister gefordert, Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass
sich mehr Polizeibeamte freiwillig für einen Auslands-
einsatz entscheiden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss attraktiver werden!)


– Das muss attraktiver werden, sehr richtig, Herr
Wieland. – Es kann nicht sein, dass für die Beamtinnen
und Beamten im Kosovo entschieden bessere Bedingun-
gen – sowohl bezüglich der Unterbringung und anderer
Umstände als auch bezüglich der Bezahlung – herr-
schen, als es für diejenigen in Afghanistan der Fall ist.


(Beifall des Abg. Detlef Dzembritzki [SPD] sowie des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Zweitens müssen wir uns auch noch einmal mit den
Forderungen der Gewerkschaften auseinandersetzen;
denn nach Ansicht der Gewerkschaften darf keineswegs
versucht werden, per Gesetz aus diesem freiwilligen
Dienst eine Pflicht zu konstruieren. Die Freiwilligkeit
war bisher das Entscheidende. Wir haben ja bisher in
Deutschland auch keine Bürgerkriegspolizei ausgebildet,
sondern eine zivile Polizei ausgebildet, die den hier be-
stehenden Aufgaben gerecht werden kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das soll auch so bleiben!)


Das bedeutet: Wenn eine gesetzliche Regelung beschlos-
sen wird, sollte ebenso ein Parlamentsvorbehalt darin
enthalten sein, wie es bei der Entsendung von Bundes-
wehrsoldaten der Fall ist. Das muss noch einmal deutlich
gesagt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns im
Klaren darüber sein, was wir den Beamten derzeit zumu-
ten wollen. Das Bundesinnenministerium hat dazuge-
lernt, dass die seit 2001 unter alleiniger deutscher Füh-
rung stehende Ausbildung nicht ausgereicht hat, um
einen Aufbau in Gänze zu ermöglichen. Deshalb hat
man beschlossen, diese zu internationalisieren und die
EU zur Unterstützung mit heranzuziehen. Die entspre-
chenden Bestimmungen hat Herr Göbel zitiert; ich will
sie nicht noch einmal wiederholen. Das bringt aber mit
sich, dass das deutsche Kontingent von 40 Beamten auf
60 Beamte aufgestockt werden soll. Insgesamt sollen
195 Polizeibeamte der EU tätig werden. Dieser Aufbau
der Kräfte soll bis Mitte 2008 vollzogen sein. Es ist be-
kannt, dass das zurzeit noch ein bisschen stockt. Das hat
verschiedene Ursachen, unter anderem sind sie darin zu
suchen, dass die EU nicht genügend gepanzerte Fahr-
zeuge zur Verfügung stellt und man sich in keiner Weise
um eine Klärung der Wohnmöglichkeiten für die Polizei-
beamten bemüht hat.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das ist doch ein Skandal, Herr Kollege!)


Des Weiteren soll der Mittelansatz für den Polizeiauf-
bau von bisher 12 Millionen Euro auf 20 Millionen Euro
im nächsten Jahr erhöht werden. Das sind alles Schritte
in die richtige Richtung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber diese sind noch längst nicht ausreichend. Wir hof-
fen aber, dass man da noch einmal nachbessern kann.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Ich komme jetzt zu einem Komplex, der in Ihren An-
trägen immer wieder eine Rolle spielt: die materielle
Ausstattung der Polizistinnen und Polizisten. Wir haben
ja schon von Herrn Göbel gehört, dass bisher strenge Re-
striktionen bezüglich der Ausfuhr von sogenannten
Hilfsmitteln zur Ausübung körperlichen Zwangs existie-
ren. Aber für die 500 Einsatzkräfte der Bereitschaftspoli-
zei in Kabul stehen ab Dezember dieses Jahres Körper-






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Gunkel
schutzausstattung, Schilde, Helme, Schlagstöcke,
Handschellen, Handschuhe und Reizstoffsprühgeräte zur
Verfügung. Das ist auch wieder ein Schritt, der zur wei-
teren Verbesserung der Situation beiträgt. Wir können
also feststellen, dass sich durchaus Verbesserungen erge-
ben haben, und ich glaube, dass es auch in der nächsten
Zeit noch weitere Verbesserungen geben wird.

Bezüglich der materiellen Dimension des Polizeiauf-
baus stellt sich weiterhin die Frage, wie die Besoldung
zu handhaben und die damit einhergehende Korruption
zu beherrschen ist. Die Besoldung der Polizeibedienste-
ten in Afghanistan erfolgt ja nicht durch die afghanische
Regierung, sondern der sogenannte LOTFA, der Law
and Order Trust Fund for Afghanistan, organisiert die
Bezahlung und führt sie durch. An dem Gesamtbeitrag
der EU in Höhe von 35 Millionen Euro beteiligt sich die
Bundesrepublik im nächsten Jahr mit 5 Millionen Euro.
Diesen maßgeblichen Beitrag wird sie auch in den fol-
genden Jahren aufrechterhalten.

Ein weiterer Punkt: Die Gehälter der Polizisten sind
im September 2007 von 70 US-Dollar auf 100 US-Dol-
lar angehoben worden. Damit kommen die Polizisten in
etwa auf den niedrigsten Betrag, den ein Soldat erzielt.
Letztere werden aber nach wie vor im Durchschnitt bes-
ser bezahlt. Auch diese Erhöhung ist noch nicht das
Gelbe vom Ei, aber ein Schritt in die richtige Richtung.

Hinsichtlich der Korruptionsmaßnahmen fordern Sie
von den Grünen in Ihrem Antrag, dass man der afghani-
schen Regierung gegebenenfalls die Gelder sperren soll.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir rigoros!)


Ich glaube nicht, dass das der richtige Weg ist. Ich ver-
mute, dass die Polizisten dann gar nicht mehr bezahlt
werden würden, weil dann diejenigen, die Sie treffen
wollen, Gelder aus anderen Kanälen umleiten werden.
So könnte es dazu kommen, dass die Polizisten leer aus-
gehen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unsere bezahlen wir dann direkt!)


Ich glaube, dass ist eher ein scherzhafter, aber jedenfalls
kein überzeugender Beitrag, um die Korruption zu be-
kämpfen. Dazu sind andere Dinge erforderlich, aber die
können jetzt in der Kürze der Zeit von mir hier nicht dar-
gelegt werden.

Ich komme noch zu einem weiteren Punkt. Gefordert
wird, dass das bisherige Konzept für den Polizeiwieder-
aufbau Afghanistan verändert wird. Dem stimmen wir
durchaus zu, aber wir haben uns natürlich schon sehr ge-
wundert, dass Sie von der FDP-Fraktion die Qualität der
Ausbildung infrage stellen. Gerade die Qualität der Aus-
bildung war bisher anerkannt. Bisher fehlte es an der
zeitlichen Komponente und der Quantität.


(Gisela Piltz [FDP]: Ich glaube, dass Sie nicht richtig zugehört haben!)


Die Leute für den mittleren und gehobenen Dienst, die
dort ausgebildet worden sind, sind hervorragend ausge-
bildet. Nur, wir haben in der Zeit eben nicht genügend
Leute ausgebildet. Ich glaube, dass dem in der nächsten
Zeit, wenn mehr Ausbilder zur Verfügung stehen, abge-
holfen werden kann.

Ich rede hier keineswegs einem Konzept von parami-
litärischen Einheiten das Wort. Wer hier Gendarmerie-
einheiten aufstellen will, die man nur halbwegs als Gen-
darmerie bezeichnen kann, weil sie zugleich militärische
Aufträge haben, dem sage ich: Das soll nicht das Ziel
sein. Es soll schon weiter Polizeiarbeit geleistet werden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Das muss man dann voneinander trennen und diese Auf-
gaben dem militärischen Einsatz zuschreiben. Dann
bleibt man korrekt. Das wollte ich hier unbedingt er-
wähnt haben.

Zum Schluss will ich in einem letzten Punkt noch die
weitere Entwicklung ansprechen: Die EU-Mission hat
im Wesentlichen das deutsche Modell übernommen. Es
bleibt dabei, dass die Polizei nach europäischen Verhält-
nissen ausgebildet werden soll. Zusätzlich führen zehn
deutsche Polizeibeamte in einem Projektteam Trainings-
maßnahmen für die EUPOL-Afghanistan durch. Es wer-
den also Bau- und Ausstattungsprojekte zusammen
durchgeführt. Von daher glaube ich, dass auch in dieser
Hinsicht Weiteres zu erwarten ist.

Insgesamt komme ich zu dem Ergebnis: Der Antrag
der FDP ist etwas überholt. Der grüne Antrag enthält ei-
niges Richtige, zu dem wir Stellung beziehen müssen.
Wir von der Regierungskoalition glauben aber, sie zum
jetzigen Zeitpunkt ablehnen zu müssen. Die weitere Ent-
wicklung wird zeigen, dass es richtig ist, den Aufbau der
Polizei in Ruhe zu vollziehen, statt, wie im Antrag gefor-
dert, drastisch zu beschleunigen. Denn auf diese Weise
wird sie ebenso wie das Militär die Aufgaben zur Zufrie-
denheit aller erledigen können.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612412600

Winfried Nachtwei spricht jetzt für Bündnis 90/Die

Grünen.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612412700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Im November 2002 hatten wir Gelegenheit, mit einer
Delegation des Verteidigungsausschusses das deutsche
Polizeiprojektbüro in Kabul zu besuchen; wir taten das
aus der Erkenntnis heraus, von welch entscheidender
Bedeutung der Polizeiaufbau bei einem solchen Stabili-
sierungsprozess ist. Wir erfuhren damals, wie die Aus-
gangsbedingungen waren: 20 Jahre lang keine Polizei-
ausbildung, eine ganze Generation für die Polizei
verloren; dann die kriegerischen Auseinandersetzungen
mit 600 000 Bewaffneten im Land; die sogenannte Poli-
zei in Kabul hatte nichts an technischer Ausstattung,
kein Funkgerät, nur zehn Pkws, die von irgendwelchen






(A) (C)



(B) (D)


Winfried Nachtwei
Privaten zur Verfügung gestellt worden waren. Das wa-
ren die Ausgangsbedingungen.

