2) Anlage 22
        igung
        7 (D), letzter Absatz, der
        lesen: „Deswegen machen
        genau das verhindern soll,
        t benutzt wird, um Preise
        dnis 90/Die Grünen zu Pro-
        stimmung über den von der
        ten Gesetzentwurf zur Än-
        ungsgesetzes und anderer
        tschädigungsrechts.
        it und Soziales empfiehlt in
        g auf Drucksache 16/6985,
        ndesregierung auf Druck-
        Abgeordneter und de
        DIE GRÜNEN
        Kennzeichnung gente
        tierischen Produkten
        – Drucksache 16/6944
        Überweisungsvorschlag:
        Ausschuss für Ernährung, L
        Verbraucherschutz (f)
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12885
        (A) (C)
        (B) (D)
        Wieczorek-Zeul, SPD 08.11.2007
        nicht nur rund 400 000 zuschussberechtigte Landwirte
        am Bundeszuschuss partizipieren würden, sondern alleHeidemarie
        die von Verbänden und Trägern erstellt wurden und die
        Gegenstand einer Anhörung waren, der Bundeszuschuss
        als Einnahmeposten in das Lastenausgleichsverfahren
        eingebracht. Das hätte zur Folge, dass – anders als bisher –
        Thönnes, Franz SPD 08.11.2007
        Wicklein, Andrea SPD 08.11.2007
        Anlage 1
        Liste der entschuldi
        Abgeordnete(r)
        entschuldigt bis
        einschließlich
        Dr. Akgün, Lale SPD 08.11.2007
        Amann, Gregor SPD 08.11.2007
        Andres, Gerd SPD 08.11.2007
        Beckmeyer, Uwe SPD 08.11.2007
        Bismarck, Carl-Eduard
        von
        CDU/CSU 08.11.2007
        Connemann, Gitta CDU/CSU 08.11.2007
        Dreibus, Werner DIE LINKE 08.11.2007
        Ernst, Klaus DIE LINKE 08.11.2007
        Höfken, Ulrike BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        08.11.2007
        Irber, Brunhilde SPD 08.11.2007
        Knoche, Monika DIE LINKE 08.11.2007
        Kotting-Uhl, Sylvia BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        08.11.2007
        Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        08.11.2007
        Kunert, Katrin DIE LINKE 08.11.2007
        Dr. Lauterbach, Karl SPD 08.11.2007
        Müntefering, Franz SPD 08.11.2007
        Nitzsche, Henry fraktionslos 08.11.2007
        Reichenbach, Gerold SPD 08.11.2007
        Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        08.11.2007
        Dr. Seifert, Ilja DIE LINKE 08.11.2007
        Strothmann, Lena CDU/CSU 08.11.2007
        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        gten Abgeordneten
        Anlage 2
        Erklärung nach § 31 GO
        des Abgeordneten Klaus Brähmig (CDU/CSU)
        zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset-
        zes zur Modernisierung des Rechts der land-
        wirtschaftlichen Sozialversicherung (LSVMG)
        (Tagesordnungspunkt 15)
        Dem von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
        wurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der
        landwirtschaftlichen Sozialversicherung werde ich zu-
        stimmen.
        Es sind dringende Anpassungen vorzunehmen, um
        das System der agrarsozialen Sicherungen zukunftsfest
        zu gestalten. Trotz der 3,65 Milliarden Euro, mit denen
        der Bund die LSV im Jahre 2006 unterstützte, klagen die
        Versicherten über eine zu hohe Beitragsbelastung. Der
        Bundesrechnungshof stellt fest, dass der Strukturwandel
        in der LSV unvermindert anhält, und die Zahl der akti-
        ven Versicherten und der landwirtschaftlichen Betriebe
        nimmt jedes Jahr ab. Des Weiteren wurden die Ziele der
        Organisationsreform des Jahres 2001 nicht erreicht, die
        LSV arbeitet nicht wirksam und wirtschaftlich. Mit der
        Reform wurde ein tragfähiger Kompromiss gefunden,
        der es ermöglicht, die Zukunft der LSV zu vertretbaren
        Beiträgen zu sichern.
        Die Einführung und Ausgestaltung des Lastenaus-
        gleichs ist ein Kernelement dieser Reform. Auch wenn
        es auf den ersten Blick so scheint, dass die nord- und ost-
        deutschen landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften
        am stärksten davon betroffen sind, müssen dennoch alle
        Beteiligten in der Land- und Forstwirtschaft sowie im
        Gartenbau über den Lastenausgleich, von dem mittelfris-
        tig alle profitieren werden, innergemeinschaftliche Soli-
        darität im Berufsstand üben.
        Ferner wurde in einer Reihe von Modellrechnungen,
        Winkelmeier-Becker,
        Elisabeth
        CDU/CSU 08.11.2007
        Wolf (Frankfurt),
        Margareta
        BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        08.11.2007
        Abgeordnete(r)
        entschuldigt bis
        einschließlich
        12886 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        Beitragszahler der landwirtschaftlichen Unfallversiche-
        rung. Der ohnehin ab 2010 abgesenkte Bundeszuschuss
        müsste also auf eine sehr viel größer werdende Zahl Be-
        rechtigter verteilt werden. Für die Arbeitsgruppe Ernäh-
        rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz der CDU/
        CSU- und SPD-Bundestagsfraktion steht fest, dass zu-
        nächst der im Gesetz festgeschriebene Lastenausgleich
        ohne den Bundeszuschuss umgesetzt werden muss. Erst
        im Anschluss daran kommt es wie bisher zu einer Bei-
        tragssenkung für die zuschussberechtigten Landwirte
        durch die Gewährung des Bundeszuschusses, der auch
        weiterhin auf Basis der beitragsbelastbaren Ertragswerte
        errechnet werden soll und aus dem Beitragsbescheid er-
        sichtlich sein muss. Diesen Sachverhalt haben beide Ar-
        beitsgruppen in der Schlussberatung des Ausschusses
        Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz am
        Mittwoch, dem 7. November 2007, im Rahmen einer
        Protokollnotiz noch einmal herausgestellt.
        Damit es nicht zu übermäßigen Belastungen einzelner
        Regionen kommt, wurde ein Kompromiss gefunden, der
        vorsieht, dass ein Übergangszeitraum für die Jahre 2010
        bis 2014 festgelegt wird, in dem das Umlagevolumen
        schrittweise erhöht wird.
        Aufgrund dieses Kompromisses kann ich trotz meiner
        Bedenken diesem Gesetzentwurf zustimmen, da dadurch
        die Belastungen der Berufsgenossenschaften und Unter-
        nehmer in Nord- und Ostdeutschland auf ein angemesse-
        nes Niveau reduziert werden und die zukunftssichere
        Ausgestaltung der landwirtschaftlichen Sozialversiche-
        rungen mit stabilen Beiträgen erreicht wird. Vor allem
        zeigt der Kompromiss aber auch, dass die Solidarität des
        Berufsstandes noch funktioniert. Selbstverständlich wer-
        den sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages
        mit den Auswirkungen der befristeten Abfindungsaktion
        für Kleinrenten im Jahre 2010 noch einmal beschäftigen
        müssen, da von ihrer Inanspruchnahme der Erfolg der
        Reform der LSV abhängt.
        Anlage 3
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Dr. Peter Jahr, Katharina
        Landgraf und Volkmar Uwe Vogel (alle CDU/
        CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines
        Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der land-
        wirtschaftlichen Sozialversicherung (LSVMG)
        (Tagesordnungspunkt 15)
        Am Donnerstag, den 8. November, werde ich dem
        von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines
        Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der landwirt-
        schaftlichen Sozialversicherung zustimmen.
        Es sind dringende Anpassungen vorzunehmen, um
        das System der agrarsozialen Sicherungen zukunftsfest
        zu gestalten. Trotz der 3,65 Milliarden Euro, mit denen
        der Bund die LSV im Jahre 2006 unterstützte, klagen die
        Versicherten über eine zu hohe Beitragsbelastung. Der
        Bundesrechnungshof stellt fest, dass der Strukturwandel
        in der LSV unvermindert anhält und die Zahl der aktiven
        Versicherten und der landwirtschaftlichen Betriebe jedes
        Jahr abnimmt. Des Weiteren wurden die Ziele der Orga-
        nisationsreform des Jahres 2001 nicht erreicht; die LSV
        arbeitet nicht wirksam und wirtschaftlich.
        Mit der Reform wurde ein tragfähiger Kompromiss
        gefunden, der es ermöglicht, die Zukunft der LSV zu
        vertretbaren Beiträgen, zu sichern. Die Einführung und
        Ausgestaltung des Lastenausgleichs ist ein Kernelement
        dieser Reform. Auch wenn es auf den ersten Blick so
        scheint, dass die nord- und ostdeutschen landwirtschaft-
        lichen Berufsgenossenschaften am stärksten davon be-
        troffen sind, müssen dennoch alle Beteiligten in der
        Land- und Forstwirtschaft sowie im Gartenbau über den
        Lastenausgleich, von dem mittelfristig alle profitieren
        werden, innergemeinschaftliche Solidarität im Berufs-
        stand üben.
        Ferner wurde in einer Reihe von Modellrechnungen,
        die von Verbänden und Trägern erstellt wurden und die
        Gegenstand einer Anhörung waren, der Bundeszuschuss
        als Einnahmeposten in das Lastenausgleichsverfahren
        eingebracht. Das hätte zur Folge, dass – anders als bisher –
        nicht nur rund 400 000 zuschussberechtigte Landwirte
        am Bundeszuschuss partizipieren würden, sondern alle
        Beitragszahler der landwirtschaftlichen Unfallversiche-
        rung. Der ohnehin ab 2010 abgesenkte Bundeszuschuss
        müsste also auf eine sehr viel größer werdende Zahl Be-
        rechtigter verteilt werden. Für die Arbeitsgruppe Ernäh-
        rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz der CDU/
        CSU- und SPD-Bundestagsfraktion steht fest, dass zu-
        nächst der im Gesetz festgeschriebene Lastenausgleich
        ohne den Bundeszuschuss umgesetzt werden muss. Erst
        im Anschluss daran kommt es wie bisher zu einer Bei-
        tragssenkung für die zuschussberechtigten Landwirte
        durch die Gewährung des Bundeszuschusses, der auch
        weiterhin auf Basis der beitragsbelastbaren Ertragswerte
        errechnet werden soll und aus dem Beitragsbescheid er-
        sichtlich sein muss. Diesen Sachverhalt haben beide Ar-
        beitsgruppen in der Schlussberatung des Ausschusses
        Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz am
        Mittwoch, dem 7. November 2007, im Rahmen einer
        Protokollnotiz noch einmal herausgestellt.
        Damit es nicht zu übermäßigen Belastungen einzelner
        Regionen kommt, wurde ein Kompromiss gefunden, der
        vorsieht, dass ein Übergangszeitraum für die Jahre 2010
        bis 2014 festgelegt wird, in dem das Umlagevolumen
        schrittweise erhöht wird.
        Aufgrund dieses Kompromisses kann ich trotz meiner
        Bedenken diesem Gesetzentwurf zustimmen, da dadurch
        die Belastungen der Berufsgenossenschaften und Unter-
        nehmer in Nord- und Ostdeutschland auf ein angemesse-
        nes Niveau reduziert werden und die zukunftssichere
        Ausgestaltung der landwirtschaftlichen Sozialversiche-
        rungen mit stabilen Beiträgen erreicht wird. Vor allem
        zeigt der Kompromiss aber auch, dass die Solidarität des
        Berufsstandes noch funktioniert. Selbstverständlich wer-
        den sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages
        mit den Auswirkungen der befristeten Abfindungsaktion
        für Kleinrenten im Jahre 2010 noch einmal beschäftigen
        müssen, da von ihrer Inanspruchnahme der Erfolg der
        Reform der LSV abhängt.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12887
        (A) (C)
        (B) (D)
        Anlage 4
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Maria Michalk (CDU/CSU)
        zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset-
        zes zur Modernisierung des Rechts der land-
        wirtschaftlichen Sozialversicherung (LSVMG)
        (Tagesordnungspunkt 15)
        Am Donnerstag, dem 8. November, werde ich dem
        von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines
        Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der landwirt-
        schaftlichen Sozialversicherung zustimmen. Es sind
        dringende Anpassungen vorzunehmen, um das System
        der agrarsozialen Sicherungen zukunftsfest zu gestalten.
        Trotz der 3,65 Milliarden Euro, mit denen der Bund die
        LSV im Jahre 2006 unterstützte, klagen die Versicherten
        über eine zu hohe Beitragsbelastung. Der Bundesrech-
        nungshof stellt fest, dass der Strukturwandel in der LSV
        unvermindert anhält. Die Zahl der aktiven Versicherten
        und der landwirtschaftlichen Betriebe nimmt jedes Jahr
        ab. Des Weiteren wurden die Ziele der Organisationsre-
        form des Jahres 2001 nicht erreicht. Die LSV arbeitet
        nicht wirksam und wirtschaftlich.
        Mit der Reform wurde ein tragfähiger Kompromiss
        gefunden, der es ermöglicht, die Zukunft der LSV zu
        vertretbaren Beiträgen zu sichern. Die Einführung und
        Ausgestaltung des Lastenausgleichs ist ein Kernelement
        dieser Reform. Auch wenn es auf den ersten Blick so
        scheint, dass die nord- und ostdeutschen landwirtschaft-
        lichen Berufsgenossenschaften am stärksten davon be-
        troffen sind, müssen dennoch alle Beteiligten in der
        Land- und Forstwirtschaft sowie im Gartenbau über den
        Lastenausgleich, von dem mittelfristig alle profitieren
        werden, innergemeinschaftliche Solidarität im Berufs-
        stand üben. Damit es nicht zu übermäßigen Belastungen
        einzelner Regionen kommt, wurde ein Kompromiss ge-
        funden, der vorsieht, dass ein Übergangszeitraum für die
        Jahre 2010 bis 2014 festgelegt wird, in dem das Umlage-
        volumen schrittweise erhöht wird. Dadurch werden die
        Belastungen der Berufsgenossenschaften und Unterneh-
        mer in Nord- und Ostdeutschland auf ein angemessenes
        Niveau reduziert. Aufgrund dieses Kompromisses kann
        ich trotz meiner Bedenken diesem Gesetzentwurf zu-
        stimmen.
        Anlage 5
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Florian Toncar, Jens
        Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian
        Ahrendt, Uwe Barth, Ernst Burgbacher, Rainer
        Brüderle, Patrick Döring, Jörg van Essen,
        Miriam Gruß, Michael Kauch, Harald
        Leibrecht, Michael Link (Heilbronn), Markus
        Löning, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Dirk
        Niebel, Detlef Parr, Jörg Rohde, Frank
        Schäffler, Marina Schuster, Carl-Ludwig Thiele
        und Christoph Waitz (alle FDP) zur Abstim-
        mung über den Antrag: Bei der 62. Generalver-
        sammlung der Vereinten Nationen ein Zeichen
        für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe
        setzen (Tagesordnungspunkt 19)
        Die Todesstrafe ist eine grausame und unmenschliche
        Bestrafung, die durch nichts zu rechtfertigen ist. Das
        Eintreten für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe
        ist ein wichtiger Bestandteil deutscher und europäischer
        Politik.
        Ich unterstütze ausdrücklich den Inhalt des Antrags
        „Bei der 62. Generalversammlung der Vereinten Natio-
        nen ein Zeichen für die weltweite Abschaffung der
        Todesstrafe setzen“. Die Forderung Nr. 9 ist allerdings
        missverständlich und daher kontraproduktiv. Der aus-
        drückliche Verweis auf Polen als einziges direkt anzu-
        sprechendes Land erweckt den Anschein, als ob Polen
        die Ablehnung der Todesstrafe als Fundament der
        europäischen Werteordnung anzweifle. Dies ist nicht der
        Fall.
        Zwar ist richtig, dass die alte polnische Regierung
        eine Einigung auf europäischer Ebene für einen „Euro-
        päischen Tag gegen die Todesstrafe“ verhinderte. Dieses
        Verhalten war ausgesprochen kritikwürdig, da so die Ge-
        legenheit für ein klares europäisches Signal gegen die
        Todesstrafe ungenutzt verstrich.
        Jedoch hat in Polen mittlerweile eine neue Regie-
        rung ihr Amt angetreten, die bereits jetzt erkennen
        lässt, dass sich ein solches Vorgehen nicht wiederholen
        wird. Aus heutiger Sicht ist daher keine weitere geson-
        derte Einflussnahme auf Polen notwendig. Eine ent-
        sprechende Initiative gegenüber der neu gewählten pol-
        nischen Regierung ist daher nicht angezeigt. Sie könnte
        deren erklärte Bemühungen im Hinblick auf eine Ver-
        besserung der Beziehungen erschweren.
        Anlage 6
        Erklärung nach § 31 GO
        des Abgeordneten Dr. Axel Berg (SPD) zur
        Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes
        zur Finanzierung der Beendigung des subven-
        tionierten Steinkohlebergbaus zum Jahr 2018
        (Steinkohlefinanzierungsgesetz) (Tagesordnungs-
        punkt 21 a)
        Die Abstimmung über den zwischen den Regierungen
        der Länder Nordrhein-Westfalen und Saarland und der
        Bundesregierung sowie der IG Chemie und der Ruhr-
        kohle AG gefundenen Kompromiss, der in Form des so-
        genannten Steinkohlefinanzierungsgesetzes in den Deut-
        schen Bundestages eingebracht worden ist, bringt mich
        in ein Dilemma.
        Grundsätzlich ist die Beendigung der Subventionie-
        rung des Steinkohlebergbaus zu begrüßen. Ich werde den
        Gesetzentwurf mit beschließen und die beiden Anträge
        der Oppositionsparteien ablehnen, bin aber persönlich
        der Ansicht, dass nur der technisch schnellstmögliche
        Ausstieg sinnvoll ist, denn jede Förderung weiterer
        12888 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        Tonnen Kohle ist sowohl ökonomisch als auch ökolo-
        gisch nicht zu verantworten.
        Die beim Abbau der Steinkohle entstehenden CO2-
        Emissionen ergeben beinahe ein Viertel der von der In-
        dustrie und dem Stromerzeugungssektor in der zweiten
        Handelsperiode des Emissionshandels (2008 bis 2012)
        zu erbringenden Reduktionsmengen. Beim Abbau von
        Steinkohle im Tagebau fallen deutlich weniger Emissio-
        nen an. Damit würde eine absolute Reduktion im globa-
        len Maßstab bei einem frühzeitigen Ausstieg möglich
        sein. Bedenkt man, dass mit demselben Finanzierungs-
        aufwand zur Erschließung einer Tonne heimischer Stein-
        kohle drei Tonnen Irnportkohle gekauft werden können,
        erschließt sich auch die ökonomische Sinnhaftigkeit des
        Abbaus von heimischer Steinkohle nicht.
        Die im Gesetzentwurf festgeschriebene Vollkostende-
        ckung der heimisch geförderten Steinkohle entspricht
        nicht mehr einer modernen Förderung. Es sollte – wenn
        man die Maßgabe nimmt, dass das Ende des Bergbaus in
        Deutschland 2018 wirklich stattfindet – über ein
        „Benchmarksystem“ diskutiert werden, das sich an den
        durchschnittlichen Förderkosten in diesem Sektor orien-
        tiert. Damit wäre gewährleistet, dass die Bergbaube-
        triebe mit den höchsten Förderkosten als erste geschlos-
        sen werden. Dem Bund entstünden dadurch deutlich
        weniger Förderkosten.
        Nach der dem Gesetzentwurf vorausgegangenen
        KPMG-Studie sind die vollständigen Ewigkeitskosten
        überhaupt nicht berechnet, die für eine solche Entschei-
        dung zu berücksichtigen sind. Das geht auch gar nicht,
        weil sie ihren Namen zu Recht tragen. Beispielsweise
        das Flöz unter dem Rhein, in das Wasser einbricht, das
        permanent herausgepumpt werden muss. Hört man auf
        mit Pumpen, fällt der Rhein herunter mit der Folge, dass
        halb Nordrhein-Westfalen unter Wasser liegt. Man muss
        pumpen, solange der Rhein fließt – also ewig. Von über
        2 000 ehemaligen Bergwerken weiß man nicht mal
        mehr, wo genau sie sind und welche Bergschäden von
        ihnen noch ausgehen werden. Die durch den Börsengang
        des weißen Bereichs der früheren RAG in Form der Evo-
        nik AG erzielten Erlöse werden in der RAG-Stiftung
        nicht ausreichen, um diese Kosten zu tragen. Damit ist
        die Konstruktion nicht nachhaltig, denn sie bedeutet nur
        den einmaligen Aufbau eines Kapitalstocks, der zudem
        kaum in der notwendigen Weise wachsen kann. Es reicht
        schon rein rechnerisch nicht aus, die werthaltigen
        Bestandteile der ehemaligen RAG und den Bergbau ge-
        geneinander so aufzurechnen, dass im Endeffekt eine
        positive Zahl herauskommt. Damit ist der residuale Be-
        zahler, der für die Zahlungen im Endeffekt geradestehen
        muss, wenn die Summen nicht ausreichen, natürlich der
        Steuerzahler. Das Unternehmen Evonik wird so mit die-
        ser einmaligen Zahlung aus der unternehmerischen Ver-
        antwortung entlassen.
        Als allererste Prämisse hätte nicht das Herstellen ei-
        nes Konzerns im Ruhrgebiet angestrebt werden müssen.
        Es gibt überhaupt keine wirtschaftliche Erkenntnis, die
        darauf hindeutet, dass es ein werthaltiger Weg für eine
        Region sein soll, einen starken Spieler künstlich zu er-
        zeugen. Die starken Unternehmen, die wirklich von
        Weltruf in unserer und vielen anderen Volkswirtschaften
        sind, haben das selbst auf die Beine gestellt. Das Silicon
        Valley beispielsweise, das immer herangezogen wird für
        die Clusteridee, ist endogen entstanden und gerade nicht
        künstlich durch eine Clusterstrategie erzeugt worden.
        Ein Unternehmen, das selbst zu einem Weltmarktführer
        wird, ist eine gute Anlage für eine Region. Aber einfach
        zu sagen, wir stellen ein großes Unternehmen her und
        dann geht es der Region besser, ist volkswirtschaftlich
        nicht durch Argumente gedeckt. Deshalb hätte es sich
        angeboten zu sagen, man verfolgt ernsthaft auch die
        Überlegungen des Einzelverkaufs der werthaltigen Be-
        standteile, um den Anfangserlös so gut als möglich zu
        maximieren. Deshalb hat die Frage nach der Sozialisie-
        rung der Kosten bei gleichzeitiger Privatisierung der Ge-
        winne ihre Berechtigung, solange nicht durch den An-
        fangserlös versucht wird, alles an Geld herauszuholen,
        was man hätte rausholen können.
        Zusätzlich kommen hierzu die Schäden, die durch den
        fortgesetzten Bergbau angerichtet werden. Es ist keines-
        wegs so, dass die Förderung der Arbeitnehmer, gleichbe-
        deutend sein muss mit einer Förderung der Produktion
        von Steinkohle. Beide Arten von Förderungen haben
        nichts miteinander zu tun. Wenn man die heimische
        Steinkohleförderung bis 2012 einstellen würde, könnte
        man rein rechnerisch Klimagase einsparen in einer Höhe
        von ungefähr 7,5 Millionen Tonnen CO2. Das ist ein er-
        heblicher Teil dessen, wozu wir uns im Kioto-Protokoll
        an volkswirtschaftlichen Einsparungen verpflichtet ha-
        ben, selbst wenn man von Immobilienschäden und ande-
        ren Schäden absieht, die der fortgesetzte subventionierte
        Steinkohlebergbau anrichtet. Allein beim Punkt Klima
        könnte man schon einiges gewinnen, wenn man einfach
        die beiden Dinge Förderung und Forderung trennen
        würde. Es ist eine politische Entscheidung, die noch
        existierenden Unternehmen in eine privatrechtliche
        Struktur zu überführen und diese aus ihrer unternehmeri-
        schen Verantwortung zu entlassen.
        Der Bergbau hat in den beiden Bundesländern Nord-
        rhein-Westfalen und Saarland eine lange Tradition; dies
        darf bei einem Ausstieg nicht vergessen werden. Den be-
        troffenen Regionen eine zukunftsorientierte, zeitnahe
        und nachhaltige Perspektive zu eröffnen, ist Aufgabe der
        Politik. Vor allem die im Bergbau tätigen Menschen sol-
        len eine in die Zukunft orientierte Perspektive erhalten.
        Eine Überführung in innovative und nachhaltige Be-
        schäftigung sollte eigentlich Grundbestreben des Aus-
        stiegsbeschlusses sein.
        Selbst wenn man der Annahme folgt, dass nicht alle
        durch betriebsbedingte Kündigungen arbeitslos werden-
        den Beschäftigten wieder in den Arbeitsmarkt zu inte-
        grieren wären, blieben den öffentlichen Kassen ca.
        1 Million Euro pro Arbeitnehmer, die für Ausgleichs-
        maßnahmen verwendet werden könnten, wenn wir uns
        schneller aus dem Steinkohlebergbau zurückzögen. Dies
        würde sich aus den wegfallenden Subventionen ergeben.
        Hier mangelte es an dem Willen der Politik, einen sol-
        chen Schritt konsequent zu gehen. Es bliebe genügend,
        um den Arbeitnehmern im Bergbau eine Perspektive zu
        schaffen – insbesondere auch beim Reparaturbergbau –
        und gleichzeitig noch Geld freizusetzen für die Förde-
        rung erneuerbarer Energien, insbesondere für die For-
        schung in erneuerbaren Energien oder in Bildung und
        Forschung allgemein und in Wissenstransfer.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12889
        (A) (C)
        (B) (D)
        Nach Aussage der Bundesregierung (Bundestags-
        drucksache 16/4393) werden von der bisherigen RAG
        derzeit noch 1 500 Personen im sogenannten „Schwar-
        zen Bereich“ ausgebildet. Hier sollte der notwendige
        Wissenstransfer an kommende Generationen zur Ein-
        schätzung und Bewirtschaftung der alten Bergwerke als
        Maß für die Anzahl der bereitzustellenden Ausbildungs-
        plätze angelegt werden. Der Rest der in der Branche täti-
        gen oder zurzeit in Ausbildung befindlichen Arbeitneh-
        mer sollte in zukunftsträchtige Industrien im Bereich
        Effizienz- oder Erneuerbare-Energien-Technologien
        überführt werden.
        Die von den Kompromissparteien geäußerten Ab-
        sichtserklärungen, gemeinsam an einem zukunftsfähigen
        Strukturwandel zu arbeiten, ist in meinen Augen zu we-
        nig. Schließlich wissen wir seit vierzig Jahren, dass der
        deutsche Steinkohleabbau weder umweltfreundlich noch
        wirtschaftlich ist. Hier sollten konkrete Zahlen die Ab-
        sichten unterstreichen. So könnten die Politik und die
        beteiligten Unternehmen den Sorgen der Betroffenen,
        die bei einem Strukturwandel entstehen, mit einer positi-
        ven zukunftsfähigen Perspektive begegnen.
        Die Region Ruhrgebiet ist deswegen so weit hinten-
        dran, weil sie den Umschwung nicht rechtzeitig ge-
        schafft hat und der Strukturwandel so lange dauert. Das
        nicht trotz, sondern wegen der Bemühungen, das Ende
        lange hinauszuzögern. Es handelt sich bei der Steinkoh-
        leförderung rein technisch um nichts anderes als um eine
        Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Wir wissen sehr gut aus
        vielfältigen empirischen Untersuchungen in verschie-
        densten Bereichen, dass Arbeitsbeschaffungsmaßnah-
        men schon mittelfristig schlecht sind. Hier setzt bei-
        spielsweise auch die Agenda 2010 an. Sie sind schlecht
        für die Beteiligten, weil sie selbst vom Markt ferngehal-
        ten werden. Sie sind schlecht für die jeweilige Region,
        weil sie sich dem Strukturwandel nicht schnell genug
        stellen, sie sind schlecht für die Volkswirtschaft, weil sie
        bezahlt werden müssen.
        Die beste Strategie, um eine langfristige sozialver-
        trägliche Entwicklung zu erreichen, ist, Investitionen in
        neue rentable Arbeitsplätze zu generieren und zu unter-
        stützen. Das sind Investitionen in Bildung und in Infra-
        struktur, die dann entsprechend auch zusätzliche Be-
        schäftigungsmöglichkeiten nach sich ziehen.
        Anlage 7
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Alexander Dobrindt, Rita
        Pawelski, Andreas G. Lämmel, Eckhardt
        Rehberg, Dr. Georg Nüßlein und Hartmut
        Koschyk (alle CDU/CSU) zur Abstimmung
        über die Beschlussempfehlung zu der Verord-
        nung der Bundesregierung: Fünfte Verordnung
        zur Änderung der Verpackungsverordnung
        (Tagesordnungspunkt 26)
        Wir unterstützen das Ziel der Novelle, die „Trittbrett-
        fahrerei“ einzudämmen, dass heißt, durch die Vollstän-
        digkeitserklärung werden künftig auch die Unternehmen
        eingebunden, die sich bisher überhaupt nicht oder nur
        teilweise an den Entsorgungskosten ihrer Verkaufsver-
        packungen beteiligt haben.
        Die Anhörung am 10. Oktober 2007 hat allerdings ge-
        zeigt, dass dem sogenannten Trennungsmodell nur mit
        Bedenken zugestimmt werden kann. Die vorgesehene
        „Zwangsmitgliedschaft“ in einem der dualen Systeme
        für Hersteller und Vertreiber von Verkaufsverpackungen,
        die beim privaten Endverbraucher anfallen, widerspricht
        dem Grundsatz der individuellen Produktverantwortung
        und stellt insofern einen Systembruch dar, der rechtlich
        und ordnungspolitisch bedenklich ist. Es ist auch zu be-
        fürchten, dass der Anschluss- und Benutzungszwang zu
        einer Oligopolbildung dualer Systeme mit entsprechen-
        den Kostensteigerungen für die Verbraucher führt.
