Protokoll:
16123

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 16

  • date_rangeSitzungsnummer: 123

  • date_rangeDatum: 8. November 2007

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: None Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:47 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 16/123 griffe gegen die USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Na- tionen und des Artikels 5 des Nordatlantik- vertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (Drucksache 16/6939) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oskar Lafontaine (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartmut Koschyk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Dr. Michael Bürsch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 42: a) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- 12726 C 12726 D 12728 A 12729 B 12730 B 12731 A 12742 A 12743 D 12745 C 12746 C 12748 C 12749 B 12750 B 12751 C 12753 B Deutscher B Stenografisc 123. Si Berlin, Donnerstag, de I n h a Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- neten Dr. Konrad Schily . . . . . . . . . . . . . . . . Wahl des Abgeordneten Michael Link (Heil- bronn) als Schriftführer . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung und Ablauf der Tagesordnung . . Absetzung der Tagesordnungspunkte 8, 23, 28, 30, 34, 35 a, 36, 38, 39 und 40 . . . . . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . Tagesordnungspunkt 3: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streit- kräfte bei der Unterstützung der gemein- samen Reaktion auf terroristische An- 12723 A 12723 B 12723 B 12726 B 12726 B Detlef Dzembritzki (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 12732 B 12733 B undestag her Bericht tzung n 8. November 2007 l t : Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Nationale Integrationsplan Neue Wege – Neue Chancen (Drucksache 16/6281) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin BK . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Fritz Rudolf Körper (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Renate Künast (BÜNDNIS 90/ 12734 A 12734 C 12734 D 12735 A 12737 B 12738 C 12740 B brachten Entwurfs eines … Gesetzes zu Änderung des Staatsangehörigkeitsg setzes (StAG) (Drucksache 16/5107) . . . . . . . . . . . . . . . r e- . 12754 B II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Umsetzung des Rahmenbe- schlusses des Rates vom 22. Juli 2003 über die Vollstreckung von Entschei- dungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweis- mitteln in der Europäischen Union (Drucksache 16/6563) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting- Uhl, Dr. Harald Terpe, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Schutz vor Emissionen aus Laserdruckern, Laserfax- und Kopiergeräten (Drucksache 16/5776) . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, Volker Schneider (Saar- brücken), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissenschaftleraus- tausch fördern – Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in Deutschland (Drucksache 16/5811) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Kai Gehring, Krista Sager, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Indisch- Deutschen Studierenden- und Wissen- schaftleraustausch fördern – Mobili- tätsprogramm zum Jahr der Geistes- wissenschaften in Deutschland (Drucksache 16/5968) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Marcus Weinberg, Ilse Aigner, Bernward Müller (Gera), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- ordneten Ulla Burchardt, Jörg Tauss, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissenschaftleraus- tausch fördern – Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in Deutschland (Drucksache 16/6945) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 43: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (Drucksachen 16/6540, 16/6986) . . . . 12754 C 12754 C 12754 C 12754 D 12755 A 12755 B – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/6992) . . . . . . . . . . . . . b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Februar 2007 zwischen der Bundes- republik Deutschland und Australien über die Soziale Sicherheit von vorü- bergehend im Hoheitsgebiet des ande- ren Staates beschäftigten Personen („Ergänzungsabkommen“) (Drucksachen 16/6567, 16/6829) . . . . . . . c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Ju- gendgerichtsgesetzes und anderer Ge- setze (Drucksachen 16/6293, 16/6568, 16/6978) d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes und an- derer Gesetze (Drucksachen 16/6560, 16/6740, 16/6993) Namentliche Abstimmung (zu Tagesordnungs- punkt 43 d) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 43: e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Legehennenbetriebsregistergesetzes (Drucksachen 16/6559, 16/6862) . . . . . . . f) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Kein zu- sätzlicher Bundeswehreinsatz im In- neren – Die Polizei kann durch die Bundeswehr nicht ersetzt werden – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Volker Beck (Köln), Jerzy Montag, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Bun- deswehr vor öffentlichen Gebäuden und Stadien für die Fußballwelt- meisterschaft 2006 (Drucksachen 16/563, 16/359, 16/1510) g) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie zu dem Antrag der Abgeordneten 12755 C 12755 D 12756 A 12756 B 12759 B 12759 C 12756 C 12757 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 III Florian Toncar, Burkhardt Müller- Sönksen, Dr. Werner Hoyer, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP: EU- Waffenembargo gegen China beibehal- ten (Drucksachen 16/969, 16/2574) . . . . . . . . h) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Exportaktivi- täten deutscher Unternehmen im Tech- nologiebereich erneuerbarer Energien sachgerecht unterstützen (Drucksachen 16/1565, 16/3587) . . . . . . . i) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu der Unter- richtung durch die Bundesregierung: Vor- schlag für eine Verordnung des Europäi- schen Parlaments und des Rates zu Ge- meinschaftsstatistiken über öffentliche Gesundheit und über Gesundheits- schutz und Sicherheit am Arbeitsplatz KOM (2007) 46 endg.; Ratsdok. 6622/07 (Drucksachen 16/4819 Nr. 11, 16/5949) j) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu der Un- terrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Verordnung des Ra- tes über die gemeinsame Marktorgani- sation für Wein und zur Änderung be- stimmter Verordnungen (inkl. 11361/07 ADD 1 und 11361/07 ADD 2) KOM (2007) 372 endg.; Ratsdok. 11361/07 (Drucksachen 16/6389 Nr. 1.49, 16/6863) k)–u) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 286, 287, 288, 289, 290, 291, 292, 293, 294, 295 und 296 zu Petitionen (Drucksachen 16/6801, 16/6802, 16/6803, 16/6804, 16/6805, 16/6806, 16/6807, 16/6808, 16/6809, 16/6810, 16/6811) . . . . Tagesordnungspunkt 35: b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes (Drucksachen 16/6309, 16/6828) . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 6: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktio- nen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE 12757 B 12757 C 12757 C 12757 D 12758 A 12759 A GRÜNEN: Jüngste Entwicklungen in Pa- kistan Walter Kolbow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eckart von Klaeden (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Werner Hoyer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Norman Paech (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ruprecht Polenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Johannes Pflug (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Uta Zapf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Sebastian Edathy (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Beschäftigungschancen Älte- rer verbessern – Reformen der Agenda 2010 nicht zurücknehmen (Drucksache 16/6644) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Beschäfti- gungssituation Älterer verbessern – Übergang vom Erwerbsleben in die Rente sozial gestalten (Drucksache 16/6929) . . . . . . . . . . . . . . . Jörg Rohde (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU) . . . . . . . . Uwe Barth (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Grotthaus (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Jörg Rohde (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12761 D 12763 A 12763 D 12764 D 12765 C 12766 C 12768 A 12769 A 12770 A 12771 A 12772 A 12773 A 12773 D 12775 A 12775 A 12775 B 12776 B 12776 B 12779 A 12779 C 12780 C 12781 A 12783 C IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 Tagesordnungspunkt 6: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Erster Fortschrittsbericht zur High- tech-Strategie für Deutschland (Drucksache 16/6900) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Johann-Henrich Krummacher, Ilse Aigner, Dorothee Bär, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Jörg Tauss, René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: IKT 2020: ge- zielte Forschungsförderung für zu- kunftsträchtige Innovationen und Wachstumsfelder im Bereich der Informations- und Kommunika- tionstechnologien (IKT) – zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Grietje Bettin, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Innovationsfähigkeit stär- ken durch Bildungs- und For- schungsoffensive (Drucksachen 16/5900, 16/5899, 16/6923) Dr. Annette Schavan, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Pieper (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ilse Aigner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dieter Grasedieck (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU) . . . . . . . Jörg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Jahressteuergesetzes 2008 (JStG 2008) (Drucksachen 16/6290, 16/6739, 16/6981, 16/7036) . . . . . . . . . . . . . . . 12784 D 12785 A 12785 B 12787 A 12787 D 12789 A 12790 A 12791 C 12793 A 12794 B 12795 B 12796 A 12798 A 12798 B 12798 D – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/6988) . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Frank Schäffler, Dr. Hermann Otto Solms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Steuer- klasse V abschaffen – Lohnsteuerab- zug neu ordnen – zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE: Entfernungspauschale voll- ständig anerkennen – Verfassungs- mäßigkeit und Steuergerechtigkeit herstellen – zu dem Antrag der Abgeordneten Christine Scheel, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Steuervereinfachung – Lohnsteuerklassen III, IV und V ab- schaffen (Drucksachen 16/6396, 16/6374, 16/3023, 16/6981, 16/7036) . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Oskar Lafontaine, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion DIE LINKE: Verbesse- rung der Statistik zur Lohn- und Ein- kommensteuer, Umsatzsteuer und Erb- schaft- und Schenkungsteuer (Drucksachen 16/3025, 16/4274) . . . . . . . d) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Oskar Lafontaine, Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Steu- erpflichtige mit mehr als 500 000 Euro Einkommen gleichmäßig und regelmä- ßig prüfen (Drucksachen 16/3699, 16/5693) . . . . . . . Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Frechen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Otto Bernhardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12800 A 12800 A 12800 B 12800 B 12800 C 12801 C 12803 A 12804 A 12805 C 12806 C 12807 D 12812 B 12812 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 V Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rentenabschläge für Langzeit- erwerbslose verhindern (Drucksache 16/6933) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Weiter- verwendung nach Einsatzunfällen (Ein- satz-Weiterverwendungsgesetz – Ein- satzWVG) (Drucksachen 16/6564, 16/6650, 16/6896) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/6909) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Heß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . . . Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Monika Brüning (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: a) Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Irmingard Schewe-Gerigk, Christine Scheel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für ein transparentes, mit- telstandsfreundliches, innovationsoffe- nes und soziales Vergaberecht (Drucksache 16/6786) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Dr. Thea Dückert, Margareta Wolf (Frankfurt), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ökoeffiziente Beschaffung auf Bundesebene durchsetzen (Drucksache 16/6791) . . . . . . . . . . . . . . . . 12809 D 12810 A 12811 A 12811 B 12814 B 12815 D 12817 B 12818 B 12818 B 12818 C 12819 B 12820 A 12821 C 12822 B 12823 A 12823 D 12823 D c) Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bei öffentlichen Aufträgen so- zial-ökologische Anliegen und Tarif- treue durchsetzen (Drucksache 16/6930) . . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Zeil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD) . . . . . Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Invest- mentgesetzes und zur Anpassung ande- rer Vorschriften (Investmentände- rungsgesetz) (Drucksachen 16/5576, 16/5848, 16/6874) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Dr. Gerhard Schick, Christine Scheel, Kerstin Andreae, Bärbel Höhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Offene Immobilienfonds – Markt- stabilität sichern, Anlegervertrauen stärken (Drucksachen 16/661, 16/6874) . . . . . . . . Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leo Dautzenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nina Hauer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: Beschlussempfehlung und Bericht des Sport- ausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, Joachim Günther (Plauen), Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Recht der Sport- wetten neu ordnen und Finanzierung des Sports sowie anderer Gemeinwohl- belange sichern – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, Joachim Günther (Plauen), Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und 12824 A 12824 A 12825 A 12826 D 12827 D 12829 B 12830 A 12830 B 12830 C 12831 A 12832 B 12833 D 12834 D VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 der Fraktion der FDP: Liberalisierung des Sportwettenmarkts in Deutschland einleiten und europakonformes Konzes- sionsmodell vorlegen (Drucksachen 16/1674, 16/3506, 16/6838) Klaus Riegert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Detlef Parr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Detlef Parr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Riegert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Martin Gerster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Detlef Parr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Förderung der betrieblichen Altersversorgung (Drucksachen 16/6539, 16/6983) . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/6989) . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Abgabenfreie Entgeltum- wandlung über 2008 hinaus fortfüh- ren und ausbauen – zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Birgitt Bender, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bei- tragsfreie Entgeltumwandlung – Erst prüfen, dann entscheiden (Drucksachen 16/6433, 16/6606, 16/6983) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Christian Ahrendt, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Vermittlungsgutscheine der Bundesagen- 12836 B 12836 C 12837 B 12838 B 12839 B 12840 A 12841 A 12841 D 12842 B 12843 A 12844 B 12844 C 12844 C tur für Arbeit marktgerecht ausgestalten – private Arbeitsvermittlung stärken (Drucksachen 16/1675, 16/6987) . . . . . . . . . . Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: Große Anfrage der Abgeordneten Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, Sabine Zimmermann, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Stärkung der sozialen und ökologi- schen Verantwortung von Unternehmen (Drucksachen 16/3557, 16/5844) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der landwirtschaftlichen Sozial- versicherung (LSVMG) (Drucksachen 16/6520, 16/6738, 16/6984) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/7018) . . . . . . . . . . . . . . . . Rolf Stöckel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Edmund Peter Geisen (FDP) . . . . . . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . Dr. Edmund Peter Geisen (FDP) . . . . . . . . Marlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe- Gerigk, Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ge- schlechtersensible und effiziente Haus- haltspolitik einführen (Drucksache 16/6792) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12844 D 12845 A 12846 D 12847 D 12849 B 12850 A 12850 C 12852 B 12852 B 12852 C 12852 D 12853 D 12854 C 12855 C 12856 B 12857 A 12857 C 12858 B 12859 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 VII Tagesordnungspunkt 17: a) Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan (UNMIS) auf Grundlage der Resolution 1590 (2005) des Sicherheitsrats der Vereinten Natio- nen vom 24. März 2005 und weiterer Mandatsverlängerungen durch den Si- cherheitsrat der Vereinten Nationen (Drucksache 16/6940) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN Hybrid Operation in Dar- fur (UNAMID) auf Grundlage der Re- solution 1769 (2007) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 (Drucksache 16/6941) . . . . . . . . . . . . . . . . Gernot Erler, Staatsminister AA . . . . . . . . . . . Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Sibylle Laurischk, Horst Friedrich (Bay- reuth), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: Integrierte Planung für Schiene und Straße im Rheingraben – Ge- samtverkehrskonzept Südbaden (Drucksache 16/6638) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bei der 62. Generalversammlung der Vereinten Nationen ein Zeichen für die weltweite Ab- schaffung der Todesstrafe setzen (Drucksache 16/6942) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Katja Kipping, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Finanzierung von Frauenhäusern bundesweit sicherstellen und losgelöst vom SGB II regeln (Drucksache 16/6928) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12860 A 12860 A 12860 B 12861 B 12862 A 12862 D 12863 D 12864 D 12865 C 12865 D 12866 B Tagesordnungspunkt 21: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Finanzie- rung der Beendigung des subventio- nierten Steinkohlenbergbaus zum Jahr 2018 (Steinkohlefinanzierungs- gesetz) (Drucksache 16/6566) . . . . . . . . . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Finanzierung der Beendigung des subventionierten Steinkohlenbergbaus zum Jahr 2018 (Steinkohlefinanzierungsgesetz) (Drucksachen 16/6384, 16/6972) . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/6973) . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie: – zu dem Antrag der Abgeordneten Paul K. Friedhoff, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP: Ausstieg aus der Steinkohle zügig und zu- kunftsgerichtet gestalten – RAG- Börsengang an marktwirtschaftli- chen Grundsätzen ausrichten – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, Hans-Kurt Hill, Dr. Barbara Höll, Dr. Gesine Lötzsch und der Frak- tion DIE LINKE: Ruhrkohle AG in eine Stiftung öffentlichen Rechts überführen – Börsengang verhin- dern (Drucksachen 16/5422, 16/6392, 16/6972) Paul K. Friedhoff (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Sylvia Kotting-Uhl, Winfried Hermann, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Umweltqualitäts- normen im Bereich Wasserpolitik – Forderungen des Europäischen Parlaments aufgreifen und ausweiten (Drucksache 16/6636) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der 12866 C 12866 C 12866 C 12866 D 12867 A 12868 D VIII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 Heimkehrerstiftung und zur Finanzie- rung der Stiftung für ehemalige politi- sche Häftlinge (Heimkehrerstiftungs- aufhebungsgesetz – HKStAufhG) (Drucksachen 16/5845, 16/6956) . . . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/6990) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 24: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für die Angelegenheiten der Europäi- schen Union zu dem Antrag der Abgeordne- ten Rainder Steenblock, Jürgen Trittin, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik der Europäischen Union weiter entwickeln (Drucksachen 16/5425, 16/6977) . . . . . . . . . . Axel Schäfer (Bochum) (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Stephan Eisel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- torsicherheit – zu der Verordnung der Bundesregierung: Fünfte Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung – zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Meierhofer, Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Verpackungsver- ordnung sachgerecht novellieren – Wei- chen stellen für eine moderne Abfall- und Verpackungswirtschaft in Deutsch- land – zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Weg vom Öl im Kunststoffbereich – Chance der Novelle der Verpackungs- verordnung nutzen und mit Biokunst- stoffen echte Kreisläufe schließen (Drucksachen 16/6400, 16/6487 Nr. 2.2, 16/6598, 16/3140, 16/6982) . . . . . . . . . . . . . . Michael Müller, Parl. Staatssekretär BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12869 A 12869 A 12869 C 12869 D 12871 B 12872 B 12872 D 12873 C 12874 C 12875 A 12876 A Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerd Bollmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 27: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsge- setzes (Drucksachen 16/6310, 16/6975) . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/6991) . . . . . . . . . . . . . b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter, Peter Hettlich, weite- ren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur effizien- teren Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs (Regionalisierungsre- formgesetz) (Drucksachen 16/1435, 16/2807) . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung zu dem Antrag der Abgeord- neten Winfried Hermann, Peter Hettlich, Dr. Anton Hofreiter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verwen- dung der Regionalisierungsmittel offen- legen (Drucksachen 16/652, 16/2807) . . . . . . . . d) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Heidrun Bluhm, Katrin Kunert, Dorothee Menzner, weiteren Abgeordneten und der Frak- tion DIE LINKE eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes (Drucksachen 16/4858, 16/5771) . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/5772) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 29: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der gesetz- lichen Berichtspflichten im Zuständig- keitsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Drucksachen 16/6737, 16/6957) . . . . . . . 12877 B 12878 D 12879 C 12880 D 12881 A 12881 A 12881 B 12881 B 12881 C 12882 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 IX b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- trag der Abgeordneten Peter Bleser, Ursula Heinen, Uda Carmen Freia Heller, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Wilhelm Priesmeier, Volker Blumentritt, Dr. Gerhard Botz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Neuordnung des Berichtswesens (Drucksachen 16/5421, 16/6492) . . . . . . . Tagesordnungspunkt 31: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesversor- gungsgesetzes und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts (Drucksachen 16/6541, 16/6985) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 32: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Vier- ten Gesetzes zur Änderung des Gen- technikgesetzes (Drucksache 16/6814) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des EG-Gen- technik-Durchführungsgesetzes (Drucksache 16/6557) . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Kennzeichnung gentech- nikfreier Fütterung bei tierischen Produk- ten ermöglichen (Drucksache 16/6944) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Schutz von Mensch, Um- welt und gentechnikfreier Produktion im Gentechnikrecht bewahren (Drucksache 16/6943) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12882 B 12882 D 12883 A 12883 B 12883 B 12883 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Klaus Brähmig (CDU/CSU) zur Abstim- mung über den Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der landwirt- schaftlichen Sozialversicherung (LSVMG) (Tagesordnungspunkt 15) . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Peter Jahr, Katharina Landgraf und Volkmar Uwe Vogel (alle CDU/CSU) zur Ab- stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der landwirt- schaftlichen Sozialversicherung (LSVMG) (Tagesordnungspunkt 15) . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Maria Michalk (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Moder- nisierung des Rechts der landwirtschaftlichen Sozialversicherung (LSVMG) (Tagesord- nungspunkt 15) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Florian Toncar, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Uwe Barth, Ernst Burgbacher, Rainer Brüderle, Patrick Döring, Jörg van Essen, Miriam Gruß, Michael Kauch, Harald Leibrecht, Michael Link (Heil- bronn), Markus Löning, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Dirk Niebel, Detlef Parr, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina Schuster, Carl-Ludwig Thiele und Christoph Waitz (alle FDP) zur Abstimmung über den Antrag: Bei der 62. Generalversammlung der Vereinten Nationen ein Zeichen für die weltweite Ab- schaffung der Todesstrafe setzen (Tagesord- nungspunkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Axel Berg (SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Finanzierung 12883 D 12883 B 12885 A 12885 C 12886 B 12887 A 12887 B X Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 der Beendigung des subventionierten Stein- kohlenbergbaus zum Jahr 2018 (Steinkohlefi- nanzierungsgesetz) (Tagesordnungspunkt 21) Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Alexander Dobrindt, Rita Pawelski, Andreas G. Lämmel, Eckhardt Rehberg, Dr. Georg Nüßlein und Hartmut Koschyk (alle CDU/ CSU) zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung zu der Verordnung der Bundesre- gierung: Fünfte Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung (Tagesordnungs- punkt 26) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Großen Anfrage: Stärkung der sozialen und ökologischen Verantwortung von Unter- nehmen (Tagesordnungspunkt 14) Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Garrelt Duin (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Geschlechtersensible und effizi- ente Haushaltspolitik einführen (Tagesord- nungspunkt 16) Ingrid Fischbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Christel Humme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Anträge: – Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan (UNMIS) auf Grundlage der Resolution 1590 (2005) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 24. März 2005 und weiterer Man- 12887 D 12889 B 12889 C 12891 A 12891 C 12892 B 12892 D 12893 C 12894 A 12895 C 12896 D 12897 B 12898 A datsverlängerungen durch den Sicherheits- rat der Vereinten Nationen – Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- kräfte an der AU/UN Hybrid Operation in Darfur (UNAMID) auf Grundlage der Re- solution 1769 (2007) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 (Tagesordnungspunkt 17 a und b) Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD) . . . . . . . . . Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Integrierte Planung für Schiene und Straße im Rheingraben – Gesamt- verkehrskonzept Südbaden (Tagesordnungs- punkt 18) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) . . . . . . . . . . Ernst Burgbacher (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Bei der 62. Generalversammlung der Vereinten Nationen ein Zeichen für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe setzen (Tagesordnungspunkt 19) Erika Steinbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD) . . . . . . . . . Florian Toncar (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Finanzierung von Frauenhäusern bundesweit sicherstellen und losgelöst vom SGB II regeln (Tagesordnungspunkt 20) Maria Michalk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Renate Gradistanac (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12898 D 12899 C 12900 D 12902 B 12903 A 12903 C 12904 D 12906 C 12907 B 12908 C 12909 A 12909 D 12911 A 12911 C 12912 A 12913 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 XI Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Finanzierung der Beendigung des subventionierten Steinkohlenbergbaus zum Jahr 2018 (Steinkohlefinanzierungsgesetz) – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Ausstieg aus der Steinkohle zügig und zukunftsgerichtet gestalten – RAG- Börsengang an marktwirtschaftlichen Grundsätzen ausrichten – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Ruhrkohle AG in eine Stiftung öf- fentlichen Rechts überführen – Börsen- gang verhindern (Tagesordnungspunkt 21 a und b) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Umweltqualitätsnormen im Be- reich Wasserpolitik – Forderungen des Euro- päischen Parlaments aufgreifen und auswei- ten (Tagesordnungspunkt 22) Ulrich Petzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Petra Bierwirth (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der Heimkehrerstiftung und zur Finanzierung der Stiftung für ehemalige politische Häft- linge (Heimkehrerstiftungsaufhebungsgesetz – HKStAufhG) (Tagesordnungspunkt 25) Klaus Brähmig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU) . . . . . . Maik Reichel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Max Stadler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12914 A 12914 D 12915 D 12916 C 12918 C 12920 B 12921 D 12922 C 12923 A 12923 D 12924 C 12925 C 12926 B 12927 A 12927 B Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Die Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik der Europäischen Union weiter entwickeln (Ta- gesordnungspunkt 24) Michael Link (Heilbronn) (FDP) . . . . . . . . . . Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: – zu der Verordnung der Bundesregierung: Fünfte Verordnung zur Änderung der Ver- packungsverordnung – zu dem Antrag: Verpackungsverordnung sachgerecht novellieren – Weichen stellen für eine moderne Abfall- und Verpa- ckungswirtschaft in Deutschland – zu dem Antrag: Weg vom Öl im Kunst- stoffbereich – Chance der Novelle der Verpackungsverordnung nutzen und mit Biokunststoffen echte Kreisläufe schlie- ßen (Tagesordnungspunkt 26) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Än- derung des Regionalisierungsgesetzes – Entwurf eines Gesetzes zur effizienteren Finanzierung des öffentlichen Nahver- kehrs (Regionalisierungsreformgesetz) – Beschlussempfehlung und Bericht: Ver- wendung der Regionalisierungsmittel of- fenlegen – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 27 a bis d) Klaus Hofbauer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Sören Bartol (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Achim Großmann, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12928 A 12929 B 12930 A 12931 A 12931 D 12932 D 12933 D 12934 C XII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der gesetzlichen Berichtspflichten im Zustän- digkeitsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Ver- braucherschutz – Beschlussempfehlung und Bericht: Neu- ordnung des Berichtswesens (Tagesordnungspunkt 29 a und b) Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ursula Heinen, Parl. Staatssekretärin BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Ände- rung des Gentechnikgesetzes – Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Ände- rung des EG-Gentechnik-Durchführungs- gesetzes Antrag: Kennzeichnung gentechnikfreier Fütterung bei tierischen Produkten ermög- lichen Antrag: Schutz von Mensch, Umwelt und gentechnikfreier Produktion im Gentech- nikrecht bewahren (Tagesordnungspunkt 32 und Zusatztagesord- nungspunkte 9 und 10) Dr. Max Lehmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 12935 B 12936 C 12936 D 12937 D 12938 C 12942 A 12942 C 12943 B des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungs- rechts (Tagesordnungspunkt 31) Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg Rohde (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12939 D 12940 C 12941 B Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12944 C 12945 C 12946 D 12947 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12723 (A) (C) (B) (D) 123. Si Berlin, Donnerstag, de Beginn: 9
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    2) Anlage 22 igung 7 (D), letzter Absatz, der lesen: „Deswegen machen genau das verhindern soll, t benutzt wird, um Preise dnis 90/Die Grünen zu Pro- stimmung über den von der ten Gesetzentwurf zur Än- ungsgesetzes und anderer tschädigungsrechts. it und Soziales empfiehlt in g auf Drucksache 16/6985, ndesregierung auf Druck- Abgeordneter und de DIE GRÜNEN Kennzeichnung gente tierischen Produkten – Drucksache 16/6944 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, L Verbraucherschutz (f) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12885 (A) (C) (B) (D) Wieczorek-Zeul, SPD 08.11.2007 nicht nur rund 400 000 zuschussberechtigte Landwirte am Bundeszuschuss partizipieren würden, sondern alleHeidemarie die von Verbänden und Trägern erstellt wurden und die Gegenstand einer Anhörung waren, der Bundeszuschuss als Einnahmeposten in das Lastenausgleichsverfahren eingebracht. Das hätte zur Folge, dass – anders als bisher – Thönnes, Franz SPD 08.11.2007 Wicklein, Andrea SPD 08.11.2007 Anlage 1 Liste der entschuldi Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Akgün, Lale SPD 08.11.2007 Amann, Gregor SPD 08.11.2007 Andres, Gerd SPD 08.11.2007 Beckmeyer, Uwe SPD 08.11.2007 Bismarck, Carl-Eduard von CDU/CSU 08.11.2007 Connemann, Gitta CDU/CSU 08.11.2007 Dreibus, Werner DIE LINKE 08.11.2007 Ernst, Klaus DIE LINKE 08.11.2007 Höfken, Ulrike BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 08.11.2007 Irber, Brunhilde SPD 08.11.2007 Knoche, Monika DIE LINKE 08.11.2007 Kotting-Uhl, Sylvia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 08.11.2007 Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 08.11.2007 Kunert, Katrin DIE LINKE 08.11.2007 Dr. Lauterbach, Karl SPD 08.11.2007 Müntefering, Franz SPD 08.11.2007 Nitzsche, Henry fraktionslos 08.11.2007 Reichenbach, Gerold SPD 08.11.2007 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 08.11.2007 Dr. Seifert, Ilja DIE LINKE 08.11.2007 Strothmann, Lena CDU/CSU 08.11.2007 Anlagen zum Stenografischen Bericht gten Abgeordneten Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Klaus Brähmig (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zur Modernisierung des Rechts der land- wirtschaftlichen Sozialversicherung (LSVMG) (Tagesordnungspunkt 15) Dem von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der landwirtschaftlichen Sozialversicherung werde ich zu- stimmen. Es sind dringende Anpassungen vorzunehmen, um das System der agrarsozialen Sicherungen zukunftsfest zu gestalten. Trotz der 3,65 Milliarden Euro, mit denen der Bund die LSV im Jahre 2006 unterstützte, klagen die Versicherten über eine zu hohe Beitragsbelastung. Der Bundesrechnungshof stellt fest, dass der Strukturwandel in der LSV unvermindert anhält, und die Zahl der akti- ven Versicherten und der landwirtschaftlichen Betriebe nimmt jedes Jahr ab. Des Weiteren wurden die Ziele der Organisationsreform des Jahres 2001 nicht erreicht, die LSV arbeitet nicht wirksam und wirtschaftlich. Mit der Reform wurde ein tragfähiger Kompromiss gefunden, der es ermöglicht, die Zukunft der LSV zu vertretbaren Beiträgen zu sichern. Die Einführung und Ausgestaltung des Lastenaus- gleichs ist ein Kernelement dieser Reform. Auch wenn es auf den ersten Blick so scheint, dass die nord- und ost- deutschen landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften am stärksten davon betroffen sind, müssen dennoch alle Beteiligten in der Land- und Forstwirtschaft sowie im Gartenbau über den Lastenausgleich, von dem mittelfris- tig alle profitieren werden, innergemeinschaftliche Soli- darität im Berufsstand üben. Ferner wurde in einer Reihe von Modellrechnungen, Winkelmeier-Becker, Elisabeth CDU/CSU 08.11.2007 Wolf (Frankfurt), Margareta BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 08.11.2007 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich 12886 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) Beitragszahler der landwirtschaftlichen Unfallversiche- rung. Der ohnehin ab 2010 abgesenkte Bundeszuschuss müsste also auf eine sehr viel größer werdende Zahl Be- rechtigter verteilt werden. Für die Arbeitsgruppe Ernäh- rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz der CDU/ CSU- und SPD-Bundestagsfraktion steht fest, dass zu- nächst der im Gesetz festgeschriebene Lastenausgleich ohne den Bundeszuschuss umgesetzt werden muss. Erst im Anschluss daran kommt es wie bisher zu einer Bei- tragssenkung für die zuschussberechtigten Landwirte durch die Gewährung des Bundeszuschusses, der auch weiterhin auf Basis der beitragsbelastbaren Ertragswerte errechnet werden soll und aus dem Beitragsbescheid er- sichtlich sein muss. Diesen Sachverhalt haben beide Ar- beitsgruppen in der Schlussberatung des Ausschusses Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz am Mittwoch, dem 7. November 2007, im Rahmen einer Protokollnotiz noch einmal herausgestellt. Damit es nicht zu übermäßigen Belastungen einzelner Regionen kommt, wurde ein Kompromiss gefunden, der vorsieht, dass ein Übergangszeitraum für die Jahre 2010 bis 2014 festgelegt wird, in dem das Umlagevolumen schrittweise erhöht wird. Aufgrund dieses Kompromisses kann ich trotz meiner Bedenken diesem Gesetzentwurf zustimmen, da dadurch die Belastungen der Berufsgenossenschaften und Unter- nehmer in Nord- und Ostdeutschland auf ein angemesse- nes Niveau reduziert werden und die zukunftssichere Ausgestaltung der landwirtschaftlichen Sozialversiche- rungen mit stabilen Beiträgen erreicht wird. Vor allem zeigt der Kompromiss aber auch, dass die Solidarität des Berufsstandes noch funktioniert. Selbstverständlich wer- den sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages mit den Auswirkungen der befristeten Abfindungsaktion für Kleinrenten im Jahre 2010 noch einmal beschäftigen müssen, da von ihrer Inanspruchnahme der Erfolg der Reform der LSV abhängt. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Peter Jahr, Katharina Landgraf und Volkmar Uwe Vogel (alle CDU/ CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der land- wirtschaftlichen Sozialversicherung (LSVMG) (Tagesordnungspunkt 15) Am Donnerstag, den 8. November, werde ich dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der landwirt- schaftlichen Sozialversicherung zustimmen. Es sind dringende Anpassungen vorzunehmen, um das System der agrarsozialen Sicherungen zukunftsfest zu gestalten. Trotz der 3,65 Milliarden Euro, mit denen der Bund die LSV im Jahre 2006 unterstützte, klagen die Versicherten über eine zu hohe Beitragsbelastung. Der Bundesrechnungshof stellt fest, dass der Strukturwandel in der LSV unvermindert anhält und die Zahl der aktiven Versicherten und der landwirtschaftlichen Betriebe jedes Jahr abnimmt. Des Weiteren wurden die Ziele der Orga- nisationsreform des Jahres 2001 nicht erreicht; die LSV arbeitet nicht wirksam und wirtschaftlich. Mit der Reform wurde ein tragfähiger Kompromiss gefunden, der es ermöglicht, die Zukunft der LSV zu vertretbaren Beiträgen, zu sichern. Die Einführung und Ausgestaltung des Lastenausgleichs ist ein Kernelement dieser Reform. Auch wenn es auf den ersten Blick so scheint, dass die nord- und ostdeutschen landwirtschaft- lichen Berufsgenossenschaften am stärksten davon be- troffen sind, müssen dennoch alle Beteiligten in der Land- und Forstwirtschaft sowie im Gartenbau über den Lastenausgleich, von dem mittelfristig alle profitieren werden, innergemeinschaftliche Solidarität im Berufs- stand üben. Ferner wurde in einer Reihe von Modellrechnungen, die von Verbänden und Trägern erstellt wurden und die Gegenstand einer Anhörung waren, der Bundeszuschuss als Einnahmeposten in das Lastenausgleichsverfahren eingebracht. Das hätte zur Folge, dass – anders als bisher – nicht nur rund 400 000 zuschussberechtigte Landwirte am Bundeszuschuss partizipieren würden, sondern alle Beitragszahler der landwirtschaftlichen Unfallversiche- rung. Der ohnehin ab 2010 abgesenkte Bundeszuschuss müsste also auf eine sehr viel größer werdende Zahl Be- rechtigter verteilt werden. Für die Arbeitsgruppe Ernäh- rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz der CDU/ CSU- und SPD-Bundestagsfraktion steht fest, dass zu- nächst der im Gesetz festgeschriebene Lastenausgleich ohne den Bundeszuschuss umgesetzt werden muss. Erst im Anschluss daran kommt es wie bisher zu einer Bei- tragssenkung für die zuschussberechtigten Landwirte durch die Gewährung des Bundeszuschusses, der auch weiterhin auf Basis der beitragsbelastbaren Ertragswerte errechnet werden soll und aus dem Beitragsbescheid er- sichtlich sein muss. Diesen Sachverhalt haben beide Ar- beitsgruppen in der Schlussberatung des Ausschusses Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz am Mittwoch, dem 7. November 2007, im Rahmen einer Protokollnotiz noch einmal herausgestellt. Damit es nicht zu übermäßigen Belastungen einzelner Regionen kommt, wurde ein Kompromiss gefunden, der vorsieht, dass ein Übergangszeitraum für die Jahre 2010 bis 2014 festgelegt wird, in dem das Umlagevolumen schrittweise erhöht wird. Aufgrund dieses Kompromisses kann ich trotz meiner Bedenken diesem Gesetzentwurf zustimmen, da dadurch die Belastungen der Berufsgenossenschaften und Unter- nehmer in Nord- und Ostdeutschland auf ein angemesse- nes Niveau reduziert werden und die zukunftssichere Ausgestaltung der landwirtschaftlichen Sozialversiche- rungen mit stabilen Beiträgen erreicht wird. Vor allem zeigt der Kompromiss aber auch, dass die Solidarität des Berufsstandes noch funktioniert. Selbstverständlich wer- den sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages mit den Auswirkungen der befristeten Abfindungsaktion für Kleinrenten im Jahre 2010 noch einmal beschäftigen müssen, da von ihrer Inanspruchnahme der Erfolg der Reform der LSV abhängt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12887 (A) (C) (B) (D) Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Maria Michalk (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zur Modernisierung des Rechts der land- wirtschaftlichen Sozialversicherung (LSVMG) (Tagesordnungspunkt 15) Am Donnerstag, dem 8. November, werde ich dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der landwirt- schaftlichen Sozialversicherung zustimmen. Es sind dringende Anpassungen vorzunehmen, um das System der agrarsozialen Sicherungen zukunftsfest zu gestalten. Trotz der 3,65 Milliarden Euro, mit denen der Bund die LSV im Jahre 2006 unterstützte, klagen die Versicherten über eine zu hohe Beitragsbelastung. Der Bundesrech- nungshof stellt fest, dass der Strukturwandel in der LSV unvermindert anhält. Die Zahl der aktiven Versicherten und der landwirtschaftlichen Betriebe nimmt jedes Jahr ab. Des Weiteren wurden die Ziele der Organisationsre- form des Jahres 2001 nicht erreicht. Die LSV arbeitet nicht wirksam und wirtschaftlich. Mit der Reform wurde ein tragfähiger Kompromiss gefunden, der es ermöglicht, die Zukunft der LSV zu vertretbaren Beiträgen zu sichern. Die Einführung und Ausgestaltung des Lastenausgleichs ist ein Kernelement dieser Reform. Auch wenn es auf den ersten Blick so scheint, dass die nord- und ostdeutschen landwirtschaft- lichen Berufsgenossenschaften am stärksten davon be- troffen sind, müssen dennoch alle Beteiligten in der Land- und Forstwirtschaft sowie im Gartenbau über den Lastenausgleich, von dem mittelfristig alle profitieren werden, innergemeinschaftliche Solidarität im Berufs- stand üben. Damit es nicht zu übermäßigen Belastungen einzelner Regionen kommt, wurde ein Kompromiss ge- funden, der vorsieht, dass ein Übergangszeitraum für die Jahre 2010 bis 2014 festgelegt wird, in dem das Umlage- volumen schrittweise erhöht wird. Dadurch werden die Belastungen der Berufsgenossenschaften und Unterneh- mer in Nord- und Ostdeutschland auf ein angemessenes Niveau reduziert. Aufgrund dieses Kompromisses kann ich trotz meiner Bedenken diesem Gesetzentwurf zu- stimmen. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Florian Toncar, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Uwe Barth, Ernst Burgbacher, Rainer Brüderle, Patrick Döring, Jörg van Essen, Miriam Gruß, Michael Kauch, Harald Leibrecht, Michael Link (Heilbronn), Markus Löning, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Dirk Niebel, Detlef Parr, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina Schuster, Carl-Ludwig Thiele und Christoph Waitz (alle FDP) zur Abstim- mung über den Antrag: Bei der 62. Generalver- sammlung der Vereinten Nationen ein Zeichen für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe setzen (Tagesordnungspunkt 19) Die Todesstrafe ist eine grausame und unmenschliche Bestrafung, die durch nichts zu rechtfertigen ist. Das Eintreten für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe ist ein wichtiger Bestandteil deutscher und europäischer Politik. Ich unterstütze ausdrücklich den Inhalt des Antrags „Bei der 62. Generalversammlung der Vereinten Natio- nen ein Zeichen für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe setzen“. Die Forderung Nr. 9 ist allerdings missverständlich und daher kontraproduktiv. Der aus- drückliche Verweis auf Polen als einziges direkt anzu- sprechendes Land erweckt den Anschein, als ob Polen die Ablehnung der Todesstrafe als Fundament der europäischen Werteordnung anzweifle. Dies ist nicht der Fall. Zwar ist richtig, dass die alte polnische Regierung eine Einigung auf europäischer Ebene für einen „Euro- päischen Tag gegen die Todesstrafe“ verhinderte. Dieses Verhalten war ausgesprochen kritikwürdig, da so die Ge- legenheit für ein klares europäisches Signal gegen die Todesstrafe ungenutzt verstrich. Jedoch hat in Polen mittlerweile eine neue Regie- rung ihr Amt angetreten, die bereits jetzt erkennen lässt, dass sich ein solches Vorgehen nicht wiederholen wird. Aus heutiger Sicht ist daher keine weitere geson- derte Einflussnahme auf Polen notwendig. Eine ent- sprechende Initiative gegenüber der neu gewählten pol- nischen Regierung ist daher nicht angezeigt. Sie könnte deren erklärte Bemühungen im Hinblick auf eine Ver- besserung der Beziehungen erschweren. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Axel Berg (SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Finanzierung der Beendigung des subven- tionierten Steinkohlebergbaus zum Jahr 2018 (Steinkohlefinanzierungsgesetz) (Tagesordnungs- punkt 21 a) Die Abstimmung über den zwischen den Regierungen der Länder Nordrhein-Westfalen und Saarland und der Bundesregierung sowie der IG Chemie und der Ruhr- kohle AG gefundenen Kompromiss, der in Form des so- genannten Steinkohlefinanzierungsgesetzes in den Deut- schen Bundestages eingebracht worden ist, bringt mich in ein Dilemma. Grundsätzlich ist die Beendigung der Subventionie- rung des Steinkohlebergbaus zu begrüßen. Ich werde den Gesetzentwurf mit beschließen und die beiden Anträge der Oppositionsparteien ablehnen, bin aber persönlich der Ansicht, dass nur der technisch schnellstmögliche Ausstieg sinnvoll ist, denn jede Förderung weiterer 12888 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) Tonnen Kohle ist sowohl ökonomisch als auch ökolo- gisch nicht zu verantworten. Die beim Abbau der Steinkohle entstehenden CO2- Emissionen ergeben beinahe ein Viertel der von der In- dustrie und dem Stromerzeugungssektor in der zweiten Handelsperiode des Emissionshandels (2008 bis 2012) zu erbringenden Reduktionsmengen. Beim Abbau von Steinkohle im Tagebau fallen deutlich weniger Emissio- nen an. Damit würde eine absolute Reduktion im globa- len Maßstab bei einem frühzeitigen Ausstieg möglich sein. Bedenkt man, dass mit demselben Finanzierungs- aufwand zur Erschließung einer Tonne heimischer Stein- kohle drei Tonnen Irnportkohle gekauft werden können, erschließt sich auch die ökonomische Sinnhaftigkeit des Abbaus von heimischer Steinkohle nicht. Die im Gesetzentwurf festgeschriebene Vollkostende- ckung der heimisch geförderten Steinkohle entspricht nicht mehr einer modernen Förderung. Es sollte – wenn man die Maßgabe nimmt, dass das Ende des Bergbaus in Deutschland 2018 wirklich stattfindet – über ein „Benchmarksystem“ diskutiert werden, das sich an den durchschnittlichen Förderkosten in diesem Sektor orien- tiert. Damit wäre gewährleistet, dass die Bergbaube- triebe mit den höchsten Förderkosten als erste geschlos- sen werden. Dem Bund entstünden dadurch deutlich weniger Förderkosten. Nach der dem Gesetzentwurf vorausgegangenen KPMG-Studie sind die vollständigen Ewigkeitskosten überhaupt nicht berechnet, die für eine solche Entschei- dung zu berücksichtigen sind. Das geht auch gar nicht, weil sie ihren Namen zu Recht tragen. Beispielsweise das Flöz unter dem Rhein, in das Wasser einbricht, das permanent herausgepumpt werden muss. Hört man auf mit Pumpen, fällt der Rhein herunter mit der Folge, dass halb Nordrhein-Westfalen unter Wasser liegt. Man muss pumpen, solange der Rhein fließt – also ewig. Von über 2 000 ehemaligen Bergwerken weiß man nicht mal mehr, wo genau sie sind und welche Bergschäden von ihnen noch ausgehen werden. Die durch den Börsengang des weißen Bereichs der früheren RAG in Form der Evo- nik AG erzielten Erlöse werden in der RAG-Stiftung nicht ausreichen, um diese Kosten zu tragen. Damit ist die Konstruktion nicht nachhaltig, denn sie bedeutet nur den einmaligen Aufbau eines Kapitalstocks, der zudem kaum in der notwendigen Weise wachsen kann. Es reicht schon rein rechnerisch nicht aus, die werthaltigen Bestandteile der ehemaligen RAG und den Bergbau ge- geneinander so aufzurechnen, dass im Endeffekt eine positive Zahl herauskommt. Damit ist der residuale Be- zahler, der für die Zahlungen im Endeffekt geradestehen muss, wenn die Summen nicht ausreichen, natürlich der Steuerzahler. Das Unternehmen Evonik wird so mit die- ser einmaligen Zahlung aus der unternehmerischen Ver- antwortung entlassen. Als allererste Prämisse hätte nicht das Herstellen ei- nes Konzerns im Ruhrgebiet angestrebt werden müssen. Es gibt überhaupt keine wirtschaftliche Erkenntnis, die darauf hindeutet, dass es ein werthaltiger Weg für eine Region sein soll, einen starken Spieler künstlich zu er- zeugen. Die starken Unternehmen, die wirklich von Weltruf in unserer und vielen anderen Volkswirtschaften sind, haben das selbst auf die Beine gestellt. Das Silicon Valley beispielsweise, das immer herangezogen wird für die Clusteridee, ist endogen entstanden und gerade nicht künstlich durch eine Clusterstrategie erzeugt worden. Ein Unternehmen, das selbst zu einem Weltmarktführer wird, ist eine gute Anlage für eine Region. Aber einfach zu sagen, wir stellen ein großes Unternehmen her und dann geht es der Region besser, ist volkswirtschaftlich nicht durch Argumente gedeckt. Deshalb hätte es sich angeboten zu sagen, man verfolgt ernsthaft auch die Überlegungen des Einzelverkaufs der werthaltigen Be- standteile, um den Anfangserlös so gut als möglich zu maximieren. Deshalb hat die Frage nach der Sozialisie- rung der Kosten bei gleichzeitiger Privatisierung der Ge- winne ihre Berechtigung, solange nicht durch den An- fangserlös versucht wird, alles an Geld herauszuholen, was man hätte rausholen können. Zusätzlich kommen hierzu die Schäden, die durch den fortgesetzten Bergbau angerichtet werden. Es ist keines- wegs so, dass die Förderung der Arbeitnehmer, gleichbe- deutend sein muss mit einer Förderung der Produktion von Steinkohle. Beide Arten von Förderungen haben nichts miteinander zu tun. Wenn man die heimische Steinkohleförderung bis 2012 einstellen würde, könnte man rein rechnerisch Klimagase einsparen in einer Höhe von ungefähr 7,5 Millionen Tonnen CO2. Das ist ein er- heblicher Teil dessen, wozu wir uns im Kioto-Protokoll an volkswirtschaftlichen Einsparungen verpflichtet ha- ben, selbst wenn man von Immobilienschäden und ande- ren Schäden absieht, die der fortgesetzte subventionierte Steinkohlebergbau anrichtet. Allein beim Punkt Klima könnte man schon einiges gewinnen, wenn man einfach die beiden Dinge Förderung und Forderung trennen würde. Es ist eine politische Entscheidung, die noch existierenden Unternehmen in eine privatrechtliche Struktur zu überführen und diese aus ihrer unternehmeri- schen Verantwortung zu entlassen. Der Bergbau hat in den beiden Bundesländern Nord- rhein-Westfalen und Saarland eine lange Tradition; dies darf bei einem Ausstieg nicht vergessen werden. Den be- troffenen Regionen eine zukunftsorientierte, zeitnahe und nachhaltige Perspektive zu eröffnen, ist Aufgabe der Politik. Vor allem die im Bergbau tätigen Menschen sol- len eine in die Zukunft orientierte Perspektive erhalten. Eine Überführung in innovative und nachhaltige Be- schäftigung sollte eigentlich Grundbestreben des Aus- stiegsbeschlusses sein. Selbst wenn man der Annahme folgt, dass nicht alle durch betriebsbedingte Kündigungen arbeitslos werden- den Beschäftigten wieder in den Arbeitsmarkt zu inte- grieren wären, blieben den öffentlichen Kassen ca. 1 Million Euro pro Arbeitnehmer, die für Ausgleichs- maßnahmen verwendet werden könnten, wenn wir uns schneller aus dem Steinkohlebergbau zurückzögen. Dies würde sich aus den wegfallenden Subventionen ergeben. Hier mangelte es an dem Willen der Politik, einen sol- chen Schritt konsequent zu gehen. Es bliebe genügend, um den Arbeitnehmern im Bergbau eine Perspektive zu schaffen – insbesondere auch beim Reparaturbergbau – und gleichzeitig noch Geld freizusetzen für die Förde- rung erneuerbarer Energien, insbesondere für die For- schung in erneuerbaren Energien oder in Bildung und Forschung allgemein und in Wissenstransfer. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12889 (A) (C) (B) (D) Nach Aussage der Bundesregierung (Bundestags- drucksache 16/4393) werden von der bisherigen RAG derzeit noch 1 500 Personen im sogenannten „Schwar- zen Bereich“ ausgebildet. Hier sollte der notwendige Wissenstransfer an kommende Generationen zur Ein- schätzung und Bewirtschaftung der alten Bergwerke als Maß für die Anzahl der bereitzustellenden Ausbildungs- plätze angelegt werden. Der Rest der in der Branche täti- gen oder zurzeit in Ausbildung befindlichen Arbeitneh- mer sollte in zukunftsträchtige Industrien im Bereich Effizienz- oder Erneuerbare-Energien-Technologien überführt werden. Die von den Kompromissparteien geäußerten Ab- sichtserklärungen, gemeinsam an einem zukunftsfähigen Strukturwandel zu arbeiten, ist in meinen Augen zu we- nig. Schließlich wissen wir seit vierzig Jahren, dass der deutsche Steinkohleabbau weder umweltfreundlich noch wirtschaftlich ist. Hier sollten konkrete Zahlen die Ab- sichten unterstreichen. So könnten die Politik und die beteiligten Unternehmen den Sorgen der Betroffenen, die bei einem Strukturwandel entstehen, mit einer positi- ven zukunftsfähigen Perspektive begegnen. Die Region Ruhrgebiet ist deswegen so weit hinten- dran, weil sie den Umschwung nicht rechtzeitig ge- schafft hat und der Strukturwandel so lange dauert. Das nicht trotz, sondern wegen der Bemühungen, das Ende lange hinauszuzögern. Es handelt sich bei der Steinkoh- leförderung rein technisch um nichts anderes als um eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Wir wissen sehr gut aus vielfältigen empirischen Untersuchungen in verschie- densten Bereichen, dass Arbeitsbeschaffungsmaßnah- men schon mittelfristig schlecht sind. Hier setzt bei- spielsweise auch die Agenda 2010 an. Sie sind schlecht für die Beteiligten, weil sie selbst vom Markt ferngehal- ten werden. Sie sind schlecht für die jeweilige Region, weil sie sich dem Strukturwandel nicht schnell genug stellen, sie sind schlecht für die Volkswirtschaft, weil sie bezahlt werden müssen. Die beste Strategie, um eine langfristige sozialver- trägliche Entwicklung zu erreichen, ist, Investitionen in neue rentable Arbeitsplätze zu generieren und zu unter- stützen. Das sind Investitionen in Bildung und in Infra- struktur, die dann entsprechend auch zusätzliche Be- schäftigungsmöglichkeiten nach sich ziehen. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Alexander Dobrindt, Rita Pawelski, Andreas G. Lämmel, Eckhardt Rehberg, Dr. Georg Nüßlein und Hartmut Koschyk (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu der Verord- nung der Bundesregierung: Fünfte Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung (Tagesordnungspunkt 26) Wir unterstützen das Ziel der Novelle, die „Trittbrett- fahrerei“ einzudämmen, dass heißt, durch die Vollstän- digkeitserklärung werden künftig auch die Unternehmen eingebunden, die sich bisher überhaupt nicht oder nur teilweise an den Entsorgungskosten ihrer Verkaufsver- packungen beteiligt haben. Die Anhörung am 10. Oktober 2007 hat allerdings ge- zeigt, dass dem sogenannten Trennungsmodell nur mit Bedenken zugestimmt werden kann. Die vorgesehene „Zwangsmitgliedschaft“ in einem der dualen Systeme für Hersteller und Vertreiber von Verkaufsverpackungen, die beim privaten Endverbraucher anfallen, widerspricht dem Grundsatz der individuellen Produktverantwortung und stellt insofern einen Systembruch dar, der rechtlich und ordnungspolitisch bedenklich ist. Es ist auch zu be- fürchten, dass der Anschluss- und Benutzungszwang zu einer Oligopolbildung dualer Systeme mit entsprechen- den Kostensteigerungen für die Verbraucher führt. Wir bitten deshalb die Bundesregierung, die sektora- len und gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Novelle sorgfältig zu beobachten und bei sich abzeich- nenden Fehlentwicklungen eine grundsätzliche Neuaus- richtung der Verpackungsentsorgung vorzuschlagen. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Großen Anfrage: Stärkung der sozialen und ökologischen Verantwortung von Unternehmen (Tagesordnungspunkt 14) Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Diese Debatte bietet eine gute Gelegenheit, einmal grundsätzlich über die Aufgabe und das Selbstverständnis von Unternehmern in unserer Wirtschaftsordnung zu sprechen. Denn da – das merkt man der Linken in ihrer Großen Anfrage deutlich an – bestehen zwischen Ihnen und den übrigen Fraktio- nen dieses Hauses doch gewaltige Unterschiede in der Auffassung. Das verwundert nicht: Wer unsere Wirt- schaftsordnung im Grunde ablehnt, wessen Programm es ist, Unternehmen zu enteignen, und wer wie Ihr Partei- vorsitzender Bisky auf Ihrem Vereinigungsparteitag die Systemfrage gestellt hat, der hat ein grundlegend fal- sches Bild von der Verantwortung des Unternehmers in der freien Marktwirtschaft. Halten wir fest: Die zentrale Funktion des Unterneh- mers in der Marktwirtschaft ist es, unter Wettbewerbsbe- dingungen Gewinne zu erwirtschaften. Genau diese Hauptaufgabe ist die zentrale Voraussetzung dafür, dass sichere Arbeitsplätze entstehen und Wohlstand geschaf- fen wird. Und um sichere Arbeitsplätze zu schaffen, müs- sen Unternehmen schon sehr genau darauf schauen, dass sie nicht durch Umweltverschmutzung, Bilanzfälschung, die Ausbeutung ihrer Mitarbeiter, durch Kinderarbeit oder Ähnliches ihr eigenes Geschäftsmodell gefährden. Das ist Teil eines verantwortungsvollen Unternehmer- tums, denn die Verbraucher reagieren heute sehr sensibel auf negative Schlagzeilen aus Unternehmen: Ich nenne als jüngstes Beispiel nur den amerikanischen Beklei- dungshersteller GAP, dessen Zulieferer Kinder in Indien beschäftigte und der daraufhin zehntausende Kleidungs- stücke mit der Begründung vom Markt genommen hat, 12890 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) man wolle nicht riskieren, Produkte aus Kinderarbeit zu verkaufen. Es zeigt sich also, dass Imageprobleme gerade bei Markenherstellern gravierende unternehmerische Folgen haben. Einmal wird das Vertrauen der Marke beschädigt, aber auch Investoren wenden sich ab, was die Entwick- lung einer Firma noch viel mehr beeinträchtigen kann. Gewinnabsicht und gesellschaftliche sowie ökologische Verantwortung von Unternehmen sind somit keine Wi- dersprüche. Es zeigt sich sogar, dass sich Unternehmen, die ihr gesellschaftliches Umfeld im Blick haben, meis- tens besser als ihre Wettbewerber entwickeln. Der Fall GAP – andere Beispiele möchte ich hier gar nicht anführen – hat gezeigt, dass sich die soziale und ökologische Verantwortung von Unternehmen am besten im einem marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmen stär- ken lässt. Und dabei haben selbstverständlich Nichtregie- rungsorganisationen, aber besonders die eigenen Mitar- beiter und deren Interessenvertreter eine ganz besondere Aufgabe der Kontrolle und Aufsicht. Es ist zumindest wirksamer, als ständig nach neuen gesetzlichen Regelun- gen zu rufen: Es zeigt sich bei sozialen und ökologischen Fragen, dass die Selbstreinigungskräfte des Marktes auch hier am besten funktionieren. Ich will das anhand einiger Beispiele, die aus der Ant- wort der Bundesregierung stammen, erläutern. Denn es zeigt sich immer stärker, welche Vorteile die Globalisie- rung gerade auch für Entwicklungs- und Schwellenlän- der bringt. Auch Sie von den Linken sollten endlich die Vorteile der Globalisierung anerkennen und nicht die bü- rokratische und ineffiziente Planwirtschaft ohne privates Unternehmertum als Abschluss und Glanzstück aller ökonomischen Entwicklung sehen. Denn wenn es feh- lendes Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Men- schen und der Natur gegeben hat, dann in den Planwirt- schaften des Ostblockes. Dort herrschten unmenschliche Arbeitsbedingungen, und dort wurde ohne Rücksicht auf die natürlichen Ressourcen alles in Grund und Boden ge- wirtschaftet. Die Folgen sehen wir heute noch. Sie ler- nen einfach nichts dazu! Ich will Ihnen das einfach hier zur Kenntnis geben: Der weltweite Wohlstand steigt gegenwärtig, und es sind zu einem großen Teil multinationale Unternehmen, die daran einen Anteil haben: Multinationale Unternehmen bringen Kapital in Entwicklungsländer, das dort drin- gend gebraucht wird. Die gesamten Investitionen nur der deutschen Unternehmen in Entwicklungsländern lagen 2005 bei über 32 Milliarden Euro. Multinationale Unter- nehmen schaffen Arbeitsplätze: Deutsche Unternehmen beschäftigten 2005 in Entwicklungsländern rund 640 000 Arbeitnehmer. Deren Lohn liegt dabei auch noch häufig über dem landesüblichen Niveau, was in der Wertschöpfungskette wiederum Einkommen für weite Millionen von Menschen schafft. Multinationale Unter- nehmen fördern die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitar- beiter und tragen damit zur allgemeinen Verbesserung des Ausbildungsstandes vor Ort bei. Und multinationale Unternehmen ermöglichen ihren Gastländern Zugang zu dringend benötigtem Know-how. Damit werden auch Umwelt- und Energiespartechnologien in diesen Län- dern verbreitet. Man könnte diese Aufzählung fortsetzen, aber es zeigt sich schon hier: Als lokale Partner engagieren sich die Unternehmen in den allermeisten Fällen für die Ge- sellschaft am Investitionsstandort. Da sie sowohl zu Hause als auch im Gastland unter der Beobachtung einer kritischen Öffentlichkeit stehen, können sie sich gar keine Fehler erlauben. Das ist die Realität. Nichtsdestoweniger gibt es noch Entwicklungen, die ein zwischenstaatliches Eingreifen erfordern. Und hier hat die deutsche Ratspräsidentschaft und der G-8-Vorsitz unter unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel wichtige Signale gesetzt: Auf dem G-8-Gipfel vom 6. bis 8. Juni dieses Jahres in Heiligendamm wurde beschlossen, das Thema Corporate Social Responsibility (CSR), also gute Unternehmensführung, zu einem Zukunftsthema gerade in Schwellen- und Entwicklungsländern zu machen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle festhalten: Das Be- wusstsein, dass ökonomischer Erfolg und die soziale und ökologisch verträgliche Gestaltung der Globalisierung eng zusammengehören, wächst sowohl bei den jeweili- gen nationalen Regierungen als auch bei den internatio- nal tätigen Konzernen. Das hat die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Anfrage auch klar festgestellt. Ich möchte noch auf einen innenpolitischen Aspekt dieser Anfrage eingehen, den ich in der aktuellen Lage für besonders erwähnenswert halte. Es geht um Entlas- sungen, Firmenschließungen und Firmenverlagerungen ins Ausland sowie um die damit verbundene hohe Ar- beitslosigkeit in der Vergangenheit. Indem Ihre Anfrage schon vor etwa einem Jahr geschrieben wurde, geht sie noch von ganz anderen Erfahrungen und Erwartungen aus, als wir sie heute bei uns in Deutschland vorfinden. Ich unterstelle das jetzt einmal: Diese Große Anfrage ist wahrscheinlich noch unter dem starken Eindruck der ver- gangenen rot-grünen Bundesregierung geschrieben wor- den: Mit 5 Millionen Arbeitslosen, einer bisher nicht gekannten Staatsverschuldung, Abwanderung hochquali- fizierter Wissenschaftler und Zukunftsangst weiter Teile der Bevölkerung. Seit die Union die Bundesregierung führt, hat sich inzwischen viel getan. Die Arbeitslosigkeit sinkt, wir haben einen ausgeglichenen Haushalt vor Au- gen, die Beschäftigungsquote befindet sich auf einem historischen Höchststand. Das ist erfreulich und das Er- gebnis richtiger Politik. Vor allem ist es aber nicht das Er- gebnis staatlicher Regulierung. Wie Politik auf dem Ver- ordnungsweg soziale Verantwortung diktieren soll, das bleibt das Geheimnis der Linken. Aber wahrscheinlich wollen Sie immer noch den „Neuen Menschen“ schaffen. Dass Ihnen dabei jedes Mittel recht ist, hat das Spitzel- und Unterdrückungssystem im real existierenden Sozia- lismus gezeigt. Wir stellen uns den Herausforderungen der Globali- sierung und sind davon überzeugt, dass gerade der Pri- vatsektor und die Wirtschaft in partnerschaftlicher Zu- sammenarbeit dazu beitragen werden, eine nachhaltige und gerechte Weltwirtschaft zu verwirklichen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12891 (A) (C) (B) (D) Garrelt Duin (SPD): Die Forderung der Linken nach einer CSR-Pflicht für Unternehmen steht konträr zu dem Bestreben der Bundesregierung, die Bürokratie in Deutschland abzubauen. Damit würde ein Bürokra- tiemonster geschaffen werden, das die gelebte Politik in unserem Land lähmen würde. Wir brauchen keine CSR-Knebelverträge für die Un- ternehmen. Das gesellschaftliche Potenzial von CSR muss allgemein mehr Anerkennung erfahren und ausge- baut werden, und das auf freiwilliger Basis. Denn für ein Unternehmen gibt es kein besseres Aushängeschild, als soziale Verantwortung zu übernehmen, ihr Engagement für gesellschaftspolitische Verantwortung zu stärken und regen Austausch zu pflegen. Genau das passiert. Gerade die vielen kleineren und mittelständischen Unternehmen leben die gesellschaftli- che Verantwortung vor Ort. Der Mittelstand hinkt hier aber leider in seiner Kommunikation gelebter gesell- schaftlicher Unternehmensverantwortung den Groß- unternehmen hinterher. Das Engagement der mittelständischen Unternehmen wird allzu oft von den Negativschlagzeilen der Großun- ternehmen überschattet. Es geschieht viel Gutes im „stil- len Kämmerlein“; denn gerade im Mittelstand nehmen viele Unternehmer ihre gesellschaftliche Verantwortung mit viel Herz wahr. Das CSR-Engagement des Mittel- stands beginnt hier bei den Mitarbeitern. Dabei geht es um Punkte wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder Beschäftigung älterer Arbeitnehmer, dem soge- nannten Altersmix der Belegschaften in den Unterneh- men. Als Beispiel möchte ich an dieser Stelle den Famili- enservice Weser-Ems nennen: Seit 1997 setzt sich dieser Verein für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein. In Kooperation mit dem Mittelstand vor Ort werden hier Kinderbetreuungsmöglichkeiten für die Beschäftigten vermittelt. Der Familienservice hatte damals eine Vorrei- terrolle inne und hat gezeigt, dass gerade von einer strukturschwachen Region wie Ostfriesland Innovatio- nen ausgehen können. Mittlerweile haben sich 95 Unternehmen und öffentliche Verwaltungen diesem Projekt angeschlossen. Ein weiteres Beispiel: das Volks- wagenwerk in Emden. Auch hier wird den Mitarbeiterin- nen und Mitarbeitern Tagesbetreuung für ihre Kinder an- geboten. Oder das Emder Unternehmen „Anker Schifffahrt“. Dort werden seit Jahren sehr gute Erfahrun- gen mit der Einstellung älterer Arbeitnehmer gemacht. Das Unternehmen hat gerade wieder fünf Arbeitnehmer über 50 eingestellt. Das macht immerhin 10 Prozent der gesamten Belegschaft aus. Diese Beispiele, die wahr- scheinlich stellvertretend für viele mittelständische Un- ternehmen bundesweit stehen, machen eines deutlich: Staat, Bürger und Unternehmen sind Partner, die zusam- mengehören und die gemeinsam handeln sollten. Soziale Verantwortung von Unternehmen heißt Engagement nach Innen wie nach Außen und darf nicht zu einem reinen Imageträger verkommen. Soziale Ver- antwortung ist für diese mittelständischen Betriebe kein Marketinggag. Hier wird CSR in die Praxis umgesetzt. Wichtiger als die blinde Forderung nach mehr Geset- zen ist das praktische Zusammenwirken der Akteure vor Ort. Diese brauchen unsere Unterstützung, aber keine neue Bürokratie! Katja Mast (SPD): Als Landeskind Baden-Württem- bergs weiß ich: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Bei uns im Ländle kommt hinzu: Aber joh nit drüber schwätze! Trotzdem engagieren sich Unternehmen über das nor- male Maß hinaus. Vor Ort kennt man die auch, zum Bei- spiel bei mir zu Hause: Der Bäcker Wiskandt ermöglicht eine Lesebibliothek in Huchenfeld, die Metallschlauch- firma Witzenmann fördert die Kletterhalle, der Schmuck- etuihersteller Wild gründet eine Kulturstiftung mit 5 Millionen Euro Startkapital, die Nieferner Elektro- firma Pretema fördert Schüler im Enzkreis, die es schwerer haben als andere. Das Technikunternehmen Seuffer in Calw setzt sich für die musische Jugendbil- dung im Verein Obenauf ein. Erst gestern hat es einem Gymnasium im Nordschwarzwald Musikinstrumente zur Verfügung gestellt. Ob die Firmen wissen, dass ihr gesellschaftliches Engagement neudeutsch „Corporate Social Responsibi- lity“, CSR, heißt und Kofi Annan den Global Compact gegründet hat, glaube ich eher nicht. Aber das ist hier auch egal. Wichtig ist: Sie machen mehr als andere, und das gilt es zu fördern und transparent zu machen – auch vonseiten der Politik. Aber gerade für uns Parlamentarier ist doch klar: Das soziale und ökologische Gesicht der Globalisierung müssen wir in einer Doppelstrategie gestalten. Ich be- tone Doppelstrategie – mit einem Pflicht- und einem Kürteil: Pflicht ist unser Engagement in internationalen Organisationen, wie den Vereinten Nationen und der Eu- ropäischen Union. Dort begegnen wir der Globalisierung mit demokratischen Strukturen und setzen ökologische und soziale Mindeststandards, beispielsweise bei der EU-Dienstleistungsrichtlinie, der ILO-Kernarbeitsnorm oder dem Seearbeitsübereinkommen. Wir setzen damit bewusst ein demokratisches Gegengewicht zum freien Spiel der Kräfte. Damit demokratisieren wir täglich ein Stück mehr die Globalisierung, wenngleich wir wissen: Es dauert noch lange, bis überall die gleichen Sozialstan- dards gelten. Oder glaubt irgendjemand hier an ein bal- diges Elterngeld auf Madagaskar? Hier ein gutes Beispiel für sozialdemokratisches Ar- beiten in übernationalen Gremien: Walter Riester hat für die parlamentarische Versammlung des Europarates die Weiterentwicklung der Sozialcharta vorangetrieben, Franz Müntefering hat dafür gesorgt, dass die deutsche Regierung diese am Ende der EU-Ratspräsidentschaft unterzeichnete. Wir als Parlament können nun bald dafür sorgen, dass sie ratifiziert wird. Dann haben wir wieder ein Stück mehr an internationaler Verbindlichkeit herge- stellt, übrigens – alle Parteien haben diese europäische Sozialcharta unterstützt – auch ihre Vertreter. Ich sagte: Wir brauchen eine Doppelstrategie, um das soziale und ökologische Gesicht der Globalisierung zu 12892 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) gestalten: Die Kür ist neben bundesweiten Gesetzen, Richtlinien in der EU und Abkommen in den Vereinten Nationen Freiwilligkeit. Zum Glück gab es schon immer Unternehmen, die mehr tun als gesetzlich vorgeschrie- ben ist. Denn nur dadurch sind doch auch unsere sozia- len Errungenschaften durchsetzbar gewesen. Ich weiß nicht, wie lange wir heute arbeiten müssten, hätte es Robert Bosch nicht gegeben, der schon 1906 den acht- stündigen Arbeitstag eingeführt hat. Wir Sozialdemokraten finden es gut, wenn ein Unter- nehmen wie Faber-Castell darauf besteht, in China im Werk eine Arbeitnehmervertretung zu wählen, obwohl es dort keine gesetzliche Grundlage dafür gibt. Das ist ein Leuchtturm, den wir nach vorne stellen müssen. Denn nur so verändern wir die Realität. Und genau das ist das Ziel des Corporate-Social-Responsibility-Forums von Franz Müntefering, das im nächsten Jahr startet. Spannend ist doch: Was verstehen wir hier in Deutschland unter gesellschaftlich verantwortlichem Verhalten von Unternehmen? Was ist gut? Wo sind die Lücken beim Handeln? Sind nun die Produkte bei uns alle so produziert, dass sie den internationalen Ab- kommen entsprechen? So weit sind wir leider noch nicht – aber wir arbeiten dran – mit unserer Doppelstrategie: Pflicht und Kür. Gesetze erlassen, das können wir gut als Politik, ver- walten auch. Aber Politik als gestaltender Moderator, um global und lokal Dinge zu verändern, Freiwilligkeit zu fördern und Transparenz herzustellen, das ist das qua- litativ Neue an der CSR-Strategie. Diese Herausforde- rung nehmen wir von der ältesten Partei Deutschlands, der SPD, gerne an. Wir wollen gestalten. Heinz-Peter Haustein (FDP): „Nicht die Tatsachen machen das Leben schwer, sondern unsere Bewertung der Tatsachen.“ – Dieser Ausspruch des griechischen Philosophen Epiktet brachte mich unwillkürlich gedank- lich an die große Anfrage der Linken heran: „Stärkung der sozialen und ökologischen Verantwortung der Unter- nehmen.“ Als ich dann mal näher reingeschaut habe, ist mir klar geworden: Es geht hier um eine pauschale Ver- urteilung der Konzerne und letztlich auch des Mittel- stands. Mit Ihrer Geißelung der Unternehmen als verant- wortungslose Heuschrecken helfen Sie niemandem. Im Gegenteil: Sie täuschen die Menschen über die Wirk- lichkeit hinweg. Sie vergessen immer wieder, dass Globalisierung nichts ist, was uns irgendjemand gegen unseren Willen aufnötigt. Die Globalisierung, das Zu- sammenwachsen und der Wettbewerb der weltweiten Volkswirtschaften, hat schon vor Jahrhunderten begon- nen und wird auch künftig weiter voranschreiten. Als spanische Seefahrer Südamerika erschlossen, war es bil- liger, Erze von dort nach Europa zu bringen als sie selbst zu fördern. Dies brachte den Erzbergbau zum Erliegen. Die Eisenbahn machte die Menschen mobil, verfestigte die Globalisierung. Sie werden die Globalisierung auch nicht aufhalten, aus einem einfachen Grund: Die Menschen sehen die Vorteile der Globalisierung, sie nutzen die sich bieten- den Möglichkeiten größerer Mobilität. Man kauft eben in der Regel das billigere Gerät, ohne zu fragen wo und wie es hergestellt wurde. Natürlich hat das Grenzen, zeigt aber: Globalisierung ist Realität. Wir können sie nicht stoppen, es sei denn, sie wollen wieder Mauer und Stacheldraht um unser Land ziehen. Und wie bei jeder Sache gibt es auch hier zwei Seiten: Da entwickelt Deutschland den Transrapid und rein zufällig kommt ein ähnliches Fahrzeug in China auf den Markt. Bei mir im Erzgebirge im Raum Seiffen, Deutschneudorf, werden Räuchermännchen, Nussknacker, Pyramiden und Schwibbögen mit viel Herz und künstlerischem Ge- schick produziert. Ein halbes Jahr später kommen diese Artikel baugleich aus China auf den deutschen Markt, nicht in gleicher Qualität, aber um 80 Prozent billiger. Bitter! Doch ich bin sicher, dass sich selbst in diesem schwierigen Umfeld Original gegen Plagiat durchsetzten wird. Die andere Seite sind Chancen und Möglichkeiten, die ein internationaler Markt bietet. Denken wir an die Automobilindustrie: Nur weil Zulieferer aus Tschechien Teile an VW liefern, kann Volkswagen noch mit der Konkurrenz aus Japan und Korea mithalten. Deutsche Unternehmen müssen also Teile der Produktion ins Aus- land verlagern, um insgesamt wettbewerbsfähig zu blei- ben. Dies schafft und erhält Arbeitsplätze. Um aber bei diesen Herausforderungen mithalten zu können, muss es auch große international arbeitende Konzerne geben. Die fallen nicht vom Himmel. Sie entwickeln sich nach und nach, wie sich auch die Globalisierung entwickelt. Es ist auch eine gewisse Größe notwendig, um im inter- nationalen Wettbewerb bestehen zu können. Ein Global Player, wie diese Unternehmen genannt werden, hat auch eine sehr lokale Wirkung. Er ist im Wirtschaftspro- zess integriert. Viele Mittelständler und Handwerker profitieren als Subunternehmer und/oder Partner von den Aufträgen der Konzerne, auch von ausländischen Kon- zernen, die in Deutschland arbeiten. Es ist also ein Ge- ben und Nehmen zwischen Konzernen und kleinen Be- trieben. Und deshalb ist es unfair, den Konzernen soziale und ökologische Kälte vorzuwerfen. Vor diesem Hintergrund muss es unsere Aufgabe als Parlament sein, den Boden dafür zu bereiten, dass sich noch mehr große Konzerne in unserem Land ansiedeln, mehr Unternehmen gründen. Der Dünger dafür sind zum Beispiel ein einfaches, niedriges und gerechtes Steuer- system, Senkung der Lohnnebenkosten, ein beweglicher Arbeitsmarkt und weniger Bürokratie. Das funktioniert, wenn man es will. Doch leider redet die Regierung nur darüber, anstatt endlich mal zu handeln. Ulla Lötzer (DIE LINKE): Die Antwort der Bundes- regierung auf die Große Anfrage der Linken zur sozialen und ökologischen Unternehmensverantwortung ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die sich für wirksame sozi- ale und ökologische Regeln gegen den globalen Share- holder-Value-Kapitalismus einsetzen. Zwar formuliert die Regierung Bekenntnisse zur sozialen Verantwortung und auch zur Regelungspflicht des Gesetzgebers. Doch bei jeder einzelnen Maßnahme beharrt sie auf der Frei- willigkeit der Unternehmen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12893 (A) (C) (B) (D) Gerade für die Kolleginnen und Kollegen der SPD, ist dies ein politisches Armutszeugnis. In ihrem neuen Pro- gramm heißt es: Damit der Markt seine positive Wir- kung entfalten kann, bedarf es Regeln, eines sanktionsfä- higen Staates, wirkungsvoller Gesetze und einer fairen Preisbildung. – Davon findet man in Antwort der Regie- rung nichts. Im Gegenteil: Nehmen Sie zum Beispiel OECD-Leitlinien für Unternehmen: Sie werden in der Antwort immer wieder als wichtiges Instrument ge- nannt. Mit den Stimmen der SPD hatte sich die Enquete- Kommission „Globalisierung“ für Rechtsverbindlichkeit und bessere Verfahren zur Überprüfung ausgesprochen. Die Regierung beharrt wieder auf der Freiwilligkeit. Hier wie bei vielen ihrer Antworten auf Forderungen von Gremien der Vereinten Nationen, Gewerkschaften und Nichtregierungsorgansationen gilt: Solange Sie am Mythos freiwilliger Unternehmensverantwortung fest- halten, ist Ihr Gerede von „gerechter Globalisierung“ nicht mehr wert als die vielen bunten Broschüren trans- nationaler Konzerne zu ihrer sozialen und ideologischen Verantwortung. Geradezu armselig sind Ihre Antworten auf die mit dem globalen Kapitalismus gewachsene Machtstellung der transnationalen Konzerne: Ob Telekom, Allianz, Opel oder Deutsche Bank – stellvertretend für viele ha- ben sie sich in den letzten Jahren vor allem mit Massen- entlassungen oder Ausgliederungen einen Namen ge- macht. Mit der Androhung von Produktionsverlagerung oder konzerninterner Konkurrenz um die Produktion neuer Modelle – erzwingen Konzerne einen Unterbie- tungswettlauf um die schlechtesten sozialen und auch ökologischen Standards. Trotzdem sieht Herr Müntefering, keinen Bedarf an gesetzlichen Schritten. Da heißt es: „Der Arbeitgeber kann grundsätzlich frei entscheiden, ob und wie er das Unternehmen umgestaltet oder Betriebsteile oder das Unternehmen insgesamt ver- äußert oder schließt.“ Angesichts der Realität von Zehn- tausenden von Beschäftigten ist das blanker Zynismus. Wir fordern sie auf, hier die Mitbestimmungsrechte von Gewerkschaften und Betriebsräten gegenüber Mas- senentlassungen, bei Ausgliederungen und Verkäufen zu erweitern. Grotesk und lächerlich wirken dann Ihre Ant- worten zur Rolle der Finanzmarktakteure, der Heuschre- cken und anderer. Mit ihrem Einfluss hat sich die Shareholder-Value- Orientierung, also die alleinige Orientierung an hohen Renditewerten in den Unternehmen durchgesetzt. Men- schenrechte, soziale und ökologische Interessen, aber auch langfristige Investitionen in die Zukunft des Unter- nehmens geraten mehr und mehr ins Abseits. Unterneh- men selbst sind zum Handelsobjekt geworden, aus deren An- und Verkauf Profit gezogen wird. Sie streiten zwar gewisse Probleme nicht völlig ab, wollen diese aber vom Markt selbst über „verantwortungsvolle Investments“ sowie durch freundliche Dialogrunden lösen lassen. Er- zählen Sie das alles den Telekom-Beschäftigten, die fünf Wochen gegen Lohnsenkungen, Arbeitszeitverlängerung und Ausgliederung streiken mussten. Wahrlich stumpfe Waffen, die Sie den Menschen an- bieten. Mit fairer Arbeit und ökologischer Erneuerung hat das alles nichts zu tun. Mit Weiterentwicklung des Sozialstaats und seiner Anpassung an die Globalisierung erst rechts nicht. Sie machen die Menschen hilflos und die Politik unmündig. Sie setzen die Menschen der Er- pressung durch transnationale Konzerne aus. Sie machen sogar Regierungen demgegenüber machtlos. Stattdessen brauchen wir Reformen, die Konzerne und Finanz- marktakteure wieder in soziale und ökologische Verant- wortung einbinden. Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Staat ist in der Lage, die soziale und ökologische Verantwortung von Unternehmen zu stärken. Er muss dies allerdings, damit dies zielgerichtet geschieht, im Rahmen ordnungspolitischer Grundsätze und durch das Setzen von Anreizen machen. Eine Volkswirtschaft ohne soziale und ökologische Verantwortung beraubt sich ihrer eigenen Grundlagen. Viele Unternehmen haben das erkannt und setzen mit der Corporate Social Responsibility, CSR, diese Verantwor- tung in konkrete Unternehmensziele um. Der Global Compact, zu dem sich international 3 100 Unternehmen verpflichtet haben, definiert zehn solcher Ziele: von der Vereinigungsfreiheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nehmer bis hin zu ökologischen Zielen, zum Verbot der Kinderarbeit, zur Absage an Korruption und zur Beseiti- gung von Diskriminierung bei Anstellung und Beschäfti- gung. Bündnis 90/Die Grünen wollen die soziale und ökolo- gische Verantwortung der Unternehmen fördern. Zu ei- ner solchen Förderung gehört auch die Vernetzung und Betreuung der entsprechenden Projekte. Wir haben heute bereits über unseren Antrag zum Vergaberecht debattiert, den wir Grünen in den Bundestag eingebracht haben. Dieser enthält einerseits eine Entbürokratisierung der Vorgaben zu den Vergabeverfahren. Andererseits schafft er entsprechend dem von der EU vorgegebenen Rahmen die Möglichkeit für die verschiedenen staatlichen Ebe- nen, bei der Vergabe selbst Ziele im Sinne der CSR zu definieren. Im Ergebnis können Städte, Gemeinden und der Bund dadurch die Nachfrage für solche Unternehmen stärken, die CSR umsetzen. Hiermit begegnen wir auch der Ge- fahr, dass Unternehmen durch die mit CSR verbundenen Kosten und Standards Vergabenachteile entstehen. Eine solche Reform des Vergaberechtes ist nicht zu unter- schätzen. Die Marktmacht der öffentlichen Hand ist groß: Die Aufträge der öffentlichen Verwaltung und öf- fentlicher Unternehmen an die private Wirtschaft ma- chen in Deutschland rund 17 Prozent des Bruttoinlands- produkts aus, etwa 360 Milliarden Euro pro Jahr. Politik muss aber auch Regeln setzen, wo eine Selbst- kontrolle nachweislich nicht weiterführt. Zur Bekämp- fung von Korruption schlagen wir die Einführung eines Korruptionsregisters vor. Unternehmen, die sich der Korruption schuldig gemacht haben, sollen so keine öf- fentlichen Aufträge mehr erhalten. Und: Die Zahl der Aufsichtsratsmandate muss auf fünf pro Person be- grenzt, der Übergang vom Vorstand in den Aufsichtsrat desselben Unternehmens untersagt werden. 12894 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) CSR wächst aus der Eigeninitiative der Unternehmen. Es wäre falsch, bis ins Detail Unternehmensziele vorge- ben zu wollen und Eigendynamik zu verhindern. Dem Staat kommt hier neben der Ordnungsfunktion gegen Korruption und der Schaffung von Anreizen durch die Vergabe eine aktive Ermutigungsfunktion zu, zum Bei- spiel durch die Förderung entsprechender Initiativen. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Geschlechtersensible und effiziente Haushaltspolitik einführen (Tagesordnungspunkt 16) Ingrid Fischbach (CDU/CSU): Wir debattieren heute über einen Antrag zum geschlechtergerechten Ma- nagement öffentlicher Finanzen, der von Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Grünen-Fraktion, impli- ziert, dass die Bundesregierung sich auf dieses Thema nicht einlassen würde. Diesem Vorwurf trete ich ent- schieden entgegen. Das Bundesfamilienministerium hat im Auftrag der letzten Bundesregierung eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, um Möglichkeiten der Einführung von Gender Budgeting – oder besser: geschlechtergerechtem Management öffentlicher Finanzen – zu identifizieren. Diese liegt dem Bundesministerium vor und wird zurzeit geprüft. Das wissen Sie, verehrte Kolleginnen und Kol- legen der Grünen, sehr wohl. Das Prinzip der Gleichstellung von Frauen und Män- nern als durchgängiges Leitprinzip des öffentlichen Han- delns bedeutet, die unterschiedlichen Interessen von Frauen und Männern von vornherein zu berücksichtigen, um das Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern effektiv umsetzen zu können. Dazu gehört natürlich auch die geschlechterdifferen- zierte Analyse der öffentlichen Haushalte. Gemeint ist ein Bündel von Instrumenten, mit denen der Haushalt auf seine Wirkungen für die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern hin überprüft werden kann. Dem Haushalt kommt der Umsetzung der Gleichstellung von Frauen und Männern als durchgängiges Leitprinzip des öffentlichen Handelns besondere Bedeutung zu: Er muss die unterschiedlichen Effekte auf Männer und Frauen in ihren unterschiedlichen Lebenslagen und mit ihren viel- fältigen Erwartungen und Bedürfnissen in den Blick nehmen. Dazu gehören natürlich auch die unterschied- lichen Effekte auf die verschiedenen Generationen im Sinne von Genarationenbilanzen. Mit der Verteilung der Ressourcen im Haushaltsplan werden Aufgabenstellungen definiert und Prioritäten ge- setzt, und somit das Ziel Gleichstellung im Bereich der Finanz- und Haushaltspolitik. Wir stehen vor großen Herausforderungen: Gerade in Zeiten, in denen das wirtschaftliche Wachstum zunimmt, die Prognosen für Deutschland günstig sind und der Staat wieder mehr Geld einnimmt, reden wir sofort über die Verteilung. Auf der anderen Seite steht immer noch die Haushaltskonsolidierung im Mittelpunkt. Wir dürfen zukünftige Generationen nicht mit Schuldenbergen be- lasten. Gender Budgeting kann dabei als Analyse- und Controllinginstrument helfen, Prioritätensetzungen zu erarbeiten und ihre Umsetzung zu kontrollieren, aber es darf allerdings auch nicht überbewertet werden. Auch auf europäischer Ebene sind die Veränderungen in unserer Gesellschaft vielfältig: Demografischer Wan- del, Mobilität, Migration – hier sind Reaktionen und zum Teil massives Gegensteuern gefragt. Die Auswir- kungen dieser Themenfelder beeinflussen auch die Rol- lenverteilung zwischen Frauen und Männern in der Fa- milie und im Beruf sowie die Sozialsysteme. Auch soll unser Handeln Wirkung zeigen. Mehr denn je sind deshalb Wirkungsanalysen und Steuerungsinstrumente gefragt, um ohne Bürokratie oder zumindest ohne ein Mehr an Bürokratie mit effizientem Mitteleinsatz den Bedürfnissen von Frauen und von Männern in diesen Veränderungsprozessen nachhaltig und zielgerichtet Rechnung zu tragen. Eine zielgenauere Verwendung von Mitteln kann auch ein Weg sein, ver- nünftige und durchsetzbare Sparvorschläge zu entwi- ckeln und umzusetzen. Bei der Verteilung von Geldern sollten wir darauf achten, dass Frauen und Männer Gewinn und Nutzen von der Verwendung von Haushaltsmitteln haben. Ein gutes Beispiel hierfür sind das neue Elterngeld, bei dem neben den regulären zwölf Monaten auch zwei weitere Partnermonate eingeführt wurden, oder auch die Diskus- sion zum Ausbau der Kinderbetreuung von unter Drei- jährigen, die zugleich eine Diskussion um den Einsatz von öffentlichen Mitteln zur Schaffung von mehr Wahl- freiheit und damit für mehr Chancengerechtigkeit für Frauen und Männer ist. In Deutschland hat man sich 2002 dazu entschlos- sen, den Haushalt gleichstellungsorientiert zu planen. Für die Durchführung der gleichstellungspolitischen, geschlechterdifferenzierten Abschätzung der Gesetzes- folgen – § 2 in Verbindung mit § 44 GGO – hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Ergänzung der geschäftsordnungsrechtlichen Vorgaben eine Arbeitshilfe erstellt. Danach ist in einer ersten Verfahrensstufe eine gleichstellungspolitische Relevanzprüfung vorzunehmen. Sofern diese zu dem Ergebnis führt, dass Gleichstellungsrelevanz vorliegt, folgt eine vertiefte Hauptprüfung; ergibt die Vorprü- fung hingegen, dass keine Gleichstellungsrelevanz ge- geben ist, folgt keine weitere Untersuchung. Letzteres konnte zum Beispiel für den Haushalt 2007 bejaht wer- den, sodass eine weitere Prüfung entfallen konnte. Neben der praktischen Umsetzung, die also schon jetzt erfolgt, liegt dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, wie bereits erwähnt, die Machbarkeitsstudie mittlerweile vor und wird gegenwär- tig geprüft. Es ist geplant, ihre Ergebnisse und weitere Konsequenzen im Ressortkreis zu diskutieren. Dabei wird auch die Frage ihrer Veröffentlichung entschieden werden. Dass sowohl die Ergebnisse als auch eine mög- liche Veröffentlichung erst von der Bundesregierung or- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12895 (A) (C) (B) (D) dentlich und ressortübergreifend geprüft werden, bevor sie zur öffentlichen Disposition stehen, wird meines Er- achtens gerade der hohen Wertigkeit dieses sensiblen Themas gerecht. Gender Budgeting betrifft alle an der Haushaltsauf- stellung Beteiligten. Daher muss der Nutzen für mög- lichst viele klar erkennbar sein. Es darf kein bürokrati- sches Monstrum geschaffen werden. Aufgeblähte komplizierte Verfahren wären das Ende von Gender Budgeting, bevor es überhaupt begonnen hat. Die Bundesregierung fördert seit einigen Jahren das Gender-Kompetenz-Zentrum an der Humboldt-Univer- sität in Berlin, weil sich gezeigt hat, dass externe Unter- stützung bei der Gewinnung von Gender-Kompetenz sinnvoll und erforderlich ist. Die Website des Zentrums ist nach Sachgebieten und Handlungsfeldern unterteilt. Damit bieten sich gezielt Möglichkeiten, für bestimmte Themen- und/oder Arbeitsbereiche zumindest Grundin- formationen zu erhalten. Die Bundesregierung hat außerdem auf ihrer Website ein Wissensnetz eingerichtet und bietet dort ihre Arbeits- hilfen, zum Beispiel die zur Rechtsetzung. Mit dem „Fahrplan der Europäischen Kommission für die Gleich- stellung von Frauen und Männern 2006–2010“ wurde das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen ver- ankert, das Expertisen bereitstellen, den Wissensstand erhöhen und das Thema Gleichstellung stärker ins öf- fentliche Blickfeld rücken soll. Wie die Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen in ih- rem Antrag außerdem anerkannt haben, hat die Bundes- regierung im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft mit einer Fachkonferenz mit dem Titel „Die Verteilung machts – Gleichstellung und soziale Gerechtigkeit durch geschlechtersensible Haushalte“ dieses Thema ausge- leuchtet. Auch andere europäische Länder haben eine gleich- stellungsorientierte Haushaltsplanung eingeführt. Welt- weit existieren bereits in 50 Ländern Gender-Budgeting- Initiativen. Trotzdem steckt das geschlechtergerechte Management öffentlicher Finanzen noch in den Kinder- schuhen, aus denen es zum Beispiel mit Hilfe der Fach- tagung herauswachsen soll. Mit Fachteilnehmern aus unterschiedlichen Ländern wurden die Konzepte und Erfolge dieser Länder als Best-Practice-Beispiele vorgestellt und diskutiert. Die Mitgliedstaaten der EU und die europäische Ebene kön- nen sich beim Thema Gleichstellungspolitik den Ball ge- genseitig zuspielen. Gleichstellungsorientiertes Manage- ment öffentlicher Finanzen müssen auf allen Ebenen öffentlicher Haushalte erprobt und seine Chancen und Grenzen genau sondiert werden. Dabei sind auf Ebene der Kommunen andere Möglichkeiten gegeben als auf der Ebene der nationalen Haushalte oder bei der Aufstel- lung und beim Controlling der Haushalte der Europäi- schen Union. Eine erste und sehr wichtige Schlussfolgerung der Diskussionen auf der Tagung war jedoch auch, dass Ge- schwindigkeit nicht das Hauptkriterium bei den Umset- zungsvorschlägen sein darf. Verbindlichkeit, Seriosität, Passgenauigkeit, Angemessenheit, Nutzenorientierung – das sind Kriterien, die bei der Implementierung von Gender Budgeting vor allem zu beachten sind. Auch müssen die Aspekte des geschlechtergerechten Manage- ments öffentlicher Haushalte in die bestehenden Abläufe integriert werden, die in Politik und Verwaltung bekannt sind. Die Dokumentation zur Tagung soll demnächst veröffentlicht werden, dann können wir einzelne Punkte gerne diskutieren. Viele der Forderungen aus Ihrem Antrag sind jedoch durch das Handeln der Bundesregierung obsolet, und be- vor jetzt die Bundesregierung im Schnellschuss zu ei- nem bestimmten Handeln verpflichtet wird, sollten wir diese Dokumentation mit den Schlussfolgerungen ab- warten. Christel Humme (SPD): Haushaltsentscheidungen sind immer auch ein Ausdruck von Machtverhältnissen. Das war die Feststellung einer österreichischen Profes- sorin im Rahmen einer Konferenz der FES. Das sehe ich auch so. Deshalb ist für uns Frauen interessant: Wohin fließt das Geld im Bundeshaushalt? Wer profitiert da- von? Wird damit die Gleichstellung von Männern und Frauen gefördert? Oder werden Rollen zugewiesen oder gar strukturell verfestigt? Auf europäischer Ebene sind diese Fragestellungen schon seit Jahren ein wichtiges Thema. Es geht um die zentrale Frage: Wie können ge- schlechtersensible Haushalte entwickelt und umgesetzt werden? Das ist ein Thema, das unter der Überschrift „Gender-Budgeting“ diskutiert wird. Es gibt auch schon erste Schritte, die die Umsetzung einleiten sollen. So haben sich die Finanzminister der EU-Länder bereits im Herbst 2001 auf ein gemeinsames Vorgehen verständig, bis zum Jahr 2015 Gender-Budge- ting europaweit umzusetzen. In der Bundesrepublik steckt dieses Thema auf Bundesebene allerdings immer noch in den Kinderschuhen und kommt erst langsam ins Bewusstsein. Daran muss sich etwas ändern; die heutige Debatte kann dazu einen Beitrag leisten. Die rot-grüne Bundesregierung unter der zuständigen Ministerin Renate Schmidt hat im April 2005 eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, wie ein ge- schlechtergerechter Haushalt auf Bundesebene realisiert werden könnte. Jetzt – nach zwei Jahren – liegen die Er- gebnisse der Studie endlich vor und sind auf der Home- page des Familienministeriums zu lesen. Die meiner An- sicht nach hervorragenden umfangreichen Analysen und Vorschläge, die dort gemacht werden, dürfen natürlich nicht in der Schublade verschwinden, sondern müssen genutzt werden. Im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft hat Frau Ministerin von der Leyen dankenswerterweise eine europäische Fachkonferenz zu dem Thema „Die Vertei- lung macht's – Gleichstellung und soziale Gerechtigkeit durch geschlechtersensible Haushalte“ organisiert und sich so dem Thema genähert. Das Fazit der Veranstal- tung ist dokumentiert und lautet: 12896 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) Geschlechterorientierte Haushalte sind Abbild und Voraussetzung erfolgreicher, gleichstellungsorien- tierter Politik. Sie dokumentieren, dass Reformen Diskriminierungen abbauen wollen und wo dies noch nicht gelingt. Ein soziales Europa stellt sich der Aufgabe, den gesellschaftlichen Wandel mit seinen Folgen für Frauen, für Frauen und Männer, für das Verhältnis der Geschlechter und für die Gleichberechtigung aufzunehmen und zu gestalten. Das ist aus unserer Sicht nur zu unterstreichen. Mittlerweile müsste es sich eigentlich von selbst ver- stehen, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern als durchgängiges Prinzip auf allen Entscheidungsebe- nen beachtet wird. Ein Prinzip, das unter dem Begriff „Gender-Mainstreaming“ bekannt geworden ist. Wir haben dafür viele eindeutige Rechtsgrundlagen, von denen ich die drei wichtigsten in diesem Zusammen- hang nenne: Seit 1994 verpflichtet sich der Staat in Art. 3 Abs. 2 GG für die Durchsetzung der tatsächlichen Gleichstellung zu sorgen. 1999 hat die damalige Bun- desregierung auf europäischer Ebene den Amsterdamer Vertrag ratifiziert und sich verpflichtet, das Gender- Mainstreaming-Prinzip einzuführen. Das hat dazu ge- führt, dass es seit September 2000 eine Gemeinsame Ge- schäftsordnung, GGO, der Bundesministerien gibt, in der sich die Ministerien verpflichten, alle Maßnahmen daraufhin zu prüfen, wie sie unter dem Aspekt der För- derung der Gleichstellung auf Männer und Frauen wirken. Eine geschlechtergerechte Sprache gehört im Übrigen dazu. Dieses vereinbarte Prinzip des Gender- Mainstreaming hat mittlerweile zu vielen Erfolgen ge- führt. Geschlechtersensible Haushalte, das heißt „Gender- Budgeting“ ist nichts anderes als die konsequente An- wendung des Gender-Mainstreaming im Haushaltspro- zess. Es sollen geschlechterbezogene Informationen für den Haushalt auf allen Ebenen konkret nutzbar gemacht werden. Damit können alle haushaltsrelevanten Maß- nahmen daraufhin untersucht werden, wie konsequent sie tatsächlich zur Gleichstellung von Frauen und Män- nern beitragen. Es soll damit auch die Frage nach den gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen beantwor- tet werden. Das heißt auch: Wie sieht die gesellschaft- liche Verteilung von Geld und Zeit, von bezahlter und unbezahlter Arbeit aus? Mit diesem Verfahren erreichen wir eine sehr hohe Transparenz. So leicht die Formulierung des Ziels eines geschlech- tergerechten Haushalts ist, umso schwieriger scheint eine konkrete und schnelle Umsetzung. Deshalb kann die Veröffentlichung der Machbarkeitsstudie nicht gleich der unmittelbare Startschuss für die konkrete Umsetzung sein. Um was es aber gehen muss, ist die Einleitung eines Denk-, aber auch Umsetzungsprozesses. Dabei sind die aktuellen Ergebnisse der europäischen Fachkonferenz des Ministeriums genauso hilfreich wie die umfangrei- che Machbarkeitsstudie. Die Tatsache, dass sich die Ministerien bereits mit Gender-Mainstreaming auseinandergesetzt und Instru- mente zum Beispiel der Gesetzesfolgenabschätzung ent- wickelt haben, zeigt, dass wir nicht bei null anfangen müssen, wenn wir Gender-Budgeting einführen wollen. Gerade wenn es um Gleichstellung geht, wird oft das Argument angeführt, das Ganze sei zu bürokratisch. Das lassen wir nicht gelten. Denn wir wissen, es geht: Vorrei- ter auf diesem Gebiet war Australien. Dort wurde 1984 damit begonnen, durch ein Women’s-Budget herauszu- finden, wie sich Haushalt und Regierungshandeln kon- kret auf Frauen und Mädchen auswirken. Glücklicherweise hat sich inzwischen auch in Europa viel getan. Österreich ist mit gutem Beispiel vorange- gangen. Dort beschäftigt sich derzeit beispielsweise eine Arbeitsgruppe mit der Einführung eines Gender-Budge- ting-Prüfverfahrens im Finanzministerium. In Schweden wurde bereits vor fünf Jahren mit der Umsetzung eines gleichstellungsorientierten Haushalts begonnen. In Großbritannien engagiert sich seit 1989 die Women’s Budget Group. Frankreich, Belgien und die nordischen Staaten haben Schritte zum Gender-Budgeting eingelei- tet. In der Schweiz wird in einem ersten Schritt die unbe- zahlte Arbeit, die nicht nur dort überwiegend von Frauen geleistet wird, in die volkswirtschaftliche Gesamtrech- nung mit einbezogen. Berlin hat als erstes und bisher einziges Bundesland das Prinzip des geschlechtersensiblen Haushalts mit dem Doppelhaushalt 2006/07 konsequent umgesetzt. Kom- munen wie München haben sich ebenfalls dieser Heraus- forderung gestellt. Wir sollten all diese Erfahrungen nutzen und uns auch auf Bundesebene schrittweise auf den Weg machen. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück brachte es bei der eingangs erwähnten Konferenz der FES treffend auf den Punkt: Wir brauchen ein sehr viel stärkeres Bewusstsein für Gleichstellungsbelange in allen Fachpolitiken, im Gegensatz zu einer alleinigen Zuständigkeit des Ressorts für Frauen- oder Gleichstellungspolitik. Dem ist im noch bestehenden Jahr der Chancen- gleichheit nichts hinzuzufügen. Ina Lenke (FDP): In Deutschland bezahlen Steuer- bürger und -bürgerinnen und Unternehmen im Jahr 540 Milliarden Euro, aufgeteilt auf Bund, Länder und Kommunen. Das Geld wird ausgegeben. Wir alle kennen die vielfältigen Aufgaben und Verpflichtungen, die der Staat hat. Aber werden sie auch für die größte Gruppe der Gesellschaft – die Frauen – und deren besondere Aufgaben in der Gesellschaft, wie zum Beispiel Kinder- erziehung und -betreuung und Strukturen für die Verein- barkeit von Erwerbstätigkeit und Familienarbeit gerecht verteilt? Auf der kommunalen Ebene höre ich mehr von den hohen Kosten für Kinderbetreuung, nie aber vom politischen Auftrag des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG, in dem allen staatlichen Ebenen die Aufgabe zukommt, die tat- sächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12897 (A) (C) (B) (D) Die Grünen hatten in ihrer Regierungszeit von 1998 bis 2005 mit der SPD eine gute Möglichkeit, geschlech- tersensible Haushaltspolitik einzuführen. Warum hat das nicht geklappt? Interessant ist die Aussage in dem Antrag der Grünen, dass die EU eine Entschließung „Gender Budgeting“ verabschiedet hat, die in den Ländern auf lokaler, regio- naler und nationaler Ebene umgesetzt werden soll. Die Aussage, dass auf EU-Ebene lediglich „die Möglichkei- ten geprüft werden sollen, auch Gender Budgeting ein- zuführen“, ist doch sehr vage. Deshalb fehlt in Ihrem Antrag die Forderung an die EU-Kommission, erst ein- mal selbst für bessere gendergerechte Verhältnisse zu sorgen und nicht einfach einen Beschluss für die Mit- gliedsländer zu verabschieden. Die politischen Forderungen der Grünen sind in dem Antrag sehr weich formuliert. Was mich bei Ihnen wun- dert! Da soll eine Studie öffentlich diskutiert werden, da sollen konkrete Schritte geprüft werden, da soll sicher- gestellt werden, dass ein Austausch der Ressorts ermög- licht wird. Wo bleiben die konkreten Vorschläge von Ih- nen? Die vermisse ich in Ihrem Antrag. Meine Zustimmung haben Sie bei Ihrer Kritik, dass eine Machbarkeitsstudie zur Umsetzung von Gender Budgeting in Auftrag gegeben wurde, die jetzt von der Bundesregierung immer noch unter Verschluss gehalten wird. Beim Verteidigungshaushalt ist die Frage nach Gen- der Budgeting für manche nicht nachvollziehbar. Wenn ich dazu ein Beispiel nenne, wird es klarer: Seit 2001 ha- ben Frauen das Recht, bei der Bundeswehr Dienst zu tun. Damit einher geht natürlich auch die Vereinbarkeit von Dienst und Familie. Ende 2006 wurde das Soldatinnen- und Soldaten- Gleichbehandlungsgesetz verabschiedet und zusätzlich noch durch den Generalinspekteur der Bundeswehr mit einer „Teilkonzeption Vereinbarkeit von Familie und Dienst in den Streitkräften“ unterfüttert. Wie heißt es in der Teilkonzeption? „Sofern die rechtlichen, finanziellen und materiellen Rahmenbedingungen gegeben sind, sol- len (…)“. Im Budget des Verteidigungshaushaltes spie- gelt sich dies nicht wider. Als frauenpolitische Sprecherin der Bundestagsfrak- tion der FDP bin ich für eine geschlechtersensible und effektive Haushaltspolitik und die Umsetzung von der Theorie in die Praxis. Dabei muss Balance gehalten wer- den zwischen dem Anspruch und der Umsetzung einer gendergerechten Haushaltsführung und der Frage nach dem bürokratischen Aufwand, den Kosten und der Wir- kung der Maßnahme. Österreich hat zum Beispiel dieses Prinzip eingeführt, um seinen Staatshaushalt auf seine Wirkung für Gleich- stellung zwischen den Geschlechtern zu überprüfen. Weltweit existieren bereits in 50 Ländern Gender-Bud- geting-Initiativen. Das sollte auch bei uns möglich sein. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Die Linke unter- stützt den Antrag der Grünen. Ich möchte auch gleich ei- nen Verbesserungsvorschlag einbringen, damit der An- trag noch etwas konkreter und anschaulicher wird. Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass gute Beispiele anderer Länder einbezogen werden sollen. Da sollten wir nicht den gleichen Umweg machen wie in der Bildungspolitik. Sie erinnern sich, dass Heerscharen von Bildungspoli- tiker nach Finnland fuhren, um das dortige Schulsystem kennenzulernen. Dabei hätte man sich bloß die POS – die Polytechnische Oberschule – aus DDR-Zeiten et- was unvoreingenommener anschauen müssen. So hätte man Reisekosten gespart und wäre zu ähnlichen Ergeb- nissen gekommen. Bauer Korl, ein Mecklenburger Ka- barettist, hat die Abkürzung POS als „Pisa ohne Schwie- rigkeiten“ übersetzt. Da hat er den Nagel auf den Kopf getroffen! Wenn Herr Steinbrück wissen will, wie ein geschlech- tergerechter Haushalt funktioniert, muss er nur eine Fahrkarte nach Berlin-Lichtenberg lösen. In meinem Wahlkreis können die Bürgerinnen und Bürger direkt über die Verwendung ihrer Steuergelder entscheiden. Im Rahmen des Bürgerhaushaltes ist Gender Budgeting be- reits integriert. Was heißt das konkret? Die Haushaltsanalyse hat zum Beispiel ergeben, dass Mädchen und Frauen die Sportan- lagen des Bezirkes unterdurchschnittlich nutzen. Durch gezielte Investitionen und gezielte Vergabe von Sport- stätten gibt es jetzt viel mehr aktive Sportlerinnen in Lichtenberg. Das ist für mich geschlechtersensible Haus- haltspolitik. Mir ist klar, dass Herr Steinbrück die Erfahrungen der Lichtenberger Bürgermeisterin, Christina Emmrich, nicht eins zu eins umsetzen kann, doch die Budgetanaly- sen zeigen, dass es eine Benachteiligung von Frauen bei der Verwendung von Steuergeldern gibt. Der geschlech- terblinde Haushalt verstärkt regelmäßig bestehende Un- gleichheiten. Das haben Politikerinnen und Politiker in über 40 Ländern erkannt, bloß die Bundesregierung hat sich auf diese Entwicklung noch nicht eingestellt. Die Bundesregierung ist untätig, obwohl sich die EU-Fi- nanzminister verpflichtet haben, bis 2015 Gender Bud- geting in allen EU-Ländern umzusetzen. Warum ist diese Koalition immer so schwerfällig und unwillig, wenn es um mehr Gerechtigkeit bei der Vertei- lung von Steuergeldern geht? Auf eine kleine Anfrage der Linken zu dem Thema antwortete die Bundesregie- rung, dass das Haushaltsgesetz 2007 keine Gleichstel- lungsrelevanz habe. Das ist doch borniert und hinter- wäldlerisch. Ich hoffe, dass die Frauen in der SPD- und in der CDU-Fraktion sich des Themas Geschlechtergerechtig- keit im Bundeshaushalt annehmen. Im Haushaltsaus- schuss ist von 15 Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion nur eine Frau in dem Ausschuss. Die SPD hat immerhin fünf Frauen. Es wird Zeit, dass mehr Frauen sich mit der Verteilung der Steuergelder beschäftigen. Ich würde mich freuen, wenn die Ministerinnen dem Finanzminis- ter vormachen, wie aus einem geschlechtsblinden Haus- halt ein geschlechtergerechter Haushalt werden kann. Die Unterstützung der Linken haben Sie. 12898 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Geschlechtersensible Haushaltspolitik – vielleicht fragen Sie sich, was das denn sein könnte? Nun, es ist der Versuch, den Begriff „Gender Budgeting“ ins Deutsche zu übertragen. Wir hören ja des Öfteren von den Schwierigkeiten mit den Anglizismen – allerdings nur, wenn es um Gleich- stellung geht; die Hedgefonds und das Benchmarking sind davon unbehelligt. Gender Budgeting ist wiederum, einfach gesagt, Gender Mainstreaming auf den Haushalt angewandt. Gender Mainstreaming muss ich in diesem Kreis wohl nicht erklären; das kennt ja inzwischen selbst Bundestagspräsident Dr. Lammert. Der Haushalt legt die politischen Prioritäten fest und ist damit auch ein wichtiger Ansatzpunkt für Geschlech- tergerechtigkeit. Es muss analysiert werden, wohin die Mittel fließen, wem sie zugute kommen und ob das von uns politisch so gewollt ist. Wahrscheinlich werden wir dann Prioritäten verändern und Mittel anders verteilen. Ich glaube nämlich nicht, dass der Bundeshaushalt ge- schlechtsneutral ist. Gender Budgeting kann mehr Gerechtigkeit schaffen und mehr Zielgenauigkeit. Wir werden mit den gleichen Mitteln effizienter und transparenter arbeiten können. Darin liegt für mich der Charme von Gender Budgeting. Wir haben ja nun endlich die Machbarkeitsstudie in den Händen. Noch unter Rot-Grün in Auftrag gegeben, verbrachte sie viele Monate in Schubladen, ehe sich die Ministerin dazu durchringen konnte, sie ans Licht der Öffentlichkeit zu lassen. Aber sie scheint lichtscheu ge- blieben zu sein, veröffentlicht nur im Internet, allerdings nur auffindbar, wenn man genau weiß, wo sie liegt – keine Pressemitteilung, kein Begleittext, nichts. Beim Finanzministerium: keine Spur. Schade, als Herr Steinbrück Ministerpräsident war, hat NRW die Auf- nahme von Gender Budgeting ins Haushaltsgesetz be- schlossen; da hätten wir uns ein wenig mehr Einsatz ge- wünscht. Frau Ministerin, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie versuchen offensichtlich, die Studie so schnell und un- auffällig wie möglich wieder in die Schublade zurückzu- legen. Dabei finden sich auf den 234 Seiten interessante Vorschläge. Am leichtesten lassen sich personenbezo- gene Förderungen analysieren: Fördert das Auswärtige Amt Schulen in Regionen, in denen Koedukation nicht erwünscht ist, müssen neben Jungenschulen auch Mäd- chenschulen finanziert werden. Wenn Sie mich fragen, müssten oft sogar mehr Mädchenschulen gefördert wer- den. Darüber könnten wir dann diskutieren. Die Forschungsgruppe macht auf eine wesentliche Voraussetzung für Gender Budgeting aufmerksam: die Akzeptanz. Einige Häuser haben sich der Zusammen- arbeit sogar komplett verweigert, wie das Verteidigungs- ministerium, und da wäre es nötig. Es nützt doch nichts, wenn zwar Konzepte zur Vereinbarkeit von Familie und Dienst in den Streitkräften geschrieben werden, aber dann keinerlei Mittel eingestellt werden. Die der Studie vorangestellten „Anmerkungen der Bundesregierung“ sind nicht sonderlich motivierend. Da heißt es, es bedürfe „noch der Klärung grundsätzlicher Fragen“. Die Vorschläge seien „zum Teil mit erhebli- chem bürokratischem Aufwand verbunden“. Vielleicht verstehe ich hier etwas falsch, aber ein engagierter Auf- bruch klingt anders. Dabei müssen Sie aktiv werden. Die EU verlangt das von ihren Mitgliedstaaten, und viele Länder haben be- reits konkrete Maßnahmen entwickelt. Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft gab es als einziges gleichstellungspolitisches Projekt eine Konferenz zu Gender Budgeting. Ergebnis: eineinhalb Seiten unver- bindlichster „Schlussfolgerungen“. Wo wir gerade beim Thema Finanzen sind: Ein verantwortungsvoller Um- gang mit Steuergeldern sieht anders aus. Wir fordern Sie auf, die Ergebnisse der Studie öffent- lich zu diskutieren. Suchen Sie den Austausch mit ande- ren EU-Ländern! Unterziehen Sie ausgewählte Ausga- ben- und Einnahmenarten der Ressorts einer Gender- Budgeting-Analyse! Beginnen Sie! Die Einführung von Gender Budgeting wird ein längerfristiger Prozess sein. Fangen wir damit an! Eine Studie zu verbergen, eine große Konferenz fast klandestin abzuhalten und sich ansonsten mit dem Bloß- keine-Bürokratie-Mantra der Debatte zu entziehen, ist kein sinnvoller Politikstil. Unterstützen Sie ein Instru- ment, das zu mehr Zielgenauigkeit, mehr Transparenz und mehr Gerechtigkeit führen wird! Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Anträge: – Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Ver- einten Nationen im Sudan (UNMIS) auf Grundlage der Resolution 1590 (2005) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 24. März 2005 und weiterer Mandatsverlän- gerungen durch den Sicherheitsrat der Ver- einten Nationen – Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- kräfte an der AU/UN Hybrid Operation in Darfur (UNAMID) auf Grundlage der Reso- lution 1769 (2007) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 (Tagesordnungspunkt 17 a und b) Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Wir beraten heute Abend über die Fortsetzung der Beteiligung deut- scher Soldaten an der Friedensmission der Vereinten Na- tionen im Sudan – UNMIS –, an der auch deutsche Streitkräfte seit mehr als zwei Jahren beteiligt sind und über die – neue – Beteiligung von deutschen Soldaten an einer zweiten Mission, dieses Mal einer Mission aus Vereinten Nationen und Afrikanischer Union in Darfur, UNAMID. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12899 (A) (C) (B) (D) Herr Staatsminister Erler hat vorgetragen, wie es zu diesen Missionen gekommen ist; er hat die mit der UN-Charta und den Beschlüssen des UN-Sicherheits- rates übereinstimmende völkerrechtliche Grundlage dar- gelegt und auch begründet, warum beide Missionen poli- tisch notwendig und sinnvoll sind. Wir teilen diese Auffassung und unterstützen beide Anträge auch ange- sichts der schwerwiegenden Risiken für Leben und Ge- sundheit der beteiligten Soldaten, die dem Deutschen Bundestag bei der Entscheidung über solche Missionen immer vor Augen stehen müssen. Die Lage im Sudan ist – wir hören und sehen das täg- lich in den Nachrichten – außerordentlich problematisch. Die politischen Spannungen zwischen dem Norden und dem Süden drohen wieder in offene gewaltsame Ausein- andersetzungen zurückzufallen. Die Gewalt und Über- fälle, Unrecht, schwerste Menschenrechtsverletzungen und Vertreibungen in Darfur wie auch die häufig schreckliche Lage der vielen Flüchtlinge und IDPs im Darfur und jenseits der Grenzen im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik verlangen die Aufmerk- samkeit und auch die Hilfe der Weltöffentlichkeit. Bei meinem Besuch in Lagern für Darfur-Flüchtlinge, aber auch IDPs im Tschad an der Grenze zu Darfur vor eini- gen Wochen haben das Elend und auch die begründeten Ängste der Menschen dort mit ihren schrecklichen Schicksalen einen bleibenden Eindruck bei mir hinter- lassen. Ihnen muss geholfen werden. Das versuchen die Vereinten Nationen auf ganz unterschiedlichen Wegen: durch Hilfen für die Flüchtlinge, durch Appelle und die Unterstützung von Verhandlungen unter Einbeziehung erfahrener Sonderberichterstatter und durch die Ein- schaltung des Internationalen Strafgerichtshofs. Es muss darum gehen, auf dem Verhandlungsweg Lösungen für die komplexen Problemen zu finden, die den Menschen in der Region das friedliche Miteinanderleben ermögli- chen. Dazu ist auch der Beitrag der Länder erforderlich, die – wie etwa die Volksrepublik China, aber auch an- dere Staaten – wirtschaftliche Interessen in der Region verfolgen. UNMIS versucht seit mehreren Jahren nicht ohne Er- folg, dazu beizutragen, das Abgleiten des trotz Friedens- abkommens weiter bestehenden Konflikts zwischen der Zentralregierung in Khartoum und dem Südsudan in er- neute gewaltsame Auseinandersetzungen zu verhindern. Das ist auch weiterhin erforderlich. Die deutsche Beteili- gung an UNMIS hat sich in den vergangenen Jahren als notwendig und nützlich erwiesen. Herr Staatsminister Erler hat uns das Ausmaß und die Kosten der jetzt zu verlängernden Beteiligung vor Augen geführt. Die müs- sen wir tragen. Die zweite Mission in Verantwortung von UN und AU, die sogenannte Hybridmission UNAMID auf der Grundlage der Resolution 1769/2007 des UN-Sicher- heitsrates, braucht die Beteiligung der deutschen Solda- ten in dem dargelegten Umfang ebenfalls, um dabei zu helfen, wenigstens das an Zurückdrängung von Gewalt und damit an Vorbereitung politischer Verhandlungen über die komplexen Konflikte in Darfur und darüber hi- naus in der Region sicherzustellen, was mit militärischen Möglichkeiten erreicht werden kann. Wir hoffen, dass UNAMID zum Ziel führen kann, und halten die Beteiligung deutscher Soldaten insbeson- dere beim Lufttransport im Einsatzgebiet von UNAMID, aber auch für Beratungs- und Hilfsaufgaben für sinnvoll. Zugleich allerdings unterstreichen wir, was auch die Bundesregierung mehrfach zum Ausdruck gebracht hat, dass nämlich der Schwerpunkt des Engagements der Weltöffentlichkeit für die gequälten Menschen in Darfur in der Ermöglichung und Unterstützung tragfähiger poli- tischer Lösungen liegen muss. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Integrierte Planung für Schiene und Straße im Rheingraben – Gesamtverkehrskonzept Südbaden (Tagesord- nungspunkt 18) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Die Bahn- strecke durch den Oberrheingraben von Mannheim bis Basel ist Teil einer der bedeutendsten und am stärksten genutzten Nord-Süd-Verbindungen im europäischen Eisenbahnverkehr. Schon heute ist diese Strecke mit 130 Prozent Auslastung überbelastet. Und für die Zu- kunft wird ein weiterer deutlich ansteigender Bedarf für diese Schienenstrecke prognostiziert. So soll bis zum Jahr 2025 der Verkehr gegenüber heute um rund 50 Pro- zent zunehmen. Dies betrifft vor allem die Güterver- kehre. Diese bedeutende Eisenbahnstrecke muss und soll da- her von heute zwei auf künftig vier Gleise ausgebaut werden. Teilweise ist dieser Ausbau bereits erfolgt. Für den Streckenabschnitt von Offenburg bis Basel sind die Planrechtsverfahren eingeleitet. In einem Abschnitt be- steht bereits Baurecht und kürzlich wurde für den in die- sem Abschnitt liegenden Katzenbergtunnel erfolgreich der Tunneldurchstich gefeiert. Zwischen Offenburg und Karlsruhe ist der Rastatter Tunnel bestandskräftig plan- festgestellt und sollte möglichst bald realisiert werden. Ab der deutsch-schweizerischen Grenze Richtung Süden betreibt die Schweiz mit der Neuen Eisenbahn- Alpentransversale ihrerseits ein großes Schienenver- kehrsbauprojekt, zu dem vor allem zwei neue Eisen- bahntunnel unter dem Lötschberg und unter dem Gotthard gehören. Im Vertrag von Lugano haben die Bundesrepublik Deutschland und die Schweizer Eidge- nossenschaft sich zu einem gemeinsam abgestimmten Schienenausbau verpflichtet. Im dichtbesiedelten Oberrheingraben stellt der Aus- bau von bislang zwei auf vier Bahngleise eine große He- rausforderung für eine umwelt- und anwohnergerechte Planung dar. Die Städte und Gemeinden entlang der Rheintalbahn fordern ebenso wie die betroffenen Bürge- rinnen und Bürger, dass beim Bahnausbau auf ihre städ- tebaulichen Belange, auf den Schutz der Menschen vor Lärm und anderen Beeinträchtigungen in besonderer Weise Rücksicht genommen wird. Dieses Anliegen ist voll und ganz zu unterstützen. 12900 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) Nun hat die FDP zu einigen Anliegen der Region am Oberrhein einen Antrag im Deutschen Bundestag vorge- legt. Erlauben Sie mir den Hinweis: Dieser FDP-Antrag, der sich an die Bundesregierung wendet, kommt etwas spät. Denn wir befinden uns in allen im Antrag erwähn- ten Streckenabschnitten in bereits eingeleiteten Plan- rechtsverfahren, in die politisch zurzeit gar nicht einge- griffen werden darf. Vielmehr geht es jetzt darum, dass die Trassenalternativen und Änderungswünsche in den Verfahren sachgerecht bearbeitet werden. Und dazu gibt es konkrete Ansatzpunkte und Initiativen, die leider im FDP-Antrag überhaupt nicht erwähnt werden: Erstens. Auf meine Initiative hin haben im August dieses Jahres das für die Infrastruktur zuständige Vor- standsmitglied der DB AG, Stefan Garber, und der Vor- stand der DB-Netz, Oliver Kraft, die Region am Ober- rhein besucht und mit Abgeordneten des Landes und des Bundes, Vertretern der Landesregierung von Baden- Württemberg, dem Regierungspräsidium von Freiburg und den Bürgermeistern die Forderungen und Anregun- gen zur Bahnplanung besprochen. Zuvor fand zum glei- chen Thema ein Gespräch mit den Bürgerinitiativen in Berlin statt. Ergebnis ist: Die Bahn prüft jetzt im Detail die Vorschläge für einen Güterzugtunnel in Offenburg, für eine autobahnparallele Führung einer Güterzugtrasse im Bereich zwischen Offenburg und Freiburg und die so genannte Bürgertrasse im Markgräflerland. Es ist ein großer Erfolg, dass nicht nur eine Abschichtung der Planvarianten erfolgt, sondern endlich zu den von den Städten und Gemeinden vorgeschlagenen Alternativen konkrete Untersuchungen und Planungen durchgeführt werden. Zweitens. Für den Lärm- und Erschütterungsschutz und ebenso für die Beurteilung von Trassenvarianten ist von größter Bedeutung, welche Zugzahlen den Planun- gen zugrunde gelegt werden. Es ist der Initiative ver- schiedener Abgeordneter und des Regierungspräsidenten von Freiburg zu verdanken, dass jetzt die Zugzahlen für das Jahr 2025 erhoben werden. Dieses Gutachten wird demnächst vorgelegt. Ab dann wird die Bahn nicht mehr wie bisher die Zugzahlen für das Jahr 2015, sondern die voraussichtlich höheren Zahlen für 2025 den Planungen zugrunde legen müssen. Das ist ein wichtiger Erfolg, um Veränderungen bei den Planungen bewirken zu können. Der Landesregierung von Baden-Württemberg ist zu danken, dass sie die Finanzierung dieses Gutachtens übernommen hat. Drittens. Die Landesregierung von Baden-Württem- berg hat die Einsetzung einer Projektarbeitsgruppe unter dem Vorsitz des für die Verkehrspolitik zuständigen In- nenministers Heribert Rech beschlossen, die die Forde- rungen und Anregungen der Städte und Gemeinden so- wie der Bürgerinitiativen zusammenstellen soll und ein Spitzengespräch von Ministerpräsident Günter Oettinger mit Herrn Mehdorn und Herrn Tiefensee vorbereiten soll. Ich freue mich, dass die Landesregierung und vor allem der Ministerpräsident des Landes Baden-Württem- berg sich mit einer eigenen Arbeitsgruppe für die Be- lange der Städte und Gemeinden an der Rheintalbahn engagiert. Da die FDP an der Landesregierung von Ba- den-Württemberg beteiligt ist, gehe ich davon aus, dass sie ihre Vorstellungen und Anregungen in diese Arbeits- gruppe einbringt und nicht nur Anträge im Bundestag stellt. Es wäre schön, wenn seitens der FDP dazu auch etwas zu hören oder zu lesen wäre. Die Bewährungs- probe, ob man eine Sache wirklich ernst nimmt, muss man zuerst dort bestehen, wo man regiert. Viertens. Die von den Städten und Gemeinden sowie den Bürgerinitiativen vorgeschlagenen Trassenalternati- ven werden auch zu Mehrkosten beim Aus- und Neubau der Rheintalstrecke führen. Leider sagt die FDP dazu in ihrem Antrag gar nichts. Und damit ist dieser Antrag ei- gentlich nichts wert, denn die politische Nagelprobe ist nicht beim Abfassen lyrisch schöner Anträge zu beste- hen, sondern beim Haushalt. Die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD wissen, dass wir mehr Finanz- mittel für den Ausbau der Schieneninfrastruktur benöti- gen. Dass wir es auch ernst meinen, zeigt unser Antrag bei den derzeit laufenden Beratungen über den Bundes- haushalt 2008, die Schienenausbaumittel allein für das kommende Jahr deutlich zu erhöhen. Zusammenfassend zeigen diese Aktivitäten, dass auch ohne Bundestagsanträge gute Fortschritte erzielt wurden, um den Belangen der Städte und Gemeinden im Planungsprozess besser gerecht zu werden. Ich finde, dass wir Abgeordneten aus der Region am Oberrhein ge- meinsam mit den Städten, Gemeinden und Bürgerinitia- tiven an einem Strang ziehen sollten. Wir sollten uns nicht mit ständig neuen Presseerklärungen oder Ankün- digungen gegenseitig die Show stehlen wollen. Gemes- sen werden wir an dem, was wir konkret in unserer je- weiligen Verantwortung tun und dann auch tatsächlich erreichen. Die Region am Oberrhein ist eine der schöns- ten Gegenden Deutschlands mit lebens- und liebenswer- ten Städten und Gemeinden. Wir wollen, dass das so auch in Zukunft bleibt. Dafür arbeiten wir. Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD): Lärm stresst. Lärm kann krank machen. Ruhezonen sind rar. Über 80 Prozent der Bevölkerung Deutschlands fühlen sich durch Lärm belästigt. Die Belastung durch Verkehrslärm wird stärker als in der Vergangenheit als gravierende Einschränkung der Lebensqualität empfunden. In unse- rer hektischen und lauten Welt wird Lärm zunehmend als störend und als Beeinträchtigung der Kommunika- tion, der Konzentration und der Erholung wahrgenom- men. Trotz einer positiven Einstellung zur Mobilität sind die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr bereit, Ver- kehrslärm hinzunehmen. Verkehrslärm ist zu einer zentralen Akzeptanzfrage für die Verkehrsentwicklung aller Verkehrsträger gewor- den. Bei jeder geplanten Infrastrukturmaßnahme gibt es dieses Dilemma: Auf der einen Seite wollen wir die Ver- kehrsinfrastruktur ausbauen, um dem Zuwachs an Ver- kehr gerecht zu werden und wie im Rheingraben mehr Güterverkehr auf die Schiene zu bringen. Das macht auch ökologisch und ökonomisch Sinn. Zum anderen müssen die Belastungen der Anwohner möglichst gering gehalten werden. Ein wichtiges Ziel unserer Verkehrs- politik ist es, mehr Transport auf die Schiene zu bringen. Das gilt sowohl für Personen als auch für Güter. Aber Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12901 (A) (C) (B) (D) mit jedem Wagen und jedem zusätzlichen Container, der mit dem Zug transportiert wird, steigt der Lärm an der Schiene. Die Forderung der Bürgerinitiativen und der Anwohner nach ausreichendem Lärmschutz ist gut nach- vollziehbar. Deshalb wollen wir mehr Lärmschutz an Verkehrswegen und besonders an der Schiene! Wir wollen auch eine Verbesserung der Trasse entlang der Neu- und Ausbaustrecke Karlsruhe–Basel. Die Tras- sierung der Neubaustrecke ist durch die raumordnerische Entscheidung des Landes im Grunde vorgegeben. Das Vorhaben hat die gesamten vorgelagerten Verfahren wie auch die Raumordnung durchlaufen. Von den zuständi- gen Landesbehörden sind in diesem Verfahren autobahn- parallele Varianten verworfen worden. Der Bund hat keine Möglichkeit, in die laufenden Planfeststellungs- verfahren einzugreifen. Eine politische Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Lösung ist im laufenden Ver- fahren nicht möglich. Die Prüfung einer Maßnahme wird durch das Eisenbahnbundesamt durchgeführt. Innerhalb der Planfeststellung müssen immer Varianten untersucht werden. Es stehen derzeit zwei Gutachten aus. Die Lan- desregierung von Baden-Württemberg hat eine neue Verkehrsprognose in Auftrag gegeben. Neue Ergebnisse können Anhaltspunkte für vertiefende Untersuchungen sein. Wir warten die Ergebnisse ab. Wir haben dafür gesorgt, dass alle neuen relevanten Daten in die laufenden Planfeststellungsverfahren einge- hen werden. Das bedeutet: Wenn bei dem Prognosehori- zont 2025 höhere Zugzahlen zu erwarten sind, müssen diese Zahlen Grundlage für die Variantenuntersuchun- gen sein. Kommt das Eisenbahnbundesamt bei dieser Prüfung zu dem Schluss, dass eine bestimmte Investition notwendig ist, um das Projektziel zu erreichen, und dass sie dazu noch wirtschaftlich ist, so finanziert der Bund diese Investitionen. Ich begrüße es sehr, dass der Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee zugesagt hat, eine gleichrangige und gleichtiefe Untersuchung der Varianten in Offen- burg, nämlich die A-3-Trasse und den Tunnel, zu ge- währleisten. Ich begrüße auch, dass die DB Netz AG sich bereit erklärt hat, Alternativplanungen vertieft zu untersuchen, um damit für die laufenden Planfeststel- lungsverfahren eine solide Entscheidungsgrundlage zu schaffen. Die Bürgerinnen und Bürger sowie die Kommunen können sich unmittelbar an den Anhörungen in Rahmen der Planfeststellungsverfahren beteiligen. Diese Einwen- dungen müssen im laufenden Planfeststellungsverfahren abgearbeitet werden. Ich sage es noch einmal: Wir wol- len eine Verbesserung der Trassenführung. Gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen der Sozialdemokratischen Bundestagsfraktion pflegen wir den Dialog mit den Bürgerinitiativen und den betrof- fenen Anwohnern vor Ort. Wir haben in vielen Gesprä- chen mit dem Bundesverkehrsministerium, mit dem Ei- senbahnbundesamt und mit der Deutschen Bahn AG die Problematik entlang der Rheintalbahn von Karlsruhe nach Basel deutlich gemacht und die besondere Situation geschildert. Die Sensibilisierung zu dem Thema ist all- gemein sehr hoch. Wir werden die betroffenen Anwoh- ner auch weiterhin unterstützen. Die von der FDP in ihrem Antrag vorgeschlagenen Alternativen, wie die Parallelführung entlang der Auto- bahn, würden dazu führen, dass die Planungsverfahren neu aufgerollt werden müssten. Das würde einen völli- gen Planungsstopp der laufenden Verfahren bedeuten. Haben Sie sich diese Konsequenzen Ihrer Forderungen eigentlich bewusst gemacht? Die Verzögerungen, die da- durch entstehen würden, sind verkehrspolitisch nicht zu vernachlässigen. Sie brächten die Bundesrepublik Deutschland in die Situation, dass sie ihren vertraglichen Verpflichtungen gegen über der Schweiz, nämlich ge- mäß dem Vertrag von Lugano den NEAT-Zulauf zu ge- währleisten, nicht nachkäme. Der Antrag, den die FDP-Fraktion in den Deutschen Bundestag eingebracht hat, trägt den hochtrabenden Titel „Integrierte Planung für Schiene und Straße im Rheingraben – Gesamtverkehrskonzept Südbaden“. Un- ter einem Gesamtverkehrskonzept stelle ich mir einen integrierten Ansatz vor, der alle Verkehrsträger ein- schließt und miteinander verknüpft. Der Inhalt des FDP- Antrages auf anderthalb Seiten verdient noch nicht ein- mal den Namen „Konzeptchen“, geschweige denn die Titulierung „Gesamtverkehrskonzept Südbaden“. Die FDP fordert den Bund in ihrem Antrag auf, in ein laufendes Planfeststellungsverfahren einzugreifen. Hät- ten die Antragsschreiber ein Einführungsseminar zum Thema „Wie plant der Bund Schienenwegen?“ besucht, wüssten sie, dass der Bund keine Möglichkeit hat, in ein laufendes Planfeststellungsverfahren einzugreifen. Dass die von der FDP vorgeschlagenen Alternativen Mehrkosten voraussichtlich in Höhe von über 1 Milli- arde Euro bedeuten, soll auch nicht unerwähnt bleiben. So viel zu der Qualität des FDP-Antrages. Wir schreiben keine kläglichen Anträge wie die FDP, sondern setzen uns aktiv für Verkehrslärmschutz ein. Die Belastung durch Verkehrslärm nehmen wir sehr ernst. So haben wir zum Beispiel die Mittel für das Lärmsanie- rungsprogramm an bestehenden Schienenwegen von 50 Millionen Euro auf 100 Millionen Euro angehoben und legen im Haushalt für 2008 nochmals zu. Das ist eine Mittel-Erhöhung um 100 Prozent und ein deutliches Zeichen. Im Bundeshaushalt 2008 fördern wir erstmals lärmmindernde Maßnahmen zur Umrüstung von Schie- nengüterfahrzeugen. Wir wollen einen schnelleren Ein- bau von leiseren Kunststoff-Bremsen erreichen. Die he- rausragende Lärmquelle ist das Rollgeräusch, das im Rad-Schiene-Kontakt bei Güterwagen entsteht. Im Ge- gensatz zu den herkömmlichen Grauguss-Bremssohlen werden die Radlaufflächen der Güterwagen von Ver- bundstoff-Bremssohlen nicht aufgeraut, so dass ein er- heblich ruhigerer Radlauf erzielt wird. Die vollständige Umrüstung aller Güterfahrzeuge wird einige Zeit in An- spruch nehmen, aber die Lärmminderung, die wir damit erreichen werden, ist enorm. Dies wird die Anwohner an Schienenstrecken in ganz Deutschland erheblich von Lärm entlasten. Darüber hinaus muss eine europäische Lösung angestrebt werden, damit auch die ausländischen 12902 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) Güterwagen auf unserem Schienennetz diesen Anforde- rungen gerecht werden. Der Aus- und Neubau der Schienenstrecke von Karls- ruhe nach Basel ist ein wichtiges Infrastrukturprojekt für Baden-Württemberg. Ziel der Baumaßnahme ist die Ka- pazitätserhöhung und Qualitätsverbesserung dieser Hauptabfuhrstrecke. Sie ist Teil einer ersten durchgehen- den Nord-Süd-Verbindung im Hochleistungsnetz der Deutschen Bahn AG und zugleich ein wichtiges Binde- glied für den weiterführenden Verkehr in die Schweiz sowie zur Schnellbahn Paris-Ostfrankreich-Südwest- deutschland. Die Maßnahme steht in engem Zusammen- hang mit der Inbetriebnahme des Lötschberg-Basis- tunnels und des Gotthard-Basistunnels in der Schweiz. Beide Strecken, Basel–Mailand via Bern und Basel–Mailand via Chiasso, müssen wir ertüchtigen, um der zu erwartenden Steigerung des Güterverkehrs zu be- gegnen. Die kapazitätsmäßige und qualitative Verbesserung der Strecke wird durch den Bau einer zweigleisigen Neubaustrecke mit einer Höchstgeschwindigkeit von bis zu 250 Stundenkilometer weitgehend parallel zu der be- stehenden Strecke erreicht. Eine Ausnahme bildet hier die Strecke Karlsruhe–Rastatt und die Güterumfahrung Freiburg. Der viergleisige Ausbau stellt für die Rheintal- bahn eine wesentliche Änderung nach § 1 der 16. Bun- des-Immissionsschutzverordnung dar. Damit haben die Anwohner einen Rechtsanspruch auf Schallschutzmaß- nahmen für alle vier Gleise. Einige Probleme halte ich bei der Autobahnvariante für ungeklärt. So ist zum Beispiel der Flächenbedarf des Trassenverlaufs noch größer als bereits 1992 angenom- men. Die Umfahrung von Autobahnauffahrten und Rast- plätzen ist genauso schwierig wie die Kreuzung zum Beispiel von Baggerseen, die ein wichtiges Naherho- lungsgebiet für die Region darstellen. Ich warne davor, großzügig andere Trassenverläufe vorzuschlagen und damit die Belastungssituation nur zu verlagern. Unser Ziel ist ein umweltgerechter und scho- nender Ausbau der Rheintalbahn sowie ein möglichst hoher Schutz der Anwohner vor Lärm. Populistische Anträge der Opposition helfen in der Sache nicht weiter. Ernst Burgbacher (FDP): Nachdem auf verschiede- nen Veranstaltungen, insbesondere auf der Großkundge- bung in Freiburg am 7. Oktober, auch von Vertretern von CDU und SPD Unterstützung für die Forderungen der Bürgerinitiativen zugesichert wurde, ist es jetzt an der Zeit, auch im Parlament Farbe zu bekennen. Zu Recht hat die IG Bohr, die Interessengemeinschaft Bahnprotest an Ober- und Hochrhein, eindringlich den Primat der Po- litik angemahnt. Die Politik muss ihre Verantwortung wahrnehmen; daher legt die FDP-Bundestagsfraktion heute den Antrag „Integrierte Planung für Schiene und Straße im Rheingraben – Gesamtverkehrskonzept Süd- baden“ vor. Wenn die Mehrheit des Hauses diesem Kon- zept zustimmt, wird die Umsetzung der Forderungen deutlich erleichtert werden. Ausdrücklich will ich den in der IG Bohr vereinten Bürgerinitiativen für ihre Arbeit und ihren Einsatz dan- ken. Ihnen geht es nicht darum, einfach etwas zu verhin- dern, sondern sie legen konstruktive Vorschläge vor. Dies verdient unseren großen Respekt. Beim Ausbau der Rheintalbahn handelt es sich nicht nur um ein Jahrhundertbauwerk, diese Trasse wird noch viel länger Bestand haben. Umso wichtiger ist es, die be- rechtigten Sorgen der Menschen in der Region ernst zu nehmen und eine für Mensch und Natur zukunftsfähige Lösung zu finden. Das viergleisige Trassenteilstück Of- fenburg–Basel ist Teil einer Hauptverkehrsader Europas, die Rotterdam mit Genua, die Nordsee mit dem Mittel- meer verbindet. Es handelt sich also keineswegs um ein rein südbadisches, sondern um ein deutsches, ja europäi- sches Problem. Der Verkehrskorridor im Rheingraben ist Bestandteil des transeuropäischen Verkehrsnetzes. Da- her ist der Bundestag hier in der Pflicht. Die Trasse, so wie sie derzeit geplant ist, wird für die Menschen in der Rheinebene unzumutbare Lärmbelästigungen mit sich bringen, sie wird auch die wertvollen Kulturlandschaften am Oberrhein in ihrem Wert deutlich mindern. Um zu ei- nem menschen- und umweltverträglichen Bahnausbau zu kommen, muss die vorgesehene Trassenführung ge- ändert werden. Wir anerkennen – nach dem ökologisch und ökono- misch richtigen Grundsatz: Personen und Güter von der Straße auf die Schiene! – ausdrücklich die Notwendig- keit der Optimierung der Strecke Karlsruhe–Basel als Teil der europäischen Nord-Süd-Magistrale und damit auch die Notwendigkeit des dritten und vierten Gleises zwischen Offenburg und Weil. Wir wollen die Verträge mit der Schweiz erfüllen. Deshalb sind jetzt rasche Ent- scheidungen vonnöten. Die Menschen in Südbaden erwarten zu Recht, dass ihren Bedürfnissen nach Lärmschutz und nach einer landschaftsverträglichen Verkehrsplanung Rechnung ge- tragen wird. Eine Beeinträchtigung der Anwohner durch Lärm, Flächenverbrauch und gegebenenfalls auch Ein- griffe in das Eigentumsrecht werden unvermeidbar sein. Die Akzeptanz dieser Eingriffe kann jedoch in entschei- dender Weise erhöht werden, wenn auf die Bedürfnisse des Umwelt- und Lärmschutzes mit integrierten Lö- sungsansätzen bei der Verkehrswegeplanung und insbe- sondere der Trassenführung geantwortet wird. Um eine Zerschneidung der Stadt Offenburg zu ver- hindern, ist die Unterfahrung in einem Tunnel erforder- lich. Für den Rheingraben südlich von Offenburg bis zur Einmündung in die Westumfahrung Freiburgs ist die Verlagerung der Neubautrasse an die Bundesautobahn 5, also eine Bündelung von Schiene und Straße, die beste Lösung. Durch die Bündelung der Linienführung von Straße und Schiene werden die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt am wirkungsvollsten reduziert. Im Westen Freiburgs bis zum Nordportal des Mengener Tunnels muss eine Trassenabsenkung angestrebt werden. Vom Südportal des Mengener Tunnels bis südlich von Buggingen ist eine teilgedeckelte Tieflage notwendig. Die FDP-Bundestagsfraktion setzt sich mit allem Nachdruck für eine menschen- und umweltgerechte Pla- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12903 (A) (C) (B) (D) nung der neuen Trasse ein, aber auch für die generelle Lärmreduktion im gesamten Schienennetz nach dem ak- tuellen Stand der Bahntechnik. Die FDP fordert alle Fraktionen, insbesondere aber die Regierungsfraktionen, auf, der Bundesregierung einen Prüfauftrag, in Abstim- mung mit der Landesregierung Baden-Württemberg, der Deutschen Bahn AG und dem Eisenbahnbundesamt, für die genannten Maßnahmen zu erteilen. Außerdem for- dern wir zeitnah einen Bericht über den Planungsstand und die Vorstellungen der Bundesregierung zur Realisie- rung einer landschaftsgerechten Trassenführung und ei- nes größtmöglichen Lärmschutzes für die Anwohner- schaft. Ich hoffe sehr, dass Union und SPD nicht nur bei Großkundgebungen mit den betroffenen Anwohnern schöne Reden halten, sondern hier im Parlament ihren Worten auch die entsprechenden Taten folgen lassen und dem Antrag der FDP-Bundestagsfraktion zustimmen werden. Dorothée Menzner (DIE LINKE): Wir kommen nicht daran vorbei und auch die Linke wiederholt es in- zwischen gebetsmühlenartig: Der Güterverkehr wird sich in den nächsten Jahren verdoppeln! Und wie die FDP in ihrem Antrag schreibt: Das Mengenwachstum des Güterverkehrs übertrifft alle Erwartungen. Der Wa- renfluss nimmt zu. Konsumenten – sofern sie Arbeit ha- ben und sich die Produkte leisten können – freuen sich über Elektronik, Haushaltswaren und Spielzeug und über das, was da in unzähligen Containern zu uns he- rüberschwappt. Es landet in den Seehäfen an und muss im Land ver- teilt werden, vorzugsweise auf der Schiene, die wieder im Wachstumstrend liegt. Deshalb sagt es auch die Linke immer wieder: Wir müssen unsere Schienen für diese Transportmengen fit machen. Dazu gehört es, die Schie- nenwege auszubauen. Dies ist auch im badischen Ober- rheingraben bei der Strecke Karlsruhe–Offenburg–Weil am Rhein–Basel geplant. Sie ist die wichtigste Verbin- dung von der Nordsee in die Schweiz und nach Italien. Sie soll künftig von zwei Gleisen auf vier erweitert wer- den. Doch mehr Züge bedeuten auch mehr Lärm. Davon betroffen sind wiederum die Anrainer solcher Strecken wie der Oberrhein-Linie. Die alte Strecke windet sich mitten durch Ortschaften und Städte. Und mit dem Bau der weiteren Gleise ver- schärft sich das Problem. Viele Bürgerinitiativen wenden sich nun gegen die offiziellen Ausbaupläne. Sie fordern – zu Recht – eine Alternativplanung, bei der weniger Menschen betroffen wären. Die in der „IG Bahn-Protest am Ober- und Hochrhein“ vereinten Initiativen haben ihre Vorschläge erst kürzlich in der baden-württembergi- schen Landesvertretung vorgestellt. Diese sind kurz zu- sammengefasst: eine Tunnellösung für Offenburg, die Bündelung von Schiene und Autobahn auf einer Alterna- tivtrasse und Trassenabsenkungen in Freiburg und bei Mengen. Diese Vorschläge beinhalten vor allem die Auswir- kungen von Verkehrslärm auf so wenig Menschen wie möglich. Trotzdem sollte nicht verhehlt werden, dass all das, was von den Initiativen gefordert wird, die Baukosten von heute schon 4,6 Milliarden Euro um weitere 720 Millionen Euro nach oben treibt. Zwar können wir das Geld auf mehrere Jahre verteilen. Doch woher neh- men? Die Koalition und Bündnis 90/Die Grünen fordern mehr Geld für Lärmschutz, CDU/CSU und SPD 50 Mil- lionen Euro, die Grünen das Doppelte. Ich denke, es werden sich Töpfe finden, um auch die lärmmindernde Alternativplanung im Rheingraben zu finanzieren, auch wenn schon für einige Abschnitte das Planfeststellungs- verfahren läuft. Auf der erwähnten Veranstaltung in der Landesvertre- tung sagte es Staatssekretär Kasparick deutlich: Im Ab- wägeverfahren der Bürgereinsprüche ist es durchaus möglich, die vorgeschlagenen Änderungen in die Plan- feststellung zu nehmen. Diese Vorschläge der Initiativen vor Ort haben die Freien Demokraten in ihrem Antrag aufgenommen. Für diese Politik, sich im Sinne der be- troffenen Bürger einzusetzen, möchte ich Sie loben, liebe Kolleginnen und Kollegen vom liberalen Bahn- steig. Da ist die Linke mit Ihnen ausnahmsweise mal ei- ner Meinung, und daher tragen wir Ihren Antrag mit. Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir sprechen hier heute über einen Antrag der FDP zum Ausbau der Rheintalbahn zwischen Karlsruhe und Basel. Mit dem Bau des 3. und 4. Gleises für den Güterverkehr auf der Schiene wird ein europäisches Großprojekt in Angriff genommen. Die Bundesrepublik hat sich zu die- sem Kapazitätsausbau verpflichtet. Mit dem Staatsver- trag von Lugano 1996 stehen wir der Schweiz gegenüber im Wort, den Ausbau der Zulaufstrecke zum Lötschberg- und Gotthardtunnel sicherzustellen. Dieser Ausbau ist dringend erforderlich – aus verkehrspolitischen Gründen wie aus Gründen des Klima- und Umweltschutzes. Kann der geplante Güterverkehr nicht auf der Schiene stattfin- den, dann wird er über die Straße rollen. Damit würden die Menschen, die Umwelt und die Landschaft viel stär- ker belastet. Bündnis 90/Die Grünen haben ein zentrales Anliegen: Wir wollen möglichst schnell möglichst viel Güterverkehr von der Straße auf die Schiene verlagern. Dazu brauchen wir den Kapazitätsausbau im Rheingra- ben dringend. Der Ausbau der Rheintalbahn wird auch zu einer deutlichen Entlastung der Anwohner an der Alt- strecke führen. Diese Entlastung begrüßen wir sehr, da sie Tausenden von Anwohnern zugutekommt. Zurzeit wird gerade in der Region Freiburg mit dem Lärmsanie- rungsprogramm des Bundes die Situation an einzelnen, besonders belasteten Punkten der Altstrecke entschärft. Das ist im Sinne des Lärmschutzes sehr zu begrüßen. Letztlich ist das aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein, weil es sich hier um freiwillige „Reparaturmaß- nahmen“ ohne gesetzlichen Anspruch handelt. Auch mit dem vergleichsweise umweltfreundlichen Transportmittel Bahn kommen große Belastungen auf Mensch und Umwelt im Rheingraben zu. Was können wir realistischerweise tun, um diese Belastungen so ge- ring wie möglich zu gestalten? 12904 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) Der beste und auch günstigste Weg beim Lärmschutz ist die Vermeidung der Entstehung von Lärm. Die Ver- meidung der Lärmentstehung durch neue leisere Wagen und durch Umrüsten des Altmaterials ist der effizienteste und günstigste Weg, die Güterzüge leiser zu machen. Ein europaweites Umrüstprogramm nach dem heutigen Stand der Technik würde eine Halbierung des Lärms be- deuten. Für relativ wenig Geld lässt sich das Bremssys- tem jedes alten Waggons umrüsten. So entsteht ein Lärm, der vom menschlichen Ohr nur noch halb so laut wahrgenommen wird. Im Juni wurde dieses Umrüstpro- gramm hier im Bundestag beschlossen. Da sind wir alle dafür. Für diesen sehr sinnvollen Weg haben wir uns er- folgreich eingesetzt. Für die tatsächliche und europa- weite Umsetzung bis zur Inbetriebnahme des 3. und 4. Gleises der Rheintalbahn – u. a. durch die Einführung lärmabhängiger Trassenpreise – werden wir kämpfen. Nun zu den vier Forderungen zu einzelnen Streckenab- schnitten im Antrag der FDP. Diese vier Forderungen übernimmt die FDP von den Bürgerinitiativen im Rhein- graben. Da die in Absatz 2 an die Bundesregierung ge- richteten Forderungen in der Gesamttendenz richtig sind, werden wir dem FDP-Antrag zustimmen. Wir schließen uns einer sorgfältigen Prüfung der einzelnen Forderungen generell an, auch wenn wir manche Details anders sehen. Nun noch eine Bewertung im Detail: Zu Forderung eins: Die bisherige Planung zu Offenburg kann so nicht bleiben, da die bereits hohe Belastung der Offenburger Innenstadt sich noch drastisch verschärft. Offenburg ist ohne Zweifel der problematischste Punkt der gesamten Neubaustrecke mit den meisten direkt betroffenen An- wohnern. Wir fordern eine detaillierte Prüfung einer Tunnel-Lösung für Offenburg unter Berücksichtigung des Lärm- und Erschütterungsschutzes sowie des inner- städtischen Flächenverbrauchs. Zu Forderung zwei: Eine Bündelung der Linienführung von Offenburg bis Frei- burg von Neubaustrecke und A 5 halten wir Grünen für die sinnvollste Variante der Trassenführung. Diese muss im Planfeststellungsverfahren gleichrangig mit anderen Varianten im Hinblick auf Landschaftsverbrauch, Lärm- schutz und Betriebssicherheit geprüft werden. Zu Forde- rung drei: Die zusammen mit anderen baulichen Maß- nahmen vorgeschlagene teilweise Trassenabsenkung im Freiburger Streckenabschnitt soll geprüft werden. Dieses für eine deutliche Lärmreduzierung vorgeschlagene Maßnahmenbündel stellt eine klare Verbesserung der bisherigen Bahnplanungen dar. Das Maßnahmenpaket, das in einer von den betroffenen Kommunen finanzier- ten Ingenieursstudie im Detail erarbeitet wurde, verdient eine sorgfältige Prüfung im Planfeststellungsverfahren. Zu Forderung vier: Auch eine Trassenabsenkung mit Teildeckelung des Streckenabschnitts vom Südportal des Mengener Tunnels bis südlich von Buggingen soll ge- prüft werden. Die ursprüngliche Maximalforderung, die- sen Streckenabschnitt ganz zu untertunneln, wird nicht mehr erhoben. Das begrüßen wir. Unser abschließendes Fazit: Wir begrüßen das Nach- hintenziehen des Prognosehorizonts aufs Jahr 2025, weil das ein realistischerer Zeitpunkt für den tatsächlichen Güterverkehr auf der Strecke ist. Sollten von Land oder Bund zusätzliche Mittel für den baulichen Lärmschutz bereitgestellt werden, – also Gelder, die über die gesetz- lichen Verpflichtungen hinaus fließen – so sollte dieses Geld an den kritischsten Punkten eingesetzt werden. Der kritischste Punkt ist für uns Offenburg, weil dort die meisten Menschen am härtesten und am direktesten be- troffen sind. Was wird aus den großen Versprechungen, die die Abgeordneten der Großen Koalition in der Region in den letzten Jahren gemacht haben? Regionale Abgeordnete der CDU und der SPD aus dem Bundestag und aus dem Stuttgarter Landtag haben vor Ort immer viel mehr Lärmschutz versprochen als er gesetzlich vorgeschrie- ben ist. Das Land Baden-Württemberg verschleudert beim Projekt Stuttgart 21 ohne Not eine Milliarde Euro. Wir sind sehr gespannt, wie viel Geld die CDU/FDP- Landesregierung für das Projekt Ausbau der Rheintal- bahn zur Verfügung stellen wird. Und wir sind sehr neu- gierig, was aus den forschen Worten der SPD-Opposi- tion im Ländle in Berlin wird. Dort ist man mit an der Regierung, dort will man dann häufig nichts mehr von dem wissen, was man – wie zum Beispiel die Abschaf- fung des Schienenbonus – vor Ort bei den Betroffenen gefordert hat. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Bei der 62. General- versammlung der Vereinten Nationen ein Zei- chen für die weltweite Abschaffung der Todes- strafe setzen (Tagesordnungspunkt 19) Erika Steinbach (CDU/CSU): Abscheu ist das vor- herrschende Gefühl, das die Menschen gegenüber den schwersten Verbrechen empfinden. Carl Großmann, die Bestie vom Schlesischen Bahn- hof – dem heutigen Berliner Ostbahnhof –, hat mindes- tens drei Frauen ermordet, die geschätzte Zahl seiner Opfer liegt zwischen 20 und 100 Frauen. Niemand weiß, ob dieser Mann, Besitzer eines Wurststandes, seine Op- fer zu Wurst und Dosenfleisch verarbeitet hat. Hans Erwin Hagedorn, Sexualtäter und mehrfacher Kindesmörder, wurde 1972 durch unerwarteten Nah- schuss in der Strafvollzugseinrichtung Leipzig hinge- richtet. Die Opfer von Friedrich Haarmann wurden nach ei- nem mehrjährigen Kampf der Eltern der von ihm getöte- ten Kinder in Hannover in einem Ehrengrab bestattet. Haarmann wurde 1925 in Hannover enthauptet. Der eine oder andere unter Ihnen wird den Film mit Götz George kennen: Der Totmacher. Die Emotionen in der Bevölkerung und bei den Hin- terbliebenen sind eindeutig. Wer so kaltblütig quält und tötet, hat sein Recht auf Leben verwirkt. Solche und ähn- liche Einträge finden sich auch heute in den Diskus- sionsforen des Internets. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12905 (A) (C) (B) (D) Wer aber vermag hier eine Grenze zwischen dem Schrei nach Gerechtigkeit, Vergeltung oder Rache zu ziehen? Darf der Staat selbst töten, um die Emotionen der Bevölkerung zu befriedigen? Wer kontrolliert diese Emotionen? Darf der Staat die Gesellschaft durch Elimi- nierung vor solchen Menschen schützen? Die Todes- strafe als gerechte Vergeltung für geschehenes Leid ge- treu dem biblischen Motto: „Aug um Aug, Zahn um Zahn“? Auf den ersten Blick mag dies einleuchten. Doch der Rechtsstaat beweist seine moralische Überlegenheit ja gerade dadurch, dass er sich nicht auf das Niveau der Täter hinablässt. Unrecht darf nicht mit Unrecht vergol- ten werden. Alles andere würde die moralische Instanz des Staates untergraben. Allein das Argument des Justizirrtums wiegt so schwer, dass viele Staaten der Welt von der Todesstrafe Abstand genommen haben. Wer kann wiedergutmachen, dass ein Unschuldiger getötet wurde? Was, wenn sich später herausstellt, dass die Taten ganz anders abliefen, als dies die Richter und vielleicht auch die Angeklagten selbst glaubten? Was, wenn der Angeklagte aufgrund ei- nes erpressten Geständnisses verurteilt wurde? Man stelle sich vor, ein Angeklagter gesteht, weil eine Struk- tur organisierter Kriminalität eine geliebte Person in ihre Hände bekommen hat? Einmal beschlossen und voll- streckt, kann eine Todesstrafe nicht mehr aufgehoben werden. Dieses Argument sollte jedem noch so emotio- nalen Betrachter einsichtig sein. Niemand unter den Menschen ist vor Irrtum gefeit. Justizirrtum – meines Erachtens das überzeugendste Argument gegen die Todesstrafe: Selbst in Rechtsstaaten kommt das vor. Seit 1973 sind allein in den USA 124 Menschen in 25 Staaten aus dem Todestrakt entlas- sen worden, nachdem ihre Unschuld nachträglich festge- stellt wurde. Diese Zahl lässt mich erschaudern. Wie viele hatten nicht das Glück, dass ihre Unschuld noch vor der Exekution festgestellt wurde? Die Todesstrafe ist eine Verletzung des Grundrechts auf Leben, das systematisch stärkste Argument gegen die Todesstrafe. Menschenrechte sind unteilbar. Men- schenrechte sind nicht aberkennbar, auch nicht für übelste Täter. Davon losgelöst ist die Tötung aus Not- wehr und Nothilfe. Dabei ist zu beachten, dass eine Staatsnothilfe, also eine Nothilfe zugunsten der Interes- sen der Allgemeinheit, grundsätzlich unzulässig ist. Der Täter – so die Lesart von Befürwortern der To- desstrafe – müsse zum Tode verurteilt werden, um wei- tere Verbrechen derselben Person ein für alle Male aus- zuschließen, das Todesrisiko von den möglichen zukünftigen Opfern an den Täter zurückzuschieben. Das Ziel, die Allgemeinheit vor gefährlichen Schwerstkrimi- nellen zu schützen, teile ich ausdrücklich. Dennoch ver- fügt der Staat auch ohne die Todesstrafe grundsätzlich über Mittel und Wege, die Bürgerinnen und Bürger unse- res Landes vor gefährlichen Verbrechern zu schützen. Er muss sie aber auch anwenden. Auch die zunehmenden Fälle von Ausbrüchen aus Haftanstalten tragen leider nicht dazu bei, das Vertrauen der Bevölkerung in unse- ren Justizapparat zu stärken. Aber wir dürfen nicht für die Illusion eines gerechten und starken Staates unseren starken Rechtsstaat über Bord werfen. Das Bekenntnis zu den Menschenrechten ist der wichtigste Grundpfeiler unserer Verfassung. Dieses Be- kenntnis kann und darf nicht an den deutschen Grenzen enden, sondern bildet einen wichtigen Aspekt unserer Außenpolitik. Der Einsatz für die Menschenrechte kennt keine Ländergrenzen. Der Einsatz für Menschenrechte kann übrigens auch nicht durch gekappte Telefonleitungen und abgeschaltete Computerserver aufgehalten werden. Die Todesstrafe kann auch kein legitimes Selbstver- teidigungsmittel des Staates sein: Sie erlaubt es dem Staat, Personen zu töten, die, da bereits inhaftiert, keinen Schaden mehr anrichten können. Die von der Todesstrafe erhoffte abschreckende Wir- kung gegen schwere Kriminalität ist statistisch kaum nachweisbar. Die Hoffnung auf eine abschreckende Wir- kung verkennt die Umstände, unter denen die meisten Verbrechen begangen werden. Es handelt sich ja gerade nicht um Täter, die rational denken, sondern um Men- schen, die hochemotional handeln. Sie kalkulieren die Folgen eines Misslingens ihrer Tat oft nicht ein. Man- chen ist ihr persönliches Schicksal sogar gleichgültig. Auf solche Menschen hat die Todesstrafe keine abschre- ckende Wirkung. Wäre dies anders, müsste die Krimina- litätsrate in Ländern mit Todesstrafe eigentlich niedriger sein als in Ländern ohne Todesstrafe. Es gibt hingegen Studien, die sogar davon ausgehen, dass die Todesstrafe eher zu einer Verrohung der Gesellschaft und damit zu einer erhöhten Gewaltbereitschaft führt. All diese Argumente gegen die Todesstrafe treffen auch auf Länder zu, in denen rechtstaatliche Verfahren grundsätzlich garantiert sind. Die Bundesrepublik Deutschland hat bereits 1949 als erster Flächenstaat auf dem europäischen Festland die Todesstrafe vollkommen abgeschafft. Es ist leicht, den Zeigefinger zu erheben, wenn der ei- gene Staat bereits mit gutem Beispiel vorangegangen ist. Doch rechtsstaatliche Verfahren sind längst nicht überall auf der Welt gegeben. In Ländern ohne rechtsstaatliche Verfahren kommt noch die Gefahr hinzu, dass die Todes- strafe aus politischen Motiven vollstreckt wird. Es sind keine Einzelschicksale, über die wir hier reden: Die Zahlen über die weltweite Verhängung und Voll- streckung der Todesstrafe sind erschreckend. Im Jahr 2006 wurden nach offiziellen Angaben mehr als 3 800 Menschen zum Tode verurteilt; über 1 500 Men- schen wurden hingerichtet. Die tatsächlichen Zahlen dürften noch viel höher liegen, vor allem in China. Offiziell kam es in der Volksrepublik China im letzten Jahr zu 1 010 Hinrichtungen. Angaben von Nichtregie- rungsorganisationen zufolge ist jedoch anzunehmen, dass die Zahl von 8 000 Exekutionen näher an der Reali- tät ist. Damit wäre China Schauplatz von etwa zwei Drit- tel aller Hinrichtungen weltweit. In China können 68 Straftaten, darunter auch völlig gewaltfreie Delikte wie Betrug, Steuerhinterziehung und Bestechung zu 12906 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) einem Todesurteil führen. Selbst für das Erlegen eines Pandabären kann die Todesstrafe verhängt werden. Dabei ist China kein Einzelfall. Auch in einer Reihe anderer Staaten werden Menschen für gewaltfreie De- likte hingerichtet: So wurde erst im Juli dieses Jahres ein Mann im Iran wegen Ehebruchs gesteinigt. Die Steini- gung der Frau wurde in letzter Minute auf unbestimmte Zeit vertagt, nachdem der Fall international Aufsehen er- regte. Im September wurden in Vietnam drei Männer wegen Drogenhandels zum Tode verurteilt. Einen Monat vorher wurden fünf Pakistani und ein Nigerianer in Saudi-Arabien wegen desselben Delikts exekutiert. Aber nicht nur die Anwendung der Todesstrafe an sich, sondern auch die angewandten Exekutionsmetho- den erfüllen einen mit Empörung und Abscheu. Ent- hauptungen wie in Saudi-Arabien, Steinigungen wie im Iran, Erhängungen oder Erschießungskommandos – all dies sind Methoden, die nur als barbarisch bezeichnet werden können. Auch die vermeintlich humaneren Exekutionsmetho- den Giftspritze und elektrischer Stuhl sind grausame Mittel zu einem nicht minder grausamen Zweck. Eine Vielzahl von erschütternden Beispielen hat in der Ver- gangenheit gezeigt, dass auch hier die zum Tode Verur- teilten erheblich leiden: So rang der in den USA exeku- tierte Häftling Angel Diaz im letzten Jahr ganze 34 Minuten mit dem Tod und verzog bis kurz vor seinem Ende das Gesicht vor Schmerzen. Dass dieser Fall in den USA inzwischen auch den Obersten Gerichtshof erreicht hat, ist erfreulich. Es stimmt mich vorsichtig hoffnungsvoll, dass es in den Vereinigten Staaten zu einer breiteren Debatte über die Todesstrafe kommt. Es bleibt zu hoffen, dass die Verei- nigten Staaten, die sonst eine Vielzahl von Werten mit uns teilen, einlenken und die Todesstrafe abschaffen. Nicht weniger bedrückend als die Exekutionsmetho- den sind die Missstände in Bezug auf den Kreis der zum Tode Verurteilten. Immer wieder kommt es zur Verurtei- lung und Exekution von Minderjährigen, zuletzt im April im Iran. Überhaupt hält der Iran in dieser Frage ei- nen traurigen Rekord. In keinem anderen Land der Welt wurden so viele Menschen hingerichtet, die zur Tatzeit nicht volljährig waren, wie im Iran. Insgesamt sitzen im- mer noch 71 zur Tatzeit minderjährige Straftäter in den Todestrakten iranischer Gefängnisse. Darüber hinaus sind zwölf der Todeskandidaten sogar minderjährig zu Tode verurteilt worden. Die Gefahr ist groß, dass sie noch vor ihrem 18. Lebensjahr hingerichtet werden. Genauso verabscheuungswürdig ist die Hinrichtung von geistig kranken Menschen. Amnesty International berichtet von fünf Staaten, in denen es zur Hinrichtung von geistig Kranken gekommen ist: Kirgisistan, Usbe- kistan, USA, Japan und Iran. Ich möchte nicht missverstanden werden: Die Todes- strafe ist auch dann nicht human, wenn all die eben auf- gelisteten Missstände behoben wären. Dennoch verdeut- lichen sie, dass es eine Reihe von Staaten gibt, die sich nicht einmal an die Mindeststandards halten. Vor ein paar Tagen wurde in New York eine Resolu- tion zur Ächtung der Todesstrafe in die UN-Generalver- sammlung eingebracht. Die Chancen stehen gut, noch im Laufe des Novembers ein zustimmendes Votum zu errei- chen. Mich freut, dass die Europäische Union in dieser Frage geschlossen zusammensteht. Ich hoffe, dass die Resolution auch bei der abschlie- ßenden Beratung eine überzeugende Mehrheit finden wird. Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Wir Sozialdemo- kraten begrüßen sehr, dass der Deutsche Bundestag heute anhand des interfraktionellen Antrags von Union und SPD, von FDP und Bündnis 90 über die Notwendig- keit und die Möglichkeit zur weltweiten Ächtung der To- desstrafe diskutiert. Wir begrüßen den gemeinsamen Antrag, der die Ini- tiative der Europäischen Union unterstützt, bei der 62. Generalversammlung der Vereinten Nationen durch die Verabschiedung eines Moratoriums ein Zeichen für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe zu setzen, und wir unterstreichen die elf konkreten Forderungen zur Bekräftigung der Politik der Bundesregierung gegen die Todesstrafe, die in dem Antrag enthalten sind. Es ist gut, dass der Deutsche Bundestag diesen Antrag mit einer so breiten Mehrheit seiner Mitglieder einbringt und heute auch gleich beschließen will; das zeigt, dass hier im Deutschen Bundestag unbestritten die Überzeu- gung besteht, dass es weder eine moralisch-ethische, noch eine pragmatische Rechtfertigung für die Todes- strafe gibt. In der Tat ist das Gegenteil der Fall: Weder vom mo- ralisch-ethischen Standpunkt her, noch von der Ver- pflichtung jedes zivilisierten Staates zum Schutz seiner Bürgerinnen und Bürger vor Kriminalität und Terroris- mus, das zu tun, was nötig und von der Verfassung ge- deckt ist, die ja die Bindung an Menschenwürde, Men- schenrechte und Rechtsstaatlichkeit sicherstellt, kann eine Rechtfertigung der Todesstrafe hergeleitet werden. Es gibt nicht das selbstverständliche Recht eines Staates, Gewalt und Kriminalität zu Strafzwecken mit der Tö- tung eines Verurteilten zu beantworten. Auch der häufig zitierte „Wille des Volkes“, der zumeist nur fehlende oder bewusst vorenthaltene Informationen über Straf- zwecke und Beitrag und Möglichkeiten eines rationalen Strafverfahrens und Strafvollzuges zu Schutz und Siche- rung der Bevölkerung widerspiegelt, ändert daran nichts. Das deutsche Grundgesetz schließt die Todesstrafe ausdrücklich aus. Grundgedanke und Begründung dieses Verbotes gelten jedoch über die Grenzen der Bundesre- publik Deutschland hinaus. Die gesamte Europäische Union, aber auch die meisten Mitgliedstaaten des Euro- parates haben die Todesstrafe bereits abgeschafft; andere Staaten, wie etwa Usbekistan, planen, dies mit Beginn des Jahres 2008 zu tun. Das sind ermutigende Zeichen, die mit dazu beitragen können, die Initiative der Europäi- schen Union in der 62. Generalversammlung zu der not- wendigen Mehrheit zu verhelfen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12907 (A) (C) (B) (D) Die Todesstrafe hilft aber auch nicht bei der Siche- rung und dem Schutz der Bevölkerung vor Schwerstkri- minalität, wie häufig fälschlich behauptet wird: Ab- schreckung und damit ein Beitrag zur Verhütung von Kriminalität kann vielmehr durch die Gewissheit einer hohen Aufklärungsquote und einer zuverlässigen profes- sionellen Strafverfolgung unter Einbeziehung des Straf- vollzugs erreicht werden. Das zeigt die Entwicklung der Schwerst- und Gewaltkriminalität in den neuen Mit- gliedstaaten des Europarats; neuere Untersuchungen von Gesellschaften mit im Übrigen vergleichbaren Verhält- nissen zeigen sogar, dass ein negativer Zusammenhang zwischen der Existenz, der Verhängung, Verurteilung und Vollstreckung der Todesstrafe und einem hohem Pe- gel an Gewaltkriminalität bestehen könnte. Ganz sicher aber ist, dass die Ekel erregenden Propa- ganda-Bilder von der öffentlichen Zelebrierung von Hin- richtungen, die in letzter Zeit insbesondere aus dem Iran, aber auch aus anderen Ländern bekannt werden – mit ei- nem rationalen Strafsystem wenig zu tun haben. Sie sind vielmehr Zeichen der Gewaltbereitschaft der Machtha- ber, die sich negativ auf die gesamte Gesellschaft aus- wirken muss; sie sind Ausdruck von Machtwillen durch Einschüchterung und sollen zur Absicherung der Macht- haber den falschen Eindruck verfestigen, die Todesstrafe könne zu mehr Sicherheit und Schutz für die Bevölke- rung führen. Die begrüßenswerte Initiative der Europäischen Union bei der 62. Generalversammlung der Vereinten Nationen hat schon bis heute die Unterstützung von vie- len anderen Staaten erhalten, bis gestern beläuft sich ihre Zahl auf insgesamt 78. Damit rückt die Mehrheit der Mitgliedstaaten der Generalversammlung der Vereinten Nationen in sichtbare Nähe. Sie zu erreichen ist das Ziel. Deshalb fordert der Deutsche Bundestag nicht nur die Bundesregierung auf, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Mehrheit der Mitglieder der Generalver- sammlung für diese Initiative zu erhalten. Vielmehr wer- den alle Mitglieder des Deutschen Bundestages die Ver- pflichtung übernehmen, in Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen anderer Parlamente auf diese Initiative hinzuweisen und sie inhaltlich zu unterstützen. Florian Toncar (FDP): Wir beraten heute einen in- terfraktionellen Antrag, der ein sichtbares Zeichen für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe setzen soll. Ich freue mich, dass wir uns auf ein interfraktionelles Vorgehen einigen konnten und so ein Signal der Ge- schlossenheit des Deutschen Bundestags zur Erreichung dieses wichtigen Ziels senden. Die Todesstrafe ist eine grausame und unmenschliche Bestrafung, die durch nichts zu rechtfertigen ist. Die Fol- gen von möglichen Justizirrtümern, gegen die kein Jus- tizsystem gefeit ist, lassen einen erschaudern. Laut Am- nesty International wurden allein in den Vereinigten Staaten von Amerika seit dem Jahr 1900 über 450 Perso- nen zum Tode verurteilt, bei denen später festgestellt wurde, dass sie unschuldig waren oder ihre Verurteilung auf schweren Verfahrensfehlern beruhte. Bei einigen Personen konnte ihre Unschuld nur posthum ermittelt werden. Ferner ist die Todesstrafe schon allein deshalb verabscheuenswürdig, weil sie dem Verurteilten wegen seiner Gewissheit um den immer näher rückenden Tod psychische und seelische Grausamkeit zufügt. Es gibt keinen logisch nachvollziehbaren Grund, der die Todesstrafe rechtfertigen könnte. Vielmehr ist sie das Instrument einer irrationalen Rechtspflege. Daher lehnt die FDP die Todesstrafe seit jeher strikt ab. In diesem Sinne begrüße ich den Antrag sehr, den wir heute beraten, und hoffe, dass er seine Wirkung auf die Verhandlungen in der 62. VN-Generalversammlung ent- falten wird. Eine in den Vereinten Nationen verabschie- dete Resolution wird hoffentlich die öffentliche Mei- nung in den Staaten, die die Todesstrafe noch anwenden, dahin gehend beeinflussen, von der Todesstrafe Abstand zu nehmen. Weltweit ist bereits eine deutliche Tendenz zur Aussetzung oder vollständigen Abschaffung der To- desstrafe zu beobachten. Es wäre wünschenswert, wenn eine erfolgreiche VN-Resolution dieser Entwicklung ei- nen neuen kräftigen Impuls verleihen könnte. Ich möchte jedoch auch meine Enttäuschung über ei- nige Kollegen, vor allem in der CDU/CSU-Fraktion nicht verbergen, die selbst bei einem so wichtigen An- trag nicht der Versuchung widerstehen konnten, ihre ganz persönliche politische Agenda zu propagieren, die mit der eigentlichen Kernfrage der weltweiten Abschaf- fung der Todesstrafe nichts zu tun hat. Offenbar waren Sie, Frau Steinbach, nicht bereit, darauf zu verzichten, einen Seitenhieb gegen Polen in den Antrag einzufügen, der in der Sache überholt ist und zudem das Verhältnis zur neuen polnischen Regierung von Anfang an zu be- lasten droht. Ich meine den gesonderten Verweis auf Polen in Forderung Nr. 9. Dieser erweckt fälschlicher- weise den Eindruck, als ob Polen die Abschaffung der Todesstrafe als Fundament der europäischen Werteord- nung anzweifle und deshalb einer herausgehobenen deutschen Belehrung bedürfe. Dem ist nicht so. Einerseits stimmt es, dass die abgewählte polnische Regierung Kaczynski eine Einigung auf europäischer Ebene für einen „Europäischen Tag gegen die Todes- strafe“ verhinderte. Dieses – auf eine abstruse Argumen- tation gestellte – Verhalten war sehr kritikwürdig, da es eine Chance für ein klares Signal Europas gegen die To- desstrafe vergab. Wir alle haben dazu deutliche Worte gefunden; unser heutiger Antrag nimmt im Einleitungs- teil nochmals darauf Bezug. Andererseits hat mittlerweile eine neue Regierung die Amtsgeschäfte in Warschau übernommen, die wir nicht für die Fehler ihrer Vorgänger verantwortlich machen sollten. Der neue polnische Regierungschef Donald Tusk hat bereits einen anderen Politikstil angekündigt, der die Fehler der Vorgängerregierung nicht wiederholen wird. Zudem hat Tusk erklärt, dass er an einer Verbesserung der Beziehungen zu Deutschland sehr interessiert ist. Da- her sind Belehrungen von deutscher Seite an Polen – zu- mal obsolete – nicht nur unnötig, sondern sogar kontra- produktiv. Nebenbei bemerkt: Ich kann nicht verstehen, dass die Union ihre eigene Schwesterpartei PO, mit der sie gemeinsam in der EVP-Fraktion im EP sitzt, über 12908 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) europäische Grundrechte belehren will. Aus diesem Grund werden einige Kollegen und ich heute einen ge- meinsamen Änderungsantrag zu dem vorliegenden inter- fraktionellen Antrag einbringen, der die Streichung dieses gesonderten Verweises auf Polen fordert, um au- ßenpolitischen Schaden abzuwenden. Auch wenn es bedauerlich ist, dass bei einer so wich- tigen Frage wie der Todesstrafe ein sachfremdes Thema mit transportiert wurde, kann dies nicht den Blick dafür verstellen, dass hier insgesamt ein sehr guter interfrak- tioneller Antrag vorliegt. Neben der Unterstützung für eine Resolution in der VN-Generalversammlung für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe greift er wichtige Aspekte deutscher und europäischer Außenpolitik im Umgang mit einigen der Staaten auf, die für einen Groß- teil der Hinrichtungen weltweit verantwortlich sind. Da allein China etwa die Hälfte aller Hinrichtungen weltweit durchführt, ist besonders Forderung Nr. 5, die Todesstrafe im Rahmen des EU-China-Menschenrechts- dialogs sowie beim deutsch-chinesischen Rechtsstaats- dialog zu problematisieren, von besonderer Bedeutung. Obwohl die offizielle Zahl der Hinrichtungen in China im vergangen Jahr bei 1 010 lag, gehen Menschenrechts- organisationen von einer hohen Dunkelziffer aus. Offen- bar auch aus diesem Grund hat China im Herbst letzten Jahres verfügt, dass alle Todesurteile einer höchstrichter- lichen Prüfung unterzogen werden müssen. Auch wenn dies natürlich nicht ausreichen kann, so ist es wenigstens nicht mehr möglich, dass entlegene Provinzgerichte un- kontrolliert Todesurteile vollstrecken lassen. Im Iran ist in den letzten Monaten eine deutliche Zu- nahme von Hinrichtungen zu vermelden. Dabei ist be- sonders bizarr, dass eine hohe Zahl an Straftätern betrof- fen ist, die zur Tatzeit noch minderjährig waren. Auch hier muss die EU in einen Menschenrechtsdialog eintre- ten, um die Regierung in Teheran von einer Abschaffung der Todesstrafe zu überzeugen. In den USA gab es jüngst zahlreiche Fälle über tech- nische Pannen bei Hinrichtungen, die den Opfern zusätz- liche, unsägliche Qualen bereiteten. Es bleibt zu hoffen, dass diese Berichte über die tatsächliche Grausamkeit auch vermeintlich humaner, technisierter Hinrichtungs- methoden wie der Giftspritze ein Umdenken in der US- Öffentlichkeit bewirken. Hier setzt die Forderung Nr. 7 des Antrags an, um auf die Abschaffung der Todesstrafe in sämtlichen Bundesstaaten der USA einzuwirken. Insgesamt liegt mit diesem Antrag ein sehr breites Spektrum an vorgeschlagenen Maßnahmen vor, die sehr gute Ansatzpunkte für die deutsche und europäische Au- ßenpolitik bei ihrem Anliegen der weltweiten Abschaf- fung der Todesstrafe bieten. Ich freue mich, dass der Deutsche Bundestag sich über die Parteigrenzen hinweg zu einem geschlossenen Vorgehen in diese Richtung zu- sammengefunden hat. Daher ist es für meine Fraktion und mich selbstver- ständlich, im Interesse des übergeordneten Ziels der weltweiten Abschaffung der Todesstrafe diesen Antrag zu unterstützen. Ich möchte schließen mit dem Wunsch, dass die deut- schen Diplomaten um Botschafter Thomas Matussek zu- sammen mit ihren europäischen Kollegen in den Ver- handlungen in der VN-Generalversammlung erfolgreich sein mögen und diese Resolution zur weltweiten Ab- schaffung mit einer breiten Mehrheit der Staaten auf den Weg bringen. Michael Leutert (DIE LINKE): Zu Anfang möchte ich gleich klarstellen, dass meine Fraktion diesem An- trag zustimmen wird. Bedauerlich ist allerdings, dass meine Fraktion mal wieder – wie so oft leider – außen vor gelassen wurde. Man kann und sollte ja im Parla- ment über vieles streiten. Meinungen über das, was gut und richtig ist, können auseinandergehen. Das ist konsti- tuierend für Demokratie und davon lebt eine Demokra- tie. Aber bei einem so fundamentalen Thema wie der To- desstrafe gibt es in diesem hohen Hause keinen Grund für Streit. Meine Fraktion und auch ich als Obmann für Menschenrechte nehmen dazu eine klare politische Hal- tung ein. Das ist Ihnen allen sehr wohl bekannt. Dass be- züglich einer gemeinsamen parlamentarischen Initiative noch nicht einmal angefragt wurde, empfinde ich als eine politische, vor allem aber auch persönliche Enttäu- schung. Kommen wir zum Antrag selbst. Die Ziffern 5 bis 7 zeigen deutlich, dass die Bundesregierung selbst in die- ser Frage gegenüber den Adressaten differenziert, ob- wohl, da es wie hier um das Leben Einzelner geht, eine Differenzierung politisch und menschlich völlig verfehlt ist. Ich zitiere aus ihrem Antrag: 5. beim Menschenrechtsdialog der EU mit China sowie beim deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdia- log weiterhin die Todesstrafe zu problematisieren; 6. sich für eine Wiederbelebung des EU-Menschen- rechtsdialogs mit Iran einzusetzen, die Todesstrafe zu einem ständigen Tagesordnungspunkt zu ma- chen und dabei insbesondere auf die Einhaltung der Mindestnormen zu drängen; 7. die guten transatlan- tischen Beziehungen zu nutzen, um bilateral sowie im Rahmen der EU auf die Abschaffung der Todes- strafe in sämtlichen Bundesstaaten der USA hinzu- wirken; Im Grundsatz alles richtige Sätze. Deshalb ja auch unsere Zustimmung zum Antrag in seiner Gesamtheit. Die länderspezifischen Abstufungen – also: gegenüber China die Todesstrafe problematisieren, gegenüber dem Iran zu einem ständigen Tagesordnungspunkt zu machen und gegenüber den USA auf eine Abschaffung hinzuwirken – sind unserer Ansicht nach aber verfehlt, und zwar zum einen politisch, weil es den Staaten zeigt, dass einige – selbst bei der Abschaffung der To- desstrafe – immer noch gleicher sind als andere. Menschlich erscheinen uns diese sprachlichen Diffe- renzierungen verfehlt und vor allem auch pietätlos. Wenn Menschen die Todesstrafe droht, dann sollten wir uns für diese Menschen in jeweils gleicher Form – und damit eben auch in der Wortwahl – einsetzen, unabhän- gig von ihrer Staatsangehörigkeit. Wie soll sich denn ein in Amerika zum Tode Verurteilter fühlen, wenn die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12909 (A) (C) (B) (D) Bundesregierung gegenüber China und dem Iran we- sentlich stärkere Formulierungen wählt als gegenüber den USA. Wie gesagt, wir werden dem Antrag zustimmen, möchten die Bundesregierung und die Fraktionen aber auf Art. 3 des Grundgesetzes hinweisen, welcher eine solche Ungleichbehandlung verbietet. Sollten meine Be- denken bei Ihnen doch ein gewisses Unwohlsein hervor- gerufen haben, dann bieten wir als Fraktion natürlich an, die Abstimmung zu verschieben und mitzuhelfen eine treffendere Formulierung zu finden. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Albert Camus hat einmal gesagt, dass man, um das rechte Verhältnis herzustellen, die Todesstrafe gegen ei- nen Verbrecher verhängen müsste, der sein Opfer zu- nächst warnt, dass er es an einem bestimmten Tag auf schreckliche Weise ermorden würde und es von diesem Moment an monatelang in seiner Gewalt gefangen hielte. Ein solches Ungeheuer würde man im privaten Bereich nicht finden. Und doch sitzen in den USA und in anderen Ländern zum Tode Verurteilte nicht selten jahrelang in den To- deszellen, in der Ungewissheit, wann das Todesurteil vollstreckt wird. Ich rate übrigens an dieser Stelle beson- ders bei den Linken zur Aufmerksamkeit, damit es nicht wieder heißt, die USA würden im Deutschen Bundestag nicht für ihre Menschenrechtsverletzungen kritisiert. Ein Staat, der die gesamte Gesellschaft repräsentiert und die Aufgabe hat, die Gesellschaft zu schützen, darf sich nicht selbst auf eine Stufe mit einem Mörder stellen. Gleichwohl erscheinen einem aber die USA in diesem Punkt als Hort der Menschlichkeit, wenn man sich ein- mal die Vollstreckung der Todesstrafe in Ländern wie dem Iran, Saudi-Arabien und China anschaut. Dort wird die Todesstrafe oft auch bei minderschweren Delikten verhängt und macht auch vor behinderten Menschen und Minderjährigen nicht halt. Sie wird nicht selten öffent- lich als blutiges Schauspiel zelebriert. Die Verhängung und Vollstreckung von Todesurteilen gegen Minderjährige verstoßen gegen die im Internatio- nalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte fest- gelegten Mindeststandards und gegen Bestimmungen des Übereinkommens über die Rechte des Kindes. Der- zeit warten alleine im Iran über 70 zur Tatzeit Minder- jährige auf die Vollstreckung ihres Todesurteils. In Saudi-Arabien soll in einem aktuellen Fall ein zur Tat- zeit erst 13-Jähriger hingerichtet werden, wegen angebli- chem sexuellen Missbrauchs. In einer Veröffentlichung der Gesellschaft für be- drohte Völker ist ein Augenzeugenbericht der Steini- gung einer Minderjährigen zu lesen: Eines Tages musste ich mit meiner Schulklasse ins Stadion kommen. Es sollte eine Steinigung vollzo- gen werden, bei der wir zuschauen mussten. Wir sa- ßen auf den Tribünen und warteten. Sandwichver- käufer gingen durch die Reihen und boten ihre Waren an. Dann endlich wurde ein Mädchen ins Stadion geführt. Ich erschrak, denn ich erkannte dieses siebzehnjährige Mädchen. Sie wohnte in un- serer Straße, und als Kinder hatten wir miteinander gespielt. Ein Mullah las ihr das Urteil vor: „Im Namen Allahs, des Barmherzigen, wirst du zum Tode ver- urteilt durch Steinigung.“ Das Mädchen weinte, aber es wirkte wie benommen. Sie wurde in ein Loch gestellt, das man in die Erde gegraben hatte. Dann schaufelte man dieses Loch bis zur Brusthöhe des Mädchens zu. Auf den Tribünen johlte der Mob. Dann flogen die ersten Steine, die gezielt ne- ben dem Mädchen auf den Boden fielen. Jedes Mal, wenn der Oberkörper des Mädchens zuckte, um ei- nem Stein auszuweichen, begann das Johlen der jungen Männer von neuem. Es war wie bei einem Fußballspiel, wenn ein ganzes Stadion „Tor“ schreit. Dann trafen die ersten Steine. Das ganze Spektakel zog sich hin, bis das Mädchen endlich tot war. Mit einem barmherzigen Gott, ob im Islam oder Christentum, haben solche Schauspiele und die Todes- strafe insgesamt nichts, aber auch gar nichts zu tun. Der Iran und Saudi-Arabien unterschieden sich in dieser Hin- sicht leider so gut wie gar nicht. Umso verwunderlicher ist es, dass bisher nicht zu vernehmen war, dass die Bun- deskanzlerin oder der Außenminister anlässlich des ge- rade stattfindenden Besuchs des saudischen Königs Abdullah die katastrophale Menschenrechtslage in Saudi-Arabien angesprochen haben. Wir erwarten hier von der Bundesregierung klare Worte und hoffen, dass das Thema auch in Gesprächen mit dem Iran nicht hinter anderen Fragen zurücksteht. Die Einbringung der Resolution zur Abschaffung der Todesstrafe in die 62. Generalversammlung ist ein wich- tiges Signal, und wir hoffen, das möglichst viele der 192 Mitgliedstaaten der Resolution zustimmen. Gleich- wohl ist ein Moratorium noch keine Abschaffung der To- desstrafe. Die Bundesregierung muss auf allen Ebenen nachdrücklich in Gesprächen mit den betroffenen Ländern darauf hinwirken, dass es nicht nur zu einem Moratorium bei der Vollstreckung der Todesstrafe kommt, sondern diese unwiederbringlich abgeschafft gehört. Als einziges Mitglied des Europarats hat Russland das 6. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschen- rechtskonvention noch nicht ratifiziert. Die Bundesre- gierung muss sich hierfür in ihren Gesprächen mit der russischen Regierung einsetzen; denn für die Todesstrafe gibt es in Europa keinen Platz. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Finanzierung von Frauenhäusern bundesweit sicherstellen und losgelöst vom SGB II regeln (Tagesordnungs- punkt 20) Maria Michalk (CDU/CSU): Gewalt gegen Frauen ist kein Problem am Rande unserer Gesellschaft. Leider! 12910 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) Sie findet mitten unter uns statt. Wir haben gemeinsam die Aufgabe, Gewalt in jeglicher Form zu verhindern. Unbestritten ist, dass Gewalt, die in unterschiedlichen Erscheinungsformen ausgeübt wird, die Betroffenen in ihrer Entfaltung und Lebensgestaltung einschränkt. Sie beeinflusst extrem negativ vor allem auch die Kinder. Deshalb ist der Schutz vor Gewalt ein gesamtgesell- schaftliches Anliegen. Ich bedanke mich ausdrücklich bei der Bundesregie- rung, die ihren zweiten Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen als abgestimmtes Handlungs- konzept vorgelegt hat. In diesem Kontext sehen wir auch die Frauenhäuser. Sie sind seit mehr als 30 Jahren unverzichtbarer Be- standteil der Unterstützungsangebote für Gewaltopfer. Nach wie vor ist es notwendig, in Form von bundeswei- ter Vernetzung, durch Medieninformationen und mehr Informationsmaterial für Angehörige und Bekannte der betroffenen Frauen die Arbeit der Frauenhäuser zu stär- ken. Das bedeutet aber nicht, dass wir gesetzliche Rege- lungen, die systematisch die finanzielle und soziale Ab- sicherung der Grundbedürfnisse der Menschen garantieren, instrumentalisieren und quasi im Schlepptau die Finanzierung der Frauenhäuser in die Bundeszustän- digkeit überführen. Das ist ja letztlich der Kern und das Ziel des Antrages der Fraktion Die Linke, den wir hier diskutieren. Richtig ist, dass eine Frau, die dem Grunde nach nach dem SGB II leistungsberechtigt ist, also ein Alter zwi- schen 15 und 65 Jahren hat, erwerbsfähig und hilfebe- dürftig ist und ihren Aufenthalt in Deutschland hat, ma- terielle Hilfeleistungen zum Lebensunterhalt nach den §§ 27 bis 40 des SGB XII erhält. Gezahlt werden zum Beispiel auch Grundsicherungsleistungen bei Erwerbs- minderung. Nach dem SGB II haben diese Vorrang. Im §16 Abs. 2 des SGB II ist vorgesehen, dass psy- chosoziale Betreuungsleistungen erbracht werden kön- nen, wenn diese für die Eingliederung in das Erwerbsle- ben erforderlich sind. Auch im Frauenhaus ist das Endziel der Betreuungsleistungen die spätere vollstän- dige Selbstständigkeit durch ein selbst erarbeitetes Ein- kommen. Dazu gehört sehr wohl die Überwindung der gewaltgeprägten Lebenssituation. Ob von dieser Eingliederungsleistung im Ermessen abgewichen wird, entscheidet sich im konkreten Fall. Das ist auch sinnvoll. Auch wenn alle Bewohnerinnen eines Frauenhauses die Gewalterfahrung eint, ist ihre konkrete Lebenssituation jeweils sehr unterschiedlich. Deshalb ist die individuelle Betrachtung durch nichts zu ersetzen. Allerdings sind wir uns einig, dass gerade hier keine bürokratischen Hürden aufgebaut werden dürfen. Ich mahne diesbezüglich auch eine jeweils zeitnahe Ent- scheidung an. Erinnern möchte ich des Weiteren daran, dass der Be- zug von Leistungen materieller und nichtmaterieller Art nach dem SGB XII nicht auf einen konkreten Personen- kreis beschränkt ist. Wie in SGB II wird auch hier von Leistungsberechtigten gesprochen. Deshalb können Be- ratung und Unterstützung erbracht werden, auch wenn die Hilfe zum Lebensunterhalt nicht nach dem SGB XII, sondern nach dem SGB II erbracht wird. Die Sozialhilfe- gewährung in Form von Beratungs- und Unterstützungs- leistungen dient damit also auch dem Ziel der Beendi- gung der Gewaltsituation sowie der Gewährung von Schutz und Zuflucht. Damit sehen Sie, dass unsere Re- gelungen so differenziert sind, dass auf die jeweilige Si- tuation reagiert werden kann. Das Komplizierte in dieser von Gewalt und Leid ge- prägten Situation der Frau ist allerdings in der Tat, das Spannungsfeld zwischen Schutz im räumlichen Bereich und aktiver Lebensgestaltung mit dem Ziel der künftigen dauerhaften Selbstständigkeit zu gestalten. So empfiehlt die Rechtsinfo des Frauenhaus-Koordinierungs e. V. zum Beispiel den § 27 Abs. 2 BSHG als Rechtsgrund- lage für einen über die Hilfe zum Lebensunterhalt hi- nausgehenden, zu deckenden Bedarf auf Beratung und Unterstützung heranzuziehen. Maßstab ist bei der Leistungsgewährung allgemein immer, dass der Einsatz von öffentlichen Mitteln ge- rechtfertigt ist. Bei der Flucht in ein Frauenhaus ist das unbestritten. Das bekräftigt zum Beispiel die Durchfüh- rungsverordnung zum § 72 BSHG, wonach gewaltge- prägte Lebensumstände als besondere Lebensumstände im Sinne des § 72 Abs. l BSHG benannt sind. Die Behauptung der Linken, dass die Einführung der Grundsicherung ursächlich für zunehmende Gewalt ist, kann so nicht stehen bleiben. Ja, Arbeitslosigkeit und Geldsorgen sind sehr belastend. Aber von häuslicher Ge- walt und Zuflucht im Frauenhaus sind leider auch Frauen betroffen, die keine finanziellen Sorgen haben. Die Missachtung der Menschenwürde ist ein viel zu breit gefächertes Erscheinungsbild, als dass es auf ein be- stimmtes Klientel beschränkt werden kann. Die Gesamtfinanzierung der Frauenhäuser zu regeln ist dezidiert Aufgabe der Länder. So ist zu erklären, dass die Finanzierung in den Ländern unterschiedlich ge- handhabt wird. Einige finanzieren sich über Tagessätze, andere über Zuschüsse von Kommunen und/oder Län- dern. Dass zufluchtsuchende Frauen von Frauenhäusern mitunter abgewiesen werden, weil sie nicht in der Lage sind, die Tagessätze zu finanzieren, ist hier und da vor- gekommen und bedauerlich. Aber bei gemeinsamen Lö- sungsbestrebungen vor Ort gibt es auch für solche Kon- stellationen einen Ausweg. Zum Beispiel arbeitet ein Frauenhaus in meinem Wahlkreis mit Tagessätzen von 6 bzw. 7 Euro. Für Frauen mit Leistungsbezug nach SGB II werden vom Träger für Grundsicherung die Kos- ten für Tagessätze vollständig übernommen. Da gibt es gar keine Probleme. Trotzdem ist die Einrichtung chro- nisch in finanziellen Nöten und muss auf die Spendenbe- reitschaft der Bevölkerung bauen. Uns nützt keine zentrale Regelung und diese wollen wir auch nicht. Wir setzen auf die Grundsicherung für den Lebensunterhalt und das mitmenschliche Miteinan- der. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12911 (A) (C) (B) (D) Renate Gradistanac (SPD): Frauenhäuser sind Schutzhäuser für Frauen und ihre Kinder. Sie schützen Frauen, die Gewalt erfahren haben und Frauen, die vor einer Gewaltandrohung Schutz suchen. Ich selbst habe vor 15 Jahren ein Frauenhaus im Schwarzwald gegrün- det und war Vorsitzende. Der Bedarf an Frauenhausplät- zen ist trotz des Platzverweises nach dem Gewaltschutz- gesetz unvermindert hoch. Sie sind eine zentrale und notwendige Anlaufstelle für von Gewalt betroffenen Frauen und ihre Kinder. Solange es Gewalt gegen Frauen gibt, werden wir unsere Frauenhäuser brauchen. In Deutschland gibt es etwa 400 Frauenhäuser, in de- nen jährlich mehr als 40 000 Frauen Schutz suchen. 5 722 Frauen und Kinder haben im Jahr 2003 in den 41 Frauenhäusern in Baden-Württemberg um Schutz nachgesucht. Nicht nur in Baden-Württemberg sind die Frauenhäuser in unterschiedlicher Trägerschaft organi- siert und nicht nur in Baden-Württemberg ist ihre Finan- zierung landesweit sehr uneinheitlich. So sind auch die Tagessätze unterschiedlich hoch. In der Entstehungsge- schichte und dem Selbstverständnis der Frauenhäuser liegt ein Grund für die uneinheitliche Finanzierungs- struktur. Uneinheitlich ist die Finanzierung bundesweit aber vor allem deshalb, weil die Verantwortung für die Finanzierung bei den Ländern und Kommunen liegt. Die Länder und Kommunen sind gefordert, die Frauenhäuser finanziell sicherzustellen, anstatt sie durch Kürzungen zu beeinträchtigen. Nicht nur in Baden-Württemberg werden die Landes- zuschüsse für Frauenhäuser seit Jahren kontinuierlich gekürzt. Zudem ist in den Ländern leider auch ein zu- nehmender Ausstieg aus der institutionellen Förderung der Frauenhäuser und ein Umstieg auf eine pauschalierte Finanzierung nach Tagessätzen feststellbar. Dies hat gra- vierende Auswirkungen auf die Frauenhäuser. Die Kos- ten für Beratung, Unterkunft und Sachkosten werden da- durch von der Belegung der Plätze abhängig. Es gibt keine Planungssicherheit mehr und es gibt darum kaum mehr Mittel für die präventive und nachsorgende Arbeit. Ich bin der Meinung, dass die Frauenhausfinanzierung für die Länder und Kommunen zur Pflichtaufgabe wer- den muss. Alle unsere Frauenhäuser brauchen eine Fi- nanzierungsstruktur, die ihnen Planungssicherheit gibt. In den Bundesländern sind diese Defizite hinreichend bekannt. Im Übrigen sind die Länder und Kommunen auch für die Beratungsstellen für Frauen zuständig, die leider zunehmend abgebaut werden. Für eine bundesein- heitliche Regelung käme ein abgestimmtes Vorgehen der Länder auf der Grundlage einer Vereinbarung in Be- tracht. Auch wenn alternativ eine bundesgesetzliche Re- gelung initiiert würde, bedürfte diese der Zustimmung der Bundesländer. Bisher haben sich die Länder aber überwiegend gegen eine bundeseinheitliche Regelung ausgesprochen. Dagegen waren in der Vergangenheit im Übrigen auch der Teil der Frauenhäuser, die dadurch eine Verschlechterung ihrer Finanzierungsstruktur er- wartet haben. Ich bin froh, dass die Unklarheiten der Kostenerstat- tung für Bezieherinnen von Arbeitslosengeld II im Jahr 2005 im Sinne der Frauenhäuser geregelt wurden. Der kommunale Träger am Herkunftsort eines Gewaltopfers hat die Kostenerstattung für die Zeit des Aufenthalts im Frauenhaus zu übernehmen. So wird eine einseitige Kos- tenbelastung derjenigen kommunalen Träger, die ein Frauenhaus unterhalten, nach dem SGB II vermieden. Damit haben wir das für die Frauen unzumutbare Hin und Her zwischen den betroffenen kommunalen Trägern beendet. Nach dem ersten Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen stehen wir vor der Umsetzung des zweiten Aktionsplans, der am 12. Oktober in den Bun- destag eingebracht wurde. Ich bin froh, dass bei der Eva- luation der Umsetzung des SGB II auch die Gruppe der von Gewalt betroffenen Frauen Berücksichtigung finden wird. Das Forschungsprojekt soll auch Handlungsemp- fehlungen zur Beseitigung möglicher Defizite geben. Mit den beiden Aktionsplänen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, dem Gewaltschutzgesetz und dem Gesetz gegen Stalking hat der Bund in den letzten Jahren viel für die Opfer von häuslicher Gewalt getan. Der Bund entlastet die Länder und Kommunen durch die Zu- sammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Die Länder müssen diese Entlastung nicht nur an die Kommunen weitergeben, sondern gemeinsam müssen sie diese Entlastung unter anderem auch zur Sicherung und Unterstützung der Frauenhäuser einsetzen. Ina Lenke (FDP): Gewalt gegen Frauen in Deutsch- land ist leider immer noch ein drückendes Problem. Jede vierte Frau hat mindestens einmal im Leben körperliche Gewalt durch ihren Partner erlebt, und Familie ist nicht immer ein Hort der Geborgenheit. Die Bundesregierung hat im September dieses Jahres „einen Aktionsplan II zur Bekämpfung von Gewalt ge- gen Frauen“ verabschiedet, der ein Bündel von Maßnah- men vorsieht. Die Bedeutung von Frauenhäusern mit ih- ren vielfältigen Hilfsangeboten kommt darin leider nicht vor. Auch der Antrag der Regierungsfraktionen vom Sep- tember dieses Jahres mit dem Titel „Häusliche Gewalt gegen Frauen konsequent weiter bekämpfen“ hilft da nicht weiter. Zwar wird positiv vermerkt, dass gerade für von Gewalt betroffene Migrantinnen Frauenhäuser von besonderer Bedeutung sind, dieses Hilfsangebot würde diese Frauen besser erreichen als andere Hilfsangebote. Dann folgt lediglich die Aussage. „Nach wie vor sind die Zufluchtsstätten der Frauenhäuser notwendig“ und dass der Deutsche Bundestag die klarstellenden Regelung zur Kostenerstattung zwischen den örtlichen Trägern im Freibetragsregelungsgesetz begrüßt, wonach die bishe- rige Wohnortkommune der Kommune am Ort des Frau- enhauses stets die betreffenden Kosten für die Dauer des Aufenthalts der Frau zu erstatten hat. Gut ist aber, dass aus dem Bundeshaushalt ein bun- desweites Vernetzungssystem mitfinanziert wird. Die Frauenhauskoordinierungsstelle leistet einen erheblichen Beitrag zur Qualitätssicherung und zur qualitativen Wei- terentwicklung der professionellen Arbeit der Frauen- häuser. 12912 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) Für die Bundesregierung sind die Bundesländer und die Kommunen zuständig, wie zum Beispiel in Sachsen- Anhalt, wo die Frauenhäuser pauschal nach den vorge- haltenen Plätzen einen Zuschuss erhalten. Diese Mei- nung teile ich. Deshalb ist die Forderung der Linken, Frauenhäuser zu einer öffentlichen Pflichtaufgabe des Bundes zu machen, nach der Föderalismusreform nicht zustimmungsfähig. Die weitere Aussage in dem Antrag, „dass Frauen in einer Notlage aus Kostengründen nicht in eine Frauen- haus gehen können“ ist nicht real. Auch die Aussage, dass sogar „Frauen, die jünger als 25 Jahre alt sind, zu ihren Eltern zurückgeschickt werden“, als allgemeingül- tige Aussage in einen Antrag an den Deutschen Bundes- tag aufzunehmen, ist nicht richtig. Ich habe mich einge- hend erkundigt. Es hat keine gravierenden Probleme gegeben. Die Frauen sind durchweg ALG-II-Empfänge- rinnen oder aber verfügten über eigenes Einkommen. Klar ist: Die Frauenhäuser nehmen jede Hilfesu- chende auf und klären im Rahmen der sozialpädagogi- schen Arbeit die weitere Finanzierung. Eine Abweisung einer Schutzsuchenden aus Kostengründen hat es zum Beispiel in Sachsen-Anhalt nicht gegeben. Auch meine Nachfrage in Niedersachsen führte zu denselben Ergeb- nissen. Weitere Diskussionen werden wir im Familien- ausschuss führen und sicher auch einen Sachstandsbe- richt des Ministeriums über die Ergebnisse der Arbeitsgruppe „Frauenhaus“ und deren Empfehlungen erhalten. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Gewalt gegen Frauen ist kein gesellschaftliches Randproblem, sondern findet inmitten der Gesellschaft statt. Dabei geht es nicht nur um körperliche Misshandlungen, Vergewaltigung oder sexualisierte Gewalt. Teil des Alltags von Frauen und Mädchen sind Belästigung, Missachtung, Beleidi- gung, Nachstellungen usw. Mit dem Gewaltschutzgesetz von 2002 wurden unbe- stritten Fortschritte erzielt. Es versagt aber, wenn nicht für jede von Gewalt betroffene Frau zur Not die Tür ei- nes Frauenhauses offen steht, und zwar unabhängig von ihrer sozialen Situation, ihrer Herkunft und ihres Aufent- haltsstatus. Die Erfüllung dieses Anspruchs ist jedoch durch das SGB II in weite Ferne gerückt. Der Zugang ist nur dort abgesichert, wo die Kosten für den Aufenthalt in eine pauschale Förderung der Frauenhäuser einbezo- gen sind. Wo das nicht der Fall ist, türmen sich unterdes- sen die Probleme. Ganzen Gruppen betroffener Frauen wird der Zugang erschwert. Dazu gehören alle Frauen, die keinen An- spruch auf Leistungen nach dem SGB II haben, aber die Kosten des Frauenhausaufenthalts auch nicht selbst übernehmen können: also Frauen ohne oder mit zu ge- ringem Einkommen, Auszubildende, Studentinnen und Asylbewerberinnen. Wer also nicht selbst zahlen kann, muss in der unmit- telbaren Fluchtsituation erst mal ins Grundsicherungs- amt und einen ALG-II-Antrag stellen! Das bedeutet zu- sätzlichen psychischen Druck und erhöht die Zugangshürden. Das Aufnahmeverfahren wird zudem weiter bürokratisiert. Die für flüchtende Frauen so wich- tige Anonymität kann kaum bewahrt werden. Außerdem wird vielfach über eine schleichende Mittelkürzung und eine wachsende Einmischung in die inhaltliche Arbeit der Frauenhäuser berichtet. Als Teil des Sozialsektors werden die Frauenhäuser schrittweise nach den Glaubenssätzen neoliberaler Wirt- schaftspolitik umgestaltet. Das heißt: – von einem bedarfsorientierten Zuschuss wird umge- stellt auf die Bezahlung erbrachter Leistungen. Aller- dings nach künstlich reduzierter Nachfrage – die Ermittlung des realen Bedarfs an Frauenhausplät- zen wird ersetzt durch die Ermittlung von „Kundin- nen“ mit abrechenbarem Leistungsanspruch – Qualitätsmanagements mit standardisierten Vorgaben werden eingeführt, die allerdings mehr auf Kostenre- duzierung als an konkreten Notwendigkeiten orien- tiert sind – die Frauenhäuser werden in einen Wettbewerb um immer weniger Zuwendungsgelder gedrängt, den im- mer mehr verlieren. Das Ergebnis der Entwicklung in Thüringen: 10 von 25 Frauenhäusern wurden in den vergangenen 3, 4 Jah- ren geschlossen. Glaubt jemand wirklich, dass der Zu- fluchtsbedarf in diesem Maß zurückgegangen wäre? Aber neben diesen finanziellen Schwierigkeiten gibt es eine Reihe weiterer struktureller Probleme durch das SGB II: – durch die oft lange Zeit zwischen Beantragung und ALG-II-Bescheid besteht eine akute Gefahr der Ver- armung, von fehlerhaften Bescheiden einmal ganz abgesehen – Kurzaufenthalte, zum Beispiel über das Wochen- ende, werden nicht finanziert – es gibt keine einmaligen Beihilfen mehr wie noch nach Bundessozialhilfegesetz – es fehlt eine bedarfsorientierte, spezifische Förde- rung von Gewalt betroffener Frauen; „Fordern und Fördern“ hat gerade im Kontext Frauenhaus einen besonders faden Beigeschmack – es fehlen individuell ausgestaltete, auf die besondere Situation von Gewalt betroffener Frauen eingehende Eingliederungsvereinbarungen zur Integration in den Arbeitsmarkt – es fehlen kontinuierliche, speziell geschulte An- sprechpartner/innen bei den Grundsicherungsämtern – es fehlen Sonderregelungen für Gewaltopfer im Un- terhalts-, Umgangs- und Sorgerecht. Die erschwerten Bedingungen auf der Seite der Frauen stehen der Tatsache gegenüber, dass durch das Gewaltschutzgesetz die Arbeitsbelastung der Frauen- hausmitarbeiterinnen deutlich gestiegen ist: es werden mehr Beratungen für Migrantinnen und deren spezielle Situation notwendig; es ist mehr Unterstützung notwen- dig bei Antragstellungen und Behördengängen; es ist ein großer Fortschritt, dass die Interventionsketten unter Einbeziehung von Polizei, Gerichten, Jugendamt ausge- baut wurden; aber auch das bedeutet Mehrarbeit für die Frauenhausmitarbeiterinnen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12913 (A) (C) (B) (D) Die Arbeit der Mitarbeiterinnen wird also einerseits aufgestockt und andererseits weiter bürokratisiert. Gleichzeitig wird sie inhaltlich komplexer. Hinzu kommt eine Vielzahl von Finanzanträgen, die erarbeitet und schließlich auch wieder abgerechnet werden müs- sen, damit das Frauenhaus überhaupt Bestand hat. Im Durchschnitt müssen 50 Prozent des Etats über Mittel- einwerbung finanziert werden. Letztlich geht es in unserem Antrag um die 30 Jahre alte Forderung der Frauenhausbewegung nach einer in- stitutionellen und bundesweiten Förderung der Frauen- häuser. Nach Auffassung der Linken muss bundesweit gesichert werden, dass: alle von Gewalt betroffenen Frauen eine Zuflucht finden, unabhängig von ihrer so- zialen Situation, ihrer Herkunft und ihres Aufenthaltssta- tus; die Zufluchtstätten verlässlich und unabhängig von Tages- und Pflegesätzen finanziert sind, die Arbeit der Frauenhausmitarbeiterinnen tatsächlich ihren Schwer- punkt auf dem Gebiet der psycho-sozialen Betreuung der betroffenen Frauen hat. Die Ernsthaftigkeit aller Bemühungen um das Thema Gewalt gegen Frauen werden daran gemessen werden, ob diese drängenden Probleme gelöst werden. Dabei ist die Einbeziehung der Mitarbeiterinnen der bundesweit vernetzten Frauenhäuser unerlässlich, um eine erfolgrei- che Lösung zu suchen – den politischen Willen dazu vo- rausgesetzt. Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist schon seltsam: Zu nachtschlafender Zeit setzt die Linke einen wichtigen frauenpolitischen Antrag auf und wundert sich dann, wenn alle anderen Fraktionen die Reden zu Protokoll geben wollen. Wenn Ihnen das Thema wichtig ist, sehr geehrte Damen und Herren von der Linken, warum legen sie es dann nicht in eine vernünftige Zeit? Ich glaube: Weil der Großteil der älteren Herren in Ihrer Fraktion das Thema eben für irre- levant hält. So ist das heute mit der Gewalt gegen Frauen: Ober- flächlich gibt es einen breiten Konsens für die Notwen- digkeit, diese Gewalt zu bekämpfen und ausreichend Schutzeinrichtungen zur Verfügung zu stellen. Wie auch heute hier. Wenn es aber um die Frage geht: „Wer soll das bezahlen?“, wird das Problem auf den Prioritätenlisten ziemlich schnell nach hinten durchge- reicht. Wir Grünen waren es, die die Bekämpfung häuslicher Gewalt von Frauen in die Politik getragen und dafür ge- sorgt haben, dass sie nicht länger nur ein Problem der Opfer ist. Gewalt durch den Partner ist eine der ernsthaf- testen Bedrohungen für Leib und Leben von Frauen – jede vierte Frau erlebt sie mindestens einmal in ihrem Leben. Aufgrund einer solchen Bedrohung müssen wir schon von einem Problem der inneren Sicherheit spre- chen. Es ist niemand anderer als der Staat selbst, der sich für den Schutz der Frauen ausdrücklich verantwortlich zeichnen muss. Bedauerlich finde ich es deshalb, wenn es der Bun- desregierung in ihrem kürzlich vorgestellten zweiten Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen nicht einmal eine Erwähnung wert ist, dass die Frauen- häuser sich derzeit wachsende Sorgen um ihre Finanzie- rung machen. Natürlich liegt die Finanzierung in den Händen der Länder. Aber ignorieren können wir es auf Bundesebene nicht, wenn die Hilfestandards der Frauen- häuser und Beratungsstellen absinken. Deshalb begrüße ich, dass die Linke diesen Antrag eingebracht hat. Ich bin allerdings skeptisch, was die Aussage betrifft, die Finanzierungsprobleme würden alle nur vom neuen SGB II herrühren. So schwarz-weiß sind die Dinge wieder einmal nicht, liebe Fraktion Die Linke. Die Länder versuchen seit Jahren, an der Finanzierung sowohl der Frauenhäuser als auch der Beratungsstellen zu sparen, bis nichts mehr übrig bleibt. Übrigens: Auch Sie sind dabei nicht unbeteiligt: In Berlin haben Sie vor gar nicht langer Zeit das Geld für neun Plätze in einem Frauenhaus gestrichen. Erzählen Sie mir nicht, dass das die PDS war und Sie damit nicht verantwortlich sind. Aber ich gebe zu, auch das SGB II hat neue Proble- matiken geschaffen. Viele haben wir – die Frauenpoliti- kerinnen der rot-grünen Koalition – sofort in Angriff ge- nommen. Zum Beispiel über Handlungsempfehlungen der BA. Damit sind aber nicht alle Probleme gelöst. Das für mich Schlimmste ist, dass mit der in vielen Ländern eingeführten kostendeckenden Tagessatzfinanzierung in Verbindung mit der Vermögensprüfung bei Arbeitslosen- geld-II-Empfängerinnen die Verantwortung für die Finanzierung eines Frauenhausaufenthalts auf die Frauen selbst verlagert wird. Wenn sie genügend Erspar- nisse haben, müssen sie persönlich für die Kosten auf- kommen. Damit werden die Opfer selbst für die Folgen der erlebten Gewalt verantwortlich gemacht. Ich sehe allerdings Probleme bei der bundeseinheitli- chen Lösung – der Föderalismus macht uns da einen Strich durch die Rechnung. Vor ein paar Stunden erst ha- ben wir über Gender Budgeting diskutiert. Das hier ist ein gelebtes Beispiel. Wenn wir die Entwicklungen in Ländern und Kommunen nicht aufhalten, ist die finan- zielle Verteilung zukünftig: Die Männer begehen die häuslichen Gewalttaten, und die Frauen kommen für die wirtschaftlichen Kosten auf – persönlich und mit ihrem Vermögen. Das kann es nicht sein, was wir wollen. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Finanzierung der Beendigung des subventionierten Stein- kohlenbergbaus zum Jahr 2018 (Steinkohle- finanzierungsgesetz) – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Ausstieg aus der Steinkohle zügig und zukunftsgerichtet gestalten – RAG-Bör- sengang an marktwirtschaftlichen Grund- sätzen ausrichten 12914 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Ruhrkohle AG in eine Stiftung öffentlichen Rechts überführen – Börsen- gang verhindern (Tagesordnungspunkt 21 a und b) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Die Koalition bringt heute ein bedeutendes Element einer klugen und zukunftsorientierten Wirtschafts- und Energiepolitik auf den Weg. Dieses ist umstritten, aber aus meiner Sicht dringend notwendig. Die Anhörung am 22. Oktober hat dies nochmals deutlich gemacht, doch hat sie auch ge- zeigt, dass ein Ausstieg aus der Steinkohlesubventionie- rung bereits 2012 möglich ist. Den betriebsbedingten Kündigungen stünden 12 Milliarden Euro eingesparter Haushaltsmittel gegenüber, die zur Förderung neuer und innovativer Arbeitsplätze genutzt werden könnten, eine Tatsache, über die wir ja in rund vier Jahren im Bundes- tag nochmals beraten werden. Das Steinkohlefinanzierungsgesetz ist ordnungspoli- tisch eine wichtige Grundsatzentscheidung. Damit wird der größte Subventionsabbau in der Geschichte der Bun- desrepublik auf den Weg gebracht. Gleichzeitig ist es ge- lungen, einen sozialverträglichen Rahmen zu vereinba- ren. Die Große Koalition hat mit diesem historischen Beschluss einmal mehr ihre Handlungsfähigkeit bewie- sen. Die betroffenen Bergbauregionen haben jetzt den Startschuss für einen zukunftsgerichteten Strukturwan- del, für den nun auch neue Mittel frei werden. Es ist weise und eine demokratische Selbstverständlichkeit, dass der Deutsche Bundestag zum festgeschriebenen Zeitpunkt 2012 überprüft, ob die heutigen energiewirt- schaftlichen Rahmenbedingungen weiterhin Bestand ha- ben. In den letzten 50 Jahren hat die Subventionspolitik im Steinkohlebereich den Steuerzahler rund 125 Milliar- den Euro gekostet. Statt weiter Jahr für Jahr mehr als 2 Milliarden Euro in Erhaltungssubventionen zu stecken, setzen wir ein strategisches Signal für die Zukunft. Dies ist eine Entscheidung für den Standort Deutschland. Sie zeigt, dass wir in der Lage sind, moderne und zukunfts- gerichtete Strukturen in unserem Land zu schaffen. Mir ist es wichtig hervorzuheben, dass wir die Entscheidung über die Zukunft der deutschen Steinkohle in einem brei- ten Konsens mit allen Beteiligten – einschließlich der Gewerkschaft – getroffen haben. Die subventionierte Förderung der Steinkohle in Deutschland wird bis spä- testens 2018 sozialverträglich beendet. Falsch ist – das möchte ich in dieser Runde nochmals betonen – dass der Steinkohlebergbau politisch nicht mehr gewollt ist, wie es vonseiten der Gewerkschaften bei der Anhörung verkündet wurde. Wir, die Union, ha- ben nichts Grundsätzliches gegen Steinkohlebergbau. Wir sind nur dagegen, einen Industriebereich durch staatliche Subventionen am Leben zu halten, vor allem dann, wenn die Förderung nicht dazu beiträgt, dass er in- ternational konkurrenzfähig wird. Wenn in Deutschland ein Unternehmen wieder wettbewerbsfähig Kohle aus der Erde holt, dann soll es das gerne machen. Diesem wirtschaftlichen Beitrag zur Versorgungssicherheit werde ich mich nicht verschließen. Beim Stichwort Versorgungssicherheit möchte ich Folgendes klarstellen. Einen Sockelbergbau, der die Subventionspolitik ohne Rücksicht auf die Wettbewerbs- fähigkeit festschreibt, darf und wird es nicht geben. Eine Grundfördermenge heimischer Steinkohle ist nach jetzi- ger Lage im Vergleich zum Weltmarktpreisniveau für Kraftwerkskohle ohne Subventionen nicht darstellbar. Der gewünschte Sockel von 6 bis 8 Millionen Tonnen Förderung jährlich würde den Steuerzahler 1,5 Milliar- den Euro kosten, wobei der Beitrag der deutschen Kohle am PEV auf 2 Prozent – von derzeit 5 Prozent – sinken würde. Diese 6 bis 8 Millionen Tonnen lassen sich ohne weiteres auf dem weltweiten Kohlemarkt mit einem Vo- lumen von 790 Millionen Tonnen beschaffen. Die deut- sche Bergbaumaschinenindustrie und deren Zulieferer sind nicht auf einen Sockelbergbau angewiesen. Die Bergbaumaschinenindustrie hat ihre Referenzen schon heute überwiegend durch Aktivitäten im Ausland und braucht keinen Sockelbergbau, um ihre Zukunft abzusi- chern. Der Weg für die Umstrukturierung des ehemaligen RAG-Konzerns ist nun endlich frei geworden. Den Spar- ten des weißen Bereichs wurde in seinem neuen Outfit als Evonik die nötige Perspektive für die weitere Ent- wicklung gegeben. Der Börsengang ist hierzu ein wichti- ger Schritt. Damit erhält der Konzern Zugang zum Kapi- talmarkt. Gleichzeitig werden über die Stiftung die Mittel für die Finanzierung der Ewigkeitslasten des Bergbaus wie Dauerbergschäden und Wasserhaltung aufgebracht und durch die Revierländer abgesichert. Fazit: Deutschland blickt auf 800 Jahre Geschichte und Tradition im Steinkohlebergbau zurück. Doch seit 50 Jahren ist der Betrieb nicht mehr kostendeckend, ob- wohl in dieser Zeit rund 125 Milliarden Euro an staatli- cher Unterstützung geflossen sind. Auch wenn ein Aus- stieg 2012 möglich wäre, kommt es auf weitere sechs Jahre am Ende auch nicht mehr an. Wichtig ist, dass wir einen Konsens mit allen Beteiligten – Beschäftigten, Un- ternehmen und der Politik – erreicht haben und auch ein klares Ziel festgelegt haben. Deutschland steigt aus ei- nem subventionierten Steinkohlebergbau aus. Mit der heutigen abschließenden Lesung ist der Weg endlich frei und wir billigen allen Beteiligten die notwendige Flexi- bilität bei der betriebswirtschaftlichen Umsetzung zu. Glück auf! Rolf Hempelmann (SPD): Der heute anstehenden Verabschiedung des Steinkohlefinanzierungsgesetzes beweist diese Koalition auf einem schwierigen Feld ihre Handlungsfähigkeit. Wir haben hier im Bundestag den vorliegenden Gesetzentwurf zügig, konzentriert und vor allem ergebnisorientiert beraten und damit die Weichen dafür gestellt, dass der anspruchsvolle Zeitplan eingehal- ten und auch der Bundesrat noch in diesem Jahr befasst werden kann. Trotz des engen Termingerüsts haben wir uns die Zeit für eine gründliche Beratung unter anderem in einer Öffentlichen Anhörung genommen. Ich denke, dass die Diskussion mit den Sachverständigen sehr deut- lich gemacht hat, dass wir mit dem Steinkohlefinanzie- rungsgesetz einen vernünftigen Weg beschreiten. Einen Weg, der einen geregelten Anpassungsprozess für die im Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12915 (A) (C) (B) (D) Bergbau Beschäftigten garantiert und zugleich neue in- dustrielle Wachstumsperspektiven eröffnet. Ich möchte diese Einschätzung anhand von vier Punkten begründen: 1. Fragen wir uns doch zunächst einmal ganz grund- sätzlich, was denn die Alternative zu der jetzt gefun- denen Regelung gewesen wäre. Ein schlichtes Wei- ter-so? Mit Sicherheit nicht. Angesichts einer NRW- Koalitionsvereinbarung mit einem Ausstiegsdatum 2010 hätte ein Nichthandeln unweigerlich dazu füh- ren müssen, dass die frühere RAG – jetzt Evonik In- dustries – für den Bergbaubereich finanziell in die Bresche hätte springen müssen. Man muss kein Pro- phet sein, um zu erkennen, dass dies sehr rasch zu ei- nem Selbstverzehr des Unternehmens, zur Vernich- tung des Wertes des weißen Bereichs geführt hätte. Allerdings ohne dass damit die Alt- und Ewigkeits- lasten des Bergbaus gedeckt gewesen wären. Diese Lasten wären der öffentlichen Hand überlassen wor- den – eine Scheinlösung, die bei rationaler Betrach- tung kaum als sinnvoll erscheinen dürfte. 2. Schon im Rahmen der Koalitionsverhandlungen zwi- schen CDU/CSU und SPD – und ich erinnere mich sehr genau daran – haben wir gemeinsam festgelegt, den weiteren Anpassungsprozess im subventionier- ten deutschen Steinkohlenbergbau sozialverträglich auszugestalten. Dieser Vorgabe kommen wir mit dem vorliegenden Gesetz nach. Wir sehen vor, den sub- ventionierten Steinkohlenbergbau im Jahr 2018 zu beenden und behalten uns gleichzeitig vor, diese Ent- scheidung 2012 auf der Grundlage der dann aktuel- len energiewirtschaftlichen Erkenntnisse – das schließt übrigens Preisaspekte ebenso ein wie den Gesichtspunkt der Versorgungssicherheit – noch ein- mal zu überprüfen. Beide Daten – 2012 und 2018 – sind mit Bedacht gewählt. Das Jahr 2012, weil zu diesem Zeitpunkt noch eine echte Korrekturmöglich- keit existiert und der Zugang zu den Lagerstätten tat- sächlich noch offen steht. Und auch das Datum 2018 ist keinesfalls zufällig gewählt. Es gibt ja auch hier im Hause einige, die meinen, ein weitaus früherer Ausstieg, zum Beispiel schon 2012, wäre auch mög- lich gewesen. Gutachten haben in diesem Punkt sehr klar gezeigt, dass diese Einschätzung neben der Re- alität liegt. Wer den Kurs der Sozialverträglichkeit nicht verlassen und betriebsbedingte Kündigungen vermeiden will, für den erübrigen sich alle Spekula- tionen mit mehr oder weniger willkürlich gegriffenen Jahreszahlen. Wir stehen deshalb zu der im Februar zwischen dem Bund, den Kohleländern, der IGBCE und der RAG getroffenen Rahmenvereinbarung, ge- rade weil sie den Bergleuten und ihren Familien die Planungssicherheit bis 2018 gibt, die sie auch ver- dient haben. 3. Wir schaffen aber mit dem Steinkohlefinanzierungs- gesetz nicht nur die Grundlage für eine verantwortli- che Ausgestaltung des weiteren Auslaufprozesses im Bergbau. Wir eröffnen zugleich eine Chance für in- dustrielles Wachstum und Beschäftigung in unserem Land. Durch die Auflösung des Haftungsverbundes wird für das Unternehmen das Tor für einen Börsen- gang aufgestoßen und damit der für die weitere Un- ternehmensentwicklung wichtige Zugang zum Kapi- talmarkt ermöglicht. Ganz wichtig war, dass dabei die Weichen so gestellt worden sind, dass ein inte- grierter Börsengang möglich wird und eine Zerschla- gung des Unternehmens, die möglicherweise nur die Vorstufe etwaiger Marktbereinigungsprozesse gewe- sen wäre, vom Tisch ist. Es mag sein, dass bei einer Einzelverwertung der Unternehmensteile Chemie, Energie und Immobilien ein etwas höherer Verwer- tungserlös zu erzielen wäre. Aber auch an diesem Punkt haben alle, die in der Anhörung gewesen sind, dazulernen können. Denn diesen leicht höheren er- warteten Erlösen – nach begründeten Schätzungen stehen 5,9 Milliarden Euro im Falle einer Einzelver- wertung 5,1 Milliarden Euro bei einer Konglomerats- betrachtung entgegen – stehen gewichtige regional- und industriepolitische Erwägungen entgegen. Der integrierte Börsengang erhöht gegenüber anderen Modellen die Überlebensgarantie des Unternehmens, schafft am ehesten die Voraussetzungen für eine er- folgreiche und dauerhafte Etablierung am Markt. Und genau deshalb liegt eine Politik, die Rahmenbe- dingungen für einen Börsengang des Gesamtkon- zerns schafft, im fundamentalen Interesse der knapp 50 000 Beschäftigten des neuen Unternehmens – ein Zusammenhang, der übrigens im vorliegenden An- trag der Linken vollständig verkannt wird. 4. Nicht zuletzt stellen wir auf der Grundlage des Mo- dells integrierter Börsengang sicher, dass der zu er- zielende Kapitalisierungserlös zur Absicherung der Ewigkeitslasten des Bergbaus ausreicht. Die Finan- zierung der Ewigkeitslasten, also der Kosten in erster Linie für die Grubenwasserhaltung, den Bereich der Dauerbergschäden, und die Grundwasserreinigung wird im Rahmen eines Erblastenvertrags zwischen der RAG-Stiftung und den Ländern NRW und Saar- land geregelt. Die notwendigen Mittel werden aus dem durch den Börsengang des weißen Konzernbe- reichs gespeisten Stiftungsvermögen bestritten. In diesem Zusammenhang hat die Anhörung keine An- haltspunkte dafür ergeben, dass dieses Ziel auf der Grundlage der vorgesehenen Regelung verfehlt würde. Nach dem Urteil der Experten ist also eine mit zusätzlichen Belastungen verbundene Gewähr- leistungshaftung der Kohleländer und mittelbar des Bundes nicht zu befürchten. Auch dies ist ein wichti- ges Ergebnis der Anhörung. Alles in allem liegt damit ein mehr als brauchbarer Entwurf vor, mit dem es gelungen ist, die verschiedenen industrie-, sozial- und finanzpolitischen Zielsetzungen miteinander zu verbinden. Wir sollten ihn deshalb heute mit großer Mehrheit verabschieden. Ulla Lötzer (DIE LINKE): Die Folgen des heutigen Beschlusses für das Steinkohlefinanzierungsgesetz sind klar absehbar: Arbeitsplätze werden abgebaut, Ausbil- dungsplätze werden vernichtet, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler werden mit Kosten in noch unabsehba- rer Höhe belastet, nur einige wenige private Investoren 12916 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) werden satte Gewinne einfahren. Das ist Ihre Politik, meine Damen und Herren von der Koalition, eine Politik für den Profit Weniger zulasten der Allgemeinheit. Der Evonik-Chef und frühere Wirtschaftsminister Müller erklärte dazu in der Anhörung des Wirtschafts- ausschusses lapidar: Wenn Unternehmen abgebaut wür- den, gingen eben auch die damit verbundenen Wohlfahr- ten flöten. Evonik jedenfalls sehe keine Veranlassung, einen Ausgleich zum Beispiel für den Ausbildungsplatz- abbau bei der Deutschen Steinkohle AG zu schaffen. Durch den Börsengang der RAG werden so Unter- nehmen geschaffen, die keine Sozialverpflichtung mehr kennen. Die Folge ist, dass im Ruhrgebiet 2 400 Ausbil- dungsplätze und unzählige Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen. Hier wird die Zukunft vieler junger Leute ver- spielt, in einer Zeit in der es so wichtig wäre, gerade den jungen Menschen eine tragfähige Perspektive zu bieten. Auch die Landesregierung und die Bundesregierung stehlen sich aus der Verantwortung, mit dem Konzern Verhandlungen zu führen, die diese Ausbildungsplätze sichern. Als Begründung für den Börsengang wird immer wie- der herangezogen, dass der Konzern Evonik damit einer tollen Zukunft zugehe und damit auch Nordrhein-West- falen. Doch dies wurde in der Anhörung widerlegt. Auf die Frage, ob sich diese glänzenden Aussichten in Ar- beitsplätzen für das Ruhrgebiet niederschlage, konnte Herr Müller nichts Positives vermelden. Ersatzarbeits- plätze seien nicht absehbar, außer einigen Hundert im Chemiepark Marl. Nicht zuletzt daran zeigt sich, dass es falsch ist, zu- gunsten des Börsengangs auf eine öffentlich-rechtliche Stiftung zu verzichten. In der Anhörung des Wirtschafts- ausschusses wurde deutlich, dass in der Debatte war, eine öffentlich-rechtliche Stiftung, wie wir sie fordern, einzurichten. Aber die Beteiligten haben dies letztlich abgelehnt mit der Begründung, dass die Aufrechterhal- tung eines staatlicher Einfluss auf die RAG den Preis von Evonik an der Börse geschmälert hätte. Eine kurz- sichtige Sichtweise von Politikern, die vor lauter Euros vor Augen, die vielleicht kurzfristig in die Kasse kom- men, die Gesamtkosten, die letztlich von allen zu tragen sein werden, beiseite schieben. Ihre Verantwortung, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, ist es jedoch, wenn Sie schon diesen falschen Weg einschlagen, wenigstens die negati- ven Folgen abzumildern. Deshalb fordern wir Sie auf, sich wenigstens jetzt gemeinsam mit dem Land Nord- rhein-Westfalen für ein Konzept für eine Verbundausbil- dung einzusetzen. Alle bergbaufremden Betriebe in den Bergbauregionen, die bisher von den hoch qualifizierten Fachkräften der DSK profitiert haben müssen jetzt in die Pflicht genommen werden. Dies gilt auch für Evonik und die RAG-Stiftung. Als Partner für die Verbundaus- bildung sind auch die Gewerkschaften, Handwerkskam- mern, regionale Industrie- und Handelskammern, die Agentur für Arbeit und die Kommunen aktiv zu beteili- gen. Auch aus der Kritik des Bundesrechnungshofes, dass Bund und Länder zu wenig Einfluss auf die Stiftung ha- ben, werden nach wie vor keine Konsequenzen gezogen. Es bleibt dabei, Staatsferne für die Gewinne und bei den Entscheidungen, bei der Haftung aber ist die Allgemein- heit dran. Und wir fordern Sie auf, eine tragfähige Strukturpoli- tik für die Bergbauregionen zu entwickeln. Trotz einge- sparter 8 Milliarden bei den Subventionen bis 2018 sol- len im Ruhrgebiet nicht nur die Zechen dicht gemacht werden, sondern auch keine Ersatzarbeitsplätze geschaf- fen werden. Hier gäbe es große Chancen und Potenziale, aber nur wenn man sie nutzt und fördert. Deshalb brau- chen wir ein Strukturprogramm, das die vorhandenen Kompetenzen in den Bergbauregionen, zum Beispiel im Maschinenbau nutzt. Wir brauchen eine gezielte Ansied- lungsstrategie für Energieeffizienztechniken und den Anlagenbau im Bereich erneuerbarer Energie. Nieder- sachsen hat längst die Zeichen erkannt und profitiert inzwischen enorm vom Windanlagenbau. Die Bergbau- regionen müssen nun versuchen, da Anschluss zu be- kommen. Solange, bis ausreichend Ersatzarbeitsplätze geschaffen worden sind, dafür die Gelder zu nutzen, die durch die Reduzierung der Steinkohlesubventionen frei werden. Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nun hat es auch die Bundesregierung endlich verstanden, Steinkohle hat in Deutschland keine Perspektive. Mit rund 21 Millionen Tonnen deckt deutsche Steinkohle heute gerade noch vier Prozent des gesamten Primärener- gieverbrauchs in der Bundesrepublik. Selbst Frau Thoben, immerhin CDU Mitglied und Ministerin für Wirtschaft, Mittelstand und Energie des Landes Nord- rhein-Westfalen hat in ihrer Stellungnahme zur Anhörung am 22. Oktober festgestellt: Der heimische Steinkohlen- bergbau hat bei realistischer Betrachtung wirtschaftlich keine Zukunft. Wegen der niedrigen internationalen Ge- stehungskosten ist die Förderung deutscher Kohle schon lange nicht mehr wettbewerbsfähig, es ist nicht absehbar, dass die Schwelle der Wirtschaftlichkeit auch nur im An- satz erreicht werden könnte. Anstatt eine Tonne deutscher Kohle zu fördern, können mit demselben Geld rund drei Tonnen Importkohle erworben werden. Es hat leider sehr lange gedauert, bis diese Einsicht gekommen ist und unsere Bürgerinnen und Bürger hat das sehr viele Steuergelder gekostet. Nach Berechnun- gen des Forums für Wirtschafts- und Finanzpolitik wa- ren das in den Jahren 1958 bis 2002 rund 128 Milliarden Euro. Es gibt kaum andere Subventionsarten in Deutsch- land, die über einen so langen Zeitraum auf einem derart hohen Niveau aufrechterhalten wurden. Noch heute füh- ren die Steinkohlensubventionen mit Abstand die Liste der 20 größten Finanzhilfen an, die regelmäßig im Sub- ventionsbericht der Bundesregierung veröffentlicht wer- den. Bis 2018 soll der unwirtschaftliche deutsche Stein- kohlenbergbau mit weiteren 38 Milliarden Euro aus Bundesmitteln unterstützt werden. Das ist nichts anderes als hoch subventionierte Klimazerstörung und Geldver- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12917 (A) (C) (B) (D) schwendung. Diese Gelder fehlen für mehr Zukunfts- energien, Klimaschutz und so auch für neue verlässliche Arbeitsplätze der Beschäftigten im Kohlenbergbau. Ein konsequentes Programm für Erneuerbare Energien ge- rade in den Kohleregionen böte die Möglichkeit auch für diese letzten Beschäftigten verlässliche und zukunftssi- chere Arbeitsplätze zu schaffen. Wir von Bündnis 90/ Die Grünen fordern daher einen Ausstieg bereits 2012 und haben hierzu einen Entschließungsantrag einge- bracht, über den heute ebenfalls abgestimmt wird. Aber noch nicht einmal zu dem Ziel des Ausstiegs 2018 steht die Bundesregierung verbindlich. Im Entwurf des Steinkohlefinanzierungsgesetz steht eine erneute Be- gutachtung und Überprüfung des Ausstiegsbeschlusses im Jahr 2012. Dabei wollte sogar das Land Nordrhein- Westfalen in den Verhandlungen die Kohlensubventio- nen bereits 2014 beenden. Die Bundesregierung kannte die Begutachtung und Überprüfung des Ausstiegsbe- schlusses im Jahr 2012. Dabei wollte sogar das Land Nordrhein-Westfalen in den Verhandlungen die Kohlen- subventionen bereits 2014 beenden. Die Bundesregie- rung konnte die Verlängerung der Kohlenförderung aber nur durchsetzen, indem sie den Anteil des Landes Nord- rhein-Westfalen an den Subventionen von 2015 bis 2018 übernimmt. Ohne Not hat der Bund zusätzliche Belas- tungen übernommen, weil sich die SPD erneut als Schutzmacht der Kohle profilieren will. Es ist illusorisch zu glauben, dass sich der Wettbewerbsnachteil heimi- scher Kohle in den nächsten Jahrzehnten aufheben wird. Die geologischen Nachteile Deutschlands bleiben ein dauerhaftes Handicap. Das können auch unsere Kohlebarone nicht ignorie- ren, vorneweg Herr Müller von EVONIK und Herr Tönjes von der Deutschen Steinkohle AG die uns in der Anhörung allen Ernstes glaubhaft machen wollten, deut- sche Steinkohle hätte eine Zukunft. Selbst die Kollegin- nen und Kollegen der Regierungsfraktionen machen im Wirtschaftsausschuss keinen Hehl mehr daraus, dass der Zug der Deutschen Steinkohle endgültig abgelaufen ist. Es macht ökologisch und ökonomisch überhaupt kei- nen Sinn, die Subventionen bis 2018 weiterlaufen zu las- sen. Nach einem Gutachten von KPMG zur Bewertung der Stillsetzungskosten und der Ewigkeitslasten liegen die Kosten der Stilllegung für 2012, 2014, 2016 und 2018 in gleicher Höhe nämlich bei knapp 14 Milliarden Euro. In keinem der Fälle wird es zu betriebsbedingten Kündigungen kommen. Selbst der geplante Börsengang von EVONIK birgt erhebliche Risiken für die öffentliche Hand. Die neu ge- schaffene Steinkohlenstiftung trägt zwar die Ewigkeits- kosten und für den Fall, dass das Vermögen nicht aus- reicht, treten die Kohlenländer in Haftung. Der Bund hat sich aber auch hier wieder ohne Not bereit erklärt, 30 Prozent der Kostenrisiken zu übernehmen. Es ist gut, dass entsprechend unserer Forderungen keine dauerhafte Sperrminorität der Steinkohlenstiftung an den Unterneh- men des weißen Bereichs festgeschrieben wurde. We- sentlich ist, dass die Risiken für die öffentliche Hand re- duziert werden und die Unternehmen des weißen Bereichs strukturpolitisch sinnvoll weiterentwickelt wer- den. Es sollte noch einmal sehr genau geprüft werden, ob es nicht mehr Sinn macht, Degussa, STEAG und RAG- Immobilien einzeln zu veräußern und sie nicht, wie ge- plant, im Paket an die Börse zu bringen. Da passt es ja auch ins Bild, dass der Bundesrech- nungshof für die Steinkohlestiftung keine Prüfbefugnis erhalten soll. Hier schaffen Sie einmal mehr Intranspa- renz statt Klarheit. Der Deutsche Bundestag sollte alle diese Fragen noch einmal sehr genau untersuchen. Wir sprechen hier heute über einen Antrag der FDP zum Ausbau der Rheintalbahn zwischen Karlsruhe und Basel. Mit dem Bau des 3. und 4. Gleises für den Güter- verkehr auf der Schiene wird ein europäisches Großpro- jekt in Angriff genommen. Die Bundesrepublik hat sich zu diesem Kapazitätsausbau verpflichtet. Mit dem Staats- vertrag von Lugano 1996 stehen wir der Schweiz gegen- über im Wort, den Ausbau der Zulaufstrecke zum Lötsch- berg- und Gotthardtunnel sicherzustellen. Dieser Ausbau ist dringend erforderlich – aus ver- kehrspolitischen Gründen wie aus Gründen des Klima- und Umweltschutzes. Kann der geplante Güterverkehr nicht auf der Schiene stattfinden, dann wird er über die Straße rollen. Damit würden die Menschen, die Umwelt und die Landschaft viel stärker belastet. Bündnis 90/ Die Grünen haben ein zentrales Anliegen: Wir wollen möglichst schnell möglichst viel Güterverkehr von der Straße auf die Schiene verlagern. Dazu brauchen wir den Kapazitätsausbau im Rheingraben dringend. Der Ausbau der Rheintalbahn wird auch zu einer deutlichen Entlas- tung der Anwohner an der Altstrecke führen. Diese Ent- lastung begrüßen wir sehr, da sie Tausenden von An- wohnern zugute kommt. Zurzeit wird gerade in der Region Freiburg mit dem Lärmsanierungsprogramm des Bundes die Situation an einzelnen, besonders belasteten Punkten der Altstrecke entschärft. Das ist im Sinne des Lärmschutzes sehr zu begrüßen. Letztlich ist das aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein, weil es sich hier um freiwillige „Reparaturmaßnahmen“ ohne gesetzli- chen Anspruch handelt. Auch mit dem vergleichsweise umweltfreundlichen Transportmittel Bahn kommen große Belastungen auf Mensch und Umwelt im Rheingraben zu. Was können wir realistischerweise tun, um diese Belastungen so ge- ring wie möglich zu gestalten? Der beste und auch günstigste Weg beim Lärmschutz ist die Vermeidung der Entstehung von Lärm. Die Ver- meidung der Lärmentstehung durch neue leisere Wagen und durch Umrüsten des Altmaterials ist der effizienteste und günstigste Weg, die Güterzüge leiser zu machen. Ein europaweites Umrüstprogramm nach dem heutigen Stand der Technik würde eine Halbierung des Lärms be- deuten. Für relativ wenig Geld lässt sich das Bremssys- tem jedes alten Waggons umrüsten. So entsteht ein Lärm, der vom menschlichen Ohr nur noch halb so laut wahrgenommen wird. Im Juni wurde dieses Umrüstprogramm hier im Bun- destag beschlossen. Da sind wir alle dafür. Für diesen sehr sinnvollen Weg haben wir uns erfolgreich einge- setzt. Für die tatsächliche und europaweite Umsetzung 12918 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) bis zur Inbetriebnahme des 3. und 4. Gleises der Rhein- talbahn – unter anderem durch die Einführung lärm- abhängiger Trassenpreise – werden wir kämpfen. Nun zu den vier Forderungen zu einzelnen Strecken- abschnitten im Antrag der FDP. Diese vier Forderungen übernimmt die FDP von den Bürgerinitiativen im Rhein- graben. Da die in Abs. II an die Bundesregierung gerich- teten Forderungen in der Gesamttendenz richtig sind, werden wir dem FDP-Antrag zustimmen. Wir schließen uns einer sorgfältigen Prüfung der einzelnen Forderun- gen generell an, auch wenn wir manche Details anders sehen. Nun noch eine Bewertung im Detail: Zu Forderung eins: Die bisherige Planung zu Offen- burg kann so nicht bleiben, da die bereits hohe Belastung der Offenburger Innenstadt sich noch drastisch ver- schärft. Offenburg ist ohne Zweifel der problematischste Punkt der gesamten Neubaustrecke mit den meisten di- rekt betroffenen Anwohnern. Wir fordern eine detail- lierte Prüfung einer Tunnel-Lösung für Offenburg unter Berücksichtigung des Lärm- und Erschütterungsschutzes sowie des innerstädtischen Flächenverbrauchs. Zu Forderung zwei: Eine Bündelung der Linienfüh- rung von Offenburg bis Freiburg von Neubaustrecke und A 5 halten wir Grünen für die sinnvollste Variante der Trassenführung. Diese muss im Planfeststellungsverfah- ren gleichrangig mit anderen Varianten im Hinblick auf Landschaftsverbrauch, Lärmschutz und Betriebssicher- heit geprüft werden. Zu Forderung drei: Die zusammen mit anderen bauli- chen Maßnahmen vorgeschlagene teilweise Trassenab- senkung im Freiburger Streckenabschnitt soll geprüft werden Dieses für eine deutliche Lärmreduzierung vor- geschlagene Maßnahmenbündel stellt eine klare Verbes- serung der bisherigen Bahnplanungen dar. Das Maßnah- menpaket, das in einer von den betroffenen Kommunen finanzierten Ingenieursstudie im Detail erarbeitet wurde, verdient eine sorgfältige Prüfung im Planfeststellungs- verfahren. Zu Forderung vier: Auch eine Trassenabsenkung mit Teildeckelung des Streckenabschnitts vom Südportal des Mengener Tunnels bis südlich von Buggingen soll ge- prüft werden. Die ursprüngliche Maximalforderung, die- sen Streckenabschnitt ganz zu untertunneln, wird nicht mehr erhoben. Das begrüßen wir. Unser abschließendes Fazit: Wir begrüßen das Nach- hintenziehen des Prognosehorizonts aufs Jahr 2025, weil das ein realistischerer Zeitpunkt für den tatsächlichen Güterverkehr auf der Strecke ist. Sollten von Land oder Bund zusätzliche Mittel für den baulichen Lärmschutz bereitgestellt werden, – also Gelder, die über die gesetz- lichen Verpflichtungen hinaus fließen – so sollte dieses Geld an den kritischsten Punkten eingesetzt werden. Der kritischste Punkt ist für uns Offenburg, weil dort die meisten Menschen am härtesten und am direktesten be- troffen sind. Was wird aus den großen Versprechungen, die die Abgeordneten der Großen Koalition in der Region in den letzten Jahren gemacht haben? Regionale Abgeordnete der CDU und der SPD aus dem Bundestag und aus dem Stuttgarter Landtag haben vor Ort immer viel mehr Lärmschutz versprochen als er gesetzlich vorgeschrie- ben ist. Das Land Baden-Württemberg verschleudert beim Projekt Stuttgart 21 ohne Not eine Milliarde Euro. Wir sind sehr gespannt, wie viel Geld die CDU/FDP- Landesregierung für das Projekt Ausbau der Rheintal- bahn zur Verfügung stellen wird. Und wir sind sehr neu- gierig, was aus den forschen Worten der SPD-Opposi- tion im Ländle in Berlin wird. Dort ist man mit an der Regierung, dort will man dann häufig nichts mehr von dem wissen, was man – wie zum Beispiel die Abschaf- fung des Schienenbonus – vor Ort bei den Betroffenen gefordert hat. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrages: Umweltqualitäts- normen im Bereich Wasserpolitik – Forderun- gen des Europäischen Parlaments aufgreifen und ausweiten (Tagesordnungspunkt 22) Ulrich Petzold (CDU/CSU): Von alters her und wohl in jeder Kultur gilt das Vergiften eines Brunnens als ein außerordentlich schweres Verbrechen. In der Zeit der In- dustrialisierung ist das diesbezügliche Unrechtsbewusst- sein leider zurückgegangen. Doch Brunnenvergifter im ursprünglichen Sinn – gibt es die noch? Der Verbrauch von Wasser in beliebiger Menge und in höchster Qualität ist in den Industrieländern eine Selbstverständlichkeit, und nur wenige machen sich Ge- danken um ihr Handeln, wenn es gilt, ihre Wünsche mit ihrem Handeln in Übereinstimmung zu bringen. Dass das persönliche Verhalten bei der Entsorgung von Abfäl- len oder Abwasser, ihr Wirtschaften oder sonstiges Ver- halten in der Natur direkten Einfluss auf das Wasser hat, das sie wie selbstverständlich aus der Wasserleitung konsumieren und entnehmen, ist vielen Menschen leider gar nicht richtig bewusst. Nein, es stellt sich heute nie- mand mehr hin und verschmutzt oder vergiftet wissent- lich und zielgerichtet Trinkwasserbrunnen. Die Vergif- tung erfolgt viel subtiler und nicht am Brunnen selbst. Der Landwirt, der Felder überdüngt, der Unternehmer, der bei wassergefährdenden Prozessen nicht auf eine ordnungsgemäße Sperrschicht achtet, die achtlos wegge- worfene Farbbüchse oder Batterie oder das in die Toi- lette gespülte Medikament – das sind die modernen Brunnenvergifter. Meist Unachtsamkeit, oft aber auch übersteigertes Gewinnstreben oder pure Bequemlichkeit gefährden das Wasser, das wir als Grundwasser in unse- ren Brunnen wiederfinden. Auf der anderen Seite schaf- fen modernste Messmethoden die Voraussetzung, Stoff- konzentrationen zu messen, die noch vor wenigen Jahren um Potenzen unter den messbaren Konzentrationen la- gen. Letztendlich war es die Sorge um unsere natürlichen Lebensgrundlagen, die das Europäische Parlament im Mai 2007 bewogen hat, dafür zu stimmen, dass 28 wei- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12919 (A) (C) (B) (D) tere Stoffe in die Liste der prioritären Stoffe der Euro- päischen Wasserrahmenrichtlinie aufgenommen werden sollen. Umweltverbände hatten ihre Wünsche und Er- kenntnisse zu der Gefährlichkeit von Stoffen an die EU- Abgeordneten herangetragen. Daraus war dann die Liste von 28 Stoffen entstanden, die die 33 bisherigen prioritä- ren Stoffe ergänzen sollten. Doch genau das war nicht der Weg, der in der Europäischen Union verabredet war. Wie in dem vorliegenden Antrag richtig vermerkt ist, müssen die bestehenden Auflagen und Vorgaben der EU-Wasserrahmenrichtlinie ergänzt und überarbeitet werden. Dazu hat die Europäische Union eine Arbeits- gruppe gebildet, die sich intensiv und wissenschaftlich exakt mit Stoffen beschäftigt, deren Gefährlichkeit in- frage steht. Die Dosis macht das Gift – diese Weisheit des Paracelsus gilt auch bei den Umweltgiften. Es ist ex- akt zu arbeiten, und gut gemeint ersetzt auch in diesem Fall keine fachliche Arbeit. Deshalb ist die Entscheidung der EU-Umweltminister vom 28. Juni dieses Jahres, die vom EU-Parlament vor- geschlagenen 28 Stoffe nicht kurzfristig in die Liste der gefährlichen Substanzen aufzunehmen, so nicht zu kriti- sieren. Auch wenn die fachlich exakte Arbeit mit allen notwendigen Diskussionen und Abstimmungen etwas länger dauert als von Umweltverbänden gewünscht, ist sie doch übereilten Entscheidungen vorzuziehen. Die da- ran im Antrag geübte Kritik ist daher fachlich und sach- lich nicht begründet. Bedenklich sind hingegen Beschlüsse, die im Antrag als „Aufweichung der Prioritäre-Stoffe-Richtlinie“ be- zeichnet werden. So ist es auch unserer Meinung nach falsch, dass man sich nicht auf EU-einheitliche Emis- sionsregelungen geeinigt hat. Schon allein mögliche Wettbewerbsverzerrungen hätten damit eingedämmt werden können, geschweige denn, dass in vielen Fällen nur so ein guter chemischer Zustand von Oberflächenge- wässern hergestellt werden kann. Deswegen sind wir si- cher, dass vonseiten der Bundesregierung alles Erdenkli- che getan wird, die europäischen Partner vom Wert von Emissionsgrenzwerten zu überzeugen. Eines eigenen Antrages, um die Bundesregierung zum Handeln zu ver- anlassen, hätte es, wie Sie selbst wissen, dazu nicht be- durft. Anders sehen wir das bei der Möglichkeit, die die EU-Mitgliedstaaten in Zukunft haben, bei Schadstoffbe- stimmungen in Gewässern flexibler vorzugehen. Wir sind es in Deutschland gewöhnt, Schadstoffkonzentratio- nen im Wasser direkt zu messen. Insbesondere Großbri- tannien, aber auch Frankreich bevorzugen Biota-Mes- sungen. Dazu werden die Schadstoffkonzentrationen in Gewässerorganismen oder auch Sedimenten gemessen. Unserer Auffassung nach kommt es indes nicht darauf an, wie Schadstoffkonzentrationen gemessen werden, sondern es muss eine Vergleichbarkeit der Messergeb- nisse erreicht werden. Nach Aussage der Fachleute ist auch nach der Flexibilisierung die geforderte Vergleich- barkeit in jedem Fall gegeben. Im Gegenteil darf sogar angenommen werden, dass die vorgeschriebenen Kon- zentrationsgrenzen bei den Messungen in Biota und Se- dimenten strenger ausfallen. Die Forderung, PCB und Dioxine in die Liste der prioritären Stoffe aufzunehmen, ist zwar aufgrund deren hoher Schadwirkungen verständlich. Es muss jedoch festgestellt werden, dass diese Stoffe zurzeit kein Ge- wässerproblem darstellen. Nur in einigen alten Transfor- matoren ist noch PCB enthalten, und es darf in Deutsch- land schon längst nicht mehr neu eingesetzt werden. Somit ist PCB ein Auslaufproblem. Bei Dioxinen muss man wissen, dass dieses bei Verrottungsvorgängen natür- lich entsteht und somit immer auch eine Hintergrundbe- lastung vorhanden ist. Dass trotzdem die Einhaltung von Schadstoffgrenzwerten auch bei Dioxinen kein Problem darstellt, sollte bei den überbordenden Forderungen auch wieder etwas Vernunft einziehen lassen. Die gleiche Vernunft und auch Augenmaß fordern wir bei den im Antrag als „neuartige Problemstoffe“ benann- ten Substanzen ein. Es handelt sich hierbei um pharma- zeutisch aktive Wirkstoffe, die von Organismen natür- lich oder nach Einnahme von Präparaten verändert oder unverändert wieder ausgeschieden werden. So neuartig, wie der Antrag den Eindruck erwecken will, sind uns Auswirkungen von Arzneimittelrückständen und hormo- nell wirksamen Stoffen nicht. Zahlreiche Kongresse, Kolloquien und Untersuchungen haben sich mit dem Problem befasst. Im April dieses Jahres hat sich auch wieder der Sachverständigenrat für Umweltfragen zum Thema Arzneimittelrückstände geäußert und festgestellt, „dass viele der eingesetzten Wirkstoffe nur in geringen Konzentrationen in die Umwelt gelangen und meist sehr kurzlebig sind“. Von 3 000 eingesetzten Wirkstoffen sind circa 80 in Kläranlagen zu finden. Dort erfolgt ein weitgehender Abbau, bevor das gereinigte Abwasser in die Vorfluter entlassen wird. Die im Grundwasser aufge- fundenen Spuren von Arzneimittelrückständen liegen meist um mehrere Zehnerpotenzen unterhalb von Kon- zentrationen, die für eine lebenslange Aufnahme beim Menschen toxikologisch ableitbar gesundheitlich duld- bar sind. Wir wissen jedoch, dass die pharmazeutisch ak- tiven Wirkstoffe, aber auch solche Substanzen wie das 17α-Ethinyl-Estradiol, welches Sie in Ihrem Antrag an- sprechen, auf diverse Organismen unterschiedliche Ef- fekte haben können. Hier können schon bei geringsten Konzentrationen Wirkungen auftreten, wie sie uns si- cherlich allen von der Auswirkung minimaler Spuren humaner weiblicher Hormone auf Krallenfrösche be- kannt sind. Daher ist es richtig, dass im Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln 2006 eine Umweltverträglichkeitsbe- wertung eingeführt bzw. erweitert wurde. Auch die Euro- päische Arzneimittelagentur hat mit der am 1. Dezember 2006 in Kraft getretenen „Guideline on the environmental risk assessment of medicinal products for human use“ diesbezüglich das richtige Signal bereits gesetzt. Dass wir gerade auch hier Augenmaß einfordern, geschieht allein vor dem Hintergrund einer hohen Verunsicherung der Menschen. Wenn im Jahr 2005 bei Google 531 000 meist besorgten Einträgen zu Arzneimittelrückständen gerade einmal 34 wissenschaftliche Beiträge gegenüberstehen, dann kann man nur vor Panikmache warnen. Insgesamt ist festzustellen: Wir haben zum Beispiel gerade auch mit REACH einen sehr guten Ansatz, 12920 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) Schadstoffemissionen in den Griff zu bekommen. Es wäre wichtig, zwischen den prioritären Stoffen der Was- serrahmenrichtlinie und solchen Eingruppierungen wie der von REACH eine Abstimmung zu entwickeln. Un- terschiede in der Bewertung könnten die Glaubwürdig- keit unserer Chemikalien- und Umweltpolitik schädigen. Das sollte, ja, das darf uns nicht passieren. Deswegen sind auch Schnellschüsse auf dem Gebiet sehr problema- tisch. Die fundierte, fachlich gute Arbeit der Bundesre- gierung im Bereich des Wasserschutzes sollte deshalb von uns unterstützt und nicht kritisiert werden. Ich gebe zu, dass ich mich in einem Punkt sehr über den Antrag geärgert habe. Wenn es darin heißt: „Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf, dafür Sorge zu tragen, dass die Wasserrahmenrichtlinie nicht aufge- weicht wird“, oder „dafür Sorge zu tragen, dass neue prioritäre Stoffe von der EU aufgenommen werden“, so zeugt diese Formulierung von keinem großen Demokra- tieverständnis. Dafür Sorge zu tragen, heißt: „hat durch- zusetzen“. Der Antrag fordert die Bundesregierung apo- diktisch auf, ihre Ziele in der EU durchzusetzen. Auch wenn es das Richtige in der Sache ist: Eine Zwangsbe- glückung ist immer falsch. Zu einer Zwangsbeglückung aufzurufen oder sie, wie in dem Antrag, einzufordern, ist nicht unsere Sache. Die Nachhaltigkeit gerade im Um- weltschutz ist umso größer, je mehr auch der Partner vom richtigen Handeln überzeugt ist. Dieses Handeln zwangsweise von anderen Staaten streng und intolerant einzufordern, ist etwas, was wir nicht unterstützen kön- nen. Ich habe eingangs etwas über Brunnenvergiften ge- sagt. Im übertragenen Sinn kann man dieses auf Ihre apodiktische Formulierung anwenden. Wir werden uns daher im Ausschuss sehr kritisch mit dem Antrag auseinandersetzen. Petra Bierwirth (SPD): Wir beraten heute den An- trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. In diesem An- trag wird die Bundesregierung gebeten, die Forderungen des Europäischen Parlamentes zur Richtlinie über Um- weltqualitätsnormen im Bereich der Wasserpolitik zu übernehmen. Mit dem vorliegenden Richtlinienvor- schlag sollen die Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie in EU-Recht umgesetzt werden. Des Weiteren schlägt die Kommission Qualitätsnormen für die Konzentration der prioritären Stoffe in Oberflächenwasser, Sedimenten und Biota vor. Gemäß dem sechsten Umweltaktionsprogramm gehö- ren Maßnahmen zur Begrenzung prioritärer Stoffe zu den vorrangigen Aktionsbereichen. Der vorliegende Vor- schlag dient dem Schutz und der Verbesserung der Qua- lität der Umwelt. Dies geschieht in Übereinstimmung mit dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung. Gleichzeitig wird mit dem Vorschlag die Harmonisie- rung der Wirtschaftsbedingungen auf dem Binnenmarkt sichergestellt. Das war unbedingt erforderlich, da die bislang geltenden Umweltqualitätsnormen sehr unter- schiedlich sind. Ferner tragen der Vorschlag und die bei- gefügten Mitteilungen zur Kohärenz mit anderen ge- meinschaftlichen Rechtsvorschriften bei. Als Beispiel möchte ich hier insbesondere die Chemikalienpolitik, einschließlich REACH, anführen. Der Richtlinienvorschlag stellt einen wesentlichen Beitrag zur Verminderung der Gewässerbelastung durch Festlegung von gemeinschaftlichen Umweltqualitätsnor- men für prioritäre Stoffe dar. Er leistet auch einen we- sentlichen Beitrag zur Umsetzung der Ziele der OSPAR- Konvention. Der Richtlinienvorschlag ist in der EU intensiv bera- ten worden. Deutschland konnte während seiner EU- Präsidentschaft die politische Einigung im Rat erreichen. Das ist eine gute Ausgangslage für einen gemeinsamen Standpunkt von Rat und Europäischem Parlament zur harmonisierten Sicherung des Gewässerschutzes in Eu- ropa. Der erreichte Kompromiss ist gekennzeichnet von großer Flexibilität der Anwendung der Umweltqualitäts- normen und geringem Verwaltungsaufwand. Um die Effizienz der Umsetzung in den Mitgliedstaaten weiter zu verbessern, hat die Kommission eine Erklärung abge- geben, in der sie sich verpflichtet, so rasch wie möglich nach Inkrafttreten der Richtlinie Leitlinien für ihre Um- setzung festzulegen. Die von der Präsidentschaft zur Frage der Emissions- minderungsmaßnahmen vorgeschlagene Überprüfungs- klausel sehe ich positiv. Auf der Grundlage der Berichte der Mitgliedstaaten wird die Notwendigkeit zusätzlicher spezifischer Emissionsbegrenzungen geprüft. Die gemeinschaftsweiten festgelegten Umweltquali- tätsnormen für prioritäre Stoffe tragen dazu bei, die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu schützen. Die Mitgliedstaaten sind gefordert, Maßnahmen zu ent- wickeln und umzusetzen, die geeignet sind, die Gewäs- ser von gefährlichen Stoffen so weit wie möglich frei zu halten und gleichzeitig die Einhaltung des in der Richtli- nie vorgegebenen zeitlichen Rahmens zu gewährleisten. Bis spätestens 2025 wird sich die Kommission Gewiss- heit darüber verschafft haben, ob die erfassten Emissio- nen und Einleitungen die festgelegten Reduzierungsziele bzw. Beendigung der Einleitung prioritärer gefährlicher Stoffe, entsprechend den Regelungen der Wasserrah- menrichtlinie, nach 20 Jahren erreicht worden sind. Damit soll das wichtige Ziel für den europäischen Ge- wässerschutz erreicht werden, die Gewässer von gefähr- lichen Stoffen so weit wie möglich frei zu halten. Ent- sprechend dem Ratsvorschlag muss die Kommission auf der Grundlage der erstellten Berichte für die Bestands- aufnahmen auch eine Überprüfung durchführen, ob zu- sätzliche gemeinschaftsweite Maßnahmen, wie etwa Emissionsbegrenzungen, notwendig sind und gegebe- nenfalls entsprechende Vorschläge unterbreiten. Natürlich kann man mehr fordern, wie es das Europäi- sche Parlament auch getan hat, und natürlich ist es legi- tim, diese Forderungen in einen Oppositionsantrag aufzunehmen. Man muss aber sehen, dass der jetzt vor- liegende Richtlinien-Vorschlag einen Kompromiss dar- stellt, der von allen Mitgliedstaaten getragen wird. Der vorliegende Antrag von Bündnis 90/Die Grünen folgt ei- ner Argumentation, die für mich nicht vollständig nach- vollziehbar ist. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12921 (A) (C) (B) (D) Der Beschluss des Rates zum Richtlinienvorschlag entspricht in den wesentlichen Punkten auch der Haltung der Bundesregierung und der Länder. Er berücksichtigt auch Forderungen des Europäischen Parlaments. Der Richtlinienvorschlag weicht nicht, wie im Antrag be- hauptet wird, die bestehenden Verpflichtungen der Was- serrahmenrichtlinie auf. Die Forderung der Bundesregierung zum Beispiel nach gemeinschaftsweiten Maßnahmen für Emissions- begrenzungen nach den besten verfügbaren Techniken, wie auch im Antrag der Opposition gefordert, konnten nicht vollständig durchgesetzt werden. Diese fanden aber durch eine strenge Überprüfungsklausel weitgehend Berücksichtigung. Insofern werden auch die weiterge- henden Forderungen des Europäischen Parlaments nach Emissionsanforderungen auf der Grundlage der besten verfügbaren Techniken im weiteren Abstimmungsver- fahren unterstützt. In Deutschland gilt die Abwasserver- ordnung, die die Anforderungen an die Rückhaltung be- stimmter prioritärer Stoffe als beste verfügbare Technik festlegt. Ich möchte noch auf einige Punkte des Antrages ein- gehen. In ihrem Antrag sagen Sie: „EU-weite Qualifizie- rungsziele für Sedimente und Biota sind nicht verpflich- tend, und das Monitoring ist ebenfalls zu unverbindlich und großzügig geregelt.“ Ich möchte an dieser Stelle festhalten, dass die Forde- rung einiger Mitgliedstaaten nach unverbindlichen Refe- renzwerten für die Umweltqualitätsnormen verhindert werden konnte. Der Kompromiss sieht zwar beim Ge- wässer-Monitoring die flexible Möglichkeit vor, statt der gesetzlich verbindlichen Wasser-Umweltqualitätsnor- men auch Biota und Sediment-Umweltqualitätsnormen zu verwenden. Allerdings müssen diese vom Schutzni- veau gleichwertig sein und die angewandten Methoden bei der Kommission notifiziert werden. Sie wollen die Bundesregierung auffordern „dafür Sorge zu tragen, dass die vom Europäischen Parlament vorgeschlagenen 28 weiteren prioritären Stoffe in die Tochterrichtlinie der Wasserrahmenrichtlinie aufgenom- men werden“. Der Europäische Rat und das Europäische Parlament haben sich bei der Verabschiedung der Was- serrahmenrichtlinie und der Liste der prioritären Stoffe im Jahre 2000/2001 auf eine Verfahrensweise bei der Stoffauswahl geeinigt. Die Wasserrahmenrichtlinie sieht in Art. 16 die Erarbeitung einer Liste von prioritären und prioritären gefährlichen Stoffen vor. Hierzu wird in Art. 16(2) ein transparentes, auf wissenschaftlichen Grundlagen beruhendes Auswahlverfahren verankert. Dieses Verfahren wurde auch bei der Verabschiedung der ersten Liste der 33 prioritären Stoffe im Jahre 2001 angewandt. Daneben sieht Art. 16(4) der Wasserrahmen- richtlinie einen regelmäßigen vierjährigen Überprü- fungs- und Aktualisierungszyklus für die Liste der prio- ritären Stoffe vor. Für die derzeitige laufende Überprüfung gemäß der Wasserrahmenrichtlinie ist eine Arbeitsgruppe von der Kommission eingesetzt, mit deren Hilfe ein Vorschlag für die Aktualisierung der Stoffliste bis Ende 2008 vor- gelegt werden soll. Die Auswahl zusätzlicher Stoffe er- folgt gemäß Wasserrahmenrichtlinie zum einem nach wissenschaftlichen Kriterien, zum anderen nach der Be- deutung und dem Vorkommen der Stoffe in den Gewäs- sern der Gemeinschaft. Die zusätzlichen 28 neuen Stoffe sind Bestandteil der Prüfung bei der Aktualisierung der Liste. Darüber hinaus fordern Sie die Erarbeitung einer na- tionalen Strategie zur Emissionsbegrenzung bis 2008. Hier muss ich Ihnen ins Buch schreiben, liebe Kolle- ginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, dass eine nationale Strategie zur Emissionsbegrenzung und Vermeidung prioritärer bzw. prioritäre gefährliche Stoffe bis spätestens 2008 nicht erforderlich ist. In Deutschland sind mit der Abwasserverordnung nach § 7 a des Was- serhaushaltsgesetzes strenge Emissionsforderungen an das Einleiten in Gewässer festgelegt. Weitergehende ein- schränkende Maßnahmen, wie Anwendungsbeschrän- kungen oder Stoffverbote, sind nur gemeinschaftlich zielführend. Fazit: Die Wasserrahmenrichtlinie stellt uns vor eine große Herausforderung. Zur Koordination der Bewirt- schaftungsmaßnahmen sind nicht nur Abstimmungen mit den Nachbarstaaten, sondern auch der Bundesländer untereinander erforderlich. Um die festgeschriebenen Ziele der Richtlinie in dem gesetzten Zeitrahmen reali- sieren zu können, müssen die erforderlichen finanziel- len, personellen und organisatorischen Entscheidungen verantwortungsvoll und zügig getroffen werden. Um die erforderlichen Arbeiten in Angriff zu nehmen, müssen diese auf einer sicheren Grundlage gestellt werden. Das bedeutet, dass die rechtlichen und fachlichen Vorgaben zur Umsetzung der Richtlinie zeitgerecht vorliegen müs- sen. Durch eine enge und gute Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, die schon bei den Beratungen der Richtlinie und bei der Vorbereitung der Umsetzungsar- beiten sehr hilfreich gewesen ist, kann eine zeitlich und inhaltlich ordnungsgemäße Umsetzung der Wasserrah- menrichtlinie gelingen. Horst Meierhofer (FDP): Wasser ist unverzichtbare Lebensgrundlage. Die Sicherung der Wasserqualität ist deshalb von immenser Bedeutung. Hinzu kommt: Ge- wässerverschmutzungen machen nicht an irgendwelchen Ländergrenzen halt. Umso wichtiger ist es, dass Europa an einem Strang zieht. Dem Ziel der Europäischen Was- serpolitik, einen guten ökologischen und chemischen Zustandes der Gewässer zu erreichen, kann die FDP- Fraktion deshalb nur zustimmen. In diesem Kontext hat die Europäische Kommission einen Richtlinienentwurf vorgelegt, der darauf abzielt, das Umweltschutzniveau europäischer Gewässer zu ver- einheitlichen. Dazu sollen europaweit Höchstwerte für Pestizide, Schwermetalle und andere chemische Stoffe festgelegt werden, die eine spezielle Gefährdung für Tiere und Pflanzen in Gewässern sowie für die mensch- liche Gesundheit bedeuten. Besonders gefährliche Stoffe sollen langfristig sogar ganz verboten werden. 12922 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) Doch sobald es um Details geht, scheiden sich in Brüssel die Geister: Während der Rat unter der deutschen Präsidentschaft die von der Kommission vorgeschlagenen Umweltqualitätsnormen einstimmig bestätigte, hat das EP in seiner ersten Lesung mit 672 Stimmen für substanzielle Änderungen gestimmt. Ginge es nach unseren Europäischen Kollegen, so soll- ten vor allem die Wasserqualitätsstandards für 28 wei- tere Stoffe verschärft werden. Ob in Brüssel angesichts der doch sehr unterschiedlichen Positionen zwischen Rat und Parlament in zweiter Lesung eine Einigung möglich ist, oder ob das Ganze in einen Vermittlungsausschuss geht, bleibt abzuwarten. Der Antrag, den wir heute beraten, will die Forderun- gen des Europäischen Parlaments aufgreifen und aus- weiten. Lassen Sie mich dazu folgende Bemerkungen machen. Erstens. Allen Unstimmigkeiten zum Trotz darf man nicht vergessen: Auch der Kommissionsvorschlag führt zu mehr Gewässerschutz als der Status quo. Das gilt nach Aussage der Bundesregierung auch für Deutsch- land. Auch bei uns gibt es derzeit noch einige wenige Stoffe, die die vorgegebenen Qualitätsziele noch deut- lich überschreiten. Zweitens. Aus unserer Sicht ist die Art und Weise, wie das Europäischen Parlament weitere Stoffe als prio- ritär bzw. prioritär gefährlich einstuft, äußerst fragwür- dig, und das sowohl rechtlich als auch in der Sache. Schließlich ergibt sich aus den Erwägungsgründen der Richtlinie, dass die Festlegung der Liste der prioritären Stoffe nach einem festgelegten Verfahren zu erfolgen hat. Genau dieses ist jedoch im Rahmen der Entschei- dung des Europäischen Parlaments augenscheinlich nicht berücksichtigt worden. Drittens. Auch die FDP hält die Renationalisierung bereits EU-weit festgelegter Emissionsgrenzwerte nicht für zielführend. Wir bedauern, dass die Bundesregierung sich hier im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft nicht weiter durchsetzen konnte. Geht es nach der Kom- mission, so sollen nur immissionsseitige Umweltquali- tätsnormen europaweit festgelegt werden. Emissionen interessieren Brüssel scheinbar nicht. Dies ist aus unse- rer Sicht sowohl ökologisch als auch ökonomisch nicht akzeptabel. Wirksamer Gewässerschutz fängt beim Ver- ursacher an. Hinzu kommt: Würde sich die Richtlinie ausschließlich mit Umweltqualitätsnormen begnügen, hätten Mitgliedstaaten ohne entsprechende Emissions- regelungen einen Wettbewerbsvorteil. Auch bin ich der Meinung, europaweit einheitliche Emissionsgrenzwerte wären allemal besser als die von EP und den Grünen vorgeschlagenen nationalen Pläne zur Emissionsbegrenzung. Zum Schluss möchte ich noch sagen: Ich warne da- vor, die Bundesregierung schon jetzt zu verpflichten, die Forderungen des Europaparlaments zu übernehmen, ohne Rücksicht darauf, was auf europäischer Ebene be- schlossen wird. Denn sollten sich die Parlamentarier in Brüssel nicht mit ihren Maximalforderungen durchset- zen – das halte ich für ziemlich realistisch –, haben wir in Deutschland wieder einmal einen Wettbewerbsnach- teil im Vergleich zum Rest Europas. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Die Linke un- terstützt den Antrag der Grünen. Er beschreibt zutreffend den Rückschritt in der europäischen Wasserpolitik be- züglich des Schutzes der Gewässer vor Schadstoffen. Es ist an sich schon ein Skandal, dass die Umweltqua- litätsrichtlinie für den Wasserbereich erst drei Jahre nach Ablauf der in Art. 16 der Wasserrahmenrichtlinie festge- legten Frist vorgelegt wurde. Das Hauptproblem der politischen Einigung dazu ist jedoch, dass das Ganze weiterhin nur auf Qualitätsnormen aufgebaut ist, die Oberflächengewässer haben sollen. Für die prioritären Stoffe sind dort die zulässigen Höchstkonzentrationen in Gewässern definiert. Ein Immissionsansatz also. Grenz- werte für Einleitungen im klassischen Emissionsansatz soll es demnach – zumindest EU-weit – nicht geben. Der kombinierte Ansatz im Art. 16 der Wasserrahmenrichtli- nie wurde damit versenkt. In der Folge dürfte eine Firma an einem großen Fluss mehr Schadstoffe in das Gewäs- ser lassen als eine Firma an einem kleinen Fluss, jeden- falls sofern nationale Gesetzgebungen nichts anderes festgelegen. Angesichts der immer noch unakzeptabel hohen Belastung beispielsweise von Nordsee und Ostsee ist dies vollkommen unverständlich. Gegenwärtig sind zwar noch einige Stoffe und Stoff- gruppen EU-weit über die noch geltende „Gefährliche- Stoffe-Richtlinie“ mit Emissionsgrenzen belegt. Doch dieses Gesetz wird bekanntlich ersatzlos aufgehoben. Danach werden wir nur noch für große Anlagen EU-weit gültige Emissionsgrenzen haben, und zwar über die IVU-Richtlinie. Sämtliche kleinen Anlagen bleiben ab diesem Zeitpunkt auf Ebene der EU ungeregelt. Ob und wie die einzelnen Mitgliedstaaten diese Lü- cke durch eigene Gesetzgebung schließen, ist ungewiss. Letztlich läuft dies auf eine Renationalisierung der ur- sprünglichen Gemeinschaftsmaßnahmen hinaus, ähn- lich wie bei der Meeresstrategierichtlinie. Doch gerade für Deutschland mit seinen vielfach fortschrittlichen Emissionsstandards könnte es problematisch werden, wenn andere Länder ihrem Firmen erlauben sollten, fortan niedrigeren Standards zu folgen. Die Bundesregierung war darum nicht ohne Grund der Auffassung, dass Umweltqualitätsziele für Oberflä- chengewässer mit Emissionsstandards für die Anlagen verknüpft werden müssen. Natürlich hat Deutschland diese Forderung in erster Linie aus Wettbewerbsgründen erhoben. Aber damit wird sie ja nicht falsch. Es ist auch die Forderung von Umweltverbänden. Die Linke ist ebenfalls der Meinung, dass ein vorsor- gender Umweltschutz keinesfalls auf Emissionsstan- dards nach dem Stand der Technik verzichten kann. Nur so ist Distanz- und Summationsschäden vorzubeugen. Umweltqualitätsziele können dies nur ergänzen, nicht aber ersetzen. In der Substanz fehlt neben dem eben beschriebenen Problemen auch ein sachgerechter Umgang mit den prio- ritären Stoffen. Von den 33 Stoffen und Stoffgruppen des Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12923 (A) (C) (B) (D) 2001 verabschiedeten Anhangs X der WRR sind nun- mehr lediglich 13 Stoffe und Stoffgruppen als prioritär gefährlich eingestuft. Ihre Einleitung, Emission oder ihr Verlust soll wegen ihrer besonderen Schädlichkeit been- det bzw. schrittweise eingestellt werden. Als prioritär oder prioritär gefährlich gelten jedoch viel zu wenige Stoffe. Die entsprechenden Listen bei den Meeresschutzabkommen OSPAR oder HELCOM sind bedeutend länger. Selbst das UBA sprach einmal von rund 10 000 problematischen Stoffen. Das Parlament hatte in der ersten Lesung die Anzahl der Stoffe der Liste X wenigstens verdoppelt. Der Rat hat davon je- doch nichts in die politische Einigung übernommen. Es ist aber nicht nur diese Blockade, es ist auch der Einzelstoffansatz an sich, welcher der enormen Zahl pro- blematischer Stoffe nicht gerecht wird. Er müsste drin- gend ergänzt werden durch Höchstgrenzen für Summen- parameter, vergleichbar mit den Regelungen in der Grundwasserrichtlinie. Aber offenbar hatte die Wirtschaft an solchen Rege- lungen kein Interesse, und sie hat sich wieder einmal durchgesetzt. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir haben in Deutschland im internationalen Vergleich zwar einen hohen Standard bei der Gewässerqualität, dennoch besteht auch bei uns Handlungsbedarf. Unsere Gewässer sind mit Schwermetallen, Pestiziden und Arzneimittel- rückständen belastet. Allein 5 000 Tonnen Schwerme- talle landen jährlich in unserem Wasser. Jede fünfte Grundwasserprobe enthält Pestizide. Außerdem tauchen in unseren Gewässern immer wieder neue gefährliche Stoffe auf, seien es Hormone oder Arzneimittelrück- stände, die sich nicht oder nur schwer herausfiltern las- sen. Die beobachteten Auswirkungen auf die Tierwelt in den belasteten Flüssen geben Anlass zur Sorge um die Gesundheit der Menschen. Diese Fakten sind alarmie- rend und zudem nur die Spitze des Eisberges, denn wir haben nach wie vor zu wenig Daten und Informationen über die mehr als 1 Millionen Stoffe und Stoffmischun- gen, die direkt oder über Umwege in unser Wasser ge- langen. Hier wäre rascher, vorsorgender Schutz für Mensch und Umwelt angebracht. Umso bedauerlicher ist es daher, dass die EU-Um- weltminister die Empfehlungen des Europäischen Parla- mentes zur Verbesserung der Umweltqualitätsnormen in der Wasserpolitik nicht aufgegriffen haben und sich stattdessen sogar auf eine Aufweichung der Wasserrah- menrichtlinie geeinigt haben. Das Parlament hatte unter anderem gefordert, dass 28 weitere schädliche Stoffe in die bereits bestehende Liste prioritär gefährlicher Stoffe der Wasserrahmenrichtlinie aufgenommen werden. Diese besonders gefährlichen Stoffe müssen bis 2015 komplett aus unseren Gewässern verschwinden, und das mit gutem Grund, denn viele von ihnen haben erhebliche negative Wirkung auf Mensch und Umwelt. Statt den sinnvollen Vorschlägen des Europaparlamentes zu fol- gen und weitere Umweltgifte auf die Liste zu setzen, wurden für die bestehende Liste sogar zusätzliche Aus- nahmeregelungen geschaffen. Ein guter Wasserzustand wird so weder in Deutsch- land noch im Rest Europas erreicht. Wieder einmal bleibt ein Ratsentwurf im Umweltbereich deutlich hinter den Forderungen des Parlaments und der Kommission zurück, und die Bundesregierung sieht untätig zu. Wenn, wie es die Wasserrahmenrichtlinie vorsieht, der „gute chemische Wasserzustand“ der Binnengewäs- ser und des Grundwassers bis zum Jahre 2015 tatsäch- lich realisiert werden soll und auch die Meere ab 2020 weitgehend giftfrei sein sollen, dann muss das zentrale Ziel der Wasserrahmenrichtlinie und der OSPAR- und Helsinkikonvention in allen Verursacherbereichen kon- sequent umgesetzt werden: Die Gewässerverschmutzung durch Stoffe mit hohem Umweltrisiko muss kontinuier- lich verringert werden, und dafür muss sich die Bundes- regierung im weiteren Gesetzgebungsverfahren in Brüs- sel einsetzen. Aber Deutschland muss noch mehr tun. Die Bundes- regierung sollte in der Wasserpolitik mit gutem Beispiel vorangehen und die notwendigen Vorgaben zur Bekämp- fung der Wasserverschmutzung in das Wasserwirt- schaftskapitel des geplanten Umweltgesetzbuches auf- nehmen. Wiederholte Anfragen unserer Fraktion haben gezeigt, dass die Anforderungen der Wasserrahmenricht- linie von den Ländern nur unbefriedigend erfüllt werden. Hier sollte die Bundesregierung endlich selbst aktiv wer- den und ihre Gesetzgebungskompetenz nutzen, statt un- tätig die Hände in den Schoß zu legen. Darüber hinaus brauchen wir dringend eine sektorübergreifende natio- nale Strategie zur Emissionsbegrenzung und -Vermei- dung von gefährlichen Stoffen. Insbesondere in der Landwirtschaft und im Verkehr ist hier unter den Minis- tern Tiefensee und Seehofer so gut wie gar nichts pas- siert. Statt die Warnungen von Opposition und Umwelt- verbänden zu ignorieren, sollte die Bundesregierung endlich hier in Deutschland Verantwortung für die Um- setzung internationaler Umweltqualitätsnormen über- nehmen und ihren Einfluss in Brüssel geltend machen, um ein Absenken von Standards zu unterbinden. Wir brauchen deutschland- und europaweit eine nach- haltige Wasserpolitik, die sich an den Kriterien eines vorbeugenden Umwelt- und Gesundheitsschutzes orien- tiert. Sauberes Trinkwasser ist ein Menschenrecht, das unter allen Umständen geschützt werden muss. Lippen- bekenntnisse auf internationalen Konferenzen sind nicht genug! Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gestzes zur Aufhebung der Heimkehrerstiftung und zur Finanzierung der Stiftung für ehemalige politi- sche Häftlinge (Heimkehrerstiftungsaufhe- bungsgesetz – HKStAufhG) (Tagesordnungs- punkt 25) Klaus Brähmig (CDU/CSU): „Politik bedeutet ein starkes, langsames Durchbohren von harten Brettern mit 12924 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) Leidenschaft und Augenmaß.“ Dieses Zitat von Max Weber passt sehr gut zu der heutigen Verabschiedung des Heimkehrerstiftungsaufhebungsgesetzes, HKStAufhG. Denn ich erinnere mich noch genau, als im Sommer 2000 in meinem Büro der erste Entwurf für ein Heim- kehrerentschädigungsgesetz erarbeitet wurde. Bis zum Tag der Gesetzesverabschiedung sind nunmehr also sie- ben Jahre verstrichen. Durch das beharrliche Verhandeln der Union erhal- ten etwa 12 200 ehemalige deutsche Kriegsgefangene und circa 3 000 Zivilverschleppte aus Ostdeutschland eine symbolische Anerkennung für ihr damals erlitte- nes Schicksal. Die Opfergruppe der zivildeportierten Frauen aus dem Gebiet jenseits von Oder und Neiße bekommt eine einmalige Zahlung von 3 000 Euro. Ferner wird den ehemaligen ostdeutschen Kriegsgefan- genen eine Entschädigung, gestaffelt nach der Dauer des Gewahrsams, in Höhe von 500 Euro, 1 000 Euro und 1 500 Euro gewährt. Das Gesetz sorgt mehr als 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges dafür, dass die ostdeutschen Kriegsheimkehrer und Zivilverschleppten ihren west- deutschen Leidensgefährten gleichgestellt werden. Die beiden genannten Opfergruppen erhalten eine späte, wenn auch symbolische Entschädigung für das ihnen wi- derfahrene Unrecht. Als Vorsitzender des Parlamentarischen Beirates des Verbandes der Heimkehrer, Kriegsgefangenen und Ver- misstenangehörigen Deutschlands e.V., VdH, bedanke ich mich ganz herzlich bei allen Kolleginnen und Kollegen dieses Gremiums für die Zusammenarbeit. Mit dem vorliegenden Gesetz wurden die wichtigsten politischen Ziele des VdH noch Realität. Trotz der all- mählichen Auflösung des Bundesverbandes sind viele Landesverbände des VdH sehr aktiv. Aus dem direkten Kontakt mit dem Präsidenten des VdH-Bundesverban- des, Herrn Günter Berndt, kann ich Ihnen versichern, dass alle Landesverbände diese abschließende Gesetzge- bung begrüßen. Einige werden nun bemängeln, dass durch die jetzige Einigung die Entschädigung für viele Betroffen zu spät kommt. Da kann ich nur sagen: Ja, die Anerkennung kommt spät und für viele auch zu spät. Aber auch hier wurde mir aus der Verbandsspitze signalisiert, dass viele Familien zu schätzen wissen, dass die großen demokrati- schen Parteien Deutschlands noch zu einer einvernehm- lichen Lösung gefunden haben. Diese Lösung steht da- mit in der Tradition des Parlamentarischen Beirates des VdH. In den letzten 55 Jahren seines Bestehens wurde dort über Fraktionsgrenzen hinweg eine Politik gestaltet, die eine besondere Verantwortung für die Menschen aus der Kriegsgeneration anerkannt hat. Mit dem heutigen Gesetz senden wir das Zeichen: Es gab keine ehemaligen Krieggefangenen und Zivildepor- tierten erster und zweiter Klasse. Eine weitere Gerech- tigkeitslücke zwischen Ost und West wird mit diesem Gesetz geschlossen. Abschließend möchte ich noch eine Bitte an meine Kolleginnen und Kollegen von der sozialdemokratischen Koalitionsfraktion richten. Wir haben heute durch diesen Kompromiss eine gute Lösung erreicht. Lassen Sie uns nun auch beherzt die Arbeitsgruppe Kriegsfolgenberei- nigung in Angriff nehmen. Der Wähler hat der Großen Koalition einen klaren Regierungsauftrag gegeben. Wir sollten diesen Wählerauftrag nutzen, um noch offene Probleme aus vergangener Zeit abzuarbeiten und eine gute Zukunft für unser Land zu gewinnen. Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Mit dem heute zu beschließenden Gesetzentwurf über ein Heim- kehrerstiftungsaufhebungsgesetz verbindet sich eine gute Perspektive für all die Kriegsheimkehrer im Bei- trittsgebiet, die bis heute keinerlei Entschädigung erhal- ten haben. Es ist das gute Signal, dass unsere Gesell- schaft sie nicht vergessen hat und auch ihr Schicksal würdigt. So wird mit dem vorliegenden Gesetz zwar die Heimkehrerstiftung aufgelöst, das ist aber nur eine orga- nisatorische Änderung. Inhaltlich ist mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz ein neuer Akzent gesetzt. Für geschätzt 12 000 Heimkehrer, die nicht nur Ge- fangenschaft erdulden mussten, sondern über deren Schicksal in der SBZ und späteren DDR einfach hinweg- gegangen wurde, ist eine gute Lösung gefunden worden. Wir haben eine gesellschaftliche Anerkennung in das Gesetz geschrieben. Das ist ein Akt historischer und ge- sellschaftlicher Gerechtigkeit, ein Beitrag zum Zusam- menwachsen unseres Vaterlandes, ein Beitrag zur inne- ren Einheit Deutschlands. Über acht Jahre haben wir von CDU und CSU uns dafür eingesetzt, dass den Kriegs- heimkehrern im Osten das zuteil werden kann, was im Westen ganz selbstverständlich war: eine Würdigung ih- res Schicksals. Daher freue ich mich, dass unser Koali- tionspartner von der SPD sich, wenn auch spät, hat über- zeugen lassen. Es ist auch gut, dass es mit den Änderungsanträgen ferner gelungen ist, eine dauerhafte Auszahlung der Rentenleistungen für den Berechtigtenkreis bis zum Le- bensende sicherzustellen. Alles andere wäre auch wür- delos gewesen. Somit verbindet sich mit der Auflösung der Heimkehrerstiftung für alle Betroffenen eine gute Perspektive. Im Übrigen – das sei in Richtung der Linksfraktion gesagt – verbindet sich mit der von uns seit Jahren gefor- derten und nun gefundenen Lösung auch eine gute Per- spektive für die Mitarbeiter der Heimkehrerstiftung. Für die Umsetzung dieses Beschlusses bedarf es qualifizier- ten Personals. Daher bin ich sicher, dass sich für die Be- schäftigten der Heimkehrerstiftung eine adäquate Wei- terbeschäftigung finden wird. Mit der gefundenen Einigung für die Heimkehrer Ost konnte ein weiteres Kapitel im Kriegsfolgenrecht einer guten, sozialverträglichen Lösung zugeführt werden. Al- lerdings sind auch mit dieser gefundenen Lösung noch nicht alle Fragen beantwortet, es sind Schicksale auch weiterhin bis heute unberücksichtigt und unbeachtet ge- blieben. Daher ist es unbedingt notwendig, dass wir so- wohl bei der Aufarbeitung der Kriegsfolgen als auch bei der Aufarbeitung des SED-Unrechts das bisher Geleis- tete überprüfen, um festzustellen, wo noch lösungsbe- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12925 (A) (C) (B) (D) dürftige Fragen bestehen, wo noch Schicksale bis heute offen sind. In beiden historischen Bereichen, beim SED- Unrecht und beim Kriegsfolgenrecht, sollten wir uns dieser Mühe unterziehen, um mit einer Schlussgesetzge- bung unserer historischen Verantwortung in Bezug auf die Opfer gerecht zu werden. Sechs Jahrzehnte nach Kriegsende sind auch im Be- reich des Kriegsfolgenrechts, so meinen wir von CDU und CSU, noch nicht alle Fragen gelöst, Menschen- schicksale oftmals ohne Würdigung geblieben. In der Bundesrepublik Deutschland und auch in den ehemali- gen deutschen Gebieten leben heute noch viele Men- schen, die als Zivilisten, häufig im jugendlichen Alter, verschleppt und zu Zwangsarbeit herangezogen worden sind. Viele von ihnen mussten unter härtesten, men- schenunwürdigen Bedingungen, vor allem im Bergbau, Zwangsarbeit verrichten. Besonders bei den Frauen gin- gen damit nicht selten körperliche Übergriffe einher. Viele Menschen verloren im Zusammenhang mit Zwangsarbeit ihr Leben. Diejenigen, die überlebt haben, leiden auch heute häufig noch unter den Spätfolgen. Im Jahr 2001 hat der Deutsche Bundestag für die aus- ländischen Opfer von Zwangsarbeit die Stiftung „Erin- nerung, Verantwortung und Zukunft“ beschlossen, die in diesem Jahr ihre Auszahlungen abgeschlossen hat. Dies war gut und richtig. Es wäre aber auch richtig, für die deutschen zivilen Opfer von Zwangsarbeit, von denen ja heute im Wesentlichen nur noch die zum damaligen Zeitpunkt jüngsten Opfer leben, eine humanitäre Geste zur Würdigung ihres schweren Schicksals bereitstellen zu können. Denn das, was viele Menschen als Zwangs- arbeiter erdulden mussten, lässt sich eben nicht unter den Begriff eines allgemeinen Kriegsfolgenschicksals fas- sen. Das gerne angeführte Gegenargument, 60 Jahre da- nach sei es für eine solche Geste zu spät, verfängt nicht. Für die ausländischen Opfer von Zwangsarbeit, die wäh- rend des Krieges nach Deutschland Verschleppten, haben wir auch erst sehr spät eine Lösung gefunden. Zeitablauf kann kein Argument dafür sein, bisher Ver- säumtes nicht nachzuholen. Das gilt nicht nur für die zi- vilen, deutschen Opfer von Zwangsarbeit. Das gilt auch für die sogenannten „Wolfskinder“: keine große Gruppe, aber eine besonders schwer geschädigte. Die histori- schen Ereignisse, die sich damit verbinden, sind herzzer- reißend. Allein die Beschäftigung und ehrliche Ausein- andersetzung mit diesem Kapitel liefert einen wichtigen Beitrag zu einem verantwortlichen Umgang mit unserer Geschichte. Mit dem Inkrafttreten des 3. SED-Unrechtsbereini- gungsgesetzes in diesem Sommer wurde die Opferpen- sion für politische Häftlinge der SBZ/DDR geschaffen. Das war ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung des SED-Unrechts. Aber auch hier sind noch Fragen offen. Beispielhaft nenne ich hier die Zwangsausgesiedelten aus dem Bereich der ehemaligen innerdeutschen Grenze und das Schicksal verfolgter Schüler, deren berufliche Benachteiligung nicht durch das Berufliche Rehabilitie- rungsgesetz erfasst worden ist. Ein Außerachtlassen die- ser Schicksale wäre ein schlimmes historisches Ver- säumnis. Daher freue ich mich, dass sich unser Koalitionspart- ner von der SPD nun doch, nach langem Zögern, dazu bereitgefunden hat, die bisherigen Gesetze im Bereich des Kriegsfolgenrechts und zur Aufarbeitung des SED- Unrechts zu analysieren, um festzustellen, in welchen Bereichen noch offene und lösungsbedürftige Fragen be- stehen. Daher werbe ich nochmals für Schlussgesetzge- bungen in beiden Bereichen. Das wäre ein großer Bei- trag zu historischer Verantwortung und Gerechtigkeit. Maik Reichel (SPD): Wir beraten heute abschließend den Gesetzentwurf zur Aufhebung der Heimkehrerstif- tung und zur Finanzierung der Stiftung für politische Häftlinge einschließlich eines Änderungsantrages der Koalitionsfraktionen. Wir behandeln damit auch ein Ka- pitel deutscher und europäischer Geschichte. Die Grund- lagen für die Heimkehrerstiftung liegen im 1954 be- schlossenen Gesetz über die Entschädigung ehemaliger Kriegsgefangener. Dieses heute zu beschließende Gesetz sieht vor, die Heimkehrerstiftung, eine bundesunmittelbare Stiftung des öffentlichen Rechts, zum 31. Dezember 2007 aufzu- heben. Damit ist aber die Aufgabe immer noch nicht be- endet. Die Zuständigkeit für die Leistungsgewährung wird auf das Bundesverwaltungsamt übertragen. Wir re- geln mit diesem Gesetz, dass die einmaligen Unterstüt- zungsleistungen nach § 3 Abs. 1 HKStAufhG mit Ablauf des Jahres 2009 enden. Das Antragsende wird auf den Tag der Gesetzesverkündung geschoben. Dagegen ge- währen wir weiterhin nach § 3 Abs. 2 und 3 HKStAufhG die Rentenzusatzleistung ohne Befristung. Ich möchte mich an dieser Stelle bei meinem Berichterstatterkolle- gen Dieter Baumann und bei Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Christoph Bergner für die konstrukti- ven Gespräche bedanken, und dafür, dass sie diese von der SPD-Fraktion gewünschte Weiterzahlung der Ren- tenzusatzleistungen mittragen. Damit wollen wir weiter- hin zu unserer Verantwortung stehen, denen Hilfe zu- kommen zu lassen, die durch einen der schrecklichsten Kriege in der Menschheitsgeschichte in Haft gekommen sind und dort Not und Leid erfahren und in ihrer weite- ren persönlichen Entwicklung Entbehrungen erlitten ha- ben. Mehr als 300 Millionen Euro wurden durch die Heim- kehrerstiftung an Betroffene ausgezahlt. Noch heute er- halten etwa 11 500 Personen Rentenzusatzleistungen. Weitere Anträge liegen für Rentenzusatzleistungen und die einmalige Unterstützung noch vor. Daran sehen wir, dass die Aufgabe der Stiftung noch nicht ganz beendet ist. Das Bundesverwaltungsamt wird aber die Weiterfüh- rung dieser Aufgaben in der jetzigen bzw. in der heute zu beschließenden Gesetzeslage weiterhin gut ausführen. Im Weiteren regeln wir die Finanzierung der Unter- stützungsleistungen nach dem Häftlingshilfegesetz. Jetzt stehen in den Jahren 2007 bis 2009 jeweils 2,18 Millio- nen Euro zur Verfügung, jährlich circa l,4 Millionen Euro mehr als ursprünglich vorgesehen. Diese zusätz- lichen Mittel sollen vor allem Zivilinternierten und -de- portierten jenseits von Oder und Neiße zur Verfügung stehen. Empfänger sind außerdem ehemalige politische 12926 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) Häftlinge aus dem kommunistischen Machtbereich so- wie deren hinterbliebene Ehegatten, Kinder und Eltern, um deren Notlage zu lindem. Die Aufstockung der Mit- tel liegt aber auch darin begründet, dass die nunmehrige Hauptaufgabe der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge nicht mehr in den Ausführungen des Häft- lingshilfegesetzes liegt, sondern in der Ausführung des strafrechtlichen Rehabilitationsgesetzes. Darauf reagie- ren wir. Neu eingeführt wird im Art. 3 eine einmalige Ent- schädigung an die Heimkehrer aus dem Beitrittsgebiet, der einstigen Sowjetischen Besatzungszone und der spä- teren Deutschen Demokratischen Republik. Das sie bis 1989/90 keine Entschädigung nach den Richtlinien der Häftlingshilfestiftung erhalten konnten, sollen sie zum Ausgleich für den erlittenen Gewahrsam eine einmalige Entschädigung erhalten. Die Höhe der einmaligen Ent- schädigung für jeden Berechtigten beträgt nach § 4 Abs. 1 des Gesetzes über die einmalige Entschädigung, gestaffelt nach der Dauer des Gewahrsams: für die Ent- lassungsjahrgänge 1947 und 1948 500 Euro, für die Ent- lassungsjahrgänge 1949 und 1950 1 000 Euro und für die Entlassungsjahrgänge ab 1951 1 500 Euro. Der An- spruch bleibt bei Sozialleistungen, deren Gewährung von anderen Einkünften abhängig ist, unberücksichtigt. Auch mehr als 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bleiben die Folgen immer noch erkennbar. Dessen sind wir uns auch mit diesem Gesetz bewusst. Ich möchte mich im Namen meiner Fraktion bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Heimkehrerstif- tung für ihre Arbeit, die ein Teil der Aufarbeitung der deutschen Geschichte ist, bedanken und ihnen in ihren neuen Verwendungen, die durch das Bundesinnenminis- terium angekündigt wurde und durch meine Fraktion nachdrücklich unterstützt wird, alles Gute wünschen. Dr. Max Stadler (FDP): Mit dem Gesetzentwurf greift die Bundesregierung eine nunmehr zehn Jahre alte Prüfmitteilung des Bundesrechnungshofs auf. Dieser war seinerzeit zu dem Ergebnis gekommen, dass sich der Zweck der Heimkehrerstiftung, die wirtschaftliche und soziale Förderung ehemaliger Kriegsgefangener, „im Wesentlichen erledigt“ habe. Deshalb sei eine Aufhe- bung der Stiftung zu erwägen. Die FDP-Bundestagsfraktion hält diese Auffassung grundsätzlich für zutreffend. Die noch vorhandenen Auf- gaben rechtfertigen in der Tat keine eigenständige Stif- tung mehr. Es ist daher richtig, die Aufgaben auf das Bundesverwaltungsamt zu übertragen. Die FDP-Bun- destagsfraktion übersieht nicht, dass hiermit ein Wegfall der Vertretung der Opferverbände bei der Mittelvergabe verbunden ist. Sie vertraut aber auf die Richtigkeit der Einschätzung der Bundesregierung, dass aus demografi- schen Gründen die Repräsentation der Betroffenen in den Stiftungsgremien praktisch kaum mehr zu verwirkli- chen sei. Zu begrüßen ist, dass mit der Aufhebung der Stiftung nunmehr nicht, wie von der Bundesregierung ursprüng- lich beabsichtigt, die ersatzlose Streichung der Renten- zusatzleistungen für bedürftige Kriegsheimkehrer und Kriegerwitwen mit Ablauf des Jahres 2009 verbunden sein wird. Der Änderungsantrag der Koalitionsfraktio- nen sieht vor, bewilligte Rentenzusatzleistungen bis zum Versterben des Begünstigten weiter zu gewähren. Eine solche ersatzlose Streichung der Leistungen wäre im Hinblick auf die Rechtsstaatsgarantie und das Sozial- staatsprinzip sowie das Recht auf Eigentum zumindest bedenklich gewesen. Möglicherweise hätten sich auch Mehrbelastungen für die Sozialhilfeträger ergeben. Auf jeden Fall wären hiermit Härten für die Betroffenen ver- bunden gewesen, die so vermieden werden. Es erscheint mir wirklich nicht zumutbar, Menschen, die vielleicht schon in ihrem achten oder neunten Lebensjahrzehnt ste- hen, auf die Möglichkeit zu verweisen, Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen. Die Mehrbelastungen für den Bundeshaushalt, die sich aus der Weitergewährung der Rentenzusatzleistungen über das Jahr 2009 hinaus erge- ben, halten sich zudem in vertretbaren Grenzen. Das Ziel, den Haushalt zu konsolidieren, wird hierdurch nicht gefährdet. Ebenfalls zu begrüßen ist die Unterstützung der Zi- vilinternierten und -deportierten aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten jenseits von Oder und Neiße, wie sie ebenfalls Gegenstand des Änderungsantrags der Ko- alitionsfraktionen ist. Damit wird nunmehr endlich ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag eingelöst und eine bislang „vergessene“ Opfergruppe in den Kreis der Anspruchsberechtigten einbezogen. Die FDP-Bundes- tagsfraktion hat sich hierfür stets eingesetzt, zuletzt im Zusammenhang mit der Beratung des 3. SED-Unrechts- bereinigungsgesetzes. Ob die hierfür vorgesehenen Mit- tel ausreichen werden, bleibt abzuwarten. Die FDP-Bun- destagsfraktion wird dies sehr genau im Auge behalten. Der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen sieht darüber hinaus eine Einmalleistung für Kriegsgefangene und Geltungskriegsgefangene vor, die nach ihrer Gefan- genschaft in die Sowjetische Besatzungszone, SBZ, bzw. Deutsche Demokratische Republik, DDR, heimkehrten. Die FDP-Bundestagsfraktion sieht hierin ein überfälliges Symbol der Anerkennung und eine Geste der Wiedergut- machung gegenüber ostdeutschen Heimkehrern. Zu kri- tisieren ist allerdings, dass Mittel hierfür erst im Haus- haltsjahr 2009 zur Verfügung gestellt werden sollen. Diese Kritik mag man als kleinlich abtun. Für uns ist sie das nicht. Im Hinblick auf das weit fortgeschrittene Alter der noch lebenden ehemaligen Kriegsgefangenen hätte man sich hier eine großzügigere Lösung gewünscht. Unsere weitere Kritik gilt dem Ablauf des Gesetzge- bungsverfahrens. Der eigentliche Beratungs- und Ab- stimmungsgegenstand ergibt sich nicht aus dem Gesetz- entwurf der Bundesregierung vom 27. Juni 2007, sondern aus dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktio- nen vom 1. November 2007. Offensichtlich haben CDU/ CSU und SPD so lange gebraucht, um sich auf eine halb- wegs vertretbare Lösung zu verständigen. Wofür die Koalition vier Monate braucht, soll die Opposition dann in vier Tagen nachvollziehen. Ordnungsgemäße Gesetz- gebung sieht anders aus. Noch schlechter als den Oppositionsfraktionen ergeht es den Beschäftigten der Heimkehrerstiftung. Diese wer- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12927 (A) (C) (B) (D) den bis zum heutigen Tage darüber im Unklaren gelas- sen, wo sie ab dem 1. Januar 2008 ihren Dienst versehen dürfen. Im Gesetzentwurf heißt es lapidar: „Das Stif- tungspersonal soll vom Bund übernommen werden.“ Was dies genau heißt, konnte die Bundesregierung auch auf meine Nachfrage hin nicht mitteilen. In ihrer Ant- wort auf eine schriftliche Frage vom 23. Oktober 2007 heißt es sogar, die „Absichtserklärung einer Personal- übernahme entbinde die Mitarbeiterinnen und Mitarbei- ter der Heimkehrerstiftung nicht davon, sich bereits jetzt und auch in Zukunft zusätzlich selbst aktiv um eine berufliche Tätigkeit innerhalb und außerhalb des öffent- lichen Dienstes zu bemühen“. Eine Informations- veranstaltung über die künftigen Beschäftigungsmög- lichkeiten werde voraussichtlich im Dezember 2007 durchgeführt werden. So sollte man mit Beschäftigten nicht umgehen. Ein Dienstherr, der sich so verhält, wird seiner Fürsorgepflicht nicht gerecht und setzt die Moti- vation seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leichtfer- tig aufs Spiel. Die FDP-Bundestagsfraktion kritisiert dies nachdrücklich und fordert die Bundesregierung auf, nunmehr endlich Klarheit zu schaffen und das Verspre- chen, das Personal zu übernehmen, unverzüglich einzu- lösen. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass die FDP-Bun- destagsfraktion dem Gesetzentwurf unter diesen Um- ständen nicht zustimmen kann, sondern sich der Stimme enthalten wird. Petra Pau (DIE LINKE): Erstens. Wir entscheiden heute über das „Heimkehrerstiftungsaufhebungsgesetz“. Ich merke erneut an: Kein zweiter Berufstand vermag solche Wortungetüme zu schöpfen wie die Gesetzes- schreiber im Bundestag. Deshalb für Normalbürger: Es gibt seit 1969 eine Bundesstiftung, die sich um Kriegs- heimkehrer kümmert. Sie hat nunmehr ihren Sinn erfüllt. Deshalb kann und soll sie ihre Arbeit Ende 2007 einstel- len. Das muss der Bundestag beschließen und zwar per Gesetz. Die Linke stimmt dem zu. Zweitens. Bleibt die Frage: Was wird mit den Mitar- beiterinnen und Mitarbeitern der Stiftung? Bisher hat die Bundesregierung stets geantwortet, das könne sie erst entscheiden, wenn die Schließung der Stiftung beschlos- sen sei. Das wird in wenigen Minuten geschehen. Und deshalb hat die Linke einen weiteren Antrag gestellt. Wir wollen, dass der Bundestag die Bundesregierung auffor- dert, das Stiftungspersonal im Raum Bonn und Umge- bung in Bundesbehörden zu übernehmen. Denn es reicht nicht, dem Stiftungspersonal zu danken. Man muss ihm auch eine Zukunft eröffnen. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die heute beschlossene Reform der Heimkehrerstiftung ist eine gute Entscheidung; denn diese Reform findet den Mittelweg zwischen der Fortsetzung einer wichtigen und richtigen Arbeit und dem schrittweisen Abbau ei- ner in dieser Form mittelfristig nicht mehr benötigten Behörde. Es muss aber auch gesagt werden, dass der ursprüng- lich von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf die- sen Ansprüchen nicht genügt hat. Er sah die Abwicklung der Stiftung und die Einstellung der Leistungen zum Jah- resende 2009 vor. Damit hätten die ehemaligen Kriegs- gefangenen und ihre Hinterbliebenen nicht mehr auf die finanzielle Unterstützung durch die Stiftung zählen kön- nen. Häufig finanziell sehr schlecht gestellten Menschen wäre eine in absoluten Zahlen zwar nicht besonders hohe, für sie aber individuell sehr wichtige Unterstüt- zung verloren gegangen. Neben dieser finanziellen Ein- buße hätten sicher nicht wenige Betroffene auch den Eindruck gehabt, dass ihnen eine Anerkennung nicht nur nicht gewährt, sondern ausdrücklich wieder entzogen wird. Warum die Große Koalition zwei Anläufe gebraucht hat, um diese offensichtlichen Probleme zu erkennen, bleibt ihr Geheimnis. Es bleibt auch ihr Geheimnis, wa- rum sie zum Bürokratieabbau und zur Haushaltskonsoli- dierung ausgerechnet auf die Heimkehrerstiftung verfal- len ist. Der Bund hat der Stiftung für die Gewährung von Leistungen zuletzt jährlich circa 2 Millionen Euro für einmalige Zahlungen zur Unterstützung in Notfällen und weitere circa 4 Millionen Euro für Rentenzusatzleistun- gen zur Verfügung gestellt. Rechnet man noch die circa 1 Million Euro für Verwaltungskosten hinzu, ergibt sich ein jährlicher Aufwand von 7 Millionen Euro. Das ist nicht wenig Geld, und der Anteil der Verwaltungskosten ist sicher zu hoch. Setzt man diese 7 Millionen Euro mit dem Gesamthaushalt des Bundes in Relation, handelt es sich um einen Anteil von weniger als 0,03 Promille. Dann stellt sich schon die Frage, ob dies die richtige Stelle zum Sparen ist, zumal es sich bei den Empfängern ja zumeist um sehr alte Menschen handelt, die ihre Ren- tenzusatzleistungen nur noch für wenige Jahre erhalten werden. In ihrer Rechnung im Änderungsantrag gehen die Koalitionsfraktionen auch davon aus, dass bis 2015 für die Rentenzusatzleistungen nur noch Kosten von circa 13 Millionen Euro anfallen werden, pro Jahr also durchschnittlich gerade einmal 1,6 Millionen Euro. Des- halb war es der falsche Ansatz, gerade hier den Rotstift anzusetzen und die Stiftung und die Zahlungen schon bis 2010 abwickeln zu wollen. Da dieser Mangel aber nun korrigiert ist, werden Bündnis 90/Die Grünen dem Ge- setzentwurf der Bundesregierung zustimmen. Vier wichtige Punkte seien noch kurz angesprochen: Zum einen ist es gut, dass mit dem Heimkehrerentschä- digungsgesetz eine gut handhabbare Regelung für die Menschen gefunden wurde, die bisher nicht von den Leistungen der Heimkehrerstiftung profitieren konnten. Zweitens freut es mich, dass auch für die Leistungen nach dem Häftlingshilfegesetz erhöhte Finanzzuweisun- gen vorgesehen sind. Es ist drittens zu begrüßen, dass die Stiftung als solche schon vor dem Ende ihrer Auf- gabe aufgelöst wird und ihre Aufgaben dem Bundesver- waltungsamt übertragen werden; denn es ist ja absehbar, dass der Verwaltungsaufwand spürbar zurückgehen und in den nächsten Jahren immer weiter abnehmen wird. Die Übertragung der Aufgaben erlaubt es, das Personal der Stiftung zunächst mit der gleichen Aufgabe unter dem Dach des Bundesverwaltungsamtes zu betrauen, um dann nach und nach neue Aufgaben zu finden. 12928 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) Das bringt mich zum letzten, aber nicht unwichtigsten Punkt. In ihrem Gesetzentwurf erklärt die Bundesregie- rung ihre Absicht, die Angestellten der Stiftung weiter zu beschäftigen. Das ist auch nur recht und billig. Diese Menschen haben ihre Aufgabe über Jahre gewissenhaft erfüllt, und es sollte ihnen nun nicht zum Nachteil gerei- chen, dass sie bei einer Stiftung mit nur einer Aufgabe und nicht bei einer Behörde mit einem breiteren Spek- trum an Zuständigkeiten gearbeitet haben. Aber natür- lich gilt auch für sie, dass sie sich nach dem absehbaren Wegfall ihres jetzigen Arbeitsfeldes neuen Aufgaben in der Bundesverwaltung zuwenden. Ihnen diese Möglich- keit nicht zu geben, hieße, ihre bisherige Leistung nicht anzuerkennen. Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Die Erweiterungs- und Nachbar- schaftspolitik der Europäischen Union weiter entwickeln (Tagesordnungspunkt 24) Michael Link (Heilbronn) (FDP): Als Folge der letz- ten Erweiterungsrunde 2004/2007 grenzt die Europäi- sche Union heute an mehr Nachbarn und Großräume als je zuvor in ihrer Geschichte. Wir reden hier heute insbe- sondere über unsere Nachbarn im Süden und im Osten der EU. Beide Gruppen verfügen zum heutigen Zeit- punkt über keine EU-Beitrittsperspektive, lediglich die Nachbarn im Osten haben die sehr vage Perspektive ge- mäß Art. 49 EU-Vertrag, wonach die Union allen euro- päischen Staaten offen steht, die die Aufnahmekriterien erfüllen. Doch ob Beitrittsperspektive oder nicht: Diese Nachbarn existieren, und die EU braucht eine überzeu- gende Strategie für den Umgang mit ihren Nachbarn. Deshalb brauchen wir die Europäische Nachbarschafts- politik, ENP. Die ENP wurde 2003 von der Europäischen Kommis- sion ins Leben gerufen, um sowohl der Union wie auch ihren unmittelbaren Nachbarstaaten die Möglichkeit für den Ausbau ihrer politischen, ökonomischen wie auch kulturellen Beziehungen zu bieten. Ihr ausdrückliches Ziel ist es, in einem vereinigten Europa die Entstehung neuer Trennlinien zu verhindern und einen gemeinsamen Raum des Wohlstands, des Frie- dens und der Stabilität zu schaffen. Die Nachbarschafts- politik ist ein klarer Ausdruck des politischen Willens der Union, auf der Grundlage gemeinsamer Werte die Partnerstaaten wesentlich auf ihrem Weg zu nachhalti- gen politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Reformen zu stärken und zu unterstützen. Diese Reformpartnerschaft gründet wesentlich auf ei- nen verstärkten politischen Dialog zwischen den Part- nern, technische und finanzielle Aufbauhilfen im Rah- men des Europäischen Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstrumentes, ENPI, und eine verstärkte bilaterale wie regionale Kooperation in den Bereichen Handel, Energie, Sicherheit und Umwelt. Die politische und wirtschaftliche Kooperation wird begleitet durch eine dritte Dimension, die menschliche Dimension. Bila- terale und regionale Austauschprogramme im wissen- schaftlichen und kulturellen Bereich sowie die Förde- rung des Kontaktes zwischen den Bürgern der Union und der Nachbarstaaten bzw. -regionen sollen die gegen- seitigen Kenntnisse bereichern und so das Verständnis und die Toleranz gegenüber anderen Kulturen stärken. Dies ist besonders wichtig im Zusammenhang der ge- waltsamen Konflikte in den Nachbarregionen, deren Lö- sung ein wichtiges Anliegen der Union ist. Mir ist bewusst, dass viele unter Ihnen die Logik einer Politik infrage stellen, die für sich beansprucht, Länder und Regionen mit so unterschiedlichen geschichtlichen Erfahrungen, Gesellschaften und Traditionen in einem gemeinsamen Ansatz zu verbinden. Auch wurde die Be- deutung der Nachbarschaftspolitik im Hinblick auf eine Beitrittsperspektive schon oft diskutiert. Aber diese Ein- lasse verkennen einen wichtigen Punkt: Die Zusammen- führung der vormals isolierten Politiken gegenüber den Staaten der südlichen und östlichen Nachbarregion in ei- nem kohärenten und integrativen Konzept ist eine essen- zielle Voraussetzung für die Lösung der Herausforderun- gen, denen wir heute gegenüberstehen. Herausforderungen wie die Bekämpfung von organi- sierter Kriminalität in den Bereichen Geldwäsche, Men- schen- und Drogenhandel, die Eindämmung der kata- strophalen Folgen illegaler Migration und schließlich auch der Kampf gegen die Bedrohung durch fundamen- talistische Terrororganisationen – mögen sie religiös oder politisch motiviert sein – können nur durch eine verstärkte regionale Kooperation und den konsistenten Einsatz von Mitteln und Ressourcen der EU wie der Mit- gliedstaaten bewältigt werden. Die ENP bietet eben die Möglichkeit für eine gemeinschaftliche Politik, die so- wohl die Interessen der EU sowie ihrer Mitgliedstaaten vertritt, aber Antwort auf die politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Herausforderungen gibt. Deshalb ist es unerlässlich, daß die ENP ein eigen- ständiger Politikansatz bleibt, der konzeptionell unab- hängig von der Erweiterungspolitik wie auch der klassi- schen Entwicklungspolitik der Union ist. Die Nachbarschaftspolitik ist weder ein Ersatz für die Erwei- terung, eine Art Abstellgleis für unerwünschte oder ge- scheiterte Mitgliedskandidaten, noch darf sie als Vor- stufe zur Aufnahme in die nächste Erweiterungsrunde verstanden werden. Auch wenn eine Mitgliedschaft für alle heutigen Part- ner der ENP kurz- und mittelfristig ausgeschlossen ist, so bleibt die Differenzierung der Partnerstaaten in „Nachbarn Europas“ in Bezug auf die südliche Dimen- sion und „Europäische Nachbarn“ in Bezug auf die östli- che Dimension, wie Sie im Kommissionspapier von 2003 vorgenommen wurde, aus unserer Sicht bedeut- sam. Die Mitgliedsperspektive darf jedoch nicht als Au- tomatismus begriffen werden. Im Gegenteil, sie ist ab- hängig von den Reformfortschritten des jeweiligen Landes und dem glaubwürdigen politischen Willen, die wirtschaftlichen und politischen Kriterien des Gipfels von Kopenhagen zu verwirklichen. Will sie auch in Zu- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12929 (A) (C) (B) (D) kunft erfolgreich sein, muss das Prinzip der Differenzie- rung ein wichtiges Element der ENP bleiben. Hier gilt das Prinzip des Tüchtigen, Reformfortschritte sollen mit einem deutlichen Mehr an europäischem Engagement belohnt, Reformverzögerungen und Verletzungen der essenziellen Prinzipien der Partnerschaft soll mit geeig- neten Maßnahmen begegnet werden. Die ENP muss da- her mit Blick auf die Partnerstaaten differenzieren. Diese Differenzierung ist auch bedeutend im Hinblick auf die Bedürfnisse und Möglichkeiten der Partnerstaaten. Ins- besondere wir als Europäische Union, eine politische Union, die aus der Vielfalt 27 unterschiedlicher Staaten zusammengesetzt ist, darf die Verschiedenheit unserer ENP-Partner nicht ignorieren. Die ENP muss eine bilaterale Kooperationspartner- schaft ermöglichen, die den beiderseitigen Anforderun- gen und Bedürfnissen gerecht wird. Nichtsdestotrotz muss es eine Differenzierung innerhalb eines kohärenten Politikkonzeptes sein. Nicht nur die Annäherung des je- weiligen Partnerstaates an die Union, sondern auch die Förderung der regionalen Zusammenarbeit, ja wo mög- lich der regionalen Integration innerhalb der Partnerregi- onen, ist ein wichtiges Ziel der ENP. Aus diesem Grund plädieren wir für einen stärkeren Ausbau der regionalen Komponenten der Europäischen Nachbarschaftspolitik, vor allem bezüglich der beiden regionalen Großräume Schwarzmeerregion und Mittelmeeranrainer, Stich- wort „Schwarzmeersynergie“ und der sogenannte Bar- celona-Prozess. In diesem Sinne sieht die FDP übrigens in der von Präsident Sarkozy angemahnten neuen Mit- telmeerpartnerschaft durchaus positive und konstruk- tive Zeichen. Die Kooperation innerhalb wie auch zwischen diesen beiden Sparten einer regional ausdif- ferenzierten und maßgeschneiderten ENP ist nach Mei- nung der FDP essenziell für die Fortentwicklung und den Erfolg der ENP. Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: – zu der Verordnung der Bundesregierung: Fünfte Verordnung zur Änderung der Ver- packungsverordnung – zu dem Antrag: Verpackungsverordnung sachgerecht novellieren – Weichen stellen für eine moderne Abfall- und Verpackungs- wirtschaft in Deutschland – zu dem Antrag: Weg vom Öl im Kunststoff- bereich – Chance der Novelle der Verpa- ckungsverordnung nutzen und mit Bio- kunststoffen echte Kreisläufe schließen (Tagesordnungspunkt 26) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Die Linke be- grüßt, dass die Novelle der Verpackungsverordnung mehr Gerechtigkeit schafften will. Künftig müssen sich nun alle Inverkehrbringer von Verpackungen an der Finanzierung der Sammlung und Verwertung ihrer Ver- packungen beteiligen. Die Trittbrettfahrerei über das Schlupfloch der sogenannten Selbstentsorger ist dann hoffentlich Geschichte. Zu begrüßen ist auch die Strei- chung der Ausnahme von der Pfandpflicht für Verpa- ckungen diätetischer Getränke. Sie wurde vielfach mit fantasievoller Namensgebung missbraucht. Hier hört das Lob aber auch auf, denn die Novelle hat zwei gravie- rende Schwächen: Zum einen dürfen stoffgleiche Nichtverpackungen auch mit dieser Novelle nicht in den gelben Sack. Aber Kunststoffgieskannen oder Quietscheentchen wären vielleicht besser zu recyceln als verklebte Yoghurt- becher. Darum tritt die Linke dafür ein, die Produktver- antwortung der Verpackungsverordnung auf stoffglei- che Nichtverpackungen auszudehnen. Umweltminister Gabriel hat eine solche Erweiterung ja angekündigt. Wir fragen uns, warum sie nicht Bestandteil der neuen Ver- ordnung ist. Zum anderen hat die Novelle für das gegenwärtig größte Problem – zumindest aus umweltpolitischer Sicht – überhaupt keine Lösung: Trotz des Pflichtpfandes für Einwegflaschen und -dosen sinkt die Mehrwegquote un- aufhörlich. Nur noch 31 Prozent der alkoholfreien Ge- tränke werden in wiederbefüllbaren Verpackungen ver- kauft. In den 90er-Jahren waren es über 70 Prozent. Wir denken, dass eine zusätzliche Einwegabgabe die Händler vom ökologischen Vorteil der Mehrwegverpackungen überzeugen könnte. Noch ein Wort zu Wirtschaftsminister Michael Glos, der ja das Duale System mittelfristig abschaffen will und dafür alternativ eine gemeinsame Entsorgung aller Haushaltsabfälle einführen möchte. Die Anhörung des Umweltausschusses hat noch einmal klar gemacht, dass die haushaltsnahe Trennung der Abfallfraktionen gegen- wärtig noch die beste und preiswerteste Art ist, um zu qualitativ hochwertigen Abfallfraktionen zu kommen. Und nur Sekundärrohstoffe in solch hohen Qualitäten lassen sich auch in der Industrie sinnvoll einsetzen. Zwar gibt es inzwischen auch Technik, die Gemischtabfall trennen kann. Diese ist aber noch nicht ausgereift und teuer. Großtechnisch für die gesamte Siedlungsabfall- wirtschaft ist sie noch nicht einsetzbar. Sie rechnet sich wohl nur, wenn ein Großteil der wertvollen Sekundär- rohstoffe in Verbrennungsöfen landet. Genau dies ist ja das Ziel von Minister Glos. Das lehnen wir natürlich ab. Aus Sicht des Ressourcen- und Klimaschutzes muss an erster Stelle ohnehin die Abfallvermeidung treten. Aus diesem Blickwinkel birgt die Gemischttonne die Gefahr, dass sich die Gesellschaft vorgaukelt, Abfall sei kein Problem mehr. Die FDP wiederum will mit dem in ihrem Antrag vor- geschlagenen Zertifikatesystem mehr Markt und Flexibi- lität. Grundsätzlich könnte ein Zertifikatesystem viel- leicht tatsächlich zu besseren Verwertungsqualitäten und weniger Bürokratie beitragen. Schließlich würde der Staat die Zertifikate direkt für eine nachgewiesene Ver- wertung an die Recycling- und Verwertungsbetriebe aus- geben. Das könnte die zunehmende Intransparenz beim 12930 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) Verwertungsnachweis über die Kaskade von Verpflichte- ten über Beauftragte hin zu Sub- und Sub-Sub-Unterneh- men an dieser Stelle beenden. Dies wäre der Charme ei- ner solchen Lösung. Allerdings will die FDP ja gar kein hochwertiges Recycling. Denn auch für die simple Ver- brennung soll es ja die wunderschönen Verwertungszer- tifikate geben. Das ist dann auch der Grund für unsere Ablehnung des Antrags, denn wir stehen für den Gedan- ken einer Kreislaufwirtschaft. Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Ände- rung des Regionalisierungsgesetzes – Entwurf eines Gesetzes zur effizienteren Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs (Regionalisierungsreformgesetz) – Beschlussempfehlung und Bericht: Verwen- dung der Regionalisierungsmittel offenlegen – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 27 a bis d) Klaus Hofbauer (CDU/CSU): Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte ist ein wesentliches Ziel in dieser Legislaturperiode. Zu diesem Ziel steht die Große Koalition. Auf die Regionalisierungsmittel haben sich im Zu- sammenhang mit dem Ziel der Haushaltskonsolidierung Auswirkungen ergeben. Wir sind jetzt bemüht, die nöti- gen Angleichungen vorzunehmen. Die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr ist eine Aufgabe der Daseinsvor- sorge. Die Daseinsvorsorge und damit der Personennah- verkehr gehören zu den Grundbedürfnissen der Men- schen, auf die sie einen grundgesetzlich verankerten Anspruch haben. Diesem Anspruch müssen wir als Ge- setzgeber gerecht werden. ÖPNV und SPNV sind die tragenden Säulen des öf- fentlichen Verkehrssystems. Sie sichern gleiche Lebens- verhältnisse von Stadt und ländlichem Raum und leisten einen ebenso wichtigen Beitrag zum Umwelt- und Kli- maschutz. Ohne einen effizienten ÖPNV bzw. SPNV lassen sich die verkehrs- und umweltpolitischen Heraus- forderungen der heutigen Zeit nicht bewältigen. Das Regionalisierungsgesetz hat die Aufgaben für den öffentlichen Personennahverkehr bzw. Schienenper- sonennahverkehr auf die Bundesländer übertragen. Da- durch müssen die Länder einer großen Verantwortung nachkommen, die nicht einfach zu schultern ist und viele Herausforderungen mit sich bringt. Dass die Länder dieser Verantwortung verkehrs-, wirtschafts- und umweltpolitisch durchaus gewachsen sind, haben sie über die Jahre eindrucksvoll bewiesen. Die Passagierzahlen haben sich deutlich erhöht, die Kos- ten konnten durch zunehmenden Wettbewerb gesenkt werden. Wir können stolz auf das sein, was sich im öf- fentlichen Nahverkehr getan hat. Um diese Erfolgsgeschichte auch weiterhin fortsetzen zu können, steht es außer Frage, dass der Bund den ÖPNV und damit die Ausübung der Verantwortung der Länder für den SPNV mit einem hinreichenden Finanz- beitrag auf hohem Niveau fördern muss. Diesem Um- stand trägt das heute zur Beratung und Verabschiedung stehende Gesetz Rechnung. Zugleich kommt die Große Koalition damit ihrer im Koalitionsvertrag festgeschrie- benen Verantwortung nach und hält Kurs auf ihr großes Ziel. Die Regelungen des vorliegenden Gesetzentwurfs schaffen eine Grundlage dafür, dass die Länder finan- ziell nun gut aufgestellt und ausreichend in der Lage sind, den ÖPNV bzw. SPNV angemessen zu bestellen. Für 2006 und 2007 bleibt es bei den nach dem Haus- haltsbegleitgesetz vorgesehenen Regionalisierungsmit- teln. Für die Jahre 2008 bis 2010 wird den Ländern für die Absenkung der Regionalisierungsmittel eine Kom- pensation von insgesamt 500 Millionen Euro auf gesetz- licher Grundlage gegeben, die sie zur Aufrechterhaltung der Bestellung von schienengebundenen Nahverkehren einsetzen können. Um den Ländern auch in Zukunft In- vestitionen in den Regionalverkehr zu ermöglichen, wird ab 2009 eine Dynamisierungslinie für die Regionalisie- rungsmittel vereinbart. Im Jahr 2008 erhalten die Länder Regionalisierungs- mittel in Höhe von 6 675,0 Millionen Euro aus dem Mi- neralölsteueraufkommen des Bundes. Ab dem Jahr 2009 steigt dieser Betrag jährlich um 1,5 Prozent. Bis zum Jahr 2014 erreicht er eine Höhe von 7 298,7 Millionen Euro. Es ist erfreulich, dass es gelungen ist, die ur- sprünglich im Koalitionsvertrag vorgesehene Einspa- rungssumme von 3,1 Milliarden auf 1,8 Milliarden Euro zu reduzieren. Im Jahr 2014 ist eine erneute Überprüfung der Höhe der Mittel und der Finanzierungsquelle mit Wirkung ab dem Jahr 2015 vorgesehen. Die Länder sollen jährlich die Verwendung der Mittel jeweils nach gemeinsam vereinbarten Kriterien transpa- rent darstellen. Wir brauchen diese vollständige Transpa- renz, denn nur so lässt sich ein hoher und effizienter Mit- teleinsatz politisch legitimieren. Als Vertreter des ländlichen Raumes hat mich die Thematik Regionalisierungsmittel in besonderem Maße beschäftigt. Das erzielte Ergebnis halte ich für einen gu- ten Kompromiss zwischen Bund und Ländern, sowohl aus verkehrspolitischer als auch aus haushaltspolitischer Sicht. Ich glaube auch, dass hier eine Lösung mit Per- spektive für die Zukunft aufgebaut werden kann. Die Länder erhalten Planungssicherheit und genügend Spiel- raum, um mit den zusätzlichen Einnahmen aus der Mehrwertsteuer bei der Förderung des öffentlichen Ver- kehrs eigene Prioritäten zu setzen. Für den Bund leistet das Ergebnis zugleich einen notwendigen Beitrag, das Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12931 (A) (C) (B) (D) Ziel der Haushaltskonsolidierung weiter verfolgen zu können. Dies war so beabsichtigt. Den Bundesländern gebührt großer Dank, dass sie bereit waren, dies mitzu- tragen. Den mit dem Regionalisierungsgesetz eingeschlage- nen erfolgreichen Weg wollen wir mit dem vorliegenden Gesetz weiter gehen. Der Bund ist bereit, finanziell wei- terhin einen hohen Beitrag zu leisten. Die Länder müs- sen im Gegenzug für eine effiziente und transparente Mittelverwendung sorgen und in ihren Haushalten Prio- ritäten für den ÖPNV setzen. Sie haben dafür ausrei- chend Spielraum. Unser Ziel ist die Sicherstellung einer bedarfsgerech- ten, zielgenauen und effizienten Finanzierung des öffent- lichen Nahverkehrs. Mit dem vorliegenden Gesetz tra- gen wir als Bund weiterhin zur Gewährleistung eines attraktiven Nahverkehrsangebots bei. Sören Bartol (SPD): Der Regionalverkehr ist unbe- stritten das Zugpferd des öffentlichen Personenverkehrs. Seine Bedeutung für die Erschließung der Fläche und als Zubringer zu den Städten und Ballungszentren ist in den letzten zehn Jahren deutlich gewachsen. Seit 1994 ist das Gesamtangebot über 25 Prozent gestiegen, die Zahl der beförderten Personen von 1,5 auf über 2 Milliarden. Der Schienenpersonennahverkehr hat zudem seinen Modal- Split-Anteil um 10 Prozent von 3,3 auf 3,7 Prozent aus- bauen können. Wenn man weiß, wie schwierig auch nur kleine Be- wegungen des Modal Split zu erkämpfen sind, zeigen diese Zahlen, dass das Regionalisierungsgesetz ein Er- folgsmodell ist. Der Bund hat eine über die Jahre solide finanzielle Basis geschaffen. Sie ist die Grundlage für die verbesserte Angebotsqualität im SPNV. In den gut zehn Jahren seit Inkrafttreten des Regionalisierungsge- setzes haben die Länder über 77 Milliarden Euro für den Regionalverkehr erhalten. Allein in den drei Jahren bis 2010 werden es weitere 21 Milliarden Euro sein. Heute wollen wir ein Gesetz beschließen, das diese Finanzierungsbasis auch für die Zukunft sichert. Es ist die Umsetzung der Zusagen, die die Bundesregierung den Ländern bei der Verabschiedung des Haushaltsbe- gleitgesetzes 2006 gegeben hat. Rückblickend möchte ich noch einmal betonen: Wir Verkehrspolitiker waren über die Kürzungen bei den Regionalisierungsmitteln nicht glücklich. Wir waren froh, dass es uns gelungen ist, im Laufe des parlamen- tarischen Verfahrens deutliche Verbesserungen zu er- zielen: Die ursprünglich zur Haushaltskonsolidierung geforderte Summe von rund 3,1 Milliarden konnte auf 2,3 Milliarden Euro reduziert werden. Mit dem vorlie- genden Gesetzentwurf erhalten die Länder nun die zu- sätzlich vereinbarte Kompensation. Erstens. Die Kürzungen werden um eine halbe Mil- liarde verringert. Zweitens. Die Regionalisierungsmittel werden ab 2008 wieder dynamisiert. Sie wachsen jähr- lich um 1,5 Prozent. Die Länder bekommen damit eine solide Planungsgrundlage für die nächsten sieben Jahre. Im Gegenzug fordern wir von ihnen mehr Transparenz bei der Mittelverwendung. Ich sage ganz klar: Die einmalige Information der Länder über die Mittelverwendung reicht uns nicht aus. Mehr Transparenz ist im Interesse von Bund und Län- dern, denn sie hilft uns, den Verdacht zu widerlegen, dass nicht alle Mittel zielgerichtet eingesetzt werden. Mehr Transparenz erleichtert es uns in Zukunft, andere fiskalpolitische Begehrlichkeiten abzuwehren. Wir wollen mehr Transparenz, lassen aber den Län- dern die Möglichkeit, die Kriterien selbst festzulegen. So wie die Grünen es in ihrem Antrag vorschlagen, geht es nicht. Eine jährliche Rechtsverordnung über die Krite- rien führt zu Endlosdiskussionen. Ihr Antrag schießt über das Ziel hinaus: Eine engere Zweckbindung, mehr Kontrolle und Sanktionen sind auf den ersten Blick sinn- volle Instrumente, um den effizienten Mitteleinsatz zu gewährleisten. Sie berücksichtigen aber nicht die finanz- verfassungsrechtlichen Grundlagen: Grundgesetzartikel 106 a begründet eine Zahlungspflicht des Bundes. Die Länder aber sind für die bestimmungsgemäße Verwen- dung der Mittel verantwortlich. Wenn wir mehr Transpa- renz wollen, dann geht das nur mit ihnen. Ich halte nichts davon, den Revisionszeitpunkt – wie es der Bundesrat will – auf 2019 zu verschieben. Die von der Bundesregierung vorgesehenen sieben Jahre bis zur Überprüfung geben einerseits genügend Planungssicher- heit auch für Investitionen, andererseits die Möglichkeit, auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren. Die sollten wir uns nicht nehmen lassen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist eine gute Grundlage dafür, den Regionalverkehr in den nächsten Jahren weiter zu stärken. Wenn die Länder argumentieren, dass ange- sichts steigender Trassenentgelte 1,5 Prozent Aufwuchs im Jahr zu wenig sind, dann ist das nur die halbe Wahr- heit, denn die Trassenentgelte machen nur 40 Prozent der Bestellentgelte aus. Die Erfahrungen zeigen zudem, dass die Länder reichlich Potenzial haben, die Regionalisie- rungsmittel noch zielgerichteter und effizienter einzuset- zen. Inzwischen werden 20 Prozent der bestellten Leitun- gen im Wettbewerb vergeben, in einzelnen Ländern wie NRW sogar 50 Prozent. Zwar dominiert immer noch deut- lich die DB AG, aber auch sie muss mehr Effizienz und Qualität bringen. Unser ist Ziel eine bedarfsgerechte, aber auch zielgenaue und effiziente Finanzierung des SPNV. Der Bund ist weiterhin bereit, einen hohen Finanzbeitrag zu leisten. Die Länder müssen im Gegenzug für eine effi- ziente und transparente Verwendung der Mittel sorgen. Ich bitte Sie deshalb um Zustimmung für den Gesetzent- wurf der Bundesregierung. Patrick Döring (FDP): Zuerst einmal möchte ich an dieser Stelle – zum wiederholten Male – mein Bedauern darüber ausdrücken, dass die Koalitionsfraktionen wich- tigste politische Themen im Parlament mit Vorliebe bei Nacht und Nebel verhandeln. Man tut dem Parlament und der Demokratie einen Tort an, wenn politische und gesellschaftliche Fragen nicht mehr lebendig ausdisku- tiert, sondern nur noch als nächtliche Papierschlacht aus- gefochten werden. Im vorliegenden Fall verstehe ich es 12932 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) noch viel weniger, weil die Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen noch nicht einmal wirklich et- was richtig falsch gemacht haben. Im Gegensatz zu frü- heren Debatten kann ich ihnen daher nicht einmal vor- werfen, dass sie wie in so vielen anderen Fällen bloß schnell irgendeine Gesetzesschimäre nach Beginn der Sperrstunde um die Ecke bringen wollten. Umso mehr verrät dieses Verhalten aber in meinen Augen über die fehlende Wertschätzung in ihren Reihen für dieses Hohe Haus. Wir bringen hier und heute, ver- teilt auf sieben Jahre, 48,881 Milliarden Euro unter die Leute – oder besser gesagt: unter die Länder. Lauschen Sie noch einmal dem Klang meiner Worte: Achtund- vierzigmilliardenundachthunderteinundachtzigmillionen Euro! Nach der plötzlichen und unerwarteten Kürzung im letzten Jahr stocken Sie die Mittel in den nächsten Jahren um 1,5 Prozent per anno auf. Die Länder haben sich hier durchgesetzt, auch weil Bundesminister Tiefen- see die vorherigen Vereinbarungen mit den Ländern für den Haushalt 2006 und 2007 gebrochen hat. Die Regio- nalisierungsmittel steigen von 6,675 Milliar-den im kommenden Jahr auf 7,3 Milliarden Euro im Jahr 2014. Ich finde, über solche Summen hätte man auch zu einer sonnigeren Zeit reden dürfen und an sich auch reden müssen. Es geht hier schließlich nicht um irgendwelche Peanuts, zumindest sofern Sie sich nicht die Einstellung des Herrn Kopper, seligen Angedenkens, zu eigen ge- macht haben sollten. Es wäre daher in meinen Augen durchaus angebracht, an dieser Stelle einmal darüber zu diskutieren, ob und wie diese Mittel effizient eingesetzt werden. Es ist schließlich ein offenes Geheimnis, dass nicht jedes Land diese Gelder so einsetzt, wie es der Wunsch des Bundes wäre. Immerhin haben Sie deshalb bereits eine kleine Klausel in das Gesetz geschrieben, dass die Länder über die Mittelverwendung Bericht erstatten sollen. Ob dies den gewünschten Effekt erbringt, bleibt abzuwarten. Leider haben die Bundesregierung und Minister Tiefensee, wie auch schon bei den Verhandlungen zur ÖPNV-Richtlinie auf europäischer Ebene, aber wieder einmal die Gelegenheit verstreichen lassen, für mehr Wettbewerb im Nahverkehr zu sorgen. Aufträge aus Re- gionalisierungsmitteln werden auch in Zukunft nicht ei- nem Ausschreibungszwang unterworfen. Die meisten Länder werden also weitermachen wie bisher. Das heißt: Die weit überwiegende Zahl der Aufträge wird per In- house-Vergabe an die DB Regio AG gehen. Die Konkur- renz erhält gar nicht erst Gelegenheit, bessere und billi- gere Angebote vorzulegen. Damit vergibt sich die Poli- tik ein wichtiges Instrument, um mehr Wettbewerb und damit auch mehr Service und Angebot zu schaffen. Da- bei sieht man zum Beispiel in Niedersachsen und Schles- wig-Holstein, die in den letzten Jahren verstärkt ausge- schrieben haben, wie positiv sich dies auf die Angebotssituation im SPNV auswirkt. Stattdessen wer- den die Regionalisierungsmittel auch in Zukunft in erster Linie zu einer Daueralimentation für die Deutsche Bahn. Offenbar haben die fortlaufenden Preiserhöhungen durch die DB im Nahverkehr bei der Mehrheit noch im- mer keinen Lerneffekt ausgelöst: Wir brauchen mehr Wettbewerb! Nur so können wir die Preise senken und erhöhen die Effizienz. Ohne Veränderung der in weiten Teilen immer noch bestehenden Monopolstrukturen wird die DB die sicheren Einkünfte aus dem SPNV weiterhin nutzen, um die Expansion in anderen Geschäftsfeldern voranzutreiben. Das nützt vielleicht der DB, aber nicht dem Nahverkehr. Nicht ohne Grund hat die DB Regio bisher kaum eine Ausschreibung gewonnen. Es kann also noch einiges verbessert werden. Das soll uns aber nicht vergessen lassen, dass die Geschichte des Regionalisierungsgesetzes, seitdem es 1994 von der da- maligen schwarz-gelben Mehrheit durch- und umgesetzt wurde, in weiten Teilen eine große Erfolgsgeschichte ge- wesen ist. Die Anbindung vieler Regionen konnte nach- haltig verbessert werden. Service, Takt und Komfort wurden erheblich gesteigert. Durch die Regionalisierung wurden verkrustete Strukturen aufgebrochen und der Wettbewerb überhaupt ermöglicht. Strecken, die von der Deutschen Bahn de facto schon lange aufgegeben wor- den waren, sind heute wieder zu Verkehrswegen für ganze Regionen geworden. Man sehe sich dazu nur zum Beispiel die Geschichte der Nord-West-Bahn an. Noch vor einigen Jahren verkehrten auf diesen Trassen täglich höchstens drei oder vier Züge. An Sonn- oder Feiertagen bekam man von der Bahnauskunft auch schon einmal zu hören, man solle sich doch einen anderen Tag für die Anreise aussuchen. Heute hingegen verkehren die Bah- nen im Stundentakt, die Bahnhöfe und Waggons sind in einem ansprechenden Zustand, und die Züge sind voll. Jede einzelne dieser Entwicklungen hätte mancher in diesem Haus – vor allem vermutlich in den Reihen der mehrheitlich hier anwesenden Marktskeptiker – wohl für unmöglich gehalten. Gerade diese bisherige Erfolgsgeschichte lehrt uns aber, wie wichtig der Wettbewerb für eine Verbesserung der Nahverkehrssituation ist. Es gilt auch hier: Konkur- renz belebt das Geschäft. Das sieht man übrigens auch bei der Deutschen Bahn. Denn – um an dieser Stelle dem Eindruck vorzubeugen, ich hielte dieses Unternehmen von vornherein für die institutionalisierte Ineffizienz – auch die DB verhält sich nur rational. Wo man von dem Konzern keine Anstrengungen verlangt, um einen Auf- trag zu erhalten, da wird er auch keine unternehmen. In anderen Geschäftsfeldern hat die DB sich hingegen durchaus als flexibel und wettbewerbsfähig präsentiert. Dieses Verhalten ist keineswegs Bösartigkeit der DB. Es ist vollkommen ökonomisch und vernünftig, nicht mehr zu tun, als von einem verlangt wird. Irrational und un- vernünftig handelt nur die Politik, wenn sie keine Aus- schreibungen vornimmt und dadurch alle Unternehmen zu Höchstleistungen anspornt. Von daher bleibt mir an dieser Stelle abschließend nur zu sagen: Gerne unterstützt die FDP-Fraktion das von der Regierung vorgelegte Regionalisierungsgesetz. Für die Zukunft sehe ich allerdings weiterhin Verbesserungs- bedarf. Aus den bisherigen Erfolgen sollten wir lernen und diese Lehren auch im politischen Handeln beherzi- gen. Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Mit dem Haushalts- begleitgesetz zum Haushaltsplan 2007 hatte die Bundesre- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12933 (A) (C) (B) (D) gierung die Gelder für Bahn und Bus drastisch gekappt – so sehr, dass die Schmerzgrenze durchbrochen worden war. Die Linke hatte daraufhin die enormen Auswirkun- gen dieser Kappung öffentlich gemacht. Aufgrund des entstandenen öffentlichen Drucks erklärte sich die Bun- desregierung wenn auch spät bereit, die Kürzung der Gelder mindern zu wollen. Was nun dabei herauskam, ist eine Reduzierung der Kürzung um immerhin knapp 500 Millionen Euro. Das begrüßen wir. Zu kritisieren bleibt jedoch, dass der 500-Millionen-Euro-Nachschlag bis 2011 gestreckt wird. Die Rückkehr zur jährlichen Steigerung um 1,5 Prozent sowie die zuletzt eingearbeitete Änderung in § 6 Abs. 2, die Geldverwendung nach gemeinsamen Kri- terien der Länder darzustellen, ist ebenfalls zu begrüßen. Leider ist es nicht gelungen, wie von uns in den Aus- schussberatungen beantragt, die jährliche Dynamisie- rung an steigende Verkehrsleistungen im Verhältnis zu vorangegangenen Jahren zu binden. Dies hätte nach Auffassung meiner Fraktion stärkere Anreize für attrak- tive Tarifangebote geschaffen. Und es schwebt das Da- moklesschwert der Bahnprivatisierung nach wie vor über diesem Gesetz. Steigt privates Kapital bei der Deut- schen Bahn AG ein, dann bietet dieses Gesetz den Län- dern nach wie vor zu wenig Geld. Deshalb kann es von der Fraktion Die Linke nur eine Enthaltung geben. Förderung von Schienenverkehrsleistungen macht nur Sinn, wenn die entsprechende Schieneninfrastruk- tur vorhanden ist. Die Fraktion Die Linke ergreift mit ihrem Gesetzentwurf zur Änderung des Eisenbahnkreu- zungsgesetzes zur Einführung eines Verursacherprin- zips eine wichtige, weil notwendige Initiative. Die bun- deseigene Deutsche Bahn AG muss sich vermehrt den Vorwurf gefallen lassen, durch fehlende Instandset- zungsmaßnahmen den schienengebundenen Nahver- kehr und damit ein wichtiges Element der öffentlichen Daseinsvorsorge zu gefährden. Zugleich sind viele Kommunen mit der Finanzierung von Baumaßnahmen nach Eisenbahnkreuzungsgesetz gnadenlos überfordert. Die Kosten von solchen Baumaßnahmen sowie die Er- höhung von Sicherheitsstandards an Bahnübergängen und die Auflassung von Bahnübergängen können durch Mittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) bezuschusst werden. Jedoch ist auch hier ein oft das Gemeindebudget übersteigender Anteil zu leis- ten, und dringend benötigte Investitionen in den kom- munalen öffentlichen Personennahverkehr und im Stra- ßenbau werden geschmälert. Mehr als die Hälfte aller Landkreise in der Bundesre- publik hat mittlerweile unausgeglichene Haushalte. Als einziger Ausweg blieb vielen Städten und Gemeinden nur, ihre Investitionen drastisch zurückzuführen. Anga- ben der KfW besagen, dass 1999 durch die Kommunen Investitionen in Höhe von 19 Milliarden Euro, im Jahre 2004 aber nur noch in Höhe von 15 Milliarden Euro aus- gelöst worden sind. Das ist in fünf Jahren ein Fünftel weniger. Diese traurigen Zahlen zeigen: Eine verantwor- tungsvolle kommunale Selbstverwaltung ist zusehends nicht mehr möglich. Ein Beispiel: Die Gemeinde Dornbock im Landkreis Köthen in Sachsen-Anhalt hat 2004 auf Grundlage des Eisenbahnkreuzungsgesetzes für Maßnahmen der In- standsetzung und Modernisierung einer auf ihrem Terri- torium gelegenen Bahnanlage eine Rechnung von knapp 250 000 Euro erhalten. Der Investitionshaushalt jedoch umfasste nur ganze 80 000 Euro in diesem Jahr. Damit war die Gemeinde zahlungsunfähig. Dies ist kein Einzel- fall. Dieses Schicksal widerfuhr der Gemeinde übrigens nach 1994 und damaligen langwierigen juristischen Aus- einandersetzungen zum zweiten Mal; das ist schon ein Skandal an sich. Es besteht Handlungsbedarf, und die meisten Kommunen sind schon seit Jahren mit der Über- nahme eines Drittels der Kosten, wie es das Eisenbahn- kreuzungsgesetz aktuell vorsieht, finanziell absolut überfordert. Verkehrspolitisch bedeuten marode Kreuzungsanla- gen im Bahnstraßennetz das Ziel, mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene zu holen, da bei fehlender In- standhaltung und Modernisierung sogar Streckenstillle- gungen drohen. Das kann auch vor dem Hintergrund der momentan sehr intensiv geführten Klimaschutzde- batte und der Diskussion um die Reduzierung des CO2- Ausstoßes nicht unser Anspruch sein. Mit dem Antrag meiner Fraktion Die Linke werden durch Änderung des § 13, Abs. 1 die Kostenübernahme für kommunale Brü- ckenbauwerke, welche Bahnanlagen betreffen, neu ge- regelt und die Gemeinden entlastet. Wir sind der festen Überzeugung, dass die Gemein- den von der Mischfinanzierung befreit werden und zu- gleich verantwortungsvoll mit der Infrastruktur umge- gangen wird, und zwar nach dem Verursacherprinzip. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Am 16. Juni 2006 hat der Bundesrat die Kürzung der Re- gionalisierungsmittel beschlossen. Der Bundesfinanz- minister hat den Ländern damals zugesagt, die Kürzung der Regionalisierungsmittel im Zeitraum 2006 bis 2009 in einer Größenordnung von 500 Millionen Euro zu ver- mindern. Mehr als ein Jahr später wird diese Zusage mit dem vorliegenden Gesetzentwurf für ein zweites Gesetz zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes eingelöst. Die teilweise Rücknahme der Kürzung der Regionali- sierungsmittel lehnen wir zwar nicht ab; die Kürzung ha- ben wir aber abgelehnt und halten sie auch heute noch für falsch. Die vorausgesagten Streichungen im Schienen- personennahverkehr als Folge der Kürzung der Regiona- lisierungsmittel sind in vielen Bundesländern eingetre- ten. Nur ein Bundesland hat die Kürzung zu 100 Prozent durch Landesmittel kompensiert. Nach dem bisherigen § 7 RegG war für den Bund nicht überprüfbar, ob die Mittel zweckentsprechend ver- wendet wurden. Die im Gesetzentwurf der Bundesregie- rung in § 6 Abs. 2 enthaltene Berichtspflicht der Länder gegenüber dem Bund über die Verwendung der Regiona- lisierungsmittel ist zu begrüßen; sie greift aber viel zu kurz, weil sie nicht näher beschreibt, was einheitliche Kriterien sind. Damit ist nicht sichergestellt, dass die jährliche Mittelverwendung transparent dargestellt wer- den kann. 12934 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) So wie es jetzt im Gesetzentwurf steht, wird bei dem Bericht nicht mehr herauskommen als beim GVFG-Be- richt. Aus unserer Sicht sollten zumindest einige Krite- rien bzw. Ausgabenarten angegeben werden, damit der Bericht wenigstens etwas aussagen kann. Man sollte aus dem Bericht schon entnehmen können, in welcher Höhe Zuschüsse für Bestellungen von Zugleistungen im SPNV, für Bestellungen von Verkehrsleistungen im ÖPNV außerhalb des SPNV, sonstige Zuwendungen an Aufgabenträger und Verkehrsbünde im SPNV/ÖPNV, Zuschüsse für Investitionen in Fahrzeuge des SPNV, Zu- schüsse für Investitionen in Fahrzeuge des ÖPNV außer- halb des SPNV, Zuschüsse für Investitionen in bauliche Anlagen des ÖPNV und des SPNV und Zuschüsse für sonstige Projekte geflossen sind. Was auf jeden Fall versäumt wurde, ist die Präzisie- rung der Zweckbindung. Regionalisierungsmittel kön- nen nach wie vor für Aufgaben verwendet werden, die vor dem Regionalisierungsgesetz die Länder aus eigenen Mitteln bestritten haben. Genannt seien hier beispiels- weise Ausgleichsleistungen bei der Schüler- und Schwerbehindertenbeförderung. Das war sicher nicht In- tention des Gesetzgebers. Intention des Gesetzgebers war, Fahrgastzuwächse beim öffentlichen Personannah- verkehr zu erzielen, und nicht, die Länder durch das Re- gionalisierungsgesetz finanziell zu entlasten. Es kann auch nicht sein, dass der Verkehrsminister den Ländern Fehlverwendung der Regionalisierungsmit- tel vorwirft, was er in der Debatte der letztjährigen Kür- zung getan hat, es aber dann unterlässt, Fehlverwen- dungsmöglichkeiten im Gesetz auszuschließen. Der Gesetzentwurf enthält auch keinen Anreiz, dass die Länder die Regionalisierungsmittel effizient ausge- ben. Für die Verteilung der Mittel spielt es keine Rolle, ob ein Bundesland Fahrgastzuwächse erreicht hat oder nicht. Das Geld wird einfach überwiesen. Wenn man über ein Jahr für ein Änderungsgesetz braucht, hätte man also schon etwas mehr hineinschrei- ben können als eine Teilrücknahme einer falschen Kür- zung und eine unzureichende Berichtspflicht. Vorschläge unsererseits liegen in Gesetzes- und Antragsform vor. Beim Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ei- senbahnkreuzungsgesetzes der Linken wurde ein frühe- rer Antrag der Linken in Gesetzesform gegossen. Im Ge- gensatz zum Antrag enthält der Gesetzentwurf immerhin einen Finanzierungsvorschlag. Trotzdem ist einiges un- verständlich: Der Gesetzentwurf stellt alle Straßenbaulastträger und nicht nur die Kommunen frei. Die Linke problematisiert aber nur die Kommunen. Warum soll die DB AG die Hälfte des bisherigen An- teils des Straßenbaulastträgers bezahlen? Bisher bezahlt sie ein Drittel, nach dem Gesetzentwurf die Hälfte. Die NE-Bahnen bezahlen nichts mehr. Damit werden sie besser behandelt als die DB. Der Bund soll nun auch für Bahnübergänge von NE-Bahnen bezahlen, bei denen er bisher – außer im Falle der Straßenbaulastträgerschaft – nichts bezahlt. Achim Großmann, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Än- derung des Regionalisierungsgesetzes wurde in den Aus- schussberatungen durchaus kontrovers diskutiert. Ich möchte deshalb die Gelegenheit nutzen, um noch einmal das Ziel dieser Gesetzesänderung zu verdeutlichen: Es ist ein dringendes Anliegen der Bundesregierung, die Qualität des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) weiter zu verbessern und ein bedarfsgerechtes Angebot im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) auch in der Fläche sicherzustellen. Den Ländern stehen nach dieser Gesetzesänderung auch künftig ausreichend Mittel für die Bestellung von Nahverkehrsleistungen und für qualitative Verbesserun- gen des ÖPNV zur Verfügung. Im Rückblick ist festzustellen, dass der Nahverkehr vor 1994 ein ungeliebtes und hochdefizitäres Aufgaben- gebiet der Bahn war. Ziel der Bahnstrukturreform 1994 war es daher auch, eine zukunftsfähige Grundlage für den SPNV zu schaffen. Im Zusammenhang mit den gesetzlichen Änderungen zur Bahnreform wurde das Grundgesetz um einen neuen Art. 106 a ergänzt. Den Ländern steht damit für den ÖPNV aus dem Steueraufkommen des Bundes ein Be- trag zu. Einzelheiten werden im Regionalisierungsge- setz, RegG, geregelt, welches ebenfalls im Rahmen der Bahnreform verabschiedet wurde und am 1. Januar 1996 in Kraft trat. Dies bedeutete eine vollständige Neuordnung des Ordnungsrahmens: der SPNV wurde zur Landesaufgabe; die verschiedenen Zuständigkeiten wurden zusammen- geführt; die bisher vom Bund für den SPNV aufgewen- deten Mittel wurden auf die Länder übertragen; Länder und Aufgabenträger wurden an der Finanzierung betei- ligt und der Verkehr wurde für den Wettbewerb geöffnet. All dies brachte seit Inkrafttreten des Regionalisie- rungsgesetzes zum 1. Januar 1996 eine neue Dynamik in die jahrzehntelange statische Eisenbahnlandschaft. Über das Regionalisierungsgesetz werden den Ländern umfas- sende Finanzmittel aus dem Steueraufkommen des Bun- des zur Verfügung gestellt, die sie in erster Linie zur Finanzierung der Verkehrsleistungen im SPNV, aber auch investiv zur Verbesserung des ÖPNV einsetzen können. Dennoch ist die Schaffung eines attraktiven ÖPNV nicht unabhängig von anderen politisch vereinbarten Zielen, wie etwa der Haushaltskonsolidierung zu sehen. So wurde durch das Haushaltsbegleitgesetz 2006 vom 29. Juni 2006 der in der Koalitionsvereinbarung veran- kerte Auftrag einer Kürzung der Mittel des Bundes für den Nahverkehr umgesetzt. Mit der jetzt anstehenden Änderung des Regionali- sierungsgesetzes werden die zwischen dem Bund und den Ländern im Rahmen der Verabschiedung des Haus- haltsbegleitgesetzes (HBeglG) 2006 am 16. Juni 2006 vereinbarten Eckpunkte umgesetzt. Die mit dem Haus- haltsbegleitgesetz 2006 vorgenommenen Kürzungen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12935 (A) (C) (B) (D) der Regionalisierungsmittel (im Zeitraum 2006 bis 2009 ergab sich daraus eine Minderung der Regionalisie- rungsmittel für die Länder von insgesamt rund 2,3 Mil- liarden Euro) sollen so teilweise kompensiert werden. Die Belastung wird dadurch um rund 500 Millionen Euro vermindert und es wird eine Dynamisierungslinie für die Regionalisierungsmittel eingeführt. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung setzt diese Vorgaben um: Die Länder werden im Jahr 2008 Regionalisierungsmittel in Höhe von 6 675,0 Mil- lionen Euro aus dem Mineralölsteueraufkommen des Bundes erhalten. Ab dem Jahr 2009 wird dieser Betrag dynamisiert und steigt jährlich um 1,5 vom Hundert. Die jährlichen Beträge werden im Sinne einer verlässlichen Planungsgrundlage bis 2014 festgelegt. Im Jahr 2014 ist eine erneute Überprüfung der Höhe der Mittel und der Finanzierungsquelle mit Wirkung ab dem Jahr 2015 vorgesehen. Darüber hinaus sollen die Länder dem Bund jährlich die Verwendung der Mittel je- weils nach gemeinsam vereinbarten Kriterien transpa- rent darstellen. Mit diesen Neuregelungen wird die Finanzierungs- grundlage für den öffentlichen Personennahverkehr auch weiterhin gesichert. Gleichzeitig wird in geeigneter Form und unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben des Artikels 106 a Grundgesetz Transparenz über die Verwendung der Mittel hergestellt. Die Bundes- regierung will mit dieser Gesetzesänderung die Voraus- setzungen dafür schaffen, dass die Erfolgsgeschichte der Regionalisierung weitergeht. Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der gesetzlichen Berichtspflichten im Zuständig- keitsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- cherschutz – Beschlussempfehlung und des Bericht: Neu- ordnung des Berichtswesens (Tagesordnungspunkt 29 a und b) Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): „Totgesagte leben länger.“ Dieser Spruch gilt im übertragenen Sinne auch für das Landwirtschaftsgesetz von 1955. Mit vereinten Kräften der Koalition und durch den entschiedenen Widerstand der SPD-Fraktion mit entsprechender Unter- stützung der CDU-Kollegen ist es uns gelungen, Minis- ter Seehofer davon zu überzeugen, das Landwirtschafts- gesetz nicht abzuschaffen. Wir machen in der heutigen Plenardebatte zunächst einen wichtigen Schritt in Richtung Entbürokratisierung des Berichtswesens des BMELV. Auf der Basis des Entschließungsantrags aus dem Sommer dieses Jahres werden wir mit der jetzigen Regelung unnütze Bürokratiekosten vermeiden und gleichzeitig die Möglichkeit schaffen, die Informations- bereitstellung effektiver zu gestalten. Der Agrarbericht inklusive seines forstwirtschaftlichen Teils und der Tier- schutzbericht werden in Zukunft nur noch alle vier Jahre vorgelegt werden. Ich teile die Kritik des nationalen Normenkontrollaus- schusses: Der bisherige Aufwand zur Berichterstellung steht in keinem angemessenen Verhältnis zum Informa- tionsgehalt. Vielfach sind bereits vor der Veröffentlichung des Agrarberichtes oder des Tierschutzberichtes aktuellere Daten und entsprechende Bewertungen dieser Daten aus anderen Quellen verfügbar. Diese Kritik gilt im Übrigen auch für Berichte in anderen Politikfeldern. Das vorliegende Gesetz macht auch Sinn angesichts der enormen Weiterentwicklung der technischen Mög- lichkeiten zur Informationsaufbereitung und -bereitstel- lung. Innerhalb der letzten Jahre sind in allen Bereichen des täglichen Lebens durch das Internet neue und umfas- sende Informationsmöglichkeiten geschaffen worden. Diese Entwicklung hat sich auch im Verantwortungsbe- reich des BMELV vollzogen. Als Ergebnis kann heute jede Bundesbürgerin und jeder Bundesbürger auf ein breites und aktuelles Informationsangebot und die dazu- gehörigen Daten zu allen wichtigen Themenbereichen der Agrar- und Verbraucherpolitik zugreifen. Dieses An- gebot beschränkt sich dabei nicht nur auf originäre In- halte aus dem Kernbereich der Agrar-, Verbraucher- und Tierschutzpolitik. Es wird ergänzt durch eine Vielzahl zusätzlicher Informationen wie zum Beispiel der ZMP, des Bundesinstituts für Risikobewertung oder auch des Friedrich-Loeffler-lnstituts, um nur einige Beispiele zu nennen. So werden schon heute die gesetzlichen Infor- mationspflichten des Bundesministeriums durch viele weitere Informationsquellen ergänzt und vervollständigt. Aktuelle Markt- und Strukturdaten, die für die For- schung und Wissenschaft relevant sind, sind jederzeit und überall abrufbar. Darüber hinaus informiert das Bundes- ministerium die Abgeordneten des Deutschen Bundesta- ges durch aktuelle Berichte sowie durch schriftliche und mündliche Antworten auf parlamentarische Anfragen. So- mit haben die bisherigen Routineberichte in Papierform weitgehend ihren ursprünglichen Zweck verloren, und die Verlängerung der Veröffentlichungsintervalle ist somit ge- rechtfertigt. Selbstverständlich wird es nicht, wie die Opposition behauptet, unweigerlich zu einer Abwertung der genann- ten Politikbereiche kommen. Die Änderungen im Be- richtswesen des BMELV werden auch nicht dazu führen, wie die Kollegin Behm im Ausschuss behauptet hat, dass wir ab sofort nur noch alle vier Jahre über Agrar-, Forst- oder Tierschutzpolitik sprechen werden. Ich bin sicher, dass wir als Parlamentarier in Zukunft auf der Grundlage eigener Anträge ausreichend Gelegenheit fin- den werden, zur aktuellen Agrar- und Tierschutzpolitik zu debattieren. Der vorliegende Gesetzentwurf kann nur im Zusam- menhang mit dem heute zu beschließenden Entschlie- ßungsantrag der Koalition gesehen werden. Er bestimmt den Rahmen der zukünftigen Berichterstattung und ent- hält zwei wichtige Prüfaufträge an die Bundesregierung, die in einem zweiten Schritt konsequent umgesetzt 12936 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) werden müssen. Es gilt, die Agrarpolitik grundsätzlich neu auszurichten. Sie muss zum integralen Bestandteil einer nachhaltigen Politik für den ländlichen Raum wer- den. Die Entwicklung des Landwirtschaftsgesetzes zu einem modernen Landwirtschaftsgesetzbuch kann dafür wesentliche Voraussetzungen schaffen. Jeder von uns weiß, dass sich die Agrarpolitik mit ih- rem Anspruch als eigenständiges Politikfeld in unserer Gesellschaft ständig neu legitimieren muss. Die natio- nale wie auch die internationale Agrarpolitik stehen da- bei vor tiefgreifenden Herausforderungen. Ich nenne nur drei Beispiele, um zu verdeutlichen, was uns erwartet: erstens die Zunahme der Weltbevöl- kerung um drei Milliarden Menschen bis zum Jahr 2050, für die es gilt, die Versorgung mit hochwertigen Lebensmitteln sicherzustellen; zweitens der Beitrag, den die Landwirtschaft und somit auch die Agrarpolitik in Hinblick auf die Herausforderungen des weltweiten Klimawandels leisten muss; drittens wird sich der Strukturwandel in den landwirtschaftlichen Betrieben unvermindert fortsetzen, sodass wir spätestens für das Jahr 2020 nur noch von 100 000 Vollerwerbsbetrieben ausgehen müssen. Angesichts dieser Herausforderungen darf sich Agrarpolitik heute nicht mehr als Klientelpolitik verste- hen. Für Sozialdemokraten steht der Mensch im Vorder- grund der Politik. Daraus leitet sich auch die Zielbestim- mung für eine sozialdemokratische Agrarpolitik ab, die zukünftig integraler Bestandteil einer Politik für die Ent- wicklung ländlicher Räume und die dort lebenden und arbeitenden Menschen sein wird. Agrarpolitik muss neu gedacht und definiert werden. Das heißt, dass wir die Agrarpolitik als Querschnittspolitik denken müssen, die viel stärker mit der Beschäftigungspolitik, der Infra- strukturpolitik aber auch der Umweltpolitik verzahnt wird. Im Hinblick auf den multifunktionalen Charakter ländlicher Räume wird die Landwirtschaft dann das starke Rückgrat im ländlichen Raum bilden. Es heißt Abschiednehmen vom allseits so geliebten Förder- und Subventionsmodellen wie zum Beispiel der Flächenprä- mie. Niemand in dieser Gesellschaft hat ein ererbtes An- recht auf dauerhafte Zahlungen aus dem Steuersack. Es gilt, die Rahmenbedingungen für die Agrarpolitik so zu gestalten, dass die Bewertung und Honorierung der Leis- tungen einer wettbewerbsorientierten Landwirtschaft im Vordergrund stehen. Nur so lässt sich Agrarpolitik auch langfristig legitimieren. Daher hat der im Entschlie- ßungsantrag formulierte Prüfauftrag an das BMELV für mich besondere Bedeutung. Für die Weiterentwicklung des Landwirtschaftsgesetzes zum Landwirtschaftsge- setzbuch habe ich den politischen Rahmen bereits skiz- ziert. Konkret bedeutet dies, dass wir die Vorgaben so gestalten, dass die Wertschöpfung und die Arbeitsplätze im ländlichen Raum ausgebaut, die soziale Absicherung der in der Landwirtschaft Tätigen angemessen berück- sichtigt, die Innovations- und Wettbewerbskraft der Landwirtschaft gefördert und die hohen Qualitäts-, Pro- dukt- sowie Tierschutzstandards weiterentwickelt wer- den. Ich wünsche mir, dass auch die Grundsätze der gu- ten fachlichen Praxis und das die Landwirtschaft betreffende Fachrecht zum Bestandteil eines neuen Landwirtschaftsgesetzbuches werden. Diese kann auch die Arbeit eines neu einzurichtenden Rates für die ländli- chen Räume entscheidend erleichtern. Die deutschen Landwirte stellen sich den Herausforderungen einer glo- balisierten Welt. Dafür müssen wir die politischen Rah- menbedingungen schaffen. Ich bitte Sie, daher dem vor- liegenden Gesetzentwurf und dem Entschließungsantrag zuzustimmen. Hans-Michael Goldmann (FDP): Natürlich begrüßt die FDP grundsätzlich alle Maßnahmen der Bundes- regierung, die dazu führen, Bürokratie abzubauen. Doch Minister Seehofer neigt dazu, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Auch die Änderungen beim Fleischge- setz wurden uns verkauft als Beitrag zum Bürokratie- abbau. Deshalb ist es notwendig, solche Argumente kri- tisch zu hinterfragen. Unbestreitbar würde es die Verwaltung entlasten, wenn sie die vier Berichte, die in die Verantwortung des BMELV fallen, nur noch alle vier Jahre anstatt jedes Jahr vorzulegen hätte. Und in der Tat, die jährlichen Berichte waren nicht zweckdienlich. Doch wir befürchten, dass diese Initiative leider wiederum der Geringschätzung des Ministers für den Agrarbereich geschuldet ist. Den letz- ten Agrarbericht hat Herr Seehofer ja nicht einmal mehr selber auf der Bundespressekonferenz vorgestellt. Der geplante Zeitraum von vier Jahren für das Be- richtswesen im Bereich des BMELV ist zu lang bemes- sen. Bei dieser Zeitspanne fehlt die Aktualität von Ent- wicklungen. Im ersten Jahr einer Legislaturperiode einer neuen Regierung würde man im Wesentlichen auf Zah- len der Vorgängerregierung zurückgreifen, und im letz- ten Jahr haben wir Wahlkampfzahlen. Gerade beim Agrarbericht geht es darum, Tendenzen zu erkennen, um politische Weichenstellungen vorneh- men zu können. Da hilft dann auch nicht der Verweis aufs Internet, denn die Zahlen und Informationen müs- sen doch in einen gewichteten sachlichen Zusammen- hang gebracht werden. Nehmen wir zum Beispiel die Entwicklung der Milch- und Getreidepreise. Diese Ent- wicklung hat vor sechs bis neun Monaten in dieser Form niemand vorhersehen können. Wir könnten uns nun im nächsten Jahr beim nächsten Agrarbericht parlamenta- risch mit diesen Entwicklungen beschäftigen und Konse- quenzen ableiten. Der Agrarbericht gibt uns einen Auf- trag für eine parlamentarische Auseinandersetzung. Es gilt, einen Mittelweg zwischen dem Wunsch und der Notwendigkeit nach mehr Effizienz und unserem In- formationsbedürfnis zu finden. Die FDP hielte deshalb einen Zweijahresrhythmus für angemessen. Auch die Verbraucherzentrale schlägt für den Bericht zum Ver- braucherschutz einen Zeitintervall von zwei Jahren vor. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Seit 1956 er- scheint jährlich der Agrarbericht der Bundesregierung zur Lage der Landwirtschaft, zur nationalen und interna- tionalen Agrarpolitik und zu deren Finanzierung. Die Landwirtschaft ist seit jeher ein Wirtschaftssektor mit engster politischer Verflechtung. Agrarpolitische Ent- scheidungen in Deutschland und Europa prägen wie Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12937 (A) (C) (B) (D) kaum ein anderer Faktor das Bild und das Geschehen in der Landwirtschaft. Der jährliche Agrarbericht bietet da- bei die besondere Möglichkeit, nicht nur die Gesamtbe- wertung des Wirtschaftssektors Land- und Agrarwirt- schaft in die Betrachtung zu nehmen, sondern auch die getroffenen agrarpolitischen Entscheidungen auf natio- naler und europäischer Ebene zu bewerten. Sie können quasi Rechenschaftsbericht und Frühwarnsystem in ei- nem sein. Gerade die vergangenen Jahre haben deutlich gezeigt, welchen Einfluss die Agrarpolitik auf die wirtschaftliche Lage der landwirtschaftlichen Betriebe haben kann. Als Beispiel sei die Einführung der Förderung der energeti- schen Biomassenutzung genannt. Damit sind völlig neue Einkommensmöglichkeiten für landwirtschaftliche Be- triebe entstanden. Die politische Entscheidung für Straf- steuer und Zwangsbeimischung bei Biokraftstoffen hat dagegen diese Quelle gleich wieder zum Rinnsal ge- macht. Das zeigt, dass politische Entscheidungen oft sehr viel schneller wirken als eine Legislaturperiode dauert. Hinzu kommt eine deutliche Dynamisierung der Veränderungsprozesse infolge neoliberaler Globalisie- rung der Märkte. Die Koalition schafft mit dem Gesetzentwurf zur Ver- längerung der Berichtszeiträume die Möglichkeit einer zeitnahen Bewertung und Diskussion der Agrarpolitik schlichtweg ab. Die Linke hält angesichts der hohen Dy- namik der Entwicklung ein Zweijahresintervall für die Bewertung agrarpolitischer Entscheidungen für eine Mindestforderung und lehnt daher den Antrag ab. Es gibt viele Gründe, Agrar-, Waldzustands-, Tierschutz- und Verbraucherschutzbericht weiter regelmäßig in den Fokus öffentlichen Interesses zu stellen. Manche mögen denken, dass die Landwirtschaft an Bedeutung verliert. Der Agrarbericht selber bringt ja auch Zahlen, die das nahelegen mögen. So beträgt der Anteil der Landwirt- schaft am Bruttoinlandsprodukt gerade einmal 1 Pro- zent, die Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe ist rückläufig und die Zahl der in der Landwirtschaft Be- schäftigten, und Selbstständigen sinkt kontinuierlich. Nur: Eine Reduktion unserer Sicht auf diese volkswirt- schaftlichen Kriterien ist falsch. Die Erzeugung von Nahrungsmitteln gehört zur De- ckung der Grundbedürfnisse des Menschen und bleibt damit wesentlich. Die Entwicklung in jüngerer Zeit bringt gerade diese Diskussion wieder in eine neue Ak- tualität: Durch Klimawandel, die dynamische Entwick- lung der sogenannten Schwellenländer, die steigende Weltbevölkerung und neue Aufgaben für die Landwirt- schaft wie zum Beispiel die Erzeugung von Bioenergie wird die Agrarerzeugung im nationalen, europäischen und internationalen Kontext sogar wieder wichtiger. Die Anzahl potenzieller Krisenfaktoren hat sich deutlich er- höht. Dabei sind heute nicht nur die Bedingungen der hiesigen Landwirtschaft von Bedeutung, sondern der weltweite Kontext. Zudem werden weltweit die sozialen und ökologischen Folgen der beschleunigten neolibera- len Globalisierung immer deutlicher sichtbar. Mit dem Agrarbericht und den weiteren Ressortberichten werden die Auswirkungen dieser Prozesse in den Fokus öffentli- chen Interesses gerückt. Dieses ist und bleibt eine der wichtigsten Funktionen der politischen Berichterstat- tung. Im Antrag der Koalition wird auf die Datenverfügbar- keit aus dem Berichtswesen der Testbetriebe im Internet hingewiesen. Für eine reine Expertendiskussion wäre das vielleicht ausreichend. Aber genau diese Reduktion der Debatte kann nicht unser parlamentarischer Wille sein. Für die Linke ist der öffentliche Bezug gerade bei der agrarpolitischen Debatte wichtig. Die vor uns liegen- den Entscheidungen zur Weiterentwicklung der europäi- schen Förderpolitik, zum Umgang mit der Agrogentech- nik, zu Vermeidungs- und Anpassungsstrategien auf den heute schon spürbaren Klimawandel, zur Entwicklung auf den Weltmärkten usw. bedürfen der regelmäßigen Bewertung. Allerdings sind wir auch der Auffassung, dass die Be- richte inhaltlich qualifiziert werden müssen. Zum Bei- spiel fehlen aus Sicht der Linken Indikatoren für die Be- wertung der sozialen Situation und zur Gleichstellung. Ebenfalls sehr sensibel ist in der öffentlichen deutschen und auch europäischen Diskussion der Tierschutzbe- richt. Die millionenfache Haltung, Züchtung und Nut- zung von Tieren in der Landwirtschaft, in der Forschung oder in der privaten Hobbyhaltung setzt die Politik in be- sondere Verantwortung. Der alle zwei Jahre erschei- nende Tierschutzbericht hat bislang effizient dazu beige- tragen, das Thema Tierschutz im Blick zu behalten und die Diskussion um ihn zu befördern. Hier gilt im Grunde dasselbe wie zur Agrarberichterstattung: Dem öffentli- che Interesse an der Thematik ist mit einer Verlängerung der Abstände der Berichterstattung nicht gedient. Das wirkliche Ziel des Gesetzentwurfs liegt auf der Hand. Wo keine Berichte sind, da ist kein Anlass zu poli- tischen Diskussionen. Aber genau das hält Die Linke für den falschen Weg. Wir brauchen gerade auch für die Landwirtschaft mehr Debatte in einer größeren gesell- schaftlichen Breite. Dazu werden keine Rohdaten im In- ternet gebraucht, sondern die Positionierung der Regie- rung zur Situation, das mindestens alle zwei Jahre und nicht einmal pro Legislatur. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir Grüne lehnen die Verlängerung der Berichtsintervalle für den Agrar- und Tierschutzbericht sowie für den Waldzu- standsbericht auf alle vier Jahre mit aller Entschieden- heit ab. Mindestens alle zwei Jahre sollte getrennt über die Agrarpolitik, über die Tierschutzpolilik, über die Verbraucherschutzpolitik und über den Waldzustand be- richtet werden, um der politischen Bedeutung dieser Themen gerecht zu werden. Der Hauptgrund für unsere Ablehnung ist, dass die Verlängerung auf einen vierjährlichen Zyklus diese Poli- tikbereiche deutlich schwächen wird. Denn die Berichte und die Diskussionen darüber im Bundestag lenken re- gelmäßig die Aufmerksamkeit von Politik, Presse und Öffentlichkeit auf diese Politikfelder. Agrar-, Tierschutz- und Vcrbraucherpolitischer Bericht bieten Politikern und der Branche den Anlass, sich regelmäßig mit den Grund- satzfragen der Agrar-, der Tierschutz- und der Verbrau- cherpolitik auseinanderzusetzen, statt immer nur ein- 12938 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) zelne Spezialfragen zu bearbeiten. Speziell der Agrarbericht bietet die Möglichkeit, der Gesellschaft die im Vergleich zu ihrem Anteil am BIP große Bedeutung von Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft für gesunde Ernährung und den Erhalt der Kulturlandschaft darzule- gen. Durch die fehlenden jährlichen Berichte werden aber zukünftig nicht nur diese Grundsatzdebatten deutlich seltener stattfinden. Zukünftig werden auch einfach zu- gängliche Daten- und Wissensgrundlagen nicht mehr so einfach zur Verfügung stehen, und zwar nicht nur für uns Abgeordnete, sondern auch für die Fachöffentlichkeit. Die Koalition nennt als Hauptgrund für diese Ein- griffe den Abbau von Bürokratie. Dieser Abbau hält sich aber in Grenzen, wenn man bedenkt, dass die statisti- schen Daten nach wie vor im unveränderten Rhythmus erhoben werden müssen. Es wird also vor allem Auf- wand bei der Zusammenstellung, Formulierung und der Abstimmung der Fakten eingespart. Rechtfertigt dieser etwas geringe Aufwand tatsächlich diesen Bedeutungs- verlust für die Agrar- und Tierschutzpolitik? Nein, das tut er nicht. Deswegen muss man annehmen, dass der mit der Ver- längerung des Berichtszyklus verbundene Bedeutungs- verlust für die Ticrschutzpolilik und für die Verbraucher- politik von der Großen Koalition billigend in Kauf genommen wird. Warum die Agrarpolitiker der Union dies auch für die Agrarpolitik akzeptieren, bleibt mir al- lerdings verborgen; denn die so nötige Imageverbesse- rung der Landwirtschaft erreicht man dadurch ganz si- cher nicht. Besonders drastisch wird der Bedeutungsverlust für den Waldzustandsbericht sein: Mit seinem Wegfall wird auch die Aufmerksamkeit für die Waldschäden in der Öffentlichkeit entfallen. Das ist ganz eindeutig; denn derzeit findet der Wald ohnehin nur einmal jährlich in den Medien statt, nämlich dann, wenn der Waldzu- standsbericht vorgelegt wird. Die Beseitigung der öffentlichen Aufmerksamkeit für die Waldschäden ist aber offensichtlich die wesentliche Motivation für den Wegfall der jährlichen Waldzustands- berichte. Politisch erwünscht sind im Rahmen der Charta für Holz nur noch gute Nachrichten aus dem Wald. Schlechte Nachrichten soll die Gesellschaft nicht mehr hören. Denn es wird in der Forst- und Holzbranche viel- fach befürchtet, dass schlechte Nachrichten über kranke Wälder die Zustimmung der Gesellschaft zur sinnvollen verstärkten Holznutzung untergraben. Deswegen soll der jährliche Waldzustandsbericht weg. Dass sich die große Koalition so eindeutig dieser Lobby beugt, ist beschä- mend. Gravierend ist auch, dass nach dem Willen der Koali- tionsfraktionen nicht mehr jährlich über die künftige Ge- staltung der GAK berichtet werden soll, sondern dass dieser Bericht laut Koalitionsantrag im vierjährlichen Agrarbericht aufgehen soll. Allerdings ist dem Gesetz- entwurf der Koalition zu entnehmen, dass sich am Zu- schnitt des Agrarberichtes nichts ändern wird. Entfällt dann die Berichterstattung über die GAK zukünftig ganz, oder wird sie, und wenn wie, in den Agrarbericht aufgenommen? Ihre Beschlussvorlagen geben dazu keine klare Auskunft. Ich erinnere daran, dass sich auch Parlamentarier der Union im Rahmen der Haushaltsberatungen darüber be- klagten, dass der Bundestag zwar jedes Jahr über 600 Millionen Euro für die GAK bereitstellt, dass der Bundestag aber in keiner Weise an den Entscheidungen über die konkrete Mittelverwendung beteiligt wird. Wol- len Sie jetzt nicht einmal mehr wissen, was mit dem Geld gemacht wurde? Herr Schirmbeck, Ihre Fraktion will plötzlich dafür sorgen, dass dem Bundestag nicht einmal mehr jährlich über die Mittelverwendung und über die Veränderungen bei den Fördergrundsätzen berichtet wird, und das, ob- wohl der PLANAK jedes Jahr über Änderungen der För- dergrundsätze entscheidet. Sieht so die Stärkung parla- mentarischer Beteiligungsrechte aus? Der Koalitionsantrag zur Neuordnung des Berichts- wesens im Bereich Ernährung, Landwirtschaft und Ver- braucherschutz ist ein einziger Murks. Er wird durch seine gesetzliche Umsetzung nicht besser. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag und Ihr Gesetz ab. Ursula Heinen, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher- schutz: Vereinfachung und Bürokratieabbau sind erklärte Ziele der Bundesregierung. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz setzt die entsprechende Vereinbarung des Koalitionsvertrages mit dem „Aktionsplan zur Verringerung bürokratischer Hemmnisse“ konsequent um. Zuerst geht es uns dabei um Erleichterungen für Landwirte und Unternehmen. Zusätzlich überprüfen wir Routinevorgänge in der Verwaltung. Dabei hinterfragen wir sowohl die Notwendigkeit als auch die Art und Weise des Vollzugs unseres Verwaltungshandelns. Ein wichtiger Punkt unseres Aktionsplans ist die Straffung und die Konzentration unseres Berichtswe- sens. Wir wollen die starre Routine jährlich wiederkeh- render Berichte aufbrechen. Hier wird bisher viel Auf- wand betrieben – unabhängig davon, ob es überhaupt Neues zu berichten gibt. Aus diesem Grund hat die Bundesregierung den Ent- wurf eines Gesetzes zur Änderung der Berichtspflichten im Zuständigkeitsbereich des BMELV vorgelegt. Wir verfolgen damit zwei Ziele: Routineberichte soll es künftig seltener geben. Dafür werden sie stärker län- gerfristige Entwicklungen und Perspektiven aufgreifen. Die notwendigen Informationen wollen wir dagegen ak- tueller, schneller und sachbezogener zur Verfügung stel- len. Ein praktisches Beispiel: Der Agrarbericht 2007 do- kumentiert die Lage der Landwirtschaft im vorletzten Wirtschaftsjahr 2005/2006 und Maßnahmen der Agrar- politik für das Jahr 2006. Nach Abstimmung zwischen den beteiligten Bundesministerien wurde er am 31. Ja- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12939 (A) (C) (B) (D) nuar 2007 beschlossen. Ende Oktober 2007 beriet schließlich der federführende Ausschuss darüber. Ich glaube, dass dieses Verfahren 1955 – das ist das Jahr, in dem erstmals ein entsprechender Bericht dem Deutschen Bundestag zugeleitet wurde – angemessen war. Den heutigen Anforderungen einer modernen Infor- mationsgesellschaft wird diese Art und Weise der Be- richterstattung nicht gerecht. Die kurzen Berichtsintervalle waren damals sinnvoll, denn es standen vergleichsweise wenige andere Informa- tionsquellen zur Verfügung. Mit Blick auf die inzwi- schen für alle und jederzeit zugänglichen Informationen wird hier jedoch eine Arbeit geleistet, deren Nutzen für die Interessenten immer geringer geworden ist. Die Verwendung älterer – teilweise veralteter – Daten mindert die Aktualität der Berichte, schwächt das Inte- resse der Öffentlichkeit und verkleinert die Basis für Entscheidungen aufgrund der Berichte. Das heißt: Kurze Berichtsintervalle führen nicht automatisch zu besserer Information. Deshalb sieht unser Gesetzentwurf vor, den Agrarbe- richt und den Tierschutzbericht im Vierjahresturnus ab- zugeben. Wir wissen uns dabei im Einklang mit der Mehrheit des Bundestages. Mit dem heute ebenfalls ab- zustimmenden Entschließungsantrag erhalten wir den Auftrag, auch die anderen Routineberichte unseres Hau- ses thematisch zu ordnen und künftig einmal in der Le- gislaturperiode herauszugeben. Künftig wird das BMELV vier Themenberichte vorle- gen. Erstens. Der bisherige Agrarbericht wird sich neben der Lage der Landwirtschaft und der Fischerei verstärkt den ländlichen Räumen widmen und hierzu auch die Mittelverwendung der Gemeinschaftsaufgabe „Agrar- struktur und Küstenschutz“ wiedergeben. Zweitens. Für den Schwerpunkt „Wald und Forst“ ist ein Gesamtbe- richt vorgesehen, in dem auch Informationen zum Wald- zustand ihren angemessenen Platz finden werden. Drit- tens wird es einen Tierschutzbericht und viertens einen verbraucherpolitischen Bericht geben. Im Übrigen verweise ich darauf, dass es bisher für ei- nen regelmäßig erscheinenden verbraucherpolitischen Bericht keine Grundlage gab und diese Lücke jetzt ge- schlossen wird. In Ergänzung zu den periodischen Berichten wird das BMELV in zeitgemäßer Form aktuell und sachbezogen informieren, ohne dass Jahrzehnte alte Routinen dabei im Weg stehen. Wir werden verstärkt das Internet nut- zen, daneben auch Pressemitteilungen und Broschüren. Mit diesem Wandel in der Form der Berichterstattung können wir schneller auf aktuelle Entwicklungen reagie- ren. Sensible Politikfelder mit hoher öffentlicher Wahr- nehmung sollen besonders berücksichtigt werden. Hier denke ich zum Beispiel an den Tierschutz oder auch den Waldzustandsbericht. Für uns gilt der Grundsatz: Wenn es etwas zu berich- ten gibt, werden wir dies umgehend tun. In den Sitzungen der Ausschüsse des Bundestages sowie durch parlamentarische Anfragen machen Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, darüber hinaus umfassend von Ihrem Auskunftsrecht gegenüber der Bundesregierung Gebrauch. Die Basis jeder Berichterstattung sind die Erhebun- gen und deren Ergebnisse. Diese bleiben von unserem Vorhaben unberührt: Im Agrarbereich werden Daten auch künftig jährlich erhoben und veröffentlicht, und zwar unmittelbar nach der Erhebung. Mit der Neuordnung des Berichtswesens können wir einen Teil des Personals – übrigens nicht nur im Land- wirtschaftsministerium – von jährlich wiederkehrenden Routineaufgaben befreien und künftig effektiver einset- zen. In seiner Stellungnahme hat uns der nationale Nor- menkontrollrat seine Auffassung übermittelt, dass der derzeitige Aufwand für die Erstellung der Berichte in keinem angemessenen Verhältnis zum daraus resultie- renden Informationsgehalt steht. Er begrüßt daher die Verlängerung der Berichtszeiträume. Mehr noch: Er empfiehlt auch anderen Bundesressorts die Überprüfung ihres Berichtswesens unter diesem Gesichtspunkt. Auch der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme den Ansatz begrüßt, mit der Neuordnung des Berichtswesens den Verwaltungsaufwand zu verringern und in den Rou- tineberichten künftig politisch bedeutsame Zusammen- hänge und Entwicklungen zu betrachten. Zusammengefasst lässt sich sagen: Das Gesetz dient dem Bürokratieabbau, ohne dass die Transparenz dabei verlorengeht. Daher bitte ich Sie um Ihre Zustimmung. Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädi- gungsrechts (Tagesordnungspunkt 31) Max Straubinger (CDU/CSU): Wir behandeln hier und heute in zweiter und dritter Lesung den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsge- setzes und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädi- gungsrechts der Bundesregierung. Kernpunkte des Gesetzentwurfs sind: die Schaffung einer materiellen Ermächtigungsgrundlage zum Erlass einer Rechtsverordnung in § 30 des Bundesversorgungs- gesetzes, auf deren Grundlage die „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädi- gungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“, kurz AHP genannt, zukünftig ohne verfassungsrechtli- che Bedenken erlassen werden können; der Ausdruck „Minderung der Erwerbsfähigkeit“, MdE, wird durch die Bezeichnung „Grad der Schädigungsfolgen“, GdS, er- setzt, der aus sich heraus das Kausalitätserfordernis zwi- schen der Schädigung und dem zu entschädigenden Ge- sundheitsschaden deutlich macht; Änderung im Bereich 12940 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) der Kriegsopferfürsorge, die überwiegend bereits Ein- gang in die Praxis gefunden hat; Änderung im Bereich der Heil- und Krankenbehandlung; Umsetzung der not- wendigen Korrekturen und Anpassungen im Sozialen Entschädigungsrecht und in Gesetzen, die auf das So- ziale Entschädigungsrecht unmittelbar Bezug nehmen. Bei den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertä- tigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht, AHP, handelt es sich nach der Rechtsprechung um antizipierte Sachverständigengut- achten, die im Einzelfall nicht widerlegbar sind. Den- noch existierte bisher keine gesetzliche Ermächtigungs- grundlage sowohl für die AHP selbst als auch für die Organisation, das Verfahren und die Zusammensetzung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim BMAS, das dieses Regelwerk erarbeitet und ständig überprüft. Dies rügte mehrmals auch die höchstrichterliche Recht- sprechung. Mit der Änderung des Bundesversorgungsge- setzes kommt die Bundesregierung dieser Forderung nun endlich nach. Beim zweiten Kernschwerpunkt ist die Änderung in- sofern nötig, da der Begriff „Minderung der Erwerbsfä- higkeit“, MdE, der im Sozialen Entschädigungsrecht zur Feststellung des schädigungsbedingten Gesundheits- schadens verwendet wird, irreführend ist und dort, wie auch im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung, wo er ebenfalls verwendet wird, von den Betroffenen oftmals falsch verstanden wird. Dieser Ausdruck würde nämlich aus sich heraus und ohne nähere Erläuterung auch nichtursächliche Gesund- heitsschäden mit umfassen, die nach Sinn und Zweck des Sozialen Entschädigungsrechts nicht entschädigt werden können. Aus diesem Grunde ist die neue Be- zeichnung „Grad der Schädigungsfolgen“, GdS, insbe- sondere für die Betroffenen besser gewählt und damit verständlicher. Auch die Änderung im Bereich der Kriegsopferfür- sorge wird der schon jetzt gängigen Praxis angeglichen. Beispielsweise werden die Vorschriften zum Einsatz von Einkommen und Vermögen Beschädigter, die für ihr volljähriges Kind Hilfe zur Pflege oder Eingliederungs- hilfe erhalten, an die Vorschrift zur Heranziehung Unter- haltspflichtiger angeglichen. Beim vorletzten Kernpunkt der Änderung im Bereich der Heil- und Krankenbehandlung ergab sich Ände- rungsbedarf durch die bis zum Jahre 2004 erlassenen Re- formgesetze zur gesetzlichen Krankenversicherung und die Änderungen in Gesetzen, die in das Bundesversor- gungsgesetz einstrahlen und bis zum Jahre 2005 vorge- nommen wurden. Zu nennen ist hier insbesondere die Berücksichtigung von Hospizleistungen. Vor allem erfüllt dieser Gesetzentwurf die Aufgabe der Umsetzung der notwendigen Korrekturen und An- passungen im Sozialen Entschädigungsrecht und in Ge- setzen, die auf das Soziale Entschädigungsrecht unmit- telbar Bezug nehmen. Hier wird nun höchstrichterliche Rechtsprechnung in gesetzliche Vorschriften umgesetzt. Die vom Bundesrat in seinem Beschluss vom 21. Sep- tember 2007 geforderte Streichung von Art. 1 Nr. 48 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc – „Wird Versorgung abweichend von § 7 Abs. 2 erbracht, werden mit Zustim- mung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ausländische Rentenleistungen aus derselben Ursache angerechnet“ – wurde Rechnung getragen. Hier wurden vom Bundesrat dazu verfassungsrechtliche und rechts- systematische Bedenken angeführt. Insgesamt erfüllt dieser Gesetzentwurf die gesteckten Ziele bezüglich der Umsetzung der notwendigen Kor- rekturen und Anpassungen sowohl im Bundesversor- gungsgesetz als auch im Sozialen Entschädigungsgesetz und in Gesetzen, die auf das Soziale Entschädigungs- recht unmittelbar Bezug nehmen. Insofern stimmt die Fraktion CDU/CSU dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts der Bundesregierung zu. Anton Schaaf (SPD): Wir beraten heute abschlie- ßend über zahlreiche Änderungen des Bundesversor- gungsgesetzes und anderer Vorschriften. Mit den vorgese- henen Regelungen wird das Soziale Entschädigungsrecht konsequent weiterentwickelt. So organisieren wir den nötigen sozialen Ausgleich, um Menschen zu befähigen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Dies ist eine un- serer grundlegenden Aufgaben. Dieser Aufgabe stellen wir uns mit dem zur Beratung stehenden Gesetzentwurf. Im Wesentlichen schaffen wir eine demokratisch legi- timierte Grundlage für die medizinische Begutachtung im Bereich des Sozialen Entschädigungsrechts und des Schwerbehindertenrechts. Zugleich führen wir den Be- griff „Grad der Schädigungsfolgen“ ein. Damit erfolgt eine Präzisierung des Bundesversorgungsgesetzes. Da- rüber hinaus enthält der Gesetzentwurf eine Reihe weite- rer notwendig gewordener Gesetzesänderungen, die von eher redaktioneller Natur sind. Das Gesetz verankert rechtlich die Vorlage der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im So- zialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehin- dertenrecht, AHP. Bundesverfassungsgericht und Bun- dessozialgericht haben mehrfach die Schaffung solch einer materiellen Rechtsgrundlage gefordert. Bisher fehlt diese für die sogenannten Anhaltspunkte als auch für das Verfahren zu deren Erarbeitung. Auch die Zu- sammensetzung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales, des Expertengremiums, das dieses Regelwerk erarbeitet und ständig überprüft, ist bislang nicht gesetzlich geregelt. Das wird nun durch die Änderung des Bundesversor- gungsgesetzes und den Verweis im Schwerbehinderten- recht, im SGB IX, erreicht. Auf dieser Basis wird das Bundesministerium für Ar- beit und Soziales dann kurzfristig den Entwurf einer Rechtsverordnung erarbeiten, auf deren Grundlage die Anhaltspunkte laufend nach medizinisch-wissenschaftli- chen Kriterien zu überprüfen und zu aktualisieren sind. Diese Aufgabe wird der neu gegründete Medizinische Sachverständigenbeirat übernehmen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12941 (A) (C) (B) (D) Für die Betroffenen wird sich also zunächst nichts än- dern. Inhaltliche Änderungen wird es nur mit neuen wis- senschaftlichen Erkenntnissen in der Medizin geben. Daneben sorgen wir mit dem vorliegenden Gesetzent- wurf für eine begriffliche Klarstellung im Bereich der Sozialen Entschädigung. Der bisher verwendete Begriff „Minderung der Erwerbsfähigkeit“ führt in der Praxis immer wieder zu Missverständnissen. Kinder, die Opfer von Gewalt geworden sind, oder Kriegsopfer, die sich heute im Rentenalter befinden, sind kaum über ihre Erwerbsfähigkeit zu beurteilen, da sie schon aufgrund ihres Alters noch nicht oder nicht mehr erwerbsfähig sind. Darum führen wir den Begriff „Grad der Schädi- gungsfolgen“ ein. Damit haben wir für den Bereich des Sozialen Entschädigungsrechts eine deutlich zutreffen- dere Bezeichnung als bisher. Der Begriff „Grad der Schädigungsfolgen“ soll aber vor allem verdeutlichen, dass ein Gesundheitsschaden direkt aus einer Schädi- gung herrühren muss, um in diesem Rahmen Entschädi- gungsansprüche zu begründen. Es geht uns also allein um eine begriffliche Klarstellung. Substanziell ändert sich an der bisherigen Bewertung gesundheitlicher Schä- digungsfolgen nichts. Darüber hinaus werden einige Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts an den veränderten Sprachgebrauch angepasst. Außerdem ha- ben sich aufgrund von Änderungen in anderen Gesetzen einige redaktionelle Änderungen ergeben. Des Weiteren werden Rechtsfortentwicklungen durch höchstrichterliche Rechtsprechung, die bereits in der Praxis umgesetzt werden, nun auch in die Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts eingefügt. Dies be- trifft vor allem die Kriegsopferfürsorge. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme den Ge- setzentwurf grundsätzlich begrüßt. Allerdings hat er an einer Stelle verfassungsrechtliche und rechtssystemati- sche Einwendungen erhoben. Dabei geht es um die An- rechnung ausländischer Rentenleistungen. Die Bundes- regierung hat in ihrer Gegenäußerung zugesagt, die Einwendungen des Bundesrates zu überprüfen. Bisher konnte allerdings kein Einvernehmen erzielt werden. Die Bedenken des Bundesrates konnten nicht vollständig ausgeräumt werden. Darum haben wir die betreffende Vorschrift aus dem vorliegenden Gesetzesvorhaben herausgenommen. Wir können nun davon ausgehen, dass eine Anrufung des Vermittlungsausschusses und damit eine Verzögerung der unstrittigen Teile nicht mehr notwendig ist. Außer- dem wurden im Ausschuss einige redaktionelle Korrek- turen im Bereich des SGB IX vorgenommen. Jörg Rohde (FDP): Der heute zur Abstimmung ste- hende Gesetzentwurf enthält zahlreiche Vorschläge zu Verbesserungen und Klarstellungen im Bundesversor- gungsgesetz und im Sozialen Entschädigungsrecht. Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt diese notwendigen Korrekturen und unterstützt deshalb den Gesetzentwurf. Mit dem Gesetzentwurf wird eine Vielzahl leistungs- rechtlicher Klarstellungen im Bundesversorgungsgesetz erreicht. So werden zum Beispiel Brillengläser und Kon- taktlinsen für Geschädigte ersetzt, wenn diese gerade schädigungsbedingt eine Sehhilfe benötigen. Dies folgt aus dem Entschädigungsgedanken und rechtfertigt eine Abweichung vom Recht der gesetzlichen Krankenversi- cherung. Auch wird klargestellt, dass für Entschädigungsleis- tungen ambulante Rehabilitationsmaßnahmen möglich sein sollen, auch wenn dies im SGB V nicht mehr vorge- sehen ist. Die FDP begrüßt ferner – die Klarstellung, dass bei Behandlung Beschädigter auch die Reisekosten getragen werden. Dies ent- spricht der gegenwärtigen Verwaltungspraxis, – die Sicherstellung, dass Kriegsopferfürsorgeberech- tigte, die ihr Einkommen zur Bedarfsdeckung einzu- setzen haben, in Hinblick auf die Einkommensgrenze nicht schlechter dastehen als Leistungsberechtigte nach SGB XII (§ 85, 5. bis 9. Kapitel SGB XII), – dass sichergestellt wird, dass die Regelungen über den zusätzlichen Barbetrag auch für Empfänger von Entschädigungsleistungen gelten, – dass die Vorschriften zur Waisenrente im Entschädi- gungsrecht hinsichtlich der Gewährung über das 18. Lebensjahr hinaus, was die Anrechnung von Ein- kommen und Vermögen betrifft, an das Recht der Unfall- und Rentenversicherung angeglichen wer- den. Weiterhin wird im Bundesversorgungsgesetz der Be- griff „Grad der Erwerbsminderung“ durch den Begriff „Grad der Schädigungsfolgen“ ersetzt. Die FDP begrüßt, dass dadurch die Schädigung als Ursache für den Erhalt von Entschädigungsleistungen deutlicher als bisher ge- macht wird. Daneben enthält der Gesetzentwurf eine wesentliche organisatorische Veränderung: Die vom Bundesministe- rium für Arbeit und Soziales, BMAS, herausgegebenen „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbe- hindertenrecht“, AHP, werden auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Bisher gibt es für den Erlass der AHP keine gesetzliche Grundlage; dies läuft im Rahmen des Erlasses von Verwaltungsvorschriften durch das BMAS ab. Künftig regelt das Bundesversorgungsgesetz, wer an der Erstellung der AHP beteiligt wird und in wel- chem Verfahren die Vorschriften erstellt werden. Ferner begrüßt die FDP, dass in der Kriegsopferfür- sorge die Vorschriften über die Beteiligung von Beiräten gestrichen werden. Die Mitwirkung der Beiräte in grundsätzlichen Fragen der Kriegsopferfürsorge hat heute keine wesentliche Bedeutung mehr, da das BMAS hier in Zusammenarbeit mit den Integrationsämtern und Hauptfürsorgestellen „Empfehlungen zur Kriegsopfer- fürsorge“ herausgegeben hat. Eine Beteiligung der Bei- räte beim Erlass von Richtlinien findet nicht mehr statt. Für Entscheidungen in Widerspruchsverfahren treten die Beiräte bereits heute nur noch selten zusammen, und dies ist laut BMAS zeitlich und organisatorisch sehr auf- wendig. 12942 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) Die im Ausschuss beratenen Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen haben darüber hinaus allerdings er- neut gezeigt, dass die Sozialgesetzgebung mittlerweile so kompliziert geworden ist, dass selbst das Bundesmi- nisterium für Arbeit und Soziales erst mit Jahren Verspä- tung bemerkt, dass lange zurückliegende Änderungen in den Sozialgesetzbüchern noch immer keinen Eingang in die daran anknüpfende Sozialgesetzgebung gefunden ha- ben. Exemplarisch sei hier nur die bereits 2006 erfolgte Klarstellung des Merkzeichens „B“ genannt, die im Bundesversorgungsgesetz noch nicht übernommen war und jetzt, mit über einem Jahr Verspätung, nachgeholt werden muss. Die FDP ermahnt daher die Bundesregie- rung, weiter an der Vereinfachung und Entflechtung der Sozialgesetzgebung zu arbeiten. Dem heute vorliegen- den Gesetzentwurf stimmt die FDP aber zu. Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): Das Bundesversorgungsrecht regelt die Versorgung bei Ge- sundheitsschäden, für deren Folgen die staatliche Ge- meinschaft in Abgeltung eines besonderen Opfers oder aus anderen Gründen nach versorgungsrechtlichen Grundsätzen einzustehen hat. Kernstück der sozialen Entschädigung ist die Kriegsopferversorgung als eines der größten Probleme, die von der Bundesrepublik Deutschland nach Ende des Zweiten Weltkriegs zu be- wältigen waren. Nach dem letzten Sozialbudget-Bericht der Bundesregierung beliefen sich die Ausgaben für so- ziale Entschädigung auf cirka 3,9 Milliarden Euro – der Großteil Einkommensleistungen/Renten, 2,4 Milliarden Euro sowie 1 Milliarde Sachleistungen. Das vorliegende Änderungsgesetz beinhaltet folgende Schwerpunkte: Erstens. Das Ausmaß einer auszugleichenden Schädi- gung wird nach den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit“ ermittelt. Diese Anhaltspunkte sind in konkreten Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zu be- achten. Von verschiedenen Gerichten ist die fehlende de- mokratische Legitimation dieser Anhaltspunkte kritisiert worden, da ihnen eine gesetzliche Rechtsgrundlage fehlte. Der Gesetzentwurf führt nunmehr in das Bundes- versorgungsgesetz eine Ermächtigungsgrundlage für eine Rechtsverordnung ein, um eine Rechtsgrundlage zu schaffen. Eine inhaltliche Änderung erfolgt nicht. Die Linke hat hiergegen keine Vorbehalte. Zweitens. Der Begriff „Minderung der Erwerbsfähig- keit“ wird in dem Zusammenhang des Versorgungs- rechts als irreführend interpretiert, da er die Vorausset- zungen für den Leistungsbezug nicht erkennbar macht. Er wird daher systematisch ersetzt durch den Begriff „Grad der Schädigungsfolgen“. Mit der begrifflichen Neufassung sind nach der Begründung keine materiellen Veränderungen verbunden, insofern kann Die Linke auch hier zustimmen. Drittens. Hinzu kommen einige weitere Änderungen im Bereich der Kriegsopferfürsorge sowie im Bereich der Heil und Krankenbehandlung. Dass es dabei auch zu einigen – wenn auch kleineren – Verschlechterungen für die Betroffenen im Rahmen der stationären Eingliede- rungshilfe hinsichtlich der Pflegezulage und im Bereich der Heil- und Krankenbehandlung kommt, können wir nicht mittragen. Auch die Streichung der Beteiligung von Beiräten in der Kriegsopferfürsorge vermögen wir nicht nachzuvollziehen. Die Beteiligung von einschlägi- gen Verbänden ist ein Stück praktizierte Demokratie, welche bewahrt und eher ausgebaut werden sollte. Auf diesem Hintergrund kann meine Fraktion ihrem Entwurf nicht zustimmen, und wir werden uns enthalten. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist im Großen und Ganzen vernünftig, da er viele gesetzliche Klarstellun- gen schafft. Durch eine Verordnungsermächtigung wird eine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die „An- haltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbe- hindertenrecht“, AHP, geschafft. Dies fordert die höchst- richterliche Rechtsprechung seit langem. Die Bundes- regierung plant des Weiteren, den neuen Rechtsbegriff „Grad der Schädigungsfolgen“, GdS, einzuführen. Dies soll den bisher geltenden Begriff „Minderung der Er- werbsfähigkeit“, MdE, ablösen. Die MdE beschreibt den Grad der Funktionsbeeinträchtigung in Prozent. Mit dem Begriff „Grad der Schädigungsfolgen“ soll künftig im Sozialen Entschädigungsrecht deutlich gemacht werden, dass das Bundesversorgungsgesetz, BVG, „keinen umfas- senden Ersatz aller Gesundheitsschäden anstrebt und zu- dem auch nicht nur auf das Erwerbsleben beschränkt ist“. Er soll künftig die Auswirkungen von Funktionsbeein- trächtigungen in allen Lebensbereichen abdecken und nicht nur die Einschränkungen im Erwerbsleben. Darüber hinaus setzen wir mit dem Gesetzentwurf die notwendi- gen Korrekturen und Anpassungen im Sozialen Entschä- digungsrecht und in Gesetzen, die auf das Soziale Ent- schädigungsrecht Bezug nehmen, um. Ich möchte Ihnen nun aber kurz erklären, warum die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen dem Ge- setzentwurf trotz seiner vielen Verbesserungen nicht zu- stimmen kann: Die Bundesregierung versäumt es zum wiederholten Male, eine grundsätzliche und einheitliche Diskussion über die Feststellung einer Behinderung vor- zunehmen. Der Behinderungsbegriff muss konsequent nach der „Internationalen Klassifikation von Funk- tionseinschränkungen und Behinderungen“, ICF, be- stimmt werden. Diese unterscheidet Schädigungen, Ak- tivitätseinschränkungen und Partizipationsverluste, die im Wechselverhältnis von Funktionsverlusten und Kon- textfaktoren entstehen. Der Behinderungsbegriff der ICF ist allgemeiner und umfassender als der Begriff gemäß § 2 Abs. 1 Sozialgesetzbuch IX. Wird der allgemeine Behinderungsbegriff der ICF verwandt, sollte daher auch besser von einer „Beeinträchtigung der funktionalen Ge- sundheit“ gesprochen werden. Diese Definition folgt dem Geist der UN-Konvention zu den Rechten von Menschen mit Behinderungen. In einer Übersetzung vom 16. Februar 2007 ist der Personenkreis von „Men- schen mit Behinderungen“ in Art. 1 der Konvention wie folgt definiert: „Der Begriff ,Menschen mit Behinderun- gen‘ umfasst Menschen mit langfristigen körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesschädigungen, die sie im Zusammenwirken mit verschiedenen Barrieren daran Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12943 (A) (C) (B) (D) hindern können, gleichberechtigt mit anderen uneinge- schränkt und wirksam an der Gesellschaft teilzuneh- men.“ Infolge unterschiedlicher Behinderungsbegriffe in den verschiedenen Büchern des Sozialgesetzbuches kommt es darüber hinaus zu enormen Schnittstellenpro- blemen. So knüpft der Behinderungsbegriff des III. Bu- ches Sozialgesetzbuch zwar grundsätzlich an die Defini- tion des IX. Buches Sozialgesetzbuch an, nimmt aber zusätzlich Bezug auf die Teilhabefähigkeit am Arbeitsle- ben und zieht ausdrücklich den Personenkreis der Men- schen mit sogenannten Lernbehinderungen ein. Zwar wird in den Büchern II, V und VI des Sozialgesetzbu- ches ein Behinderungsbegriff verwandt, dieser wird aber weder nach Art noch nach Schwere der Behinderung nä- her konkretisiert. Ähnliche Schwierigkeiten finden wir in den Büchern VIII, XI und XII Sozialgesetzbuch vor. Zurzeit sind noch keine einheitlichen erprobten In- strumente zur Einschätzung und Bewertung einer indivi- duellen Situation entsprechend der ICF vorhanden. Im Rahmen der Beschäftigung mit den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädi- gungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ hätte parallel mit dem Prozess der Umsetzung der UN- Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinde- rungen ebensolche Instrumente diskutiert und entwickelt werden müssen. Es müssen ferner, ähnlich wie beim Pflegebedürftigkeitsbegriff, endlich finanzielle Ressour- cen zur Verfügung gestellt werden, um auch einen Be- hinderungsbegriff entsprechend der ICF zu entwickeln. Da all die von mir genannten Punkte in dem vorlie- genden Gesetzentwurf nicht einmal andiskutiert werden, können meine Fraktion und ich dem Gesamtpaket – trotz überwiegend zu begrüßender Veränderungen – nicht zu- stimmen. Unser Votum lautet: Enthaltung. Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: – Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Ände- rung des Gentechnikgesetzes – Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Ände- rung des EG-Gentechnik-Durchführungs- gesetzes – Antrag: Kennzeichnung gentechnikfreier Fütterung bei tierischen Produkten ermögli- chen – Antrag: Schutz von Mensch, Umwelt und gentechnikfreier Produktion im Gentechnik- recht bewahren (Tagesordnungspunkt 32 a und b und Zusatz- tagesordnungspunkte 9 und 10) Dr. Max Lehmer (CDU/CSU): Problem und Ziel des Entwurfes der Bundesregierung eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes lauten wie folgt: Das deutsche Gentechnikrecht ist so auszugestalten, dass Forschung und Anwendung der Gentechnik in Deutschland befördert werden. Der Schutz von Mensch und Umwelt bleibt, entsprechend dem Vorsorgegrund- satz, oberstes Ziel des Gentechnikrechts. Die Wahlfrei- heit der Landwirte sowie der Verbraucher und die Koexistenz der unterschiedlichen Bewirtschaftungsfor- men bleiben gewährleistet. Diese sind die unumstritte- nen Ziele bei der Gestaltung der rechtsverbindlichen Be- dingungen für Forschung und Anwendung der Grünen Gentechnik. Das Dritte Gesetz zur Änderung des Gentechnikge- setzes wurde am 17. März 2006 erlassen und damit die ordnungsgemäße Umsetzung der Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG vorgenommen. In der Zwischenzeit wurden zahlreiche Expertengespräche und Anhörungen aller be- teiligten Interessensgruppen durchgeführt, mit dem Ziel, den einzelnen Interessenlagen gerecht zu werden. Auf dieser Grundlage wurde das Eckpunktepapier durch das Bundeskabinett verabschiedet, auf dessen Basis die wei- tere Novellierung des Gentechnikgesetzes vorbereitet wurde. Der vor uns liegende Gesetzentwurf ist ein politi- scher Kompromiss. Lassen Sie mich kurz die vier – aus meiner Sicht – zentralen Punkte bei der anstehenden Novellierung des Gentechnikrechts ansprechen: Erstens. Die Kennzeichnung. Die umfassende Kenn- zeichnung ist die Grundlage für Transparenz und damit die Voraussetzung einer vollen Wahlfreiheit. Die jetzt vorgesehene Kennzeichnung „Ohne Gentechnik“ wird meines Erachtens diesen bisher gesetzten Zielen einer vollständigen und alle Produktionsstufen umfassenden Kennzeichnung keinesfalls gerecht. Die volle Wahlfrei- heit für den Verbraucher wäre damit nicht gewährleistet. Ich plädiere für eine prozessorientierte Kennzeichnung, bei der der Einsatz jedweder gentechnisch veränderter Organismen, also auch von Mikroorganismen, Enzymen oder Tierarzneimitteln, bei der Herstellung von Lebens- mitteln Berücksichtigung findet. Zweitens. Anbauabstände. In dem aktuell gültigen Gentechnikrecht sind Anbauabstände nicht festgelegt. Anbauabstände bilden jedoch einen wichtigen Baustein für den praktischen Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen und damit auch für ein geregeltes Nebeneinan- der verschiedener Anbausysteme – der Koexistenz. Ausreichende Abstände dienen dazu, Haftungsfälle möglichst auszuschließen. Allerdings stellen die vorlie- genden Abstände von 150 Meter bzw. 300 Meter rein politische Werte dar. Sie basieren leider nicht auf wis- senschaftlichen Erkenntnissen. Dagegen haben Wissen- schaft und Forschung durch Ihre Versuche einen Anbau- abstand von 50 Meter wiederholt als absolut ausreichend belegt. Ein solches Vorgehen sollte keinesfalls für künftige Festlegungen von Abstandwerten zur Regel werden. Vielmehr sind neue Erkenntnisse aus den vielen laufen- den und geplanten Versuchen als Grundlage zu verwen- den. 12944 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) Sehr zu begrüßen ist die im Entwurf vorgesehene Möglichkeit für Landwirte, untereinander Absprachen zur Reduzierung der Abstände zu treffen. Dies ist eine praktikable Möglichkeit, Haftungsfälle von vornherein auszuschließen und das Nebeneinander einvernehmlich zu regeln. Drittens. Standortregister. Wichtig ist: Wir stehen zur Transparenz des GVO-Anbaus. Gesetzlich erlaubter und nach den Regeln der guten fachlichen Praxis erfolgter Anbau ist legitim und muss nicht verborgen werden. An- dererseits gewinnt die Frage nach dem Schutz geneh- migter Anbau- und Versuchsflächen aufgrund der erheb- lichen Zunahme von Feldzerstörungen eine immer größere Bedeutung. Die sich leider häufenden Feldzerstörungen verursa- chen erhebliche Kosten für Unternehmen und For- schungsinstitute und vernichten wissenschaftliche Er- kenntnisse. Sie sind deshalb scharf zu verurteilen. Freilandversuche sind unverzichtbar und dienen der wichtigen Erkenntnisfindung über die ökologischen Auswirkungen des GVO-Anbaus. Praktikable Maßnah- men zur Vermeidung solcher Zerstörungen sind unum- gänglich und umgehend zu entwickeln. Viertens. Haftung. Der Entwurf des Vierten Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes sieht keine Ände- rung der Haftungsregelungen vor. Das ist das Ergebnis eines von Bundesminister Seehofer durchgeführten Fachgesprächs mit Experten aus Wissenschaft, Recht- sprechung und den Bundesministerien. Das Haftungsrecht darf nicht dazu führen, dass Land- wirte von einem Anbau zugelassener und als sicher be- werteter gv-Pflanzen abgeschreckt werden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Definition des Scha- densereignisses. Ein solches liegt erst dann vor, wenn durch Auskreuzung einer gv-Pflanze gentechnisch-ver- änderte Pflanzenanteile oberhalb des Schwellenwertes von 0,9 liegen und damit ein Vermarktungsverlust auf- tritt. Aus diesem Grunde kommt dem Schwellenwert eine erhebliche Bedeutung zu. Aus Gründen der Rechts- sicherheit ist dieser vom Gesetzgeber vorzugeben und darf nicht von Dritten – zum Beispiel potenziellen Ab- nehmern – bestimmt werden. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass der Anbau von gv-Pflan- zen, bei Einhaltung der guten fachlichen Praxis, nicht zu einem unkalkulierbaren Risiko werden darf. Schluss. Alle neuen Regelungen zur Gentechnologie müssen dem Ziel dienen, Forschung und Anwendung er- folgversprechender zugelassener und risikogeprüfter gentechnisch veränderter Pflanzen zu ermöglichen. Wie bei jeder anderen neuen Technologie müssen auch bei der Grünen Gentechnik nach erfolgter konsequenter Ri- sikoabklärung die Chancen und Potenziale genutzt wer- den können. Bei der anstehenden neuen Generation von gentechnisch veränderten Pflanzen geht es um wichtige neue Pflanzeneigenschaften: verbesserte Nährstoffge- halte, höhere Energiedichte zur Energiepflanzennutzung, bessere Eignung für schwierige Standorte und Wider- standsfähigkeit gegen klimatischen Stress sowie größere Resistenz gegen Schädlinge und Krankheiten zur Ver- meidung von Ertrags- und Qualitätsverlusten, um die Wichtigsten zu nennen. Die großen globalen Herausforderungen, gesunde und ausreichende Ernährung sowie sichere Rohstoff- und Energieversorgung durch Pflanzenanbau, machen es dringend erforderlich, die Leistungsfähigkeit der land- wirtschaftlichen Kulturpflanzen in dieser Richtung zu steigern. In diesem Zusammenhang kann die Grüne Gentechnik die bisher praktizierten Züchtungsmethoden erfolgreich ergänzen. Elvira Drobinski-Weiß (SPD): An die 30 000 Mails sind innerhalb von nur drei Tagen beim Bundestag ein- gegangen, in denen Bürgerinnen und Bürger sich da- rüber beschweren, dass diese Debatte zum Gentechnik- gesetz zu nachtschlafender Zeit stattfindet. Das zeigt uns, wie interessiert die Menschen die Entwicklung des Gentechnikrechts verfolgen, und sollte uns gemahnen, sensibel mit dem Thema umzugehen und für Vertrauen zu sorgen, indem wir für rechtliche Rahmenbedingungen eintreten, die durchgehend dem Vorsorgeprinzip gerecht werden. Ein gentechnisch veränderter Organismus ist ein Organismus, dessen genetisches Material in einer Weise verändert worden ist, wie sie unter natürlichen Bedin- gungen durch Kreuzen oder durch natürliche Rekombi- nation nicht vorkommt. So lautet die in § 3 unter Punkt 3 im Gentechnikgesetz vorgenommene Begriffsbestim- mung für einen GVO. Diese Definition verdeutlicht die Problematik, die sich aus dem Einsatz der Gentechnik im offenen System, auf dem Acker ergibt: Diese Organismen kommen in der Natur nicht vor; einmal freigelassen können sie sich dort aber verbreiten und sind nicht rückholbar. Das kann Auswirkungen haben auf die Umwelt, auf bewirtschaf- tete und auf unbewirtschaftete Flächen. Deshalb müssen für den Einsatz der Gentechnik auf dem Feld ganz an- dere Bedingungen gelten als für Arbeiten mit GVO im geschlossenen System, unter Laborbedingungen. So stellt ein Gentechnikgesetz, welches einerseits den An- bau von GVO-Pflanzen ermöglichen und andererseits Mensch, Umwelt und gentechnikfreie Wirtschaft vor den Auswirkungen des GVO-Anbaus schützen soll, ein we- nig den Versuch der Quadratur des Kreises dar. In meiner bisher noch kurzen Laufbahn im Deutschen Bundestag ist es bereits das zweite Mal, dass ich am Rin- gen um ein neues Gentechnikgesetz beteiligt bin. Die Probleme, die es dabei zu lösen gilt und die Fragen, die sich stellen, sind die gleichen geblieben wie beim ersten Mal. Die Antworten, die wir mit dem noch geltenden Gesetz darauf gefunden haben, waren sehr pragmatisch. Nach meiner Überzeugung werden sie sich am Ende nicht groß unterscheiden können von denen, die wir diesmal finden. Allerdings haben wir die Chance, bereits gewonnenen Erfahrungen einfließen lassen und sich ab- zeichnende Entwicklungen aufnehmen zu können. Der Entwurf des Gentechnikgesetzes, der heute ein- gebracht wird, ist aus unserer Sicht eine gute Beratungs- grundlage. Mit der Beibehaltung der Haftungsregelung und des flurstückgenauen öffentlichen Standortregisters bleiben in ganz zentralen Punkten die Interessen des gentechnikfreien Anbaus und der Verbraucherinnen und Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12945 (A) (C) (B) (D) Verbraucher gesichert: Die Verursacher müssen im Scha- densfall weiterhin Ausgleich leisten, und Bürgerinnen und Bürger können sich weiterhin im Internet darüber informieren, wo gentechnisch veränderte Pflanzen ange- baut werden. Ich bin sehr froh, dass wir uns mit unserem Koalitionspartner darauf geeinigt haben, denn das ist un- bürokratisch, transparent und schafft Vertrauen. Wir werden nun in den Ausschussberatungen und zu- sammen mit den Sachverständigen in einer öffentlichen Anhörung am 26. November noch einige offene Fragen zu diskutieren haben, die sich für uns zum Beispiel im Zusammenhang mit der in § 16 b des Gesetzentwurfs neu geschaffenen Möglichkeit der nachbarschaftlichen Vereinbarungen ergeben. Hier könnte die Gefahr beste- hen, dass dem Nachbarn, der auf die Einhaltung des Mindestabstands zwischen seinem Feld und dem GVO- Anbau verzichtet, nicht alle Folgen bewusst sind, die sich daraus für ihn ergeben, zum Beispiel die Kenn- zeichnung seiner Produkte, die einzuhaltenden Vorsorge- maßnahmen usw. Daraus könnten Schäden, Konflikte und Rechtsstreitigkeiten entstehen. So etwas kann nicht den Gerichten überlassen werden, und wir sollten prü- fen, wie dies von Anfang an klar geregelt werden kann. Wir werden noch einige andere Fragen diskutieren müssen, aber dafür wird es noch reichlich Gelegenheit geben. Ein Punkt, der nicht direkt das Gentechnikgesetz be- trifft, der aber im Zusammenhang mit dem Gentechnik- gesetz vereinbart worden ist, ist die Kennzeichnung tie- rischer Produkte. Ich bin sehr froh darüber, dass wir uns mit Minister Seehofer und dem Koalitionspartner darauf geeinigt haben, hier eine Regelung zu finden, die es Ver- braucherinnen und Verbrauchern möglich machen soll, bei Milch, Eiern, Fleisch und daraus gefertigten Produk- ten zu erkennen, ob diese von gentechnikfrei gefütterten Tieren stammen. Das wird ein enormer Fortschritt sein; denn hier klafft bislang eine Lücke: Nach den EU-Kennzeichnungsrege- lungen müssen gentechnisch veränderte Futtermittel zwar gekennzeichnet werden, aber diese Information findet sich nicht auf dem Endprodukt. Deshalb wissen die Konsumenten bisher nicht, ob zum Beispiel die Milch von mit gentechnisch veränderten Pflanzen gefüt- terten Kühen stammt oder nicht. Mit der Kennzeichnung werden sie endlich auch bei konventionellen Erzeugnis- sen auswählen können; sie werden die Möglichkeit be- kommen, bewusst zu entscheiden, ob sie mit ihrem Kauf den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen unterstüt- zen wollen. Gerade der Anbau von gentechnisch verän- derten Pflanzen, von Organismen, die es in der Natur nicht gibt, die sich dort aber unkontrolliert verbreiten können, ist ein sensibles Thema. Deshalb müssen Ver- braucherinnen und Verbraucher Wahlfreiheit haben; die Produkte dürfen ihnen nicht länger aufgezwungen wer- den. Nur so lassen sich Vertrauen und Akzeptanz gewin- nen. Ein Vorschlag für eine Kennzeichnungsregelung muss nun zügig vorgelegt werden, denn sie ist wichtiger Mosaikstein einer Einigung über gesetzliche Regelungen im Gentechnikbereich. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Die schwarz- rote Koalition hat entschieden, die Einbringung ihrer Novelle des Gentechnikgesetzes als letzten Tagesord- nungspunkt am gestrigen Donnerstag, also am Freitag- morgen um 4.15 Uhr vorzusehen. Damit soll sicherge- stellt werden, dass niemand die Debatte im Fernsehen verfolgen kann. Wie viel Angst hat diese Regierung, dass sie ein Gesetzeswerk, an dem sie angeblich über zwei Jahre gearbeitet hat, zu nachtschlafender Zeit im Bundestag vorstellt? Und ihre Befürchtungen sind be- gründet. Das Gesetzeswerk schadet Deutschland, scha- det den Menschen in diesem Land, und deswegen sollte es nie das Licht der Welt erblicken. In Umfragen äußert sich eine Mehrheit der Menschen ablehnend zu den Produkten der Grünen Gentechnik. Das kann angesichts von Medienkampagnen der Gegner nicht verwundern. Wir wissen von umfangreichen Un- tersuchungen, dass die Ablehnung oder Befürwortung eines Produkts nicht unbedingt einen Niederschlag auch im Kaufverhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher findet. Deshalb fürchten die Gegner der Gentechnik nichts mehr, als dass Verbraucherinnen und Verbraucher die Chance erhalten, sich an der Ladentheke selbst zu entscheiden. Verantwortliche Politiker haben die Pflicht, ihr Han- deln nicht an der Stimmung des Augenblicks auszurich- ten, sondern an übergeordneten Erfordernissen: Siche- rung der Lebensgrundlagen, Erhalt und Schaffung neuer Arbeitsplätze. Die Bundesregierung hat dies mit der Ini- tiierung ihrer Hightechstrategie richtig erkannt. Doch sie ist zu schwach, trotz Großer Koalition, die zielführenden Gesetzesinitiativen auf den Weg zu bringen. Dazu gehört ein innovationsfreundliches Gentechnikgesetz, das er- möglicht, dass im Interesse von Verbraucherinnen und Verbrauchern, im Interesse der Landwirte die in Europa zugelassenen transgenen Pflanzensorten ohne Schikane und Furcht vor Zerstörung durch Demonstrationstouris- ten angebaut werden können. Die bestehende Innova- tionsführerschaft deutscher Forschungsinstitute und Un- ternehmen braucht Rahmenbedingungen, die die zügige Entwicklung marktfähiger Produkte ermöglichen. Die FDP hat bereits im Januar einen Entwurf zur No- vellierung des Gentechnikgesetztes vorgelegt – Drucksa- che 16/4143. Unser Entwurf berücksichtigt ausgewogen die unterschiedlichen Positionen und ermöglicht Rechts- sicherheit für alle Marktbeteiligten. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung erreicht nichts von allem. Es ist absurd, nach 20 Jahren Risikoforschung, nach elf Jahren Anbau von GVO auf inzwischen über 100 Millionen Hektar Fläche über hypothetische Risiken zu philosophieren, statt die Chancen dieser Züchtungs- methode entschlossen zu nutzen. Schädlingsresistente Sorten, der Goldene Reis, haben lange bewiesen, dass sie ein erhebliches Potenzial besitzen, die Landwirt- schaft naturnäher zu gestalten, die Gesundheit der ärms- ten Menschen zu fördern. Es sind die satten Europäer, die mit ihren Kassandrarufen verhindern, dass Armut und Hunger in der Welt entschlossen bekämpft werden. All diejenigen, die sich in den vergangenen Jahren als Kassandra betätigt haben und Horrorszenarien an die 12946 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) Wand schrieben, sind aufgefordert, zur Realität zurück- zukehren, ihre Position zu korrigieren und die Bevölke- rung wissensbasiert zu informieren. Im jetzigen Novellierungsentwurf der Bundesregie- rung kritisiert die FDP insbesondere folgende Punkte: Der Schwellenwert der Kennzeichnung muss als Haf- tungsschwellenwert festgeschrieben werden. Nur so kann die geforderte Rechtssicherheit für alle Beteiligten – auch die Ökobauern – geschaffen werden. Die Vorstel- lung, dass Landwirte, die GVO anbauen, mit dem Gesetz gezwungen werden könnten, für die Einhaltung privat- rechtlicher Verträge anderer zu haften, mit denen der von der EU vorgegebene Schwellenwert von 0,9 Prozent ausgehebelt werden soll, ist rechtsstaatlich nicht haltbar. Die Bevölkerung hat ein Recht auf umfassende Infor- mationen über die Züchtungsmethode Grüne Gentech- nik. Als Liberale fühlen wir uns dem mündigen Bürger verpflichtet, der eigenverantwortlich entscheiden möchte und dafür wissenschaftlich fundierte Sachinformationen braucht. Wir fühlen uns in gleicher Weise dem Schutz des Eigentums verpflichtet. Deswegen erfüllen uns die zahlreichen Zerstörungen von Feldern, die mit gentech- nisch veränderten Pflanzen bestellt sind, mit Sorge. Die Vorgänge zeigen, dass das öffentliche Standortregister von Demonstrationstouristen als Einladung zur Zerstö- rung von Feldern empfunden wird. Dies muss unterbun- den werden. Volle Transparenz kann nur gewährleistet werden, wenn diese nicht missbraucht wird, um Felder zu zerstören. Es ist schlichte Geldverschwendung, wenn Forschungsinstitute und Unternehmen die knappen For- schungsmittel für die Überwachung ihrer Versuche aus- geben müssen. Der öffentliche Teil des Standortregisters darf somit nur auf die Gemarkung genau Auskunft ge- ben. Mit der flurstücksgenauen Ausweisung der GVO- Flächen leistet der Staat Feldzerstörungen Vorschub. Die Abstandsregelungen dienen der Organisation der Koexistenz. Dadurch wird gewährleistet, dass kein zu- fälliger Polleneintrag auf Felder von Landwirten ge- langt, die auf den Anbau von GVO verzichten wollen. Die Festlegung der Abstände für Mais missachtet die Er- gebnisse der eigenen Ressortforschung. Unterschiedli- che Abstände für konventionelle Landwirtschaft und Ökolandbau sind nicht erforderlich, denn es gilt immer derselbe Schwellenwert von 0,9 Prozent. Wir unterstützen die Regelung, dass auf benachbarten Feldern, auf denen GVO angebaut werden, kein Abstand erforderlich ist. Private Absprachen zwischen Landwir- ten sind üblich und sinnvoll und erleichtern die Organisa- tion der Koexistenz. Es ist nicht verständlich, warum es erforderlich sein soll, das Auskreuzen von GVO-Mais auf einem Feld, auf dem ebenfalls GVO-Mais angebaut wird, zu verhindern. Eine solche Forderung müssen Landwirte, die in den Regionen mit starkem Maiszüns- lerbefall Mais anbauen, als Schikane empfinden. Da- rüber hinaus gibt es auch Nutzungen der Ernte, die keine Kennzeichnung erfordern: Das ist bei der Verwendung als Tierfutter oder Rohstoff für die Biogasanlage auf dem eigenen Hof der Fall. In diesen Fällen sind eventuell Ein- kreuzungen unerheblich, es entsteht kein finanzieller Nachteil. Hinzu kommt, dass benachbarte Landwirte oh- nehin über Nacht eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts bilden können, die die Felder gemeinsam bewirtschaftet. Die Berichterstattung in den führenden Printmedien zeigen die enormen Chancen der Züchtungsmethode Grüne Gentechnik auf. Der Nobelpreisträger Norman Borlaug hat ein überzeugendes Plädoyer für die Anwen- dung der Grünen Gentechnik zur Bekämpfung des Welt- hungers veröffentlicht. Die FDP hat dazu in ihrem An- trag auf Drucksache 16/6714 konkrete Vorschläge unterbreitet und diese mit einer Vielzahl von Beispielen unterlegt. Europa – und insbesondere Deutschland – sollte endlich seine rückwärtsgewandten Träumereien beenden. Nicht die Wünsche satter Europäer sollten Maßstab der Bewertung der Grünen Gentechnik sein, sondern die Erfordernisse der Bekämpfung von Hunger und Armut in den ärmsten Ländern der Erde. Von Horst Seehofer ist keine zukunftsorientierte Poli- tik zu erwarten. Ob Milchquote, Gammelfleisch oder eben Gentechnik: Er duckt sich weg. Die Atmosphäre um die Anwendung der Grünen Gentechnik ist in Deutschland vergiftet – und maßgeblich dazu beigetra- gen haben die vorherige und auch die jetzige Bundesre- gierung. Anstatt mit gutem Beispiel voranzugehen und sichere Innovationen in Deutschland zu begrüßen, wer- den scheinbar gefühlte Risiken vermittelt. Die Quittung für die populistische Politik des Herrn Seehofer wird der Union schneller präsentiert werden, als es CDU und CSU heute bewusst und lieb ist. Denn sobald gentechnisch veränderte Futtermittel aus Übersee nicht mehr nach Europa importiert werden, ist die Vered- lungswirtschaft in Deutschland massiv bedroht. Das gilt ganz besonders für die Schweineproduktion, die auf Soja als Eiweißquelle nicht verzichten kann. Die Fortführung der Anti-Gentechnikpolitik à la Künast durch die vorlie- gende Gentechniknovelle ist eine „Kampfansage“ an die deutsche Schweine- und Geflügelhaltung. Diese dro- hende Vernichtung von Arbeitsplätzen und Wertschöp- fung vor allem im ländlichen Raum ohne erkennbaren Nutzen für die Verbraucher wird die FDP massiv be- kämpfen. Jetzt ist die Führungskraft der Bundeskanzlerin gefor- dert, die nicht weiter nach dem Grundsatz „Da mische ich mich nicht ein“ verfahren darf, sondern die im Koali- tionsvertrag festgelegte Förderung von Forschung und Anbau in Deutschland umsetzen muss. Mit Minister Seehofer ist die CDU/CSU-Fraktion völlig von der zu gemeinsamen Oppositionszeiten getragenen innova- tionsfreundlichen Gentechnikpolitik abgerückt. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Heute ist kein guter Tag für die gentechnikfreie Landwirtschaft und Imkerei in Deutschland. Es wäre aber noch schlimmer gekommen, wenn sich die CDU/CSU durchgesetzt hätte. Zum Beispiel wäre dann das öffentlich zugängliche Standortregister einfach abgeschafft worden. Auf diesem Teilerfolg sollten Sie sich aber nicht ausruhen, liebe Kol- leginnen und Kollegen der SPD. Im Ausschuss sollten wir ernsthaft darüber diskutieren, wie die Risiken des Abenteuers Agrogentechnik weiter deutlich reduziert werden können. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12947 (A) (C) (B) (D) Die vorliegenden Änderungsvorschläge zum Gen- technikgesetz und der damit verbundene Entwurf der Gentechnik-Pflanzenerzeugungsverordnung werden die gentechnikfreie Landwirtschaft und Imkerei, ob konven- tionell oder ökologisch arbeitend, langfristig nicht si- chern. Aber genau das steht in § 1: die Sicherung der Koexistenz zwischen gentechnisch veränderten und un- veränderten Pflanzen. Was aber tun, wenn die Verschlep- pungsrisiken kaum zu kontrollieren sind? Mit welchen Maßnahmen können dann die gentechnikfreie Landwirt- schaft, die Imkerei und die Verbraucherinnen und Ver- braucher geschützt werden? Der französische Präsident Sarkozy hat darauf eine Antwort: Er hat ein Moratorium des Anbaus von gentechnisch verändertem Mais ver- hängt. Ihr konservativer Kollege hat gute Gründe dafür, Frau Merkel! Aber kommen wir zum Gesetzesentwurf. Ich werde mich auf drei Aspekte konzentrieren: Erstens die Er- leichterungen der Forschung; zweitens die Transparenz und drittens die Haftungsfragen. Erstens: Die Regierung will die Forschung erleichtern. Dafür werden Vorsorge- maßnahmen schlichtweg abgeschafft und Sicherheitsbe- denken beiseite geschoben. Die Worte „Wahlfreiheit“ und „Koexistenz“ aus dem Koalitionsvertrag werden da- mit zur Farce. In § 2 ermächtigen Sie die Bundesregie- rung, bestimmte Genpflanzen von der Kontrolle und der nachträglichen Anordnungen zu befreien. Ich frage Sie warum? Ist der Preis nicht zu hoch für diese Verfahrens- beschleunigung im Namen der Forschungsfreiheit? Die Linke sieht keine sinnvolle Begründung dafür, dieses er- kennbare Risiko einzugehen. Wir lehnen daher einen so riskanten Freifahrschein für den Forschungsstandort Deutschland kategorisch ab. Aber es gibt noch mehr Forschungsförderung dieser Art. Nach § 14 Abs. 4 soll das sogenannte vereinfachte Verfahren, das bereits jetzt aufgeweicht war, weiter er- leichtert werden. Es soll Standard statt Ausnahme wer- den. Das heißt im Klartext: Im Gegensatz zur bisherigen Regelung muss der Antragsteller eine Freisetzung nur für den ersten Standort beantragen, jedoch nicht für wei- tere Freisetzungen – diese sollen nur noch nachgemeldet werden, selbst wenn es andere Standorte betrifft. Da aber bedeutet: keine Anhörung mehr, keine stand- ortbezogene Prüfung, keine Transparenz. Diese undemo- kratische Regelung ist inakzeptabel. Gerade bei dieser Risikotechnologie brauchen wir mehr Transparenz statt weniger. Alles andere ist industriehörige monopolisti- sche Politik und als vertrauensbildende Maßnahme nicht geeignet. Mit Verbraucher- und Umweltschutz hat das alles nichts zu tun. Deshalb lehnt Die Linke diese Rege- lung ab. Zweitens, die Transparenz: Hier sind die privaten Ab- sprachen ein Problem. Künftig sollen die Sicherheitsab- stände der guten fachlichen Praxis durch Absprachen von Gartenzaun zu Gartenzaun unterlaufen werden. Das soll dann zwar noch aufgeschrieben werden, aber: wer bitte erfährt dann noch wie von den Absprachen? Das wird im Gesetzentwurf nicht mal erwähnt. Transparenz ist offensichtlich nicht gewollt. Diese Regelung ist nicht nur ein Kontaminationsrisiko, sondern garantiert sie ge- radezu! Diese Ausnahmeregelung muss ersatzlos gestri- chen werden. Sie ist auch für Außenstehende nicht nach- vollziehbar ist. Die kontrollierenden Behörden können die Einhaltung dieser gesetzlichen Regelung gar nicht wirksam überprüfen. Damit werden die Landesbehörden wieder mal im Regen stehen gelassen! Für Die Linke ist die Einhaltung der Sicherheitsabstände ohne Ausnahmen eine Mindestforderung. Kommen wir zu Punkt drei, der Frage der Haftung. Wer haftet für kontaminierte Felder und Ernten, für indi- rekte Schäden zum Beispiel durch Mehrkosten zur gen- technikfreien Lebensmittelproduktion? Die Linke hat eine Kleine Anfrage zu den volkswirtschaftlichen Kos- ten dieser Risikotechnologie vorgelegt, auf deren Beant- wortung viele Interessierte warten. Doch zurück auf den Bauernhof. Wie läuft die Haftung von Betrieb zu Betrieb? Die Regelung zur gesamtschuld- nerischen Haftung bleibt entgegen der katastrophalen Vorschläge des Eckpunktepapiers aus dem Hause Seehofer vom Februar 2007 im Gesetzentwurf bestehen. Proble- matisch ist auch bei dieser Regelung die Frage der Beein- trächtigung. Nach Auffassung der Bundesregierung ist die 0,9 Prozent Grenze als gesetzlicher Schwellenwert maßgebend. Diese 0,9 Prozent beziehen sich aber nach der EU-Verordnung 1829/2003 auf die Kennzeichnung, wenn es um technisch unvermeidbare oder zufällige Ver- unreinigungen geht. Was aber ist technisch unvermeidbar oder zufällig? Ist ab jetzt jede Verschleppung zufällig oder technisch unvermeidbar, wenn der gesetzlich vorge- schriebene Sicherheitsabstand von 150 Metern eingehal- ten wird? Werden damit die 0,9 Prozent zu einem kalku- lierten und letztlich akzeptierten Risiko, also ohne Haftungsanspruch? Für Die Linke steht fest: Wer gentechnisch veränderte Pflanzen anbaut, muss für jede nachweisbare Verschlep- pung haften, auch unter 0,9 Prozent! Ein Haftungsan- spruch muss sich also an der Nachweisgrenze orientie- ren! Gleiches muss für den Nachweis im Honig gelten. Die Agrogentechnikindustrie muss für alle gesamtgesell- schaftlichen Mehrkosten durch Anbau oder Freisetzung transgener Pflanzen aufkommen. Wieso sollten die Steu- erzahler für eine Risikotechnologie bezahlen, die nie- mand will und keiner braucht? Der Linken geht es um den Schutz der Interessen der gentechnikfreien Landwirtschaft, der Imkerei und der Verbraucherinnen und Verbraucher. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Fünf Uhr morgens in Deutschland: Für diese Zeit ist die No- velle zum Gentechnikgesetz als letzter Punkt auf die Ta- gesordnung des Bundestages gesetzt worden. Bei allem Verständnis für volle Tagesordnungen, aber hier handelt es sich um ein für Verbraucherinnen und Verbraucher so- wie für die gesamte gentechnikfreie Produktionsweise durchaus bedeutendes Gesetz. Das sollte wirklich nicht zu nachtschlafender Zeit, sondern im Lichte der Öffent- lichkeit diskutiert werden. Die Bundesregierung und die Regierungskoalitionen möchten am liebsten in einer par- lamentarischen Geisterstunde das Agrogentechnikge- setz diskutieren, denn Minister Seehofer hat mit seinem 12948 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 (A) (C) (B) (D) Entwurf das bisherige Gentechnikrecht ausgehölt und seine Schutzwirkungen stark geschwächt. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die große Koalition dieses heftig kritisierte Gesetz am liebsten auch ganz ohne Debatte beschließen würde. Nicht mit uns! In zahlreichen öffentlichen Auftritten mit Landwirten, bei Lebensmittelverarbeitern und bei Verbraucher- und Ernährungsveranstaltungen heuchelt Minister Seehofer nicht nur Verständnis für deren Anliegen, sondern äu- ßerte selbst große Bedenken gegenüber der Agrogen- technik. Mit seinem Gentechnikgesetz hat er sich selbst Lügen gestraft. Mehr als 80 Prozent der Verbraucherin- nen und Verbraucher lehnen die Gentechik in Lebens- mitteln ab. Mehr als 27 000 Landwirte haben in privaten Selbstverpflichtungserklärungen im gesamten Bundes- gebiet auf einer landwirtschaftlichen Fläche von mehr als 980 000 Hektar gentechnikfreie Regionen eingerich- tet, um eine nachhaltige und gentechnikfreie Landbe- Zu Recht läuft eine breite Front aus Verbraucher-, Umwelt-, Wirtschafts- und Agrarverbänden sowie kirch- lichen Gruppen Sturm gegen diese genhofersche Verun- reinigungs-Novelle zum Gentechnikrecht. Letzte Woche zeigte Stern Marken-Profile in einer repräsentativen Stu- die, dass das Bewusstsein der Verbraucher für qualitativ hochwertige Produkte deutlich steigt. Die „Geiz-ist- geil“-Mentalität bei Lebensmittelprodukten ist Schnee von gestern. Unabhängig von allen bisher nur wenig er- forschten gesundheitlichen Risiken hätte eine Ausbrei- tung der Agrogentechnik vor allem weitreichende wirt- schaftliche Folgen. Allein 150 000 Arbeitsplätze in der stark wachsenden Biobranche sind akut durch die Geset- zesnovelle betroffen. Auch im Bereich des konventionel- len Lebensmitteleinzelhandels wächst eine immer grö- ßere Ablehnung gegenüber dieser Risikotechnologie. Deutsche Wirtschaftsunternehmen wie etwa Hipp oder die großen Handelsketten wie Edeka und Rewe haben sich klar gegen die Agrogentechnik ausgesprochen. wirtschaftung zu garantieren. Dies setzt die schwarz-rote Bundesregierung mit der vorgelegten Gesetzesnovelle einfach aufs Spiel. An einem Beispiel möchte ich Ihnen dies näher erläu- tern: Das Vorsorgeprinzip beim Umgang mit gentech- nisch veränderten Organismen ist die Basis des gelten- den Gentechnikgesetzes. Weil gentechnisch veränderte Organismen – einmal in die Natur entlassen – nicht mehr rückholbar sind, muss das Ziel der Regelungen sein, dass Verunreinigungen konsequent vermieden werden müs- sen. Diesem Ziel wird weder der Gesetzentwurf noch die Verordnung zur guten fachlichen Praxis, die derzeit im Bundesrat beraten wird, gerecht. Stattdessen leisten Bundesregierung und Koalitionsfraktionen der schlei- chenden Verunreinigung der Landwirtschaft und Um- welt Vorschub, in dem sie das Gentechnikgesetz so ver- schlechtern, dass gentechnisch veränderte Pflanzen auch dann angebaut werden dürfen, wenn diese die gentech- nikfreie Landwirtschaft gefährden. Und sie wollen Pri- vatabsprachen zulassen, mit denen rechtliche Vorsorge- vorschriften unterwandert werden können, sodass Kontrollen und Schutz vor Verunreinigungen unmöglich werden. Bündnis 90/Die Grünen lehnen die vorgelegte No- velle zum Gentechnikgesetz aus den bereits beschriebe- nen Kriterien kategorisch ab. Wir fordern die Bundesre- gierung auf, statt einer Verschlechterung des geltenden Gentechnikrechts endlich eine Monitoringverordnung sowie Maßnahmen vorzulegen, mit denen die EU-Kenn- zeichnungslücke bei Produkten von Tieren, die mit gen- technisch veränderten Futtermitteln gefüttert wurden, auf nationaler Ebene geschlossen wird, damit Verbrau- cherinnen und Verbraucher zukünftig eine echte Wahl- freiheit haben und zum Beispiel Milchprodukte wählen können von Kühen, die gentechnikfreie Futtermittel er- halten haben. Auch fordern wir bei der Verordnung zur guten fachlichen Praxis, die längst überfällig ist, tatsäch- lich wirksame Abstandsregeln. Als letzten Punkt möchte ich Minister Seehofer auf- fordern, beim EU-Zulassungsprozedere für gentechnisch veränderte Organismen den Kampf gegen Neuzulassun- gen von Gentechpflanzen, wie ihn der derzeitige EU- Umweltminister Dimas führt, voll zu unterstützen. Auch Umweltminister Gabriel lehnte letzte Woche die beiden gentechnisch veränderten Maissorten Bt11 und 1507 zum Anbau ab. 123. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13 Anlage 14 Anlage 15 Anlage 16 Anlage 17 Anlage 18 Anlage 19 Anlage 20 Anlage 21 Anlage 22
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612300000

Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie
herzlich, wünsche Ihnen einen guten Morgen und uns
gute Beratungen.

Es gibt eine Reihe von Mitteilungen zu machen, be-
vor wir in unsere heutige Tagesordnung eintreten.

Ich beginne mit einer rundum erfreulichen Mitteilung.
Der Kollege Dr. Konrad Schily feierte gestern seinen
70. Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere
ich herzlich und wünsche alles Gute.


(Beifall)


Die Fraktion der FDP teilt mit, dass der Kollege
Christian Ahrendt sein Amt als Schriftführer niederge-
legt hat. Als Nachfolger wird der Kollege Michael Link

(Heilbronn) vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan-

den? – Das ist offensichtlich der Fall. Damit ist der Kol-
lege Link zum Schriftführer gewählt.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufge-
führten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten

Rede
Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dr. Norbert
Lammert, Ulrich Adam, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordne-
ten Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Markus Meckel,
Dr. Gerhard Botz, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Cornelia Pieper, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Christoph Waitz, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP

Errichtung eines Freiheits- und Einheits-
Denkmals

– Drucksache 16/6925 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien

ZP 2 Beratung des Antrags der A
Dr. Lothar Bisky, Dr. Lukrezia Jochimsen, Petra
tzung

n 8. November 2007

.00 Uhr

Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Errichtung eines Denkzeichens mit Dokumen-
tationszentrum zur Erinnerung an die friedli-
che Revolution 1989

– Drucksache 16/6926 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin
Göring-Eckardt, Grietje Bettin, Ekin Deligöz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Diskussionsprozess über ein Freiheits- und
Einheitsdenkmal unter breit angelegter Betei-
ligung der Öffentlichkeit initiieren

– Drucksache 16/6927 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien

ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:

Haltung der Bundesregierung zu den durch
die Bundeskartellbehörde festgestellten Preis-

text
und Marktabsprachen der vier großen deut-
schen Stromkonzerne


(ZP 1 bis ZP 4 siehe 122. Sitzung)


ZP 5 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren


(Ergänzung zu TOP 42)


a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, Volker
Schneider (Saarbrücken), weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion DIE LINKE

Indisch-Deutschen Studierenden- und Wis-
schaftleraustausch fördern – Mobili-
sprogramm zum Jahr der Geisteswis-
schaften in Deutschland
bgeordneten

sen
tät
sen
– Drucksache 16/5811 –






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Ausschuss für Kultur und Medien

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Priska Hinz (Herborn), Kai Gehring, Krista
Sager, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Indisch-Deutschen Studierenden- und Wis-
senschaftleraustausch fördern – Mobili-
tätsprogramm zum Jahr der Geisteswis-
senschaften in Deutschland
– Drucksache 16/5968 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Ausschuss für Kultur und Medien

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Marcus Weinberg, Ilse Aigner, Bernward
Müller (Gera), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeord-
neten Ulla Burchardt, Jörg Tauss, Willi Brase,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD

Indisch-Deutschen Studierenden- und Wis-
senschaftleraustausch fördern – Mobili-
tätsprogramm zum Jahr der Geisteswis-
senschaften in Deutschland
– Drucksache 16/6945 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Ausschuss für Kultur und Medien

ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN:

Jüngste Entwicklungen in Pakistan
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker

Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. Lothar
Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Rentenabschläge für Langzeiterwerbslose ver-
hindern

– Drucksache 16/6933 –

Beschlussfassung/Überweisung

ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Christian
Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP

Vermittlungsgutscheine der Bundesagentur
für Arbeit marktgerecht ausgestalten – private
Arbeitsvermittlung stärken

– Drucksachen 16/1675, 16/6987 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm

ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kennzeichnung gentechnikfreier Fütterung
bei tierischen Produkten ermöglichen

– Drucksache 16/6944 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Schutz von Mensch, Umwelt und gentechnik-
freier Produktion im Gentechnikrecht bewah-
ren

– Drucksache 16/6943 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Fritz
Kuhn, Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Tempolimit 130 km/h auf Autobahnen sofort
einführen

– Drucksache 16/6894 –

Beschlussfassung/Überweisung






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Gesine Lötzsch,
Dorothee Menzner, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE

Schnellstmögliche Einführung eines generellen
Tempolimits von 130 Stundenkilometern auf
Bundesautobahnen

– Drucksache 16/6932 –

Beschlussfassung/Überweisung

ZP 13 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Sie-
benundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung
des Abgeordnetengesetzes

– Drucksache 16/6924 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

ZP 14 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur
Änderung des Bundesministergesetzes

– Drucksache 16/5052 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

ZP 15 a) – Zweite und dritte Beratung des von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Neuregelung der
Telekommunikationsüberwachung und
anderer verdeckter Ermittlungsmaß-
nahmen sowie zur Umsetzung der
Richtlinie 2006/24/EG

– Drucksache 16/5846 –

– Zweite und dritte Beratung des von den
Abgeordneten Jerzy Montag, Hans-
Christian Ströbele, Wolfgang Wieland,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform
der Telekommunikationsüberwachung

(… Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung)


– Drucksache 16/3827 –

Beschlussempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/6979 –

Berichterstattung:

(VillingenSchwenningen)

Joachim Stünker
Klaus Uwe Benneter
Jörg van Essen
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Jörg van
Essen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Mechthild Dyckmans, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP

Reform der Telefonüberwachung zügig
umsetzen

– Drucksachen 16/1421, 16/6979 –

Berichterstattung:

(VillingenSchwenningen)

Joachim Stünker
Klaus Uwe Benneter
Jörg van Essen
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag

ZP 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Nachtwei, Jürgen Trittin, Silke Stokar von
Neuforn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ohne Polizei und Justiz keine Sicherheit – Po-
lizei- und Justizaufbau in Afghanistan dras-
tisch beschleunigen

– Drucksache 16/6931 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Federführung strittig

ZP 17 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Unterhalts-
rechts

– Drucksache 16/1830 –

Beschlussempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/6980 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Christine Lambrecht
Joachim Stünker
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Jörn Wunderlich
Irmingard Schewe-Gerigk

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des

(6. Ausschuss)

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Sibylle






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
Laurischk, Jens Ackermann, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der FDP

Unterhaltsrecht ohne weiteres Zögern so-
zial und verantwortungsbewusst den ge-
sellschaftlichen Rahmenbedingungen an-
passen

– Drucksachen 16/891, 16/6980 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Christine Lambrecht
Joachim Stünker
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Jörn Wunderlich
Irmingard Schewe-Gerigk

ZP 18 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsvor-
schussgesetzes

– Drucksache 16/1829 –

– Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend (13. Ausschuss)


– Drucksache 16/5444 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Eva Möllring
Helga Lopez
Sibylle Laurischk
Jörn Wunderlich
Ekin Deligöz


(8. Ausschuss)


– Drucksache 16/5446 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Frank Schmidt
Dr. Ole Schröder
Otto Fricke
Roland Claus
Anna Lührmann

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden.

Die Tagesordnungspunkte 8, 23, 28, 30, 34, 35 a, 36,
38, 39 und 40 werden abgesetzt.

Die Tagesordnungspunkte 24 – hierbei handelt es sich
um einen Antrag zur europäischen Erweiterungs- und
Nachbarschaftspolitik – und 25 – zweite und dritte Bera-
tung des Heimkehrerstiftungsaufhebungsgesetzes – wer-
den getauscht.

Der Tagesordnungspunkt 35 b – zweite und dritte Be-
ratung eines Gesetzes zur Änderung des Tierschutzge-
setzes – soll ohne Debatte abgeschlossen werden.

Schließlich mache ich auf eine nachträgliche Aus-
schussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste
aufmerksam:
Der in der 73. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich
dem Verteidigungsausschuss (12. Ausschuss) zur Mitbe-
ratung überwiesen werden:

Gesetzentwurf der Bundesregierung über die
elektromagnetische Verträglichkeit von Be-
triebsmitteln (EMVG)


– Drucksache 16/3658 –
überwiesen:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Ich darf Sie fragen, ob Sie mit den vorgetragenen Ver-
einbarungen einverstanden sind. – Das sieht so aus.
Dann können wir das als beschlossen festhalten.

Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 3:

Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deut-
scher Streitkräfte bei der Unterstützung der
gemeinsamen Reaktion auf terroristische An-
griffe gegen die USA auf Grundlage des Arti-
kels 51 der Satzung der Vereinten Nationen
und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags
sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373

(2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Natio-

nen

– Drucksache 16/6939 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann haben wir das so vereinbart.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier.

Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeord-
neten! Es ist gerade einmal zwei Tage her, dass bei ei-
nem schrecklichen Anschlag im Norden Afghanis-
tans, in der Nähe von Baghlan, 40 Menschen zu Tode
gekommen sind. Unter den Opfern waren – Sie wissen
es – sechs afghanische Abgeordnete; darunter auch der
frühere Handelsminister Kasimi, den viele von Ihnen bei
seinen häufigen Besuchen in Deutschland kennengelernt
haben. Ich denke, es ist in Ihrem Sinne, wenn ich den
Hinterbliebenen der Opfer unser tiefes Mitgefühl aus-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
spreche und den vielen Verletzten, die es darüber hinaus
gegeben hat, baldige und vollständige Genesung wün-
sche.


(Beifall im ganzen Hause)


Seien wir uns bewusst: Das war kein Anschlag auf ei-
nen militärischen Konvoi. Das war kein Anschlag auf
die Repräsentanten ausländischer Streitkräfte in Afgha-
nistan. Das war ein Anschlag auf das Leben von afghani-
schen Männern, Frauen und Kindern. Dieser Anschlag
war möglicherweise gemeint als Anschlag auf ein gelun-
genes, mit deutscher Hilfe zustande gekommenes Wie-
deraufbauprojekt im Norden Afghanistans, das mehr als
2 000 Menschen Brot und Einkommen gesichert hat: die
Zuckerfabrik in Baghlan.

Ich erinnere daran, weil uns dieses schreckliche Er-
eignis mahnt, dass die Bekämpfung des fundamentalisti-
schen Terrors in Afghanistan eine der Aufgaben bleibt,
denen sich die internationale Staatengemeinschaft in Af-
ghanistan zu stellen hat. Bevor Sie es gleich sagen, will
ich es sagen: natürlich nicht nur mit militärischen Mit-
teln.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben vor sechs Jahren zum ersten Mal – damals
unter dem Eindruck der verheerenden Anschläge in New
York und Washington – hier im Deutschen Bundestag
ein OEF-Mandat beschlossen. Ich darf sagen: Trotz al-
ler Schwierigkeiten, die ich sehe, die wir sehen und über
die wir hier vielfach diskutiert haben, ist ein wichtiges
Ziel dieser Einsätze erreicht. Afghanistan ist heute nicht
mehr das Ausbildungszentrum für islamistischen Terro-
rismus weltweit. Aber natürlich gilt auch: Die konkrete
Gefahr durch fanatisierte Terroristen in Afghanistan ist
keineswegs gebannt.

Sie wissen: Wir haben von Anfang an unseren Beitrag
geleistet. Wir haben nicht nur mit Soldaten reagiert und
agiert; unser Ansatz war vielmehr ein politischer. Der
Schwerpunkt lag und – das darf ich gerade aufgrund der
Entscheidungen der Bundesregierung aus den jüngsten
Tagen sagen – liegt immer stärker auf dem zivilen Wie-
deraufbau. Darum haben wir eben nicht nur Soldaten
geschickt, sondern von Anfang an auch Entwicklungs-
helfer, Ingenieure, Polizeiausbilder, Regierungsberater,
Lehrer und viele andere mehr. Sie wissen: Dieser Ansatz
wird inzwischen von der internationalen Staatengemein-
schaft nicht nur geteilt, sondern auch von vielen gestützt
und in gleicher Weise dort umgesetzt.

Sie haben gehört: Wir haben uns in Verfolgung unse-
res Afghanistan-Konzeptes entschlossen, unser Engage-
ment neu zu justieren und stärker in die Infrastruktur, in
die Ausbildung und Ausstattung der afghanischen Poli-
zei und Armee zu investieren. Mittlerweile zeigt sich das
auch deutlich an den Veränderungen der Strukturen in
Afghanistan. Ich hatte hier in diesem Hause schon ein-
mal berichtet: Wir haben in den vergangenen zwei Jah-
ren die ISAF-Kontingente von 10 000 auf 40 000 ausge-
baut. Gleichzeitig haben wir die Zahl derjenigen, die
unter dem OEF-Mandat eingesetzt werden, von 20 000
auf 10 000 halbiert.

Diese Entwicklung, die wir gerne zur Kenntnis neh-
men, entlastet uns aber nicht von den Problemen, von
denen zu berichten ist, erst recht nicht von denen im
Kampf gegen ideologisch unbeugsame Terroristen. Des-
halb können wir – auch wenn sich viele das wünschen –
auf eines dieser Instrumente internationaler Politik nicht
verzichten. Deshalb ist die kleiner gewordene OEF-Mis-
sion in Afghanistan auch im nächsten Jahr noch notwen-
dig. Sie ist aber nicht nur wegen des Kampfes gegen Ter-
rorismus notwendig; denn 80 Prozent der OEF-Soldaten
arbeiten bereits heute für einen der Schwerpunkte auch
unserer Ziele in Afghanistan. Das ist, wie ich gesagt
habe, die Ausbildung der afghanischen Armee und
Polizei. Wir werden unsere Ausbildungsleistung weiter ver-
stärken. Wir sollten mit unseren NATO-Partnern – auch mit
den USA – prüfen, ob die Ausbildungsaufgaben in Zu-
kunft nicht stärker unter dem Mandat von ISAF zusam-
mengezogen werden können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich weiß, dass es nicht nur hier im Hause kritische
und berechtigte Fragen gibt. Ich will den Fragen nicht
ausweichen. Deshalb sage ich: Natürlich darf ein solcher
OEF-Einsatz nicht dazu führen, dass unser gemeinsames
vorrangiges Ziel, nämlich den Menschen dort zu helfen,
an Glaubwürdigkeit verliert oder gar ganz verloren geht.
Darum haben wir uns mit vielen Verbündeten bei unse-
ren Gesprächspartnern innerhalb der NATO für die Ver-
änderung der Einsatzregeln nicht nur bei ISAF, son-
dern auch bei OEF eingesetzt. Die Soldaten – Sie wissen
das – sind jetzt ausdrücklich angewiesen, bei ihren Ein-
sätzen Rücksicht auf die Zivilbevölkerung und kulturelle
Traditionen zu nehmen. Die Befehlslage ist darauf aus-
gerichtet, zivile Opfer zu vermeiden. Sie muss natürlich
– wir werden darauf achten – konsequent umgesetzt wer-
den.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, mein Leitmotiv – ich
hoffe, es ist unser gemeinsames Leitmotiv für die Afgha-
nistan-Politik; Sie kennen es – lautet, sich weder kopflos
rauszuhalten noch kopflos drinzubleiben. Und was für
den Gesamt-Afghanistan-Einsatz gilt, das gilt auch für
das OEF-Mandat: Wir wollen diese Strategie in Afgha-
nistan weiter mit beeinflussen. Das heißt auch, jetzt nicht
Hals über Kopf aus diesem Mandat auszusteigen. Wir
werden die nächsten Monate vielmehr aktiv nutzen und
wollen eine aktive Rolle bei der Überprüfung einneh-
men. Deshalb habe ich vorgeschlagen, dass wir eine
Überprüfung des Afghanistan Compact – damit meine
ich nicht nur die militärischen, sondern auch die zivilen
Anteile – im Rahmen einer Konferenz in Europa – und
falls es gewünscht wird, dann auch in Deutschland – in
der nächsten Zeit vornehmen.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
Die Rechtsgrundlage für den OEF-Einsatz ist und
bleibt vorläufig Art. 51 der VN-Charta. Der Sicherheits-
rat hat diese Bestimmung bei seinen Beschlüssen immer
wieder als Rechtsgrundlage genannt und in Anspruch
genommen. Trotzdem könnte ich mir vorstellen, dass die
Mandatierung des OEF-Einsatzes – oder zunächst nur
Teile davon – durch einen eigenen Beschluss des Sicher-
heitsrates erfolgt. Wir werden mit unseren Partnern da-
rüber sprechen – sprechen müssen, meine Damen und
Herren.

Ich jedenfalls baue auf eine breite Zustimmung des
Bundestages für eine Verlängerung des OEF-Mandats.
Das wäre ein starkes Zeichen für unsere Soldaten. Ich
weise auch darauf hin: Darauf hofft nicht nur Präsident
Karzai, sondern darauf hofft die gesamte afghanische
Regierung. Meiner Meinung nach sollten wir versuchen,
eine möglichst breite Zustimmung für die Verlängerung
dieses OEF-Mandats hier im Deutschen Bundestag zu
erwirken.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612300100

Das Wort erhält nun die Kollegin Homburger, FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1612300200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

bin dem Bundesaußenminister für seine Worte, die er zu
diesem furchtbaren Anschlag gefunden hat, sehr dank-
bar. Die afghanische Regierung und das afghanische
Volk sollen wissen, dass der Deutsche Bundestag, aber
auch das deutsche Volk diesen barbarischen Anschlag
verurteilen und mit ihnen trauern.


(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin davon überzeugt, dass die Mehrheit hier im
Hause die Bekämpfung des internationalen Terrorismus
weiterhin als notwendig ansieht. Das ist aber nicht pri-
mär eine militärische Aufgabe. Vielmehr sind umfas-
sende Anstrengungen zur Beseitigung der gesellschaftli-
chen, sozialen und auch ökonomischen Ursachen des
Terrorismus zu treffen. Wer allerdings behauptet, der
Wiederaufbau sei schon heute ohne militärische Absi-
cherung möglich, ist entweder gutgläubig, naiv oder will
den Menschen Sand in die Augen streuen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Eines will ich ausdrücklich sagen: Wenn wir jetzt in un-
seren Bemühungen nachlassen, dann bewirkt das nicht
nur einen Rückschlag bei der Entwicklung in Afghanis-
tan, sondern dann wird auch die Lage hier bei uns unsi-
cherer.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist ein Gebot der Vernunft, dem Politischen stets
Vorrang vor dem Militärischen zu geben. Deswegen war
der NATO-Gipfel in Riga im Januar so wichtig; denn
dort ist der Strategiewechsel beschlossen worden. Jetzt
erwarten wir – ich denke, dies tun wir gemeinsam, liebe
Kolleginnen und Kollegen – von der Bundesregierung,
dass dieser Strategiewechsel auch umgesetzt wird. Was
bedeutet dies? Es bedeutet, dass der Wiederaufbau und
die Schaffung eigener afghanischer staatlicher Struktu-
ren bei der Polizei, in der Justiz und in den Vollzugssys-
temen im Zentrum der Bemühungen stehen müssen.

Vor diesem Hintergrund sage ich klipp und klar: Es
war ein grober Fehler der Koalition, die Debatte über
Afghanistan wegen parteiinterner Querelen in der SPD
in ISAF und OEF zu trennen.


(Beifall bei der FDP – Dr. Peter Struck [SPD]: Na, na, na, so war es nicht!)


Dadurch ist der völlig falsche Eindruck entstanden, OEF
stehe singulär und das Militärische stehe im Zentrum.
Das ist kontraproduktiv, und das hätten Sie, Frau Bun-
deskanzlerin, niemals zulassen dürfen.

Von Folgendem bin ich überzeugt: Wer über die Be-
kämpfung des Terrorismus und die Zukunft Afghanis-
tans spricht, muss deutlich machen, dass er im Rahmen
eines Gesamtkonzepts handelt. Sonst wird er scheitern.

Ich möchte in diesem Zusammenhang eine Bemer-
kung zur Polizeiausbildung machen. Wir begrüßen die
Ankündigung der Bundeskanzlerin, die Bemühungen in
diesem Bereich zu verstärken und auch die finanziellen
Mittel hierfür aufzustocken. Ich möchte aber deutlich sa-
gen: Das reicht nicht aus. Es gibt nämlich noch ganz er-
hebliche organisatorische Probleme. Dabei geht es um
die Fragen: Haben wir überhaupt genügend Kapazitäten?
Haben wir genügend Leute ausgebildet, die wir zur
Wahrnehmung solcher Aufgaben ins Ausland entsenden
können? Wie ist die organisatorische Struktur zwischen
Bund und Ländern geregelt? – Diesen Fragen muss sich
die Bundesregierung endlich stellen. Sonst wird ein
Engagement im nötigen Umfang nicht möglich sein.
Dann wird all das ein Lippenbekenntnis bleiben. Das
können wir uns nicht erlauben.


(Beifall bei der FDP)


In der Debatte der letzten Wochen ist immer wieder
der Eindruck erweckt worden, es gebe ein „gutes“ ISAF-
Mandat, unter dem der Wiederaufbau stattfindet, und ein
„böses“ OEF-Mandat, das aufgrund des militärischen
Vorgehens hauptsächlich für die zivilen Opfer verant-
wortlich ist. Es wird Zeit, mit diesem Märchen aufzuräu-
men. Beide Mandate haben sich in den letzten Jahren
deutlich verändert, auch was ihr Verhältnis zueinander
betrifft. ISAF deckt längst ganz Afghanistan ab, und na-
türlich kommt es unter ISAF zu Kampfhandlungen. Um-
gekehrt werden 80 Prozent der Soldaten, die unter dem
OEF-Mandat zum Einsatz kommen, bei der Ausbildung
des afghanischen Militärs eingesetzt. Wer OEF in Af-
ghanistan beenden will, der muss sagen, wer diese Auf-
gaben übernehmen soll; denn die Aufgaben werden blei-
ben.






(A) (C)



(B) (D)


Birgit Homburger
Das bedeutet nicht, dass es keine Kritikpunkte gebe.
Wir alle wissen um die Akzeptanzprobleme der Ein-
sätze. Deshalb haben wir stets gefordert, dass alle An-
strengungen unternommen werden müssen, um zivile
Opfer zu vermeiden, und dass vor allen Dingen auf die
kulturellen Gepflogenheiten und Traditionen in Afgha-
nistan Rücksicht zu nehmen ist. Hier gibt es Fortschritte.
So wurden für ISAF neue Verhaltensregeln festgelegt.
Als wir vor kurzem Afghanistan besucht haben, hat uns
General McNeal bestätigt, dass diese auch von der Ope-
ration Enduring Freedom in vollem Umfang übernom-
men worden sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das
wäre noch vor wenigen Monaten undenkbar gewesen.
Das ist ein Erfolg der beharrlichen politischen Diskus-
sion, die hier zu einem Umdenken geführt hat.


(Beifall bei der FDP)


Es muss mit einem weiteren falschen Eindruck aufge-
räumt werden. Beim OEF-Mandat geht es längst nicht
mehr nur um Afghanistan. Die meisten deutschen Solda-
tinnen und Soldaten werden bei der Marineoperation
am Horn von Afrika eingesetzt. Auch die NATO-ge-
führte Seeraumüberwachung im Rahmen der Operation
Active Endeavour gehört dazu. Diese Einsätze werden
kaum thematisiert. Allerdings stellt sich, insbesondere
was die Operation am Horn von Afrika angeht, die
Frage, um was es hierbei eigentlich geht. Geht es noch
um die Bekämpfung des Terrorismus, oder hat sich die
Mission, dieses Mandats nicht faktisch weiterentwickelt,
und zwar in Richtung Sicherung der Handelswege? Ich
erwarte, dass sich die Bundesregierung diesen Fragen
endlich stellt und sie gemeinsam mit den Partnern
Deutschlands erörtert. Das ist zwingend notwendig,
wenn sie zukünftig Unterstützung erhalten möchte.

Meine Damen und Herren, ich denke, das Ziel der Be-
kämpfung des internationalen Terrorismus ist unbestrit-
ten. Wir brauchen den Vorrang des Politischen vor dem
Militärischen. Ohne militärische Absicherung geht es je-
doch nicht. Deshalb ist die Bundesregierung aufgefor-
dert, auf dem weiteren Weg für die richtige Gewichtung
zu sorgen. Für die FDP-Bundestagfraktion sage ich: Wir
sind bereit, Sie dabei parlamentarisch zu unterstützen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612300300

Das Wort hat nun der Bundesminister der Verteidi-

gung, Franz Josef Jung.

Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi-
gung:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich bitte den Deutschen Bundestag um Zustim-
mung zum Beschluss der Bundesregierung, den Beitrag
der Bundeswehr im Kampf gegen den internationalen
Terrorismus um zwölf Monate zu verlängern.

Wir haben gerade erst erlebt, dass auch wir von An-
schlägen in Afghanistan direkt betroffen sind. Ich
glaube, dies hat uns deutlich vor Augen geführt: Solange
es terroristische Aktivitäten wie die, die jetzt konkret in
Afghanistan zu beobachten waren, gibt, ist es notwen-
dig, das OEF-Mandat zur Bekämpfung des Terrorismus
zu verlängern. Dieses Mandat stellt einen Beitrag zur
Unterstützung unserer Bemühungen zur Gewährleistung
von Sicherheit und Wiederaufbau dar. OEF und ISAF
bedingen einander. OEF ist eine Grundlage für die Si-
cherheit unserer Soldaten in Afghanistan. Deshalb bitte
ich Sie um Ihre Zustimmung zur Verlängerung dieses
Mandats.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Im Rahmen des OEF-Mandats operieren wir zum ei-
nen in Afghanistan, zum anderen am Horn von Afrika;
das konzediere ich gerne, Frau Kollegin Homburger. Ich
war gerade mit Kollegen aus dem Deutschen Bundestag
in Akaba. Dort waren auch Soldaten zugegen, die im
Rahmen von OEF ihren Dienst tun. Ich kann Sie beruhi-
gen, Frau Kollegin Homburger: Unsere Soldatinnen und
Soldaten sichern am Horn von Afrika die Seewege und
verwehren so erstens Terroristen den Zugang zu Rück-
zugsgebieten, und zweitens leisten sie damit einen wich-
tigen Beitrag zur Sicherheit dieser Seepassage.
80 Prozent unseres Handels erfolgen ja über See. Sie
wissen: Es ist ein großes Seegebiet, vom Zugang zum
Roten Meer über die Küste Somalias, die Seewege vor
Jemen und Oman bis hin zur Straße von Hormus, in dem
unsere Marinesoldatinnen und -soldaten Sicherheit ge-
währleisten und terroristischen Aktivitäten entgegentre-
ten. Im letzten Jahr haben sie zum Beispiel 900 Schiffe
im Hinblick auf derartige Aktivitäten untersucht. Das ist
ein Beitrag zur Terrorismusbekämpfung, aber eben auch
ein Beitrag zur Herstellung der Seesicherheit im Inte-
resse der Bundesrepublik Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Im Rahmen der Operation Active Endeavour im Mit-
telmeer treten unsere Marinekräfte ebenfalls terroristi-
schen Aktivitäten entgegen und gewährleisten auch dort
die Seesicherheit.

Ich denke, dass es wichtig ist, dass wir unsere
Grundkonzeption der vernetzten Sicherheit weiter
umsetzen und durchsetzen. Die umfassende Bekämp-
fung des internationalen Terrorismus sowohl mit politi-
schen, mit entwicklungspolitischen und mit polizeili-
chen als auch mit militärischen Maßnahmen bleibt
notwendig. Deshalb bedingen die Mandate einander.

Ich halte es für wichtig, dass es uns gelungen ist, in
Afghanistan eine Koordinierung zwischen ISAF und
OEF vorzunehmen und mit konkreten Weisungen darauf
hinzuwirken, dass alle Anstrengungen unternommen
werden, um zivile Opfer zu vermeiden. Die Verhältnis-
mäßigkeit ist ja ein Punkt, der gerade in den vergange-
nen Wochen in der Diskussion eine Rolle gespielt hat.
Wenn Sie einmal die Situation im ersten Halbjahr mit
der in diesem Halbjahr vergleichen, dann kommen auch
Sie, denke ich, zu dem Schluss: Wir sind auf dem richti-
gen Weg.

Wir müssen das Vertrauen der Bevölkerung gewin-
nen. Wir müssen aber auch terroristische Aktivitäten zu-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. Franz Josef Jung
rückdrängen. Dabei muss die Verhältnismäßigkeit ge-
wahrt werden, wenn wir der Strategie der Taliban, zivile
Opfer zu verursachen, um damit die politische Diskus-
sion zu bestimmen, entgegenwirken wollen. Deshalb ist
diese Koordinierung zwischen ISAF und OEF in Af-
ghanistan, die wir in concreto durchsetzen konnten, so
wichtig.

Das alles sind Punkte, die aus meiner Sicht zu einer
wirkungsvollen und entschiedenen Terrorismusbekämp-
fung dazugehören. Wir können es uns erlauben, den Per-
sonalumfang des Mandats von 1 800 auf 1 400 Solda-
tinnen und Soldaten zu verringern. Dies reicht sowohl
für unseren Auftrag in Afghanistan als auch für unseren
Auftrag am Horn von Afrika als auch für unseren Auf-
trag im Mittelmeer im Rahmen von Active Endeavour.
Konkret besteht unsere Beteiligung aus folgenden Teil-
kontingenten: 1 000 Soldaten der See- bzw. Seeluftstreit-
kräfte, 100 Soldaten der Spezialkräfte, 100 Soldaten der
Unterstützungskräfte, 100 Soldaten der Lufttransport-
kräfte und 100 Sanitätern.

Dieses Mandat – das will ich ebenfalls unterstreichen –
dient auch der Sicherheit unserer Bevölkerung. Denn es
ist wesentlich klüger, die Gefahr unmittelbar an der
Quelle zu beseitigen, und nicht erst dann, wenn sie in
wesentlich größerem Umfang die Bundesrepublik
Deutschland erreicht. Deshalb bitte ich Sie, der Verlän-
gerung des Mandats OEF, das der Terrorismusbekämp-
fung dient, zuzustimmen.

Besten Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612300400

Ich erteile das Wort dem Kollegen Oskar Lafontaine,

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Oskar Lafontaine (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612300500

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Wir stimmen in diesem Hause darin überein, dass
der internationale Terrorismus bekämpft werden muss.
Worin wir uns unterscheiden, ist, welches der Weg ist,
den wir dazu beschreiten müssen. Meine Fraktion bleibt
bei der Auffassung, dass Krieg kein geeignetes Mittel
ist, den Terrorismus zu bekämpfen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass wir Terroris-
mus durch Kriege geradezu heranzüchten, und wir blei-
ben bei der Auffassung, die auch von den Sicherheits-
diensten und einigen Politikern in Deutschland geteilt
wird, dass wir uns den Terrorismus durch solche Kriege
geradezu in unser eigenes Land holen.

Wie die indirekte Beteiligung am Irakkrieg, so ist
auch die direkte Beteiligung am Krieg in Afghanistan
ein Bruch des Völkerrechts. Bauern, die ihr Feld be-
stellen, sind von Talibankämpfern nicht zu unterschei-
den. Unabhängig von der UNO-Entscheidung, die Sie
bemüht haben, Herr Bundesaußenminister, gelten die
Genfer Konventionen. Durch die Genfer Konventionen
wird der Schutz der Zivilbevölkerung gefordert, der in
Afghanistan nicht im Mindesten gewährleistet ist.

Die Beteiligung an der OEF ist ein grundsätzlicher,
ein fundamentaler Bruch mit einer Friedenspolitik, die
nach dem Zweiten Weltkrieg ein Markenzeichen
Deutschlands war.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Ich rufe zwei Zeugen auf: die Kanzler Helmut Schmidt
und Willy Brandt. Helmut Schmidt sagte vor einigen Ta-
gen in einem Interview – jeder von Ihnen konnte das le-
sen –:

… dieses Streben einiger Deutscher nach mehr Ver-
antwortung in der Welt ist mir zutiefst unsympa-
thisch.

Das Argument, Menschen in Not mit dem Einsatz
von Waffen zu helfen, hat es bis 1990 nicht gege-
ben. … Entwicklungshilfe ist ein gutes Konzept,
das seit Kriegsende gegolten hat. Das Völkerrecht
verbietet die militärische Intervention in einem sou-
veränen Staat, wie schwach oder stark er innerlich
auch sein mag.

Der Grund für die Intervention war ausschließlich
al-Qaida; und inzwischen ist al-Qaida nach Pakis-
tan gezogen. Sollen wir demnächst auch dort ein-
marschieren?

Meine Damen und Herren, bisher stand im Grund-
satzprogramm der einen Koalitionspartei, der SPD:
„Krieg darf kein Mittel der Politik sein“. – Das galt viele
Jahrzehnte. Jetzt wird dieser Satz durch die Formulie-
rung aufgehoben: „Der Einsatz militärischer Mittel
bleibt für uns Ultima Ratio“. Das ist eine grundsätzliche
Abkehr von der Politik Willy Brandts,


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Jörn Thießen [SPD]: Das müssen wir uns von Ihnen gerade sagen lassen, Herr Kollege!)


der in seiner Nobelpreisrede am 11. Dezember 1971
sagte:

Krieg ist nicht mehr die Ultima Ratio, sondern die
Ultima Irratio. Auch wenn das noch nicht allge-
meine Einsicht ist: Ich begreife eine Politik für den
Frieden als wahre Realpolitik dieser Epoche.

Dass Ihre Politik die Ultima Irratio im Sinne Brandts ist,
zeigen die schrecklichen Fakten. Seit Jahresbeginn wurden
in Afghanistan laut Agenturmeldungen 5 600 Menschen
getötet. Zwei Frauenrechtlerinnen aus Afghanistan,
von Terre des Femmes eingeladen, sagten: Seit 2004 ist es
schlimmer geworden. Es ist fast wieder wie unter den Ta-
liban. In ihrer Verzweiflung wählen Frauen oft den Frei-
tod durch Selbstverbrennung. Allein in der Stadt Herat
gibt es 200 Fälle pro Jahr.






(A) (C)



(B) (D)


Oskar Lafontaine
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb kürzlich
in einem Aufsatz:

Die Arbeit humanitärer Helfer ist von Afghanistan
bis Darfur aus politischen Gründen gefährlicher ge-
worden – sie gelten mittlerweile als Kriegspartei …

Wie im Irak, so ist auch in Afghanistan diese soge-
nannte militärische Mission komplett gescheitert.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Man kann Töten nicht durch Töten verhindern. Wir blei-
ben bei dieser Auffassung: Krieg ist und bleibt das fal-
sche Mittel.

Es wäre gut, wenn Sie diesen Weg wieder verließen
und sich wieder zu der verlässlichen Außenpolitik der
Bundesrepublik bekennen würden, die jahrzehntelang
ein Markenzeichen Deutschlands war.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Walter Kolbow [SPD]: Sie sind doch vor dem Verfassungsgericht gescheitert!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612300600

Winfried Nachtwei ist der nächste Redner für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612300700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

ist unverändert meine Überzeugung und Erfahrung, dass
Stabilisierung und Aufbau in Afghanistan weiterhin der
militärischen Absicherung bedürfen und dass internatio-
naler Terrorismus auch mit militärischen Mitteln be-
kämpft werden muss. Zugleich reicht es aber ganz und
gar nicht, diese prinzipielle Erklärung abzugeben. Viel-
mehr haben wir heute konkret zu überprüfen, was die
militärische Antiterroroperation Enduring Freedom
bringt und inwieweit sie noch legitim, wirksam und ver-
antwortbar ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dazu muss ich sagen: Die Bundesregierung und ihre
beiden Minister haben bisher zu erheblichen Teilen um
dieses Thema herumgeredet. Es ist zwar wichtig, etwas
zum Aufbau Afghanistans zu sagen und Wünsche zur
Zukunft von Enduring Freedom zu äußern. Vor allem
aber geht es aber darum, wie Enduring Freedom heute
aussieht, Herr Minister. Dazu sagten Sie in den letzten
Jahren notorisch nichts.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zur völkerrechtlichen Legitimation von Enduring
Freedom: Vor sechs Jahren wurde nach dem
11. September das Recht auf Selbstverteidigung in An-
spruch genommen. Sechs Jahre danach wird – so meinen
wir – diese völkerrechtliche Grundlage aber immer dün-
ner und fragwürdiger. Jetzt weiter auf das Selbstverteidi-
gungsrecht zu pochen, heißt, es völlig zu entgrenzen und
damit das internationale Gewaltverbot im Grunde zu zer-
setzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum Teilauftrag Marine nur wenige Worte: Wir
Mitglieder des Verteidigungsausschusses waren am
Horn von Afrika und haben festgestellt, dass der ur-
sprüngliche Auftrag und die Einsatzrealität inzwischen
völlig auseinandergelaufen sind. Das heißt, hier, wo es
unbestritten um eine Frage kollektiver Sicherheit geht,
ist ein klares UN-Mandat notwendig; anders geht es
nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nun zum Teilauftrag Afghanistan, Kommando Spe-
zialkräfte: Dass ein Großteil von Enduring Freedom in-
zwischen für die strategisch wichtige Aufgabe der Aus-
bildung von Armee und Polizei eingesetzt wird, ist gut.
Allerdings ist zu fragen, warum dieser große Ausbil-
dungsanteil nicht unter dem Dach von ISAF geleistet
wird. Herr Minister, Sie haben dies zu Recht als eine
Möglichkeit und Notwendigkeit angedeutet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Den strittigen Kern stellt aber die Antiterroroperation
Enduring Freedom dar. OEF war zunächst zur Vertrei-
bung der Taliban und in den Jahren danach zum Fernhal-
ten der Taliban notwendig. Seit jedoch nach der Auswei-
tung von ISAF auf das ganze Land die Gewalt in den
ursprünglichen Operationsgebieten von Enduring Free-
dom geradezu explodiert ist, muss man verstärkt die
Frage nach der Wirksamkeit stellen. Alles, was ich dazu
ansonsten gehört habe, ist so beunruhigend wie eindeu-
tig. Hochrangige Insider haben mir gegenüber die Ope-
rationsweise von Enduring Freedom mit folgenden Wor-
ten beschrieben: Es gehe nicht vorrangig darum,
Gefangene zu machen, sondern darum, die Taliban zu
zerschlagen; die Taliban würden mithilfe der Luftwaffe
gnadenlos niedergemacht.