Was die zwölf Beamtinnen und Beamten in diesem
ersten Jahr, mit Unterstützung des Technischen Hilfs-
werkes, hinbekommen haben, war bewundernswert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD und der Abg. Gisela Piltz [FDP])


Zu dem Zeitpunkt waren zum Beispiel auf der Polizei-
akademie schon 1 400 Polizeischüler des mittleren und
gehobenen Dienstes. Was da geschafft wurde, war gut.

In den Jahren danach habe ich bei mehreren weiteren
Afghanistan-Besuchen wirklich erfahren, was für einen
guten Dienst diese kleine Gruppe von Polizisten und
Polizistinnen dort geleistet hat. Das Polizeikonzept, bei
dem Deutschland die Führungsrolle innehatte, war
gründlich durchdacht und rechtsstaatsorientiert. Für
diese Arbeit ist den dort eingesetzten Beamtinnen und
Beamten vom Parlament ausdrücklich zu danken.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Immer deutlicher wurde dabei auch, welch enorme
strategische Bedeutung der Polizeiaufbau und der Jus-
tizaufbau haben. Allerdings war das, was dort mit Hilfe
unserer Polizei beim Polizeiaufbau geschah, praktisch
außerhalb jeder politischen und öffentlichen Wahrneh-
mung.

Ich muss auch sagen – das gilt auch für mich –, dass
wir damals die Dimension der Herausforderung bei wei-
tem unterschätzt haben. Die Kluft zwischen den beste-
henden Herausforderungen und dem, was von internatio-
naler und deutscher Seite gemacht wurde, wurde Anfang
2006 im Rahmen der ISAF-Erweiterung besonders groß,
als die Polizeiversorgung in der Fläche gar nicht mehr
hinterherkam, die Gewalt zunahm und der Opiumanbau
rasant anstieg. Gerade im Süden war die Polizei überfor-
dert und wurde besonders zur Zielscheibe. Angesichts
der Tatsache, dass afghanische Polizisten 60 bis 70 Dol-
lar und Talibansöldner 200 bis 250 Dollar im Monat ver-
dienen, ist klar, in welche Richtung viele gingen.

Wer reagierte auf diese von der Dimension her enorm
deutlich werdenden Herausforderungen? Nur die Ameri-
kaner. Sie haben dann ihren Etatansatz von 200 Millio-
nen auf 1,6 Milliarden Dollar aufgestockt. Sie haben
600 Berater eingesetzt. Es ist natürlich völlig zu Recht
festgestellt worden, dass die Konzeption ihrer Polizei-
ausbildung fragwürdig war. Trotzdem haben die Ameri-
kaner als Einzige die Dimension erkannt.

EUPOL, die europäische Polizeimission, sollte dann
im Juni dieses Jahres diese Aufgabe übernehmen.
Deutschland allein war damit in der Tat überfordert. Die
Mission sollte deshalb auf breitere Schultern verteilt
werden. Diese breiteren Schultern – so muss man inzwi-
schen sagen – haben sich bisher nicht herausgebildet.
EUPOL ist immer noch von enormen bürokratischen
Anstrengungen geprägt und damit blockiert.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Inzwischen dringt EUPOL weniger nach außen als vor-
her das deutsche Polizeiprojekt. Es gibt keine zusätzli-
chen Fahrzeuge, der Aufgabenzuschnitt wurde begrenzt.
EUPOL hat nichts mit der unmittelbaren Fort- und Aus-
bildung zu tun und verfügt über keine Projektgelder, was
dort das A und O ist.

Wenn bei der europäischen Polizeimission nicht eine
schnelle Wende zum Besseren eintritt, dann ist ein
Scheitern dieses für die Stabilisierung Afghanistans
wichtigen Eckpfeilers programmiert. Eine zweite Folge
wäre, dass die Amerikaner dann einfach alles überneh-
men, aber im Hinblick auf die Polizei eine Richtung ein-
schlagen werden, mit der wir alle nicht einverstanden
sein können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb die dringende Aufforderung an die Bundesre-
gierung, endlich mit dem Beschönigen der Situation des
Polizeiaufbaus in Afghanistan in all ihren offiziellen
Verlautbarungen aufzuhören.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hier ist ein galoppierender Realitätsverlust festzustellen.
Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, was die Beamtinnen und
Beamten vor Ort sagen!

Wir sollten zu einer Beschleunigung und Intensivie-
rung des gesamten europäischen und deutschen Engage-
ments kommen. Hierzu haben wir in unserem Antrag
konkrete Vorschläge gemacht. Einiges davon ist umstrit-
ten, auch bei uns. Aber nehmen wir diesen Streit zum
Anlass, uns endlich ganz anders als in der Vergangenheit
mit dieser Problematik zu beschäftigen. Denn heute be-
schäftigt sich der Deutsche Bundestag zum ersten Mal
– ich betone: zum ersten Mal; nehmen Sie das bitte zur
Kenntnis – mit dieser für die Afghanistan-Stabilisierung
wichtigen strategischen Frage.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612412800

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612412900

Ich komme zum Schluss.

Vor wenigen Tagen hat der Leitende Kriminaldirektor
Jürgen Scholz die Leitung der EUPOL-Mission über-
nommen. Wir wünschen ihm gerade in dieser schwieri-
gen Situation eine glückliche Hand. Festzustellen ist
aber auch: Die in Afghanistan von uns eingesetzten Poli-
zistinnen und Polizisten brauchen endlich auch von uns
politischen Rückenwind.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612413000

Ich schließe die Aussprache.

Die Fraktionen haben verabredet, die Vorlagen auf
den Drucksachen 16/3648 und 16/6931 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Al-
lerdings ist die Federführung strittig. Die Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD wünschen jeweils Federführung
beim Innenausschuss, die Fraktionen der FDP und des
Bündnisses 90/Die Grünen hingegen beim Auswärtigen
Ausschuss.

Ich lasse zunächst über den Überweisungsvorschlag
der Fraktionen der FDP und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen – Federführung beim Auswärtigen Ausschuss – ab-
stimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor-
schlag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist
der Überweisungsvorschlag bei Zustimmung von FDP
und Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen von der
Linken, der SPD und der CDU/CSU abgelehnt.

Ich lasse jetzt über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD abstimmen, näm-
lich die Federführung dem Innenausschuss zu übertragen.
Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Dieser Überweisungsvor-
schlag ist mit den Stimmen der Koalition und den Linken
gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und FDP
angenommen.

Ich rufe jetzt die Zusatzpunkte 17 a und b sowie 18
auf:

ZP 17 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Unterhalts-
rechts

– Drucksache 16/1830 –

Beschlussempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/6980 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Christine Lambrecht
Joachim Stünker
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Jörn Wunderlich
Irmingard Schewe-Gerigk

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des

(6. Ausschuss)

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Sibylle
Laurischk, Jens Ackermann, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der FDP

Unterhaltsrecht ohne weiteres Zögern so-
zial und verantwortungsbewusst den ge-
sellschaftlichen Rahmenbedingungen an-
passen

– Drucksachen 16/891, 16/6980 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Christine Lambrecht
Joachim Stünker
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Jörn Wunderlich
Irmingard Schewe-Gerigk

ZP 18 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsvor-
schussgesetzes

– Drucksache 16/1829 –

– Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend (13. Ausschuss)


– Drucksache 16/5444 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Eva Möllring
Helga Lopez
Sibylle Laurischk
Jörn Wunderlich
Ekin Deligöz


(8. Ausschuss)


– Drucksache 16/5446 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Frank Schmidt
Dr. Ole Schröder
Otto Fricke
Roland Claus
Anna Lührmann

Zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Ge-
setzentwurf zur Änderung des Unterhaltsvorschussgeset-
zes liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/
CSU und der Fraktion der SPD sowie je ein Entschlie-
ßungsantrag der Fraktionen von FDP und Die Linke vor.

Nach einer interfraktionellen Verabredung ist vorge-
sehen, eine Dreiviertelstunde hierüber zu debattieren. –
Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe der Kollegin
Bundesministerin Brigitte Zypries das Wort.


Brigitte Zypries (SPD):
Rede ID: ID1612413100

Sehr geehrte Frau Kollegin Präsidentin! Liebe Kolle-

ginnen! Liebe Kollegen! Die Reform des Unterhalts-
rechts, die wir heute hier nach langen Diskussionen be-
schließen werden, hat vor allen Dingen einen großen
Gewinner: Das sind die Kinder.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Wir gehen mit dieser Unterhaltsrechtsreform auf die
sich verändernden Lebenswirklichkeiten ein. Selbst
wenn in diesen Tagen über die Ticker lief, dass die Zahl
der Ehescheidungen im letzten Jahr zurückgegangen ist,
müssen wir doch konstatieren, dass nach wie vor mehr
als jede dritte Ehe geschieden wird. Wir müssen konsta-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Brigitte Zypries
tieren, dass bei der Hälfte dieser Scheidungen minder-
jährige Kinder betroffen sind. Weiterhin müssen wir
konstatieren, dass Kinder immer häufiger außerhalb ei-
ner Ehe geboren werden. Im letzten Jahr waren es mehr
als 200 000.

Die Lebensentwürfe und die Familienmodelle werden
vielfältiger. Eine Patchworkfamilie ist heute geradezu
normal; niemand stört sich mehr daran.

Das Recht darf sich von diesen Realitäten nicht ab-
koppeln.


(Beifall der Abg. Iris Gleicke [SPD])


Deshalb haben wir gesagt: Wir regeln das Unterhalts-
recht neu und schützen diejenigen, die sich am wenigs-
ten selber schützen können – ich habe es eben schon ge-
sagt –: die Kinder.