        Wir bitten deshalb die Bundesregierung, die sektora-
        len und gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der
        Novelle sorgfältig zu beobachten und bei sich abzeich-
        nenden Fehlentwicklungen eine grundsätzliche Neuaus-
        richtung der Verpackungsentsorgung vorzuschlagen.
        Anlage 8
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Großen Anfrage: Stärkung
        der sozialen und ökologischen Verantwortung
        von Unternehmen (Tagesordnungspunkt 14)
        Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Diese Debatte bietet
        eine gute Gelegenheit, einmal grundsätzlich über die
        Aufgabe und das Selbstverständnis von Unternehmern in
        unserer Wirtschaftsordnung zu sprechen. Denn da – das
        merkt man der Linken in ihrer Großen Anfrage deutlich
        an – bestehen zwischen Ihnen und den übrigen Fraktio-
        nen dieses Hauses doch gewaltige Unterschiede in der
        Auffassung. Das verwundert nicht: Wer unsere Wirt-
        schaftsordnung im Grunde ablehnt, wessen Programm es
        ist, Unternehmen zu enteignen, und wer wie Ihr Partei-
        vorsitzender Bisky auf Ihrem Vereinigungsparteitag die
        Systemfrage gestellt hat, der hat ein grundlegend fal-
        sches Bild von der Verantwortung des Unternehmers in
        der freien Marktwirtschaft.
        Halten wir fest: Die zentrale Funktion des Unterneh-
        mers in der Marktwirtschaft ist es, unter Wettbewerbsbe-
        dingungen Gewinne zu erwirtschaften. Genau diese
        Hauptaufgabe ist die zentrale Voraussetzung dafür, dass
        sichere Arbeitsplätze entstehen und Wohlstand geschaf-
        fen wird. Und um sichere Arbeitsplätze zu schaffen, müs-
        sen Unternehmen schon sehr genau darauf schauen, dass
        sie nicht durch Umweltverschmutzung, Bilanzfälschung,
        die Ausbeutung ihrer Mitarbeiter, durch Kinderarbeit
        oder Ähnliches ihr eigenes Geschäftsmodell gefährden.
        Das ist Teil eines verantwortungsvollen Unternehmer-
        tums, denn die Verbraucher reagieren heute sehr sensibel
        auf negative Schlagzeilen aus Unternehmen: Ich nenne
        als jüngstes Beispiel nur den amerikanischen Beklei-
        dungshersteller GAP, dessen Zulieferer Kinder in Indien
        beschäftigte und der daraufhin zehntausende Kleidungs-
        stücke mit der Begründung vom Markt genommen hat,
        12890 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        man wolle nicht riskieren, Produkte aus Kinderarbeit zu
        verkaufen.
        Es zeigt sich also, dass Imageprobleme gerade bei
        Markenherstellern gravierende unternehmerische Folgen
        haben. Einmal wird das Vertrauen der Marke beschädigt,
        aber auch Investoren wenden sich ab, was die Entwick-
        lung einer Firma noch viel mehr beeinträchtigen kann.
        Gewinnabsicht und gesellschaftliche sowie ökologische
        Verantwortung von Unternehmen sind somit keine Wi-
        dersprüche. Es zeigt sich sogar, dass sich Unternehmen,
        die ihr gesellschaftliches Umfeld im Blick haben, meis-
        tens besser als ihre Wettbewerber entwickeln.
        Der Fall GAP – andere Beispiele möchte ich hier gar
        nicht anführen – hat gezeigt, dass sich die soziale und
        ökologische Verantwortung von Unternehmen am besten
        im einem marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmen stär-
        ken lässt. Und dabei haben selbstverständlich Nichtregie-
        rungsorganisationen, aber besonders die eigenen Mitar-
        beiter und deren Interessenvertreter eine ganz besondere
        Aufgabe der Kontrolle und Aufsicht. Es ist zumindest
        wirksamer, als ständig nach neuen gesetzlichen Regelun-
        gen zu rufen: Es zeigt sich bei sozialen und ökologischen
        Fragen, dass die Selbstreinigungskräfte des Marktes auch
        hier am besten funktionieren.
        Ich will das anhand einiger Beispiele, die aus der Ant-
        wort der Bundesregierung stammen, erläutern. Denn es
        zeigt sich immer stärker, welche Vorteile die Globalisie-
        rung gerade auch für Entwicklungs- und Schwellenlän-
        der bringt. Auch Sie von den Linken sollten endlich die
        Vorteile der Globalisierung anerkennen und nicht die bü-
        rokratische und ineffiziente Planwirtschaft ohne privates
        Unternehmertum als Abschluss und Glanzstück aller
        ökonomischen Entwicklung sehen. Denn wenn es feh-
        lendes Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Men-
        schen und der Natur gegeben hat, dann in den Planwirt-
        schaften des Ostblockes. Dort herrschten unmenschliche
        Arbeitsbedingungen, und dort wurde ohne Rücksicht auf
        die natürlichen Ressourcen alles in Grund und Boden ge-
        wirtschaftet. Die Folgen sehen wir heute noch. Sie ler-
        nen einfach nichts dazu!
        Ich will Ihnen das einfach hier zur Kenntnis geben:
        Der weltweite Wohlstand steigt gegenwärtig, und es sind
        zu einem großen Teil multinationale Unternehmen, die
        daran einen Anteil haben: Multinationale Unternehmen
        bringen Kapital in Entwicklungsländer, das dort drin-
        gend gebraucht wird. Die gesamten Investitionen nur der
        deutschen Unternehmen in Entwicklungsländern lagen
        2005 bei über 32 Milliarden Euro. Multinationale Unter-
        nehmen schaffen Arbeitsplätze: Deutsche Unternehmen
        beschäftigten 2005 in Entwicklungsländern rund
        640 000 Arbeitnehmer. Deren Lohn liegt dabei auch
        noch häufig über dem landesüblichen Niveau, was in der
        Wertschöpfungskette wiederum Einkommen für weite
        Millionen von Menschen schafft. Multinationale Unter-
        nehmen fördern die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitar-
        beiter und tragen damit zur allgemeinen Verbesserung
        des Ausbildungsstandes vor Ort bei. Und multinationale
        Unternehmen ermöglichen ihren Gastländern Zugang zu
        dringend benötigtem Know-how. Damit werden auch
        Umwelt- und Energiespartechnologien in diesen Län-
        dern verbreitet.
        Man könnte diese Aufzählung fortsetzen, aber es
        zeigt sich schon hier: Als lokale Partner engagieren sich
        die Unternehmen in den allermeisten Fällen für die Ge-
        sellschaft am Investitionsstandort. Da sie sowohl zu
        Hause als auch im Gastland unter der Beobachtung einer
        kritischen Öffentlichkeit stehen, können sie sich gar
        keine Fehler erlauben. Das ist die Realität.
        Nichtsdestoweniger gibt es noch Entwicklungen, die
        ein zwischenstaatliches Eingreifen erfordern. Und hier
        hat die deutsche Ratspräsidentschaft und der G-8-Vorsitz
        unter unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel wichtige
        Signale gesetzt: Auf dem G-8-Gipfel vom 6. bis 8. Juni
        dieses Jahres in Heiligendamm wurde beschlossen, das
        Thema Corporate Social Responsibility (CSR), also gute
        Unternehmensführung, zu einem Zukunftsthema gerade
        in Schwellen- und Entwicklungsländern zu machen.
        Deshalb möchte ich an dieser Stelle festhalten: Das Be-
        wusstsein, dass ökonomischer Erfolg und die soziale und
        ökologisch verträgliche Gestaltung der Globalisierung
        eng zusammengehören, wächst sowohl bei den jeweili-
        gen nationalen Regierungen als auch bei den internatio-
        nal tätigen Konzernen. Das hat die Bundesregierung in
        ihrer Antwort auf die Anfrage auch klar festgestellt.
        Ich möchte noch auf einen innenpolitischen Aspekt
        dieser Anfrage eingehen, den ich in der aktuellen Lage
        für besonders erwähnenswert halte. Es geht um Entlas-
        sungen, Firmenschließungen und Firmenverlagerungen
        ins Ausland sowie um die damit verbundene hohe Ar-
        beitslosigkeit in der Vergangenheit. Indem Ihre Anfrage
        schon vor etwa einem Jahr geschrieben wurde, geht sie
        noch von ganz anderen Erfahrungen und Erwartungen
        aus, als wir sie heute bei uns in Deutschland vorfinden.
        Ich unterstelle das jetzt einmal: Diese Große Anfrage ist
        wahrscheinlich noch unter dem starken Eindruck der ver-
        gangenen rot-grünen Bundesregierung geschrieben wor-
        den: Mit 5 Millionen Arbeitslosen, einer bisher nicht
        gekannten Staatsverschuldung, Abwanderung hochquali-
        fizierter Wissenschaftler und Zukunftsangst weiter Teile
        der Bevölkerung. Seit die Union die Bundesregierung
        führt, hat sich inzwischen viel getan. Die Arbeitslosigkeit
        sinkt, wir haben einen ausgeglichenen Haushalt vor Au-
        gen, die Beschäftigungsquote befindet sich auf einem
        historischen Höchststand. Das ist erfreulich und das Er-
        gebnis richtiger Politik. Vor allem ist es aber nicht das Er-
        gebnis staatlicher Regulierung. Wie Politik auf dem Ver-
        ordnungsweg soziale Verantwortung diktieren soll, das
        bleibt das Geheimnis der Linken. Aber wahrscheinlich
        wollen Sie immer noch den „Neuen Menschen“ schaffen.
        Dass Ihnen dabei jedes Mittel recht ist, hat das Spitzel-
        und Unterdrückungssystem im real existierenden Sozia-
        lismus gezeigt.
        Wir stellen uns den Herausforderungen der Globali-
        sierung und sind davon überzeugt, dass gerade der Pri-
        vatsektor und die Wirtschaft in partnerschaftlicher Zu-
        sammenarbeit dazu beitragen werden, eine nachhaltige
        und gerechte Weltwirtschaft zu verwirklichen.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12891
        (A) (C)
        (B) (D)
        Garrelt Duin (SPD): Die Forderung der Linken nach
        einer CSR-Pflicht für Unternehmen steht konträr zu dem
        Bestreben der Bundesregierung, die Bürokratie in
        Deutschland abzubauen. Damit würde ein Bürokra-
        tiemonster geschaffen werden, das die gelebte Politik in
        unserem Land lähmen würde.
        Wir brauchen keine CSR-Knebelverträge für die Un-
        ternehmen. Das gesellschaftliche Potenzial von CSR
        muss allgemein mehr Anerkennung erfahren und ausge-
        baut werden, und das auf freiwilliger Basis. Denn für ein
        Unternehmen gibt es kein besseres Aushängeschild, als
        soziale Verantwortung zu übernehmen, ihr Engagement
        für gesellschaftspolitische Verantwortung zu stärken und
        regen Austausch zu pflegen.
        Genau das passiert. Gerade die vielen kleineren und
        mittelständischen Unternehmen leben die gesellschaftli-
        che Verantwortung vor Ort. Der Mittelstand hinkt hier
        aber leider in seiner Kommunikation gelebter gesell-
        schaftlicher Unternehmensverantwortung den Groß-
        unternehmen hinterher.
        Das Engagement der mittelständischen Unternehmen
        wird allzu oft von den Negativschlagzeilen der Großun-
        ternehmen überschattet. Es geschieht viel Gutes im „stil-
        len Kämmerlein“; denn gerade im Mittelstand nehmen
        viele Unternehmer ihre gesellschaftliche Verantwortung
        mit viel Herz wahr. Das CSR-Engagement des Mittel-
        stands beginnt hier bei den Mitarbeitern. Dabei geht es
        um Punkte wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
        oder Beschäftigung älterer Arbeitnehmer, dem soge-
        nannten Altersmix der Belegschaften in den Unterneh-
        men.
        Als Beispiel möchte ich an dieser Stelle den Famili-
        enservice Weser-Ems nennen: Seit 1997 setzt sich dieser
        Verein für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein.
        In Kooperation mit dem Mittelstand vor Ort werden hier
        Kinderbetreuungsmöglichkeiten für die Beschäftigten
        vermittelt. Der Familienservice hatte damals eine Vorrei-
        terrolle inne und hat gezeigt, dass gerade von einer
        strukturschwachen Region wie Ostfriesland Innovatio-
        nen ausgehen können. Mittlerweile haben sich
        95 Unternehmen und öffentliche Verwaltungen diesem
        Projekt angeschlossen. Ein weiteres Beispiel: das Volks-
        wagenwerk in Emden. Auch hier wird den Mitarbeiterin-
        nen und Mitarbeitern Tagesbetreuung für ihre Kinder an-
        geboten. Oder das Emder Unternehmen „Anker
        Schifffahrt“. Dort werden seit Jahren sehr gute Erfahrun-
        gen mit der Einstellung älterer Arbeitnehmer gemacht.
        Das Unternehmen hat gerade wieder fünf Arbeitnehmer
        über 50 eingestellt. Das macht immerhin 10 Prozent der
        gesamten Belegschaft aus. Diese Beispiele, die wahr-
        scheinlich stellvertretend für viele mittelständische Un-
        ternehmen bundesweit stehen, machen eines deutlich:
        Staat, Bürger und Unternehmen sind Partner, die zusam-
        mengehören und die gemeinsam handeln sollten.
        Soziale Verantwortung von Unternehmen heißt
        Engagement nach Innen wie nach Außen und darf nicht
        zu einem reinen Imageträger verkommen. Soziale Ver-
        antwortung ist für diese mittelständischen Betriebe kein
        Marketinggag. Hier wird CSR in die Praxis umgesetzt.
        Wichtiger als die blinde Forderung nach mehr Geset-
        zen ist das praktische Zusammenwirken der Akteure vor
        Ort. Diese brauchen unsere Unterstützung, aber keine
        neue Bürokratie!
        Katja Mast (SPD): Als Landeskind Baden-Württem-
        bergs weiß ich: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.
        Bei uns im Ländle kommt hinzu: Aber joh nit drüber
        schwätze!
        Trotzdem engagieren sich Unternehmen über das nor-
        male Maß hinaus. Vor Ort kennt man die auch, zum Bei-
        spiel bei mir zu Hause: Der Bäcker Wiskandt ermöglicht
        eine Lesebibliothek in Huchenfeld, die Metallschlauch-
        firma Witzenmann fördert die Kletterhalle, der Schmuck-
        etuihersteller Wild gründet eine Kulturstiftung mit
        5 Millionen Euro Startkapital, die Nieferner Elektro-
        firma Pretema fördert Schüler im Enzkreis, die es
        schwerer haben als andere. Das Technikunternehmen
        Seuffer in Calw setzt sich für die musische Jugendbil-
        dung im Verein Obenauf ein. Erst gestern hat es einem
        Gymnasium im Nordschwarzwald Musikinstrumente zur
        Verfügung gestellt.
        Ob die Firmen wissen, dass ihr gesellschaftliches
        Engagement neudeutsch „Corporate Social Responsibi-
        lity“, CSR, heißt und Kofi Annan den Global Compact
        gegründet hat, glaube ich eher nicht. Aber das ist hier
        auch egal. Wichtig ist: Sie machen mehr als andere, und
        das gilt es zu fördern und transparent zu machen – auch
        vonseiten der Politik.
        Aber gerade für uns Parlamentarier ist doch klar: Das
        soziale und ökologische Gesicht der Globalisierung
        müssen wir in einer Doppelstrategie gestalten. Ich be-
        tone Doppelstrategie – mit einem Pflicht- und einem
        Kürteil: Pflicht ist unser Engagement in internationalen
        Organisationen, wie den Vereinten Nationen und der Eu-
        ropäischen Union. Dort begegnen wir der Globalisierung
        mit demokratischen Strukturen und setzen ökologische
        und soziale Mindeststandards, beispielsweise bei der
        EU-Dienstleistungsrichtlinie, der ILO-Kernarbeitsnorm
        oder dem Seearbeitsübereinkommen. Wir setzen damit
        bewusst ein demokratisches Gegengewicht zum freien
        Spiel der Kräfte. Damit demokratisieren wir täglich ein
        Stück mehr die Globalisierung, wenngleich wir wissen:
        Es dauert noch lange, bis überall die gleichen Sozialstan-
        dards gelten. Oder glaubt irgendjemand hier an ein bal-
        diges Elterngeld auf Madagaskar?
        Hier ein gutes Beispiel für sozialdemokratisches Ar-
        beiten in übernationalen Gremien: Walter Riester hat für
        die parlamentarische Versammlung des Europarates die
        Weiterentwicklung der Sozialcharta vorangetrieben,
        Franz Müntefering hat dafür gesorgt, dass die deutsche
        Regierung diese am Ende der EU-Ratspräsidentschaft
        unterzeichnete. Wir als Parlament können nun bald dafür
        sorgen, dass sie ratifiziert wird. Dann haben wir wieder
        ein Stück mehr an internationaler Verbindlichkeit herge-
        stellt, übrigens – alle Parteien haben diese europäische
        Sozialcharta unterstützt – auch ihre Vertreter.
        Ich sagte: Wir brauchen eine Doppelstrategie, um das
        soziale und ökologische Gesicht der Globalisierung zu
        12892 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        gestalten: Die Kür ist neben bundesweiten Gesetzen,
        Richtlinien in der EU und Abkommen in den Vereinten
        Nationen Freiwilligkeit. Zum Glück gab es schon immer
        Unternehmen, die mehr tun als gesetzlich vorgeschrie-
        ben ist. Denn nur dadurch sind doch auch unsere sozia-
        len Errungenschaften durchsetzbar gewesen. Ich weiß
        nicht, wie lange wir heute arbeiten müssten, hätte es
        Robert Bosch nicht gegeben, der schon 1906 den acht-
        stündigen Arbeitstag eingeführt hat.
        Wir Sozialdemokraten finden es gut, wenn ein Unter-
        nehmen wie Faber-Castell darauf besteht, in China im
        Werk eine Arbeitnehmervertretung zu wählen, obwohl
        es dort keine gesetzliche Grundlage dafür gibt. Das ist
        ein Leuchtturm, den wir nach vorne stellen müssen.
        Denn nur so verändern wir die Realität. Und genau das
        ist das Ziel des Corporate-Social-Responsibility-Forums
        von Franz Müntefering, das im nächsten Jahr startet.
        Spannend ist doch: Was verstehen wir hier in
        Deutschland unter gesellschaftlich verantwortlichem
        Verhalten von Unternehmen? Was ist gut? Wo sind die
        Lücken beim Handeln? Sind nun die Produkte bei uns
        alle so produziert, dass sie den internationalen Ab-
        kommen entsprechen? So weit sind wir leider noch nicht
        – aber wir arbeiten dran – mit unserer Doppelstrategie:
        Pflicht und Kür.
        Gesetze erlassen, das können wir gut als Politik, ver-
        walten auch. Aber Politik als gestaltender Moderator,
        um global und lokal Dinge zu verändern, Freiwilligkeit
        zu fördern und Transparenz herzustellen, das ist das qua-
        litativ Neue an der CSR-Strategie. Diese Herausforde-
        rung nehmen wir von der ältesten Partei Deutschlands,
        der SPD, gerne an. Wir wollen gestalten.
        Heinz-Peter Haustein (FDP): „Nicht die Tatsachen
        machen das Leben schwer, sondern unsere Bewertung
        der Tatsachen.“ – Dieser Ausspruch des griechischen
        Philosophen Epiktet brachte mich unwillkürlich gedank-
        lich an die große Anfrage der Linken heran: „Stärkung
        der sozialen und ökologischen Verantwortung der Unter-
        nehmen.“ Als ich dann mal näher reingeschaut habe, ist
        mir klar geworden: Es geht hier um eine pauschale Ver-
        urteilung der Konzerne und letztlich auch des Mittel-
        stands. Mit Ihrer Geißelung der Unternehmen als verant-
        wortungslose Heuschrecken helfen Sie niemandem. Im
        Gegenteil: Sie täuschen die Menschen über die Wirk-
        lichkeit hinweg. Sie vergessen immer wieder, dass
        Globalisierung nichts ist, was uns irgendjemand gegen
        unseren Willen aufnötigt. Die Globalisierung, das Zu-
        sammenwachsen und der Wettbewerb der weltweiten
        Volkswirtschaften, hat schon vor Jahrhunderten begon-
        nen und wird auch künftig weiter voranschreiten. Als
        spanische Seefahrer Südamerika erschlossen, war es bil-
        liger, Erze von dort nach Europa zu bringen als sie selbst
        zu fördern. Dies brachte den Erzbergbau zum Erliegen.
        Die Eisenbahn machte die Menschen mobil, verfestigte
        die Globalisierung.
        Sie werden die Globalisierung auch nicht aufhalten,
        aus einem einfachen Grund: Die Menschen sehen die
        Vorteile der Globalisierung, sie nutzen die sich bieten-
        den Möglichkeiten größerer Mobilität. Man kauft eben
        in der Regel das billigere Gerät, ohne zu fragen wo und
        wie es hergestellt wurde. Natürlich hat das Grenzen,
        zeigt aber: Globalisierung ist Realität. Wir können sie
        nicht stoppen, es sei denn, sie wollen wieder Mauer und
        Stacheldraht um unser Land ziehen. Und wie bei jeder
        Sache gibt es auch hier zwei Seiten: Da entwickelt
        Deutschland den Transrapid und rein zufällig kommt ein
        ähnliches Fahrzeug in China auf den Markt. Bei mir im
        Erzgebirge im Raum Seiffen, Deutschneudorf, werden
        Räuchermännchen, Nussknacker, Pyramiden und
        Schwibbögen mit viel Herz und künstlerischem Ge-
        schick produziert. Ein halbes Jahr später kommen diese
        Artikel baugleich aus China auf den deutschen Markt,
        nicht in gleicher Qualität, aber um 80 Prozent billiger.
        Bitter! Doch ich bin sicher, dass sich selbst in diesem
        schwierigen Umfeld Original gegen Plagiat durchsetzten
        wird.
        Die andere Seite sind Chancen und Möglichkeiten,
        die ein internationaler Markt bietet. Denken wir an die
        Automobilindustrie: Nur weil Zulieferer aus Tschechien
        Teile an VW liefern, kann Volkswagen noch mit der
        Konkurrenz aus Japan und Korea mithalten. Deutsche
        Unternehmen müssen also Teile der Produktion ins Aus-
        land verlagern, um insgesamt wettbewerbsfähig zu blei-
        ben. Dies schafft und erhält Arbeitsplätze. Um aber bei
        diesen Herausforderungen mithalten zu können, muss es
        auch große international arbeitende Konzerne geben.
        Die fallen nicht vom Himmel. Sie entwickeln sich nach
        und nach, wie sich auch die Globalisierung entwickelt.
        Es ist auch eine gewisse Größe notwendig, um im inter-
        nationalen Wettbewerb bestehen zu können. Ein Global
        Player, wie diese Unternehmen genannt werden, hat
        auch eine sehr lokale Wirkung. Er ist im Wirtschaftspro-
        zess integriert. Viele Mittelständler und Handwerker
        profitieren als Subunternehmer und/oder Partner von den
        Aufträgen der Konzerne, auch von ausländischen Kon-
        zernen, die in Deutschland arbeiten. Es ist also ein Ge-
        ben und Nehmen zwischen Konzernen und kleinen Be-
        trieben. Und deshalb ist es unfair, den Konzernen soziale
        und ökologische Kälte vorzuwerfen.
        Vor diesem Hintergrund muss es unsere Aufgabe als
        Parlament sein, den Boden dafür zu bereiten, dass sich
        noch mehr große Konzerne in unserem Land ansiedeln,
        mehr Unternehmen gründen. Der Dünger dafür sind zum
        Beispiel ein einfaches, niedriges und gerechtes Steuer-
        system, Senkung der Lohnnebenkosten, ein beweglicher
        Arbeitsmarkt und weniger Bürokratie. Das funktioniert,
        wenn man es will. Doch leider redet die Regierung nur
        darüber, anstatt endlich mal zu handeln.
        Ulla Lötzer (DIE LINKE): Die Antwort der Bundes-
        regierung auf die Große Anfrage der Linken zur sozialen
        und ökologischen Unternehmensverantwortung ist ein
        Schlag ins Gesicht all derer, die sich für wirksame sozi-
        ale und ökologische Regeln gegen den globalen Share-
        holder-Value-Kapitalismus einsetzen. Zwar formuliert
        die Regierung Bekenntnisse zur sozialen Verantwortung
        und auch zur Regelungspflicht des Gesetzgebers. Doch
        bei jeder einzelnen Maßnahme beharrt sie auf der Frei-
        willigkeit der Unternehmen.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12893
        (A) (C)
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        Gerade für die Kolleginnen und Kollegen der SPD, ist
        dies ein politisches Armutszeugnis. In ihrem neuen Pro-
        gramm heißt es: Damit der Markt seine positive Wir-
        kung entfalten kann, bedarf es Regeln, eines sanktionsfä-
        higen Staates, wirkungsvoller Gesetze und einer fairen
        Preisbildung. – Davon findet man in Antwort der Regie-
        rung nichts. Im Gegenteil: Nehmen Sie zum Beispiel
        OECD-Leitlinien für Unternehmen: Sie werden in der
        Antwort immer wieder als wichtiges Instrument ge-
        nannt. Mit den Stimmen der SPD hatte sich die Enquete-
        Kommission „Globalisierung“ für Rechtsverbindlichkeit
        und bessere Verfahren zur Überprüfung ausgesprochen.
        Die Regierung beharrt wieder auf der Freiwilligkeit.
        Hier wie bei vielen ihrer Antworten auf Forderungen
        von Gremien der Vereinten Nationen, Gewerkschaften
        und Nichtregierungsorgansationen gilt: Solange Sie am
        Mythos freiwilliger Unternehmensverantwortung fest-
        halten, ist Ihr Gerede von „gerechter Globalisierung“
        nicht mehr wert als die vielen bunten Broschüren trans-
        nationaler Konzerne zu ihrer sozialen und ideologischen
        Verantwortung.
        Geradezu armselig sind Ihre Antworten auf die mit
        dem globalen Kapitalismus gewachsene Machtstellung
        der transnationalen Konzerne: Ob Telekom, Allianz,
        Opel oder Deutsche Bank – stellvertretend für viele ha-
        ben sie sich in den letzten Jahren vor allem mit Massen-
        entlassungen oder Ausgliederungen einen Namen ge-
        macht. Mit der Androhung von Produktionsverlagerung
        oder konzerninterner Konkurrenz um die Produktion
        neuer Modelle – erzwingen Konzerne einen Unterbie-
        tungswettlauf um die schlechtesten sozialen und auch
        ökologischen Standards. Trotzdem sieht Herr
        Müntefering, keinen Bedarf an gesetzlichen Schritten.
        Da heißt es: „Der Arbeitgeber kann grundsätzlich frei
        entscheiden, ob und wie er das Unternehmen umgestaltet
        oder Betriebsteile oder das Unternehmen insgesamt ver-
        äußert oder schließt.“ Angesichts der Realität von Zehn-
        tausenden von Beschäftigten ist das blanker Zynismus.
        Wir fordern sie auf, hier die Mitbestimmungsrechte
        von Gewerkschaften und Betriebsräten gegenüber Mas-
        senentlassungen, bei Ausgliederungen und Verkäufen zu
        erweitern. Grotesk und lächerlich wirken dann Ihre Ant-
        worten zur Rolle der Finanzmarktakteure, der Heuschre-
        cken und anderer.
        Mit ihrem Einfluss hat sich die Shareholder-Value-
        Orientierung, also die alleinige Orientierung an hohen
        Renditewerten in den Unternehmen durchgesetzt. Men-
        schenrechte, soziale und ökologische Interessen, aber
        auch langfristige Investitionen in die Zukunft des Unter-
        nehmens geraten mehr und mehr ins Abseits. Unterneh-
        men selbst sind zum Handelsobjekt geworden, aus deren
        An- und Verkauf Profit gezogen wird. Sie streiten zwar
        gewisse Probleme nicht völlig ab, wollen diese aber vom
        Markt selbst über „verantwortungsvolle Investments“
        sowie durch freundliche Dialogrunden lösen lassen. Er-
        zählen Sie das alles den Telekom-Beschäftigten, die fünf
        Wochen gegen Lohnsenkungen, Arbeitszeitverlängerung
        und Ausgliederung streiken mussten.
        Wahrlich stumpfe Waffen, die Sie den Menschen an-
        bieten. Mit fairer Arbeit und ökologischer Erneuerung
        hat das alles nichts zu tun. Mit Weiterentwicklung des
        Sozialstaats und seiner Anpassung an die Globalisierung
        erst rechts nicht. Sie machen die Menschen hilflos und
        die Politik unmündig. Sie setzen die Menschen der Er-
        pressung durch transnationale Konzerne aus. Sie machen
        sogar Regierungen demgegenüber machtlos. Stattdessen
        brauchen wir Reformen, die Konzerne und Finanz-
        marktakteure wieder in soziale und ökologische Verant-
        wortung einbinden.
        Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Der Staat ist in der Lage, die soziale und ökologische
        Verantwortung von Unternehmen zu stärken. Er muss
        dies allerdings, damit dies zielgerichtet geschieht, im
        Rahmen ordnungspolitischer Grundsätze und durch das
        Setzen von Anreizen machen.