Sehen Sie sich bitte auch die Meldungen über Endu-
ring Freedom der letzten Tage und Wochen auf der ent-
sprechenden Webseite an. 10. Oktober, Uruzgan: Zur
Unterstützung von 60 Koalitionssoldaten wurde über
19 Stunden Luftnahunterstützung mit 13 Kampfbom-
bern geflogen. Oder 19./20. Oktober, Musa Kala – man-
chen ist diese Distrikthauptstadt vielleicht bekannt –:
Mehr als drei Dutzend Tote auf der Gegnerseite. Eine
Woche später: Sieben Dutzend Tote auf der Gegnerseite.
Dies alles wird mit Aufständischenbekämpfung begrün-
det, allerdings in den Zusammenhängen von Stammes-
gesellschaften, wo man eben nicht zwischen Kämpfern
und Zivilisten, also dem Normalafghanen, der mit der
Knarre herumläuft, unterscheiden kann.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In der jüngsten OEF-Unterrichtung der Bundesregie-
rung steht folgender Satz:

Nur wenn extremistischen Kräften wirkungsvoll
begegnet wird, kann eine nachhaltige Befriedung
des Landes gelingen.

Die tatsächliche Wirksamkeit der Antiterrororganisa-
tion von Enduring Freedom ist äußerst zwiespältig. Mili-






(A) (C)



(B) (D)


Winfried Nachtwei
tärische Siege gibt es am laufenden Band. Aber zugleich
werden dabei – das ist die Botschaft, die wir aus Afgha-
nistan immer wieder hören – fortwährend Köpfe und
Herzen der Bevölkerung verloren.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb muss ich feststellen: OEF ist inzwischen
längst kontraproduktiv geworden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Sie dient nicht, wie vorgesehen, der Terrorismuseindäm-
mung, sondern facht den Terrorismus eher an. Sie ist
nicht die einzige Ursache dafür, aber sie trägt dazu bei.
Das schadet dem ISAF-Auftrag und dem internationalen
Aufbau mehr, als es ihm nutzt. Daraus ergibt sich die
Konsequenz, dass eine weitere Bereitstellung von deut-
schen KSK-Soldaten für eine solche Operation nicht
mehr notwendig, legitimierbar und verantwortbar ist.

Die Bundesregierung sollte alles dafür tun, dass mili-
tärische Sicherheitsunterstützung in Afghanistan allein
unter dem Dach von ISAF stattfindet, und das nicht zu-
letzt im Sinne eines effektiven Multilateralismus, der
eindeutig an Völkerrecht und Menschenrechte gebunden
ist.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612300800

Das Wort erhält nun der Kollege Detlef Dzembritzki,

SPD-Fraktion.


Detlef Dzembritzki (SPD):
Rede ID: ID1612300900

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist interessant,

dass die OEF zwar überwiegend außerhalb von Afgha-
nistan stattfindet, wir aber insbesondere – das ist auch
nachvollziehbar – über Afghanistan reden. Herr Kollege
Nachtwei, Sie wissen, wie Sie auch bei uns als engagier-
ter Politiker und sicherlich auch als Sachkenner Afgha-
nistans geschätzt werden, wenn man sich überhaupt als
solcher – ich beziehe mich ebenfalls mit ein – bezeich-
nen kann. Denn unsere Besuche dort waren zeitlich be-
grenzt.

Ich glaube nicht, dass wir alle über repräsentative Bil-
der verfügen. Ich warne ein bisschen davor, immer das
zu übernehmen, was uns einzelne mit auf den Weg gege-
ben haben. Mir lag zum Beispiel vor wenigen Tagen eine
sehr interessante Untersuchung von kanadischen Institu-
ten vor, die von den großen Tageszeitungen, der Rund-
funkanstalt und der Universität von Ottawa beauftragt
waren. Darin stellt sich das von den befragten Menschen
aufgezeigte Bild von Afghanistan etwas anders dar, als
wir es möglicherweise gegenwärtig selbst wahrnehmen
und durch unsere eigenen Beiträge erzeugen. Wir müs-
sen uns davor hüten, in dieser punktuellen Information
und Darstellung die Realitäten, die sich zum Positiven
entwickelt haben, zu übersehen.
Ich bin dem Bundesaußenminister sehr dankbar für
seine sensiblen Worte zu dem Attentat in Baghlan. Die-
ses Ereignis ist unvorstellbar furchtbar. Stellen Sie sich
vor, eine Delegation von 18 Bundestagsabgeordneten
besucht ein Institut, und sechs werden dort durch ein At-
tentat ermordet. Sie können sich vorstellen, welche
Empfindungen heute im Saal vorherrschen würden.
Meine Betroffenheit und mein Mitgefühl mit allen, die
dem Anschlag zum Opfer gefallen sind, und mit ihren
Familien sind sehr groß.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich bin der Kollegin Homburger sehr dankbar für ih-
ren Beitrag. Für die Querelen mit der SPD habe ich ein
bisschen Nachsicht. Ich weise darauf hin, Frau Kollegin,
dass wir uns in den zurückliegenden Monaten mit großer
Entschiedenheit des Themas Afghanistan angenommen
haben. Ich glaube, dass wir etliches dazu beigetragen ha-
ben und manches – ob Strategiewechsel oder stärkeres
ziviles Engagement – mit darauf zurückzuführen ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wenn in unserer Öffentlichkeit das Thema Afghanis-
tan diskutiert wird – das übrigens gegenwärtig nicht den
großen Zuspruch erhält, den wir Gott sei Dank im Parla-
ment immer noch erreichen –, dann finde ich es vernünf-
tig, dass wir zum Beispiel unseren Parteitag zu Recht in
die Lage versetzen, dieses Thema zu diskutieren, bevor
Entscheidungen getroffen werden können. Schließlich
wird in der Regel immer im November über dieses Man-
dat entschieden. Das bitte ich mit zu berücksichtigen.

Ich halte es für dringend notwendig, dass wir im Be-
reich der Sicherheit außerhalb des Militärs weitaus grö-
ßere Anstrengungen unternehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Jörg van Essen [FDP])


Richten Sie noch einmal den Blick auf unseren Einsatz,
den europäischen Einsatz und den Einsatz der internatio-
nalen Staatengemeinschaft im Kosovo. Das ist vergli-
chen mit Afghanistan ein Landkreis. Gestern habe ich
erfahren, dass sich die Europäische Union – das ist gut
und richtig – mit 1 800 Juristen vorbereitet, dort die
Rechtsstaatlichkeit aufzubauen und zu sichern. Über-
trägt man das auf Afghanistan, wo dies dringend not-
wendig ist, dann wird sofort deutlich, wo die Defizite
liegen. Ich fände es natürlich gut, wenn der Bundesinnen-
minister und die Landesinnenminister einmal ein Signal
dafür setzten, dass nun alle Anstrengungen unternom-
men werden, um dorthin 100, 200 oder möglicherweise
sogar 300 Ausbilder zu schicken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Herr Fried hat nach einem Kurzbesuch in Afghanistan
in der Süddeutschen Zeitung geschrieben, er habe den
Eindruck, dass dort eigentlich nur verwaltet werde und
nicht mit Leidenschaft um den Erfolg gerungen werde.
Damit hat er nicht ganz unrecht. Wir müssen darauf ach-
ten – dazu fordere ich das Parlament und die Ausschüsse






(A) (C)



(B) (D)


Detlef Dzembritzki
auf –, dass wir ausreichend Druck ausüben und für eine
entsprechende Dynamik sorgen.

Kollege Lafontaine, wir alle haben erwartet, dass Sie
unsere großen Vorbilder zitieren. Man kann die Situation
natürlich immer so interpretieren, wie man es braucht.
Ich habe Jahrzehnte mit Willy Brandt verbringen dürfen.
Ich erinnere mich zum Beispiel daran, dass Willy Brandt
als Regierender Bürgermeister von Berlin nach dem
13. August 1961 die Amerikaner mit Nachdruck auffor-
derte – das hat zu Spannungen in den Beziehungen zwi-
schen den USA und Deutschland bzw. Berlin geführt –,
endlich Panzer zu schicken, und gesagt hat: Wir wollen
ein Zeichen der Solidarität sehen, dass Westberlin nicht
allein steht. Dieser große Friedenspolitiker hat damals –
zu Recht – darum gebeten, militärische Präsenz zu zei-
gen, um deutlich zu machen, wo die Grenzen sind und
dass wir nicht bereit sind, einfach den Kopf hinzuhalten
und ihn uns sozusagen abschlagen zu lassen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612301000

Herr Kollege Dzembritzki, kommen Sie bitte zum

Schluss.


Detlef Dzembritzki (SPD):
Rede ID: ID1612301100

Die Sicherheit in Afghanistan hängt für eine gewisse

Zeit noch von der militärischen Präsenz ab. Ich bitte, das
nicht zu diskreditieren, sondern zu respektieren. Ohne
Sicherheit ist Entwicklung nicht möglich. Aber ohne
Entwicklung ist auch Sicherheit nicht denkbar. Daran
müssen wir gemeinsam arbeiten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612301200

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Dr. Freiherr zu Guttenberg für die CDU/CSU-
Fraktion.


(CDU/ CSU)


Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Herr Kollege Nachtwei, es ist schon be-
merkenswert, was der Ausstieg aus der Regierungsver-
antwortung bei Ihnen so alles bewirkt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Rauswurf!)


– „Rauswurf“ ist vielleicht sogar die bessere Bezeich-
nung. – Nicht auszudenken, welche Pirouetten Sie, wenn
Sie irgendwann in die Regierungsverantwortung zurück-
kehrten – das möge der liebe Gott verhüten –, drehen
müssten, um das darzulegen, was Sie in den ersten Jah-
ren Ihrer Regierungszeit zu OEF haben verlauten lassen!
Darauf warten wir mit Spannung, allerdings nicht auf
Ihre Rückkehr in die Regierungsverantwortung.


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Tag wird kommen!)

Herr Kollege Lafontaine, es war einmal mehr interes-
sant, zu sehen, welche Begründungsmuster Sie im Hin-
blick auf das Mandat aufgebaut haben. Bemerkenswert
war heute, dass Sie keine eigene Begründung, sondern
lediglich fremde Zitate angeführt haben. Das ist nicht
gerade Ausdruck einer großen Rede. Aber es wurde klar:
Es geht Ihnen nicht um die Verantwortung dieses Lan-
des. Es geht Ihnen auch nicht um die Menschen in Af-
ghanistan. Es geht Ihnen mit Sicherheit nicht um die Si-
cherheit unseres Landes.


(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Das ist eine große Unverschämtheit!)


Angesichts Ihrer Begründung muss man sagen, dass es
Ihnen einmal mehr um einen populistischen Rundum-
schlag geht. Das geht an der Verantwortung unseres Lan-
des vorbei.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Widerspruch bei der LINKEN)


Die von Ihnen angestoßene Debatte krankt an einem
gewissen Mangel an Aufrichtigkeit. Ihre Behauptung,
dass das Mandat, über dessen Verlängerung wir heute
debattieren, keine völkerrechtliche und verfassungs-
rechtliche Grundlage habe, ist schlicht barer Unsinn.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Sie sind doch ahnungslos! Haben Sie schon etwas von der Genfer Konvention gehört?)


Streuen Sie den Menschen unseres Landes doch nicht
Sand in die Augen! Durch stete Wiederholung wird
diese Behauptung nicht richtiger, Herr Lafontaine. Sie
bleibt falsch. Lesen Sie doch einmal die Begründungen
des Bundesverfassungsgerichtes! Gelegentlich bildet Le-
sen.

Sie benutzen OEF wiederholt als pazifistisches Fei-
genblatt; das bietet sich möglicherweise an. Sie werden
mit Ihrer Ablehnung des Mandats und Ihrer Forderung
nach einem Abzug aus Afghanistan möglicherweise Ih-
ren Zielen gerecht, nicht aber unserem Ziel, Afghanistan
aufzubauen.

Das wäre in meinen Augen schlicht ein Verrat an den
Menschen vor Ort, ein Verrat an Afghanistan.


(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Wie viele Menschen müssen denn noch sterben?)


Wir sind in Afghanistan aber eine Verpflichtung einge-
gangen und werden auch in Zukunft daran festhalten,
Herr Lafontaine.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Darüber hinaus verschweigen Sie einen Punkt, klam-
mern in Ihrer Darstellung des Mandats eines völlig aus: Es
ist sicherlich richtig, dass ein hohes Maß an Verbesse-
rungsbedarf gegeben ist. Herr Nachtwei und Frau
Homburger haben das immer wieder benannt, auch was
die Mandatsstruktur anbelangt. Eines allerdings ist Ge-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg
genstand dieses OEF-Mandates, was man nicht oft genug
wiederholen kann, nämlich die Ausbildungskompo-
nente. Sie umfasst den größten Teil dessen – der Herr
Bundesminister hat das benannt –, was unter OEF statt-
findet. Wenn wir tatsächlich ein Interesse in Afghanistan
haben, dann besteht es in der Ausbildung der Sicher-
heitskräfte vor Ort, die wir mit Vehemenz betreiben
müssen. Das ist ein Beitrag zur Stabilität, und dieser Bei-
trag wird unter OEF geleistet. Daran muss man gelegent-
lich erinnern. OEF ist nicht nur das, was Sie benennen.

Lediglich nach Abzug zu rufen, lediglich zu behaup-
ten, dass das Mandat völkerrechtswidrig sei, was nicht
der Fall ist, ist mit Sicherheit kein Konzept. Konzeptio-
nen müssen zusammengeführt werden, aber nicht in der
Art und Weise, wie es heute die Linke versucht hat.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612301300

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege

Wolfgang Gehrcke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Die applaudieren schon, bevor er etwas gesagt hat! Das scheint eine alte Gewohnheit zu sein!)



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612301400

Lieber Herr Kollege zu Guttenberg, Sie müssen schon

eine Frage beantworten, wenn Sie bemängeln, dass mein
Kollege Lafontaine die völkerrechtliche Situation nicht
korrekt beurteilt hat: Wieso fordern denn der SPD-Par-
teitag und der Bundesaußenminister in seiner Rede eine
eigene VN-Resolution zur Operation Enduring Free-
dom? Das heißt, man ist sich schon klar darüber, dass die
völkerrechtliche Basis, was die Vereinten Nationen an-
geht, mehr als dünn ist, wenn man nach sechs Jahren auf
die Idee kommt, dass es eigentlich einer Resolution der
Vereinten Nationen bedürfte. Das müssen Sie doch ein-
fach zugeben.


(Beifall bei der LINKEN)


Hier so zu tun, als ob völkerrechtlich alles klar wäre,
ist eigentlich ein Werfen von Nebelkerzen. Werfen von
Nebelkerzen ist auch, lieber Herr Kollege, wenn man
heute besonders auf die Ausbildungskomponente von
OEF abhebt. Die war nie Ziel von OEF.


(Beifall bei der LINKEN)


OEF war immer ein Kampfeinsatz; dieser Einsatz war so
geplant und wird so geführt. Dem muss man sich stellen.
Es ist aus meiner Sicht völlig klar: Am Hindukusch, in
Afghanistan herrscht Krieg, und Deutschland führt
Krieg am Hindukusch. Das muss man in aller Deutlich-
keit aussprechen und nichts anderes. Darüber können Sie
nicht hinwegreden.


(Beifall bei der LINKEN)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612301500

Zur Erwiderung Herr Kollege zu Guttenberg.


(CDU/ CSU)


Sehr verehrter Herr Kollege Gehrcke, was die Ausbil-
dungskomponente anbelangt, so habe ich vorhin betont,
dass sie die größte Komponente von OEF darstellt. Das
ist nicht nur eine Fußnote, sondern Ausbildung ist ein
Schwerpunkt der Operation Enduring Freedom.

Was die völkerrechtliche Grundlage anbelangt, so
würden wir, Herr Kollege Gehrcke, wahrscheinlich noch
die nächste halbe Stunde hier stehen, wenn ich die
Resolutionen 1386 ff., 1373, 1368, 1444 – weitere ließen
sich nennen – mit Ihnen diskutieren oder wenn ich auf
Art. 51 der UN-Charta und auf Art. 5 des NATO-Vertra-
ges verweisen würde. Vor diesem Hintergrund kann die
Behauptung, dass eine völkerrechtliche Grundlage nicht
gegeben sei, schlichtweg nur als absurd bezeichnet wer-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612301600

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/6939 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungs-
antrag auf der Drucksache 16/6971 soll an dieselben
Ausschüsse, jedoch nicht an den Haushaltsausschuss
überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 4:

Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Der Nationale Integrationsplan

Neue Wege – Neue Chancen

– Drucksache 16/6281 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich weise schon jetzt darauf hin, dass nach diesem Ta-
gesordnungspunkt, also in etwa 90 Minuten, eine na-
mentliche Abstimmung stattfindet. Ich bitte, sich darauf
in der weiteren Zeitplanung einzurichten.






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
Im Übrigen wäre es schön, wenn diejenigen, die dem
nächsten Tagesordnungspunkt nicht folgen können oder
wollen, dazu beitragen würden, dass diejenigen, die blei-
ben oder gerade hinzukommen, mit der notwendigen
Aufmerksamkeit der Debatte folgen können.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
die Staatsministerin im Kanzleramt, Frau Professor
Böhmer.

D
Dr. Maria Böhmer (CDU):
Rede ID: ID1612301700


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In unserem Land leben mehr als 15 Millionen
Menschen aus Zuwandererfamilien. Das ist immerhin
ein Fünftel der Bevölkerung. Viele dieser Menschen ha-
ben ihren Platz in unserer Gesellschaft gefunden. Sie
sind erfolgreich. Sie tragen mit ihren Fähigkeiten und
mit ihren Leistungen zum Wohlstand und zur Vielfalt
unseres Landes bei. Und sie schaffen Arbeitsplätze: Ich
verweise auf die 600 000 Unternehmer ausländischer
Herkunft in unserem Land.

Aber wir müssen auch sagen: Die Integrationspro-
bleme haben in den vergangenen Jahren zugenommen.
Es gibt Menschen aus Zuwandererfamilien, die nicht ge-
nügend deutsch sprechen. Sie schneiden in Bildung und
Ausbildung schwächer ab. Sie sind häufiger arbeitslos.
Darunter sind viele – viel zu viele – junge Menschen.
Wir können es uns nicht leisten, dass es in unserer Ge-
sellschaft eine verlorene Generation gibt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nicht hinnehmbar ist, dass einige die Grundregeln un-
seres Zusammenlebens nicht akzeptieren. Integration
braucht die Basis gemeinsamer Werte. Notwendig ist auf
der Seite der Zuwanderer die Bereitschaft, sich auf ein
Leben in Deutschland wirklich einzulassen. Das heißt, Ja
zu unserem Grundgesetz, zu unserer Rechtsordnung und
zu unserer deutschen Sprache zu sagen. Notwendig ist
auf der anderen Seite, dass diejenigen, für die Deutsch-
land Heimat ist, wirklich offen sind gegenüber denjeni-
gen, die zu uns kommen, und sie ehrlich willkommen zu
heißen. Für die Bundesregierung ist Integration eine
Aufgabe von nationaler Bedeutung. Ich sage hier ganz
klar: Wir haben in der Integrationspolitik umgesteuert.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt allerdings!)


Wir reden nicht mehr übereinander, sondern mitei-
nander. Das ist der entscheidende Punkt. Wir nehmen
damit die Menschen, die zu uns gekommen sind, ernst.
In der Vergangenheit ist vieles nur über Beiräte gesche-
hen. Wir binden sie gleichberechtigt ein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir fordern und fördern, und wir setzen auf Teilhabe
und Eigenverantwortung. Dafür steht dieser Nationale
Integrationsplan. Mit ihm haben wir ein neues Kapitel in
der Integration aufgeschlagen. Entscheidend war: Die
Bundeskanzlerin hat alle an einen Tisch geholt. Zum
ersten Integrationsgipfel kamen Vertreter aller staatli-
chen Ebenen: der Verbände, der Wirtschaft, der Gewerk-
schaften, der Kirchen, der Religionsgemeinschaften, der
Wissenschaft, des Sports, der Medien, der Kultur. Vor al-
len Dingen saßen die Migrantinnen und Migranten an
diesem Tisch, und sie haben damit die Integrationspoli-
tik mitgestaltet.

Der 14. Juli 2006 war ein historischer Tag in unserem
Land.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Er war der Startschuss für die Arbeit am Nationalen Inte-
grationsplan. 400 Personen haben daran mitgewirkt.
Zum ersten Mal haben Migrantinnen und Migranten eine
aktive Rolle in der Integrationspolitik gespielt. Sie haben
sich dieser Verantwortung gestellt, und das kommt in
vielen Selbstverpflichtungen im Nationalen Integrations-
plan zum Ausdruck.

Zum ersten Mal haben die Ministerpräsidenten einen
gemeinsamen Beschluss zur besseren Integration vonsei-
ten der Länder gefasst, und zum ersten Mal haben die
kommunalen Spitzenverbände eine gemeinsame Erklä-
rung zur Integration abgegeben. Wie wir wissen, ge-
schieht Integration vor Ort. Dort entscheidet sich das Zu-
sammenleben. Integration vor Ort muss Chefsache sein.
In den Städten werden Integrationskonzepte weiterentwi-
ckelt und umgesetzt. Das schafft bessere Ausgangsbedin-
gungen für erfolgreiche Integration in den Kommunen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber wir wissen auch, dass Integration nicht verord-
net und nicht allein vom Staat geleistet werden kann. Sie
muss in unserer gesamten Gesellschaft wachsen und vor-
angebracht werden. Deshalb brauchen wir eine aktive
Bürgergesellschaft.

Ein besonderes Kennzeichen des Nationalen Integra-
tionsplans sind die 400 Selbstverpflichtungen, die zei-
gen, dass viele dafür einstehen und Verantwortung dafür
übernehmen wollen; damit leisten sie einen ganz konkre-
ten Beitrag zur Integration in unserem Land. Die Bun-
desregierung hat selbst 150 Selbstverpflichtungen einge-
bracht. Wir stellen 750 Millionen Euro dafür bereit, dass
Integration in unserem Land vorankommt. All dieses un-
terstreicht: Der Nationale Integrationsplan ist eine große
Gemeinschaftsleistung, die wir gemeinsam auf den Weg
gebracht haben.

Ich möchte allen danken, die dazu beigetragen haben.
Ich danke ganz besonders der CDU/CSU-Bundestags-
fraktion, die den Anstoß für den Nationalen Integrations-
plan gegeben hat. Der SPD-Bundestagsfraktion danke
ich für die breite Unterstützung. Bei all den Kolleginnen
und Kollegen im Deutschen Bundestag, die mit Anre-
gungen, Impulsen, Rat und auch so mancher kritischer
Anmerkung dazu beigetragen haben, dass wir den Natio-
nalen Integrationsplan als erstes integrationspolitisches
Gesamtkonzept heute hier diskutieren können, bedanke
ich mich ebenfalls.

Die Bundeskanzlerin hat den Nationalen Integrations-
plan am 12. Juli dieses Jahres beim zweiten Integrations-






(A) (C)



(B) (D)


Staatsministerin Dr. Maria Böhmer
gipfel vorgestellt. Wir sind jetzt mitten in der Umset-
zung; denn wir haben bei der Integration keine Zeit zu
verlieren.

Der Erwerb der deutschen Sprache zieht sich wie
ein roter Faden durch den gesamten Nationalen Integra-
tionsplan. Denn nur wer die deutsche Sprache be-
herrscht, wird auch Zugang zu den Chancen und Mög-
lichkeiten, die unser Land bietet, finden.

Sprache ist in diesem Zusammenhang mehr als nur
Kommunikation. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein
hat gesagt: „Die Grenzen meiner Sprache sind die Gren-
zen meiner Welt.“ Wir wollen helfen, dass diese Grenzen
überwunden werden können.

Deshalb ist es wichtig, dass die Kinder von der
Grundschule an deutsch sprechen können, sodass sie
dem Unterricht wirklich folgen können. Das ist ein ent-
scheidender Punkt im Nationalen Integrationsplan. Die
Länder haben sich zur Sprachförderung in den Kinder-
gärten und zur flächendeckenden Durchführung von
Sprachstandstests verpflichtet. Gerade in diesen Tagen
geht Hessen als eines der großen Bundesländer diesen
wichtigen Schritt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Da ist Wahlkampf in Hessen! Normalerweise sammelt man da Unterschriften gegen Ausländer!)


Für die Bundesregierung sind die Integrationskurse
das entscheidende Instrument, um die Sprachförderung
voranzubringen. Wir haben gesagt, dass wir die Integra-
tionskurse verbessern wollen, und wir erfüllen dieses
Versprechen. Ich habe mich über die vielen Vorschläge,
die in den Nationalen Integrationsplan eingegangen sind,
gefreut. Ich danke den Kolleginnen und Kollegen, die
daran aktiv mitgewirkt haben. Es gab viele Verbesse-
rungsvorschläge in Bezug auf die Differenzierung nach
Zielgruppen, die Erhöhung der Stundenzahl und das An-
gebot von Kinderbetreuung, sodass auch Mütter davon
profitieren können. Die guten Vorschläge werden jetzt
zügig umgesetzt.

Die Integrationskursverordnung wird in Kürze auf
den Weg gebracht sein. Ich bin mir sicher, dass dann
auch die finanziellen Mittel vom Bundestag bereitge-
stellt werden. Es wäre gut, wenn wir die vorgesehenen
155 Millionen Euro zur Verfügung hätten.

Von Anfang an die deutsche Sprache zu fördern, be-
deutet auch, dass wir endlich die Sprachlosigkeit der
Mütter überwinden müssen. Denn sie behindert in vielen
Fällen die notwendige Unterstützung der Kinder. Wir ha-
ben deshalb auch einen Paradigmenwechsel vollzogen.
Wir setzen nicht mehr nur auf nachholende Integration.
Mit dem neuen Zuwanderungsgesetz gehen wir in Rich-
tung vorbereitende Integration. Es gab viel Kritik da-
ran, dass schon im Herkunftsland erste Sprachkenntnisse
erworben werden sollen. Ich halte das für richtig; denn
die Frauen, die in unser Land kommen, müssen sich ver-
ständigen und teilhaben können. Sie dürfen nicht ausge-
schlossen und unmündig bleiben. Deshalb sind die Wei-
chenstellungen, die wir in Bezug auf den Erwerb der
deutschen Sprache schon im Herkunftsland vorgenom-
men haben, so wichtig.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir sind uns einig: Bildung ist der Schlüssel für Inte-
gration. Es gibt dazu eine Vielzahl von Maßnahmen im
Nationalen Integrationsplan. Wichtig ist, dass Schulen
sich besser auf viele Kinder aus Zuwanderungsfamilien
einstellen können. Wenn heute nicht mehr nur
30 Prozent der Kinder, sondern oft 70, 80 Prozent oder
mehr Kinder aus Zuwanderungsfamilien in einer Klasse
sind, bedeutet dies eine völlig andere Unterrichtssitua-
tion für Lehrerinnen und Lehrer.

Deshalb war es so wichtig, dass die Länder gesagt
haben: Wir wollen in den nächsten fünf Jahren dafür
sorgen, dass alle Lehrerinnen und Lehrer über Fort-
bildungsmaßnahmen die Möglichkeit haben, an Sprach-
förderungsmaßnahmen teilzunehmen, sodass sie nachher
im Unterricht wirklich diese Aufgabe leisten können,
dass in jedem Fach – nicht nur in Deutsch – Sprachför-
derung stattfindet und die Bildungschancen sich für Kin-
der verbessern; denn Bildungschancen dürfen in unse-
rem Land keine Frage der Herkunft sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was mich von Anfang an ganz besonders umgetrie-
ben hat, war die Ausbildungssituation. Es ist doch ein
Alarmzeichen, wenn 40 Prozent der Jugendlichen ohne
jegliche berufliche Qualifizierung bleiben. Es muss uns
umtreiben, dass die Ausbildungsquote in den letzten Jah-
ren gesunken ist, dass die Jugendlichen aus Zuwande-
rungsfamilien von der Verbesserung der Ausbildungs-
situation nicht so profitiert haben wie die deutschen
Jugendlichen.

Deshalb ist es so entscheidend, dass beim Ausbil-
dungspakt das Thema Integration jetzt fest verankert ist.
Es ist hoch anzuerkennen, dass Unternehmer ausländi-
scher Herkunft gesagt haben: Wir wollen 10 000 Ausbil-
dungsplätze mehr zur Verfügung stellen. – Die Bundes-
regierung sorgt mit der Initiative „Aktiv für
Ausbildung“, dem Jobstarter-Programm und der Flan-
kierung durch das Sonderprogramm EQJ dafür, dass die
Chancen besser werden.

Aber die Chancen müssen von den Jugendlichen und
ihren Familien auch ergriffen werden. Deshalb werbe ich
dafür, dass wir deutlich machen: Über Bildung und Aus-
bildung geht der Weg in eine gute Zukunft in unserem
Land. Wir wollen dies auch den Eltern vermitteln. Des-
halb brauchen wir Brückenbauer, Brückenbauer, die in
den Familien – ob das die türkische Familie oder die ita-
lienische Familie ist – sagen: Schickt eure Kinder in den
Kindergarten! Unterstützt sie auf dem Weg in die Schule
und beim Übergang in die Ausbildung! – Wir wollen den
Eltern auch helfen, indem wir ein Netzwerk „Bildungs-
paten“ aufbauen.

Die Wirtschaft zieht mit. Wir haben die „Charta der
Vielfalt“ auf den Weg gebracht.

So haben wir vieles in den Nationalen Integrations-
plan aufgenommen. Er ist mehr als die Summe der






(A) (C)



(B) (D)


Staatsministerin Dr. Maria Böhmer
400 Einzelmaßnahmen. Mit dem Nationalen Integra-
tionsplan haben wir eine Aufbruchstimmung in unse-
rem Land erzeugt. Wir wollen über neue Wege neue
Chancen geben. In dieser Woche gestaltet das ZDF eine
Woche der Integration mit dem Titel „Wohngemein-
schaft Deutschland“. Das kann nicht bedeuten, dass es
ein Kommen und Gehen ist. Eine Wohngemeinschaft
muss auch Zusammenhalt bedeuten. Sie muss bedeuten,
füreinander einzustehen. Sie muss bedeuten, wechselsei-
tig Verantwortung zu übernehmen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ziehen Sie doch mal in eine! Dann wissen Sie, was „Wohngemeinschaft“ bedeutet!)


Ich kann Ihnen zusichern: Wir werden nicht locker-
lassen, wenn es um die Umsetzung all dessen geht, was
im Nationalen Integrationsplan steht. Nächstes Jahr im
Herbst wird Zwischenbilanz gezogen. Wir werden dafür
sorgen, dass aus dem Plan Wirklichkeit wird – für ein
gutes Zusammenleben in unserem Land, damit alle die
Chancen in diesem Land nutzen und an ihnen partizipie-
ren können.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612301800

Das Wort erhält nun die Kollegin Sibylle Laurischk

für FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1612301900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über den

Nationalen Integrationsplan haben wir in den vergange-
nen Monaten schon so manches gehört, aber heute wird
zum ersten Mal im Deutschen Bundestag darüber disku-
tiert. Die FDP-Fraktion begrüßt ausdrücklich, dass die
Bundesregierung sich des Themas annimmt. Wir sind
aber skeptisch, ob der Plan auch wirklich zu den Ergeb-
nissen führen wird, die gewünscht sind und die Frau
Böhmer gerade vorgetragen hat. Daran wird der Erfolg
zu messen sein.

Zu den Problemen mit dem Thema Integration haben
wir alle selbst beigetragen – das sollten wir nicht verges-
sen –; denn wir haben lange die Tatsache, ein Einwan-
derungsland zu sein, geleugnet und ignoriert. Lange
herrschte die Fehlvorstellung, dass Ausländer wieder in
ihre Heimat zurückgehen und Zuwanderer mit deutscher
Staatsangehörigkeit ohnehin problemlos dazugehören.
Wir haben mangelhafte rechtliche Rahmenbedingungen
für Zuwanderung und Integration zu lange nicht wahrge-
nommen. Außerdem besteht das Problem mangelnder
Kommunikation zwischen der deutschen Gesellschaft
und den Zugewanderten.

Die FDP-Fraktion hält es insofern für sehr wichtig,
dass die Kommunikation mit den Akteuren, die den Inte-
grationsplan aufgestellt haben, gesucht wird. Wir halten
es aber für schlecht, dass dies hinter verschlossenen Tü-
ren geschieht.


(Beifall bei der FDP)

Das Thema Integration geht alle an und muss öffentlich
diskutiert werden. Für die FDP-Fraktion ist es inakzepta-
bel, dass die demokratische Vertretung des Souveräns in
diesem Land, der Deutsche Bundestag mit allen Fraktio-
nen, zur Erstellung des Nationalen Integrationsplans
nicht eingeladen wurde.

Die Kanzlerin nennt in ihrem Vorwort zu diesem Plan
die Integration „eine Schlüsselaufgabe unserer Zeit“,
welche „in Zusammenarbeit mit allen staatlichen Ebe-
nen“ umgesetzt werden müsse. Ich frage Sie: Ist der
Deutsche Bundestag keine staatliche Ebene? Es gibt die
demokratische Tradition in diesem Land, dass politische
Entscheidungen von erheblicher Tragweite möglichst
fraktionsübergreifend geregelt werden. Die Probleme
der Integration werden Deutschland noch Jahrzehnte be-
gleiten, egal welche Regierung dieses Land hat. Politi-
sche Einigkeit und damit Sicherheit für alle Bürger und
Bürgerinnen wären daher ein vornehmes Ziel von Regie-
rungshandeln gewesen. Dieses wurde leider zugunsten
von Gipfeln mit Showeffekten vertan.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Führen wir es uns noch einmal vor Augen: Am
14. Juli 2006 wurde mit großem Medienauftrieb der
erste Integrationsgipfel abgehalten. Der Gipfel dauerte
drei Stunden, die Pressekonferenz dazu ungefähr eine
Stunde. Die Teilnehmer des Integrationsgipfels hatten
eine durchschnittliche Redezeit von knappen zweiein-
halb Minuten. Dieser erste Gipfel, auf dem Migranten
kaum zu Wort kamen, dauerte gerade einmal doppelt so
lange wie die heutige Debatte.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Sie waren doch gar nicht dabei! Frau Pieper war doch dabei!)


Ist ein Integrationsgipfel also nur eine Abnickveranstal-
tung der Regierungspolitik ohne Beteiligung des Parla-
ments, und dient er leider hauptsächlich der Selbstdar-
stellung von Regierungspolitik mit hübscher Kulisse?

Frau Böhmer, in Ihrer Einleitung zum Integrations-
plan stellen Sie zwei Leitlinien und zehn Themenfelder
vor, unter denen Bildung und Spracherwerb besondere
Bedeutung haben. Dies halten wir für gut und wichtig.
Wir haben als FDP-Fraktion ja auch den Antrag zur
deutschen Sprache als Schlüssel zur Integration vorge-
legt. Der Erfolg des Integrationsplans wird ganz ent-
scheidend davon abhängen, dass wir es schaffen, alle
jungen Menschen, schon die Kinder im Kindergarten,
zum deutschen Spracherwerb hinzuführen. Dies gilt
nicht nur für Kinder mit Migrationshintergrund; es gilt
immer mehr auch – dessen sollten wir uns bewusst sein –
für deutsche Kinder.


(Beifall bei der FDP)


In den Details bleibt der Plan seltsam vage. Absichts-
erklärungen sind aufgereiht; die Realisierung der The-
menfelder steht in den Sternen. Ich habe es bereits ge-
sagt: Wir werden den Erfolg des Plans an den
Ergebnissen messen.






(A) (C)



(B) (D)


Sibylle Laurischk

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Wie denn?)


Angesichts der aktuellen Haushaltsdiskussion wird
jedoch deutlich, dass Anspruch und Wirklichkeit weiter
auseinanderklaffen. Das Familienministerium gibt bisher
66 Millionen Euro per annum für die „Integration junger
Zuwanderinnen und Zuwanderer“ aus. Dieser Titel
wurde um 58 Millionen Euro auf 8 Millionen Euro ge-
kürzt. 44 Millionen Euro davon wurden in den Kinder-
und Jugendplan in einen neuen Integrationstitel verscho-
ben. Es bleibt eine reale Kürzung um 14 Millionen Euro
für die Integration junger Menschen im Haushaltsjahr
2008. Ich finde, hier wird ein falsches Zeichen gesetzt.


(Beifall bei der FDP)


Außerdem verkündet die Bundesregierung stolz, dass
im Finanzplanungszeitraum 750 Millionen Euro per an-
num für Maßnahmen der Integration zur Verfügung ge-
stellt würden. Das soll beeindrucken. Prüft man die Zah-
len jedoch nach, stellt man fest, dass der Bund künftig
keinen Cent mehr – keinen Cent mehr! – für Integration
ausgeben wird als bisher.

Meine Damen und Herren von der Koalition, solch
eine Effekthascherei ist unaufrichtig und beschämend.
Wenn Sie der Auffassung sind, dass die bisherigen Aus-
gaben des Bundes für Integration ausreichend sind, sa-
gen Sie das und erwecken Sie nicht den Anschein, dass
der Bund demnächst mehr tun würde.

Frau Böhmer, Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie
die im Zuwanderungsrecht bestehende Einschränkung in
Bezug auf Sprachtests für zuwandernde heiratswillige
Frauen für richtig halten. Ich hätte mir gewünscht, dass
Sie in dieser Debatte gerade nicht das Signal gegeben
hätten – Sie haben es heute wiederholt –, dass in dieser
Frage ein unterschiedliches Maß angesetzt wird. Wir
halten diese Regelung für verfassungswidrig; das haben
wir im Rahmen der Zuwanderungsdebatte deutlich ge-
sagt.

Ich möchte darauf hinweisen, dass heute auch ein
Entschließungsantrag der Linken vorliegt, in dem, wie
ich meine, richtigerweise die Einrichtung eines unabhän-
gigen Gremiums aus Vertretern aller Fraktionen vorge-
schlagen wird, so wie wir für die Einrichtung einer
Enquete-Kommission zum Thema Integration wer-
ben. Allerdings steht in diesem Entschließungsantrag
auch die Forderung nach Einführung eines Mindest-
lohns. Ein solcher ist für die FDP nun wirklich nicht ak-
zeptabel. Mit einem Taschenspielertrick werden wir
nicht dazu bewogen, über die Einführung eines Mindest-
lohns zu diskutieren.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die versuchen es halt auf allen Wegen!)


Integration kann nur gelingen, wenn wir alle diese
Zielsetzung unbefangen annehmen und wechselweise
Wünsche und Erwartungen aussprechen und verstehen.
Integration erreicht man nicht durch Unterrichtung von
oben nach unten, sondern nur dann, wenn wir nicht mehr
ausgrenzen und abspalten. Integration geschieht, wenn
wir uns selbst nahe sind und die Angst vor Fremden ab-
legen. Integration ist möglich, wenn wir integriert han-
deln – im Deutschen Bundestag und mit allen Bürgern
und Bürgerinnen in diesem Land.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612302000

Das Wort erhält nun der Kollege Fritz Rudolf Körper

für die SPD-Fraktion.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Herr Körper, schön die Regierung loben!)



Fritz Rudolf Körper (SPD):
Rede ID: ID1612302100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Als ob der Kollege Koschyk
es geahnt hätte: Ich wollte in der Tat mit einem Lob be-
ginnen


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Na also! – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Geht doch!)


und mich im Namen der SPD-Bundestagsfraktion insbe-
sondere bei Staatsministerin Frau Maria Böhmer für die
gute Zusammenarbeit im Rahmen der Integrationsfragen
bedanken – nicht nur, weil sie aus Rheinland-Pfalz
kommt, sondern auch deswegen, weil sie eine wirklich
gute Zusammenarbeit praktiziert hat.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Daran anschließend möchte ich sagen: Die in diesem
Integrationsplan vorgesehenen Maßnahmen können nur
dann gelingen, wenn wir auf allen politischen Ebenen
– ob auf Bundes-, Länder- oder kommunaler Ebene – zu-
sammenarbeiten und zu den vereinbarten Zielen stehen.
Angesichts der leeren Bundesratsbank zu meiner linken
Seite habe ich jedoch Bedenken, ob das Interesse auf der
Länderseite so groß ist, wie es dem Thema angemessen
wäre.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Situation der in Deutschland lebenden Migrantin-
nen und Migranten geht eigentlich auf das Jahr 1955 zu-
rück, in dem die ersten ausländischen Arbeitnehmer
nach Deutschland gekommen sind. Im Jahre 1964 wurde
der einmillionste Arbeitnehmer bzw. Gastarbeiter – es
war ein Portugiese – begrüßt. Er bekam ein Begrüßungs-
geschenk, ein kleines Moped.

Das Erreichen dieser Zahl wurde allseits als Grund
zum Feiern angesehen, bezeugte es doch die Stärke des
sogenannten Wirtschaftswunders durch den damit ein-
hergehenden Bedarf an Arbeitskräften. Die Freude be-
zog sich also durchaus auch auf uns selbst. Den Beteilig-
ten war damals nicht so sehr bewusst, was Max Frisch
auf den Punkt bringen sollte:

Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kamen Men-
schen.

Es kamen Menschen – so muss man hinzufügen –, die
sich selbst nicht bloß als Gastarbeiter betrachteten, son-
dern als Menschen mit eigenen Bedürfnissen und einer
eigenen Lebensplanung.






(A) (C)



(B) (D)


Fritz Rudolf Körper
Beispielsweise gab es im Jahr 1969 zum ersten Mal
einen Bericht der Bundesanstalt für Arbeit, der Zahlen
zur Lage ausländischer Arbeiter in der Bundesrepublik
Deutschland enthielt.

Meine Damen und Herren, der Begriff des „Gastar-
beiters“ war eine Abwandlung des älteren Begriffes des
„Saisonarbeiters“. Der gemeinsame Hintergrund beider
Begriffe ist die zeitliche Begrenzung des Arbeitsaufent-
haltes, die wie selbstverständlich erwartet wurde.

Die zeitliche Begrenzung des Aufenthaltes in
Deutschland wurde im Übrigen nicht nur stillschwei-
gend erwartet, nein, sie wurde vielmehr in den Anwerbe-
abkommen der ersten Zeit rechtlich verankert. Es war im
Grunde genommen ein sogenanntes Rotationsprinzip
vorgesehen. Es kamen viele Gastarbeiter zwischen 1955
und 1973.

Auch in der DDR wurden solche Arbeitskräfte aus
dem Ausland angeworben. Man nannte sie „Vertragsar-
beiter“. Sie kamen aus bestimmten Ländern, und ihr
Aufenthalt war äußerst restriktiv geregelt. Ein Familien-
nachzug beispielsweise war nicht möglich.

Meine Damen und Herren, seit den 50er-Jahren sind
Millionen von Menschen mit unterschiedlichen Motiven
zu uns gekommen. Darum haben mittlerweile
15 Millionen Menschen in Deutschland einen sogenann-
ten Migrationshintergrund.

Mit Blick auf diesen Teil unserer Bevölkerung gibt es
ein paar Entwicklungen, die uns Sorge machen müssen.
Der Anteil derjenigen zwischen 25 und 35 Jahren, die
über keinen beruflichen Bildungsabschluss verfügen,
liegt bei den Personen mit Migrationshintergrund bei
41 Prozent. Das ist ein nicht hinnehmbarer Zustand.


(Beifall bei der SPD – Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Und was tun Sie dagegen?)


– Das sagen wir gleich. – Die Ausbildungsquote bei den
jugendlichen Ausländern ist leider rückläufig. Auch das
ist nicht hinnehmbar.

Eine pragmatische Lösung dieser Probleme, die es
nicht erst seit kurzem gibt, ist leider dadurch ein Stück
verzögert worden, dass lange Zeit in einem bestimmten
politischen Raum nicht anerkannt worden ist, dass
Deutschland eigentlich ein Einwanderungsland ist.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Sind wir auch nicht!)


Mit diesem Problem haben wir zu kämpfen.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Quatsch! – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Wieso Quatsch?)


Die politische Debatte – lieber Herr Grindel, ich bin
dieser Auffassung – wurde nach meinem Dafürhalten
lange Zeit mit unnötigem ideologischen Ballast befrach-
tet, der uns nicht weitergebracht hat. Ich finde, dass wir
hier glücklicherweise auf einem besseren Weg sind.


(Beifall bei der SPD und der FDP)

Ich begrüße ausdrücklich, dass wir einen Integrations-
gipfel initiiert haben – die SPD-Bundestagsfraktion hat
sich da aktiv eingebracht –, dessen Ergebnis wir jetzt in
Form des nationalen Aktionsplans sehen.

Meine Damen und Herren, wir müssen uns da aber
ein Stück in die Selbstverpflichtung nehmen, damit die
gut gemeinten Maßnahmen dann nicht nur in diesem In-
tegrationsplan aufgeschrieben werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir nehmen Sie beim Wort!)


Vielmehr müssen sie auch umgesetzt werden. Es ist rich-
tig, dass wir dies angehen.

Ich wünsche mir, dass wir uns als Parlament an dem
notwendigen Kontrollprozess aktiv beteiligen können.
Ich will mich insbesondere bei den Kollegen Bürsch und
Veit bedanken, die sich hier aktiv eingebracht haben.
Wir sind gemeinsam der Auffassung, dass Sprache und
Sprachvermittlung eine ganz wichtige Brücke für das
Gelingen der Integration darstellen. Deswegen ist es
richtig, darauf den Schwerpunkt zu setzen.

Es wäre auch gut, wenn wir bei den Haushaltsbera-
tungen erreichen könnten, dass auf die 155 Millionen
Euro noch etwas draufgepackt wird, um die Sprachkurse
noch ein Stück effektiver zu machen.


(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was ist darüber hinaus zu tun? Ein weiterer wichtiger
Punkt ist das Thema Bildung. Wir brauchen nicht nur
eine qualifizierte Zuwanderung, sondern auch eine Qua-
lifizierung der bereits hier lebenden Migrantinnen und
Migranten. Daher ist es richtig und wichtig, auf die The-
men Bildung und berufliche Ausbildung besonderes
Augenmerk zu legen. Damit komme ich zu den Ländern.
Die Länder sind für Bildung und berufliche Ausbildung
weitgehend zuständig. Man kann nur hoffen, dass sie
diese Forderungen und Maßnahmen durch aktive Politik
unterstützen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Ich will noch
auf wenige Punkte zu sprechen kommen, die nach mei-
nem Dafürhalten über diesen Nationalen Integrations-
plan hinausreichen und über die wir miteinander disku-
tieren müssen:

Erstens. Die Einbürgerung ist aus unserer Sicht nicht
der Abschluss der Integration, sondern eine wichtige Vo-
raussetzung für ihr Gelingen. Erst die Einbürgerung
macht die volle gesellschaftliche und politische Teilhabe
möglich. Deshalb sollten wir die Einbürgerungsbedin-
gungen überprüfen und in der Praxis zu Erleichterungen
kommen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])







(A) (C)



(B) (D)


Fritz Rudolf Körper
Zweitens. Ausländer aus Nicht-EU-Staaten, die lange
in Deutschland leben, sollten aus den gleichen Gründen
das kommunale Wahlrecht erhalten.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Drittens. Wir müssen eine den Bedürfnissen des Ar-
beitsmarktes und den Bedürfnissen unserer Gesellschaft
angepasste, also eine herausforderungsgerechte Zuwan-
derungspolitik entwerfen.

Viertens sollten wir uns noch einmal – ich weiß, dass
der eine oder andere darin ein Steckenpferd von Rüdiger
Veit oder mir sieht – dem § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsge-
setzes zuwenden und ihn so ausgestalten, dass das Kin-
deswohl bei der Entscheidung über eine Aufenthaltser-
laubnis stärker in den Vordergrund gerückt wird. Auch
das ist eine Maßnahme, die wir angehen wollen.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612302200

Ich erteile nun das Wort der Kollegin Sevim Dağdelen

für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612302300

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und

Herren! Eigentlich hätten der Nationale Integrationsplan
und die zwei Integrationsgipfel zu einschneidenden Ereig-
nissen in der Geschichte bundesdeutscher Migrations-
und Integrationspolitik werden können; denn zum ersten
Mal setzte sich die Politik auf höchster Ebene gemein-
sam mit Vertretern von Migranten und Verbänden mit
Fragen der Migration und Integration auseinander. Sie
waren wichtige, nötige und seit langem überfällige Ini-
tiativen von hohem Symbolwert.

Die Anerkennung von Migrantenorganisationen als
Gesprächspartner auf höchster Ebene sollte dies verdeut-
lichen. Viele erhofften sich davon einen politischen und
gesellschaftlichen Paradigmenwechsel. Doch nun ist
die Enttäuschung groß. Der Nationale Integrationsplan
kann keinen nennenswerten Beitrag dazu leisten, die Mi-
grations- und Integrationspolitik zu modernisieren, er ist
nicht geeignet, die Voraussetzungen für eine gleichbe-
rechtigte politische, soziale und gesellschaftliche Teil-
habe aller in unserem Land lebenden Menschen zu
schaffen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Das liegt schlicht daran, dass Symbole allein nichts
nützen. Die im Plan enthaltenen unverbindlichen
Absichtserklärungen sind ungeeignet, die vielen Be-
nachteiligungen und Diskriminierungen in der Sozial-,
Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik abzuschaffen, unter
denen Migranten besonders leiden.
Für die Linke steht der Mensch als Maß aller Dinge
im Vordergrund und nicht seine Nützlichkeit im wirt-
schaftlichen Sinne.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der SPD: Für uns auch!)


Deshalb sieht für uns eine wirkungsvolle Integrationspo-
litik anders aus. Eine gute Integrationspolitik ist zugleich
eine gerechte Sozialpolitik für alle in diesem Land le-
benden Menschen.


(Beifall bei der LINKEN)


Mehr und bessere Sprach- und Integrationskurse sind
sehr wohl wichtige Schritte. Sie allein werden die Mi-
granten aber nicht vor den Hartz-Gesetzen, Arbeitsver-
boten und sozialen Benachteiligungen im Bildungssys-
tem schützen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Diese Benachteiligungen und Diskriminierungen sind
nicht die Folge unzureichender Integration der Betroffe-
nen. Das Gegenteil ist der Fall: Die Benachteiligungen
und Diskriminierungen sind es, die den Betroffenen ihre
Integration tagtäglich erschweren.

Wie kann es sein, dass wir in Ihrer Analyse der Rah-
menbedingungen für die Integrationspolitik kein Wort über
diese Diskriminierungen lesen? Wir finden kein Wort über
Rassismus und Diskriminierungen in allen Bereichen der
Gesellschaft wie Beruf, Schule, Politik und Privatleben,
kein Wort über diskriminierende, ausgrenzende Gesetze
und Regelungen wie das Asylbewerberleistungsgesetz, die
sogenannte Residenzpflicht, faktische Ausbildungs- und
Arbeitsverbote, kein Wort über den weitgehenden Aus-
schluss von der Teilnahme an Wahlen und der damit ver-
weigerten politischen Teilhabe in einem zentralen
Demokratiebereich, kein Wort über die erschwerten Ein-
bürgerungsregelungen, die Migranten sehr lange im Zu-
stand der grundlegenden Ungleichbehandlung und min-
derer Rechte belassen, und kein Wort über ein sozial
höchst selektives und Ungleichheiten verfestigendes
dreigliedriges Schulsystem.

Bei Ihnen ergibt sich der Eindruck, als wurzele die
unzureichende Integration im Unvermögen und im Un-
willen der zu Integrierenden. Sie reduzieren das Problem
weitgehend auf mangelnde Deutschkenntnisse von Mi-
granten, denen eine Bringschuld unterstellt wird. Die
Mehrheitsgesellschaft habe lediglich die Aufgabe, sie
dabei zu fördern und zu fordern. Doch während beim For-
dern im Rahmen der Novellierung des Zuwanderungs-
gesetzes knallharte gesetzliche Fakten geschaffen wurden,
bleibt es beim Fördern im Nationalen Integrationsplan bei
Handlungsempfehlungen und Absichtserklärungen. Wis-
sen Sie, das erinnert mich irgendwie an Hartz IV und die
Sozialpolitik der letzten Jahre. Beim Fordern – Zwang
und Ausbeutung – war die Politik sehr effizient und er-
folgreich, beim Fördern blieb es bei wohlfeilen Erklä-
rungen.


(Beifall bei der LINKEN)


Über aufenthaltsrechtliche Aspekte durfte auf dem
Gipfel überhaupt nicht diskutiert werden. Dafür gab es in






(A) (C)



(B) (D)


Sevim DaðdelenSevim Dağdelen
den Arbeitsgruppen überhaupt kein Mandat. Von Anfang
an war klar: Während die Bundesregierung mit den Orga-
nisationen und Verbänden in Arbeitsgruppen symbolhaft
über Integration debattierte, stellte sie im Bundestag mit
den massiven Verschärfungen im Aufenthaltsgesetz die
ganz unsymbolischen Weichen für die zukünftige hässli-
che und harte Integrationspolitik, für das, was auch Sie,
Frau Böhmer, unter den neuen Paradigmenwechseln ver-
stehen: Sanktionen statt Angebote, Ausweitung von Ab-
schiebungen statt Aufenthaltsverfestigung und Eingriffe
in Grundrechte statt Ausbau von Rechten.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider alles wahr!)


Ich sagte vor ein paar Minuten, dass Symbole keine
notwendigen Schritte ersetzen. Besonders schlimm ist es
aber, wenn das Symbolhafte die wirklichen Absichten
nicht nur zu ersetzen versucht, sondern auch versucht,
von ihnen abzulenken. Das Gesetzgebungsprojekt der
Bundesregierung steht nicht versehentlich in einem kras-
sen Widerspruch zu den Absichtserklärungen im Vorfeld
des Gipfels und zum Plan selbst. Was bleibt, ist die Er-
kenntnis, dass es nie um tatsächliche Mitbestimmung und
Teilhabe ging. Migranten und deren Organisationen soll-
ten sich als Feigenblatt für eine in Wahrheit integrations-
feindliche Politik hergeben. Die Bundesregierung hat ge-
nau jene Themen ausgeklammert, die für die Migranten
wichtig waren. Wie sonst erklären Sie sich, dass zahlrei-
che Verbände den Gipfel boykottiert haben?


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Die bereuen das schon! Die arbeiten schon wieder zusammen!)


Das war in letzter Konsequenz sehr verständlich.

Symbole ersetzen nicht die Tat. Symbole werden
missbraucht, wenn sie von Taten ablenken sollen, die zu
erklärten Zielen in Widerspruch stehen. Wer von dem Ziel
der Integration redet, darf über rechtliche und soziale
Gleichstellung nicht schweigen. Lassen Sie mich kurz
auflisten, worüber Sie lieber geschwiegen haben: Mi-
granten werden seit Jahrzehnten demokratische Rechte
der Mitbestimmung vorenthalten. Es wird verhindert,
dass sie sich an der Bildung eines demokratischen Mehr-
heitswillens beteiligen und mit gestalten können. Die
Linke will diese Integrationshemmnisse beseitigen.
Deshalb fordern wir die erleichterte Einbürgerung. Aber
auch für Menschen, die keinen deutschen Pass haben,
müssen Grund-, Bürger- und Menschenrechte gelten.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke will, dass politische Rechte dort gewähr-
leistet werden, wo der Lebensmittelpunkt der Menschen
ist. Deshalb muss mindestens das kommunale Wahlrecht
für Nicht-EU-Bürger eingeführt werden. Die Linke for-
dert strukturelle Veränderungen im Kinderbetreuungs-
und Bildungssystem, um die Lern- und Bildungschancen
von Migranten zu verbessern; das heißt, statt des drei-
gliedrigen Schulsystems die Einführung eines flächen-
und bedarfsgerechten ganztägigen Schulangebots.


(Beifall bei der LINKEN)

Veränderungen bedarf es auch bei der Ausbildung.
Statt ausländische Unternehmer, wie Frau Böhmer das
dargestellt hat, immer wieder aufzurufen, jugendliche
Migranten auszubilden, fordert Die Linke, alle Unter-
nehmen der Privatwirtschaft und des öffentlichen Diens-
tes in die Verantwortung zu nehmen und eine gesetzliche
Ausbildungsplatzumlage einzuführen, um allen Jugend-
lichen einen Ausbildungsplatz zu ermöglichen.

Darüber hinaus fordern wir, ausländische Abschlüsse
von Migranten leichter anzuerkennen. Denn sonst rau-
ben wir diesen Menschen ihre biografischen Leistungen.

Ganz besonders fordern wir die Einführung eines ge-
setzlichen Mindestlohns und die Umwandlung von Mini-
jobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsver-
hältnisse, weil gerade Migranten überdurchschnittlich
stark im Niedriglohnbereich ausgebeutet werden.

Meine Damen und Herren, wenn Sie die Integration
von Menschen wollen, dann müssen Sie dafür die Rah-
menbedingungen schaffen. Nur so erreichen wir die
dringend erforderliche Förderung und Stärkung der be-
reits laufenden und bestehenden eigenständigen Integra-
tionsdynamik. Sie würden bemerken, dass sich alle ver-
meintlichen Probleme fast von selbst erledigten.

Am deutlichsten macht sich dies bei der Sprache be-
merkbar. Wenn ich heute von dieser Stelle und an diesem
Ort zu Ihnen spreche, dann doch nicht deswegen, weil
man mich in Sprachkurse gesteckt hätte. Sprache ist
Herzenssache.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich selbst und jede Frau und jeder Mann werden so
sprechen, wie es ihnen das jeweilige Lebensumfeld er-
möglicht.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612302400

Frau Kollegin, Sie denken bitte an Ihre Redezeit.


Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612302500

Ich komme zum Schluss.

Sprache ist nicht die erste Voraussetzung für Integra-
tion, sondern vor allem ihre tägliche Folge.

Abschließend eine kurze persönliche Bemerkung. Als
meine Eltern vor 35 Jahren in Deutschland ihr Zuhause
fanden, war es nicht der Zwang, der Druck, der uns zum
Teil der hiesigen Gesellschaft machte. Vielmehr hat man
gegen Schwierigkeiten und Hindernisse gekämpft, um
diese zu überwinden.

Sorgen Sie sich um die Teilhabe und die soziale Ge-
rechtigkeit für Migranten, für deutsche Staatsbürger, für
Arbeitnehmer, für Frauen und für Kinder, also für alle
Menschen in diesem Land! Und Sie werden erleben,
dass eine gerechte Gesellschaft ohne Ausgrenzungen,
ohne Gräben zwischen den Menschen auskommt.

Danke sehr.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612302600

Renate Künast ist die nächste Rednerin für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612302700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Frau Böhmer, ich weiß nicht, ob es Ihrerseits Chuzpe
oder Naivität war, die Sie uns hier vorgeführt haben, als
Sie den Nationalen Integrationsplan vorgestellt haben.
Sie haben darüber geredet, dass der 14. Juli des letzten
Jahres ein historisches Datum gewesen sei, weil an die-
sem Tage der Integrationsgipfel stattgefunden und man
sich große Dinge vorgenommen habe. Sie haben in einem
Punkt recht: Es war gut, dass man hochrangig angefan-
gen hat. Es war gut, dass sich Vertreter der Ebenen Bund,
Länder und Kommunen, des öffentlichen Lebens und der
NGOs zusammengesetzt haben. Sie haben an einer Stelle
allerdings nicht recht: Dies ist kein historisches Datum.
Denn dabei – das sage ich Ihnen klipp und klar – ist we-
nig bzw. fast gar nichts herausgekommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Frau Böhmer, nicht mehr als Absichtserklärungen ist
dabei herausgekommen. Schauen wir es uns einmal an!
Man hat in großem Stile angefangen, und es gab viele
Teilnehmer, aber als Erstes wurden die Mitglieder des
Deutschen Bundestages aus den Arbeitsgruppen ausge-
laden.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht!)


– Doch, das stimmt schon, meine Damen und Herren!


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], zur CDU/CSU gewandt: Ihr durftet weitermachen, aber wir nicht!)


– Ja, vielleicht durften Sie weitermachen, aber andere
wurden ausgeladen, Herr Grindel.


(Zuruf des Abg. Reinhard Grindel [CDU/ CSU])


– Ich weiß, wovon ich rede. Ich habe es im O-Ton im Ohr.

Hier wird auf hohem Ross geritten, und am Ende
kommt – jetzt muss ich einmal vier Punkte nennen – we-
nig heraus.

Erstens kommen 134 Selbstverpflichtungen der
Bundesregierung heraus, bei denen es allein um die
Fortführung von Maßnahmen der Vorgängerregierung
geht. Mit denen schmücken Sie sich allerdings hier. Es
ist also bedeutend weniger.

Es ist ein klarer Fall von Selbstbeweihräucherung: Es
sind lauter Kurse, die Sie früher bekämpft haben. Bei-
spielhaft nenne ich den Integrationskurs, das Programm
„Soziale Stadt“, Ganztagsschulprogramme, EQUAL,
Xenos und KAUSA. Meine Herren von der CDU, all
diese Programme laufen und hätten von den CDU-Län-
dern von Anfang an viel besser gefördert werden kön-
nen. Dann hätten Sie sie heute nicht noch einmal als neu
verkaufen müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens. Nun wird über eine Charta der Vielfalt und
Ähnliches geredet. Sie können viele Chartas verfassen,
aber es reicht nicht, am Ende nur blumige Absichtserklä-
rungen zu machen. Das sieht geradezu putzig aus.

Ich glaube, dass der CDU-Integrationsminister aus
NRW vollkommen recht hat. Ich möchte ihn zitieren, weil
man es treffender nicht sagen kann. Er hat gesagt: All
diese blumigen Absichtserklärungen und Selbstverpflich-
tungen entziehen sich jeder Evaluierung und unterliegen
keiner effektiven parlamentarischen Kontrolle. – Meine
Damen und Herren, Programme, von denen man weiß,
dass man ihren Erfolg nicht kontrollieren kann, kann
auch ich schreiben. Sie bringen aber nichts.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Drittens. Der Integrationsgipfel hat einen zentralen
Fehler – darauf haben auch andere schon hingewiesen –:
Für die Konservativen endet Integration immer dann,
wenn es darum geht, den Migrantinnen und Migranten
Rechte zu geben;


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja! Das ist wohl wahr!)


das hat meine Vorrednerin bereits angesprochen. In Ih-
rem gesamten Integrationsplan wird der Zusammenhang
zwischen Integration und Rechtssicherheit für die Be-
troffenen überhaupt nicht erwähnt. Dieser Zusammen-
hang ist im wahrsten Sinne des Wortes komplett „ausge-
bürgert“.


(Beifall des Abg. Dr. Hakki Keskin [DIE LINKE])


Wo steht denn etwas zum Einbürgerungsrecht? Wo
steht denn etwas zur Erweiterung der Teilhaberechte?
Wir kämpfen seit sehr vielen Jahren für die Einführung
eines kommunalen Wahlrechts für Migranten. Sie wollen,
dass sich die Menschen integrieren und ihren Lebensmit-
telpunkt hierher verlagern. Ich frage Sie: Warum erhal-
ten diese Menschen nicht einmal das Wahlrecht auf
kommunaler Ebene, um dort teilhaben und mit organi-
sieren zu können?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Integration auf kommunaler Ebene heißt: mit die Ver-
antwortung für das Geldausgeben zu haben. Dabei geht
es auch um die Fragen: Wie spricht man die Menschen,
auch die in den Problemstadtteilen, an? Wie schafft man
dort Frieden, und wie sorgt man für ein Miteinander?
Wie engagiert man sich für mehr Bildung? Wie schafft
man es, die Communities dazu zu bewegen, miteinander
zu reden, zu feiern und gemeinsam Deutsch zu lernen? Vor
den Antworten auf diese Fragen haben Sie sich komplett
gedrückt. Der Wille und die Fähigkeit zur Integration
sind ohne sicheres Aufenthaltsrecht und ohne rechtliche
Teilhabe aber nicht zu erwarten.

Am Beispiel der Rütli-Schule wurde es ja deutlich.
Die jungen Männer sagen: Ich? Schulabschluss? Wozu
denn? Ich kriege doch nachher sowieso keine Lehrstel-
le. – Denn ganze Familienkohorten müssen sich von kur-






(A) (C)



(B) (D)


Renate Künast
zer Duldung zu kurzer Duldung hangeln. Frau Böhmer,
vor diesen Problemen haben Sie sich bei der Erarbeitung
Ihres Nationalen Integrationsplans gedrückt. Deshalb ist
er nicht als historisch zu bezeichnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Hartmut Koschyk [CDU/ CSU]: Sie haben aber lange gebraucht, um das zu begründen! – Gegenruf der Abg. Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Manchmal brauchen Sie aber auch ganz schön lange!)


– Auch Sie werden das irgendwann verstehen; so lange
begründen wir das,


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ach so!)


meine Herren von der CDU.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Bei uns gibt es auch Damen!)


– Es ist gut, dass Sie diesen Zuruf gemacht haben. Ich
wollte mich aber ganz besonders auf die Herren von der
CDU fokussieren.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Bitte auch auf die CSU!)


– Auch auf die CSU? Dann wird es ja noch doller.

Viertens. Frau Böhmer, ich finde, wenn Sie schon die
Vergangenheit ansprechen, wäre ein wenig Demut ange-
bracht gewesen. Man darf nicht nur von den Migrantinnen
und Migranten mehr Engagement verlangen; vielmehr
muss auch die aufnehmende Gesellschaft ein kritisches
Wort über sich selbst sagen.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Selbstverständlich! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das kann die Union nicht!)


Es waren nämlich die Ministerpräsidenten von der CDU,
die viele Jahre lang dagegen gekämpft haben, dass die
Kosten der Sprachkurse übernommen werden.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist doch absurd!)


Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass mir Vertre-
ter der CDU in Kreuzberg vor 20 Jahren gesagt haben:
Was? Das sollen wir noch bezahlen? Kommt gar nicht in
die Tüte! – Lassen wir das Thema Sprachkurse jetzt aber
beiseite.

Ich möchte noch auf die Situation der Frauen eingehen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612302800

Sie müssen sich aber ein bisschen beeilen.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sie hat doch so lange für ihre Begründung gebraucht!)



Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612302900

Ja. Ich beeile mich, Herr Präsident. – Die CDU hat an

dieser Stelle immer gegen die Interessen der Migrantinnen
gekämpft, wenn es um ihre körperliche Unversehrtheit
ging; so klar muss man das sagen.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ach was!)


Sie haben die Einführung des humanitären Aufenthalts-
rechts für ausländische Ehegattinnen abgelehnt, Sie haben
beim Zuwanderungsgesetz bis zum Schluss gegen die
Anerkennung geschlechtsspezifischer Fluchtgründe ge-
kämpft, und jetzt setzen Sie beim Thema Zwangsehen
die frauenfeindliche Linie fort.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Obwohl alle Experten – von Terre des Femmes bis
PAPATYA – darauf aufmerksam machen, dass die
Frauen ein eigenes Aufenthaltsrecht brauchen, ducken
Sie sich weg. Ich kann Ihnen, Frau Böhmer, nicht erspa-
ren, darauf hinzuweisen: Wenn Sie das Aufenthaltsrecht
anders organisiert hätten, dann wäre Sazan Bajez-Abdullah
im Oktober 2005 in München nicht ermordet worden.
Sie hatte nämlich kein eigenständiges humanitäres Auf-
enthaltsrecht. Sie hatte in einem bestimmten Bezirk eine
Residenzpflicht. Sie konnte sich nicht im Münchener
Frauenhaus aufhalten, weil es die „falsche“ Adresse
hatte. Diesen Umstand hat ihr geschiedener Ehemann zu
einem sogenannten Ehrenmord genutzt. Meine Damen
und Herren, würde man endlich ein Aufenthaltsrecht für
diese Frauen schaffen, würde sich zeigen, dass man Inte-
gration will.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Frau Böhmer, wenn ich Ihre Leistungen mit denen all
Ihrer Vorgängerinnen – damals wurden sie noch „Aus-
länderbeauftragte“ genannt – vergleiche, muss ich sagen:
Sie sind die schlechteste Integrationsbeauftragte, die die
Bundesrepublik je hatte.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Ich würde mir von Ihnen wünschen, dass Sie für die
Frauen kämpfen und sich für die Perspektive einer Ein-
bürgerung einsetzen. Dann müssen Sie auch von der auf-
nehmenden Gesellschaft etwas fordern, dann müssen Sie
rechtlich normieren – Bildung, Sprache, Arbeit, Einbür-
gerung, kommunales Wahlrecht und Teilhabe – und den
Islam europäisieren. Nichts davon haben Sie getan.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Hakki Keskin [DIE LINKE])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612303000

Das Wort hat nun der Kollege Hartmut Koschyk für

die CDU/CSU-Fraktion.


Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1612303100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Künast, aus Ihren Worten hat man ganz klar erken-
nen können: Sie können es nicht verwinden, dass unter
dieser Bundesregierung das Thema Integration


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist nichts!)


endlich dort angekommen ist, wo es hingehört,






(A) (C)



(B) (D)


Hartmut Koschyk

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An den Stammtisch!?)


nämlich ins Bundeskanzleramt,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn die Bundeskanzlerin?)


mit einer Staatsministerin für Migration und Integration,
also ganz oben auf die Prioritätenliste der Politik.

Gerade Sie, die Grünen, haben bei diesem Thema in
sieben Jahren Rot-Grün immer nur den Mund gespitzt –
wir pfeifen jetzt. Was die Integrationsbeauftragten der
grünen Partei in der Zeit der rot-grünen Bundesregierung
an Vorschlägen unterbreitet haben, hat bei der Integra-
tion in unser Land nicht weitergeführt. Ich verweise nur
auf den Vorschlag von Frau Beck, den Islam in Deutsch-
land kirchenrechtlich anzuerkennen. Das sind Vor-
schläge, die nicht weitergeführt haben.

Wir packen das Thema an. Die CDU/CSU-Fraktion
ist der Bundeskanzlerin dankbar, dass sie durch zwei In-
tegrationsgipfel dieses Thema zu einem Topthema der
deutschen Politik gemacht hat. Unsere Staatsministerin
Maria Böhmer leistet hervorragende Arbeit


(Beifall bei der CDU/CSU)


und sorgt dafür, dass bei diesem Thema nicht nur gere-
det, sondern gehandelt wird.

Ich rate Ihnen, Frau Künast: Kommen Sie aus der
Schmollecke heraus! Beteiligen Sie sich an der Diskus-
sion über dieses Thema und verzichten Sie auf überflüs-
sige Polemik! Die ist diesem Thema nicht angemessen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es war die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die den
Nationalen Integrationsgipfel und den Nationalen Inte-
grationsplan vorgeschlagen hat. Wir freuen uns, dass
diese Anregung so schnell und erfolgreich aufgegriffen
w
Dr. Maria Böhmer (CDU):
Rede ID: ID1612303200



(Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Welcher denn?)


Es wird nicht über die, sondern es wird mit den Migran-
ten gesprochen. Es ist unsere Überzeugung: Zuwande-
rung muss gewollt sein – von der Aufnahmegesellschaft,
aber auch von den Zuwanderern selbst. Bund, Länder
und Gemeinden – das ist das Historische, auf das Frau
Böhmer hingewiesen hat – haben erstmals in der Ge-
schichte unseres Landes circa 400 Selbstverpflichtungen
übernommen. Dass Integration keine Aufgabe ist, die
nur den Bund etwas angeht, und keine Aufgabe, die nur
die Länder etwas angeht, sondern auch eine kommunale
Aufgabe, zeigt das Beispiel der bayerischen Großstadt
Augsburg.


(Fritz Rudolf Körper [SPD]: Hat einen guten Oberbürgermeister!)


So hat mein Kollege Ruck zu Recht darauf hingewiesen,
dass 2007 in dieser bayerischen Großstadt erstmals mehr
Kinder mit Migrationshintergrund eingeschult worden
sind als einheimische Kinder. Das zeigt: Mit dem Thema
Integration muss sich schon die kommunale Ebene be-
schäftigen, und das muss über die Länder und den Bund
bis auf die europäische Ebene gehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Heute sagt jeder in Deutschland: Sprache ist der
Schlüssel zur Integration, und wer auf Dauer in Deutsch-
land leben will, muss Deutsch sprechen. Frau Künast,
das ist ein Satz, der vor zehn Jahren in Deutschland
keine Selbstverständlichkeit war. Heute ist er es. Dass er
das ist, ist auch dem beharrlichen Bemühen unserer
Fraktion zu verdanken.


(Lachen der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Liebe Frau Künast, an Ihren Worten hat man eines
deutlich gemerkt: Sie müssen böse sein und ein Stück
weit dagegen ankämpfen, weil die Mehrheit der Deut-
schen heute begriffen hat, dass das, was Sie lange Zeit
unter Integration verstanden haben – wovon die Grünen
in ihrem letzten Integrationspapier dankenswerterweise
Abstand genommen haben –,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


nämlich Multikultiseligkeiten, ausgeträumt ist und ein
solcher Weg nicht weiterführt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aus welchem Papier wollen Sie das vorgelesen haben? Ich kann auch aus Ihren Papieren etwas vorlesen!)


Ich will Ihnen etwas zum Thema Frauen sagen. Stel-
len Sie sich doch an unsere Seite! Wir wollen, dass
Schluss ist mit der Gleichgültigkeit bei Verstößen gegen
die Gleichberechtigung. Das gilt im Kleinen – wenn
Mädchen nicht am Sportunterricht teilnehmen dürfen –,
und das gilt im Großen: Wir wollen mit allen, auch mit
rechtlichen Mitteln die Zwangsverheiratung bekämpfen.
Wir wären dankbar, wenn auch die Grünen bereit wären,
einen Beitrag zu einer Initiative für eine wirkliche
rechtsstaatliche Bekämpfung von Zwangsverheiratung
und gegen arrangierte Ehen zu leisten. Da spitzen Sie
immer nur den Mund, während wir pfeifen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir! Haben wir!)


Natürlich ist Integration auch ein Thema, das ein wei-
tes Feld für bürgerschaftliches Engagement bietet. Ge-
rade mit dem Sport verbinden sich große Chancen für
mehr Integration der Menschen in Deutschland. Das gilt
für den Spitzensport; das gilt aber auch für den Breiten-
sport. Wir freuen uns, wenn Gerald Asamoah und David
Odonkor erfolgreich in unserer Nationalmannschaft stür-
men, aber ich sage auch sehr bewusst: Kein Platz in ei-
ner deutschen Auswahlmannschaft sollte für einen Na-
tionalspieler sein, der nicht spielen will, wenn ein Spiel
in Israel ansteht. Das nicht hinzunehmen, ist auch ein
Beitrag zur Integration in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das ist ein bisschen billig!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612303300

Herr Kollege Koschyk, möchten Sie eine Zwischen-

frage zulassen? – Nein.


Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1612303400

Klare Werte und klare Worte im Dialog – das ist der

richtige Weg zur Integration.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist ja selbst der DFB weiter als Sie!)


Ich sage für unsere Fraktion sehr deutlich: Es ist gut
und richtig, dass diese Bundesregierung mit Wolfgang
Schäuble – neben dem Integrationsplan und dem Inte-
grationsgipfel – auch eine Islamkonferenz einberufen
hat;


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gleichstellung bei der Islamkonferenz!)


denn Verständnis kann nur wachsen, wenn im Dialog der
Religionen in Deutschland auch kritische Fragen gestellt
werden.

Wir danken den Kirchen, dass sie diesen schwierigen
Weg mutig und entschlossen gehen. Durch die Handrei-
chung „Klarheit und gute Nachbarschaft“ des Rats der
Evangelischen Kirche in Deutschland werden wichtige
Anstöße für einen aufrichtigen und zielführenden Dialog
zwischen Muslimen und Christen gegeben. Die Regens-
burger Rede von Papst Benedikt XVI. zum Verhältnis
von Religion und Gewalt war ebenso bemerkenswert
wie die Reaktion von 30 führenden muslimischen Geist-
lichen aus aller Welt.

Ein ganz wichtiges Feld der Integration ist das Er-
werbsleben; denn es ist keine Frage: Wer Teilhabe an
beruflicher Bildung und Ausbildung sowie an berufli-
chen Chancen hat, dem fällt Integration leichter. Wir
wollen durch die gezielte Integration gerade auch im Er-
werbsleben dafür sorgen, dass diejenigen, die in unser
Land kommen, unabhängig von staatlicher Unterstüt-
zung werden. Deshalb ist es richtig, Zuwanderung in un-
sere Sozialsysteme durch gezielte Integration zu unter-
binden.

Der Integration durch gleichberechtigte Beteiligung
der Zuwanderer in den Betrieben, in den Sozialversiche-
rungen, in der Wirtschaft und in den Gewerkschaften ver-
danken wir die meisten Erfolge hinsichtlich eines guten
Zusammenlebens in Deutschland. Frau Staatsministerin
Böhmer, ich bedanke mich, dass Sie auch mit Unterneh-
merpersönlichkeiten mit Integrationshintergrund, mit
jungen Leuten, die Auswahlstipendien erhalten, und mit
wichtigen Partnern im Ausland einen Dialog führen. Ich
will nur an eine von Ihnen organisierte Konferenz erin-
nern, auf der die Bundeskanzlerin mit Bill Gates darüber
gesprochen hat, was wir von Amerika lernen können.

Lieber Reinhard Grindel, wir waren ebenfalls auf die-
ser Konferenz. Für uns war es sehr interessant, dass Bill
Gates deutlich gemacht hat, dass auch die USA, die sich
als ein klassisches Einwanderungsland verstehen, im Be-
reich der Zuwanderung von unqualifizierten und nicht an
Bildung teilhabenden Zuwanderern dieselben, wenn
nicht sogar größere Probleme als wir in Deutschland ha-
ben. Deshalb sage ich: Wir als Parlament werden dafür
sorgen, dass die Verpflichtungen, die der Bund gemäß
dem Nationalen Integrationsplan übernommen hat, auch
umgesetzt werden.

Ich möchte dem Kollegen Grindel herzlich dafür dan-
ken, dass er ein ganz wichtiges Thema für unsere Frak-
tion betreut, nämlich das Thema Integrationskurse. Ich
meine, Integration ist dann gelungen, wenn sich die Men-
schen in Deutschland heimisch fühlen. Das darf nicht die
Aufgabe der eigenen Wurzeln bedeuten. Dies wäre Assi-
milation. Das muss aber die Bereitschaft bedeuten, un-
sere Sprache zu sprechen, unsere Verfassungs- und
Rechtsordnung auch innerlich anzunehmen, sie gegen
Bedrohungen zu verteidigen und sich für die gewachse-
nen Traditionen unseres Landes innerlich zu öffnen, so
wie sich auch Deutschland immer für die mitgebrachten
Traditionen von Zuwanderern geöffnet hat und weiter
öffnen wird.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612303500

Hartfrid Wolff ist der nächste Redner für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)


Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutsch-

land hätte schon früher der Frage einer offensiven Inte-
grationspolitik mehr Aufmerksamkeit widmen sollen.


(Rüdiger Veit [SPD]: Stimmt! Zur Zeit von Helmut Kohl und der FDP-Regierungsbeteiligung!)


Frau Künast, auch das müssen Sie sich vorhalten lassen.
Aber es ist gut, dass es nun begonnen wurde. Es ist drin-
gend überfällig, dass sich die Gesellschaft über die
Grundlagen ihres Zusammenlebens Gedanken macht.
Die Mehrheitsgesellschaft stellt an Zuwanderer be-
stimmte Anforderungen, und der Bundestag als Gesetz-
geber ist gut beraten, diese Erwartungen der Bürgerin-
nen und Bürger auch angemessen zu berücksichtigen.


(Beifall bei der FDP)


Integration ist ein stetiger Dialog und kann nur bei
klarer Definition der Perspektiven geführt werden. Ich
halte es für nicht richtig, wenn bestimmte Kreise so tun,
als wären die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger
unseres Landes an Zuwanderer nur Stammtischge-
schwätz oder Islamphobie. Fraglos gibt es solche Pro-
bleme; aber jede kritische Anmerkung zum Integrations-
erfolg unserer Zuwanderer in solche Kategorien
einzusortieren, berücksichtigt zu wenig die Beidseitig-
keit der Integration.

Der EKD-Ratsvorsitzende Bischof Wolfgang Huber
hat dankenswerterweise solche Kritik artikuliert, als er
eine Debatte über Moscheebauten in Deutschland ange-
stoßen hat. Die Befürchtungen, die Huber äußerte, sollten






(A) (C)



(B) (D)


Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

nicht einfach als islamfeindlich abgetan werden, sondern
zum Nachdenken darüber anregen, wie die Akzeptanz ei-
nes verfassungstreuen Islam in Deutschland verbessert
werden kann. Der Anspruch auf öffentliche Religionsaus-
übung in würdigen Moscheen ist berechtigt. Bauten aber,
die als Machtanspruch empfunden werden können, sind
dafür kaum nötig. Auch Forderungen an Moscheevereine
nach Öffnung, nach Kommunikation von Zielen und Ver-
anstaltungen in deutscher Sprache, nach Achtung der
rechtlichen Vorschriften, nach in Deutschland ausgebil-
deten Imamen oder nach Transparenz bei Willensbildung
und Finanzierung sind keine Schikane, sondern berech-
tigter Anspruch einer Gesellschaft, die ein hohes Maß an
Religionsfreiheit gewährt.


(Beifall bei der FDP)


Gerade das Beherrschen der deutschen Sprache ist
fundamentale Bedingung für die Akzeptanz und damit
auch Integration von Zuwanderern.


(Jörg van Essen [FDP]: So ist es!)


Daran ändert keine Einbürgerung etwas, auch keine par-
allelgesellschaftliche Infrastruktur, die vielleicht ein
Durchlavieren ohne Deutsch erleichtert.


(Sebastian Edathy [SPD]: Die können doch nur eingebürgert werden, wenn sie die deutsche Sprache erlernt haben!)


Wer die sprachlichen Anforderungen reduzieren möchte
oder sie gar zum Diskriminierungstatbestand erhebt, wie
es die Linken gelegentlich tun, trägt lediglich dazu bei,
Zuwanderer langfristig und nachhaltig von Integration
und Partizipation in Deutschland fernzuhalten. Dadurch
arbeitet man obskuren Mittlern in die Hände, und es
kann Menschen in die Hinterzimmer der Abhängigkeit
bringen.

Meine Damen und Herren, die Investition in früh-
kindliche Bildung ist für unsere Gesellschaft zentral.
Die Unionsparteien tun unserem Land insgesamt, den
Familien und insbesondere der Integration von Zuwan-
derern keinen Dienst, wenn sie, wie unlängst in Baden-
Württemberg, verpflichtende Sprachtests im Alter von
vier Jahren und die Förderung der frühkindlichen Bil-
dung auf die lange Bank schieben wollen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wer Kindern so den Zugang zu integrierender Bildung
verwehrt, handelt unverantwortlich gegenüber diesen
Kindern und ihren Familien.


(Sebastian Edathy [SPD]: In Baden-Württemberg regieren Sie doch mit!)


Aber auch die Elterneinbindung, der Zugang zum Ar-
beitsmarkt und die Verbesserung der Schul- und Ausbil-
dungsabschlüsse von Zuwandererkindern und -jugendli-
chen müssen wichtige Bausteine der Integrationspolitik
sein. Es gilt festzuhalten: Obwohl in Deutschland von
Regierungsseite lange keine Anstrengungen zur Integra-
tion unternommen wurden, haben sehr viele Zuwanderer
genau dies geschafft. Sie sind hier angekommen und ha-
ben unsere Gesellschaft in vielerlei Hinsicht bereichert:
wirtschaftlich, kulturell und menschlich, als Arbeiter
und Angestellte, als Unternehmer und Freiberufler, als
Nachbarn und Freunde. Dafür gebührt ihnen Anerken-
nung und unsere Solidarität. Wir heißen sie willkom-
men.

Wenn wir die Leistung dieser Menschen richtig wür-
digen, dann können Zuwanderer nicht immer nur als
problembeladene Menschen angesehen werden, die sich
selbst nicht zu helfen wissen und staatlicher Fürsorge be-
dürfen, sondern dann müssen sie als freie und kluge
Köpfe anerkannt werden, die gerne bereit sind, sich in
unsere Gesellschaft einzubringen. Hierfür sind klare Ori-
entierungen und Erwartungen erforderlich. Integration
heißt, diese Menschen mitzunehmen und teilhaben zu
lassen. Integration heißt aber auch, dass diese Menschen
bereit sind, sich mitnehmen zu lassen und Teil unserer
Gesellschaft werden zu wollen. Auf die Umsetzung
kommt es an.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1612303600

Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Dr. Michael

Bürsch für die SPD-Fraktion.


Dr. Michael Bürsch (SPD):
Rede ID: ID1612303700

Vielen Dank. – Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Ich sage es vorweg: Durch den Nationalen
Integrationsplan ist Integration im Zentrum der Politik
angekommen. Sie hat damit eine politische und gesell-
schaftliche Dynamik erreicht, die Dank und Anerken-
nung verdient. In diesem Zusammenhang nenne ich aus-
drücklich Frau Böhmer und die Bundesregierung; das
kann an diesem Tag, glaube ich, von allen Seiten des
Hauses anerkannt werden.

Meine zweite Feststellung aber ist: Integration hat
nicht erst am 14. Juli 2006 angefangen – das kann durch
die Debatte, wie sie bisher geführt worden ist, vielleicht
missverstanden worden sein –;


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!)


vielmehr hat sie in den letzten 50 Jahren stattgefunden,
und zwar mit großem Erfolg. Ob die Politik das in den
letzten Jahrzehnten immer richtig erkannt hat, ist eine
andere Frage. Integration hat aber stattgefunden. Über
30 Millionen Menschen sind in unser Land gekommen
– über 20 Millionen Menschen haben das Land verlas-
sen –, Millionen Menschen sind von der Bürgergesell-
schaft integriert worden. Das hat keine großen Wellen
geschlagen. Das haben die Medien und die Politik viel-
leicht nicht richtig wahrgenommen, aber wir können an
dieser Stelle feststellen: Jawohl, Deutschland hat sich als
Land der Integration erwiesen. Anders wäre es nicht
möglich gewesen, die Gastarbeiterinnen und Gastarbei-
ter und viele andere Menschen wie die Russlanddeut-
schen bei uns willkommen zu heißen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Bürsch
Es verdient Dank und Anerkennung, dass das Thema
Integration in der Politik angekommen ist. Dass ein Na-
tionaler Integrationsplan vorliegt, kann ich nur begrü-
ßen.

Aus Sicht der SPD weise ich – um auch hier keine
Missverständnisse aufkommen zu lassen – darauf hin,
dass es nie gelingen wird, allein vonseiten des Staates
oder der Politik Integration zu fördern. Wer das glaubt,
unterliegt einem Irrtum. Es wird immer eine Art Gesell-
schaftsvertrag zwischen Politik, Wirtschaft und Gesell-
schaft bzw. Zivilgesellschaft notwendig sein, damit Inte-
gration gelingt. Wir werden aufseiten der Politik bzw.
des Staates die Verantwortung haben, Sprachkurse bzw.
Kurse zur Förderung von Jugendlichen anzubieten. An
dieser Stelle beginnt die Integration oft erst. Wir müssen
im Blick behalten, das zu unterstützen und zu fördern,
was die Bürgergesellschaft auf diesem Gebiet leisten
kann.

Lassen Sie mich – weil Politik auch von Anregungen
und konstruktiver Kritik lebt – einige Punkte anspre-
chen. Wir haben jetzt einen Plan – das ist gut –, aber es
wird sich in einem Jahr zeigen, was aus diesen Absichts-
erklärungen geworden ist. Dass es 400 freiwillige
Selbstverpflichtungen gegeben hat, klingt numerisch zu-
nächst einmal wunderbar. Entscheidend ist aber, was
drinsteckt, und noch entscheidender ist, was dabei he-
rauskommt.

In diesem Zusammenhang meine ich, Frau Böhmer
– darin stimme ich mit Frau Laurischk überein –, dass
spätestens jetzt das Parlament eingebunden werden
sollte. Spätestens an dieser Stelle sollten wir in objekti-
ver Form evaluieren und beurteilen, was bei den Selbst-
verpflichtungen herausgekommen ist. Es geht mir nicht
um Hochglanzbroschüren und Erklärungen der Betroffe-
nen nach dem Motto „Friede, Freude, Eierkuchen“; ich
will vielmehr wissen, was wirklich erreicht wurde. Die
Bundesregierung soll angeben, wie viele Auszubildende
mit Migrationshintergrund sie einstellt. Zurzeit ist der
Anteil erschreckend niedrig; es sind 1,2 Prozent. In der
Absichtserklärung werden 7 Prozent angestrebt. Die
Zahl könnte noch etwas höher sein. Ich will aber in ei-
nem Jahr wissen, ob diese 7 Prozent auch erreicht wor-
den sind. Wir können nicht nur den Mund spitzen, son-
dern müssen auch wirklich Ergebnisse liefern. Das ist
ein sehr wichtiger Punkt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Sie sind doch in der Regierung!)


Neben dem Verfahren und der Notwendigkeit, sich in
einem Jahr zur Evaluation zusammenzufinden, sind
noch einige weitere Stichworte anzusprechen. Was Aus-
bildung und Beschäftigung angeht, haben wir den großen
Block von 7 Millionen Ausländern oder 15 Millionen
Menschen mit Migrationshintergrund im Blick. Lassen
Sie uns einmal genauer hinschauen – das entspricht viel-
leicht der speziellen Sichtweise der SPD –: Es gibt Grup-
pen, die es besonders schwer haben, zum Beispiel die
etwa 50 000 benachteiligten Jugendlichen ohne Haupt-
schulabschluss, die schon bei uns sind. Dies ist aus mei-
ner Sicht der soziale Sprengstoff in den nächsten 10,
20 Jahren, wenn wir hier nichts tun. Absichtserklärun-
gen reichen nicht. Wir müssen flexible und individuelle
Antworten finden. Wir müssen diese 50 000 jungen
Menschen quasi an die Hand nehmen und ihnen mit al-
lem, was uns zur Verfügung steht, eine Chance geben;
denn sonst haben sie keine Perspektive. Sie werden dann
50 oder 60 Jahre – mit Fug und Recht – in Deutschland
leben und können keinen Beitrag leisten. Aber sie haben
wie jeder andere in Deutschland den Anspruch auf Un-
terstützung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich erwarte ein deutliches Zeichen, dass wir auch solche
Menschen mit besonderen Problemen ernst nehmen.

Ein weiteres Stichwort ist – das ist schon gefallen –
das kommunale Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger. Ich
halte das für einen ausgesprochen wichtigen Schlüssel
zur Integration, weil es deutlich signalisiert: Jawohl, ihr
sollt beteiligt sein; ihr habt die Möglichkeit zur Teilhabe.
– Wir fordern – das wäre aus meiner Sicht ein mutiger
Schritt – ein kommunales Wahlrecht nicht nur für EU-
Bürger. Das ist das richtige Signal an die Menschen, die
zu uns kommen. Es macht deutlich: Ihr sollt nicht nur
hier leben, sondern könnt auch mitwirken und mitbe-
stimmen.


(Beifall bei der SPD)


Nun komme ich zum Stichwort „doppelte Staatsan-
gehörigkeit“; ein schwieriges Thema, auf das Herr
Grindel wahrscheinlich gleich eingehen wird. Seit 1999
befasse ich mich in meiner Fraktion mit dem Thema
„doppelte Staatsangehörigkeit“. Ich habe mit großer
Freude vernommen, dass Herr Koschyk gesagt hat, Inte-
gration dürfe nicht Aufgabe der eigenen Identität bedeu-
ten.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das habe ich immer schon gesagt!)


Das ist genau richtig.


(Beifall des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Aber warum bitte schön ist dann die doppelte Staatsan-
gehörigkeit für Sie noch immer Teufelszeug? Das kann
doch nicht sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die doppelte Staatsangehörigkeit bietet doch beste Mög-
lichkeiten, die Identität zu wahren und Brücken zwi-
schen der alten und der neuen Heimat zu bauen.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir machen einen Gruppenantrag mit Herrn Koschyk!)


Wir wollen dieses Thema voranbringen. Politik ist das
Bohren dicker Bretter, und zwar mit Leidenschaft und
Augenmaß.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Bürsch

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Es ist ein Irrweg, wenn Sie glauben, dass die doppelte Staatsangehörigkeit integrationsfördernd ist!)


Wir werden an diesem Thema dranbleiben. Die Welt
hat sich in den letzten zwei Jahren auch innerhalb der
Koalition verändert. Ich lebe vom Prinzip Hoffnung.
Herr Koschyk, ich werde auf Ihre Ausführungen zurück-
kommen und Sie sozusagen dingfest machen. Ich habe
schon vor sieben Jahren in der Debatte über die doppelte
Staatsangehörigkeit gesagt: Beatrix, Königin der Nieder-
lande, hat vier Staatsangehörigkeiten.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Dafür ist sie auch die Königin, Herr Bürsch! Sie könnten nicht Königin von Holland werden!)


Aber niemand fürchtet den Untergang der Niederlande,
weil sie vier Pässe hat. Herr Kollege Koschyk, die Bay-
ern haben zwei Staatsangehörigkeiten. Das sollten wir
also nicht so eng sehen. Seien Sie ein bisschen liberaler
und toleranter und versuchen Sie, sich die Sichtweise
des 21. Jahrhunderts anzueignen! Der sogenannte Dop-
pelpass ist kein Teufelszeug. Wir sind weltoffen und
kosmopolitisch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das ist kein Teufelszeug, aber es ist Unsinn! Das ist grober Unfug!)


– Darüber können wir gerne Tage und Nächte reden. Das
ist kein grober Unfug, sondern der richtige Weg, um zu
zeigen, dass wir weltoffen sind und Menschen zu uns
lassen. Ein ähnliches Signal setzen wir auch mit der von
mir propagierten Punktereglung.

Nun kommt ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt.
Wir brauchen – das wäre für mich die sinnvolle Fortset-
zung des Integrationsplanes – ein mittel- bzw. langfristi-
ges, nachhaltiges und stimmiges Zuwanderungskon-
zept, das nicht nur ökonomische Gesichtspunkte
berücksichtigt. Es kann doch nicht wahr sein, dass wir
diese Debatte nur unter ökonomischen Gesichtspunkten
führen und ausschließlich danach fragen, wer uns wirt-
schaftlich nutzt und wo wir Arbeitsplätze, zum Beispiel
im IT-Bereich, mit Zuwanderern besetzen können. Das
verkürzt die ganze Diskussion dramatisch. Dabei fällt
unter den Tisch, dass wir Zuwanderung in einer globali-
sierten Welt dringend benötigen. Sie ist die Vorausset-
zung dafür, dass eine Gesellschaft lebendig bleibt und
nicht den Anschluss an internationale Entwicklungen
verliert. Es waren in der Moderne stets die Einwande-
rungsgesellschaften, die aufgrund neuer Ideen und neuer
Impulse von Zuwanderern für Innovationen gesorgt ha-
ben. Kulturelle Vielfalt ist in der heutigen Welt aus mei-
ner Sicht eine wichtige, vielleicht sogar die wichtigste
Voraussetzung, und zwar auch für ökonomischen Wohl-
stand.

Vor kurzem habe ich mit dem Innenausschuss die bal-
tischen Länder besucht. Ich habe bemerkt, wie schwierig
es ist, in diesen Aufbruchländern über das Thema Staats-
bürgerschaft zu diskutieren. Es gibt in diesen Ländern
noch Hunderttausende Nichtbürger, also Menschen, die
gar keine Staatsangehörigkeit haben. Wir haben bei die-
sem Besuch gesehen, wie wichtig die Frage der Staats-
bürgerschaft ist, um eine Gesellschaft zu entwickeln.

Zusammenfassend: Der Integrationsplan ist ein
Schritt in die richtige Richtung. Ich erwarte mir davon,
nachdem die Absichtserklärungen nun in der Welt sind,
Ergebnisse und in einem Jahr eine hervorragende, objek-
tive Evaluation, die bestätigen wird: Jawohl, wir können
Erfolge melden, vielleicht nicht an 400 Stellen, aber an
200.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1612303800

Nun erteile ich Kollegin Petra Pau, Fraktion

Die Linke, das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612303900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nach meinen Erfahrungen gibt es sehr viele und sehr en-
gagierte Initiativen in den Ländern, in den Kommunen,
in den Kiezen. Ich war übrigens gestern beim Jüdischen
Kulturverein hier in Berlin. Gegründet wurde er, um jü-
disches Leben in Berlin zu beleben. Dann engagierte er
sich für die Integration von Spätaussiedlern. Inzwischen
ist er eine lebendige Heimstatt, die verschiedene Reli-
gionen und Kulturen im multikulturellen Berlin zusam-
menführt. Ein Gedanke allerdings würde den Mitglie-
dern dieses Vereins und seiner Vorsitzenden Irene Runge
nie kommen, nämlich dass Integration eine Bringepflicht
von Migrantinnen und Migranten sei, die gefälligst deut-
sche Benimmregeln zu lernen hätten.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage nicht, dass der Integrationsgipfel das gefordert
hat oder dass das im Integrationsplan steht. Aber allzu
oft wird die allgemeine politische Debatte genau in die-
sem Gestus geführt.

Integration heißt gesellschaftliche Teilhabe, und das
gleichberechtigt. Deshalb fordert die Linke unter ande-
rem ein kommunales Wahlrecht für Bürgerinnen und
Bürger, die hier leben, aber eben nicht den EU-Status ge-
nießen. Es sind Millionen, und sie werden politisch aus-
gegrenzt. Zum Thema Staatsbürgerschaft wurde schon
etwas gesagt. Das muss ich hier nicht vertiefen.

Integration erfordert tatsächliche Chancen. Alle Bil-
dungsstudien, nicht nur PISA, belegen: Das dreigliedrige
Schulsystem grenzt aus. Auch deshalb beginnt man zum
Beispiel hier im Land Berlin, dieses System aufzubre-
chen und integrierte Gemeinschaftsschulen zu schaffen.
Wir sollten bundesweit dafür werben.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD)


Integration heißt auch: keine Diskriminierung in der
Arbeitswelt. Selbst Friedrich Wilhelm von Potsdam war
mit seinem Toleranzedikt weiter als das bundesdeutsche
Recht im Jahr 2007.






(A) (C)



(B) (D)


Petra Pau

(Beifall bei der LINKEN)


Er hatte gefördert und nicht borniert gefordert. Warum
folgen wir eigentlich nicht seinem Erfolgsrezept?

Der Nationale Integrationsplan enthält eine Fülle von
Ideen, Vorschlägen und Selbstverpflichtungen. Ich er-
warte von der Bundesregierung, dass sie endlich ehrlich
auf Erfolg drängt und dazu spürbare eigene Beiträge
leistet. Die fehlen bislang. Das nährt den Verdacht von
Alibiveranstaltungen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich danke jedem Sportverein, der seinen Beitrag leis-
tet, jedem Kulturverein, jeder Kiezinitiative. Sie sind un-
verzichtbar. Aber solange die große Politik die großen
Fragen eher umsteuert und den Hebel nicht tatsächlich
umlegt, wird der Erfolg ausbleiben. Die großen Fragen
heißen: mehr Demokratie, bessere Bildung, gleiche Be-
rufschancen, auch für Migrantinnen und Migranten.


(Beifall bei der LINKEN)


Abschließend an die Adresse der Kolleginnen und
Kollegen der SPD gerichtet: Bekommen wir all das nicht
überzeugend hin, dann nützt auch die erneute Forderung
nach einem NPD-Verbotsverfahren nichts; denn die
NPD nährt ihre Gefolgschaft auch mit dem Nektar völki-
scher Diskriminierung von Migranten und Asylsuchen-
den. Genau dort darf man keine Schützenhilfe geben.

Kurzum und in Anlehnung an Goethes Faust: Der
Worte sind zwar nie genug gewechselt, aber lasst uns
nun endlich Taten sehen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1612304000

Das Wort hat nun Kollege Swen Schulz, SPD-Frak-

tion.


Swen Schulz (SPD):
Rede ID: ID1612304100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege
Bürsch hat es angesprochen: Integration ist erfolgreich
in Deutschland. Bei allen Problemen möchte ich das als
Erstes betonen. Integration gelingt – jeden Tag, überall
im Land. Besonders erkennbar ist das im Sport.

Zu Recht ist dem Sport im Nationalen Integrations-
plan ein eigenes Kapitel gewidmet. Sport bringt Men-
schen zusammen, ist international, vermittelt Werte wie
Verantwortung, Teamgeist, Respekt und Akzeptanz von
Regeln. Beim Sport ist es egal, woher du kommst, wel-
che Hautfarbe du hast oder an welchen Gott du glaubst.
Sport ist gelebte Integration, und darum wollen wir ihn
weiter stärken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Doch seine Integrationskraft entwickelt sich nicht
quasi automatisch. Wir erleben – zum Glück sehr selten –,
dass es bei Sportereignissen zu Gewalt und zu rassisti-
schen Vorfällen kommt. Dem treten wir mit dem organi-
sierten Sport gemeinsam entgegen. Ein weiteres Thema
sind kulturelle und soziale Barrieren. Muslimische Mäd-
chen etwa würden gerne häufiger Sport treiben. Es gibt
Eltern, nicht nur ausländischer Herkunft, die sich den
Sport der Kinder nicht so recht leisten können. Diese
Probleme müssen wir angehen. Es muss möglich sein,
dass alle Bürger Sportangebote wahrnehmen können.
Wir müssen niedrigschwellige Angebote machen, die
Sportvereine sensibilisieren und Migranten in die Orga-
nisation von Sport einbeziehen. Wir brauchen Teilhabe
durch Sport, und deswegen müssen wir Teilhabe im
Sport organisieren.


(Beifall bei der SPD)


Der Sport übernimmt gesellschaftliche Aufgaben. Er
macht das gerne und erfolgreich. Dabei dürfen wir aller-
dings nie vergessen, dass der Sport vor allem von den
vielen Ehrenamtlichen gestaltet wird. Deren Engage-
ment ist von unschätzbarem Wert. Sie haben wirklich
unseren Dank und unsere Anerkennung verdient.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die verbesserten Rahmenbedingungen für Ehrenamtli-
che – ich verweise auf die Initiative „Hilfen für Helfer“ –
waren da ein handfester Fortschritt.

Dem Ehrenamt sind aber gewisse Grenzen gesetzt.
Wir müssen die Leute auch vor einer Überbeanspru-
chung schützen. Manchmal kommt ein Jugendtrainer bei
bestimmten Problemen oder Konflikten nicht mehr wei-
ter. Da ist Hilfe von außen nötig. Deshalb ist eine bes-
sere Verzahnung von Sportförderung und anderen Pro-
grammen, etwa zur sozialen Stadtentwicklung, sinnvoll.

Wie erfolgreich Zusammenarbeit sein kann, zeigt bei-
spielsweise der deutsch-türkische Treff hier in Berlin im
Kreuzberger Wasserturm. Wir, die SPD-Fraktion, waren
neulich mit Franz Müntefering dort. Was wir da gesehen
haben, war wirklich sehr beeindruckend. Über den Sport
kommen dort die Mitarbeiter mit den Jugendlichen in
Kontakt. Sie helfen für die Schule, betreiben Sprachför-
derung, bieten Berufsorientierung an oder haben einfach
einmal ein offenes Ohr für Probleme. Das ist ein starkes
Projekt. Davon brauchen wir mehr in Deutschland, und
das wollen wir unterstützen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sport hat viel mit Bildung zu tun. Auch das ist im
Nationalen Integrationsplan gewürdigt. Ich habe bereits
von der Wertevermittlung gesprochen; man kann auch
„Herzensbildung“ sagen. Aber es geht auch um kluge
Köpfe; denn Sport fördert die geistige Leistungskraft.
Das sollte übrigens auch manchem von uns hier im Saal
zu denken geben. Der Landessportbund betreibt Kinder-
tagesstätten, in denen mit großem Erfolg Bewegung und
Spracherwerb verbunden werden. Da sind weiterer Aus-
bau und Unterstützung nötig. Darum sage ich jetzt in
Richtung unseres geschätzten Koalitionspartners: Dort,
wo wirklich mit größtem Engagement Bildungsarbeit
geleistet wird, versteht kein Mensch, warum Betreu-
ungsgeld gefordert wird, anstatt mit aller Kraft den Kitas
zu helfen.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Swen Schulz (Spandau)

Noch ein paar Worte zur Schule. Schüler, die mehr
Sportunterricht haben, werden in anderen Fächern bes-
ser; das haben Untersuchungen gezeigt. Darum ist die
Ausweitung des Sportunterrichts nötig und überfällig,
übrigens auch mit Blick auf muslimische Mädchen. Die
Länder müssen es zustande bringen, dass der Sportunter-
richt nicht ausfällt, dass, im Gegenteil, die tägliche
Sportstunde eingeführt wird. Das wäre ein wirklich star-
ker Beitrag.

Am besten ist der weitere Ausbau der Ganztagsschu-
len. Sie werden im Nationalen Integrationsplan aus-
drücklich gelobt. Dort können die Schülerinnen und
Schüler ihren Fähigkeiten entsprechend optimal geför-
dert werden, unabhängig davon, welches Leistungs-
niveau sie haben oder woher sie kommen. Da gibt es
dann auch ausreichend Zeit, etwa für Sport und Mu-
sikangebote – für alle und ohne Hürden. Das ist ein prak-
tischer Beitrag zur Integration.

Rot-Grün hat mit dem Ganztagsschulprogramm viel
bewirkt, und das muss weitergehen. Wir brauchen die
qualifizierten Menschen. Es kann doch nicht wahr sein,
dass so viele Jugendliche ausländischer Herkunft ohne
Ausbildung bleiben und gleichzeitig händeringend ge-
suchte Fachkräfte aus dem Ausland hierhin geholt wer-
den sollen. Es ist die Aufgabe des Staates und der Wirt-
schaft, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die hier leben,
auch tatsächlich qualifiziert werden.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE])


Dieses Land braucht Chancengleichheit, weil wir kei-
nen Menschen verloren geben wollen und dürfen.

Sport und Bildung sind wichtige Säulen der Integra-
tion; sie sind auch im Nationalen Integrationsplan ent-
halten. Er hat einige gute Ansätze, aber wir haben noch
sehr viel an praktischer Politik vor uns. Die SPD ist dazu
bereit.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1612304200

Ich erteile das Wort Kollegen Josef Philip Winkler,

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wenn man die Debatte Revue passieren lässt,
kann man eigentlich nur festhalten, dass von den Punk-
ten, die umgesetzt werden sollen, kein einziger konkret
genannt wurde.


(Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt doch nicht!)


Ich halte es wirklich für eine Schande, dass man das
„Nationaler Integrationsplan“ nennt. Es liegen nur frei-
willige Selbstverpflichtungen, die nicht überprüfbar
sind, vor; gleichzeitig wird von einem historischen Da-
tum gesprochen. Das ist absolut unglaubwürdig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Frau Staatsministerin, Sie sagen, für den Nationalen
Integrationsplan seien zusätzliche 750 Millionen Euro in
den Haushalt eingestellt. Auf die klare und konkrete
Frage meiner Fraktion, wo das Geld denn liege, kamen
keine klaren und konkreten Antworten. Alles Mögliche
fällt darunter, zum Beispiel der Haushaltstitel des Deut-
schen Akademischen Austauschdienstes.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Genau!)


Wir sind gespannt, welchen Beitrag dieser zur Integra-
tionsförderung leisten wird. Bei der Überprüfung dessen
werden wir Sie nicht im dunklen Kämmerchen alleine
lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie sind gestartet als Mutter Courage der Integration,
aber das, was Sie vorgelegt haben, kommt eher von einer
Mutter Beimer des Kanzleramtes: irgendwie ganz nett,
aber irgendwie auch unkonkret und relativ erfolglos.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das ist nicht dein Niveau, Josef!)


Beim kommunalen Wahlrecht gibt es keine Fort-
schritte. Beim Thema „zusätzliche Sprachkurse“ gibt es
keine konkreten Ergebnisse. Für die 15 Millionen Euro,
die Sie jetzt draufgesattelt haben, haben Sie im vorigen
Jahr 75 Millionen Euro abgezogen. Kein Mensch glaubt
Ihnen, dass es da Fortschritte gibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE] – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Du bist nicht der Gottschalk des Bundestages!)


Ich möchte jetzt noch auf die Ungeheuerlichkeiten
von Herrn Koschyk eingehen, auch wenn das der Ehre
fast zu viel ist, lieber Kollege. Was Sie über meine Frak-
tion zum Thema Zwangsverheiratung gesagt haben,
hat mich wirklich geärgert. Wir haben unter der rot-grü-
nen Bundesregierung die Zwangsverheiratung unter
Strafe gestellt. Da haben Sie nicht vorneweg mitge-
macht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das hat einen Placeboeffekt! Das ist leider nicht wirksam genug!)


Es steht bereits im Strafgesetzbuch, dass Zwangsverhei-
ratung mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft wird. Diesbe-
züglich sollten wir als demokratische Parteien zusam-
menhalten und uns nicht in Kleinlichkeit verlieren. Dass
im Rechtsausschuss des Bundesrates Anträge von unions-
regierten Ländern liegen, wonach geprügelten Frauen,
die in Ehen gezwungen werden, nicht schon nach zwei
Jahren, sondern erst nach vier Jahren ein eigenständiges
Aufenthaltsrecht gegeben werden soll, haben Sie in dem
Zusammenhang wohlweislich verschwiegen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Josef Philip Winkler
Wenn es um das Problem der Aufenthaltserlaubnis
geht, gibt es nicht nur den Fall, dass man nach Deutsch-
land einreist und zwangsverheiratet wird. Es gibt viel-
mehr auch den Fall, dass man aus Deutschland heraus im
Ausland zwangsverheiratet wird. Wir haben immer wie-
der festgestellt, dass die Union diesbezüglich überhaupt
nicht zu Zugeständnissen bereit ist. Wenn man sechs
Monate ins Ausland verschleppt wurde, gibt es keine
Möglichkeit mehr, den ursprünglichen Aufenthaltstitel
zurückzuerlangen. Da könnten Sie konkrete Hilfe leis-
ten, da verweigern Sie sich aber, meine Damen und Her-
ren von der Union.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch von Frau Staatsministerin Böhmer werden im-
mer wieder die Sprachkurse angesprochen. Wir sind
überhaupt nicht dagegen – das entspricht aber einer häu-
figen Verdrehung der Tatsachen –, dass die Frauen und
Männer, die nach Deutschland kommen, Deutsch lernen.
Es waren die Unionsländer, die sich im Vermittlungsver-
fahren zum Zuwanderungsgesetz vehement dagegen ver-
wahrt haben, dass sie Mittel für die Sprachförderung ein-
stellen sollen. Wir als Grüne haben gesagt, dass wir beim
gesamten Zuwanderungsgesetz nicht mitmachen, wenn
die Sprachförderung nicht Teil des Gesetzespaketes ist.
Wir haben dies durchgesetzt. Das ist Teil der histori-
schen Wahrheit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Folge ist, dass jetzt überwiegend der Bund die Las-
ten trägt, obwohl Integration vor allem auf der lokalen
Ebene zu gestalten ist. Insofern fordern wir Sie auf: Lo-
ben Sie Herrn Koch nicht nur für irgendwelche Dinge,
die nicht nachprüfbar sind, sondern fordern Sie ihn auf,
dass er neben den Sprachkursen in den Kindergärten
endlich seiner Verpflichtung nachkommt und die Mittel,
die der Bund zur Verfügung stellt, durch Eigenmittel
verdoppelt. Das wäre ein Beitrag zu mehr Integration
und zu mehr Gerechtigkeit in diesem Land.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD])


Wir werden Sie mit dem sogenannten Nationalen In-
tegrationsplan nicht alleine lassen. Darin sind sehr viele
indirekte und unkonkrete Punkte. Wie gesagt, es sind
kaum konkrete Projekte, sondern alles Dinge, die entwe-
der schon da waren oder nicht besonders viel Arbeit kos-
ten. Die Selbstverpflichtung von Unternehmen, nach
50 Jahren Bundesrepublik gern auch einmal Ausländer
in ihre Belegschaft aufzunehmen, verkaufen Sie als
„Charta der Vielfalt“. Das ist nun wirklich nicht histo-
risch. Man müsste sich eigentlich dafür schämen, das als
historisch zu verkaufen.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1612304300

Ich erteile das Wort Kollegen Reinhard Grindel,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1612304400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Kollege Winkler, Sie haben gefragt: Wo bleibt das Kon-
krete? – Ich will Ihnen konkret sagen: Ihre Strafvor-
schrift zur Zwangsverheiratung, die Sie hier so hervor-
gehoben haben, hat bisher keine einzige Verurteilung zur
Folge gehabt.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Unsinn!)


Das ist Ihre Politik: Nach außen sieht es gut aus, aber tat-
sächlich hilft es nicht. – So kommen wir im Kampf etwa
gegen Zwangsverheiratungen nicht weiter.


(Beifall bei der CDU/CSU – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie mal was Besseres!)


Der Nationale Integrationsplan enthält nicht nur Ab-
sichtserklärungen, sondern auch – das ist einfach die
Wahrheit – ganz konkrete Maßnahmen, die wir gemein-
sam erarbeitet haben. Als Beispiel nenne ich die Inte-
grationskurse. Das sind nicht nur Sprachkurse, sondern
darin wird auch etwas über die Kultur, die rechtlichen
Grundlagen und das Wertesystem unseres Landes ver-
mittelt. 250 000 Teilnehmer haben diese Kurse bereits
besucht. Wir werden die Kurse weiter verbessern. Wir
erhöhen die Stundenzahl, damit die Teilnehmer die Ab-
schlussprüfung bestehen. Wir bieten Zielgruppenkurse
für junge Mütter und Jugendliche an. Wir übernehmen
Fahrtkosten und die Kosten der Kinderbetreuung, ob-
wohl das eigentlich eher Sache der Kommunen wäre.
Wir werden im Haushalt 2008 noch einmal 14 Millionen
Euro mehr ausgeben und dann 154 Millionen Euro allein
für diese Integrationsmaßnahme vorsehen.

Kollege Körper hat gesagt, man solle noch etwas
draufpacken. Darauf kann ich nur erwidern: Dann fragen
Sie Finanzminister Steinbrück einmal, ob er uns das zu-
sätzliche Geld gibt! – Das ist ein bisschen widersprüch-
lich. Die SPD-Innenpolitiker wollen mehr Geld für die
Integrationskurse, und der SPD-Finanzminister gibt es
uns nicht. Ganz überzeugend, Kollege Körper, war das
nicht.

Wir haben natürlich Integration gehabt, aber ich
glaube, dass sie bei vielen Menschen noch nicht ange-
kommen ist, und das ist das Entscheidende. Da müssen
wir etwas tun, über formale Zuständigkeiten hinaus.

Wer erlebt hat, wie gerade Frauen, die seit 17,
18 Jahren in Deutschland sind und praktisch kein
Deutsch können, sich freuen, im Kurs zu sein, weil sie
das erste Mal aus ihrer häuslichen Umgebung heraus-
kommen und durch den Kurs andere Frauen mit anderen
kulturellen Hintergründen kennenlernen, Kontakte knüp-
fen, auch über den Kurs hinaus, wer erlebt hat, wie enga-
giert dort im Kurs gearbeitet wird, der fragt nicht nach
Zuständigkeiten, aber er fragt sich schon – das sage ich
mit Blick gerade auf die Grünen und Frau Künast, die
sieben Jahre zuständig gewesen wären –: Was haben Sie
eigentlich in der Vergangenheit ganz konkret getan, um
zum Beispiel diesen Frauen bei der Integration zu hel-
fen?






(A) (C)



(B) (D)


Reinhard Grindel

(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo haben Sie denn gekämpft? Sie waren der Bremser! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sie haben doch im Bundesrat blockiert!)


Die konkrete Lebenssituation dieser Menschen hat Sie
nicht interessiert. Sie haben sich mit Ideologien befasst,
aber nicht mit der konkreten Lebenssituation der Men-
schen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Frau Künast, es wäre ganz schön, wenn Sie einem
Redner, der sich mit dem Beitrag der Fraktionsvorsitzen-
den der Grünen auseinandersetzt, nicht unbedingt den
Rücken zukehrten, aber das ist eine Stilfrage. – Frau
Künast hat hier gesagt, der Integrationsgipfel habe
keine große Konsequenz. In Wirklichkeit ist sie natürlich
neidisch, dass gerade wir als CDU/CSU das Integra-
tionsthema besetzt haben.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In welchen Kategorien denken Sie eigentlich?)


Otto Schily hat in sieben Jahren gemeinsamer Regierung
mit den Grünen noch nicht einmal eine Teestunde zur In-
tegration veranstaltet, geschweige denn einen Gipfel.
Das haben wir gemacht, und darauf sind wir mit Recht
auch ein bisschen stolz.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Otto gab es immer Rotwein!)


Frau Künast, es wäre schon ein Gebot der Höflich-
keit, wenn Sie jetzt zuhörten. – Sie haben uns in Zusam-
menhang mit einem „Ehrenmord“ in München vorge-
worfen, dass wir wegen der Residenzpflicht im
Aufenthaltsrecht – eine solche galt für das Opfer – die
Frauen hier nicht richtig schützen würden.

Ich habe mir den Fall eben noch einmal sehr genau
angesehen. Was Sie behauptet haben, ist die glatte Un-
wahrheit.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Hört! Hört! So ist Künast!)


Die Frau war im Frauenhaus in München; sie hätte dort
auch bleiben können. Sie ist aus eigener Entscheidung
nach Garching im Landkreis München zurückgegangen.
Der Täter hatte seinerseits eine Residenzpflicht für die
Stadt München; er hätte also gar nicht in den Landkreis
gehen dürfen. Aber das Entscheidende ist: Er war gedul-
det. Die rot-grüne Stadtregierung von München hätte
längst die Chance gehabt, ihn abzuschieben.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wohin denn abschieben?)


Insofern ist es unerhört, wenn Sie einen solchen Fall vor
dem Forum des Deutschen Bundestages in dieser Weise
sinnentstellen, um uns hier einen Vorwurf zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der große Wert des Nationalen Integrationsplans be-
steht auch darin, dass er deutlich macht, dass wir auf al-
len Ebenen zusammenarbeiten müssen: Bund, Länder
und Gemeinden. Maria Böhmer hat hier zu Recht ange-
sprochen, dass wir in den Kindergärten, in den Schulen
und bei der beruflichen Bildung mehr machen müssen;
denn mit Blick auf die demografische Entwicklung muss
man feststellen: Wenn wir bei der Integration gerade der
Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund
nicht für eine gute Zukunft sorgen, dann hat unser Land
keine gute Zukunft.

Dabei kommt es auch auf ganz konkrete Einzelmaß-
nahmen an. Ich bin den Ländern Niedersachsen und
Hamburg sehr dankbar, die im Rahmen des Integrations-
gipfels ganz konkret angekündigt haben, mehr Jugendli-
chen mit Migrationshintergrund einen Ausbildungsplatz
im öffentlichen Dienst zur Verfügung zu stellen. Das ist
eine doppelte Integration: Auf der einen Seite wird Ju-
gendlichen eine berufliche Perspektive eröffnet; auf
der anderen Seite legt man damit die Wurzeln dafür, dass
ausländische Mitbürger bei den Behörden, in den Rat-
häusern auf mehr Menschen mit Migrationshintergrund
stoßen. Das ist echte, ganz konkrete Integrationspolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Herr Kollege Körper, lassen Sie uns doch endlich die
Debatte „Einwanderungsland oder nicht?“ beenden. Wir
sagen ganz bewusst: Wir sind ein Integrationsland.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Das ist ein gewaltiger Unterschied. Einwanderungslän-
der zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Zuwanderung
steuern können. Wir konnten die Zuwanderung von Aus-
ländern nicht steuern. Asylbewerber, Aussiedler, Bürger-
kriegsflüchtlinge, all diese Menschen sind ohne Steue-
rung auf Grundlage eigener Rechte zu uns gekommen.
Wir müssen uns jetzt um eine nachholende Integration
bemühen, um Versäumtes aufzuholen. Der Streit um Be-
griffe hilft dabei nicht. Wir müssen etwas tun. Deswegen
sagen wir: Wir sind ein Integrationsland. Da liegt unser
Schwerpunkt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich will hier gerne zitieren, was die Anwältin Seyran
Ateş in ihrem neuen Buch „Der Multikulti-Irrtum“ ge-
schrieben hat:

… vor allem viele Linke glauben noch immer, der
Traum von der multikulturellen Gesellschaft werde
irgendwann Wirklichkeit, wenn man den Dingen
nur ihren Lauf lässt. Doch das ist ein Irrtum. Multi-
kulti, so wie es bisher gelebt wurde, ist organisierte
Verantwortungslosigkeit.

Mit dem Nationalen Integrationsplan übernehmen wir
Verantwortung. Früher waren Ausländerbeauftragte im
Arbeits- oder Frauenministerium versteckt. Unsere Inte-
grationsbeauftragte sitzt im Bundeskanzleramt,


(Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber auch der einzige Aktivposten!)







(A) (C)



(B) (D)


Reinhard Grindel
als Zeichen dafür, dass Integration für uns Querschnitts-
aufgabe und vor allen Dingen Chefsache ist.

Kollege Bürsch, Sie haben gefordert, ich solle etwas
zur Frage der doppelten Staatsbürgerschaft sagen. Nur
in aller Kürze – auch das ist so eine formale Debatte –:
Viele derjenigen, die in den letzten Wochen hier in Ber-
lin als Türken und Kurden gewalttätige Auseinanderset-
zungen hatten, haben die deutsche Staatsbürgerschaft.
Aber sie haben trotzdem vor allem und in erster Linie
eine türkische oder eine kurdische Identität. Deswegen
ist es richtig, was wir sagen: Dass nur dann ein Zusam-
menleben in Deutschland funktioniert, wenn die Einbür-
gerung am Ende eines erfolgreichen Integrationsprozes-
ses steht, wenn wir uns auf gemeinsame Werte
verständigen. Das Ganze darf nicht am Anfang, sozusa-
gen als gute Hoffnung oder Eintrittskarte, eines Integra-
tionsprozesses stehen, der sich dann am Ende als
schwierig und meistens als erfolglos herausstellt.

Frau Staatsministerin Böhmer, herzlichen Glück-
wunsch zu diesem Nationalen Integrationsplan. Wir wer-
den ihn umsetzen, auch, Herr Kollege Körper – weil Sie
das hier angesprochen haben –, im Bereich Bleiberecht.
Wir haben hier Entscheidungen getroffen. Am häufigs-
ten wird das Bleiberecht in Bayern und Baden-Württem-
berg ausgesprochen. Dort haben die Menschen Sicher-
heit. Die wenigsten Bleiberechte werden in Berlin
ausgesprochen. Jeder hat vor seiner eigenen Tür zu keh-
ren.

Entscheidend ist – dies soll mein Schlusssatz sein –:
Dieser Nationale Integrationsplan, liebe Maria Böhmer,
ist in der Tat ein großer Wurf, ein Meilenstein. Aber da-
mit er richtig erfolgreich wird, müssen wir alle in unse-
ren Wahlkreisen vor Ort an seiner Umsetzung mitarbei-
ten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Statt zu spalten!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1612304500

Ich erteile das Wort Kollegin Caren Marks, SPD-

Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1612304600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Als Famili-
enpolitikerin begrüße ich, dass sich die Bundesregierung
und das Parlament intensiv mit dem Thema Integration
beschäftigen, dabei den Dialog mit Migrantinnen und
Migranten suchen und gemeinsam Handlungsfelder erar-
beiten. Nach dem vielversprechenden Integrationsgipfel
und dem damit einhergehenden Integrationsplan dürfen
Regierung und Parlament in ihrem Handeln nicht hinter
den erweckten Erwartungen zurückbleiben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das Themenfeld des Nationalen Integrationsplans
„Von Anfang an deutsche Sprache fördern“ ist von zen-
traler Bedeutung. Die Überschrift enthält mehr als eine
Botschaft. Sie ist ein Auftrag, den wir politisch auf allen
Ebenen mit Leben füllen müssen. Das gilt für Bund,
Länder und Kommunen.

Es gilt, mit aller Ernsthaftigkeit daran zu arbeiten,
dass sich die Chancen der Migrantenkinder wirklich ver-
bessern. Das ist eine gesellschaftliche Herausforderung;
denn jedes dritte Kind unter sechs Jahren hat einen Mi-
grationshintergrund. In einigen Großstädten sind vier
von zehn Jugendlichen nicht deutscher Herkunft. Viel zu
viele Kinder sind vom schulischen und beruflichen Er-
folg abgehängt, weil sie in den ersten Lebensjahren häu-
fig unzureichende Deutschkenntnisse erwerben.

Wir haben es heute schon oft gehört – man kann es
nicht oft genug betonen –: Sprachkompetenz ist der
Schlüssel zu Bildung und Integration. Deshalb muss die
Sprachförderung ein zentraler Bestandteil der frühkindli-
chen Bildung werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die sprachliche Bildung ist eine vordringliche und ge-
meinsame Aufgabe von Eltern, Erziehern und Pädago-
gen. Der frühe Besuch von Kindern in Tageseinrichtun-
gen bietet – so heißt es im Integrationsplan – „eine
besondere Chance“ für Migrantenkinder. Die natürliche
Aneignung der deutschen Sprache kann so erheblich ge-
steigert werden. Kinder sind gern mit Kindern zusam-
men. Andere Kinder sind Vorbilder und gleichzeitig
Freunde. Kinder, deren Erstsprache nicht Deutsch ist,
lernen Deutsch in der Krippe spielend, im wahrsten
Sinne des Wortes.

Auch die Zusammenarbeit mit den Eltern ist dabei
wichtig, um deren Kompetenz bezüglich der Sprachent-
wicklung ihrer Kinder zu stärken. Positiv sind niedrig-
schwellige Angebote für Kinder und deren Familien, die
den gezielten Erwerb der deutschen Sprache unterstüt-
zen. Projekte wie „Mama lernt Deutsch“ sind sehr er-
folgreich. Wir müssen Eltern mit Migrationshintergrund
motivieren bzw. darin bestärken, dass ihre Kinder früh-
zeitig die Vorteile einer Betreuungs- und Bildungsein-
richtung nutzen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Auch der von der SPD durchgesetzte Rechtsanspruch
– er gilt ab 2013 – auf einen Betreuungsplatz ab eins
wird sich positiv auf die Integration auswirken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das Betreuungsgeld hingegen, wie es die Union
nach wie vor fordert, ist nicht nur bildungs- und gleich-
stellungspolitisch fatal, sondern auch integrationspoli-
tisch. Eine monatliche Zahlung an Eltern, die ihre Kin-
der im Alter bis zu drei Jahren ausschließlich zu Hause
betreuen, wäre auch unter Integrationsgesichtspunkten
falsch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Wir würden diesen Kindern einen Bärendienst erweisen.
Ein Betreuungsgeld würde für viele der benachteiligten
Familien einen hohen Anreiz setzen, ihre Kinder von
frühkindlichen Bildungseinrichtungen fernzuhalten.
Norwegen hat genau diese negativen Erfahrungen ge-






(A) (C)



(B) (D)


Caren Marks
macht und will das Betreuungsgeld deswegen abschaf-
fen. Auch in Thüringen bewirkt das dortige Erziehungs-
geld, dass Eltern ihre Kinder aus dem Kindergarten
verstärkt abmelden. Wir sollten aus diesen Erfahrungen
lernen, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Es muss klar sein: Integration kann nicht verordnet
werden. Sie braucht die Mitwirkung aller, auch der Mi-
granten. Insbesondere den Müttern mit Migrationshin-
tergrund kommt eine Schlüsselstellung für die Integra-
tion ihrer Kinder zu. Die Berufstätigkeit von Migrantin-
nen fördert nicht nur Selbstbewusstsein und finanzielle
Unabhängigkeit, sondern auch deren Integration. Gut in-
tegrierte Eltern, Mütter und Väter, die an der Gesell-
schaft teilhaben, sind Vorbilder für ihre Kinder. Auch an
diesem Punkt setzt das Betreuungsgeld für Frauen fal-
sche Anreize, nämlich nach der Geburt eines Kindes län-
ger zu Hause zu bleiben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, all diese Beispiele
zeigen: Ein Betreuungsgeld läuft der Integration vielfäl-
tig entgegen. Es würde eine erfolgreiche Umsetzung des
vielversprechenden Integrationsplanes konterkarieren.
Das Betreuungsgeld ist schlicht eine „Optimierung“ des
Unsinns.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1612304700

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/6281 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Wir kommen zu dem Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/6976. Interfraktionell
ist vereinbart, über den Entschließungsantrag abwei-
chend von der Geschäftsordnung heute abzustimmen.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD
und FDP gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei
Stimmenthaltung vom Bündnis 90/Die Grünen abge-
lehnt.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 42 a bis c sowie die
Zusatzpunkte 5 a bis 5 c auf. Es handelt sich um Über-
weisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte:

42 a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des
Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG)


– Drucksache 16/5107 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-
zung des Rahmenbeschlusses des Rates vom
22. Juli 2003 über die Vollstreckung von Ent-
scheidungen über die Sicherstellung von Ver-
mögensgegenständen oder Beweismitteln in
der Europäischen Union

– Drucksache 16/6563 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Dr. Harald Terpe, Cornelia Behm,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Schutz vor Emissionen aus Laserdruckern,
Laserfax- und Kopiergeräten

– Drucksache 16/5776 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

ZP 5a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Petra

(Saarbrücken)

tion DIE LINKE

Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissen-
schaftleraustausch fördern – Mobilitätspro-
gramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in
Deutschland

– Drucksache 16/5811 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska
Hinz (Herborn), Kai Gehring, Krista Sager, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissen-
schaftleraustausch fördern – Mobilitätspro-
gramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in
Deutschland

– Drucksache 16/5968 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marcus
Weinberg, Ilse Aigner, Bernward Müller (Gera),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Ulla Burchardt, Jörg
Tauss, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD

Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissen-
schaftleraustausch fördern – Mobilitätspro-
gramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in
Deutschland

– Drucksache 16/6945 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 43 a bis
43 u sowie 35 b. Es handelt sich um die Beschlussfas-
sung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorge-
sehen ist.

Ich weise darauf hin, dass wir über den Gesetzentwurf
zu Tagesordnungspunkt 43 d, Zweites Gesetz zur Ände-
rung des Finanzverwaltungsgesetzes, namentlich ab-
stimmen werden. Vor der namentlichen Abstimmung ha-
ben wir noch drei einfache Abstimmungen. Bitte
begeben Sie sich erst zu den Urnen, wenn ich die na-
mentliche Abstimmung aufrufe.

Tagesordnungspunkt 43 a:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Änderung des Vierten Buches So-
zialgesetzbuch und anderer Gesetze

– Drucksache 16/6540 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

(11. Ausschuss)


– Drucksache 16/6986 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Gerald Weiß (Groß-Gerau)


(8. Ausschuss)


– Drucksache 16/6992 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Waltraud Lehn
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6986,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
16/6540 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU, SPD und Grünen gegen die
Stimmen der FDP bei Enthaltung der Linken angenom-
men.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in
der zweiten Beratung angenommen.

Tagesordnungspunkt 43 b:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Abkommen vom 9. Februar 2007 zwi-
schen der Bundesrepublik Deutschland und
Australien über die Soziale Sicherheit von vor-
übergehend im Hoheitsgebiet des anderen

(„Ergänzungsabkommen“)


– Drucksache 16/6567 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)


– Drucksache 16/6829 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Katja Kipping

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6829,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-
sache 16/6567 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-
men von CDU/CSU, SPD und FDP bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke und der Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
wurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der
zweiten Beratung angenommen.

Tagesordnungspunkt 43 c:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines … Geset-
zes zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes
und anderer Gesetze

– Drucksachen 16/6293, 16/6568 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/6978 –

Berichterstattung:

(VillingenSchwenningen)

Joachim Stünker
Jörg van Essen
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag

Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/6978, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/6293
und 16/6568 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen.
– Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
des ganzen Hauses angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 43 d:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Finanzverwal-
tungsgesetzes und anderer Gesetze

– Drucksachen 16/6560, 16/6740 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 16/6993 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Patricia Lips
Reinhard Schultz (Everswinkel)


Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache
16/6993, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf
den Drucksachen 16/6560 und 16/6740 in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthal-
tung der Fraktion Die Linke angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Nach Art. 87 Abs. 3 des
Grundgesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfs die
absolute Mehrheit – das sind 307 Stimmen – erforder-
lich. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehe-
nen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze besetzt? – Ich
eröffne die Abstimmung.

Haben alle Kolleginnen und Kollegen Ihre Stimme
abgegeben? – Das ist offensichtlich der Fall.

Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben.1)

Ich bitte Sie, sich wieder zu Ihren Plätzen zu begeben,
damit wir mit den Abstimmungen fortfahren können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte nehmen Sie Platz,
damit wir einigermaßen übersichtlich die Abstimmun-
gen fortsetzen können.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 43 e:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Legehennenbe-
triebsregistergesetzes

– Drucksache 16/6559 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz (10. Ausschuss)


– Drucksache 16/6862 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Hans-Heinrich Jordan
Dr. Wilhelm Priesmeier
Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Ulrike Höfken

Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz empfiehlt auf Drucksache 16/6862,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 16/6559 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen des Hauses bei Enthaltung der FDP-Fraktion
angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der
FDP-Fraktion angenommen.

1) Ergebnis Seite 12759 B






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Tagesordnungspunkt 43 f:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz,
Dr. Max Stadler, Birgit Homburger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Kein zusätzlicher Bundeswehreinsatz im In-
neren – Die Polizei kann durch die Bundes-
wehr nicht ersetzt werden

– zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Wieland, Volker Beck (Köln), Jerzy Montag,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Bundeswehr vor öffentlichen Gebäu-
den und Stadien für die Fußballweltmeister-
schaft 2006

– Drucksachen 16/563, 16/359, 16/1510 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ingo Wellenreuther
Wolfgang Gunkel
Gisela Piltz
Ulla Jelpke
Wolfgang Wieland

Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Empfeh-
lung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP
auf Drucksache 16/563 mit dem Titel „Kein zusätzlicher
Bundeswehreinsatz im Inneren – Die Polizei kann durch
die Bundeswehr nicht ersetzt werden“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
der FDP und der Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.

Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/359 mit dem Titel „Keine Bundeswehr
vor öffentlichen Gebäuden und Stadien für die Fußball-
weltmeisterschaft 2006“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
der drei Oppositionsfraktionen angenommen.

Tagesordnungspunkt 43 g:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Florian Toncar, Burkhardt Müller-
Sönksen, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der FDP

EU-Waffenembargo gegen China beibehalten

– Drucksachen 16/969, 16/2574 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Erich G. Fritz

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/2574, den Antrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/969 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der
drei Oppositionsfraktionen angenommen.

Tagesordnungspunkt 43 h:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Angelika Brunkhorst, Michael Kauch,
Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP

Exportaktivitäten deutscher Unternehmen im
Technologiebereich erneuerbarer Energien
sachgerecht unterstützen

– Drucksachen 16/1565, 16/3587 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Matthias Berninger

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/3587, den Antrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/1565 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, SPD
und Linken gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung
der Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 43 i:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14. Ausschuss)

gierung

Vorschlag für eine Verordnung des Europäi-
schen Parlaments und des Rates zu Gemein-
schaftsstatistiken über öffentliche Gesundheit
und über Gesundheitsschutz und Sicherheit
am Arbeitsplatz
KOM (2007) 46 endg.; Ratsdok. 6622/07

– Drucksachen 16/4819 Nr. 11, 16/5949 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Michael Hennrich

Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich-
tung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der FDP-Frak-
tion angenommen.

Tagesordnungspunkt 43 j:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Vorschlag für eine Verordnung des Rates über
die gemeinsame Marktorganisation für Wein
und zur Änderung bestimmter Verordnungen






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse

(inkl. 11361/07 ADD 1 und 11361/07 ADD 2)

KOM (2007) 372 endg.; Ratsdok. 11361/07

– Drucksachen 16/6389 Nr. 1.49, 16/6863 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Julia Klöckner
Gustav Herzog
Dr. Volker Wissing
Dr. Kirsten Tackmann
Ulrike Höfken

Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich-
tung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstim-
mig angenommen.

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-
titionsausschusses, Tagesordnungspunkte 43 k bis 43 u.

Tagesordnungspunkt 43 k:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 286 zu Petitionen

– Drucksache 16/6801 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 286 ist einstimmig an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 43 l:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 287 zu Petitionen

– Drucksache 16/6802 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 287 ist mit den Stim-
men von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion der
Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 43 m:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 288 zu Petitionen

– Drucksache 16/6803 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 288 ist einstimmig an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 43 n:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 289 zu Petitionen

– Drucksache 16/6804 –

Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 289
ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der FDP
angenommen.

Tagesordnungspunkt 43 o:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 290 zu Petitionen

– Drucksache 16/6805 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 290 ist mit den Stim-
men des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion der
Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 43 p:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 291 zu Petitionen

– Drucksache 16/6806 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 291 ist mit den Stim-
men des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 43 q:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 292 zu Petitionen

– Drucksache 16/6807 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 292 ist mit den Stim-
men des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion der
FDP angenommen.

Tagesordnungspunkt 43 r:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 293 zu Petitionen

– Drucksache 16/6808 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 293 ist mit den Stim-
men von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen
der Linken bei Enthaltung der Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 43 s:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 294 zu Petitionen

– Drucksache 16/6809 –

Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 294
ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP ge-
gen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Grünen
angenommen.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 35 b: und Linken angenommen.
gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes
– Drucksache 16/6309 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz (10. Ausschuss)


– Drucksache 16/6828 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Jahr

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 553;
davon

ja: 507
enthalten: 46

Ja

CDU/CSU

Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner

Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer (Lübeck)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zu
Tagesordnungspunkt 43 d zurück und gebe das von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb-
nis der namentlichen Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes
und anderer Gesetze bekannt: Abgegebene Stimmen
553, gültige Stimmen 553. Mit Ja haben gestimmt 507,
mit Nein haben gestimmt 0, Enthaltungen 46. Der Ge-
setzentwurf ist damit mit der erforderlichen Mehrheit an-
genommen.

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz

Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu

Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ernst Hinsken
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
Tagesordnungspunkt 43 t:

Beratung der Beschlus

(2. Aussc Sammelübersicht 295 – Drucksache 16/6810 Wer stimmt dafür? – Wer s hält sich? – Die Sammelübe von CDU/CSU, SPD und L von FDP und Grünen angeno Tagesordnungspunkt 43 u: Beratung der Beschlus ausschusses (2. Aussc Sammelübersicht 296 – Drucksache 16/6811 Wer stimmt für diese Samm dagegen? – Enthaltungen? – mit den Stimmen von CDU/ gen die Stimmen von FDP un sempfehlung des Petitionshuss)


zu Petitionen


timmt dagegen? – Wer ent-
rsicht ist mit den Stimmen
inken gegen die Stimmen
mmen.

sempfehlung des Petitions-
huss)

zu Petitionen


elübersicht? – Wer stimmt
Die Sammelübersicht ist

CSU, SPD und Grünen ge-
d Linken angenommen.
Dr. Wilhelm Priesmeie
Hans-Michael Goldma
Dr. Kirsten Tackmann

(Quedli Der Ausschuss für Ernäh Verbraucherschutz empfiehlt lung auf Drucksache 16/682 Bundesregierung auf Drucks schussfassung anzunehmen. dem Gesetzentwurf in der Au wollen, um das Handzeichen Enthaltungen? – Der Gesetze Beratung mit den Stimmen v gen die Stimmen der Grünen und der FDP angenommen. Dritte Be und Schlussabstimmung. Ich Gesetzentwurf zustimmen w Wer stimmt dagegen? – Enth wurf ist mit den Stimmen vo gen die Stimmen der Grüne r nn nburg)


rung, Landwirtschaft und
in seiner Beschlussempfeh-
8, den Gesetzentwurf der
ache 16/6309 in der Aus-

Ich bitte diejenigen, die
sschussfassung zustimmen
. – Wer stimmt dagegen? –
ntwurf ist damit in zweiter
on CDU/CSU und SPD ge-
bei Enthaltung der Linken

ratung

bitte diejenigen, die dem
ollen, sich zu erheben. –

altungen? – Der Gesetzent-
n CDU/CSU und SPD ge-

n bei Enthaltung von FDP






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler (Wiesbaden)

Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich

Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer (Altötting)

Wolfgang Meckelburg
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Bernward Müller (Gera)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht (Weiden)

Peter Rzepka
Anita Schäfer (Saalstadt)

Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Ingo Schmitt (Berlin)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer (Neuss)

Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr (Neuruppin)

Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding (Heidelberg)

Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Willi Brase
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Nina Hauer
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz (Essen)

Gerd Höfer
Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Johannes Jung (Karlsruhe)

Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel (Berlin)

Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller (Chemnitz)

Michael Müller (Düsseldorf)

Gesine Multhaupt
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche (Cottbus)

Maik Reichel
Dr. Carola Reimann
Christel Riemann-

Hanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Ortwin Runde






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Carsten Schneider (Erfurt)

Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz


(Everswinkel)

Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen


(Wiesloch)

Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Heidi Wright

Ich rufe nunmehr Zusatzpu

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fr
und BÜNDNIS 90/DI

Jüngste Entwicklung

Ich eröffne die Aussprach
Kollegen Walter Kolbow, SP
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Markus Löning
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster

nkt 6 auf:

aktionen CDU/CSU, SPD
E GRÜNEN

en in Pakistan

e und erteile das Wort dem
D-Fraktion.
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz (Herborn)

Dr. Anton Hofreiter
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler


(Beifall bei Sehr geehrter Herr Präside Kollegen! Es ist ein bestürze sident Pakistans, Musharraf, gesetzt hat. Zu Recht befasse in einer Aktuellen Stunde mi gang. Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Dr. Dagmar Enkelmann Wolfgang Gehrcke Diana Golze Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Inge Höger Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Jan Korte Oskar Lafontaine Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Petra Pau Bodo Ramelow Paul Schäfer Volker Schneider Dr. Herbert Schui Dr. Petra Sitte Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann fraktionslos Gert Winkelmeier der SPD)

Walter Kolbow (SPD):
Rede ID: ID1612304800

(Saarbrücken)


nt! Liebe Kolleginnen und
nder Vorgang, dass der Prä-
die Demokratie außer Kraft
n wir uns hier im Parlament
t diesem bestürzenden Vor-
Renate Schmidt (Nürnberg)

Heinz Schmitt (Landau) Rainer Brüderle

Martin Zeil Roland Claus
Marlene Rupprecht

(Tuchenbach)


Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Otto Schily
Dr. Frank Schmidt
Ulla Schmidt (Aachen)


Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

FDP

Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr (Münster)

Uwe Barth
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


Enthaltung

DIE LINKE

Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge






(A) (C)



(B) (D)


Walter Kolbow
Die SPD-Bundestagsfraktion verlangt von der pakis-
tanischen Führung die unverzügliche Rückkehr zur ver-
fassungsmäßigen Ordnung und das Festhalten an der an-
gekündigten Parlamentswahl. Wir protestieren gegen die
Massenverhaftungen und gegen jegliche Medienzensur.
Wir äußern unseren Respekt sowohl vor der Richter- und
Anwaltsbewegung mit Iftikhar Chaudhry an der Spitze
als auch vor den Journalisten, die sich bei ihrer Kom-
mentierung nicht einschüchtern lassen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir unterstreichen die Kommentierung der pakistani-
schen Zeitung The News, in der es hieß: Der 3. Novem-
ber wird als weiterer dunkler Tag in die politische,
rechtsstaatliche Geschichte Pakistans eingehen. – Die
massiven Proteste in Pakistan gegen den Ausnahmezu-
stand zeigen, dass die pakistanische Zivilgesellschaft er-
starkt ist. Das ist positiv.

Wir fordern von der pakistanischen Regierung die
Freilassung der unschuldig Verhafteten, unter ihnen der
Chef der oppositionellen Moslemliga, PML-N, Javed
Hashmi, und die Vorsitzende der Menschenrechtskom-
mission, Asma Jehangir, und wir verlangen die Freilas-
sung der 40 festgenommenen Projektpartner der
Heinrich-Böll-Stiftung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU, der FDP, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


An die internationale Gemeinschaft richten wir die
Forderung, von sich aus alle Anstrengungen zu unter-
nehmen, die dramatische Zuspitzung der seit Monaten in
Pakistan herrschenden Krise einzuhegen. Es war richtig
und wichtig, Herr Außenminister, dass Sie für die Bun-
desregierung die Ausrufung des Ausnahmezustandes in
Pakistan unverzüglich kritisiert und dazu aufgefordert
haben, zur verfassungsmäßigen Ordnung zurückzukeh-
ren. Wir unterstützen die Bundesregierung in diesen ih-
ren Bemühungen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es erfüllt unser Parlament mit Genugtuung, dass sich die
Vereinigten Staaten eingeschaltet haben und der Präsi-
dent der USA die Wiederherstellung der Demokratie
eingefordert hat. Auch Javier Solana hat dies für die Eu-
ropäische Union zu Recht getan.

Wir befinden uns angesichts der eskalierten Lage in
Pakistan in einem schwierigen Spannungsfeld. Gleich-
wohl hat Peter Münch recht, wenn er in der Süddeut-
schen Zeitung feststellt:

Auch unter den zynischsten Regeln der Realpolitik
macht es wenig Sinn, weiterhin einen Diktator zu
unterstützen, der die Demokraten bekämpft und die
Islamisten nicht besiegen kann.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Uns allen ist bewusst, dass es bei deklaratorischen
Aufforderungen an die pakistanischen Machthaber nicht
bleiben kann.

(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Bundesregie-
rung, wie getan, die aktuellen Ereignisse in ihre Überle-
gungen zur bilateralen Zusammenarbeit einbezieht. Dies
ist richtig und wichtig. Andererseits dürfen wir nicht au-
ßer Acht lassen, dass Pakistan in der Region eine wich-
tige Rolle spielt. Insoweit gilt es, besonnen und politisch
klug unsere nächsten Schritte zu planen. Das Abstimmen
unserer Haltung insbesondere im europäischen Rahmen
wissen wir bei Ihnen, Herr Außenminister, in guten Hän-
den.

Pakistan hat als Regionalmacht eine besondere und
herausgehobene Verantwortung, die weit über die aktu-
elle innerpakistanische Machtfrage, die offensichtlich
persönliche Züge trägt, hinausgeht. Das sollte von denen
bedacht werden, die Einfluss auf politische Entscheidun-
gen in Pakistan haben.

Anders kann auch die G-8-Afghanistan-Pakistan-Ini-
tiative, die am 30. Mai 2007 in Potsdam verabschiedet
wurde, nicht gelingen. Sicherheit, Stabilität und dauer-
hafter Frieden in Afghanistan und in der Region gelin-
gen nicht mit Kriegsrecht in Pakistan. Die Mitglieder der
G 8 haben sich ausdrücklich bereit erklärt, mit den Re-
gierungen Afghanistans und Pakistans eng zusammenzu-
arbeiten, und zwar auf der Basis der bestehenden Me-
chanismen der Vereinten Nationen.

Nur so wird Pakistan mit seiner 2 500 Kilometer lan-
gen Grenze zu Afghanistan und als Frontstaat gegen den
Terror stabilisiert werden können.

Hinzu kommt das pakistanische Nuklearprogramm.
Schon seit Jahren heißt es, Pakistan sei eine politisch in-
stabile Nuklearmacht mit fernen Bergregionen, die den
Terroristen als Rückzugsgebiete dienen. Es gibt alarmie-
rende Informationen, dass die Taliban und al-Qaida Ge-
biete an der Grenze zu Afghanistan mehr und mehr be-
herrschen. Die Folgen bekommen die NATO und unsere
Soldaten bei ISAF zu spüren.

Pakistan ist ein Schlüssel für den Erfolg des Wieder-
aufbaus in Afghanistan. Pakistans Stabilität ist unab-
dingbar für die regionale Stabilität und die Überwindung
des internationalen Terrorismus.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Auch deshalb muss Pakistan wieder demokratisch wer-
den, die Achtung der Menschenrechte gewährleisten,
eine unabhängige Justiz, eine freie Presse, demokrati-
sche Parteien, also starke Institutionen haben.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind an der
Seite der Demonstrantinnen und Demonstranten. Wenn
der lange Marsch der PPP und anderer nach Islamabad
jetzt stattfindet, dann möge er friedlich verlaufen und
dann mögen die Ordnungskräfte wissen, dass man auf
Demokratinnen und Demokraten nicht schießt, sondern
sie unterstützt.






(A) (C)



(B) (D)


Walter Kolbow

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1612304900

Das Wort hat nun Kollege Jürgen Trittin, Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612305000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man muss

diesen Putsch mit allem Nachdruck verurteilen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Das, was hier geschieht, ist unglaublich. Wer Richter ab-
setzt, statt sich dem Recht zu beugen, wer Rechtsanwälte
mit dem Gummiknüppel traktiert, wer Menschen, die an-
deren helfen wollen, einsperrt, der ist kein Demokrat und
– das sage ich an dieser Stelle – der kann auch kein
Bündnispartner für Demokratien sein, weil dadurch
nicht dauerhaft Stabilität geschaffen wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich sage das mit allem Ernst, weil wir alle wissen – Herr
Kolbow hat darauf hingewiesen –, welch zentrale Rolle
Pakistan für einen Erfolg bei der Stabilisierung Afgha-
nistans spielt. Man kann auch nicht sagen, dass sich die
Verbündeten der NATO hier zurückgehalten haben.
Schauen Sie sich an, welche militärische Hilfe allein die
USA in den letzten Jahren an die pakistanische Armee
geliefert haben – 10 Milliarden Dollar; 100 Millionen
Dollar jeden Monat –, mit dem Ziel, Pakistan zu stabili-
sieren.

Um zu sehen, was das Ergebnis ist, muss man Bilanz
ziehen: Das Geld ist nicht für eine massive Bekämpfung
der Aufständischen in Pakistan eingesetzt worden. Die
Generalität und die höheren Offiziere haben sich mit die-
sem Geld die Taschen vollgestopft. Sie haben das zum
Teil nicht an ihre einfachen Soldaten weitergeleitet.
Diese laufen heute zu den Taliban über, wodurch die
ganze Regierung Musharraf lächerlich gemacht und zu
diesem Schritt getrieben wurde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde, wenn man so etwas weiß, dann muss das
doch Konsequenzen haben. Ja, wir sagen: Wir wollen,
dass Pakistan stabil ist. – In ein solches Land kann man
dann aber doch nicht immer weiter Geld pumpen. Man
kann auch nicht einfach blind das fortsetzen, was bisher
gemacht worden ist.

Meine Damen und Herren von der Großen Koalition,
Sie müssen dem Hause einmal erklären, was drei
U-Boote mit der Situation in Waziristan zu tun haben
und ob es in einer solchen Situation wirklich klug ist,
U-Boote an ein Regime zu liefern, das so instabil ist und
über ein ambitioniertes Raketenprogramm, nukleare Fä-
higkeiten und nukleare Waffen verfügt, und zu sagen,
dass dies der Stabilisierung dieses Landes dient. Ich
glaube nicht, dass dies der Stabilisierung Pakistans ge-
dient hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Lieber Bundesaußenminister, wenn Sie einmal die
Idee hatten, die Stabilisierung durch die U-Boote zu er-
reichen, dann müssen Sie heute sagen, dass das falsch
war und dass Sie nicht liefern, wenn vom Militär weiter-
hin Politik in dieser Form gemacht wird. Wir erwarten
hier eine sehr klare und sehr deutliche Ansage von Ih-
nen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will das auch noch einmal unter einem anderen
Aspekt sagen: Wer ist denn der Gewinner dieses Prozes-
ses? Was macht das Militärregime? Betrachten wir die
großen Kräfte in der pakistanischen Gesellschaft: die Is-
lamisten – sie werden immer stärker –, eine aufgeweckte
Zivilbevölkerung und das Militär. Gegen wen geht das
Militär jetzt vor? Gegen die Islamisten? Nein, es sperrt
die Basisbewegung, die aufgeklärte städtische Intelli-
genz, all diejenigen, die für Meinungsfreiheit streiten,
ein. Das heißt, es unterdrückt massiv genau die Kräfte,
die die einzige Gegenmacht zu den Islamisten sein müss-
ten. Deswegen werden die Islamisten durch diesen
Putsch gestärkt und nicht geschwächt, weshalb wir Put-
schisten nicht in dieser Form – mit solchen Rüstungslie-
ferungen – unterstützen dürfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben heute gehört, dass die Regierung erklärt
hat, sie wolle im Februar Wahlen abhalten. Offensicht-
lich wirken die Proteste ein Stück. Aber Wahlen haben
auch Voraussetzungen: Man kann keine Wahlen unter ei-
nem Ausnahmezustand abhalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wahlen sind nur möglich, wenn der Richter Chaudhry
wieder eingesetzt wird, wenn wieder Meinungsfreiheit
herrscht, wenn alle, die inhaftiert worden sind, wieder
freigelassen sind und wenn in diesem Lande die demo-
kratischen Rechte wieder ihren Platz haben. Dazu gibt es
keine Alternative. Wer die Demokratie in Pakistan unter-
drückt, wird am Ende erleben, dass die Islamisten die
Sieger sein werden. Dies kann und darf nicht passieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1612305100

Das Wort hat nun Kollege Eckart von Klaeden, CDU/
CSU-Fraktion.


Eckart von Klaeden (CDU):
Rede ID: ID1612305200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! In der Analyse und auch in
der Verurteilung dessen, was in den letzten Tagen in Pa-
kistan geschehen ist, gibt es hier im Haus, wie ich glaube
– jedenfalls unter den demokratischen Fraktionen –,
keine Differenzen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Eckart von Klaeden
Deswegen will ich das, was die Kollegen Kolbow und
Trittin gesagt haben, nicht wiederholen; ich unterstreiche
es ausdrücklich.

Ich habe allerdings den Eindruck, dass die Lautstärke
der Empörung, die ich für berechtigt halte, manchmal
über die Hilflosigkeit hinweghelfen soll,


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Da hat er recht!)


die aus der Erkenntnis erwächst, dass unser Einfluss in
dieser Region bedauerlicherweise begrenzt ist. Die Lage
in Pakistan ist außerordentlich kompliziert, und die geo-
politische Bedeutung des Landes ist nicht zu unterschät-
zen. Pakistan spielt eine wichtige Rolle für die Stabilität
in Süd- und Zentralasien. Weder die Lösung des Kasch-
mir-Konflikts noch eine dauerhafte Befriedung in Af-
ghanistan sind ohne eine aktive Rolle Pakistans denkbar.
Auch brauchen wir für eine effektive Bekämpfung des
internationalen Terrorismus eine enge Kooperation mit
Islamabad. Auf die Gefahren, die mit der nuklearen Be-
waffnung Pakistans verbunden sind, haben beide Vorred-
ner ebenfalls schon hingewiesen.

Das Tragische und besonders Falsche an dem Verhal-
ten Musharrafs ist, dass er mit seinem Putsch und der
Verhängung des Ausnahmezustands gerade diejenigen
bekämpft, die er für die Bekämpfung des radikalen Isla-
mismus so dringend braucht, und damit die Vorausset-
zungen für das Scheitern des Projektes schafft, dem wir
uns alle verpflichtet fühlen und das für unsere eigene Si-
cherheit enorm wichtig ist. Deswegen ist es erforderlich,
dass Pakistan so schnell wie möglich wieder zu demo-
kratischeren Verhältnissen – ich bin mir der Ambivalenz
dieses Komparativs durchaus bewusst – zurückkehrt,
dass der Ausnahmezustand so schnell wie möglich auf-
gehoben wird und die Voraussetzungen für freie und
faire Wahlen geschaffen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir erkennen, dass unser Einfluss begrenzt ist,
dann hätte ich mir allerdings gewünscht, dass sich die
europäischen Staaten stärker zusammengefunden und zu
einer einheitlichen Reaktion durchgerungen hätten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es hat aber unterschiedliche Reaktionen gegeben. In den
Niederlanden wird über das Einfrieren der Entwick-
lungshilfe nachgedacht; möglicherweise ist sie schon
eingefroren worden. Man könnte aber auch mit guten
Gründen zu dem gegenteiligen Ergebnis kommen und
sagen, gerade jetzt seien mehr Entwicklungshilfe, mehr
zivile Zusammenarbeit und mehr Unterstützung der Zi-
vilgesellschaft in Pakistan erforderlich.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Um widersprüchliche Signale aus Europa an Pakistan zu
vermeiden, wäre es wirklich gut gewesen, wenn jeder
Verantwortliche in den Regierungen in Europa die Kraft
aufgebracht hätte, in der Verurteilung der Verhältnisse
und der Zustände einig zu sein und zugleich die europäi-
sche Abstimmung zu suchen, damit es eine klare Ant-
wort der Europäischen Union auf die Verhältnisse und
Zustände in Pakistan gegeben hätte.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das eigentliche Problem in Pakistan liegt aus meiner
Sicht nicht allein in der Bekämpfung der Zivilgesell-
schaft und in der Verhängung des Ausnahmezustands;
vielmehr ergibt sich das eigentliche Dilemma aus der
Staatsräson Pakistans. Denn wir müssen leider beobach-
ten, dass die Saat aufgeht, die von General Zia ul-Haq
und mehreren seiner Nachfolger einschließlich Mushar-
rafs gelegt wurde, nämlich auf eine Islamisierung Pakis-
tans zu setzen, um auf diese Weise den Nationalismus
der Paschtunen zu bekämpfen, der den Zusammenhalt
des Landes gefährdet, und eine nationale Identität zu
schaffen, die die Talibanisierung Pakistans befördert.

Wir stehen vor der großen Herausforderung, auf diese
Situation eine Antwort zu finden, eine Strategie zu ent-
wickeln, die der weiteren Entwicklung Einhalt gebieten
oder sie zumindest verlangsamen kann. Eine nicht weg-
zudenkende Voraussetzung dafür ist, dass die zivilgesell-
schaftlichen und demokratisch gesinnten Kräfte in Pa-
kistan, die es beeindruckenderweise gibt – der Kollege
Kolbow hat darauf hingewiesen –, gestärkt werden und
sich unmissverständlich darauf verlassen können, dass
wir an ihrer Seite sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1612305300

Das Wort hat nun Kollege Werner Hoyer, FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1612305400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Man läuft jetzt Gefahr, Wiederholungen zu äußern. Des-
wegen möchte ich pauschal feststellen, dass ich die von
den Kollegen bisher erhobenen Forderungen nach Auf-
hebung des Ausnahmezustands, Wiedereinführung der
Gewaltenteilung und Ermöglichung freier und demokra-
tischer Wahlen ausdrücklich unterstreiche. Ich unter-
streiche auch die Forderung, dass der Generalpräsident
seine Uniform ausziehen sollte, wie Eckart von Klaeden
eben gesagt hat.


(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Benazir Bhutto hat die Befürchtung geäußert, Pakis-
tan bewege sich mit großen Schritten auf eine gewaltige
Katastrophe zu. Ich fürchte, es gibt Anlass, davon auszu-
gehen, dass sie recht hat. Die beeindruckenden Mails
und Faxe, die sicherlich auch viele von Ihnen von pakis-
tanischen Kollegen bekommen, zeigen, wie verzweifelt
die Lage ist. Es ist von Journalisten und Juristen gespro-
chen worden; ich weise ausdrücklich auch auf Parlamen-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Werner Hoyer
tarier hin. Etliche von ihnen befinden sich auf der Flucht
oder sind nicht mehr frei. Auch sie fordern uns auf, in
dieser Situation Flagge zu zeigen.

Wir haben heute Morgen über Afghanistan gespro-
chen. Dabei hat auch Pakistan immer eine Rolle gespielt.
Trotzdem ist es falsch, Pakistan immer nur durch die
Brille unseres gegenwärtigen Afghanistan-Problems zu
sehen. Pakistan ist wichtig und groß. Pakistan hat eine
enorme technologische Kapazität, die uns noch Schwie-
rigkeiten bereitet. Pakistan ist nicht nur Nuklearmacht,
sondern das größte Proliferationsproblem, das wir seit
vielen Jahren haben.


(Sebastian Edathy [SPD]: Allerdings!)


Deswegen ist es sehr wichtig, dass wir uns mit diesem
Thema befassen.