(Beifall bei der SPD)


Die Kinder stehen künftig im ersten Rang. Sie haben
Vorrang vor allen anderen.

Sie stehen im ersten Rang unabhängig davon, aus
welcher Beziehung sie kommen, unabhängig davon, ob
sie aus einer ehemaligen oder jetzigen Beziehung kom-
men, ob sie nichtehelich sind oder in einer anderen Be-
ziehung außerhalb des Familienverbundes leben.


(Heiterkeit der Abg. Iris Gleicke [SPD] – Zuruf von der FDP: Jetzt wird es kompliziert!)


Das alles ist völlig egal: Derjenige, der unterhaltsver-
pflichtet ist, zahlt für alle Kinder gleichmäßig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn dann noch Geld da ist – wir reden jetzt nur von
den Mangelfällen; wir reden über Verteilungsmodi,
wenn das Geld nicht reicht –, stehen im zweiten Rang
diejenigen Elternteile, die Kinder erziehen, und zwar
nur, soweit sie Kinder erziehen. Dies ist eine neue Rege-
lung, die Ihnen heute vorgelegt wird. Wir reagieren
damit auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsge-
richts, in der es gesagt hat: Soweit es um die Kinderer-
ziehung geht, muss es eine absolute Gleichbehandlung
zwischen nichtehelichen und ehelichen Kindern geben.
Die Differenz, die wir im gegenwärtigen Recht zwar
schon verringert hatten, muss beseitigt werden. Es muss
eine absolute Gleichbehandlung bei Kindern geben.

Wir sehen jetzt also vor, dass im zweiten Rang alle
Elternteile stehen, die Kinder bis zum vollendeten drit-
ten Lebensjahr erziehen. Diese Zeit kann verlängert wer-
den, wenn es der Billigkeit entspricht – da geben wir
Richterinnen und Richtern einen größeren Entschei-
dungsspielraum –, beispielsweise, wenn das Kind beson-
derer Zuwendung bedarf oder wenn die Kinder aufgrund
der Betreuungssituation nirgendwo anders hingehen
können. In solchen Fällen kann der betreuende Elternteil
noch länger Unterhalt bekommen.

Mit im zweiten Rang stehen die sogenannten Ehepart-
ner aus alten Ehen. Zu länger andauernden Ehen sagt
man ja oft „Altehe“. Auch diese werden besonders be-
rücksichtigt.

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: In die Kategorie falle ich langsam auch schon!)


– Du würdest erstens in die Kategorie „Altehe“ und
zweitens in die Kategorie „kein Mangelfall“ fallen.


(Heiterkeit)


Im dritten Rang kommen dann alle anderen.

Nun gibt es in der Diskussion häufiger den Einwand,
dass wir die Ehen schlechter behandeln und damit zu ei-
ner Nivellierung zwischen nichtehelichen Lebensge-
meinschaften und Ehen beitragen würden. Ich möchte
diesem Vorwurf gerne entgegentreten und weise darauf
hin, dass wir hier und heute nur über den Betreuungsun-
terhalt verhandeln und nicht über die anderen Verpflich-
tungen reden, die sich aus einer Ehe ergeben, die aber
nichts mit dem Betreuungsunterhalt zu tun haben: Der
Unterhaltsanspruch bleibt weiterhin bestehen, wenn der
geschiedene Ehepartner keine angemessene Arbeit fin-
den sollte; auch im Falle von Krankheit oder in anderen,
vom Gesetz ausdrücklich geregelten Fällen bleibt der
Unterhaltsanspruch bestehen. Neben dem Betreuungsun-
terhalt gibt es also noch andere Unterhaltsformen.

Ferner haben wir eine Sondernorm aufgenommen
– auch das liegt heute zur Abstimmung vor –, nach der
aus Billigkeitsgründen dem Ehepartner dann weiterhin
Unterhalt zugebilligt wird, wenn die Eheleute sich ent-
sprechend verständigt haben. Wenn eine vertragliche
oder quasivertragliche Verabredung über die Organisa-
tion des Familienlebens getroffen wurde, dann kann
nicht einer der Partner später sagen, dass die Vereinba-
rungen nicht mehr gelten. Nein, so wird das nicht sein.
Es gibt einen nachwirkenden Vertrauensschutz und einen
Anspruch auf Geld.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir werden insofern eine Umstellung vornehmen, als
wir die Unterhaltszahlung künftig an das steuerliche
Existenzminimum koppeln. Damit tragen wir wesentlich
zur Verwaltungsvereinfachung bei. In der Übergangszeit
wird das Probleme bereiten, weil das steuerliche Exis-
tenzminimum im Moment unter dem Betrag liegt, der in
der Tabelle, nach der der Unterhalt festgelegt wird, vor-
gesehen ist. Deshalb schlagen wir eine Übergangsrege-
lung vor. Damit können wir garantieren, dass das Niveau
der Unterhaltszahlungen in der Übergangszeit, also bis
zur Anpassung des steuerlichen Existenzminimums im
nächsten Jahr, gleich bleibt und dass niemand weniger
bekommt. Ich glaube, das ist eine gute Nachricht.

Ebenso ist es eine gute Nachricht, dass wir den Unter-
schied zwischen Ost- und Westdeutschland aufheben
und künftig in ganz Deutschland dieselben Verpflichtun-
gen zur Unterhaltszahlung gelten.


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Und das am Einheitstag!)


Diese Rechtsänderung ist – das habe ich eingangs
schon gesagt – vor allem eine gute Nachricht für die
Kinder. Sie ist aber auch ein Zeichen dafür, dass die Ko-
alition in der Lage ist, angemessen auf sich verändernde






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Brigitte Zypries
Familienstrukturen zu reagieren. In diesem Sinne
möchte ich mich herzlich bei allen, die daran mitgewirkt
haben, bedanken.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612413200

Jetzt hat das Wort Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

für die FDP-Fraktion.


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1612413300

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Diese Reform des Unterhaltsrechts berührt, inte-
ressiert und betrifft sehr viele Bürgerinnen und Bürger.
Von daher hat dieses Reformvorhaben einen anderen
Stellenwert als manch anderes Gesetz, über das wir hier
sehr intensiv beraten. Diese Reform wird nämlich auf
fast alle Lebenskonstellationen einwirken.

Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich von Anfang an
dafür eingesetzt – unsere Große Anfrage liegt jetzt drei-
einhalb Jahre zurück –, dass das Unterhaltsrecht an die
geänderten Lebensbedingungen sowie die geänderten
Vorstellungen vom Zusammenleben und die unter-
schiedlichen Formen des Zusammenlebens angepasst
wird.


(Beifall bei der FDP)


Als Oppositionsfraktion stimmen wir dem jetzt vor-
liegenden Kompromissvorschlag der Koalitionsfraktio-
nen zu, weil wir der Auffassung sind, dass das, was jetzt,
nach schwierigen Gesprächen, auch innerhalb der Koali-
tionsfraktionen, vorgelegt worden ist, klar in die richtige
Richtung geht. Das Urteil des Bundesverfassungsge-
richts hat neue Schwierigkeiten für die Beratungen mit
sich gebracht. Dadurch, dass die Ausgangsregelung für
die Bemessung des Betreuungsunterhalts für nichtver-
heiratete und betreuende Mütter angeglichen wurde, ist
der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts entsprochen
worden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir sind der Auffassung, dass gerade die Veränderun-
gen beim Zusammenleben berücksichtigt werden müs-
sen. Frau Ministerin, Sie haben auf die Scheidungsrate
hingewiesen. Es gibt aber auch Zweitfamilien, ein Zu-
sammenleben ohne Trauschein, Patchworkfamilien mit
vier Kindern aus unterschiedlichen Beziehungen.


(Zuruf von der SPD)


– Die vier Kinder habe ich erwähnt, weil das ein Beispiel
in einer Informationsbroschüre des Justizministeriums
ist. – Diese Entwicklung hat zu schwierigen und kompli-
zierten Regelungen geführt, die bisher eines nicht zum
Ziel hatten, nämlich den Unterhalt der Kinder zu sichern.
Hierbei darf es eben keine Unterschiede, abhängig von
der rechtlichen Konstellation des Zusammenlebens der
Eltern, geben.
Deshalb ist für unsere Zustimmung entscheidend,
dass das Kindeswohl jetzt bei dieser Reform des Unter-
haltsrechtes prägend ist. Das ist, Frau Ministerin, eine
grundlegende Reform. Sie geht weit. Sie soll über die
nächsten Jahre Bestand haben. Ich glaube, wir wollen
uns nicht alle paar Jahre wieder mit diesen wichtigen
Fragen beschäftigen. Kinder und gerade auch Elternteile,
die Kinder betreuen, Alleinerziehende, brauchen eine
gewisse Rechtssicherheit; die muss man ihnen geben.

Im Moment – das ist in dieser Reform angelegt, aber
auch nicht vermeidbar – wird es natürlich Unsicherhei-
ten geben, weil Ehen unter anderen Voraussetzungen ge-
schlossen worden sind; Unterhaltsansprüche werden
künftig anders ausgestaltet sein. Da sind Übergangsrege-
lungen schwierig. Deshalb ist der Gedanke einer Stich-
tagsregelung noch einmal aufgekommen, der, denke ich,
zu Recht verworfen wurde, damit keine neuen verfas-
sungsrechtlichen Probleme entstehen.