        Eine Volkswirtschaft ohne soziale und ökologische
        Verantwortung beraubt sich ihrer eigenen Grundlagen.
        Viele Unternehmen haben das erkannt und setzen mit der
        Corporate Social Responsibility, CSR, diese Verantwor-
        tung in konkrete Unternehmensziele um. Der Global
        Compact, zu dem sich international 3 100 Unternehmen
        verpflichtet haben, definiert zehn solcher Ziele: von der
        Vereinigungsfreiheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
        nehmer bis hin zu ökologischen Zielen, zum Verbot der
        Kinderarbeit, zur Absage an Korruption und zur Beseiti-
        gung von Diskriminierung bei Anstellung und Beschäfti-
        gung.
        Bündnis 90/Die Grünen wollen die soziale und ökolo-
        gische Verantwortung der Unternehmen fördern. Zu ei-
        ner solchen Förderung gehört auch die Vernetzung und
        Betreuung der entsprechenden Projekte. Wir haben heute
        bereits über unseren Antrag zum Vergaberecht debattiert,
        den wir Grünen in den Bundestag eingebracht haben.
        Dieser enthält einerseits eine Entbürokratisierung der
        Vorgaben zu den Vergabeverfahren. Andererseits schafft
        er entsprechend dem von der EU vorgegebenen Rahmen
        die Möglichkeit für die verschiedenen staatlichen Ebe-
        nen, bei der Vergabe selbst Ziele im Sinne der CSR zu
        definieren.
        Im Ergebnis können Städte, Gemeinden und der Bund
        dadurch die Nachfrage für solche Unternehmen stärken,
        die CSR umsetzen. Hiermit begegnen wir auch der Ge-
        fahr, dass Unternehmen durch die mit CSR verbundenen
        Kosten und Standards Vergabenachteile entstehen. Eine
        solche Reform des Vergaberechtes ist nicht zu unter-
        schätzen. Die Marktmacht der öffentlichen Hand ist
        groß: Die Aufträge der öffentlichen Verwaltung und öf-
        fentlicher Unternehmen an die private Wirtschaft ma-
        chen in Deutschland rund 17 Prozent des Bruttoinlands-
        produkts aus, etwa 360 Milliarden Euro pro Jahr.
        Politik muss aber auch Regeln setzen, wo eine Selbst-
        kontrolle nachweislich nicht weiterführt. Zur Bekämp-
        fung von Korruption schlagen wir die Einführung eines
        Korruptionsregisters vor. Unternehmen, die sich der
        Korruption schuldig gemacht haben, sollen so keine öf-
        fentlichen Aufträge mehr erhalten. Und: Die Zahl der
        Aufsichtsratsmandate muss auf fünf pro Person be-
        grenzt, der Übergang vom Vorstand in den Aufsichtsrat
        desselben Unternehmens untersagt werden.
        12894 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
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        CSR wächst aus der Eigeninitiative der Unternehmen.
        Es wäre falsch, bis ins Detail Unternehmensziele vorge-
        ben zu wollen und Eigendynamik zu verhindern. Dem
        Staat kommt hier neben der Ordnungsfunktion gegen
        Korruption und der Schaffung von Anreizen durch die
        Vergabe eine aktive Ermutigungsfunktion zu, zum Bei-
        spiel durch die Förderung entsprechender Initiativen.
        Anlage 9
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Geschlechtersensible
        und effiziente Haushaltspolitik einführen
        (Tagesordnungspunkt 16)
        Ingrid Fischbach (CDU/CSU): Wir debattieren
        heute über einen Antrag zum geschlechtergerechten Ma-
        nagement öffentlicher Finanzen, der von Ihnen, verehrte
        Kolleginnen und Kollegen der Grünen-Fraktion, impli-
        ziert, dass die Bundesregierung sich auf dieses Thema
        nicht einlassen würde. Diesem Vorwurf trete ich ent-
        schieden entgegen.
        Das Bundesfamilienministerium hat im Auftrag der
        letzten Bundesregierung eine Machbarkeitsstudie in
        Auftrag gegeben, um Möglichkeiten der Einführung von
        Gender Budgeting – oder besser: geschlechtergerechtem
        Management öffentlicher Finanzen – zu identifizieren.
        Diese liegt dem Bundesministerium vor und wird zurzeit
        geprüft. Das wissen Sie, verehrte Kolleginnen und Kol-
        legen der Grünen, sehr wohl.
        Das Prinzip der Gleichstellung von Frauen und Män-
        nern als durchgängiges Leitprinzip des öffentlichen Han-
        delns bedeutet, die unterschiedlichen Interessen von
        Frauen und Männern von vornherein zu berücksichtigen,
        um das Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern
        effektiv umsetzen zu können.
        Dazu gehört natürlich auch die geschlechterdifferen-
        zierte Analyse der öffentlichen Haushalte. Gemeint ist
        ein Bündel von Instrumenten, mit denen der Haushalt
        auf seine Wirkungen für die Gleichstellung zwischen
        den Geschlechtern hin überprüft werden kann. Dem
        Haushalt kommt der Umsetzung der Gleichstellung von
        Frauen und Männern als durchgängiges Leitprinzip des
        öffentlichen Handelns besondere Bedeutung zu: Er muss
        die unterschiedlichen Effekte auf Männer und Frauen in
        ihren unterschiedlichen Lebenslagen und mit ihren viel-
        fältigen Erwartungen und Bedürfnissen in den Blick
        nehmen. Dazu gehören natürlich auch die unterschied-
        lichen Effekte auf die verschiedenen Generationen im
        Sinne von Genarationenbilanzen.
        Mit der Verteilung der Ressourcen im Haushaltsplan
        werden Aufgabenstellungen definiert und Prioritäten ge-
        setzt, und somit das Ziel Gleichstellung im Bereich der
        Finanz- und Haushaltspolitik.
        Wir stehen vor großen Herausforderungen: Gerade in
        Zeiten, in denen das wirtschaftliche Wachstum zunimmt,
        die Prognosen für Deutschland günstig sind und der
        Staat wieder mehr Geld einnimmt, reden wir sofort über
        die Verteilung. Auf der anderen Seite steht immer noch
        die Haushaltskonsolidierung im Mittelpunkt. Wir dürfen
        zukünftige Generationen nicht mit Schuldenbergen be-
        lasten. Gender Budgeting kann dabei als Analyse- und
        Controllinginstrument helfen, Prioritätensetzungen zu
        erarbeiten und ihre Umsetzung zu kontrollieren, aber es
        darf allerdings auch nicht überbewertet werden.
        Auch auf europäischer Ebene sind die Veränderungen
        in unserer Gesellschaft vielfältig: Demografischer Wan-
        del, Mobilität, Migration – hier sind Reaktionen und
        zum Teil massives Gegensteuern gefragt. Die Auswir-
        kungen dieser Themenfelder beeinflussen auch die Rol-
        lenverteilung zwischen Frauen und Männern in der Fa-
        milie und im Beruf sowie die Sozialsysteme. Auch soll
        unser Handeln Wirkung zeigen.
        Mehr denn je sind deshalb Wirkungsanalysen und
        Steuerungsinstrumente gefragt, um ohne Bürokratie oder
        zumindest ohne ein Mehr an Bürokratie mit effizientem
        Mitteleinsatz den Bedürfnissen von Frauen und von
        Männern in diesen Veränderungsprozessen nachhaltig
        und zielgerichtet Rechnung zu tragen. Eine zielgenauere
        Verwendung von Mitteln kann auch ein Weg sein, ver-
        nünftige und durchsetzbare Sparvorschläge zu entwi-
        ckeln und umzusetzen.
        Bei der Verteilung von Geldern sollten wir darauf
        achten, dass Frauen und Männer Gewinn und Nutzen
        von der Verwendung von Haushaltsmitteln haben. Ein
        gutes Beispiel hierfür sind das neue Elterngeld, bei dem
        neben den regulären zwölf Monaten auch zwei weitere
        Partnermonate eingeführt wurden, oder auch die Diskus-
        sion zum Ausbau der Kinderbetreuung von unter Drei-
        jährigen, die zugleich eine Diskussion um den Einsatz
        von öffentlichen Mitteln zur Schaffung von mehr Wahl-
        freiheit und damit für mehr Chancengerechtigkeit für
        Frauen und Männer ist.
        In Deutschland hat man sich 2002 dazu entschlos-
        sen, den Haushalt gleichstellungsorientiert zu planen.
        Für die Durchführung der gleichstellungspolitischen,
        geschlechterdifferenzierten Abschätzung der Gesetzes-
        folgen – § 2 in Verbindung mit § 44 GGO – hat das
        Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
        Jugend in Ergänzung der geschäftsordnungsrechtlichen
        Vorgaben eine Arbeitshilfe erstellt. Danach ist in einer
        ersten Verfahrensstufe eine gleichstellungspolitische
        Relevanzprüfung vorzunehmen. Sofern diese zu dem
        Ergebnis führt, dass Gleichstellungsrelevanz vorliegt,
        folgt eine vertiefte Hauptprüfung; ergibt die Vorprü-
        fung hingegen, dass keine Gleichstellungsrelevanz ge-
        geben ist, folgt keine weitere Untersuchung. Letzteres
        konnte zum Beispiel für den Haushalt 2007 bejaht wer-
        den, sodass eine weitere Prüfung entfallen konnte.
        Neben der praktischen Umsetzung, die also schon
        jetzt erfolgt, liegt dem Bundesministerium für Familie,
        Senioren, Frauen und Jugend, wie bereits erwähnt, die
        Machbarkeitsstudie mittlerweile vor und wird gegenwär-
        tig geprüft. Es ist geplant, ihre Ergebnisse und weitere
        Konsequenzen im Ressortkreis zu diskutieren. Dabei
        wird auch die Frage ihrer Veröffentlichung entschieden
        werden. Dass sowohl die Ergebnisse als auch eine mög-
        liche Veröffentlichung erst von der Bundesregierung or-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12895
        (A) (C)
        (B) (D)
        dentlich und ressortübergreifend geprüft werden, bevor
        sie zur öffentlichen Disposition stehen, wird meines Er-
        achtens gerade der hohen Wertigkeit dieses sensiblen
        Themas gerecht.
        Gender Budgeting betrifft alle an der Haushaltsauf-
        stellung Beteiligten. Daher muss der Nutzen für mög-
        lichst viele klar erkennbar sein. Es darf kein bürokrati-
        sches Monstrum geschaffen werden. Aufgeblähte
        komplizierte Verfahren wären das Ende von Gender
        Budgeting, bevor es überhaupt begonnen hat.
        Die Bundesregierung fördert seit einigen Jahren das
        Gender-Kompetenz-Zentrum an der Humboldt-Univer-
        sität in Berlin, weil sich gezeigt hat, dass externe Unter-
        stützung bei der Gewinnung von Gender-Kompetenz
        sinnvoll und erforderlich ist. Die Website des Zentrums
        ist nach Sachgebieten und Handlungsfeldern unterteilt.
        Damit bieten sich gezielt Möglichkeiten, für bestimmte
        Themen- und/oder Arbeitsbereiche zumindest Grundin-
        formationen zu erhalten.
        Die Bundesregierung hat außerdem auf ihrer Website
        ein Wissensnetz eingerichtet und bietet dort ihre Arbeits-
        hilfen, zum Beispiel die zur Rechtsetzung. Mit dem
        „Fahrplan der Europäischen Kommission für die Gleich-
        stellung von Frauen und Männern 2006–2010“ wurde
        das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen ver-
        ankert, das Expertisen bereitstellen, den Wissensstand
        erhöhen und das Thema Gleichstellung stärker ins öf-
        fentliche Blickfeld rücken soll.
        Wie die Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen in ih-
        rem Antrag außerdem anerkannt haben, hat die Bundes-
        regierung im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft mit
        einer Fachkonferenz mit dem Titel „Die Verteilung
        machts – Gleichstellung und soziale Gerechtigkeit durch
        geschlechtersensible Haushalte“ dieses Thema ausge-
        leuchtet.
        Auch andere europäische Länder haben eine gleich-
        stellungsorientierte Haushaltsplanung eingeführt. Welt-
        weit existieren bereits in 50 Ländern Gender-Budgeting-
        Initiativen. Trotzdem steckt das geschlechtergerechte
        Management öffentlicher Finanzen noch in den Kinder-
        schuhen, aus denen es zum Beispiel mit Hilfe der Fach-
        tagung herauswachsen soll.
        Mit Fachteilnehmern aus unterschiedlichen Ländern
        wurden die Konzepte und Erfolge dieser Länder als
        Best-Practice-Beispiele vorgestellt und diskutiert. Die
        Mitgliedstaaten der EU und die europäische Ebene kön-
        nen sich beim Thema Gleichstellungspolitik den Ball ge-
        genseitig zuspielen. Gleichstellungsorientiertes Manage-
        ment öffentlicher Finanzen müssen auf allen Ebenen
        öffentlicher Haushalte erprobt und seine Chancen und
        Grenzen genau sondiert werden. Dabei sind auf Ebene
        der Kommunen andere Möglichkeiten gegeben als auf
        der Ebene der nationalen Haushalte oder bei der Aufstel-
        lung und beim Controlling der Haushalte der Europäi-
        schen Union.
        Eine erste und sehr wichtige Schlussfolgerung der
        Diskussionen auf der Tagung war jedoch auch, dass Ge-
        schwindigkeit nicht das Hauptkriterium bei den Umset-
        zungsvorschlägen sein darf. Verbindlichkeit, Seriosität,
        Passgenauigkeit, Angemessenheit, Nutzenorientierung –
        das sind Kriterien, die bei der Implementierung von
        Gender Budgeting vor allem zu beachten sind. Auch
        müssen die Aspekte des geschlechtergerechten Manage-
        ments öffentlicher Haushalte in die bestehenden Abläufe
        integriert werden, die in Politik und Verwaltung bekannt
        sind. Die Dokumentation zur Tagung soll demnächst
        veröffentlicht werden, dann können wir einzelne Punkte
        gerne diskutieren.
        Viele der Forderungen aus Ihrem Antrag sind jedoch
        durch das Handeln der Bundesregierung obsolet, und be-
        vor jetzt die Bundesregierung im Schnellschuss zu ei-
        nem bestimmten Handeln verpflichtet wird, sollten wir
        diese Dokumentation mit den Schlussfolgerungen ab-
        warten.
        Christel Humme (SPD): Haushaltsentscheidungen
        sind immer auch ein Ausdruck von Machtverhältnissen.
        Das war die Feststellung einer österreichischen Profes-
        sorin im Rahmen einer Konferenz der FES. Das sehe ich
        auch so. Deshalb ist für uns Frauen interessant: Wohin
        fließt das Geld im Bundeshaushalt? Wer profitiert da-
        von? Wird damit die Gleichstellung von Männern und
        Frauen gefördert? Oder werden Rollen zugewiesen oder
        gar strukturell verfestigt? Auf europäischer Ebene sind
        diese Fragestellungen schon seit Jahren ein wichtiges
        Thema.
        Es geht um die zentrale Frage: Wie können ge-
        schlechtersensible Haushalte entwickelt und umgesetzt
        werden? Das ist ein Thema, das unter der Überschrift
        „Gender-Budgeting“ diskutiert wird.
        Es gibt auch schon erste Schritte, die die Umsetzung
        einleiten sollen. So haben sich die Finanzminister der
        EU-Länder bereits im Herbst 2001 auf ein gemeinsames
        Vorgehen verständig, bis zum Jahr 2015 Gender-Budge-
        ting europaweit umzusetzen. In der Bundesrepublik
        steckt dieses Thema auf Bundesebene allerdings immer
        noch in den Kinderschuhen und kommt erst langsam ins
        Bewusstsein. Daran muss sich etwas ändern; die heutige
        Debatte kann dazu einen Beitrag leisten.
        Die rot-grüne Bundesregierung unter der zuständigen
        Ministerin Renate Schmidt hat im April 2005 eine
        Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, wie ein ge-
        schlechtergerechter Haushalt auf Bundesebene realisiert
        werden könnte. Jetzt – nach zwei Jahren – liegen die Er-
        gebnisse der Studie endlich vor und sind auf der Home-
        page des Familienministeriums zu lesen. Die meiner An-
        sicht nach hervorragenden umfangreichen Analysen und
        Vorschläge, die dort gemacht werden, dürfen natürlich
        nicht in der Schublade verschwinden, sondern müssen
        genutzt werden.
        Im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft hat
        Frau Ministerin von der Leyen dankenswerterweise eine
        europäische Fachkonferenz zu dem Thema „Die Vertei-
        lung macht's – Gleichstellung und soziale Gerechtigkeit
        durch geschlechtersensible Haushalte“ organisiert und
        sich so dem Thema genähert. Das Fazit der Veranstal-
        tung ist dokumentiert und lautet:
        12896 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        Geschlechterorientierte Haushalte sind Abbild und
        Voraussetzung erfolgreicher, gleichstellungsorien-
        tierter Politik. Sie dokumentieren, dass Reformen
        Diskriminierungen abbauen wollen und wo dies
        noch nicht gelingt. Ein soziales Europa stellt sich
        der Aufgabe, den gesellschaftlichen Wandel mit
        seinen Folgen für Frauen, für Frauen und Männer,
        für das Verhältnis der Geschlechter und für die
        Gleichberechtigung aufzunehmen und zu gestalten.
        Das ist aus unserer Sicht nur zu unterstreichen.
        Mittlerweile müsste es sich eigentlich von selbst ver-
        stehen, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern
        als durchgängiges Prinzip auf allen Entscheidungsebe-
        nen beachtet wird. Ein Prinzip, das unter dem Begriff
        „Gender-Mainstreaming“ bekannt geworden ist.
        Wir haben dafür viele eindeutige Rechtsgrundlagen,
        von denen ich die drei wichtigsten in diesem Zusammen-
        hang nenne: Seit 1994 verpflichtet sich der Staat in Art. 3
        Abs. 2 GG für die Durchsetzung der tatsächlichen
        Gleichstellung zu sorgen. 1999 hat die damalige Bun-
        desregierung auf europäischer Ebene den Amsterdamer
        Vertrag ratifiziert und sich verpflichtet, das Gender-
        Mainstreaming-Prinzip einzuführen. Das hat dazu ge-
        führt, dass es seit September 2000 eine Gemeinsame Ge-
        schäftsordnung, GGO, der Bundesministerien gibt, in
        der sich die Ministerien verpflichten, alle Maßnahmen
        daraufhin zu prüfen, wie sie unter dem Aspekt der För-
        derung der Gleichstellung auf Männer und Frauen
        wirken. Eine geschlechtergerechte Sprache gehört im
        Übrigen dazu. Dieses vereinbarte Prinzip des Gender-
        Mainstreaming hat mittlerweile zu vielen Erfolgen ge-
        führt.
        Geschlechtersensible Haushalte, das heißt „Gender-
        Budgeting“ ist nichts anderes als die konsequente An-
        wendung des Gender-Mainstreaming im Haushaltspro-
        zess. Es sollen geschlechterbezogene Informationen für
        den Haushalt auf allen Ebenen konkret nutzbar gemacht
        werden. Damit können alle haushaltsrelevanten Maß-
        nahmen daraufhin untersucht werden, wie konsequent
        sie tatsächlich zur Gleichstellung von Frauen und Män-
        nern beitragen. Es soll damit auch die Frage nach den
        gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen beantwor-
        tet werden. Das heißt auch: Wie sieht die gesellschaft-
        liche Verteilung von Geld und Zeit, von bezahlter und
        unbezahlter Arbeit aus? Mit diesem Verfahren erreichen
        wir eine sehr hohe Transparenz.
        So leicht die Formulierung des Ziels eines geschlech-
        tergerechten Haushalts ist, umso schwieriger scheint
        eine konkrete und schnelle Umsetzung. Deshalb kann
        die Veröffentlichung der Machbarkeitsstudie nicht gleich
        der unmittelbare Startschuss für die konkrete Umsetzung
        sein.
        Um was es aber gehen muss, ist die Einleitung eines
        Denk-, aber auch Umsetzungsprozesses. Dabei sind die
        aktuellen Ergebnisse der europäischen Fachkonferenz
        des Ministeriums genauso hilfreich wie die umfangrei-
        che Machbarkeitsstudie.
        Die Tatsache, dass sich die Ministerien bereits mit
        Gender-Mainstreaming auseinandergesetzt und Instru-
        mente zum Beispiel der Gesetzesfolgenabschätzung ent-
        wickelt haben, zeigt, dass wir nicht bei null anfangen
        müssen, wenn wir Gender-Budgeting einführen wollen.
        Gerade wenn es um Gleichstellung geht, wird oft das
        Argument angeführt, das Ganze sei zu bürokratisch. Das
        lassen wir nicht gelten. Denn wir wissen, es geht: Vorrei-
        ter auf diesem Gebiet war Australien. Dort wurde 1984
        damit begonnen, durch ein Women’s-Budget herauszu-
        finden, wie sich Haushalt und Regierungshandeln kon-
        kret auf Frauen und Mädchen auswirken.
        Glücklicherweise hat sich inzwischen auch in Europa
        viel getan. Österreich ist mit gutem Beispiel vorange-
        gangen. Dort beschäftigt sich derzeit beispielsweise eine
        Arbeitsgruppe mit der Einführung eines Gender-Budge-
        ting-Prüfverfahrens im Finanzministerium. In Schweden
        wurde bereits vor fünf Jahren mit der Umsetzung eines
        gleichstellungsorientierten Haushalts begonnen. In
        Großbritannien engagiert sich seit 1989 die Women’s
        Budget Group. Frankreich, Belgien und die nordischen
        Staaten haben Schritte zum Gender-Budgeting eingelei-
        tet. In der Schweiz wird in einem ersten Schritt die unbe-
        zahlte Arbeit, die nicht nur dort überwiegend von Frauen
        geleistet wird, in die volkswirtschaftliche Gesamtrech-
        nung mit einbezogen.
        Berlin hat als erstes und bisher einziges Bundesland
        das Prinzip des geschlechtersensiblen Haushalts mit dem
        Doppelhaushalt 2006/07 konsequent umgesetzt. Kom-
        munen wie München haben sich ebenfalls dieser Heraus-
        forderung gestellt.
        Wir sollten all diese Erfahrungen nutzen und uns auch
        auf Bundesebene schrittweise auf den Weg machen.
        Bundesfinanzminister Peer Steinbrück brachte es bei der
        eingangs erwähnten Konferenz der FES treffend auf den
        Punkt:
        Wir brauchen ein sehr viel stärkeres Bewusstsein
        für Gleichstellungsbelange in allen Fachpolitiken,
        im Gegensatz zu einer alleinigen Zuständigkeit des
        Ressorts für Frauen- oder Gleichstellungspolitik.
        Dem ist im noch bestehenden Jahr der Chancen-
        gleichheit nichts hinzuzufügen.
        Ina Lenke (FDP): In Deutschland bezahlen Steuer-
        bürger und -bürgerinnen und Unternehmen im Jahr
        540 Milliarden Euro, aufgeteilt auf Bund, Länder und
        Kommunen. Das Geld wird ausgegeben. Wir alle kennen
        die vielfältigen Aufgaben und Verpflichtungen, die der
        Staat hat. Aber werden sie auch für die größte Gruppe
        der Gesellschaft – die Frauen – und deren besondere
        Aufgaben in der Gesellschaft, wie zum Beispiel Kinder-
        erziehung und -betreuung und Strukturen für die Verein-
        barkeit von Erwerbstätigkeit und Familienarbeit gerecht
        verteilt? Auf der kommunalen Ebene höre ich mehr von
        den hohen Kosten für Kinderbetreuung, nie aber vom
        politischen Auftrag des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG, in dem
        allen staatlichen Ebenen die Aufgabe zukommt, die tat-
        sächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von
        Frauen und Männern zu fördern.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12897
        (A) (C)
        (B) (D)
        Die Grünen hatten in ihrer Regierungszeit von 1998
        bis 2005 mit der SPD eine gute Möglichkeit, geschlech-
        tersensible Haushaltspolitik einzuführen. Warum hat das
        nicht geklappt?
        Interessant ist die Aussage in dem Antrag der Grünen,
        dass die EU eine Entschließung „Gender Budgeting“
        verabschiedet hat, die in den Ländern auf lokaler, regio-
        naler und nationaler Ebene umgesetzt werden soll. Die
        Aussage, dass auf EU-Ebene lediglich „die Möglichkei-
        ten geprüft werden sollen, auch Gender Budgeting ein-
        zuführen“, ist doch sehr vage. Deshalb fehlt in Ihrem
        Antrag die Forderung an die EU-Kommission, erst ein-
        mal selbst für bessere gendergerechte Verhältnisse zu
        sorgen und nicht einfach einen Beschluss für die Mit-
        gliedsländer zu verabschieden.
        Die politischen Forderungen der Grünen sind in dem
        Antrag sehr weich formuliert. Was mich bei Ihnen wun-
        dert! Da soll eine Studie öffentlich diskutiert werden, da
        sollen konkrete Schritte geprüft werden, da soll sicher-
        gestellt werden, dass ein Austausch der Ressorts ermög-
        licht wird. Wo bleiben die konkreten Vorschläge von Ih-
        nen? Die vermisse ich in Ihrem Antrag.
        Meine Zustimmung haben Sie bei Ihrer Kritik, dass
        eine Machbarkeitsstudie zur Umsetzung von Gender
        Budgeting in Auftrag gegeben wurde, die jetzt von der
        Bundesregierung immer noch unter Verschluss gehalten
        wird.
        Beim Verteidigungshaushalt ist die Frage nach Gen-
        der Budgeting für manche nicht nachvollziehbar. Wenn
        ich dazu ein Beispiel nenne, wird es klarer: Seit 2001 ha-
        ben Frauen das Recht, bei der Bundeswehr Dienst zu
        tun. Damit einher geht natürlich auch die Vereinbarkeit
        von Dienst und Familie.
        Ende 2006 wurde das Soldatinnen- und Soldaten-
        Gleichbehandlungsgesetz verabschiedet und zusätzlich
        noch durch den Generalinspekteur der Bundeswehr mit
        einer „Teilkonzeption Vereinbarkeit von Familie und
        Dienst in den Streitkräften“ unterfüttert. Wie heißt es in
        der Teilkonzeption? „Sofern die rechtlichen, finanziellen
        und materiellen Rahmenbedingungen gegeben sind, sol-
        len (…)“. Im Budget des Verteidigungshaushaltes spie-
        gelt sich dies nicht wider.
        Als frauenpolitische Sprecherin der Bundestagsfrak-
        tion der FDP bin ich für eine geschlechtersensible und
        effektive Haushaltspolitik und die Umsetzung von der
        Theorie in die Praxis. Dabei muss Balance gehalten wer-
        den zwischen dem Anspruch und der Umsetzung einer
        gendergerechten Haushaltsführung und der Frage nach
        dem bürokratischen Aufwand, den Kosten und der Wir-
        kung der Maßnahme.
        Österreich hat zum Beispiel dieses Prinzip eingeführt,
        um seinen Staatshaushalt auf seine Wirkung für Gleich-
        stellung zwischen den Geschlechtern zu überprüfen.
        Weltweit existieren bereits in 50 Ländern Gender-Bud-
        geting-Initiativen. Das sollte auch bei uns möglich sein.
        Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Die Linke unter-
        stützt den Antrag der Grünen. Ich möchte auch gleich ei-
        nen Verbesserungsvorschlag einbringen, damit der An-
        trag noch etwas konkreter und anschaulicher wird. Sie
        schreiben in Ihrem Antrag, dass gute Beispiele anderer
        Länder einbezogen werden sollen. Da sollten wir nicht
        den gleichen Umweg machen wie in der Bildungspolitik.
        Sie erinnern sich, dass Heerscharen von Bildungspoli-
        tiker nach Finnland fuhren, um das dortige Schulsystem
        kennenzulernen. Dabei hätte man sich bloß die POS
        – die Polytechnische Oberschule – aus DDR-Zeiten et-
        was unvoreingenommener anschauen müssen. So hätte
        man Reisekosten gespart und wäre zu ähnlichen Ergeb-
        nissen gekommen. Bauer Korl, ein Mecklenburger Ka-
        barettist, hat die Abkürzung POS als „Pisa ohne Schwie-
        rigkeiten“ übersetzt. Da hat er den Nagel auf den Kopf
        getroffen!
        Wenn Herr Steinbrück wissen will, wie ein geschlech-
        tergerechter Haushalt funktioniert, muss er nur eine
        Fahrkarte nach Berlin-Lichtenberg lösen. In meinem
        Wahlkreis können die Bürgerinnen und Bürger direkt
        über die Verwendung ihrer Steuergelder entscheiden. Im
        Rahmen des Bürgerhaushaltes ist Gender Budgeting be-
        reits integriert.
        Was heißt das konkret? Die Haushaltsanalyse hat zum
        Beispiel ergeben, dass Mädchen und Frauen die Sportan-
        lagen des Bezirkes unterdurchschnittlich nutzen. Durch
        gezielte Investitionen und gezielte Vergabe von Sport-
        stätten gibt es jetzt viel mehr aktive Sportlerinnen in
        Lichtenberg. Das ist für mich geschlechtersensible Haus-
        haltspolitik.
        Mir ist klar, dass Herr Steinbrück die Erfahrungen der
        Lichtenberger Bürgermeisterin, Christina Emmrich,
        nicht eins zu eins umsetzen kann, doch die Budgetanaly-
        sen zeigen, dass es eine Benachteiligung von Frauen bei
        der Verwendung von Steuergeldern gibt. Der geschlech-
        terblinde Haushalt verstärkt regelmäßig bestehende Un-
        gleichheiten. Das haben Politikerinnen und Politiker in
        über 40 Ländern erkannt, bloß die Bundesregierung hat
        sich auf diese Entwicklung noch nicht eingestellt. Die
        Bundesregierung ist untätig, obwohl sich die EU-Fi-
        nanzminister verpflichtet haben, bis 2015 Gender Bud-
        geting in allen EU-Ländern umzusetzen.