Insofern müssen wir die gegenwärtige Situation ana-
lysieren und nüchtern betrachten. In Pakistan kommen
alle Probleme der Region wie unter einem Brennglas zu-
sammen. Wir haben es mit der Auseinandersetzung zwi-
schen Islamisten und säkularen Kräften, Entwicklungs-
defiziten enormer Dimensionen und der unbedingten
Notwendigkeit, eine Atommacht staatlich stabil zu hal-
ten, zu tun. Wir sehen das unbewältigte Erbe einer Kolo-
nialvergangenheit und nicht zuletzt – man muss das
wohl so deutlich sagen – auch die Bereitschaft staatli-
cher Autoritäten, vor Zusammenarbeit mit Terroristen
gegebenenfalls nicht zurückzuschrecken.

Damit ist die Politik des Westens gegenüber Pakistan
– auch wir waren daran beteiligt – in den letzten Jahren
gescheitert. Oberstes Ziel war die Stabilität des Landes
mit Rücksicht auf den Konflikt mit Indien und im Hin-
blick auf die Sicherung des Nuklearwaffenpotenzials.
Deswegen wurden lange Zeit beide Augen zugedrückt,
selbst als sich die pakistanische Regierung mit den Tali-
ban zu arrangieren versuchte, was uns allen am
11. September 2001 teuer zu stehen gekommen ist.

Seither geht Pakistan zwar gegen die Taliban vor, aber
es spielt auch eine Doppelrolle. General Musharraf
glaubt offensichtlich, dass er Stabilität und Sicherheit er-
zielen kann, indem er Rechtsstaat und Demokratie preis-
gibt. Aber das Gegenteil wird eintreten: Auf dem jetzt
eingeschlagenen Weg werden alle vier genannten Ele-
mente auf der Strecke bleiben.

Für uns Liberale gilt für die Innenpolitik das Gleiche
wie für die internationale Politik: Wer glaubt, Freiheit
und Rechtsstaatlichkeit zur Disposition stellen zu kön-
nen, um Sicherheit und Stabilität zu erreichen, wird am
Ende mit leeren Händen dastehen.


(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Wir sollten uns aber auch Gedanken darüber machen,
wie es mit der internationalen Politik im Bereich der nu-
klearen Proliferation, der Atomrüstung, weitergeht,
wenn wir den Problemfall Pakistan nicht in den Griff be-
kommen. Die Restoptionen, die dann politisch verblei-
ben, sind fatal. Es droht ein unauflösbarer Konflikt zwi-
schen unserem Wertesystem und den Realitäten. Deshalb
ist das Thema der Nichtverbreitung so außerordentlich
brisant. In diesem Zusammenhang wurde zu Recht das
U-Boot-Thema angesprochen. Ich halte es für sehr be-
denklich, dass der Wettbewerb mit dem französischen
Konkurrenten gerade mit Verzicht auf die Proliferations-
klausel gewonnen werden konnte.

Der Zusammenhang mit dem indisch-amerikani-
schen Nukleardeal ist evident, auf den sowohl in Indien
als auch in Pakistan immer wieder Bezug genommen
wird. Wir müssen die gewiss interessanten, aber wahr-
scheinlich akademisch bleibenden Überlegungen zum
Thema Internationalisierung des nuklearen Brennstoff-
kreislaufes durchaus fortsetzen. Aber wir müssen in der
Abrüstungspolitik sowie bei den konkret anstehenden
Projekten und Vertragswerken eine klare Position fin-
den. Ich finde es gut, dass sich nun der Bundesaußenmi-
nister dieses Themas kraftvoll annehmen wird.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1612305500

Das Wort hat nun Kollege Norman Paech, Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norman Paech (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612305600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Was wir in diesen Tagen in Pakistan erleben, sollte uns
nicht überraschen. Hier zerbricht eine Militärdiktatur.
Sie greift zum einzigen Mittel, das sie offenbar noch hat,
nämlich zum Ausnahmezustand und zu offener Gewalt.
Nun kommen von überallher Rufe nach Demokratie,
Freilassung der obersten Richter und der Intellektuellen
sowie Freiheit für die Opposition. Diese Rufe sind rich-
tig und wichtig. Wir schließen uns ihnen an. Aber wir
müssen sehen, dass leider einige davon ziemlich verlo-
gen sind; denn das alles hat eine lange Vorgeschichte, an
der wir nicht unbeteiligt gewesen sind. Pakistan ist nicht
erst seit gestern eine Militärdiktatur mit einem Putschge-
neral als Präsident. Darauf müssen wir ohne Illusionen
schauen.

Es gibt heute kaum einen gefährlicheren Staat auf der
Welt als Pakistan. Das Land hat alles, was sich zum Bei-
spiel ein Mann wie Osama Bin Laden mit seiner al-
Qaida nur wünschen kann: politische Instabilität, ein
funktionierendes Netzwerk radikaler Islamisten, unzu-
gängliche Trainingslager, exzellente elektronische Tech-
nologie, reguläre Luftverbindungen zum Westen und Si-
cherheitsdienste, die nicht immer das tun, was sie
eigentlich tun sollten. Wenn al-Qaida Stoff für eine
Bombe suchen sollte, dann ist Pakistan der Ort, wo er zu
finden ist. Machen wir uns nichts vor: Pakistan ist heute
ein Sammelbecken und Rekrutierungsgebiet für islamis-
tische Krieger jeder Couleur, ob Taliban oder Al-Qaida-
Kämpfer. Sie können sich dort weitgehend frei und vor
Verfolgung geschützt bewegen; denn anders als in Af-
ghanistan und im Irak findet dort die Operation Enduring
Freedom nicht statt. Pakistans Streitkräfte verfügen






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norman Paech
zudem – das wurde bereits erwähnt – über
75 Atomsprengköpfe.

Gleichzeitig steht das Land im Foreign Policy Maga-
zine auf Platz 9 der Liste mit den Namen der Failed Sta-
tes, der gescheiterten Staaten. Das müssen wir uns ein-
mal vorstellen: eine Atommacht als gescheiterter Staat!
Die USA sollten sich fragen, wer eigentlich gefährlicher
ist: der Iran, der vielleicht über 2,5 Kilogramm angerei-
chertes Uran verfügt, oder das nun außer Kontrolle gera-
tene Pakistan mit Hunderten oder sogar Tausenden
Kilos. Das ist doch ein Unterschied. Musharraf ist außer-
dem nicht der erste Putschgeneral. Die USA brauchten
seinen Vorgänger, Zia ul-Haq, im Krieg gegen die Sow-
jets und finanzierten mit Milliarden von Dollarn den Wi-
derstand der Mudschahedin. Diese Milliarden flossen in
die Taschen und in die Kriegskassen beider Generäle.
Aus den afghanischen Flüchtlingen, die im Nachbarland
Pakistan Zuflucht suchten, rekrutierte der berüchtigte
militärische Geheimdienst ISI dann die Taliban, die an-
schließend wiederum zurück nach Afghanistan gingen.
Nun werden die USA die Zauberlehrlinge, die sie schu-
fen, nicht mehr los. Diese Entwicklung war abzusehen.
Schlimmer noch: Die Bundesregierung trägt Mitverant-
wortung an der jetzigen Situation;


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


denn sie hat dem wichtigen Verbündeten im Kampf ge-
gen den Terror offenbar ebenso wie die USA einen Frei-
fahrtschein ausgestellt. Was hat sie – das frage ich die
Regierung – eigentlich in Sachen Menschenrechte und
Menschenrechtsverletzungen getan, und was hat sie ge-
gen den von Pakistan unterstützten Terror in Kaschmir
unternommen? Sie hat sich mit ihrer Rüstungsexportpo-
litik gegenüber Pakistan zum Mittäter gemacht und ver-
stößt gegen die eigenen Exportrichtlinien ebenso wie ge-
gen den Verhaltenskodex der EU für Waffenausfuhren.
Das ist ihr Beitrag gewesen. Schlimmer noch: Seit 2001
ist Pakistan mit der Operation Enduring Freedom im An-
titerrorkampf verbunden. Haben die USA eigentlich nie
gemerkt, dass die Terroristen bei ihrem engsten Verbün-
deten zu Hause sind? Die Terroristen, die die USA an-
geblich über die ganze Welt verfolgen, haben ihre Rück-
zugsgebiete gerade bei ihrem Verbündeten, und dieser
droht jetzt ein Opfer der eigenen Brut zu werden.

Die USA haben sich nie groß um die Demokratie in
Pakistan gekümmert. Würden sie heute die Finanzhilfe
für dieses Land einstellen, könnte es so nicht länger exis-
tieren. Statt jetzt, was an sich richtig ist, nach Demokra-
tie zu rufen, wäre es da nicht besser, vollständig die Be-
seitigung des Systems Musharraf zu fordern und sich
ebenso von dem gescheiterten System dieses Antiterror-
kampfs zu trennen?

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1612305700

Das Wort hat nun Bundesminister Frank-Walter

Steinmeier.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeord-
neten! Es gibt einfachere Reden, und es gibt schwieri-
gere Reden. Eine Rede zur Bewertung der gegenwärti-
gen Entwicklung in Pakistan gehört jedenfalls nach
meiner Ansicht zu den schwierigeren Reden, Herr
Paech, wenn man redlich ist und wenn man Reden von
dieser Stelle aus nicht dazu benutzt, um nochmals die
Fehler amerikanischer Außenpolitik zu entlarven, und
wenn man nicht, Jürgen Trittin, vergisst, dass wir auch in
den Jahren 2001 bis 2005 unter grüner Außenpolitik ver-
sucht haben, Pakistan an uns zu binden. Das kann also
nicht ganz falsch gewesen sein, auch nach deiner An-
sicht nicht.

Schon die Debatte bisher zeigt aus meiner Sicht: Die
Bilder und Nachrichten, die uns in den vergangenen Ta-
gen aus Pakistan erreichten, versetzen uns alle in der Tat
in große Sorge. Ja, die Ausrufung des Notstands ist nicht
nur ein schwerer Rückschlag für die Demokratie in
Pakistan, in Gefahr ist in der Tat die Stabilität im Lande
insgesamt. Das ist eine schlechte Nachricht für Pakistan,
aber auch eine schlechte Nachricht für die gesamte Re-
gion Südasien. Wenn Pakistan mit seinen über
160 Millionen Einwohnern in Chaos und Gewalt ver-
sinkt, dann bedroht das die gesamte politische Tektonik
weit über das Land hinaus, eben auch die im Nachbar-
land Afghanistan. Ich sage hier ganz klar: Niemals dür-
fen Atomwaffen und Raketensysteme in die Hände von
islamistischen Terroristen geraten.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Ich sage aber auch: Pakistans Präsident Musharraf hat
sich im Kampf gegen den Terror in den vergangenen
Jahren durchaus als wichtiger Verbündeter des gesamten
Westens gezeigt. Er hat bis an den Rand seiner innenpo-
litischen Kräfte nach den Anschlägen vom 11. Septem-
ber 2001 den Kampf gegen al-Qaida und fanatisierte Ta-
liban unterstützt. Ich betone das deshalb, weil wir uns
auch jetzt, in dieser schwierigen Situation in Pakistan,
vor Zerrbildern hüten sollten. Der eine oder andere hat
die Gelegenheit zu politischen Gesprächen mit
Musharraf gehabt. Wer ihn kennt, weiß – das ist kein
Freibrief; verstehen Sie es bitte nicht so –, dass dieser
Mann jedenfalls kein kaltblütiger Diktator ist.

Richtig ist leider auch: Der pakistanische Präsident
sieht sich in seinem Land mit immer engeren Netzwer-
ken konfrontiert, die – jetzt zitiere ich nicht ihn, sondern
Benazir Bhutto – täglich Terror schüren, finanzieren und
ausführen. Ich füge hinzu: Das sind eben Netzwerke, die
den Staat mit brutaler Gewalt von der Wurzel her zerstö-
ren wollen.

Was besagt das? Das besagt zunächst einmal, dass
eine solche Situation Gegenwehr erforderlich machen
kann. Das besagt auch, dass eine solche Situation Ent-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
schiedenheit in den staatlichen Entscheidungen und im
staatlichen Verhalten begründen, wenn nicht sogar ver-
langen kann. Ebenso deutlich sage ich aber: Gerade we-
gen der großen Herausforderung für Pakistan, die ich be-
schreibe, ist Pakistans Präsident mit der Ausrufung des
Notstands auf einem Irrweg, ich glaube, auf einem ge-
fährlichen Irrweg.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der eine oder andere von Ihnen hat es angesprochen:
Die Verhaftungen, der Hausarrest von Führern politi-
scher Parteien, von Juristen, von Vertretern des öffentli-
chen Lebens sind genau die falschen Mittel, um die Ord-
nung in diesem Land zu erhalten; denn sie untergraben
das Fundament, auf dem die staatliche Ordnung in Pa-
kistan bislang noch stand. Die Notstandsmaßnahmen
richten sich ganz offensichtlich – das hat auch jemand
von Ihnen gesagt – gerade gegen die Kräfte, die Pakistan
braucht, um eine demokratische, rechtsstaatliche und
stabile Gesellschaft aufzubauen. Ich unterstreiche: Mit
einer erzwungenen Friedhofsruhe ist für Pakistan der
Kampf gegen die Feinde des Staates ganz sicher nicht zu
gewinnen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gemeinsam mit vielen internationalen Partnern, vor
allen Dingen aus der Europäischen Union, haben wir, die
Bundesregierung, deshalb eine klare Botschaft an die
Regierung in Islamabad gesandt: Allein die möglichst
schnelle Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung
kann aus dieser gefährlichen Krise herausführen. Das
habe ich gestern auch meinem pakistanischen Kollegen
in aller Offenheit am Telefon erläutert.

Mit anderen Worten: Niemand bezweifelt das Recht
der pakistanischen Regierung, sich gegen terroristische
Angriffe zur Wehr zu setzen. Niemand bezweifelt die
Notwendigkeit, für Stabilität und Sicherheit in Pakistan
einzutreten. Aber wer nachhaltige Stabilität erreichen,
wer die Menschen gegen religiöse und politische Extre-
misten mobilisieren will, der muss dafür zwingend den
Weg von Rechtsstaat und Demokratie einschlagen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)


Eine zivile Regierung, das Prinzip der Gewaltentei-
lung, die Unabhängigkeit der Justiz, die Freiheit der Me-
dien, das sind die tragenden Säulen jeder Demokratie,
und es sind auch die Säulen, die Pakistan vor dem Chaos
bewahren. Ich erneuere deshalb meinen Appell, die vie-
len politischen Führer, Anwälte, Journalisten und Vertre-
ter der Zivilgesellschaft schnellstmöglich wieder auf
freien Fuß zu setzen und die Einschränkungen, vor allen
Dingen der Medienfreiheit, zurückzunehmen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Oberste Priorität muss dann sein, die Voraussetzun-
gen für freie und faire Wahlen wieder zu schaffen. Ich
begrüße, dass die pakistanische Regierung angekündigt
hat – der pakistanische Außenminister hat es mir gestern
am Telefon noch einmal versichert –, dass die in Aussicht
genommenen Wahlen tatsächlich Anfang des Jahres, also
Januar/Februar 2008, stattfinden sollen. Wir werden die
pakistanische Regierung und Präsident Musharraf bezüg-
lich dieser Ankündigung beim Wort nehmen.

Die unverzügliche Vorbereitung von wirklich freien
und fairen Wahlen wäre jedenfalls auch aus unserer
Sicht ein wichtiges Zeichen dafür, dass es der Regierung
mit der Rückkehr zur Demokratie, mit der Rückkehr zur
verfassungsmäßigen Ordnung, die jetzt angekündigt
worden sind, ernst ist.

Ziel muss es sein, den Notstand so schnell wie mög-
lich zu beenden und zur verfassungsmäßigen Ordnung
zurückzukehren. Solange dies nicht der Fall ist, werden
wir auch in unseren bilateralen Beziehungen nicht ohne
Weiteres zur Tagesordnung übergehen können. Das heißt
konkret, dass wir unsere ohnehin restriktive Rüstungs-
exportpolitik gegenüber Pakistan im Lichte der aktuellen
Ereignisse überprüfen müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das heißt auch – Kollegin Wieczorek-Zeul hat das in
diesen Tagen bereits angekündigt –, dass wir jedenfalls
Entwicklungshilfe vorübergehend nur noch für solche
Projekte gewähren, die konkret den Menschen helfen.
Unsere Politik – deshalb sage ich das – richtet sich ge-
rade nicht gegen die Menschen in Pakistan, gerade sie
dürfen wir in dieser Situation nicht allein lassen. Wir
müssen die Zusammenarbeit in allen Bereichen aufrecht
erhalten und die suchen, die wieder zu stabileren Ver-
hältnissen in Pakistan und der gesamten Region beitra-
gen können.

Das allerdings ist erforderlich, und ich füge hinzu: Al-
les andere würde ich auch für nicht verantwortlich hal-
ten. Denn uns allen muss bewusst sein: Ohne Pakistan
wird es in Südasien, wird es gerade in Afghanistan keine
Stabilität geben können. Ohne Pakistan wird es auch im
Kampf gegen den internationalen islamistischen Terro-
rismus keinen nachhaltigen Erfolg geben. Das war einer
der wichtigen Gründe – ich bin Herrn Kolbow dankbar,
dass er daran erinnert hat –, warum wir den afghanischen
und den pakistanischen Außenminister im Juni gemein-
sam nach Potsdam eingeladen haben, um die Koopera-
tion zwischen den beiden Ländern zu verbessern.

Meine Damen und Herren, wir haben alles in allem in
einer schwierigen und, was die weitere Entwicklung an-
geht, schwer zu beurteilenden Lage ein ureigenes Inte-
resse daran, dass Pakistan schnellstmöglich wieder zu
Demokratie und Stabilität zurückkehrt. Genau dafür
werden wir uns und werde ich mich nach Kräften einset-
zen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1612305800

Nun hat Kollege Alexander Bonde, Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen, das Wort.


Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612305900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

in diesem Hause sind uns in der Bewertung der Situation
in Pakistan an den meisten Stellen sehr einig. Insofern,
Herr Außenminister, kann ich die Bemerkung, die Sie
gegenüber meinem Kollegen Trittin gemacht haben,
nicht ganz nachvollziehen. Selbstverständlich unter-
streicht jeder bei uns in der Fraktion die Notwendigkeit,
Pakistan an uns zu binden, um es in einen positiven Pro-
zess in der Region einzugliedern. Insofern weiß ich
nicht, weshalb Sie hier versucht haben, Fronten aufzu-
machen, die wir in diesem Haus gar nicht haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen in dieser Situation aber auch genau
schauen, welche Fehler wir im Bündnis mit Pakistan ma-
chen. Die Diskussion über die Entwicklungszusammen-
arbeit ist da die denkbar falsche Diskussion. Die Pro-
jekte, die wir dort durchführen, helfen den Menschen
tatsächlich und tragen mehr zur Stabilität bei als die an-
deren Dinge, auf die wir noch zu sprechen kommen
müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn man sich die aktuelle Situation anschaut, muss
man sich bei allem Interesse an einem engen Bündnis
mit Pakistan die Rolle des Militärs in der pakistanischen
Gesellschaft genau anschauen. Da muss man auch kon-
statieren, dass der feste Wille von Musharraf und den
Militärs, gegen den Islamismus vorzugehen, nicht in je-
der der Meldungen über die Situation in Pakistan, die
wir heute mitbekommen, ersichtlich ist und dass die ei-
gentlich zu stärkenden Kräfte in Pakistan diejenigen
sind, die unter dem Militär zu leiden haben. Um es ein-
mal deutlich zu formulieren: Man hat nicht den Ein-
druck, dass die Islamisten im Moment Hauptadressat
staatlicher Gewalt sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Demzufolge muss man genau hinsehen, wie sich der
Umgang Deutschlands mit Pakistan entwickelt hat, darf
aber auch das regionale Gesamtgefüge nicht aus dem
Blick verlieren. Wenn Sie, Herr Außenminister, von der
ohnehin restriktiven Rüstungsexportpolitik Deutsch-
lands gegenüber Pakistan sprechen, muss man dem ein-
mal die konkreten Zahlen gegenüberstellen. Wir sehen,
dass sich Pakistan inzwischen – die Bundesregierung hat
gestern den Rüstungsexportbericht vorgelegt – in den
Top Zehn befindet.


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Das ist schlecht!)


Das gibt uns zu denken. Wenn man miterlebt, welch in-
tensiver Handelstourismus von verschiedensten Minis-
tern der Bundesregierung in dieser Region betrieben
wird – der Verteidigungsminister, aber auch andere wa-
ren da schon unterwegs –, und wenn man sieht, was da
an wirtschaftlichen Interessen besteht und an Projekten
inzwischen auf dem Tisch liegt, dann muss man feststel-
len: Es gibt im Gegenteil eine massive Anstrengung für
Rüstungsgeschäfte in der Region, sowohl in Pakistan
wie auch in Indien, über das wir in dem Zusammenhang
natürlich mit sprechen müssen. Wir wollen und müssen
Sie ermuntern, Ihre Politik zu überprüfen, weil das Res-
triktive in den letzten Jahren doch etwas zu kurz gekom-
men ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will das beispielhaft an der Frage der U-Boot-Lie-
ferungen an Pakistan noch einmal ausführen. Sie haben
im Geheimen beschlossen, drei U-Boote nach Pakistan
zu liefern: modernste Bauart, Brennstoffzelle, schwer zu
erkennen, potenzielles Erstschlags- oder Zweitschlagsin-
strument, selbst konventionell eine ganz erhebliche He-
rausforderung für die regionale Stabilität im Bereich um
Pakistan herum.

In einer schwierigen Situation mit Pakistan ist Indien.
Sie als Bundesregierung fahren auch in der Frage der
Lieferung von Eurofightern wie auch in der Frage des
Nukleardeals mit Indien keine restriktive Politik, son-
dern vernachlässigen den Charakter der Region als Kri-
senregion an den Stellen, wo Wirtschaftsinteressen zie-
hen. Wir fragen Sie hier seit einem halben Jahr, welches
nationale Interesse, welches besondere außen- und si-
cherheitspolitische Interesse die Bundesregierung an
diesen Rüstungsdeals hat. Die Antwort verweigern Sie
bis heute.

Es ist deutlich: Wir können überhaupt kein außen-
und sicherheitspolitisches Interesse daran haben, diese
Art von Systemen an pakistanische Militärs zu liefern,
zumal wir wissen – vor einem halben Jahr wussten wir
es auch schon –, dass niemand sagen kann, wer eigent-
lich am Ruder dieser U-Boote sitzen wird, wenn sie denn
jemals geliefert werden. Da ist die Überprüfung, die Sie
hier ankündigen, mehr als angezeigt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen in dem Zusammenhang auch sehen, dass
die Appelle, die hier zu einer gemeinsamen europäi-
schen Position ausgesprochen werden, eine große He-
rausforderung für die Linie der Bundesregierung darstel-
len.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wohl wahr!)


Wieder am Beispiel dieser U-Boote, aber auch bei ande-
ren Projekten muss man sich einmal anschauen, welches
Wettrennen da zwischen Deutschen und Franzosen statt-
findet – erlauben Sie den Ausdruck: welche Schleimspur
da von Islamabad nach Rawalpindi gezogen wird – in
der Konkurrenz darum, wer denn solche Systeme, über
die wir hier sprechen, liefern darf.

Angesichts dessen ist die erste Anstrengung, die wir
von Ihnen erwarten, die, die tatsächliche Europäisierung
auf Basis dessen, was im europäischen Verhaltenskodex
zum Rüstungsexportbereich enthalten ist, durchzusetzen.
Dann wird auch deutlich: Die restriktive Position gegen-
über Pakistan mit der Einstufung dieser Region als Kri-
sengebiet muss endlich entsprechend den Richtlinien der






(A) (C)



(B) (D)


Alexander Bonde
Bundesregierung wie auch des europäischen Verhaltens-
kodexes bezogen werden. Wir ermuntern Sie ausdrück-
lich, diesen Weg einzuschlagen. Die Zahlen sprechen
aber leider eine andere Sprache.

Wenn die Situation in Pakistan etwas dazu beiträgt,
dass wir einen gemeinsamen Lernprozess durchmachen,
dann sollte das der erste Weg sein; den können Sie
schnell umsetzen. Wir warten gespannt darauf, Herr Mi-
nister.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1612306000

Ich erteile das Wort Kollegen Ruprecht Polenz, CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ruprecht Polenz (CDU):
Rede ID: ID1612306100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Diese Debatte hat deutlich gemacht, dass wir alle aner-
kennen: Pakistan ist ein strategischer Schlüsselstaat – un-
abhängig von all den Problemen, die hier zu Recht be-
schrieben worden sind –, und zwar zum Ersten wegen
seiner Atomwaffen und zum Zweiten wegen seiner Be-
deutung im Kampf gegen den internationalen Terroris-
mus.

Wir dürfen es uns nicht zu einfach machen mit der
Frage: Wie sieht es jetzt aus, und hätte man das verhin-
dern können? – Wir müssen einfach erkennen, dass der
Staat Pakistan von Anfang an ein großes Identitätspro-
blem gehabt hat, das er bis heute nicht hat lösen können.
Es ist im Wesentlichen, wenn ich es richtig sehe, eine
Art Antiidentität, die den pakistanischen Staat zusam-
menhält. Vor allem ist man antiindisch. Man ist jetzt zu-
nehmend antiwestlich im Allgemeinen und antiamerika-
nisch im Besonderen. Weil sich dieser Staat auf den
Islam begründet hat, war von Anfang an der Wider-
spruch inhärent, den der Islam für das Staatsverständnis
beinhaltet, nämlich eigentlich eine weltumfassende
Umma der Gläubigen zu sein, was sich nicht einfach in
eine nationalstaatliche Schublade stecken lässt. Aus der
eben skizzierten Antiidentität heraus hat sich die spezi-
elle islamische Ausprägung in Pakistan zunehmend zu
einer Art Dschihad-Islamismus entwickelt.

Diese schwierige Grundlage hat dazu geführt, dass
das Land in den 60 Jahren seiner bisherigen Unabhän-
gigkeitsgeschichte 30 Jahre vom Militär regiert wurde,
weil das Militär wohl immer wieder die einzige Klam-
mer war, die das Land zusammengehalten hat. Aber wir
wissen aus der Entwicklung in Lateinamerika und an-
derswo, dass Streitkräfte in einer solchen staatstragenden
Rolle selten Geburtshelfer für demokratische Verhält-
nisse sind. Jetzt sehen wir, dass der Ausnahmezustand
die Lage noch weiter zuspitzt. Ich kann mich natürlich
allen Forderungen, die hier erhoben worden sind, an-
schließen.

Folgendes bleibt aber unabhängig von der schwieri-
gen Problematik bestehen: Wir haben mit unseren
40 000 Soldaten der ISAF-Truppen in Afghanistan ein
ganz vehementes Interesse an Stabilität in Pakistan und
an einer pakistanischen Regierung, die in der Lage ist,
den Kämpfernachschub nach Afghanistan unter Kon-
trolle zu bekommen. Wir haben natürlich – dazu will ich
noch ein paar Worte in Ergänzung zu dem sagen, was der
Kollege Hoyer angesprochen hat – das unmittelbare
vitale Interesse, dass die Atomwaffen, über die Pakistan
verfügt, nicht in die falschen Hände geraten. Diese Ge-
fahr ist mit dem Ausnahmezustand gewachsen.

Wir haben, wenn wir ehrlich sind – das hat mein Kol-
lege von Klaeden richtigerweise gesagt –, wenig eigene
Einflussmöglichkeiten als Bundesrepublik Deutschland;
diese Möglichkeiten sollten wir nicht überschätzen. Die
Europäische Union muss – das würde ich mir, gerade im
Hinblick auf die hier angemahnte Überprüfung der Mili-
tärzusammenarbeit, wünschen – hier zu gemeinsamen
Positionen finden. Sonst nützen die Forderungen, unsere
Form der Kooperation zu überdenken, wenig; das muss
auf europäischer Ebene überprüft werden. Ich schließe
mich durchaus dem Wunsch an, bei der Militärhilfe jetzt
eine Art Moratorium vorzusehen, um zu schauen, mit
wem wir es nach der – hoffentlich erfolgreichen – Be-
wältigung der Krise in Pakistan dauerhaft zu tun haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Bei der Überprüfung des Atomwaffensperrvertrages
müssen wir mittelfristig natürlich auch darüber nachden-
ken, welche Brücken der Sperrvertrag Ländern wie In-
dien, Pakistan und Israel bieten kann, in das Regime zu-
rückzukehren oder einzutreten. Darüber wird bisher
nicht allzu viel nachgedacht. Ich möchte uns alle auch
dazu auffordern, hier gemeinsam Wege zu finden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenigstens müsste man versuchen, aus dem indisch-
amerikanischen Abkommen einen Weg generellerer Art
zu finden, der dann auch für die anderen Länder gilt, die
näher an den Atomwaffensperrvertrag herangeführt wer-
den sollten.

Nun zum Kampf gegen den Terrorismus. Es wird im-
mer gesagt, unsere offenen Gesellschaften seien beson-
ders anfällig. Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall: Un-
sere demokratischen Werte sind die stärkste Waffe im
Kampf gegen den internationalen Terrorismus.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das gilt für das, was wir intern machen, und das muss
mindestens mittelbar bei der Frage zum Ausdruck ge-
bracht werden, mit welchen Partnern wir den internatio-
nalen Terrorismus bekämpfen. Deshalb bleibt es wichtig
– dazu werden meine Kollegen gleich noch sprechen –,
dass wir die Respektierung der Menschenrechte und die
Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung einfordern
und dass wir denen, die in Pakistan genau dafür kämp-
fen, unsere Solidarität zusichern. Das ist das Ergebnis
dieser Aktuellen Stunde.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1612306200

Ich erteile das Wort Kollegen Johannes Pflug, SPD-

Fraktion.


Johannes Pflug (SPD):
Rede ID: ID1612306300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege

Paech hat vorhin in seiner Rede darauf hingewiesen,
dass es eigentlich keine Überraschung gewesen sei, dass
Pervez Musharraf den Ausnahmezustand ausgerufen
habe; das habe man aus der Historie ablesen können. In
der Tat, Kollege Paech, dies ist keine Überraschung ge-
wesen; denn bereits am 7. Oktober hat Musharraf zum
ersten Mal mit der Verhängung des Ausnahmezustandes
kokettiert. Das hatte allerdings einen anderen Ursprung:
Damals war er sich nicht sicher, ob der von ihm ur-
sprünglich abgesetzte Richter Chaudhry seine mögliche
Wiederwahl bestätigen würde.

Nun kann man solche historischen Betrachtungswei-
sen natürlich immer vornehmen; das kann ganz nützlich
sein. Die Frage ist nur: Wann und wo beginnt man da-
mit? Sie hätten natürlich auch sagen können: 1979, 1980
oder 1981 wurde dieses Land zum ersten Mal instabili-
siert, als die Afghanen auf der Flucht vor den sowjeti-
schen Panzern nach Pakistan gingen und den Prozess der
Instabilisierung in Gang setzten bzw. fortsetzten. Ich
gebe Ihnen recht: Natürlich haben die Amerikaner in Pa-
kistan eine falsche Politik gemacht. Aber auch dazu sage
ich: Sie sind wahrscheinlich nicht die Einzigen gewesen,
die in den vergangenen Jahrzehnten eine falsche Politik
gemacht haben. Auch andere sollen das gemacht haben. –
Das ist also so eine Sache mit den historischen Reminis-
zenzen.

Ich will das aufgreifen, worauf der Außenminister
eingegangen ist. Ich hatte nach dem Oktober 1999 die
Gelegenheit, Pakistan zu bereisen. Das war einige Mo-
nate nach dem Militärputsch. Außenminister Steinmeier
hat völlig recht: Ich habe damals nicht einen Pakistaner
erlebt, der mir gesagt hätte, dass Musharraf ein blutiger
Militärdiktator ist. Vielmehr waren in Pakistan gerade
mit der Machtübernahme dieses Militärmachthabers
große Hoffnungen verbunden; denn man sagte: Die al-
ten, korrupten Parteieliten haben ausgedient. Sie haben
das Land an den Abgrund gebracht.

Er hat ja in den vergangenen Jahren durchaus ver-
sucht, ziemlich viele demokratische Elemente zu bewah-
ren. Es gab eigentlich bis letzte Woche so etwas wie
Pressefreiheit in Pakistan. Es gab keine Massenverhaf-
tungen. Selbst die Parteien durften sich artikulieren, was
allerdings für uns kein Grund sein kann, in ihm jetzt den
Garanten eines Übergangs in eine demokratische Ent-
wicklung zu sehen.

Was er sich 1999 vorgenommen hatte, konnte er aller-
dings nicht umsetzen. Sicherlich hat dazu die Entwick-
lung nach dem 11. September 2001 beigetragen. Die
Amerikaner haben ihn in die Antiterrorkoalition ge-
zwungen. Damit begann natürlich das Desaster für ihn
und das Land. Denn Musharraf war in der Abwägung
zwischen den religiösen Strömungen, insbesondere den
fundamentalistischen Strömungen, in seinem Lande ei-
nerseits und der Bündnissolidarität im Kampf gegen den
Terror andererseits gezwungen, sich klar auf die Seite
der Amerikaner, der Antiterrorkoalition zu stellen. Da-
mit begann natürlich die auch für ihn selbst lebensge-
fährliche Auseinandersetzung mit den Radikalen im ei-
genen Lande und mit seinem Geheimdienst.

Das, was er sich vorgenommen hatte, etwa die Inte-
gration der Religionsschulen, ist nicht ansatzweise ge-
lungen. Als ich damals in Pakistan war, sprach man von
8 000 bis 12 000 Religionsschulen. Mittlerweile spricht
man von 14 000 bis 20 000. Wenn man sich überlegt,
welches Potenzial dahintersteckt – ich unterstelle ein-
mal, dass jede Religionsschule in der Lage ist, zumindest
1 000 bis 5 000 Anhänger innerhalb kürzester Zeit zu
mobilisieren, und das bei 20 000 Religionsschulen –,
dann weiß man, dass innerhalb von wenigen Stunden
Millionen auf die Straße zu bringen sind. Das ist in der
Vergangenheit von den sogenannten demokratischen
Parteien natürlich immer wieder ausgenutzt worden.
Wenn sie versuchten, ihre Zwecke zu verfolgen, wurden
die Anhänger auf die Straße geschickt.

Wir sollten uns aber weniger mit der Vergangenheit
beschäftigen und uns vielmehr die Frage stellen: Wie
könnte es weitergehen? Wie sieht die Zukunft aus? Nach
meiner Einschätzung gibt es vier Entwicklungsszena-
rien: Das erste Szenario ist gespenstisch. Der Staat zer-
fällt und würde ähnlich unkontrollierbar wie Afghanis-
tan, wenn wir Afghanistan verlassen würden. Zweites
Szenario: Es entsteht so etwas Ähnliches wie ein islami-
scher Gottesstaat. Drittes Szenario – das ist die augen-
blickliche Entwicklung –: Die vom Militär gestützte Re-
gierung bleibt an der Macht, und es entwickelt sich eine
harte Militärdiktatur in Pakistan. Viertes Szenario: Die
Demokratisierung bringt die alten, korrupten Führungs-
eliten wieder ins Amt.

Ich denke, alle vier Alternativen sind nicht besonders
erfreulich. Von daher, meine ich, sollten wir versuchen,
alle unsere Möglichkeiten zu nutzen – es sind nicht
viele; sie haben eher appellatorischen Charakter –, das
zu fordern, was wir für notwendig halten.

Von den Kolleginnen und Kollegen ist hier schon ge-
sagt worden: Wir sollten über die Europäer an die Verei-
nigten Staaten appellieren, die Militärhilfe einzustellen.
Präsident Bush hat ja angekündigt, dass er seine Maß-
nahmen überprüfen wolle.

Wir sollten weiterhin appellieren, dass Pakistan als-
bald zur Demokratie zurückkehrt – wobei ich einschrän-
kend sage: zu einer demokratischen Entwicklung mit
oder ohne Musharraf.

In jedem Fall müssen im nächsten Jahr demokratische
Wahlen abgehalten werden, an denen sich natürlich die
beiden großen Parteien und andere beteiligen. Vielleicht
kann es so etwas wie eine Allparteienregierung geben. –
Dabei will ich aber nicht darauf eingehen, ob es sinnvoll
ist, dass Benazir Bhutto oder Nawaz Sharif dieser Regie-
rung angehören. Das sind doch die Repräsentanten dieser
alten korrupten Eliten. Aber es wird ohne die demokrati-
schen Parteien nicht gehen. Vermutlich wird es auch nicht
ohne die Hilfe von Musharraf gehen, der diesen Übergang






(A) (C)



(B) (D)


Johannes Pflug
mit einleiten muss. Dann ist irgendwann, meine ich, der
Zeitpunkt gekommen, dass auch Musharraf zu gehen hat.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1612306400

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.


Johannes Pflug (SPD):
Rede ID: ID1612306500

Ja. – Bei der Frage, warum uns das Ganze interessiert,

verweise ich auf unsere Debatte am heutigen Morgen.
Pakistan kann man nicht ohne Afghanistan sehen, und
Afghanistan kann man nicht ohne Pakistan sehen. So-
lange wir in Afghanistan engagiert sind, bleibt uns nichts
anderes übrig, als uns auch für Pakistan zu engagieren
und uns dafür einzusetzen, dass dort eine demokratische
Entwicklung einsetzt und das Land und die Region sich
stabilisieren.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1612306600

Ich erteile das Wort dem Kollegen Holger Haibach,

CDU/CSU-Fraktion.


Holger Haibach (CDU):
Rede ID: ID1612306700

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Johannes
Pflug hat recht, wenn er sagt, dass man Afghanistan und
Pakistan zusammen sehen müsse. Ich teile sehr vieles
von dem, was heute gesagt worden ist.

Aber im Hinblick auf den Beitrag vom Kollegen
Paech möchte ich schon noch sagen: Wenn man ver-
sucht, die heutige Debatte über Pakistan zu einer Debatte
über Afghanistan, das militärische Engagement und die
Fehler der Vergangenheit umzufunktionieren, ist das an-
gesichts der Probleme in Pakistan auf keinen Fall ange-
messen und dieser Debatte nicht würdig.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Sagen Sie doch einmal, warum!)


– Dazu komme ich gleich. – Wenn Sie sagen, Deutsch-
land habe sich da nicht hinreichend engagiert, ist das
schlichtweg falsch. Schauen Sie sich einmal an, durch
wessen Vermittlung ein wenig Bewegung in die Kasch-
mir-Frage gekommen ist! Diese Bundesregierung ist da-
ran beteiligt gewesen. Schauen Sie sich einmal an, was
im Bereich der Demokratisierung in Pakistan passiert
ist! Dort hat sich ebenfalls unsere Bundesregierung sehr
stark engagiert. Das alles kann man sicherlich verbes-
sern; niemand ist perfekt. Aber ich glaube schon, dass
wir daran einen entscheidenden Anteil gehabt haben. –
Ich denke, der Kollege Ruck wird dazu noch das eine
oder andere sagen.

Ich finde, dies ist ein Kernproblem. Es ist zu fragen:
Kann man eigentlich stabile Strukturen auf Kosten von
Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechten
aufrechterhalten? Ich glaube, dazu muss man ganz deut-
lich sagen: Nein, das ist definitiv der falsche Weg. Unser
Signal kann nicht sein, eine solche Lösung in irgendei-
ner Form zu unterstützen. Vielmehr müssen wir deutlich
sagen, dass wir die Zukunft Pakistans nur in einer demo-
kratischeren Entwicklung, als sie heute erkennbar ist, se-
hen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Schauen Sie sich einmal an, wie Präsident Musharraf
den Ausnahmezustand tatsächlich selber begründet hat:
Es geht ihm um das Problem einer drohenden Destabili-
sierung des Landes und um das Problem, dass die Extre-
misten immer mehr an Macht gewinnen. Das wirft natür-
lich Fragen auf. Die erste Frage ist: Warum jetzt? Dass
die Taliban in diesem Land mehr Einfluss gewinnen, ist
keine neue Entwicklung. Weiterhin wirft das die Frage
auf: Wen trifft eigentlich dieser Ausnahmezustand? –
Diese Frage ist hier heute schon behandelt worden. – Er
trifft diejenigen, die sich für Demokratie einsetzen. Er
trifft diejenigen, die sich für Rechtstaatlichkeit einset-
zen. Er trifft die Anwälte, er trifft die Opposition, er trifft
viele, die Musharraf eigentlich braucht, um den Kampf
gegen den Extremismus gewinnen zu können. Deshalb
meine ich, dass ihm klargemacht werden muss – auch in
seinem eigenen Interesse –, dass er falsch liegt, wenn er
glaubt, dass er diese Entwicklung fortsetzen kann, und
dass er falsch liegt, wenn er glaubt, dass wir auf diese
Art und Weise mehr Stabilität für das Land bekommen.

Es kommt noch die Tatsache hinzu, dass nicht einmal
die UN-Sonderberichterstatterin für Religions- und
Glaubensfreiheit, die in diesem Land lebt, davor gefeit
ist, unter Hausarrest gestellt zu werden. Das sollte die in-
ternationale Staatengemeinschaft doch in höchstem
Maße beunruhigen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie der Abg. Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es ist vollkommen evident – darauf ist vielfach hinge-
wiesen worden –, dass Pakistan für uns ein wichtiger
Partner ist. Pakistan ist zum Beispiel ein wichtiger Part-
ner in der Region, wenn es um die Frage geht, wie wir
Afghanistan stabilisieren können. Pakistan ist ja auch
eine Atommacht. Michael Stürmer hat vorgestern in der
Welt sinngemäß geschrieben: Wenn Pakistan verloren
geht, dann geht auch Afghanistan verloren. Unter diesem
Aspekt müssen wir die gesamte Debatte sehen.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ich habe es kritisiert!)


– Es ist sehr interessant, dass diejenigen, die immer in
der Vergangenheit rühren und sagen, dass in der Vergan-
genheit immer nur von einer Seite etwas falsch gemacht
wurde, nämlich von den Amerikanern, nicht bereit sind,
anzuerkennen, dass diese Region eine lange Geschichte
hat. Sie geht nicht nur 60 Jahre zurück, sondern wesent-
lich weiter. Sehr viele Mächte, nicht nur die USA, haben
sich dort in sehr unguter Form betätigt. Ich finde, man
kann nicht die Verantwortung des einen betonen, aber
die Verantwortung des anderen nicht nennen.

Das ist aber nicht die Frage, um die es geht. Die
Frage, um die es geht, ist, wie wir einen Beitrag dazu
leisten können, dass es in Pakistan zu stabilen Verhält-
nissen kommt und die Menschenrechte geachtet werden.






(A) (C)



(B) (D)


Holger Haibach
Es ist vor allem notwendig, nach vorne zu sehen. Wir
müssen deutlich machen, dass wir das, was geschehen
ist, verurteilen und an der Seite derjenigen stehen, die
sich für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte einset-
zen. Der sonst so viel gescholtene amerikanische Präsi-
dent Bush hat gesagt, dass Diktaturen ein Nährboden für
wachsenden Extremismus sind. Es wäre eine Katastro-
phe – nicht nur für die USA oder die westliche Welt,
sondern für die gesamte Region, insbesondere für Pakis-
tan –, wenn sich dieses Wort ausgerechnet in diesem
Land bewahrheiten würde.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1612306800

Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Uta Zapf für

die SPD-Fraktion.


Uta Zapf (SPD):
Rede ID: ID1612306900

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Hier ist schon so viel Richtiges über die Situation
und die Hintergründe gesagt worden, dass ich das nicht
noch einmal wiederholen möchte. Ganz deutlich ist ge-
worden, dass wir alle ein Stück weit hilflos sind bezüg-
lich der Frage, wie wir diese tiefe Krise, die uns ganz
hautnah betrifft – auch, aber nicht nur wegen Afghanis-
tan –, beilegen können bzw. einen Beitrag zur Lösung
leisten können.

Dass Pakistan ein Partner im Kampf gegen den Terror
ist – gegen al-Qaida und die Taliban, die im Grenzgebiet
zwischen Afghanistan und Pakistan sitzen –, ist erwähnt
worden. Es ist darauf hingewiesen worden, dass die wei-
tere Entwicklung Konsequenzen für die gesamte Region
hat. Für uns muss angesichts dessen, was in dem nuklear
bewaffneten, instabilen Staat Pakistan passiert ist, die
höchste Alarmstufe gelten. In Pakistan ist nicht nur der
Notstand verhängt worden, sozusagen nach den Regeln
der Kunst, sondern das war schlichtweg auch ein Coup:
Die Verfassung ist ausgehebelt und eine vorläufige Ver-
fassung etabliert worden, die jederzeit geändert werden
kann. Die Richter sind verjagt worden, und alle Opposi-
tionellen werden verfolgt.

Ich möchte mich auf das Szenario beziehen, das
Johannes Pflug beschrieben hat. Die Szenarien sind alle
nicht besonders schön, das letzte müssen wir allerdings
als realistisch bezeichnen: Die verschiedenen Parteien
sind nicht so aufgestellt, wie wir uns das wünschen.
Benazir Bhutto ist, nachdem ihr die Absolution für ihre
vergangenen Sünden versprochen wurde, zurückgekom-
men und hat sich als Partnerin für Musharraf angeboten.
Sie ist äußerst unglaubwürdig, wenn sie jetzt plötzlich
zum Widerstand aufruft und sich als die beste demokra-
tische Oppositionelle gebärdet.

Die eigentlichen Helden in Pakistan sind in der Tat
die Richter und die anderen Oppositionellen, die es ge-
wagt haben, mit aufrechtem Kreuz den Gelüsten von
Musharraf entgegenzutreten. Der eigentliche Macht-
kampf ist ja deshalb ausgebrochen, weil Musharraf ge-
meint hat, dass der oberste Richter Chaudhry, sein Erz-
feind, aufgrund der vergangenen Ereignisse, die hier
auch schon erwähnt worden sind, seine Wiederwahl als
Präsident nicht als legitim abnicken würde, er also in
große Schwierigkeiten kommen würde, wenn dieser
Mann nicht mundtot gemacht wird. Aber diese Men-
schen lassen sich nicht mundtot machen. Es gibt, wie ich
finde, einige schöne Zitate von ihm, die es sich anzuhö-
ren lohnt. Chaudhry sagt: Er hat die Verfassung in Stü-
cke gerissen. – Das ist in der Tat eine schöne bildliche
Sprache, die wir uns meistens gar nicht mehr leisten. Au-
ßerdem ruft er seine Mitmenschen auf, sich für die Ver-
fassung zu opfern.

Ich möchte nicht, dass diese Menschen geopfert wer-
den. Ich möchte vielmehr, dass wir uns überlegen, wel-
che Möglichkeiten es gibt. Ich bin froh, dass es so viele
Appelle zur Rückkehr zur Demokratie gegeben hat. In
der Tat ist es notwendig, dass die Verhafteten entlassen
werden, dass die Verfassung wieder in Kraft gesetzt
wird, dass Wahlen angesetzt werden und dass Musharraf
seine Armeeuniform auszieht.


(Beifall bei der SPD)


Das alles löst aber das Problem noch nicht endgültig.
Das Problem ist tiefer gehend; denn keine der Parteien,
weder Musharrafs Partei noch die beiden anderen großen
Parteien, hat eine politische Vorstellung, wie man dieses
Land stabilisieren kann. Sie haben nur Machtvorstellun-
gen, wie man dieses Land ausrauben oder beherrschen
kann. Ich glaube, da müssen wir ansetzen. Wir alle wis-
sen ja, dass es notwendig ist, dieses Land zu stabilisie-
ren, und dass dies nur dann möglich ist, wenn wir die
Menschen überzeugen, dass es sich lohnt, in diesem
Land zu leben und Demokratie zu praktizieren.

Wir müssen auch bei den bisher unbeherrschbaren
Gebieten wie Waziristan und Belutschistan, in denen die
Taliban sitzen, ansetzen. Die dortige Entwicklung macht
uns große Sorge, weil da zum Beispiel Soldaten, die
keine Lust mehr hatten, gegen ihre Stammesbrüder, die
als Taliban bezeichnet wurden, zu kämpfen, ihre Waffen
niedergelegt haben und übergelaufen sind. Man hat über
Jahrzehnte versäumt, den Menschen in diesen Gebieten
eine Perspektive zu geben. Dort besteht ein Nährboden
für Radikalismus und Fundamentalismus, welchen
Musharraf bekämpfen sollte, aber tatsächlich nicht be-
kämpft. Ich denke, was ich in einer Presseerklärung von
Herrn Polenz gelesen habe, ist der richtige Weg: Militär-
hilfe überdenken, aber die humanitäre Hilfe nicht ein-
stellen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich würde sogar dafür plädieren, sich viele Gedanken
darüber zu machen, wie wir helfen können – ebenso
massiv, wie wir Afghanistan, dem geschundenen Land,
geholfen haben –, diese Regionen zu stabilisieren. Das
ist in unserem eigenen Interesse. Ich erinnere trotz Ihres
Widerspruchs daran, dass Pakistan und Afghanistan im
Zusammenhang gesehen werden müssen.






(A) (C)



(B) (D)


Uta Zapf

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1612307000

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Christian Ruck für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1612307100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte zunächst an einen Vorgang in der jüngeren
Geschichte des Bundestages erinnern, nämlich an den
17. Mai 2001, an dem in den Bundestag ein Antrag ein-
gebracht wurde, der dann mit den Stimmen aller Parteien
verabschiedet wurde. In dem Antrag wurde Präsident
Musharraf aufgefordert, so schnell wie möglich zur De-
mokratie zurückzukehren, ihm wurde aber auch vom
ganzen Haus der Rücken gestärkt für die überfälligen,
notwendigen Reformen in einem zerrütteten Land, das
damals am Rand des Zerfalls stand, dessen Demokratie
damals desavouiert war und das sich durch korruptions-
behaftete Politiker wie Benazir Bhutto und Nawaz Sharif
in einer Sackgasse befand. Wir haben ihn als neuen Re-
gierungschef Pakistans in dem Antrag auch dazu aufge-
fordert, dass er die Unterstützung der Taliban einstellt,
dass er sich mit Indien aussöhnt und dass er eine ent-
wicklungsorientierte Politik betreibt, die der Mehrheit
der Bevölkerung dient und ihr Perspektiven verschafft.

Es gibt viele Parallelen zu heute. Die Bilanz von
Musharraf ist sehr durchwachsen. Ich möchte daran erin-
nern, dass er gerade in letzter Zeit in der Aussöhnungs-
politik mit Indien große Fortschritte erzielt hat. Es gibt
auch demokratische Reformen und wirtschaftlichen Er-
folg, aber vieles ist nur halbherzig umgesetzt worden,
und – das ist vor allem zu nennen – der wirtschaftliche
Erfolg kam nicht bei der breiten Bevölkerung Pakistans
an.

Man muss jedoch klar sehen – das wurde heute be-
reits angesprochen –, dass der Krieg gegen die Terroris-
ten in Afghanistan und der Kampf um die Wiederherstel-
lung von Demokratie und Frieden in Afghanistan infolge
des 11. September 2001 nicht nur die Bedeutung Pakis-
tans regional und international enorm erhöht haben, son-
dern auch seine Probleme. Die aktuelle Situation, die
sich zuspitzt, zeigt, dass die Regierung Musharraf diesen
Spagat zwischen Islamisten und Feudalisten sowie ech-
ten und falschen Demokraten kaum mehr hinbekommen
kann.

Es wurde auch schon gesagt, dass das Land in der
Vergangenheit nicht zusammengewachsen ist und die
zentrifugalen Kräfte stärker denn je offen zutage treten.
Das hat viele Gründe; es hat hier und da etwas mit halb-
herzigen Politiken zu tun. Aber auch ich glaube, dass die
tieferen Ursachen dafür in fehlender Entwicklung und
fehlender Perspektive für die breite Bevölkerung zu su-
chen sind. Ich denke an Stammesgebiete, wo noch archai-
sche Zustände herrschen, an Großstadtslums und an feu-
dalistische Zustände in weiten Teilen des Landes wie
zum Beispiel in Pandschab.
Wenn es zutrifft – das ist zweifellos der Fall –, dass
die Stabilität Pakistans und eine positive Entwicklung
Pakistans – keine Grabesruhe – für den Erfolg unserer
Afghanistan-Mission entscheidend sind, dann ist es in
der Tat richtig, den Grundgedanken des damaligen An-
trags noch einmal nachzuverfolgen, nämlich dass es
ohne grundlegende Reformen und ohne ein Wirtschafts-
wachstum, das auch den breiten Schichten der Bevölke-
rung zugute kommt und bis nach Waziristan und die
Grenzgebiete dringt, keine Stabilität und keine positive
Entwicklung in Pakistan geben kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich möchte ganz besonders zum Ausdruck bringen – die
Entwicklungspolitik, die für Pakistan als einen der
Hauptempfänger unserer Hilfe in all den Jahren immer
eine sehr bedeutende Rolle spielte, wurde bereits ange-
sprochen –, dass ich es für wichtig halte, dass wir uns,
Frau Zapf, auf internationaler Ebene noch stärker und
konzentrierter darüber Gedanken machen, wie wir die
Entwicklungs- und Hilfsangebote verbessern können.

Es ist richtig, dass die unabhängige Justiz wiederher-
gestellt werden muss. Es ist richtig, dass die Medienfrei-
heit wiederhergestellt werden muss. Es ist auch richtig,
dass die Demokratie insgesamt wiederhergestellt werden
muss. Ich bin mir mit Frau Wieczorek-Zeul darin einig,
dass wir, um auch ein politisches Signal zu geben, zur-
zeit nicht über Neuzusagen für entwicklungspolitische
Maßnahmen verhandeln.

Es sind jedoch auch die Grunderkenntnisse richtig
und wichtig, dass Pakistan viel stärker als bisher eine
Bildungsoffensive braucht – gegebenenfalls gegen den
Widerstand der Koranschulen; diesen Wunsch müssen
wir mit unseren Appellen verbinden –, dass Pakistan ein
viel besser als bisher funktionierendes Gesundheitssys-
tem inklusive Familienplanung braucht, dass in Pakistan
eine Landreform unabdingbar notwendig ist, dass Pakis-
tan mithilfe von Mikrofinanzierungsinstrumenten viel
mehr Wachstum von unten generieren muss und dass Pa-
kistan Hilfe bei seiner Energieversorgung braucht.

Wenn wir berechtigte Forderungen an Pakistan stel-
len, dann müssen wir gleichzeitig – das liegt in unserem
ureigenen Interesse – den Umfang unserer Reform- und
Hilfsangebote an Pakistan vergrößern. Das müssen zwei
Seiten ein und derselben Medaille sein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP])



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1612307200

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege

Sebastian Edathy für die SPD-Fraktion.


Sebastian Edathy (SPD):
Rede ID: ID1612307300

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Der deutsche Schriftsteller Klaus Mann hat in seinem
Buch Der Wendepunkt einen Wendepunkt wie folgt be-
schrieben: Das sei ein Zeitpunkt, wo man sich zwischen
zwei Möglichkeiten entscheiden muss. Die eine führe in






(A) (C)



(B) (D)


Sebastian Edathy
den Abgrund, die andere führe nicht notwendigerweise
zum absolut Guten. Die Abzweigung, die nicht zum Ab-
grund führt, ermögliche aber vielleicht das Auffinden
weiterer Wendepunkte.

Pakistan ist ein unglaublich kompliziertes Land – auf
die vielen Probleme ist in dieser Debatte zu Recht mehr-
fach hingewiesen worden –: ein Atomwaffenstaat; ein
Staat, der in einem latenten Konflikt mit seinem großen
Nachbarn Indien steht, der ebenfalls Atomwaffen be-
sitzt; ein Staat, der Proliferation betrieben hat; ein Staat,
dessen nördliche Regionen Rückzugsgebiet für Taliban-
kämpfer sind. Es ist in unserem eigenen Interesse, dass
sich die Situation in diesem Staat stabilisiert. Für mich
steht allerdings im Vordergrund, dass es im Interesse der
Menschen in Pakistan ist, dass sich die Lage stabilisiert.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE])


Völlig zu Recht sind einige Forderungen erhoben
worden, die ich nur unterstreichen kann: die Aufhebung
des Ausnahmezustands und die Entlassung der Opposi-
tionellen, der Bürgerrechtler, der Anwälte und der Rich-
ter aus den Gefängnissen. Ich habe um kurz nach
12.30 Uhr eine Agenturmeldung gelesen, nach der Präsi-
dent und General Musharraf erklärt haben soll, dass er
bereit sei, seine zweite Amtszeit als Präsident ohne Uni-
form anzutreten; das wäre sicherlich richtig. Es wäre zu
begrüßen, wenn er das tun würde. All das sind aber nur
notwendige Voraussetzungen für eine Verbesserung der
Situation in Pakistan, keine hinreichenden. Es muss noch
mehr getan werden.

Als Mitglied des Vorstandes der deutsch-südasiati-
schen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages
war ich vor einigen Monaten gemeinsam mit unserem
Kollegen Josef Winkler in Pakistan. Ich möchte Ihnen
zwei Erlebnisse dieses Besuchs schildern:

Mein erstes Erlebnis: Zehn Kilometer vor der wohl-
geformten Hauptstadt findet sich ein großes Gebiet, das
nur aus Slums besteht. Dort leben die Menschen in
Lehmhütten, und die Kinder wachsen neben Tieren auf.
Nachdem die deutsche Botschaft in Pakistan dort für
eine vernünftig funktionierende Wasserversorgung ge-
sorgt hatte, lautete die größte Bitte der Menschen, dass
sie gerne eine Schule und damit Bildungschancen hätten.
Wenn man sich vor Augen hält, dass das Schulsystem in
Pakistan vor einigen Jahren aus den Händen des Staates
entlassen und den Koranschulen überlassen wurde, wird
einem klar, dass hier ein ganz zentraler Ansatzpunkt
liegt, um Pakistan eine gute Perspektive zu eröffnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bildung muss wieder zu einer staatlichen und demokra-
tisch kontrollierten Aufgabe gemacht werden. Nicht jede
Koranschule ist extremistisch geprägt; in manchen wird
ganz ordentlich gearbeitet. Aber der Staat muss die Auf-
sicht behalten. Wenn es um Bildung geht, muss der Staat
den Daumen draufhalten können.
Mein zweites Erlebnis: Als wir in Karatschi waren
– diese Stadt ist übrigens eine Wirtschaftsmetropole –,
haben wir erfahren, dass wir die ersten deutschen Bun-
destagsabgeordneten waren, die in den letzten fünf Jah-
ren dort waren. Das ist keine Kritik von mir. Allerdings
möchte ich Sie bitten, daran zu denken, wenn sich die
Verhältnisse in Pakistan wieder ein wenig stabilisiert ha-
ben. Dann sollten wir durch Präsenz, Besuche und Dia-
log deutlich machen, dass wir ein echtes Interesse daran
haben, was in diesem Land passiert; das war allerdings
nicht der Punkt, den ich erwähnen wollte.

Eigentlich wollte ich auf die Nachwahlen hinweisen,
die in Karatschi stattfanden, als wir dort waren. Pakistan
hat eine demokratische Verfassung; sie ist zwar suspen-
diert, aber ich hoffe, dass sich das bald ändert. Es stellt
sich aber die Frage: Wie werden die Standards, die darin
definiert sind, durchgesetzt? – Wir haben dort Folgendes
beobachtet: Es gab einen gemäßigten und einen radika-
len Kandidaten. Der gemäßigte Kandidat wurde im
Wahllokal verprügelt, sein Sohn entführt, sein Fahrer vor
dem Wahllokal erschossen, und die Wahlen wurden mas-
siv gefälscht. Am Tag nach der Wahl stand in den Zei-
tungen, die örtliche Wahlkommission habe keinen Zwei-
fel daran, dass das 90-Prozent-Ergebnis des radikalen
Kandidaten verfassungskonform sei und dass die Wahl
ordnungsgemäß verlaufen sei.

Vor diesem Hintergrund möchte ich deutlich machen:
Das, was wir tun, reicht nicht aus. Wir sagen, dass in Pa-
kistan so früh wie möglich Wahlen stattfinden sollten,
damit eine demokratisch autorisierte Regierung ihr Amt
übernehmen und der Machtwechsel, der sicherlich in
Phasen ablaufen muss, organisiert werden kann. Das ge-
nügt allerdings nicht. Wir müssen auch sicherstellen,
zum Beispiel durch die Bereitstellung von Wahlbeobach-
tern – warum eigentlich nicht auch aus dem Deutschen
Bundestag und warum nicht in größerer Zahl? –, dass die
Wahlen fair und transparent durchgeführt werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das eine ist der Appell an den unbestrittenen Macht-
haber, jetzt zu handeln, die demokratischen Verhältnisse
formal wiederherzustellen. Das andere ist, sich in der
Zukunft, mehr als in der Vergangenheit, verstärkt zu en-
gagieren. Wir sollten weniger darüber debattieren, ob
wir die Entwicklungshilfe einfrieren sollen, als vielmehr
darüber, wie wir sie sinnvoll weiterentwickeln können:
zugunsten des Abbaus der Benachteiligung von Frauen,
zugunsten des Bildungswesens und zur Verbesserung
des Gesundheitswesens, damit man als normaler Pakis-
tani, wenn man zuckerkrank ist, nicht sterben muss, weil
man sich die Medikamente nicht leisten kann.

In diesem Bereich müssen wir weiter arbeiten, mehr
tun, mehr investieren. Dann können wir vielleicht in der
Perspektive – das wird Jahrzehnte dauern – sagen: In Pa-
kistan ist etwas gelungen, was nur sehr selten gelingt:
ein islamisches Land mit einer echten Demokratie. Das
liegt nicht nur in unserem Sicherheitsinteresse. Wir ha-
ben auch eine Mitverantwortung für die pakistanischen
Bürger auf der einen Welt.






(A) (C)



(B) (D)


Sebastian Edathy
Danke schön.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1612307400

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk
Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Karl Addicks,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Beschäftigungschancen Älterer verbessern –
Reformen der Agenda 2010 nicht zurückneh-
men
– Drucksache 16/6644 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. Lothar
Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Beschäftigungssituation Älterer verbessern –
Übergänge vom Erwerbsleben in die Rente so-
zial gestalten
– Drucksache 16/6929 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. – Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfah-
ren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Jörg Rohde von der FDP-
Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Günter Baumann [CDU/CSU])



Jörg Rohde (FDP):
Rede ID: ID1612307500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Zum wiederholten Male beschäftigen wir
uns heute mit den Chancen Älterer auf dem Arbeits-
markt. Dass wir diese Debatten führen, liegt daran, dass
leider nicht alle vom momentanen Aufschwung am Ar-
beitsmarkt profitieren. Denn nicht nur Krankheit, Behin-
derung, fehlende Kinderbetreuungsangebote oder eine
schlechte Berufsausbildung sind ein Einstellungshemm-
nis, nein, auch das Lebensalter ist noch für zu viele ein
K.-o.-Kriterium bei der Jobsuche.

Woran liegt das? Hat die Politik in der Vergangenheit
zu wenig für ältere Arbeitnehmer und Arbeitsuchende
getan? Nein, das Gegenteil trifft zu: Die Regierungen
Schröder und Merkel haben zu viel reguliert und dabei
auch noch genau das Falsche getan: Mit gutgemeinten
Gesetzen zur Altersteilzeit, zur Frühverrentung, zum er-
leichterten ALG-I-Bezug ab dem 58. Lebensjahr hat der
Gesetzgeber älteren Beschäftigten etliche goldene Brü-
cken in den Vorruhestand gebaut. Aber gut gemeint ist
noch lange nicht gut gemacht; denn diese Fehlanreize
entziehen dem Arbeitsmarkt dringend benötigte Fach-
kräfte, treiben Arbeitnehmer unnötig früh in die sozialen
Sicherungssysteme und führen dort zu einem immensen
Ausgabenanstieg. Wer sich dann zu seiner kargen Alters-
rente etwas dazuverdienen möchte, stößt viel zu schnell
an enge Hinzuverdienstgrenzen.


(Beifall bei der FDP)


All diese Regelungen haben eines gemeinsam: Sie
halten Ältere vom Arbeitsmarkt fern. Ältere Arbeitslose,
die alles tun würden, um wieder in Arbeit zu kommen,
scheitern bei der Jobsuche an Gesetzen, die eigentlich zu
ihrem Schutz gedacht waren. Ich spreche zum Beispiel
vom Kündigungsschutz: Was eigentlich gut gemeint
war, steht Älteren bei der Arbeitssuche im Wege. Auch
das Lebensalter als Kriterium der Sozialauswahl bei be-
triebsbedingten Kündigungen gehört abgeschafft; denn
kein Arbeitgeber stellt einen Älteren ein, wenn er einen
jüngeren Arbeitnehmer im unternehmerischen Notfall
leichter entlassen kann.

Weil der Kündigungsschutz in seiner jetzigen Form
insgesamt, für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, ein
immenses Einstellungshemmnis darstellt, sollten Arbeit-
suchende nach den Vorstellungen der FDP eine Wahl-
möglichkeit haben: Statt des gesetzlichen Kündigungs-
schutzes sollen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer
vertraglich auf eine Abfindungsregelung einigen kön-
nen.


(Beifall bei der FDP)


Denn eines ist sicher, meine Damen und Herren: Besser
vorübergehend einen Arbeitsplatz haben als dauerhaft
arbeitslos sein.


(Beifall bei der FDP)


Auch das Senioritätsprinzip, das in vielen Tarifverträ-
gen Anwendung findet, erschwert im Zweifel die Be-
schäftigung Älterer. Auch hier muss abgewogen werden,
ob die Schutzfunktion für einige Beschäftigte nicht
gleichzeitig ein Einstellungshindernis für unzählige Job-
suchende ist. Nicht zuletzt führt die Möglichkeit zur Er-
klärung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträ-
gen dazu, dass Betriebe und deren Angestellte gegen
ihren ausdrücklichen Willen tarifvertraglichen Regelun-
gen unterworfen und damit der Erhalt und die Schaffung
von Arbeitsplätzen erschwert werden.


(Wolfgang Grotthaus [SPD]: Damit beschneiden Sie fast alle Arbeitnehmerrechte!)


Eine erfolgreiche Politik für mehr Beschäftigung in
allen Generationen bedarf aber grundsätzlicher Anstren-
gungen in allen Politikbereichen. Gerade auch, um ältere
Menschen erfolgreich in den Arbeitsmarkt integrieren zu
können, müssen strukturelle Hemmnisse beseitigt wer-
den. Deutschland braucht neben einer besseren Arbeits-
marktpolitik eine Steuer-, Wirtschafts- und Tarifpolitik,






(A) (C)



(B) (D)


Jörg Rohde
die zu mehr Wachstum und damit zu mehr Arbeitsplät-
zen führt, und nicht beschäftigungsfeindliche Mindest-
löhne.


(Katja Mast [SPD]: Das glauben Sie ja selber nicht!)


– Doch, das glaube ich ganz sicher.

Aber auch die Unternehmen und Tarifpartner sind ge-
fordert, die Rahmenbedingungen zur Nutzung der Poten-
ziale älterer Arbeitnehmer zu verbessern. Die Kompe-
tenz und die Lebenserfahrung älterer Arbeitnehmer
müssen stärker genutzt werden. Hierbei ist es absolut
kontraproduktiv, dass innerhalb der schwarz-roten Ko-
alition jetzt über eine Verlängerung der Bezugsdauer des
ALG I gesprochen wird.


(Beifall bei der FDP)


Wir haben in der Vergangenheit doch bereits mehrere
Vorruhestandswellen erlebt. Sobald sich die Konjunktur
ein wenig abschwächt, werden Arbeitgeber und Arbeit-
nehmer diese längere Bezugsdauer nutzen, um sich von-
einander zu trennen. Das dürfen wir doch nicht zulassen,
meine Damen und Herren! Stattdessen fordern wir eine
maximal mögliche Senkung des Beitrages zur Arbeitslo-
senversicherung. Hier sind 3 Prozent erreichbar.


(Beifall bei der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1612307600

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Schneider von der Fraktion Die Linke?


Jörg Rohde (FDP):
Rede ID: ID1612307700

Gerne.


Volker Schneider (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612307800

Herr Kollege Rohde, ich bemühe mich intensiv, das

Konzept der FDP zu verstehen,


(Uwe Barth [FDP]: Das gelingt Ihnen nicht!)


habe aber in einem sehr zentralen Punkt meine Schwie-
rigkeiten. Vielleicht können Sie mir weiterhelfen.

Sie haben jetzt auch wiederholt, dass eine längere Be-
zugsdauer von Arbeitslosengeld I im Grunde genommen
dazu führt, dass die Leute dieses mehr in Anspruch neh-
men. Können Sie mir erklären, warum dänische Arbeits-
lose im entsprechenden Alter nicht nur deutlich schneller,
sondern auch in größerer Zahl vermittelt werden – selbst
dann, wenn sie 60 Jahre alt und älter sind –, obwohl in
Dänemark drei Jahre lang ein Arbeitslosengeld von
90 Prozent des vorherigen Gehalts gezahlt wird?


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist die Kultur da!)



Jörg Rohde (FDP):
Rede ID: ID1612307900

In Dänemark gibt es nicht nur dieses Gesetz, sondern

auch eine andere Form der Herangehensweise an die Ar-
beitsvermittlung. Sie haben eben ein anderes Konzept.


(Beifall bei der FDP)

Wir fordern zum Beispiel eine Kommunalisierung,
dass man sich also vor Ort viel intensiver um den Einzel-
nen kümmert und sich bemüht, dass er wieder einen Ar-
beitsplatz erhält.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist der eigentliche Grund!)


Dann könnte man sich auch andere Gesetze erlauben.
Das gibt es aber in Deutschland leider nicht.


(Iris Gleicke [SPD]: Jetzt haben sie ein halbes Jahr länger Zeit!)


Deswegen fordern wir eine Gesamtdiskussion für die
Arbeitsmarktpolitik und die Gesetze, die ich angespro-
chen habe. Wenn man diesen Kontext sieht, dann kann
man den Vergleich mit Dänemark eben nicht ziehen.


(Beifall bei der FDP – Iris Gleicke [SPD]: Sie ziehen den doch selber immer! – Uwe Barth [FDP]: Das verstehen die demokratischen Sozialisten nicht!)


Die Frau Bundeskanzlerin ist leider nicht da. Frau
Wöhrl, vielleicht können Sie es ihr ausrichten. Die Frau
Bundeskanzlerin ist bei diesem Thema mit ihrer Richtli-
nienkompetenz gefordert. Sie muss ein Machtwort spre-
chen. Die SPD will das Haus „Agenda 2010“ mit der
Abrissbirne angreifen und reißt damit einen wichtigen
Stützpfeiler ein. Das dürfen wir nicht zulassen.


(Wolfgang Grotthaus [SPD]: Habt ihr damals zugestimmt? – Andrea Nahles [SPD]: Ihr habt abgelehnt!)


Wir dürfen die erreichten Erfolge nicht riskieren. Ich
hoffe, die Bundeskanzlerin wird ein entsprechendes
Machtwort sprechen.


(Beifall des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])


Das Ziel der Verbesserung der Situation Älterer auf
dem Arbeitsmarkt ist wohl auch das einzige, das uns als
FDP inhaltlich mit dem Antrag der Linken verbindet.
Ein paar Worte in Ihre Richtung, Herr Schneider.

Schon die Realisierung Ihres ersten Forderungspake-
tes in Punkt 1 würde überschlägig berechnet zig Milliar-
den Euro kosten. Wer soll das bitte bezahlen? Der Bund
oder gar die Kommunen vor Ort? Öffentlich finanzierte
Beschäftigung hat sich doch schon so oft als teures Ab-
stellgleis für Arbeitslose erwiesen. Bleiben Sie doch bitte
realistisch. Aber eine Partei, die mit Herrn Lafontaine so-
gar die Notwendigkeit eines demografischen Faktors in
der Rentenversicherung leugnet, hat sich sowieso schon
von der Realität verabschiedet.

Die Umsetzung der zweiten Forderung Ihres Antrags
würde den Beitrag zur Rentenversicherung stark steigen
lassen; dabei setze ich natürlich voraus, dass Sie keine
Rentenkürzungen wollen.

In Punkt 3 fordern Sie die Erhöhung des Beitrags zur
Arbeitslosenversicherung. Ein Bundeszuschuss fällt ja
aus, da Sie das Geld unter Punkt 1 bereits ausgegeben
haben.






(A) (C)



(B) (D)


Jörg Rohde
Durch die Umsetzung der Vorschläge der Linken wür-
den die Lohnzusatzkosten in Deutschland also gesteigert
und somit Hunderttausende Arbeitsplätze vernichtet
werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zu Punkt 4 – Erwerbsminderungsrenten – und
Punkt 5 – erzwungene Frührenten mit Abschlägen – fol-
gen separate Debatten. Deswegen kann ich aus Zeitgrün-
den hier nicht darauf eingehen. Eines ist aber sicher: Ihr
Antrag darf auf keinen Fall Grundlage für die Politik in
Deutschland werden.


(Beifall bei der FDP)


Angesichts der Gesamtsituation würde es uns als FDP
sehr freuen, wenn Sie sich intensiv mit diesen Vorschlä-
gen Punkt für Punkt befassen würden. Auch wenn wir
nicht alles durchsetzen können: Jeder einzelne Schritt
wäre ein Erfolg. Ich bitte Sie intensiv um konstruktive
Beratung in den Ausschüssen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1612308000

Nun hat das Wort der Kollege Wolfgang Meckelburg

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Erkläre das denen mal!)



Wolfgang Meckelburg (CDU):
Rede ID: ID1612308100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Lust, heute zu diesem Thema zu reden – ich bin
ehrlich –, ist nicht ganz so groß, weil wir das Thema mit
dieser Spagatstellung in den letzten vier Wochen drei-
mal, wenn nicht gar viermal diskutiert haben, auch im
Ausschuss. Dennoch muss diese Debatte wohl sein, da
uns zwei Anträge vorliegen.

Es ist auch nichts Neues mehr, dass wir Anträge von
FDP und PDS/Linke zusammen diskutieren. Aber heute
kann man feststellen, dass sie nichts miteinander zu tun
haben,


(Uwe Barth [FDP]: Sonst auch nicht! Lesen bildet gelegentlich!)


sondern dass Welten zwischen ihnen liegen. Wahr-
scheinlich liegt auch die Realität irgendwo dazwischen.


(Uwe Barth [FDP]: Die liegt deutlich hier drüben!)


Wir wollen einmal schauen, wie wir den Spagat heute
hinbekommen; denn wir wissen alle, dass am kommen-
den Montag dazu einige Entscheidungen in der Koalition
fallen werden. Ich persönlich habe die Geduld, dies aus-
zuhalten; aber ich bin auch gerne bereit, heute zu diesem
Thema zu reden.

Lassen Sie mich die Welten, die dazwischen liegen,
deutlich machen. Im Antrag der Linken ist von einer
Verlängerung der 58er-Regelung die Rede, die FDP will
keine Verlängerung. Sozialversicherungspflichtige Be-
schäftigung mit einem Mindestlohn von 1 400 Euro lau-
tet eine klassische Forderung der PDS; sie will so viel
Geld wie möglich von dem, was die Steuerzahler erwirt-
schaften, sozusagen raushauen. Die FDP will dagegen
einen völligen Verzicht auf Mindestlohnregelungen. Die
PDS will den Kündigungsschutz möglichst ausweiten
und in diesem Bereich wieder alles festzurren. Bei der
FDP habe ich den Eindruck, sie wolle möglichst alles
weghaben.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein!)


– Okay, dann können wir das ja diskutieren.

Was die Rente mit 67 angeht, so macht sich bei der
PDS niemand die Finger schmutzig. Das wäre ja fürch-
terlich.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Das habt ihr schon erfolgreich getan!)


Lieber sagt sie, mit 65 sei es einfacher zu machen, auch
wenn alle wissen, dass es nicht geht. Die FDP hingegen
will eine Neuregelung der Zuverdienstmöglichkeiten
und die Grenzen hier völlig fließend machen. Auch das
ist kein ganz einfacher Vorschlag. Die Bandbreite des-
sen, was heute diskutiert wird, ist also riesig.

Lassen Sie mich zum PDS-Antrag, Herr Kollege
Schneider, auch wenn Sie nach mir reden, ein paar
Dinge sagen: Beide Fraktionen, sowohl FDP als auch
PDS, haben wieder einmal den politischen Antragsquirl
laufen lassen:


(Beifall des Abg. Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU])


alle schon gestellten Anträge in einen Pott und einmal
durchquirlen. Auf diese Weise kommen Versatzstücke
von dem einen oder anderen Antrag wortwörtlich wieder
in einen neuen Antrag hinein. So erreicht man natürlich
auch jede Woche eine neue Debatte; in der Sache aber
kommt man nicht weiter.


(Jörg Rohde [FDP]: Sie brauchen das nur zu beschließen, dann machen wir das nicht mehr!)


– Mit dem Beschließen ist es ein bisschen schwierig. Ich
will das an dieser Stelle gleich sagen, Herr Rohde. Sie wis-
sen, wie die Mehrheitsverhältnisse in diesem Haus sind.


(Jörg Rohde [FDP]: Leider!)


Zählen Sie einmal durch. Ihre Anträge bekämen wir
selbst dann, wenn wir sie unterstützten, leider nicht
durch; das wissen Sie.


(Jörg Rohde [FDP]: Aber immerhin tut es Ihnen scheinbar leid! Die Hoffnung stirbt zuletzt!)


Die Tendenz ist wie immer: Die Liste im PDS-Antrag
stellt die übliche Überforderung mit allem Möglichen
dar. Ich habe die Beispiele eben schon genannt. Die Kos-
ten sind auch benannt worden. Manchmal sträuben Sie
sich ja ein bisschen, etwas dazu zu sagen, was das alles
kostet. Diesmal haben Sie für alles eine Lösung. Aber
ich bleibe dabei: Sie richten Ihre Politik für Gesamt-
deutschland an dem alten Modell der DDR aus, die






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Meckelburg
genau daran kaputtgegangen ist, dass sie all diese Dinge
machen wollte.


(Kornelia Möller [DIE LINKE]: Sie sind nicht gut informiert! Das ist das Problem!)


Am Ende hatten die Menschen keine Arbeit mehr, und in
der DDR gab es verdeckte Arbeitslosigkeit. Ich darf Sie
auch daran erinnern, wie hoch das Rentenniveau war.
Das alles sind doch Konsequenzen einer falschen Politik
gewesen. Wir jedenfalls wollen nicht dahin zurück, Herr
Schneider, auch wenn Sie aus dem Westen diese alte Po-
litik freundlich unterstützen.


(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Ich entschuldige mich dafür, dass ich vom Saarland aus die DDR-Wirtschaft zugrunde gerichtet habe!)


Wir wollen nicht dahin zurück, sondern wir wollen
nach vorne. Wir wollen mehr Arbeitsplätze, stabile Sozial-
systeme und eine Konsolidierung des Haushaltes, weil
das der richtige Weg in die Zukunft Deutschlands ist.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Sie wollen doch noch weiter zurück!)


– Das wissen Sie am besten. Das Schöne ist, dass Sie im-
mer wissen, wo es langgeht. Aber selbstkritisch sind Sie
im Grunde genommen nie. Da Sie jetzt schon Anträge
stellen, die Sie zuvor viermal gequirlt haben, sage ich Ih-
nen Folgendes: Sie beziehen sich in der Einleitung auf
einen IAB-Bericht. Sagen Sie den Leuten, die in Ihrer
Fraktion quirlen, dass Sie einmal ein bisschen genauer
werden sollten. Es ist nicht ganz erkennbar, was wirklich
IAB-Bericht ist. Darin sind zwei Punkte richtig zitiert und
mit Anführungszeichen versehen. Die „Babyboomer“-
Generation kommt in die Späterwerbsphase. Das ist
richtig. In Ihrem Antrag heißt es weiter:

Dieser birgt insbesondere für Ältere das Risiko der
Verdrängung in die Erwerbslosigkeit, Prekarität
und Altersarmut.

Weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass das in dem Be-
richt stand, habe ich ihn durchgelesen und festgestellt, dass
das Ihre Formulierung ist. Bringen Sie das nicht durchei-
nander! Die von Ihnen zitierten Zahlen sind von 2005.


(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Da sind auch Anführungszeichen drin!)


– Es sind keine Anführungszeichen drin. Lassen Sie das
doch. Ich habe den Bericht gelesen. Wenn ich zu dem
Thema rede, dann muss ich mir die Mühe machen, ihn
zu lesen.

Sie fordern in einem Kernsatz eine offensive Beschäf-
tigungspolitik zur Steigerung der Arbeitsnachfrage. Das
hört sich gut an. Ich habe darüber nachgedacht, was das
sein kann. Das ist wieder ein öffentlich geförderter Ar-
beitsmarkt.


(Kornelia Möller [DIE LINKE]: Nein! Es ist offensichtlich, dass Sie zwischen Arbeitsmarktpolitik und Beschäftigungspolitik nicht unterscheiden! Ich kann Ihnen da gern eine Schulung geben!)

– Das kann Herr Schneider gleich erklären. Es hört sich
zwar gut an, aber ich verstehe es nicht. Es ist keine Politik.

Was die im zweiten Teil enthaltene Forderung einer
verbindlichen betrieblichen Gesundheitsvorsorge an-
geht, mit der gesundheitlicher Verschleiß vermieden
werden soll, gibt es bereits das Programm der Bundesre-
gierung „Initiative Neue Qualität der Arbeit“, in dem
entsprechende Maßnahmen vorgesehen sind. Insofern
kommt Ihr Antrag zu spät. Vielleicht kümmern Sie sich
zwischen dem Antragquirlen auch einmal um die Politik,
die in diesem Lande stattfindet.

Das muss zu Ihrem Antrag genügen, weil mir sonst
die Zeit wegläuft.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Die nächste Gelegenheit kommt bestimmt!)


– Sie haben sicherlich den Quirl schon wieder für
nächste Woche in Gang gesetzt.

Ich komme zum FDP-Antrag. In vielen von Ihnen
vorgeschlagenen Punkten sind wir uns einig, sodass wir
zueinanderfinden könnten. Aber – zählen Sie ruhig
durch – wir bekommen keine Mehrheit zustande. Ich
gebe Ihnen den Rat, den Antrag für den Fall aller Fälle in
die Schublade zu legen. Vielleicht holen wir ihn 2009
noch einmal heraus und überlegen, was wir möglicher-
weise gemeinsam erreichen können.


(Zuruf von der LINKEN: Aha! – Jörg Rohde [FDP]: Wir werden ihn gut aufbewahren!)


– Was heißt „Aha“? Die Schnittmenge zwischen den
Vorschlägen der FDP und unseren ist größer, als es bei
Ihren Vorschlägen der Fall ist. Mit Ihnen haben wir über-
haupt keine Schnittmenge. Sie sind auf dem völlig fal-
schen Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Lassen Sie mich noch auf die Situation Älterer ein-
gehen, die in Arbeit kommen sollen. Es gibt die neue
Broschüre der Bundesagentur für Arbeit „Situation von
Älteren am Arbeitsmarkt“ von Oktober 2007 mit den
neuesten Zahlen, die ich auch Ihnen zur Lektüre empfehle.
Ich lasse sie Ihnen gerne zukommen, wenn Sie sie noch
nicht gelesen haben. Ich beschränke mich auf eine Kurz-
fassung des Inhalts, damit Sie merken, was sich auf dem
Arbeitsmarkt tut.

55- bis 65-Jährige profitieren nach Angaben der Bun-
desagentur für Arbeit überdurchschnittlich vom aktuel-
len Wirtschaftsaufschwung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die wichtigsten Fakten sind – ich beziehe mich auf die
Broschüre –: Das Arbeitskräfteangebot Älterer nimmt
zu. Auf diesen Punkt pochen Sie immer wieder. Das ist
auch so; das können wir nicht bestreiten. Die Erwerbstä-
tigkeit und die sozialversicherungspflichtige Beschäfti-
gung Älterer entwickeln sich positiv. Zwei Drittel des
Beschäftigungsaufschwungs in Deutschland gehen auf
Ältere zurück. Bei der Arbeitslosigkeit Älterer gibt es
eine günstigere Entwicklung. Es gibt weniger Arbeits-
losmeldungen Älterer über 55 Jahren. Die Arbeitslosig-






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Meckelburg
keit geht nach dem sogenannten Ältereneffekt zu Beginn
2006 jetzt enorm zurück. Die Entwicklung zwischen
2005 und 2007 zeigt also, dass sich etwas bewegt hat. Es
gibt zudem deutlich mehr Abgänge Älterer aus der Ar-
beitslosigkeit als vor einem Jahr, aber – auch das ist ein
wichtiger Punkt – Ältere sind länger arbeitslos.

Insofern werden wir über einige Punkte sprechen
müssen; Sie wissen das. Dazu gehört die Frage, wie man
beim Mindestlohn gewisse Standards erreicht. Wir sind
bereits auf dem Weg. Die Frage muss klug behandelt
werden.

Zu der Frage der Verlängerung der Bezugsdauer des
Arbeitslosengeldes I habe ich mich schon mehrfach ge-
äußert.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1612308200

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Barth von der FDP-Fraktion?


Wolfgang Meckelburg (CDU):
Rede ID: ID1612308300

Ja, bitte schön.


Uwe Barth (FDP):
Rede ID: ID1612308400

Lieber Herr Kollege Meckelburg, ich freue mich über

so viel Zustimmung zu dem Antrag unserer Fraktion.
Aber wenn Sie alles oder zumindest das meiste, was wir in
unserem Antrag fordern, richtig finden, wäre es dann nicht
eigentlich folgerichtig, dass Sie in der jetzigen Koalition
die Führung – die Sie durch die Regierungschefin aus-
weislich haben – übernehmen und versuchen, das in dieser
Koalition durchzusetzen? Ist es nicht eine Kapitulations-
erklärung, wenn Sie sagen: Wir schaffen das jetzt nicht;
darum lassen wir das mal zwei Jahre liegen und machen
es dann zusammen?


(Beifall bei der FDP)



Wolfgang Meckelburg (CDU):
Rede ID: ID1612308500

Sie sind ein bisschen blauäugig. Wenn Sie die Reihen

durchzählen, werden Sie feststellen: Zurzeit gibt es für
das, was Sie vorschlagen, keine Mehrheit hier im Haus.
Ich habe zwar gesagt, dass unsere Positionen gewisse
Schnittmengen aufweisen. Aber ich habe darauf verzich-
tet, ins Detail zu gehen; denn wir müssen nicht, wie ich
finde, künstlich Streit mit der FDP erzeugen. Wenn Sie
aber genauer hinschauen, Herr Kollege, werden Sie fest-
stellen, dass wir eine sehr starke Kanzlerin haben.


(Uwe Barth [FDP]: Ich schaue sehr genau, aber ich kann sie nicht sehen!)


– Sie ist heute bei der IG Metall. Solche Termine müssen
auch einmal sein. Sie geht jedenfalls sogar dorthin.


(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Daran sieht man, wie stark diese Kanzlerin ist!)


Wir haben innerhalb der letzten zwei Jahre für Bewe-
gung auf dem Arbeitsmarkt gesorgt. Wir werden den
Beitrag zur Arbeitslosenversicherung auf 3,5 Prozent
senken. Wir sind an den Stellen, an denen wir federfüh-
rend sind, auf dem richtigen Weg.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie sollten das zur Kenntnis nehmen und die Vorschläge
dieser Koalition nicht einfach in die Schublade stecken,
sondern als Ausgangspunkt für etwas Neues nehmen.
Dann können wir uns sicherlich einigen. – Herzlichen
Dank für Ihre Zwischenfrage.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich komme zum Schluss. Sie haben gestern von der
Kanzlerin gehört, dass wir nicht vom Kurs der Reform-
politik abkehren werden, sondern ihn fortsetzen werden.
Genau darum geht zurzeit der Streit. Schauen wir einmal,
wie er ausgeht. Auf jeden Fall sind wir in den letzten
zwei Jahren mit dieser Regierung wesentlich weiter vo-
rangekommen als zuvor in den sieben Jahren unter Rot-
Grün. Vielleicht stimmen wir zumindest darin überein.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1612308600

Der nächste Redner ist der Kollege Volker Schneider

für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Volker Schneider (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612308700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Meckelburg, es wird Sie überraschen, dass ich
meine Rede damit beginne, anzuerkennen, dass Men-
schen über 50 wieder mehr Chancen auf dem Arbeits-
markt haben. Darüber freuen nicht nur Sie sich, sondern
auch meine Fraktion. Wir freuen uns über jeden, der län-
ger in Arbeit bleibt. Wir freuen uns über jeden, der über
50 ist und wieder einen Arbeitsplatz findet.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber, Herr Meckelburg, das ist nur ein Teil der Wirk-
lichkeit. Den anderen haben Sie – vielleicht aus Zeit-
gründen – ziemlich schnell übergangen. Man könnte
auch sagen, dass derzeit mit „verzerrenden Zahlen und
Statistiken von interessierter politischer Seite versucht“
wird, den falschen Eindruck zu erwecken, dass sich der
Arbeitsmarkt für ältere Arbeitnehmer entspannt habe. Es
sollte Sie nicht verwundern, wenn Ihnen dieser Satz be-
kannt vorkommt. Er steht nämlich in einem Schreiben
Ihres Kollegen Laumann an die Bundestagsabgeordne-
ten der CDU/CSU-Fraktion. Ich muss sagen: Wo Herr
Laumann recht hat, hat er recht.


(Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Genau deswegen muss man darüber reden! Das tun wir momentan!)


Nun zur anderen Seite der Medaille. Fest steht – darauf
haben Sie hingewiesen, Herr Meckelburg –: Die Men-
schen sind nicht nur länger in Arbeit, sondern auch län-
ger ohne Arbeit. Fest steht: Ab 50 sinkt die Erwerbsbe-
teiligung kontinuierlich, und der Anteil der Arbeitslosen
steigt an. Fest steht: Die steigende Erwerbsbeteiligung
ist zu einem guten Teil auf mehr Teilzeitarbeit und ge-
ringfügige Beschäftigung zurückzuführen. Fest steht:
Nur 24,6 Prozent derjenigen, die in Rente gehen, kom-






(A) (C)



(B) (D)


Volker Schneider (Saarbrücken)

men aus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäfti-
gung. Dieser Anteil sinkt seit über fünf Jahren. Ich weiß
nicht, ob das etwas mit der Agenda 2010 zu tun hat. Fest
steht: Gerade einmal jeder zehnte 64-Jährige geht einem
Beruf nach. Fest steht weiter: Sieben von zehn Men-
schen verabschieden sich schon vor dem gesetzlichen
Zugangsalter von derzeit 65 Jahren in die Rente. Ange-
sichts dieser Realität frage ich Sie, ob es nicht höchste
Zeit ist, sich von der Schnapsidee Rente mit 67 zu verab-
schieden.


(Beifall bei der LINKEN)


Fest steht weiter, dass leider die zukünftige Entwick-
lung in diesem Bereich mittelfristig eher Risiken als
Chancen aufweist. Man kann zur 58er-Regelung stehen,
wie man will, aber Fakt ist, dass das Auslaufen dieser
Regelung zum Ende dieses Jahres die Arbeitslosigkeit in
der genannten Personengruppe stark ansteigen lassen
wird. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit nah-
men 585 000 Personen im Oktober 2007 diese Regelung
in Anspruch, 585 000 Arbeitslose, die bislang als Ar-
beitslose in der Statistik nicht auftauchen, aber zukünftig
dort auftauchen werden.

Fest steht schließlich, dass mit dem Eintritt der gebur-
tenstarken Jahrgänge der 60er, der Heraufsetzung des
Rentenalters, der Beschränkung von Möglichkeiten des
vorgezogenen Rentenzugangs sowie dem Absinken des
Rentenniveaus in den nächsten Jahren – so formuliert es
das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung – ein
enormer Arbeitsangebotsdruck auf dem Arbeitsmarkt
entstehen wird.

Das heißt, Ältere fliegen wieder früher raus, finden
schlechter Arbeit oder werden der Not gehorchend jeden
Arbeitsplatz annehmen müssen, egal wie schlecht be-
zahlt, egal ob nur in Teilzeit.


(Zuruf von der LINKEN: So ist es!)


Wir fordern eine Politik, die diese Tatsachen berück-
sichtigt. Auch für uns ist erstes und wichtigstes Ziel, die
Beschäftigungslage für Ältere auf dem normalen Ar-
beitsmarkt wirksam zu verbessern. Dafür muss das ge-
samte Instrumentarium wirtschafts- und arbeitsmarkt-
politischer Maßnahmen genutzt werden. Dazu gehört
aber auch, dass wir vor dem Hintergrund, dass
bestimmte Personengruppen auf dem klassischen Ar-
beitsmarkt weiter chancenlos bleiben werden, für eine
öffentlich finanzierte sozialversicherungspflichtige Be-
schäftigung eintreten.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens müssen wir allen Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern eine Chance bieten, auch tatsächlich bis
zum Renteneintrittsalter zu arbeiten, egal wie physisch
und/oder psychisch belastend ihr Arbeitsplatz auch im-
mer sein mag. Dafür gibt es Konzepte der Förderung in
den Betrieben, die wir verbindlich vorschreiben wollen.
Schließlich brauchen wir, weil wir trotz aller Prävention
nicht verhindern können, dass Menschen aus gesund-
heitlichen Gründen vorzeitig aus dem Erwerbsleben aus-
scheiden müssen, Möglichkeiten des gleitenden Über-
gangs in die Rente, etwa die Altersteilzeit oder einen
erleichterten Zugang zu Erwerbsminderungsrenten.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich weiß, Sie werden unseren Antrag reflexartig ab-
lehnen,


(Uwe Barth [FDP]: Aus guten Gründen!)


aber ich hoffe, dass Sie wenigstens feststellen, dass es
mehr im Instrumentenkasten politischer Maßnahmen
gibt als die wenigen Dinge, die Sie im Moment darin ha-
ben, und dass wir darüber eine konstruktive Diskussion
führen sollten.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1612308800

Nun hat das Wort der Kollege Wolfgang Grotthaus für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Wolfgang Grotthaus (SPD):
Rede ID: ID1612308900

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Lassen Sie mich vorab zwei Bemerkungen ma-
chen. Herr Meckelburg, ich finde das gut, was Sie zu der
Zeit über 2009 hinaus gesagt haben und dass Sie in vie-
len Dingen dem Antrag der FDP eigentlich zustimmen
könnten. Die Bundeskanzlerin ist heute auf dem IG-Me-
tall-Kongress. Wenn sie dort ähnliche Worte wie Sie hier
finden würde


(Uwe Barth [FDP]: Das würde auch ich mir wünschen!)


– das bedeutet nämlich eine Einschränkung von Arbeit-
nehmerrechten –, dann wäre ich gespannt, wie die dort
anwesenden Kolleginnen und Kollegen auf solche Aus-
führungen reagieren würden.


(Beifall bei der SPD)


Die Zeit scheint einiges zu verklären, Herr Rohde.
Die rot-grüne Regierung war es, die die Frühverrentung
abgeschafft hat.


(Andrea Nahles [SPD]: Ja! – Rolf Stöckel [SPD]: Gegen die Stimmen der FDP!)


Sie wurde mit Ihrer Zustimmung vor 1998 eingeführt.
Ich will zugestehen, dass die Sozialdemokraten dem da-
mals zugestimmt haben, auch die Gewerkschaften. Sich
aber heute hier hinzustellen und zu sagen, man habe da-
mit nichts zu tun, ist schon etwas komisch.


(Uwe Barth [FDP]: Das hat er gar nicht gesagt!)


Daran werden Sie die Bürgerinnen und Bürger messen.


(Beifall bei der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1612309000

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Rohde?






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Grotthaus (SPD):
Rede ID: ID1612309100

Ich will den Gedanken noch zu Ende bringen.

Sie haben gegen die Agenda 2010 gestimmt und ge-
bärden sich heute hier, als wenn Sie das letzte Bollwerk
für den Erhalt der Agenda 2010 wären. So nicht, Herr
Rohde. Da entlassen wir Sie nicht aus der Pflicht. Wir
werden immer wieder deutlich machen, wo Sie Ihre Alt-
lasten haben, wir werden aber auch zugestehen, dass wir
unsere Altlasten haben.


(Beifall bei der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1612309200

Gestatten Sie nun die Zwischenfrage?


Wolfgang Grotthaus (SPD):
Rede ID: ID1612309300

Gerne.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1612309400

Herr Rohde, bitte.


Jörg Rohde (FDP):
Rede ID: ID1612309500

Herr Grotthaus, vielen Dank für den Hinweis. Ich bin

nicht persönlich dabei gewesen – ich bin erst seit 2005
im Deutschen Bundestag –, aber ich nehme gern die Ver-
antwortung wahr. Erinnern wir uns aber bitte gemeinsam
an die damalige gute Absicht mit der Frühverrentung.
Das Ziel war, jüngere Arbeitnehmer einzustellen, indem
wir ältere in den Vorruhestand entlassen. Das war da-
mals der Gedanke, dem wir alle nachgegangen sind.
Aber das hat nicht funktioniert. Wenn etwas nicht funk-
tioniert, dann muss man das einsehen und die richtigen
Konsequenzen ziehen.


(Beifall bei der FDP)


Würden Sie meiner Einschätzung zustimmen?


Wolfgang Grotthaus (SPD):
Rede ID: ID1612309600

Ich glaube, Sie, Herr Kollege Rohde, haben mir nicht

zugehört. Ich habe gesagt, dass es die rot-grüne Regie-
rung war, die von 1998 bis 2005 gravierende Ein-
schnitte, die uns teilweise Mehrheiten gekostet haben,
am Arbeitsmarkt gemacht und unter anderem die Früh-
verrentung abgeschafft hat. Sie haben damals dagegen
gestimmt. Jetzt tun Sie hier so – und betonen es –, als ob
Sie damals die Heilsbringer gewesen wären.


(Rolf Stöckel [SPD]: Das nennt man Opportunismus!)


Man muss bei der Wahrheit bleiben. Das wollte ich Ih-
nen nur als Vorbemerkung sagen, bevor ich zu Ihrem
Antrag komme.


(Beifall bei der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1612309700

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischen-

frage des Kollegen Rohde?


Wolfgang Grotthaus (SPD):
Rede ID: ID1612309800

Des Kollegen Rohde immer.

Jörg Rohde (FDP):
Rede ID: ID1612309900

Ich bemühe mich, es bei dieser Zwischenfrage zu be-

lassen.

Sie haben zwei Bereiche angesprochen. Meine erste
Zwischenfrage zielte nur auf einen ab. Wir haben gegen
die Agenda 2010 gestimmt, weil aus unserer Sicht schon
ihre Ursprungsfassung verwässert wurde und weil an-
dere Instrumente, gerade bei der Vermittlung von Ar-
beitslosen in Arbeit, von uns gewünscht wurden und
heute noch werden, zum Beispiel, was die Vermittlung in
den Kommunen angeht. Da das, was im Vermittlungs-
ausschuss ausgehandelt wurde – Stichwort „Options-
kommunen“ –, nur teilweise unseren Vorstellungen ent-
sprach, haben wir damals nicht zugestimmt. Auch das
begründet unsere damalige Haltung.

Es wird immer über sehr breit angelegte Pakete abge-
stimmt. In zahlreichen Punkten stimmen wir überein,
und in anderen gehen unsere Meinungen auseinander.
Wir hatten genügend Argumente, um dagegen zu stim-
men. Würden Sie dem zustimmen?


Wolfgang Grotthaus (SPD):
Rede ID: ID1612310000

Nein, Herr Kollege Rohde.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)


Ihre Logik ist auch da verkehrt. Sie sagen, die Ur-
sprungsfassung sei verwässert worden. Wenn dem so
sein sollte, dann ist sie im Bundesrat verwässert worden.
Welche Landesregierungen haben die Agenda 2010 im
Bundesrat ihrer Auffassung entsprechend verwässert?
Diese Eingriffe haben mehr Einschränkungen für die
Menschen in diesem Land und weniger soziale Bestand-
teile bewirkt. Es wurde also draufgesattelt, und zwar von
Landesregierungen, die zum größten Teil von CDU und
FDP gestellt werden. In Wirklichkeit ist also nicht ver-
wässert, sondern draufgesattelt worden.

Jetzt, im Nachhinein, möchte ich Ihnen, Kollege
Rohde, sagen: Sie hätten damals mit Rot-Grün stimmen
sollen. Sie hätten die Landesregierungen, an denen Ihre
Partei beteiligt war, auffordern sollen, dem Regierungs-
gesetzentwurf zuzustimmen. Wenn das geschehen wäre,
dann müssten Sie sich heute diese Antwort nicht gefallen
lassen.


(Beifall bei der SPD)


4,65 Millionen Arbeitslose gab es 2005. 622 000 von
ihnen waren unter 25 Jahre, und 576 000 von ihnen wa-
ren über 55 Jahre. Im September dieses Jahres, also zwei
Jahre später, betrug die Arbeitslosenzahl – ich nenne
diese Zahl bewusst – 3,54 Millionen. Mittlerweile ist
diese Zahl auf unter 3,5 Millionen gesunken. 424 000
Arbeitslose sind unter 25 Jahre, 434 000 Arbeitslose
sind über 55 Jahre. Das ist eine Reduzierung der Arbeits-
losigkeit – ich sage das hier bewusst noch einmal; das
kann man im Interesse der Menschen, die in Arbeit ge-
kommen sind, nicht oft genug sagen – um
1,107 Millionen Menschen, sprich: 23,8 Prozent.

Der Antrag der FDP zielt darauf ab, mehr ältere Men-
schen in Arbeit zu bringen, und das ist auch gut so. Wir
haben 23,5 Prozent der über 55-Jährigen in Arbeit






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Grotthaus
gebracht. Das sind in absoluten Zahlen 133 000 über
55-Jährige. Außerdem sind mittlerweile knapp über
200 000 der über 50-Jährigen in einem Beschäftigungs-
verhältnis. Der Anteil der über 55-Jährigen in Arbeit lag
1998 – hören Sie gut zu; vielleicht erinnern Sie sich
noch daran, dass vor 1998 nicht wir, sondern Sie an der
Regierung waren – nur bei knapp 38 Prozent. Heute liegt
dieser Anteil bei knapp 52 Prozent, Tendenz steigend.
Das ist fürwahr eine stolze Zahl.

Nun werden Sie natürlich sagen: Das ist das Verdienst
der Wirtschaft. Dazu sage ich Ihnen: Da haben Sie teil-
weise recht.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das Verdienst der Politik sicher nicht!)


Das ist aber auch ein Verdienst politischer Entscheidun-
gen. Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, Lohnzurück-
haltung bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern,
Neuaufstellungen in den Betrieben und Aufschwung in
der Weltwirtschaft sind gleichrangige Faktoren, die den
Arbeitsmarkt beeinflusst haben.

Ich sage aber sehr deutlich: Wir lassen es nicht zu,
dass Gewerkschaften und Politik für Arbeitsplatzver-
luste und ausschließlich die Unternehmer für den Zu-
wachs an Arbeitsplätzen verantwortlich gemacht wer-
den. Es ist nicht so, dass die einen für das Negative und
die anderen für das Positive zuständig sind.


(Beifall bei der SPD)


Hierüber sollten auch die Wirtschaftsweisen nachden-
ken, die behaupten, dass die Reformen am Arbeitsmarkt
mit dem Aufschwung nichts – wenn überhaupt, dann nur
marginal – zu tun haben, gleichzeitig aber fordern, die
Reformen nicht zurückzunehmen. Da frage ich mich:
Was denn jetzt? Wenn diese Reformen mit dem Auf-
schwung nichts zu tun haben, dann können wir sie auch
zurücknehmen.


(Beifall der Abg. Kornelia Möller [DIE LINKE])


Wir nehmen sie aber nicht zurück, weil uns sonst die
verkehrte Seite applaudiert.

Die von mir gerade genannten Arbeitsmarktzahlen
sind gut, aber nicht ausreichend. Wir müssen noch mehr
Menschen in Arbeit bringen. Wir müssen die Beschäfti-
gungschancen der Älteren weiter verbessern. Ja, Herr
Rohde und Kollegen von den Linken, darüber besteht im
Hause Einigkeit.


(Jörg Rohde [FDP]: Nur nicht über den Weg!)


Wie sieht der Weg aus, den wir im Gegensatz zu Ih-
nen gehen wollen? Die FDP hat zur heutigen Beratung
einen Antrag eingebracht. Schaut man sich diesen An-
trag an, stellt man fest, dass die FDP glaubt, durch die
Aufgabe von Arbeitnehmerrechten erhöhe sich die
Quote der Älteren im Berufsleben.

Sie wollen den Verzicht auf das Instrument der Allge-
meinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, auch auf
Mindestlohnvorschriften soll verzichtet werden. Herr
Rohde, was möchten Sie, was möchte Ihre Fraktion denn
überhaupt?


(Jörg Rohde [FDP]: Wettbewerb!)


– Wettbewerb. Das heißt aber auch, dass wir nur bei Sit-
tenwidrigkeit von Löhnen eingreifen können. Wissen
Sie, was Sittenwidrigkeit in diesem Land heißt? Wir ha-
ben Tarifverträge mit Stundenlöhnen von 3,50 Euro. Wir
können natürlich lange darüber diskutieren, warum Ta-
rifvertragsparteien so etwas beschließen; dazu bin ich
gern bereit. Sittenwidrig ist ein Lohn, wenn er
30 Prozent unter dem Tariflohn liegt.


(Beifall bei der SPD)


Sie sind bereit, zu entscheiden, dass ein Mensch in die-
sem Lande mit 2,45 Euro für eine Stunde Arbeit nach
Hause geht.


(Jörg Tauss [SPD]: Pfui! – Jörg Rohde [FDP]: Sie möchten, dass die Menschen lieber zu Hause bleiben!)


Sie sagen, dass Sie über Mindestlöhne überhaupt nicht
diskutieren wollen. Dazu sage ich: Nein, nicht mit uns!


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU])


Im Kündigungsschutzgesetz soll es ein Optionsmo-
dell geben, eine Abfindungsregelung statt Kündigungs-
schutz. Sie waren ja einmal Betriebsrat.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das zeigt doch nur, dass der Mann weiß, wovon er spricht!)


Eigentlich müssten Sie wissen, wie Arbeitgeber mit
Menschen umgehen, die sie aus dem Betrieb ausgliedern
wollen. Die Aufgabe des Kündigungsschutzgesetzes ist
eine allgemein bekannte Forderung von Ihnen.

Dies sind nur einige wenige Punkte aus Ihrem Antrag,
bei denen bereits erkennbar wird, nach welchem Motto
gehandelt werden soll: Ihr Arbeitnehmer verzichtet auf
eure Rechte und eine gerechte Entlohnung, und die Ar-
beitgeber schauen dann, zu welchen Konditionen sie
euch einstellen. Für mich ist dies schon fast menschen-
verachtend. In Ihrem Antrag findet sich kein Wort da-
rüber, dass humane Arbeitsplätze auch eine längere Ver-
weildauer von Menschen im Beruf bewirken können und
dass Aus- und Weiterbildung notwendig sind, um ältere
Kolleginnen und Kollegen für den Job fit zu halten.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Es findet sich auch kein Wort über faire Löhne. Stattdes-
sen zielt die FDP darauf ab, noch mehr Abhängigkeit für
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schaffen.

Das ist nicht überraschend, so kennen wir Sie. Aber
wir werden es Ihnen auch diesmal nicht durchgehen las-
sen. Um ältere Menschen fit für den Job zu halten, brau-
chen wir eine altersgerechte Arbeitsplatzgestaltung und
eine Gesundheitsförderung in den Betrieben.


(Uwe Barth [FDP]: Dann stimmen Sie doch dem Antrag der Linken zu!)







(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Grotthaus
Wir brauchen intelligente Schichtpläne und Personal-
strukturen, die sich an der demografischen Entwicklung
orientieren. Wir müssen qualifizieren und weiterbilden,
und wir brauchen flexible Übergänge in den Ruhestand.
Wir brauchen ein ganzes Bündel von Maßnahmen, um
einerseits die Produktivität und Erfahrung Älterer noch
weiter nutzen zu können und andererseits ihnen glei-
tende Übergänge aus dem Berufsleben in den Ruhestand
zu ermöglichen.

Wir dürfen die Arbeitnehmer aber nicht in die freie
Wildbahn entlassen, in der sie dann keine Rechte mehr
haben.


(Uwe Barth [FDP]: Dieser Satz wird doch nicht dadurch besser, dass er immer wiederholt wird!)


Von den Maßnahmen, die noch vor uns liegen, werden
nicht nur die Arbeitnehmer profitieren, sondern auch die
Unternehmen, so wie sie es bei den bisherigen Maßnah-
men auch schon getan haben.

Da mir die Zeit wegläuft, will ich die Maßnahmen
nicht im Einzelnen aufzählen. Aber Sie kennen die Ini-
tiative „50 plus“, Sie kennen die zusätzliche Maßnahme,
mit der wir ältere Menschen mit Vermittlungshindernis-
sen in einen Job bringen, und Sie kennen auch die kom-
munale Job-Perspektive, mit der wir uns ausschließlich
für die Menschen über 50 Jahren einsetzen. Ich habe Ih-
nen gerade Zahlen genannt. Diese Zahlen beweisen, dass
diese Maßnahmen greifen und wir für die älteren Kolle-
ginnen und Kollegen tatsächlich etwas getan haben.

Zudem hat die SPD mit ihrem auf dem Parteitag be-
schlossenen Antrag „Gute Arbeit“ ein Konzept vorge-
legt, das das Potenzial Älterer noch besser zu nutzen
hilft. Bei allem, was diese Regierung – insbesondere
auch unsere Fraktion – gemacht hat, geht es darum, die
Beschäftigungsquote Älterer noch weiter zu erhöhen,
das zu frühe Ausscheiden aus dem Berufsleben zu redu-
zieren, die Integration älterer Menschen, die arbeitslos
sind, in den Arbeitsmarkt zu verbessern sowie die Betei-
ligung Älterer an der beruflichen Weiterbildung im
Sinne präventiver Arbeitsmarktpolitik zu erhöhen.

„Fördern und Fordern.“ Diese Aussage galt und gilt
immer noch bei der Umsetzung von Maßnahmen am Ar-
beitsmarkt. Nicht darin enthalten – das sage ich in Rich-
tung der FDP – ist die Reduzierung von Arbeitnehmer-
rechten, und deshalb ist es auch nachvollziehbar, dass
wir Ihren Antrag ablehnen.

Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zu dem An-
trag der Linken. Das sind alte Forderungen, die wir
schon im Rahmen der Beratung vorheriger Anträge ab-
gelehnt haben, garniert mit Forderungen, die wir in unse-
rem Antrag „Gute Arbeit“ vor zehn Tagen auf unserem
Parteitag verabschiedet haben. Aufgrund dieser Tatsache
werden wir Ihrem neuen Antrag, den Sie hier zusam-
mengewürfelt haben, nicht zustimmen können.

Mir scheint, als glaubten Sie, Sie hätten das Urheber-
recht auf bestimmte Forderungen. Dadurch lassen wir
uns aber nicht beeinflussen. Die Bundesregierung und
die SPD werden diesen Weg gemeinsam gehen.
Dieser Weg heißt: keine Einschränkung von Arbeit-
nehmerrechten, Schaffung von mehr Arbeitsplätzen,
nicht nur für die Älteren, sondern auch für die Jüngeren.
Damit sind wir auf dem richtigen Weg. Den werden wir
weiterverfolgen.


(Beifall bei der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1612310100

Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Brigitte

Pothmer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612310200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In bei-

den Anträgen wird vorgegeben, die Beschäftigungschan-
cen Älterer verbessern zu wollen. Gegen dieses Ziel
kann man nichts haben – das wollen wir alle –, aber da
hört die Einigkeit auch schon auf. Wenn man sich an-
schaut, mit welchen Mitteln und Instrumenten das je-
weils erreicht werden soll, stellt man fest, dass die Sprei-
zung da doch sehr groß ist.

Die FDP setzt in uns allen bekannter Manier darauf,
die Arbeitnehmerrechte zu reduzieren. Ihr Augenmerk
richtet sich immer und immer wieder neu darauf, vor al-
len Dingen den Kündigungsschutz zurückzunehmen.


(Uwe Barth [FDP]: Meine Güte, Arbeitnehmerrechte! Wir brauchen erst mal Arbeitnehmer, bevor wir Rechte machen können!)


Da sind Sie einfach unbelehrbar. Wir wissen aus vielen
Studien, dass der Kündigungsschutz einen viel geringe-
ren Einfluss auf die Bereitschaft von Unternehmen hat,
Einstellungen vorzunehmen, als Sie hier ideologisch be-
gründet immer wieder behaupten.

Aber auch die Vorstellungen der Linken werden nicht
dazu führen, dass diejenigen, die geringere Chancen am
Arbeitsmarkt haben, schneller wieder in Arbeit kommen.
Ihre Vorschläge sind zu sehr darauf ausgerichtet, den Ar-
beitsmarkt erneut zuzubetonieren.

Derzeit ist es so – das ist ein Fakt –: Ältere haben
überdurchschnittlich vom konjunkturellen Aufschwung
profitiert. Das sollten auch wir als Opposition einfach
einmal erfreut zur Kenntnis nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Aber Fakt ist auch, dass die Arbeitslosigkeit bei Älteren
in Deutschland immer noch deutlich höher ist als in je-
dem anderen europäischen Land. Das ist ein Hinweis
darauf, dass der Jugendwahn noch nicht beseitigt wor-
den ist, dass es also überhaupt keinen Grund gibt, die
Hände in den Schoß zu legen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Grotthaus, es ist leider so, dass die Programme
aus dem Hause Müntefering, die unter der Überschrift
„50 plus“ firmieren, so gut wie überhaupt keine Wirkung
gezeigt haben.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Eben!)







(A) (C)



(B) (D)


Brigitte Pothmer
Ich will Ihnen das einmal an dem Programm „WeGebAU“
erläutern. 200 Millionen Euro sind für das Programm in
den Haushalt eingestellt worden. Jetzt, im November,
sind noch nicht einmal 10 Prozent dieser Mittel in An-
spruch genommen worden. Dieses Programm ist ein La-
denhüter.

Dass wir besondere Probleme haben, Ältere in den
Arbeitsmarkt zu bekommen, hat ganz häufig damit zu
tun, dass diese zugleich schlecht qualifiziert sind. Des-
wegen müssen wir die Konzentration darauf richten, um-
fängliche Qualifizierungsprogramme zu etablieren. Man
muss einfach einmal zur Kenntnis nehmen, dass nur
5 Prozent aller Betriebe, die überhaupt Ältere einstellen,
diese an Fortbildungsmaßnahmen beteiligen.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unglaublich!)


Diese Betriebe sind immer noch von demografischer
Blindheit geschlagen, und da wäre Erleuchtung dringend
notwendig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit anderen Worten: Die Älteren profitieren. Aber sie
profitieren vom Aufschwung und nicht von den arbeits-
marktpolitischen Programmen dieser Regierung.


(Jörg Tauss [SPD]: Ach, nee!)


Wenn sich der Aufschwung, so wie sich das jetzt schon
andeutet, wieder abschwächt, dann wird die Arbeitslo-
sigkeit bei Älteren zunehmen, und wir werden speziell
bei dieser Gruppe eine verfestigte Arbeitslosigkeit ha-
ben. Da muss man einfach einmal sagen – ich wende
mich an beide Koalitionsfraktionen –: Das Signal der
Verlängerung der Bezugsdauer des ALG I für Ältere ist
genau das Falsche.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Damit verbessern Sie die Jobchancen für diese Gruppe
nun wahrlich nicht, ganz im Gegenteil!

Dieser Plan wird noch damit kombiniert, dass wir
jetzt wieder über erleichterte Frühverrentungsregelungen
reden. Das ist haargenau die Politik der 90er-Jahre, die
dazu geführt hat, dass wir in Deutschland als Alleinstel-
lungsmerkmal eine Beschäftigungsquote von älteren Ar-
beitnehmern von nur 37 Prozent hatten. Wir sind jetzt
bei 52 Prozent. Den eingeschlagenen Weg zu verlassen,
ist nicht nur falsch, sondern in jeder Hinsicht absurd.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Darum geht es Ihnen auch nicht.

In dem Zusammenhang wende ich mich einmal an
meine Freunde von den Sozialdemokraten.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Freunde kann man sich aussuchen, Verwandte nicht!)


Sie – das ist das, was mich so wahnsinnig ärgert – rich-
ten den Blick im Grunde auf die untere Mittelschicht, in
der viele die Möglichkeit hatten, sich im Arbeitsmarkt
lange Erwerbsbiografien zu verschaffen. Sie begreifen
sich als Schutzmacht dieser Gruppe. Aber die soge-
nannte Unterschicht, in der viele nicht in der Lage wa-
ren, längere Zeit durchgängig erwerbstätig zu sein, wird
deutlich schlechter behandelt. Wissen Sie, was Sie damit
tun?


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1612310300

Frau Kollegin, Sie müssen auf Ihre Redezeit achten,

bitte.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612310400

Ich komme zum Schluss. – Damit unterstützen Sie

eine vorhandene Sehnsucht, die es in der Bevölkerung
gibt, nämlich die eigene Identität vor allen Dingen durch
eins herzustellen: durch Unterscheidbarkeit und Abgren-
zung. Dieser Wunsch nach Unterscheidbarkeit ist mit-
verantwortlich dafür, dass wir in der Gesellschaft eine so
tiefe Spaltung haben.

Ich hätte gern noch etwas zu der 58er-Regelung ge-
sagt.


(Zurufe von der CDU/CSU: Nein!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1612310500

Das geht leider nicht mehr, Frau Kollegin.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612310600

Das geht jetzt leider nicht. Wir werden über die Frage

sicher weiter diskutieren.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Davon bin ich absolut überzeugt!)


Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1612310700

Damit sind wir am Ende der Aussprache zu diesem

Tagesordnungspunkt.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/6644 und 16/6929 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b
auf:

a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Erster Fortschrittsbericht zur Hightechstrate-
gie für Deutschland

– Drucksache 16/6900 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für. Kultur und Medien






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Johann-
Henrich Krummacher, Ilse Aigner, Dorothee
Bär, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Jörg
Tauss, René Röspel, Dr. Ernst Dieter
Rossmann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD

IKT 2020: gezielte Forschungsförderung für
zukunftsträchtige Innovationen und Wachs-
tumsfelder im Bereich der Informations-
und Kommunikationstechnologien (IKT)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz

(Herborn), Grietje Bettin, Ekin Deligöz, weite-

rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Innovationsfähigkeit stärken durch Bil-
dungs- und Forschungsoffensive

– Drucksachen 16/5900, 16/5899, 16/6923 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Johann-Henrich Krummacher
René Röspel
Cornelia Pieper
Dr. Petra Sitte
Priska Hinz (Herborn)



(Unruhe bei der FDP)


Bevor wir zur Aussprache zu diesem Tagesordnungs-
punkt kommen, darf ich die Kolleginnen und Kollegen
auf der rechten Seite von mir bitten, die Diskussionen
hier im Saal einzustellen, damit wir den weiteren Bera-
tungen folgen können. – Ich bedanke mich.


(Uwe Barth [FDP]: Entschuldigung, Frau Präsidentin!)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre dazu kei-
nen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin nun für die Bundesregierung der Frau Bundesmi-
nisterin Dr. Annette Schavan das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
dung und Forschung:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Sommer
des vergangenen Jahres haben wir die Hightechstrategie
für Deutschland verabschiedet. Nach einem Jahr ist in
dieser Woche bei einem Innovationskongress in Berlin
Bilanz über die Startphase gezogen worden. Dabei über-
wiegen drei Feststellungen: Erstens. Die Innovationsbe-
dingungen in Deutschland haben sich deutlich verbes-
sert. Zweitens. Die Unternehmen investieren mehr in
Forschung und Entwicklung. Drittens. Es entstehen neue
hochqualifizierte Arbeitsplätze in innovativen Unterneh-
men in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Mit diesen drei Feststellungen ist im Grunde be-
schrieben, was unsere Intention war, wobei völlig klar ist
– auch dessen sollten wir uns bewusst sein –: Dass schon
nach einem Jahr so deutliche Entwicklungen zu ver-
zeichnen sind, hat natürlich auch mit der guten Konjunk-
tur in Deutschland und den damit verbundenen Möglich-
keiten der Unternehmen, mehr Arbeitsplätze zu schaffen
und deutlich mehr zu investieren, zu tun.

Das Wachstum der F-und-E-Investitionen hat sich – um
es auch in Zahlen auszudrücken – von 2006 auf 2007
deutlich beschleunigt, und zwar, so die Studie des Zen-
trums für Europäische Wirtschaftsforschung, um 7,5 Pro-
zent. 37 Prozent der Unternehmen sagen, dass für sie
Forschung und Entwicklung heute deutlich wichtiger
sind als noch vor einem Jahr. Sie spüren den globalen
Wettbewerb. Mehr als 40 Prozent der befragten Unter-
nehmen beschäftigen heute mehr Mitarbeiter in For-
schung und Entwicklung.


(Ilse Aigner [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Wer sich den Business-Monitor, die Befragung von
812 Managern in Deutschland, vor Augen führt, stellt
fest, dass im Unterschied zu der Befragung vor etwa drei
Jahren – die letzte Befragung war im Februar 2004 –, bei
der nur 40 Prozent gesagt haben, es gebe ein eher gutes
Klima für Innovationen, heute 83 Prozent der befragten
Manager sagen, die Innovationsbedingungen in
Deutschland hätten sich deutlich verbessert. Damit ha-
ben wir stimmungsmäßig das erreicht, was wir mit der
Hightechstrategie für Deutschland intendieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Damit ist zugleich eine Priorität in der Arbeit der
Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen Stück
um Stück konkreter geworden. Denn es gibt – auch das
ist uns klar; das gilt heute und vor allen Dingen auch mit
Blick auf die Zukunft – einen engen Zusammenhang
zwischen der Dynamik in der Wirtschaft, die nicht nur
eine Episode ist, sondern über längere Zeiträume zu hal-
ten ist, künftigem Wohlstand und heute notwendigen In-
vestitionen in Forschung und Entwicklung sowie Bil-
dung und Ausbildung. Deshalb ist es im Kontext der
Haushaltsberatungen übrigens ein wichtiges Signal an
die Öffentlichkeit und die Unternehmen in Deutschland,
dass wir über die bereits festgelegten Investitionen von
6 Milliarden Euro hinaus weitere Investitionen im Bun-
deshaushalt vorsehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das erste Grundprinzip der Hightechstrategie war und
ist vor allem der Aufbau strategischer Partnerschaften.
Hier gilt der Satz, der immer wieder formuliert wird:
Wissenschaft und Wirtschaft sind natürliche Partner in
der Innovationspolitik. Allein die Innovationsallianzen,
die im ersten Jahr zustande gekommen sind, konnten In-
vestitionen der Unternehmen für F und E in Höhe von
3 Milliarden Euro mobilisieren. Wenn man die Investi-
tionen der öffentlichen Hand zu den Investitionen der






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Dr. Annette Schavan
Unternehmen im Kontext der Innovationsallianzen ins
Verhältnis setzt, stellt man fest, dass wir nicht nur von
einem Verhältnis von 1 : 2 auszugehen haben. Vielmehr
sind faktisch im ersten Jahr bei allen Innovationsallian-
zen auf 1 Euro der öffentlichen Hand 5 Euro der Unter-
nehmen gekommen. Dies ist eine sehr gute Bilanz für
das erste Jahr.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Zweitens. Wir haben von vornherein gesagt: Wir wol-
len nicht nur neue Innovationsallianzen zustande brin-
gen. Wir wollen auch neue Instrumente schaffen, um
dort, wo es noch hakt, wo das Innovationspotenzial nicht
ausgeschöpft wird – das bezieht sich vor allem auf kleine
und mittelständische Unternehmen –, Anreize zu schaf-
fen. Dazu gehört die Einführung der Forschungsprämie
und jetzt auch die der Forschungsprämie II, die der öf-
fentlichen und gemeinnützigen Forschung einen echten
Anreiz gibt, die Zusammenarbeit mit kleinen und mittel-
ständischen Unternehmen zu verstärken.

Drittens, die Förderinitiative KMU-innovativ, die den
Unternehmen einen einfacheren und schnelleren Zugang
zur Forschungsförderung eröffnet; Sie kennen die ent-
sprechenden Klagen aus Ihren Begegnungen mit mittel-
ständischen Unternehmen. Das Wirtschaftsministerium
und wir haben gemeinsam – schwerpunktmäßig aber das
Wirtschaftsministerium – einen, wie ich finde, guten
neuen Ansatz zur Bündelung der Kräfte und besseren
Präsentation der Fördermöglichkeiten, die vorhanden
sind, gefunden.

Viertens, Spitzenclusterwettbewerb, bei dem die leis-
tungsfähigsten Cluster Deutschlands ausgesucht und de-
ren Weg in die internationale Spitzengruppe begleitet
wird. Das, was ich aus der ersten Zeit nach der Aus-
schreibung gehört habe, zeigt: Der Spitzenclusterwettbe-
werb wird eine ähnlich mobilisierende Wirkung entfal-
ten wie die Exzellenzinitiative.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Der Hightechgründerfonds wird ausgebaut und das
Programm EXIST des Wirtschaftsministeriums erwei-
tert. Die Haushaltsmittel für die Förderung des innovati-
ven Mittelstandes werden bis 2009 auf 670 Millionen
Euro aufgestockt.

Das ist die Bilanz – wohlgemerkt – der Startphase.
Jetzt ist es wichtig, dass wir nach dem Start dafür Sorge
tragen, dass das, was bei der Mobilisierung von Finanz-
investitionen sowie bei F und E und den Innovationsal-
lianzen erreicht worden ist, kontinuierlich fortgesetzt
wird. Der Zug ist auf der Schiene. Er gewinnt an Fahrt.
Unsere Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass die Fahrt be-
schleunigt wird; denn vor uns steht das Jahr 2010, in
dem wir das 3-Prozent-Ziel erreichen wollen. Wir wer-
den nach Abschluss der Haushaltsberatungen mit dem
Finanzvolumen, das im Haushalt für 2008 vorgesehen
ist, für F und E einen Anteil am Bruttoinlandsprodukt
von 2,7 Prozent erreichen. Damit sind wir europaweit in
der Spitzengruppe. Auch das ist ein wichtiges Signal im
Kontext der Europäischen Union. Denn das, was für
Deutschland gilt, gilt in gleichem Maße auch für Europa:
mehr Attraktivität am Forschungsstandort Europa.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Was sind wichtige nächste Schritte? Nach dem ersten
Schritt, der die Finanzen betrifft, und dem zweiten
Schritt, der die Konzepte betrifft – beide müssen stim-
men –, müssen wir uns im dritten und gleichberechtigten
Schritt um den Fachkräftebedarf kümmern. Darüber ist
in diesem Hohen Hause bereits diskutiert worden. Wir
haben in Meseberg, wie ich finde, wichtige Beschlüsse
hierzu getroffen. Wir brauchen ein Konzept für die Zu-
wanderung hochqualifizierter Fachkräfte. Die demogra-
fische Entwicklung in Deutschland macht das notwen-
dig.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Chance haben Sie jetzt gehabt!)


Das muss immer mit der Qualifizierung all derer verbun-
den werden, die hier in Deutschland leben. Denn nie-
mand in Deutschland versteht Zuwanderung, wenn nicht
klar ist, dass jeder Jugendliche in Deutschland eine
Chance hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Diesen Zusammenhang müssen wir sehen. Wer im-
mer nur auf einem Bein steht, wird feststellen, dass das
ein bisschen unbequem ist.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie stehen zurzeit auf keinem; das ist das Problem!)


Beides ist notwendig: Qualifizierung aller und attraktiv
werden für Talente aus aller Welt.

Als Weiteres werden wir uns in der zweiten Hälfte
dieser Legislaturperiode über die Frage Gedanken ma-
chen müssen – die vier betroffenen Häuser der Bundes-
regierung sind auf Arbeitsebene darüber im Gespräch –:
Wie geht es nach 2010 weiter?

Neben der institutionellen Forschungsförderung und
neben der Projektförderung werden wir uns aufbauend
auf der Forschungsprämie auch über die Frage weiterer
Anreize Gedanken machen müssen, damit der Satz
„Steuerpolitik ist Innovationspolitik“ eine klare Konkre-
tisierung erfährt.

Schließlich: Wir werden im Zusammenhang mit der
Qualifizierungsinitiative die notwendigen Voraussetzun-
gen etwa mit Blick auf technische Bildung, mit Blick auf
einen höheren Anteil Studierender, mit Blick auf mehr
Interesse für Naturwissenschaft und Technikwissen-
schaft oder mit Blick auf mehr Durchlässigkeit im Bil-
dungssystem schaffen und die nächsten Monate nutzen,
um mit den Ländern und den Sozialpartnern gemeinsam
neue Maßnahmen zu entwickeln, die bei einem Qualifi-
zierungsgipfel bei der Bundeskanzlerin im Herbst 2008
verabschiedet werden.

Hightechstrategie steht also nicht isoliert da, sondern
sie steht im Kontext dessen, was wir an Weiterentwick-
lung, Modernisierung und Internationalisierung von Bil-
dung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung in
Deutschland leisten.

Vielen Dank.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Dr. Annette Schavan

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1612310800

Nun hat die Kollegin Cornelia Pieper für die FDP-

Fraktion das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1612310900

Danke, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Leitmärkte für die Zukunft definieren – diesem hohen
Anspruch fühlt sich die Hightechstrategie verpflichtet.
Aber, Frau Ministerin, wir dürfen uns dabei nicht verzet-
teln. Wir als Liberale haben immer gesagt: Deutschland
muss auch den Anspruch haben, die Technologieführer-
schaft in wichtigen Forschungsfeldern zu übernehmen.
Das sind für uns unter anderem die Bereiche Energie,
Klimaforschung und Gesundheitsforschung.


(Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Das haben Sie gesagt! Aber Liberale gibt es ja nicht mehr!)


Deutschland darf nicht den Fehler machen, nach dem
Prinzip „viel hilft viel“ vorzugehen, lieber Herr Tauss.
Wir können in der Tat auf hervorragende Leistungen aus
Forschung und Entwicklung verweisen. Wir verfügen
über ein reich gefülltes Portfolio an Patenten.


(Jörg Tauss [SPD]: Nur keine Liberalen mehr!)


Ich stelle mir aber immer wieder auch die Frage, ob
Sie den richtigen Nährboden schaffen, auf dem For-
schungsergebnisse und Patente zu wirklichen Innovatio-
nen der Wirtschaft werden. Da habe ich meine Zweifel.


(Beifall bei der FDP)


Sie alle kennen ein prominentes Beispiel: Der Wert
der Entdeckung des diesjährigen Nobelpreisträgers für
Physik, Peter Grünberg, wurde von der deutschen Wirt-
schaft nicht erkannt. Es war IBM, die sich für die Ent-
wicklung und den Bau leistungsfähiger Festplatten in
den USA eingesetzt hat und diese auch nutzte.

In der „Forschungsunion Wirtschaft – Wissenschaft“
denken führende Vertreter aus Politik, Wissenschaft und
Wirtschaft darüber nach, wie neue Ideen schnell und un-
kompliziert in innovative Produkte umgesetzt werden
können. Ihre Aufgabe ist es, Innovationshemmnisse zu
identifizieren und zu beseitigen.

Aber wo stehen wir heute, nach einem Jahr Hightech-
strategie? Die Energietechnologien leiden nach wie vor
unter Forschungsverboten in der Kernenergie-, der Si-
cherheits- und der Endlagerforschung. Doch ohne die
Kernenergie werden wir unsere ambitionierten Ziele
beim Klimaschutz nicht erreichen, Frau Ministerin.


(Beifall bei der FDP)


Über dem Zukunftsfeld „Pflanzen“ liegt der Schleier des
Gentechnikgesetzes. Der Deutsche Bundestag will heute
Nacht, zwischen 4 und 5 Uhr, also morgen früh, über die
von der Bundesregierung vorgelegte Novelle zum Gen-
technikgesetz beraten. Man hat ein bisschen das Gefühl,
dass Sie das verstecken wollen. Herr Seehofer hat
schließlich schon einmal ein weiter gehendes Eckpunk-
tepapier vorgelegt, nach dem Freilandversuche zugelas-
sen und keine zusätzlich Barrieren geschaffen werden
sollten. Eine Forschung ohne Bewährung auf dem Acker
ist nicht innovationsfreundlich, sondern innovations-
hemmend. Das ist die Politik der Bundesregierung.


(Beifall bei der FDP)


Beim „Innovationsfrühstück“ des Verbandes der Che-
mischen Industrie sind wir bewusst darauf aufmerksam
gemacht worden, dass das Gentechnikgesetz der Bun-
desregierung dazu führen wird, dass sich die Industrie
andere Standorte suchen und nicht den Forschungsstand-
ort Deutschland vorziehen wird. Das dürfen wir nicht
wollen. Frau Ministerin, Sie müssen aufpassen, dass Sie
nicht vom Prinzip der Forschungsfreiheit, welches zu
Recht im Grundgesetz verankert ist, abweichen. Als
Liberale fühlen wir uns diesem Recht verpflichtet. Wir
müssen zwar, zum Beispiel im Zusammenhang mit der
Stammzellenforschung, ethische Debatten führen, Sie
müssen aber aufpassen, dass Sie nicht vom Pfad „Frei-
heit in der Forschung“ abweichen; denn sonst würde aus
Ihrer Hightechstrategie sehr schnell eine Lowtechstrate-
gie, Frau Ministerin.


(Beifall bei der FDP)


Ich glaube, dass Ihr französischer Ministerkollege auf
dem Innovationskongress mit Recht die Worte Napole-
ons zitierte: Es reicht nicht aus, eine gute Strategie zu
haben; man muss auch wissen, wie man sie umsetzt. Die
Umsetzung werden wir weiterhin kritisch beäugen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Napoleon ist der richtige Kronzeuge!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1612311000

Nun hat das Wort der Kollege René Röspel für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1612311100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir haben uns heute hier versammelt, um das
erste Jahr Hightechstrategie gemeinsam zu betrachten.
Das Ziel der Hightechstrategie ist es, Wirtschaft und
Wissenschaft in gemeinsamen Projekten und Koopera-
tionen zu vernetzen, weiter voranzubringen und vor allen
Dingen neue Leitmärkte zu erschließen und zu identifi-
zieren; denn das braucht Deutschland als Hightechstand-
ort in der Welt.


(Beifall bei der SPD)


Deutschland steht als Exportweltmeister gut da. Die-
ser Erfolg wird aber von relativ wenigen Branchen getra-
gen. Der Vizepräsident des Stifterverbandes für die
Deutsche Wissenschaft hat das im Februar 2007 einmal
so ausgedrückt:

Der FuE-Standort Deutschland






(A) (C)



(B) (D)


René Röspel
– also der Forschungs- und Entwicklungsstandort
Deutschland –

steht und fällt mit der Entwicklung im Kraftfahr-
zeugbau, der gut ein Drittel der FuE-Aufwendun-
gen bestreitet.

Jeder dritte Forschungseuro wird im Kfz-Bereich ausge-
geben. Jeder vierte Forscher arbeitet im Automobilbe-
reich.

Dieser Erfolg kann zur Falle werden. Ein Fuhrunter-
nehmer, der ein starkes Zugpferd hat, auf das er seinen
Erfolg gründen kann, bekommt ein Problem, wenn die-
ses Pferd ausfällt, kränkelt, schwächelt oder gar nicht
mehr existent ist. Es kann seine Existenz kosten, wenn er
nicht rechtzeitig für Nachwuchs bzw. Ersatz gesorgt hat.

Deshalb ist es wichtig, über die Hightechstrategie
neue Innovationsbereiche zu identifizieren, in denen wir
neue Technologien entwickeln und damit auch sichere
neue Arbeitsplätze in Deutschland schaffen können.
Deshalb ist die Hightechstrategie ein guter Schritt in die
richtige Richtung. Im vorliegenden Fortschrittsbericht
wird eine ganze Menge von Projekten genannt, die be-
reits begonnen haben und positiv bewertet werden kön-
nen.

Als Beispiel möchte ich die Umwelttechnik nennen.
Frau Pieper, Sie haben gerade zu Recht gesagt, dass die
Liberalen immer gefordert haben, dass Deutschland auf
diesem Gebiet Technologieführer werden muss. Sie ha-
ben das nur nie realisiert. Wir haben es gemacht, als wir
1998 zusammen mit den Grünen an die Regierung ge-
kommen sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In der neuen Koalition setzen wir das jetzt fort.

Der Bereich der Umwelttechnik ist ein klassisches
Beispiel dafür, dass Deutschland im Bereich Sonne und
Wind mittlerweile an der Weltspitze steht und da ver-
nünftige Möglichkeiten des Ausbaus hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


420 Millionen Euro werden wir bis 2009 in diesem Be-
reich investieren, um neue Technologien weiter zu heben
und sie zu fördern, damit sie auf dem Weltmarkt beste-
hen können.


(Beifall bei der SPD)


Immerhin sind wir Umwelttechnologieexporteur Num-
mer eins.

Frau Schavan schreibt im Fortschrittsbericht richtig,
dass Ökotechnik mittlerweile zum Jobmotor entwickelt
worden ist. Das gilt für viele Bereiche; man kann zum
Beispiel die Gesundheitsforschung und Medizintechnik
nennen. Das ist eines der 17 Innovationsfelder, die si-
cherlich und hoffentlich jeden von uns bezüglich neuer
Technologien, die wir nutzen können, betreffen werden.
Im Bereich der optischen Technologien, Mikrosystem-
technologien und Werkstofftechnologien werden neue
Materialien für das Exportland Deutschland entwickelt.
Wenn wir diese Technologien weiterentwickeln, werden
wir am Ende sehen, dass wir nicht nur den Export stär-
ken, sondern auch eine positive Bilanz für Umwelt und
Klima und am Ende für die Arbeitsplätze im Inland zie-
hen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Bei allem Lob gibt es aber auch Kritik. Wir werden
die Hightechstrategie in einigen Bereichen kritisch wei-
ter begleiten. Das betrifft das Innovationsfeld Sicher-
heitsforschung. Auf Seite 42 im Bericht steht – ich darf
zitieren –:

Ziel der Sicherheitsforschung ist es, die Freiheit der
Bürger zu schützen.


(Ilse Aigner [CDU/CSU]: Genau!)


Das ist falsch formuliert. Es weckt auch eine falsche
Hoffnung. Ich glaube, es wäre besser wie folgt formu-
liert: Ziel der Sicherheitsforschung muss sein, die Si-
cherheit der Bürger zu gewährleisten und weiterzuent-
wickeln, und zwar ohne Freiheitsrechte der Bürger
abzubauen oder einzuschränken.


(Beifall bei der SPD)


Dass es ein wichtiges Spannungsfeld ist, haben wir
vor zwei oder drei Wochen als SPD-Fraktion auf einer
Konferenz zur Sicherheitsforschung feststellen können.
Dort haben wir uns den Fragen gewidmet: Wie kann
man eigentlich Sicherheit für die Bevölkerung feststellen
und sicherstellen? Wo liegen die tatsächlichen Bedro-
hungsszenarien? Die Fokussierung auf die üblichen
Punkte Terrorismus und Kriminalität ist zu kurz gegrif-
fen. Der Sicherheitsbegriff und die Bedrohungspoten-
ziale müssen weiter gefasst werden. Dazu gehören eben
auch Naturkatastrophen; das ist unstrittig.


(Ilse Aigner [CDU/CSU]: Das steht doch alles drin!)


Es ist klar: Wir brauchen einen breiter als bisher defi-
nierten Sicherheitsbegriff. Ich persönlich glaube, dass
– das haben wir, wenn wir es nicht schon vorher wuss-
ten, auf dieser Konferenz eindrücklich gelernt – die zu-
nehmende Verwendung biometrischer Daten im öffentli-
chen Bereich, zum Beispiel bei Personalausweisen, nicht
unbedingt mehr Sicherheit für die Gesellschaft bringt,
sondern vielleicht sogar das Gegenteil.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Das gilt es bei künftigen Entscheidungen zu berücksich-
tigen.

Ich will mich noch einem anderen Thema widmen,
über das in letzter Zeit diskutiert wird, nämlich der
Frage, wie es mit der finanziellen Förderung von For-
schung in Deutschland weitergehen soll. Klassischer-
weise fördern wir in Deutschland Institutionen oder Pro-
jekte; wir geben staatliche Gelder, um Forschung zu
finanzieren. Aber es wird zunehmend darüber diskutiert,
inwieweit man steuerliche Anreize für solche Unterneh-
men entwickeln sollte, die Forschung und Entwicklung
betreiben.

Ich glaube, es ist wichtig, neue Innovationsfelder zu
erschließen, die von der Wirtschaft ohne staatliche För-






(A) (C)



(B) (D)


René Röspel
derung nicht entwickelt worden wären. Diese Beispiele
gibt es im Umweltbereich und in vielen anderen, die sich
mittlerweile als Erfolg erwiesen haben. Wir müssen Im-
pulse geben und eine Anschubfinanzierung ermöglichen.
Wichtig ist aber auch, Mitnahmeeffekte in Bereichen zu
verhindern, die sowieso von der Wirtschaft erschlossen
werden können.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1612311200

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Dr. Wissing?


René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1612311300

Aber gerne.


Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1612311400

Kollege Röspel, Sie haben eben gefordert, steuerliche

Anreize für Unternehmen zu schaffen, die besonders viel
in Forschung investieren. Teilen Sie meine Auffassung,
die übrigens auch von der forschungsintensiven Indus-
trie in Deutschland geteilt wird, dass die Große Koali-
tion mit der Unternehmensteuerreform gerade die for-
schenden Unternehmen in besonderem Maße zusätzlich
zur Kasse bittet?


(Jörg Tauss [SPD]: Nein!)



René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1612311500

Erstens habe ich nicht gefordert, steuerliche Anreize

einzuführen, sondern gesagt, dass eine Diskussion da-
rüber ansteht.


(Lachen bei der FDP)


– Ja. – Ich will Ihnen durchaus selbstkritisch ein Beispiel
nennen. Am Montag ist im Rahmen der Hightechstrate-
gie die Innovationsallianz „Lithium Ionen Batterie LIB
2015“ gestartet worden. Sicherlich ist grundsätzlich
richtig, Energiespeicherung zu fördern. Dieser Bereich
ist hochinteressant. Es geht zum Beispiel darum, wie wir
den Strom aus Windkraftanlagen speichern. Zusammen
mit einem Industriekonsortium, dem BASF, Evonik,
Volkswagen und Bosch angehören, wird nun Forschung
hinsichtlich der Lithium-Ionen-Batterie betrieben.

Das ist ein Bereich, der schon im Markt etabliert ist
– diese Technologie finden Sie beispielsweise in Ihrem
Handy oder in Ihrem Laptop – und den die Wirtschaft
selber weiterentwickeln könnte.


(Zuruf von der FDP: Das hat nichts mit der Frage zu tun!)


– Das hat mit der Frage etwas zu tun. Schauen Sie sich
einmal die Finanzierung an! Das Industriekonsortium
wird 360 Millionen Euro beisteuern, das BMBF 60 Mil-
lionen Euro. Nun kann man sich darüber unterhalten, ob
Unternehmen, die Forschung und Entwicklung betrei-
ben, steuerlich stärker gefördert werden sollten. Diesbe-
züglich ist es hilfreich, die Bilanzen dieser Unternehmen
zu betrachten.

(Zuruf von der FDP: Sie vertreiben sie gerade! – Gegenruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]: Halt! Halt! – Ulrike Flach [FDP]: Er redet von Batterien statt von Steuern!)


– Nein, ich sage Ihnen eines ausdrücklich: BASF – eine
der Firmen, die diesem Industriekonsortium angehören –
hat 2006 einen Überschuss nach Steuern von 2 Milliar-
den Euro erwirtschaftet, und beim Volkswagen-Kon-
zern waren es nach Steuern 2,5 Milliarden Euro. Mit
Blick auf diese Zusammenhänge halte ich es für falsch,
zu fordern, diese Unternehmen auch noch steuerlich zu
entlasten.


(Beifall bei der SPD – Zurufe von der FDP)


Die Antwort auf die zweite Frage. Die Unternehmen-
steuerreform hat für viele Unternehmen Entlastungen
gebracht, und sie wird es nicht behindern, dass weiterhin
Forschung und Entwicklung betrieben werden.


(Beifall bei der SPD)


Deswegen muss man sehr kritisch sehen, in welchen
Bereichen es nutzt und in welchen Bereichen es zu Mit-
nahmeeffekten führen wird. Ich glaube, dass die Mit-
nahmeeffekte überwiegen werden. Wir wissen, dass
88 Prozent der Forschung und Entwicklung in Deutsch-
land von großen Konzernen, dass aber nur 12 Prozent
von KMU geleistet werden. Diese müsste man eigent-
lich fördern. Ob wir dies über einen steuerlichen An-
reiz für Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten errei-
chen können, bezweifle ich stark,


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


und die Erfahrungen, die Frau Flach während einer
Reise nach Kanada sammelte


(Jörg Tauss [SPD]: Spannend!)


und über die sie in der letzten Sitzungswoche sprach,
waren interessant. Denn dort stellt es sich nicht als so gut
und interessant heraus, wie Sie es uns hier gerade darzu-
stellen versuchten.

Wir sind diesbezüglich sehr offen, und es wird im
nächsten Jahr Vorschläge dazu geben. Diese werden wir
ernsthaft bewerten. Es darf jedoch nicht sein, dass Mit-
nahmeeffekte entstehen. Ziel muss es vielmehr sein, dass
Politik und Wirtschaft gemeinsam Verantwortung tra-
gen. Die Politik macht das gerade, indem sie hohe Inves-
titionen – es sind weit mehr als 6 Milliarden Euro – für
die Entwicklung neuer Technologien bereitstellt. Gerade
vor dem Hintergrund solcher Gewinnzahlen, wie ich sie
eben nannte, sind auch die Unternehmen gefordert, statt
Arbeitsplätze abzubauen, wie sie es zurzeit machen, in
mehr Personal zu investieren, Ausbildungsplätze zur
Verfügung zu stellen, mehr gute Ingenieure einzustellen
und den Anteil an F und E über mehr Einstellungen von
Menschen zu erhöhen. Dann bekommen wir nämlich
viele gute Zugpferde, die Deutschland weiter nach vorne
ziehen können.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1612311600

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin

Dr. Petra Sitte das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612311700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Profes-

sor Schellnhuber, Umweltpreisträger, Direktor des Pots-
dam-Instituts für Klimafolgenforschung und Klimabera-
ter der Kanzlerin, ist bekanntlich ein Mann klarer Worte.
Auch das 21. Jahrhundert, sagte er unlängst, werde ein
Jahrhundert der Wissenschaft. Aber die Wissenschaft
trete quasi aus der Begleitung von Dialogen heraus. Sie
müsse sich mit der Politik auf Augenhöhe treffen und
ernst genommen werden. Gemeinsam müsse man die so-
genannten Megathemen identifizieren, und dann müsse
man alle Kräfte und Ressourcen bündeln und interdiszi-
plinär an Lösungen arbeiten.

Ich denke, an diesem Anspruch muss sich auch die
Hightechstrategie der Bundesregierung messen lassen.
Immerhin geht es um Entscheidungen für Jahrzehnte.


(Beifall bei der LINKEN)


Das bedeutet: Zwischen Politik, Wirtschaft, Wissen-
schaft und Gesellschaft muss ein Netz gespannt werden.
Wie ist das Netzwerk der Hightechstrategie derzeit ge-
flochten? Sie, Frau Ministerin – das wurde schon er-
wähnt –, haben strategische Partnerschaften geknüpft.
Wichtigstes Gremium ist die Forschungsunion, deren
Mitglieder im Wesentlichen aus Wissenschaft und Wirt-
schaft kommen. Nicht ganz eindeutig lässt sich der Kol-
lege Huber von der IG Metall zuordnen.


(Jörg Tauss [SPD]: Was?)


Sie als Ministerin vertreten sozusagen die Politik. Ver-
treter der gesellschaftlichen Öffentlichkeit sucht man
hingegen vergebens, und das Parlament hatte zu keinem
Zeitpunkt eine reale Chance, Einfluss auf die Gestaltung
der Hightechstrategie zu nehmen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Maschen dieses Netzes sind also nur zwischen Wis-
senschaft und Wirtschaft eng und weiten sich zur Politik
deutlich. Zur Gesellschaft gibt es im Grunde genommen
nur eine Masche; diese Masche kann man durchaus auch
als Loch bezeichnen. Das betrachtet die Linke als gra-
vierenden Webfehler.

Wir kritisieren diesen Ansatz auch, weil durch ihn vor
allem exportfähige Technologien mit Steuergeldern in
Milliardenhöhe gepusht und kommerzialisiert werden.
Sie, Frau Ministerin, fragen nicht: Welche Innovationen
werden für die Lösung globaler Probleme wirklich benö-
tigt? Welchen Maßstab haben wir eigentlich? Unser
Maßstab sind Leitperspektiven, die sich aus der Zu-
kunftsforschung ableiten lassen.

Dazu gehören die Verbesserung der Lebensqualität, die
Sicherung von wissenschaftlichen Entwicklungen und
von Beschäftigung, die Erhaltung der natürlichen Lebens-
grundlagen und der Naturressourcen, die Sicherung von
sozialer Gerechtigkeit und von Chancengleichheit, die
Förderung der kulturellen Eigenentwicklung und der Viel-
falt von Gruppen und Lebensgemeinschaften, die Förde-
rung von menschendienlichen Technologien


(Beifall bei der LINKEN)


und die Verhinderung superriskanter Techniken und irre-
versibler Umweltzerstörungen. Diese Ziele sind in der
Hightechstrategie nur fragmentarisch zu finden.

Wir kritisieren die Hightechstrategie auch, weil sie
mit dieser Einseitigkeit zur Einengung von Forschungs-
freiheit führt,


(Jörg Tauss [SPD]: Was?)


und zwar auf eine ganz andere Weise, als bisher disku-
tiert wurde. Die Forschung wird nämlich im Wesentli-
chen auf innovative Dienstleistungen für die Wirtschaft
reduziert. Das haben die Väter des Grundgesetzes ganz
bestimmt nicht im Auge gehabt, als sie die Forschungs-
freiheit in das Grundgesetz aufgenommen haben.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Die Mütter des Grundgesetzes auch nicht!)


– Selbstverständlich, die Mütter auch nicht. Ich glaube
aber, damals war gar keine Frau dabei.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Drei Frauen waren dabei! – Jörg Tauss [SPD]: Oh doch!)


– Ach so. Hier lasse ich mich gerne belehren.

Die Linke kritisiert des Weiteren, dass Geistes-, So-
zial- und Kulturwissenschaften lediglich Akzeptanzfor-
schung zur Einführung strittiger Technologien, etwa im
Sicherheits-, Nano- oder Biotechnologiebereich, betrei-
ben sollen. Es geht aber nicht nur darum, der Gesell-
schaft zu erklären, worin diese Technologien bestehen,
sondern es geht auch darum, zu untersuchen, was sie be-
wirken. Wir haben gemeinsam zu entscheiden, ob wir
diese Technologien haben wollen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir kritisieren die Hightechstrategie auch, weil die
kleinen und mittelständischen Unternehmen, die insbe-
sondere in Ostdeutschland die eigentlichen Innovations-
treiber sind, weiterhin ein hohes Geschäftsrisiko tragen
müssen. Sie erhalten weit weniger Fördergelder als
Großkonzerne, obwohl sie weit mehr Arbeitsplätze
schaffen. Zudem wird der Zugang der kleinen und mit-
telständischen Unternehmen durch die Initiative „KMU-
innovativ“ auf nur fünf Technologiefelder begrenzt. Das
kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt möchte ich an die Ausführungen von Herrn
Röspel anknüpfen. Bei einigen Strategie- und Pro-
grammlinien fragt man sich wirklich: Wieso werfen wir
hier noch Förder- bzw. Steuergelder hinterher? Das gilt
beispielsweise für das Luftfahrtforschungsprogramm IV.
Die deutsche Luftfahrtindustrie jammert, sie habe kein
Geld zur Entwicklung emissionsarmer Triebwerke. Sie
macht aber seit Jahren Rekordgewinne. Das gleiche Bild






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Petra Sitte
zeigt sich bei der Pharmainitiative. Die Pharmabranche
ist bekanntermaßen extrem renditestark.

Die Nutznießer der Strategielinie „IKT 2020“ zur Er-
forschung neuer Informations- und Kommunika-
tionstechnologien sind letztlich Konzerne der Branchen
Automobilbau, Gesundheitstechnik, Maschinenbau und
Softwareentwicklung. Die Linke fordert, diese Strate-
gielinie so auszurichten, dass das Internet als Informa-
tions- und Wissensplattform viel mehr Menschen zu-
gänglich gemacht wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Als ich Ihren Bericht gelesen habe, ist mir an einer
Stelle fast nichts mehr eingefallen. Ich habe mich ge-
fragt: Wieso müssen wir diesen Bereich fördern? Es
wird nämlich Fördergeld in Forschungen zur Ablösung
von Ölplattformen und zur Entwicklung submariner För-
dertechnologien gesteckt. Man muss sich einmal fragen:
Haben die Ölkonzerne dieser Welt in den letzten Jahren
nicht wirklich Milliarden und Abermilliarden an Re-
kordgewinnen erzielt? Diskutieren wir nicht gerade da-
rüber, dass der Preis für Superbenzin bald auf 1,50 Euro
und der Preis für Diesel bald auf 1,40 Euro pro Liter
steigen könnte? Diesen Bereich unterstützen wir tatsäch-
lich mit öffentlichen Geldern! Wie Sie sehen, regt mich
das auf.


(Beifall bei der LINKEN)


Die erneuerbaren Energien werden hingegen mit nur
77,5 Millionen Euro gefördert; das halte ich für einen
gravierenden Fehler. Die Bundesregierung macht sich
mit Ihrer Hightechstrategie, genauso wie bei der Steuer-
politik, zur Lobbyistin der Interessen großer Unterneh-
men. Damit nicht genug, Frau Ministerin: Sie schaffen
künstlich Märkte, indem Sie Nachfrage durch öffentliche
Behörden versprechen. Das gehört bestimmt nicht zu
den Kernaufgaben des Staates. – Eigentlich müssten mir
die Liberalen jetzt zustimmen.


(Beifall bei der LINKEN)


Diese Hightechstrategie muss insgesamt einen Beitrag
zur innovativen Lösung komplexer globaler Widersprü-
che leisten. Hier schließt sich der Kreis zu Professor
Schellnhuber. Technologische Innovation, sagt er nämlich
weiter, reicht nicht – wir brauchen auch einen Mentalitäts-
wandel im Verbraucherverhalten. Das heißt, Hochtechno-
logien sind gleichberechtigt vor dem Hintergrund sozialer,
ökonomischer, ökologischer und kultureller Innovationen
zu entwickeln. Vielleicht hört ja die Kanzlerin und viel-
leicht hören auch Sie, Frau Ministerin, tatsächlich auf den
Klimaberater.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1612311800

Nun hat das Wort die Kollegin Priska Hinz für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Hightechstrategie ist überschrieben mit der Botschaft:
Ideen zünden. Da fragt man sich natürlich nach einem
Jahr: Welche Ideen haben denn gezündet? Welche In-
strumentarien waren eigentlich erfolgreich?

Da schaue ich mir als Erstes die Forschungsprämie
an. Die Forschungsprämie kann es kaum gewesen sein.
Gerade die Nachfrage der kleinen und mittleren Unter-
nehmen stockt, und diejenigen, für die die Forschungs-
prämie im Besonderen ausgerufen wurde, nämlich die
Hochschulen, partizipieren bislang unterdurchschnitt-
lich.


(Jörg Tauss [SPD]: Die schlafen aber auch noch!)


Die Fraunhofer-Gesellschaft wird 65 Prozent des Geldes
abgreifen, die Universitäten nur 22 Prozent.


(Cornelia Pieper [FDP]: So war das nicht gedacht!)


Das ist eine klassische Fehlzündung des wichtigen In-
strumentes Forschungsprämie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Zum Instrument Wagniskapital. Haben Sie da viel-
leicht etwas auf die Beine gestellt? – Herr
Dr. Riesenhuber, der dort in den hinteren Reihen sitzt,
grinst.


(Jörg Tauss [SPD]: Er lächelt! – René Röspel [SPD]: Nicht provozieren, bitte!)


– Entschuldigung: Sie lächeln. – Beim Wagniskapital ist
also auch noch nichts passiert, obwohl wir alle das gerne
wollen. Meines Wissens ist es immer noch nur der von
Rot-Grün ins Leben gerufene Hightech-Gründerfonds,
der hier hilft. Auch die Unternehmensteuerreform hat
den jungen, innovativen Unternehmen nichts gebracht.
Auch hier müssen die Ideen, die man hat, gut umgesetzt
werden; sonst bringen sie überhaupt nichts.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auf dem Mikrosystemtechnik-Kongress in Dresden,
Frau Schavan, haben Sie verkündet, dass Sie über Steu-
ervergünstigungen für mehr Forschungsinnovationen
nachdenken. Das soll vielleicht in der nächsten Wahlpe-
riode umgesetzt werden. Sie müssen aufpassen, dass Sie
nicht als Ankündigungsministerin enden. Denn auch das
3-Prozent-Ziel wird wahrscheinlich nicht erreicht, ers-
tens weil die Konjunktur so gut ist und zweitens weil
auch die Wirtschaft, wie es Herr Oetker vom Stifterver-
band für die Deutsche Wissenschaft gesagt hat, das Ziel
wohl nicht erreichen wird. Dann haben Sie ein Problem.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Nicolette Kressl [SPD]: Da ist doch die Ministerin nicht schuld!)


– Wenn die Anreize fehlen und wenn es die falschen In-
strumentarien sind, um die Wirtschaft dazu zu bringen,
zu investieren, innovativ zu sein, dann ist natürlich ein
Teil der Verantwortung bei der Ministerin; das muss man
klar und deutlich sagen.






(A) (C)



(B) (D)


Priska Hinz (Herborn)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Hightechstrategie der Bundesregierung ist zudem
noch immer vor allen Dingen auf technologische Neue-
rungen ausgerichtet.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist gelegentlich bei Hightech so, Frau Kollegin!)


In Ihrer Vorstellung von anwendungsbezogener For-
schung fehlt nach wie vor die sozial- und kulturwissen-
schaftliche Dimension. Innovation kann aber nur gelin-
gen und nur dann nachhaltig sein, wenn die potenziellen
Nutzerinnen und Nutzer einbezogen werden. Das Ver-
trauen in neue Technologien kann nur dann erhalten und
gestärkt werden, wenn es auch Risikoforschung und
Technikfolgenabschätzung gibt. Das sagen die Sozialde-
mokraten selbst: bei der Sicherheitsforschung.


(Jörg Tauss [SPD]: Ja!)


Das wissen wir auch aus dem Bereich der Nanotechnolo-
gie. Zwei Jahre zu spät haben Sie, Frau Ministerin, einen
Bericht über Veränderungsbedarf bei der Anwendung
der Nanotechnologie vorgelegt, in dem Sie Handlungs-
bedarf konstatieren. Was wollen Sie da tun? Abwarten
und vielleicht ein bisschen was klären?

Auch hier gilt: Der Staat muss bei der Forschung und
Entwicklung da investieren, wo es die Wirtschaft nicht
tut, nämlich in Risikoabschätzung und Vorsorge. Nur
dann kann die Herausforderung einer neuen Technologie
wirklich so bewältigt werden, dass sie nachhaltigen Nut-
zen für die Gesellschaft und nicht nur Geld für einige
Betriebe bringt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch bei der Klimaforschung sind Sie technologisch
ausgerichtet. Sie haben zwar die Idee der Grünen aufge-
griffen, dass hier investiert werden und man innovativ
sein muss, schauen wir uns aber einmal die Mobilitäts-
forschung an. Zu ihr müsste ja auch die Verhaltensfor-
schung gehören. Was tun Sie? – Sie beschränken sich
auf die Entwicklung intelligenter Leitsysteme für den
Autoverkehr.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist auch dringend nötig! – Jörg Tauss [SPD]: Was ist gegen intelligente Verkehrssysteme einzuwenden?)