Ich denke, es gibt intensiven Beratungsbedarf für El-
ternteile, die sich jetzt nach Verabschiedung und Inkraft-
treten des Gesetzes überlegen, ob sie ein Recht auf Än-
derung haben oder nicht. Es gibt auch intensiven
Beratungsbedarf für diejenigen, die eine Ehe eingehen.
Sie sollten es sich im Vorfeld sehr gut überlegen, auch
und gerade wenn sie den Ehebund für immer schließen
und irrlichternde Vorschläge über befristete Eheschlie-
ßungen nicht mehr zur aktuellen Debatte gehören.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)


Denn es weiß niemand, was im Laufe eines längeren Le-
bens geschehen wird. Deshalb wäre es bestimmt richtig,
schon bei Eheschließung, zu Beginn einer Ehe, durch
vertragliche Vereinbarungen Vorsorge zu treffen und
sich darauf zu verständigen, was möglicherweise – zu
diesem Zeitpunkt wünscht man es sich natürlich nicht –
auf Elternteile zukommen kann.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Ich denke, es ist richtig, dass der Aspekt der Eigen-
verantwortung nach Ehescheidung jetzt in der Unter-
haltsrechtsreform als eine Obliegenheit – nicht mit me-
chanischen Regelungen – stärker verankert wird. Ich
glaube, wir alle wissen: Es gibt zu unterschiedliche Ge-
staltungen, nicht nur bezüglich der Dauer der Ehe, son-
dern auch bezüglich der Zuteilung der Aufgaben in die-
ser Ehe. Es obliegt den Elternteilen, sich zu überlegen,
wie die Betreuungssituation später sein kann, wie die Er-
werbsmöglichkeiten während der Ehe und nach der Ehe
sind. Hier muss man letztendlich immer den Einzelfall
berücksichtigen. Diese Obliegenheit der Eigenverant-
wortung der Elternteile und damit eben nicht das Recht,
eine Versorgung für immer, unbefristet auch nach Ehe-
scheidung, in Anspruch nehmen zu können, ist eine rich-
tige Weichenstellung. Das muss erklärt werden; darüber
muss man aufgeklärt werden. Wir halten es letztendlich
für richtig.


(Beifall bei der FDP)


Dass der Unterhaltsvorschuss heute sozusagen nur als
kleiner Punkt auf der Tagesordnung steht und verab-






(A) (C)



(B) (D)


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
schiedet wird, ist bestimmt der Komplexität der gesam-
ten Materie geschuldet. Wir als FDP-Fraktion haben ei-
nen Antrag vorgelegt. Wir halten es für wichtig, dass
man sich diesem Thema sehr wohl gesondert widmet,
und haben Vorschläge dazu auf den Tisch gelegt.

Wir als FDP-Fraktion werden dem Gesetzentwurf der
Koalitionsfraktionen zum Unterhaltsrecht in der vorlie-
genden Fassung zustimmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612413400

Jetzt hat die Kollegin Ute Granold das Wort für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ute Granold (CDU):
Rede ID: ID1612413500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben in den letzten 14 oder 15 Monaten bereits
mehrfach über das Unterhaltsrecht debattiert. Heute
möchte ich mich auf das beschränken, was sich in den
letzten Wochen und Monaten bei den Beratungen in die-
sem Haus getan hat.

Wir haben als Grundlage für die Große Koalition eine
Vereinbarung im Koalitionsvertrag. Wir haben festgehal-
ten, dass die Situation von Familien und Kindern zu ver-
bessern ist, dass deshalb das Unterhaltsrecht jetzt zu re-
formieren ist, dass die Kinder an erster Stelle im Rang
stehen und auch dass die Eigenverantwortlichkeit nach
der Ehe gestärkt werden soll. Darüber hinaus – da haben
wir noch einiges zu tun – ist das Unterhaltsrecht zu har-
monisieren, das heißt, an das Steuer- und Sozialrecht an-
zupassen.

Wir Rechtspolitiker in der Großen Koalition haben fe-
derführend im Rechtsausschuss beraten und, wie ich
denke, unsere Hausaufgaben gemacht. Das Gesetz, das
heute zur zweiten und dritten Lesung ansteht, ist ein gu-
tes Gesetz. Es ist ein tragfähiger Kompromiss. Das Vo-
tum im Rechtsausschuss hat uns gezeigt, dass wir auf
dem richtigen Weg sind, und – Frau Ministerin, ich kann
Ihnen zustimmen – die Große Koalition ist sehr gut in
der Lage, wirksame und tragfähige Gesetze zu machen.
Deshalb richte ich an dieser Stelle einen Dank an alle,
die an diesem Gesetz mitgewirkt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das Unterhaltsrecht ist nicht nur ein Zweig im Fa-
milienrecht, sondern hat auch eine große gesellschafts-
politische Bedeutung. Dem wollen wir Rechnung tragen.
Wir wollen das Kindeswohl fördern – ich habe es ge-
sagt –, die Eigenverantwortlichkeit stärken sowie das
Unterhaltsrecht vereinfachen. Kaum einer weiß viel-
leicht, dass das Unterhaltsrecht in Deutschland das kom-
plexeste und schwierigste Unterhaltsrecht weltweit ist.
Nirgendwo ist es so schwierig wie in Deutschland, und
das gehört vereinfacht, damit die Menschen für den Fall
der Fälle wissen, was für sie zutrifft. Insofern ist eine
Neuregelung erforderlich.
Schauen wir uns einmal die Genese des Gesetzes an:
Im Sommer 2006 wurde es eingebracht. Wir haben es in
erster Lesung hier im Hause beraten und haben dann
eine umfassende Sachverständigenanhörung durchge-
führt. Ich gebe zu, weil es sicherlich gleich angespro-
chen wird: Es gab danach im Frühjahr 2007 etwas
Sturm; den Sturm gab es vornehmlich in der Union.
Denn es ging darum, in einer großen Volkspartei einen
Konsens, eine tragfähige Regelung zu finden, die allen
Interessen gerecht wird. Wir haben auf der einen Seite
die Stärkung des Kindeswohls bzw. als Priorität die Kin-
der, die das schwächste Glied in unserer Gesellschaft
sind. Auf der anderen Seite haben wir den Schutz der
Ehe und somit Art. 6 in seiner ganzen Reichweite zu be-
achten.

Wir haben vor der legendären Entscheidung des Bun-
desverfassungsgerichts vom Februar, die uns in der
Rechtsausschusssitzung im Mai getroffen hat, und auch
danach um eine gute Lösung gerungen. Wir haben An-
fang dieser Woche einen Kompromiss gefunden, der
heute zur Beschlussfassung ansteht.

Die Ministerin hat ausgeführt, dass wir hohe Schei-
dungsraten haben. In den letzten zehn Jahren hatten wir
eine Steigerung um 40 Prozent. In mehr als 50 Prozent
der Fälle sind minderjährige Kinder betroffen. Wir ha-
ben viele Alleinerziehende. In den neuen Bundesländern
werden über 60 Prozent der Kinder nichtehelich gebo-
ren, und wir haben Patchworkfamilien, also viele neue
Formen des Zusammenlebens. Dieser Realität müssen
wir uns stellen, und ich denke, dass wir uns ihr gut ge-
stellt haben.

Vor dem Hintergrund, dass das Kindeswohl für uns
absolute Priorität genießt, war es für uns keine Frage
– ich denke, darüber herrscht in diesem Hause Einver-
nehmen –, dass die Kinder in einem Mangelfall – das
heißt, der Schuldner hat nicht ausreichend Geld zur Ver-
fügung, um alle Unterhaltsansprüche zu befriedigen – al-
lein im Rang eins stehen.

Wir haben von Anfang an klargestellt, dass auch den
Langzeitehepartnern der zweite Rang zusteht.


(Daniela Raab [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Wir haben im Rahmen der Beratungen lediglich die Mo-
difikation vorgenommen, dass nicht nur die Dauer der
Ehe für die Frage, ob der zweite Rang von Bedeutung
ist, sondern auch weitere Punkte wie Rollenverteilung in
der Ehe sowie Pflege und Erziehung gemeinsamer Kin-
der maßgeblich sein sollen.

Wir haben nach mehreren Anläufen letztendlich auch
festgelegt, dass im zweiten Rang alle betreuenden El-
ternteile sind, und zwar unabhängig davon, ob es sich
um nichteheliche Mütter oder geschiedene Elternteile
handelt, weil alle Kinder – so sagt es auch Art. 6 Abs. 5
des Grundgesetzes – vom Gesetzgeber gleich zu behan-
deln sind und da der Betreuungsunterhalt ausschließlich
an das Kind anknüpft. Folglich sind alle Elternteile, die
Kinder betreuen, gesetzlich gleichzusetzen. Das hat sich
dann relativ schnell geklärt, sodass wir eine Einigkeit in
Bezug auf den zweiten Rang herbeigeführt haben.






(A) (C)



(B) (D)


Ute Granold
Wir haben auch § 1615 l BGB – das ist der Unter-
haltsanspruch der nichtehelichen Mutter – lange disku-
tiert. Der Ursprungsentwurf sah weiterhin eine Un-
gleichbehandlung vor. Wir wollten die Schere zwischen
dem Betreuungsunterhaltsanspruch des geschiedenen El-
ternteils und dem der nichtehelichen Mutter schließen.
Wir haben dann vor der Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts – das hat die Union mit in die Beratung
eingebracht – den Unterhaltsanspruch der nichtehelichen
Mutter verlängert und damit im Wesentlichen das vor-
weggenommen, was das Bundesverfassungsgericht dann
von uns gefordert hat.

Wir haben in den Beratungen immer Art. 6 als Maß-
stab genommen. Insofern müssen wir sehen, dass wir
nicht nur den geschiedenen Elternteil – in der Regel ist
es die Mutter – nicht schlechter stellen, sondern auch
den Schutz der Ehe weiterhin aufrechterhalten.

Bei dieser Entwicklung sollte man bedenken: Das Fa-
milienrecht ist im BGB aus dem Jahre 1896 verankert,
und mit dem Nichtehelichengesetz aus dem Jahre 1969
hat man sich der Gleichstellung angenähert. Das ist also
nichts Neues, sondern schon relativ alt. Im Jahre 1976
wurde eine Eherechtsreform durchgeführt. In deren Rah-
men sind wir vom Verschuldensprinzip zum Zerrüt-
tungsprinzip übergegangen und haben die Regelungen
zum Unterhalt neu geregelt.