        Warum ist diese Koalition immer so schwerfällig und
        unwillig, wenn es um mehr Gerechtigkeit bei der Vertei-
        lung von Steuergeldern geht? Auf eine kleine Anfrage
        der Linken zu dem Thema antwortete die Bundesregie-
        rung, dass das Haushaltsgesetz 2007 keine Gleichstel-
        lungsrelevanz habe. Das ist doch borniert und hinter-
        wäldlerisch.
        Ich hoffe, dass die Frauen in der SPD- und in der
        CDU-Fraktion sich des Themas Geschlechtergerechtig-
        keit im Bundeshaushalt annehmen. Im Haushaltsaus-
        schuss ist von 15 Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion
        nur eine Frau in dem Ausschuss. Die SPD hat immerhin
        fünf Frauen. Es wird Zeit, dass mehr Frauen sich mit der
        Verteilung der Steuergelder beschäftigen. Ich würde
        mich freuen, wenn die Ministerinnen dem Finanzminis-
        ter vormachen, wie aus einem geschlechtsblinden Haus-
        halt ein geschlechtergerechter Haushalt werden kann.
        Die Unterstützung der Linken haben Sie.
        12898 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE
        GRÜNEN): Geschlechtersensible Haushaltspolitik –
        vielleicht fragen Sie sich, was das denn sein könnte?
        Nun, es ist der Versuch, den Begriff „Gender Budgeting“
        ins Deutsche zu übertragen.
        Wir hören ja des Öfteren von den Schwierigkeiten mit
        den Anglizismen – allerdings nur, wenn es um Gleich-
        stellung geht; die Hedgefonds und das Benchmarking
        sind davon unbehelligt. Gender Budgeting ist wiederum,
        einfach gesagt, Gender Mainstreaming auf den Haushalt
        angewandt. Gender Mainstreaming muss ich in diesem
        Kreis wohl nicht erklären; das kennt ja inzwischen selbst
        Bundestagspräsident Dr. Lammert.
        Der Haushalt legt die politischen Prioritäten fest und
        ist damit auch ein wichtiger Ansatzpunkt für Geschlech-
        tergerechtigkeit. Es muss analysiert werden, wohin die
        Mittel fließen, wem sie zugute kommen und ob das von
        uns politisch so gewollt ist. Wahrscheinlich werden wir
        dann Prioritäten verändern und Mittel anders verteilen.
        Ich glaube nämlich nicht, dass der Bundeshaushalt ge-
        schlechtsneutral ist.
        Gender Budgeting kann mehr Gerechtigkeit schaffen
        und mehr Zielgenauigkeit. Wir werden mit den gleichen
        Mitteln effizienter und transparenter arbeiten können.
        Darin liegt für mich der Charme von Gender Budgeting.
        Wir haben ja nun endlich die Machbarkeitsstudie in
        den Händen. Noch unter Rot-Grün in Auftrag gegeben,
        verbrachte sie viele Monate in Schubladen, ehe sich die
        Ministerin dazu durchringen konnte, sie ans Licht der
        Öffentlichkeit zu lassen. Aber sie scheint lichtscheu ge-
        blieben zu sein, veröffentlicht nur im Internet, allerdings
        nur auffindbar, wenn man genau weiß, wo sie liegt –
        keine Pressemitteilung, kein Begleittext, nichts. Beim
        Finanzministerium: keine Spur. Schade, als Herr
        Steinbrück Ministerpräsident war, hat NRW die Auf-
        nahme von Gender Budgeting ins Haushaltsgesetz be-
        schlossen; da hätten wir uns ein wenig mehr Einsatz ge-
        wünscht.
        Frau Ministerin, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie
        versuchen offensichtlich, die Studie so schnell und un-
        auffällig wie möglich wieder in die Schublade zurückzu-
        legen. Dabei finden sich auf den 234 Seiten interessante
        Vorschläge. Am leichtesten lassen sich personenbezo-
        gene Förderungen analysieren: Fördert das Auswärtige
        Amt Schulen in Regionen, in denen Koedukation nicht
        erwünscht ist, müssen neben Jungenschulen auch Mäd-
        chenschulen finanziert werden. Wenn Sie mich fragen,
        müssten oft sogar mehr Mädchenschulen gefördert wer-
        den. Darüber könnten wir dann diskutieren.
        Die Forschungsgruppe macht auf eine wesentliche
        Voraussetzung für Gender Budgeting aufmerksam: die
        Akzeptanz. Einige Häuser haben sich der Zusammen-
        arbeit sogar komplett verweigert, wie das Verteidigungs-
        ministerium, und da wäre es nötig. Es nützt doch nichts,
        wenn zwar Konzepte zur Vereinbarkeit von Familie und
        Dienst in den Streitkräften geschrieben werden, aber
        dann keinerlei Mittel eingestellt werden.
        Die der Studie vorangestellten „Anmerkungen der
        Bundesregierung“ sind nicht sonderlich motivierend. Da
        heißt es, es bedürfe „noch der Klärung grundsätzlicher
        Fragen“. Die Vorschläge seien „zum Teil mit erhebli-
        chem bürokratischem Aufwand verbunden“. Vielleicht
        verstehe ich hier etwas falsch, aber ein engagierter Auf-
        bruch klingt anders.
        Dabei müssen Sie aktiv werden. Die EU verlangt das
        von ihren Mitgliedstaaten, und viele Länder haben be-
        reits konkrete Maßnahmen entwickelt. Während der
        deutschen EU-Ratspräsidentschaft gab es als einziges
        gleichstellungspolitisches Projekt eine Konferenz zu
        Gender Budgeting. Ergebnis: eineinhalb Seiten unver-
        bindlichster „Schlussfolgerungen“. Wo wir gerade beim
        Thema Finanzen sind: Ein verantwortungsvoller Um-
        gang mit Steuergeldern sieht anders aus.
        Wir fordern Sie auf, die Ergebnisse der Studie öffent-
        lich zu diskutieren. Suchen Sie den Austausch mit ande-
        ren EU-Ländern! Unterziehen Sie ausgewählte Ausga-
        ben- und Einnahmenarten der Ressorts einer Gender-
        Budgeting-Analyse! Beginnen Sie! Die Einführung von
        Gender Budgeting wird ein längerfristiger Prozess sein.
        Fangen wir damit an!
        Eine Studie zu verbergen, eine große Konferenz fast
        klandestin abzuhalten und sich ansonsten mit dem Bloß-
        keine-Bürokratie-Mantra der Debatte zu entziehen, ist
        kein sinnvoller Politikstil. Unterstützen Sie ein Instru-
        ment, das zu mehr Zielgenauigkeit, mehr Transparenz
        und mehr Gerechtigkeit führen wird!
        Anlage 10
        Zu Protokoll gegebene Rede
        zur Beratung der Anträge:
        – Fortsetzung der Beteiligung deutscher
        Streitkräfte an der Friedensmission der Ver-
        einten Nationen im Sudan (UNMIS) auf
        Grundlage der Resolution 1590 (2005) des
        Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom
        24. März 2005 und weiterer Mandatsverlän-
        gerungen durch den Sicherheitsrat der Ver-
        einten Nationen
        – Beteiligung bewaffneter deutscher Streit-
        kräfte an der AU/UN Hybrid Operation in
        Darfur (UNAMID) auf Grundlage der Reso-
        lution 1769 (2007) des Sicherheitsrats der
        Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007
        (Tagesordnungspunkt 17 a und b)
        Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Wir beraten
        heute Abend über die Fortsetzung der Beteiligung deut-
        scher Soldaten an der Friedensmission der Vereinten Na-
        tionen im Sudan – UNMIS –, an der auch deutsche
        Streitkräfte seit mehr als zwei Jahren beteiligt sind und
        über die – neue – Beteiligung von deutschen Soldaten an
        einer zweiten Mission, dieses Mal einer Mission aus
        Vereinten Nationen und Afrikanischer Union in Darfur,
        UNAMID.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12899
        (A) (C)
        (B) (D)
        Herr Staatsminister Erler hat vorgetragen, wie es zu
        diesen Missionen gekommen ist; er hat die mit der
        UN-Charta und den Beschlüssen des UN-Sicherheits-
        rates übereinstimmende völkerrechtliche Grundlage dar-
        gelegt und auch begründet, warum beide Missionen poli-
        tisch notwendig und sinnvoll sind. Wir teilen diese
        Auffassung und unterstützen beide Anträge auch ange-
        sichts der schwerwiegenden Risiken für Leben und Ge-
        sundheit der beteiligten Soldaten, die dem Deutschen
        Bundestag bei der Entscheidung über solche Missionen
        immer vor Augen stehen müssen.
        Die Lage im Sudan ist – wir hören und sehen das täg-
        lich in den Nachrichten – außerordentlich problematisch.
        Die politischen Spannungen zwischen dem Norden und
        dem Süden drohen wieder in offene gewaltsame Ausein-
        andersetzungen zurückzufallen. Die Gewalt und Über-
        fälle, Unrecht, schwerste Menschenrechtsverletzungen
        und Vertreibungen in Darfur wie auch die häufig
        schreckliche Lage der vielen Flüchtlinge und IDPs im
        Darfur und jenseits der Grenzen im Tschad und in der
        Zentralafrikanischen Republik verlangen die Aufmerk-
        samkeit und auch die Hilfe der Weltöffentlichkeit. Bei
        meinem Besuch in Lagern für Darfur-Flüchtlinge, aber
        auch IDPs im Tschad an der Grenze zu Darfur vor eini-
        gen Wochen haben das Elend und auch die begründeten
        Ängste der Menschen dort mit ihren schrecklichen
        Schicksalen einen bleibenden Eindruck bei mir hinter-
        lassen. Ihnen muss geholfen werden. Das versuchen die
        Vereinten Nationen auf ganz unterschiedlichen Wegen:
        durch Hilfen für die Flüchtlinge, durch Appelle und die
        Unterstützung von Verhandlungen unter Einbeziehung
        erfahrener Sonderberichterstatter und durch die Ein-
        schaltung des Internationalen Strafgerichtshofs. Es muss
        darum gehen, auf dem Verhandlungsweg Lösungen für
        die komplexen Problemen zu finden, die den Menschen
        in der Region das friedliche Miteinanderleben ermögli-
        chen. Dazu ist auch der Beitrag der Länder erforderlich,
        die – wie etwa die Volksrepublik China, aber auch an-
        dere Staaten – wirtschaftliche Interessen in der Region
        verfolgen.
        UNMIS versucht seit mehreren Jahren nicht ohne Er-
        folg, dazu beizutragen, das Abgleiten des trotz Friedens-
        abkommens weiter bestehenden Konflikts zwischen der
        Zentralregierung in Khartoum und dem Südsudan in er-
        neute gewaltsame Auseinandersetzungen zu verhindern.
        Das ist auch weiterhin erforderlich. Die deutsche Beteili-
        gung an UNMIS hat sich in den vergangenen Jahren als
        notwendig und nützlich erwiesen. Herr Staatsminister
        Erler hat uns das Ausmaß und die Kosten der jetzt zu
        verlängernden Beteiligung vor Augen geführt. Die müs-
        sen wir tragen.
        Die zweite Mission in Verantwortung von UN und
        AU, die sogenannte Hybridmission UNAMID auf der
        Grundlage der Resolution 1769/2007 des UN-Sicher-
        heitsrates, braucht die Beteiligung der deutschen Solda-
        ten in dem dargelegten Umfang ebenfalls, um dabei zu
        helfen, wenigstens das an Zurückdrängung von Gewalt
        und damit an Vorbereitung politischer Verhandlungen
        über die komplexen Konflikte in Darfur und darüber hi-
        naus in der Region sicherzustellen, was mit militärischen
        Möglichkeiten erreicht werden kann.
        Wir hoffen, dass UNAMID zum Ziel führen kann,
        und halten die Beteiligung deutscher Soldaten insbeson-
        dere beim Lufttransport im Einsatzgebiet von UNAMID,
        aber auch für Beratungs- und Hilfsaufgaben für sinnvoll.
        Zugleich allerdings unterstreichen wir, was auch die
        Bundesregierung mehrfach zum Ausdruck gebracht hat,
        dass nämlich der Schwerpunkt des Engagements der
        Weltöffentlichkeit für die gequälten Menschen in Darfur
        in der Ermöglichung und Unterstützung tragfähiger poli-
        tischer Lösungen liegen muss.
        Anlage 11
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Integrierte Planung
        für Schiene und Straße im Rheingraben –
        Gesamtverkehrskonzept Südbaden (Tagesord-
        nungspunkt 18)
        Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Die Bahn-
        strecke durch den Oberrheingraben von Mannheim bis
        Basel ist Teil einer der bedeutendsten und am stärksten
        genutzten Nord-Süd-Verbindungen im europäischen
        Eisenbahnverkehr. Schon heute ist diese Strecke mit
        130 Prozent Auslastung überbelastet. Und für die Zu-
        kunft wird ein weiterer deutlich ansteigender Bedarf für
        diese Schienenstrecke prognostiziert. So soll bis zum
        Jahr 2025 der Verkehr gegenüber heute um rund 50 Pro-
        zent zunehmen. Dies betrifft vor allem die Güterver-
        kehre.
        Diese bedeutende Eisenbahnstrecke muss und soll da-
        her von heute zwei auf künftig vier Gleise ausgebaut
        werden. Teilweise ist dieser Ausbau bereits erfolgt. Für
        den Streckenabschnitt von Offenburg bis Basel sind die
        Planrechtsverfahren eingeleitet. In einem Abschnitt be-
        steht bereits Baurecht und kürzlich wurde für den in die-
        sem Abschnitt liegenden Katzenbergtunnel erfolgreich
        der Tunneldurchstich gefeiert. Zwischen Offenburg und
        Karlsruhe ist der Rastatter Tunnel bestandskräftig plan-
        festgestellt und sollte möglichst bald realisiert werden.
        Ab der deutsch-schweizerischen Grenze Richtung
        Süden betreibt die Schweiz mit der Neuen Eisenbahn-
        Alpentransversale ihrerseits ein großes Schienenver-
        kehrsbauprojekt, zu dem vor allem zwei neue Eisen-
        bahntunnel unter dem Lötschberg und unter dem
        Gotthard gehören. Im Vertrag von Lugano haben die
        Bundesrepublik Deutschland und die Schweizer Eidge-
        nossenschaft sich zu einem gemeinsam abgestimmten
        Schienenausbau verpflichtet.
        Im dichtbesiedelten Oberrheingraben stellt der Aus-
        bau von bislang zwei auf vier Bahngleise eine große He-
        rausforderung für eine umwelt- und anwohnergerechte
        Planung dar. Die Städte und Gemeinden entlang der
        Rheintalbahn fordern ebenso wie die betroffenen Bürge-
        rinnen und Bürger, dass beim Bahnausbau auf ihre städ-
        tebaulichen Belange, auf den Schutz der Menschen vor
        Lärm und anderen Beeinträchtigungen in besonderer
        Weise Rücksicht genommen wird. Dieses Anliegen ist
        voll und ganz zu unterstützen.
        12900 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        Nun hat die FDP zu einigen Anliegen der Region am
        Oberrhein einen Antrag im Deutschen Bundestag vorge-
        legt. Erlauben Sie mir den Hinweis: Dieser FDP-Antrag,
        der sich an die Bundesregierung wendet, kommt etwas
        spät. Denn wir befinden uns in allen im Antrag erwähn-
        ten Streckenabschnitten in bereits eingeleiteten Plan-
        rechtsverfahren, in die politisch zurzeit gar nicht einge-
        griffen werden darf. Vielmehr geht es jetzt darum, dass
        die Trassenalternativen und Änderungswünsche in den
        Verfahren sachgerecht bearbeitet werden. Und dazu gibt
        es konkrete Ansatzpunkte und Initiativen, die leider im
        FDP-Antrag überhaupt nicht erwähnt werden:
        Erstens. Auf meine Initiative hin haben im August
        dieses Jahres das für die Infrastruktur zuständige Vor-
        standsmitglied der DB AG, Stefan Garber, und der Vor-
        stand der DB-Netz, Oliver Kraft, die Region am Ober-
        rhein besucht und mit Abgeordneten des Landes und des
        Bundes, Vertretern der Landesregierung von Baden-
        Württemberg, dem Regierungspräsidium von Freiburg
        und den Bürgermeistern die Forderungen und Anregun-
        gen zur Bahnplanung besprochen. Zuvor fand zum glei-
        chen Thema ein Gespräch mit den Bürgerinitiativen in
        Berlin statt. Ergebnis ist: Die Bahn prüft jetzt im Detail
        die Vorschläge für einen Güterzugtunnel in Offenburg,
        für eine autobahnparallele Führung einer Güterzugtrasse
        im Bereich zwischen Offenburg und Freiburg und die so
        genannte Bürgertrasse im Markgräflerland. Es ist ein
        großer Erfolg, dass nicht nur eine Abschichtung der
        Planvarianten erfolgt, sondern endlich zu den von den
        Städten und Gemeinden vorgeschlagenen Alternativen
        konkrete Untersuchungen und Planungen durchgeführt
        werden.
        Zweitens. Für den Lärm- und Erschütterungsschutz
        und ebenso für die Beurteilung von Trassenvarianten ist
        von größter Bedeutung, welche Zugzahlen den Planun-
        gen zugrunde gelegt werden. Es ist der Initiative ver-
        schiedener Abgeordneter und des Regierungspräsidenten
        von Freiburg zu verdanken, dass jetzt die Zugzahlen für
        das Jahr 2025 erhoben werden. Dieses Gutachten wird
        demnächst vorgelegt. Ab dann wird die Bahn nicht mehr
        wie bisher die Zugzahlen für das Jahr 2015, sondern die
        voraussichtlich höheren Zahlen für 2025 den Planungen
        zugrunde legen müssen. Das ist ein wichtiger Erfolg, um
        Veränderungen bei den Planungen bewirken zu können.
        Der Landesregierung von Baden-Württemberg ist zu
        danken, dass sie die Finanzierung dieses Gutachtens
        übernommen hat.
        Drittens. Die Landesregierung von Baden-Württem-
        berg hat die Einsetzung einer Projektarbeitsgruppe unter
        dem Vorsitz des für die Verkehrspolitik zuständigen In-
        nenministers Heribert Rech beschlossen, die die Forde-
        rungen und Anregungen der Städte und Gemeinden so-
        wie der Bürgerinitiativen zusammenstellen soll und ein
        Spitzengespräch von Ministerpräsident Günter Oettinger
        mit Herrn Mehdorn und Herrn Tiefensee vorbereiten
        soll. Ich freue mich, dass die Landesregierung und vor
        allem der Ministerpräsident des Landes Baden-Württem-
        berg sich mit einer eigenen Arbeitsgruppe für die Be-
        lange der Städte und Gemeinden an der Rheintalbahn
        engagiert. Da die FDP an der Landesregierung von Ba-
        den-Württemberg beteiligt ist, gehe ich davon aus, dass
        sie ihre Vorstellungen und Anregungen in diese Arbeits-
        gruppe einbringt und nicht nur Anträge im Bundestag
        stellt. Es wäre schön, wenn seitens der FDP dazu auch
        etwas zu hören oder zu lesen wäre. Die Bewährungs-
        probe, ob man eine Sache wirklich ernst nimmt, muss
        man zuerst dort bestehen, wo man regiert.
        Viertens. Die von den Städten und Gemeinden sowie
        den Bürgerinitiativen vorgeschlagenen Trassenalternati-
        ven werden auch zu Mehrkosten beim Aus- und Neubau
        der Rheintalstrecke führen. Leider sagt die FDP dazu in
        ihrem Antrag gar nichts. Und damit ist dieser Antrag ei-
        gentlich nichts wert, denn die politische Nagelprobe ist
        nicht beim Abfassen lyrisch schöner Anträge zu beste-
        hen, sondern beim Haushalt. Die Koalitionsfraktionen
        von CDU/CSU und SPD wissen, dass wir mehr Finanz-
        mittel für den Ausbau der Schieneninfrastruktur benöti-
        gen. Dass wir es auch ernst meinen, zeigt unser Antrag
        bei den derzeit laufenden Beratungen über den Bundes-
        haushalt 2008, die Schienenausbaumittel allein für das
        kommende Jahr deutlich zu erhöhen.
        Zusammenfassend zeigen diese Aktivitäten, dass
        auch ohne Bundestagsanträge gute Fortschritte erzielt
        wurden, um den Belangen der Städte und Gemeinden im
        Planungsprozess besser gerecht zu werden. Ich finde,
        dass wir Abgeordneten aus der Region am Oberrhein ge-
        meinsam mit den Städten, Gemeinden und Bürgerinitia-
        tiven an einem Strang ziehen sollten. Wir sollten uns
        nicht mit ständig neuen Presseerklärungen oder Ankün-
        digungen gegenseitig die Show stehlen wollen. Gemes-
        sen werden wir an dem, was wir konkret in unserer je-
        weiligen Verantwortung tun und dann auch tatsächlich
        erreichen. Die Region am Oberrhein ist eine der schöns-
        ten Gegenden Deutschlands mit lebens- und liebenswer-
        ten Städten und Gemeinden. Wir wollen, dass das so
        auch in Zukunft bleibt. Dafür arbeiten wir.
        Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD): Lärm stresst.
        Lärm kann krank machen. Ruhezonen sind rar. Über
        80 Prozent der Bevölkerung Deutschlands fühlen sich
        durch Lärm belästigt. Die Belastung durch Verkehrslärm
        wird stärker als in der Vergangenheit als gravierende
        Einschränkung der Lebensqualität empfunden. In unse-
        rer hektischen und lauten Welt wird Lärm zunehmend
        als störend und als Beeinträchtigung der Kommunika-
        tion, der Konzentration und der Erholung wahrgenom-
        men. Trotz einer positiven Einstellung zur Mobilität sind
        die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr bereit, Ver-
        kehrslärm hinzunehmen.
        Verkehrslärm ist zu einer zentralen Akzeptanzfrage
        für die Verkehrsentwicklung aller Verkehrsträger gewor-
        den. Bei jeder geplanten Infrastrukturmaßnahme gibt es
        dieses Dilemma: Auf der einen Seite wollen wir die Ver-
        kehrsinfrastruktur ausbauen, um dem Zuwachs an Ver-
        kehr gerecht zu werden und wie im Rheingraben mehr
        Güterverkehr auf die Schiene zu bringen. Das macht
        auch ökologisch und ökonomisch Sinn. Zum anderen
        müssen die Belastungen der Anwohner möglichst gering
        gehalten werden. Ein wichtiges Ziel unserer Verkehrs-
        politik ist es, mehr Transport auf die Schiene zu bringen.
        Das gilt sowohl für Personen als auch für Güter. Aber
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12901
        (A) (C)
        (B) (D)
        mit jedem Wagen und jedem zusätzlichen Container, der
        mit dem Zug transportiert wird, steigt der Lärm an der
        Schiene. Die Forderung der Bürgerinitiativen und der
        Anwohner nach ausreichendem Lärmschutz ist gut nach-
        vollziehbar. Deshalb wollen wir mehr Lärmschutz an
        Verkehrswegen und besonders an der Schiene!
        Wir wollen auch eine Verbesserung der Trasse entlang
        der Neu- und Ausbaustrecke Karlsruhe–Basel. Die Tras-
        sierung der Neubaustrecke ist durch die raumordnerische
        Entscheidung des Landes im Grunde vorgegeben. Das
        Vorhaben hat die gesamten vorgelagerten Verfahren wie
        auch die Raumordnung durchlaufen. Von den zuständi-
        gen Landesbehörden sind in diesem Verfahren autobahn-
        parallele Varianten verworfen worden. Der Bund hat
        keine Möglichkeit, in die laufenden Planfeststellungs-
        verfahren einzugreifen. Eine politische Entscheidung für
        oder gegen eine bestimmte Lösung ist im laufenden Ver-
        fahren nicht möglich. Die Prüfung einer Maßnahme wird
        durch das Eisenbahnbundesamt durchgeführt. Innerhalb
        der Planfeststellung müssen immer Varianten untersucht
        werden. Es stehen derzeit zwei Gutachten aus. Die Lan-
        desregierung von Baden-Württemberg hat eine neue
        Verkehrsprognose in Auftrag gegeben. Neue Ergebnisse
        können Anhaltspunkte für vertiefende Untersuchungen
        sein. Wir warten die Ergebnisse ab.
        Wir haben dafür gesorgt, dass alle neuen relevanten
        Daten in die laufenden Planfeststellungsverfahren einge-
        hen werden. Das bedeutet: Wenn bei dem Prognosehori-
        zont 2025 höhere Zugzahlen zu erwarten sind, müssen
        diese Zahlen Grundlage für die Variantenuntersuchun-
        gen sein. Kommt das Eisenbahnbundesamt bei dieser
        Prüfung zu dem Schluss, dass eine bestimmte Investition
        notwendig ist, um das Projektziel zu erreichen, und dass
        sie dazu noch wirtschaftlich ist, so finanziert der Bund
        diese Investitionen.
        Ich begrüße es sehr, dass der Bundesverkehrsminister
        Wolfgang Tiefensee zugesagt hat, eine gleichrangige
        und gleichtiefe Untersuchung der Varianten in Offen-
        burg, nämlich die A-3-Trasse und den Tunnel, zu ge-
        währleisten. Ich begrüße auch, dass die DB Netz AG
        sich bereit erklärt hat, Alternativplanungen vertieft zu
        untersuchen, um damit für die laufenden Planfeststel-
        lungsverfahren eine solide Entscheidungsgrundlage zu
        schaffen.
        Die Bürgerinnen und Bürger sowie die Kommunen
        können sich unmittelbar an den Anhörungen in Rahmen
        der Planfeststellungsverfahren beteiligen. Diese Einwen-
        dungen müssen im laufenden Planfeststellungsverfahren
        abgearbeitet werden. Ich sage es noch einmal: Wir wol-
        len eine Verbesserung der Trassenführung.
        Gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen
        der Sozialdemokratischen Bundestagsfraktion pflegen
        wir den Dialog mit den Bürgerinitiativen und den betrof-
        fenen Anwohnern vor Ort. Wir haben in vielen Gesprä-
        chen mit dem Bundesverkehrsministerium, mit dem Ei-
        senbahnbundesamt und mit der Deutschen Bahn AG die
        Problematik entlang der Rheintalbahn von Karlsruhe
        nach Basel deutlich gemacht und die besondere Situation
        geschildert. Die Sensibilisierung zu dem Thema ist all-
        gemein sehr hoch. Wir werden die betroffenen Anwoh-
        ner auch weiterhin unterstützen.
        Die von der FDP in ihrem Antrag vorgeschlagenen
        Alternativen, wie die Parallelführung entlang der Auto-
        bahn, würden dazu führen, dass die Planungsverfahren
        neu aufgerollt werden müssten. Das würde einen völli-
        gen Planungsstopp der laufenden Verfahren bedeuten.
        Haben Sie sich diese Konsequenzen Ihrer Forderungen
        eigentlich bewusst gemacht? Die Verzögerungen, die da-
        durch entstehen würden, sind verkehrspolitisch nicht zu
        vernachlässigen. Sie brächten die Bundesrepublik
        Deutschland in die Situation, dass sie ihren vertraglichen
        Verpflichtungen gegen über der Schweiz, nämlich ge-
        mäß dem Vertrag von Lugano den NEAT-Zulauf zu ge-
        währleisten, nicht nachkäme.
        Der Antrag, den die FDP-Fraktion in den Deutschen
        Bundestag eingebracht hat, trägt den hochtrabenden
        Titel „Integrierte Planung für Schiene und Straße im
        Rheingraben – Gesamtverkehrskonzept Südbaden“. Un-
        ter einem Gesamtverkehrskonzept stelle ich mir einen
        integrierten Ansatz vor, der alle Verkehrsträger ein-
        schließt und miteinander verknüpft. Der Inhalt des FDP-
        Antrages auf anderthalb Seiten verdient noch nicht ein-
        mal den Namen „Konzeptchen“, geschweige denn die
        Titulierung „Gesamtverkehrskonzept Südbaden“.
        Die FDP fordert den Bund in ihrem Antrag auf, in ein
        laufendes Planfeststellungsverfahren einzugreifen. Hät-
        ten die Antragsschreiber ein Einführungsseminar zum
        Thema „Wie plant der Bund Schienenwegen?“ besucht,
        wüssten sie, dass der Bund keine Möglichkeit hat, in ein
        laufendes Planfeststellungsverfahren einzugreifen.
        Dass die von der FDP vorgeschlagenen Alternativen
        Mehrkosten voraussichtlich in Höhe von über 1 Milli-
        arde Euro bedeuten, soll auch nicht unerwähnt bleiben.
        So viel zu der Qualität des FDP-Antrages.