Das ist in der heutigen Zeit doch wirklich viel zu kurz
gesprungen. Hieran erkennt man Ihre Schieflage bei der
Hightechstrategie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch bei der Pharmainitiative frage nicht nur ich
mich, ob ausgerechnet die Pharmaindustrie in Deutsch-
land so viele öffentliche Mittel braucht. Nachdem sie in
den 90er-Jahren im Ausland investiert hat, weil sie kein
Vertrauen in Deutschland hatte, soll sie jetzt einen Hau-
fen Geld bekommen. Wenn schon in Deutschland eine
Pharmainitiative greifen soll, dann müssen inhaltliche
Maßstäbe gesetzt werden. Wenn man neue Ideen fördern
will, gehört dazu vor allen Dingen der patientenorien-
tierte Ansatz, zum Beispiel die patientenorientierte For-
schung als Querschnittansatz. Hier reicht es nicht, einen
Leuchtturm in der Demenzforschung zu haben; vielmehr
muss das in der gesamten Pharma- und Medizinfor-
schung Platz finden. Das lässt sich aus der von Ihnen
vorgelegten Initiative bislang nicht herauslesen. Damit
ist das wieder eine Schieflage bei einer wichtigen Initia-
tive, die die Hightechstrategie ja sein soll.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dann haben wir noch das Riesenproblem des Fach-
kräftemangels. Durch die gerade erschienene Innova-
tionserhebung des Zentrums für Europäische Wirt-
schaftsforschung wird gezeigt: Deutsche Unternehmen
investieren inzwischen zwar mehr in Forschung und Ent-
wicklung, aber 20 Prozent der Unternehmen konnten in
den letzten Monaten Stellen im Bereich Forschung und
Entwicklung nicht besetzen. Auch in dem Bericht zur
technologischen Leistungsfähigkeit der Bundesregie-
rung wird das ausgewiesen, und in der vor Kurzem er-
schienenen OECD-Studie wird ebenfalls auf diesen dro-
henden Mangel hingewiesen.

Hier gibt es vier Bereiche, in denen die Bundesregie-
rung unmittelbar etwas tun kann: bei der Ausbildung, bei
der Weiterbildung, bei dem Ausbau von Studienkapazi-
täten und bei der Zuwanderung.

Bei der Ausbildung hat sich die Ministerin auch nach
zwei Jahren noch nicht zu einer Modernisierung der
Ausbildungsstrukturen durchgerungen. Bei der Weiter-
bildung fällt ihr nicht mehr als das Bildungssparen ein.
Noch nicht einmal das ist bis heute umgesetzt. Beim
Hochschulpakt musste man sie zum Jagen tragen. Jetzt
ist er auch noch unterfinanziert; das heißt, nicht alle not-
wendigen Studienplätze werden geschaffen werden kön-
nen. Bei der Zuwanderung hat die Ministerin kurz nach
Verabschiedung des neuen Gesetzes schon wieder neue
Vorschläge gemacht. Obwohl Sie es vorher mitbeschlos-
sen haben, haben Sie hinterher beklagt, dass die Einkom-
mensgrenzen jetzt zu hoch sind, Frau Schavan. Und was
haben Sie hinterher dann tatsächlich erreicht? – Eine
kleine Korrektur, nämlich die Erleichterung der Einwan-
derung von Fachkräften aus den neuen EU-Mitgliedstaa-
ten. Hier sind Sie als Tigerin gesprungen und als Bett-
vorlegerin gelandet.


(Jörg Tauss [SPD]: „Bettvorlegerin“? Das ist neu! – Heiterkeit – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Es bleibt mir festzustellen: Die Hightechstrategie ist
eine gute Idee, und sie könnte mit der richtigen Umset-
zung nicht nur zünden, sondern sogar eine richtige Ra-
kete werden.


(Ilse Aigner [CDU/CSU]: „Raketin“ müsste das heißen!)


Dafür bräuchten wir aber eine andere Bundesregierung.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1612311900

Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Ilse Aigner für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Nicht über den Bettvorleger stolpern!)



Ilse Aigner (CSU):
Rede ID: ID1612312000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Hinz, das Zün-
den der Rakete ist mein Bild; ich halte es für nicht in
Ordnung, dass Sie es übernehmen.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie das Patent darauf? – Jörg Tauss [SPD]: Das Urheberrecht!)


– Nein.

Aber genauso wenig halte ich Folgendes für gut: Sie
zählen im Prinzip auf der einen Seite auf, was alles ge-
schehen ist, und bestätigen damit, was alles passiert ist.
Sie haben eine ganze Reihe von Themen aufgezählt, und
Sie suchen immer nur das Haar in der Suppe, das viel-
leicht links herum oder rechts herum etwas anders ist,
und so haben es viele andere auch gemacht.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Damit haben Sie schon länger Erfahrung! – Jörg Tauss [SPD]: Habt ihr früher auch gemacht!)


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich stelle mir
nur vor, wir stünden heute in einer wirtschaftlichen Ent-
wicklung, wie wir sie leider viele Jahre hatten, als die
Wirtschaftskraft eher abnahm, als die Arbeitslosigkeit
stieg, als wir Jahr für Jahr überlegen mussten, woher wir
das Geld bekommen bzw. wie wir die Neuverschuldung
eindämmen. Stünden wir nicht vor einer Situation, in der
wir es Gott sei Dank geschafft haben, die Richtung zu
ändern,


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Denken Sie an die Eigenheimzulage!)


in der wir mittlerweile mehr Arbeitskräfte vermittelt ha-
ben – übrigens auch hochqualifizierte ältere Arbeits-
kräfte –, in der es Wirtschaftswachstum gibt, dann hätten
wir überhaupt nicht die Gelegenheit, uns darüber zu un-
terhalten, wie wir mehr Mittel in Forschung und Ent-
wicklung investieren, und zwar mehr als 6 Milliarden
Euro in den nächsten Jahren. Diese Chance nutzen wir
auch.

Aber einfach nur das Geld in die Hand zu nehmen, ist
nicht das Einzige. Wir haben auch einiges fortgesetzt,
was einige – vielleicht nicht Sie persönlich – angekün-
digt haben, was aber finanziell gar nicht untermauert
wurde. Ich erinnere nur an die Exzellenzinitiative, die
ich als hervorragend erachte,


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])


die aber vorher in keiner Weise finanziell untermauert
worden war.


(Jörg Tauss [SPD]: Was war sie?)


– Sie war in keiner Weise vorher finanziell untermauert.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sie haben das verhindert mit der Blockade bei der Eigenheimzulage!)


Letztendlich haben erst wir das Geld tatsächlich zur Ver-
fügung gestellt.

Ich erinnere an den Hochschulpakt, liebe Frau Hinz.
Zu behaupten, dass die Ministerin zum Hochschulpakt
gedrängt werden musste, ist unzutreffend.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, musste sie! Natürlich!)


– Ich weiß ja nicht, auf welcher Veranstaltung Sie waren.
Ich glaube, wir sind gemeinsam im selben Ausschuss
und waren uns eigentlich immer einig,


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer wollte das Mitspracherecht bei der Föderalismusreform nicht haben? Sie wollten doch keine Mitwirkungsmöglichkeit im Hochschulbereich!)


dass dies nicht ganz einfach ist und dass man es gemein-
sam mit den Ländern und nicht gegen die Länder ma-
chen muss. Das war eine Riesenleistung von unserer Mi-
nisterin Annette Schavan.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dass wir in Zukunft 90 000 zusätzliche Studienplätze
aufbauen werden, ist eine riesige Leistung.

Damit bin ich bei dem, was für uns das Wichtigste ist.
Wir können letztendlich in Deutschland nur mit der Res-
source haushalten, die wir im größten Maße haben, näm-
lich mit den Menschen und dem, was sie im Kopf haben,
was sie können und die der Realität umsetzen. Deshalb
haben wir auf der einen Seite Geld in die Hand genom-
men; aber auf der anderen Seite haben wir versucht, In-
strumente zu finden, um dies gemeinsam mit der Wirt-
schaft umzusetzen.

Sie haben die Forschungsprämie angegriffen. Ich bitte
Sie: Das braucht auch alles erst einmal Zeit, anzulaufen.


(Ulrike Flach [FDP]: Aber doch nicht so!)


– Was heißt denn „nicht so“? Sie wissen genau, wie die
Regularien bei der Forschungsprämie sind, dass nämlich
erst einmal die Anträge geschrieben und sie erst am
Ende des Projektes abgerechnet werden. Wie soll denn
das so schnell funktionieren? Ich habe erst in der letzten
Woche mit Fachhochschulen telefoniert. Sie werden es
umsetzen, aber sie müssen sich auch erst auf die neuen
Instrumente einstellen. Jetzt tun Sie doch nicht so, als ob
nach einem Jahr schon alles erledigt sein sollte.

Vielmehr ist jetzt entscheidend, dass wir die richtigen
Weichenstellungen vornehmen werden. Wir haben die
Forschungsprämien und den Spitzenclusterwettbewerb
auf den Weg gebracht. Hiermit werden die Strukturen
mit Sicherheit so angelegt, dass sich neue, innovative
Ideen herausbilden, und zwar themenoffen. Nicht wir
schreiben vor, was sie zu machen haben, sondern vor Ort
werden sich die Unternehmen gemeinsam mit den For-
schungseinrichtungen überlegen: Wo könnten die größ-
ten Zukunftsfelder sein? Wo könnten die meisten Ar-






(A) (C)



(B) (D)


Ilse Aigner
beitsplätze entstehen? Dies setzen wir mit einem
Wettbewerb um, und das zeigt wieder, dass Wettbewerb
das Beste ist, was passieren kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir ziehen
hier nach nur einem Jahr Resümee. Viele wären froh ge-
wesen, nach einem Jahr überhaupt ein solches Resümee
ziehen zu können.


(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ CSU]: So ist es!)


Die Ministerin hat es angesprochen: Auch in der Wirt-
schaft wird mehr Geld für Forschung und Entwicklung
in die Hand genommen. Wie gesagt, die Zahl der Ar-
beitsplätze steigt.

Das Beste, was wir heute tun könnten, wäre, Mut und
Zuversicht auszustrahlen, den Menschen, die draußen ar-
beiten und die etwas im Kopf haben, Mut zuzusprechen,
sich vielleicht selbstständig zu machen oder sich etwas
risikobereiter in einem Unternehmen zu engagieren, da-
mit wir auch zukünftig mehr Arbeitsplätze haben und
nicht nur alles verwalten. Ich halte das für die richtige
Richtung, für die wir in den nächsten Jahren – hoffent-
lich gibt es noch viele Jahre Exzellenzinitiative – ge-
meinsam arbeiten sollten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1612312100

Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Ulrike Flach

für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Jetzt wollen wir was von Ihrer Reise hören!)



Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1612312200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Frau Schavan hat uns wieder einmal in sehr
beredten Worten die Hightechstrategie dargelegt. Sie ha-
ben mit dem Fortschrittsbericht den Preis für Gestaltung
gewonnen und vor allen Dingen den Eindruck vermittelt,
an alles gedacht zu haben.

Ich will aber in diesem Zusammenhang auf ein Zitat
zurückgreifen, das in diesen Wochen immer wieder
durch Berlin geistert: Zu viel Weihrauch schwärzt den
Heiligen, liebe Frau Schavan. Genau das versuchen Sie
an dieser Stelle:


(Jörg Tauss [SPD]: Ich werde nicht geschwärzt! In keiner Weise!)


Sie decken mit Ihrer Strategie und Ihrem Zwischenbe-
richt einfach ab, dass sich inzwischen nicht viel verän-
dert hat.


(Beifall bei der FDP)


Frau Aigner kann noch so sehr betonen, wie viel Geld
zur Verfügung gestellt worden ist. Frau Bulmahn wäre
hocherfreut gewesen, wenn sie nur einen Bruchteil die-
ser zusätzlichen Gelder erhalten hätte. Aber wir leben
nun einmal in einer Zeit, in der sich die Konjunktur deut-
lich eintrübt. Das Wachstum hat sich verringert. Die
Steuereinnahmen steigen nicht mehr, und die nach den
neuesten Steuerschätzungen zu erwartenden zusätzli-
chen Milliarden sind im Haushalt 2008 bereits zur Hälfte
verplant. Das heißt, der Spielraum wird enger. Erst dann
werden Sie sich beweisen müssen. Es ist einfach, in fet-
ten Zeiten etwas zuzulegen, Frau Schavan. Aber Sie
müssen auch für die Zeiten vorsorgen, in denen es nicht
so gut läuft.


(Beifall bei der FDP)


Sie haben eben ein verdächtiges Wort gebraucht. Sie
haben gesagt, dass eine stimmungsmäßige Verbesserung
festzustellen sei. Insofern stimme ich Ihnen völlig zu:
Stimmung wird uns in diesem Fall nicht helfen.


(Jörg Tauss [SPD]: Stimmung ist gut! Doch!)


Sie haben außerdem von einer deutlichen Entwicklung
auf dem Arbeitsmarkt gesprochen. Aus den Prognosen
des Stifterverbandes geht hervor, dass die Zahl der in
Forschung und Entwicklung Beschäftigten von 2005 auf
2006 um 3 500 Personen gestiegen ist. 2007 sollen es
2 000 zusätzliche Arbeitsplätze sein. Sie haben uns aber
1,5 Millionen zusätzliche wissensbasierte Jobs verspro-
chen. Insofern frage ich mich – Hightech hin oder her –,
wo die Relationen und der Erfolg Ihrer nicht gerade billi-
gen Aktionen liegen.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir liegen zwar leistungsmäßig seit Jahren auf einem
guten Niveau – das gilt übrigens auch für die Jahre, über
die Sie eben so geschimpft haben, Herr Röspel –,


(René Röspel [SPD]: Das freut uns!)


aber ich befürchte, dass wir die eigentlichen Schwächen
nach wie vor nicht im Griff haben. Es gibt zu wenig Ab-
solventen, zu wenig Wagniskapital, zu wenig Frauen und
zu wenig Patente. All dies hat sich nicht verändert, High-
techstrategie hin oder her.

Gleichzeitig leisten Sie sich Fehler, Frau Schavan, bei
denen wir uns fragen: Was hilft denn alle Strategie? In
diesen Tagen wird erklärt, dass die Gesundheitskarte
kaum noch eine Chance hat, flächendeckend eingesetzt
zu werden. Das ist der erste Fehlschlag, und zwar im-
merhin bei einem Leuchtturm Ihrer Strategie.

Bei der Forschungsprämie bin ich völlig anderer Mei-
nung als Sie, Frau Aigner. Wir haben es mit einer reinen
Transferprämie zu tun, die bisher, wie das Ministerium
angibt, ab und zu auch für Forschung verwandt wird.
Was ist das für ein Konzept?


(Beifall bei der FDP)


An dieser Stelle ist deutlich erkennbar, dass die Konzep-
tion falsch ist.

Was die steuerlichen Erleichterungen angeht, haben
Sie mit der Unternehmensteuerreform gerade bei den
forschenden Unternehmen für große Probleme gesorgt.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Kanada! Ulrike Flach Kanada! – René Röspel [SPD]: Gucken Sie doch mal in den Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit!)





(A) (C)


(B) (D)


Sie können doch jetzt nicht plötzlich erklären, dass Sie
irgendwelche Verbesserungen vornehmen wollen. Das
heißt nichts anderes, als dass sich die Finanzpolitiker
und die Forschungs- und Bildungspolitiker der Großen
Koalition konterkarieren.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Im Endeffekt wird wenig dabei herauskommen.

Lassen Sie mich zum Schluss feststellen, Frau
Schavan: Sie haben selbstverständlich die Probleme er-
kannt, und Sie haben viel Geld im Topf, aber es ist keine
relevante Arbeitsmarktverbesserung erkennbar. Die 17
von Ihnen aufgeführten Bereiche verschwimmen in wol-
kigen Prognosen. Ihnen liegen keine verwertbaren Zah-
len für eine Verbesserung der Position Deutschlands im
Rahmen eines internationalen Rankings vor. Das heißt,
Sie haben nur einen geringen Teil der Hightechstrategie
umsetzen können. Da werden wir noch viel tun müssen,
Frau Schavan.

Ich fürchte, dass in deutlich schwierigeren ökonomi-
schen Zeiten Probleme auftreten. Die Unterstützung der
FDP für den Innovationsstandort haben Sie immer. Aber
Sie müssen deutlich zulegen, sonst wird das nichts ge-
ben.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1612312300

Nächster Redner ist der Kollege Dieter Grasedieck,

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dieter Grasedieck (SPD):
Rede ID: ID1612312400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! In vielen Bereichen und bei vielen Zusammen-
arbeiten haben die Ideen schon gezündet; das kann man
festhalten. Aus Visionen Innovationen und Arbeitsplätze
für die Zukunft schaffen, das ist das Ziel unserer High-
techstrategie. Das haben wir in vielen Bereichen, zum
Beispiel durch die Forschungsprämie, erreicht. Ein Bei-
spiel ist die Zusammenarbeit von Fachhochschulen so-
wie kleinen und mittelständischen Betrieben beim öko-
logischen Bauen. Wir bekämpfen damit unter anderem
die Arbeitslosigkeit. Wir sind hier erfolgreich und wer-
den es in den kommenden Jahren auch bleiben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Die Stärken des Mittelstandes sollten durch das CO2-
Gebäudesanierungsprogramm ausgebaut werden. Dabei
haben wir den Heizungsbauer, den Elektriker und den
Maurer genauso im Auge wie die Fachhochschule. Fle-
xibilität und Kreativität des Mittelstandes sind hier ent-
scheidend. Dadurch werden ganz sicher Arbeitsplätze
geschaffen. Die Förderung der Schaffung von Arbeits-
plätzen ist aber nur ein Aspekt.

Wichtig ist des Weiteren, dass die Umwelt geschützt
und der CO2-Ausstoß reduziert wird. 35 Prozent der Ener-
gie werden bei der Beheizung von Gebäuden verbraucht.
Ich sehe das in meinem Wahlkreis besonders deutlich.
Der CO2-Ausstoß muss natürlich auch durch einen ent-
sprechenden Kraftwerksbau reduziert werden. Wir be-
mühen uns mit der Hightechstrategie um eine Reduzie-
rung des CO2-Ausstoßes in diesem Bereich. Die
deutsche Kraftwerkstechnologie ist hervorragend. Hier
sind wir Weltmeister. Die Ideen haben längst gezündet.
Die Wirkungsgrade deutscher Kraftwerke liegen im
Durchschnitt bei 50 Prozent. Wenn man die KWK-Anla-
gen berücksichtigt, dann stellt man fest, dass der Wir-
kungsgrad sogar bei über 70 Prozent liegt. Das ist ein
gutes Verkaufsargument in der Welt. Der Export boomt.
Was das CO2-freie Kraftwerk angeht, sind wir mit der
Hightechstrategie auf einem guten Weg. Bundesregie-
rung und Industrie arbeiten hier zusammen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir fördern zudem – das ist für uns wichtig – die er-
neuerbaren Energien wie die Wind-, die Bio- und die So-
larenergie. Die Bundesregierung unterstützt Projekte in
diesem Bereich mit insgesamt 77,5 Millionen Euro. Al-
lein im Bereich der Bioenergie werden 10 Millionen
Euro investiert. Das schafft Arbeitsplätze. Insgesamt
über 175 000 Menschen haben hier einen Arbeitsplatz in
qualifizierten Berufen gefunden. Das werden wir in den
kommenden Jahren durch unsere Hightechstrategie aus-
bauen.

Mit der Hightechstrategie wird auch die Clusterbil-
dung, die strategische Partnerschaft, gefördert. Universi-
täten, Forschungsinstitute und die Wirtschaft arbeiten
zusammen. Ich will hierfür vier Beispiele benennen. Ers-
tens. Universitäten arbeiten mit kleinen und mittelständi-
schen Betrieben in den Bereichen der Filtertechnik und
des ökologischen Bauens zusammen.

Zweitens. Die intensive Zusammenarbeit der Energie-
erzeuger beim CO2-freien Kraftwerk ist entscheidend,
vielleicht sogar zukunftsweisend.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Drittens. Durch die gezielte Förderung der Optiktech-
nologie waren wir in den vergangenen Jahren erfolg-
reich. Wir wollen das fortsetzen. Wir sind in diesem Be-
reich Weltspitze.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Viertens. Durch die Förderung der Clusterbildung im
Informations- und Kommunikationsbereich sind 20 000
Arbeitsplätze in den letzten Jahren entstanden. Frau
Sitte, Sie haben bereits darauf hingewiesen, dass allein
in Dresden 11 000 Arbeitsplätze in diesem Bereich ge-
schaffen wurden. Hier zünden die Ideen. Das kann man
deutlich sehen. Gleiches gilt für den Bereich der Geistes-
wissenschaften.






(A) (C)



(B) (D)


Dieter Grasedieck
Es werden aber nicht nur die Wirtschaft und die
Hochschulen bedacht, sondern auch die Schulen. Auch
Schulprojekte werden gefördert.


(Beifall bei der CDU/CSU – Uwe Barth [FDP]: Das hat mit Hightechstrategie nichts zu tun!)


Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Ich habe Schulen be-
sucht, die sich mit der Solarenergie und der Windenergie
auseinandersetzen. Die Schüler sind sehr begeistert und
arbeiten sehr engagiert.

Sie sehen, die Hightechstrategie schafft Tausende von
Arbeitsplätzen


(Uwe Barth [FDP]: Nein, das haben wir nicht gesehen!)


und eine neugierige, eine lernende Gesellschaft. Zusam-
menfassend kann man sagen: Die Koalition ist auf einem
erfolgreichen Wege. Wir wollen durch die Hightechstra-
tegie noch erfolgreicher werden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1612312500

Ich gebe dem Kollegen Dr. Heinz Riesenhuber, CDU/

CSU-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1612312600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kollegen! Wir sprechen heute im We-
sentlichen über die Hightechstrategie, obwohl wir auch
den schönen Antrag zum Forschungsförderprogramm
„IKT 2020“, den der Kollege Krummacher erarbeitet
hat, zugrunde legen sollten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Ein bisschen waren auch wir beteiligt!)


– Ich freue mich immer, wenn auch die Kollegen von der
SPD beteiligt sind.

Zur Hightechstrategie – insofern will ich die Debatte
hier durchaus weiterführen und nicht sprengen – muss
ich sagen, liebe Frau Flach: Nach einem Jahr zu sagen,
dass ein Forschungsförderprogramm gescheitert sei, ist
ein bisschen verfrüht. Eine Forschung kann immer auch
Flops erzeugen. Eine Forschung, die keine Flops er-
zeugt, führt zu nichts anderem als zur Reproduktion des
Status quo.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber was wir hier haben,


(Ulrike Flach [FDP]: Ist ein Flop!)


ist meines Erachtens eine kluge strategische Anlage in
einem extrem komplexen Gebiet. Wir haben zum ersten
Mal eine integrierte Strategie, die die Ministerien und
die Fachbereiche sowie die unterschiedlichen Strategie-
ansätze umfasst.


(Ulrike Flach [FDP]: Das wäre schön!)

Wir haben eine Strategie, die systematisch auf dem auf-
baut, was wir wissen.


(Ilse Aigner [CDU/CSU]: So ist es!)


Wir haben den Bericht zur technologischen Leis-
tungsfähigkeit vorliegen. Die SWOT-Analyse – auf
Deutsch gesprochen: die Analyse der Schwächen, Stär-
ken, Chancen und Risiken – haben wir in der Hightech-
strategie ausgewiesen. Daraus entstehen die Programme,
die gezielt auf die kritischen Stellen ausgerichtet sind.
Dies alles ist integriert über die Felder der Techniken,
wobei wohldefinierte Prioritäten und Handlungsstrate-
gien festgelegt sind. Das ist die eine Hälfte.

Jetzt kann man über die einzelnen Programme spre-
chen. Ich finde es prima, dass immer wieder neue Ideen
kommen. Forschung lebt von neuen Ideen.


(Ilse Aigner [CDU/CSU]: So ist es!)


Die Demenzforschung als Leuchtturm anzuführen, ist
wichtig. Ich könnte mir vorstellen, dass wir bei unserem
prächtigen und freundschaftlichen Verhältnis zu den
Bundesländern gelegentlich über die gesamte klinische
Forschung sprechen. Die Investitionen der Länder in die
klinische Forschung belaufen sich auf über 2,5 Milliar-
den Euro im Jahr. Wir haben protokollierte Forschungen
in Kliniken von weniger als 10 Prozent. Wenn wir dies
steigern könnten, dann wäre das ein Fortschritt für un-
sere Forschungslandschaft, nicht nur für die Statistiken
der Länder. Das würde die Wirklichkeit verändern.

Ich finde es gut, dass wir neue Punkte ansprechen.
Lieber Herr Röspel, wir können auch historische Debat-
ten darüber führen, wer die Umwelttechnik wann so
prächtig entwickelt hat. Wir waren schon 1989 mit gro-
ßem Abstand Weltmarktführer bei der Umwelttechnik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]: Wir sind ja Erfinder!)


– Wenn Sie auch in der Opposition waren, so waren wir
damals wenigstens für Ihre moralische Unterstützung
dankbar.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)


Es gibt hier zahlreiche technologische Einzelbereiche.
Was mir aber besonders wichtig erscheint – wir müssen
jetzt aufpassen, was noch weiter entwickelt werden kann –,
sind die Querschnittsbereiche.

Frau Sitte, Sie waren ein wenig skeptisch in Bezug
auf die öffentliche Nachfrage. England hat ein prächtiges
Programm aufgelegt, das die öffentliche Nachfrage nach
Innovationen stimuliert. Im TA-Bericht, den wir im
April erhalten haben, sind die Bereiche querschnittsartig
dargestellt. Es ist eine faszinierende Idee, an der öffentli-
chen Nachfrage, die 260 Milliarden Euro pro Jahr für In-
novationen umfasst, anzusetzen. Es genügt nicht, dass
sich sechs Ministerien verabreden, verstärkt neue Tech-
nologien einzukaufen – das haben sie getan –, was an
sich prima ist. Es geht darum, das ganze Volumen der in-
novativen Beschaffung zu vergrößern.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Heinz Riesenhuber
Die Querschnittsfrage zielt auch auf Normen und
Standards. Mit dem DIN-Institut werden wir eine ge-
meinsame Strategie entwickeln. Außerdem geht es um
die Frage, wie man die Normen und Standards in der Na-
notechnologie dahin gehend entwickeln kann, dass
Techniken verantwortbar sind.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber da machen Sie ja nichts!)


– Ich zitiere aus dem Fortschrittsbericht. Nur am Rande
sei bemerkt: Ich formuliere keinen einzigen eigenen Ge-
danken,


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade eigentlich!)


sondern ich verlasse mich auf die Weisheit der Bundes-
regierung, was enorm entspannt und intellektuelle Auf-
wendungen erspart.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Mehr Selbstbewusstsein, Herr Kollege!)


Wir haben hier über wissensbasierte Dienstleistungen
gesprochen und diese Sache damit zum ersten Mal wirk-
lich systematisch behandelt. Entsprechende Ansätze gab
es schon vor 15 Jahren; doch damals war die Zeit dafür
noch nicht reif. Auch wenn 70 Millionen Euro, die bis
2009 für das Programm „Innovationen für Dienstleistun-
gen“ zur Verfügung stehen, nicht viel Geld sind, besteht
jedenfalls die Möglichkeit, das Ziel zu erreichen, das wir
uns gesetzt haben, nämlich auf dem Gebiet der wissens-
basierten Dienstleistungen für dieselbe Exzellenz zu sor-
gen, die im Bereich der Produktion geschaffen worden
ist.

Diese Querschnittsbereiche sind am schwersten zu or-
ganisieren. Das zu schaffen, wird eine wichtige Aufgabe
sein. Ich bin gespannt, was im Zweiten Fortschrittsbe-
richt stehen wird. Ich finde es prima, wenn man Fort-
schrittsberichte sauber schreibt. Ich finde es auch prima,
dass sich die Länder entschlossen haben, gemeinsam mit
der Wissenschafts- und der Wirtschaftsministerkonferenz
regelmäßig Berichte vorzulegen, aus denen hervorgeht,
was sie zur Erreichung des 3-Prozent-Ziels beitragen. Ich
wäre glücklich, wenn sich die Finanzministerkonferenz
die gleichen Ziele setzte und an der Erreichung dieser
Ziele mit der gleichen Leidenschaft, die die Regierung
sonst auszeichnet, arbeitete.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich freue mich über unseren Finanzminister. Er ist sehr
innovativ.

Ich komme auf das Wagniskapital zu sprechen, das
Sie, liebe Frau Kollegin Hinz, angemahnt haben.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu ist immer noch nichts da!)


– Wenn Sie mir noch drei Minuten Redezeit geben, dann
erläutere ich Ihnen das im Einzelnen. – Was das Wagnis-
kapital angeht, sieht die Sache so aus: Wir haben hier
– darüber haben wir das letzte Mal diskutiert – gegen-
über den ersten Entwürfen der Beamten des Finanz-
ministeriums eine Menge Fortschritte erreicht. Dank der
wichtigen und vielseitigen Anregungen der Sachverstän-
digen in der Anhörung sind wir jetzt in einer zweiten
Runde konstruktiver und zielführender Gespräche, um
an einigen Stellen, beispielsweise bei den Business-An-
gels, noch ein bisschen weiterzukommen.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1612312700

Herr Kollege!


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1612312800

Frau Flach, Sie machen mich hier gerade ein bisschen

an,


(Heiterkeit)


soweit das plenartechnisch möglich ist. Sie haben die
Verbesserung der Stimmung hier etwas kritisch apostro-
phiert.


(Uwe Barth [FDP]: Nein, konstatiert! – Zuruf von der FDP)


– Vielen Dank. Dann sind wir uns einig: Es ist prima,
dass die Stimmung besser geworden ist.

Luther hat dazu Grundsätzliches gesagt, was ich aus
Respekt vor dem Hohen Hause nicht wiederholen kann.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1612312900

Herr Kollege, Sie sind schon zwei Minuten über die

Redezeit.


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1612313000

Frau Präsidentin, ich bitte sehr um Nachsicht. – Ich

werde Luther nicht zitieren. Luther spricht sich für mehr
Fröhlichkeit aus. Ich meine die Geschichte von dem
traurigen Arsch; Sie erinnern sich.

Ich verweise auf das, was entsteht, wenn wir mit dem
fröhlichen Unternehmungsgeist in die Zukunft schreiten,
der diese Regierung und, wie ich hoffe, insbesondere
den Finanzminister auszeichnet. Lassen Sie uns gemein-
sam mit dem Geist, den Frau Schavan hier gezeigt hat,
an die Sache herangehen! Dann wird sich die Strahlkraft,
die diese Große Koalition generell entfaltet, in der Ge-
meinschaft der deutschen Wissenschaftler, Forscher und
Unternehmer ausbreiten. Wir haben nur noch zwei Jahre
Zeit, bevor wir vielleicht wieder getrennte Wege gehen,
wenn es der Wähler will. Es gilt, die Zeit bis dahin zu
nutzen und Fröhlichkeit, Unternehmungsgeist, Tatkraft
und Entscheidungsfreudigkeit im Land zu verbreiten. An
der Erreichung dieses Ziels sollten wir gemeinsam mit
Herzlichkeit und Entschlossenheit arbeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1612313100

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Jörg

Tauss, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1612313200

In der Tat werden wir die angesprochenen Fragen

fröhlichen Herzens angehen, auch die steuerlichen Fra-
gen. Natürlich müssen wir überlegen – Geld kann man
schließlich nur einmal ausgeben –, welches Projekt wir
fördern und was wir in anderen Bereichen machen wer-
den. Aber, liebe Frau Flach, ich bin dem Kollegen
Riesenhuber sehr dankbar, dass er mir ein bisschen Re-
dezeit geschenkt hat, indem er darauf verwiesen hat,
dass am 1. Januar 2008 das Wagniskapitalbeteiligungs-
gesetz in Kraft treten wird. Das scheint der FDP entgan-
gen zu sein.


(Ulrike Flach [FDP]: Nein!)


Ich würde gerne mit euch darüber diskutieren, wo-
rüber wir mit Frau Hendricks diskutiert haben. Sie hat eine
ganz hervorragende Arbeit im Bundesfinanzministerium
geleistet. Man hört, dass es demnächst mit der Kollegin
Kressl eine Nachfolgerin geben wird, mit der wir diese
Fragen ebenfalls ganz vorurteilsfrei diskutieren können.
Aber eines ist klar: Geld kann man nur einmal ausgeben.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Die Frage ist nur, ob wir es zielgerichtet ausgeben.


(Lachen bei der FDP)


– Entschuldigen Sie, das war schon immer unsere Er-
kenntnis. Deshalb haben wir weniger Schulden aufge-
türmt als ihr in eurer Regierungszeit.


(Beifall bei der SPD)


Es ist völlig klar, dass die Sozialdemokraten schon im-
mer besser mit Geld umgehen konnten als die Liberalen.

Aber da war eine Zwischenfrage.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1612313300

Herr Kollege Tauss, würden Sie mich jetzt zu Wort

kommen lassen? – Ich möchte Sie fragen, ob Sie diese
Zwischenfrage zulassen?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1612313400

Ich antworte uneingeschränkt mit Ja.


Frank Schäffler (FDP):
Rede ID: ID1612313500

Herr Kollege Tauss, ist Ihnen bekannt,


(Jörg Tauss [SPD]: Ja, natürlich! – Heiterkeit bei der SPD)


dass sich die beiden Regierungsfraktionen nicht auf ein
Wagniskapitalbeteiligungsgesetz zum 1. Januar 2008 ge-
einigt haben, dass das Projekt vielmehr verschoben
wurde?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1612313600

Lieber Herr Kollege, dieses Projekt ist, wie Sie wis-

sen, auf einem hervorragenden Weg. Sie werden erleben,
dass wir das Wagniskapitalbeteiligungsgesetz in der
Form voranbringen, wie Sie es sich möglicherweise
auch wünschen.


(Beifall bei der SPD)

Die Debatte hat gezeigt, dass wir im Rahmen der
Hightechstrategie viele wichtige Themen benennen. Die
Opposition muss zwar immer ein bisschen mäkeln, aber
es hat mich schon gewundert, dass sie jetzt gerade an
diesen Feldern herumgemäkelt hat. Es sind in der Tat ein
paar mehr – insgesamt 17 – Felder vorgestellt worden,
und es ist nicht bei allen so, wie es hier dargestellt
wurde.

Ich will beispielsweise den Bereich der Gesundheit
nennen. Diesbezüglich wurden einige Punkte angespro-
chen. Man kann sagen, dass man im Gesundheitsbereich
nichts machen muss, weil die Pharmaindustrie gut Geld
verdient. Trotzdem nehmen wir eine Pharmainitiative in
Angriff. Ich finde das gut; denn ein Großteil der Phar-
maunternehmen in Deutschland sind mittelständische Un-
ternehmen, die hervorragende Produkte auf den Markt
bringen. So einfach können wir es uns also nicht machen.
Wir widmen uns jetzt auch den Kompetenzzentren für De-
menz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ist daran zu
bemängeln? Dafür gibt es doch Bedarf in dieser Gesell-
schaft.


(Beifall bei der SPD)


Wir sollten an dieser Stelle deutlich machen, dass genau
die richtigen Herausforderungen in Angriff genommen
werden.

Zum Thema Energie. Frau Kollegin Hinz, warum kri-
tisieren die Grünen zum Beispiel, dass wir den Klima-
schutz – der Kollege Grasedieck hat das im Einzelnen
vorgestellt – in den Mittelpunkt unserer Hightechstrate-
gie stellen?

In Bezug auf die innere Sicherheit gibt es in der Tat
noch Fragen. Die Bürgerrechte müssen geschützt wer-
den. Wir fragen – Kollegin Aigner hat aufmerksam zu-
gehört, weil Herr Beckstein als Innenminister diesbezüg-
lich manchmal anderer Auffassung war –, was zu mehr
und was zu weniger Freiheit führt.


(Ilse Aigner [CDU/CSU]: Wenn man sicher ist, ist man immer freier!)


Wohin führt es, wenn wir unsere Fingerabdrücke an al-
len Stellen hinterlegen? Wir hatten gerade eine Konfe-
renz, auf der wir das miteinander diskutiert haben.

Ich glaube, zur Hightechstrategie gehört auch die
Technikfolgenabschätzung in all diesen Bereichen.


(Beifall bei der SPD)


Die anderen Punkte will ich nicht alle benennen; die
Themen Nanotechnologie und Mobilität sind angespro-
chen worden. Das sind die Bereiche, in denen wir erfolg-
reich sind.

Frau Kollegin Hinz, was ist dagegen einzuwenden,
wenn wir uns in der Luftfahrt um neue Werkstoffe und
Materialien kümmern?


(Zuruf von der LINKEN)


– Das waren Sie? Jetzt bitte ich um Entschuldigung; das
habe ich ein bisschen durcheinandergebracht.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin nicht an allem schuld!)







(A) (C)



(B) (D)


Jörg Tauss
Diese Kritik fand ich nicht fair. Gerade als PDS-
Nachfolgepartei, die sich links nennt, sollte man wissen,
dass in den USA die gesamte Subventionierung der Luft-
und Raumfahrtindustrie aus dem militärischen Bereich
erfolgt. Die Frage ist, ob wir das wollen. Wir machen es
anders. Wir fördern Maschinen und Turbinen, wir för-
dern die leichten Materialien, Verbundwerkstoffe und
Ähnliches. Das halte ich für die intelligentere Lösung.
Aber das ist auch etwas, bei dem man staatliche Förde-
rung braucht. Von alleine wird das nicht funktionieren;
dann könnten wir in diesem Bereich aufhören.


(Beifall bei der SPD)


Die Initiative „Clean Sky“, bei der es um die Luftver-
schmutzung durch Luftverkehr geht, ist eine zentrale kli-
mapolitische Herausforderung der nächsten Jahre. Ich
will das an dieser Stelle nicht weiter vertiefen.

In anderem Zusammenhang müssen wir natürlich
auch über die Hightechinitiative reden. Sie haben den
Stifterverband angesprochen. Nichts dagegen! Nur, eines
muss man den Herren vom Stifterverband einmal sagen:
Wenn es richtig ist, dass der Fachkräftemangel die zen-
trale Herausforderung in den nächsten Jahren ist, dann
muss man dem doch Rechnung tragen. Ich bin sicher:
Das ist die zentrale Herausforderung. Wir haben es ges-
tern im Forschungsausschuss anhand des TAB-Berichts
diskutiert. Das größte Risiko für den Standort Deutsch-
land in den nächsten Jahren sind nicht Lohnnebenkosten
und hohe Löhne der unbotmäßigen Beschäftigten – das
haben wir jahrelang gehört –, das größte Risiko ist viel-
mehr der Fachkräftemangel. Also müssen wir uns um
diese Frage kümmern.

Die Industrie beklagt den Ingenieurmangel. Da frage
ich mich: Wo ist die Industrie, die sagt: „Jetzt nehmen
wir Mittel für 50 000 Stipendien in die Hand; 25 000
jungen Frauen und 25 000 jungen Männern geben wir
über Stipendien Zuschüsse zum Studium“?


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Man kann nicht immer nur Vorträge darüber halten, was
man tun könnte, tun müsste oder tun sollte. Ich erwarte
von der deutschen Industrie jetzt endlich namhafte Bei-
träge statt Gejammer über Fachkräftemangel; das kann
man nämlich nicht mehr hören.


(Beifall bei der SPD)


Die Länder sind genauso gefordert. Das ist auch so
ein Pünktchen, über das wir einmal diskutieren müssen.
Ich komme aus Baden-Württemberg. Da sagte der Mi-
nisterpräsident kürzlich in einer Diskussion zum Thema
„Lehrerinnen und Lehrer“, zum Thema „Wir müssen alle
Talente fördern“: In Bade-Württemberg sind mehr Leh-
rer net drin. – Auf Deutsch: In Baden-Württemberg will
man sich nicht mehr Lehrer leisten. – Diese Herange-
hensweise des Exportlandes Nummer eins ist eine glatte
Katastrophe. Es kann doch nicht sein, dass ein Minister-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1612313700
„Mehr Lehrer sind nicht
drin“ und in den Schulbetrieb mehr Ehrenamtliche brin-
gen will. Das sind Dinge, die nicht passen. Das sind
große Risiken für das Wirtschaftswachstum und den
Standort.
Aus diesem Grunde müssen wir mit denen, die in den
Ländern, egal an welcher Stelle, eine Bildungspolitik be-
treiben, die nichts taugt, stärker diskutieren. Wir müssen
vonseiten des Bundes die Impulse geben, die wir nach
der Föderalismusreform in den Bereichen Wissenschaft,
Hochschulen und Forschung noch geben können. Das
tun wir, auch mit der Hightechinitiative.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1612313800

Ich schließe die Aussprache.

Tagesordnungspunkt 6 a. Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 16/6900 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 6 b. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung auf Drucksache 16/6923.

Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung die Annahme des Antrags der Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/5900
mit dem Titel „IKT 2020: gezielte Forschungsförderung
für zukunftsträchtige Innovationen und Wachstumsfel-
der im Bereich der Informations- und Kommunika-
tionstechnologien“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und
CDU/CSU bei Gegenstimmen vom Bündnis 90/Die Grü-
nen, von der Fraktion Die Linke und Enthaltung der FDP
angenommen.

Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/5899 mit dem Titel „Innovationsfähig-
keit stärken durch Bildungs- und Forschungsoffensive“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit Stimmen von SPD, CDU/CSU, bei Ge-
genstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung
der Fraktionen Die Linke und der FDP angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 d auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Jahressteuergesetzes 2008 (JStG 2008)


– Drucksachen 16/6290, 16/6739 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Fi-
nanzausschusses (7. Ausschuss)


– Drucksachen 16/6981, 16/7036 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Olav Gutting
Gabriele Frechen
Dr. Volker Wissing






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

(8. Ausschuss)


– Drucksache 16/6988 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Carsten Schneider (Erfurt)

Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke,
Frank Schäffler, Dr. Hermann Otto Solms, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Steuerklasse V abschaffen – Lohnsteuerab-
zug neu ordnen

– zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE

Entfernungspauschale vollständig anerken-
nen – Verfassungsmäßigkeit und Steuerge-
rechtigkeit herstellen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Christine
Scheel, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Steuervereinfachung – Lohnsteuerklassen III,
IV und V abschaffen

– Drucksachen 16/6396, 16/6374, 16/3023,
16/6981, 16/7036 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Olav Gutting
Gabriele Frechen
Dr. Volker Wissing

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll,
Dr. Axel Troost, Oskar Lafontaine, Dr. Gregor
Gysi und der Fraktion DIE LINKE

Verbesserung der Statistik zur Lohn- und Ein-
kommensteuer, Umsatzsteuer und Erbschaft-
und Schenkungsteuer

– Drucksachen 16/3025, 16/4274 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Barbara Höll

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Oskar Lafontaine,
Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Steuerpflichtige mit mehr als 500 000 Euro Ein-
kommen gleichmäßig und regelmäßig prüfen

– Drucksachen 16/3699, 16/5693 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Frechen
Dr. Barbara Höll

Zu dem Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2008 liegt
ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parla-
mentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks.

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1612313900


Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und
Kollegen! Mit der heutigen Lesung des Jahressteuerge-
setzes 2008 bringen wir ein Gesetzgebungsprojekt zu
Ende, das der Umsetzung einer Vielzahl von Einzel-
maßnahmen im Steuerrecht dient. Im Vordergrund ste-
hen neben fachlich gebotenen Einzelregelungen erneut
der Bürokratieabbau und die Steuerrechtsvereinfa-
chung.

Eine für alle Bürger sichtbare Entlastung ist die Ab-
schaffung der Kartonlohnsteuerkarte im Jahr 2010 und
die damit verbundene Einführung der elektronischen
Lohnsteuerabzugsmerkmale ab 2011. Von diesem mo-
dernen Verfahren profitieren auch die Arbeitgeber. Ih-
nen werden die Lohnsteuerabzugsmerkmale für ihre
Arbeitnehmer maschinell verwertbar zur Verfügung ge-
stellt. Dies entlastet die Unternehmen von Bürokratie-
kosten in Höhe von rund 280 Millionen Euro.

Auch die Kapitalertragsteueranmeldung wird auf ein
elektronisches Verfahren umgestellt. Die Neuregelung,
die erstmals für Erträge ab dem Jahr 2009 gilt, entlastet
die Unternehmen von Bürokratiekosten in Höhe von
knapp 4 Millionen Euro.

Mit dem vorliegenden Text zur Neuregelung des § 42
der Abgabenordnung – da geht es um den Missbrauch
von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten – wird der
Begriff des Missbrauchs gesetzlich klar definiert und die
Beweislastverteilung zwischen der Finanzverwaltung
und den Steuerpflichtigen geregelt. Damit wird eine ein-
deutige Prüfungsreihenfolge zur Feststellung eines Miss-
brauchs und somit eine handhabbare Vorschrift geschaf-
fen, die dazu dienen kann, auf eine Vielzahl von
Einzelvorschriften zu verzichten – wenn auch der Bun-
desfinanzhof das in seiner Rechtsprechung so sieht.


(Beifall bei der SPD)


Hervorzuheben ist ferner die künftige Umsatzsteuer-
befreiung der Leistungen der Jugendhilfe. Hiermit wird
der Weiterentwicklung der Leistungen und des Ange-
botsspektrums der Kinder- und Jugendhilfe in den letz-
ten 20 Jahren Rechnung getragen. Damit stehen auch in
diesem Steuerrechtsbereich das Kind und der präventive
Schutz vor Gefahren für das Kindeswohl im Mittel-
punkt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
Nicht mehr enthalten im Gesetzespaket ist die Ein-
führung des sogenannten optionalen Anteilsverfahrens,
also des Steuerklassenwahlverfahrens, für Ehegatten.
Hiermit sollte schon beim Lohnsteuerabzug mit der
Eintragung eines Prozentsatzes auf der Lohnsteuerkarte
den tatsächlichen Verhältnissen der Vielzahl von Ar-
beitnehmerehegatten besser Rechnung getragen wer-
den. Die Koalitionsfraktionen beabsichtigen allerdings,
in einem nachfolgenden Gesetzgebungsverfahren,
ebenfalls mit Wirkung ab 2009, ein geeigneteres An-
teilssystem einzuführen. Die Bundesregierung wird
selbstverständlich bei den damit verbundenen Arbeiten
konstruktiv mitwirken. Das kann ich meiner Nachfol-
gerin schon einmal mit auf den Weg geben.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Alles andere hätte uns auch gewundert!)


Mit der Abschaffung der zweijährigen Frist bei der
Arbeitnehmerveranlagung zur Einkommensteuer wird
ein Vorschlag des Bundesrates aufgegriffen. Der Wegfall
dieser Frist führt zu einem erheblichen Bürokratieabbau.

Mit einer Änderung im Altersteilzeitgesetz wird klar-
gestellt, dass die Steuerfreiheit der Aufstockungsleistun-
gen zum Entgelt und zu den Rentenversicherungsbeiträ-
gen nicht von einer Förderung durch die Bundesagentur
für Arbeit abhängt. Damit ist eindeutig, dass die Steuer-
freiheit auch für Altersteilzeit gilt, die nach dem
31. Dezember 2009 vereinbart wird. Damit ist schon
jetzt in diesem Bereich Rechtsklarheit geschaffen.

Das vorliegende Gesetzespaket sieht auch die Einbe-
ziehung der Beförderungen von Personen mit Bergbah-
nen in den ermäßigten Umsatzsteuersatz vor. Meiner
Auffassung nach haben wir ordnungspolitisch schon
überzeugendere Regelungen getroffen.


(Ilse Aigner [CDU/CSU]: Och!)


Letztlich müssen sich Produkte und Dienstleistungen
ohne dauerhafte steuerliche Subventionen am Markt be-
währen. Die Erfahrung zeigt, dass sie dies im Fall der
Bergbahnen auch tun, da der Gesetzgeber bereits bei den
parlamentarischen Beratungen des Umsatzsteuergeset-
zes 1967, also in der Verantwortung des Finanzministers
Dr. Franz Josef Strauß, den Punkt einer umsatzsteuerli-
chen Begünstigung der Beförderungen mit Bergbahnen,
auch vor dem Hintergrund der Wettbewerbsfrage mit
dem Nachbarland Österreich, erörtert und nicht aufge-
griffen hatte. Unsere Bergbahnen fahren also seit Jahr-
zehnten mit dem Regelsteuersatz. Ich hätte mir in dieser
Frage etwas mehr ordnungs- und subventionspolitische
Stringenz, insbesondere in den Reihen unserer christso-
zialen Freunde, gewünscht. – Da musst du jetzt einmal
durch, Eduard.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Aber im Freistaat verkauft die bayrische SPD es als Erfolg!)


Mit Interesse schaue ich auf die Zusage der Branche,
die Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes für Seilbah-
nen im Rahmen der nächsten Tarifanpassung in Form
von Fahrpreissenkungen an die Endverbraucher weiter-
zugeben.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1612314000

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Volker Wissing,

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Jetzt wird es lebendiger!)



Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1612314100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Man muss sich doch einmal die Frage stellen: Was bringt
dieses Jahressteuergesetz eigentlich den Bürgerinnen
und Bürgern in diesem Land?


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)


Was haben die Menschen davon? Diese Frage hätten
auch Sie seitens der Koalitionsfraktionen sich einmal
stellen müssen; denn Sie haben uns hier einen Gesetzent-
wurf vorgelegt, über den sich allenfalls die Verwaltung
in Deutschland freuen kann.

Sie verändern das Steuerrecht an nahezu 200 Stellen
und führen ganz erhebliche Erleichterungen für den
Staat ein. Aber die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
haben Sie nicht im Blick; für diese tun Sie wieder einmal
nichts.


(Beifall bei der FDP)


Im Gegenteil: Sie tun nicht nur nichts, sondern machen
es den Menschen in diesem Land sogar noch schwerer.

Nehmen Sie § 42 der Abgabenordnung. Dies ist ein
echtes Kabinettsstückchen dieser Koalition. Sie unter-
stellen einfach, dass es in Deutschland in zunehmendem
Maße missbräuchliche Steuergestaltungen gibt, obwohl
Sie dazu keinerlei Informationen haben. Um es der Ver-
waltung so leicht wie möglich zu machen, führen Sie
eine völlig unklare gesetzliche Regelung ein. Sie setzen
die Steuerzahler damit einer erheblichen Rechts-
unsicherheit aus. Aber selbst das reicht Ihnen noch nicht.
Zur Freude der Verwaltung und gegen die Interessen der
Menschen drehen Sie auch noch die Beweislast um.
Künftig muss jetzt nicht mehr die Verwaltung beweisen,
dass Missbrauch vorliegt.


(Otto Bernhardt [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Das war der Referentenentwurf, Herr Kollege!)


Nein, die Steuerzahler sollen beweisen, dass sie be-
stimmte Gestaltungen nicht aus steuerlichen Gründen
gewählt haben.


(Beifall bei der FDP)


Haben Sie eigentlich einmal darüber nachgedacht,
was Sie dem Investitionsstandort Deutschland mit einem
solchen Gesetz antun? Rechtssicherheit und verlässliche
Steuergesetze, Kontinuität im Steuerrecht, das ist ein
ganz wesentlicher Standortvorteil. Genau diesen Stand-
ortvorteil bauen Sie in der Großen Koalition systema-
tisch ab. Ihr Jahressteuergesetz ist eine Zumutung für
den Investitionsstandort Deutschland.


(Zuruf von der FDP: Das stimmt!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Volker Wissing
Wir haben eben eine Forschungsdebatte geführt. Jetzt
beraten wir einen Gesetzentwurf, mit dem Sie den For-
schungsstandort Deutschland weiter schwächen.


(Beifall bei der FDP)


Es ist absurd, was Sie uns hier vorlegen.

Sie gefährden damit Arbeitsplätze. Deswegen ist die-
ses Gesetz völlig ungeeignet, das Steueraufkommen zu
sichern. Künftig werden Investoren bei uns darauf ange-
wiesen sein, dass ihnen die Verwaltung vorab verbind-
lich mitteilt, was in Deutschland erlaubt ist und was
nicht. Aber das Schlimme ist: Sie haben vergessen, in Ih-
rem Gesetzentwurf dafür zu sorgen, dass die Steuerzah-
ler einen Auskunftsanspruch gegenüber der Verwaltung
haben.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!)


Sie machen Steuergesetze für die Verwaltung und ganz
bewusst gegen die Interessen der Bürgerinnen und Bür-
ger.


(Beifall bei der FDP)


Nehmen Sie die Pendlerpauschale. Was wurde da al-
les versprochen! Die SPD hat große Ankündigungen ge-
macht.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wir nicht!)


Es war schon bemerkenswert, wie mutig sich einige aus
Ihren Reihen geäußert haben, ohne vorher den Finanz-
minister um Erlaubnis zu fragen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das war vor dem Parteitag!)


Aber die Quittung haben Sie prompt bekommen. Sie hät-
ten dies wissen müssen, bevor Sie die Menschen unnötig
verunsichern.

Die Lage in Deutschland ist klar: Gesetzesänderun-
gen im Interesse der Steuerzahler lehnt dieser Minister
ab. Basta! Da ist kein Platz für Vorschläge zur Verein-
fachung des Steuerrechts. Es ist auch kein Platz für
Vorschläge zur Entlastung der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer. Verbesserungen für die Verwaltung ja, Er-
leichterungen für die Bürger nein, genau das ist der
Maßstab für die Finanzpolitik dieser Regierung.


(Beifall bei der FDP)


Mit Ihrer Steueridentifikationsnummer greifen Sie
weiter massiv in den Datenschutz ein. Sie setzen den
finanzpolitischen Überwachungsstaat voll auf die
Schiene. Die Union nickt alles brav ab. Von Gesetz zu
Gesetz entfernen Sie sich von Ihrem Wahlprogramm. Sie
beschließen diese Zumutung für Unternehmen, Wirt-
schaft sowie die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land
fleißig mit.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Leider wahr!)


Mit diesem Jahressteuergesetz wird das Steuerrecht
weder einfacher noch transparenter.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])

200 Vorschriften in 30 Gesetzen werden geändert. Das
Ziel der Vereinfachung wird total verfehlt. Die Erwar-
tungen der Menschen, dass Sie die Fehler Ihrer Unter-
nehmensteuerreform korrigieren, waren groß. Auch das
ist Ihnen nicht einmal ansatzweise gelungen.

CDU/CSU und SPD haben dafür gesorgt, dass der
Handel künftig Steuern auf seine Mietzahlungen leisten
muss. Das ist ein aktiver Beitrag zur Schwächung des
Einzelhandels in den deutschen Innenstädten.


(Beifall bei der FDP)


Genau dort sind die Mieten nämlich besonders hoch.
Ihre Absenkung des steuerpflichtigen Teils von 75 auf
65 Prozent – das bleibt im Übrigen weit hinter dem zu-
rück, was die Union den Wählerinnen und Wählern ver-
sprochen hat – ist reine Kosmetik und löst nicht einmal
ansatzweise das Problem. Diese Politik zeugt von einer
erheblichen Arroganz gegenüber den Belangen des Ein-
zelhandels.

CDU/CSU und SPD tragen damit die volle Verant-
wortung für leerstehende Läden in den deutschen Innen-
städten. Während Ihre Kommunalpolitikerinnen und
Kommunalpolitiker vor Ort um jeden Laden, der die In-
nenstadt belebt, kämpfen, setzen Sie mit Ihrer Substanz-
besteuerung zum Kahlschlag gegen den Einzelhandel in
Deutschland an.


(Beifall bei der FDP)


Ich hätte mir gewünscht, dass Sie die Chance nutzen,
mit diesem Jahressteuergesetz Verbesserungen auf den
Weg zu bringen. Dazu waren Sie nicht ansatzweise in
der Lage. Es ist Ihnen nicht einmal gelungen, etwas für
die Eheleute zu tun, um ihnen eine Alternative zur pro-
blematischen Steuerklasse V zu bieten. Auch das haben
Sie nicht geschafft. Das ist ein Paradebeispiel dafür, dass
Sie die Erleichterungen und Verbesserungen für die Bür-
ger verschieben, vertagen und die Belastungen in die
Gesetze schreiben.

Die einzige Innovation, die dieses Gesetz mit sich
bringt, ist die Absenkung des Mehrwertsteuersatzes für
Bergbahnen. Das ist schon ein bemerkenswerter Schritt
für eine Große Koalition.


(Zuruf von der CDU/CSU: Es geht bergauf!)


Sie haben es bisher nicht geschafft, einen Vorschlag zur
Überarbeitung des Mehrwertsteuersystems vorzulegen.
Aber Sie haben mit diesem Gesetz wenigstens eines be-
wiesen, nämlich dass Ihr Finanzminister völlig daneben-
liegt, wenn er immer wieder behauptet, eine grundle-
gende Überarbeitung der vollen und verminderten
Mehrwertsteuersätze in Deutschland sei nicht möglich.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1612314200

Ich gebe das Wort dem Kollegen Olav Gutting, CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Olav Gutting (CDU):
Rede ID: ID1612314300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen!

Meine Herren! Das Jahressteuergesetz 2008 enthält eine
Vielzahl sinnvoller Regelungen, um unser Steuerrecht
auch für die Zukunft fit zu machen. Mit dem Jahressteu-
ergesetz 2008 werden wir einen Beitrag zur weiteren
Absenkung der Bürokratiekosten in diesem Land in
Höhe von fast 300 Millionen Euro leisten.

Natürlich sind wir vom Idealzustand noch ein ganzes
Stück entfernt. Der effektivste Schutz vor missbräuchli-
chen Steuergestaltungen wäre immer noch ein einfaches
und damit auch ein gerechtes Steuersystem.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Aber zurück zum Jahressteuergesetz 2008. Die Ein-
führung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale
und der damit verbundene Wegfall von circa 40 Millio-
nen Papierlohnsteuerkarten wie auch die Umstellung der
Anmeldung zur Kapitalertragsteuer auf das elektroni-
sche Verfahren führt zu einer bürokratischen Entlastung
nicht nur beim Bürger, sondern – da haben Sie recht –
auch bei der Finanzverwaltung.

Den Menschen in unserem Land können wir sagen,
dass die datenschutzrechtlichen Bedenken, die mit der
Einführung der elektronischen Lohnsteuerkarte verbun-
den sind, berücksichtigt wurden. Die Bürger haben mit
Recht einen Anspruch darauf, dass ihre Daten nur be-
rechtigten Personen zugänglich sind. Dafür haben wir
gesorgt; dies wird sichergestellt.

Den Kritikern muss gesagt werden: Es geht hier nicht
um die Schaffung des gläsernen Steuerbürgers. Denn die
Finanzverwaltung wird auch zukünftig mit der Einfüh-
rung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale nur
die Daten erhalten, die sie bisher schon auf den papiere-
nen Lohnsteuerkarten erhalten hat und die schon bekannt
sind.

Insgesamt haben wir den ursprünglichen Regierungs-
entwurf im parlamentarischen Verfahren geradezu einer
Kernsanierung unterzogen. Nach Anhörungen und Bera-
tungen haben wir über 40 Änderungen am ursprüngli-
chen Gesetzentwurf vorgenommen, unter anderem auch
– Herr Kollege Wissing, das hätten Sie eigentlich mer-
ken müssen – beim § 42 AO.

Das zeigt vor allem auch, dass dieses Parlament die
Gesetze macht,


(Lachen bei der FDP)


nicht nur eine Notarfunktion hat und die Entwürfe der
Bundesregierung nicht einfach nur abnickt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Es ist leider immer so! Das dritte Semikolon darf geändert werden!)


Auf eine ursprünglich geplante wichtige Einzelmaß-
nahme mussten wir im Rahmen dieser Beratungen ver-
zichten. Es stellte sich beim Gesetzgebungsverfahren
heraus, dass das Anteilsverfahren schlicht ungeeignet ist.
Besonders die notwendige Mitteilung des jeweils ent-
sprechenden Prozentsatzes auf der Lohnsteuerkarte und
die damit verbundene Kenntniserlangung des Arbeitge-
bers vom Einkommen des jeweiligen Ehepartners sind
aus datenschutzrechtlichen Erwägungen nicht tragbar
gewesen.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir am Anfang auch schon gesagt! Die Einsicht hat lange gedauert!)


Die Zielrichtung war trotzdem richtig. Wir müssen
die Steuerlast der Ehepartner senken, damit auch die
Frauen – sie haben in der Regel das geringere Einkom-
men – einer Berufstätigkeit rentabel nachgehen können.
Deshalb haben wir uns zusammen mit dem Koalitions-
partner entschlossen, dass wir auf eine Lösung der Pro-
bleme der Lohnsteuerklasse V hinarbeiten und diese bis
zum 1. Januar 2009 finden werden. Wir werden damit
eine zusätzliche Alternative zur Lohnsteuerklasse V zur
Verfügung stellen. Die weiteren Beratungen werden zei-
gen, ob dabei auf das Durchschnittssteuersatzverfahren
zurückgegriffen wird oder ob wir ein anderes Modell
finden.

Das Jahressteuergesetz 2008 trägt insbesondere beim
Wegfall der ursprünglich geplanten massiven Begren-
zung des Sonderausgabenabzuges bei der vorwegge-
nommenen Erbfolge die Handschrift der CDU/CSU-
Fraktion. Der Sonderausgabenabzug bei der Übertra-
gung von GmbH-Anteilen durch den Gesellschafter-Ge-
schäftsführer bleibt erhalten. Das ist gerade für unsere
Mittelständler wichtig, von denen viele ihre Betriebe in
Form einer GmbH betreiben. Im Sinne unserer Land-
wirte werden wir dafür sorgen, dass der Wohnteil bei der
Übergabe des Hofes auch zukünftig einbezogen wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Uns war in diesem Zusammenhang wichtig, dass der ur-
sprünglich vorgesehene Wegfall des Sonderausgaben-
abzuges nach fünf Jahren gestrichen wurde. Das bedeu-
tet: Altverträge haben unbeschränkt Bestandsschutz. Das
ist eine ganz wichtige Änderung gegenüber dem ur-
sprünglichen Entwurf.

Für die Pauschalbesteuerung nach § 37 b des Ein-
kommensteuergesetzes, also für den Fall, dass der Ar-
beitgeber seinem Arbeitnehmer Zuwendungen zukom-
men lässt, müssen wir noch eine sinnvolle Lösung
finden. Es ist kaum verständlich, dass der Arbeitgeber
beispielsweise bei einer Einladung verdienter Mitarbei-
ter ins Stadion zwar den erheblichen Steueranteil pau-
schaliert abführen kann, danach aber die Sozialversiche-
rungsbeiträge individuell berechnet und abgeführt
werden müssen. Wir müssen uns in den nächsten Mona-
ten noch einmal zusammensetzen und versuchen, auch
in diesen Fällen eine Pauschalierung der Sozialversiche-
rungsbeiträge hinzubekommen. Nur so macht die Pau-
schalbesteuerung nach § 37 b des Einkommensteuerge-
setzes Sinn.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es bleibt festzuhalten, dass mit dem Jahressteuerge-
setz 2008 notwendige und richtige Änderungen, Korrek-
turen und Anpassungen vorgenommen wurden. Ich






(A) (C)



(B) (D)


Olav Gutting
weiß, dass dieses Gesetz viele Einzelpunkte – es sind
mehr als 200 – enthält. Ich habe Verständnis für diejeni-
gen, die bei über 200 Änderungen zunächst einmal die
Luft anhalten, vielleicht sogar stöhnen.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das geht uns ja selber so! Wir haben ja selber kaum mehr Luft!)


Das geht uns selbst nicht anders.

Wer aber genau hinschaut, kann erkennen, dass das
Jahressteuergesetz 2008 in wesentlichen Teilen Erleich-
terungen und Vereinfachungen mit sich bringt, und zwar
nicht nur für die Verwaltung, sondern gerade auch für
die Steuerbürger in unserem Land. Deswegen ist dieses
Gesetz zu begrüßen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Volker Wissing [FDP]: Wo denn? – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die Beispiele muss man aber suchen!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1612314400

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Barbara Höll,

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612314500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Gutting, das Jahressteuergesetz 2008 ist nicht mehr
und nicht weniger als eine verpasste Chance zur Wider-
herstellung von sozialer Gerechtigkeit.


(Beifall bei der LINKEN – Eduard Oswald [CDU/ CSU]: Jetzt gehen Sie aber zu weit!)


– Nein, das ist genau die richtige Einschätzung, Herr
Oswald.

Es ist ein dickes Gesetz, 43 Änderungen, viele redak-
tionelle Änderungen und spärliche Versuche zur Verein-
fachung und Rechtsangleichung. An einer Stelle wurde
sogar Lernfähigkeit nachgewiesen, und zwar mit der
Rücknahme des Anteilsverfahrens. Herr Gutting, nach
Ihren Ausführungen ist ganz klar: Die einzig vernünftige
Lösung ist der konsequente Übergang zur Individualbe-
steuerung im Einkommensteuerrecht. Das kann man hier
festhalten.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn Sie das bis zum 1. Januar 2009 hinbekommen,
werden Sie unsere volle Unterstützung haben.

Dieser Gesetzentwurf zeigt aber auch das offensichtli-
che Nachgeben gegenüber dem Druck der Lobbyver-
bände, indem die Unternehmensteuerreform 2008, die erst
ab dem 1. Januar des nächsten Jahres gilt, schon jetzt wie-
der verändert wird, und zwar wird die Berechnungs-
grundlage für die Gewerbesteuer verändert. Der Satz für
die neu aufgenommene Hinzurechnung von Mieten und
Pachten wird schon jetzt von 75 auf 65 Prozent herabge-
setzt. Nur nicht die Unternehmensseite zu stark belasten,
das ist Ihr Credo.
Nebenbei muss man natürlich bemerken, dass die
Finanzbeamtinnen und -beamten mit Ihrem Gesetz sehr
viel Arbeit haben werden. Ich hoffe, dass ihnen genug
Zeit eingeräumt wird, sich das alles überhaupt aneignen
zu können.

Ihre große verpasste Chance besteht darin, dass Sie
die Möglichkeit, die Entfernungspauschale wieder voll
als absetzbare Werbungskosten anzuerkennen, nicht ge-
nutzt haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb haben wir Ihnen unseren Antrag zur Wiederein-
führung vorgelegt.

Ich möchte zur Verdeutlichung daran erinnern, dass
die Regelung der Entfernungspauschale, wie sie bis zum
1. Januar dieses Jahres galt, dem objektiven Nettoprinzip
der Besteuerung verpflichtet war. Danach sind alle Kos-
ten, die eine Steuerzahlerin oder ein Steuerzahler hat, um
ihr oder sein Einkommen zu erzielen, vom zu versteu-
ernden Einkommen abziehbar. Es handelt sich um die
real entstandenen Kosten der Berufstätigkeit. Das sind
keine privaten Aufwendungen. Dessen ungeachtet defi-
niert die Bundesregierung – die Regierungskoalition
folgt ihr – das einfach neu. Sie werden nicht mehr zu
Werbungskosten gezählt, sondern sind jetzt reine Privat-
angelegenheit. Die Begrenzung der Pendlerpauschale sei
damit Subventionsabbau, so die Staatssekretärin im Peti-
tionsausschuss am 9. Oktober dieses Jahres.

Da fragt man sich natürlich: Wenn die Fahrtkosten
jetzt nichts mehr mit der Erwerbstätigkeit zu tun haben
und keine Werbungskosten mehr sind, wie ist denn das
eigentlich mit Fachbüchern, mit Computern oder mit den
Kinderbetreuungskosten, die wir ja zu den Werbungs-
kosten neu hinzuzählen? Werden sie dann vielleicht auch
im Rahmen des Subventionsabbaus im nächsten oder
übernächsten Jahr gestrichen?


(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Tja, alles vor dem Werktor!)


Das alles ist möglich. Das ist das grundsätzliche Pro-
blem.

Verfassungsmäßig stellt sich zudem noch die Frage
des spezifischen Umganges mit der Entfernungspau-
schale. Sie haben sie ja nicht vollständig gestrichen, son-
dern Sie sagen: Ab dem 21. Kilometer darf man sie wie-
der geltend machen. Dies ist eine ungerechte Behandlung
der Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern, die man einfach
nicht begründen kann.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie begeben sich verfassungsmäßig auch auf sehr, sehr
dünnes Eis, weil durch die Absenkung die Gefahr be-
steht, dass niedrige Einkommen, die am Existenzmini-
mum liegen – das steuerfrei zu stellen ist – besteuert
werden. Auch das wird nachzuprüfen sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Nicht nur wir Linke, auch Fachleute und Gerichte ha-
ben Ihnen in den letzten Wochen ins Stammbuch ge-
schrieben, dass diese Regelung nicht zu halten sein wird.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Barbara Höll
Die Verfassungsmäßigkeit ist stark anzuzweifeln. Wir
sind der Überzeugung, sie ist nicht gegeben.

Sie verweisen in den Diskussionen nun einfach im-
mer darauf: Wir warten einmal ab, was das Bundesver-
fassungsgericht sagt. Herr Steinbrück mahnt Stehvermö-
gen an. Die SPD schob im Oktober noch folgende
Begründung hinterher: Wir haben das jetzt so geregelt,
weil wir die Verödung der Innenstädte beenden wollen.
Da frage ich mich, ob die Gewerbeparks und die Mehr-
zahl der Arbeitsplätze neuerdings in den Innenstädten
liegen. Das ist doch abstrus. Hier wird das umweltpoliti-
sche Argument missbraucht.


(Beifall bei der LINKEN)


Dann fand der SPD-Parteitag statt. Die SPD kam zu
der neuen Erkenntnis, dass die Entfernungspauschale so,
wie sie jetzt geregelt ist, vielleicht doch nicht gerecht ist
und man etwas nachbessern müsse. Herr Spiller hat das
betont. Herr Struck hat im Morgenmagazin am
30. Oktober dieses Jahres gesagt: Wir überlegen. Herr
Steinbrück sagte sofort: Wir brauchen eine kostenneu-
trale Regelung, etwas anderes gehe ja überhaupt nicht.
Solche Worte habe ich bei der Unternehmensteuerreform
vermisst. Da verzichten Sie locker auf Einnahmen in
Höhe von 10 Milliarden Euro.


(Beifall bei der LINKEN)


Dass Sie sich insgesamt sehr unsicher sind, zeigt jetzt
der Umgang mit den Lohnsteuerkarten. Es darf nicht
mehr abgesetzt werden. Sie sind sich unsicher. Dann gibt
es einen Erlass, der besagt: Wer es will, kann es beim
Finanzamt auf der Lohnsteuerkarte eintragen lassen.
Jetzt haben wir ganz nebenbei heute früh aus der Zeitung
erfahren können, dass die Koalitionsrunde das am Sonn-
tag doch nicht so gesehen hat. Es soll in dieser Wahlpe-
riode nicht mehr so gehandhabt werden. Herr Huber hat
darauf hingewiesen, dass es sehr gefährlich sei und man
diese Regelung zurücknehmen müsse – Sie haben das in
der Koalitionsrunde so beschlossen –, alldieweil, wenn
Sie vor dem Bundesverfassungsgericht vielleicht Recht
bekommen sollten, all die Menschen, die sich das jetzt
haben eintragen lassen, dann Geld an die Finanzämter
zurückzahlen müssen. Das wäre dann im Wahljahr 2009.
Das geht ja nun gar nicht. Da würden die Leute ja ganz
kurz vor der Wahl merken, wie sie verschaukelt werden.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1612314600

Frau Kollegin Höll – –


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612314700

Diesen Umgang lehnen wir ab. Wir fordern Sie auf, in

einer namentlichen Abstimmung heute unserem Antrag
zuzustimmen und zu zeigen, dass die Wiedereinführung
der Entfernungspauschale der einzig richtige Weg ist.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1612314800

Nächste Rednerin ist Kollegin Christine Scheel für

Bündnis 90/Die Grünen.

Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612314900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich kann diesem Gesetz an einer Stelle wirklich etwas
Gutes abgewinnen. Das betrifft die Bergbahnen. Ich
komme nämlich aus Bayern, und daher freue ich mich
darüber. Wir haben diesen Punkt auch mehrere Jahre
lang eingefordert;


(Beifall bei der CDU/CSU)


denn er stärkt unseren Tourismus im Wettbewerb mit
Österreich.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Ein sanfter Tourismus!)


Wenn man sich allerdings die anderen Regelungen
anschaut – ich rede jetzt nicht von irgendwelchen redak-
tionellen Anpassungen, sondern von den Schwerpunkten
dieses Gesetzes –, dann sieht man, dass Sie mit diesem
Gesetz versuchen, Ihre sehr stümperhafte Steuer- und
Finanzpolitik des letzten Jahres ein Stück zu heilen. Man
sieht jedoch auch, dass es Ihnen nicht wirklich gelingt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


An dieser Stelle frage ich mich, was die Finanzbeam-
ten und Finanzbeamtinnen von den Finanzausschussmit-
gliedern denken, wenn es, wie es hier zu lesen ist, bei der
Abgeltungssteuer wieder zu Verschlimmbesserungen
kommt. Niemand versteht es. Das Ganze ist sehr kom-
plex.

Das Ministerium hat aufgrund dieser hohen Kom-
plexität schon jetzt vorsorglich angekündigt, dass es ein
Anwendungsschreiben geben werde. Die Politik, wir in
diesem Hause, kennt dieses Anwendungsschreiben zwar
nicht, aber es soll den Finanzbeamten diese hochkom-
plexe Regelung erklären. Ich halte diesen Weg weder für
gangbar noch für akzeptabel. Denn es muss im Gesetz
vernünftig geregelt werden und nicht in irgendwelchen
Anwendungsschreiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben im Zusammenhang mit der Frage, wie es
mit der Pendlerpauschale weitergeht, gesehen, dass hier
von Einzelnen aus der Regierung bzw. aus dem Haus
Regelungen vorgetragen worden sind, die beinhalten,
dass sich die Menschen die Pendlerpauschale nach der
alten Regelung eintragen lassen können. Frau Kollegin
Höll hat gerade darauf hingewiesen, dass Herr Minister
Huber – in Klammern: Bayern – heute klar gesagt hat,
Herr Steinbrück solle die Beamten in den Finanzbehör-
den anweisen, dass es diese Möglichkeit nicht mehr ge-
ben solle. Denn man habe Sorge, dass man im Wahl-
kampf schlechte Karten hätte, wenn man von den Leuten
Geld zurückfordern würde. Das halte ich gegenüber den
Leuten für eine Unverschämtheit. Sie verunsichern, an-
statt zu handeln.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie hätten sich bei der Pendlerpauschale um eine Lö-
sung bemühen müssen, von der wir sicher sein können,
dass sie verfassungskonform ist, und sie im Rahmen des
Jahressteuergesetzes auf den Weg bringen können. Das
wäre sauber gewesen, aber Sie schieben es wieder auf






(A) (C)



(B) (D)


Christine Scheel
eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Letz-
ten Endes wird die Politik dann vom Bundesverfas-
sungsgericht und nicht mehr in diesem Hause gemacht.
Das halte ich nicht für tragbar, und es schädigt unsere
Demokratie und unseren Parlamentarismus insgesamt in
Deutschland.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Zusammenhang mit dem Missbrauchsparagrafen,
den Sie zu regeln versucht haben, habe ich festgestellt,
dass es ein Stück blanke Kosmetik ist. Wir sehen, dass
dieses Hase-und-Igel-Spiel, welches es bei Steuerspar-
modellen immer gibt, mit diesem Paragrafen mitnichten
beendet wird. Vielmehr werden Sie weiterhin hinterher-
hecheln. Sie lassen die Steuerpflichtigen in dieser Situa-
tion allein, weil die Rechtssicherheit nicht hergestellt
wird. Sie versuchen dann irgendwie – wie Sie es machen
wollen, wissen wir nicht –, die Situation zu lösen. Es
wird es aber verkomplizieren, und es löst auch nicht das
Problem.

Ich darf daran erinnern, dass wir von grüner Seite
Vorschläge dazu unterbreitet haben, die aufzeigen, wie
es in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten – in
diesem Fall positiv – gelöst wurde. Auch bei uns hätte
man eine Meldepflicht einführen können. Dann hätten
wir eine saubere Lösung, die Rechtssicherheit sowohl
für die Finanzbehörden als auch für die Steuerpflichtigen
und insbesondere die Unternehmen bedeuten würde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zur modernen Besteuerung von Verheirateten. Die
Steuerklassen für Ehepaare sind antiquiert; das wissen
wir. Deswegen haben Sie versucht, mit dem Anteilsver-
fahren ein Stück weit zu heilen. Sie haben es zurückge-
zogen. Das kann ich nur begrüßen, weil es überhaupt
keinen Sinn gemacht hat, was Sie sich da überlegt haben.
Nicht nur aus datenschutzrechtlichen Gründen, sondern
auch wegen anderer Punkte war es ein ganz unbefriedi-
gender Zustand. Diesen Vorschlag einfach zurückzuneh-
men und stattdessen nichts zu tun, das ist allerdings nicht
tragbar.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich kann Sie nur auffordern: Schaffen Sie die diskri-
minierende Steuerklasse V ab, und gehen Sie den Weg
einer Individualbesteuerung mit einem übertragbaren
Betrag beim Existenzminimum! Das ist machbar und
richtig. Das wäre eine gute Regelung für die Zukunft
und ein großer Schritt zur Modernisierung unseres Steu-
errechts nach Gesichtspunkten, nach denen die Welt
heute funktioniert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir würden uns wünschen, dass Sie mehr Mut hätten.
Was Sie tun, ist leider immer nur Pflasterkleberei auf
völlig problematische Dinge, aber keine zukunftsgerich-
tete Steuerpolitik; das finden wir sehr schade. Aus die-
sem Grunde müssen wir diesen Gesetzentwurf ablehnen.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1612315000

Ich gebe das Wort der Kollegin Gabriele Frechen,

SPD-Fraktion.


Gabriele Frechen (SPD):
Rede ID: ID1612315100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Auch dieser Entwurf eines Jahressteuergesetzes erstreckt
sich über die gesamte Bandbreite des Steuerrechts. Viele
Änderungen sind redaktioneller Art, enthalten Klarstel-
lungen oder Rechtsbereinigungen. Der Gesetzgeber re-
agiert auf Entscheidungen, die nicht im Sinne des Ge-
setzgebers sind, und hebt überflüssige Vorschriften auf.
Trotz des großen Umfangs ist es uns gelungen, dabei
drei Grundsätze zu beachten: den Abbau unnötiger Bü-
rokratie, die Bekämpfung missbräuchlicher oder uner-
wünschter Steuergestaltung sowie Verlässlichkeit und
Steuergerechtigkeit.

Zum Abbau unnötiger Bürokratie gehört ohne Zwei-
fel die Einführung der elektronischen Lohnsteuerabzugs-
merkmale. Im Zeitalter der elektronischen Vernetzung
hat die Papierlohnsteuerkarte ausgedient. Das ist nicht
nur eine Erleichterung für die Arbeitgeber, sondern auch
für die Arbeitnehmer und Steuerpflichtigen. Ein
wichtiger Schritt ist die Umstellung der Kapitalertrag-
steueranmeldung auf ein elektronisches Verfahren, die
Datenübermittlung hinsichtlich der Einkommensersatz-
leistungen und der Wegfall überflüssiger Daten in den
Rentenbezugsmitteilungen. All das hat Herr Dr. Wissing
offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen.

Eine deutliche Vereinfachung stellt auch die Aufhe-
bung der Haftung von leistenden Unternehmen bei der
Umsatzsteuer dar. Die Vorschrift zur Steuerfreiheit der
Aufstockungsbeträge im Rahmen der Altersteilzeit über
den 31. Dezember 2009 hinaus sorgt bei den Betroffenen
für Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Zur Vereinfa-
chung und Vertrauensbildung, was das Verhältnis von
Steuerbürger und Staat angeht, trägt sicherlich auch bei,
dass Nachweise über Kinderbetreuungskosten und haus-
haltsnahe Dienstleistungen nur noch aufbewahrt, aber
nicht mehr mit der Steuererklärung eingereicht werden
müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die von der Regierung vorgeschlagene Abschaffung
des Lohnsteuerjahresausgleichs durch die Arbeitgeber
haben wir abgelehnt. Diese Regelung träfe Arbeitneh-
mer, die in ihrer Steuererklärung keine Werbungskosten
und auch sonst nichts abzugsfähig geltend machen kön-
nen. Diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müss-
ten dann auf relativ kleine Beträge verzichten oder eine
Steuererklärung machen. Wir sagen: Der Bürokratieauf-
wand steht hierzu in keinem angemessenen Verhältnis.
Deshalb haben wir diese Regelung zurückgenommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Zur Steuergerechtigkeit gehört für mich ebenfalls die
Bekämpfung von missbräuchlicher, aber auch von uner-
wünschter Steuergestaltung. Zu diesem Zweck gab und
gibt es § 42 der Abgabenordnung, der in seiner jetzigen
Form sicherlich ein eher stumpfes Schwert ist.






(A) (C)



(B) (D)


Gabriele Frechen

(Dr. Volker Wissing [FDP]: Woraus ziehen Sie denn diese Schlüsse?)


Die Formulierung, die im Gesetzentwurf der Regierung
enthalten war, ist in der Sachverständigenanhörung hef-
tig kritisiert worden. Allerdings ist von den Sachverstän-
digen nicht das Ziel der Bekämpfung missbräuchlicher
Steuergestaltung kritisiert worden,


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Von mir auch nicht!)


sondern, dass wir im Gesetzentwurf den unbestimmten
Rechtsbegriff „ungewöhnlich“ verwendet haben. Jetzt
haben wir eine Definition gefunden, die den gerichtsfes-
ten Begriff „unangemessen“ enthält. Ich denke, dadurch
haben wir § 42 AO zielgerichteter gestalten können.

Laut Herrn Dr. Wissing ist die Masse der Steuer-
pflichtigen von § 42 AO betroffen. Ja, theoretisch sind
alle betroffen. Doch in der Praxis wird nur eine winzige
Anzahl von Steuerpflichtigen in ihrem Steuerleben je-
mals mit dem Missbrauchstatbestand in Verbindung ge-
bracht werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistung
führen wir auf die vom Gesetzgeber ursprünglich vorge-
sehenen Kernbereiche zurück, nämlich auf Land- und
Forstwirtschaft und auf Betriebsvermögen. Die Fünfjah-
resfrist lehnen wir aus Vertrauensschutzgründen ab; Herr
Gutting hat dies schon gesagt.

Wir haben uns im Koalitionsvertrag verpflichtet, die
Ehegattenbesteuerung neu zu regeln; das stimmt. Aber
wir wollen nicht wie Sie, liebe Kolleginnen von rechts
und links, die Steuerklassen abschaffen und den Ehegat-
ten die Wahlmöglichkeiten nehmen, wie sie ihre Steuer-
last verteilt haben wollen. Wir wollen den Ehegatten
eine Option anbieten, die sie nutzen können, wenn sie es
denn wollen. Mit diesem Gesetzentwurf ist es uns nicht
gelungen, aber wir sind sicher: Zum 1. Januar 2009 wer-
den wir das Durchschnittssteuersatzverfahren oder ein
besseres Verfahren im Gesetz stehen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ganz wichtig: Mit diesem Gesetzentwurf lösen wir
auch die EK-02-Problematik. Wir bieten damit den ehe-
mals gemeinnützigen Wohnungsunternehmen an, das
unversteuerte Eigenkapital aus der Zeit des Anrech-
nungsverfahrens unabhängig von einer Ausschüttung
mit 3 Prozent abzugelten. Das bringt nicht nur der Fi-
nanzverwaltung, sondern auch den Steuerpflichtigen er-
hebliche Erleichterung. Verschenkt wird hierbei übri-
gens nichts, weil die Beträge ab 2019 ohnehin steuerfrei
hätten ausgeschüttet werden können.

Es gibt Wohnungsgesellschaften, deren Augenmerk
nicht darauf liegt, Gewinne auszuschütten oder Bestände
zu verkaufen, sondern darauf, diese zu halten und preis-
werten, bezahlbaren Wohnraum anzubieten. Diesen Un-
ternehmen – kommunalen Unternehmen, kirchlichen
Unternehmen, Wohnungsgenossenschaften – räumen wir
ein Wahlrecht ein, von dem sie Gebrauch machen kön-
nen, sodass sie bis 2019 warten können. Ich denke, da-
mit kommen wir unserer sozialpolitischen Verantwor-
tung nach.

Ein paar Sätze zu den Anträgen, die heute mit beraten
werden. Die Intention des Antrags der Linken, Einkom-
mensmillionäre regelmäßig zu prüfen, kann ich nach-
vollziehen, aber nicht ihre Leidenschaft für neue Ge-
setze. Gesetze haben wir, wir müssen sie nur anwenden.
Die Haltung der SPD-Bundestagsfraktion zur Eigen-
heimpauschale ist eben von anderer Seite deutlich ge-
macht worden; dazu brauche ich also nichts mehr zu sa-
gen.

Zum Schluss möchte ich mich bedanken: bei den Kol-
legen meiner Fraktion, die mich bei diesem umfangrei-
chen Gesetzentwurf unterstützt haben, bei Herrn Gutting
und seinen Kollegen von unserem Koalitionspartner, bei
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Ministerium
und ganz besonders bei Staatssekretärin Frau
Dr. Hendricks. Sehr geehrte Frau Dr. Hendricks, da dies
das letzte Jahressteuergesetz ist, das ich als Berichter-
statterin mit Ihnen zusammen verabschieden darf,
möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich für die letzten
fünf Jahre bei Ihnen zu bedanken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie waren zu jeder Zeit bei allen Problemen eine faire,
kollegiale und äußerst kompetente Staatssekretärin und
Kollegin. Mir hat die Zusammenarbeit viel Spaß ge-
macht. Herzlichen Dank!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1612315200

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Otto

Bernhardt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer der Rede von
Herrn Bernhardt nicht folgen möchte, hat noch sieben
Minuten die Chance, die Unterhaltungen außerhalb des
Saales, in der Lobby, fortzusetzen.

Herr Kollege Bernhardt, Sie haben das Wort.


Otto Bernhardt (CDU):
Rede ID: ID1612315300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich stelle zunächst einmal fest, dass das
Jahressteuergesetz 2008 einen Beitrag zum Abbau von
Bürokratiekosten leistet. Mehr als 300 Millionen Euro
an Bürokratiekosten werden durch dieses Gesetz abge-
baut.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Der zweite Punkt. Natürlich gab es jede Menge Chan-
cen, im Rahmen dieses Gesetzes Geld auszugeben; es
wurden uns wirklich genug Wünsche vorgetragen. Aber
die Große Koalition redet nicht nur von Haushaltssanie-
rung, wir betreiben sie konsequent, wohlwissend, dass






(A) (C)



(B) (D)


Otto Bernhardt
das nicht immer populär ist. Deshalb stelle ich fest: Die-
ses Gesetz führt nicht zu Mehrausgaben. Wenn wir uns
einmal die Ansprüche anschauen, erkennen wir, dass das
ein großer Erfolg ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, ich will in aller Kürze ei-
nige ganz wenige Punkte dieses Gesetzentwurfes anspre-
chen. Der erste Punkt ist die viel diskutierte Neufassung
des § 42 der Abgabenordnung. Ursprünglich gab es im
Referentenentwurf in der Tat eine Formulierung – ich
sage das so deutlich –, mit der wir nicht leben konnten.
Sie hätte dazu geführt, dass, wenn jemand irgendetwas
tut, wodurch er weniger Steuern zahlen muss, er hätte
beweisen müssen, dass es auch andere als steuerliche
Gründe dafür gibt, dass er dies getan hat. Das führte so
weit, dass der Kollege Brüderle gesagt hat: Wer in Zu-
kunft im Dezember heiratet, muss also nachweisen, dass
es dafür nicht nur steuerliche Gründe gab.

Wir haben jetzt eine Formulierung gefunden, die die
Zustimmung der entsprechenden Verbände gefunden
hat,


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Verwaltung!)


eine Formulierung, Herr Kollege Thiele, mit der man si-
cher leben kann. Ich verhehle aber nicht, dass wir im Ge-
gensatz zu unserem Koalitionspartner keine Änderung
gebraucht hätten. Wir hätten, so wie der Präsident des
Bundesgerichtshofes, auch ohne leben können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich sage aber: Mit dieser Formulierung können wir le-
ben; deshalb haben wir ihr zugestimmt.

Ich nenne einen zweiten Punkt, der zu heftigen Dis-
kussionen geführt hat. Ich weiß noch nicht, ob wir hier
schon am Ende sind. Im Rahmen der Unternehmensteu-
erreform haben wir die Bemessungsgrundlage für die
Gewerbesteuer verändert. Bisher wurden 50 Prozent der
als Betriebsausgabe abzugsfähigen Dauerschuldzinsen der
Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer wieder hin-
zugerechnet; ab dem 1. Januar 2008 werden es 25 Pro-
zent aller Zinsen und Zinsanteile bei Leasing, Pachten
usw. sein. Um es ganz klar zu sagen: Mit dieser Verände-
rung wollten wir nicht mehr Einnahmen für die Kommu-
nen. Deshalb haben wir einen Freibetrag von 100 000
Euro geschaffen, sodass es hier wirklich um plus/minus
null geht. Es geht nur um eine Absicherung der Grund-
lage und um eine gerechtere Grundlage, um das klar zu
sagen.


(Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ CSU])


Nun haben wir festgestellt, dass der Finanzanteil von
75 Prozent bei Mieten, Pachten usw. etwas über der
Wirklichkeit liegt. Man erreicht nur dann 75 Prozent,
wenn man relativ hohe Zinsen und Laufzeiten hat. Ich
finde es mutig von der Großen Koalition, dass sie die
Sorgen des Einzelhandels und auch der Gastronomie in
den Innenstädten ernst nimmt und gesagt hat: Wir verän-
dern diesen Maßstab, bevor das Gesetz in Kraft ist. Wir
reduzieren den Anteil von 75 Prozent auf 65 Prozent.
Die Kritiker sollen erkennen: Wir sind bereit, die Sorgen
der Menschen ernst zu nehmen und kurzfristig die recht-
lichen Konsequenzen zu ziehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


In der Praxis bedeutet dies, dass in Zukunft Jahres-
mieten von 150 000 Euro – das ist eine Menge; das sind
nämlich über 12 000 Euro im Monat – noch voll unter
die Freigrenze fallen, wenn man keine sonstigen Finan-
zierungskosten hat. Wenn jemand Kredite von 500 000
Euro hat – das ist für die meisten Mittelständler ein
ziemlich hoher Betrag –, dann kann er aufgrund der Frei-
grenze noch Mieten von 8 000 bis 9 000 Euro im Monat
ertragen, ohne einen Cent zu zahlen.

Deshalb sage ich allen Kritikern: Sie müssen erstens
berücksichtigen, dass wir einen Freibetrag geschaffen
haben. Zweitens müssen Sie berücksichtigen, dass Per-
sonengesellschaften und Einzelunternehmen – das ist
das Typische im Mittelstand – die gezahlte Gewerbe-
steuer bekanntlich mit der Einkommensteuer verrechnen
können, sodass auch hier keine unangemessenen Belas-
tungen entstehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich spreche einen letzten Punkt an, meine Damen und
Herren. Eine Formulierung im Regierungsentwurf führte
zu Befürchtungen bei den Kreditinstituten, insbesondere
bei den Sparkassen und Volksbanken, dass man in Zu-
kunft, wenn man bei einer Bank gleichzeitig Kredite und
ein Sparguthaben hat, nicht in den Genuss der Abgel-
tungsteuer von 25 Prozent komme. Wir alle bekamen
Briefe aus den Wahlkreisen, in denen stand, wir zwän-
gen jetzt die Leute, zwei Banken zu haben, eine für die
Kredite und eine für das Guthaben. Es ist in der Praxis
übrigens gar nicht so leicht, dann zwei Banken zu haben;
dies nur als kleiner Zwischensatz.

Wir haben jetzt eine Formulierung geschaffen, mit der
dieses Problem gelöst wird. Unserem Lösungsvorschlag
haben alle Bankenverbände zugestimmt, sodass ich
sage: Entwarnung. Auch hier hat sich gezeigt, dass das
Parlament bereit ist, kritische Einwände aufzunehmen.
Ich stimme den Kollegen zu, die gesagt haben: Das Ver-
fahren zum Abschluss des Jahressteuergesetzes hat er-
neut gezeigt, dass Gesetze in Deutschland vom Parla-
ment gemacht werden. – Das wird bei diesem Gesetz
besonders deutlich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Abschließend sage ich auch im Namen des größeren
Teils der Koalition


(Gabriele Frechen [SPD]: Ein bisschen größer!)


Staatssekretärin Hendricks ein herzliches Dankeschön
für die konstruktive Zusammenarbeit über viele Jahre.
Sie werden uns fehlen, Frau Hendricks. Wir wünschen






(A) (C)



(B) (D)


Otto Bernhardt
Ihnen weiterhin viel Glück bei Ihrer neuen Aufgabe.
Herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit!


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1612315400

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Jahressteuer-
gesetzes 2008.

Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6981, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksa-
chen 16/6290 und 16/6739 in der Ausschussfassung an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposi-
tion angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der
Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenom-
men.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6994. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag
ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen,
CDU/CSU bei Enthaltungen der Fraktion Die Linke und
Gegenstimmen der FDP abgelehnt.

Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussemp-
fehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 16/6981
fort.

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6396 mit dem Titel
„Steuerklasse V abschaffen – Lohnsteuerabzug neu ord-
nen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist bei Gegenstimmen der FDP mit den übri-
gen Stimmen des Hauses angenommen.

Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/6374 mit dem Ti-
tel „Entfernungspauschale vollständig anerkennen – Ver-
fassungsmäßigkeit und Steuergerechtigkeit herstellen“.
Die Fraktion Die Linke verlangt namentliche Abstim-
mung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze
an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die
Abstimmung.

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der
Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekanntgegeben.1)

Wir setzen jetzt die Abstimmungen fort.

Noch Tagesordnungspunkt 7 b. Schließlich empfiehlt
der Ausschuss unter Buchstabe d seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/6981 die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 16/3023 mit dem Titel „Steuervereinfachung –
Lohnsteuerklassen III, IV und V abschaffen“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstim-
men vom Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 7 c. Beschlussempfehlung des
Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die
Linke mit dem Titel „Verbesserung der Statistik zur
Lohn- und Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Erb-
schaft- und Schenkungsteuer“. Der Ausschuss empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4274,
den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/
3025 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD,
CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen vom
Bündnis 90/Die Grünen und von der Fraktion Die Linke
angenommen.

Tagesordnungspunkt 7 d. Beschlussempfehlung des
Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die
Linke mit dem Titel „Steuerpflichtige mit mehr als
500 000 Euro Einkommen gleichmäßig und regelmäßig
prüfen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/5693, den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3699 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und
FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Ent-
haltung vom Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. Lothar
Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Rentenabschläge für Langzeiterwerbslose ver-
hindern

– Drucksache 16/6933 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Gregor Gysi,
Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)


1) Ergebnis Seite 12812 B






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612315500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich wusste, dass dieses Thema weniger interes-
siert als die namentliche Abstimmung. Aber es ist wich-
tig, insbesondere für die älteren Arbeitslosen in Deutsch-
land. Es gibt im Augenblick eine gesetzliche Regelung,
die sogenannte 58er-Regelung, die den älteren Arbeitslo-
sen drei Varianten als Wahlmöglichkeiten lässt. Sie kön-
nen darum bitten, nach wie vor vermittelt zu werden,
was sehr schwierig ist, wie Sie wissen. Sie können
ALG II bis zum Eintritt in die gesetzliche Rente bezie-
hen. Oder sie können eine gekürzte Rente beantragen,
die sie vorzeitig bekommen. Diese Rente kann aber bis
zu 18 Prozent gesenkt werden. Sie bleibt auch gekürzt,
egal ob die Betreffenden 65, 70 oder 80 Jahre alt sind.
Das alles ist zweifellos keine geniale Regelung. Wie Sie
wissen, sind wir gegen das ALG II. Aber darum geht es
heute nicht, sondern darum, dass diese Regelung am
31. Dezember 2007 ausläuft. Danach hat ein arbeitsloser
Mann bzw. eine arbeitslose Frau, der bzw. die über
58 Jahre alt ist, nur noch die Möglichkeit, eine vorzeitige
Verrentung zu beantragen, und zwar mit entsprechenden
Abschlägen bei der Rente, die dauerhaft gelten, egal ob
man das 70. oder das 80. Lebensjahr erreicht. Ich halte
das für ein Unding und für grundgesetzwidrig,


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


weil wir in eine gesetzliche Situation kommen, in der
wir ältere Arbeitslose zwingen, dauerhaft eine gekürzte
Rente in Anspruch zu nehmen. Wir verlangen ja nicht
viel. Wir wollen nur, dass Sie die bisherige Regelung
fortsetzen, dass Sie sie nicht auslaufen lassen. Sie sollen
also nichts Neues schaffen.

2005 sollte diese Regelung schon einmal auslaufen.
Damals wurde beschlossen, die Geltungsdauer dieser
Regelung bis Ende 2007 zu verlängern. Nun stehen wir
wieder vor derselben Frage. Ich erkenne durchaus an,
dass es inzwischen Bewegung gibt. Monitor hat be-
kanntlich darüber berichtet. Danach gibt es 350 000 Be-
troffene. Ich glaube, die SPD will eine Lösung, wenn ich
die Meldungen in den Zeitungen richtig verstehe, nicht
aber die Union; das ist das Problem. Was gestern in der
Leipziger Volkszeitung stand, nährte die Hoffnung, dass
Herr Ramsauer etwas Positives gesagt hat. Aber dann er-
klärte dessen Sprecherin, das sei nicht so gemeint gewe-
sen.

Nun muss ich die Frage aufwerfen: Warum wollen Sie
den älteren Arbeitslosen diese Chance nicht geben? Ich
verstehe das einfach nicht. Und das bei Ihrer Philoso-
phie! Sie wollen angeblich mehr Ältere in Arbeit bringen
und meinen, man könne viel länger arbeiten und
brauchte eine Rente erst mit 67 Jahren. Gleichzeitig wol-
len Sie die Betreffenden frühverrenten, und das mit Ab-
zügen. Das ist nicht hinnehmbar und ist noch nicht ein-
mal logisch.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Ich bin zwar kein Konservativer, aber auch wenn man
konservative Politik betreibt, muss diese zumindest in
sich logisch sein. Hier widersprechen Sie dem, wofür Sie
ansonsten vermeintlich eintreten.

Obwohl Sie unseren Antrag schon abgelehnt hatten,
haben wir ihn noch einmal eingebracht, damit wir in der
öffentlichen Diskussion bleiben, damit sich die Öffent-
lichkeit interessiert. Ich bekomme so viele Briefe von
Betroffenen, die nicht mehr wissen, was sie nun machen
sollen. Sobald sie eine Arge betreten, werden sie aufge-
fordert, einen Antrag zu stellen. Aber sie wissen nicht,
ob sie diesen zurückziehen können, wenn es eine neue
Regelung gibt. Meine Damen und Herren von der Koali-
tion, Sie haben keine Zeit. Sie müssen diesen älteren Ar-
beitslosen so schnell wie möglich Sicherheit geben. Ich
hoffe, dass es in die richtige Richtung geht.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Ich bitte Sie zudem, sich nicht neue Quälereien auszu-
denken. Sie sollten davon Abstand nehmen, jemanden
zum Beispiel zu zwingen, einen ganz miesen 1-Euro-Job
anzunehmen. Das ist bei den über 58-Jährigen gerade
nicht nötig. Belassen Sie es doch zumindest bei Ihrer
bisherigen Regelung! Das ist doch nicht zu viel verlangt.
Wir verlangen noch nicht einmal eine neue Regelung,
sondern nur, dass Sie die Geltungsdauer der bisherigen
Regelung verlängern, damit ältere Arbeitslose weiterhin
Wahlmöglichkeiten haben. Ansonsten läuft die Regelung
am 1. Januar 2008 aus.

Ich weiß nicht, ob die von Monitor genannte Zahl
stimmt. Es werden unterschiedliche Zahlen angeführt.
Aber ich weiß, dass es jedes Jahr eine neue Gruppe von
über 58-Jährigen gibt, die in das Arbeitslosengeld II fal-
len und dann die Wahl haben oder eben nicht mehr.

Ich bitte Sie um eines, nämlich nicht eine gesetzliche
Regelung zuzulassen, die den älteren Arbeitslosen klipp
und klar sagt: Es gibt nur einen Weg – sonst musst du
eben dürsten und hungern, und wir zahlen keine Miete –,
du musst deine Frühverrentung beantragen und dein Le-
ben lang eine gekürzte Rente hinnehmen.

Noch ein Gesichtspunkt ist dabei wichtig. Die Rente
kann so niedrig sein, dass der Betreffende davon nicht
leben kann. Dann bekommt er keine Grundsicherung für
das Alter, weil man ihm dann wiederum sagt: Du bist
noch gar kein Rentner, sondern erst Frührentner. Des-
halb bekommst du die Grundsicherung nicht. – Dann
muss er oder sie Sozialhilfe beantragen. Das ist doch
eine Zumutung. Sie würden das nicht wollen, ich würde
das nicht wollen, und deshalb sollten wir das auch den
58-Jährigen und den Älteren nicht zumuten.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1612315600

Ich gebe das Wort dem Kollegen Karl Schiewerling,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B)


Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1612315700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der

Tat beschäftigen wir uns jetzt innerhalb von vier Wochen
zum zweiten Mal hier im Plenum mit dieser Problema-
tik. Dadurch wird sie – das gestehe ich zu – insgesamt
nicht einfacher, aber es verändert sich auch durch diese
Diskussion im Grunde genommen nichts.

Die Fraktion Die Linke vermittelt mit dem vorliegen-
den Antrag, der zum zweiten Mal vorgelegt wird, und
dem Begriff „Zwangsverrentung“ den Eindruck, als
ginge es darum, breite Massen der Bevölkerung zwangs-
weise in ein System zu überführen, in das sie gar nicht
wollen. Das ist falsch. Richtig ist: Die 58er-Regelung
läuft – da gebe ich Ihnen, Herr Dr. Gysi, recht – in der
jetzigen Form zum Ende dieses Jahres aus. Das führt
dazu, dass Bezieher von Arbeitslosengeld II von den Ar-
beitsagenturen bei Erreichen der Altersgrenze und Erfül-
len der jeweiligen Voraussetzungen zur Beantragung ei-
ner Altersrente auch mit Abschlägen aufgefordert
werden können. Die Rente ist vorrangig in Anspruch zu
nehmen, weil das Arbeitslosengeld II von seiner Syste-
matik her nachrangig ist.

Eine Ausnahme gilt in der Tat für die Personen, die
nun bis zum 31. Dezember dieses Jahres von der 58er-
Regelung Gebrauch machen. Diese haben die Möglich-
keit, bis zum Schluss im bestehenden System zu bleiben.
Wie viele Menschen jedoch nach dem 1. Januar 2008
real von der Aufforderung betroffen sind, Rente zu bean-
tragen, ist völlig offen. Die genannten Zahlen sind über-
haupt nicht belegt und beruhen auf Vermutungen.


(Zuruf der Abg. Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Das ist eine Schätzzahl.


(Erneuter Zuruf der Abg. Irmingard ScheweGerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Trotzdem geschätzt. – Die Allermeisten werden von
sich aus die Rente auch mit Abschlägen in Anspruch
nehmen; denn sie haben dann durchschnittlich mehr
Geld, als das Arbeitslosengeld II ausmacht. Sie können
350 Euro hinzuverdienen, ab 65 Jahren sogar unbe-
grenzt. Wie ich schon vor vier Wochen an dieser Stelle
gesagt habe, bleibt die Bereitschaft zu Korrekturen be-
stehen. Die Grundsätze, auf dem dieses System basiert,
müssen klar sein. Diese Grundsätze haben sich in mei-
nen Augen in den letzten vier Wochen nicht verändert.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1612315800

Herr Kollege Schneider würde gerne eine Zwischen-

frage stellen.


Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1612315900

Eine lasse ich zu.


Volker Schneider (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612316000

Vielen Dank, Herr Kollege Schiewerling. Sie sagten

eben, der Arbeitslose werde aufgefordert, einen Antrag
auf Rente zu stellen. Das ist korrekt. Ist es weiter kor-
rekt, dass für den Fall, dass der Arbeitslose dies verwei-
gert, die Antragstellung durch das Amt erfolgen kann?
Würden Sie mir folgen, dass dann, wenn in diesem Fall
die fehlende Einwilligung des Arbeitslosen durch das
Amt ersetzt wird, ein Zustand des Zwangs eintritt? Je-
denfalls definiert der Große Brockhaus das so.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1612316100

So steht es in der Tat im Gesetz, weil man, als es ver-

abschiedet wurde, von anderen Voraussetzungen ausge-
gangen ist.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dann müsste es vielleicht mal geändert werden!)


Das Gesetz will bei diesem Punkt deutlich machen, dass
zunächst einmal jeder seine eigenen Rentenanwartschaf-
ten einzusetzen hat, so wie jemand, der nicht in der ge-
setzlichen Rentenversicherung ist, sondern sich ander-
weitig abgesichert hat, zunächst einmal sein Vermögen
einsetzen muss, wenn er Hilfe des Staates in Anspruch
nehmen will. Ich sage Ihnen aber, dass wir kein Interesse
daran haben, dass eine solche Situation eintritt. Selbst
dann, wenn das nicht anders zu organisieren ist, müssen
wir bei den Grundprinzipien des SGB II bleiben, weil
wir sonst das Gesamtsystem ändern müssten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zu diesen Grundsätzen gehört das Prinzip der Nach-
rangigkeit, auf das ich gerade hingewiesen habe. Es gilt
weiterhin der Grundsatz, dass zunächst jeder Einzelne
seinen Beitrag zu leisten hat, bevor er einen Anspruch
auf Transferleistungen des Staates hat. Schafft er das aus
eigener Kraft nicht, hat er Anrecht auf Unterstützung;
wir nennen das „Subsidiarität“. Es ist ja nicht so, dass
wir die Probleme der Menschen, die in einer Situation
sind, wie Sie sie beschrieben haben, nicht sehen können.
Sie wissen, dass wir an der Lösung dieser Probleme ar-
beiten, übrigens auch ohne diese Debatte. Wir werden
weiterhin alles unternehmen, um die Menschen so zu
fördern, dass sie nicht in der Grundsicherung bleiben,
sondern aus dem Bezug von Leistungen des Staates oder
anderen Transferleistungen herauskommen.

Wir müssen den Aufschwung nutzen, um insbeson-
dere ältere Langzeitarbeitslose wieder in Beschäftigung
zu bringen. Über 100 000 Menschen, die älter als
55 Jahre sind, haben in den letzten zwölf Monaten den
Weg aus der Erwerbslosigkeit gefunden, entweder in Be-
schäftigung, in Qualifizierung oder in Rente. Der Sach-
verständigenrat hat in seinem Jahresgutachten festge-
stellt, dass es keine Anzeichen dafür gibt, dass der
Aufschwung zum Erliegen kommt oder dass gar eine
Rezession bevorsteht. Ich mache darauf aufmerksam,
dass bei der Bundesagentur für Arbeit zurzeit 1 Million
offene Stellen gemeldet sind. Wenn wir alle Möglichkei-
ten und alle Systeme unseres Staates nutzen wollen,
dann haben wir die Perspektive, die älteren Menschen in
diesen Stellen unterzubringen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


(D)







(A) (C)



(B) (D)


Karl Schiewerling

eine angemessene Höhe haben. Auch aus diesen Erträ-
gen lassen sich Zeiten des Übergangs von Arbeitslosig-

ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
zum Antrag der Fraktion Die Linke „Entfernungspau-

(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich habe gesagt, dass wir daran arbeiten, Menschen
aus dem SGB-II-Bezug herauszuholen. Wir fördern be-

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 526;
davon

ja: 435
nein: 40
enthalten: 51

Ja

CDU/CSU

Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser

Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)

und Steuergerechtigkeit herstellen“ bekannt: Abgege-
bene Stimmen 526. Mit Ja haben gestimmt 435, mit Nein
haben gestimmt 40, Enthaltungen 51. Die Beschluss-
empfehlung ist damit angenommen.


(KarlsruheLand)


Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu

Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen

Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ernst Hinsken
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler (Wiesbaden)

keit in die Rente gestalten. schale vollständig anerkennen – Verfassungsmäßigkeit
Konzentrieren wir uns als
schen helfen können! Eine i
dem Arbeitsmarkt spielen nä
mit ihren Erfahrungen, mit ih
fahrungen. Die Kopplung v
macht die Älteren interessan
hilft den Menschen nachhalt
Lebensunterhalt bestreiten, w
allen materiellen Fragen – v
der Menschenwürde ist.


(Zuruf von der LINKE Langzeitarbeits Mit mehr Älteren im aktiv fen wir Schritt für Schritt auc Altersarmut – ich will hier i dass die damit verbundenen men –, der wir begegnen mü Zusammenhang an die Aktiv nern, die der nordrhein-w Karl-Josef Laumann in Angri Ich habe großes Verständ Angst haben, ihre Ersparniss zu müssen. Diese Angst neh dafür sorgen, dass die Freibe o darauf, wie wir den Menmmer wichtigere Rolle auf mlich ältere Arbeitnehmer ren Lebensund Berufser on Erfahrung und Können t für die Unternehmen. Das ig. Sie können selber ihren as übrigens – losgelöst von or allen Dingen eine Frage N: Ja, das wird den losen helfen!)


en Arbeitsprozess entschär-
h die wachsende Gefahr der
n keiner Weise kleinreden,
Probleme auf uns zukom-
ssen. Ich möchte in diesem
itäten und Initiativen erin-

estfälische Arbeitsminister
ff nimmt.

nis für die Menschen, die
e für das Alter aufbrauchen
men wir ernst. Wir müssen
träge für die Altersvorsorge
stimmte Personengruppen.
Name eines Programms, da
seine Wirkung entfalten soll.
reits, Menschen in Arbeit zu

Lassen Sie mich zur Klars

Erstens. Wir arbeiten zusa
tionspartner an einer Lösun
gangs vom Arbeitslosengeld

Zweitens. Wir halten gen
Nachrangigkeit fest.

Drittens. Wir konzentriere
Aufgabenstellung, nämlich
stärkt im Betrieb und somit
bringen, damit sie durch eige
bensunterhalt bestreiten kö
etwas, am meisten die Betrof

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/C Rolf Stöck Vizepräsidentin Dr. h. c Ich komme zurück zum T gebe das von den Schriftführ „Jobperspektive“ ist der s jetzt aufgelegt wird und Initiative „50 plus“ hilft bebringen. tellung zusammenfassen: mmen mit unserem Koalig des Problems des ÜberII in Rente. au so klar am Prinzip der n uns auf die wesentliche ältere Arbeitnehmer verin Lohn und Brot unterzuner Hände Arbeit ihren Lennen. Davon haben alle fenen selbst. SU sowie des Abg. el [SPD])


. Susanne Kastner:
agesordnungspunkt 7 und
erinnen und Schriftführern






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich

Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer (Altötting)

Wolfgang Meckelburg
Friedrich Merz
Laurenz Meyer (Hamm)

Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Bernward Müller (Gera)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht (Weiden)

Peter Rzepka
Anita Schäfer (Saalstadt)

Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Ingo Schmitt (Berlin)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer (Neuss)

Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Niels Annen
Rainer Arnold
Ernst Bahr (Neuruppin)

Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding (Heidelberg)

Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Willi Brase
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Nina Hauer
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz (Essen)

Gerd Höfer
Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Johannes Jung (Karlsruhe)

Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller (Chemnitz)

Michael Müller (Düsseldorf)

Gesine Multhaupt
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche (Cottbus)

Maik Reichel
Dr. Carola Reimann
Christel Riemann-

Hanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Otto Schily
Dr. Frank Schmidt
Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Heinz Schmitt (Landau)

Carsten Schneider (Erfurt)

Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz


(Everswinkel)

Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen


(Wiesloch)

Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Grietje Bettin
Alexander Bonde

Jetzt gebe ich das Wort d
Kolb, FDP-Fraktion.


(Beifall bei Dr. Heinrich L. Kolb (FD Frau Präsidentin! Liebe K Ende dieses Jahres läuft die aus, die bewirkt, dass ältere die nicht mehr arbeitsbereit nicht mehr zur Verfügung ste eintrittsalter Transferleistung nächst ALG I, später ALG II Wichtig ist, dass Pers § 65 Abs. 4 SGB II anspruch Jerzy Montag Kerstin Müller Winfried Nachtwei Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth Krista Sager Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Nein DIE LINKE Karin Binder Dr. Lothar Bisky Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Dr. Dagmar Enkelmann em Kollegen Dr. Heinrich der FDP)


P):
olleginnen und Kollegen!
sogenannte 58er-Regelung

arbeitslose Erwerbsfähige,
sind und der Vermittlung
hen, bis zum Regelrenten-
en bekommen können, zu-
.

onen, soweit sie nach
sberechtigt sind, nicht ge-
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Petra Pau
Elke Reinke
Paul Schäfer (Köln)

Volker Schneider


(Saarbrücken)

Dr. Herbert Schui
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Jörn Wunderlich

fraktionslos

Gert Winkelmeier

Enthaltung

FDP

Jens Ackermann
Daniel Bahr (Münster)

Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Patrick Döring
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke

zwungen sind, vorzeitig in R
sich zu Beginn des nächsten
dann einen Antrag auf ALG I
sen werden, zunächst seine ge
gen.

Diese neue Rechtslage – d
ner Fraktion ganz klar sagen –
werden muss, denn es führt z
Rentenpolitisch benachteilig
Frauen, Menschen mit Behi
sicherte, die ihre Rente mit A
spruch nehmen müssen. Da
gedachte Recht der Frühver
durch in sein Gegenteil. Das P
fenen zur Last.
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Detlef Parr
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Martin Zeil

DIE LINKE

Katja Kipping

ente zu gehen. Das ändert
Jahres grundlegend. Wer
I stellt, wird darauf verwie-
setzliche Rente zu beantra-

as will ich im Namen mei-
ist ein Problem, das gelöst

u ungewollten Ergebnissen.
t diese neue Rechtslage

nderungen, langjährig Ver-
bschlägen vorzeitig in An-

s ursprünglich als Privileg
rentung verkehrt sich da-
rivileg wird für die Betrof-
Simone Violka Nicole Maisch Kornelia Möller Harald Leibrecht
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Rüdiger Veit

Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz (Herborn)

Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Anna Lührmann
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Jan Korte
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner

Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Heinrich L. Kolb
Aber auch arbeitsmarktpolitisch treten unerwünschte
Wirkungen ein, denn für alle auf diesem Wege frühver-
renteten Menschen gelten nach gegenwärtiger Rechts-
lage enge Zuverdienstgrenzen. Sie dürfen zum Beispiel,
wenn sie über dem Grundsicherungsniveau liegen, ne-
ben ihrer Rente nur maximal 350 Euro hinzuverdienen.
Das führt nach Auffassung unserer Fraktion im Ergebnis
dazu, dass die Betroffenen regelrecht aus dem Arbeits-
markt herausgedrängt werden. Eine erneute Beschäfti-
gungsaufnahme wird uninteressant, und die Betroffenen
können nicht wirklich frei entscheiden, ob und in wel-
chem Umfang sie weiterhin erwerbstätig sein und ver-
dienen wollen.

Das gilt nach der strengen Logik des Gesetzes sogar
für „Aufstocker“, also Personen, die durch die ausgeübte
Tätigkeit durchaus beweisen, dass sie arbeiten wollen.
Sie müssen dann wohl zumindest eine Teilrente mit den
entsprechenden Wirkungen beim Zuverdienst beantra-
gen. Das nachzuvollziehen, kann ich jedem Kollegen
hier nur empfehlen. Das ist wirklich ein rentenpoliti-
scher Hochseilakt und im Ergebnis nicht wirklich sinn-
voll.


(Beifall bei der FDP)


Der Antrag der Linken greift diese Problematik auf,
enthält aber keinerlei Lösungsvorschlag. So konkret, wie
Sie, Herr Kollege Gysi, es gesagt haben, steht es nicht
im Antrag. Sie waren in der Vergangenheit mit der
Drucksache 16/5902 schon einmal konkreter. Aber heute
fordern Sie die Regierung lediglich auf. Das ist aus unse-
rer Sicht doch ein bisschen dünn und kann aus diesem
Grunde unsere Zustimmung nicht finden.

Wir haben eine grundsätzlich andere Vorstellung von
der Herangehensweise an die Thematik des Übergangs
vom Erwerbsleben in die Rente. Das habe ich hier schon
wiederholt vorgestellt. Ein Wahlrecht zum Renteneintritt
ab dem 60. Lebensjahr bei Vorliegen der Grundsiche-
rungsfreiheit ermöglicht einen flexiblen Übergang in die
Rente. Der Wegfall der Zuverdienstgrenzen, den wir
wollen, schafft gleichzeitig Anreize, weiter erwerbstätig
zu bleiben.

Einen Zwang, in Rente zu gehen, gibt es beim FDP-
Modell nicht, auch nicht für Arbeitssuchende. Das ist
dann schon eine Durchbrechung des Grundsatzes der
Nachrangigkeit. Es stellt sich die Frage, ob eine solche
Durchbrechung zu rechtfertigen ist. Ich meine, sie ist es.
Denn zum einen findet – wie der Kollege Schiewerling
eingeräumt hat – mit § 65 Abs. 4 SGB II bereits heute eine
Durchbrechung des in § 2 SGB II formulierten Grundsat-
zes statt. Zum anderen würde eine derart unterschiedliche
Behandlung von Leistungsempfängern – einige werden
gezwungen, ihre Rente mit Abschlägen einzusetzen, an-
dere nicht – eine willkürliche Differenzierung seitens des
Gesetzgebers darstellen. Das ist – darin stimme ich Ihnen,
Herr Gysi, zu – vermutlich verfassungswidrig.

Es sollte auch nicht außer Acht gelassen werden,
dass, wenn man alles zusammen betrachtet, eine zusätz-
liche Belastung für die öffentlichen Haushalte oder die
Rentenversicherung nicht entsteht. Denn diejenigen
– das hat Herr Schiewerling zu Recht gesagt –, die deut-
lich über dem Grundsicherungsniveau liegen, werden in
einer solchen Situation ihre Rente ohnehin aus freier
Entscheidung heraus beantragen. Für Personen, die ei-
nen Rentenanspruch unter Grundsicherungsniveau besit-
zen, wird die Solidargemeinschaft ohnehin auf Dauer ei-
nen Zuschuss zu ihrem Unterhalt bezahlen müssen.

Der entscheidende Punkt – das will ich Ihnen, Herr
Kollege Schiewerling, noch einmal sagen – ist: Als wir
als FDP-Fraktion in der Vergangenheit dafür eingetreten
sind, die 58er-Regelung auslaufen zu lassen, ging es uns
nicht darum, eine Entlastung des Haushaltes herbeizu-
führen. Vielmehr ging es uns darum, die Menschen, die
mit der 58er-Regelung an den Rand der Gesellschaft ge-
schoben worden sind, wieder in die Mitte der Gesell-
schaft und des Arbeitsmarktes zu holen.


(Beifall bei der FDP)


Das Entscheidende ist nämlich, dass die Betroffenen
wieder auf dem Arbeitsmarkt zu sehen sind, Angebote
der Vermittlung erhalten und von den Argen und Op-
tionskommunen im Falle fortgesetzter Arbeitsverweige-
rung, also der Ablehnung von Angeboten, auch mit
Sanktionen belegt werden können. Am Ende geht es da-
rum, wieder Teilhabe am Arbeitsleben zu schaffen. Das
wird auf diesem Wege möglich. Dieses übergeordnete
Ziel rechtfertigt aus unserer Sicht die Ausnahme.

Damit ist aber auch klar – ich komme zum Schluss –,
wann der Verzicht auf die Durchsetzung des Nachran-
gigkeitsgrundsatzes ein Ende findet. Leistungsberech-
tigte nach § 41 SGB XII müssen sehr wohl ihre Rente
einsetzen, bevor sie – eventuell ergänzend – steuerfinan-
zierte Sozialleistungen in Anspruch nehmen können.

In der Kürze der Zeit kann ich hier nur einen Weg an-
deuten. Ich kann Ihnen sagen: Wir werden dazu bald ei-
nen eigenen Antrag vorlegen. Es steht aber ohne Zweifel
fest, dass dieses Problem gelöst werden muss. Es darf
nicht zu der sich jetzt andeutenden Änderung der
Rechtslage ab dem 1. Januar 2008 kommen; das will ich
für meine Fraktion sehr deutlich sagen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1612316200

Das Wort hat der Kollege Anton Schaaf, SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD)



Anton Schaaf (SPD):
Rede ID: ID1612316300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha-

ben vor vier Wochen über dieses Thema schon einmal
ausführlich diskutiert; übrigens ein Stück weit auch
heute Nachmittag, als es um die Chancen älterer Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer und um flexible Über-
gänge vom Arbeitsleben in die Rente ging. Ich werde
gleich in meinem Vortrag auf diese schon einmal ge-
führte Debatte zurückkommen.

Herr Gysi, Sie haben völlig recht. Man kann schlicht-
weg nicht ignorieren, dass definitiv ab dem 1. Januar






(A) (C)



(B) (D)


Anton Schaaf
2008 eine ganz bestimmte Gruppe von älteren erwerbs-
losen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Pro-
blem haben wird, das für sie dauerhaft Nachteile bein-
haltet. Jetzt kann man natürlich sagen: Wer Abschläge
hinnimmt, der geht vorzeitig, und insgesamt hat er die
gleiche Rentenleistung, die nur länger gestreckt ist. –
Nur kann man nie voraussagen, wie lang diese Renten-
leistung gestreckt ist. In der Tat ist es so, dass Menschen,
die vorzeitig in die Rente gehen müssen, Abschläge hin-
nehmen.

Wir haben die Abschlagsregelung im Rentenrecht ei-
gentlich als individuelle Möglichkeit vorgesehen, vor-
zeitig zu gehen, und zwar freiwillig vorzeitig zu gehen.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ja, genau! Richtig!)


Wir haben sie nie als Instrument zur Druckausübung,
sondern als Instrument der Freiwilligkeit begriffen.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ab 1. Januar ändert sich das!)


Hier ergibt sich eine andere Situation; das muss man
ganz klar konstatieren. Wenn Menschen, die aus dem
Arbeitslosengeld-I-Bezug kommen und die rentenrecht-
lichen Voraussetzungen erfüllen, einen Antrag auf
Arbeitslosengeld II stellen, dann wird der sofort negativ
beschieden, weil Ansprüche aus anderen Systemen vor-
handen sind. Das ist ein Problem. Das SGB II – Fördern
und Fordern – sieht nämlich nicht in erster Linie das Hi-
nausdrängen aus der Vermittlung, egal wohin, vor, son-
dern im Wesentlichen das Vermitteln in Arbeit. Diese
Leistungen können ältere Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer vor dem Hintergrund der rentenrechtlichen
Voraussetzungen dann nicht mehr in Anspruch nehmen.
Das halte ich für ein ordnungspolitisches Problem. Das
müssen wir lösen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Völlig klar ist – darüber ist mit mir nicht zu diskutie-
ren, übrigens auch nicht mit der SPD-Bundestagsfrak-
tion –, dass das Nachrangigkeitsprinzip gelten muss.
Solidarität ist keine Einbahnstraße, bei der die Allge-
meinheit für etwas aufkommt, obwohl der Einzelne leis-
tungsfähig ist, sondern Solidarität ist immer in zwei
Richtungen zu sehen. Man muss aber einmal fragen, ob
ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in dieser
Situation nicht tatsächlich einen Anspruch haben auf
eine besondere Solidarität der Gesellschaft und der All-
gemeinheit, übrigens auch der Steuerzahlerinnen und der
Steuerzahler. Ich sage: Ja, den haben sie.

Eine rentenrechtliche Voraussetzung für einen norma-
len Arbeitnehmer ist eine Versicherungsdauer von
35 Jahren. Vor dem Hintergrund kann ich einen solchen
Arbeitnehmer bitten oder auffordern, unter Umständen
auch nachhaltig auffordern – möglicherweise kann man
da auch ersatzweise tätig werden –, Rente zu beanspru-
chen.
Ich erinnere nun an die Diskussion, die wir um die
Rente mit 67 geführt haben. Damals haben wir gemein-
sam festgelegt: Ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer, die langjährig versichert sind, haben – so war
unsere Sicht, als wir das beschlossen haben – ein beson-
deres Schutzbedürfnis. Denen räumen wir das Privileg
ein, nach 45 Jahren ohne Abschläge gehen zu können. –
Wir haben also schon einmal formuliert, dass ältere Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer, langjährig Versi-
cherte unserer besonderen Solidarität bedürfen.

An dieser Stelle nun kippen wir das oder sind zumin-
dest in der Gefahr, ab 1. Januar eine Lösung zu haben,
bei der wir diese besondere Solidarität, die wir langjäh-
rig Versicherten, solchen, die langjährig in Systeme ein-
gezahlt haben, die langjährig Beitragszahlerinnen und
Beitragszahler in der Arbeitslosenversicherung waren,
eigentlich zugestehen müssen, nicht zugestehen.

Ich bin nicht der Meinung, Herr Gysi, dass man die
58er-Regelung einfach so weitergelten lassen sollte.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das sicher nicht!)


Wenn man keine andere Lösung hätte, dann wäre es
wahrscheinlich am sinnvollsten, die 58er-Regelung ein-
fach zu verlängern. Wir sollten allerdings versuchen,
eine andere Lösung zu finden. Die 58er-Regelung ist vor
dem Hintergrund der Nachrangigkeit absolut richtig.
Aber wir müssen sie, vielleicht auch in Kombination mit
dem richtigen Ansinnen, das Arbeitslosengeld I zu ver-
längern, zielgenauer gestalten; denn sie ermöglicht zu-
mindest im Moment noch durchaus eine Praxis des Vor-
ruhestandes, der Frühverrentung.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber das kann doch nicht das Ziel sein!)


Wir wollen diese Praxis nicht. Denn der Wegfall der Vor-
ruhestandspraxis hat unter anderem dazu geführt, dass
die Quote der älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer, die jetzt noch in Arbeit sind, deutlich angestiegen
ist, und das halte ich für richtig. Wir haben es den Unter-
nehmen nicht mehr so leicht gemacht, sich ihrer sozialen
Verantwortung gegenüber älteren Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern zu entziehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es ist schwieriger geworden, sie aus den Arbeitsprozes-
sen herauszudrängen.

Wenn wir darüber diskutieren, was wir mit dem be-
troffenen Personenkreis machen, gelten zwei Prämissen,
die sehr zielgerichtet beachtet werden müssen: Die erste
Prämisse ist die Nachrangigkeit, die wir mit Sicherheit
nicht aufgeben dürfen. Die zweite Prämisse ist, dass es
nicht wieder eine Vorruhestandspraxis geben darf. Wenn
wir diese beiden Grundprämissen beachten, muss eine
Lösung, möglichst bis zum 31. Dezember dieses Jahres,
zu finden sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Vorschläge dazu gibt es; sie sind vom Ministerium er-
arbeitet worden. Ich fordere den Koalitionspartner sehr
deutlich auf, sich diese noch einmal ganz genau unter dem






(A) (C)



(B) (D)


Anton Schaaf
Aspekt anzuschauen, welche Wirkung sie tatsächlich ha-
ben. Sind diese Vorschläge zum Beispiel dazu geeignet,
wieder eine Vorruhestands- oder Frühverrentungspraxis
einzuführen? Ich sage Ihnen: So, wie sie formuliert sind,
sind sie dazu nicht geeignet.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die können Sie uns auch mal schicken! Wir würden uns das auch gerne angucken!)


Herr Gysi, in den Vorschlägen gibt es in der Tat die
Formulierung, dass ältere Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer, die in eine solche Situation kommen, unmit-
telbar in Arbeit vermittelt werden müssen. Ich habe aus-
drücklich dafür plädiert – es kann ja durchaus sein, dass
man für einen Arbeitnehmer in dieser Situation keine
Arbeit hat –, dass es auch eine Arbeitsgelegenheit sein
kann. Denn das schützt ausdrücklich davor, dass man
tatsächlich aufgefordert wird, die Rente zu beantragen.
Dann hat der Arbeitnehmer nach wie vor, wie jetzt, die
Wahlmöglichkeit, den angebotenen Job oder die angebo-
tene Arbeitsgelegenheit – natürlich im Rahmen der Zu-
mutbarkeitskriterien; da gebe ich Ihnen recht – anzuneh-
men oder vorzeitig Rente zu beantragen. Jedenfalls liegt
dann die Wahlmöglichkeit bei dem Betroffenen und
nicht beim Sachbearbeiter oder beim Fallmanager. Für
die Abschlagsregelung in der Rentenversicherung war
immer Grundvoraussetzung: Die Entscheidung liegt bei
dem Betroffenen und bei sonst niemandem. Das muss
auch jetzt Prämisse sein. Dafür plädieren wir.

Wir sind also der festen Überzeugung, dass wir keine
Fortführung der 58er-Regelung brauchen, aber eine Re-
gelung, die ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
die arbeitslos geworden sind, davor schützt, zwangs-
weise in Rente geschickt zu werden.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1612316400

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin

Irmingard Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Grünen waren die erste Fraktion, die auf die Unge-
rechtigkeit der Zwangsverrentung Langzeitarbeitsloser
aufmerksam gemacht hat. Bereits im Mai haben wir die
Bundesregierung aufgefordert, den unhaltbaren Zustand
zu beenden, dass zum Beispiel 60-jährige Arbeitslosen-
geld-II-Bezieher ab 2008 gegen ihren Willen – und das
nenne ich zwangsweise – in Rente geschickt werden
können, und zwar mit einem Abschlag von 18 Prozent.
Das werden wir nicht hinnehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dazu lautet die generöse Geste des Kollegen
Brauksiepe, damit hätten sie aktuell mehr Geld zur Ver-
fügung, als wenn sie Arbeitslosengeld II beziehen. Herr
Brauksiepe, das ist wirklich zynisch; denn diese Aussage
stimmt doch nur bis zum 65. Lebensjahr. Gott sei Dank
sterben die Menschen nicht mit 65, sondern leben durch-
schnittlich 15 Jahre länger. Das heißt, bei einer Rente
von 1 000 Euro erleiden sie in 15 Jahren eine Rentenkür-
zung von über 32 000 Euro. Das wollen Sie doch nicht
allen Ernstes als etwas Soziales verkaufen, meine Da-
men und Herren von der Regierungskoalition!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Darum bin ich froh, dass bei der zweiten Lesung un-
seres damaligen Antrages einige in der Großen Koalition
doch etwas nachdenklicher wurden. Schön, dass Ihnen
die Opposition, unterstützt durch Verdi und den Sozial-
verband Deutschland, nun endlich Beine macht; denn
das ist bitter nötig. Stellen Sie sich doch einmal vor, wie
es einem 60-jährigen Beschäftigten geht, der zu Nied-
riglöhnen arbeitet und bei Vollzeitarbeit weniger als
Hartz IV verdient. Wenn der dann die ihm zustehende
Aufstockung beantragt und ihm gesagt wird, dass er auf-
grund des Nachrangigkeitsprinzips seine vorzeitige
Rente mit Abschlägen von 18 Prozent beantragen muss,
dann bricht doch für diesen Menschen die Welt zusam-
men. Das können Sie doch wirklich nicht wollen. Aber
bei der CDU/CSU ist irgendwie Ruhe.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Dieser Mensch zeigt doch, dass er arbeiten will, sogar
für einen Hungerlohn. Und den wollen Sie gegen seinen
Willen zwangsverrenten? Ich halte das wirklich für schä-
big.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Unsere einfache Forderung lautet: Jeder Mensch, der
das 65. Lebensjahr noch nicht erreicht hat und über kei-
nen Arbeitsplatz verfügt, aber erwerbstätig sein will und
kann, darf nicht gegen seinen Willen verrentet werden.
Ist das eigentlich zu viel verlangt?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)


Nun haben Sie, Herr Kollege Schaaf, in der zweiten
Lesung unseres Antrages und jetzt gerade wieder eine
Sensibilität für dieses Thema deutlich gemacht. Sie se-
hen Handlungsbedarf; das ist gut so. Aber eine Einzel-
fallprüfung, wie sie vorgeschlagen wurde, wird das Pro-
blem nicht lösen. Wenn allein 2008 bis zu 20 000
Personen vom Arbeitslosengeld II in eine Rente mit Ab-
schlägen gehen müssen, dann ist das kein individuelles
Problem. Auch der Vorschlag, dass Personen, die nur
noch sechs Monate vor der Altersrente stehen, von der
Zwangsverrentung verschont bleiben sollen, ist nicht
zielführend. Das ist doch nur ein Trostpflaster.

Ihr Signal heißt: Wer nicht mehr gebraucht wird, wird
ausgesteuert. Die Leistungsverpflichtung liegt am Ende
bei den Ländern und den Kommunen. Aber wirklich an-
geschmiert sind doch die älteren Arbeitslosen. Zuerst
werden sie aus dem Betrieb entfernt, später folgt ohne
Vermittlung und Förderung ein Aussteuern aus dem
Leistungsbezug der BA. Wenn sie dann bis zum Ren-
tenalter aufstockende Sozialhilfe beantragen müssen und
gespart haben, dann sollen sie ihr Vermögen bis auf






(A) (C)



(B) (D)


Irmingard Schewe-Gerigk
einen Schonbetrag von 1 600 Euro aufbrauchen. Diese
Herangehensweise ist geradezu empörend. Ich nenne das
zynisch.

Wir Grüne fordern die Bundesregierung erneut dazu
auf: Springen Sie über Ihren Schatten! Verhindern Sie
die Zwangsverrentung durch gesetzliche Änderungen!
Der Vorschlag der Linksfraktion ist – so muss ich sagen –
sehr allgemein formuliert. Da waren Sie schon ein bi-
sschen weiter; das stimmt. Wir selbst haben in unserem
Antrag konkret gefordert, dass das Nachrangigkeitsprin-
zip erst dann eintreten darf, wenn es nicht zu Abschlägen
bei der Rente kommt. Wir stimmen aber um der Sache
willen dem Antrag der Linken zu, damit die Bundesre-
gierung endlich handelt. Wir wollen, dass den erwerbs-
losen Menschen im Alter nicht auch noch ihre Würde
genommen wird.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1612316500

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zu dem Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 16/6933. Die Fraktion Die Linke
wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD wünschen Überweisung, und
zwar federführend an den Ausschuss für Arbeit und So-
ziales und mitberatend an den Rechtsausschuss und den
Finanzausschuss. Die Abstimmung über den Antrag auf
Ausschussüberweisung geht nach ständiger Übung vor.
Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Über-
weisung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Dann ist die Überweisung mit den Stimmen der Koali-
tion gegen die Stimmen der Opposition so beschlossen.
Damit stimmen wir heute über den Antrag auf
Drucksache 16/6933 nicht ab.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Regelung der Weiterverwendung nach Ein-

(Einsatz-Weiterverwendungsgesetz – EinsatzWVG)


– Drucksachen 16/6564, 16/6650 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidi-
gungsausschusses (12. Ausschuss)


– Drucksache 16/6896 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Monika Brüning
Petra Heß
Birgit Homburger
Paul Schäfer (Köln)

Winfried Nachtwei

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 16/6909 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Johannes Kahrs
Susanne Jaffke
Jürgen Koppelin
Roland Claus
Alexander Bonde

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes-
verteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung.

Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi-
gung:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute haben
wir in diesem Parlament über drei Auslandseinsätze der
Soldaten der Bundeswehr zu beraten. Man muss sich vor
Augen führen, dass alle Auslandseinsätze, die unsere
Soldaten bewerkstelligen, mit Risiko für Leib und Leben
verbunden sind. Dieser Staat verlangt von seinen Solda-
tinnen und Soldaten – sei es beim Gelöbnis, sei es im
Rahmen der Vereidigung –, dass sie bereit sind, das
Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu
verteidigen. Dazu gehört dann auch der Einsatz des Le-
bens und der Gesundheit.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke,
das ist der entscheidende Grund, dass es dann der Für-
sorgepflicht des Staates entspricht, dass die Soldatinnen
und Soldaten oder die zivilen Mitarbeiter, die eine Be-
einträchtigung ihrer Gesundheit erfahren, nicht nur auf
Versorgung verwiesen werden, sondern auch einen An-
spruch, ein Recht auf Weiterbeschäftigung erhalten.

Deshalb finde ich es richtig, dass der Pflicht zur tapfe-
ren Verteidigung das Recht auf Weiterbeschäftigung im
Falle der Gesundheitsbeeinträchtigung gegenübersteht.
Darum bitte ich heute im Interesse der Soldatinnen und
Soldaten, aber auch im Interesse der zivilen Mitarbeiter,
die im Einsatz eine entsprechende Gesundheitsbeein-
trächtigung erfahren, um Ihre Zustimmung zu diesem
Gesetzentwurf.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, gerade die Anschläge, die
auf unsere Soldaten in diesem Jahr verübt worden sind,
haben uns aus meiner Sicht die Notwendigkeit einer der-
artigen Regelung wieder vor Augen geführt.

Mit diesem Gesetzentwurf betreten wir dienstrechtli-
ches Neuland. – Das ist wahr; darum hat das Ganze auch
etwas gedauert. – Wir haben ein Einsatzversorgungsge-
setz. Das ist eine, wie ich finde, gute Regelung. Aber
durch das Eröffnen dieser beruflichen Perspektive trotz
der schweren Verletzungen bieten wir den Betroffenen
auch eine emotionale Unterstützung für ihre wichtige
Aufgabe. Das ist, glaube ich, ein wesentlicher Punkt.
Denn wenn man den Einsatz von Leib und Leben ver-
langt, haben wir geradezu die Verpflichtung, ihnen dann
einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung zu geben.

Meine Damen und Herren, das Gesetz sieht vor, dass
nach einer Schutzzeit im Anschluss an eine entspre-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. Franz Josef Jung
chende Verletzung, wo dann niemand entlassen werden
darf, ein Übernahmeanspruch im Soldatenstatus oder für
zivile Mitarbeiter im Beamtenverhältnis oder gegebe-
nenfalls im Arbeitsverhältnis besteht.

Diese Umsetzung war bei den geltenden Dienst- und
Versorgungsrechtsstrukturen – wie ich gerade gesagt
habe – keine einfache Aufgabe. Deshalb möchte ich
mich bei allen Ressorts herzlich bedanken, die hier krea-
tiv und konstruktiv daran mitgewirkt haben, dass wir
heute einen derartigen Gesetzentwurf verabschieden
können.

Meine Damen und Herren, Ausgangspunkt war natür-
lich die Regelung für die Streitkräfte, weil der hohe An-
teil der zeitlich befristeten Dienstverhältnisse hier eine
besondere Rolle spielt. Aber auch ziviles Personal und
Mitarbeiter anderer Ressorts – das haben wir in diesem
Jahr erlebt – können von derartigen Anschlägen betrof-
fen sein. Deshalb wird auch dieser Personenkreis durch
dieses Gesetz mit abgesichert.

Ich denke, dass diese Regelung, wie ich sie gerade
ausgeführt habe, der Fürsorgepflicht unseres Staates ent-
spricht. Es sollte unser gemeinsames Anliegen sein, unsere
Soldatinnen und Soldaten sowie unsere zivilen Mitarbeiter,
die im Auslandseinsatz eine erhebliche Gesundheitsbeein-
trächtigung erfahren, die dann aber in der Lage sind, wie-
der einer beruflichen Beschäftigung nachzugehen, nicht
nur hinsichtlich der Versorgung zu vertrösten, sondern
ihnen auch eine berufliche Perspektive und ein Recht auf
Weiterbeschäftigung zu geben. Deshalb bitte ich Sie um
Zustimmung zu dieser Gesetzesinitiative.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Ich denke, die Soldatinnen und Soldaten sowie alle,
die in gefährlichen Auslandseinsätzen im Interesse unse-
res Landes tätig sind, haben diese Unterstützung ver-
dient. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem
Gesetzentwurf.

Besten Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1612316600

Ich gebe das Wort der Kollegin Birgit Homburger,

FDP-Fraktion.


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1612316700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Dass Auslandseinsätze mit erheblichen Gefahren für
Soldatinnen und Soldaten, aber auch für das Zivilperso-
nal verbunden sind, haben wir in der Vergangenheit
mehrfach – auch schon in diesem Jahr – erleben müssen.
Wir erinnern uns: Im Mai kamen drei Soldaten der Bun-
deswehr in Kunduz ums Leben, wenige Monate später
BKA-Beamte in Kabul. Neben den Getöteten gibt es
eine Vielzahl von verletzten Soldatinnen und Soldaten,
Beamten und Angestellten, nicht nur beim Einsatz in Af-
ghanistan, sondern ebenso bei anderen Einsätze der Bun-
deswehr im Ausland.

Im Anschluss an Verletzungen und Tötungen kam es
immer wieder zu sozialen Härten, meistens deshalb, weil
gesetzliche Grundlagen, die den besonderen Umständen
von Einsätzen im Ausland Rechnung trugen, fehlten. Be-
reits vor mehr als einem Jahrzehnt wurden die ersten ver-
sorgungsrechtlichen Regelungen geschaffen. Die Verab-
schiedung des Einsatzversorgungsgesetzes durch den
Deutschen Bundestag vor drei Jahren war ein Meilenstein.
Mit diesem Einsatzversorgungsgesetz wurde durch den
Deutschen Bundestag zwar eine Regelung geschaffen,
aber zunächst nur für diejenigen, die bei einem Einsatz im
Ausland gesundheitlich so sehr geschädigt werden, dass
ihre Erwerbsfähigkeit um mindestens 50 Prozent gemin-
dert ist und sie ihr Dienstverhältnis verlassen müssen.

Obwohl die bereits vom Gesetzgeber durchgeführten
versorgungsrechtlichen Regelungen von 1995 und 2004
zu einer deutlichen Verbesserung der Situation der im
Auslandseinsatz verletzten Personen geführt haben, ist
es weiterhin notwendig, Nachteile für diesen Personen-
kreis abzustellen. Ich denke, es ist gut, dass diesbezüg-
lich in diesem Hause große Einigkeit herrscht.

Der vorliegende Entwurf eines Einsatz-Weiterver-
wendungsgesetzes ist der noch fehlende Baustein für
eine umfassende Versorgung von Soldaten, Beamten und
Angestellten des Bundes, der dem erhöhten Risiko von
Auslandseinsätzen Rechnung trägt. Dies ist ein notwen-
diger und der Fürsorge für das eingesetzte Personal ge-
schuldeter Schritt.

Nach Inkrafttreten des Einsatz-Weiterverwendungs-
gesetzes haben die während eines Einsatzes im Ausland
Geschädigten ein Recht auf Weiterbeschäftigung; der
Herr Minister hat das gerade schon erläutert. Der Staat
kommt hierdurch seiner Pflicht nach, all diejenigen ad-
äquat abzusichern, die er in gefährliche Auslandsein-
sätze entsendet. Dieses Gesetz wird nicht nur dem be-
troffenen Personenkreis mehr soziale Sicherheit geben;
dieses Gesetz wird darüber hinaus motivationsfördernd
wirken. Die Soldatinnen und Soldaten sowie die Zivil-
personen, die im Interesse unseres Landes an gefährli-
chen Einsätzen im Ausland teilnehmen, wissen nun, dass
sie im Falle einer Verletzung eine ordentliche, besondere
Versorgung erhalten, oder, so sie dies vorziehen, eine an-
gemessene Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in der Bun-
deswehr.

Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch,
dass der Gesetzentwurf einen Anspruch der Geschädig-
ten auf eine für die Weiterbeschäftigung notwendige be-
rufliche Qualifizierung enthält.

Insgesamt stellt der vorliegende Gesetzentwurf eine
zweifelsfrei notwendige Regelung dar. Die Bundesrepu-
blik Deutschland kommt damit ihrer Pflicht im Rahmen
der Fürsorge nach, Personen, die bei Einsätzen im Aus-
land verletzt werden, optimal abzusichern. Die FDP-
Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf uneingeschränkt zu.


(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612316800

Das Wort hat die Kollegin Petra Heß von der SPD-

Fraktion.


Petra Heß (SPD):
Rede ID: ID1612316900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich möchte noch einmal daran erinnern: Am
19. Mai dieses Jahres wurde uns allen erneut auf tragi-
sche Weise bewusst, dass die Soldaten und Zivilisten bei
Auslandseinsätzen einer erheblichen Gefährdung ausge-
setzt sind: In der nordafghanischen Stadt Kunduz starben
bei einem Selbstmordanschlag drei Soldaten der Re-
serve, zwei wurden schwer und drei weitere Soldaten
leicht verletzt.

Fest steht: In absehbarer Zukunft wird sich an der Ge-
fahrenlage für die Soldatinnen und Soldaten in den Ein-
satzgebieten wenig ändern. Fest steht auch: Die Zahl der
Auslandseinsätze der Bundeswehr und der Einsätze von
Zivilisten im Rahmen des Wiederaufbaus und der Kri-
senprävention wird auf absehbare Zeit kaum geringer
werden. Das verlangt den Soldatinnen und Soldaten der
Bundeswehr, aber auch den zivilen Helfern vor Ort im
Einsatz physisch, vor allem aber psychisch eine Menge
ab. Dennoch erfüllen unsere Soldaten ihre Pflicht auch
am Hindukusch vorbildlich und mit gleichbleibender
Präzision.

Deshalb ist die Bundesrepublik Deutschland als
Dienstherr der Soldaten und zivilen Helfer in besonde-
rem Maße verpflichtet, Hinterbliebene wie auch Ver-
letzte oder traumatisch Geschädigte optimal abzusi-
chern. Wenn wir, das Parlament, Soldaten in Einsätze
auf der ganzen Welt schicken, dann müssen sie die abso-
lute Gewissheit haben, dass sie und ihre Angehörigen im
Unglücksfall bestens abgesichert und versorgt sind.


(Beifall bei der SPD)


Sonst verbietet es sich, sie überhaupt in den Einsatz zu
schicken.

Die Liste der im Einsatz getöteten, verwundeten, ver-
unglückten oder traumatisch geschädigten Soldatinnen
und Soldaten und ziviler Mitarbeiter ist lang. Bereits
2004 hat daher der Bundestag durch das Einsatzversor-
gungsgesetz eine angemessene finanzielle Versorgung
für die Soldatinnen und Soldaten, die im Einsatz verletzt
oder geschädigt wurden, sichergestellt.

Aber eine Frage bleibt offen: Was passiert mit einem
Soldaten, der aufgrund einer Verletzung im Auslandsein-
satz in seiner Erwerbsfähigkeit stark eingeschränkt ist?
Gehört er zur Gruppe der Berufssoldaten, wird er meist
in den Ruhestand versetzt und erhält sein Ruhegehalt.
Das ist mitunter noch hinnehmbar. Aber was ist mit den
Soldatinnen und Soldaten auf Zeit oder den freiwillig
länger dienenden Grundwehrdienstleistenden oder auch
den zivilen Beschäftigen und den Reservisten? Diese
Soldaten und Mitarbeiter stehen möglicherweise vor
dem beruflichen Aus. Häufig dürften die zu erwartenden
Rentenleistungen und gegebenenfalls die Beschädigten-
versorgung nicht ausreichen, um einen angemessenen
Lebensunterhalt zu bestreiten.
Aber es geht nicht nur um die Versorgung. Viele Ver-
sehrte wollen neben der finanziellen Entschädigung vor
allem eines: Sie wollen weiter am geregelten Erwerbsle-
ben teilnehmen. Mit dem Einsatz-Weiterverwendungs-
gesetz wird genau diesem Wunsch nach Teilhabe ent-
sprochen. Den Betroffenen soll nach einem Einsatzunfall
alternativ zur Versorgung auch eine berufliche Perspek-
tive eröffnet werden. Dieses Gesetz ist also eine notwen-
dige Ergänzung zum Einsatzversorgungsgesetz. Insbe-
sondere für alle Nichtberufssoldaten eröffnet es eine
berufliche Perspektive nach einem Einsatzunfall.

Die Regelung sieht für die betroffenen Soldatinnen
und Soldaten Folgendes vor: In einer sogenannten
Schutzzeit soll die erforderliche gesundheitliche Wieder-
herstellung erfolgen. Soldatinnen und Soldaten, deren
reguläre Dienstzeit noch während der Schutzzeit enden
würde, werden in ein Wehrdienstverhältnis besonderer
Art überführt und behalten so ihre Ansprüche gegenüber
dem Dienstherren. Geschädigte erhalten während der
Schutzzeit einen Anspruch auf berufliche Qualifikation.
Damit soll sichergestellt werden, dass die Betroffenen
eine qualifizierte Weiterbeschäftigung beim Bund antre-
ten oder möglichst dauerhaft wieder am Arbeitsleben
teilhaben können.

Um dem verfassungsrechtlich geforderten Leistungs-
prinzip beim Zugang zu öffentlichen Ämtern Rechnung
zu tragen, ist eine sechsmonatige Probezeit vorgesehen.
Zum Eintritt in ein Beamtenverhältnis ist der Erwerb der
jeweiligen Laufbahnbefähigung notwendig. Vergleich-
bare Regelungen sind für das Zivilpersonal des Bundes
vorgesehen. Auch das muss man an dieser Stelle noch
einmal betonen.

Nach Ablauf der Schutzzeit erhält der Geschädigte
bei einer dauerhaften Minderung der Erwerbsfähigkeit
von mindestens 50 Prozent einen Rechtsanspruch auf
Weiterbeschäftigung als Berufssoldat, Beamter auf Le-
benszeit oder in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis
beim Bund.

Nach dem Willen der Bundesregierung sollen Ein-
satzgeschädigte von dem neuen Gesetz vollumfänglich
erfasst werden, wenn sie ihren Einsatzunfall nach dem
1. Dezember 2002 erlitten haben und sich noch im
Dienst befinden. Ferner wurden Sonderregelungen für
eine Wiedereinstellung in den Fällen konzipiert, in de-
nen die gesundheitliche Schädigung erst nach Beendi-
gung des Dienstverhältnisses erkannt worden ist. Diese
Sonderregelungen sind wichtig und dringend notwen-
dig, um insbesondere der Problematik der posttraumati-
schen Belastungsstörungen gerecht werden zu können.
Schließlich soll das neue Gesetz auch die Versorgung
noch einmal erheblich verbessern, indem die soge-
nannte einmalige Unfallentschädigung künftig schnel-
ler gezahlt wird.

Mit dem Einsatz-Weiterverwendungsgesetz wird eine
Lücke bei der Absicherung der Soldatinnen und Solda-
ten und der zivilen Helfer auf eine ausgewogene Weise
geschlossen. Die Betroffenen erhalten nicht nur mehr
Rechtssicherheit, sondern auch eine emotionale Stütze
und eine persönliche Anerkennung ihrer Leistung als
Soldatin oder Soldat.






(A) (C)



(B) (D)


Petra Heß
Das größte Plus auf der Habenseite der Bundeswehr
sind ja die Menschen in den Streitkräften.


(Beifall bei der SPD)


Die Soldatinnen und Soldaten haben in den letzten Jah-
ren der Transformation viel geleistet. Sie haben die
Transformation der Bundeswehr geschultert, und – da-
von konnte ich mich selbst überzeugen – sie haben das
größtenteils mustergültig bewältigt. Auch die Einsätze
dieser neuen Einsatz- und Konfliktregulierungsarmee
wurden mit hoher Professionalität und großer Bereit-
schaft von jedem einzelnen Soldaten getragen. Diese
Leistungen verdienen nicht nur unsere Bewunderung, sie
müssen auch und viel mehr angemessen gewürdigt wer-
den. Hier spielt das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz
eine ganz entscheidende Rolle. Ein Soldat oder eine Sol-
datin, die nicht nur finanziell versorgt werden, sondern
auch weiterhin aktiv am Berufsleben teilhaben können,
erfahren damit nämlich Anerkennung und Rehabilitie-
rung.

Das Einsatzversorgungsgesetz war richtig und not-
wendig. Das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz ergänzt
dieses nun in vorbildlicher Weise, indem es neben der fi-
nanziellen Versorgung die Alternative einer beruflichen
Perspektive aufzeigt. Wie gesagt, wir zeigen damit den
betroffenen Soldatinnen und Soldaten, dass wir ihre
Leistungen für unser Land anerkennen, ihren Einsatz
würdigen und ihrer Person den gebührenden Respekt
zollen.

Ich halte diese Anerkennung für enorm wichtig und
notwendig; denn die Soldaten, die bereit sind, notfalls
unter Einsatz ihres Lebens unser Land zu verteidigen,
haben einen Anspruch darauf, dass sich Staat und Ge-
sellschaft schützend vor sie stellen. Ihr Dienst ist näm-
lich ein ehrenhafter Dienst, und wir sollten ihnen den
Rückhalt geben, den sie beim Ausüben ihres Dienstes
brauchen und den sie von uns auch zu Recht erwarten
können.

Der Schutz von Frieden, Freiheit, Demokratie und
Menschenwürde sind herausragende Kennzeichen unse-
rer Verfassung, gleichzeitig aber auch die Markenzei-
chen der eigenständigen Tradition der Bundeswehr. Sie
bieten Orientierung beim täglichen Dienst, aber sind ge-
nauso Maßstab für jeden militärischen Einsatz zur Wah-
rung von Frieden und Freiheit. Für diese schützenswer-
ten Vorgaben unseres Grundgesetzes stehen unsere
Soldaten ein. Deshalb müssen sie sich auch darauf ver-
lassen können, dass unsere Gesellschaft hinter ihnen
steht.

Das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz unterstreicht
meiner Meinung nach in hervorragender Weise diesen
gesellschaftlichen Rückhalt und die Verantwortung, die
wir für unsere Soldatinnen und Soldaten haben. Wer in
der Bundeswehr dient, der steht nicht irgendwo im luft-
leeren Raum, sondern mitten in unserer Gesellschaft.
Dies wird mit dem neuen Gesetz einmal mehr deutlich.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612317000

Das Wort hat der Kollege Paul Schäfer von der Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Paul Schäfer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612317100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ge-

setz, das wir heute hier verabschieden, ist überfällig. Ich
stimme Ihnen, Herr Minister, und auch den anderen Kol-
legen, die hier gesprochen haben, ausdrücklich zu: Es ist
die logische Ergänzung des Einsatzversorgungsgesetzes
aus dem Jahre 2004.

Ich stimme auch zu, dass es uns nicht nur um finan-
zielle Entschädigungen gehen darf, sondern wir den
Menschen, die im Einsatz zu Schaden gekommen sind
und aufgrund schwerer Verletzung eine andere Verwen-
dung brauchen, auch eine Weiterbeschäftigungsmöglich-
keit bieten bzw. eine neue berufliche Perspektive eröff-
nen müssen. Ich denke, hierüber gibt es im Hause eine
große Übereinstimmung. Vielleicht sollten wir auch ein
klein wenig ein Auge darauf haben, wie dieses Gesetz
umgesetzt wird. Es kann ja nicht darum gehen, den Men-
schen irgendeine Verwendung zukommen zu lassen, son-
dern es sollte darum gehen, sie entsprechend ihren Fä-
higkeiten und Erfahrungen einzusetzen.

Ein Staat – ich glaube, das ist unser aller Grundsatz –,
der Menschen in gefährliche Auslandseinsätze schickt,
hat eine Fürsorgepflicht, nicht zuletzt für diejenigen, die
dabei Schaden nehmen.

Liebe Kolleginnen und Kollege, um dieses Gesetz
musste wie auch um das Einsatzversorgungsgesetz aus
dem Jahre 2004 gerungen werden. Dabei stellt man ein
Grundmuster fest: Die Betroffenen werden aktiv, Interes-
senvereinigungen wie der Deutsche Bundeswehr-Verband
engagieren sich heftig, der Wehrbeauftragte meldet sich,
die Öffentlichkeit wird nach und nach sensibilisiert, bevor
Entscheidendes geschieht. Das ist ein Punkt – ohne dass
ich jetzt ein Haar in der Suppe finden möchte –, der für
mich angesichts der Fälle einen schalen Beigeschmack
hinterlässt: Warum ist das der normale Gang der Dinge,
bevor den Betroffenengruppen wirklich geholfen wird?
Und wenn das der Gang der Dinge ist, warum dauert es
dann so lange? Die Auslandseinsätze der Bundeswehr ha-
ben 1992 begonnen. Wir haben jetzt 2007.

Man soll nicht alles über einen Kamm scheren, aber
an der Stelle fühle ich mich schon ein bisschen an die
Bundeswehr- und NVA-Soldaten erinnert, die an Radar-
geräten eingesetzt, dabei lebensgefährlichen Strahlungen
ausgesetzt waren und sehr lange auf Entschädigungen
warten mussten.

Heute haben wir es mit dem Problem zu tun – die
Kollegin Heß hat es auch schon angesprochen –, dass
Soldaten nach Auslandseinsätzen an posttraumatischen
Belastungsstörungen erkranken. Diese müssen zeitgleich
gegen die Krankheit und – so empfinden sie es in vielen
Fällen – gegen bürokratische Ignoranz angehen, wenn
sie Unterstützungsleistungen für die notwendige Be-
handlung der Krankheit einfordern. Auch hier geht es,
wie wir immer so schön sagen, um schnelle und unbüro-






(A) (C)



(B) (D)


Paul Schäfer (Köln)

kratische Hilfe. Wir sollten uns als Nächstes mit aller
Konsequenz daran machen, dass den Menschen mit
posttraumatischen Belastungsstörungen eine ausrei-
chende Versorgung zuteil wird.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Noch einmal, meine Damen und Herren: Es geht da-
rum, dass man frühzeitig Überlegungen anstellt, welche
möglichen Folgen zum Beispiel Entscheidungen zur
Entsendung deutscher Streitkräfte haben können und wie
man damit umzugehen gedenkt.

Für uns Linke lautet indes die oberste Mahnung: Mili-
täreinsätze sind immer gefährlich. Deshalb müssen wir
alles daransetzen, sie zu vermeiden, um gar nicht erst in
die Lage zu kommen, von nachsorgenden Gesetzen Ge-
brauch machen zu müssen. Noch brauchen wir aber ein
solches Gesetz, und zwar im Interesse der Betroffenen.
Ich finde, es ist gut, dass dieses Gesetz, wenn ich das
richtig sehe, von diesem Haus einmütig verabschiedet
wird; denn auch die Fraktion Die Linke stimmt diesem
Gesetzentwurf ohne Wenn und Aber zu.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612317200

Das Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei vom

Bündnis 90/Die Grünen.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612317300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ende Oktober dieses Jahres waren 6 837 Soldatinnen
und Soldaten zur Friedenssicherung im Einsatz, davon
3 143 im Rahmen von ISAF, im Wesentlichen in Afgha-
nistan, aber auch im Südsudan; bei diesen 37 im Südsu-
dan handelte es sich um Militärbeobachter – über sie
werden wir heute Abend noch sprechen –, die zwar un-
bewaffnet, nichtsdestotrotz aber in einer sehr riskanten
Situation sind.

Wenn es um die Auslandseinsätze der Bundeswehr
geht, wird oft übersehen, dass auch Hunderte von Zivil-
bediensteten des Bundes in Krisenregionen ihren Dienst
tun: Bedienstete des Auswärtigen Dienstes, des Bundes-
nachrichtendienstes, der Bundespolizei und solche, die
zu internationalen Organisationen entsandt wurden.
Wenn die Bundesregierung – im Falle von Soldaten auch
das Parlament – Menschen in besonders riskante Situa-
tionen schickt, ist die besondere Verantwortung und Für-
sorge der Politik eine Selbstverständlichkeit – eigentlich.

Vielleicht erinnern sich einige von Ihnen noch an die
früheren schlimmen Unfälle, die geschehen sind: So ist
im Jahre 1999 ein Oberstabsarzt im Kosovo mit seinem
Transportpanzer von einer Brücke gestürzt. Als Ende
2002 in Kabul ein Bundeswehrhubschrauber abstürzte,
gab es sieben Tote. Damals wurden wir darauf gestoßen,
wie der sogenannte qualifizierte Dienstunfall definiert
wurde: Nach dem Motto „Das hätte auch in Deutschland
passieren können“ wurden die Unfälle nicht als Dienst-
unfall anerkannt. So eine absurde Interpretation hat es
gegeben. Das war für uns der Anstoß, das Einsatzversor-
gungsgesetz zu erarbeiten, das der Bundestag im
Jahre 2004 einstimmig verabschiedet hat. Das war der
erste wichtige Schritt, den wir unternommen haben, um
die Versorgung der in besonderer Auslandsverwendung
verletzten Soldatinnen und Soldaten sowie Beamtinnen
und Beamten den gewachsenen Risiken anzupassen.

Heute geht es um den zweiten wichtigen Baustein in
diesem Zusammenhang. Das Einsatz-Weiterverwen-
dungsgesetz schafft einen Rechtsanspruch auf Weiterbe-
schäftigung von Soldatinnen und Soldaten und von Zi-
vilbeschäftigten des Bundes, die in einer besonderen
Auslandsverwendung verletzt werden. Das ist ein großer
Fortschritt, vor allem für Nichtberufssoldaten und befris-
tet Beschäftigte. In der Schutzzeit sollen die Einsatzge-
schädigten gegen ihren Willen weder entlassen noch in
den Ruhestand versetzt werden können. Um eine Weiter-
beschäftigung beim Bund oder die Eingliederung in das
Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern, sollen sie
in dieser Schutzzeit die entsprechende berufliche Weiter-
qualifikation erhalten.