Damals ging der Gesetzgeber davon aus, dass der
Schwächere – das war immer die Frau – zu schützen ist.
Es hat sich aber relativ schnell herausgestellt, dass auch
viele Frauen aus der Ehe ausgebrochen sind – schon da-
mals waren es ungefähr 50 Prozent –, sodass 1986 ein
Unterhaltsänderungsgesetz verabschiedet wurde. Die
Möglichkeit der Begrenzung der Höhe nach und die zeit-
liche Beschränkung wurden in das Gesetz aufgenom-
men. Darüber hinaus wurde im Jahre 1998 eine Kind-
schaftsrechtsreform durchgeführt, in deren Folge die
Unterhaltsansprüche der Kinder konkretisiert wurden.

Im Zuge der Veränderungen des Rechts und der ge-
sellschaftlichen Realität im Laufe der vielen Jahre, die
ich gerade aufgelistet habe, war es, wie auch die Praxis
gezeigt hat, erforderlich, das Recht an die veränderte ge-
sellschaftliche Situation anzupassen. Wir erinnern uns:
Bereits im Jahre 2000 wurde gefordert, das Unterhalts-
recht zu reformieren. Es hat sieben Jahre gedauert. Letzt-
endlich können wir aber sagen, dass wir das Unterhalts-
recht nun auf einen guten Weg gebracht haben.

Die Ministerin hat ausgeführt, dass das Existenzmini-
mum festgeschrieben und mit Blick auf die Praxis we-
sentlich vereinfacht wurde, Stichwort: Unterhaltsbeziffe-
rung. Darüber hinaus kann die Regelbetragsverordnung,
die wir kurzfristig anpassen mussten, weil wir nicht so
ganz die Kurve gekriegt haben, jetzt außer Kraft gesetzt
werden. Auch das Unterhaltsvorschussgesetz wird der
neuen Rechtslage angepasst.

Wir sind uns in diesem Hause einig, dass wir eine
weitergehende Reform des Unterhaltsvorschussgesetzes
isoliert beraten sollten. Hier ist noch das eine oder an-
dere zu regeln. Unser Vorhaben wäre überfrachtet, wenn
wir es jetzt mit auf den Weg bringen wollten.
Wenn dieses Gesetz in Kraft tritt, müssen wir dafür
sorgen, dass es nicht zu einer Benachteiligung der Be-
darfsgemeinschaft von Kind und betreuendem Elternteil
kommt, dass also für die Betroffenen nicht unter dem
Strich weniger herauskommt als heute. Hier muss über
das Sozialrecht und das Steuerrecht nachjustiert werden;
das hatte ich eingangs schon angesprochen.

Lassen Sie mich ferner darauf hinweisen, dass uns das
Bundesverfassungsgericht ganz klar mitgeteilt hat, ob
bzw. wie im Hinblick auf den Betreuungsunterhalt diffe-
renziert werden darf. Daher haben wir in § 1570 Abs. 2
BGB geregelt, dass Ehepartner für die Dauer der Unter-
haltspflicht von drei Jahren und aus Billigkeitsgründen
auch für längere Zeit einen Unterhaltsanspruch haben
können. Das war der Union sehr wichtig. Auch diese Re-
gelung ist im vorliegenden Gesetzentwurf enthalten.

Frau Ministerin, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie
auf Folgendes hingewiesen haben – auch ich hatte mir
das notiert –: Wir dürfen in dieser Diskussion nicht ver-
gessen, dass Ehepartner weitere Unterhaltsansprüche ha-
ben, die zum Beispiel nichteheliche Mütter nicht haben.
Dabei geht es um den Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit
oder wegen Krankheit, um den Aufstockungsunterhalt,
um den Unterhalt aus Billigkeitsgründen, um den Unter-
halt wegen Ausbildung etc. All das war und bleibt im
Gesetz enthalten.

Genau das Gleiche gilt im Hinblick auf die Höhe des
Unterhalts und die zeitliche Befristung. All das ist Be-
standteil der geltenden Rechtslage. Auch der Grundsatz
der Eigenverantwortung ist jetzt schon im Gesetz enthal-
ten. Diesen Grundsatz wollen wir nun aber noch eindeu-
tiger regeln, weil im Rahmen der Rechtsprechung in der
Vergangenheit nicht sehr viel Gebrauch von diesen Mög-
lichkeiten gemacht wurde. Wir möchten, dass auch im
Falle einer zweiten Ehe oder einer weiteren Familie die
Möglichkeit besteht, den Kindern aus der zweiten Ehe
und ihren Müttern mit finanziellen Mitteln eine Chance
zum Neuanfang zu geben.

Noch einige Sätze zur angesprochenen Übergangsre-
gelung. Im Rechtsausschuss legten die Grünen einen
Antrag vor, der dann zurückgezogen wurde, weil sein In-
halt verfassungswidrig war.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! Das war kompliziert!)


Wir haben immer geprüft: Ist es verfassungswidrig oder
verfassungsgemäß? Wir sind der Meinung, die Über-
gangsregelung ist maßvoll. Der Änderungsumfang be-
trägt ungefähr 10 Prozent. Wenn diese Änderungen zu-
mutbar sind – das hat mit der Billigkeitsregelung und
mit der Einzelfallgerechtigkeit zu tun –, dann soll eine
Änderung möglich sein. Wir wollen nicht zwei parallele
Gesetze, sondern Rechtsklarheit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP])


Das ist uns wichtig. Daher sollte diese Regelung wie ge-
plant getroffen werden.






(A) (C)



(B) (D)


Ute Granold
Es gäbe noch viel zu sagen; aber ich möchte meine
Redezeit nicht zulasten der Redezeit des Kollegen
Singhammer, der noch für die CSU sprechen wird, ver-
längern. Zum Schluss möchte ich sagen: Vielen Dank für
die langen und guten Beratungen, die teilweise auch
stürmisch waren. Ich denke, das Ergebnis zählt. Das Er-
gebnis, das wir erzielt haben, ist sehr gut. Damit können
fast alle in diesem Haus gut leben. Wir müssen die FGG-
Reform auf den Weg bringen, und wir haben beim eheli-
chen Güterrecht und beim Versorgungsausgleich noch
viel zu tun. Aber auch das werden wir schaffen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612413600

Für die Linke hat der Kollege Jörn Wunderlich das

Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612413700

Verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-

gen! Wir begrüßen das neue Unterhaltsrecht, jedenfalls
vom Ansatz her.


(Fritz Rudolf Körper [SPD]: Wenigstens das!)


Dieser Gesetzentwurf ist vor der Sommerpause zurück-
gepfiffen worden. Nachdem aber das Bundesverfas-
sungsgericht seine Entscheidung getroffen hat, sind ei-
nige der Forderungen, welche in unseren Anträgen
schon immer enthalten waren, in diesen Gesetzentwurf
eingeflossen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir – das muss man an dieser Stelle betonen – waren da-
mals die Einzigen, die verfassungskonforme Anträge
eingebracht hatten.

Gut am neuen Unterhaltsrecht ist, dass der Betreu-
ungsunterhalt für Kinder unabhängig davon, ob sie in
ehelichen oder nichtehelichen Haushalten leben, gleich
lange gezahlt werden soll. Schlecht ist, dass der Betreu-
ungsunterhalt – Betreuungsunterhalt! – geschiedenen
Ehefrauen ohne Wenn und Aber drei Jahre gezahlt wird,
bei nichtverheirateten Frauen jedoch zu prüfen ist, ob sie
bedürftig sind und ob ihnen Erwerbstätigkeit zugemutet
werden kann. So steht das im Gesetzestext. Was bedeutet
das? Die ledige Mutter eines Kindes von zwei Jahren
muss halbtags arbeiten gehen, da es ihr, sofern ein Kin-
derbetreuungsplatz vorhanden ist, zugemutet werden
kann. Die geschiedene Nachbarin, deren Kind auch zwei
Jahre alt ist, muss hingegen nicht arbeiten gehen, be-
kommt den vollen Unterhalt und bekäme vom Staat,
wenn es nach der CSU ginge, auch noch Betreuungs-
geld. Da kann ich nur sagen: Grüß Gott nach Bayern,
Herr Singhammer! Ob das dem lieben Gott gefällt, be-
zweifle ich.


(Beifall bei der LINKEN – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das gefällt ihm, da bin ich mir sicher! – Gegenruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD]: Die Frauen wollen arbeiten!)


Gut ist im Vergleich zum ersten Entwurf die Über-
gangsregelung für den Mindestunterhalt, die gewährleis-
tet, dass zumindest gegenwärtig nicht weniger gezahlt
wird als vorher. Schlecht ist, dass es grundsätzlich zu
wenig ist.


(Daniela Raab [CDU/CSU]: Das ist bei Ihnen immer so: Es ist Ihnen immer zu wenig, es reicht nie!)


Es ist doch nicht einzusehen, dass der Mindestunterhalt
für ein Kind bis zur Einschulung 87 Prozent des Exis-
tenzminimums betragen soll. Ist ein Kind, bis es einge-
schult wird, nur 87 Prozent Mensch? Überhaupt kann
sich der Unterhalt nach meiner Auffassung und nach der
Auffassung meiner Fraktion doch nicht am Existenz-
minimum orientieren! Er muss sich am menschenwürdi-
gen Leben orientieren. Und wir reden hier vom Unter-
halt für die eigenen Kinder!


(Beifall bei der LINKEN)


Mit was für einer Sichtweise, unter was für einer Prä-
misse wird denn hier herangegangen?