        Wir schreiben keine kläglichen Anträge wie die FDP,
        sondern setzen uns aktiv für Verkehrslärmschutz ein. Die
        Belastung durch Verkehrslärm nehmen wir sehr ernst. So
        haben wir zum Beispiel die Mittel für das Lärmsanie-
        rungsprogramm an bestehenden Schienenwegen von
        50 Millionen Euro auf 100 Millionen Euro angehoben
        und legen im Haushalt für 2008 nochmals zu. Das ist
        eine Mittel-Erhöhung um 100 Prozent und ein deutliches
        Zeichen. Im Bundeshaushalt 2008 fördern wir erstmals
        lärmmindernde Maßnahmen zur Umrüstung von Schie-
        nengüterfahrzeugen. Wir wollen einen schnelleren Ein-
        bau von leiseren Kunststoff-Bremsen erreichen. Die he-
        rausragende Lärmquelle ist das Rollgeräusch, das im
        Rad-Schiene-Kontakt bei Güterwagen entsteht. Im Ge-
        gensatz zu den herkömmlichen Grauguss-Bremssohlen
        werden die Radlaufflächen der Güterwagen von Ver-
        bundstoff-Bremssohlen nicht aufgeraut, so dass ein er-
        heblich ruhigerer Radlauf erzielt wird. Die vollständige
        Umrüstung aller Güterfahrzeuge wird einige Zeit in An-
        spruch nehmen, aber die Lärmminderung, die wir damit
        erreichen werden, ist enorm. Dies wird die Anwohner an
        Schienenstrecken in ganz Deutschland erheblich von
        Lärm entlasten. Darüber hinaus muss eine europäische
        Lösung angestrebt werden, damit auch die ausländischen
        12902 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        Güterwagen auf unserem Schienennetz diesen Anforde-
        rungen gerecht werden.
        Der Aus- und Neubau der Schienenstrecke von Karls-
        ruhe nach Basel ist ein wichtiges Infrastrukturprojekt für
        Baden-Württemberg. Ziel der Baumaßnahme ist die Ka-
        pazitätserhöhung und Qualitätsverbesserung dieser
        Hauptabfuhrstrecke. Sie ist Teil einer ersten durchgehen-
        den Nord-Süd-Verbindung im Hochleistungsnetz der
        Deutschen Bahn AG und zugleich ein wichtiges Binde-
        glied für den weiterführenden Verkehr in die Schweiz
        sowie zur Schnellbahn Paris-Ostfrankreich-Südwest-
        deutschland. Die Maßnahme steht in engem Zusammen-
        hang mit der Inbetriebnahme des Lötschberg-Basis-
        tunnels und des Gotthard-Basistunnels in der Schweiz.
        Beide Strecken, Basel–Mailand via Bern und
        Basel–Mailand via Chiasso, müssen wir ertüchtigen, um
        der zu erwartenden Steigerung des Güterverkehrs zu be-
        gegnen.
        Die kapazitätsmäßige und qualitative Verbesserung
        der Strecke wird durch den Bau einer zweigleisigen
        Neubaustrecke mit einer Höchstgeschwindigkeit von bis
        zu 250 Stundenkilometer weitgehend parallel zu der be-
        stehenden Strecke erreicht. Eine Ausnahme bildet hier
        die Strecke Karlsruhe–Rastatt und die Güterumfahrung
        Freiburg. Der viergleisige Ausbau stellt für die Rheintal-
        bahn eine wesentliche Änderung nach § 1 der 16. Bun-
        des-Immissionsschutzverordnung dar. Damit haben die
        Anwohner einen Rechtsanspruch auf Schallschutzmaß-
        nahmen für alle vier Gleise.
        Einige Probleme halte ich bei der Autobahnvariante
        für ungeklärt. So ist zum Beispiel der Flächenbedarf des
        Trassenverlaufs noch größer als bereits 1992 angenom-
        men. Die Umfahrung von Autobahnauffahrten und Rast-
        plätzen ist genauso schwierig wie die Kreuzung zum
        Beispiel von Baggerseen, die ein wichtiges Naherho-
        lungsgebiet für die Region darstellen.
        Ich warne davor, großzügig andere Trassenverläufe
        vorzuschlagen und damit die Belastungssituation nur zu
        verlagern. Unser Ziel ist ein umweltgerechter und scho-
        nender Ausbau der Rheintalbahn sowie ein möglichst
        hoher Schutz der Anwohner vor Lärm. Populistische
        Anträge der Opposition helfen in der Sache nicht weiter.
        Ernst Burgbacher (FDP): Nachdem auf verschiede-
        nen Veranstaltungen, insbesondere auf der Großkundge-
        bung in Freiburg am 7. Oktober, auch von Vertretern von
        CDU und SPD Unterstützung für die Forderungen der
        Bürgerinitiativen zugesichert wurde, ist es jetzt an der
        Zeit, auch im Parlament Farbe zu bekennen. Zu Recht
        hat die IG Bohr, die Interessengemeinschaft Bahnprotest
        an Ober- und Hochrhein, eindringlich den Primat der Po-
        litik angemahnt. Die Politik muss ihre Verantwortung
        wahrnehmen; daher legt die FDP-Bundestagsfraktion
        heute den Antrag „Integrierte Planung für Schiene und
        Straße im Rheingraben – Gesamtverkehrskonzept Süd-
        baden“ vor. Wenn die Mehrheit des Hauses diesem Kon-
        zept zustimmt, wird die Umsetzung der Forderungen
        deutlich erleichtert werden.
        Ausdrücklich will ich den in der IG Bohr vereinten
        Bürgerinitiativen für ihre Arbeit und ihren Einsatz dan-
        ken. Ihnen geht es nicht darum, einfach etwas zu verhin-
        dern, sondern sie legen konstruktive Vorschläge vor.
        Dies verdient unseren großen Respekt.
        Beim Ausbau der Rheintalbahn handelt es sich nicht
        nur um ein Jahrhundertbauwerk, diese Trasse wird noch
        viel länger Bestand haben. Umso wichtiger ist es, die be-
        rechtigten Sorgen der Menschen in der Region ernst zu
        nehmen und eine für Mensch und Natur zukunftsfähige
        Lösung zu finden. Das viergleisige Trassenteilstück Of-
        fenburg–Basel ist Teil einer Hauptverkehrsader Europas,
        die Rotterdam mit Genua, die Nordsee mit dem Mittel-
        meer verbindet. Es handelt sich also keineswegs um ein
        rein südbadisches, sondern um ein deutsches, ja europäi-
        sches Problem. Der Verkehrskorridor im Rheingraben ist
        Bestandteil des transeuropäischen Verkehrsnetzes. Da-
        her ist der Bundestag hier in der Pflicht. Die Trasse, so
        wie sie derzeit geplant ist, wird für die Menschen in der
        Rheinebene unzumutbare Lärmbelästigungen mit sich
        bringen, sie wird auch die wertvollen Kulturlandschaften
        am Oberrhein in ihrem Wert deutlich mindern. Um zu ei-
        nem menschen- und umweltverträglichen Bahnausbau
        zu kommen, muss die vorgesehene Trassenführung ge-
        ändert werden.
        Wir anerkennen – nach dem ökologisch und ökono-
        misch richtigen Grundsatz: Personen und Güter von der
        Straße auf die Schiene! – ausdrücklich die Notwendig-
        keit der Optimierung der Strecke Karlsruhe–Basel als
        Teil der europäischen Nord-Süd-Magistrale und damit
        auch die Notwendigkeit des dritten und vierten Gleises
        zwischen Offenburg und Weil. Wir wollen die Verträge
        mit der Schweiz erfüllen. Deshalb sind jetzt rasche Ent-
        scheidungen vonnöten.
        Die Menschen in Südbaden erwarten zu Recht, dass
        ihren Bedürfnissen nach Lärmschutz und nach einer
        landschaftsverträglichen Verkehrsplanung Rechnung ge-
        tragen wird. Eine Beeinträchtigung der Anwohner durch
        Lärm, Flächenverbrauch und gegebenenfalls auch Ein-
        griffe in das Eigentumsrecht werden unvermeidbar sein.
        Die Akzeptanz dieser Eingriffe kann jedoch in entschei-
        dender Weise erhöht werden, wenn auf die Bedürfnisse
        des Umwelt- und Lärmschutzes mit integrierten Lö-
        sungsansätzen bei der Verkehrswegeplanung und insbe-
        sondere der Trassenführung geantwortet wird.
        Um eine Zerschneidung der Stadt Offenburg zu ver-
        hindern, ist die Unterfahrung in einem Tunnel erforder-
        lich. Für den Rheingraben südlich von Offenburg bis zur
        Einmündung in die Westumfahrung Freiburgs ist die
        Verlagerung der Neubautrasse an die Bundesautobahn 5,
        also eine Bündelung von Schiene und Straße, die beste
        Lösung. Durch die Bündelung der Linienführung von
        Straße und Schiene werden die Auswirkungen auf
        Mensch und Umwelt am wirkungsvollsten reduziert. Im
        Westen Freiburgs bis zum Nordportal des Mengener
        Tunnels muss eine Trassenabsenkung angestrebt werden.
        Vom Südportal des Mengener Tunnels bis südlich von
        Buggingen ist eine teilgedeckelte Tieflage notwendig.
        Die FDP-Bundestagsfraktion setzt sich mit allem
        Nachdruck für eine menschen- und umweltgerechte Pla-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12903
        (A) (C)
        (B) (D)
        nung der neuen Trasse ein, aber auch für die generelle
        Lärmreduktion im gesamten Schienennetz nach dem ak-
        tuellen Stand der Bahntechnik. Die FDP fordert alle
        Fraktionen, insbesondere aber die Regierungsfraktionen,
        auf, der Bundesregierung einen Prüfauftrag, in Abstim-
        mung mit der Landesregierung Baden-Württemberg, der
        Deutschen Bahn AG und dem Eisenbahnbundesamt, für
        die genannten Maßnahmen zu erteilen. Außerdem for-
        dern wir zeitnah einen Bericht über den Planungsstand
        und die Vorstellungen der Bundesregierung zur Realisie-
        rung einer landschaftsgerechten Trassenführung und ei-
        nes größtmöglichen Lärmschutzes für die Anwohner-
        schaft.
        Ich hoffe sehr, dass Union und SPD nicht nur bei
        Großkundgebungen mit den betroffenen Anwohnern
        schöne Reden halten, sondern hier im Parlament ihren
        Worten auch die entsprechenden Taten folgen lassen und
        dem Antrag der FDP-Bundestagsfraktion zustimmen
        werden.
        Dorothée Menzner (DIE LINKE): Wir kommen
        nicht daran vorbei und auch die Linke wiederholt es in-
        zwischen gebetsmühlenartig: Der Güterverkehr wird
        sich in den nächsten Jahren verdoppeln! Und wie die
        FDP in ihrem Antrag schreibt: Das Mengenwachstum
        des Güterverkehrs übertrifft alle Erwartungen. Der Wa-
        renfluss nimmt zu. Konsumenten – sofern sie Arbeit ha-
        ben und sich die Produkte leisten können – freuen sich
        über Elektronik, Haushaltswaren und Spielzeug und
        über das, was da in unzähligen Containern zu uns he-
        rüberschwappt.
        Es landet in den Seehäfen an und muss im Land ver-
        teilt werden, vorzugsweise auf der Schiene, die wieder
        im Wachstumstrend liegt. Deshalb sagt es auch die Linke
        immer wieder: Wir müssen unsere Schienen für diese
        Transportmengen fit machen. Dazu gehört es, die Schie-
        nenwege auszubauen. Dies ist auch im badischen Ober-
        rheingraben bei der Strecke Karlsruhe–Offenburg–Weil
        am Rhein–Basel geplant. Sie ist die wichtigste Verbin-
        dung von der Nordsee in die Schweiz und nach Italien.
        Sie soll künftig von zwei Gleisen auf vier erweitert wer-
        den. Doch mehr Züge bedeuten auch mehr Lärm. Davon
        betroffen sind wiederum die Anrainer solcher Strecken
        wie der Oberrhein-Linie.
        Die alte Strecke windet sich mitten durch Ortschaften
        und Städte. Und mit dem Bau der weiteren Gleise ver-
        schärft sich das Problem. Viele Bürgerinitiativen wenden
        sich nun gegen die offiziellen Ausbaupläne. Sie fordern
        – zu Recht – eine Alternativplanung, bei der weniger
        Menschen betroffen wären. Die in der „IG Bahn-Protest
        am Ober- und Hochrhein“ vereinten Initiativen haben
        ihre Vorschläge erst kürzlich in der baden-württembergi-
        schen Landesvertretung vorgestellt. Diese sind kurz zu-
        sammengefasst: eine Tunnellösung für Offenburg, die
        Bündelung von Schiene und Autobahn auf einer Alterna-
        tivtrasse und Trassenabsenkungen in Freiburg und bei
        Mengen.
        Diese Vorschläge beinhalten vor allem die Auswir-
        kungen von Verkehrslärm auf so wenig Menschen wie
        möglich.
        Trotzdem sollte nicht verhehlt werden, dass all das,
        was von den Initiativen gefordert wird, die Baukosten
        von heute schon 4,6 Milliarden Euro um weitere
        720 Millionen Euro nach oben treibt. Zwar können wir
        das Geld auf mehrere Jahre verteilen. Doch woher neh-
        men? Die Koalition und Bündnis 90/Die Grünen fordern
        mehr Geld für Lärmschutz, CDU/CSU und SPD 50 Mil-
        lionen Euro, die Grünen das Doppelte. Ich denke, es
        werden sich Töpfe finden, um auch die lärmmindernde
        Alternativplanung im Rheingraben zu finanzieren, auch
        wenn schon für einige Abschnitte das Planfeststellungs-
        verfahren läuft.
        Auf der erwähnten Veranstaltung in der Landesvertre-
        tung sagte es Staatssekretär Kasparick deutlich: Im Ab-
        wägeverfahren der Bürgereinsprüche ist es durchaus
        möglich, die vorgeschlagenen Änderungen in die Plan-
        feststellung zu nehmen. Diese Vorschläge der Initiativen
        vor Ort haben die Freien Demokraten in ihrem Antrag
        aufgenommen. Für diese Politik, sich im Sinne der be-
        troffenen Bürger einzusetzen, möchte ich Sie loben,
        liebe Kolleginnen und Kollegen vom liberalen Bahn-
        steig. Da ist die Linke mit Ihnen ausnahmsweise mal ei-
        ner Meinung, und daher tragen wir Ihren Antrag mit.
        Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Wir sprechen hier heute über einen Antrag der FDP zum
        Ausbau der Rheintalbahn zwischen Karlsruhe und Basel.
        Mit dem Bau des 3. und 4. Gleises für den Güterverkehr
        auf der Schiene wird ein europäisches Großprojekt in
        Angriff genommen. Die Bundesrepublik hat sich zu die-
        sem Kapazitätsausbau verpflichtet. Mit dem Staatsver-
        trag von Lugano 1996 stehen wir der Schweiz gegenüber
        im Wort, den Ausbau der Zulaufstrecke zum Lötschberg-
        und Gotthardtunnel sicherzustellen. Dieser Ausbau ist
        dringend erforderlich – aus verkehrspolitischen Gründen
        wie aus Gründen des Klima- und Umweltschutzes. Kann
        der geplante Güterverkehr nicht auf der Schiene stattfin-
        den, dann wird er über die Straße rollen. Damit würden
        die Menschen, die Umwelt und die Landschaft viel stär-
        ker belastet. Bündnis 90/Die Grünen haben ein zentrales
        Anliegen: Wir wollen möglichst schnell möglichst viel
        Güterverkehr von der Straße auf die Schiene verlagern.
        Dazu brauchen wir den Kapazitätsausbau im Rheingra-
        ben dringend. Der Ausbau der Rheintalbahn wird auch
        zu einer deutlichen Entlastung der Anwohner an der Alt-
        strecke führen. Diese Entlastung begrüßen wir sehr, da
        sie Tausenden von Anwohnern zugutekommt. Zurzeit
        wird gerade in der Region Freiburg mit dem Lärmsanie-
        rungsprogramm des Bundes die Situation an einzelnen,
        besonders belasteten Punkten der Altstrecke entschärft.
        Das ist im Sinne des Lärmschutzes sehr zu begrüßen.
        Letztlich ist das aber nur ein Tropfen auf den heißen
        Stein, weil es sich hier um freiwillige „Reparaturmaß-
        nahmen“ ohne gesetzlichen Anspruch handelt.
        Auch mit dem vergleichsweise umweltfreundlichen
        Transportmittel Bahn kommen große Belastungen auf
        Mensch und Umwelt im Rheingraben zu. Was können
        wir realistischerweise tun, um diese Belastungen so ge-
        ring wie möglich zu gestalten?
        12904 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        Der beste und auch günstigste Weg beim Lärmschutz
        ist die Vermeidung der Entstehung von Lärm. Die Ver-
        meidung der Lärmentstehung durch neue leisere Wagen
        und durch Umrüsten des Altmaterials ist der effizienteste
        und günstigste Weg, die Güterzüge leiser zu machen. Ein
        europaweites Umrüstprogramm nach dem heutigen
        Stand der Technik würde eine Halbierung des Lärms be-
        deuten. Für relativ wenig Geld lässt sich das Bremssys-
        tem jedes alten Waggons umrüsten. So entsteht ein
        Lärm, der vom menschlichen Ohr nur noch halb so laut
        wahrgenommen wird. Im Juni wurde dieses Umrüstpro-
        gramm hier im Bundestag beschlossen. Da sind wir alle
        dafür. Für diesen sehr sinnvollen Weg haben wir uns er-
        folgreich eingesetzt. Für die tatsächliche und europa-
        weite Umsetzung bis zur Inbetriebnahme des 3. und
        4. Gleises der Rheintalbahn – u. a. durch die Einführung
        lärmabhängiger Trassenpreise – werden wir kämpfen.
        Nun zu den vier Forderungen zu einzelnen Streckenab-
        schnitten im Antrag der FDP. Diese vier Forderungen
        übernimmt die FDP von den Bürgerinitiativen im Rhein-
        graben. Da die in Absatz 2 an die Bundesregierung ge-
        richteten Forderungen in der Gesamttendenz richtig
        sind, werden wir dem FDP-Antrag zustimmen. Wir
        schließen uns einer sorgfältigen Prüfung der einzelnen
        Forderungen generell an, auch wenn wir manche Details
        anders sehen.
        Nun noch eine Bewertung im Detail: Zu Forderung
        eins: Die bisherige Planung zu Offenburg kann so nicht
        bleiben, da die bereits hohe Belastung der Offenburger
        Innenstadt sich noch drastisch verschärft. Offenburg ist
        ohne Zweifel der problematischste Punkt der gesamten
        Neubaustrecke mit den meisten direkt betroffenen An-
        wohnern. Wir fordern eine detaillierte Prüfung einer
        Tunnel-Lösung für Offenburg unter Berücksichtigung
        des Lärm- und Erschütterungsschutzes sowie des inner-
        städtischen Flächenverbrauchs. Zu Forderung zwei: Eine
        Bündelung der Linienführung von Offenburg bis Frei-
        burg von Neubaustrecke und A 5 halten wir Grünen für
        die sinnvollste Variante der Trassenführung. Diese muss
        im Planfeststellungsverfahren gleichrangig mit anderen
        Varianten im Hinblick auf Landschaftsverbrauch, Lärm-
        schutz und Betriebssicherheit geprüft werden. Zu Forde-
        rung drei: Die zusammen mit anderen baulichen Maß-
        nahmen vorgeschlagene teilweise Trassenabsenkung im
        Freiburger Streckenabschnitt soll geprüft werden. Dieses
        für eine deutliche Lärmreduzierung vorgeschlagene
        Maßnahmenbündel stellt eine klare Verbesserung der
        bisherigen Bahnplanungen dar. Das Maßnahmenpaket,
        das in einer von den betroffenen Kommunen finanzier-
        ten Ingenieursstudie im Detail erarbeitet wurde, verdient
        eine sorgfältige Prüfung im Planfeststellungsverfahren.
        Zu Forderung vier: Auch eine Trassenabsenkung mit
        Teildeckelung des Streckenabschnitts vom Südportal des
        Mengener Tunnels bis südlich von Buggingen soll ge-
        prüft werden. Die ursprüngliche Maximalforderung, die-
        sen Streckenabschnitt ganz zu untertunneln, wird nicht
        mehr erhoben. Das begrüßen wir.
        Unser abschließendes Fazit: Wir begrüßen das Nach-
        hintenziehen des Prognosehorizonts aufs Jahr 2025, weil
        das ein realistischerer Zeitpunkt für den tatsächlichen
        Güterverkehr auf der Strecke ist. Sollten von Land oder
        Bund zusätzliche Mittel für den baulichen Lärmschutz
        bereitgestellt werden, – also Gelder, die über die gesetz-
        lichen Verpflichtungen hinaus fließen – so sollte dieses
        Geld an den kritischsten Punkten eingesetzt werden. Der
        kritischste Punkt ist für uns Offenburg, weil dort die
        meisten Menschen am härtesten und am direktesten be-
        troffen sind.
        Was wird aus den großen Versprechungen, die die
        Abgeordneten der Großen Koalition in der Region in den
        letzten Jahren gemacht haben? Regionale Abgeordnete
        der CDU und der SPD aus dem Bundestag und aus dem
        Stuttgarter Landtag haben vor Ort immer viel mehr
        Lärmschutz versprochen als er gesetzlich vorgeschrie-
        ben ist. Das Land Baden-Württemberg verschleudert
        beim Projekt Stuttgart 21 ohne Not eine Milliarde Euro.
        Wir sind sehr gespannt, wie viel Geld die CDU/FDP-
        Landesregierung für das Projekt Ausbau der Rheintal-
        bahn zur Verfügung stellen wird. Und wir sind sehr neu-
        gierig, was aus den forschen Worten der SPD-Opposi-
        tion im Ländle in Berlin wird. Dort ist man mit an der
        Regierung, dort will man dann häufig nichts mehr von
        dem wissen, was man – wie zum Beispiel die Abschaf-
        fung des Schienenbonus – vor Ort bei den Betroffenen
        gefordert hat.
        Anlage 12
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Bei der 62. General-
        versammlung der Vereinten Nationen ein Zei-
        chen für die weltweite Abschaffung der Todes-
        strafe setzen (Tagesordnungspunkt 19)
        Erika Steinbach (CDU/CSU): Abscheu ist das vor-
        herrschende Gefühl, das die Menschen gegenüber den
        schwersten Verbrechen empfinden.
        Carl Großmann, die Bestie vom Schlesischen Bahn-
        hof – dem heutigen Berliner Ostbahnhof –, hat mindes-
        tens drei Frauen ermordet, die geschätzte Zahl seiner
        Opfer liegt zwischen 20 und 100 Frauen. Niemand weiß,
        ob dieser Mann, Besitzer eines Wurststandes, seine Op-
        fer zu Wurst und Dosenfleisch verarbeitet hat.
        Hans Erwin Hagedorn, Sexualtäter und mehrfacher
        Kindesmörder, wurde 1972 durch unerwarteten Nah-
        schuss in der Strafvollzugseinrichtung Leipzig hinge-
        richtet.
        Die Opfer von Friedrich Haarmann wurden nach ei-
        nem mehrjährigen Kampf der Eltern der von ihm getöte-
        ten Kinder in Hannover in einem Ehrengrab bestattet.
        Haarmann wurde 1925 in Hannover enthauptet. Der eine
        oder andere unter Ihnen wird den Film mit Götz George
        kennen: Der Totmacher.
        Die Emotionen in der Bevölkerung und bei den Hin-
        terbliebenen sind eindeutig. Wer so kaltblütig quält und
        tötet, hat sein Recht auf Leben verwirkt. Solche und ähn-
        liche Einträge finden sich auch heute in den Diskus-
        sionsforen des Internets.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12905
        (A) (C)
        (B) (D)
        Wer aber vermag hier eine Grenze zwischen dem
        Schrei nach Gerechtigkeit, Vergeltung oder Rache zu
        ziehen? Darf der Staat selbst töten, um die Emotionen
        der Bevölkerung zu befriedigen? Wer kontrolliert diese
        Emotionen? Darf der Staat die Gesellschaft durch Elimi-
        nierung vor solchen Menschen schützen? Die Todes-
        strafe als gerechte Vergeltung für geschehenes Leid ge-
        treu dem biblischen Motto: „Aug um Aug, Zahn um
        Zahn“? Auf den ersten Blick mag dies einleuchten. Doch
        der Rechtsstaat beweist seine moralische Überlegenheit
        ja gerade dadurch, dass er sich nicht auf das Niveau der
        Täter hinablässt. Unrecht darf nicht mit Unrecht vergol-
        ten werden. Alles andere würde die moralische Instanz
        des Staates untergraben.
        Allein das Argument des Justizirrtums wiegt so
        schwer, dass viele Staaten der Welt von der Todesstrafe
        Abstand genommen haben. Wer kann wiedergutmachen,
        dass ein Unschuldiger getötet wurde? Was, wenn sich
        später herausstellt, dass die Taten ganz anders abliefen,
        als dies die Richter und vielleicht auch die Angeklagten
        selbst glaubten? Was, wenn der Angeklagte aufgrund ei-
        nes erpressten Geständnisses verurteilt wurde? Man
        stelle sich vor, ein Angeklagter gesteht, weil eine Struk-
        tur organisierter Kriminalität eine geliebte Person in ihre
        Hände bekommen hat? Einmal beschlossen und voll-
        streckt, kann eine Todesstrafe nicht mehr aufgehoben
        werden. Dieses Argument sollte jedem noch so emotio-
        nalen Betrachter einsichtig sein. Niemand unter den
        Menschen ist vor Irrtum gefeit.
        Justizirrtum – meines Erachtens das überzeugendste
        Argument gegen die Todesstrafe: Selbst in Rechtsstaaten
        kommt das vor. Seit 1973 sind allein in den USA
        124 Menschen in 25 Staaten aus dem Todestrakt entlas-
        sen worden, nachdem ihre Unschuld nachträglich festge-
        stellt wurde. Diese Zahl lässt mich erschaudern. Wie
        viele hatten nicht das Glück, dass ihre Unschuld noch
        vor der Exekution festgestellt wurde?
        Die Todesstrafe ist eine Verletzung des Grundrechts
        auf Leben, das systematisch stärkste Argument gegen
        die Todesstrafe. Menschenrechte sind unteilbar. Men-
        schenrechte sind nicht aberkennbar, auch nicht für
        übelste Täter. Davon losgelöst ist die Tötung aus Not-
        wehr und Nothilfe. Dabei ist zu beachten, dass eine
        Staatsnothilfe, also eine Nothilfe zugunsten der Interes-
        sen der Allgemeinheit, grundsätzlich unzulässig ist.
        Der Täter – so die Lesart von Befürwortern der To-
        desstrafe – müsse zum Tode verurteilt werden, um wei-
        tere Verbrechen derselben Person ein für alle Male aus-
        zuschließen, das Todesrisiko von den möglichen
        zukünftigen Opfern an den Täter zurückzuschieben. Das
        Ziel, die Allgemeinheit vor gefährlichen Schwerstkrimi-
        nellen zu schützen, teile ich ausdrücklich. Dennoch ver-
        fügt der Staat auch ohne die Todesstrafe grundsätzlich
        über Mittel und Wege, die Bürgerinnen und Bürger unse-
        res Landes vor gefährlichen Verbrechern zu schützen. Er
        muss sie aber auch anwenden. Auch die zunehmenden
        Fälle von Ausbrüchen aus Haftanstalten tragen leider
        nicht dazu bei, das Vertrauen der Bevölkerung in unse-
        ren Justizapparat zu stärken. Aber wir dürfen nicht für
        die Illusion eines gerechten und starken Staates unseren
        starken Rechtsstaat über Bord werfen.
        Das Bekenntnis zu den Menschenrechten ist der
        wichtigste Grundpfeiler unserer Verfassung. Dieses Be-
        kenntnis kann und darf nicht an den deutschen Grenzen
        enden, sondern bildet einen wichtigen Aspekt unserer
        Außenpolitik. Der Einsatz für die Menschenrechte kennt
        keine Ländergrenzen.
        Der Einsatz für Menschenrechte kann übrigens auch
        nicht durch gekappte Telefonleitungen und abgeschaltete
        Computerserver aufgehalten werden.
        Die Todesstrafe kann auch kein legitimes Selbstver-
        teidigungsmittel des Staates sein: Sie erlaubt es dem
        Staat, Personen zu töten, die, da bereits inhaftiert, keinen
        Schaden mehr anrichten können.
        Die von der Todesstrafe erhoffte abschreckende Wir-
        kung gegen schwere Kriminalität ist statistisch kaum
        nachweisbar. Die Hoffnung auf eine abschreckende Wir-
        kung verkennt die Umstände, unter denen die meisten
        Verbrechen begangen werden. Es handelt sich ja gerade
        nicht um Täter, die rational denken, sondern um Men-
        schen, die hochemotional handeln. Sie kalkulieren die
        Folgen eines Misslingens ihrer Tat oft nicht ein. Man-
        chen ist ihr persönliches Schicksal sogar gleichgültig.
        Auf solche Menschen hat die Todesstrafe keine abschre-
        ckende Wirkung. Wäre dies anders, müsste die Krimina-
        litätsrate in Ländern mit Todesstrafe eigentlich niedriger
        sein als in Ländern ohne Todesstrafe. Es gibt hingegen
        Studien, die sogar davon ausgehen, dass die Todesstrafe
        eher zu einer Verrohung der Gesellschaft und damit zu
        einer erhöhten Gewaltbereitschaft führt.
        All diese Argumente gegen die Todesstrafe treffen
        auch auf Länder zu, in denen rechtstaatliche Verfahren
        grundsätzlich garantiert sind. Die Bundesrepublik
        Deutschland hat bereits 1949 als erster Flächenstaat auf
        dem europäischen Festland die Todesstrafe vollkommen
        abgeschafft.
        Es ist leicht, den Zeigefinger zu erheben, wenn der ei-
        gene Staat bereits mit gutem Beispiel vorangegangen ist.
        Doch rechtsstaatliche Verfahren sind längst nicht überall
        auf der Welt gegeben. In Ländern ohne rechtsstaatliche
        Verfahren kommt noch die Gefahr hinzu, dass die Todes-
        strafe aus politischen Motiven vollstreckt wird. Es sind
        keine Einzelschicksale, über die wir hier reden:
        Die Zahlen über die weltweite Verhängung und Voll-
        streckung der Todesstrafe sind erschreckend. Im Jahr
        2006 wurden nach offiziellen Angaben mehr als
        3 800 Menschen zum Tode verurteilt; über 1 500 Men-
        schen wurden hingerichtet. Die tatsächlichen Zahlen
        dürften noch viel höher liegen, vor allem in China.