Wie alle anderen Fraktionen begrüßen auch wir die-
sen Gesetzentwurf ausdrücklich. Ich möchte an dieser
Stelle ganz besonders denjenigen danken, die großen
Druck gemacht haben. In der Tat müssen wir aus Sicht
der Politik insgesamt feststellen, dass dieser Gesetzent-
wurf vor allem ohne den Druck des Bundeswehr-Ver-
bandes nicht so schnell auf den Weg gebracht worden
wäre. Dieser Druck war ausgesprochen hilfreich.

Mit dem Gesetzentwurf, der heute verabschiedet
wird, ist unsere Arbeit eindeutig noch nicht getan.
Selbstverständlich werden wir die Umsetzung dieses Ge-
setzes so gut wie möglich begleiten. Gleichzeitig werden
wir uns mit dem schwierigen Komplex der posttraumati-
schen Belastungsstörung von Soldaten und Soldatinnen
beschäftigen. Allzu oft – das ist bisher die Erfahrung –
müssen daran erkrankte Soldaten heutzutage in dieser
für sie sehr belastenden Situation in einen Rechtsstreit
mit ihrem Dienstherrn treten, damit diese Belastungsstö-
rung als Wehrdienstbeschädigung anerkannt wird. Die-
ses ist so nicht hinnehmbar; da stehen wir genauso in der
Verantwortung, eine gute Regelung zu finden.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612317400

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt

hat das Wort Monika Brüning von der CDU/CSU-Frak-
tion.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Monika Brüning (CDU):
Rede ID: ID1612317500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Es ist keine neue Erkenntnis,
dass sich die Bundeswehr seit den 90er-Jahren in der
Transformation befindet. Angesichts geänderter Rah-
menbedingungen heißt deutsche Sicherheitspolitik mehr
denn je, Verantwortung in Europa und in der Welt zu
übernehmen.

Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten in vielfälti-
gen Einsatzgebieten unter schwierigsten Rahmenbedin-
gungen hervorragende Arbeit. Hiervon konnte ich mich
gerade erst in der vergangenen Woche bei meinem Be-
such beim UNIFIL-Einsatzkontingent im Libanon per-
sönlich überzeugen. Neben unseren Soldatinnen und
Soldaten sind aber auch zivile Beschäftigte der Bundes-
wehr und des Bundes in den Konfliktregionen und Kri-
sengebieten der Welt tätig. Wir wissen, militärische und
zivile Auslandsverwendungen in diesen Gebieten sind
nicht mit normalen dienstlichen Tätigkeiten gleichzuset-
zen.

Auf die gesteigerten Gefährdungslagen haben wir, der
Deutsche Bundestag, wiederholt reagiert. Mit dem Ein-
satzversorgungsgesetz wurde im Jahre 2004 eine versor-
gungsrechtliche Regelung getroffen, durch die eine an-
gemessene finanzielle Versorgung nach einem
Einsatzunfall im Ausland sichergestellt wird. Für die Be-
troffenen – häufig noch sehr junge Menschen – reicht
der Verweis auf eine finanzielle Versorgung allein aber
nicht aus. Sie möchten eine alternative berufliche Per-
spektive haben und nicht dauerhaft aus dem Berufsleben
ausscheiden. Wenn sie diese erhalten, hat das nicht zu-
letzt auch eine positive psychologische Wirkung auf die
Betroffenen und ihre Angehörigen.

Mit dem vorliegenden Entwurf des Einsatz-Weiter-
verwendungsgesetzes wird eine notwendige Ergänzung
zum bisherigen Einsatzversorgungsgesetz vorgenom-
men. Er trägt dem erhöhten Risiko im Auslandseinsatz
Rechnung und bildet den fehlenden Baustein für eine
umfassende Versorgung von Soldaten, Beamten und An-
gestellten des Bundes.

Herr Minister, ich möchte Ihnen und Ihrem Ministe-
rium herzlich Dank sagen, dass Sie nun, nach längerer
Zeit, dieses Gesetz endlich zur Verabschiedung vorge-
legt haben. Das ganze Haus wird ihm zustimmen, denn
auch die CDU/CSU-Fraktion wird sich hier nicht enthal-
ten oder gar Nein dazu sagen.

Ganz besonders wichtig ist auch, dass in diesem Ge-
setz nicht nur der Rechtsanspruch auf Weiterbeschäfti-
gung, Möglichkeiten zur beruflichen Qualifizierung und
eine Schutzzeit für die gesundheitliche Wiederherstel-
lung vorgesehen sind, sondern auch die posttraumatische
Belastungsstörung als besonderes Problem Berücksichti-
gung fand. In dem Gesetzentwurf sind Regelungen für
eine Wiedereinstellung in den Fällen vorgesehen, in de-
nen die gesundheitliche Schädigung erst nach Beendi-
gung des Dienstverhältnisses erkannt wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind es den Be-
troffenen und ihren Angehörigen schuldig, ihre Einsatz-
tätigkeit für unser Land zu würdigen. Ich denke, mit dem
vorliegenden Entwurf des Einsatz-Weiterverwendungs-
gesetzes sind wir auch im Bereich der Versorgung in der
sicherheitspolitischen Gegenwart angekommen.

Ich denke, dass wir die Abstimmung jetzt positiv vor-
nehmen können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612317600

Ich beende die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Regelung
der Weiterverwendung nach Einsatzunfällen. Der Vertei-
digungsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/6896, den Gesetzentwurf der Bun-
desregierung auf den Drucksachen 16/6564 und 16/6650 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera-
tung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Dann ist der Gesetzentwurf einstimmig
angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a bis 10 c auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin
Andreae, Irmingard Schewe-Gerigk, Christine
Scheel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für ein transparentes, mittelstandsfreundli-
ches, innovationsoffenes und soziales Vergabe-
recht

– Drucksache 16/6786 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin
Andreae, Dr. Thea Dückert, Margareta Wolf

(Frankfurt), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ökoeffiziente Beschaffung auf Bundesebene
durchsetzen

– Drucksache 16/6791 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Lötzer, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Bei öffentlichen Aufträgen sozial-ökologische
Anliegen und Tariftreue durchsetzen

– Drucksache 16/6930 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten
soll. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Kollegin Kerstin Andreae von der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612317700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren!

… wir erleben, dass es bei der Vergabe öffentlicher
Aufträge in zunehmendem Maße eine Wettbe-
werbsverzerrung gibt, die einen umtreiben muss.

Das ist nicht von mir, sondern das hat Kurt Beck auf dem
Hamburger Parteitag der SPD Ende Oktober gesagt.
Auch im Koalitionsvertrag kündigt die Große Koalition
an, dass sie das Vergaberecht reformieren bzw. vereinfa-
chen will. Auch steht da zum Beispiel, dass man die Ver-
gabe öffentlicher Aufträge an den Ausbildungsstand der
Unternehmen knüpfen soll.

Wir sagen: Wir müssen die Änderung des Vergabe-
rechts angehen; das ist dringend notwendig. Die öffentli-
che Hand vergibt jährlich Aufträge mit einem Gegen-
wert von mehr als 300 Milliarden Euro. Hinzu kommen
weitere 60 Milliarden Euro für Aufträge, die öffentliche
Unternehmen ordern. Insgesamt sind das 16 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts. Das ist eine Größenordnung, bei
der wir die Marktmacht der öffentlichen Hand nutzen
können, um politische Zielvorgaben umzusetzen und um
zum Beispiel auch kleineren und mittelständischen Un-
ternehmen zu helfen – darauf werde ich gleich noch ein-
gehen –, an diesen Vergabeverfahren teilzunehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen Rechtssicherheit. Heute besteht das Pro-
blem, dass die gewählten Vertreter in den Gemeinden bei
der Vergabe zwar bestimmte Kriterien berücksichtigt se-
hen wollen, die Verwaltung aber nicht darauf eingeht
und diese Wünsche mit Verweis auf die Rechtsunsicher-
heit ablehnt. Die Bundesregierung muss hier Rechtssi-
cherheit schaffen. Internationales Recht und internatio-
nale Standards dürfen nicht aus rein wirtschaftlichen
Gründen missachtet werden.
Mit großen Worten treten ja immer wieder Mitglieder
der Bundesregierung auf und verkünden soziale und um-
weltpolitische Ziele, vor allem im Ausland. Mit ihren
wirtschaftlichen Entscheidungen muss sie aber dafür
auch selber eintreten. Das gilt für den Bereich der ge-
rechten Globalisierung genauso wie für den Kampf ge-
gen die Kinderarbeit. Vielleicht haben Sie die Diskus-
sion über das Thema Natursteine aus Indien verfolgt, bei
deren Herstellung oft auf Kinderarbeit zurückgegriffen
wird. Es muss möglich sein, bei der Vergabe von öffent-
lichen Aufträgen – in welcher Größenordnung auch im-
mer – Kriterien vorzugeben, gemäß denen Unternehmen,
die entsprechende Zulieferer haben, abgelehnt werden
dürfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gemäß den EU-Regeln ist die Berücksichtigung so-
zialer Belange ja zulässig.

In Deutschland haben wir aber das Problem, dass
diese nach deutschem Recht als sachfremde Kriterien
gelten. Das wollen wir ändern. Wir wollen die Berück-
sichtigung von sozialen Kriterien entsprechend der EU-
Richtlinie ermöglichen und Rechtssicherheit für die Ver-
gabestellen schaffen. Das wollen im Übrigen nicht nur
wir, sondern auch der Deutsche Städtetag fordert das
schon lange.

Es geht uns aber auch um Vereinfachung. Vereinfa-
chung heißt, dass vor allem kleine und mittlere Unter-
nehmen einen leichteren Zugang zu den Vergabeverfah-
ren bekommen. Entsprechende Vorschläge liegen vor,
die Sie angehen können. Dazu gehört das Präqualifizie-
rungsverfahren. Warum ermöglichen wir Unternehmen
nicht, sich ähnlich wie beim TÜV generell für ein ganzes
Jahr – was dann regelmäßig überprüft werden kann – für
die Teilnahme an einem Vergabeverfahren qualifizieren
zu können, statt bei jedem Vergabeverfahren aufs Neue
dazu verpflichtet zu sein? Mit einem solchen Präqualifi-
zierungsverfahren würden laut einem Gutachten des
DIHK die Bürokratiekosten für die Unternehmen um
30 Prozent gesenkt.

Ein weiterer Vorschlag betrifft die Mindestbearbei-
tungszeit. Wir müssen für die Erstellung von Angeboten
eine Mindestzeitspanne zwischen Bekanntgabe und Ab-
gabefrist einführen, um den Unternehmen die Teilnahme
an den Vergabeverfahren zu ermöglichen.

Schließlich brauchen wir einheitliche Schwellenwerte.
Es gibt unterschiedliche Schwellenwerte in den einzelnen
Ländern der EU. Auch an dieser Stelle ist eine Vereinfa-
chung durch die Einführung einheitlicher Schwellenwerte
notwendig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich kann mir ungefähr vorstellen, wie die Debatte ver-
laufen wird. Sie werden darauf hinweisen, dass Sie die
Reform des Vergaberechts in den Koalitionsvertrag auf-
genommen haben. Leider sind schon über zwei Jahre
vergangen, ohne dass Sie mit der Umsetzung dieses Vor-
habens begonnen haben.

Transparency International hat der Bundesrepublik
zum Thema Korruption ein sehr schlechtes Urteil ausge-






(A) (C)



(B) (D)


Kerstin Andreae
stellt. Es ist dringend notwendig, dass wir uns auch die-
ses Themas annehmen.

Sie brauchen einen Weckruf. Sie verschlafen die Re-
form des Vergaberechts. Die Folge ist, dass reine Wirt-
schaftlichkeitserwägungen soziale Zielsetzungen aushe-
beln. Reformieren Sie das Vergaberecht unter der
Maßgabe, die EU-Richtlinie umzusetzen, Erleichterun-
gen für den Mittelstand zu schaffen und Korruption zu
bekämpfen! Dann sind Sie auf dem richtigen Weg. Ver-
schlafen Sie das nicht weiter! Das Vergaberecht muss re-
formiert werden.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612317800

Das Wort hat nun der Kollege Albert Rupprecht von

der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Albert Rupprecht (CSU):
Rede ID: ID1612317900

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen! Sehr geehrte

Herren! Die Anträge der Grünen – das ist meiner Mei-
nung nach auch aus Ihrer Rede hervorgegangen, Frau
Andreae –, aber auch die Anträge der Linken, die zum
öffentlichen Vergabewesen in Deutschland vorliegen,
wollen das Vergabewesen im Kern verändern. Im Zen-
trum stehen die Abkehr vom Prinzip der wirtschaftlichen
Leistungserbringung und eine Hinwendung zu einem
völlig anderen Prinzip, nämlich vergabefremde, allge-
meine politische Ziele einzuführen.

Bisher gilt im deutschen Vergabewesen, dass ein Un-
ternehmen, das sich an die Gesetze hält und leistungsfä-
hig ist, den Zuschlag bekommt, wenn es das wirtschaft-
lichste Angebot abgibt. Die Anträge der Grünen und der
Linken wollen ein ordnungspolitisches Gegenprinzip
aufbauen. Nach Ihrer Vorstellung soll künftig jede verge-
bende Stelle selbst beliebig weitere Kriterien festlegen.
Das heißt in der Konsequenz: 12 000 Kommunen, 2 000
Städte, 300 Landkreise sowie Autobahndirektionen, Was-
serwirtschaftsämter, alle Ministerien usw. legen in Zu-
kunft selbst fest, welche zusätzlichen Kriterien für die
Vergabe gelten sollen.

Soweit nicht gegen ein bestehendes Gesetz verstoßen
wird, ist letztendlich alles erlaubt. Fachleute reden da-
von, dass 800 neue Kriterien denkbar sind, die in Zu-
kunft im Vergabewesen eingeführt werden könnten. Das
heißt nach Adam Riese: Alle vergebenden Stellen in
Deutschland zusammen könnten bis zu 12 Millionen
neue Varianten der öffentlichen Vergabe einführen.

Frau Andreae, in Ihrem Antrag ist von Vereinfachung
die Rede. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber das ist,
milde ausgedrückt, lachhaft.


(Beifall bei der CDU/CSU – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)

Der Wissenschaftliche Beirat des Wirtschaftsministeri-
ums hat aus großer Sorge wegen dieser Diskussion ein
Sondergutachten erstellt und eingehend gewarnt. Statt
für eine Vereinheitlichung und Vereinfachung des Verga-
bewesens sorgen Sie für eine Zersplitterung und eine
drastische Zunahme der Bürokratie. Sie fordern schlicht-
weg jede Vergabestelle auf, sich nach Belieben ein eige-
nes Vergabepaket zusammenzustellen.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So etwas nennt man Subsidiarität!)


Wie der Wissenschaftliche Beirat in seiner Studie umfas-
send dargelegt hat, wären die Folgen höhere Kosten,
mehr Korruption, mehr Vetternwirtschaft und drama-
tisch mehr Bürokratie. Wir versprechen den Anwendern
seit Jahren eine Vereinfachung des Vergabewesens und
den Abbau von Bürokratie. Aber Sie wollen in dramati-
schem Ausmaß den gegenteiligen Weg beschreiten. Das
ist und bleibt ein Irrweg.

Vernünftig hingegen ist, dass wir vergabefremde As-
pekte – wie es im Übrigen bisher schon im GWB gere-
gelt ist – nur in Ausnahmefällen in das Vergabewesen
aufnehmen. Sie werden aufgenommen, wenn sie stren-
gen Kriterien entsprechen.

Erstens. Wenn das politische Ziel durch eine Rege-
lung in einem anderen Gesetz besser erreicht werden
kann, dann hat es im Vergabewesen nichts zu suchen. Es
darf zudem keine Doppelgesetzgebung geben. Wir ha-
ben Tausende Paragrafen in der Umweltgesetzgebung.
Warum müssen wir alle dort aufgeführten ökologischen
Ziele auch noch in das Vergabeverfahren hineinpressen?

Zweitens. Genauso wie es bereits im geltenden Ge-
setz formuliert ist, müssen in Zukunft die Bundesebene
und die Landesebene die Kompetenz haben, über die
Aufnahme vergabefremder Aspekte zu beschließen. An-
derenfalls droht die befürchtete Zersplitterung des Sys-
tems. Es macht keinen Sinn, dass sich jede Vergabestelle
ein eigenes Vergabepaket zusammenbastelt.

Drittens. Der bürokratische Mehraufwand muss ge-
ring sein. Dies muss durch eine Standardkostenmessung
nachgewiesen werden.

Viertens. Das originäre Ziel des Vergabewesens, den
günstigen, wirtschaftlichen Einkauf der öffentlichen
Hand zu organisieren, darf dadurch in keiner Weise be-
einträchtigt werden.

Wir müssen uns hier noch ein ganzes Stück mehr an-
strengen. Die Einkaufskosten der öffentlichen Hand kön-
nen und müssen gesenkt werden. Der Wissenschaftliche
Beirat vertritt in seinem Gutachten die Meinung, dass
die Einkaufskosten bis zu 10 Prozent gesenkt werden
können, ohne die Leistungen der öffentlichen Hand zu
verringern. Das spart Steuergelder – und nicht wenige.
Das öffentliche Vergabewesen in Deutschland hat – Frau
Andreae hat es bereits angesprochen – ein Volumen von
360 Milliarden Euro. Das sind 17 Prozent des Bruttoin-
landsproduktes. Eine Senkung der Kosten um 10 Prozent
würde die öffentliche Hand um 36 Milliarden Euro ent-
lasten. Das ist in der Tat ein politisches Ziel, für dessen
Erreichen es sich zu arbeiten lohnt. Wir schaffen das






(A) (C)



(B) (D)


Albert Rupprecht (Weiden)

aber nicht mit Vorschlägen, die die Zersplitterung des
Vergabewesens und die Erhöhung der Bürokratiekosten
zur Folge haben. Wir schaffen es auch nicht mit mehr
Vetternwirtschaft. Wir schaffen es nur mit einem funk-
tionierenden Wettbewerb und einer Vereinfachung des
Systems.

Die Koalitionspartner haben sich im Koalitionsver-
trag sehr zurückhaltend für die Erweiterung um vergabe-
fremde Aspekte ausgesprochen. Auf Seite 106 des Ver-
trages wurde formuliert, dass Unternehmen bevorzugt
werden können, die ausbilden. Das war’s dann aber
auch.

Die Regierungskoalition hat darüber hinaus im Koali-
tionsvertrag andere Schwerpunkte gesetzt als die Oppo-
sition in ihren Anträgen. Wir haben eine mittelstandsge-
rechte Ausgestaltung des Vergabewesens und eine
Vereinfachung des Vergaberechts vereinbart.

Zum Ersten die mittelstandsgerechte Ausgestaltung:
Im Koalitionsvertrag haben wir hierzu formuliert, dass
wir eine stärkere Vergabe in Fach- und Teillosen anstre-
ben. Hierzu muss § 97 Abs. 3 GWB geändert werden.
Generalunternehmervergaben sollen auf die Fälle redu-
ziert werden, in denen sie nachweislich vorteilhaft sind.
Der Bundesrechnungshof hat ermittelt, dass Generalun-
ternehmervergaben im Schnitt 15 Prozent teurer sind als
Fach- und Teillosvergaben.

Der Mittelstand beklagt – zu Recht – massiv, dass Ge-
neralunternehmervergaben häufig zu einer temporären
Monopolstellung führen. Der Generalunternehmer dik-
tiert dann den mittelständischen Subunternehmern Preise
und Konditionen. Im Ergebnis bedeutet dies für den Mit-
telstand: verzögerte Zahlungseingänge, schlechte Preise
und kaum die Möglichkeit, Eigenkapital zu bilden. In
der ersten Krise marschieren die Mittelständler massen-
haft in die Insolvenz.


(Dr. Rainer Wend [SPD]: Nur wegen der Grünen!)


Was wir wollen, ist eine Bezahlung nach Leistung und
nicht nach Marktmacht. Deswegen ist in der Tat die Stär-
kung der Fach- und Teillosvergabe das Herzstück einer
notwendigen Vergaberechtsreform.


(Martin Zeil [FDP]: Dann mal los!)


Zum Zweiten: Das Vergabewesen muss vereinfacht
werden. Bei der Vereinfachungsdebatte gibt es zwei
Grundtypen: Die einen sagen, das Kaskadensystem soll
abgeschafft werden, alle Verdingungsordnungen und alle
Gesetze sollen in ein Vergabegesetz gepackt werden. Ich
persönlich glaube nicht, dass dies den Anwendern hilft.
Entscheidend ist für die Anwender nicht die Anzahl der
Paragrafen, entscheidend ist nicht die Anzahl der Seiten
im Gesetzestext, sondern entscheidend sind der Inhalt
und der zeitliche Aufwand bei der Erstellung eines An-
gebots. Die Fragen für den Unternehmer sind: Wie viele
Stunden sitze ich daran, die benötigten Unterlagen zu-
sammenzustellen, wie viel Kilogramm Papier muss ich
bei der Vergabestelle abgeben? Für die Anwender ist
nicht die Rechtsästhetik die entscheidende Frage, son-
dern der zeitliche Aufwand in der praktischen Anwen-
dung.

Genau deshalb haben wir die betroffenen Ministerien
gebeten, einen vollkommen neuen Weg in der Vereinfa-
chung zu gehen und den zeitlichen Aufwand der Pro-
zesskette mit dem Standardkostenmodell zu untersu-
chen. Es geht den Anwendern darum, den zeitlichen
Aufwand der Prozesskette zu verringern. Diese Untersu-
chungen wurden im Wirtschaftsministerium und im
Bauministerium abgeschlossen; entsprechende Ergeb-
nisse liegen nun vor. Auf dieser Basis wird derzeit ein
Referentenentwurf erstellt und zwischen den Häusern
abgestimmt. Ich gehe davon aus, dass dieser in den
nächsten Wochen im Kabinett beschlossen und uns dann
für die parlamentarische Beratung zugeleitet werden
wird.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir aber gespannt!)


Der nächste Schritt im deutschen Vergabewesen muss
eine mittelstandsgerechte Ausgestaltung und die Verein-
fachung sein. Die Anträge der Grünen und auch der Lin-
ken bringen im Gegenteil eine dramatische Zunahme an
Bürokratie und eine Zersplitterung des deutschen Verga-
bewesens, statt es zu vereinfachen. Das Grundanliegen,
uferlos neue Kriterien in das Vergabewesen aufzuneh-
men, ist der vollkommen falsche Ansatz. Deswegen sind
die Anträge abzulehnen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612318000

Das Wort hat jetzt der Kollege Martin Zeil von der

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Martin Zeil (FDP):
Rede ID: ID1612318100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit

dem zum Teil zu Recht vorgetragenen Verriss der An-
träge der beiden Antragsteller hat Herr Kollege
Rupprecht versucht, ein bisschen davon abzulenken,
dass Sie von der Regierungskoalition sehr stark mit der
Umsetzung all dessen im Verzug sind, was Sie uns heute
wieder vorgetragen haben. Die Bundesregierung hat vor
etwa zehn Monaten auf eine Kleine Anfrage der FDP-
Fraktion geantwortet, dass sie schnellstmöglich die
Schwerpunkte auf Vereinfachung, Vereinheitlichung,
Entbürokratisierung, mehr Transparenz und Wettbewerb
legen will. Das sind wirklich noble Ziele, die Sie vorge-
tragen haben, aber sie wurden bis heute nur angekündigt
und nicht erreicht.


(Beifall bei der FDP – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So wird es bleiben!)


Dabei ist ein effizientes und praktikables Vergabe-
recht wichtig, um eine optimale Allokation der staatli-
chen Mittel zu gewährleisten. Was wir im Moment ha-
ben, ist ein zersplittertes, kompliziertes Vergaberecht.
Das führt nicht nur zu Fehlern, sondern auch zu Geldver-






(A) (C)



(B) (D)


Martin Zeil
schwendung, wie wir aus den Berichten der Rechnungs-
höfe zur Genüge wissen.

Die Bundesregierung hatte das Wirtschaftsministe-
rium aufgefordert, bis Ende 2006 entsprechende Gesetz-
gebungsvorschläge vorzulegen. Das sollte im Rahmen
der GWB-Novelle erfolgen. Nun schreiben wir bald
Ende 2007, und es ist bei den Ankündigungen geblieben.
Wir haben gesehen, dass die Oppositionsparteien – si-
cherlich mit sehr unterschiedlicher Zielrichtung – das
Thema zwar immer wieder auf die Tagesordnung brin-
gen, es Ihnen von der Koalition aber nicht gelingen will,
uns endlich einmal etwas vorzulegen. So kommt es zu
solchen Fehlvorstellungen, wie sie im Antrag der Links-
fraktion enthalten sind. Frau Lötzer, Ihre Fraktion tritt
dafür ein, dass aktuelle Themen wie Mindestlohn usw.
bei einer Neuregelung des Vergaberechts berücksichtigt
werden. Doch das zu regeln, kann sicherlich nicht Auf-
gabe des Vergaberechts sein.


(Beifall des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP] – Ulla Lötzer [DIE LINKE]: Doch!)


– Sie hätten die Vorschläge, die wir vor einem Jahr ge-
macht haben, einmal zur Kenntnis nehmen sollen. Wir
haben bei der Regierung angefragt, aber bisher, wie ge-
sagt, keine Initiative gesehen.

Wir müssen feststellen, dass die Bundesregierung
mittelstandsfeindlich handelt. Sie hat einigen unserer
Vorschläge zwar zugestimmt, aber sie hat bisher nichts
vorgelegt. Es ist zum Beispiel dringend notwendig, die
vergaberechtlichen Regelungen auf Bundes- und Lan-
desebene endlich zu vereinheitlichen;


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


denn sehr viele Differenzierungen machen Schwierig-
keiten.

Auch das Thema „Schwellenwerte“ ignoriert die
Bundesregierung bereits seit Jahren. Nach Ansicht vieler
Experten sind die bisherigen Schwellenwerte erheblich
zu hoch angesetzt. Auch hier wäre ein bisschen mehr
Einsatz in Brüssel dringend notwendig.

Es gab auch einmal Überlegungen der Bundesregie-
rung zur Förderung der mittelständischen Wirtschaft im
Vergaberecht durch die effektive Durchsetzung des
Grundsatzes der Losvergabe und der Wettbewerbsmög-
lichkeiten bei der Vergabe von Aufträgen an Unterauf-
tragnehmer. Davon ist bisher aber nichts zu sehen.

Für den Bereich der Vergabe öffentlicher Bauaufträge
wurde das Präqualifikationsverfahren entwickelt und
eingeführt, das von der Praxis als deutliche Entbürokra-
tisierung wahrgenommen wird. Auf meine damalige
Frage hat die Bundesregierung geantwortet – das war
vor etwa einem Jahr –: Wir müssen weiter prüfen, ob wir
das übertragen können. Jetzt hören Sie einmal auf, zu
prüfen, und machen Sie endlich einmal was!


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Maßnahmen zur Stärkung der transparenten und dis-
kriminierungsfreien Vergabe öffentlicher Aufträge wur-
den ebenso angestrebt. Es ist ein Trauerspiel und ein Ar-
mutszeugnis für die Bundesregierung, dass hier wieder
nicht gehandelt worden ist. Die Unternehmen, die den
Aufschwung in den letzten Jahren trotz Ihrer Regie-
rungsarbeit bewerkstelligt haben, haben einfach mehr
Einsatz von Ihrer Seite verdient. Auch durch das Sach-
verständigengutachten ist Ihnen ins Stammbuch ge-
schrieben worden: Ihnen fehlt die wirtschaftspolitische
Leitlinie. Das kann man auch bei diesem Thema erken-
nen. Die Unternehmensteuerreform ist verkorkst. Beim
Erbschaftsteuerrecht hat es einen Wortbruch gegeben. Es
gibt zunehmend protektionistische Tendenzen, statt den
Wettbewerb zu fördern. Die GWB-Novelle ist untaug-
lich. Hinzu kommt das Hickhack bei der Beendigung des
Postmonopols. – Die Anzahl Ihrer marktwirtschafts-
feindlichen Baustellen nimmt kein Ende.

Es wäre dringend notwendig, dass Sie wenigstens im
Bereich des Vergaberechts – das Thema sollte ver-
gleichsweise unstrittig sein – endlich einmal von Ihrer
Selbstblockade herunterkommen und hier etwas Ver-
nünftiges vorlegen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612318200

Das Wort hat der Kollege Reinhard Schultz von der

SPD-Fraktion.


Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1612318300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Egal was man sich anschaut – ob die Praxis, Vorgänge
im eigenen Wahlkreis oder auch kritische Fernsehbei-
träge –: Es fällt auf, dass bei der Vergabe von öffentli-
chen Aufträgen, insbesondere von Bauaufträgen, immer
wieder Dinge geschehen, die einem die Haare zu Berge
stehen lassen. Zum Beispiel ist die Situation in Nord-
rhein-Westfalen so, dass viele öffentliche Bauaufträge
nach wie vor ohne jede Berücksichtigung schon beste-
hender sozialer Kriterien, etwa die Zahlung von Mindest-
löhnen am Bau oder die Durchführung von Ausbildungs-
aktivitäten – diese Frage wurde eben angesprochen –,
vergeben werden.

Die Konsequenz, die die dortige Landesregierung
daraus zieht, ist allerdings ganz merkwürdig: Während
neun andere Regierungen in ihren Vergaberichtlinien ge-
regelt haben, wie man mit der Zahlung von Mindestlohn
und anderen wichtigen sozialpolitischen Fragestellungen
umgeht, hat die Landesregierung von Nordrhein-Westfa-
len, wo eine solche Regelung zum ersten Mal eingeführt
wurde, sie auch als erstes wieder abgeschafft, und zwar
auf der Grundlage eines Gutachtens, in dem festgestellt
worden ist, dass sich kein Mensch daran hält. Dies ist ein
interessanter Vorgang, der Anlass zum Nachdenken gibt.

Ich glaube aber, man sollte die Flinte nicht ins Korn
werfen, sondern sollte sich überlegen, welche Möglich-
keiten es eigentlich von der Beaufsichtigung des öffent-
lichen Vergabewesens bis hin zu der Frage gibt, was die
Gewerbeaufsicht eigentlich auf dem Bau macht. Es gilt






(A) (C)



(B) (D)


Reinhard Schultz (Everswinkel)

festzuhalten, dass gute Vorschriften natürlich auch einer
gewissen Kontrolle und Nachvollziehbarkeit bedürfen.

Das Spannungsfeld zwischen einer preisgünstigen
Beschaffung aufgrund eines geordneten Vergabewesens
auf der einen Seite und der gleichzeitigen Festlegung
von Mindestbedingungen in Sachen Fairness im Ge-
schäftsverkehr zwischen öffentlicher Hand und Unter-
nehmen auf der anderen Seite muss von uns vernünftig
aufgelöst werden.

Natürlich darf das Vergabewesen nicht ein Sammelsu-
rium von Wertvorstellungen werden, bei dem die Frage
der Preisfindung nur noch eine untergeordnete Rolle
spielt.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt auch keiner!)


Natürlich dient das Vergabewesen in erster Linie dazu,
festzustellen, wie das Preis-Leistungs-Verhältnis bei
konkreten und vernünftigen Vorgaben ist. Aber daneben
ist es zur Vermeidung von Dumping-Wettbewerb auch
wichtig, Mindeststandards wie die Einhaltung von Min-
destlöhnen und eine angemessene Ausbildungsquote bei
den anbietenden Unternehmen zu berücksichtigen. Ich
kann mir durchaus vorstellen, dass man verstärkt zu Öff-
nungsklauseln in Bezug auf Nebenangebote kommt, wo-
durch sozusagen eine pfiffigere Lösung gleichwertig ne-
ben die angefragte Regellösung gestellt wird. Das sind
aber Punkte, um die in der Großen Koalition noch gerun-
gen wird.


(Zuruf der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Liebe Kerstin Andreae, da ich Sie so vor mir sitzen
sehe, hätte ich fast „rot-grüne Koalition“ gesagt. Aber
ich meine natürlich die rot-schwarze Koalition.

In einer Großen Koalition mit einer derartigen Band-
breite, wie wir sie haben, gibt es ausgesprochen viele
Gemeinsamkeiten, aber es gibt natürlich auch Felder, wo
sich die ordnungspolitischen Vorstellungen aneinander
reiben und wo man etwas länger für die Abstimmung
braucht. Wir haben nach der Koalitionsvereinbarung
sehr schnell alles das, was die EU-Richtlinien vorgeben,
in deutsches Recht umgesetzt, wenn es mit relativ gerin-
gem Aufwand möglich war. Es ist also nicht so, dass
überhaupt nichts geschehen ist.

Es gibt einen Gesetzentwurf, in dem aus meiner Sicht
Transparenz, Mittelstandsfreundlichkeit, weitere EU-
rechtliche Vorgaben, eine generelle Vereinfachung, aber
auch die Anwendung gleicher Begriffe für gleiche Sach-
verhalte, damit der Anbieter überhaupt versteht, was der
Auftraggeber gemeint hat, sowie die effiziente Gestal-
tung von Rechtsschutzverfahren weitgehend enthalten
sind. Dies ist auf der Grundlage eines Gesetzentwurfs
geschehen, den es schon gab, der aber wegen der vorge-
zogenen Bundestagswahl 2005 der Diskontinuität unter-
lag. Er bildet aber nach wie vor im Wesentlichen die
Grundlage.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Guter Gesetzentwurf!)

Es bleibt aber ein umstrittener Bereich. Auch aus
Sicht der Arbeitswelt muss eine vernünftige Behandlung
der Arbeitnehmer zum Beispiel am Bau gewährleistet
sein. Es ist kein Geheimnis, dass es da noch Klärungsbe-
darf und sehr unterschiedliche Vorstellungen gibt. Es
gibt den verständlichen Ansatz, nach dem eine Aus-
schreibung nur der Preisfindung dient; das ist ein klarer,
ordoliberaler Ansatz. Dann gibt es Ansätze, wonach die
öffentliche Hand auch eine gewisse Vorbildfunktion
wahrzunehmen hat und mindestens das zu erfüllen hat,
was sie von anderen auch erwartet, nämlich die Einhal-
tung von Mindestlöhnen sowie ein Mindestmaß an Aus-
bildungsaktivitäten.

Insofern hoffe ich, dass wir uns da zeitnah verständi-
gen werden. Denn aus den betroffenen Branchen kommt
die berechtigte Kritik, wie es sein kann, dass der Gesetz-
geber mindestens ein Jahr braucht, um eine relativ über-
schaubare Fragestellung zu lösen. Die Hauptprobleme
liegen allerdings nicht in den bundesgesetzlichen Rah-
menvorstellungen. Sie liegen im Wesentlichen in den
Verdingungsordnungen, die im Rahmen eines Selbstver-
waltungsprozesses entstehen und für die man nur sehr
schwer die letzten Details vorgeben kann.

Aber auch dort ist etwas geschehen. Wir haben ver-
einbart – das Wirtschaftsministerium hat es veranlasst –,
dass das Standardkostenmodell sozusagen als Prüfraster
über typische Vergabevorgänge gelegt wird. Daraus gibt
es Ergebnisse, die den Ausschüssen, die die Verdin-
gungsordnungen erarbeiten und beschließen, in einem
Gutachten zugeleitet worden sind. Wir hoffen, dass da-
durch das Tempo erhöht wird.

In diesen Ausschüssen gibt es sehr unterschiedliche
Interessen. Dort geht es nicht nur um die Frage: Ist es ge-
rechtfertigt, in einer Ausschreibung soziale Fragestellun-
gen zu berücksichtigen? Dabei spielen auch sehr unter-
schiedliche wirtschaftliche Interessen eine Rolle. Die
Vorstellungen darüber „Was ist kostenrelevant und was
nicht? Was ist einfach und was nicht?“ sind dort sehr un-
terschiedlich.

Die Bundesregierung hat ihre Schularbeiten gemacht.
Sie hat ein Gutachten angefertigt, hat es den Beteiligten
zur Verfügung gestellt und wird, wie ich weiß, immer
wieder den Finger in die Wunde legen – wir sollten uns
daran beteiligen –, damit die Verdingungsordnungen, die
weitgehend einer Selbstverwaltung unterliegen, von den
zuständigen Ausschüssen so schnell wie möglich verab-
schiedet werden.

Fast genauso schwierig ist es natürlich mit der Verein-
heitlichung von Bundesvergaberecht und Landesverga-
berecht. Wo die Musik spielt, wo die Länderverwaltungen
und insbesondere die Kommunen berührt sind – 70 Pro-
zent aller öffentlichen Infrastrukturaufträge werden von
Kommunen vergeben –, da regelt sich vieles im Wesent-
lichen durch Landesrecht. Da hat das Bundesrecht eine
gewisse Leitfunktion, aber die Details werden auf Lan-
desebene festgelegt. Wie wir gehört haben, haben die
neuen Länder zum Beispiel im Bereich Mindestlohn or-
dentlich vorgelegt; ein Land macht aber einen Rückzie-
her.






(A) (C)



(B) (D)


Reinhard Schultz (Everswinkel)

Dort zu einer Vereinheitlichung zu kommen, ist au-
ßerordentlich schwierig und bedarf natürlich eines ge-
wissen Zeitraums für Verhandlungen. Dabei geht es
nicht nur darum, dass wir uns hier verständigen – neuer-
dings Herr Rupprecht und ich oder auch sonst wer –; das
bedarf eines sehr komplizierten Prozesses mit sehr unter-
schiedlichen Philosophien auch auf Länderebene.

Ich kann nur dahin gehend appellieren, dass wir, was
das Tempo angeht, Druck machen und die Ressortab-
stimmung im Kabinett zu Ende bringen. Denn eines ist
völlig richtig: Alle beteiligten Branchen – die Baubran-
che, die Freiberufler und alle, die auf öffentliche Auf-
träge angewiesen sind – warten darauf – das ist von allen
zu Recht angemahnt worden –, dass das Vergaberecht
deutlich verschlankt wird, deutlich mittelstandsfreundli-
cher wird.


(Martin Zeil [FDP]: So ist es!)


Aber viele warten auch darauf, dass die notwendigen so-
zialen Akzente im Vergaberecht gesetzt werden, wenn es
um die Vermeidung von Lohndumping geht.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Martin Zeil [FDP]: Dann legt doch mal was vor!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612318400

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt

hat das Wort die Kollegin Ulla Lötzer von der Fraktion
Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Ursula Lötzer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612318500

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich will

einmal daran erinnern: Bereits im April 2002 hat der
Bundestag ein Tariftreuegesetz verabschiedet und die
Tariftreue im Vergaberecht verankert. Das wurde damals
im Bundesrat blockiert. Die Länder haben gesagt: Wir
regeln das in Ländergesetzen.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben sie nie gemacht!)


Jetzt haben wir einen Zersplitterungszustand, Kollege
Rupprecht, der dringend durch eine bundeseinheitliche
Regelung aufgehoben werden muss. In einigen Ländern
gibt es Regelungen, die aber völlig unterschiedlich sind.
Das geht bis hin zu den Kommunen.

Tatsächlich kommt noch hinzu – der Kollege hat ge-
rade darauf hingewiesen –, dass Ihre Wirtschaftsministe-
rin in NRW als Erste ein solches Vergaberecht mit der
Begründung rückgängig gemacht hat, dass man sich
nicht daran halten würde. Schaffen wir doch vielleicht
demnächst das Strafrecht ab! Das wäre folgerichtig, weil
wir nicht alle Diebe fangen; das wäre sozusagen die
Konsequenz.


(Beifall bei der LINKEN)


Daher sage ich auch: Geiz ist nicht geil! Bei
300 Milliarden Euro Auftragsvolumen im Jahr, Kollege
Rupprecht, kann Geiz nicht das Kriterium für die öffent-
liche Vergabe sein, wie Sie es hier in den Vordergrund
Ihrer Rede gestellt haben. Geiz macht im Gegenteil arm.
Diese leidvolle Erfahrung machen mehr und mehr Be-
schäftigte gerade bei Aufträgen der öffentlichen Hand,
beispielsweise in den Bereichen Behördenpost, Gebäu-
dereinigung, Müllabfuhr oder auch Sicherheit. Geiz zer-
stört in diesem Sinne Demokratie, weil Tarifautonomie
ein Grundbestandteil unserer Demokratie ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Durch Arbeit zu Armutslöhnen wird die Würde der
Menschen getroffen.

Geiz zerstört auch die Umwelt und verhindert ökolo-
gische Innovationen. Ökologische Kriterien sind not-
wendig, Kollege Rupprecht; denn beispielsweise nur
0,5 Prozent des Stroms, den die Bundesbehörden bezie-
hen, sind Ökostrom.

Geiz bei der öffentlichen Auftragsvergabe verschärft
nicht nur in Deutschland, sondern auch international den
Druck auf Lohn-, Arbeits- und Lebensbedingungen vie-
ler Menschen. Davon zeugen die Berichte über Kinder-
arbeit in Steinbrüchen Indiens und Chinas sowie über
Hungerlöhne und die Verletzung von Gewerkschafts-
rechten in den Sweatshops transnationaler Konzerne.
Vor diesem Hintergrund ist es beschämend, dass Sie au-
ßer Ankündigungen hier noch nichts zustande gebracht
haben. Die EU-Richtlinie ermöglicht ausdrücklich öko-
logische und soziale Kriterien im Vergaberecht; aber Sie
kommen nicht zu Potte.

Gestern hat der rot-rote Berliner Senat eine Novellie-
rung des Berliner Vergabegesetzes beschlossen. Er wird
mit der Ausweitung der Tariftreue auf alle Branchen
bundesweiter Vorreiter werden. Ein besonderes Novum:
Erstmals wird auch ein Mindestlohn von 7,50 Euro bei
öffentlichen Aufträgen festgeschrieben.


(Beifall bei der LINKEN)


Vereinheitlichen wir doch in diesem Sinne die Vergabe-
kriterien bundesweit, Kollege Rupprecht und Kollege
Zeil!

Es geht nicht um wahllose Kriterien; aber aus unserer
Sicht gehören genauso die Förderung der Gleichstellung
von Frauen, die betriebliche Ausbildung, ökologische
Standards und der Schutz von Kernarbeitsnormen dazu,
ebenso die Mittelstandsfreundlichkeit. Wir meinen aller-
dings, dass dem am besten mit einem zweistufigen Ver-
gabeverfahren Rechnung getragen wird.

Kolleginnen und Kollegen der SPD, Sie wollen faire
Arbeit ermöglichen. Ein solches Vergaberecht würde ei-
nen Schritt in diese Richtung gehen.

Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und auch
Herr Zeil, in der Auseinandersetzung um einen gesetzli-
chen Mindestlohn treten Sie hier immer als die wahren
Hüter der Tarifautonomie auf.


(Otto Bernhardt [CDU/CSU]: So ist es! – Martin Zeil [FDP]: So ändern sich die Zeiten! – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Da können Sie mal sehen, was Sie angerichtet haben!)







(A) (C)



(B) (D)


Ulla Lötzer
Man empfindet es immer als verkehrte Welt, wenn Sie
sich zum Fürsprecher der Tarifautonomie machen. Be-
weisen Sie doch einmal, dass Sie tatsächlich hinter die-
sen Werten stehen! Hier haben Sie die Möglichkeit dazu,
indem Sie Tariftreue im Vergaberecht verankern.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612318600

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/6786, 16/6791 und 16/6930 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b
auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Investmentgesetzes und zur

(Investmentänderungsgesetz)


– Drucksachen 16/5576, 16/5848 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 16/6874 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Leo Dautzenberg
Nina Hauer
Frank Schäffler
Dr. Gerhard Schick

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick,
Christine Scheel, Kerstin Andreae, Bärbel Höhn
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Offene Immobilienfonds – Marktstabilität si-
chern, Anlegervertrauen stärken

– Drucksachen 16/661, 16/6874 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Leo Dautzenberg
Nina Hauer
Frank Schäffler
Dr. Gerhard Schick

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt je
ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wider-
spruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Parlamentarischen Staatssekretärin Dr. Barbara
Hendricks das Wort.
D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1612318700


Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
gen! Durch das Investmentänderungsgesetz wollen wir
die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Fondsbran-
che in Deutschland steigern und die Innovationsfähigkeit
fördern, ohne den notwendigen Anlegerschutz zu ver-
nachlässigen. Wir deregulieren die Fondsbranche: Die
Regelungsdichte des Gesetzes wird auf EU-Vorgaben
zurückgeführt. Wir entlasten die Branche von Kosten im
Verwaltungsbereich in Höhe von rund 8 Millionen Euro.

Wir modernisieren die offenen Immobilienfonds, um
sie für die Zukunft zu stärken. Die Schwächen der bishe-
rigen Regulierung von offenen Immobilienfonds werden
identifiziert und beseitigt. Im Regierungsentwurf sind zu
diesem Zweck zielgenauere Maßnahmen als im Antrag
von Bündnis 90/Die Grünen vorgesehen, der heute eben-
falls auf der Tagesordnung steht.

Wir fördern Produktinnovationen durch neue Asset-
Klassen wie Infrastruktursondervermögen und sonstige
Sondervermögen. Infrastruktursondervermögen können in
öffentlich-private Partnerschaftsprojekte, sogenannte ÖPP-
Projekte, investieren, in eine Anlageform, die Investment-
fonds bislang verschlossen war. Privatanleger, die wegen
der hohen Anlagesummen bisher keinen Zugang zum ÖPP-
Markt hatten, können durch Infrastruktursondervermögen
an den Entwicklungschancen des ÖPP-Marktes mittelbar
partizipieren. Sonstige Sondervermögen können anders als
herkömmliche Fonds in innovative Finanzprodukte wie
zum Beispiel Edelmetalle oder unverbriefte Unternehmens-
beteiligungen investieren.

Wir verbessern den Anlegerschutz und die Corporate
Governance. Deshalb stärken wir die Unabhängigkeit
der Aufsichtsräte von Fondsgesellschaften und die Un-
abhängigkeit der Depotbanken. Wir schützen außerdem
die Anleger in Fondssparpläne: Die Vorausbelastung des
Anlegers mit Vertriebskosten ist bei Fondssparplänen so-
wohl mit inländischen als auch mit ausländischen Fonds
beschränkt.

Unsere Maßnahmen dienen der Stärkung des Finanz-
standortes Deutschland und dem Anlegerschutz, was
auch die Expertenanhörung des Finanzausschusses be-
stätigt hat. Es bestanden allerdings unterschiedliche
Standpunkte bezüglich der Frage, wie das Ziel der
Standortförderung mit dem des Anlegerschutzes in ein
angemessenes Verhältnis zu setzen ist. Das ist natürlich
bei jeder Finanzmarktgesetzgebung eine Gratwande-
rung. Deshalb haben intensive Beratungen zwischen den
Berichterstattern der Koalitionsfraktionen und den Ver-
tretern des Bundesministeriums der Finanzen stattgefun-
den. Die Koalitionsfraktionen haben schließlich einen
sehr guten Gesamtkompromiss gefunden


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist das!)


und eine Reihe von Änderungen vorgeschlagen, die den
Entwurf aus dem Bundesministerium der Finanzen wei-
ter verbessern und eine gelungene Balance zwischen den
Interessen der Fondsbranche und dem notwendigen An-
legerschutz herstellen.






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
Dazu gehören insbesondere weitere Geschäftsmög-
lichkeiten von institutionellen Anlegern in Spezialfonds,
die Möglichkeit für Immobilienfonds, im Ausland über
mehrstöckige Immobiliengesellschaften zu investieren,
sowie weitere Vereinfachungen bei der Veröffentlichung
von Fondsberichten. Als entwicklungspolitisches Signal
ist die Beteiligung von Kleinanlegern an Mikrofinanz-
fonds zugelassen worden, die die Vergabe von Mikro-
krediten an Klein- und Kleinstunternehmer in Entwick-
lungs- und Schwellenländern refinanziert. So werden in
Deutschland neue Wege beschritten, damit sich breite
Bevölkerungsschichten gezielt an der weltweiten Ar-
mutsbekämpfung beteiligen können.

Mit diesen Rahmenbedingungen kann sich der Fonds-
standort Deutschland mit anderen Standorten in Europa
messen. Der Gesetzgeber hat wie immer eine hervorra-
gende Arbeit geleistet. Jetzt ist die Fondsbranche gefor-
dert, die neuen Freiheiten und Instrumente im Interesse
von Standort und Anlegern zu nutzen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612318800

Das Wort hat jetzt der Kollege Frank Schäffler von

der FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Frank Schäffler (FDP):
Rede ID: ID1612318900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren!

Produktinnovationen und neue Vertriebswege müs-
sen nachdrücklich unterstützt werden.

So hatten Sie von der Union und der SPD es wörtlich in
Ihrem Koalitionsvertrag vereinbart,


(Martin Zeil [FDP]: Papier ist geduldig!)


und da lagen Sie eigentlich auch richtig.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So haben wir es auch gemacht!)


Doch Ihnen ist im vorliegenden Gesetzentwurf die
Umsetzung dieser richtigen Erkenntnis nicht gelungen.


(Beifall bei der FDP)


Tatsächlich haben Sie sich mit Hängen und Würgen zu
einem Ihrer letzten kleinen Schritte im Bereich der Fi-
nanzmarktgesetzgebung gerettet.

Bei dem Gesetzgebungsverfahren zum Wagniskapital
und zur sogenannten Risikobegrenzung gelingt Ihnen
das schon nicht mehr. Das ist aber auch nicht schlimm;
denn Sie rücken immer weiter nach links, und mit Links
kann man keine zukunftsfähige Finanzpolitik in
Deutschland machen.


(Beifall bei der FDP – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Ist das die Absage an die Koalition ab 2009?)

Es war ja schon bei Ihrer letzten Koalitionsrunde so: Hin-
terher waren alle froh, dass nichts herausgekommen ist.
Bei Ihren Finanzmarktgesetzen ist es genauso: Wenn Sie
sich am Ende einigen, werden wir ein Wagniskapitalge-
setz haben, das am Markt vorbeigeht, und ein Risikobe-
grenzungsgesetz, das seine Wirkung am Markt erzielen
wird. Investitionen in Deutschland werden verhindert
und Arbeitsplätze vernichtet.

Zum vorliegenden Gesetzentwurf: Sie machen damit
Ihrem Namen als Koalition der verpassten Chancen wie-
der alle Ehre. Eine durchgreifende Liberalisierung gehen
Sie nicht an. Damit wird der Fondsstandort Deutschland
im internationalen Vergleich nicht gestärkt und kann sei-
nen Rückstand insbesondere gegenüber Luxemburg
nicht aufholen.

Der Exodus der Investmentbranche aus Deutschland
wird sich fortsetzen. Erst waren es die Publikumsfonds,
und bald sind es die Spezialfonds. Gerade das Luxem-
burger Spezialfondsgesetz zeigt doch ganz aktuell, wie
hilflos der deutsche Gesetzgeber reagiert. Im Jahressteu-
ergesetz 2008, das wir heute im Deutschen Bundestag
beraten haben, wird wieder einmal eine Spezialvor-
schrift aufgenommen, um die Abwanderung großer Ver-
mögen zu verhindern.

Vor allem im Bereich der alternativen Investments tun
Sie nichts. Sie verziehen sich lieber auf den Zuschauer-
platz und schauen, wie der Finanzplatz Deutschland den
Anschluss gegenüber unseren internationalen Wettbe-
werbern verliert. Die schlafen nämlich nicht, sondern
setzen sich aktiv für ihren Finanzplatz vor Ort ein.

Vor kurzem berichtete die Frankfurter Allgemeine
Zeitung, dass der Bürgermeister von London eigens nach
China gereist war, um einen chinesischen Staatsfonds
davon zu überzeugen, seine Europazentrale in London
zu errichten. So sieht aktive Finanzplatzförderung aus!

Sie zeichnen dagegen eine Schimäre an die Wand.
Dabei macht China um den deutschen Investitionsstand-
ort einen ganz großen Bogen.

Nehmen Sie das Beispiel Hedgefonds: Wenn wir die
Bestimmungen etwas praxisgerechter fassen – es geht
hier nicht darum, eine umfassende Deregulierung einzu-
leiten –, dann gelingt es uns vielleicht, Deutschland als
Standort für Hedgefonds voranzubringen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)


Es ist doch besser, möglichst viele Fonds dafür zu ge-
winnen, sich dem deutschen Investmentrecht und der
deutschen Finanzaufsicht zu unterstellen,


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das tun wir auch!)


anstatt sich in Offshoregebieten anzusiedeln.


(Beifall bei der FDP)


Nur wenn wir selbst ein gewichtiger Standort sind,
können wir in der internationalen Diskussion erfolgreich
auf Transparenz dringen. Nur wenn in Deutschland
selbst Kapitalsammelstellen entstehen, weil wir hier at-
traktive Investitionsbedingungen haben, bekommen wir
auch Kapital für die deutsche Wirtschaft.






(A) (C)



(B) (D)


Frank Schäffler
Auch Sie sehen den Bedarf, aber bei Ihnen gehen die
Gedanken dann in Richtung eines staatlichen Schutz-
fonds. Damit setzt die Große Koalition den Beschluss
des SPD-Parteitages zum demokratischen Sozialismus
um.


(Martin Zeil [FDP]: So ist es!)


Sie müssen auch einmal auf den Markt setzen und müs-
sen nicht alles durch staatliche Eingriffe regeln! Schüt-
zen Sie die Eigentümer und nicht die bezahlten Vor-
stände!


(Beifall bei der FDP)


Mit Ihrem Gesetzentwurf verfehlen Sie aber auch die
weiteren Ziele. Sie stärken den Verbraucherschutz nicht,
weil die Transaktionskosten für die Anleger weiter im
Dunkeln bleiben. Die von Ihnen eingefügte Regelung ist
völlig unzureichend.

Mit Ihrem Gesetz schaden Sie aber auch den Invest-
mentfonds im Wettbewerb mit Zertifikaten und Versi-
cherungen, wenn Sie die Kostenvorausbelastung unver-
hältnismäßig einschränken. Das wurde in der Anhörung
ganz offen debattiert. Sie tun das sehenden Auges. Dass
Sie dadurch Anlegerentscheidungen beeinflussen, neh-
men Sie billigend in Kauf.

Auch daran sieht man: Bei dieser Koalition ist Still-
stand wirklich noch das Beste, was sie für dieses Land
tun kann.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612319000

Das Wort hat jetzt der Kollege Leo Dautzenberg von

der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Leo Dautzenberg (CDU):
Rede ID: ID1612319100

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Wie beispielsweise das Silicon Valley für Hoch-
technologie steht, so steht Luxemburg für eine erfolgrei-
che Fondsindustrie. Unser Nachbarland ist unbestritten
Europas führendes Investmentfondszentrum.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!)


Wer den deutschen Fondsstandort stärken will, muss sich
daher unweigerlich mit den Entwicklungen in Luxem-
burg auseinandersetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das haben wir getan; auch wenn Sie, Herr Kollege
Schäffler, hier das Gegenteil behauptet haben. Anhalts-
punkte dafür sind im Entwurf des Investmentänderungs-
gesetzes zu finden. Dieser Gesetzentwurf steht heute zur
Verabschiedung an.

Ich betone nochmals: Das ist keine Kopie der Luxem-
burger Verhältnisse, sondern unsere eigene Antwort auf
die Entwicklungen in der Fondsbranche seit Inkrafttreten
des Investmentmodernisierungsgesetzes im Januar 2004.
Luxemburg war ein wichtiges Vergleichsland, nicht aber
alleiniger Maßstab. Herr Kollege Schäffler, liebe Kolle-
gen von der FDP, uns ging es bei dem Gesetzentwurf
nicht um eine Reform der Hedgefondsgesetzgebung,
sondern um eine Förderung des deutschen Spezial- und
Publikumsfondsstandortes auf breiter Basis.

Im Kern verfolgt der heute vorliegende Gesetzent-
wurf erstens das Ziel, bestehende Investmentprodukte
konkurrenzfähiger zu machen, zweitens, die Innova-
tionsfähigkeit des deutschen Fondsstandorts zu stärken,
und drittens, überflüssige Regulierungen abzubauen.
Dies war bereits mit dem Regierungsentwurf beabsich-
tigt. Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen
wurde allerdings deutlich, dass einige der im Entwurf
vorgesehenen Maßnahmen nicht dazu geeignet waren,
die oben skizzierten Ziele zu erreichen. Daher hat die
Koalition einige Verbesserungen am Regierungsentwurf
durchgeführt. Erlauben Sie mir, diese kurz vorzustellen:

Sehen wir uns zunächst das Ziel „Innovationsfähig-
keit des Fondsstandortes Deutschland stärken“ an. Dies-
bezüglich war der Regierungsentwurf eine gute Vorlage.
Zwei neue Fondsprodukte werden auf dem deutschen
Markt eingeführt: zum einen das Infrastruktursonderver-
mögen und zum anderen das sogenannte sonstige Son-
dervermögen. Das Infrastruktursondervermögen ermög-
licht die Erschließung neuer finanzieller Ressourcen für
öffentlich-private Partnerschaften, indem es den Markt
auch für private Anleger öffnet. Besonders begrüßen wir
die Einführung der sogenannten sonstigen Sondervermö-
gen. Das ist wichtig, um neu entstehende Finanzinstru-
mente schnell und flexibel in den gesetzlichen Rahmen
aufnehmen zu können.

Ein solches neues Finanzinstrument ist der Mikro-
finanzpublikumsfonds. Mit unserem Koalitionspartner
haben wir vereinbart, die Klasse „sonstige Sonderver-
mögen“ für dieses Produkt zu öffnen. Das heißt, dem-
nächst können Mikrofinanzpublikumsfonds in Deutsch-
land aufgelegt und vertrieben werden. Das ist nicht nur
ein wichtiges entwicklungspolitisches Signal, sondern
auch ein interessantes Angebot an die Fondsproduzenten
und -anleger in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Auf der einen Seite wollen heute viele Menschen aus
ethischen Gründen einen Teil ihrer Geldanlage für Mi-
krofinanzierungen in Entwicklungsländern zur Verfü-
gung stellen. Auf der anderen Seite stehen beispiels-
weise die KfW als unser Bundesförderinstitut, die
Kirchenbanken und auch private Investmenthäuser be-
reit. Sie warten darauf, sich derartige Produkte endlich
nicht mehr in Luxemburg genehmigen lassen zu müssen,
sondern sie auch in Deutschland auflegen und anbieten
zu können.

Gute neue Produkte allein reichen allerdings nicht
aus, um den deutschen Fondsstandort zu stärken. Auch
bereits bestehende Fondsprodukte müssen regelmäßig
auf den Prüfstand. Unfreiwillig auf den Prüfstand kam
bereits vor zwei Jahren der deutsche offene Immobilien-
fonds, als zunächst bei der Deka Immobilien Investment
GmbH und später auch bei der DB Real Estate einzelne
Produkte in Liquiditätsengpässe kamen. Diese Turbulen-






(A) (C)



(B) (D)


Leo Dautzenberg
zen sind mittlerweile überwunden. Die Kapitalanlagege-
sellschaften haben selbst ein Maßnahmenpaket erarbei-
tet, mit dem künftig verhindert werden soll, dass
Großanleger, institutionelle Anleger den offenen Immo-
bilienfonds nur zum Parken von Geld, also als Geld-
marktfonds, nutzen, wofür diese Fondsprodukte von der
Struktur her nicht geeignet sind. Angesichts der bereits
fruchtenden Selbstregulierungsmaßnahmen der Branche
halte ich es für richtig, dass die Regierung im Entwurf
des Investmentänderungsgesetzes nur behutsame ergän-
zende Maßnahmen vorgesehen hat, um den offenen Im-
mobilienfonds krisenfester zu machen.

Der offene Immobilienfonds soll allerdings nicht nur
krisenfest, sondern auch gegenüber ausländischen Im-
mobilieninvestmentvehikeln konkurrenzfähig gemacht
werden.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!)


Deshalb haben wir vereinbart, dass offene Immobilien-
fonds künftig nicht nur in einstufige, sondern auch in
mehrstufige Immobiliengesellschaften investieren dür-
fen, wenn die Beteiligung zu 100 Prozent erfolgt. Diese
Öffnung ist notwendig, weil die Investition in gute aus-
ländische Immobilien heute oftmals nur noch über mehr-
stufige Konstruktionen möglich ist.

In besonderem Wettbewerb mit dem Luxemburger
Fondsstandort steht der deutsche Spezialfonds. Die Lu-
xemburger haben den Spezialfonds in den letzten Jahren
stetig weiterentwickelt. Deshalb war uns klar: Wir müs-
sen hier deutlich nachholen, wenn wir vermeiden wol-
len, dass Deutschland für Spezialfonds als Produktions-
standort künftig keine Rolle mehr spielt.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)


Wir haben daher die Liberalisierungsmaßnahmen, die
bereits im Regierungsentwurf vorhanden waren, um ei-
nige wichtige Punkte ergänzt. Meine Damen und Herren
der FDP, ich verstehe daher überhaupt nicht, wie Sie be-
haupten können, dass aufgrund dieses Gesetzes nun die
Spezialfonds aus Deutschland abwandern würden. Ganz
im Gegenteil: Wir sind davon überzeugt, dass auf dieser
neuen gesetzlichen Grundlage gerade der Spezialfonds
den Wettbewerb mit Luxemburg nicht zu scheuen
braucht.

Zur Stärkung der Konkurrenzfähigkeit der deutschen
Fondsbranche müssen allerdings nicht nur die Marktbe-
dingungen denen ausländischer Fondsprodukte angegli-
chen werden. Die Wettbewerbsvoraussetzungen deut-
scher Fonds müssen auch mit denen inländischer
Konkurrenzprodukte wie beispielsweise der Versiche-
rungen übereinstimmen. In diesem Punkt konnten wir
bezüglich der Kostenvorausbelastung von Fondssparplä-
nen und Versicherungen mit unserem Koalitionspartner
leider keine Einigung erzielen. Für die Union bleibt es
aber Ziel, alle Vorsorge- und Anlageprodukte in
Deutschland mit den gleichen Ausgangsvoraussetzungen
auszustatten. Wir werden das Thema daher mittelfristig
sicher wieder auf die Agenda setzen.

Sehen wir uns nun abschließend das dritte Ziel an, das
wir mit dem Investmentänderungsgesetz erreichen wol-
len. Es geht um den Versuch der Deregulierung. Für das
Investmentgesetz bedeutet das konkret: Die Bürokratie
soll auf das von der EU vorgeschriebene notwendige
Maß zurückgeführt werden. Durch den Regierungsent-
wurf wurde hier gute Arbeit geleistet. So ist es beispiels-
weise richtig, dass Kapitalanlagegesellschaften künftig
nicht mehr als Kreditinstitute fungieren und daher die
höheren Anforderungen für Kreditinstitute bezüglich der
Aufsicht nicht mehr erfüllen müssen.

In diesem Zusammenhang ist allerdings auch wichtig,
dass die Deutsche Bundesbank weiterhin in der Lage
bleibt, die Finanzmarktstabilität im Bereich der Kapital-
anlagegesellschaften umfassend zu überwachen. Dafür
haben wir im Gesetzentwurf Sorge getragen.

Bezüglich der Deregulierung gelingt es uns mit dem
Gesetzentwurf vor allem, die Branche von unnötigen
Informationspflichten zu befreien. Dazu gehört bei-
spielsweise der Verzicht auf die bislang vorgeschriebene
Doppelveröffentlichung von Jahres- und Halbjahresbe-
richten. Künftig müssen die Berichte nur noch im elek-
tronischen Bundesanzeiger veröffentlicht werden. Wir
haben dafür im Gleichklang zum Transparenzrichtlinien-
umsetzungsgesetz eine Übergangsvorschrift bis zum
31. Dezember 2008 eingebaut. Das halte ich für sachge-
recht, so wie wir insbesondere die Printmedien als Infor-
mationsquelle für den normalen Anleger in Zukunft
nicht vernachlässigen dürfen.

Zusammenfassend darf ich zum heute zur Verabschie-
dung stehenden Entwurf zur Änderung des Investment-
gesetzes sagen: Das Gesetz – inspiriert, aber nicht getrie-
ben durch die Entwicklung in Luxemburg – ist ein guter
Beitrag und bildet eine gute Grundlage für die Weiter-
entwicklung des Finanzstandortes Deutschland, weil es
erstens Finanzinnovationen einführt, zweitens beste-
hende Investmentprodukte konkurrenzfähiger macht und
drittens überflüssige Regulierungen abbaut.

Ich werbe deshalb nachdrücklich um Ihre Zustim-
mung zu diesem Gesetzentwurf.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612319200

Die Rede der Kollegin Dr. Barbara Höll von der Frak-

tion Die Linke nehmen wir zu Protokoll. Deswegen hat
jetzt das Wort der Kollege Dr. Gerhard Schick von
Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ent-
wurf eines Gesetzes zur Änderung des Investmentgeset-
zes hat ganz unterschiedliche Aspekte; das ist jetzt schon
angeklungen. Es geht um die Reaktion auf die Krise bei
den offenen Immobilienfonds, die jetzt schon einige Zeit
zurückliegt. Es geht um die Einführung einer neuen
Fondsklasse, der Infrastruktursondervermögen, auch
PPP-Fonds genannt, durch die die Finanzierung von öf-
fentlich-privaten Partnerschaften bei der Infrastrukturfi-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gerhard Schick
nanzierung ermöglicht werden soll. Schließlich geht es
um die Einführung sonstiger Sondervermögen; Herr
Dautzenberg hat es gerade schon gesagt. Da ist im Kern
die Frage des Mikrofinanzpublikumsfonds geregelt.

Darüber hinaus gibt es zwei Ziele, die die Große Ko-
alition mit dem Gesetzentwurf verfolgt. Das eine ist das
Stichwort Deregulierung, und das andere ist ausweislich
der Regierungsbegründung, Anlegerschutz und Corpo-
rate Governance zu stärken.

Ich will mich auf diesen letzten Bereich konzentrie-
ren, weil man sonst zu allem nichts sagen würde, wenn
man zu jedem ein klein wenig sagen würde. Hier setzt
auch unsere Kritik an: Es gibt keine richtige Abwägung
zwischen den Anleger- und Anlegerinneninteressen auf
der einen Seite und den Interessen der Anbieter auf der
anderen Seite.

Um was geht es? Wir haben es mit offenen Fonds zu
tun. Anleger geben einer Kapitalanlagegesellschaft ihr
Geld und wollen, dass mit diesem Geld in ihrem Sinne
gewirtschaftet wird. Insofern besteht ein Interessenkon-
flikt. Denn man kann mit dem Geld, das einem ein ande-
rer anvertraut, auch zu dessen Lasten wirtschaften. Des-
wegen haben wir eine Reihe von Regelungen. Wir mei-
nen, dass diesbezüglich mehr notwendig gewesen wäre,
und es war im ursprünglichen Referentenentwurf auch
mehr vorgesehen. Sie sind aber leider im Rückwärtsgang
unterwegs gewesen und haben gute Regelungen, die
schon drin waren, zurückgenommen.

Konkret: Es gibt eine Gesamtkostenquote, und jeder
normale Mensch würde meinen, dass in einer Gesamt-
kostenquote alles, also das Gesamte, abgebildet ist. Tat-
sächlich sind jedoch zwei wesentliche Kostenkompo-
nenten nicht drin, und dies findet man auch nicht in dem
vereinfachten Verkaufsprospekt, den man sich vielleicht
noch anschaut. Vielmehr gibt es auf den vielen Seiten
des Fondsprospekts einen Hinweis, dass dem nicht so ist.

Wir glauben, da, wo Gesamtkosten drauf steht, müs-
sen auch die Gesamtkosten drin sein, oder es muss
– wenn man dies nicht für möglich hält – zumindest klar
gesagt werden, dass es eben nicht die Gesamtkosten
sind.

Dabei sind zwei Kategorien wichtig: Das eine sind
die Transaktionskosten, die beim häufigen Umschlag des
Fondsvermögens zulasten der Anlegerinnen und Anleger
entstehen. Da hätten wir uns gewünscht: Wenn man
schon sagt, dass diese nicht ausgewiesen werden können
– ich bezweifle, dass dies nicht möglich ist –, dann muss
zumindest die Umschlagsrate ausgewiesen werden
– dies tun andere Länder –, damit man, wenn man den
Eindruck hat, dass die Kosten für den Fonds steigen,
kontrollieren kann, ob dies an einer erhöhten Umschlag-
häufigkeit gelegen haben kann. Manche Fonds haben
eine höhere Umschlaghäufigkeit; das steht drauf, und
dann ist es gerechtfertigt. Andere Fonds haben diese
nicht, und dann muss der Anleger die Möglichkeit ha-
ben, dies herauszufinden.


(Frank Schäffler [FDP]: Sehr richtig!)

Das andere ist eine Frage, die Sie nicht richtig beant-
worten. Es geht darum, was Sie im Aufsichtsrat der Ka-
pitalanlagegesellschaft zum Thema unabhängiges Mit-
glied geregelt haben.

Warum haben wir einen Aufsichtsrat? Wir haben ihn,
damit er die Interessen der Anlegerinnen und Anleger
auch im Rahmen der Anlageentscheidungen durchsetzt.
Nun soll es ein unabhängiges Mitglied geben. Allerdings
haben Sie die Qualifikation, die ein unabhängiges Mit-
glied ausmacht, wieder aus dem Gesetzentwurf heraus-
genommen, und damit ist die Position dieser Person, die
in dem Interessenkonflikt zwischen der Kapitalanlagege-
sellschaft einerseits und den Anlegerinnen und Anlegern
andererseits deren Stimme einnehmen soll, überhaupt
nicht geklärt.

In dem Bereich sind Sie deutlich zurückgerudert. Da-
mit ist eines ganz klar: Im Hinblick auf die Anlegerinnen
und Anlegern haben Sie zwischen dem Referentenent-
wurf und dem Gesetzentwurf in den Rückwärtsgang ge-
schaltet und haben damit eine Chance verpasst und das
Ziel, das Sie in der Begründung nennen, nämlich den
Anlegerinnen- und Anlegerschutz deutlich zu stärken,
verfehlt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612319300

Das Wort hat jetzt die Kollegin Nina Hauer von der

SPD-Fraktion.


Nina Hauer (SPD):
Rede ID: ID1612319400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Deutschland ist ein starker Standort für Investment-
fonds. Das sieht man an dem Interesse der institutionel-
len Anleger, der Banken, der Versicherungen, aber auch
anderer Investoren, und das sieht man auch an dem zu-
nehmenden Interesse von Bürgerinnen und Bürgern, in
Fonds ihre Altersvorsorge aufzubauen oder in Fonds ihr
Vermögen zu vermehren. Es ist eine gute Alternative für
all diejenigen, die sich vor großen Risiken schützen wol-
len, weil es mit Fonds im Gegensatz zu Aktien leichter
ist, die Risiken auszugleichen.


(Frank Schäffler [FDP]: Sie lesen die falschen Statistiken!)


Wir als Politiker müssen etwas dafür tun, dass dieser
Standort auch attraktiv bleibt. Wir befinden uns nicht nur
mit Luxemburg, sondern auch mit anderen Standorten in
Konkurrenz, und wir wollen mit diesem Gesetzentwurf
dazu beitragen, dass wir für institutionelle Anleger, die
nach Deutschland kommen, wettbewerbsfähig sind und
bleiben. Das heißt, wir wollen es mit der Regelungs-
dichte nicht übertreiben, sondern das richtige Maß zwi-
schen einer sinnvollen Regulierung und der notwendigen
Freiheit finden. Wir wollen hinsichtlich der offenen Im-
mobilienfonds eine klare Regelung, um Ereignisse, wie
sie vor einigen Monaten in der Branche passiert sind, zu
verhindern. Wir möchten die Möglichkeit schaffen, hier
neue Produkte zu erfinden und zuzulassen, und wir wol-
len für die Anlegerinnen und Anleger Sicherheit und
Transparenz schaffen.






(A) (C)



(B) (D)


Nina Hauer
Denn nur dann bleibt der Fondsstandort Deutschland
attraktiv, und nur dann kann er das leisten, was wir in
wirtschaftlicher Hinsicht und im Interesse der Bürgerin-
nen und Bürger brauchen.

Wir haben im Bereich des Anlegerschutzes einiges
getan. Durch die Pflicht zur Bestellung eines unabhängi-
gen Aufsichtsratsmitglieds soll sichergestellt werden,
dass die Anleger einen eigenen Ansprechpartner bzw.
eine eigene Ansprechpartnerin im Aufsichtsrat haben.
Kapitalanlagegesellschaften sollen ihre Transaktions-
kosten so gestalten, dass der Anleger nicht unnötig be-
lastet wird.

Ich teile die Auffassung, die Sie, Herr Dr. Schick, zur
Umschlagshäufigkeit und zu den Kosten geäußert haben,
nicht. Denn ich glaube, dass wir es auf dem Gebiet des
Finanzmarkts mit Informationen manchmal übertreiben.
Anleger müssen davor geschützt werden, dass ihnen un-
nötige Kosten aufgebürdet werden, Kosten, die sie nicht
verstehen und nicht kontrollieren können. Einen Pros-
pekt mit weiteren Daten zu füllen, die nicht nachvoll-
ziehbar sind und Kosten ausweisen, die es eigentlich zu
verhindern gilt, das halte ich, ehrlich gesagt, für nicht
sinnvoll.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Mit Blick auf die professionellen Anleger haben wir
festgestellt, dass wir einige Hürden, die wir aufgebaut
haben, guten Gewissens abbauen können. Zum Beispiel
wird es das unabhängige Aufsichtsratsmitglied in Spezi-
alfonds nicht geben. Ich denke, es ergibt sich aus der Na-
tur der Sache, dass Anleger an dieser Stelle nicht privat
investieren. Wir haben die Spezialfonds von bestimmten
Pflichten befreit, um ihnen mehr Möglichkeiten zu ge-
ben, mit ihrem Vermögen zu wirtschaften. Außerdem ha-
ben wir dafür gesorgt, dass die Wettbewerbsfähigkeit
zwischen unterschiedlichen Produkten, zwischen sol-
chen aus dem Ausland und solchen aus dem Inland, ge-
währleistet ist.

Hier kann ich Ihre Position, Herr Schäffler, nicht
nachvollziehen. Wenn die FDP die Wahl hat, entweder
Anlegerschutz zu betreiben oder die Interessen der
Fondsindustrie zu vertreten, dann greifen Sie in eine an-
dere Schublade und sagen: Wir vertreten die Interessen
der Fondsindustrie.

Früher hat es die Kostenvorausbelastung möglich ge-
macht, denjenigen, die Fonds verkaufen, Provisionen zu
zahlen. Das hat natürlich den Verkauf der betreffenden
Fonds, die im Ausland aufgelegt wurden, attraktiver ge-
macht. Aus der Sicht der Vermittler kann ich das verste-
hen. Es ist aber nicht Aufgabe des Gesetzgebers, die
Kostenvorausbelastung dann auch beim Verkauf anderer
Fonds zuzulassen, damit hier ebenfalls Provisionen ge-
zahlt werden können und damit die Verkäufer inländi-
scher Fonds gegenüber Versicherungen und gegenüber
den Verkäufern ausländischer Fonds nicht benachteiligt
werden.

Das wäre so, als würden Sie einem Autoverkäufer,
der die Autos von zwei verschiedenen Firmen verkauft,
aber von einer Firma höhere Provisionen bekommt und
deswegen lieber Autos dieser Firma verkauft, sagen:
Jetzt legt der Gesetzgeber fest, dass die Autos beider Fir-
men gleich sind, damit Sie beide Autos gleichermaßen
verkaufen.


(Frank Schäffler [FDP]: Das Beispiel hinkt aber!)


Das ist nicht unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist, dafür
zu sorgen, dass die Anleger und Anlegerinnen faire
Preise bekommen und dass die Spielregeln klar sind.


(Frank Schäffler [FDP]: Dass sie das wissen und entscheiden können, ist wichtig!)


Wir haben klargestellt, dass die Kostenvorausbelas-
tung in dieser Form nicht erlaubt ist und dass die Kosten
nicht auf den Anfangszeitraum der Investition be-
schränkt werden dürfen, sondern über die gesamte Lauf-
zeit zu verteilen sind. Dadurch schaffen wir Wettbe-
werbsgleichheit. Wir sorgen dafür, dass die Kosten für
die Anleger nicht zu hoch sind. Selbstverständlich geben
wir der Fondsindustrie die Möglichkeit, den Vermittlern
und allen anderen, die ihre Produkte verkaufen, höhere
Provisionen zu zahlen. Gar nichts spricht dagegen. Es ist
aber nicht unsere Aufgabe, in der Fondsbranche für eine
Kostenentlastung zu sorgen.

Wenn wir diesen Gesetzentwurf verabschieden, wird
es möglich, neue Wege zu beschreiten, zum Beispiel bei
der Finanzierung öffentlich-privater Partnerschaften.
Ferner gibt es das neue Instrument des Mikrofinanz-
fonds, das vor allem für erfahrene Anleger geeignet ist;
dabei handelt es sich nämlich um ein extrem risikobehaf-
tetes Produkt. In Zukunft wird es denjenigen, die sich
mit Mikrofinanzkrediten in der sogenannten Dritten
Welt engagieren wollen, möglich sein, dieses Produkt in
Deutschland zu kaufen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612319500

Frau Kollegin Hauer, denken Sie an die Zeit, bitte.


Nina Hauer (SPD):
Rede ID: ID1612319600

Wir haben einen Gesetzentwurf, mit dem wir den

Standort Deutschland als Fondsstandort und als Anleger-
schutzstandort stärken.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612319700

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ände-
rung des Investmentgesetzes und zur Anpassung anderer
Vorschriften. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Nr. 1
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6874,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksachen
16/5576 und 16/5848 – in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Hand-
zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-
tionsfraktionen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen
Mehrheitsverhältnissen angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7008? – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag
ist bei Zustimmung der Fraktion der FDP mit den Stim-
men der übrigen Fraktionen abgelehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7007? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs-
antrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen und der FDP bei Zustimmung von Bündnis 90/
Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke.

Weiterhin empfiehlt der Finanzausschuss unter Nr. 2
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6874
die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 16/661 mit dem Titel „Offene
Immobilienfonds – Marktstabilität sichern, Anlegerver-
trauen stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstim-
men von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Sportausschusses (5. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr,
Joachim Günther (Plauen), Jens Ackermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP

Recht der Sportwetten neu ordnen und Fi-
nanzierung des Sports sowie anderer Ge-
meinwohlbelange sichern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr,
Joachim Günther (Plauen), Jens Ackermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP

Liberalisierung des Sportwettenmarkts in
Deutschland einleiten und europakonfor-
mes Konzessionsmodell vorlegen

– Drucksachen 16/1674, 16/3506, 16/6838 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Riegert
Dagmar Freitag
Detlef Parr
Katrin Kunert
Winfried Hermann
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
derspruch? – Nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Klaus Riegert von der CDU/
CSU-Fraktion.


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1612319800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schauen

wir uns die Vorschläge der FDP einmal an! Der Glücks-
und Wettspielmarkt wird liberalisiert, die Einnahmeseite
verbessert und gleichzeitig Spielsucht unterbunden und
bekämpft, die diffizile rechtliche Problematik und die in-
ternationale Dimension werden generös geregelt – klingt
ein bisschen wie die Quadratur des Kreises. So einfach
ist die Welt leider nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir nehmen das Urteil des Bundesverfassungsgerich-
tes wie auch dessen Begründung sehr ernst.


(Detlef Parr [FDP]: Leider nur einen Teil!)


Die Vermeidung bzw. Eindämmung der Spielsucht hat
für uns einen hohen Wert. Wir wollen Menschen vor per-
sönlichen Schicksalsschlägen und dem Ruin durch
Spielsucht möglichst schützen.


(Beifall des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Liberalisierung um jeden Preis ist mit uns nicht zu ma-
chen.


(Detlef Parr [FDP]: Wollen wir auch nicht!)


Wir messen der Beibehaltung des staatlichen Monopols
eine hohe Priorität zu – unter Einbeziehung der interna-
tionalen Entwicklungen und technischen Möglichkeiten.

Das Glücksspiel in ganz Europa expandiert. Der
Glückspielmarkt in Deutschland hat ein jährliches Volu-
men von rund 27 bis 30 Milliarden Euro. Das ist immer-
hin das dreifache Volumen des deutschen Buchmarktes
und fast der Umsatz des Bekleidungsmarktes.

Jede Woche setzen Lottospieler rund 159 Millio-
nen Euro ein, was einem Pro-Kopf-Umsatz von 1,93 Euro
in der Woche entspricht. Den größten Anteil am Volu-
men des deutschen Glücksspielmarktes haben die Spiel-
banken mit einem Volumen von rund 9 Milliarden Euro;
das sind knapp 30 Prozent. Danach folgt der Deutsche
Lotto- und Totoblock mit „6 aus 49“ und Oddset mit ei-
nem Anteil von rund 8,1 Milliarden Euro. Die Sportwet-
ten spielen hier zurzeit eine eher untergeordnete Rolle.

Meine Damen und Herren, gemäß dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts gibt es zwei Alternativen:
Dem Gesetzgeber ist freigestellt, durch eine konsequente
Ausgestaltung des Wettmonopols sicherzustellen, dass
eine effektive Suchtbekämpfung und eine Begrenzung
der Wettleidenschaft erfolgt, oder er kann durch eine ge-
setzlich normierte und kontrollierte Zulassung gewerbli-
cher Veranstaltungen private Wettunternehmen zulassen.






(A) (C)



(B) (D)


Klaus Riegert

(Detlef Parr [FDP]: Ja!)


Die Ministerpräsidenten und damit die Länder bzw., wie
Kollege Danckert formulieren würde, die Länderparla-
mente sind zuständig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Alle 16 Landesregierungen haben sich für eine Beibe-
haltung des staatlichen Monopols ausgesprochen. In
14 Länderparlamenten hat die erste Lesung stattgefun-
den. Sie haben auf der Grundlage des Urteils das staatli-
che Lotteriemonopol weiterentwickelt, und sie halten
aus ordnungsrechtlichen Erwägungen das staatliche Mo-
nopol für geeignet, die vom Bundesverfassungsgericht
vorgegebenen ordnungsrechtlichen Ziele zu realisieren.

Die EU-Kommission hat nach Prüfung des Entwurfs
des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen das Recht
Deutschlands nicht infrage gestellt, Glücksspiele auf-
grund des Allgemeininteresses, des Verbraucherschut-
zes, des Jugendschutzes und der Bekämpfung der Spiel-
sucht zu beschränken.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612319900

Herr Kollege Riegert, erlauben Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Parr?


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1612320000

Gerne.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612320100

Bitte, Herr Parr.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1612320200

Herr Kollege Riegert, ich entnehme einer Pressemit-

teilung der CDU-Landtagsfraktion in Schleswig-Hol-
stein vom 10. Oktober 2007 – das war also unmittelbar
vor unserer Debatte –, dass der Fraktionsvorsitzende der
CDU in Schleswig-Holstein folgende Ausführungen ge-
macht hat:

Mit jeder Stellungnahme aus Brüssel wird deutli-
cher, dass Ministerpräsident Carstensen und die
CDU-Landtagsfraktion mit ihren Zweifeln an die-
sem Staatsvertrag von Beginn an Recht hatten.

Weiterhin steht in der Pressemitteilung:

Das ohnehin schon unzumutbare rechtliche Chaos
im Bereich der Sportwetten werde damit noch zu-
nehmen. Gleiches gelte für die sich bereits jetzt ab-
zeichnende Absenkung der aus den Glücksspielen
erwirtschafteten Fördermittel für Sport und kultu-
relle Zwecke.

Wie bewerten Sie die Aussagen Ihres Kollegen aus
Schleswig-Holstein?


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Ich möchte nachher aber auch eine Zwischenfrage haben!)



Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1612320300

Lieber Kollege Parr, ich werde nachher noch auf die

Diskussion im nordrhein-westfälischen Landtag einge-
hen. Ich halte es aber nicht für zielführend, dass wir hier
die Diskussion des Landtages Schleswig-Holstein füh-
ren. Tatsache ist: Dort hat sich die Landesregierung für
den Staatsvertrag entschieden,


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Richtig!)


und es hat eine erste Lesung stattgefunden. Sie können
davon ausgehen, dass der Staatsvertrag dort entspre-
chend der ersten Lesung auch in der zweiten und dritten
Lesung bestätigt wird.

Ich fahre fort.

Im EU-Vertrag ist explizit vorgesehen, dass die Mit-
gliedstaaten frei sind, die Ziele ihrer Politik auf dem Ge-
biet der Glücksspiele festzulegen und das angestrebte
Schutzniveau zu bestimmen. Die Beschränkungen müs-
sen nur verhältnismäßig sein und dem Anliegen gerecht
werden, die Gelegenheit zum Spiel zu vermeiden.

Jetzt komme ich zu Ihnen, Herr Kollege Parr.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Aufpassen jetzt!)


Ich darf Sie daran erinnern, dass der nordrhein-westfäli-
sche Landtag dem Staatsvertrag am 24. Oktober 2007,
also gerade erst, zugestimmt hat – und dies auch mit den
Stimmen der FDP.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Genau! – Iris Gleicke [SPD]: Hört! Hört! – Detlef Parr [FDP]: Dazu sage ich gleich noch etwas!)


Dazu habe ich ein interessantes Zitat gefunden. Land-
tagskollege Witzel hat die Verfassungs- und Europakon-
formität des Staatsvertrages in der Landtagsdebatte her-
vorgehoben.


(Iris Gleicke [SPD]: So?)


Ich kenne Kollegen Witzel nicht, aber möglicherweise
kennt Detlef Parr ihn; denn Witzel ist FDP-Mitglied.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Hört! Hört!)


Ich zitiere Ralf Witzel:

Mit dem Entwurf des Staatsvertrages zum Glücks-
spielwesen sowie dem Ausführungsgesetz in Nord-
rhein-Westfalen wird das staatliche Sportwettenmo-
nopol … entsprechend den aktuellen politischen
und rechtlichen Vorgaben einschließlich der Recht-
sprechung des Europäischen Gerichtshofs zum
Glücksspiel in den Mitgliedstaaten auf eine verfas-
sungskonforme Grundlage gestellt.


(Detlef Parr [FDP]: Traurig!)


Wir sind über Parteitagsbeschlüsse nicht immer
glücklich, wie jüngste Beispiele zeigen, aber hier hat
wohl einmal die FDP parteiinternen Klärungsbedarf, lie-
ber Detlef Parr.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Über eines müssen wir uns allerdings klar sein: Eine
Beibehaltung des Monopols unter Beachtung der Vorga-
ben des Verfassungsgerichts wird zu einem Rückgang






(A) (C)



(B) (D)


Klaus Riegert
der staatlichen Einnahmen führen. Damit verbunden ist
eine geringere Ausschüttung an die Destinatäre Kultur,
Sport und Umwelt. Hier müssen wir, aber insbesondere
die Länder, uns darüber Gedanken machen, wie wir die
wirtschaftliche Basis unseres gemeinnützigen Sports er-
halten. Der Sportwettenmarkt in Deutschland hat sich in
den vergangenen Jahren gewaltig verändert. Das staatli-
che Unternehmen Oddset verzeichnet seit Jahren Umsatz-
einbußen, weil private Anbieter aggressiv und teilweise
illegal in den Markt drängen. Das hat auch zu strukturel-
len Änderungen und einem veränderten Wettverhalten
geführt.

Der FDP-Antrag verknüpft die Forderung nach ge-
setzlich normierter und kontrollierter Zulassung privater
Anbieter von Sportwetten mit einer Fülle von Bedingun-
gen, nämlich erstens den nationalen Markt für Sportwet-
ten auch im Vergleich zum Ausland konkurrenzfähig zu
machen, zweitens ohne Einschränkung einen Teil der
Einnahmen – was immer das heißen mag – den Destina-
tären zuzuweisen, drittens gleichzeitig die Spielsucht zu
bekämpfen, viertens dem Jugendschutz Rechnung zu
tragen und fünftens Folge- und Begleitkriminalität zu
vermeiden. Das ist eine verheißungsvolle Aufzählung.
Die Realisierung dürfte aber kaum möglich sein.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Die FDP schafft das!)


Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und, wie ich
glaube, auch für die SPD-Fraktion hat die Neuordnung
des Glücksspiel- und Wettspielmarktes klare Prioritäten:
Die Spielsucht und Spielleidenschaft müssen wirksam
bekämpft werden, wobei die Prävention Vorrang hat. Die
Finanzierung des gemeinnützigen Sports muss – notfalls
auch auf anderen Wegen – sichergestellt werden.

An diesen Grundsätzen sollten die Zielsetzungen ei-
ner Ordnung des Wett- und Glücksspielmarktes ausge-
richtet werden. Das heißt: Staatsvertrag statt Kommerz-
modell. Zuständig sind und bleiben die Länder.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612320400

Das Wort hat der Kollege Detlef Parr von der FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1612320500

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben eine

Diskussion geführt, die wir heute vorläufig abschließen.
Noch nie ist ein Bundesverfassungsgerichtsurteil derma-
ßen unterschiedlich und falsch interpretiert worden, so-
wohl von der Bundesregierung als auch von den Landes-
regierungen. Die Bundesregierung hat dieses Urteil sehr
selektiv zur Kenntnis genommen – Kollege Klaus
Riegert hat sich ebenfalls in diesem Sinne geäußert –, in-
dem sie von den Alternativen, die das Bundesverfas-
sungsgericht aufgezeigt hat, nur eine Version, nämlich
das Festhalten am Monopol, herausstellt. Dabei wird die
zweite Möglichkeit übersehen, nämlich die Öffnung und
Liberalisierung des Marktes auf der Grundlage von Kon-
zessionsmodellen oder dem Herausnehmen von Sport-
wetten aus dem Glücksspielstaatsvertrag.

Als Reaktion darauf haben die Länder mit Kanonen
auf Spatzen geschossen und den gesamten Glücksspiel-
staatsvertrag überarbeitet und neu formuliert. Das alles
geschah völlig ohne Not, da das Bundesverfassungsge-
richt ein Sportwettenurteil ausgesprochen hat, nicht
mehr und nicht weniger.

Die Konsequenzen sind schon heute ablesbar. Welt
Online hat am 18. Oktober folgende Zahlen für Berlin,
also nur für einen kleinen Teil der Bundesrepublik, ver-
öffentlicht: im nächsten Jahr 30 Millionen Euro weniger
aus dem Glücksspiel- und Lotteriebetrieb für Sportver-
eine, Kunstaktionen und Sozialprojekte, 12 Millionen
Euro weniger Einnahmen aus der Lotteriesteuer,
900 000 Euro weniger aus dem Gewinnanteil der Nord-
westdeutschen Klassenlotterie und 14 Millionen Euro
weniger Einnahmen aus der Spielbankabgabe. – Bundes-
weit wird mit 1 Milliarde Euro Einnahmeausfällen ge-
rechnet, weil wichtige Werbewege wie Telefonanrufe
oder Mailings ab dem 1. Januar 2008 verboten sind,
wenn dieser Termin überhaupt noch zu halten sein wird.

Denn in einigen Bundesländern kriselt es gewaltig,
weil sich einige Abgeordnete ihrer Verantwortung für
die eingeleitete Fehlentwicklung durch stures Festhalten
am Staatsmonopol nach und nach bewusst werden, weil
einige Ausführungsgesetze in Brüssel noch notifiziert
werden müssen – das wird nicht überall gelingen; in
Schleswig-Holstein zum Beispiel sollen auf Antrag der
FDP noch Anhörungen stattfinden; Ähnliches gilt für
Baden-Württemberg und andere Bundesländer – und
weil die Entwicklung in den Nachbarländern zusätzli-
ches Nachdenken erzwingt. So kommt in Frankreich Be-
wegung in die Szene. Präsident Sarkozy kann sich eine
kontrollierte Öffnung des Wettmarktes vorstellen. Er
will das Staatsmonopol bei Fußballwetten aufheben. Die
regierende Partei in Schweden hat entschieden, das
staatliche Glücksspielmonopol nicht weiter zu unterstüt-
zen und die Regelungen von England oder Italien zu
übernehmen.

Damit nicht genug: Wir alle kennen die eindeutigen
Stellungnahmen der Europäischen Kommission. Diese
müssten eigentlich auch in Düsseldorf angekommen
sein. Es ist bedauerlich, dass man das unterschiedlich be-
wertet, und zwar nicht nur in der FDP, sondern auch in
der SPD und der Union. In den Bundesländern gibt es
sehr unterschiedliche Positionen von Union und SPD.
Ich werde später auf die Position der nordrhein-westfäli-
schen SPD eingehen.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Stimmt alles nicht!)


Wir alle kennen jedenfalls die europarechtliche Lage.
Der Staatsvertrag widerspricht in wesentlichen Teilen
Europarecht. Alle kundigen Thebaner wissen: Dieser
Vertrag wird nicht lange überleben. Er ist eine Totgeburt.
Das geben auch die Befürworter eines Staatsmonopols






(A) (C)



(B) (D)


Detlef Parr
zu, allerdings – mutig – nur hinter vorgehaltener Hand.
Sie spielen auf Zeit, Zeit, in der Arbeitsplätze verloren
gehen und neue Wettbewerbsstrukturen zerschlagen
werden. Das ist mehr als fahrlässig.

Das Bundeskartellamt ist dabei, die Rote Karte zu zü-
cken; auch das ist eine Adresse erster Güte. Die Wettbe-
werbshüter verweisen auf ein Urteil des EuGH, wonach
bei Verstößen nationalen Rechts gegen Gemeinschafts-
recht den betroffenen Unternehmen das entsprechende
Verhalten untersagt werden kann. Geldbußen sind mög-
lich. Teuer für die Bundesländer können auch Schaden-
ersatzansprüche werden. Der Staatsvertrag wird diesbe-
zügliche Klagen nach sich ziehen, nicht nur der privaten
Anbieter und Spielevermittler. Vielmehr erwägt auch die
Deutsche Fußball Liga vor dem Hintergrund neuer
Rechtsunsicherheiten den Gang zu den Gerichten. Pro-
minentester Mitstreiter ist Franz Beckenbauer, der heute
einen runden Tisch gefordert hat, um noch in letzter Mi-
nute Korrekturen vorzunehmen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612320600

Herr Kollege Parr, erlauben Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Riegert?


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das abgesprochen?)



Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1612320700

Gerne.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Aber ich möchte nachher auch eine Zwischenfrage haben!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612320800

Bitte schön, Herr Riegert.


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1612320900

Lieber Herr Kollege Parr, da ich damit gerechnet

habe, dass Sie auf Herrn Beckenbauer verweisen wer-
den: Können Sie den Kolleginnen und Kollegen im
Hause erläutern, warum Herr Beckenbauer das Monopol
nicht erhalten will?


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1612321000

Herr Kollege Riegert, er will das Monopol nicht er-

halten, weil er ein Wettbewerbsfreund ist,


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat er einen Werbevertrag?)


weil er möchte, dass auf dem Sportwettenmarkt – und
nur dort – die freien, privaten Anbieter eine Chance be-
kommen. Damit wäre dem Sport allgemein gedient,
nicht nur dem Fußball. Sie kennen die Alternativen, die
der DFB in einem Papier aufgezeigt hat. Ich mache mei-
nen Mitstreitern im Sportausschuss den Vorwurf, dass
sie nicht einmal den Versuch gemacht haben, die Alter-
nativen zum staatlichen Wettmonopol ernsthaft zu prüfen
und zu vergleichen, um dann zu vernünftigen Entschei-
dungen zu kommen. Das, was die Ministerpräsidenten
zurzeit betreiben, ist Harakiripolitik.

(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Herr Präsident, darf ich eine Zusatzfrage stellen?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612321100

Wenn Herr Parr das genehmigt.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1612321200

Gerne.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612321300

Bitte schön.


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1612321400

Würden Sie dem Hohen Hause bestätigen, dass in

dem Bericht, den Sie gerade hochgehalten haben, steht:

Der Bayern-Präsident fürchtet eine zunehmende
Benachteiligung der Bundesliga im europäischen
Vergleich.

Dann steht darin:

Beckenbauer schätzt, dass etwa 200 bis 300 Millio-
nen Euro Werbegelder aus Deutschland abgezogen
werden und direkt an die Konkurrenz-Ligen in Eng-
land, Spanien und Italien gehen, wo private Wettan-
bieter erlaubt sind.

Das steht doch ein bisschen im Widerspruch zu der Aus-
sage, dass das allgemein dem Sport zugute kommt.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1612321500

Das ist die Seite des Profifußballs, die richtig be-

schrieben ist. Die Seite des Breitensports, die Seite der
Kulturaktivitäten und die Seite anderer Gemeinwohlbe-
lange habe ich anhand der rückläufigen Zahlen des Lan-
des Berlin deutlich gemacht. Sie selber haben auf Oddset
hingewiesen. Auch deren Zahlen sinken. Wir in Nord-
rhein-Westfalen haben zum Beispiel das Problem, dass
wegen sinkender Einnahmen aus den Glücksspielen die
Sportstiftung dort nicht mehr finanziert werden kann und
deshalb durch steuerliche Zuschüsse unterstützt werden
muss. Das ist ein Alarmsignal erster Güte, das auch die-
ses Hohe Haus zur Kenntnis nehmen sollte.

Ich will nun zu den Ministerpräsidenten kommen. Der
gierige Blick der Ministerpräsidenten auf gleichbleibend
hohe Einnahmen aus den Zweckerträgen der Lotterie-
steuer geht aus unserer Sicht ins Leere. Verlorene Kun-
den des Staatsmonopols werden nicht in den staatlichen
Schoß zurückkehren. Aktuelle Studien weisen nach, dass
vielmehr der Grau- und der Schwarzmarkt aufblühen wer-
den. Der zweite Lösungsweg, den das Bundesverfas-
sungsgericht aufgezeigt hat, ist aus unserer Sicht der ein-
zig richtige und die einzige Alternative, die man ergreifen
sollte, um Rechtssicherheit zu schaffen, Spielsuchtgefah-
ren angemessen zu begrenzen und sogar zusätzliche Mittel
für die Finanzierung des Sports und anderer Gemeinwohl-
belange zu generieren. Konkrete Regulierungsmodelle
liegen vor und warten auf ihre Umsetzung.

Deswegen: Hände weg vom Glücksspielvertrag! Be-
schränken wir uns auf eine Neuordnung des Sportwet-
tenmarktes, wie vom Bundesverfassungsgericht gefor-






(A) (C)



(B) (D)


Detlef Parr
dert, und stellen wir uns jetzt schon auf ein Scheitern der
Länderinitiative und darauf ein, mit einem unverzügli-
chen Moratorium für den Staatsvertrag und einem Be-
schluss der Ministerpräsidentenkonferenz die Problema-
tik der Sportwetten aus dem Glücksspielrecht der Länder
herauszunehmen und dem Bund in Form eines Konzes-
sionsmodells oder einer gewerberechtlichen Lösung zu
übertragen.

Ich danke Ihnen fürs Zuhören.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1612321600

Das Wort hat der Kollege Martin Gerster von der

SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Martin Gerster (SPD):
Rede ID: ID1612321700

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich

bin, ehrlich gesagt, noch immer erstaunt und schockiert,
mit welch harten Bandagen und mit welcher Beharrlich-
keit Lobbyisten versuchen, dass der Sportwettenmarkt in
Deutschland liberalisiert wird. Wir erinnern uns: Ganze
Anzeigenserien wurden in den deutschen Tageszeitun-
gen, in den Zeitschriften, ja sogar im Fernsehen und Ra-
dio geschaltet; wir haben die Plakate in den Straßen ge-
sehen; Kongresse und Tagungen wurden und werden mit
dem einen Ziel veranstaltet, den Sportwettenmarkt in
Deutschland zu liberalisieren. Das zeigt, wie viel Geld
dahintersteckt, und das zeigt letztendlich auch, wie ge-
fährlich das Geschäft mit Sportwetten und Glücksspielen
insgesamt ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Klaus Riegert [CDU/CSU])


Ich füge hinzu: Es ist beschämend, dass sich eine
Fraktion des Deutschen Bundestages so vor den Karren
von Lobbyisten spannen lässt.


(Beifall des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Detlef Parr [FDP]: Das Bundeskartellamt, die Europäische Kommission!)


Da werden Veranstaltungen und Tagungen der FDP von
privaten Wettanbietern unterstützt und bezahlt, wie wir
es bei der letzten Debatte erfahren haben. Die FDP ist
sich auch nicht zu schade, hier wieder die Debatte zu
führen, obwohl wir auf einem guten Weg sind und sich
die Bundesländer mitten im Ratifizierungsprozess befin-
den. Falsches wird durch Wiedervorlage nicht besser.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Gerade in diesen Tagen wird deutlich, wie wichtig
dieses Thema ist und wie gut es ist, dass wir uns hier zu-
sammen mit den Ländern auf dem richtigen Weg befin-
den. Insider aus dem Tennis behaupten, dass seit Jahren
Wettbetrug in großem Stil betrieben wird. Dabei geht es
nicht nur um einen Spieler, sondern um sehr viele Spiele
und sehr viele Spieler und Spielerinnen. Der WDR
spricht von einem Millionengeschäft, bei dem verdäch-
tige Spieler weit mehr Geld eingestrichen haben, als sie
bei einem Turniersieg gewonnen hätten. Die größten Ge-
winne sind laut diesem Bericht mit Live-Wetten erzielt
worden, also mit Wetten während der Tennisspiele, bei
denen man beispielsweise darauf wetten konnte, wer den
nächsten Satz gewinnt oder ob jemand durch Verletzung
aufgibt. Dem muss man einen Riegel vorschieben. Was
hier geschehen ist, ist letztendlich auch für mich der
beste Beweis dafür, dass eine Liberalisierung des Sport-
wettenmarktes in Deutschland der falsche Weg ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Damit kein falscher Eindruck entsteht: Es geht nicht
darum, Sportwetten generell zu verbieten. Sportwetten:
Ja – aber bitte schön in einem regulierten Markt, weil
wir den Sport vor Betrug schützen müssen. Wir befinden
uns hier im Übrigen in Übereinstimmung mit dem orga-
nisierten Sport. Erst in der letzten Debatte konnten wir
aufzählen, wie viele Sportverbände, Sportvereine, sogar
Sportlerinnen und Sportler sich zu Wort melden und da-
rum bitten, dass wir den regulierten Markt erhalten.


(Detlef Parr [FDP]: Welcher Markt, Herr Kollege?)


Herr Parr, Franz Beckenbauer wurde von Ihnen ange-
sprochen. Auch ich bin dafür, dass die deutschen Vereine
in der Champions League gut abschneiden und wettbe-
werbsfähig sind. Auch mir tut es weh, dass der
VfB Stuttgart so schlecht abgeschnitten hat. Aber in der
Abwägung, entweder über private Wetten Millionen für
die Champions League einzunehmen oder den Schutz
von Kindern und Jugendlichen vor Spielsucht zu ge-
währleisten, ist mir Letzteres bedeutend wichtiger.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Hauptargument für den regulierten Markt ist
eben: Wir müssen diejenigen schützen, die gerne wetten,
und zwar vor der Spielsucht, die mit dem Glücksspiel
verbunden ist. Das ergibt sich für mich aus Art. 2 des
Grundgesetzes, wonach wir Verantwortung für die Ge-
sundheit der Bevölkerung tragen. Spielsucht ist nach-
weislich eine weitverbreitete Krankheit. Mit einer ge-
setzlichen Regelung für den Glücksspielbereich kommen
wir der Pflicht nach, unsere Bürger, vor allem unsere
Kinder und Jugendlichen, vor dieser gesundheitlichen
Gefahr zu schützen, indem wir klare Regeln setzen.


(Detlef Parr [FDP]: Reine Heuchelei!)


Übrigens hat im Landtag von Baden-Württemberg
gestern die erste Lesung des entsprechenden Gesetzent-
wurfes stattgefunden. Die dortige FDP-Fraktion hat wie
alle anderen Fraktionen signalisiert: Wir werden zustim-
men. – So kräftig sind die Muskeln der FDP in Baden-
Württemberg also nicht, wie Sie noch in der letzten De-
batte angedeutet haben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])







(A) (C)



(B) (D)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612321800

Die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch hat jetzt das Wort

für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612321900

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Das FDP-Präsidium hat im Septem-
ber den Bundesrat aufgefordert, eine länderübergreifende
Arbeitsgruppe zur Erarbeitung einer marktwirtschaftli-
chen Neuordnung des Sportwettenrechts einzusetzen.
Der Bundesrat ist der Forderung des FDP-Präsidiums of-
fensichtlich nicht gefolgt. Aber ich kann Sie trösten,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP: Der Bun-
desrat folgt auch nicht immer den Aufforderungen unse-
res Parteivorstandes.


(Detlef Parr [FDP]: Das hätte auch noch gefehlt!)


So weit sind wir mit dem Linksruck in unserem Land
doch noch nicht.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Peter Danckert [SPD]: Gott sei Dank!)


Der Staatsvertrag wurde von allen Ländern unter-
zeichnet. Die FDP, die in drei Bundesländern an der Re-
gierung beteiligt ist, hat diesem Staatsvertrag in allen
drei Ländern zugestimmt. Hier haben Sie also ein Glaub-
würdigkeitsproblem, meine Damen und Herren von der
FDP. Eigentlich müssten Sie Ihren Antrag in Anbetracht
der Entscheidung Ihrer Parteikollegen in den Ländern
still und leise zurückziehen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Peter Danckert [SPD]: Das stimmt!)


– Danke schön.

In Ihrem Antrag fordern Sie, das staatliche Wettmo-
nopol zu verscherbeln, weil Ihnen die Wettlobby im Na-
cken sitzt und das ganz große Geschäft wittert. In
Deutschland liegt der Wettspieleinsatz pro Kopf bei
33 Dollar, in Großbritannien bei 627 Dollar und in
Hongkong sogar bei 1 848 Dollar. Da verstehe ich natür-
lich, dass in den Augen der Lobbyisten die Dollarzei-
chen nur so blitzen. In Deutschland kann man einen
zweistelligen Milliardenbetrag erwirtschaften, wie eine
Studie des Kölner Institutes Sport + Markt prognostiziert
hat. Leider steht dem nur noch – so klagen die Wettlob-
byisten – das staatliche Wettmonopol im Wege. Wir sa-
gen: Das ist richtig und gut so.


(Beifall bei der LINKEN)


Als Wolf im Schafspelz kommt die FDP daher, wenn
sie in ihrem Antrag die Kriterien für die Vergabe von
Konzessionen streng formuliert, zum Beispiel persönli-
che Zuverlässigkeit, fachliche Eignung, effektiver Ju-
gendschutz usw.

Bemerkenswert finde ich die Formulierung in einer
FDP-Presseerklärung, dass – ich zitiere – „der Zustand
rechtlicher Unsicherheit … eines Rechtsstaates nicht
würdig und für die Betroffenen“ – gemeint ist die Wett-
lobby – „schlichtweg unzumutbar ist“.

Solch einen Satz habe ich noch nie von der FDP ge-
hört, wenn es um die zunehmende rechtliche Unsicher-
heit von Millionen von Beschäftigten geht, die durch
prekäre Arbeitsverhältnisse in immer schlimmere Le-
benslagen gedrängt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Tränen, die Sie für die Wettlobby vergießen, lassen
99 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land
kalt, und das zu Recht.

Wir als Linke sehen im staatlichen Wettmonopol die
beste Voraussetzung, um die von Ihnen aufgeschriebe-
nen Kriterien – die wohl allerdings nicht ganz ernst ge-
meint sind – zu erfüllen.


(Detlef Parr [FDP]: Es wäre ja auch ein Wunder, wenn das nicht so wäre!)


Eine Kommerzialisierung macht nur die Wettbüros reich
und treibt die Menschen in die Arme von Zockern, de-
nen das Schicksal der Spielerinnen und Spieler gleich-
gültig ist.


(Detlef Parr [FDP]: Bei Sportwetten? Das müssen Sie mir mal erklären!)


Ich bin keine Freundin von Glücksspielen, weil ich mehr
Menschen kenne, die durch Glücksspiel unglücklich ge-
worden sind, als Menschen, die dadurch glücklich ge-
worden sind.

Wir als Linke lehnen den Antrag der FDP ab und ge-
hen davon aus, dass die Bundesregierung das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts nutzt, um die Wettsucht kon-
sequent zu bekämpfen und illegale Wetten weit intensi-
ver als bisher zu verfolgen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612322000

Jetzt hat der Abgeordnete Winfried Hermann für

Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612322100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Lieber Kollege Parr, ein Kompliment will ich
Ihnen vorab machen: Es ist Ihnen gelungen, dass wir uns
hier im Plenum zweimal mit derselben Sache, nur in un-
terschiedlichen Varianten der Texte, befassen. Sie haben
sich selbst nicht ganz ernst genommen, als Sie gesagt ha-
ben, wir hätten uns nie ernsthaft damit auseinanderge-
setzt. Wir hatten hier zwei ernsthafte Debatten, und im
Ausschuss haben wir auch noch einmal ernsthaft disku-
tiert und die Argumente abgearbeitet.


(Detlef Parr [FDP]: Ich kenne keine ernsthaften Alternativen!)


Das haben Sie immerhin erreicht.






(A) (C)



(B) (D)


Winfried Hermann
Aber, Kollege Parr, Folgendes möchte ich Ihnen auch
noch mit auf den Weg geben: Früher hat die FDP für die
Freiheit der Menschen gekämpft, heute kämpft sie für
die Freiheit der Spielwetten. Das ist der qualitative Un-
terschied.


(Detlef Parr [FDP]: Und das Monopol ist ein Freiheitsmodell?)


Man fragt sich allen Ernstes, warum und mit welcher Pe-
netranz die FDP gerade bei diesem Thema für die Libe-
ralisierung kämpft.

Sie sagen – das gebe ich Ihnen gern zu –, dass Sie
nicht eine totale Liberalisierung, sondern eine lizenzierte
Konzessionsabgabe einführen und den Markt ordnen
wollen, aber man hat doch, wenn man die Liste der Kri-
terien liest, den Eindruck, dass dies nur gemeinnützige
Alibi-Kriterien sind. Fakt ist, dass ein Markt geöffnet
werden soll. Kollege Parr, als Mitglied einer Partei der
Marktwirtschaft muss man schon auch einmal darüber
nachdenken, was ein Marktmodell hergibt und wozu es
taugt. In Bereichen, in denen nicht genügend Produktion
vorhanden ist und man über den Marktmechanismus und
die Nachfrage die Produktion stimulieren und damit die
Versorgung verbessern will, ist der Markt genau das
richtige Modell. Aber in einer Situation, in der schon ein
gigantisches Potenzial vorhanden ist und in der man
Sorge hat, dass noch mehr Sportwetten angeboten wer-
den und Spielsucht erzeugt wird, darf man nicht mit dem
Marktmodell argumentieren und darf man auch nicht mit
einem neuen Konzessionsmodell dafür sorgen, dass noch
mehr Spiele und verrückte Wetten stattfinden können.
Da ist allerhöchste Vorsicht angesagt und meines Erach-
tens staatliche Verantwortung gefragt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin froh, dass nach reichlichen Diskussionen in
den Landtagen – die von Ihnen vorgetragene Position hat
natürlich auch in den Landtagen Widerhall gefunden –
und den Landesregierungen alle Bundesländer – auch
die, in denen Sie beteiligt sind – schlussendlich gesagt
haben, dass das ein gefährliches Feld ist und das staatli-
che Monopol daher gerechtfertigt ist. Aber wir müssen
uns an die eigene Nase fassen und zukünftig mehr gegen
Spielsucht tun; wir dürfen nicht nur ein Einnahmeinstru-
ment schaffen, das lediglich dazu da ist, dem Sport und
der Kultur Mittel zuzuführen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612322200

Herr Kollege, der Kollege Parr würde Ihnen gerne

eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie die zulassen?


Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612322300

Der Kollege Parr ist heute sehr nett. – Bitte schön.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1612322400

Herr Kollege Hermann, wie beurteilen Sie denn die

Äußerung aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen,
nach der eine konsistente Suchtbekämpfung durch den
Staatsvertrag nicht möglich ist, er abgelehnt wird und
– ich zitiere – Rechtssicherheit und ein klug geregelter
Glücksspielmarkt die Voraussetzungen dafür sind, dass
die Zweckabgaben möglichst konstant bleiben? Was ist
denn ein klug geregelter Glücksspielmarkt? Handelt es
sich dabei um das Festhalten am Monopol?


Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612322500

Ehrlich gesagt, Herr Kollege Parr, weiß ich nicht, wo-

raus Sie zitiert haben. Ich vermute, dass Sie irgendeinen
Landtagsabgeordneten aus einer Debatte zitiert haben,
so wie der Kollege vorher aus Ihrer Fraktion zitiert hat.
Wir sollten uns nicht vorhalten, dass es in Fraktionen un-
terschiedliche Meinungen gibt, dass in den Landtagen
anders diskutiert wurde.


(Detlef Parr [FDP]: Das muss ich mir doch immer gefallen lassen!)


Festhalten muss man, was am Schluss herauskommt.
Am Schluss unserer grünen Debatte kommt heraus: Der
Staatsvertrag ist das richtige Instrument. Aber wir erwar-
ten von den Ländern, dass sie aktiv mehr gegen Spiel-
sucht tun. Insofern gebe ich dem Kollegen – wahrschein-
lich ist er aus Nordrhein-Westfalen – recht, dass der
Staatsvertrag allein nicht ausreicht und dass die Landes-
regierung in Nordrhein-Westfalen, an der die FDP betei-
ligt ist, zu wenig gegen Spielsucht tut. Das war wohl der
Hintergrund der Kritik. Insofern kann ich ihn verstehen.

Ich will das Ganze überhaupt nicht kleinreden. Es gab
auch in unserer Fraktion die Überlegung: Könnte ein
Konzessionsmodell eine Möglichkeit sein? Wir haben
diskutiert und am Schluss gesagt: Nein, das ist für diesen
Bereich das falsche Modell. Wir wollen in diesem Be-
reich kein Wachstum durch Markt schaffen, wir wollen
hier eine klare Begrenzung. Wir wollen auch nicht das
Argument des Einnahmeausfalls als Vorwand dafür neh-
men, die Schleusen zu öffnen und der Spielsucht, die
nach unserer Meinung bekämpft werden muss, sozusa-
gen Tür und Tor zu öffnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, ich glaube, in dieser De-
batte wird das Richtige gesagt. Es ist ja auch nicht die
erste Debatte. Aus grüner Sicht ist der Staatsvertrag, so
wie er jetzt zustande gekommen ist, eine gute Sache. Ich
sage aber deutlich dazu: Der Vertrag ist das eine, die
praktische Anti-Spielsucht-Politik ist das andere.

Ich erwarte von den Lotto-Toto-Gesellschaften, dass
sie sich entsprechend verhalten und in ihrer Werbung
entsprechend zurückhaltend sind. Ich erwarte übrigens
auch vom Sport, der jahrzehntelang davon profitiert hat,
dass er dieses Modell und auch diese Politik mitträgt und
unterstützt; denn die Einzigen im Sport, die sozusagen
den anderen Weg gesucht haben und Sie vorgeschickt
haben, waren genau die Profiorganisationen – Fußball-
liga, Vereine –, die gehofft haben, über die Privatisie-
rung neues Geld zu schöpfen. Das sind nicht die armen
Breitensportler, sondern die, die sowieso schon viel zu
viel Geld haben und viel zu viel Geld verbraten. Die
wollten sich eine zusätzliche Einnahmequelle schaffen.
Wir geben uns dafür nicht her. Die FDP ist dafür offen-
bar ein Sprachrohr.

Vielen Dank.






(A) (C)



(B) (D)


Winfried Hermann

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612322600

Jetzt hat der Kollege Dr. Peter Danckert das Wort für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Peter Danckert (SPD):
Rede ID: ID1612322700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Irgend-

wie – das gestehe ich ganz offen – tut der Kollege Parr
mir leid.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Alle hacken auf ihm herum!)


Er versucht, nach dem Urteil des Bundesverfassungsge-
richts hier eine bestimmte Position deutlich zu machen
– für die FDP immer wieder mannhaft –,


(Detlef Parr [FDP]: Nur auf der Grundlage dieses Urteils!)


und dann muss er sich von uns auch noch beschimpfen
lassen.


(Detlef Parr [FDP]: Das muss ja nicht sein!)


Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom
28. März 2006 hat in der Tat zwei Wege aufgewiesen:
eine Regelung durch einen Staatsvertrag, für den die
16 Bundesländer zuständig sind, zu treffen oder – das
war ein Novum in dieser Entscheidung – eine neue Bun-
deskompetenz zu nutzen, die dann beim Bundeswirt-
schaftsminister angesiedelt ist, und damit eine konzes-
sionierte und liberalisierte Regelung zu ermöglichen.
Das sind die beiden Wege. Die Länder haben sich dafür
entschieden, lieber Kollege Parr, das Staatsmonopol zu
regeln. Sie haben sich sehr viel Zeit dafür gelassen. Das
Urteil ist vom 28. März 2006, und noch ist der Staatsver-
trag nicht ratifiziert; er wird ratifiziert werden.

Dieser Fall ist deshalb interessant, sicherlich auch für
die Öffentlichkeit, weil er zeigt, wie Politik läuft. Sie
setzen sich hier vehement für eine Liberalisierung des
Sportwettenmarkts ein, und die FDP in den Bundeslän-
dern – das ist hier schon mehrfach angeklungen – macht
genau das Gegenteil:


(Detlef Parr [FDP]: Ich könnte jetzt die SPD in NRW anführen!)


In den Ländern, in denen sie Regierungsverantwortung
mitträgt, setzt sie sich für das Staatsmonopol ein.


(Detlef Parr [FDP]: Die SPD in NordrheinWestfalen argumentiert genau umgekehrt! Jeder soll vor seiner eigenen Tür kehren!)


Das ist eine schizophrene Situation.

Lieber Kollege Parr, sie tun mir wirklich leid – ich
meine das ganz ernst –, weil Sie hier sozusagen als ein-
samer Rufer für die Bundes-FDP auftreten und in den
Ländern genau das Gegenteil passiert. Die Position der
Länder ist ganz verständlich. Es geht dabei um sehr viel
Geld: 4,5 Milliarden Euro pro Jahr werden im Bereich
der Glücksspiele, bei Toto und Lotto sowie bei Sport-
wetten, an die öffentliche Hand verteilt. Man ist in NRW
auch deshalb so schnell gewesen, weil dieses Land ein
großes Stück vom Kuchen erhält, nämlich 900 Millio-
nen Euro. Deshalb habe ich großes Verständnis dafür,
dass sich die FDP und ihr Innenminister Wolf, der für
Sport zuständig ist, für diese Regelung ausgesprochen
haben. Bayern und Baden-Württemberg, die zusammen
mit NRW fast zwei Drittel dieser 4,5 Milliarden Euro er-
halten, sind natürlich auch dafür.

Jetzt nähere ich mich Ihrer Auffassung, Herr Kollege
Parr. Hier hat sich die Union der Position von Klaus
Riegert und Dagmar Freitag sowie der AG Sport, des
Fachausschusses, angeschlossen: Wenn die Länder die
Initiative ergreifen, dann sollen sie das auch regeln. Das
heißt nicht, dass wir sicher sind, dass es zum Erfolg
führt; aber die Bundesländer tragen dafür die Verantwor-
tung.


(Detlef Parr [FDP]: Da kommen wir uns ja schon näher!)


– Ja, ich sage gar nicht, dass wir so weit voneinander
entfernt sind. – Ich glaube, dass die Bundesländer hier
eine große Verantwortung zu tragen haben; denn sie ha-
ben mit dem neuen Staatsvertrag, der jetzt ratifiziert
wird, nicht nur den kleinen Bereich der Sportwetten ge-
regelt, sondern zugleich – das ist ein wenig untergegan-
gen – die Bereiche Toto und Lotto.

Nun sind die Geschütze schon an allen Ecken und En-
den aufgestellt. Die Rechtsprechung in diesem Bereich
war schon bisher sehr uneinheitlich. Gerade hat der Hes-
sische Verwaltungsgerichtshof zugelassen, dass Bet and
Win im Internet Wetten anbietet; der Bayerische Verwal-
tungsgerichtshof hat auch so entschieden. Es gibt ganz
unterschiedliche gerichtliche Entscheidungen. Die Lage
ist also unübersichtlich. Hinzu kommt die Position der
EU-Kommission, die immer wieder Hinweise gegeben
hat.

Wir befinden uns hier in einer problematischen Situa-
tion. Die Länder wollen mit dem Staatsvertrag die
Suchtgefahr bekämpfen. Das Glücksspiel, bei dem die
Suchtgefahr nachweislich am größten ist, nämlich bei
den Einarmigen Banditen – dadurch kommt unheimlich
viel Geld in die Kasse –, ist staatlich erlaubt. Das ist ein
ziemlicher Widerspruch.


(Detlef Parr [FDP]: So ist es!)


Nun wird möglicherweise Folgendes passieren – es
ist eine Gefahr, die ich sehe –: Durch eine Entscheidung
der EU, des Europäischen Gerichtshofs, könnte dieser
Staatsvertrag sozusagen außer Kraft gesetzt werden.
Dann befänden wir uns in der unangenehmen Situation
– darauf haben Sie noch nicht aufmerksam gemacht –,
dass nicht nur das Monopol für Sportwetten einkassiert
wird, sondern in gleicher Weise das Monopol von Toto
und Lotto. Dann würde das Geld fehlen, das wir drin-
gend für unseren Sport brauchen. Uns fehlten dann
500 Millionen Euro für den Breitensport.


(Detlef Parr [FDP]: Das ist selbstverschuldet!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Peter Danckert
Insofern hoffe ich, dass die Länder dies gut bedacht ha-
ben und, wenn das alles den Bach runtergeht, bereit sein
werden, die fehlenden Einnahmen aus Toto und Lotto,
die der Breitensport dringend braucht, zu ersetzen. Da
bin ich allerdings sehr gespannt auf die Reaktionen.


(Detlef Parr [FDP]: Sehr richtig!)


Wir befinden uns hier in einer schwierigen Lage. Wir
haben uns dafür entschieden, dass die Länder, die die
Verantwortung tragen wollen, sie auch übernehmen. Wir
haben keinen Gebrauch von der Bundeskompetenz ge-
macht. Wir werden sehen, wie sich die Dinge in den
nächsten Wochen und Monaten entwickeln.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612322800

Herr Kollege!


Dr. Peter Danckert (SPD):
Rede ID: ID1612322900

Die FDP, die das Ganze in den Ländern hätte verhin-

dern können, hat das nicht getan. Das ist die Wahrheit,
Herr Kollege Parr. Insofern sind Sie in einer wenig be-
neidenswerten Situation. Ich kann Ihnen aber bestätigen:
Sie haben das hier immer wieder mannhaft ausgehalten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612323000

Ich hätte Ihnen fast bestätigt, dass Sie die Redezeit

weit überzogen haben.

Ich schließe hiermit die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Sportaus-
schusses auf Drucksache 16/6838. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache
16/1674 mit dem Titel „Recht der Sportwetten neu ord-
nen und Finanzierung des Sports sowie anderer Gemein-
wohlbelange sichern“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Die Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen gegen
die Stimmen der Fraktion der FDP bei Zustimmung des
übrigen Hauses.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/3506 mit dem Titel „Libera-
lisierung des Sportwettenmarkts in Deutschland einlei-
ten und europakonformes Konzessionsmodell vorlegen“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit dem gleichen Ergebnis wie vorher angenommen.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 13 a und b so-
wie Zusatzpunkt 8 auf:

13 a) –Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Förderung der betrieblichen Altersversor-
gung

– Drucksache 16/6539 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)


– Drucksache 16/6983 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 16/6989 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Waltraud Lehn
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich
L. Kolb, Christian Ahrendt, Daniel Bahr

(Münster), weiterer Abgeordneter und der

Fraktion der FDP

Abgabenfreie Entgeltumwandlung über
2008 hinaus fortführen und ausbauen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard
Schewe-Gerigk, Birgitt Bender, Britta
Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Beitragsfreie Entgeltumwandlung – Erst
prüfen, dann entscheiden

– Drucksachen 16/6433, 16/6606, 16/6983 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk

ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Christian
Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP

Vermittlungsgutscheine der Bundesagentur
für Arbeit marktgerecht ausgestalten – private
Arbeitsvermittlung stärken

– Drucksachen 16/1675, 16/6987 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur För-
derung der betrieblichen Altersversorgung liegt ein Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vor.

Es ist zwischen den Fraktionen verabredet, darüber
eine halbe Stunde zu debattieren. – Dazu sehe ich keinen
Widerspruch.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Dann eröffne ich hiermit die Aussprache und gebe das
Wort der Kollegin Gabriele Hiller-Ohm für die SPD-
Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
Rede ID: ID1612323100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Die Sachverständigenanhö-
rung am Montag hat klar bestätigt: Wir sind bei der För-
derung der Betriebsrente auf dem richtigen Weg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Mit Umwegen und vielen Anläufen!)


Beinahe einmütig wurde begrüßt, dass die Große Koali-
tion die betriebliche Altersvorsorge durch die unbefris-
tete Sozialabgabenfreiheit bei der Entgeltumwandlung
weiter fördern und ihren Verbreitungsgrad in Deutsch-
land voranbringen will. Beschäftigte können nun auch
nach 2008 einen Teil ihres Bruttoentgelts steuer- und so-
zialabgabenfrei im Rahmen der betrieblichen Altersvor-
sorge ansparen. Ohne den vorliegenden Gesetzentwurf
wäre diese attraktive Möglichkeit Ende 2008 ausgelau-
fen. Ich freue mich, dass auch die FDP ihre Zustimmung
geben will


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir haben ja seit Jahren darauf gedrängt!)


und wir somit im Bundestag eine breite Basis für den
Gesetzentwurf haben.


(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Obwohl das verdächtig ist!)


Die Linksfraktion und die Grünen wollen sich aller-
dings verweigern.


(Zurufe von der LINKEN: Oh!)


Sie kritisieren, dass die Abgabenfreiheit nicht vertret-
bare Ausfälle in den gesetzlichen Sozialkassen zur Folge
habe. Das, was die Opposition jetzt an Argumenten vor-
bringt, sind keineswegs neue Problemstellungen. Schon
2001, als wir gemeinsam mit den Grünen die abgaben-
freie Entgeltumwandlung auf den Weg gebracht haben,
war klar, dass es zu Ausfällen in den gesetzlichen Sozial-
versicherungen kommen wird.

Da drängt sich doch eine Frage geradezu auf: Warum,
liebe Kolleginnen von den Grünen – Kollegen sind ja
nicht mehr anwesend –, haben Sie die Abgabenfreiheit
überhaupt mit uns beschlossen,


(Anton Schaaf [SPD]: Wissen die gar nicht mehr!)


wenn Sie so große Zweifel an ihrer Richtigkeit haben?
Ziehen Sie sich jetzt bitte nicht auf die Befristung des
Gesetzes bis 2008 zurück; denn das ist total unglaubwür-
dig.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wären Sie schon 2001 so überzeugt von den von Ihnen
heute kritisierten negativen Auswirkungen gewesen, so
hätten Sie das Gesetz überhaupt nicht beschließen dür-
fen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Eben!)


Ansonsten hätten Sie sieben Jahre billigend in Kauf ge-
nommen, dass die Förderung der betrieblichen Alters-
vorsorge die gesetzlichen Sozialkassen Geld kostet.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Auf sie mit Gebrüll!)


Warum – so frage ich Sie – haben Sie nicht schon 2001
im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens eine Prüfung
der Verteilungswirkungen beantragt? Warum, liebe Kol-
leginnen von den Grünen, kommen Sie erst jetzt mit die-
ser Forderung in Ihrem Antrag?


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ja, das verstehe ich auch nicht! – Anton Schaaf [SPD]: So etwas Unnötiges!)


Es ist Ihr gutes Recht, sich von unserer gemeinsamen
Regierungsvergangenheit zu verabschieden. Aber glaub-
würdig sollte man dabei schon bleiben. Glaubwürdig-
keit, liebe Kolleginnen von den Grünen, sehe ich bei Ih-
nen nicht. Im Gegenteil: Das, was Sie hier vorlegen, ist
eine politische Kehrtwende ersten Ranges.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wie sieht es aber tatsächlich mit den Verteilungswir-
kungen durch den Ausfall der Sozialabgaben aus? Zah-
len Rentnerinnen und Rentner, die nicht privat oder über
ihren Betrieb vorgesorgt haben, die Zeche? Genau das
behaupten ja die Grünen und die Linksfraktion. In der
Anhörung ist sehr deutlich geworden – auch die Bundes-
regierung hat dies in ihrem Bericht in der letzten Aus-
schusssitzung bestätigt –: Die Ausfälle bei den gesetzli-
chen Sozialkassen sind vertretbar. Dies bestätigt
übrigens auch die hauptsächlich betroffene Organisation,
nämlich die gesetzliche Rentenversicherung. Sie sagt,
die Beibehaltung der Sozialabgabenfreiheit werde einen
vermutlich nicht übermäßig großen Effekt auf die ge-
setzliche Rentenversicherung haben.

Wer übrigens genaue Berechnungen fordert, wie die
Grünen jetzt in ihrem Antrag, kann lange warten; denn
solche Berechnungen sind überhaupt nicht möglich.
Man kann immer nur schätzen und spekulieren,


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Im Spekulieren sind Sie sehr groß!)


da niemand weiß, wie sich die Menschen verhalten,
wenn die Abgabenfreiheit wegfällt und die Entgeltum-
wandlung sich entsprechend verteuert. Die Praktiker vor
Ort, also die Betriebsräte, die Gewerkschaften, aber auch
Arbeitgeberverbände und Wissenschaftler, gehen davon
aus, dass es logischerweise zu Ausweichreaktionen
kommen würde. Verträge könnten gekündigt und das
Geld in dann attraktivere Anlagemöglichkeiten gesteckt
werden. Abgesehen davon, dass bei Wegfall der Bei-
tragsfreiheit Millionen Verträge mit großem bürokrati-
schem Aufwand umgeschrieben und Tarifverträge neu
ausgehandelt werden müssten, ist es also mehr als frag-






(A) (C)



(B) (D)


Gabriele Hiller-Ohm
lich, ob unter dem Strich wirklich ein dickes Plus für die
gesetzlichen Sozialkassen stünde.

Wir haben das Für und Wider schon bei Einführung
der abgabenfreien Entgeltumwandlung sehr genau abge-
wogen. Für uns steht heute fest: Die Förderung der be-
trieblichen Altersvorsorge ist der richtige Weg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])


Noch ein Wort zu den Kolleginnen und Kollegen von
der Linksfraktion: Auch Sie wettern gegen die Abgaben-
freiheit. Das ist schon bemerkenswert.


(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Finde ich auch!)


Die Gewerkschaften wollen das Gesetz. Sie lehnen es ab
und distanzieren sich dadurch deutlich von den Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Wir sind ja nicht die Gewerkschaften!)


Dabei lassen Sie doch sonst keine Gelegenheit aus, sich
als die einzigen und wahren Verfechter gewerkschaftli-
cher Interessen im Bundestag zu präsentieren.

Meine Damen und Herren, die Gewerkschaftsvertre-
ter und Betriebsräte haben es in der Anhörung auf den
Punkt gebracht: Die abgabenfreie Entgeltumwandlung
hilft insbesondere Klein- und Mittelverdienern, Lücken
in der gesetzlichen Rente zu schließen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP] – Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Da kommen einem die Tränen!)


– Die sollten Ihnen bei Ihrem Abstimmungsverhalten
auch kommen. – Diese Menschen haben nämlich nichts
von der Steuerbefreiung; sie zahlen ja keine oder nur in
sehr geringem Maße Steuern. Sie profitieren deshalb
ganz besonders von der Sozialabgabenfreiheit. Das
bringt ihnen Pi mal Daumen 20 Prozent.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfrak-
tion, um es deutlich zu sagen: Sie stellen sich heute ge-
gen die Interessen von rund 9 Millionen Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmern, die tarifvertraglich geregelt
für das Alter vorsorgen.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das sagen hier die Richtigen!)


Wir hingegen stehen an der Seite dieser Menschen
und geben ihnen die Planungssicherheit, die sie für ihre
Altersvorsorge brauchen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will noch einmal darauf hinweisen: Über
65 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftig-
ten haben in Deutschland inzwischen Anwartschaften
auf eine betriebliche Altersvorsorge.

(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Ich denke, Sie kennen keine Zahlen!)


Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine unglaubli-
che Erfolgsgeschichte, die wir auf jeden Fall fortsetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Mit dem heutigen Gesetzentwurf fördern wir nicht
nur die Betriebsrente, wir stärken auch die staatlich ge-
förderte private Altersvorsorge, die Riesterrente. Auch
dies ist die konsequente Fortführung erfolgreicher so-
zialdemokratischer Politik.

Seit 2002 haben sich rund 9,7 Millionen Menschen
entschlossen, mithilfe staatlicher Förderung privat vor-
zusorgen. Mit der heutigen Gesetzesänderung werden
wir die 10-Millionen-Grenze locker knacken; denn wir
machen die Riesterrente noch attraktiver. Für alle ab
2008 geborenen Kinder erhöhen wir die jährliche Zulage
von 185 Euro auf 300 Euro.


(Beifall bei der SPD)


Ich fasse zusammen: Die große Koalition gibt den
vielen Millionen Menschen, die in Deutschland betrieb-
liche Altersvorsorge betreiben, Planungssicherheit. Wir
ermuntern Arbeitgeber und Beschäftigte, weiterhin die
tariflich fixierte Altersvorsorge zu nutzen. Wir stärken
die Riesterrente und verlängern darüber hinaus die Rege-
lung zum Vermittlungsgutschein.

Wir verabschieden heute ein Maßnahmenpaket, das
gut ist für die Beschäftigten in Deutschland. Deshalb:
Stimmen Sie zu!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612323200

Der Kollege Dr. Heinrich Kolb hat jetzt das Wort für

die FDP-Fraktion.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1612323300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der vorliegende Gesetzentwurf zur Fortführung der ab-
gabenfreien Entgeltumwandlung, zur Erhöhung des Kin-
derzuschlages bei der Riesterrente und zur Neuregelung
bei der Ausgestaltung der Vermittlungsgutscheine für
private Arbeitsvermittler entspricht Forderungen, die die
FDP schon lange vertritt, zeitweilig als einzige Fraktion
in diesem Hause.


(Beifall bei der FDP)


Frau Hiller-Ohm, als Sie die Grünen für ihr Unterlas-
sen in der Vergangenheit beschimpft haben, kam mir
Folgendes in den Sinn: Noch im März dieses Jahres hat
es der zuständige Minister abgelehnt, die abgabenfreie
Entgeltumwandlung über 2008 hinaus zu verlängern.
Jetzt haben Sie sich hier hingestellt und so getan, als ob
die Verlängerung immer eine klare Sache gewesen wäre.
Ich halte fest: Nur die FDP hat die Bedeutung dieses In-
struments immer erkannt und seit Jahren eine Verlänge-
rung über 2008 hinaus gefordert.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Heinrich L. Kolb
Allerdings könnte der Gesetzentwurf in einigen Punk-
ten weitergehend sein. Sie haben aber die Möglichkeit,
insbesondere was die Vermittlungsgutscheine anbe-
langt, durch Zustimmung zu den vorliegenden FDP-An-
trägen sozusagen in letzter Minute Verbesserungen mit
auf den Weg zu bringen.

Auf die abgabenfreie Entgeltumwandlung will ich
jetzt nicht näher eingehen. Die Anhörung hat gezeigt,
dass die Fortführung der Abgabenfreiheit sinnvoll und
notwendig ist, wenn man dieses Instrument auch in Zu-
kunft haben will. Ich glaube, dass wir diese Form der zu-
sätzlichen Altersvorsorge brauchen, weil sie in Zukunft
wesentlich dazu beitragen wird, den Lebensstandard der
Ruheständler zu sichern. Das ist angesichts erkennbarer
Versorgungslücken sehr wichtig.

Der Bericht „Situation und Entwicklung der betriebli-
chen Altersvorsorge in Privatwirtschaft und öffentli-
chem Dienst 2001 bis 2006“ unterstreicht meine Aus-
sage. Man muss berücksichtigen, dass ein Auslaufen der
Abgabenfreiheit und die damit einhergehende doppelte
Beitragspflicht zur Krankenversicherung in der Einzah-
lungs- und Auszahlungsphase die Entgeltumwandlung
für die Versicherten völlig unattraktiv machen würde
und vor allen Dingen eine Schlechterstellung gegenüber
privaten Vorsorgemöglichkeiten bedeuten würde. Das
war schon immer vollkommen klar. Ich kann nicht ver-
stehen – das möchte ich noch einmal sagen –, dass einige
in diesem Hause zwischenzeitlich daran gezweifelt ha-
ben.

Das Instrument der Abgabenfreiheit kann man nicht
einfach durch eine steuerliche Förderung ersetzen, weil
gerade Geringverdiener von der Beitragsfreiheit profitie-
ren, nicht aber von Steuererleichterungen. Deswegen ist
dieses Instrument wichtig.

Kritisch wurde angemerkt, dass finanzielle Auswir-
kungen der Abgabenfreiheit auf die Rentenversicherung
zu verzeichnen wären. Das ist eine Abwägungsentschei-
dung. Für die Fortführung spricht, dass bei Auslaufen
der Abgabenfreiheit Ausweichreaktionen zu erwarten
wären. Wenn zum Beispiel ein Arbeitgeber eine rein ar-
beitgeberfinanzierte Betriebsrente anbieten würde, wür-
den auch keine Sozialabgaben gezahlt werden. Die Auf-
hebung der Abgabenfreiheit würde nur zu einer
marginalen Anhebung des Rentenwertes führen. Durch
Veränderungen des Rentenniveaus wird am Ende nur
derjenige benachteiligt sein, der es jetzt versäumt, eine
entsprechende Vorsorge im Wege der Entgeltumwand-
lung auf den Weg zu bringen. Alle anderen profitieren.
Das gesetzliche Rentenniveau wird zwar niedriger sein.
Sie stocken ihre Rente aber auf und gleichen im Wege
der zusätzlichen Altersvorsorge durch die Entgeltum-
wandlung mehr als aus.

Ich habe für die FDP auch im Ausschuss schon deut-
lich gemacht, dass wir uns wünschen, Gewinnbeteiligun-
gen künftig stärker als bisher für die Altersvorsorge und
für Entgeltumwandlungen heranzuziehen, und zwar ge-
rade deswegen, weil Gewinnbeteiligungen unregelmäßi-
ges Einkommen sind. Sie sind – anders als das laufende
Einkommen – nicht verplant und bieten echten Spiel-
raum für zusätzliche Altersvorsorge. Das ist in der An-
hörung von einigen Sachverständigen als zukunftswei-
send bezeichnet worden. Die Große Koalition war noch
nicht so weit. Aber ich sage Ihnen voraus: Früher oder
später werden auch Sie auf diesen Weg einschwenken.

Wir begrüßen die Erhöhung der Riester-Förderung für
Kinder. Die Ausgestaltung der Vermittlungsgutscheine
hätten wir uns im Sinne eines Wegfalls der Deckelung
besser vorgestellt, weil wir wissen, dass gerade jetzt, wo
wir an den Kern verhärteter Arbeitslosigkeit herangehen,
Vermittler sehr viel mehr Aufwand betreiben müssen,
um neue Arbeitsverhältnisse zu begründen. Da macht es
keinen Sinn, eine – wenn auch leicht erhöhte – Decke-
lung bei den Vermittlungsgutscheinen beizubehalten.
Hier muss angesichts des jeweiligen individuellen Sach-
verhalts auch eine höhere Dotierung möglich sein.

Im Ergebnis werden wir dem Gesetzentwurf zustim-
men, auch wenn er hinter dem Bestmöglichen zurück-
bleibt.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch wenn er schlecht ist!)


Aber, wie gesagt, durch Zustimmung zu den vorgelegten
Anträgen der FDP-Bundestagsfraktion können Sie das
mangelhafte Paket der Großen Koalition etwas aufwer-
ten.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612323400

Der Kollege Peter Weiß hat jetzt das Wort für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1612323500

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Das System der Alterssicherung in Deutschland
wird heute ein gutes Stück zukunftsfester gemacht. Die
Große Koalition löst damit zentrale Zusagen aus ihrem
Regierungsprogramm ein. Sicherheit für das Alter zu
schaffen, das ist ein Markenzeichen dieser Großen Ko-
alition, auf das wir stolz sein können.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das System der Alterssicherung in der Zukunft ruht
auf drei Säulen:

Die erste Säule ist die gesetzliche Rentenversiche-
rung, die wieder sicher finanziert wird. Das ist eine
wichtige Botschaft an die Rentnerinnen und Rentner in
unserem Land. Wir werden in diesem Jahr voraussicht-
lich wieder eine Rücklage aufbauen, die nach dem Er-
gebnis des Schätzerkreises von vergangener Woche zum
Jahresende auf 0,72 Monatsausgaben ansteigen wird.

Die zweite Säule ist die private kapitalgedeckte Al-
tersvorsorge in Form der Riesterrente, die wir noch at-
traktiver machen, indem die Förderung des Staates für
jedes ab Januar 2008 geborene Kind auf 300 Euro jähr-
lich erhöht wird.






(A) (C)



(B) (D)


Peter Weiß (Emmendingen)

Die dritte Säule ist die betriebliche Altersvorsorge,
der wir durch die Steuer- und Sozialabgabenfreiheit der
Entgeltumwandlung nochmals deutlichen Auftrieb ge-
ben.

Die Umstellung der Altervorsorge in Deutschland auf
ein Drei-Säulen-System erforderte bei vielen zunächst
ein Umdenken und viel Überzeugungsarbeit. Aber wir
können heute feststellen, dass die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in unserem Land verstanden haben,
um was es geht, und dass sie entsprechend handeln.
Heute kam die Nachricht: Im dritten Quartal 2007 gibt es
jetzt über 9,7 Millionen abgeschlossene Riester-Ver-
träge. Die Tendenz ist weiter steigend, sodass wir dieses
Jahr auf jeden Fall noch die 10-Millionen-Marke errei-
chen werden.

Für Familien mit Kindern machen wir das Riester-
Sparen noch attraktiver, weil es künftig 300 Euro Förde-
rung pro Kind gibt. Künftig kann eine vierköpfige Fami-
lie bei einem Mindestbeitrag von 2 100 Euro insgesamt
908 Euro jährlich an staatlicher Förderung erhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich finde, eine solche beachtliche staatliche Förderung
ist ein Wort. Eigentlich sollte keine Familie in Deutsch-
land darauf verzichten, dieses Geld bei unserem Finanz-
minister abzuholen.

Die betriebliche Altersvorsorge hat in den letzten Jah-
ren ebenfalls einen deutlichen Aufschwung genommen.
Im Jahr 2002 haben nur 38 Prozent der Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft in Deutsch-
land in einem System betrieblicher Altersversorgung vor-
gesorgt. 2004 waren es bereits 46 Prozent. Mittlerweile
sind es über 50 Prozent. Rechnet man die Zusatzversor-
gungssysteme im öffentlichen Dienst hinzu, so haben
heute über 65 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer in Deutschland eine Betriebsrentenanwart-
schaft. Dieser Anstieg beruht zum Großteil auf der Teil-
nahme an der Bruttoentgeltumwandlung.

Diese Entgeltumwandlung ist gerade für Bezieher
niedriger Einkommen interessant, wie uns zum Beispiel
die Experten bei der Anhörung am Montag dieser Woche
bestätigt haben: „Gerade Bezieher kleinerer und mittle-
rer Einkommen haben aufgrund der Beitragsfreiheit den
höheren Nutzen, die höhere Rendite aus der beitrags-
freien Entgeltumwandlung.“ Dies erklärte zum Beispiel
Gert Nachtigal von der BDA. Und Klaus Stiefermann
von der Arbeitsgemeinschaft betrieblicher Altersvor-
sorge erklärte, „dass in weiten Teilen auch die Bezieher
niedriger Einkommen erreicht worden seien“.

Die 2002 eingeführte Sozialabgabenfreiheit der Ent-
geltumwandlung war zunächst sozusagen ein Sonderan-
gebot zur Steigerung der betrieblichen Altersvorsorge
und bis zum Jahr 2008 begrenzt. Aber – Frau Schewe-
Gerigk sollte jetzt zuhören, weil sie immer wieder fragt,
warum wir davon abgehen, dass 2008 Schluss ist –


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja, das würde ich gerne wissen!)

die mittlerweile, übrigens mit Ihrer Zustimmung, Frau
Schewe-Gerigk, erfolgten Veränderungen bei den Kran-
ken- und Pflegeversicherungsbeiträgen der Rentnerinnen
und Rentner hätten in Zukunft zu einer Doppelverbeitra-
gung geführt


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist doch ein Quatsch!)


und damit die Entgeltumwandlung als eine Form der Al-
tersvorsorge für die Betreffenden finanziell völlig unin-
teressant gemacht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist bei der gesetzlichen Rente auch so!)


Die Warnungen aus der betrieblichen Praxis dazu sind
eindeutig, und daran ist nichts herumzudeuteln: „Kommt
jetzt die Doppelverbeitragung, hat diese Entgeltum-
wandlung keine Perspektive mehr“, erklärte zum Bei-
spiel Herr Scheurer von der BASF.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Da haben Sie ja die richtigen zur Anhörung eingeladen! BASF!)


Gleiches hörten wir von Personalchefs anderer großer
Unternehmen.

Deshalb handeln wir als Große Koalition heute, in-
dem wir die Sozialabgabenfreiheit der Entgeltumwand-
lung unbefristet beschließen, damit möglichst bald noch
mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutsch-
land einen zusätzlichen Betriebsrentenanspruch erwer-
ben können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Mit dem Gesetz zur Förderung der betrieblichen Al-
tersversorgung, das wir heute beschließen, wird die
zweite und dritte Säule der Altersvorsorge massiv ge-
stärkt. Der Staat unterstützt mit zusätzlichen Leistungen
die Leistungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer wie der Betriebe.

Vor einigen Monaten hat die OECD diesem neuen
Mix der deutschen Altersvorsorge in einem Gutachten
ein hohes Lob gezollt:

Deutschland hat in den vergangenen Jahren im Ver-
gleich zu den meisten OECD-Ländern umfassende
Strukturreformen im Rentensystem beschlossen
und so wichtige Fortschritte auf dem Weg zur
Nachhaltigkeit des Systems gemacht.

Zusätzlich hat die Gutachterin erklärt, viele andere Län-
der Europas sollten sich ein Beispiel an dem deutschen
Reformwerk in der Altersversorgung nehmen. Dann
würden auch sie für ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer ein zukunftsfesteres System schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Nun, es gibt diesen schönen Spruch: Lob ist die ver-
stärkte Form der Bitte. – Dem kommen wir heute als Ge-
setzgeber nach, indem wir zwei weitere gute Entschei-
dungen oben draufsetzen und die zweite und dritte Säule






(A) (C)



(B) (D)


Peter Weiß (Emmendingen)

unseres Altersversorgungssystems zusätzlich stärken
und unterstützen.

Des Weiteren regeln wir in diesem Gesetz die Ver-
mittlungsgutscheine neu; es ist schon darauf hingewie-
sen worden, was das bedeutet. Darüber hinaus regeln wir
für eine Übergangszeit erneut das Saisonkurzarbeiter-
geld für die Gerüstbauer.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist für je-
den von uns ein bisschen belämmernd, wie oft uns Bür-
gerinnen und Bürger fragen: Sagen Sie einmal, ist unsere
Altersversorgung eigentlich wirklich noch sicher?


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Vorsicht! Damit hat sich Blüm schon einmal verkalkuliert!)


Ich will, insbesondere wenn Herr Dr. Kolb dazwischen-
ruft, dazu keine neuen Sprüche erfinden. Aber ich
möchte zusammenfassend betonen: Unsere gesetzliche
Rentenversicherung schreibt wieder Plus und bildet
Rücklagen. In der zweiten und dritten Säule machen wir
den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in unserem
Land ein wirklich attraktives Angebot an staatlichen
Förderungen, und zwar zusätzlich zu dem, was sie aus
ihrem eigenen Geldbeutel erbringen. Daran wird deut-
lich, dass wir es damit ernst meinen, die Altersvorsorge
auf sichere Beine zu stellen.

Ich kann die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
unserem Land nur auffordern: Nutzen Sie die Chance,
die Ihnen der Staat mit dem neuen Gesetz zur Förderung
der betrieblichen Altersversorgung gibt. Dann können
Sie sicher sein, dass Sie im Alter etwas auf der Seite ha-
ben, von dem sich anständig leben lässt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Oh! Anständig soll es sein! Das wäre ja schön!)


Deswegen bitte ich um Ihre Zustimmung zu unserem
Gesetzentwurf.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612323600

Zu uns spricht jetzt für die Linke der Kollege Volker

Schneider.


(Beifall bei der LINKEN)



Volker Schneider (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612323700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Kurz nach seiner Verabschiedung als Arbeitsminister er-
klärte Walter Riester im Rückblick auf die Rentenreform
2001:

Jede Rentnerin und jeder Rentner wird jetzt und in
Zukunft mehr Rente erhalten als nach altem Recht.

Ich glaube, über diesen Satz können weder die heutigen
noch die zukünftigen Rentner lachen. Denn das, was hier
als Reform bezeichnet wurde, hatte zunächst vor allem
eine Folge: eine Senkung des Sicherungsniveaus in der
gesetzlichen Rentenversicherung. Weil das so ist, hat
man ergänzend eine zweite Säule, die private Vorsorge,
und eine dritte Säule, die betriebliche Vorsorge, geschaf-
fen und erklärt, dies sei alternativlos.

Nur am Rande sei erwähnt: Vor kurzem hat die Große
Koalition im Zusammenhang mit einem Antrag zum Al-
terssicherungsbericht selbst eingeräumt, dass auch unter
Ausnutzung dieser Möglichkeiten vielen Menschen Al-
tersarmut droht.

Die Linke sieht die Privatisierung der Altersrisiken
als alles andere als alternativlos an.


(Beifall bei der LINKEN)


Was die Privatisierung der Altersvorsorge betrifft, wird
Ihre Begeisterung wahrscheinlich vor allen Dingen von
Versicherungsunternehmen geteilt. Weil Sie die Be-
triebsrenten so schnell auf das Gleis bringen wollten, ha-
ben Sie eine Anschubfinanzierung beschlossen. Was das
betrifft, finde ich jeden Angriff gegen die Grünen völlig
daneben. Denn es ist üblich, so vorzugehen, wenn man
will, dass sich etwas schneller entwickelt. Das war ja
auch erfolgreich.

Herr Kolb hat darauf hingewiesen, dass Franz
Müntefering noch im März dieses Jahres erklärt hat: Das
Ziel ist erreicht, und die Förderung kann, wie vorgese-
hen, zum 31. Dezember 2008 auslaufen. – Was sich zwi-
schen März und Juni dieses Jahres geändert hat und zur
Folge hatte, dass auch der Minister seine Meinung än-
dert, ist sein großes Geheimnis.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Lobbyisten waren es! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Vom Saulus zum Paulus!)


– Möglicherweise.

Diese Regelung beinhaltet eine Reihe von Risiken,
die auch hier ganz kurz angesprochen worden sind – al-
lerdings geht man immer schnell darüber hinweg –:

Erstens. Es entstehen neue Versorgungslücken. Denn
jeder Betriebsrentner zahlt niedrigere Beiträge in die ge-
setzliche Rentenversicherung. Ob dies durch die höheren
Betriebsrenten wieder ausgeglichen wird, ist überhaupt
nicht gewährleistet. Seriöse Berechnungen der Deut-
schen Rentenversicherung Bund besagen:


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Na ja! Vorsicht! Die haben auch ein eigenes Interesse!)


Wenn ein Mann über 40 und wenn eine Frau über 30 ein-
tritt, dann ist das Ganze ein Minusgeschäft.

Zweitens. Diese sogenannte Reform hat auf jeden Fall
niedrigere Rentenanpassungen zur Folge. Denn durch
die Beitragsbefreiung wird die Höhe der sozialversiche-
rungspflichtigen Löhne gemindert. Das wirkt sich übri-
gens selbst auf die Sozialhilfe aus. Ich frage mich, warum
die Sozialhilfeempfänger diese Reform mitfinanzieren
müssen.

Drittens. Die Beitragsbefreiung nutzt natürlich nur
denen, die Betriebsrentenverträge abgeschlossen haben.
Die Belastungen tragen aber alle, auch diejenigen, die
gar keine Betriebsrentenverträge abschließen können,
sei es aus gesetzlichen Gründen – hier denke ich an






(A) (C)



(B) (D)


Volker Schneider (Saarbrücken)

Selbstständige und Arbeitslose –, sei es, weil sie dafür
schlicht kein Geld haben.

Viertens. Die Beitragsbefreiung führt zu Beitragsaus-
fällen in allen Sozialversicherungszweigen. Ob es sich
um 2 Milliarden Euro in allen Zweigen der Sozialversi-
cherung insgesamt oder um 2 Milliarden Euro allein in
der Rentenversicherung handelt, spielt eigentlich keine
Rolle. Diese Beitragsausfälle müssen ausgeglichen wer-
den, sei es durch Beitragserhöhungen oder durch Leis-
tungsminderungen.

In einer gemeinsamen Presseerklärung haben das
Bundesarbeitsministerium und das Bundesfinanzminis-
terium noch Ende des Jahres 2006 die Auffassung ver-
treten, dass nicht nur die Beitragsausfälle in der Sozial-
versicherung Probleme aufwerfen, sondern dass die
Beitragsfreiheit innerhalb des Systems der gesetzlichen
Rentenversicherung zu Verteilungseffekten führt, die auf
Dauer nicht akzeptabel sind. Das war, ist und bleibt rich-
tig.

Deshalb lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612323800

Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Kollegin

Irmingard Schewe-Gerigk das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ohne eine gesicherte Datenbasis zur Verteilungswir-
kung, Frau Hiller-Ohm, will die Bundesregierung mit
dem Gesetzentwurf, der uns vorliegt, die beitragsfreie
Entgeltumwandlung fortsetzen. Damit wird, das wissen
Sie, je nach Inanspruchnahme der Beitragsumwandlung
das Rentenniveau insgesamt um 2 bis 4 Prozent redu-
ziert, so die Wissenschaft. Das wirkt sich nicht nur auf
die künftigen Rentner und Rentnerinnen aus, sondern
auch auf die 20 Millionen heutigen, die sich für Ihren
Vorschlag bedanken werden.

Der Gesetzentwurf der Koalition wird als soziale Tat
verkauft. Aber wo sozial draufsteht, muss nicht sozial
drin sein, und das ist es hier auch nicht, wie ich Ihnen
begründen werde. Denn klar ist: Die Benachteiligung
von Erwerbsgeminderten, von Selbstständigen, von Er-
werbslosen nimmt zu, und auch das unterdurchschnittli-
che Rentenniveau von Frauen wird weiter abgesenkt.
Frauen arbeiten häufig in außertariflichen Arbeitsver-
hältnissen, verdienen weniger als Männer. Sie können
sich die Entgeltumwandlung häufig nicht leisten, weil
sie das Geld aktuell brauchen; sie können es nicht für die
Rente zurücklegen. Diese Frauen bekommen eine niedri-
gere Rente, obwohl sie an der Entgeltumwandlung nicht
partizipieren können. Ich finde, das ist eine ziemliche
Katastrophe.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Frau Hiller-Ohm, Sie haben gesagt, die Grünen hätten
hier eine Kehrtwende gemacht. Ich frage mich, wo Sie
das nachgelesen haben wollen. Wissen Sie, wer eine
Kehrtwende gemacht hat? Das ist Arbeitsminister
Müntefering, der bis Mitte des Jahres gesagt hat: Natür-
lich geht das nicht. – Wir haben als Anschubfinanzie-
rung die Entgeltumwandlung sozialabgabenfrei ge-
macht.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Wenn das Quatsch war, warum haben Sie das dann gemacht?)


– Da waren Sie noch nicht dabei; das hätten Sie ihm ein-
mal sagen sollen! – Als Anschubfinanzierung hat das
funktioniert; deshalb muss das jetzt, da die Betriebsren-
ten angezogen sind, beendet werden.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612323900

Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Weiß zulassen?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr gerne; der Herr Weiß hatte ja vorhin eine so
kurze Redezeit.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Er will Ihnen nur helfen, dass Sie mehr sagen können!)


– Ach, ich habe genug Redezeit.


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1612324000

Frau Kollegin Schewe-Gerigk, nach dem, was Sie

vorgetragen haben, frage ich Sie: Warum haben die Grü-
nen und warum haben Sie persönlich als Bundestagsab-
geordnete damals die Sozialabgabenfreiheit der Entgelt-
umwandlung überhaupt eingeführt, wenn das alles falsch
gewesen sein soll?


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Als Anschubfinanzierung! Das hat sie doch gesagt!)


Zweitens. Wenn Sie jetzt wahrscheinlich antworten,
Sie hätten das deswegen mitgemacht, weil das bis 2008
zeitlich befristet war, frage ich Sie: Warum haben Sie
dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz und damit einer
Regelung zugestimmt, dass die Rentnerinnen und Rent-
ner auf Betriebsrenten volle Krankenkassenbeiträge zu
zahlen haben? Warum haben Sie zugestimmt, dass sie
auf Betriebsrenten volle Pflegeversicherungsbeiträge zu
zahlen haben? Damit hat die Entgeltumwandlung nicht
mehr die Attraktivität, die sie 2002 hatte, als sie einge-
führt wurde.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zu Ihrer ersten Frage. Ich dachte, ich hätte Ihnen
schon eindeutig gesagt: Das war eine Anschubfinanzie-
rung, um die Betriebsrenten attraktiver zu machen. Das
ist geschehen, und deshalb wird es jetzt beendet. Das zur
ersten Frage.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Als ihr die Leute in die Falle gelockt hattet, habt ihr die Beiträge erhöht!)







(A) (C)



(B) (D)


Irmingard Schewe-Gerigk
– Das können Sie anders sehen. Aber lassen Sie mich
jetzt sprechen!

Zur zweiten Frage. Wissen Sie, das mit der Doppel-
verbeitragung ist ein Argument, das ist unglaublich. Bei
der normalen gesetzlichen Rente ist es auch so, dass das
aus verbeitragtem Geld erfolgt. Für alle anderen Alters-
vorsorgen, außer wenn Sie privat eine Lebensversiche-
rung abschließen, erfolgt das auch aus verbeitragtem
Geld. Diejenigen, die das leisten können, sollen das auch
leisten. Sie wissen, es gibt eine ganze Reihe von Klagen
dagegen, dass die Betriebsrente der Krankenversiche-
rungspflicht unterliegt. All diese Klagen sind niederge-
schlagen worden. Die Gerichte haben gesagt: Das ist so
in Ordnung.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Vielleicht rechtlich nicht angreifbar, aber politisch war das nie in Ordnung, dieses Kurzfristige!)


– Jetzt mache wieder ich weiter.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die nächsten vier Minuten!)


Die Bundesregierung macht mit ihrem Gesetzentwurf
Geschenke an Gutverdienende, an Kernbelegschaften.
Diese Geschenke – das kritisiere ich, Herr Weiß – be-
zahlt sie nicht aus der eigenen Tasche, sondern dies geht
zulasten der Sozialversicherten: 2,5 Milliarden Euro pro
Jahr aus der Sozialversicherungskasse, in die alle Er-
werbstätigen einzahlen.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das war doch früher auch so!)


Wenn Sie Geschenke machen wollen, dann hätten Sie sie
aus Steuermitteln zahlen sollen. Das wäre eine andere
Situation gewesen.


(Beifall bei der FDP und der LINKEN)


Solange die Koalition die Verteilungswirkung nicht hin-
länglich klärt – Frau Hiller-Ohm, Sie spekulieren da; das
wissen Sie ja nicht –, bleibt für uns der ungute Eindruck,
dass hier nach dem Prinzip „Augen zu und durch“ ver-
fahren wird, die Folgen interessieren Sie nicht. Verant-
wortliche Politik sieht für uns anders aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Das sieht man an Ihrem Verhalten 2001! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Warum habt ihr früher eigentlich zusammen regiert?)


Sie werben – das habe ich hier schriftlich – um die
Gewinner des Aufschwungs und machen neue Ge-
schenke an die Gutverdienenden. Um die Kosten auf-
grund des sinkenden Alterseinkommens der Ärmeren
sollen sich doch die zukünftigen Generationen von Poli-
tiker und Politikerinnen kümmern. So gehen Sie vor.
Auch das finden wir nicht in Ordnung. Erst prüfen und
dann entscheiden, das wäre der richtige Weg.

Sie wissen auch, dass gar nicht alle Versicherten um-
wandeln dürfen. Die Deutsche Rentenversicherung hat
in der Anhörung sehr differenziert dargelegt, welche
Versichertengruppen von der Entgeltumwandlung ausge-
schlossen sind, weil sie entweder nicht teilnehmen dür-
fen, nicht teilnehmen können oder nicht teilnehmen wol-
len. Auch dieser sachlichen Darlegung ist in der
Anhörung nicht widersprochen worden.