Kritisch sehen meine Fraktion und ich auch die steu-
erlichen Auswirkungen auf die geänderte Rangfolge;
auch das ist schon angesprochen worden, und Herr Gehb
hat es im Ausschuss ja bestätigt. Denn infolge des ver-
minderten Realsplittings haben die Unterhaltsverpflich-
teten möglicherweise weniger netto – und damit weniger
Geld zu verteilen. Es nützt nichts, wenn das Kind den
vollen Unterhalt bekommt, aber für die Mutter nichts
mehr übrig bleibt.


(Zuruf von der LINKEN: Genau!)


Denn auch Ihnen müsste klar sein, dass Kind und Mutter
bzw. Kind und Vater eine gemeinsame Haushaltskasse
haben. Das Brot wird für beide gekauft, es wird nicht aus
dem einen Portemonnaie Brot fürs Kind und aus dem an-
deren Portemonnaie Brot für die Mutter gekauft.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der SPD: Und wer bezahlt das jetzt?)


Beim Unterhaltsvorschuss fordern wir, dass das Be-
zugsalter heraufgesetzt und die Bezugsdauer verlängert
wird. Meine Kollegen Familienrichter und Familienan-
wälte kritisieren diese Grenze zu Recht seit langem.
Dass das Kindergeld voll auf den Unterhaltsvorschuss
angerechnet wird, ist schon skandalös. Aber dass die
Summe nach dem Willen der Koalition jetzt auch noch
reduziert werden soll, ist schlechterdings unglaublich.

In diesem Zusammenhang ist schade – auch das ist
schon angesprochen worden –, dass man über die Vo-
raussetzungen für den Bezug von Unterhaltsvorschuss
nicht nachgedacht hat. Bislang bekommt ein Kind nur
dann Unterhaltsvorschuss, wenn es bei einem Elternteil
lebt. Da tun sich große Löcher auf. Aktueller Fall aus
Thüringen: die Eltern geschieden, das Kind, neun Jahre
alt, lebt bei der Mutter. Der Vater zahlt keinen Unterhalt,
weil er nicht kann oder will. Das Jugendamt geht in Vor-
leistung. Die Mutter stirbt. Die Großmutter, die ALG II






(A) (C)



(B) (D)


Jörn Wunderlich
bekommt, nimmt das Kind bei sich auf. Was macht das
Jugendamt? Es stellt die Zahlungen ein, weil das Kind
nicht bei einem Elternteil lebt. Ich denke, man muss an
den Voraussetzungen arbeiten, damit den betroffenen
Kindern zu ihrem Recht verholfen wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Sehr geehrte Damen und Herren von der Koalition, zu
geringer Mindestunterhalt für Kinder, Ungleichbehand-
lung von ledigen und geschiedenen Müttern – eben
nicht, wie es das Bundesverfassungsgericht fordert –,
wahrscheinliche Unterhaltseinbußen bei den Familien –
mit ruhigem Gewissen können meine Fraktion und ich
diesem Gesetz nicht zustimmen. Es hieß doch, das Ge-
setz sollte dem Kindeswohl dienen, Frau Ministerin. So
wie ich das sehe, wird dieses Ziel mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf verfehlt. Wenn dies so Gesetz wird, be-
deutet das: Mit an Sicherheit grenzender Wahrschein-
lichkeit verringert sich das Familieneinkommen der be-
troffenen Familien. Wird kein Unterhalt gezahlt, wird
beim Unterhaltsvorschuss das Kindergeld voll angerech-
net. Für den schlimmen Fall, dass der betreuende Eltern-
teil stirbt, stellt das Jugendamt auch noch die Vorschuss-
zahlungen ein. Und die ledigen Mütter sind schlechter
gestellt. Das alles soll zum Wohl der Kinder sein? Das,
Frau Ministerin Zypries, müssen Sie den betroffenen
Kindern und Eltern hierzulande erklären. Wir jedenfalls
werden uns an diesen Ungerechtigkeiten nicht beteili-
gen.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612413800

Jetzt hat Irmingard Schewe-Gerigk für Bündnis 90/

Die Grünen das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Hartnäckigkeit und Geduld sind als Eigenschaften, die
Politiker und Politikerinnen unbedingt mitbringen soll-
ten, völlig unterschätzt. Diese Hartnäckigkeit haben Sie,
Frau Ministerin, bewiesen. Ohne Sie wäre die Reform
des Unterhaltsrechts so nicht zustande gekommen. Dafür
danke ich Ihnen;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


denn das, was Ihnen Ihr Koalitionspartner im Mai abver-
langen wollte, war schon eine Zumutung.

Ich bin erleichtert, dass wir heute letztendlich doch ei-
nen Gesetzentwurf beschließen können, mit dem wir uns
den gesellschaftlichen Realitäten stellen. Es wurde ge-
sagt: Jede dritte Ehe wird heute geschieden. Die Ehe ist
längst nicht mehr die stabile Basis für die Gründung ei-
ner Familie. Andere Formen des Zusammenlebens sind
neben sie getreten. Jedes dritte Kind wird heute nicht-
ehelich geboren.
Deshalb kann es nicht weiterhin so sein, dass im Falle
einer Trennung Höhe und Dauer des Unterhalts für Mut-
ter und Kind davon abhängig sind, ob die Eltern die
Ringe getauscht haben. Es geht hier doch einzig und al-
lein darum, die Nachteile für diejenigen auszugleichen,
die von einer Trennung besonders betroffen sind, und
das sind zuallererst die Kinder. Darum gehören sie beim
Unterhalt auch in den ersten Rang.


(Abg. Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Nein, keine Zwischenfragen.

Wir Grünen haben ein Familienbild, bei dem das
Wohl der Kinder und nicht die Lebensform der Eltern im
Mittelpunkt steht. Dieses Bild wird sich mit der heutigen
Reform, die unter Rot-Grün ja bereits Konsens war, end-
lich durchsetzen.

Herr Geis, wie ich der Presse entnahm, haben Sie ge-
sagt, dass wir mit dieser Reform die Ehe in die Ecke
drängen. Ich muss Ihnen sagen: Die Ehe hat sich selbst
in die Ecke gestellt: 200 000 Scheidungen bei 380 000 Ehe-
schließungen im Jahre 2005 sprechen eine eigene Spra-
che.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Herr Geis, Sie stehen mit dieser Position aber nicht al-
leine. Wäre es nach dem Willen vieler in Ihrer Partei ge-
gangen, hätte es weiterhin zwei Klassen von Müttern
gegeben, nämlich die verheirateten und die unverheirate-
ten. Weil Sie die Institution Ehe schützen wollten, glaub-
ten Sie, unverheiratete Mütter diskriminieren zu können.
Erst das Bundesverfassungsgericht brachte Sie hier zur
Räson.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Stimmt doch nicht!)


Um Ihre Niederlage beim Unterhaltsrecht zu kompen-
sieren, haben Sie jetzt den Druck beim Betreuungsgeld
erhöht. Ich stelle mir die Frage: Hat es da vielleicht ei-
nen Deal – antiquiertes Betreuungsgeld gegen modernes
Unterhaltsrecht – gegeben?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie schaffen damit doch eine schizophrene Situation: Sie
wollen eine Prämie für das Zuhausebleiben schaffen.
Kinder sollen den Bildungseinrichtungen und Mütter
sollen dem Arbeitsmarkt fernbleiben. Nach der Tren-
nung sollen die Mütter aber ganz schnell wieder nach-
eheliche Eigenverantwortung an den Tag legen, damit
der ehemalige Gatte eine Zweitfamilie gründen kann.

Wie stellen Sie sich das eigentlich vor? Die Mütter
haben die Verbindung zum Arbeitsmarkt dann doch
längst verloren. Die Leidtragenden dieses Deals werden
die Frauen sein. Unser Staat ist leider nach wie vor da-
rauf aufgebaut, dass die Ehefrau im besten Fall als Zu-
verdienerin fungiert. Mit der heutigen Reform muss es
heißen – das sage ich jetzt zur CSU –: Bye, bye, Allein-
verdienerehe.






(A) (C)



(B) (D)


Irmingard Schewe-Gerigk

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Denn nur mit einer individuellen, partnerunabhängigen
Existenzsicherung können Ehefrauen in Zukunft der
– jetzt zitiere ich die Präsidentin des Deutschen Juristin-
nenbundes – seriellen Monogamie ihres Ehemannes ru-
higen Blutes ins Gesicht sehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


„Serielle Monogamie“ – das hört sich doch wirklich gut
an.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Monogame Monotonie? Das ist ein Schüttelreim!)


Wir sollten diese Reform daher als Chance anerken-
nen, endlich gleichberechtigte Verhältnisse in unserem
Land herzustellen. Dafür muss natürlich auch das Ehe-
gattensplitting abgeschafft werden.


(Beifall der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE])


Wir brauchen eine flächendeckende Kinderbetreuung
und die Förderung der Frauen in der Wirtschaft. Das
geht auch Sie an, sehr geehrte Bundesregierung. Der
Herr Staatssekretär aus dem Familienministerium sitzt
hier ja.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Guter Mann!)


Den Männern rufe ich zu: Sie haben zwar lange Zeit
über die hohen Unterhaltsverpflichtungen gejammert,
sich aber doch die Frau zu Hause gewünscht, die Ihnen
den Rücken stärkt,


(Joachim Stünker [SPD]: Was?)


den Haushalt schmeißt und die Kinder versorgt. Damit
ist jetzt Schluss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie haben ein sehr altmodisches Frauenbild! Das gibt es überhaupt nicht!)


Sie können nicht beides haben. Die finanzielle Freiheit
nach einer Ehe erhalten Sie für den Preis von mehr Ver-
antwortung in der Ehe, nämlich für Haushalt und für
Kindererziehung.


(Beifall der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE])


Sie können in den Chefetagen ja schon einmal Platz
schaffen, und bereiten Sie sich auf die Abende vor, an
denen Sie Ihre gestresste Frau zu Hause erwarten und die
Kinder ins Bett bringen.