        Offiziell kam es in der Volksrepublik China im letzten
        Jahr zu 1 010 Hinrichtungen. Angaben von Nichtregie-
        rungsorganisationen zufolge ist jedoch anzunehmen,
        dass die Zahl von 8 000 Exekutionen näher an der Reali-
        tät ist. Damit wäre China Schauplatz von etwa zwei Drit-
        tel aller Hinrichtungen weltweit. In China können
        68 Straftaten, darunter auch völlig gewaltfreie Delikte
        wie Betrug, Steuerhinterziehung und Bestechung zu
        12906 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        einem Todesurteil führen. Selbst für das Erlegen eines
        Pandabären kann die Todesstrafe verhängt werden.
        Dabei ist China kein Einzelfall. Auch in einer Reihe
        anderer Staaten werden Menschen für gewaltfreie De-
        likte hingerichtet: So wurde erst im Juli dieses Jahres ein
        Mann im Iran wegen Ehebruchs gesteinigt. Die Steini-
        gung der Frau wurde in letzter Minute auf unbestimmte
        Zeit vertagt, nachdem der Fall international Aufsehen er-
        regte. Im September wurden in Vietnam drei Männer
        wegen Drogenhandels zum Tode verurteilt. Einen Monat
        vorher wurden fünf Pakistani und ein Nigerianer in
        Saudi-Arabien wegen desselben Delikts exekutiert.
        Aber nicht nur die Anwendung der Todesstrafe an
        sich, sondern auch die angewandten Exekutionsmetho-
        den erfüllen einen mit Empörung und Abscheu. Ent-
        hauptungen wie in Saudi-Arabien, Steinigungen wie im
        Iran, Erhängungen oder Erschießungskommandos – all
        dies sind Methoden, die nur als barbarisch bezeichnet
        werden können.
        Auch die vermeintlich humaneren Exekutionsmetho-
        den Giftspritze und elektrischer Stuhl sind grausame
        Mittel zu einem nicht minder grausamen Zweck. Eine
        Vielzahl von erschütternden Beispielen hat in der Ver-
        gangenheit gezeigt, dass auch hier die zum Tode Verur-
        teilten erheblich leiden: So rang der in den USA exeku-
        tierte Häftling Angel Diaz im letzten Jahr ganze
        34 Minuten mit dem Tod und verzog bis kurz vor seinem
        Ende das Gesicht vor Schmerzen.
        Dass dieser Fall in den USA inzwischen auch den
        Obersten Gerichtshof erreicht hat, ist erfreulich. Es
        stimmt mich vorsichtig hoffnungsvoll, dass es in den
        Vereinigten Staaten zu einer breiteren Debatte über die
        Todesstrafe kommt. Es bleibt zu hoffen, dass die Verei-
        nigten Staaten, die sonst eine Vielzahl von Werten mit
        uns teilen, einlenken und die Todesstrafe abschaffen.
        Nicht weniger bedrückend als die Exekutionsmetho-
        den sind die Missstände in Bezug auf den Kreis der zum
        Tode Verurteilten. Immer wieder kommt es zur Verurtei-
        lung und Exekution von Minderjährigen, zuletzt im
        April im Iran. Überhaupt hält der Iran in dieser Frage ei-
        nen traurigen Rekord. In keinem anderen Land der Welt
        wurden so viele Menschen hingerichtet, die zur Tatzeit
        nicht volljährig waren, wie im Iran. Insgesamt sitzen im-
        mer noch 71 zur Tatzeit minderjährige Straftäter in den
        Todestrakten iranischer Gefängnisse. Darüber hinaus
        sind zwölf der Todeskandidaten sogar minderjährig zu
        Tode verurteilt worden. Die Gefahr ist groß, dass sie
        noch vor ihrem 18. Lebensjahr hingerichtet werden.
        Genauso verabscheuungswürdig ist die Hinrichtung
        von geistig kranken Menschen. Amnesty International
        berichtet von fünf Staaten, in denen es zur Hinrichtung
        von geistig Kranken gekommen ist: Kirgisistan, Usbe-
        kistan, USA, Japan und Iran.
        Ich möchte nicht missverstanden werden: Die Todes-
        strafe ist auch dann nicht human, wenn all die eben auf-
        gelisteten Missstände behoben wären. Dennoch verdeut-
        lichen sie, dass es eine Reihe von Staaten gibt, die sich
        nicht einmal an die Mindeststandards halten.
        Vor ein paar Tagen wurde in New York eine Resolu-
        tion zur Ächtung der Todesstrafe in die UN-Generalver-
        sammlung eingebracht. Die Chancen stehen gut, noch im
        Laufe des Novembers ein zustimmendes Votum zu errei-
        chen. Mich freut, dass die Europäische Union in dieser
        Frage geschlossen zusammensteht.
        Ich hoffe, dass die Resolution auch bei der abschlie-
        ßenden Beratung eine überzeugende Mehrheit finden
        wird.
        Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Wir Sozialdemo-
        kraten begrüßen sehr, dass der Deutsche Bundestag
        heute anhand des interfraktionellen Antrags von Union
        und SPD, von FDP und Bündnis 90 über die Notwendig-
        keit und die Möglichkeit zur weltweiten Ächtung der To-
        desstrafe diskutiert.
        Wir begrüßen den gemeinsamen Antrag, der die Ini-
        tiative der Europäischen Union unterstützt, bei der
        62. Generalversammlung der Vereinten Nationen durch
        die Verabschiedung eines Moratoriums ein Zeichen für
        die weltweite Abschaffung der Todesstrafe zu setzen,
        und wir unterstreichen die elf konkreten Forderungen
        zur Bekräftigung der Politik der Bundesregierung gegen
        die Todesstrafe, die in dem Antrag enthalten sind.
        Es ist gut, dass der Deutsche Bundestag diesen Antrag
        mit einer so breiten Mehrheit seiner Mitglieder einbringt
        und heute auch gleich beschließen will; das zeigt, dass
        hier im Deutschen Bundestag unbestritten die Überzeu-
        gung besteht, dass es weder eine moralisch-ethische,
        noch eine pragmatische Rechtfertigung für die Todes-
        strafe gibt.
        In der Tat ist das Gegenteil der Fall: Weder vom mo-
        ralisch-ethischen Standpunkt her, noch von der Ver-
        pflichtung jedes zivilisierten Staates zum Schutz seiner
        Bürgerinnen und Bürger vor Kriminalität und Terroris-
        mus, das zu tun, was nötig und von der Verfassung ge-
        deckt ist, die ja die Bindung an Menschenwürde, Men-
        schenrechte und Rechtsstaatlichkeit sicherstellt, kann
        eine Rechtfertigung der Todesstrafe hergeleitet werden.
        Es gibt nicht das selbstverständliche Recht eines Staates,
        Gewalt und Kriminalität zu Strafzwecken mit der Tö-
        tung eines Verurteilten zu beantworten. Auch der häufig
        zitierte „Wille des Volkes“, der zumeist nur fehlende
        oder bewusst vorenthaltene Informationen über Straf-
        zwecke und Beitrag und Möglichkeiten eines rationalen
        Strafverfahrens und Strafvollzuges zu Schutz und Siche-
        rung der Bevölkerung widerspiegelt, ändert daran nichts.
        Das deutsche Grundgesetz schließt die Todesstrafe
        ausdrücklich aus. Grundgedanke und Begründung dieses
        Verbotes gelten jedoch über die Grenzen der Bundesre-
        publik Deutschland hinaus. Die gesamte Europäische
        Union, aber auch die meisten Mitgliedstaaten des Euro-
        parates haben die Todesstrafe bereits abgeschafft; andere
        Staaten, wie etwa Usbekistan, planen, dies mit Beginn
        des Jahres 2008 zu tun. Das sind ermutigende Zeichen,
        die mit dazu beitragen können, die Initiative der Europäi-
        schen Union in der 62. Generalversammlung zu der not-
        wendigen Mehrheit zu verhelfen.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12907
        (A) (C)
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        Die Todesstrafe hilft aber auch nicht bei der Siche-
        rung und dem Schutz der Bevölkerung vor Schwerstkri-
        minalität, wie häufig fälschlich behauptet wird: Ab-
        schreckung und damit ein Beitrag zur Verhütung von
        Kriminalität kann vielmehr durch die Gewissheit einer
        hohen Aufklärungsquote und einer zuverlässigen profes-
        sionellen Strafverfolgung unter Einbeziehung des Straf-
        vollzugs erreicht werden. Das zeigt die Entwicklung der
        Schwerst- und Gewaltkriminalität in den neuen Mit-
        gliedstaaten des Europarats; neuere Untersuchungen von
        Gesellschaften mit im Übrigen vergleichbaren Verhält-
        nissen zeigen sogar, dass ein negativer Zusammenhang
        zwischen der Existenz, der Verhängung, Verurteilung
        und Vollstreckung der Todesstrafe und einem hohem Pe-
        gel an Gewaltkriminalität bestehen könnte.
        Ganz sicher aber ist, dass die Ekel erregenden Propa-
        ganda-Bilder von der öffentlichen Zelebrierung von Hin-
        richtungen, die in letzter Zeit insbesondere aus dem Iran,
        aber auch aus anderen Ländern bekannt werden – mit ei-
        nem rationalen Strafsystem wenig zu tun haben. Sie sind
        vielmehr Zeichen der Gewaltbereitschaft der Machtha-
        ber, die sich negativ auf die gesamte Gesellschaft aus-
        wirken muss; sie sind Ausdruck von Machtwillen durch
        Einschüchterung und sollen zur Absicherung der Macht-
        haber den falschen Eindruck verfestigen, die Todesstrafe
        könne zu mehr Sicherheit und Schutz für die Bevölke-
        rung führen.
        Die begrüßenswerte Initiative der Europäischen
        Union bei der 62. Generalversammlung der Vereinten
        Nationen hat schon bis heute die Unterstützung von vie-
        len anderen Staaten erhalten, bis gestern beläuft sich ihre
        Zahl auf insgesamt 78. Damit rückt die Mehrheit der
        Mitgliedstaaten der Generalversammlung der Vereinten
        Nationen in sichtbare Nähe. Sie zu erreichen ist das Ziel.
        Deshalb fordert der Deutsche Bundestag nicht nur die
        Bundesregierung auf, alles in ihrer Macht Stehende zu
        tun, um die Mehrheit der Mitglieder der Generalver-
        sammlung für diese Initiative zu erhalten. Vielmehr wer-
        den alle Mitglieder des Deutschen Bundestages die Ver-
        pflichtung übernehmen, in Gesprächen mit Kolleginnen
        und Kollegen anderer Parlamente auf diese Initiative
        hinzuweisen und sie inhaltlich zu unterstützen.
        Florian Toncar (FDP): Wir beraten heute einen in-
        terfraktionellen Antrag, der ein sichtbares Zeichen für
        die weltweite Abschaffung der Todesstrafe setzen soll.
        Ich freue mich, dass wir uns auf ein interfraktionelles
        Vorgehen einigen konnten und so ein Signal der Ge-
        schlossenheit des Deutschen Bundestags zur Erreichung
        dieses wichtigen Ziels senden.
        Die Todesstrafe ist eine grausame und unmenschliche
        Bestrafung, die durch nichts zu rechtfertigen ist. Die Fol-
        gen von möglichen Justizirrtümern, gegen die kein Jus-
        tizsystem gefeit ist, lassen einen erschaudern. Laut Am-
        nesty International wurden allein in den Vereinigten
        Staaten von Amerika seit dem Jahr 1900 über 450 Perso-
        nen zum Tode verurteilt, bei denen später festgestellt
        wurde, dass sie unschuldig waren oder ihre Verurteilung
        auf schweren Verfahrensfehlern beruhte. Bei einigen
        Personen konnte ihre Unschuld nur posthum ermittelt
        werden. Ferner ist die Todesstrafe schon allein deshalb
        verabscheuenswürdig, weil sie dem Verurteilten wegen
        seiner Gewissheit um den immer näher rückenden Tod
        psychische und seelische Grausamkeit zufügt.
        Es gibt keinen logisch nachvollziehbaren Grund, der
        die Todesstrafe rechtfertigen könnte. Vielmehr ist sie das
        Instrument einer irrationalen Rechtspflege. Daher lehnt
        die FDP die Todesstrafe seit jeher strikt ab.
        In diesem Sinne begrüße ich den Antrag sehr, den wir
        heute beraten, und hoffe, dass er seine Wirkung auf die
        Verhandlungen in der 62. VN-Generalversammlung ent-
        falten wird. Eine in den Vereinten Nationen verabschie-
        dete Resolution wird hoffentlich die öffentliche Mei-
        nung in den Staaten, die die Todesstrafe noch anwenden,
        dahin gehend beeinflussen, von der Todesstrafe Abstand
        zu nehmen. Weltweit ist bereits eine deutliche Tendenz
        zur Aussetzung oder vollständigen Abschaffung der To-
        desstrafe zu beobachten. Es wäre wünschenswert, wenn
        eine erfolgreiche VN-Resolution dieser Entwicklung ei-
        nen neuen kräftigen Impuls verleihen könnte.
        Ich möchte jedoch auch meine Enttäuschung über ei-
        nige Kollegen, vor allem in der CDU/CSU-Fraktion
        nicht verbergen, die selbst bei einem so wichtigen An-
        trag nicht der Versuchung widerstehen konnten, ihre
        ganz persönliche politische Agenda zu propagieren, die
        mit der eigentlichen Kernfrage der weltweiten Abschaf-
        fung der Todesstrafe nichts zu tun hat. Offenbar waren
        Sie, Frau Steinbach, nicht bereit, darauf zu verzichten,
        einen Seitenhieb gegen Polen in den Antrag einzufügen,
        der in der Sache überholt ist und zudem das Verhältnis
        zur neuen polnischen Regierung von Anfang an zu be-
        lasten droht. Ich meine den gesonderten Verweis auf
        Polen in Forderung Nr. 9. Dieser erweckt fälschlicher-
        weise den Eindruck, als ob Polen die Abschaffung der
        Todesstrafe als Fundament der europäischen Werteord-
        nung anzweifle und deshalb einer herausgehobenen
        deutschen Belehrung bedürfe. Dem ist nicht so.
        Einerseits stimmt es, dass die abgewählte polnische
        Regierung Kaczynski eine Einigung auf europäischer
        Ebene für einen „Europäischen Tag gegen die Todes-
        strafe“ verhinderte. Dieses – auf eine abstruse Argumen-
        tation gestellte – Verhalten war sehr kritikwürdig, da es
        eine Chance für ein klares Signal Europas gegen die To-
        desstrafe vergab. Wir alle haben dazu deutliche Worte
        gefunden; unser heutiger Antrag nimmt im Einleitungs-
        teil nochmals darauf Bezug.
        Andererseits hat mittlerweile eine neue Regierung die
        Amtsgeschäfte in Warschau übernommen, die wir nicht
        für die Fehler ihrer Vorgänger verantwortlich machen
        sollten. Der neue polnische Regierungschef Donald Tusk
        hat bereits einen anderen Politikstil angekündigt, der die
        Fehler der Vorgängerregierung nicht wiederholen wird.
        Zudem hat Tusk erklärt, dass er an einer Verbesserung
        der Beziehungen zu Deutschland sehr interessiert ist. Da-
        her sind Belehrungen von deutscher Seite an Polen – zu-
        mal obsolete – nicht nur unnötig, sondern sogar kontra-
        produktiv. Nebenbei bemerkt: Ich kann nicht verstehen,
        dass die Union ihre eigene Schwesterpartei PO, mit der
        sie gemeinsam in der EVP-Fraktion im EP sitzt, über
        12908 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        europäische Grundrechte belehren will. Aus diesem
        Grund werden einige Kollegen und ich heute einen ge-
        meinsamen Änderungsantrag zu dem vorliegenden inter-
        fraktionellen Antrag einbringen, der die Streichung
        dieses gesonderten Verweises auf Polen fordert, um au-
        ßenpolitischen Schaden abzuwenden.
        Auch wenn es bedauerlich ist, dass bei einer so wich-
        tigen Frage wie der Todesstrafe ein sachfremdes Thema
        mit transportiert wurde, kann dies nicht den Blick dafür
        verstellen, dass hier insgesamt ein sehr guter interfrak-
        tioneller Antrag vorliegt. Neben der Unterstützung für
        eine Resolution in der VN-Generalversammlung für die
        weltweite Abschaffung der Todesstrafe greift er wichtige
        Aspekte deutscher und europäischer Außenpolitik im
        Umgang mit einigen der Staaten auf, die für einen Groß-
        teil der Hinrichtungen weltweit verantwortlich sind.
        Da allein China etwa die Hälfte aller Hinrichtungen
        weltweit durchführt, ist besonders Forderung Nr. 5, die
        Todesstrafe im Rahmen des EU-China-Menschenrechts-
        dialogs sowie beim deutsch-chinesischen Rechtsstaats-
        dialog zu problematisieren, von besonderer Bedeutung.
        Obwohl die offizielle Zahl der Hinrichtungen in China
        im vergangen Jahr bei 1 010 lag, gehen Menschenrechts-
        organisationen von einer hohen Dunkelziffer aus. Offen-
        bar auch aus diesem Grund hat China im Herbst letzten
        Jahres verfügt, dass alle Todesurteile einer höchstrichter-
        lichen Prüfung unterzogen werden müssen. Auch wenn
        dies natürlich nicht ausreichen kann, so ist es wenigstens
        nicht mehr möglich, dass entlegene Provinzgerichte un-
        kontrolliert Todesurteile vollstrecken lassen.
        Im Iran ist in den letzten Monaten eine deutliche Zu-
        nahme von Hinrichtungen zu vermelden. Dabei ist be-
        sonders bizarr, dass eine hohe Zahl an Straftätern betrof-
        fen ist, die zur Tatzeit noch minderjährig waren. Auch
        hier muss die EU in einen Menschenrechtsdialog eintre-
        ten, um die Regierung in Teheran von einer Abschaffung
        der Todesstrafe zu überzeugen.
        In den USA gab es jüngst zahlreiche Fälle über tech-
        nische Pannen bei Hinrichtungen, die den Opfern zusätz-
        liche, unsägliche Qualen bereiteten. Es bleibt zu hoffen,
        dass diese Berichte über die tatsächliche Grausamkeit
        auch vermeintlich humaner, technisierter Hinrichtungs-
        methoden wie der Giftspritze ein Umdenken in der US-
        Öffentlichkeit bewirken. Hier setzt die Forderung Nr. 7
        des Antrags an, um auf die Abschaffung der Todesstrafe
        in sämtlichen Bundesstaaten der USA einzuwirken.
        Insgesamt liegt mit diesem Antrag ein sehr breites
        Spektrum an vorgeschlagenen Maßnahmen vor, die sehr
        gute Ansatzpunkte für die deutsche und europäische Au-
        ßenpolitik bei ihrem Anliegen der weltweiten Abschaf-
        fung der Todesstrafe bieten. Ich freue mich, dass der
        Deutsche Bundestag sich über die Parteigrenzen hinweg
        zu einem geschlossenen Vorgehen in diese Richtung zu-
        sammengefunden hat.
        Daher ist es für meine Fraktion und mich selbstver-
        ständlich, im Interesse des übergeordneten Ziels der
        weltweiten Abschaffung der Todesstrafe diesen Antrag
        zu unterstützen.
        Ich möchte schließen mit dem Wunsch, dass die deut-
        schen Diplomaten um Botschafter Thomas Matussek zu-
        sammen mit ihren europäischen Kollegen in den Ver-
        handlungen in der VN-Generalversammlung erfolgreich
        sein mögen und diese Resolution zur weltweiten Ab-
        schaffung mit einer breiten Mehrheit der Staaten auf den
        Weg bringen.
        Michael Leutert (DIE LINKE): Zu Anfang möchte
        ich gleich klarstellen, dass meine Fraktion diesem An-
        trag zustimmen wird. Bedauerlich ist allerdings, dass
        meine Fraktion mal wieder – wie so oft leider – außen
        vor gelassen wurde. Man kann und sollte ja im Parla-
        ment über vieles streiten. Meinungen über das, was gut
        und richtig ist, können auseinandergehen. Das ist konsti-
        tuierend für Demokratie und davon lebt eine Demokra-
        tie. Aber bei einem so fundamentalen Thema wie der To-
        desstrafe gibt es in diesem hohen Hause keinen Grund
        für Streit. Meine Fraktion und auch ich als Obmann für
        Menschenrechte nehmen dazu eine klare politische Hal-
        tung ein. Das ist Ihnen allen sehr wohl bekannt. Dass be-
        züglich einer gemeinsamen parlamentarischen Initiative
        noch nicht einmal angefragt wurde, empfinde ich als
        eine politische, vor allem aber auch persönliche Enttäu-
        schung.
        Kommen wir zum Antrag selbst. Die Ziffern 5 bis 7
        zeigen deutlich, dass die Bundesregierung selbst in die-
        ser Frage gegenüber den Adressaten differenziert, ob-
        wohl, da es wie hier um das Leben Einzelner geht, eine
        Differenzierung politisch und menschlich völlig verfehlt
        ist. Ich zitiere aus ihrem Antrag:
        5. beim Menschenrechtsdialog der EU mit China
        sowie beim deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdia-
        log weiterhin die Todesstrafe zu problematisieren;
        6. sich für eine Wiederbelebung des EU-Menschen-
        rechtsdialogs mit Iran einzusetzen, die Todesstrafe
        zu einem ständigen Tagesordnungspunkt zu ma-
        chen und dabei insbesondere auf die Einhaltung der
        Mindestnormen zu drängen; 7. die guten transatlan-
        tischen Beziehungen zu nutzen, um bilateral sowie
        im Rahmen der EU auf die Abschaffung der Todes-
        strafe in sämtlichen Bundesstaaten der USA hinzu-
        wirken;
        Im Grundsatz alles richtige Sätze. Deshalb ja auch
        unsere Zustimmung zum Antrag in seiner Gesamtheit.
        Die länderspezifischen Abstufungen – also: gegenüber
        China die Todesstrafe problematisieren, gegenüber
        dem Iran zu einem ständigen Tagesordnungspunkt zu
        machen und gegenüber den USA auf eine Abschaffung
        hinzuwirken – sind unserer Ansicht nach aber verfehlt,
        und zwar zum einen politisch, weil es den Staaten
        zeigt, dass einige – selbst bei der Abschaffung der To-
        desstrafe – immer noch gleicher sind als andere.
        Menschlich erscheinen uns diese sprachlichen Diffe-
        renzierungen verfehlt und vor allem auch pietätlos.
        Wenn Menschen die Todesstrafe droht, dann sollten wir
        uns für diese Menschen in jeweils gleicher Form – und
        damit eben auch in der Wortwahl – einsetzen, unabhän-
        gig von ihrer Staatsangehörigkeit. Wie soll sich denn
        ein in Amerika zum Tode Verurteilter fühlen, wenn die
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12909
        (A) (C)
        (B) (D)
        Bundesregierung gegenüber China und dem Iran we-
        sentlich stärkere Formulierungen wählt als gegenüber
        den USA.
        Wie gesagt, wir werden dem Antrag zustimmen,
        möchten die Bundesregierung und die Fraktionen aber
        auf Art. 3 des Grundgesetzes hinweisen, welcher eine
        solche Ungleichbehandlung verbietet. Sollten meine Be-
        denken bei Ihnen doch ein gewisses Unwohlsein hervor-
        gerufen haben, dann bieten wir als Fraktion natürlich an,
        die Abstimmung zu verschieben und mitzuhelfen eine
        treffendere Formulierung zu finden.
        Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Albert Camus hat einmal gesagt, dass man, um das
        rechte Verhältnis herzustellen, die Todesstrafe gegen ei-
        nen Verbrecher verhängen müsste, der sein Opfer zu-
        nächst warnt, dass er es an einem bestimmten Tag auf
        schreckliche Weise ermorden würde und es von diesem
        Moment an monatelang in seiner Gewalt gefangen
        hielte. Ein solches Ungeheuer würde man im privaten
        Bereich nicht finden.
        Und doch sitzen in den USA und in anderen Ländern
        zum Tode Verurteilte nicht selten jahrelang in den To-
        deszellen, in der Ungewissheit, wann das Todesurteil
        vollstreckt wird. Ich rate übrigens an dieser Stelle beson-
        ders bei den Linken zur Aufmerksamkeit, damit es nicht
        wieder heißt, die USA würden im Deutschen Bundestag
        nicht für ihre Menschenrechtsverletzungen kritisiert. Ein
        Staat, der die gesamte Gesellschaft repräsentiert und die
        Aufgabe hat, die Gesellschaft zu schützen, darf sich
        nicht selbst auf eine Stufe mit einem Mörder stellen.
        Gleichwohl erscheinen einem aber die USA in diesem
        Punkt als Hort der Menschlichkeit, wenn man sich ein-
        mal die Vollstreckung der Todesstrafe in Ländern wie
        dem Iran, Saudi-Arabien und China anschaut. Dort wird
        die Todesstrafe oft auch bei minderschweren Delikten
        verhängt und macht auch vor behinderten Menschen und
        Minderjährigen nicht halt. Sie wird nicht selten öffent-
        lich als blutiges Schauspiel zelebriert.
        Die Verhängung und Vollstreckung von Todesurteilen
        gegen Minderjährige verstoßen gegen die im Internatio-
        nalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte fest-
        gelegten Mindeststandards und gegen Bestimmungen
        des Übereinkommens über die Rechte des Kindes. Der-
        zeit warten alleine im Iran über 70 zur Tatzeit Minder-
        jährige auf die Vollstreckung ihres Todesurteils. In
        Saudi-Arabien soll in einem aktuellen Fall ein zur Tat-
        zeit erst 13-Jähriger hingerichtet werden, wegen angebli-
        chem sexuellen Missbrauchs.
        In einer Veröffentlichung der Gesellschaft für be-
        drohte Völker ist ein Augenzeugenbericht der Steini-
        gung einer Minderjährigen zu lesen:
        Eines Tages musste ich mit meiner Schulklasse ins
        Stadion kommen. Es sollte eine Steinigung vollzo-
        gen werden, bei der wir zuschauen mussten. Wir sa-
        ßen auf den Tribünen und warteten. Sandwichver-
        käufer gingen durch die Reihen und boten ihre
        Waren an. Dann endlich wurde ein Mädchen ins
        Stadion geführt. Ich erschrak, denn ich erkannte
        dieses siebzehnjährige Mädchen. Sie wohnte in un-
        serer Straße, und als Kinder hatten wir miteinander
        gespielt.
        Ein Mullah las ihr das Urteil vor: „Im Namen
        Allahs, des Barmherzigen, wirst du zum Tode ver-
        urteilt durch Steinigung.“ Das Mädchen weinte,
        aber es wirkte wie benommen. Sie wurde in ein
        Loch gestellt, das man in die Erde gegraben hatte.
        Dann schaufelte man dieses Loch bis zur Brusthöhe
        des Mädchens zu. Auf den Tribünen johlte der
        Mob. Dann flogen die ersten Steine, die gezielt ne-
        ben dem Mädchen auf den Boden fielen. Jedes Mal,
        wenn der Oberkörper des Mädchens zuckte, um ei-
        nem Stein auszuweichen, begann das Johlen der
        jungen Männer von neuem. Es war wie bei einem
        Fußballspiel, wenn ein ganzes Stadion „Tor“
        schreit. Dann trafen die ersten Steine. Das ganze
        Spektakel zog sich hin, bis das Mädchen endlich tot
        war.
        Mit einem barmherzigen Gott, ob im Islam oder
        Christentum, haben solche Schauspiele und die Todes-
        strafe insgesamt nichts, aber auch gar nichts zu tun. Der
        Iran und Saudi-Arabien unterschieden sich in dieser Hin-
        sicht leider so gut wie gar nicht. Umso verwunderlicher
        ist es, dass bisher nicht zu vernehmen war, dass die Bun-
        deskanzlerin oder der Außenminister anlässlich des ge-
        rade stattfindenden Besuchs des saudischen Königs
        Abdullah die katastrophale Menschenrechtslage in
        Saudi-Arabien angesprochen haben. Wir erwarten hier
        von der Bundesregierung klare Worte und hoffen, dass
        das Thema auch in Gesprächen mit dem Iran nicht hinter
        anderen Fragen zurücksteht.
        Die Einbringung der Resolution zur Abschaffung der
        Todesstrafe in die 62. Generalversammlung ist ein wich-
        tiges Signal, und wir hoffen, das möglichst viele der
        192 Mitgliedstaaten der Resolution zustimmen. Gleich-
        wohl ist ein Moratorium noch keine Abschaffung der To-
        desstrafe. Die Bundesregierung muss auf allen Ebenen
        nachdrücklich in Gesprächen mit den betroffenen Ländern
        darauf hinwirken, dass es nicht nur zu einem Moratorium
        bei der Vollstreckung der Todesstrafe kommt, sondern
        diese unwiederbringlich abgeschafft gehört.
        Als einziges Mitglied des Europarats hat Russland
        das 6. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschen-
        rechtskonvention noch nicht ratifiziert. Die Bundesre-
        gierung muss sich hierfür in ihren Gesprächen mit der
        russischen Regierung einsetzen; denn für die Todesstrafe
        gibt es in Europa keinen Platz.
        Anlage 13
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Finanzierung von
        Frauenhäusern bundesweit sicherstellen und
        losgelöst vom SGB II regeln (Tagesordnungs-
        punkt 20)
        Maria Michalk (CDU/CSU): Gewalt gegen Frauen
        ist kein Problem am Rande unserer Gesellschaft. Leider!