Komplett ungeklärt ist die Beteiligung von Gering-
verdienern. Natürlich meinen auch wir, dass es für die
teilzeitbeschäftigte Verkäuferin theoretisch vorteilhaft
sein könnte, wenn sie an der Entgeltumwandlung teil-
nehmen würde.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Ob sich Menschen in unteren Einkommensgruppen so
verhalten, wissen wir nicht definitiv. Es liegen zwar Zah-
len von 2005 vor, die besagen, dass das in diesem Be-
reich weniger angenommen wird, aber wir wissen – das
können Sie einmal studieren; Sie haben ja auch die
Daimler AG zu der Sachverständigenanhörung eingela-
den –, dass die Daimler AG in ihrem Bericht geschrie-
ben hat: Erwartungsgemäß steigt mit dem Einkommen
die Teilnahmequote. – So sieht deren Bilanz aus. Daim-
ler bestätigt also das, was die Grünen sagen.

Wenn wir ehrlich sind, müssen wir sagen: Niemand
von uns kann diese Frage genau beantworten.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wie lang sind vier Schewe-Gerigk-Minuten?)


Gerade deshalb plädieren wir an die rentenpolitische
Verantwortung aller Fraktionen und fordern Sie auf, un-
serem Entschließungsantrag, den wir mit dem Bericht
vorgelegt haben, zuzustimmen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Keinesfalls!)


Dadurch würden wir mehr Klarheit schaffen.

Wir wollen den Bericht. Deshalb bitte ich Sie zumin-
dest um Ihre Zustimmung zu diesem Entschließungsan-
trag.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612324100

Ich schließe damit die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Förde-
rung der betrieblichen Altersversorgung.

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt un-
ter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
16/6983, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf
Drucksache 16/6539 in der Ausschussfassung anzuneh-
men. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf
in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition und
der FDP gegen die Stimmen von der Linken und Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte jetzt diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, aufzustehen. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
ist mit dem gleichen Stimmenergebnis wie vorher ange-
nommen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/7009. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Ent-
schließungsantrag ist bei Zustimmung durch Bündnis 90/
Die Grünen und Die Linke und Enthaltung der FDP ab-
gelehnt.

Ich komme jetzt zum Tagesordnungspunkt 13 b. Wir
setzen die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung
des Ausschusses auf Drucksache 16/6983 fort.

Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion der FDP auf Drucksache 16/6433 mit dem Titel:
„Abgabenfreie Entgeltumwandlung über 2008 hinaus
fortführen und ausbauen“. Wer stimmt für die Beschluss-
empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist bei Ablehnung durch die FDP
und Zustimmung des übrigen Hauses angenommen. Un-
ter Nr. 3 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/6606 mit dem Titel „Beitragsfreie Ent-
geltumwandlung – Erst prüfen, dann entscheiden“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfeh-
lung bei Zustimmung durch Koalition und FDP, Gegen-
stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung zu Zusatzpunkt 8. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/6987, den Antrag der Fraktion der FDP
auf Drucksache 16/1675 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung bei Ge-
genstimmen der FDP-Fraktion und Zustimmung durch
die übrigen Fraktionen angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:

Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, Sabine
Zimmermann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Stärkung der sozialen und ökologischen Ver-
antwortung von Unternehmen

– Drucksachen 16/3557, 16/5844 –

Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt von den
Kollegen Philipp Mißfelder, Garrelt Duin, Katja Mast,
Heinz-Peter Haustein, Ulla Lötzer und Kerstin Andreae
werden zu Protokoll gegeben.1)

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 15 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes

1) Anlage 8
zur Modernisierung des Rechts der landwirt-
schaftlichen Sozialversicherung (LSVMG)


– Drucksachen 16/6520, 16/6738 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)


– Drucksache 16/6984 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Stöckel

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 16/7018 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Waltraud Lehn
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk

Zu diesem Gesetzentwurf liegt ein Entschließungsan-
trag der Fraktion der FDP vor.

Es ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. –
Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist so be-
schlossen.

Ich eröffne jetzt die Aussprache und erteile das Wort
dem Kollegen Rolf Stöckel für die SPD-Fraktion.


Rolf Stöckel (SPD):
Rede ID: ID1612324200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Ko-

alitionsvertrag haben wir mit der Union vereinbart, die
Organisationsstrukturen und die Finanzgrundlage der
landwirtschaftlichen Sozialversicherung so weiterzuent-
wickeln, dass dieses eigenständige Leistungssystem
auch in Zukunft zu vertretbaren Beiträgen der Versicher-
ten und zustimmungsfähigen Bundeszuschüssen erhalten
werden kann. Die Notwendigkeit dieser Organisationsre-
form ist einerseits vor dem Hintergrund des Struktur-
wandels in der Land- und Forstwirtschaft wie auch im
Garten- und Landschaftsbau, aber andererseits auch auf-
grund des Wirtschaftlichkeitsgebots hinsichtlich des
Umgangs mit den Versichertenbeiträgen und den Steuer-
mitteln unbestritten. Der Bericht des Bundesrechnungs-
hofs vom Juli 2007 macht dies eindrucksvoll deutlich.

Wir erkennen ausdrücklich an, dass es bereits mit dem
letzten Gesetz zur Modernisierung der landwirtschaftli-
chen Sozialversicherung vom 17. Juli 2001 Fusionen und
Personalanpassungsmaßnahmen gegeben hat. Dennoch
nimmt die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe nach
wie vor jedes Jahr um 3 Prozent ab, und entsprechend
sinken die Versichertenzahlen. Die im Jahr 2001 erfolgte
Reduzierung auf neun regionale Träger reicht allein nicht
aus, um das Ziel einer nachhaltigen zukunftssicheren
Struktur zu erreichen.

Der unserer Meinung nach für alle Beteiligten akzep-
table Kompromiss trägt diesem gemeinsamen Ziel Rech-
nung, nämlich die landwirtschaftliche Sozialversiche-
rung langfristig eigenständig zu sichern. Das entspricht
nicht nur den Forderungen der Berufsverbände und des






(A) (C)



(B) (D)


Rolf Stöckel
Deutschen Bauernverbandes, sondern auch denen der In-
dustriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt. Diese Not-
wendigkeit besteht auch unabhängig von der Einbezie-
hung der landwirtschaftlichen Unfallversicherung in die
Reform der gesetzlichen Unfallversicherung.

Unser Ziel war eigentlich, einen einheitlichen Bun-
desträger für die Landwirtschaft und den Gartenbau zu
schaffen. Das war nicht durchsetzbar. Eine mehrheitliche
Unterstützung der Länder zu einem Bundesträger wäre
selbst bei Beibehaltung der bisherigen Standorte nicht
erreichbar gewesen. Diese Blockade der Länder ist nur
durch ein zustimmungsfreies Gesetz zu umgehen; an-
sonsten hätte die Gefahr bestanden, die Organisations-
frage der landwirtschaftlichen Sozialversicherung in die-
ser Legislaturperiode ungelöst zu lassen.

Der Bund stellt in den Jahren 2008 und 2009 insge-
samt bis zu 800 Millionen Euro für die landwirtschaftli-
che Unfallversicherung bereit. Der Bund kommt seiner
Verantwortung nach. Aber die Auffassung der Länder,
dass die Organisation grundsätzlich in Ordnung sei und
man die Kosten dafür – immerhin 120 Millionen Euro
jährlich bei einer Umlage von 840 Millionen Euro – ver-
kraften könne, wenn nur der Bundeszuschuss erhöht
würde, ist völlig unakzeptabel. Mit dieser Position set-
zen die Länder die Eigenständigkeit der landwirtschaftli-
chen Sozialversicherung aufs Spiel.

Wir werden die drei Spitzenverbände der landwirt-
schaftlichen Sozialversicherung zu einer Spitzenorgani-
sation zusammenfassen. Die Koalition hat sich nach der
erfolgten Anhörung und der Kritik sowie den Vorschlä-
gen aus den Berufs- und Interessenverbänden darauf ver-
ständigt, über die bereits im Entwurf vorgesehenen Auf-
gabenverlagerungen hinaus eine Reihe von Aufgaben
wie die Prävention oder den Forderungseinzug aus Effi-
zienz- und Wirtschaftlichkeitsgründen von den Regio-
nalträgern auf den zukünftigen Spitzenverband zu über-
tragen.

Wir erkennen ausdrücklich an, dass im Bereich des
Gartenbaus bereits ein sektoraler Bundesträger mit ei-
nem einheitlichen Beitragsmaßstab geschaffen wurde.
Dieser Beitragsmaßstab erfüllt schon die Vorgaben des
neuen Gesetzes.

Erhebliche Mittel bringt der Bund für eine besondere
Abfindung von Kleinrenten auf. Diese Aktion wird zu
einer erheblichen Reduzierung der Kosten führen. Der
Erfolg der Reform der landwirtschaftlichen Sozialversi-
cherung hängt aber wesentlich von der Inanspruchnahme
dieser befristeten Abfindungsaktion ab. Daher sind alle
Beteiligten der Branche aufgerufen, die Maßnahmen be-
kannt zu machen und intensiv über diese Möglichkeiten
zu beraten. Eine Verlängerung der Sonderabfindungsak-
tion wird nicht möglich sein. Das muss allen Beteiligten
klar sein.

Mit dem so geänderten Gesetzentwurf haben wir sub-
stanzielle Vorschläge aus den Verbänden und aus den
Reihen der Fachausschüsse durchsetzen können. Ein un-
gelöstes Problem bleibt allerdings unserer Auffassung
nach die fehlende Verlängerung der Stichtagsregelung
der Zusatzversorgung für Arbeitnehmer in der Land- und
Forstwirtschaft in den neuen Bundesländern. Liebe Kol-
leginnen und Kollegen der Koalition auch im Finanz-
und im Haushaltsausschuss, lassen Sie uns gemeinsam
dafür sorgen, dass wir in den vor uns liegenden Sit-
zungswochen noch eine Lösung für diese Gerechtig-
keitslücke finden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte mich bei allen Beteiligten der Koalition,

in den Fachausschüssen, der Ministerien, aber auch der
Verbände herzlich für die gute Zusammenarbeit und das
Ergebnis bedanken. Wir haben das Mögliche erreicht.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wollen Sie heute nicht abstimmen?)


Jetzt liegt der Ball bei den Trägern und den Ländern. Die
Träger müssen die Umsetzung des Gesetzentwurfs kon-
struktiv unterstützen. Die Länder müssen ihre Aufsichts-
pflichten wahrnehmen und Verstöße gegebenenfalls
sanktionieren.

Die Reform muss greifen. Wer die Umsetzung des
Gesetzentwurfs blockiert, der untergräbt die eigenstän-
dige landwirtschaftliche Sozialversicherung.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612324300

Für die FDP spricht jetzt der Kollege Dr. Edmund

Peter Geisen.

(Beifall bei der FDP)



Dr. Edmund Peter Geisen (FDP):
Rede ID: ID1612324400

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Heute wird ein Gesetzentwurf verabschiedet, der erstens
den Steuerzahler sehr viel Geld kosten wird, bei dem
zweitens schon jetzt klar ist, dass in ein paar Jahren die
nächste Reform ansteht, und der drittens sein Ziel, die
Landwirte nicht noch stärker zu belasten, nicht erreichen
wird.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Dieser Gesetzentwurf zur Modernisierung des Rechts

der landwirtschaftlichen Sozialversicherung ist, wie Sie
schon eben gehört haben, ein fauler Kompromiss, mit
dem niemand zufrieden sein kann, weder der Bund noch
die Länder noch die Steuerzahler und schon gar nicht die
Landwirte.

Ich stelle fest, dass nur wenige Forderungen des Be-
rufsstandes und der Opposition in den Gesetzentwurf
eingeflossen sind. Selbst im Änderungsantrag von
Schwarz-Rot: Fehlanzeige. Es werden vollmundige Ver-
sprechen gemacht und wieder gebrochen wie bei der Be-
teiligung der landwirtschaftlichen Krankenkassen an den
Bundesmitteln für versicherungsfremde Leistungen. Ich
stelle weiter fest, dass der Lastenausgleich nicht zufrie-
denstellend geregelt ist, besonders was die Gartenbau-
Berufsgenossenschaft angeht.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Edmund Peter Geisen
Die meisten Änderungsanträge des Bundesrates werden
ignoriert. Die Zustimmungspflicht des Bundesrates wird
umgangen.

Ich stelle des Weiteren fest, dass das Personal der re-
gionalen Träger immer stärker verunsichert wird. Die
Anpassung des Leistungskatalogs ist lückenhaft. Das ge-
samte LSV-System bleibt instabil. Es bleiben viele Pro-
bleme ungelöst, die geradezu nach der nächsten Reform
schreien.


(Beifall bei der FDP)


Mehr hat uns die schwarz-rote Agrarsozialpolitik unter
dem Obersozialpolitiker Horst Seehofer nicht gebracht.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! Oh!)


Es geht doch ganz einfach darum, die landwirtschaft-
liche Sozialversicherung zukunftsfest zu machen. Das
erreichen Sie angesichts des dramatischen Strukturwan-
dels in der Landwirtschaft weder mit einer faktisch gar
nicht zu realisierenden 20-prozentigen Reduzierung der
Verwaltungskosten noch mit einer teuren, ineffektiven
Abfindungsaktion und erst recht nicht mit einer Minire-
form im Leistungskatalog.


(Beifall bei der FDP)


Das erreichen Sie nur, wenn Sie wirklich reformieren
und konsequent das gesamte System vom Umlage- auf
ein Kapitaldeckungsverfahren umstellen.


(Beifall bei der FDP – Rolf Stöckel [SPD]: Es war ja klar, dass es darauf hinausläuft!)


Die Reformschwäche von Minister Seehofer geht so-
wohl zulasten der Landwirte als auch zulasten des Haus-
halts und damit aller Steuerzahler. Die Abfindungsaktion
für Kleinrenten ist unwirksam und reine Geldverschwen-
dung. Dafür gibt es Beispiele in der Vergangenheit. In
den nächsten beiden Jahren werden 800 Millionen Euro
plus Eigenmittel der Träger in ein längst nicht mehr fi-
nanzierbares System gesteckt. Dann wundern sich alle,
wenn sie 2010 – das wurde bereits zugegeben – erneut
vor leeren Kassen stehen. Die FDP-Fraktion setzt sich
stattdessen mit ihrem Vorschlag zur Systemumstellung
für einen nachhaltigen, zukunftsfesten Umgang mit
Steuermitteln ein.

Interessant ist das Thema auch unter verfassungs-
rechtlichen Gesichtspunkten. Alle vorhergehenden Ge-
setze waren zustimmungspflichtig. Der Bundesrat hat in
seiner Stellungnahme gefordert, seine umfangreichen
Änderungswünsche ausreichend zu berücksichtigen und
einzuarbeiten. Anderenfalls sei die Anrufung des Ver-
mittlungsausschusses, so der Bundesrat, unausweichlich,
Föderalismusreform I hin oder her. Darauf eingegangen
ist die Koalition kaum.

Es ist bezeichnend, dass die Landwirte unter
Schwarz-Rot immer wieder mit faulen Kompromissen
leben müssen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! Oh!)


An diesem vergleichbar kleinen Reformvorhaben zeigt
sich die ganze Schwäche der sogenannten Großen Koali-
tion.

(Beifall bei der FDP)

Wie gesagt, diese Reform schreit schon jetzt nach Refor-
men. Das ist Flickschusterei am Rande der Verfassungs-
mäßigkeit.


(Beifall bei der FDP – Zurufe von der CDU/ CSU: Oh! Oh! – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Starker Tobak!)


Am besten wäre es, wenn Sie das Gesetz sofort ein-
stampften. Die FDP-Fraktion lehnt diesen Gesetzent-
wurf auf jeden Fall ab.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612324500

Jetzt spricht Max Straubinger für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1612324600

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Die soziale Sicherung der Menschen auf dem Land und
insbesondere der Landwirte hat bei der Bundesregierung
und vor allem bei Bundesminister Horst Seehofer einen
hohen Stellenwert, der an der Erarbeitung des vorliegen-
den Gesetzentwurfs wesentlich beteiligt war. Dieses Ge-
setz stellt einen großartigen Fortschritt bei der Sicherung
der Menschen in der Landwirtschaft dar. Es bedeutet,
dass wir zum eigenständigen System der sozialen Absi-
cherung der Bäuerinnen und Bauern stehen. Die Weiter-
entwicklung ist natürlich unter dem Gesichtspunkt des
Strukturwandels in der Landwirtschaft zu sehen. Dem
wollen und können wir uns nicht verschließen. Wir wer-
den dem Strukturwandel in den sozialen Sicherungssys-
temen der Landwirtschaft Rechnung tragen.

Anlass ist sicherlich der Bericht des Bundesrech-
nungshofes, in dem die Schaffung effizienterer Struktu-
ren angemahnt wird. Die effizienteren Strukturen sollen
die landwirtschaftliche Sozialversicherung zukunftsfest
machen. Die Ziele der Reformen sind klar und eindeutig
definiert. Wir wollen für die Bäuerinnen und Bauern, für
die aktiven Landwirte mindestens Beitragssatzstabilität
erreichen; wir wollen sogar erreichen, dass die Beiträge
zur landwirtschaftlichen Sozialversicherung in Zukunft
sinken


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Das ist der Kern!)


und damit die Bäuerinnen und Bauern entlastet werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der SPD)


Ich bin überzeugt, dass wir dies mit diesem Gesetz, das
wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten, errei-
chen. Das tun wir mit verschiedensten Maßnahmen, die
auch mit Leistungseinschränkungen einhergehen, aber
vom Berufsstand mit erarbeitet worden sind und mitge-
tragen werden. Deshalb danke ich sehr herzlich dem Be-
rufsstand und dem Bauernverband, der schwierige Ent-
scheidungen in die Organisation hineinträgt.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Max Straubinger
Wir werden mit dem Herauskauf von Kleinrenten vor
allen Dingen erreichen, dass zukünftig die Verwaltungs-
aufgaben in der landwirtschaftlichen Berufsgenossen-
schaft weniger werden und damit die Verwaltungskosten
geringer werden. An dieser Stelle gilt unser Dank unse-
rem Bundesminister Horst Seehofer; denn es ist nicht
einfach, bei schwierigsten finanziellen Gegebenheiten
Mittel für unsere Bäuerinnen und Bauern aufzubringen.
In dieser Bundesregierung gab es stetig Zuschüsse für
die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft in einem
Umfang von 200 Millionen Euro. Zusätzlich werden für
diese Herauskaufaktion zweimal 200 Millionen Euro be-
reitgestellt, und zwar in den Jahren 2008 und 2009. Ich
bin überzeugt, dass dies ein Beitrag zu zukünftiger Bei-
tragssatzstabilität sein wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Herr Kollege Geisen, Sie bemängeln, dass keine Ka-
pitaldeckung eingeführt wird. Sie bleiben aber die Ant-
wort auf eine Frage schuldig.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Nein!)


– Doch. – Wenn nur die Altrenten abgelöst würden, wä-
ren Finanzmittel in Höhe von fast 3 Milliarden Euro not-
wendig. Wie wollen Sie das finanzieren? Sie haben in
keiner Weise einen Finanzierungsvorschlag vorgelegt.
Nur nach der Kapitaldeckung zu rufen, aber keine Vor-
schläge zur Finanzierung zu unterbreiten, ist unredlich.
Deshalb ist meines Erachtens unser Vorschlag dazu ge-
eignet, die Zukunftsfähigkeit zu erreichen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein weiterer Punkt ist, dass Leistungen im Bereich
der Haushaltshilfen eingeschränkt werden. Ich glaube,
das ist vertretbar. Bei den Altenteilern und bei den Un-
ternehmern erfolgt eine weitere Einschränkung, nämlich
dass zukünftig erst bei einer Minderung der Erwerbsfä-
higkeit von 30 Prozent eine Rente fällig wird – das wird
weitere Einsparungen für das System bedeuten –, eine
Einschränkung wohlgemerkt nur für die Unternehmer,
nicht für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
der Landwirtschaft. Die Verlängerung der Wartezeit auf
36 Wochen für die Geltendmachung eines Anspruchs
wird ebenfalls zu einer Beitragsentlastung führen.

All diese Einschränkungen sind dazu geeignet, so
glaube ich, dass ein leistungsfähiges System erhalten
bleibt, auf das sich die Bäuerinnen und Bauern in der
Vergangenheit verlassen konnten und auf das sie sich vor
allen Dingen in der Zukunft verlassen können. Deshalb
bitten wir um Zustimmung.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612324700

Ich gebe jetzt das Wort der Kollegin Dr. Kirsten

Tackmann für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)


Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612324800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste! Unsere Aufgabe als Gesetzgeber ist es, für
ein Sozialversicherungssystem in der Landwirtschaft zu
sorgen, das erstens im Ernstfall wirklich hilft bzw. dazu
beiträgt, Ernstfälle möglichst wirksam zu vermeiden,
zweitens auf einem bezahlbaren, solidarischen und ge-
rechten Beitragssystem basiert und drittens effizient und
aufgabengerecht verwaltet wird. Diese Aufgaben wer-
den aus unserer Sicht durch den Gesetzentwurf nicht er-
füllt.

Auch nach der Expertenanhörung gibt es viele Kritik-
punkte. Allein der Bundesrat hat 37 Einwände vorgetra-
gen. Wir teilen nicht alle. Aber natürlich wäre es sinn-
voll gewesen, vor einer erneuten Reform die Wirkung
der Reform von 2001 neutral zu evaluieren. Obwohl das
in Ihrem Koalitionsvertrag steht, ist es nicht erfolgt.

Ein Ziel der Organisationsreform der landwirtschaftli-
chen Sozialversicherung ist die Anpassung an den Struk-
turwandel in der Landwirtschaft. Die Rechnung scheint
einfach: Weniger Betriebe brauchen weniger Verwal-
tung. Das mit einem zusätzlichen Spitzenverband errei-
chen zu wollen, ist geradezu absurd. Das ist auch das Er-
gebnis der Anhörung vor zwei Wochen.

Der geplante Lastenausgleich zwischen den Unfall-
versicherungsträgern wird die Akzeptanz des Systems
zudem nicht deutlich verschlechtern. Für den Gartenbau
und die landwirtschaftlichen Betriebe im Norden und im
Osten werden die Beiträge steigen, obwohl nachweislich
gerade hier das betriebliche Unfallrisiko deutlich gerin-
ger ist als in anderen Bereichen und in anderen Regio-
nen.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Die Linke will
ein Solidarsystem, aber ein gerechtes. Wir brauchen da-
her ein risikoorientiertes Beitragssystem statt die Beibe-
haltung der ungerechten Berechnung der Beiträge nach
der bewirtschafteten Fläche.


(Beifall bei der LINKEN)


Es wäre auch deutlich demokratischer, wenn die Selbst-
verwaltung die Chance hätte, ein entsprechendes Soli-
darsystem selbst vorzuschlagen.

Auch die Leistungseinschränkungen in der Unfallver-
sicherung – sie sind benannt worden – werden die finan-
ziellen Probleme des Systems überhaupt nicht lösen.
Wie gerechtfertigt ist eigentlich ein zwangsbeitragsfi-
nanziertes Versicherungssystem, wenn ständig steigen-
den Beiträgen immer weniger Leistungen gegenüberste-
hen? Wir sind überzeugt: Wer bezahlbare Beiträge will,
der muss sich zur Beibehaltung der Unterstützung aus
Bundesmitteln bekennen.


(Beifall bei der LINKEN)


Heftig umstritten sind auch die Angebote zur Kapita-
lisierung von Kleinrenten; das ist bereits gesagt worden.
Wer als Berechnungsgrundlage das vergangene Jahrtau-
send nutzt, muss sich nicht wundern, wenn das unattrak-
tive Angebot nicht angenommen wird. Auch da werden
keine Einspareffekte erzielt.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Kirsten Tackmann
Als weiteres Ziel der Organisationsreform wird die
Verwaltungsreduzierung genannt. Das kann sinnvoll
sein. Ein System zu entwickeln, das noch näher an den
Interessen der Versicherten orientiert ist, wäre durchaus
vernünftig. Aber auch hier bedeutet Organisationsreform
zuallererst Personalabbau. Aus Altersgründen werden
bis 2020 15 Prozent der circa 6 500 Beschäftigten aus-
scheiden. Für die verbleibenden Kolleginnen und Kolle-
gen fordert die Linke, die Personalvertretungen frühzei-
tig und vor allen Dingen wirksam in alle Überlegungen
zu neuen Organisationskonzepten einzubeziehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Um es zusammenzufassen: Keines der angeblichen
Ziele des Gesetzentwurfs wird erreicht. Die in Aussicht
gestellten Kosteneinsparungen zugunsten des Haushalts
des Ministeriums sind absolut unrealistisch. Die Bei-
träge vieler Betriebe werden nicht sinken, sondern stei-
gen. Mit dem Spitzenverband wird keine Verwaltungsre-
duzierung gelingen. Die Organisationsreform wird
wieder einmal vor allen Dingen Personalabbau bedeu-
ten. Das Versicherungssystem wird durch dieses Gesetz
nicht zukunftsfester.

Es ist schon jetzt abzusehen, dass es zwischen dem
Spitzenverband und den neun Versicherungsträgern ein
endloses Gerangel um die Kompetenzen geben wird.
Daher wäre es doch sicher sinnvoll gewesen, vor Ein-
bringung dieses Gesetzentwurfs zu prüfen, wie sinnvoll
die Verteilung der Aufgaben zwischen Spitzenverband
und Trägern wirklich ist.

Unter dem Strich bleibt unsere Kritik. Die Linke wird
dem Gesetzentwurf daher nicht zustimmen. Gleichzeitig
wage ich – da kann ich mich der FDP nur anschließen –


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das ist sehr bedenklich!)


einmal eine Voraussage: In wenigen Jahren werden wir
uns tatsächlich mit der Reform der Reform beschäftigen.
Das kann eigentlich nicht unsere Aufgabe sein.

Recht herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612324900

Jetzt hat die Kollegin Cornelia Behm das Wort für

Bündnis 90/Die Grünen.


Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612325000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Man konnte in den letzten zwei Jahren des Öf-
teren den Eindruck gewinnen, dass im Agrarministerium
der Deutsche Bauernverband die Politik macht. Ich muss
sagen: In viel stärkerem Maße gilt das für die Agrarpoli-
tik der Union hier im Bundestag. Ein deutlicher Beleg
dafür ist das LSV-Modernisierungsgesetz; denn die
Union hat genau die Forderungen in das Gesetz hinein-
verhandelt, die vorher im Forderungskatalog des Deut-
schen Bauernverbandes standen. Angesichts der Kürze
meiner Redezeit will ich mich im Wesentlichen auf die-
ses Thema beschränken.
Da sind zum einen die zusätzlichen Einschränkungen
im Leistungskatalog. Hierbei handelt es sich um Sozial-
abbau, der durch die versprochenen Beitragssenkungen
keineswegs aufgewogen wird. Das lehnen wir Grüne
strikt ab. Ich bezweifle außerdem stark, dass ein land-
wirtschaftlicher Unternehmer eine um ein knappes Drit-
tel geminderte Erwerbsfähigkeit ohne Weiteres weg-
steckt, vor allem dass er sie ohne Erwerbseinbußen
kompensieren kann. Schließlich geht es auf den Höfen
Gott sei Dank im Wesentlichen noch nicht um Büroar-
beit, sondern vor allen Dingen um körperlichen Einsatz.

Auch die Streichung der Unfallversicherungsleistun-
gen für Altenteiler lehnen wir ab; denn derzeit ist der
Standard der Heilbehandlung und der Rehabilitation in
der landwirtschaftlichen Unfallversicherung höher als in
der landwirtschaftlichen Krankenversicherung; in Letz-
tere würden sie aber geschoben werden. Das würde be-
deuten, dass verunglückte Altenteiler künftig schlechter
behandelt werden als beispielsweise ihre Söhne und
Töchter.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht! Genau falsch!)


Außerdem wissen Sie, Herr Bleser, und die anderen Kol-
legen ganz genau, dass die Altersrente der Landwirte
nicht auskömmlich ist, dass sie vielmehr nur eine Grund-
rente ist. In diesem Zusammenhang ergeben Unfallren-
ten für verunfallte Altenteiler durchaus Sinn.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Die bleiben auch so!)


Wenn ein Altenteiler zukünftig keine Leistungen der
Unfallversicherung mehr bekommt, dann wird er auch
kaum noch im Familienbetrieb aushelfen. Dies aber
würde sowohl den Traditionen der bäuerlichen Familien-
betriebe widersprechen als auch der Landwirtschaft ins-
gesamt schaden. Nun lässt das Gesetz aber, wie wir alle
wissen, ein Schlupfloch; denn wenn Altenteiler einen
Arbeitsvertrag abschließen, bleiben sie unfallversichert.
Voraussichtlich werden also die meisten Betriebe für
ihre Altenteiler solche Verträge abschließen. Aber damit
wird die beitragssenkende Wirkung dieser Gesetzesän-
derung letztendlich sehr begrenzt sein. Beachtlich ist le-
diglich der Beitrag zum Bürokratieaufbau.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein besonders
starkes Stück – Herr Geisen hat es schon erwähnt –, dass
die Große Koalition bei den Beratungen zum Gesetz die
Anliegen des Gartenbaus fast völlig ignoriert hat


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Völlig falsch!)


– „fast“ habe ich gesagt –, obwohl Agrarminister
Seehofer der Branche entsprechende Zusagen gemacht
hatte. Offensichtlich war der starke Arm des Deutschen
Bauernverbandes doch stärker als der des Ministers, der
offenbar zu viel Zeit und Kraft im bayerischen Partei-
wahlkampf verschlissen hat. Es bleibt also dabei, dass
der Gartenbau in den Lastenausgleich zwischen den re-
gionalen Trägern der LUV einbezogen wird, obwohl er
bereits als Bundesträger organisiert ist. Ich meine, dass
diejenigen, die ihre Hausaufgaben schon gemacht haben,






(A) (C)



(B) (D)


Cornelia Behm
jetzt nochmals zu Solidaritätsleistungen gezwungen wer-
den. Das ist nicht angemessen.

Ein weiterer Mangel des Gesetzentwurfes ist die un-
zureichende Gewährung und Berücksichtigung von Per-
sonalvertretungsrechten. Diesbezüglich hätte dringend
nachgebessert werden müssen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind nur einige
wenige, aber aus meiner Sicht gewichtige Gründe, deret-
wegen wir dieses Gesetz ablehnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612325100

Jetzt kommt die Kollegin Waltraud Wolff für die

SPD-Fraktion an die Reihe.


(Beifall bei der SPD)



Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1612325200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Es ist schon viel gesagt worden. Ich möchte
zuerst auf meine Vorredner eingehen. Herr Geisen, Sie
haben gesagt, die FDP-Fraktion sehe nicht, dass diese
Reform greifen werde. Ich sage Ihnen: Diese Reform
wird greifen! Ich fordere seit 1991 einen Bundesträger.
Woran ist es gescheitert? An den Bundesländern! Heute
haben wir einen starken Spitzenverband, der Gesetzent-
wurf liegt auf dem Tisch, und der Bund hat die Möglich-
keit, zu kontrollieren und einzugreifen. Zentrale Aufga-
ben liegen beim Spitzenverband. Das ist gut, und diese
Reform wird greifen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Aber Sie kommen wieder mit Ihren alten Kamellen
vom kapitalgedeckten Verfahren.


(Detlef Parr [FDP]: Hat das der Deutsche Bauernverband gefordert?)


Wenn die Damen und Herren, die oben auf der Zuschau-
ertribüne sitzen, wüssten, wie lange wir darüber disku-
tiert haben und dass jeder Fachmann und jeder Wissen-
schaftler gesagt hat, das könne überhaupt nicht
funktionieren! Wir haben immer nur auf Ihre Antwort
gewartet, Herr Geisen. Woher hätten Sie denn das Geld
für das kapitalgedeckte Verfahren genommen? Das war
nicht klar.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612325300

Frau Kollegin Wolff, möglicherweise möchte Herr

Geisen Ihnen jetzt die Antwort in einer Frage verpackt
geben. Möchten Sie das zulassen?


Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1612325400

Aber gern.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612325500

Bitte schön.

(Gustav Herzog [SPD]: Jetzt sind wir aber gespannt, Herr Geisen: Wo nehmen Sie die Milliarden her?)



Dr. Edmund Peter Geisen (FDP):
Rede ID: ID1612325600

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Verehrte Frau Kolle-

gin Wolff, sind Sie erstens mit mir einer Meinung, dass
die Altlasten ein gesamtgesellschaftliches Problem sind,
ja oder nein? Das müssen wir zuerst klären.

Zweitens. Sind Sie der Meinung, dass die Zukunftssi-
cherung im Umlageverfahren bei der immer kleiner wer-
denden Solidargemeinschaft der jungen aktiven Land-
wirte überhaupt möglich ist? Wenn wir das geklärt
haben, dann, denke ich, können wir uns über das andere
unterhalten.

Mir ist klar, dass man natürlich nicht mit den Altlas-
ten in eine Umstellung von dem heutigen System auf ein
kapitalgedecktes System hineingehen kann. Das wurde
immer falsch diskutiert. Das ist so nie vorgeschlagen
worden.

Vielen Dank.


(Ulrich Kelber [SPD]: Wo nehmen Sie die Milliarden her?)



Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1612325700

Lieber Herr Kollege Geisen, die Altlasten wollen Sie

da natürlich nicht einbeziehen. Sollen das die Steuerzah-
ler noch einmal zahlen? Das kann ja wohl nicht wahr
sein, beim allerbesten Willen nicht!


(Beifall bei der SPD – Dr. Edmund Peter Geisen [FDP]: Dann machen wir das bei der Ruhrkohle auch nicht mehr, Herr Kelber!)


Kollegin Tackmann hat davon gesprochen, dass der
Spitzenverband absurd ist. Ich habe erklärt, welche Auf-
gaben auf den Spitzenverband verlagert werden. Der
Bund, die Ministerien haben die Möglichkeit, hier zuzu-
greifen. Wir müssen sehen, dass auch eine Streckung der
Umlagekosten in Betracht kommt. Ich nenne hier den
Träger Mittel- und Ostdeutschland, MOD. Der Träger
für den Gartenbau und der Träger MOD sind von der
Umlage natürlich am meisten betroffen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, können wir, wenn
wir 2,14 Milliarden Euro in dieses Sondersystem Land-
wirtschaftliche Sozialversicherung stecken, nicht erwar-
ten, dass eine Umlage, in vier Jahren von 14 auf
27 Millionen Euro steigend, aus dem System heraus auf-
gebracht werden kann?


(Peter Bleser [CDU/CSU]: So ist es!)


Ich denke, so viel Solidarität kann man erwarten.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Man kann den Steuerzahlern auch erklären, dass hier im
System umgeschichtet wird.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ei-
nen Satz sagen. Mein Herz hing natürlich besonders an






(A) (C)



(B) (D)


Waltraud Wolff (Wolmirstedt)

der Stelle, wo wir für die Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer Sicherungen einziehen konnten. Das ist uns
auch gelungen. Wir haben davon auszugehen, dass in der
Zukunft 20 Prozent der Verwaltungskosten gespart wer-
den.


(Lachen des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP] – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das werden wir sehen!)


Dabei muss Aus- und Fortbildung natürlich ausgenom-
men werden. Auch das haben wir geschafft. Wir wollen
nicht, dass Lehrstellen gestrichen werden. Wir haben es
geschafft, dass im Gesetz steht: Zentrale Aufgaben vom
Spitzenverband können dezentral bei den Trägern erle-
digt werden.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wofür gibt es denn dann den Spitzenverband?)


Ich glaube, dass wir auf dem richtigen Weg sind,
wenn wir den Arbeitsplatzabbau nach dem geltenden Fu-
sionstarifvertrag sozialverträglich gestalten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Kolleginnen und Kollegen können uns an der
Stelle ein kleines bisschen dankbar sein.

Das Kernstück der ganzen Aktion ist die Abfindung
der Kleinstrenten. Mein Appell an die Länder und an die
Leute, die die Beratung machen, lautet: Sobald dieses
Gesetz beschlossen ist, muss an dieser Stelle Hand ange-
legt werden! Die Abfindungsaktion muss sofort in Kraft
gesetzt werden, damit wir schnellstmöglich von den
Kosten herunterkommen.

Wir geben der LSV mit diesem Gesetz die Möglich-
keit, vernünftige Strukturen zu schaffen. Jetzt liegt es bei
den Trägern und den Aufsichtsbehörden, diese Zeit zu
nutzen. Denn eines kann ich Ihnen sagen: Ich kann mir
nach neun Jahren Arbeit mit diesem Thema nicht vor-
stellen, dass es für die landwirtschaftliche Sozialversi-
cherung noch einmal eine solche Möglichkeit geben
wird.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Nein, ich auch nicht!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612325800

Zum Abschluss der Debatte spricht die Kollegin

Marlene Mortler für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marlene Mortler (CSU):
Rede ID: ID1612325900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist sicherlich
das Recht der Opposition, Quatsch zu reden;


(Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!)


aber man kann auch maßlos übertreiben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es freut mich, dass Sie da in Richtung FDP geguckt haben!)


Liebe Kollegin Behm, zum Stichwort Sozialabbau:
Wir haben nach Lösungen gesucht, und wir haben sie ge-
funden.


(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber schlechte!)


Unter Ihrer grünen Ministerin wurden die Bundesmittel
gekürzt, aber keine weiteren Lösungen gefunden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Papperlapapp!)


Die Vorgabe aus unserem Koalitionsvertrag war, eine
angemessene Beitragsbelastung und innerlandwirt-
schaftliche Solidarität zu erreichen. Es ist deutlich ge-
worden, dass das Verhältnis von Beitragszahlern zu
Leistungsempfängern in eine massive Schieflage geraten
ist, dass wir also Handlungsbedarf hatten.

Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich unserem Bun-
desminister Seehofer für die Unterstützung.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Macht doch eine Wallfahrt für ihn!)


Ich danke dafür, dass neben den aktiven Betrieben auch
Bundesminister Seehofer Verantwortung trägt. Der Bund
unterstützt seit 1963 die aktiven Betriebe; Bundesminis-
ter Seehofer unterstützt sie in diesem Jahr mit 200 Mil-
lionen Euro.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist nicht selbstverständlich.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sind das keine Steuermittel, oder was?)


Ich möchte an dieser Stelle auch ausdrücklich den
Vertreter des BMAS, Herrn Staatssekretär Tiemann, lo-
ben. Ich danke außerdem den Arbeitsgruppen Arbeit und
Soziales und meiner eigenen Arbeitsgruppe. Zudem
danke ich Gitta Connemann, die heute abwesend ist; sie
ist sprachlos, aber nur vorübergehend, weil sie krank ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie trägt den gefundenen Kompromiss ausdrücklich mit.

Ich werbe wie viele Kolleginnen und Kollegen vor
mir ausdrücklich für die Abfindungsaktion. Ich denke, es
ist ein finanzieller Kraftakt, wenn der Bund zusätzlich
zweimal 200 Millionen Euro zur Verfügung stellt, um
den Altrentenbestand zu verringern.

Ich finde es schon bemerkenswert, wenn ein Berufs-
verband wie der Bauernverband viel mehr Leistungsein-
schränkungen fordert, als wir heute beschließen. Wir ha-
ben es schon mehrfach gehört: In Zukunft hat man nur
dann einen Anspruch auf Unfallrente, wenn eine Minde-
rung der Erwerbsfähigkeit von wenigstens 30 Prozent
vorliegt; die Wartezeit bei neuen Unfallrenten wird auf
26 Wochen verlängert. Besonders wichtig ist mir, dass
– Kollegin Wolff hat es betont – aus drei Spitzenverbän-






(A) (C)



(B) (D)


Marlene Mortler
den einer wird. Der neue Spitzenverband wird in Zu-
kunft alle Aufgaben übernehmen und sie besser und bil-
liger erledigen.

Ich finde es richtig, dass das tägliche operative Ge-
schäft in der Verantwortung der regionalen Träger bleibt.
Ich finde es auch richtig, dass alle Träger bis 2010 ihren
Beitragsmaßstab risikoorientiert umstellen müssen und
dass die Verwaltungskosten bis 2014 um 20 Prozent ge-
genüber dem Basisjahr 2004 gesenkt werden müssen.

Ein Wort zum Lastenausgleich: Unsere Anschlussre-
gelung spiegelt den bisherigen 79er-Schlüssel wider.
Wenn der Bund zusätzliches Geld in die Hand nimmt,
dann ist es mehr als gerecht und fair, dass 3,2 Prozent
des gesamten Umlagevolumens zu den Trägern in struk-
turschwächeren Gegenden fließen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wer hier auf Freiwilligkeit gesetzt hat, der glaubt als Er-
wachsener noch an den Weihnachtsmann.

Bei aller Freude über den gefundenen Kompromiss –


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612326000

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kom-

men, trotz aller Freude.


Marlene Mortler (CSU):
Rede ID: ID1612326100

– ich komme zum Schluss; ich bin auf der Zielgera-

den, Frau Präsidentin – gibt es einen Wermutstropfen.

Wir wissen, dass die landwirtschaftliche Krankenver-
sicherung wie alle gesetzlichen Krankenversicherungen
Bundesmittel für versicherungsfremde Leistungen er-
hält, unter anderem für die beitragsfreie Mitversicherung
von Kindern. Nun sollen diese Bundesmittel ausgerech-
net für die Berufsgruppe mit dem größten Kindersegen
ab 2009 wegfallen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612326200

Frau Kollegin, jetzt wäre das Ziel überschritten.


Marlene Mortler (CSU):
Rede ID: ID1612326300

Die Bundesregierung hat ein Herz für Kinder. Sie hat

ihr Herz für Kinder neu entdeckt. Das muss für alle Kin-
der gelten, auch für Kinder von Bauern.

In diesem Sinne appelliere ich am Schluss an unsere
zuständige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt und
werbe darum, dem Gesetzentwurf zuzustimmen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612326400

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der

Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Modernisierung des Rechts der landwirtschaftlichen
Sozialversicherung.
Es liegen Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 un-
serer Geschäftsordnung von den Kolleginnen und Kolle-
gen Dr. Peter Jahr, Klaus Brähmig, Katharina Landgraf,
Volkmar Uwe Vogel und Maria Michalk vor.1)

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6984,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den
Drucksachen 16/6520 und 16/6738 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposi-
tion angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben.


(Bundesminister Horst Seehofer erhebt sich – Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD)


– Ich glaube, dass das eine nicht erlaubte Äußerung der
Bundesregierung war. Aber möglicherweise hat das eher
damit zu tun, dass man sich, auch wenn man auf der Re-
gierungsbank sitzt, ein bisschen fit halten muss. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzent-
wurf mit dem gleichen Stimmenergebnis wie vorher
angenommen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Druck-
sache 16/7010. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der
Entschließungsantrag bei Zustimmung durch die FDP
und Gegenstimmen im übrigen Haus abgelehnt.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Irmingard
Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln), Alexander
Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Geschlechtersensible und effiziente Haushalts-
politik einführen

– Drucksache 16/6792 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Finanzausschuss
Haushaltsausschuss

Hier ist es verabredet, eine halbe Stunde zu debattie-
ren. Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben die Kolle-
ginnen Ingrid Fischbach, Christel Humme, Ina Lenke,
Dr. Gesine Lötzsch und Irmingard Schewe-Gerigk.2)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/6792 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Damit sind Sie ein-
verstanden? – Dann ist so beschlossen.

1) Anlagen 2 bis 4
2) Anlage 9






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 17 a und b
auf:

a) Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streit-
kräfte an der Friedensmission der Vereinten
Nationen im Sudan (UNMIS) auf Grundlage
der Resolution 1590 (2005) des Sicherheitsrats
der Vereinten Nationen vom 24. März 2005
und weiterer Mandatsverlängerungen durch
den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen

– Drucksache 16/6940 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

b) Beratung des Antrags der Bundesregierung

Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der AU/UN Hybrid Operation in Darfur

(UNAMID) auf Grundlage der Resolution

1769 (2007) des Sicherheitsrats der Vereinten
Nationen vom 31. Juli 2007

– Drucksache 16/6941 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Hier ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. –
Damit sind Sie einverstanden.

Dann eröffne ich jetzt die Aussprache und gebe das
Wort Staatsminister Gernot Erler für die Bundesregie-
rung.


Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1612326500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das internationale Engagement im Sudan befindet sich
in einer entscheidenden Phase. Im Südsudan steckt das
Friedensabkommen derzeit in einer ernsthaften Krise.
Die südsudanesische Regierung hat seit Oktober ihre
Teilnahme an der Einheitsregierung in Khartoum ausge-
setzt. Beide Seiten werfen sich vor, wichtige Elemente
des Abkommens nicht umzusetzen.

Wir sehen dies mit Besorgnis; denn das Friedensab-
kommen CPA ist und bleibt die Grundlage für den politi-
schen und den wirtschaftlichen Wiederaufbau des ge-
samten Landes.

Der Friedensmission UNMIS kommt daher weiterhin
die zentrale Rolle zur Stabilisierung zu. Seit 2005 unter-
stützt UNMIS die Umsetzung des Friedensabkommens.
Deutsche Soldaten leisten als Militärbeobachter und
Stabsoffiziere hier einen wichtigen und anerkannten Bei-
trag.
UNMIS wird weiter an Bedeutung gewinnen, auch
mit Blick auf die für 2009 geplanten Wahlen und das für
2011 vorgesehene Referendum, welches über den Status
des Südsudan entscheiden soll. Auch aus diesem Grund
hat der UN-Sicherheitsrat am 31. Oktober das Mandat
der Mission erneut um weitere sechs Monate verlängert.
Vor diesem Hintergrund ist auch die Verlängerung der
Bundeswehrbeteiligung ein sinnvoller und notwendiger
Beitrag zum internationalen Engagement im Sudan.

Natürlich steht die Entwicklung im Südsudan in ei-
nem Zusammenhang mit der humanitären Katastrophe in
Darfur. Aber hier gibt es eine gute Entwicklung. Die
Vereinten Nationen und die Afrikanische Union haben
nach langer Vorarbeit beschlossen, eine gemeinsam ge-
führte Friedensmission in Darfur, UNAMID, einzurich-
ten. UNAMID soll die Umsetzung des DPA, des Darfur-
Friedensabkommens, vom vergangenen Jahr unterstüt-
zen. Zudem soll die Mission die Zivilbevölkerung vor
bewaffneten Angriffen schützen und die humanitäre
Hilfe gewährleisten.

Die Vorbereitungen für UNAMID sind im vollen
Gange. Spätestens zum 31. Dezember soll sie die Aufga-
ben der bisherigen Mission der Afrikanischen Union,
AMIS, in Darfur übernehmen, die diese Aufgabe leider
bisher nicht leisten konnte.

Wir sind der Meinung, dass Deutschland auch hierzu
– wie zu AMIS – einen Beitrag leisten sollte. Nach dem
Antrag der Bundesregierung sollen bis zu 250 Soldatin-
nen und Soldaten bei UNAMID eingesetzt werden. Sie
werden vor allen Dingen in unterstützenden Bereichen
tätig werden, so beim Lufttransport und bei anderen lo-
gistischen Aufgaben.

Damit schließen wir an unser bisheriges Engagement
für die AMIS-Mission an, für die bisher bis zu 200 Sol-
daten zur Verfügung gestellt worden sind. Das Bundes-
tagsmandat für AMIS endet am 15. Dezember und soll
nicht verlängert werden. Das neue UNAMID-Mandat
soll dieses mit Inkrafttreten am 15. November quasi ab-
lösen.

Noch ein Wort zum Verfahren, liebe Kolleginnen und
Kollegen: UNAMID und UNMIS gehören politisch und
operativ zusammen. Daher wollen wir in Zukunft eine
Synchronisierung der beiden Bundestagsmandate errei-
chen. Aus diesem Grund wird die konstitutive Zustim-
mung des Bundestages jeweils bis zum 15. August 2008
beantragt, das heißt, bis zwei Wochen nach Auslaufen
des aktuellen UNAMID-Mandats des Sicherheitsrates
und bis dreieinhalb Monate nach Auslaufen des aktuel-
len UNMIS-Sicherheitsmandates.

Wir gehen dabei davon aus, dass der UN-Sicherheits-
rat beide Mandate verlängert, sodass die völkerrechtli-
che Grundlage stets gegeben sein wird. Sollte der Si-
cherheitsrat das UNMIS-Mandat in der Zwischenzeit
inhaltlich relevant ändern, werden wir den Bundestag
selbstverständlich erneut befassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Schutzmandate
sind unverzichtbar wichtig. Aber entscheidend ist der
politische Prozess. Hier gibt es ebenfalls Grund zur
Hoffnung. Nach langer Zeit ist der Darfur-Friedenspro-






(A) (C)



(B) (D)


Staatsminister Gernot Erler
zess wieder angelaufen. Ende Oktober hat es erste Ver-
handlungen in Libyen gegeben. Leider haben daran
wichtige Rebellengruppen nicht teilgenommen. Sie sind
teilweise zu Gesprächen erst bereit, wenn es zu einer
Verbesserung der Sicherheitslage in Darfur kommt. Wir
müssen uns also auf einen längeren Prozess einstellen.
Oberstes Ziel ist aber ein baldiger Waffenstillstand.

Die Bundesregierung will den Friedensprozess auch
finanziell unterstützen. Das Auswärtige Amt hat bereits
350 000 Euro für sogenannte Quick-Impact-Projekte zu-
gesagt, die die Verhandlungen flankieren sollen. Denn
gerade jetzt ist es wichtig, dass die Bevölkerung in Dar-
fur einen praktischen Fortschritt, eine Art Friedensdivi-
dende, sieht.

Es gibt also diese Verhandlungschance. Ich bitte Sie:
Lassen Sie uns diese Verhandlungschance gemeinsam
nutzen und sie durch die Verabschiedung der Fortset-
zung des UNAMID- bzw. UNMIS-Mandates absichern!


(Beifall bei der SPD)


In diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung zu den
Anträgen der Bundesregierung.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612326600

Für die FDP-Fraktion spricht jetzt die Kollegin

Marina Schuster.


(Beifall bei der FDP)



Marina Schuster (FDP):
Rede ID: ID1612326700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich bin heute mehrmals gefragt worden, ob
ich meine Rede nicht zu Protokoll geben möchte. Ich bin
sehr froh, dass die Debatte stattfindet; denn ich finde,
wir würden unserer Verantwortung gegenüber unseren
Soldaten nicht gerecht, wenn wir die Reden zu diesem
Tagesordnungspunkt komplett zu Protokoll geben wür-
den.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nun zum Mandat. Herr Erler hat es erwähnt: Die lang
erwartete UNAMID-Hybrid-Mission ist jetzt endlich da.
Sie ist das, was nach langem Ringen auf internationaler
Ebene durchsetzbar war. Das ist das robuste Mandat, an
das sich alle Hoffnungen knüpfen, die Hoffnungen von
uns Parlamentariern, aber auch die Hoffnungen der Zi-
vilbevölkerung im Sudan.

Nachdem die AU-Truppen schlecht ausgestattet auf
verlorenem Posten in der Wüste standen, sind die Erwar-
tungen an die Vereinten Nationen und diese Mission na-
türlich sehr hoch. Ich möchte gleich zu Beginn meiner
Rede warnen: An dem Erfolg dieser Mission müssen
sich die Vereinten Nationen messen lassen. Deswegen
müssen wir dafür Sorge tragen, dass die Truppen so aus-
gestattet sind, dass dieser Auftrag auch erfüllt werden
kann.

Jetzt kommen wir zu dem entscheidenden Punkt,
nämlich zu dem Antrag selbst. Kernaufgabe ist es – das
hat Herr Erler erwähnt –, neben den laufenden Friedens-
verhandlungen – ich zitiere –

die umgehende und wirksame Umsetzung des Dar-
fur-Friedensabkommens vom 5. Mai 2006 … zu
unterstützen.

Genau das ist aber die Krux; denn dieses Friedensab-
kommen wurde nur von einer Rebellentruppe und der
Regierung unterzeichnet. Das ist kein breiter Kompro-
miss, kein Friedensabkommen, wie wir es bräuchten.
Nach wie vor fehlt – Herr Erler, Sie haben darauf hinge-
wiesen – eine politische Lösung, eine politische Per-
spektive. Eines steht fest: Ohne die politische Einigung
wird es keine dauerhafte Sicherheit geben.

Auf der politischen Gesprächsebene wird die Situa-
tion immer unüberschaubarer. Mittlerweile gibt es
26 Rebellengruppen, und jede fühlt sich als legitimierter
Ansprechpartner der AU und der Vereinten Nationen.
Daher wurde die Konferenz in Libyen – Sie haben da-
rauf hingewiesen – von Absagen überschattet. Ich appel-
liere an die Bundesregierung, den politischen Prozess
nicht aus den Augen zu verlieren und sich auf diesem
Gebiet zu engagieren. Die deutsche G-8-Präsidentschaft
ist noch nicht vorbei.


(Beifall bei der FDP)


Ich habe allerdings noch offene Fragen. Im Mandats-
antrag heißt es, dass bis zu 250 deutsche Soldaten in der
Region Darfur eingesetzt werden sollen. Ich erinnere da-
ran, dass die Region Darfur so groß wie Frankreich ist.
Ich möchte schon wissen, wo genau und wie die Solda-
ten eingesetzt werden sollen. Das Gleiche gilt für die
deutschen Polizeibeamten. Welche Aufgaben werden sie
ausüben, und wo genau werden sie eingesetzt?

Ein weiterer kritischer Punkt – Sie haben ihn zu Be-
ginn Ihrer Rede erwähnt – ist der Nord-Süd-Friedensver-
trag. Als die SPLM angekündigt hat, die Regierung in
Khartoum zu verlassen, hatte ich die große Sorge, dass
der ganze Friedensprozess kippt. Das zeigt, wie gefähr-
lich die Situation ist. Jetzt findet zwar eine umfassende
Kabinettsumbildung statt; es ist aber immer noch nicht
klar, ob die Regierung die Arbeit auch aufnehmen wird.

Nach wie vor hat dieser Nord-Süd-Friedensvertrag
neuralgische Punkte. 2008 soll die Volkszählung stattfin-
den. Das bedarf einer Vorbereitung. Wie sieht es dann
mit der Region Abyei aus? Wird sie zum Norden oder
zum Süden gerechnet? Wie wird gezählt, und wer ist bei
den Wahlen 2009 wahlberechtigt? 2011 steht das Refe-
rendum an. Dann entscheidet sich, ob sich der Südsudan
abspaltet. Wenn der Süden bis dahin keine positiven
Auswirkungen der Friedensdividende spürt, dann ist
eine Abspaltung sehr wahrscheinlich. Wir müssen über-
legen, was das für die Region bedeuten würde. Dabei
müssen wir auch die Interessen der Nachbarstaaten im
Blick haben: Äthiopien, Eritrea, Tschad, aber auch
Ägypten. Den regionalen Ansatz dürfen wir nicht aus






(A) (C)



(B) (D)


Marina Schuster
den Augen verlieren. Diesbezüglich appelliere ich noch
einmal an die Bundesregierung.


(Beifall bei der FDP)


Ich komme zum Schluss. Diese Mission ist der Hoff-
nungsstrang. Es muss aber klar gesagt werden, dass wir
die Komplexität und Herausforderung dieses Einsatzes
nicht unterschätzen dürfen. Alle Kollegen, die vor Ort
waren – ich sehe hier einige –, wissen, wie schwierig
diese geografischen und logistischen Herausforderungen
sind. Es gibt kaum befestigte Straßen; alles muss über
den Lufttransport erfolgen. Insofern ist eine kritische
Frage, wer dann die Hubschrauber stellen wird.

Ich erwarte die Antworten der Bundesregierung, und
unsere Soldaten erwarten sie ebenfalls.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612326800

Das Wort hat jetzt der Bundesminister der Verteidi-

gung, Franz Josef Jung.

Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi-
gung:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Beteili-
gung der Bundeswehr an der Friedensmission der Ver-
einten Nationen im Sudan, UNMIS, mit Militärbeobach-
tern und Personal in Stäben und im Hauptquartier ist ein
wichtiger Bestandteil der Gesamtanstrengungen der
Bundesregierung zur Friedenskonsolidierung im Südsu-
dan.

Wir bitten um die Fortsetzung des Mandats mit bis zu
75 Soldaten. Wir haben dort derzeit 38 Soldaten im Ein-
satz. Ich hatte vorige Woche zusammen mit Kollegen in
Akaba Gelegenheit, mit einigen dieser Soldaten zu spre-
chen. Ich kann nur noch einmal unterstreichen, was Kol-
lege Erler hier gerade zum Ausdruck gebracht hat: Die
Umsetzung des Nord-Süd-Friedensabkommens gestaltet
sich zurzeit zunehmend schwierig. Die Soldaten haben
Sorgen im Hinblick auf die Entwicklung geäußert, auch
und insbesondere bezogen auf die Grenzsituation und
die Situation der Ölfelder. Dennoch, glaube ich, ist der
Aufbau von Verwaltungsstrukturen im Südsudan not-
wendig. Zahlreiche Flüchtlinge sind in ihre Heimat zu-
rückgekehrt. Die Rückverlegung von Truppen beider
Seiten hat ein Stück weit Fortschritte gemacht.

Unabhängig davon bitten wir um Zustimmung zu
einem neuen Mandat, für die Unterstützung von
UNAMID. Sie wissen, dass AMIS ihren Auftrag inso-
fern nicht erfüllen konnte, weil die Kräfte nicht ausreich-
ten, um Sicherung, Stabilität und eine friedliche Ent-
wicklung zu gewährleisten und die Gräueltaten, die dort
teilweise täglich passieren, zu unterbinden. Deshalb un-
terstützen wir das neue Mandat der Vereinten Nationen,
UNAMID. Der Sicherheitsrat hat es für zunächst zwölf
Monate beschlossen, um eine wirksame Umsetzung des
Darfur-Friedensabkommens zu gewährleisten.
Kollegin Schuster, bezogen auf das, was Sie gerade
angesprochen haben, will ich auf Folgendes hinweisen:
Wir hatten bisher ein Mandat AMIS mit 200 Soldaten.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Waren die 200 Soldaten zum Einsatz gekommen, Herr Minister?)


Wir bitten jetzt um ein Mandat mit bis zu 250 Soldaten,
wobei wir die Vorstellung haben, dass wir in etwa
50 Soldaten in die Stäbe geben, die dort Verbindungs-,
Beratungs- und Unterstützungsaufgaben wahrzunehmen
haben, und dass wir bis zu 200 Soldaten in der Lufttrans-
portunterstützung einsetzen. Denn das ist ein wichtiger
Punkt, um letztlich das, was Sie angesprochen haben, zu
gewährleisten.

Sie wissen, dass der Gesamtumfang von UNAMID
rund 26 000 Soldaten betragen soll, wobei man hier dif-
ferenzieren muss. 26 000 heißt im Klartext: rund 19 500
Soldaten und 6 500 Polizisten. Das ist in etwa die Ge-
samtkonzeption, wie sie jetzt von den Vereinten Natio-
nen beschlossen worden ist. Ich denke, es ist wichtig,
dass wir unseren unterstützenden Beitrag leisten, um
endlich in dieser leidgeprüften Region, in Darfur, Stabi-
lität und friedliche Entwicklung zu erreichen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir bitten Sie deshalb um Ihre Zustimmung zur Ver-
längerung des Mandats UNMIS bezogen auf den Südsu-
dan – dessen Aufgaben habe ich hier gerade vorgetragen –
und um Zustimmung zu der Beteiligung der Bundeswehr
an der gemeinsam von den Vereinten Nationen und der
Afrikanischen Union geführten Mission UNAMID in
Darfur.

Afrika ist der Nachbarkontinent von Europa. Wir ha-
ben, denke ich, ein Interesse daran, auch mit Blick auf
die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger, dass es
eine stabile und friedliche Entwicklung auf dem afrika-
nischen Kontinent gibt. Gerade Darfur ist ein typisches
Beispiel. Dort werden Menschenrechte mit Füßen getre-
ten und täglich Gräueltaten verübt. Es ist richtig, dass die
Europäische Union und konkret auch wir hier unsere
Unterstützung leisten. Deshalb bitten wir Sie um Ihre
Unterstützung für dieses neue Mandat mit einer Ober-
grenze von bis zu 250 Soldaten.

Besten Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612326900

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege

Wolfgang Gehrcke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612327000

Frau Präsidentin, schönen Dank. – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Ich finde, die regelmäßigen Debatten
über Mandate und Mandatsverlängerungen zwingen uns






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Gehrcke
dazu, jedes Mal wieder den eigenen Standpunkt zu über-
prüfen. Das gilt sowohl für die Kolleginnen und Kolle-
gen, die zustimmen, als auch für die Kolleginnen und
Kollegen, die ablehnen. Man ist gezwungen, jedes Mal
die eigenen Argumente noch einmal auf den Prüfstand
zu stellen.


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Aber Sie kommen nie zum Lernerfolg!)


Es gibt Entscheidungen, die zumindest in einzelnen
Fraktionen unumstritten sind; dazu gehört bei uns die
Entscheidung zu Afghanistan. Und es gibt Entscheidun-
gen, die umstrittener und differenzierter zu betrachten
sind; dazu gehört zweifelsohne die Entscheidung zum
Sudan.


(Uta Zapf [SPD]: Ich staune!)


Ich möchte unseren Abwägungsprozess ein Stück weit
transparent machen und erläutern, warum wir zu wel-
chen Entscheidungen kommen. Meine Fraktion wird
nicht zustimmen. Ein Teil meiner Fraktion wird sich der
Stimme enthalten, und ein anderer Teil wird dagegen
stimmen. Warum das so ist, möchte ich Ihnen nahebrin-
gen. Vielleicht wägen auch Sie ein Stück weit mit ab.

Ich glaube, es ist völlig klar, dass kein Mensch über
die ungeheure Anzahl von Menschen, die im Sudan er-
mordet worden ist – ich benutze bewusst die Formulie-
rung „ermordet worden ist“ – hinwegsehen kann. Keiner
kann darüber hinwegsehen, was an Vertreibungen und
Gewalt im Sudan ausgelöst worden ist. Keiner kann da-
rüber hinwegsehen, welche unsichere, instabile Situation
es in den Flüchtlingslagern gibt. All dies sind Faktoren,
die ernsthaft in Rechnung gestellt werden müssen.

Ich glaube auch, dass man die Destabilisierung, die
vom Sudan auf ihn selbst und auf seine Nachbarländer
ausgeht, ernsthaft in Rechnung stellen muss. Ich stelle
natürlich auch immer in Rechnung – das ist mir selbst
und meiner Fraktion nämlich wichtig –, ob ein klares
Mandat der Vereinten Nationen vorliegt oder nicht. Das
ist zwar hier der Fall, muss aber nicht heißen, dass jedes
Mandat der Vereinten Nationen dann auch politisch von
den einzeln handelnden politischen Kräften geteilt wer-
den muss. Man kann auch zur Auffassung gelangen, dass
man eine andere Position einnimmt; aber man muss es in
Rechnung stellen.

Ferner muss in Rechnung gestellt werden – diesbe-
züglich teile ich den Optimismus vom Kollegen Erler
nicht; ich wäre froh, wenn Sie recht hätten und ich un-
recht hätte –, dass wir es im Sudan mit enorm großen
neuen Gefahren zu tun bekommen werden. Die Lostren-
nungstendenzen nicht nur im Süden des Sudans sind
stärker geworden. Solche Lostrennungstendenzen gibt
es auch in Darfur; das ist bekannt. Die Rebellengruppen
– falls man diesen Begriff überhaupt verwenden kann –
haben sich nicht auf ein gemeinsames Vorgehen geei-
nigt. Die Regierung im Sudan hat keine vernünftigen
Lehren aus all dem gezogen. Die Handlungsweise der
sudanesischen Regierung ist und bleibt kritikwürdig.

Dazu kommt – das ist zwar nicht Gegenstand des
Mandats, aber man hat es mit einzubeziehen – die Trup-
penstationierung im Tschad, die mit der Situation in Dar-
fur im Zusammenhang steht. Es handelt sich hier um
Truppen der Europäischen Union. Wenn man genauer
hinschaut, so stellt man fest, dass es hauptsächlich fran-
zösische Truppen sind; es sind nur wenig andere dabei.
Ob es besonders klug ist, dass die ehemalige Kolonial-
macht den Hauptteil der Truppen stellt, wage ich zu be-
zweifeln.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie vorschlagen, dass wir das machen, Herr Kollege?)


– Ich halte es für falsch. – Natürlich steht auch das Pro-
blem im Hintergrund, dass sich die Kämpfe wiederum
um Naturressourcen wie Öl und Gas im Sudan drehen.

Wenn man all dies gegeneinander abwägt, gibt es in
der Tat Argumente, die für die Stationierung sprechen.
Aber es gibt tatsächlich auch Argumente, die dagegen
sprechen, weil der Beweis, dass mit einer Militäraktion
Stabilität einziehen wird, nicht erbracht ist. Es wurde
hier zumindest einmal von den Kolleginnen und Kolle-
gen, die von Militäraktionen als dem letzten Mittel ge-
sprochen haben, die Meinung vertreten: Wenn es nur ei-
nen Hauch fraglich bleibt, ob ein Einsatz von Militär
sinnvoll ist, dann muss man sich entscheiden, nicht zu-
zustimmen. Das ist die Verantwortung, die man trägt.
Man trägt allerdings auch dann eine Verantwortung, der
man gerecht werden muss, wenn man Nein sagt, was,
wie ich glaube, hier die richtige und angemessene Ent-
scheidung ist.

Eine letzte Bemerkung: Herr Verteidigungsminister,
ich hoffe, dass wir nicht binnen kurzer Zeit erneut über
eine Aufstockung der Truppen werden diskutieren müs-
sen. Wenn das ganze Schlamassel im Sudan so abläuft,
wie ich es befürchte, spricht allerdings sehr viel dafür.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612327100

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-

lege Jürgen Trittin das Wort.


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612327200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir be-

grüßen ausdrücklich, dass der Sicherheitsrat der Verein-
ten Nationen die Hybridmission in Darfur beschlossen
hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU])


Ich sage zunächst einmal mit Nachdruck: Ich finde es
richtig, dass diese Mission mit Kapitel VII der UN-
Charta begründet wird. Somit haben die dort eingesetz-
ten Soldaten das Recht und den Auftrag, Menschen in
Not vor Mord und Vertreibung zu schützen.

Das sage ich nicht, weil ich diese Entwicklung für gut
halte. Wir haben aber doch erlebt, was ein zahlenmäßig
ungenügend ausgestattetes Mandat, die nicht ausrei-






(A) (C)



(B) (D)


Jürgen Trittin
chende Kompetenz der AU-Truppe und ihre absolut lä-
cherliche Ausstattung bewirkt haben.


(Marina Schuster [FDP]: Allerdings!)


Dadurch wurden der Konflikt und das Morden nicht be-
endet. Im Gegenteil, dadurch wurden diejenigen, die
schlichten wollten, zum Objekt der Empörung und letzt-
lich auch zum Objekt militärischer Angriffe gemacht.
Das darf nie wieder passieren. Deswegen ist es richtig,
dass das Mandat für UNAMID in dieser Weise erteilt
worden ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich finde es auch richtig, dass sich Deutschland daran
beteiligt. Herr Jung, wenn es nicht schon so spät wäre,
hätte ich Ihnen die Frage gestellt: Wie oft sind eigentlich
die AMIS-Leute in letzter Zeit zum Einsatz gekommen?
Ich würde mir wünschen, dass diese 250 Menschen, die
die nötigen Kapazitäten und Fähigkeiten haben, in Dar-
fur tatsächlich zum Schutz der Menschen, die von Ver-
treibung, Vergewaltigung und Mord bedroht sind, einge-
setzt werden.

Meine zweite Bemerkung bezieht sich auf den Südsu-
dan, mit dem ich eine Erinnerung aus meiner Zeit als
Minister in Niedersachsen verbinde: Damals mussten
wir Entwicklungsprojekte im Süden des Landes been-
den; Herr Fischer weiß das.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Ja!)


30 Jahre lang gab es dort Krieg. Durch das Abkommen
von Naviasha hat man es jetzt geschafft, für Frieden zu
sorgen. Es handelt sich dabei allerdings um einen insta-
bilen Frieden, einen Frieden mit Risiken und mit Proble-
men. Jetzt richten die Konfliktparteien gemeinsam die
Bitte an die Vereinten Nationen: Wir wollen, dass der
30-jährige Krieg nicht wieder ausbricht, aber wir trauen
uns gegenseitig nicht. Deshalb möchten wir, dass ihr das
überwacht. Schickt uns Militärbeobachter, damit wir uns
an unsere Vereinbarung halten.

Ich sage Ihnen: Was gibt es für Menschen, die Frieden
sichern und Krieg verhindern wollen, Richtigeres, als
sich daran aktiv zu beteiligen? Es ist einfach Unsinn – ich
sage das bewusst mit Zurückhaltung, lieber Wolfgang
Gehrcke; Sie wissen, dass ich Sie aufgrund Ihrer diffe-
renzierenden Betrachtungsweise schätze und ernst
nehme –, den Einsatz unbewaffneter Militärbeobachter,
die mit Zustimmung der Konfliktparteien verhindern
sollen, dass der Krieg wieder ausbricht, mit imperialisti-
schen Kriegen um Rohöl gleichzusetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Habe ich das gesagt?)


Lieber Wolfgang Gehrcke, ich finde, hier hätten Sie Mut
haben sollen; denn so, wie es jetzt läuft, geht es mit Ih-
nen nicht weiter.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich habe mir einmal Folgendes angesehen: Bei der Ab-
stimmung im Jahr 2006 haben 31 Ihrer 56 Abgeordneten
dagegen gestimmt, 7 haben sich enthalten, 18 haben es
vorgezogen, gar nicht erst zu erscheinen.


(Zurufe von der SPD: Na! – Was?)


– Sie waren nicht da. – 2007 haben wieder die üblichen
31 – ich weiß, Sie gehören nicht dazu – mit Nein ge-
stimmt. Diesmal haben sich 15 enthalten, und 10 haben
gefehlt.

Liebe Freundinnen und Freunde, meine Damen und
Herren von der Linkspartei, ich glaube, Sie sollten sich
einen Ruck geben!


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das müssen ausgerechnet Sie sagen!)


Die Verweigerung der aktiven Beteiligung an solchen
Friedenseinsätzen, die Blauhelmeinsätze waren, ist eine
höchst arrogante.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sie läuft nämlich im Ergebnis darauf hinaus, dass die
reichen Nationen zwar für solche Einsätze zahlen, aber
die armen Länder den Kopf hinhalten sollen.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Imperialismus!)


Ich finde, das ist eine arrogante Position. Ich finde, die-
jenigen, die im Namen der internationalen Staatenge-
meinschaft dafür sorgen, dass dieser Krieg im Südsudan
nicht wieder ausbricht, verdienen unsere Anerkennung
und unsere gemeinsame Unterstützung – auch und ge-
rade wenn man sich als links bezeichnet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612327300

Die Rede der Kollegin Dr. Herta Däubler-Gmelin

nehmen wir zu Protokoll.1)

Das Wort hat der Kollege Hartwig Fischer für die
Unionsfraktion.


Hartwig Fischer (CDU):
Rede ID: ID1612327400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt den beiden
UN-Mandaten UNMIS, Resolution 1590, und UNAMID,
Resolution 1769, uneingeschränkt zu und unterstützt die
Bundesregierung in ihrem Bemühen, Frieden in Darfur
zu schaffen.

Darfur ist die Geschichte verbrannter Dörfer, mas-
senhafter Vergewaltigungen und Verstümmelungen,
ethnischer Säuberung. Darfur ist auch die Ge-
schichte hilflosen Zuschauens, kraftloser UN-Reso-

1) Anlage 10






(A) (C)



(B) (D)


Hartwig Fischer (Göttingen)

lutionen, von Waffenlieferungen durch andere Län-
der und chaotischen „Friedensberatungen“. Die
Fakten über Darfur sind bekannt; aber dennoch
wurde der Völkermord nicht zur Weltnachricht.
Das Fehlen „echter Bilder“ mag dabei eine Rolle
gespielt haben. Die Regierung in Khartoum verhin-
dert regelmäßig den Zugang in das Gebiet für Jour-
nalisten und immer häufiger auch für Hilfsorgani-
sationen.

So stand es vorgestern in der niederländischen Zeitung
Trouw.

Meine Damen und Herren, ich bin nicht ganz so opti-
mistisch wie Herr Staatsminister Erler, wenn ich daran
denke, dass die Friedensverhandlungen bereits nach ei-
nem Tag auf Dezember verschoben worden sind, weil
die Rebellenorganisationen sich nicht einig sind. Das
Sterben geht also weiter und das Leiden auch. Ich bin
auch nicht optimistisch, dass es nur annähernd ein Ein-
lenken der Zentralregierung in Khartoum geben könnte.
Denn wer sich die aktuelle UN-Resolution ansieht – ich
stimme mit den Kollegen überein, dass es richtig ist,
dass es eine Resolution gemäß Kapitel VII ist –, der sieht
auch, dass in einem Absatz steht, dass die UN verlangen,
dass alle Bombenangriffe eingestellt werden und dass
die für derartige Angriffe verwendeten Luftfahrzeuge
nicht mit Symbolen der Vereinten Nationen gekenn-
zeichnet werden. Das ist eindeutig eine Verurteilung der
Regierung; denn die Rebellen verfügen nicht über Flug-
zeuge.

Es geht weiter damit, dass die Regierung Baschir ges-
tern den UN-Koordinator für die humanitäre Hilfe,
Herrn Ibrahim Wael al-Hadsch, ausgewiesen hat, weil er
berichtet hatte, dass die Zentralregierung 1 000 Flücht-
linge mit Waffengewalt aus dem Lager Nyala verlegt hat –
entgegen allen Vereinbarungen. Die Regierung hat sich
in den letzten Monaten zudem geweigert, die Haftbe-
fehle des Internationalen Strafgerichtshofes gegen zwei
Kriegsverbrecher im Sudan anzuerkennen, und war nicht
bereit, die Auslieferung vorzunehmen.

Ich persönlich sage: Auch ich bin enttäuscht, dass
gestern nach einem Empfang für Herrn Baschir Herr
Mbeki, der Staatspräsident von Südafrika, ausschließlich
die Rebellen aufgefordert hat, die Gewalt einzustellen.
Diese Aufforderung muss sich nach meiner Überzeu-
gung auch an die Regierung richten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es wird von 200 000 Toten gesprochen. Es sind weit
mehr, sagen uns die Hilfsorganisationen. Jeden Tag ster-
ben in jedem der Lager weiter Kinder, insbesondere un-
ter Fünfjährige. Ich hoffe – man kann wirklich nur noch
Hoffnungen damit verbinden –, dass diese wirklich aus-
gezeichnete Resolution, die jetzt auch von den Chinesen,
die immer noch Waffen liefern, mit unterstützt worden
ist, umgesetzt werden kann. Ich habe allerdings gewisse
Zweifel, weil es bei der Truppenstellerkonferenz sehr
hakt und bereits erhebliche Verzögerungen gegeben hat.
Innerhalb von 30 Tagen nach der Verabschiedung der
Resolution am 30. Juli 2007 sollte berichtet werden, wie
diese Truppenstellerkonferenz vorangeht. Man war der
Auffassung, dass nach weiteren 30 Tagen die finanziel-
len und die materiellen Dinge geklärt sind. All dies ist
bisher nicht geschehen. Ich sage Ihnen: Wenn wir ein
weiteres halbes Jahr debattieren – sei es auch auf UN-
Ebene –, dann hat die Weltgemeinschaft wieder einmal
bei einem Krisenherd versagt.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612327500

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/6940 und 16/6941 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst
Burgbacher, Sibylle Laurischk, Horst Friedrich

(Bayreuth), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion der FDP

Integrierte Planung für Schiene und Straße im
Rheingraben – Gesamtverkehrskonzept Süd-
baden

– Drucksache 16/6638 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss


(Emmendingen)

Schwarzelühr-Sutter für die SPD, des Kollegen Ernst
Burgbacher für die FDP, der Kollegin Dorothée Menzner
für die Fraktion Die Linke und der Kollegin Kerstin
Andreae für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Pro-
tokoll.1)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/6638 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bei der 62. Generalversammlung der Verein-
ten Nationen ein Zeichen für die weltweite Ab-
schaffung der Todesstrafe setzen

– Drucksache 16/6942 –

Beschlussfassung

Es liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten
Florian Toncar, Michael Link (Heilbronn), Jens
Ackermann und weiterer Abgeordneter vor.

1) Anlage 11






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll. Das
betrifft die Rede der Kollegin Erika Steinbach für die
CDU/CSU-Fraktion, die Rede der Kollegin Professor
Dr. Herta Däubler-Gmelin für die SPD-Fraktion, die
Rede des Kollegen Florian Toncar für die FDP-Fraktion,
die Rede des Kollegen Michael Leutert für die Fraktion
Die Linke und die Rede des Kollegen Volker Beck

(Köln) für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.1)


Außerdem liegt eine Reihe von Erklärungen nach
§ 31 unserer Geschäftsordnung von Mitgliedern der
FDP-Fraktion vor, welche ebenfalls zu Protokoll genom-
men werden.2)

Wir kommen damit zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/6942
mit dem Titel: „Bei der 62. Generalversammlung der
Vereinten Nationen ein Zeichen für die weltweite Ab-
schaffung der Todesstrafe setzen“. Hierzu liegt ein Än-
derungsantrag der Abgeordneten Florian Toncar,
Michael Link (Heilbronn), Jens Ackermann und weiterer
Abgeordneter vor, über den wir zuerst abstimmen.

Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 16/7044? – Die Gegenprobe! – Gibt es Enthaltun-
gen? – Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.

Wer stimmt für den Antrag der Fraktionen der CDU/
CSU, der SPD, der FDP und des Bündnisses 90/Die
Grünen auf Drucksache 16/6942? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Dann ist dieser Antrag ein-
stimmig angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Kirsten Tackmann, Katja Kipping, Dr. Barbara
Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Finanzierung von Frauenhäusern bundesweit
sicherstellen und losgelöst vom SGB II regeln

– Drucksache 16/6928 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für
die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Wir neh-
men allerdings wiederum die Reden der Kolleginnen
und Kollegen zu Protokoll. Dies betrifft die Rede der
Kollegin Maria Michalk von der CDU/CSU-Fraktion,
die Rede der Kollegin Renate Gradistanac von der SPD-
Fraktion, die Rede der Kollegin Ina Lenke von der FDP-
Fraktion, die Rede der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann
von der Fraktion Die Linke und den Beitrag der Kollegin
Irmingard Schewe-Gerigk aus der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.3)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/6928 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Vorlage

1) Anlage 15
2) Anlage 5
3) Anlage 13
federführend im Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend beraten werden soll. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist diese Über-
weisung ebenfalls beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Finanzierung der Beendi-
gung des subventionierten Steinkohlen-

(Steinkohlefinanzierungsgesetz)


– Drucksache 16/6566 –

– Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Finanzierung
der Beendigung des subventionierten Stein-

(Steinkohlefinanzierungsgesetz)


– Drucksache 16/6384 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie

(9. Ausschuss)


– Drucksache 16/6972 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Kerstin Andreae


(8. Ausschuss)


– Drucksache 16/6973 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Kurt J. Rossmanith
Volker Kröning
Ulrike Flach
Roland Claus
Anna Lührmann

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Paul K.
Friedhoff, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP

Ausstieg aus der Steinkohle zügig und zu-
kunftsgerichtet gestalten – RAG-Börsen-
gang an marktwirtschaftlichen Grundsät-
zen ausrichten

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer,
Hans-Kurt Hill, Dr. Barbara Höll, Dr. Gesine
Lötzsch und der Fraktion DIE LINKE

Ruhrkohle AG in eine Stiftung öffentlichen
Rechts überführen – Börsengang verhin-
dern

– Drucksachen 16/5422, 16/6392, 16/6972 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Kerstin Andreae






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
Zu dem Entwurf eines Steinkohlefinanzierungsgeset-
zes der Bundesregierung sowie zu dem der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD liegt je ein Entschließungsan-
trag der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war auch
hier eine halbe Stunde vorgesehen. Nun nehmen wir die
Beiträge der Kollegen Dr. Joachim Pfeiffer von der
CDU/CSU-Fraktion und Rolf Hempelmann von der
SPD-Fraktion zu Protokoll.1)

Das Wort erhält der Kollege Paul Friedhoff für die
FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Paul K. Friedhoff (FDP):
Rede ID: ID1612327600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zu dieser vorgerückten Stunde kommen wir nun zu ei-
nem Thema, das wahrlich einen besseren Debattenplatz
verdient hätte; denn wir entscheiden heute – wir disku-
tieren nicht mehr, sondern entscheiden tatsächlich – über
die Abwicklung von 800 Jahren deutscher Industriege-
schichte in Form der Beendigung des subventionierten
deutschen Steinkohlebergbaus sowie, wie Sie alle wis-
sen, über Subventionen in Höhe von 38 Milliarden Euro.
Das darüber nicht mehr zu reden sein muss, sondern dass
sämtliche Redebeiträge zu Protokoll gegeben werden
sollen, enttäuscht mich ein wenig. Ich kann mich nicht
daran erinnern, dass solche wichtigen Themen, bei de-
nen es um so viel Geld geht, in der Vergangenheit so be-
handelt worden sind, wie dies jetzt der Fall ist.


(Beifall bei der FDP)


Wir erinnern uns: Der industrielle Aufstieg Deutsch-
lands im 19. Jahrhundert war untrennbar mit dem deut-
schen Steinkohlenbergbau verbunden. Nach dem Krieg,
als alles in Schutt und Asche lag, war es die deutsche
Steinkohle, die den Wiederaufbau in Deutschland erst
ermöglichte. Dies war der Stoff, auf dem Deutschland
aufbauen konnte.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)


Es gilt auch heute noch, den Kumpeln aus der damaligen
Zeit dafür zu danken.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mit der Internationalisierung des Handels und dem
immer preisgünstigeren Transport von Gütern über die
Weltmeere erwuchs der deutschen Steinkohle eine Kon-
kurrenz, die sie wettbewerbsunfähig machte. Das führte
seit den 60er-Jahren in Deutschland zu ihrer Subventio-
nierung, zunächst mit der Begründung, die Energiever-
sorgung in Deutschland sei sonst nicht gesichert. Doch
ein Blick auf die weltweiten Lagerstätten, in denen
Steinkohle wesentlich preiswerter abgebaut werden
kann, zeigt schnell, dass wir in Deutschland nur über
etwa 3 Prozent der Weltkohlevorräte verfügen und dass
diese hier nur sehr teuer abbaubar sind. Dennoch wurde

1) Anlage 14
weiterhin das Argument der Versorgungssicherheit vor-
geschoben, um Arbeitsplätze zu erhalten.

Allerdings waren dies teure Arbeitsplätze für den
Steuerzahler: Schon 1990 wurde jeder Arbeitsplatz im
Bergbau mit 76 000 DM subventioniert; heute sind es
etwa 76 000 Euro. Wir müssen also viel mehr an Sub-
ventionen bezahlen, als die Kumpels verdienen. Insge-
samt sind bis heute rund 130 Milliarden Euro aus Steuer-
mitteln in die Steinkohle geflossen. Jetzt kommen noch
die bereits angesprochenen 38 Milliarden Euro hinzu.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist es!)


Hinzu kommen aber auch noch Dauerschäden an der Na-
tur und an Gebäuden in den Bergbauregionen.

Den Kumpeln und den Steuerzahlern ist das Märchen
von der Versorgungssicherheit immer wieder erzählt
worden. Damit wurde der Strukturwandel hin zu moder-
neren Technologien an der Ruhr nicht gefördert, sondern
behindert. Das Geld, das in dunkle Schächte floss, fehlte
an anderer Stelle. Das einst starke Bundesland NRW fiel
in die Mittelmäßigkeit zurück.

Die Folgen bekämpft die heutige Düsseldorfer Koali-
tion aus CDU und FDP. Diese ist es auch, die den Aus-
stieg, den wir heute beschließen wollen, erzwungen hat.


(Beifall bei der FDP)


Das Märchen von der Versorgungssicherheit wird
heute nicht mehr aufrechterhalten. Darüber freuen wir
uns. Dieses Märchen hat sich 25 Jahre lang gehalten;
Gott sei Dank ist es jetzt vorbei. Wenn nun ein neues
Märchen von der zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit der
deutschen Steinkohle aufkommt und es tatsächlich wahr
werden sollte, haben wir Liberalen selbstverständlich
nichts dagegen. Wir haben nichts gegen einen unsubven-
tionierten Bergbau, weder 2012 noch später. Aber wir
glauben nicht daran; denn wir sind Realisten.

Erstens fordern wir deshalb: Der Bergbau sollte be-
reits 2012 auslaufen, damit nicht noch weitere 12 Mil-
liarden Euro an Steuergeldern sinnlos ausgegeben wer-
den.


(Beifall bei der FDP)


Denn in diesen letzten sechs Jahren mit durchschnittlich
noch 5 000 Bergleuten würden jährlich Kosten in Höhe
von 400 000 Euro pro Beschäftigten anfallen. Das kann
man sich kaum vorstellen.


(Zuruf von der FDP: Ungeheuerlich!)


Aus der Sicht des Steuerzahlers ist es eben nicht sozial
verträglich, sondern unerträglich, wenn dieses Geld
nicht in öffentliche Infrastruktur investiert wird. Dass
dadurch mehr Arbeitsplätze geschaffen werden könnten
als die, die im Bergbau noch erhalten werden, dürfte je-
dem klar sein, der sich ein wenig mit diesem Thema be-
schäftigt.

Zweitens fordern wir, den Subventionsmodus von
dem Kostenerstattungsprinzip auf ein Prämienmodell
pro Tonne umzustellen, um Anreize für höhere Effizienz
zu geben und damit Subventionen einzusparen.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Paul K. Friedhoff
Drittens soll das Vermögen der THS in Form ihres
Wohnungsbestandes, den letztlich auch der Steuerzahler
finanziert hat – das ist ebenfalls ein wichtiges Thema,
dem sich möglicherweise auch der Rechnungshof einmal
zuwenden sollte –, nach unserer Meinung nicht in eine
Gewerkschaftskasse fließen, sondern dem Steuerzahler
zurückgegeben werden.


(Beifall bei der FDP)


Die FDP-Fraktion wird dem Gesetzentwurf der Bun-
desregierung zustimmen,


(Rolf Hempelmann [SPD]: Das war der beste Satz!)


weil wir damit unsere langjährige Forderung nach einem
Ende des Subventionsbergbaus erfüllt sehen. Wir gehen
aber davon aus, dass das Ende des Subventionsbergbaus
nicht erst 2018 kommen wird, Herr Hempelmann; denn
an dieses Datum glauben wirklich nur die Märchener-
zähler von damals.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der FDP – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Ohne die Steinkohle hätten Sie schon seit drei Minuten keinen Strom mehr!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612327700

Wir nehmen die Reden des Kollegen Dr. Joachim

Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion und des Kollegen
Rolf Hempelmann für die SPD-Fraktion, der Kollegin
Ulla Lötzer für die Fraktion Die Linke und der Kollegin
Kerstin Andreae für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen zu Protokoll.1) Außerdem liegt eine Erklärung nach
§ 31 unserer Geschäftsordnung des Kollegen Dr. Axel
Berg vor, die ebenfalls zu Protokoll genommen wird.2)

Ich schließe die Aussprache.

Damit kommen wir zur Abstimmung über die von der
Bundesregierung sowie von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwürfe eines Stein-
kohlefinanzierungsgesetzes. Der Ausschuss für Wirt-
schaft und Technologie empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6972,
die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/6566 und
16/6384 zusammenzuführen und unverändert anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? –
Dann ist der Gesetzentwurf in der Ausschussfassung ge-
gen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist damit mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der

1) Anlage 14
2) Anlage 6
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungs-
antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7012? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Entschließungsantrag der Fraktion der FDP abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/7011. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthal-
tungen? – Dann ist der Entschließungsantrag gegen die
Stimmen der Antragsteller mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen, der Fraktion Die Linke bei Enthaltung
der Fraktion der FDP abgelehnt.

Wir setzten die Abstimmung zu der Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie
auf Drucksache 16/6972 fort. Der Ausschuss empfiehlt
unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksa-
che 16/5422 mit dem Titel „Ausstieg aus der Steinkohle
zügig und zukunftsgerichtet gestalten – RAG-Börsen-
gang an marktwirtschaftlichen Grundsätzen ausrichten“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Damit ist
diese Beschlussempfehlung angenommen.

Wir sind noch immer bei Tagesordnungspunkt 21 b.
Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 16/6392 mit dem Titel „Ruhrkohle AG in eine
Stiftung öffentlichen Rechts überführen – Börsengang
verhindern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? –
Damit ist die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen
der Antragsteller angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Maisch, Sylvia Kotting-Uhl, Winfried Hermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Umweltqualitätsnormen im Bereich Wasser-
politik – Forderungen des Europäischen Par-
laments aufgreifen und ausweiten

– Drucksache 16/6636 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Wir nehmen die Reden des Kollegen Ulrich Petzold
für die Unionsfraktion, der Kollegin Petra Bierwirth für
die SPD-Fraktion, des Kollegen Horst Meierhofer für
die FDP-Fraktion, der Kollegin Eva Bulling-Schröter für
die Fraktion Die Linke und der Kollegin Nicole Maisch
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Protokoll.3)

3) Anlage 15






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/6636 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Aufhebung der Heimkehrerstiftung und
zur Finanzierung der Stiftung für ehemalige

(Heimkehrerstiftungsaufhebungsgesetz – HKStAufhG)


– Drucksache 16/5845 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


– Drucksache 16/6956 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Günter Baumann
Maik Reichel
Dr. Max Stadler
Jan Korte
Wolfgang Wieland

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 16/6990 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Bettina Hagedorn
Dr. Michael Luther
Otto Fricke
Roland Claus
Alexander Bonde

Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die
Linke vor. Wir nehmen die Reden der Kollegen Klaus
Brähmig und Jochen-Konrad Fromme für die Unions-
fraktion, des Kollegen Maik Reichel für die SPD-Frak-
tion, des Kollegen Dr. Max Stadler für die FDP-Frak-
tion, des Kollegen Wolfgang Wieland für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und meine Rede zu Protokoll.1)

Wir kommen damit zur Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines
Heimkehrerstiftungsaufhebungsgesetzes. Der Innenaus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/6956, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 16/5845 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenom-
men.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –

1) Anlage 16
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist damit mit den Stimmen der CDU/CSU-Frak-
tion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der
Fraktion der Grünen bei Enthaltung der FDP-Fraktion
angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache
16/7013. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent-
schließungsantrag ist damit gegen die Stimmen der An-
tragsteller und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei
Enthaltung der FDP-Fraktion mit den Stimmen der Uni-
onsfraktion und der SPD-Fraktion abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union (21. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Rainder Steenblock,
Jürgen Trittin, Omid Nouripour, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Die Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik
der Europäischen Union weiterentwickeln

– Drucksachen 16/5425, 16/6977 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Stephan Eisel
Axel Schäfer (Bochum)

Markus Löning
Dr. Diether Dehm
Rainder Steenblock

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Axel Schäfer für die SPD-Fraktion.


Axel Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1612327800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn man am 8. November eine Debatte über die Zu-
kunft Europas, insbesondere was die Erweiterungs- und
Nachbarschaftspolitik anbelangt, führt, dann ist es rich-
tig und notwendig, sich daran zu erinnern, dass sich mor-
gen vor genau 18 Jahren die friedliche Revolution in
Deutschland mit dem Fall der Mauer durchzusetzen be-
gann. Damit endete zugleich das 20. Jahrhundert, das
mit dem Ersten Weltkrieg begann und mit dem Mauer-
fall seinen Abschluss fand, ein Jahrhundert, das zur ei-
nen Hälfte durch Kriege und Diktaturen und zur anderen
Hälfte durch das gänzlich Neue, nämlich durch die Euro-
päische Gemeinschaft und den europäischen Integra-
tionsprozess, geprägt war. Dieses Neue stellte ein Ge-
genbild zum Krieg dar und stand für ein friedliches
Zusammenleben.

Die Kinder der friedlichen Revolution, also diejeni-
gen, die vor 18 Jahren geboren wurden, sind volljährig.
Der Transformationsprozess steckt jedoch noch in den
Kinderschuhen. Es ist deshalb wichtig, dass wir uns im-






(A) (C)



(B) (D)


Axel Schäfer (Bochum)

mer wieder dessen vergewissern – deshalb ist es gut,
dass wir heute hier diese Diskussion führen –, wohin wir
in Europa in Zukunft wollen. Wir müssen die Geschichte
kritisch aufarbeiten und die Probleme konkret benennen,
die wir jetzt anpacken müssen.

Ich sage ganz offen, ohne Schwarzmalerei und ohne
Pessimismus: Das Jahr 2008 wird, was die Erweiterung
und Zusammenarbeit in Europa anbelangt, ein Entschei-
dungsjahr sein. Die Frage wird sein, ob es gelingt, in Eu-
ropa voranzukommen, oder ob Europa in einigen Berei-
chen scheitern wird. Im nächsten Jahr müssen 27 Staaten
fähig sein, etwa 45 parlamentarische Verfahren zur Rati-
fizierung des Reformvertrages, den die große Mehrheit
dieses Hauses will und den sie ein Stück mitentwickelt
hat, durchzuführen.

Wir brauchen in Südosteuropa – manche sprechen
vom Westbalkan – Fortschritte, keine Rückschritte, die
möglicherweise wieder kriegerische Auseinandersetzun-
gen nach sich ziehen. Wir brauchen auch in den Ländern,
die der Europäischen Union beitreten wollen – Türkei und
Kroatien; ich denke auch an eine Perspektive für Maze-
donien –, erkennbare Wandlungen. Seien wir ehrlich: Es
entwickelt sich nicht alles zum Besseren, und es geht
nicht alles voran, sondern man fühlt sich manchmal wie
im Paternoster. Gott sei Dank ändert sich etwas in diesen
Ländern, wenn sie eine europäische Perspektive haben;
aber leider entwickeln sie sich manchmal zur selben Zeit
ein Stück zurück. Das heißt, scheinbar überwundene
Probleme treten wieder auf.

Deshalb haben gerade wir Deutsche in Europa im
kommenden Jahr eine ganz besondere Verantwortung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn wir diese Verantwortung wahrnehmen wollen,
dann ist es wichtig, dass wir die Fundamente Europas
nicht infrage stellen. Das erste Fundament, was die Bei-
tritte anbelangt, ist: Jedes europäische Land kann bean-
tragen, der EU beizutreten, wenn es die Werte der Euro-
päischen Union teilt und für ihre Durchsetzung eintritt.
Das ist die Grundlage. Deshalb möchte ich den Kolle-
ginnen und Kollegen der FDP meine Reverenz erweisen
und an den Altmeister Genscher erinnern. Als es in den
90er-Jahren bei der Behandlung dieser Fragen sehr hef-
tig wurde – schon damals hat man darüber diskutiert,
wer der Europäischen Gemeinschaft noch beitreten
könnte und sollte –, hat Genscher gesagt: Lasst uns in
Europa bei dem Prinzip bleiben, dass wir bestimmte Fra-
gen nicht stellen, wenn wir wissen, dass wir sie nicht be-
antworten können.

Ich denke, es wäre falsch, eine Finalitätsdebatte, also
eine Debatte über die Frage, welches europäische Land
eigentlich nicht dazu gehören sollte, zu führen. Das zu
bedenken, ist eine ganz wichtige Voraussetzung. Das
heißt in puncto Verhandlungen mit der Türkei und mit
Kroatien: Wir müssen diese Verhandlungen mit dem Ziel
führen, dass sie erfolgreich sind, und nicht mit der Maß-
gabe, dass nur irgendetwas dabei herauskommt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage zu Kroatien ganz bewusst: Der Erweite-
rungsprozess, den wir im 21. Jahrhundert begonnen ha-
ben – Stichwort „zehn plus zwei plus eins“; „zehn“ be-
zieht sich auf die Beitritte, die 2004 stattgefunden haben;
danach sind zwei weitere Länder, Bulgarien und Rumä-
nien, beigetreten; ein weiteres Land, Kroatien, soll fol-
gen –, muss noch in diesem Jahrzehnt abgeschlossen
werden. Ich glaube, das ist eine besondere Verpflichtung
für uns.


(Beifall bei der SPD)


Natürlich dürfen wir jetzt nicht diejenigen Länder
ausgrenzen, von denen wir heute seriöserweise nicht sa-
gen können, welche Beitrittsperspektive sie haben. Das
heißt speziell für Südosteuropa, unser wichtigstes Pro-
jekt: Wir müssen alles tun, wir müssen alle zur Verfü-
gung stehenden Ressourcen, Mittel und sämtliche Man-
und Womanpower einsetzen, damit die Lage dort stabil
bleibt und die Entwicklung voranschreitet.

Ich erwarte, auch von der Kommission, dass man sich
sehr wohl darauf einstellt, ein Stückchen mehr zu tun,
um zu zeigen, dass die Arbeit gelingt und dass es keinen
Rückschritt gibt. Meine stille Hoffnung ist – ich möchte
sie gern laut äußern –, dass die Kommission ihrer Ver-
antwortung auf andere Art und Weise gerecht wird. Es
reicht nicht, 27 Kommissarinnen und Kommissare zu
haben, die für 27 verschiedene Ressorts zuständig sind.
Es wäre gut, wenn einer oder zwei von ihnen ständig in
Südosteuropa sind. Der Erfolg dieses Beitrittsprozesses
ist für das Gelingen der Europäischen Gemeinschaft auf
mittlere Sicht nämlich das Wichtigste. Daher müssen wir
dort sowohl mit Personen als auch mit Mitteln und vie-
len Projekten in ganz anderer Weise präsent sein, als es
bisher der Fall ist, um den Menschen zu zeigen: Der
Weg nach Europa bedeutet Fortschritt und ist nicht mit
neuen Schlaglöchern gepflastert.

Der Bereich Nachbarschaftspolitik ist natürlich etwas
schwieriger. Es ist gut, dass wir über das Positionspapier
der Grünen diskutieren. Es ist klar: Die Staaten im Vor-
deren Orient oder in Nordafrika haben nach unserem
Verständnis keine europäische Beitrittsperspektive, weil
sie keine europäischen Staaten sind.


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: So ist es!)


Wir müssen die Formen der Zusammenarbeit mit diesen
Staaten – die Projekte, die wir entwickeln, und die Ver-
einbarungen, die wir treffen – so gestalten, dass sie für
diese Länder attraktiv sind, eine Innovation darstellen
und nicht nur „business as usual“ sind.

Was die andere Seite, die europäischen Beitrittsaspi-
ranten, angeht, ist es vielleicht noch ein wenig wichtiger,
über Prioritäten zu sprechen. Es wird darauf ankommen,
dass wir helfen, die dort manchmal ganz schwierigen
Ausprägungen alter Strukturen in Richtung Demokratie
zu überwinden. Wir haben dabei vier Punkte im Auge,
die ich hier noch einmal deutlich machen möchte:

Wir brauchen in diesen Bereichen Vereinbarungen
über eine wirtschaftliche Entwicklung. Wir brauchen
Regelungen, insbesondere was Energie anbelangt. Wir






(A) (C)



(B) (D)


Axel Schäfer (Bochum)

müssen natürlich die Mobilität von Menschen fördern.
Wir müssen versuchen, Nachhaltigkeit im Umweltbe-
reich zu unterstützen. Das sind die wesentlichen Ele-
mente dieser Strategie. Wie wir wissen, haben wir uns
mit dem neuen Reformvertrag, den wir ratifizieren wol-
len, dazu verpflichtet, die Nachbarschaftspolitik zu einer
wichtigen europäischen Aufgabe zu machen.

Die Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/
Die Grünen haben hier dankenswerterweise einen sehr
umfangreichen Antrag vorgelegt.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nicht umfangreich, sondern gut! – Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


An diesem Antrag werden wir uns in Zukunft, lieber
Jürgen Trittin, sicherlich abarbeiten, auch in Diskussio-
nen. Es ist völlig klar: Zum Schluss werden wir eine Ent-
scheidung treffen. Auch ich als Sprecher der Arbeits-
gruppe „Angelegenheiten der Europäischen Union“ der
sozialdemokratischen Fraktion werde daran mitarbeiten,
dass in diesem Parlament eine tragfähige und breite
Grundlage zustande kommt. Dem Antrag heute zuzu-
stimmen, halte ich aufgrund der gegenwärtigen Situation
nicht für richtig. Aber es ist wichtig, dass wir die Dis-
kussion heute wie vereinbart führen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612327900

Wir nehmen die Rede des Kollegen Michael Link für

die FDP-Fraktion zu Protokoll1). Das Wort hat der Kol-
lege Dr. Stephan Eisel für die Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Stephan Eisel (CDU):
Rede ID: ID1612328000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Wir debattieren über die eu-
ropäische Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik auf-
grund eines Antrages der Grünen. In diesem Antrag der
Grünen sind viele bedenkenswerte Überlegungen enthal-
ten. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen,
er hat drei entscheidende Schwächen. Diese entschei-
denden Schwächen beschreiben zugleich die Herausfor-
derungen an die europäische Politik.

Erstens. Wir befinden uns in einer Phase, in der die
Vertiefung und die Konsolidierung in der Europäischen
Union Vorrang vor der Erweiterung haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Umsetzung des europäischen Reformvertrages – nicht
nur die Ratifizierung – hat jetzt Priorität. Denn wenn die
Europäische Union intern nicht handlungsfähig ist und
bleibt, kann sie die anstehenden Probleme nicht lösen.
Im Übrigen bleibt sie dann auch nicht attraktiv für die
Nachbarn. Die Europäische Union muss stark und intern

1) Anlage 17
handlungsfähig als Vorraussetzung für ihre Erweiterung
bleiben.

Die zweite Schwäche bezieht sich auf die Erweite-
rungspolitik an sich. Diesbezüglich müssen wir überle-
gen, ob wir noch die richtige Grundhaltung verfolgen.
Wir haben eine Situation, in der die Europäische Union
den Aspiranten eine To-do-Liste vorlegt, die abgearbei-
tet werden muss, um Mitglied der Europäischen Union
zu werden. Dadurch geraten wir leicht in eine Situation,
in der Reformen in den entsprechenden Ländern nicht
um ihrer selbst willen durchgeführt werden, sondern nur
wegen der Anforderungen der Europäischen Union. So
entstehen keine nachhaltigen Reformen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da kann man einmal die Beispiele Ungarn, Tschechi-
sche Republik und Polen heranziehen. Die Menschen
dort haben die Demokratie um ihrer selbst willen einge-
führt und nicht deswegen, weil sie eine To-do-Liste be-
kamen. Daraus hat sich dann der Beitrittsanspruch erge-
ben.

In dieser Woche hat uns die Europäische Kommission
Fortschrittsberichte vorgelegt, in denen über alle Länder
mit viel Skepsis hinsichtlich der Glaubwürdigkeit und
Nachhaltigkeit der Reformen berichtet wird. Wenn wir
diese Fortschrittsberichte ernst nehmen, dann müssen
wir Wert darauf legen, dass Reformen nicht nur durchge-
führt werden, weil die Europäische Union dies als Bei-
trittsvoraussetzung fordert, sondern weil die Reformen
in den Ländern selbst von der Bevölkerung nachhaltig
getragen werden. Ich sage das insbesondere mit Blick
auf die Türkei.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der dritte Punkt, der uns in der Europapolitik be-
schäftigt und im Antrag der Grünen nicht schlüssig be-
handelt wird, betrifft die europäische Nachbarschaftspo-
litik. Im EU-Vertrag steht ganz klar, dass jeder
europäische Staat das Recht hat, einen Antrag auf Mit-
gliedschaft zu stellen. Wir kommen nicht darum herum,
die Frage zu beantworten, was denn ein europäischer
Staat ist. Es gehört auch die geografische Komponente
dazu. Aber wir haben auch die Verpflichtung, dass mit
denjenigen, die nicht in eine Beitrittssituation kommen
werden, eine gute Nachbarschaftspolitik betrieben wird.

Aber das ist eine zweiseitige Angelegenheit. Auch
das will ich an einem Beispiel deutlich machen: an dem
besonderen Verhältnis zu Russland. Ich sage in aller
Deutlichkeit, dass das, was in diesem Bereich vonseiten
Russlands zurzeit passiert, keine gute Nachbarschaftspo-
litik ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich nenne nur die Stichworte „Rindfleisch und Polen“
sowie „Lufthansa und Überflugrechte“. Ich habe aber
auch keinerlei Verständnis für das Verhalten des rhein-
land-pfälzischen Ministerpräsidenten, der eine gemein-
same Reaktion der Europäischen Union auf das Verhal-
ten Russlands in Bezug auf die Überflugrechte zunichte
gemacht hat. Ich habe dafür kein Verständnis.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Stephan Eisel

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Herr Kollege Trittin, ganz ruhig bleiben!


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich stimme Ihnen zu!)


– Wenn Sie mir zustimmen, ist das eine erfreuliche An-
gelegenheit.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das weiß man nie so genau!)


Ihre Zustimmung wird im Protokoll aufgenommen.

Ich will noch ein drittes Beispiel nennen. Wenn Russ-
land jetzt einseitig die Importzölle auf finnisches Roh-
holz in völlig unangemessener Weise erhöht, ist auch das
keine gute Nachbarschaftspolitik.

Unser europapolitischer Kurs muss klar sein: Vertie-
fung als Voraussetzung und vor Erweiterung, Erweite-
rung aufgrund selbsttragender Reformen und Nachbar-
schaftspolitik auch als eine Anforderung an die
Nachbarn im Verhalten gegenüber uns in der Europäi-
schen Union.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612328100

Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege

Dr. Keskin das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612328200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Jedes Mitglied des Deutschen Bundestages wird
wohl den Antragstellern zustimmen, wenn sie die Erwei-
terungspolitik der Europäischen Union als eine Erfolgs-
geschichte bezeichnen, die die historische Teilung Euro-
pas aufgehoben hat. Alle Erweiterungsrunden der EU
haben in der Tat maßgeblich mit zu den friedlichsten
Jahrzehnten in der Geschichte des Kontinents beigetra-
gen. Der Fraktion Die Linke ist aber genauso wichtig,
dass bei der Erweiterung der EU auch die soziale Di-
mension berücksichtigt wird.

Ich kann mich durchaus mit einigen der im Antrag
aufgeführten konkreten Forderungen an die künftige Er-
weiterungs- und Nachbarschaftspolitik der EU identifi-
zieren. Die Fraktion Die Linke unterstützt die Förderung
regionaler Kooperationen und einen generellen Verzicht
auf die Festlegung von Beitrittsdaten. Auch wir unter-
stützen mit Nachdruck, wie die Antragsteller, die Wie-
dervereinigung Zyperns unter der Schirmherrschaft der
UNO.

Jedoch müssen auch einige kritische Anmerkungen
gestattet sein. So wird die Osterweiterung von den An-
tragstellern schlichtweg idealisiert: Sie habe zur Trans-
formation der Staaten Süd-, Mittel- und Osteuropas in
stabile Demokratien und funktionierende Marktwirt-
schaften beigetragen. In diesem Zusammenhang wird
von mehr Wachstum gesprochen. Hierbei ist aber ganz
entscheidend, wem dieses Wachstum zugute kommt. So
ist etwa der Anstieg des deutschen Exportwachstums im
Zuge der Erweiterung zwar eine erfreuliche Tatsache.
Aber wenn bei den deutschen Arbeitnehmern hiervon
nur wenig ankommt und sich die Lebenshaltungskosten
in den neuen Mitgliedstaaten drastisch erhöhen, ist es of-
fenkundig, dass nur der Reichtum weniger Betroffener
gesteigert wird.

Zwar wird in diesem Antrag im Teil zur Nachbar-
schaftspolitik das Ziel benannt, die Armut zu verringern
und einen gemeinsamen Raum des Wohlstands zu schaf-
fen. Die Frage, mit welchen Maßnahmen und mit wel-
chen Mitteln dieses Ziel zu erreichen sei, bleibt aber un-
beantwortet. Europäische Nachbarschaftspolitik darf
nicht darauf begrenzt sein, lediglich Hürden für die wirt-
schaftliche Zusammenarbeit aus dem Weg zu räumen,
damit Großkonzerne möglichst große Profite erlangen.

Die Linke stellt sowohl in den EU-Staaten als auch in
den Nachbarstaaten der EU die soziale Komponente in
den Mittelpunkt ihrer Europapolitik. Nicht die Interessen
der Großkonzerne müssen im Zentrum europäischer
Nachbarschaftspolitik stehen, sondern die Bekämpfung
der Armut und die Schaffung von Wohlstand für mög-
lichst breite Teile der Bevölkerung.

Die Linke fordert eine gleichberechtigte europäische
Nachbarschaftspolitik, bei der unsere Nachbarstaaten
nicht bevormundet werden sollen, sondern miteinander
reden dürfen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612328300

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-

lege Jürgen Trittin das Wort.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612328400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha-

ben einen Antrag vorgelegt, mit dem wir die Bundesre-
gierung aufgefordert haben, das Konzept einer europäi-
schen Nachbarschaftspolitik weiterzuentwickeln, eine
EU-Zentralasien-Politik auszuformulieren und sich mit
Nachdruck um das Partnerschafts- und Kooperationsab-
kommen mit Russland zu kümmern.

Als ich die Rede des Kollegen Schäfer hörte, konnte
ich nicht verstehen, warum die SPD-Fraktion heute un-
seren Antrag ablehnen möchte. Das meiste, was Sie,
Herr Schäfer, gesagt haben, steht in unserem Antrag.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nebelwerferreden!)


Ich habe es aber verstanden, als ich Herrn Eisel gehört
habe. Ich finde, es ist eine interessante Kontroverse, die
sich hier innerhalb der Großen Koalition auftut. Weil Sie
sich nicht einig sind, müssen Sie sich jetzt darauf ver-
ständigen, unseren Antrag abzulehnen.

In Bezug auf Russland habe ich mir natürlich die
Frage gestellt, warum ein Bundesverkehrsminister






(A) (C)



(B) (D)


Jürgen Trittin
gleich klein beigeben musste, nur weil ein Ministerpräsi-
dent anruft. Das war falsch.

Wichtiger ist mir aber, dass hier ein Gegensatz zwi-
schen Vertiefung und Erweiterung hergestellt wird. Das
war schon vor zehn Jahren falsch; das ist immer noch
falsch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte Ihnen erläutern, warum das falsch ist. Es
wird hier so getan, als ob es Gegensätze gäbe. Dabei be-
finden wir uns in der Situation, dass wir gleichzeitig bei-
des – Vertiefung und Erweiterung – vorantreiben müs-
sen. Die Europäische Union hat beides getan.

Sicherlich war es richtig – Herr Eisel, auch Sie haben
das gesagt –, dass die polnische Gesellschaft darauf ge-
drängt hat, Bestandteil der westlichen Gemeinschaft, der
NATO und der Europäischen Union, zu werden, dass sie
für Demokratie gestritten hat.


(Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Um eine Diktatur loszuwerden!)


Glauben Sie aber im Ernst, dass die polnische Gesell-
schaft ohne die Beitrittsperspektive etwa die Grundre-
geln des europäischen Umweltrechts übernommen
hätte? Nein, das hätte sie nicht getan. Die polnische Ge-
sellschaft wollte Bestandteil der Europäischen Union
sein, weil diese Union eine Gemeinschaft von Demokra-
ten ist. Dies hat sie dazu gebracht, den Weg der Vertie-
fung im eigenen Land zu gehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt kann man immer nach der Endlichkeit des Pro-
zesses fragen. Ich glaube, wenn man Vertiefung und Er-
weiterung getrennt voneinander diskutiert, dann beraubt
man die Europäische Union ihrer Kernidee. Die Kern-
idee der Europäischen Union war, auf diesem Kontinent
Krieg unmöglich zu machen. Diese Friedensidee macht
den Kern der Europäischen Union aus.


(Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Eine Freiheitsidee!)


Wenn Sie sagen, dieser Gründungsimpetus sei über-
flüssig geworden, dann sage ich Ihnen: Schauen Sie
doch einmal nach Georgien. Schauen Sie, was dort, di-
rekt vor unserer Haustür, gerade passiert. Aus einem re-
gionalen Konflikt, einem Konflikt regionaler Minderhei-
ten, mit einem unbequemen Nachbarn, der sich in dieser
Frage außerordentlich falsch verhält, entstehen plötzlich
Massenproteste gegen eine Bewegung, die über Massen-
proteste an die Macht gekommen ist; die Machthaber
wissen sich nicht besser zu helfen, als zu diktatorischen
Mitteln zu greifen und den Ausnahmezustand auszuru-
fen.

Wenn Sie von der Union diese Logik fortsetzen und
sagen, dass solche Gesellschaften keine grundsätzliche
Beitrittsperspektive erhalten sollen, dann geben Sie die
Idee der friedensstiftenden Funktion der Europäischen
Union auf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Das ist aber Quatsch!)


Deshalb finde ich Ihren Ansatz so gefährlich. Mit Ihrer
Haltung verabschieden Sie sich von dem Koalitionsver-
trag, der vorsah, der Türkei eine Beitrittsperspektive zu
geben, ohne zu wissen, wo das endet. Aber es gibt diese
Beitrittsperspektive, weil sie als ein Schritt gilt, die Tür-
kei zu demokratisieren und Europa ein Stück friedlicher
und demokratischer zu machen.

Wer heute sagt, es solle keine Erweiterung, sondern
nur eine Vertiefung geben, wird die Europäische Union
des Kerns ihrer Grundidee berauben. Deswegen ist es
falsch, wenn Sie heute unseren Antrag ablehnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612328500

Für die Unionsfraktion hat der Kollege Thomas

Silberhorn das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1612328600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Niemand in der Großen Koalition diskutiert über das
Thema der Vertiefung und der Erweiterung der Europäi-
schen Union, indem er dies als einen Gegensatz ansieht.
Nur, nach der Debatte, die wir in den letzten Jahren über
den Verfassungsvertrag und jetzt über den Vertrag von
Lissabon geführt haben, wird man einsehen müssen,
dass die Erweiterung wohl kaum ein Weg zu mehr Ver-
tiefung sein kann, dass aber umgekehrt die Vertiefung
der europäischen Integration ein Weg dazu ist, in der Eu-
ropäischen Union wieder erweiterungsfähig zu werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deswegen handelt es sich bei dem Thema der Vertiefung
und der Erweiterung nicht um einen Gegensatz, sondern
schlicht um eine Frage der Prioritätensetzung.

Jetzt geht es darum, dass wir den Vertrag von Lissa-
bon, der demnächst unterzeichnet werden soll und ratifi-
ziert werden muss, tatsächlich mit Leben erfüllen, dass
die Europäische Union die neuen Kompetenzen, die ihr
darin übertragen werden, kraftvoll wahrnimmt, dass wir
aber gleichzeitig dem Subsidiaritätsprinzip zum Durch-
bruch verhelfen, das in diesem Vertragstext verschärft
wird und das in die Kontrolle der nationalen Parlamente
gelegt wird. Wir müssen doch sehen, dass wir in einer
Europäischen Union von 27 Mitgliedstaaten eine wach-
sende Heterogenität und eine zunehmende Betonung na-
tionaler und regionaler Interessen zu verzeichnen haben.
Deswegen tut es jetzt not, dass wir mit dem Vertrag von
Lissabon die Balance zwischen der Europäischen Union
und den Mitgliedstaaten neu austarieren. Das ist eine Vo-
raussetzung dafür, dass die Europäische Union wieder
erweiterungsfähig wird. Deswegen brauchen wir jetzt
eine Phase der Konsolidierung.

Was die Beitrittskandidaten bzw. die Staaten angeht,
die Assoziationsabkommen mit der Europäischen Union
abschließen wollen, sind uns diese Woche die Fort-






(A) (C)



(B) (D)


Thomas Silberhorn
schritts- und Monitoringberichte vorgelegt worden – mit
ernüchternden Ergebnissen. Der Stand der Reformen
bleibt in nahezu allen Staaten weit hinter den Erwartun-
gen zurück. Die Reformen sind zu langsam, zu ober-
flächlich und zu wenig substanziiert.

Deswegen muss man hier schon einfordern, dass
diese Staaten auch den politischen Willen aufbringen,
aus eigener Kraft zu reformieren, eigene Anstrengungen
zu unternehmen. Es ist nicht ausreichend, dass die Kom-
mission mit Vorleistungen reagiert. Die vielen Vorleis-
tungen, die schon erbracht worden sind, haben ganz of-
fenkundig nicht die gewünschten Anreize gesetzt,
sondern ganz im Gegenteil vielleicht sogar dazu beige-
tragen, dass die Reformanstrengungen auf breiter Front
erlahmt sind. Deswegen trägt die Kommission eine ge-
wisse Mitverantwortung dafür, dass es in diesen Staaten
zu Stagnation gekommen ist. Es genügt eben nicht, nur
Defizite festzustellen und dann keine Konsequenzen da-
raus zu ziehen.

Wir müssen, so meine ich, weniger Nachsicht üben
und mehr darauf dringen, dass unsere Nachbarstaaten
ihre Hausaufgaben erledigen. Dass wir nicht weiter poli-
tische Rabatte gewähren, ist eine Forderung, um unsere
Glaubwürdigkeit in der Erweiterungspolitik zu erhalten;
denn die Rabatte, die in der Vergangenheit gewährt wor-
den sind – ich will die entsprechenden Staaten nicht nen-
nen –, beschäftigen uns bis heute. Das zeigt uns, dass die
Glaubwürdigkeit der Verhandlungsstrategie der Kom-
mission im Rahmen der Erweiterungspolitik zu wün-
schen übrig lässt.

Lassen Sie mich zur Nachbarschaftspolitik nur sagen:
Ich unterstütze das Anliegen, das in dem Antrag der
Grünen zum Ausdruck kommt, dass wir stärker zwi-
schen Staaten im Süden und im Osten der Europäischen
Union differenzieren müssen, aber nicht im Sinne eines
Antagonismus zwischen südlichen Anrainern und östli-
chen Anrainern, sondern deswegen, weil wir den spezifi-
schen Interessen der jeweiligen Staaten besser gerecht
werden müssen. Dabei müssen wir darauf achten, dass
wir die Staaten im Süden der Europäischen Union, die
keine Beitrittsperspektive haben, noch enger an uns bin-
den. Der Barcelona-Prozess ist bei weitem nicht so weit
gediehen, wie wir uns das wünschen würden. Ich halte
allerdings auch die Idee einer Mittelmeerunion für nicht
gerade überzeugend. Das ist eine Duplizierung des Bar-
celona-Prozesses mit Vorschlägen für die Schaffung vie-
ler neuer Einrichtungen, deren Sinn sich nicht auf den
ersten Blick erschließt.

Ich glaube, wir sollten im Gegenteil darauf achten,
dass wir den Barcelona-Prozess wiederbeleben. Das ist
eine Aufgabe der ganzen Europäischen Union.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schließen:
Wenn ich von einer Phase der Konsolidierung spreche,
dann bedeutet das nicht, dass wir in der Europäischen
Union in der Frage der Nachbarschafts- und Erweite-
rungspolitik nichts tun sollten. Das bedeutet vielmehr,
dass wir konsolidieren und ein stabiles Fundament in un-
seren Beziehungen zu unseren Nachbarstaaten herstel-
len, damit wir darauf langfristig aufbauen können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612328700

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für die Angelegenheiten der Europäischen
Union zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen mit dem Titel „Die Erweiterungs- und Nachbar-
schaftspolitik der Europäischen Union weiterentwik-
keln“.

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/6977, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5425 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Dann ist
die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss)


– zu der Verordnung der Bundesregierung

Fünfte Verordnung zur Änderung der Ver-
packungsverordnung

– zu dem Antrag der Abgeordneten Horst
Meierhofer, Michael Kauch, Angelika
Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP

Verpackungsverordnung sachgerecht novel-
lieren – Weichen stellen für eine moderne
Abfall- und Verpackungswirtschaft in
Deutschland

– zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Weg vom Öl im Kunststoffbereich – Chance
der Novelle der Verpackungsverordnung
nutzen und mit Biokunststoffen echte Kreis-
läufe schließen

– Drucksachen 16/6400, 16/6487 Nr. 2.2,
16/6598, 16/3140, 16/6982 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Brand
Gerd Bollmann
Horst Meierhofer
Eva Bulling-Schröter
Sylvia Kotting-Uhl

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dazu






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Staats-
sekretär Michael Müller.

M
Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1612328800


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Manche
hier im Raum erinnern sich noch daran, wie wir Ende
der 80er-Jahre, Anfang der 90er-Jahre die Idee der
Kreislaufwirtschaft entwickelt haben. Diese Idee von da-
mals hat aus meiner Sicht heute eine noch größere Ak-
tualität. Denn wir werden in den nächsten Jahrzehnten
ganz ohne Zweifel immer deutlicher spüren, dass der in-
telligente und effiziente Umgang mit Energierohstoffen
und -materialien die Schlüsselfrage für wirtschaftlichen
Erfolg sein wird. Insofern waren wir mit der damaligen
Idee bereits Vorreiter. Ich will aber nicht verhehlen, dass
wir schon damals die eine oder andere Idee hätten wei-
terentwickeln können. Wir werden sie nun aber in der
Zukunft weiterentwickeln.

Die Idee der Verpackungsverordnung war ein wichti-
ger Einstieg in die Kreislaufwirtschaft. Heute sind wir
dabei, sie zu einer ressourcenschonenden Materialwirt-
schaft weiterzuentwickeln. – Übrigens sehe ich darin ei-
nen der wichtigen Märkte der Zukunft. Sie ist auch eine
wichtige Voraussetzung für die Leistungsfähigkeit unse-
rer Wirtschaft. Deshalb kann man diesen Weg nur wei-
tergehen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Auf diesem Fundament wird sich in der Zukunft die
nationale Umweltpolitik immer stärker aufbauen. Wir
sind dabei – wie Sie wissen – ein Vorbild, ein Pionier für
andere Länder. Wir haben in der Europäischen Union
und bei anderen Staaten mit unserer Rechtsetzung bis
heute wichtige Weichen gestellt. Jetzt geht es darum, auf
der einen Seite natürlich Schwachstellen zu suchen, aber
auf der anderen Seite vor allem an diesem Weg festzu-
halten und ihn weiterzuentwickeln.

Der Kern ist und bleibt: Wir wollen den Einsatz von
Materialien vom wirtschaftlichen Wachstum entkoppeln
und, soweit es geht, die Verwertungskaskaden steigern.
Das ist ein richtiger Ansatz, den wir in der Bundesrepu-
blik führend gemacht haben und den wir jetzt verstärken
müssen.

Mit der Verpackungsverordnung ist es uns gelungen,
den Einsatz von Verpackungsmaterial von der wirt-
schaftlichen Entwicklung zu entkoppeln. Wir haben da-
mit bei Verpackungsabfällen in der Bundesrepublik eine
wichtige Vorreiterrolle eingenommen. Das funktioniert
aber nur, wenn die stoffliche Verwertung immer hoch-
wertiger wird und die Materialkreisläufe dadurch ge-
schlossen werden.

Die Voraussetzung ist hierfür eine flächendeckende
haushaltsnahe Erfassung von Verkaufsverpackungen.
Wir haben in der Bundesrepublik in diesem Bereich eine
Menge geschafft – das darf man nicht vergessen –, weil
die Bürger bei diesem System mitmachen. Dafür müssen
wir auch einmal danken.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Im Übrigen ist die Verpackungsverordnung schon
deshalb wichtig, weil nach allen Umfragen das Umwelt-
bewusstsein in Deutschland sehr stark mit dem System
der Eigenbeteiligung in der Abfallwirtschaft zusammen-
hängt.

Ein Großteil des Umweltbewusstseins in unserem
Land ergibt sich aus der unmittelbaren Beteiligung, bei-
spielsweise beim getrennten Sammeln von Abfällen.
Deshalb darf dieser Weg nicht aufgegeben werden. Das
ist ein ganz wichtiger Aspekt, wenn es darum geht, das
Umweltbewusstsein in der Bevölkerung und das Be-
wusstsein für die persönliche Verantwortung für die Um-
welt zu stärken.

Weil das so ist, müssen wir alles tun, um die Tritt-
brettfahrerei zu beenden; darum geht es heute. Natürlich
können wir uns Weiterentwicklungen der Verpackungs-
verordnung vorstellen. Ohne Zweifel haben viele von
uns gute Ideen. Heute geht es aber primär darum, die
Trittbrettfahrer, die sich nicht an den Kosten beteiligen
und dadurch für Wettbewerbsverzerrungen sorgen, in die
Pflicht zu nehmen. Trittbrettfahrerei können wir nicht
akzeptieren; denn sie gefährdet letztlich die Erfassungs-
systeme.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb muss eine Novelle her. Die vorliegende No-
velle beinhaltet drei wichtige Punkte: erstens die Ver-
pflichtung, Verpackungen, die bei privaten Haushalten
anfallen, bei dualen Systemen zu lizenzieren, zweitens
die Vollständigkeitserklärung, um die notwendige Trans-
parenz zu schaffen und den Vollzug zu erleichtern, und
drittens die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen
den Kommunen und den dualen Systemen, um dadurch
auch den Wettbewerb zu verbessern. Dies sind aus mei-
ner Sicht wichtige Punkte, wenn es darum geht, das Sys-
tem zu stabilisieren. Jeder, der es weiterentwickeln will,
kann das nur dann tun, wenn wir es heute stabilisieren.
Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie, die Verordnung zu
akzeptieren.

Ich kann jetzt nicht sehr viel zu dem FDP-Antrag sa-
gen, obwohl Sie eine Reihe von Einwendungen gegen
dieses System vorgebracht haben. Ich möchte aber eine
Anmerkung machen: Wenn Sie hinsichtlich der Produkt-
verantwortung Regelungen wünschen, die über das hi-
nausgehen, was wir jetzt haben, entwickeln Sie diese Re-
gelungen! Wir werden sie vorurteilsfrei prüfen. In ande-
ren Punkten sind wir zwar anderer Auffassung, dies aber
halte auch ich für einen wichtigen Punkt. Wo immer es
möglich ist, die Produktverantwortung zu erweitern, ma-
chen wir das gerne. Sie müssen aber schon konkrete Vor-
schläge machen. Das, was bisher vorliegt, ist leider zu
allgemein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612328900

Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Horst

Meierhofer.


(Beifall bei der FDP)



Horst Meierhofer (FDP):
Rede ID: ID1612329000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Staatssekretär, es freut mich, dass Sie in unserem
Antrag auch etwas Positives gesehen haben und gesagt
haben, diese Sache wäre es wert, sie weiterzuverfolgen.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So hat er es nicht gesagt!)


– Das hat er ganz am Ende gesagt. So habe ich es jeden-
falls verstanden, auch wenn die Rede nicht sehr inhalts-
schwanger war.

Es geht darum, dass mit der Novelle zur Verpa-
ckungsverordnung, die jetzt vorliegt, eben nicht versucht
wird, den Wettbewerb zu garantieren; sie wird den Wett-
bewerb zwischen den verschiedenen Systemen, den
Selbstentsorgern auf der einen Seite und den dualen Sys-
temen auf der anderen Seite, vielmehr kaputt machen.
Sie wird nicht zu besseren ökologischen Ergebnissen
und vor allem nicht zu besseren ökonomischen Ergeb-
nissen führen.


(Beifall bei der FDP)


Da Sie diesen Punkt angesprochen haben, hätte es
mich gefreut, wenn Herr Gabriel anwesend gewesen
wäre. Man kann den Leuten nicht ihre lieb gewonnene
Mülltrennung wegnehmen, weil sie der Beweis dafür ist,
dass die Leute gelernt haben, wie man sich ökologisch
richtig verhält. Wenn man die Menschen wie ferngesteu-
erte oder dressierte kleine Püppchen behandelt, zeigt
man, dass man die Bevölkerung nicht so ernst nimmt,
wie es der Fall sein müsste.


(Beifall bei der FDP)


Es ist nämlich nicht so, dass jeder, der seinen Müll
trennt, damit automatisch einen Beitrag zum Umwelt-
schutz leistet. Das ist in den einzelnen Regionen
Deutschlands ganz unterschiedlich. In Neukölln kann
ich mit Mülltrennung nicht das bewirken, was ich im
Bayerischen Wald bewirken kann. Wir wissen, dass es
regionale Unterschiede gibt, weil die Menschen nicht
überall gleich gut trennen. Wenn in den Restmülltonnen
fast genauso viele Wertstoffe landen wie Restmüll in den
Wertstofftonnen, erreicht man gar nichts. Dann gaukelt
man den Leuten nur vor, sie täten etwas für den Umwelt-
schutz. Ob das realistisch ist oder nicht, ist dann egal.
Herr Gabriel hat das schön umschrieben: Tempolimit ist
wie Mülltrennung; nach dem Motto: Auch beim Tempo-
limit kann jeder Bürger zeigen, dass er ganz individuell
etwas zu tun vermag. Man muss aber fair bleiben: Die
Bedeutung für den Klimaschutz ist begrenzt. – Im Um-
kehrschluss heißt das, dass auch der Effekt der Mülltren-
nung begrenzt ist.


(Beifall bei der FDP)

Wenn man das weiß, ist es absurd, die Leute – ich muss
es leider so deutlich sagen – für dumm zu verkaufen.
Das finde ich nicht fair und nicht anständig.


(Beifall bei der FDP)


Es gibt aber auch Hoffnung, zum Beispiel im Wirt-
schaftsministerium. Der Staatssekretär Dr. Pfaffenbach
hat dazu gesagt:

Ich bin allerdings der Auffassung, dass die Rege-
lungen der Verpackungsverordnung grundlegend
überdacht werden müssen.


(Beifall bei der FDP – Marina Schuster [FDP]: Sehr richtig!)


Wenn nach 16 Jahren immer noch Unsicherheiten
bestehen, welche Verpackungen welcher Tonne zu-
zuordnen sind, stimmt etwas im System nicht.

Dann sagt er:

Letztlich sollte die Entsorgung grundsätzlich dem
Wettbewerb überlassen bleiben.

Das ist übrigens genau das Gegenteil dessen, was Sie mit
der Trennung zwischen neuen Systemen und Selbstent-
sorgern schaffen.

Neue Sortier- und Verwertungstechniken werfen zu-
dem die Frage auf, ob es nicht einfacher und billiger
geht. Die Antwort lautet: Ja, es kann einfacher und billi-
ger gehen. Aber das genaue Gegenteil geschieht.


(Beifall bei der FDP)


Das ist, glaube ich, nicht nur ein Schritt, um den jetzi-
gen Status quo und die haushaltsnahe Erfassung, für die
wir alle sind, zu retten. Man zementiert vielmehr einen
Zustand, der nicht so leicht umzukehren ist. Man hat
eben nicht die Möglichkeit, in einer bereits von allen er-
warteten sechsten Novelle der Verpackungsverordnung
– wie gut dieses System ist, zeigt sich, wenn man es je-
des oder jedes zweite Jahr novellieren muss – das zu er-
reichen, was man will. Das Gegenteil geschieht.

Auch Wirtschaftsminister Glos will den Grünen
Punkt abschaffen. Das steht beispielsweise im Capital.
Man fragt sich schon, wofür die Große Koalition und die
Bundesregierung stehen. Diese Geschichte hat man be-
reits vor zwei Wochen erlebt.


(Ulrich Kelber [SPD]: Er vergisst immer, was im Kabinett beschlossen wurde!)


– Vielleicht hat er einfach nur an der Stelle das Gehirn
eingeschaltet und festgestellt, dass seine Ideen besser
sind.


(Beifall bei der FDP)


Es ist leider schade – da gebe ich Ihnen recht, Herr Kol-
lege Kelber –, dass der Wirtschaftsminister so spät re-
agiert hat. Er ist, glaube ich, erst dann zum Zug gekom-
men, als er festgestellt hat, dass die Bäcker und ihre Bä-
ckertüten ein Problem darstellen. Da ist er vielleicht auf-
grund seines Hintergrunds als Müllermeister auf die Idee
gekommen, dass er hier unter Umständen etwas von sei-
nem Geschäft verlieren könnte. Vielleicht ist er deswe-






(A) (C)



(B) (D)


Horst Meierhofer
gen darauf gekommen; zumindest ist er auf die richtige
Idee gekommen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Wie hoch ist denn die Belastung durch die Bäckertüten?)


– Sie ist relativ gering.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sagen Sie die Zahl!)


– Sie können gern eine Zwischenfrage stellen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Nein!)


Ich zeige Ihnen, dass genau das das Zeichen dafür ist,
dass das System krank ist. Man muss eine unendliche
Zahl von Ausnahmetatbeständen schaffen, um vernünf-
tige Ideen umzusetzen. Mit Sahne beschmierte Papiertü-
ten sollten nicht in den gelben Sack oder ins Altpapier
geworfen werden. Das macht keinen Sinn, weder ökolo-
gisch noch ökonomisch. Aber jeder verlangt, ein grünes
Pünktchen darauf zu machen. Dann fühlen sich die
Leute gut.

Es macht überhaupt keinen Unterschied, ob ich ein
Plastikentchen oder eine Shampooflasche, die aus dem
gleichen Material hergestellt ist, in den gelben Sack hi-
neinwerfe. Doch auf der Shampooflasche ist der Grüne
Punkt, auf dem Pürzel des Plastikentchens vielleicht
nicht. Deswegen darf es auch nicht in den Sack. Wenn
die Leute es trotzdem machen, dann sagt man, es sei ein
intelligenter Fehlwurf.


(Heiterkeit bei der FDP – Zuruf von der CDU/ CSU: Das arme Entchen!)


Wer an der Stelle noch glaubt, dass es sich um ein
vernünftiges Konzept handelt, der sollte sich bitte den
Antrag der FDP durchlesen. Ich empfehle Ihnen allen,
ihn anzunehmen. Der Antrag der Grünen, Frau Maisch,
hat einige gute Ansätze. Er führt nur leider nicht zum
Ziel, da es an vielen Orten momentan noch keine grüne
Tonne gibt. Dort, wo es keine grüne Tonne gibt, wird das
Problem mit dem Biokunststoff leider auch nicht gelöst.
Ich kann Sie nur bitten, zur Vernunft zu kommen und ge-
gen Ihren eigenen Vorschlag zu stimmen.

Danke.


(Beifall bei der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612329100

Das Wort hat der Kollege Michael Brand für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michael Brand (CDU):
Rede ID: ID1612329200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Zunächst einmal möchte ich feststellen: Dass
wir zu so später Stunde über ein Thema sprechen, das
Millionen von Familien in privaten Haushalten und Hun-
derttausende von Betrieben und alle Kommunen in
Deutschland betrifft, das zeigt zum einen, dass der Deut-
sche Bundestag ein wirkliches Arbeitsparlament ist.
Zum anderen zeigt es die weitreichenden Folgen einer
Verordnung, die immer wieder die Gemüter erregt und
zu Diskussionen führt.
Ich will jetzt nicht nur auf die lustige Art und Weise
auf die erwähnten Plastikenten abstellen; denn dies ist
ein ernstes Thema, weil es einen Teil unseres täglichen
Lebens betrifft.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Die Verpackungsverordnung ist deshalb von so weitrei-
chender Bedeutung, weil jedes Kind von Schokolade bis
Spielzeug zunächst die Verpackung sieht und weil jede
Familie und jeder Single beim täglichen Einkauf mit
Verpackungen zu tun hat, die später einer ordentlichen
Verwertung zugeführt werden sollen und müssen.

Wir als CDU/CSU stehen zu der haushaltsnahen
Sammlung. Das tun wir aus guten Gründen. Erstens. Das
System ist ökologisch, weil es Ressourcen schont. Zwei-
tens. Es ist ökonomisch, vor allem dann, wenn Wettbe-
werb seine faire Chance hat. Drittens. Das System ist
bürgerfreundlich, wenn es in enger Abstimmung mit den
Kommunen den Bedürfnissen der Verbraucherinnen und
Verbraucher gerecht wird.

Die CDU/CSU hatte bereits im Dezember 2005 darauf
gedrängt, die Stabilisierung der haushaltsnahen Samm-
lung anzugehen. Nachdem Kollege Müller für die Bun-
desregierung dies im Ausschuss sehr befürwortet hatte,
gab es von seinem Kollegen Staatssekretär Machnig zu-
nächst widersprechende Verlautbarungen. Wir in der
Union waren jedenfalls überrascht und erfreut, dass der
Novellierungsprozess schlussendlich begonnen wurde.
Wir wissen auch um den Anteil der Umweltministerkon-
ferenz und der Länder, die hier wertvolle Hinweise gege-
ben haben.

Etwas bedauerlich hat sich die praktische Umsetzung
des Novellierungsverfahrens in puncto Offenheit und
Transparenz dargestellt. Sofern wir uns noch einmal mit
dieser oder einer nächsten Novelle befassen sollten,
wäre eine bessere Information des Parlaments sicher an-
gemessen. Auch das muss in dieser Beratung angespro-
chen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem Entsor-
gung und Verwertung von Verpackungen heute sowohl
im privaten Bereich der Haushalte als auch im gewerbli-
chen Bereich, zum Beispiel in Gaststätten, Krankenhäu-
sern und Kasernen, auf dem sehr grundlegenden Prinzip
der individuellen Produktverantwortung – Herr Staatsse-
kretär Müller, Sie haben es angesprochen – beruhen, hat
dieser Entwurf dieses Prinzip im Bereich der Verpa-
ckungsentsorgung gestrichen und an seine Stelle eine
Pflicht zur Beteiligung an dualen Systemen gesetzt.

Neben dieser faktischen Zwangsmitgliedschaft in ei-
nem der dualen Systeme hat der Entwurf eine weitere
Zwangsmitgliedschaft eingeführt, nämlich an der Stelle,
an der nun alle dualen Systeme gemeinsam die Aus-
schreibungen koordinieren sollen. Dass uns als Union
das Streichen der Produktverantwortung durch den Um-
weltminister umweltpolitisch schwerfällt, nachdem die
Vorgänger gerade dieses Prinzip hochgehalten haben, ist
sicher auch für den Koalitionspartner nachvollziehbar.
Die Auffassung, dass Zwangsmitgliedschaften nicht den






(A) (C)



(B) (D)


Michael Brand
allerbesten Lösungsansatz darstellen, teilen wir sicher
mit der SPD und den anderen Fraktionen des Hohen
Hauses.

Dennoch, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt:
Nachdem Bundesminister Gabriel nur in einem solchen
Systemwechsel die Stabilisierung der haushaltsnahen
Sammlung umsetzen will, folgen die Koalitionsfraktio-
nen dem verantwortlichen Minister. Alle in dieser Koali-
tion und viele darüber hinaus teilen den Grundsatz, dass
wir eine ökologisch verantwortungsvolle und ökono-
misch vernünftige Verpackungsentsorgung dauerhaft ga-
rantieren wollen.


(Beifall des Abg. Marco Bülow [SPD])


Nachdem zur Anhörung des Bundestages am
10. Oktober schriftlich und mündlich ernsthafte Beden-
ken am Entwurf geäußert wurden, haben wir uns in der
CDU/CSU zunächst noch einmal zu einer Absetzung der
Novelle von der Tagesordnung durchgerungen; Herr
Kollege Meierhofer hat das eben in seinem Beitrag ange-
sprochen. Es ging uns in den Gesprächen mit dem Koali-
tionspartner darum, sicherzustellen, die Novelle so
rechtssicher zu halten, dass uns – und mehr noch den
Bürgerinnen und Bürgern – nicht aufgrund rechtlicher
Risiken die haushaltsnahe Sammlung sozusagen um die
Ohren fliegt.

Nachdem uns die SPD gemeinsam mit den Beamten
von Minister Gabriel nochmals deutlich gemacht hat,
dass sie auch in Kenntnis der geäußerten Bedenken
keine Veranlassung für eine Änderung der Novelle sieht,
stimmen wir als CDU/CSU dieser Novelle heute zu.

Nun wird diese Novelle in den kommenden Wochen
nochmals auf Herz und Nieren geprüft werden, wenn die
ebenfalls mit großem Sachverstand ausgestatteten Län-
der mit dem Entwurf befasst sein werden. Vom Ergebnis
dieser Beratungen wird auch abhängen, ob diese Novelle
das Schicksal der Vorgänger erleben wird, nämlich an-
ders aus dem Bundesrat herauszukommen, als sie hi-
neingegangen waren. Insofern bleibt auch abzuwarten,
ob die optimistische Annahme aus dem Hause Gabriel
zutreffen wird, dass es keine nennenswerten Änderungs-
anträge zu diesem Entwurf geben werde. Ich will dazu-
sagen, dass wir diesbezüglich ganz unterschiedliche Si-
gnale hören.

Vor dem Hintergrund der sicherlich fortlaufenden
Diskussionen in den Ländern will ich für die CDU/CSU-
Fraktion gerne nochmals festhalten: Wir alle hier wollen
unseriöse Verrechnungen und den Missbrauch der dua-
len Systeme beenden. Auch das ist unter anderem ein
Grund für diese Novelle: Wir alle hier wollen, dass für
Leistungen gezahlt wird. Deshalb sind wir für die wei-
testmögliche Eindämmung von Trittbrettfahrern.

Das BMU hat dazu den Weg eines völligen System-
wechsels gewählt, und das ist als federführendes Ressort
sein gutes Recht. Bei einem solch einschneidenden Sys-
temwechsel mit einer Marktauswirkung von Hunderten
von Millionen Euro muss allerdings sehr sorgfältig da-
rauf geachtet werden, dass die daraus zwangsläufig ent-
stehende faktische Beendigung der bisher erstrangig vor-
gesehenen Selbstentsorgung rechtliche Probleme auf-
werfen kann, die nicht wir hier im Parlament
entscheiden werden: Dies werden im Streitfalle die Ge-
richte zu entscheiden haben, und deshalb legen wir als
CDU/CSU Wert auf die Feststellung, dass Bundesminis-
ter Gabriel auch in diesem Punkt so klar für diese No-
velle einsteht und die Verantwortung dafür übernimmt,
dass die haushaltsnahe Sammlung nicht zusammen-
bricht, weil die rechtlichen Risiken kontrollierbar seien.

Obwohl nun noch weitere Themen wie der Einbruch
der Mehrwegquote, die umstrittene Praxis der Handelsli-
zenzierung, die umstrittene Verrechnung von Pfandmen-
gen, die Umdeklarierung von Transportverpackungen,
die Missbräuche bei diätetischen Getränken außen vor
geblieben sind, so ist der Ansatz der Sicherung der haus-
haltsnahen Sammlung bei allen strittigen Details im An-
satz sehr zu begrüßen.

Allen Beteiligten war klar, dass die Reparatur der auf-
gerissenen Löcher auf dem ökologischen Weg der haus-
haltsnahen Sammlung mit dieser Novelle noch nicht
vollständig erledigt werden konnte. Dennoch sollte ver-
sucht werden, die bestehenden Löcher auf diesem Ent-
sorgungsweg zu reparieren. Sofern wir keine weiteren
Schlaglöcher aufgerissen haben, werden wir mit dieser
Novelle einen großen Teil unserer Ziele erreichen.

Die Union ist die Erfinderin der haushaltsnahen
Sammlung. Unser damaliger Umweltminister Töpfer
und seine Nachfolgerin, die heutige Bundeskanzlerin
Angela Merkel, haben diesen erfolgreichen Weg einge-
schlagen. Nun wollen wir die getrennte Sammlung in
den Haushalten fortsetzen. Wir werden auch weiterhin
alle Schritte, die zur Sicherung dieses guten Weges not-
wendig sind, unterstützen.

Ich danke Ihnen sehr herzlich für die Aufmerksam-
keit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612329300

Die Rede der Kollegin Eva Bulling-Schröter nehmen

wir zu Protokoll.1)

Das Wort hat die Kollegin Nicole Maisch für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1612329400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kollegen!

Nach dieser enthusiastischen Rede des Kollegen Brand
hat man als Rednerin der Opposition fast das Gefühl, gar
nicht mehr viel sagen zu müssen; denn Kritik wurde
schon aus Ihren eigenen Reihen geäußert.

Trotzdem will ich noch einige Worte zur Novelle der
Verpackungsverordnung sagen. Anfang der 90er-Jahre
– anders als Staatssekretär Müller erinnere ich mich
nicht mehr so genau daran – hat sich Deutschland als
Pionier auf den Weg von der Wegwerf- in die Kreislauf-
wirtschaft gemacht. Jetzt, 15 Jahre später, ist es höchste

1) Anlage 18






(A) (C)



(B) (D)


Nicole Maisch
Zeit, dieses System einer Revision zu unterziehen, da es
sich in seiner heutigen Form überlebt hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Kauch [FDP])


Eine ökologische Lenkungswirkung der Lizenzge-
bühren ist längst nicht mehr feststellbar. Im Gegenteil,
wenn man aufmerksam einkaufen geht, kann man beob-
achten, dass die Verpackungen wieder aufwendiger ge-
staltet werden und dass Produktverantwortung nicht als
Ressourcenschonung beim Produkt- und Verpackungs-
design verstanden wird, sondern dass das duale System
im Moment lediglich die Entrichtung einer Entsorgungs-
gebühr bedeutet. Das ist nicht unsere Vorstellung von
ökologischer Produktverantwortung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Den Bürgerinnen und Bürgern erschließt sich noch
immer nicht genau, was in die gelbe Tonne und in den
gelben Sack gehört. Als Beispiel nenne ich eine Kunst-
stoffflasche, die aus demselben Material wie eine Schüs-
sel besteht: Das eine ist eine Verpackung, das andere
nicht, das eine trägt den grünen Punkt, das andere nicht.
Mit gesundem Menschenverstand ist das nicht nachzu-
vollziehen.


(Beifall des Abg. Michael Kauch [FDP])


Die Lösung, die mit der Verpackungsverordnung gefun-
den wurde – sie besteht darin, das den Kommunen auf-
zubürden –, ist nicht nur nicht praktikabel, sondern auch
noch ungerecht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Kommunen haben dafür kein Geld und werden das
deshalb nicht in der Form, in der Sie es sich wünschen,
praktizieren.

Angesichts der ökologischen und ökonomischen
Schwierigkeiten bedauern wir, dass die Bundesregierung
die Verpackungsverordnung nicht grundlegend zu einer
Wertstoffabgabe weiterentwickelt, sondern versucht hat,
ein System zu reparieren, das in seiner derzeitigen Form
nicht zu reparieren ist. Die Fünfte Verordnung zur Ände-
rung der Verpackungsverordnung verhindert den Wett-
bewerb um ökologische Innovationen, bringt keinen
ökologischen Fortschritt und wird den Anforderungen
der Zukunft, vor allem bei der Rohstoffsicherung, nicht
gerecht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie verspielen die Chance, dass Deutschland bei der Ent-
wicklung einer nachhaltigen Ressourcenpolitik eine Vor-
reiterrolle einnimmt. Das ist enttäuschend.

Zum Antrag der FDP. Ich glaube, mit diesem Antrag
können wir für mehr Wettbewerb sorgen, allerdings nur
für mehr Wettbewerb um niedrigere Entsorgungskosten.
Das ist aber nur die halbe Miete. Wir brauchen auch ei-
nen Wettbewerb um die ökologisch beste Lösung, also
um die Lösung, die die Ressourcen am meisten schont.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben in unserem Antrag umfangreiche Vor-
schläge gemacht, wie wir in eine echte Kreislaufwirt-
schaft einsteigen könnten; ich empfehle Ihnen unseren
Antrag als Lektüre. Die Biokunststoffe sind ein erster
Schritt hin zu einer sinnvollen Kreislaufwirtschaft. Ich
glaube, dass die Novelle der Verpackungsverordnung all
das nicht leisten kann. Wir müssen weg vom grünen
Punkt und vom gelben Sack und hin zu einer echten
Rohstoff- bzw. Wertstoffabgabe, die die Firmen belohnt,
die ökologisch sinnvoll wirtschaften und so wenige Res-
sourcen wie möglich einsetzen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612329500

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Gerd

Bollmann das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gerd Bollmann (SPD):
Rede ID: ID1612329600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr

Meierhofer, bevor ich es vergesse: Die besagte Bäcker-
tüte für sechs Brötchen verursacht Kosten von
0,036 Cent, also pro Brötchen 0,006 Cent. Auch wieder
etwas dazugelernt!


(Ulrich Kelber [SPD]: Die Zahlen kannte der Meierhofer nicht!)


Verpackungsnovelle, die fünfte, und es wird sicher
nicht die letzte Novelle sein; denn – das sollte gesagt
werden – es handelt sich bei der fünften Novelle auch
um eine Reparaturnovelle, durch die Fehlentwicklungen
und Gefahren gebannt werden. Ziel ist, die getrennte
Haushaltssammlung zu sichern und eine bessere Kon-
trolle und Durchführbarkeit zu erreichen. Wir wollen
aber auch Zeit gewinnen für eine gründliche und vorur-
teilsfreie Prüfung der Regelungen und möglicher grund-
sätzlicher Änderungen.

Ich bin überzeugt, dass diese Novelle die genannten
Anforderungen im Grundsatz erfüllt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Hauptziel, die getrennte haushaltsnahe Erfassung
und Sammlung zu sichern, wird erreicht. Ich weiß, es
gibt Stimmen, die die getrennte Haushaltssammlung
grundsätzlich infrage stellen. In vielen Medienberichten
wird der Eindruck erweckt, dass eine mechanische Tren-
nung längst möglich und billiger sei. Diese Darstellun-
gen sind jedoch in ihrer Gesamtaussage falsch. Natürlich
kann Abfall maschinell getrennt werden, und für den
Abfall aus dem gelben Sack geschieht dies ja auch.

Aber wenn Abfall in einer einzigen Tonne gesammelt
wird, Verpackungen gemeinsam mit gebrauchten Win-
deln, Essensresten und anderen feuchten Abfällen, dann
funktioniert die mechanische Trennung in heutigen An-
lagen nicht mehr. Wir haben noch in der letzten Wahlpe-
riode, im Dezember 2004, eine Anhörung zu diesem






(A) (C)



(B) (D)


Gerd Bollmann
Thema gehabt. Alle Experten, die oben auf dem Podium
waren, haben – bis auf eine Ausnahme, nämlich die
Firma, die den entsprechenden Versuch in Nordrhein-
Westfalen gemacht hat – bestätigt, dass diese Verfahren
noch nicht so weit sind; dass die Restfeuchte einfach zu
stark ist, um eine mechanische Trennung durchzuführen.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Gut, dass das ausgesprochen wird!)


Es wäre ein erheblicher Rückschritt, das Vorhandene
abzuschaffen, während eine Alternative erst mühsam
aufgebaut werden muss. Eine solche Vorgehensweise
lehnen wir ab. Im Gegenteil, die Kreislaufwirtschaft
muss gestärkt werden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dabei haben wir schon viel erreicht. Ich will nur erwäh-
nen, dass die getrennte Erfassung von Altglas und Altpa-
pier flächendeckend funktioniert. Durch die stoffliche
Verwertung von Metallen, Glas, Papier und aus Erdöl
hergestellten Kunststoffen lässt sich erheblich mehr
Energie einsparen als durch die Verbrennung. Dies ist
auch die Meinung des BUND, und wir teilen diese Mei-
nung. Die getrennte Erfassung ist und bleibt ein wichti-
ger Beitrag zum Klimaschutz und zum effizienten Um-
gang mit Ressourcen.

Mit der jetzt vorgelegten Novelle stabilisieren wir das
vorhandene System und bekommen die Zeit, weiter ge-
hende Änderungen gründlich zu prüfen. Auch wir So-
zialdemokraten haben weiter gehende Vorstellungen im
Bereich der Abfallwirtschaft. Die Entsorgung und Samm-
lung des privaten Hausmülls gehört für uns zur Daseins-
vorsorge. Wir sind für eine Stärkung der kommunalen
Abfallwirtschaft und gegen weitere Privatisierungen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Josef Göppel [CDU/CSU])


Eine Ausschreibung der Sammlung für gebrauchte Ver-
kaufsverpackungen durch die Kommunen würden wir
begrüßen. Ebenfalls ist eine Zuständigkeit der Städte
und Kreise für die Sammlung überlegenswert. Aller-
dings – dies betone ich – darf dies im Gegensatz zu den
Vorstellungen, die andere geäußert haben, nicht zulasten
der Kommunen gehen. Die Herstellerverantwortung
muss erhalten bleiben. Eine Abwälzung der Sammlungs-
kosten auf die Bürger über Gebühren lehnen wir ab. Die
Position der Kommunen und damit der Bürger wird be-
reits mit der jetzigen Novelle verbessert. Es ist begrü-
ßenswert, dass die Abstimmungserklärungen klarer ge-
regelt werden und die Stellung von Sicherheitsleistungen
ausgeweitet wird. Die Kommunen werden vor der Ver-
gabe angehört; ebenso werden die kommunalen Spitzen-
verbände angehört. – Ich sehe, dass meine Zeit hier prak-
tisch abgelaufen ist.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612329700

Die Redezeit.


(Heiterkeit)


Gerd Bollmann (SPD):
Rede ID: ID1612329800

Deshalb vielleicht noch eines: Wir haben Zeit, Ände-

rungen gründlich zu prüfen. Zu diesem Zweck wird das
Umweltministerium ein Planspiel durchführen. Ich bin
dafür, alle weiter gehenden und jetzt umstrittenen Punkte
dann in Ruhe zu erörtern.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1612329900

Mit dieser interessanten Information schließe ich die

Aussprache.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)


Wir nehmen sechs Erklärungen nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung zu Protokoll1) und kommen zur Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 16/6982.

Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/6982, der Verord-
nung der Bundesregierung auf Drucksache 16/6400 zur
Änderung der Verpackungsverordnung zuzustimmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfrak-
tionen angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/6598 mit dem Titel: „Verpa-
ckungsverordnung sachgerecht novellieren – Weichen
stellen für eine moderne Abfall- und Verpackungswirt-
schaft in Deutschland“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthal-
tungen? – Damit ist diese Beschlussempfehlung
angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 sei-
ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 16/3140 mit dem Titel: „Weg vom Öl im Kunst-
stoffbereich – Chance der Novelle der Verpackungsver-
ordnung nutzen und mit Biokunststoffen echte Kreis-
läufe schließen“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Die Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist damit angenom-
men.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 d auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Zweiten Gesetzes zur Änderung des Regio-
nalisierungsgesetzes

1) Anlage 7






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
– Drucksache 16/6310 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung (15. Ausschuss)


– Drucksache 16/6975 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Patrick Döring


(8. Ausschuss)


– Drucksache 16/6991 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb
Dr. Frank Schmidt
Dr. Claudia Winterstein
Roland Claus
Anna Lührmann

b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter,
Peter Hettlich, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur effiziente-
ren Finanzierung des öffentlichen Nahver-
kehrs (Regionalisierungsreformgesetz)


– Drucksache 16/1435 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(15. Ausschuss)


– Drucksache 16/2807 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Enak Ferlemann

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Winfried Hermann, Peter
Hettlich, Dr. Anton Hofreiter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verwendung der Regionalisierungsmittel of-
fenlegen

– Drucksachen 16/652, 16/2807 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Enak Ferlemann

d) – Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Heidrun Bluhm, Katrin Kunert,
Dorothee Menzner, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Eisenbahnkreuzungsgesetzes

– Drucksache 16/4858 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung (15. Ausschuss)


– Drucksache 16/5771 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Georg Brunnhuber


(8. Ausschuss)


– Drucksache 16/5772 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb
Dr. Frank Schmidt
Dr. Claudia Winterstein
Roland Claus
Anna Lührmann

Wir nehmen die Reden des Kollegen Klaus Hofbauer
für die Unionsfraktion, des Kollegen Sören Bartol für
die SPD-Fraktion, des Kollegen Patrick Döring für die
FDP-Fraktion, der Kollegin Heidrun Bluhm für die
Fraktion Die Linke, des Kollegen Dr. Anton Hofreiter
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und des Parla-
mentarischen Staatssekretärs Achim Großmann zu Pro-
tokoll.1)

Tagesordnungspunkt 27 a. Wir kommen zur Abstim-
mung über den von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Re-
gionalisierungsgesetzes. Der Ausschuss für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/6975, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 16/6310 anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera-
tung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der
SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 27 b. Wir kommen nun zur Ab-
stimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen zur effizienteren Finanzierung des öf-
fentlichen Nahverkehrs. Der Ausschuss für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/2807, den Ge-
setzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/1435 abzulehnen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthal-
tungen? – Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer
Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 27 c: Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Verwendung der Re-

1) Anlage 19






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
gionalisierungsmittel offenlegen“. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/2807, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/652 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Ge-
genprobe! – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der
Fall. Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der
Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stim-
men der drei Oppositionsfraktionen angenommen.

Tagesordnungspunkt 27 d: Abstimmung über den Ge-
setzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des
Eisenbahnkreuzungsgesetzes. Der Ausschuss für Ver-
kehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5771, den Ge-
setzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache
16/4858 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist in zweiter Beratung gegen die Stimmen
der Antragsteller abgelehnt. Damit entfällt nach unserer
Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung der gesetzlichen Berichtspflich-
ten im Zuständigkeitsbereich des Bundesmi-
nisteriums für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz

– Drucksache 16/6737 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz (10. Ausschuss)


– Drucksache 16/6957 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Max Lehmer
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Kirsten Tackmann
Cornelia Behm

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Peter Bleser,
Ursula Heinen, Uda Carmen Freia Heller, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Wilhelm Priesmeier,
Volker Blumentritt, Dr. Gerhard Botz, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Neuordnung des Berichtswesens

– Drucksachen 16/5421, 16/6492 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Marlene Mortler
Dr. Wilhelm Priesmeier
Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Cornelia Behm
Wir nehmen die Beiträge des Kollegen Dr. Wilhelm
Priesmeier von der SPD-Fraktion, des Kollegen Hans-
Michael Goldmann von der FDP-Fraktion, der Kollegin
Dr. Kirsten Tackmann von der Fraktion Die Linke, der
Kollegin Cornelia Behm von der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen und der Parlamentarischen Staatssekretärin
Ursula Heinen zu Protokoll1) und kommen damit zur
Abstimmung über den von der Bundesregierung einge-
brachten Gesetzentwurf zur Änderung der gesetzlichen
Berichtspflichten im Zuständigkeitsbereich des Bundes-
ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/6957, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 16/6737 anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Die Gegenprobe! – Gibt
es Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und
der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion,
der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 29 b: Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD mit dem Titel
„Neuordnung des Berichtswesens“. Der Ausschuss emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/6492, den Antrag der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD auf Drucksache 16/5421 anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Ge-
genprobe! – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der
Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes
und anderer Vorschriften des Sozialen Ent-
schädigungsrechts

– Drucksache 16/6541 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)


– Drucksache 16/6985 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Jörg Rohde

Wir nehmen die Beiträge des Kollegen Max
Straubinger von der Unionsfraktion, des Kollegen Anton
Schaaf von der SPD-Fraktion, des Kollegen Jörg Rohde
von der FDP-Fraktion, des Kollegen Volker Schneider
von der Fraktion Die Linke und des Kollegen Markus

1) Anlage 20






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau

Kurth von der Fraktion Bün
tokoll1) und kommen zur Ab
Bundesregierung eingebrach
derung des Bundesversorg
Vorschriften des Sozialen En

Der Ausschuss für Arbe
seiner Beschlussempfehlun
den Gesetzentwurf der Bu

r Fraktion BÜNDNIS 90/

chnikfreier Fütterung bei
ermöglichen



andwirtschaft und
sache 16/6541 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Die
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-
Fraktion und der FDP-Fraktion bei Enthaltung der Frak-
tion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkt 32 a und 32 b sowie
die Zusatzpunkte 9 und 10 auf:

32 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur
Änderung des Gentechnikgesetzes

– Drucksache 16/6814 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des EG-Gentechnik-Durchführungs-
gesetzes

– Drucksache 16/6557 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer

1) Anlage 21

Bericht
122. Sitzung, Seite 1253

zweite Satz ist wie folgt zu
wir eine GWB-Novelle, die
dass diese Marktmacht jetz
hochzutreiben.“
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Schutz von Mensch, Umwelt und gentechnik-
freier Produktion im Gentechnikrecht bewah-
ren

– Drucksache 16/6943 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Wir nehmen den Beitrag des Kollegen Dr. Max
Lehmer für die Unionsfraktion, der Kollegin Eva
Drobinski-Weiß für die SPD-Fraktion, der Kollegin
Dr. Christel Happach-Kasan für die FDP-Fraktion, der
Kollegin Dr. Kirsten Tackmann für die Fraktion Die
Linke und der Kollegin Ulrike Höfken für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen zu Protokoll.2)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/6814, 16/6557, 16/6944 und 16/6943
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? –
Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 9. November 2007,
9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.