Die Frauen sind besonders gefragt. Gerade einmal
44 Prozent der Frauen mit Kindern unter fünf Jahren
sind heute in Deutschland erwerbstätig. Das heißt, mehr
als jede Zweite ist nicht erwerbstätig. Von jetzt an muss
die Rollenverteilung in der Partnerschaft neu verhandelt
werden. Nehmen Sie sich das zu Herzen! Andernfalls
wird es bei einer Scheidung künftig unangenehme Über-
raschungen geben.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, wir werden diesem Gesetz zustimmen. Es ist
wegweisend, auch wenn wir das eine oder andere anders
gemacht hätten, wie es hier vorhin schon angesprochen
worden ist. Wir wollten eine Stichtagsregelung, um für
die Altehen mehr Gerechtigkeit zu schaffen. Dies hat
sich als sehr schwierig erwiesen, weil es so viele unter-
schiedliche Fallkonstellationen gibt, dass man nicht al-
len Rechnung tragen kann. Darum haben wir diesen An-
trag heute nicht mehr zur Abstimmung gestellt.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das ist auch gut so!)


Ich halte diese Reform für eine gute. Ich freue mich
auf sie und unterstütze sie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612413900

Jetzt hat der Kollege Johannes Singhammer das

Wort. – Nein, Entschuldigung, Christine Lambrecht
spricht jetzt für die SPD-Fraktion.


Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1612414000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich lege

großen Wert darauf, jetzt sprechen zu dürfen; denn ich
habe lange darauf warten müssen, dass es zur zweiten
und dritten Lesung dieser Reform kommt. Deswegen
freut es mich ganz besonders, dass ich jetzt dazu spre-
chen kann.

Wir hatten im Sommer eine etwas unüberschaubare
Situation, weil der ursprünglich vereinbarte Regierungs-
entwurf aufgrund eines vorliegenden Bundesverfas-
sungsgerichtsurteils überarbeitet werden musste, aber
auch – das muss man durchaus zugeben – wegen teil-
weise unterschiedlicher Auffassungen zwischen den
CDU- und CSU-Familienpolitikern und dem Rest der
Koalition.


(Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Herr Gehb, lassen Sie mich bitte im Zusammenhang
vortragen. Wir haben uns im Rechtsausschuss und bei
verschiedenen anderen Gelegenheiten schon ausge-
tauscht. Das möchte ich jetzt ungern wiederholen.


(Zurufe von der CDU/CSU)


Auch wenn es momentan nicht ganz so aussieht, ha-
ben wir es geschafft, zu einem Konsens zu finden, der
nicht nur in der Koalition, sondern auch darüber hinaus
auf Zustimmung stößt. Es freut mich, dass die FDP und
die Grünen mit im Boot sind. Frau Leutheusser-
Schnarrenberger, ich erinnere mich noch daran, dass wir
einmal eine Geschäftsordnungsdebatte darüber geführt
haben, dass es ein bisschen länger gedauert hat.


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: So ist es!)







(A) (C)



(B) (D)


Christine Lambrecht
Damals habe ich gesagt: So etwas braucht Zeit, und das
muss man ausdiskutieren; aber ich bin optimistisch, dass
wir eine Lösung finden, die auch dem gerecht wird, was
der Lebensrealität entspricht. Ich freue mich, dass dies
gelungen ist; anderenfalls würden Sie ja heute hier nicht
zustimmen.

Zum Thema Lebensrealität nur ein ganz kurzer Ein-
wurf, ohne oberlehrerhaft wirken zu wollen: Wir reden
hier nicht über ein Gesetz, das Mütter in den zweiten
Rang versetzt, egal, ob sie verheiratet sind oder nicht,
sondern über eines, das alle erziehenden Elternteile in
den zweiten Rang versetzt. Dazu können tatsächlich
auch Väter zählen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU])


Das entspricht auch tatsächlich der Lebensrealität. Ich
kenne viele Väter, die darauf auch bestehen. Deswegen
sollten wir nicht immer nur davon reden, dass die Mütter
im zweiten Rang sind. Vielleicht nehmen auch Sie es
wahr, Herr Wunderlich, dass wir nicht nur die Mütter be-
lasten; es können durchaus auch Väter sein. Ich wünsche
mir, dass noch viel mehr Väter – vielleicht nicht gerade
in einer Trennungsphase, aber insgesamt – Erziehungs-
verantwortung übernehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Inhaltlich ist schon viel gesagt worden. Kinder sind
zu Recht im ersten Rang, weil sie keinerlei Einfluss da-
rauf haben, wie ihre Eltern leben. Keine Mutter fragt ihr
Kind, ob sie dessen Vater heiraten soll oder sich von ihm
trennen soll. In der Regel treffen diese Entscheidungen
die Erwachsenen, was auch richtig ist, weil Kinder selten
in der Lage sind, das ganze Geschehen entsprechend ein-
zuschätzen. Aus diesem Grund sollen die Kinder nicht
die Leidenden sein, sondern, egal, in welcher Lebens-
situation sich ihre Eltern befinden, einen gleichen An-
spruch haben, und deswegen ist es auch gut, dass sie
jetzt allein im ersten Rang sind und sich nicht wie bisher
das, was im Mangelfall zu verteilen ist, mit einer Ehe-
frau oder gegebenenfalls auch zwei oder drei Ehefrauen
teilen müssen.


(Daniela Raab [CDU/CSU]: Oder Ehemännern!)


– Ja, oder Ehemännern, okay. Aber bei den Zweit- und
Drittmännern sind die Frauen vielleicht doch noch nicht
so weit. Da kenne ich noch nicht so viele; aber gut, das
alles mag irgendwann kommen. Es muss ja auch nicht
sein, es ist ja vielleicht auch gar nicht wünschenswert,
für so viele sorgen zu müssen.

Kinder sind im ersten Rang und dann im zweiten
Rang, wie angesprochen, die erziehenden Elternteile,
weil eben ein Kind nicht von dem Elternteil losgelöst ge-
sehen werden kann, mit dem es zusammenlebt. Man
kann nicht sagen, ein Kind, das in einer ehelichen Bezie-
hung aufgewachsen ist, bekomme zwar das Gleiche wie
das in einer nichtehelichen Beziehung aufgewachsene,
aber die Mutter bekomme dann dafür weniger. Ich muss
sie als Gemeinschaft sehen; nur so funktioniert das
Ganze. Deswegen ist es auch richtig, dass alle im zwei-
ten Rang gelandet sind.

Zusätzlich sind im zweiten Rang Frauen in einer Ehe
von langer Dauer. Ich halte es für völlig in Ordnung;
denn hier ist ein Vertrauensschutz entsprechend zu be-
rücksichtigen.

Deswegen finde ich es gut, dass dieser Teil berück-
sichtigt wurde. Das Gericht wird dann im Einzelfall ent-
scheiden, was als Ehe von langer Dauer gilt. Das mag im
Einzelfall sehr unterschiedlich gehandhabt werden.

Von daher glaube ich nicht, dass mit dem Gesetzent-
wurf in irgendeiner Weise eine Ideologie übergestülpt
wird oder dass wir als Staat in die Lebensbedingungen
der Familien eingreifen. Der Gesetzentwurf trägt
schlicht und ergreifend dem Rechnung, was jetzt schon
Realität ist, statt einem veralteten Familienbild, das es
– manche mögen das bedauern – schon lange nicht mehr
gibt. Insofern geht es nicht um Ideologie, sondern um die
Anpassung der Gesetzeslage an die Lebensrealität.

Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Denn ich
finde es nicht fair, Herr Wunderlich, wie Sie den Fall ei-
ner Großmutter dargestellt haben, die ein Kind erzieht
und der das Jugendamt den Unterhalt sperrt. Das finde
ich nicht in Ordnung, weil dadurch Emotionen und
Ängste geschürt werden. Wenn das Jugendamt die Un-
terhaltsleistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz
einstellt, dann gibt es in diesem Fall noch einen anderen
Topf, aus dem Leistungen gewährt werden. Denn wenn
die betroffene Frau ALG II bezieht, wie Sie angegeben
haben, dann kann sie als Teil einer Bedarfsgemeinschaft
eine andere finanzielle Zuwendung – meines Wissens
nach dem SGB II – erhalten.

Dass Sie den Fall so darstellen, als würde die Groß-
mutter, die das Kind erziehen muss, kein Geld mehr be-
kommen, weil das Jugendamt den Unterhalt sperrt, finde
ich unfair. Das ist nicht richtig, und es soll deshalb nicht
unwidersprochen stehen bleiben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das Unterhaltsvorschussgesetz und die steuerlichen
Auswirkungen sind bereits als Themen genannt worden,
denen wir uns noch widmen müssen. Dem sollten wir
uns auch nicht verschließen, weil es wichtige Themen
sind.

Ich bin aber froh, dass sich die Stichtagsregelung
nicht durchgesetzt hat. Dann hätte es keine Transparenz
gegeben. Es hätte zwei Gesetze nebeneinander gegeben,
was zu einer großen Verunsicherung geführt hätte.

Es wurde das Anliegen geäußert, die Ehe von langer
Dauer besonders zu privilegieren. Das alles geht nur zu-
lasten der Kinder. Sie kann dann nur im ersten Rang be-
rücksichtigt werden, und die Kinder müssen sich das,
was an Unterhalt zur Verfügung steht, teilen. Ein solches
Vorgehen nach dem Motto „Wasch mich, aber mach
mich nicht nass“ funktioniert aber nicht.






(A) (C)



(B) (D)


Christine Lambrecht

(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber Sie haben doch auch probiert, das zu regeln, Frau Kollegin!)


– Ich habe das noch nie angedacht. Ich habe nur auf ver-
schiedene Anstöße von außen reagiert und nachgerech-
net. Es wäre immer wieder zulasten der Kinder gegan-
gen.