        12910 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        Sie findet mitten unter uns statt. Wir haben gemeinsam
        die Aufgabe, Gewalt in jeglicher Form zu verhindern.
        Unbestritten ist, dass Gewalt, die in unterschiedlichen
        Erscheinungsformen ausgeübt wird, die Betroffenen in
        ihrer Entfaltung und Lebensgestaltung einschränkt. Sie
        beeinflusst extrem negativ vor allem auch die Kinder.
        Deshalb ist der Schutz vor Gewalt ein gesamtgesell-
        schaftliches Anliegen.
        Ich bedanke mich ausdrücklich bei der Bundesregie-
        rung, die ihren zweiten Aktionsplan zur Bekämpfung
        von Gewalt gegen Frauen als abgestimmtes Handlungs-
        konzept vorgelegt hat.
        In diesem Kontext sehen wir auch die Frauenhäuser.
        Sie sind seit mehr als 30 Jahren unverzichtbarer Be-
        standteil der Unterstützungsangebote für Gewaltopfer.
        Nach wie vor ist es notwendig, in Form von bundeswei-
        ter Vernetzung, durch Medieninformationen und mehr
        Informationsmaterial für Angehörige und Bekannte der
        betroffenen Frauen die Arbeit der Frauenhäuser zu stär-
        ken. Das bedeutet aber nicht, dass wir gesetzliche Rege-
        lungen, die systematisch die finanzielle und soziale Ab-
        sicherung der Grundbedürfnisse der Menschen
        garantieren, instrumentalisieren und quasi im Schlepptau
        die Finanzierung der Frauenhäuser in die Bundeszustän-
        digkeit überführen. Das ist ja letztlich der Kern und das
        Ziel des Antrages der Fraktion Die Linke, den wir hier
        diskutieren.
        Richtig ist, dass eine Frau, die dem Grunde nach nach
        dem SGB II leistungsberechtigt ist, also ein Alter zwi-
        schen 15 und 65 Jahren hat, erwerbsfähig und hilfebe-
        dürftig ist und ihren Aufenthalt in Deutschland hat, ma-
        terielle Hilfeleistungen zum Lebensunterhalt nach den
        §§ 27 bis 40 des SGB XII erhält. Gezahlt werden zum
        Beispiel auch Grundsicherungsleistungen bei Erwerbs-
        minderung. Nach dem SGB II haben diese Vorrang.
        Im §16 Abs. 2 des SGB II ist vorgesehen, dass psy-
        chosoziale Betreuungsleistungen erbracht werden kön-
        nen, wenn diese für die Eingliederung in das Erwerbsle-
        ben erforderlich sind. Auch im Frauenhaus ist das
        Endziel der Betreuungsleistungen die spätere vollstän-
        dige Selbstständigkeit durch ein selbst erarbeitetes Ein-
        kommen. Dazu gehört sehr wohl die Überwindung der
        gewaltgeprägten Lebenssituation.
        Ob von dieser Eingliederungsleistung im Ermessen
        abgewichen wird, entscheidet sich im konkreten Fall.
        Das ist auch sinnvoll. Auch wenn alle Bewohnerinnen
        eines Frauenhauses die Gewalterfahrung eint, ist ihre
        konkrete Lebenssituation jeweils sehr unterschiedlich.
        Deshalb ist die individuelle Betrachtung durch nichts zu
        ersetzen. Allerdings sind wir uns einig, dass gerade hier
        keine bürokratischen Hürden aufgebaut werden dürfen.
        Ich mahne diesbezüglich auch eine jeweils zeitnahe Ent-
        scheidung an.
        Erinnern möchte ich des Weiteren daran, dass der Be-
        zug von Leistungen materieller und nichtmaterieller Art
        nach dem SGB XII nicht auf einen konkreten Personen-
        kreis beschränkt ist. Wie in SGB II wird auch hier von
        Leistungsberechtigten gesprochen. Deshalb können Be-
        ratung und Unterstützung erbracht werden, auch wenn
        die Hilfe zum Lebensunterhalt nicht nach dem SGB XII,
        sondern nach dem SGB II erbracht wird. Die Sozialhilfe-
        gewährung in Form von Beratungs- und Unterstützungs-
        leistungen dient damit also auch dem Ziel der Beendi-
        gung der Gewaltsituation sowie der Gewährung von
        Schutz und Zuflucht. Damit sehen Sie, dass unsere Re-
        gelungen so differenziert sind, dass auf die jeweilige Si-
        tuation reagiert werden kann.
        Das Komplizierte in dieser von Gewalt und Leid ge-
        prägten Situation der Frau ist allerdings in der Tat, das
        Spannungsfeld zwischen Schutz im räumlichen Bereich
        und aktiver Lebensgestaltung mit dem Ziel der künftigen
        dauerhaften Selbstständigkeit zu gestalten. So empfiehlt
        die Rechtsinfo des Frauenhaus-Koordinierungs e. V.
        zum Beispiel den § 27 Abs. 2 BSHG als Rechtsgrund-
        lage für einen über die Hilfe zum Lebensunterhalt hi-
        nausgehenden, zu deckenden Bedarf auf Beratung und
        Unterstützung heranzuziehen.
        Maßstab ist bei der Leistungsgewährung allgemein
        immer, dass der Einsatz von öffentlichen Mitteln ge-
        rechtfertigt ist. Bei der Flucht in ein Frauenhaus ist das
        unbestritten. Das bekräftigt zum Beispiel die Durchfüh-
        rungsverordnung zum § 72 BSHG, wonach gewaltge-
        prägte Lebensumstände als besondere Lebensumstände
        im Sinne des § 72 Abs. l BSHG benannt sind.
        Die Behauptung der Linken, dass die Einführung der
        Grundsicherung ursächlich für zunehmende Gewalt ist,
        kann so nicht stehen bleiben. Ja, Arbeitslosigkeit und
        Geldsorgen sind sehr belastend. Aber von häuslicher Ge-
        walt und Zuflucht im Frauenhaus sind leider auch
        Frauen betroffen, die keine finanziellen Sorgen haben.
        Die Missachtung der Menschenwürde ist ein viel zu breit
        gefächertes Erscheinungsbild, als dass es auf ein be-
        stimmtes Klientel beschränkt werden kann.
        Die Gesamtfinanzierung der Frauenhäuser zu regeln
        ist dezidiert Aufgabe der Länder. So ist zu erklären, dass
        die Finanzierung in den Ländern unterschiedlich ge-
        handhabt wird. Einige finanzieren sich über Tagessätze,
        andere über Zuschüsse von Kommunen und/oder Län-
        dern.
        Dass zufluchtsuchende Frauen von Frauenhäusern
        mitunter abgewiesen werden, weil sie nicht in der Lage
        sind, die Tagessätze zu finanzieren, ist hier und da vor-
        gekommen und bedauerlich. Aber bei gemeinsamen Lö-
        sungsbestrebungen vor Ort gibt es auch für solche Kon-
        stellationen einen Ausweg. Zum Beispiel arbeitet ein
        Frauenhaus in meinem Wahlkreis mit Tagessätzen von
        6 bzw. 7 Euro. Für Frauen mit Leistungsbezug nach
        SGB II werden vom Träger für Grundsicherung die Kos-
        ten für Tagessätze vollständig übernommen. Da gibt es
        gar keine Probleme. Trotzdem ist die Einrichtung chro-
        nisch in finanziellen Nöten und muss auf die Spendenbe-
        reitschaft der Bevölkerung bauen.
        Uns nützt keine zentrale Regelung und diese wollen
        wir auch nicht. Wir setzen auf die Grundsicherung für
        den Lebensunterhalt und das mitmenschliche Miteinan-
        der.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12911
        (A) (C)
        (B) (D)
        Renate Gradistanac (SPD): Frauenhäuser sind
        Schutzhäuser für Frauen und ihre Kinder. Sie schützen
        Frauen, die Gewalt erfahren haben und Frauen, die vor
        einer Gewaltandrohung Schutz suchen. Ich selbst habe
        vor 15 Jahren ein Frauenhaus im Schwarzwald gegrün-
        det und war Vorsitzende. Der Bedarf an Frauenhausplät-
        zen ist trotz des Platzverweises nach dem Gewaltschutz-
        gesetz unvermindert hoch. Sie sind eine zentrale und
        notwendige Anlaufstelle für von Gewalt betroffenen
        Frauen und ihre Kinder. Solange es Gewalt gegen
        Frauen gibt, werden wir unsere Frauenhäuser brauchen.
        In Deutschland gibt es etwa 400 Frauenhäuser, in de-
        nen jährlich mehr als 40 000 Frauen Schutz suchen.
        5 722 Frauen und Kinder haben im Jahr 2003 in den
        41 Frauenhäusern in Baden-Württemberg um Schutz
        nachgesucht. Nicht nur in Baden-Württemberg sind die
        Frauenhäuser in unterschiedlicher Trägerschaft organi-
        siert und nicht nur in Baden-Württemberg ist ihre Finan-
        zierung landesweit sehr uneinheitlich. So sind auch die
        Tagessätze unterschiedlich hoch. In der Entstehungsge-
        schichte und dem Selbstverständnis der Frauenhäuser
        liegt ein Grund für die uneinheitliche Finanzierungs-
        struktur. Uneinheitlich ist die Finanzierung bundesweit
        aber vor allem deshalb, weil die Verantwortung für die
        Finanzierung bei den Ländern und Kommunen liegt. Die
        Länder und Kommunen sind gefordert, die Frauenhäuser
        finanziell sicherzustellen, anstatt sie durch Kürzungen
        zu beeinträchtigen.
        Nicht nur in Baden-Württemberg werden die Landes-
        zuschüsse für Frauenhäuser seit Jahren kontinuierlich
        gekürzt. Zudem ist in den Ländern leider auch ein zu-
        nehmender Ausstieg aus der institutionellen Förderung
        der Frauenhäuser und ein Umstieg auf eine pauschalierte
        Finanzierung nach Tagessätzen feststellbar. Dies hat gra-
        vierende Auswirkungen auf die Frauenhäuser. Die Kos-
        ten für Beratung, Unterkunft und Sachkosten werden da-
        durch von der Belegung der Plätze abhängig. Es gibt
        keine Planungssicherheit mehr und es gibt darum kaum
        mehr Mittel für die präventive und nachsorgende Arbeit.
        Ich bin der Meinung, dass die Frauenhausfinanzierung
        für die Länder und Kommunen zur Pflichtaufgabe wer-
        den muss. Alle unsere Frauenhäuser brauchen eine Fi-
        nanzierungsstruktur, die ihnen Planungssicherheit gibt.
        In den Bundesländern sind diese Defizite hinreichend
        bekannt. Im Übrigen sind die Länder und Kommunen
        auch für die Beratungsstellen für Frauen zuständig, die
        leider zunehmend abgebaut werden. Für eine bundesein-
        heitliche Regelung käme ein abgestimmtes Vorgehen der
        Länder auf der Grundlage einer Vereinbarung in Be-
        tracht. Auch wenn alternativ eine bundesgesetzliche Re-
        gelung initiiert würde, bedürfte diese der Zustimmung
        der Bundesländer. Bisher haben sich die Länder aber
        überwiegend gegen eine bundeseinheitliche Regelung
        ausgesprochen. Dagegen waren in der Vergangenheit im
        Übrigen auch der Teil der Frauenhäuser, die dadurch
        eine Verschlechterung ihrer Finanzierungsstruktur er-
        wartet haben.
        Ich bin froh, dass die Unklarheiten der Kostenerstat-
        tung für Bezieherinnen von Arbeitslosengeld II im Jahr
        2005 im Sinne der Frauenhäuser geregelt wurden. Der
        kommunale Träger am Herkunftsort eines Gewaltopfers
        hat die Kostenerstattung für die Zeit des Aufenthalts im
        Frauenhaus zu übernehmen. So wird eine einseitige Kos-
        tenbelastung derjenigen kommunalen Träger, die ein
        Frauenhaus unterhalten, nach dem SGB II vermieden.
        Damit haben wir das für die Frauen unzumutbare Hin
        und Her zwischen den betroffenen kommunalen Trägern
        beendet.
        Nach dem ersten Aktionsplan zur Bekämpfung von
        Gewalt gegen Frauen stehen wir vor der Umsetzung des
        zweiten Aktionsplans, der am 12. Oktober in den Bun-
        destag eingebracht wurde. Ich bin froh, dass bei der Eva-
        luation der Umsetzung des SGB II auch die Gruppe der
        von Gewalt betroffenen Frauen Berücksichtigung finden
        wird. Das Forschungsprojekt soll auch Handlungsemp-
        fehlungen zur Beseitigung möglicher Defizite geben.
        Mit den beiden Aktionsplänen zur Bekämpfung von
        Gewalt gegen Frauen, dem Gewaltschutzgesetz und dem
        Gesetz gegen Stalking hat der Bund in den letzten Jahren
        viel für die Opfer von häuslicher Gewalt getan. Der
        Bund entlastet die Länder und Kommunen durch die Zu-
        sammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe.
        Die Länder müssen diese Entlastung nicht nur an die
        Kommunen weitergeben, sondern gemeinsam müssen
        sie diese Entlastung unter anderem auch zur Sicherung
        und Unterstützung der Frauenhäuser einsetzen.
        Ina Lenke (FDP): Gewalt gegen Frauen in Deutsch-
        land ist leider immer noch ein drückendes Problem. Jede
        vierte Frau hat mindestens einmal im Leben körperliche
        Gewalt durch ihren Partner erlebt, und Familie ist nicht
        immer ein Hort der Geborgenheit.
        Die Bundesregierung hat im September dieses Jahres
        „einen Aktionsplan II zur Bekämpfung von Gewalt ge-
        gen Frauen“ verabschiedet, der ein Bündel von Maßnah-
        men vorsieht. Die Bedeutung von Frauenhäusern mit ih-
        ren vielfältigen Hilfsangeboten kommt darin leider nicht
        vor.
        Auch der Antrag der Regierungsfraktionen vom Sep-
        tember dieses Jahres mit dem Titel „Häusliche Gewalt
        gegen Frauen konsequent weiter bekämpfen“ hilft da
        nicht weiter. Zwar wird positiv vermerkt, dass gerade für
        von Gewalt betroffene Migrantinnen Frauenhäuser von
        besonderer Bedeutung sind, dieses Hilfsangebot würde
        diese Frauen besser erreichen als andere Hilfsangebote.
        Dann folgt lediglich die Aussage. „Nach wie vor sind die
        Zufluchtsstätten der Frauenhäuser notwendig“ und dass
        der Deutsche Bundestag die klarstellenden Regelung zur
        Kostenerstattung zwischen den örtlichen Trägern im
        Freibetragsregelungsgesetz begrüßt, wonach die bishe-
        rige Wohnortkommune der Kommune am Ort des Frau-
        enhauses stets die betreffenden Kosten für die Dauer des
        Aufenthalts der Frau zu erstatten hat.
        Gut ist aber, dass aus dem Bundeshaushalt ein bun-
        desweites Vernetzungssystem mitfinanziert wird. Die
        Frauenhauskoordinierungsstelle leistet einen erheblichen
        Beitrag zur Qualitätssicherung und zur qualitativen Wei-
        terentwicklung der professionellen Arbeit der Frauen-
        häuser.
        12912 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        Für die Bundesregierung sind die Bundesländer und
        die Kommunen zuständig, wie zum Beispiel in Sachsen-
        Anhalt, wo die Frauenhäuser pauschal nach den vorge-
        haltenen Plätzen einen Zuschuss erhalten. Diese Mei-
        nung teile ich. Deshalb ist die Forderung der Linken,
        Frauenhäuser zu einer öffentlichen Pflichtaufgabe des
        Bundes zu machen, nach der Föderalismusreform nicht
        zustimmungsfähig.
        Die weitere Aussage in dem Antrag, „dass Frauen in
        einer Notlage aus Kostengründen nicht in eine Frauen-
        haus gehen können“ ist nicht real. Auch die Aussage,
        dass sogar „Frauen, die jünger als 25 Jahre alt sind, zu
        ihren Eltern zurückgeschickt werden“, als allgemeingül-
        tige Aussage in einen Antrag an den Deutschen Bundes-
        tag aufzunehmen, ist nicht richtig. Ich habe mich einge-
        hend erkundigt. Es hat keine gravierenden Probleme
        gegeben. Die Frauen sind durchweg ALG-II-Empfänge-
        rinnen oder aber verfügten über eigenes Einkommen.
        Klar ist: Die Frauenhäuser nehmen jede Hilfesu-
        chende auf und klären im Rahmen der sozialpädagogi-
        schen Arbeit die weitere Finanzierung. Eine Abweisung
        einer Schutzsuchenden aus Kostengründen hat es zum
        Beispiel in Sachsen-Anhalt nicht gegeben. Auch meine
        Nachfrage in Niedersachsen führte zu denselben Ergeb-
        nissen. Weitere Diskussionen werden wir im Familien-
        ausschuss führen und sicher auch einen Sachstandsbe-
        richt des Ministeriums über die Ergebnisse der
        Arbeitsgruppe „Frauenhaus“ und deren Empfehlungen
        erhalten.
        Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Gewalt gegen
        Frauen ist kein gesellschaftliches Randproblem, sondern
        findet inmitten der Gesellschaft statt. Dabei geht es nicht
        nur um körperliche Misshandlungen, Vergewaltigung
        oder sexualisierte Gewalt. Teil des Alltags von Frauen
        und Mädchen sind Belästigung, Missachtung, Beleidi-
        gung, Nachstellungen usw.
        Mit dem Gewaltschutzgesetz von 2002 wurden unbe-
        stritten Fortschritte erzielt. Es versagt aber, wenn nicht
        für jede von Gewalt betroffene Frau zur Not die Tür ei-
        nes Frauenhauses offen steht, und zwar unabhängig von
        ihrer sozialen Situation, ihrer Herkunft und ihres Aufent-
        haltsstatus. Die Erfüllung dieses Anspruchs ist jedoch
        durch das SGB II in weite Ferne gerückt. Der Zugang ist
        nur dort abgesichert, wo die Kosten für den Aufenthalt
        in eine pauschale Förderung der Frauenhäuser einbezo-
        gen sind. Wo das nicht der Fall ist, türmen sich unterdes-
        sen die Probleme.
        Ganzen Gruppen betroffener Frauen wird der Zugang
        erschwert. Dazu gehören alle Frauen, die keinen An-
        spruch auf Leistungen nach dem SGB II haben, aber die
        Kosten des Frauenhausaufenthalts auch nicht selbst
        übernehmen können: also Frauen ohne oder mit zu ge-
        ringem Einkommen, Auszubildende, Studentinnen und
        Asylbewerberinnen.
        Wer also nicht selbst zahlen kann, muss in der unmit-
        telbaren Fluchtsituation erst mal ins Grundsicherungs-
        amt und einen ALG-II-Antrag stellen! Das bedeutet zu-
        sätzlichen psychischen Druck und erhöht die
        Zugangshürden. Das Aufnahmeverfahren wird zudem
        weiter bürokratisiert. Die für flüchtende Frauen so wich-
        tige Anonymität kann kaum bewahrt werden. Außerdem
        wird vielfach über eine schleichende Mittelkürzung und
        eine wachsende Einmischung in die inhaltliche Arbeit
        der Frauenhäuser berichtet.
        Als Teil des Sozialsektors werden die Frauenhäuser
        schrittweise nach den Glaubenssätzen neoliberaler Wirt-
        schaftspolitik umgestaltet. Das heißt:
        – von einem bedarfsorientierten Zuschuss wird umge-
        stellt auf die Bezahlung erbrachter Leistungen. Aller-
        dings nach künstlich reduzierter Nachfrage
        – die Ermittlung des realen Bedarfs an Frauenhausplät-
        zen wird ersetzt durch die Ermittlung von „Kundin-
        nen“ mit abrechenbarem Leistungsanspruch
        – Qualitätsmanagements mit standardisierten Vorgaben
        werden eingeführt, die allerdings mehr auf Kostenre-
        duzierung als an konkreten Notwendigkeiten orien-
        tiert sind
        – die Frauenhäuser werden in einen Wettbewerb um
        immer weniger Zuwendungsgelder gedrängt, den im-
        mer mehr verlieren.
        Das Ergebnis der Entwicklung in Thüringen: 10 von
        25 Frauenhäusern wurden in den vergangenen 3, 4 Jah-
        ren geschlossen. Glaubt jemand wirklich, dass der Zu-
        fluchtsbedarf in diesem Maß zurückgegangen wäre?
        Aber neben diesen finanziellen Schwierigkeiten gibt
        es eine Reihe weiterer struktureller Probleme durch das
        SGB II:
        – durch die oft lange Zeit zwischen Beantragung und
        ALG-II-Bescheid besteht eine akute Gefahr der Ver-
        armung, von fehlerhaften Bescheiden einmal ganz
        abgesehen
        – Kurzaufenthalte, zum Beispiel über das Wochen-
        ende, werden nicht finanziert
        – es gibt keine einmaligen Beihilfen mehr wie noch
        nach Bundessozialhilfegesetz
        – es fehlt eine bedarfsorientierte, spezifische Förde-
        rung von Gewalt betroffener Frauen; „Fordern und
        Fördern“ hat gerade im Kontext Frauenhaus einen
        besonders faden Beigeschmack
        – es fehlen individuell ausgestaltete, auf die besondere
        Situation von Gewalt betroffener Frauen eingehende
        Eingliederungsvereinbarungen zur Integration in den
        Arbeitsmarkt
        – es fehlen kontinuierliche, speziell geschulte An-
        sprechpartner/innen bei den Grundsicherungsämtern
        – es fehlen Sonderregelungen für Gewaltopfer im Un-
        terhalts-, Umgangs- und Sorgerecht.
        Die erschwerten Bedingungen auf der Seite der
        Frauen stehen der Tatsache gegenüber, dass durch das
        Gewaltschutzgesetz die Arbeitsbelastung der Frauen-
        hausmitarbeiterinnen deutlich gestiegen ist: es werden
        mehr Beratungen für Migrantinnen und deren spezielle
        Situation notwendig; es ist mehr Unterstützung notwen-
        dig bei Antragstellungen und Behördengängen; es ist ein
        großer Fortschritt, dass die Interventionsketten unter
        Einbeziehung von Polizei, Gerichten, Jugendamt ausge-
        baut wurden; aber auch das bedeutet Mehrarbeit für die
        Frauenhausmitarbeiterinnen.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12913
        (A) (C)
        (B) (D)
        Die Arbeit der Mitarbeiterinnen wird also einerseits
        aufgestockt und andererseits weiter bürokratisiert.
        Gleichzeitig wird sie inhaltlich komplexer. Hinzu
        kommt eine Vielzahl von Finanzanträgen, die erarbeitet
        und schließlich auch wieder abgerechnet werden müs-
        sen, damit das Frauenhaus überhaupt Bestand hat. Im
        Durchschnitt müssen 50 Prozent des Etats über Mittel-
        einwerbung finanziert werden.
        Letztlich geht es in unserem Antrag um die 30 Jahre
        alte Forderung der Frauenhausbewegung nach einer in-
        stitutionellen und bundesweiten Förderung der Frauen-
        häuser. Nach Auffassung der Linken muss bundesweit
        gesichert werden, dass: alle von Gewalt betroffenen
        Frauen eine Zuflucht finden, unabhängig von ihrer so-
        zialen Situation, ihrer Herkunft und ihres Aufenthaltssta-
        tus; die Zufluchtstätten verlässlich und unabhängig von
        Tages- und Pflegesätzen finanziert sind, die Arbeit der
        Frauenhausmitarbeiterinnen tatsächlich ihren Schwer-
        punkt auf dem Gebiet der psycho-sozialen Betreuung der
        betroffenen Frauen hat.
        Die Ernsthaftigkeit aller Bemühungen um das Thema
        Gewalt gegen Frauen werden daran gemessen werden,
        ob diese drängenden Probleme gelöst werden. Dabei ist
        die Einbeziehung der Mitarbeiterinnen der bundesweit
        vernetzten Frauenhäuser unerlässlich, um eine erfolgrei-
        che Lösung zu suchen – den politischen Willen dazu vo-
        rausgesetzt.
        Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE
        GRÜNEN): Es ist schon seltsam: Zu nachtschlafender
        Zeit setzt die Linke einen wichtigen frauenpolitischen
        Antrag auf und wundert sich dann, wenn alle anderen
        Fraktionen die Reden zu Protokoll geben wollen. Wenn
        Ihnen das Thema wichtig ist, sehr geehrte Damen und
        Herren von der Linken, warum legen sie es dann nicht in
        eine vernünftige Zeit? Ich glaube: Weil der Großteil der
        älteren Herren in Ihrer Fraktion das Thema eben für irre-
        levant hält.
        So ist das heute mit der Gewalt gegen Frauen: Ober-
        flächlich gibt es einen breiten Konsens für die Notwen-
        digkeit, diese Gewalt zu bekämpfen und ausreichend
        Schutzeinrichtungen zur Verfügung zu stellen.
        Wie auch heute hier. Wenn es aber um die Frage geht:
        „Wer soll das bezahlen?“, wird das Problem auf den
        Prioritätenlisten ziemlich schnell nach hinten durchge-
        reicht.
        Wir Grünen waren es, die die Bekämpfung häuslicher
        Gewalt von Frauen in die Politik getragen und dafür ge-
        sorgt haben, dass sie nicht länger nur ein Problem der
        Opfer ist. Gewalt durch den Partner ist eine der ernsthaf-
        testen Bedrohungen für Leib und Leben von Frauen –
        jede vierte Frau erlebt sie mindestens einmal in ihrem
        Leben. Aufgrund einer solchen Bedrohung müssen wir
        schon von einem Problem der inneren Sicherheit spre-
        chen. Es ist niemand anderer als der Staat selbst, der sich
        für den Schutz der Frauen ausdrücklich verantwortlich
        zeichnen muss.
        Bedauerlich finde ich es deshalb, wenn es der Bun-
        desregierung in ihrem kürzlich vorgestellten zweiten
        Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen
        nicht einmal eine Erwähnung wert ist, dass die Frauen-
        häuser sich derzeit wachsende Sorgen um ihre Finanzie-
        rung machen. Natürlich liegt die Finanzierung in den
        Händen der Länder. Aber ignorieren können wir es auf
        Bundesebene nicht, wenn die Hilfestandards der Frauen-
        häuser und Beratungsstellen absinken.
        Deshalb begrüße ich, dass die Linke diesen Antrag
        eingebracht hat. Ich bin allerdings skeptisch, was die
        Aussage betrifft, die Finanzierungsprobleme würden alle
        nur vom neuen SGB II herrühren. So schwarz-weiß sind
        die Dinge wieder einmal nicht, liebe Fraktion Die Linke.
        Die Länder versuchen seit Jahren, an der Finanzierung
        sowohl der Frauenhäuser als auch der Beratungsstellen
        zu sparen, bis nichts mehr übrig bleibt.
        Übrigens: Auch Sie sind dabei nicht unbeteiligt: In
        Berlin haben Sie vor gar nicht langer Zeit das Geld für
        neun Plätze in einem Frauenhaus gestrichen. Erzählen
        Sie mir nicht, dass das die PDS war und Sie damit nicht
        verantwortlich sind.
        Aber ich gebe zu, auch das SGB II hat neue Proble-
        matiken geschaffen. Viele haben wir – die Frauenpoliti-
        kerinnen der rot-grünen Koalition – sofort in Angriff ge-
        nommen. Zum Beispiel über Handlungsempfehlungen
        der BA. Damit sind aber nicht alle Probleme gelöst. Das
        für mich Schlimmste ist, dass mit der in vielen Ländern
        eingeführten kostendeckenden Tagessatzfinanzierung in
        Verbindung mit der Vermögensprüfung bei Arbeitslosen-
        geld-II-Empfängerinnen die Verantwortung für die
        Finanzierung eines Frauenhausaufenthalts auf die
        Frauen selbst verlagert wird. Wenn sie genügend Erspar-
        nisse haben, müssen sie persönlich für die Kosten auf-
        kommen. Damit werden die Opfer selbst für die Folgen
        der erlebten Gewalt verantwortlich gemacht.
        Ich sehe allerdings Probleme bei der bundeseinheitli-
        chen Lösung – der Föderalismus macht uns da einen
        Strich durch die Rechnung. Vor ein paar Stunden erst ha-
        ben wir über Gender Budgeting diskutiert. Das hier ist
        ein gelebtes Beispiel. Wenn wir die Entwicklungen in
        Ländern und Kommunen nicht aufhalten, ist die finan-
        zielle Verteilung zukünftig: Die Männer begehen die
        häuslichen Gewalttaten, und die Frauen kommen für die
        wirtschaftlichen Kosten auf – persönlich und mit ihrem
        Vermögen. Das kann es nicht sein, was wir wollen.
        Anlage 14
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung:
        – Entwurf eines Gesetzes zur Finanzierung
        der Beendigung des subventionierten Stein-
        kohlenbergbaus zum Jahr 2018 (Steinkohle-
        finanzierungsgesetz)
        – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem
        Antrag: Ausstieg aus der Steinkohle zügig
        und zukunftsgerichtet gestalten – RAG-Bör-
        sengang an marktwirtschaftlichen Grund-
        sätzen ausrichten
        12914 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem
        Antrag: Ruhrkohle AG in eine Stiftung
        öffentlichen Rechts überführen – Börsen-
        gang verhindern
        (Tagesordnungspunkt 21 a und b)
        Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Die Koalition
        bringt heute ein bedeutendes Element einer klugen und
        zukunftsorientierten Wirtschafts- und Energiepolitik auf
        den Weg. Dieses ist umstritten, aber aus meiner Sicht
        dringend notwendig. Die Anhörung am 22. Oktober hat
        dies nochmals deutlich gemacht, doch hat sie auch ge-
        zeigt, dass ein Ausstieg aus der Steinkohlesubventionie-
        rung bereits 2012 möglich ist. Den betriebsbedingten
        Kündigungen stünden 12 Milliarden Euro eingesparter
        Haushaltsmittel gegenüber, die zur Förderung neuer und
        innovativer Arbeitsplätze genutzt werden könnten, eine
        Tatsache, über die wir ja in rund vier Jahren im Bundes-
        tag nochmals beraten werden.