Die Botschaft muss lauten: Die Kinder sind die Ge-
winner der Reform. Da gibt es kein Wenn und Aber und
auch keine Ausnahme.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612414100

Jetzt haben wir eine Kurzintervention des Kollegen

Gehb.


Dr. Jürgen Gehb (CDU):
Rede ID: ID1612414200

Vielen Dank. – Ich habe mich nur deshalb gemeldet,

weil mir durch zweimalige Ablehnung einer Zwischen-
frage nicht die Gelegenheit gegeben worden ist, in die-
sem Hause dem Eindruck entgegenzuwirken, dass
ausschließlich die Familienpolitiker der CDU/CSU-
Fraktion Ewiggestrige seien, die die Verfassung nicht
kennen würden.


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Vorgestrige!)


In dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
– es wird andauernd herangezogen, um uns zu beleh-
ren – hat das Bundesjustizministerium selbst bei der
Frage, ob die Regelung über die Ehedauer verfassungs-
widrig ist, in seiner Stellungnahme ausgeführt, dass es in
diesem Verfahren auf nacheheliche Solidarität ankommt.

Dass man nach einer Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts klüger werden kann, weiß jeder von uns.
Aber man sollte nicht so tun, als hätten die einen von
Anfang an die Weisheit mit Löffeln gefressen, während
die anderen die Ewiggestrigen und Dummen sind. Das
bitte ich, hinzunehmen. Das lasse ich nicht als Stigma
auf meinen Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-
Fraktion sitzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612414300

Offensichtlich möchte niemand antworten. Deswegen

erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Johannes
Singhammer für die CDU/CSU-Fraktion.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1612414400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Im Mai dieses Jahres standen wir bereits kurz
vor der abschließenden Beratung eines gemeinsamen
Gesetzentwurfs der Großen Koalition. 48 Stunden vor
der Verabschiedung ist eine Entscheidung des Bundes-
verfassungsgerichts ergangen, die sich im Kernbereich
mit Fragen dieses Gesetzentwurfs auseinandergesetzt
hat. Der Kernsatz in dieser Entscheidung lautete:

Die unterschiedliche Regelung der Unterhaltsan-
sprüche wegen der Pflege oder Erziehung von Kin-
dern in § 1570 des Bürgerlichen Gesetzbuches
einerseits und § 1615 l Abs. 2 Satz 3 des Bürgerli-
chen Gesetzbuches andererseits ist mit dem
Art. 6 Abs. 5 des Grundgesetzes unvereinbar.

Wir haben daraufhin geprüft, welche Wirkungen die-
ses Urteil hat, und sind zu dem Ergebnis gekommen, die
ursprüngliche Formulierung in einigen Bereichen zu än-
dern. Unsere Ziele bei der Neuformulierung waren: ers-
tens das Kindeswohl, zweitens der Schutz der Ehe, ins-
besondere der Ehe von langer Dauer, und drittens die
Verfassungsfestigkeit des Gesetzes.

Das Kindeswohl steht an erster Stelle; das war immer
unser Wunsch und unser Wille. Jedes Kind ist uns gleich
viel wert. Deshalb war es wichtig, den Unterhaltsansprü-
chen der Kinder unabhängig von der Frage des Status
der Eltern Priorität einzuräumen.


(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])


Der zweite beim Kindeswohl zu berücksichtigende
Punkt ist, dass Kinder bei einer Trennung der Eltern be-
sonders schutzwürdig sind. Wir haben sichergestellt,
dass Mütter und Väter, die ihre Kinder auch nach der
Scheidung selbst betreuen wollen, dies weiterhin tun
können.

Besonders wichtig war uns auch, dass die Institution
Ehe nicht ausgehöhlt wird. Deshalb sind wir erstens ein-
verstanden mit der Formulierung, die jetzt gefunden
worden ist: Wenn ein geschiedener Ehepartner in der
Ehe auf berufliches Fortkommen verzichtet hat, um ge-
meinsame Kinder zu erziehen, kann dieser nach der
Scheidung durch eine individuell maßgeschneiderte Lö-
sung des Gerichts für längere Zeit Unterhalt beziehen.


(Daniela Raab [CDU/CSU]: Genau!)


Das ist richtig und gerecht und wird durch die Neufor-
mulierung des Gesetzes ermöglicht.

Zweitens kann die Leistung der Kindererziehung zu
einer unterschiedlichen Bewertung in der Praxis führen.
Das ist richtig.

Drittens ist es recht und billig und uns wichtig, dass
Frauen mit langjähriger Ehe, die keine Kinder mehr er-
ziehen, beispielsweise weil diese schon aus dem Haus
sind, an die zweite Stelle aufrücken können. Das ist
keine Abwertung, sondern eine Aufwertung der Ehe.
Denn eines ist für uns nach wie vor klar: Die Ehe ist
keine Lebensform unter vielen; sie ist nach wie vor die
Lebensform, für die sich Männer und Frauen am häu-
figsten entscheiden. Das wird auch in Zukunft so sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Männer und Frauen entscheiden sich bewusst für die
Erziehung der gemeinsamen Kinder und wollen die Ehe
als dauerhaften personalen Bund auch in der Zukunft.

Art. 6 Abs. 1 unseres Grundgesetzes verbürgt diesen
besonderen Schutz von Ehe und Familie. Für die, die






(A) (C)



(B) (D)


Johannes Singhammer
diesen Artikel nicht mehr ganz im Gedächtnis haben,
darf ich zitieren:

Ehe und Familie stehen unter dem besonderen
Schutze der staatlichen Ordnung.

Wer etwas anderes will, muss das Grundgesetz ändern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, trotz hoher
Scheidungszahlen, auf die zu Recht hingewiesen worden
ist, haben viele junge Menschen nach wie vor den
Wunsch, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu grün-
den. Die Ehe wird auch in Zukunft kein Relikt aus ver-
gangenen Zeiten sein, sondern die meistgewünschte Le-
bensform. Deshalb lautet, vor allem angesichts so hoher
Scheidungszahlen, der Auftrag an die Familienpolitik,
gute Rahmenbedingungen für die Ehe zu schaffen.

Die Institution Ehe hat Zukunft. An die Adresse der
Grünen sage ich: In einem bin ich mir ganz sicher, Herr
Montag,


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kenne die Ehe!)


nämlich dass die Institution Ehe länger existieren wird
als mancher Kreisverband der Grünen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Heiterkeit – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war das Schlusswort der Woche! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist schon Karneval, oder was?)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612414500

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Unterhaltsrechts. Erklärungen zur Abstimmung
nach § 31 unserer Geschäftsordnung liegen von den Kol-
leginnen und Kollegen Thomas Bareiß, Antje
Blumenthal, Maria Eichhorn, Manfred Kolbe, Dr. Eva
Möllring, Annette Widmann-Mauz und Dr. Maria
Flachsbarth vor.1)


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Das sind ja alles die Familienpolitiker der CDU/CSU!)


Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6980,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
16/1830 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Damit ist der Gesetzentwurf bei Zustimmung der
SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der
FDP-Fraktion und eines Großteils der CDU/CSU-Frak-
tion, Gegenstimmen von der Fraktion Die Linke und ei-
nigen Enthaltungen in der CDU/CSU-Fraktion ange-
nommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

1) Anlagen 7 bis 11
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetz-
entwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor
angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der
Fraktion der FDP mit dem Titel „Unterhaltsrecht ohne
weiteres Zögern sozial und verantwortungsbewusst den
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anpassen“. Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/6980, den Antrag
der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/891 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschluss-
empfehlung bei Zustimmung der Fraktionen Die Linke,
SPD, Bündnis 90/Die Grünen und von großen Teilen der
CDU/CSU-Fraktion sowie bei Gegenstimmen der FDP
und einigen Enthaltungen innerhalb der CDU/CSU-
Fraktion angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Ersten Geset-
zes zur Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes. Der
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 16/5444, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 16/1829 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD vor, über den wir zuerst
abstimmen werden. Wer stimmt für den Änderungsan-
trag auf Drucksache 16/7037? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Damit ist der Änderungsantrag bei Zu-
stimmung von Koalition und FDP, Gegenstimmen von
der Linken und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen
angenommen.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung mit der eben beschlossenen Ände-
rung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzent-
wurf bei Zustimmung durch Koalition und FDP,
Gegenstimmen von der Linken und Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Interfraktionell ist vereinbart, unmittelbar in die dritte
Beratung einzutreten. Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist der Fall.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der
Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen
Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungs-
antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5482? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Ent-
schließungsantrag bei Zustimmung durch die einbrin-
gende Fraktion und Gegenstimmen im übrigen Haus ab-
gelehnt.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/5483? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Dieser Entschließungsantrag ist
bei Zustimmung der Fraktion Die Linke, Ablehnung von
Koalition und FDP sowie bei Enthaltung von Bünd-
nis 90/Die Grünen abgelehnt.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 41 a und 41 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Lothar
Bisky, Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Diether Dehm,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Anpassung der Sozialgesetzgebung für Kul-
tur-, Medien- und Filmschaffende

– Drucksache 16/6080 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte
Pothmer, Katrin Göring-Eckardt, Kerstin Andreae,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Neue Sicherheit für flexible Arbeitsverhält-
nisse

– Drucksache 16/6436 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Kultur und Medien

Hier wäre eine halbe Stunde Debatte vorgesehen. Der
Kollege Gerald Weiß, die Kollegin Angelika Krüger-
Leißner, die Kollegen Heinz-Peter Haustein und Profes-
sor Dr. Lothar Bisky sowie die Kollegin Brigitte
Pothmer haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/6080 und 16/6436 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesord-
nung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 14. November 2007, 13 Uhr,
ein.

Genießen Sie die gewonnenen Einsichten und das
Wochenende.

Die Sitzung ist geschlossen.