        Das Steinkohlefinanzierungsgesetz ist ordnungspoli-
        tisch eine wichtige Grundsatzentscheidung. Damit wird
        der größte Subventionsabbau in der Geschichte der Bun-
        desrepublik auf den Weg gebracht. Gleichzeitig ist es ge-
        lungen, einen sozialverträglichen Rahmen zu vereinba-
        ren. Die Große Koalition hat mit diesem historischen
        Beschluss einmal mehr ihre Handlungsfähigkeit bewie-
        sen. Die betroffenen Bergbauregionen haben jetzt den
        Startschuss für einen zukunftsgerichteten Strukturwan-
        del, für den nun auch neue Mittel frei werden. Es ist
        weise und eine demokratische Selbstverständlichkeit,
        dass der Deutsche Bundestag zum festgeschriebenen
        Zeitpunkt 2012 überprüft, ob die heutigen energiewirt-
        schaftlichen Rahmenbedingungen weiterhin Bestand ha-
        ben. In den letzten 50 Jahren hat die Subventionspolitik
        im Steinkohlebereich den Steuerzahler rund 125 Milliar-
        den Euro gekostet. Statt weiter Jahr für Jahr mehr als
        2 Milliarden Euro in Erhaltungssubventionen zu stecken,
        setzen wir ein strategisches Signal für die Zukunft. Dies
        ist eine Entscheidung für den Standort Deutschland. Sie
        zeigt, dass wir in der Lage sind, moderne und zukunfts-
        gerichtete Strukturen in unserem Land zu schaffen. Mir
        ist es wichtig hervorzuheben, dass wir die Entscheidung
        über die Zukunft der deutschen Steinkohle in einem brei-
        ten Konsens mit allen Beteiligten – einschließlich der
        Gewerkschaft – getroffen haben. Die subventionierte
        Förderung der Steinkohle in Deutschland wird bis spä-
        testens 2018 sozialverträglich beendet.
        Falsch ist – das möchte ich in dieser Runde nochmals
        betonen – dass der Steinkohlebergbau politisch nicht
        mehr gewollt ist, wie es vonseiten der Gewerkschaften
        bei der Anhörung verkündet wurde. Wir, die Union, ha-
        ben nichts Grundsätzliches gegen Steinkohlebergbau.
        Wir sind nur dagegen, einen Industriebereich durch
        staatliche Subventionen am Leben zu halten, vor allem
        dann, wenn die Förderung nicht dazu beiträgt, dass er in-
        ternational konkurrenzfähig wird. Wenn in Deutschland
        ein Unternehmen wieder wettbewerbsfähig Kohle aus
        der Erde holt, dann soll es das gerne machen. Diesem
        wirtschaftlichen Beitrag zur Versorgungssicherheit
        werde ich mich nicht verschließen.
        Beim Stichwort Versorgungssicherheit möchte ich
        Folgendes klarstellen. Einen Sockelbergbau, der die
        Subventionspolitik ohne Rücksicht auf die Wettbewerbs-
        fähigkeit festschreibt, darf und wird es nicht geben. Eine
        Grundfördermenge heimischer Steinkohle ist nach jetzi-
        ger Lage im Vergleich zum Weltmarktpreisniveau für
        Kraftwerkskohle ohne Subventionen nicht darstellbar.
        Der gewünschte Sockel von 6 bis 8 Millionen Tonnen
        Förderung jährlich würde den Steuerzahler 1,5 Milliar-
        den Euro kosten, wobei der Beitrag der deutschen Kohle
        am PEV auf 2 Prozent – von derzeit 5 Prozent – sinken
        würde. Diese 6 bis 8 Millionen Tonnen lassen sich ohne
        weiteres auf dem weltweiten Kohlemarkt mit einem Vo-
        lumen von 790 Millionen Tonnen beschaffen. Die deut-
        sche Bergbaumaschinenindustrie und deren Zulieferer
        sind nicht auf einen Sockelbergbau angewiesen. Die
        Bergbaumaschinenindustrie hat ihre Referenzen schon
        heute überwiegend durch Aktivitäten im Ausland und
        braucht keinen Sockelbergbau, um ihre Zukunft abzusi-
        chern.
        Der Weg für die Umstrukturierung des ehemaligen
        RAG-Konzerns ist nun endlich frei geworden. Den Spar-
        ten des weißen Bereichs wurde in seinem neuen Outfit
        als Evonik die nötige Perspektive für die weitere Ent-
        wicklung gegeben. Der Börsengang ist hierzu ein wichti-
        ger Schritt. Damit erhält der Konzern Zugang zum Kapi-
        talmarkt. Gleichzeitig werden über die Stiftung die
        Mittel für die Finanzierung der Ewigkeitslasten des
        Bergbaus wie Dauerbergschäden und Wasserhaltung
        aufgebracht und durch die Revierländer abgesichert.
        Fazit: Deutschland blickt auf 800 Jahre Geschichte
        und Tradition im Steinkohlebergbau zurück. Doch seit
        50 Jahren ist der Betrieb nicht mehr kostendeckend, ob-
        wohl in dieser Zeit rund 125 Milliarden Euro an staatli-
        cher Unterstützung geflossen sind. Auch wenn ein Aus-
        stieg 2012 möglich wäre, kommt es auf weitere sechs
        Jahre am Ende auch nicht mehr an. Wichtig ist, dass wir
        einen Konsens mit allen Beteiligten – Beschäftigten, Un-
        ternehmen und der Politik – erreicht haben und auch ein
        klares Ziel festgelegt haben. Deutschland steigt aus ei-
        nem subventionierten Steinkohlebergbau aus. Mit der
        heutigen abschließenden Lesung ist der Weg endlich frei
        und wir billigen allen Beteiligten die notwendige Flexi-
        bilität bei der betriebswirtschaftlichen Umsetzung zu.
        Glück auf!
        Rolf Hempelmann (SPD): Der heute anstehenden
        Verabschiedung des Steinkohlefinanzierungsgesetzes
        beweist diese Koalition auf einem schwierigen Feld ihre
        Handlungsfähigkeit. Wir haben hier im Bundestag den
        vorliegenden Gesetzentwurf zügig, konzentriert und vor
        allem ergebnisorientiert beraten und damit die Weichen
        dafür gestellt, dass der anspruchsvolle Zeitplan eingehal-
        ten und auch der Bundesrat noch in diesem Jahr befasst
        werden kann. Trotz des engen Termingerüsts haben wir
        uns die Zeit für eine gründliche Beratung unter anderem
        in einer Öffentlichen Anhörung genommen. Ich denke,
        dass die Diskussion mit den Sachverständigen sehr deut-
        lich gemacht hat, dass wir mit dem Steinkohlefinanzie-
        rungsgesetz einen vernünftigen Weg beschreiten. Einen
        Weg, der einen geregelten Anpassungsprozess für die im
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12915
        (A) (C)
        (B) (D)
        Bergbau Beschäftigten garantiert und zugleich neue in-
        dustrielle Wachstumsperspektiven eröffnet.
        Ich möchte diese Einschätzung anhand von vier
        Punkten begründen:
        1. Fragen wir uns doch zunächst einmal ganz grund-
        sätzlich, was denn die Alternative zu der jetzt gefun-
        denen Regelung gewesen wäre. Ein schlichtes Wei-
        ter-so? Mit Sicherheit nicht. Angesichts einer NRW-
        Koalitionsvereinbarung mit einem Ausstiegsdatum
        2010 hätte ein Nichthandeln unweigerlich dazu füh-
        ren müssen, dass die frühere RAG – jetzt Evonik In-
        dustries – für den Bergbaubereich finanziell in die
        Bresche hätte springen müssen. Man muss kein Pro-
        phet sein, um zu erkennen, dass dies sehr rasch zu ei-
        nem Selbstverzehr des Unternehmens, zur Vernich-
        tung des Wertes des weißen Bereichs geführt hätte.
        Allerdings ohne dass damit die Alt- und Ewigkeits-
        lasten des Bergbaus gedeckt gewesen wären. Diese
        Lasten wären der öffentlichen Hand überlassen wor-
        den – eine Scheinlösung, die bei rationaler Betrach-
        tung kaum als sinnvoll erscheinen dürfte.
        2. Schon im Rahmen der Koalitionsverhandlungen zwi-
        schen CDU/CSU und SPD – und ich erinnere mich
        sehr genau daran – haben wir gemeinsam festgelegt,
        den weiteren Anpassungsprozess im subventionier-
        ten deutschen Steinkohlenbergbau sozialverträglich
        auszugestalten. Dieser Vorgabe kommen wir mit dem
        vorliegenden Gesetz nach. Wir sehen vor, den sub-
        ventionierten Steinkohlenbergbau im Jahr 2018 zu
        beenden und behalten uns gleichzeitig vor, diese Ent-
        scheidung 2012 auf der Grundlage der dann aktuel-
        len energiewirtschaftlichen Erkenntnisse – das
        schließt übrigens Preisaspekte ebenso ein wie den
        Gesichtspunkt der Versorgungssicherheit – noch ein-
        mal zu überprüfen. Beide Daten – 2012 und 2018 –
        sind mit Bedacht gewählt. Das Jahr 2012, weil zu
        diesem Zeitpunkt noch eine echte Korrekturmöglich-
        keit existiert und der Zugang zu den Lagerstätten tat-
        sächlich noch offen steht. Und auch das Datum 2018
        ist keinesfalls zufällig gewählt. Es gibt ja auch hier
        im Hause einige, die meinen, ein weitaus früherer
        Ausstieg, zum Beispiel schon 2012, wäre auch mög-
        lich gewesen. Gutachten haben in diesem Punkt sehr
        klar gezeigt, dass diese Einschätzung neben der Re-
        alität liegt. Wer den Kurs der Sozialverträglichkeit
        nicht verlassen und betriebsbedingte Kündigungen
        vermeiden will, für den erübrigen sich alle Spekula-
        tionen mit mehr oder weniger willkürlich gegriffenen
        Jahreszahlen. Wir stehen deshalb zu der im Februar
        zwischen dem Bund, den Kohleländern, der IGBCE
        und der RAG getroffenen Rahmenvereinbarung, ge-
        rade weil sie den Bergleuten und ihren Familien die
        Planungssicherheit bis 2018 gibt, die sie auch ver-
        dient haben.
        3. Wir schaffen aber mit dem Steinkohlefinanzierungs-
        gesetz nicht nur die Grundlage für eine verantwortli-
        che Ausgestaltung des weiteren Auslaufprozesses im
        Bergbau. Wir eröffnen zugleich eine Chance für in-
        dustrielles Wachstum und Beschäftigung in unserem
        Land. Durch die Auflösung des Haftungsverbundes
        wird für das Unternehmen das Tor für einen Börsen-
        gang aufgestoßen und damit der für die weitere Un-
        ternehmensentwicklung wichtige Zugang zum Kapi-
        talmarkt ermöglicht. Ganz wichtig war, dass dabei
        die Weichen so gestellt worden sind, dass ein inte-
        grierter Börsengang möglich wird und eine Zerschla-
        gung des Unternehmens, die möglicherweise nur die
        Vorstufe etwaiger Marktbereinigungsprozesse gewe-
        sen wäre, vom Tisch ist. Es mag sein, dass bei einer
        Einzelverwertung der Unternehmensteile Chemie,
        Energie und Immobilien ein etwas höherer Verwer-
        tungserlös zu erzielen wäre. Aber auch an diesem
        Punkt haben alle, die in der Anhörung gewesen sind,
        dazulernen können. Denn diesen leicht höheren er-
        warteten Erlösen – nach begründeten Schätzungen
        stehen 5,9 Milliarden Euro im Falle einer Einzelver-
        wertung 5,1 Milliarden Euro bei einer Konglomerats-
        betrachtung entgegen – stehen gewichtige regional-
        und industriepolitische Erwägungen entgegen. Der
        integrierte Börsengang erhöht gegenüber anderen
        Modellen die Überlebensgarantie des Unternehmens,
        schafft am ehesten die Voraussetzungen für eine er-
        folgreiche und dauerhafte Etablierung am Markt.
        Und genau deshalb liegt eine Politik, die Rahmenbe-
        dingungen für einen Börsengang des Gesamtkon-
        zerns schafft, im fundamentalen Interesse der knapp
        50 000 Beschäftigten des neuen Unternehmens – ein
        Zusammenhang, der übrigens im vorliegenden An-
        trag der Linken vollständig verkannt wird.
        4. Nicht zuletzt stellen wir auf der Grundlage des Mo-
        dells integrierter Börsengang sicher, dass der zu er-
        zielende Kapitalisierungserlös zur Absicherung der
        Ewigkeitslasten des Bergbaus ausreicht. Die Finan-
        zierung der Ewigkeitslasten, also der Kosten in erster
        Linie für die Grubenwasserhaltung, den Bereich der
        Dauerbergschäden, und die Grundwasserreinigung
        wird im Rahmen eines Erblastenvertrags zwischen
        der RAG-Stiftung und den Ländern NRW und Saar-
        land geregelt. Die notwendigen Mittel werden aus
        dem durch den Börsengang des weißen Konzernbe-
        reichs gespeisten Stiftungsvermögen bestritten. In
        diesem Zusammenhang hat die Anhörung keine An-
        haltspunkte dafür ergeben, dass dieses Ziel auf der
        Grundlage der vorgesehenen Regelung verfehlt
        würde. Nach dem Urteil der Experten ist also eine
        mit zusätzlichen Belastungen verbundene Gewähr-
        leistungshaftung der Kohleländer und mittelbar des
        Bundes nicht zu befürchten. Auch dies ist ein wichti-
        ges Ergebnis der Anhörung.
        Alles in allem liegt damit ein mehr als brauchbarer
        Entwurf vor, mit dem es gelungen ist, die verschiedenen
        industrie-, sozial- und finanzpolitischen Zielsetzungen
        miteinander zu verbinden. Wir sollten ihn deshalb heute
        mit großer Mehrheit verabschieden.
        Ulla Lötzer (DIE LINKE): Die Folgen des heutigen
        Beschlusses für das Steinkohlefinanzierungsgesetz sind
        klar absehbar: Arbeitsplätze werden abgebaut, Ausbil-
        dungsplätze werden vernichtet, die Steuerzahlerinnen
        und Steuerzahler werden mit Kosten in noch unabsehba-
        rer Höhe belastet, nur einige wenige private Investoren
        12916 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        werden satte Gewinne einfahren. Das ist Ihre Politik,
        meine Damen und Herren von der Koalition, eine Politik
        für den Profit Weniger zulasten der Allgemeinheit.
        Der Evonik-Chef und frühere Wirtschaftsminister
        Müller erklärte dazu in der Anhörung des Wirtschafts-
        ausschusses lapidar: Wenn Unternehmen abgebaut wür-
        den, gingen eben auch die damit verbundenen Wohlfahr-
        ten flöten. Evonik jedenfalls sehe keine Veranlassung,
        einen Ausgleich zum Beispiel für den Ausbildungsplatz-
        abbau bei der Deutschen Steinkohle AG zu schaffen.
        Durch den Börsengang der RAG werden so Unter-
        nehmen geschaffen, die keine Sozialverpflichtung mehr
        kennen. Die Folge ist, dass im Ruhrgebiet 2 400 Ausbil-
        dungsplätze und unzählige Arbeitsplätze auf dem Spiel
        stehen. Hier wird die Zukunft vieler junger Leute ver-
        spielt, in einer Zeit in der es so wichtig wäre, gerade den
        jungen Menschen eine tragfähige Perspektive zu bieten.
        Auch die Landesregierung und die Bundesregierung
        stehlen sich aus der Verantwortung, mit dem Konzern
        Verhandlungen zu führen, die diese Ausbildungsplätze
        sichern.
        Als Begründung für den Börsengang wird immer wie-
        der herangezogen, dass der Konzern Evonik damit einer
        tollen Zukunft zugehe und damit auch Nordrhein-West-
        falen. Doch dies wurde in der Anhörung widerlegt. Auf
        die Frage, ob sich diese glänzenden Aussichten in Ar-
        beitsplätzen für das Ruhrgebiet niederschlage, konnte
        Herr Müller nichts Positives vermelden. Ersatzarbeits-
        plätze seien nicht absehbar, außer einigen Hundert im
        Chemiepark Marl.
        Nicht zuletzt daran zeigt sich, dass es falsch ist, zu-
        gunsten des Börsengangs auf eine öffentlich-rechtliche
        Stiftung zu verzichten. In der Anhörung des Wirtschafts-
        ausschusses wurde deutlich, dass in der Debatte war,
        eine öffentlich-rechtliche Stiftung, wie wir sie fordern,
        einzurichten. Aber die Beteiligten haben dies letztlich
        abgelehnt mit der Begründung, dass die Aufrechterhal-
        tung eines staatlicher Einfluss auf die RAG den Preis
        von Evonik an der Börse geschmälert hätte. Eine kurz-
        sichtige Sichtweise von Politikern, die vor lauter Euros
        vor Augen, die vielleicht kurzfristig in die Kasse kom-
        men, die Gesamtkosten, die letztlich von allen zu tragen
        sein werden, beiseite schieben.
        Ihre Verantwortung, meine Damen und Herren von
        der Regierungskoalition, ist es jedoch, wenn Sie schon
        diesen falschen Weg einschlagen, wenigstens die negati-
        ven Folgen abzumildern. Deshalb fordern wir Sie auf,
        sich wenigstens jetzt gemeinsam mit dem Land Nord-
        rhein-Westfalen für ein Konzept für eine Verbundausbil-
        dung einzusetzen. Alle bergbaufremden Betriebe in den
        Bergbauregionen, die bisher von den hoch qualifizierten
        Fachkräften der DSK profitiert haben müssen jetzt in die
        Pflicht genommen werden. Dies gilt auch für Evonik
        und die RAG-Stiftung. Als Partner für die Verbundaus-
        bildung sind auch die Gewerkschaften, Handwerkskam-
        mern, regionale Industrie- und Handelskammern, die
        Agentur für Arbeit und die Kommunen aktiv zu beteili-
        gen.
        Auch aus der Kritik des Bundesrechnungshofes, dass
        Bund und Länder zu wenig Einfluss auf die Stiftung ha-
        ben, werden nach wie vor keine Konsequenzen gezogen.
        Es bleibt dabei, Staatsferne für die Gewinne und bei den
        Entscheidungen, bei der Haftung aber ist die Allgemein-
        heit dran.
        Und wir fordern Sie auf, eine tragfähige Strukturpoli-
        tik für die Bergbauregionen zu entwickeln. Trotz einge-
        sparter 8 Milliarden bei den Subventionen bis 2018 sol-
        len im Ruhrgebiet nicht nur die Zechen dicht gemacht
        werden, sondern auch keine Ersatzarbeitsplätze geschaf-
        fen werden. Hier gäbe es große Chancen und Potenziale,
        aber nur wenn man sie nutzt und fördert. Deshalb brau-
        chen wir ein Strukturprogramm, das die vorhandenen
        Kompetenzen in den Bergbauregionen, zum Beispiel im
        Maschinenbau nutzt. Wir brauchen eine gezielte Ansied-
        lungsstrategie für Energieeffizienztechniken und den
        Anlagenbau im Bereich erneuerbarer Energie. Nieder-
        sachsen hat längst die Zeichen erkannt und profitiert
        inzwischen enorm vom Windanlagenbau. Die Bergbau-
        regionen müssen nun versuchen, da Anschluss zu be-
        kommen. Solange, bis ausreichend Ersatzarbeitsplätze
        geschaffen worden sind, dafür die Gelder zu nutzen, die
        durch die Reduzierung der Steinkohlesubventionen frei
        werden.
        Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Nun hat es auch die Bundesregierung endlich verstanden,
        Steinkohle hat in Deutschland keine Perspektive. Mit
        rund 21 Millionen Tonnen deckt deutsche Steinkohle
        heute gerade noch vier Prozent des gesamten Primärener-
        gieverbrauchs in der Bundesrepublik. Selbst Frau
        Thoben, immerhin CDU Mitglied und Ministerin für
        Wirtschaft, Mittelstand und Energie des Landes Nord-
        rhein-Westfalen hat in ihrer Stellungnahme zur Anhörung
        am 22. Oktober festgestellt: Der heimische Steinkohlen-
        bergbau hat bei realistischer Betrachtung wirtschaftlich
        keine Zukunft. Wegen der niedrigen internationalen Ge-
        stehungskosten ist die Förderung deutscher Kohle schon
        lange nicht mehr wettbewerbsfähig, es ist nicht absehbar,
        dass die Schwelle der Wirtschaftlichkeit auch nur im An-
        satz erreicht werden könnte. Anstatt eine Tonne deutscher
        Kohle zu fördern, können mit demselben Geld rund drei
        Tonnen Importkohle erworben werden.
        Es hat leider sehr lange gedauert, bis diese Einsicht
        gekommen ist und unsere Bürgerinnen und Bürger hat
        das sehr viele Steuergelder gekostet. Nach Berechnun-
        gen des Forums für Wirtschafts- und Finanzpolitik wa-
        ren das in den Jahren 1958 bis 2002 rund 128 Milliarden
        Euro. Es gibt kaum andere Subventionsarten in Deutsch-
        land, die über einen so langen Zeitraum auf einem derart
        hohen Niveau aufrechterhalten wurden. Noch heute füh-
        ren die Steinkohlensubventionen mit Abstand die Liste
        der 20 größten Finanzhilfen an, die regelmäßig im Sub-
        ventionsbericht der Bundesregierung veröffentlicht wer-
        den.
        Bis 2018 soll der unwirtschaftliche deutsche Stein-
        kohlenbergbau mit weiteren 38 Milliarden Euro aus
        Bundesmitteln unterstützt werden. Das ist nichts anderes
        als hoch subventionierte Klimazerstörung und Geldver-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12917
        (A) (C)
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        schwendung. Diese Gelder fehlen für mehr Zukunfts-
        energien, Klimaschutz und so auch für neue verlässliche
        Arbeitsplätze der Beschäftigten im Kohlenbergbau. Ein
        konsequentes Programm für Erneuerbare Energien ge-
        rade in den Kohleregionen böte die Möglichkeit auch für
        diese letzten Beschäftigten verlässliche und zukunftssi-
        chere Arbeitsplätze zu schaffen. Wir von Bündnis 90/
        Die Grünen fordern daher einen Ausstieg bereits 2012
        und haben hierzu einen Entschließungsantrag einge-
        bracht, über den heute ebenfalls abgestimmt wird.
        Aber noch nicht einmal zu dem Ziel des Ausstiegs
        2018 steht die Bundesregierung verbindlich. Im Entwurf
        des Steinkohlefinanzierungsgesetz steht eine erneute Be-
        gutachtung und Überprüfung des Ausstiegsbeschlusses
        im Jahr 2012. Dabei wollte sogar das Land Nordrhein-
        Westfalen in den Verhandlungen die Kohlensubventio-
        nen bereits 2014 beenden. Die Bundesregierung kannte
        die Begutachtung und Überprüfung des Ausstiegsbe-
        schlusses im Jahr 2012. Dabei wollte sogar das Land
        Nordrhein-Westfalen in den Verhandlungen die Kohlen-
        subventionen bereits 2014 beenden. Die Bundesregie-
        rung konnte die Verlängerung der Kohlenförderung aber
        nur durchsetzen, indem sie den Anteil des Landes Nord-
        rhein-Westfalen an den Subventionen von 2015 bis 2018
        übernimmt. Ohne Not hat der Bund zusätzliche Belas-
        tungen übernommen, weil sich die SPD erneut als
        Schutzmacht der Kohle profilieren will. Es ist illusorisch
        zu glauben, dass sich der Wettbewerbsnachteil heimi-
        scher Kohle in den nächsten Jahrzehnten aufheben wird.
        Die geologischen Nachteile Deutschlands bleiben ein
        dauerhaftes Handicap.
        Das können auch unsere Kohlebarone nicht ignorie-
        ren, vorneweg Herr Müller von EVONIK und Herr
        Tönjes von der Deutschen Steinkohle AG die uns in der
        Anhörung allen Ernstes glaubhaft machen wollten, deut-
        sche Steinkohle hätte eine Zukunft. Selbst die Kollegin-
        nen und Kollegen der Regierungsfraktionen machen im
        Wirtschaftsausschuss keinen Hehl mehr daraus, dass der
        Zug der Deutschen Steinkohle endgültig abgelaufen ist.
        Es macht ökologisch und ökonomisch überhaupt kei-
        nen Sinn, die Subventionen bis 2018 weiterlaufen zu las-
        sen. Nach einem Gutachten von KPMG zur Bewertung
        der Stillsetzungskosten und der Ewigkeitslasten liegen
        die Kosten der Stilllegung für 2012, 2014, 2016 und
        2018 in gleicher Höhe nämlich bei knapp 14 Milliarden
        Euro. In keinem der Fälle wird es zu betriebsbedingten
        Kündigungen kommen.
        Selbst der geplante Börsengang von EVONIK birgt
        erhebliche Risiken für die öffentliche Hand. Die neu ge-
        schaffene Steinkohlenstiftung trägt zwar die Ewigkeits-
        kosten und für den Fall, dass das Vermögen nicht aus-
        reicht, treten die Kohlenländer in Haftung. Der Bund hat
        sich aber auch hier wieder ohne Not bereit erklärt,
        30 Prozent der Kostenrisiken zu übernehmen. Es ist gut,
        dass entsprechend unserer Forderungen keine dauerhafte
        Sperrminorität der Steinkohlenstiftung an den Unterneh-
        men des weißen Bereichs festgeschrieben wurde. We-
        sentlich ist, dass die Risiken für die öffentliche Hand re-
        duziert werden und die Unternehmen des weißen
        Bereichs strukturpolitisch sinnvoll weiterentwickelt wer-
        den. Es sollte noch einmal sehr genau geprüft werden, ob
        es nicht mehr Sinn macht, Degussa, STEAG und RAG-
        Immobilien einzeln zu veräußern und sie nicht, wie ge-
        plant, im Paket an die Börse zu bringen.
        Da passt es ja auch ins Bild, dass der Bundesrech-
        nungshof für die Steinkohlestiftung keine Prüfbefugnis
        erhalten soll. Hier schaffen Sie einmal mehr Intranspa-
        renz statt Klarheit. Der Deutsche Bundestag sollte alle
        diese Fragen noch einmal sehr genau untersuchen.
        Wir sprechen hier heute über einen Antrag der FDP
        zum Ausbau der Rheintalbahn zwischen Karlsruhe und
        Basel. Mit dem Bau des 3. und 4. Gleises für den Güter-
        verkehr auf der Schiene wird ein europäisches Großpro-
        jekt in Angriff genommen. Die Bundesrepublik hat sich
        zu diesem Kapazitätsausbau verpflichtet. Mit dem Staats-
        vertrag von Lugano 1996 stehen wir der Schweiz gegen-
        über im Wort, den Ausbau der Zulaufstrecke zum Lötsch-
        berg- und Gotthardtunnel sicherzustellen.
        Dieser Ausbau ist dringend erforderlich – aus ver-
        kehrspolitischen Gründen wie aus Gründen des Klima-
        und Umweltschutzes. Kann der geplante Güterverkehr
        nicht auf der Schiene stattfinden, dann wird er über die
        Straße rollen. Damit würden die Menschen, die Umwelt
        und die Landschaft viel stärker belastet. Bündnis 90/
        Die Grünen haben ein zentrales Anliegen: Wir wollen
        möglichst schnell möglichst viel Güterverkehr von der
        Straße auf die Schiene verlagern. Dazu brauchen wir den
        Kapazitätsausbau im Rheingraben dringend. Der Ausbau
        der Rheintalbahn wird auch zu einer deutlichen Entlas-
        tung der Anwohner an der Altstrecke führen. Diese Ent-
        lastung begrüßen wir sehr, da sie Tausenden von An-
        wohnern zugute kommt. Zurzeit wird gerade in der
        Region Freiburg mit dem Lärmsanierungsprogramm des
        Bundes die Situation an einzelnen, besonders belasteten
        Punkten der Altstrecke entschärft. Das ist im Sinne des
        Lärmschutzes sehr zu begrüßen. Letztlich ist das aber
        nur ein Tropfen auf den heißen Stein, weil es sich hier
        um freiwillige „Reparaturmaßnahmen“ ohne gesetzli-
        chen Anspruch handelt.
        Auch mit dem vergleichsweise umweltfreundlichen
        Transportmittel Bahn kommen große Belastungen auf
        Mensch und Umwelt im Rheingraben zu. Was können
        wir realistischerweise tun, um diese Belastungen so ge-
        ring wie möglich zu gestalten?
        Der beste und auch günstigste Weg beim Lärmschutz
        ist die Vermeidung der Entstehung von Lärm. Die Ver-
        meidung der Lärmentstehung durch neue leisere Wagen
        und durch Umrüsten des Altmaterials ist der effizienteste
        und günstigste Weg, die Güterzüge leiser zu machen. Ein
        europaweites Umrüstprogramm nach dem heutigen
        Stand der Technik würde eine Halbierung des Lärms be-
        deuten. Für relativ wenig Geld lässt sich das Bremssys-
        tem jedes alten Waggons umrüsten. So entsteht ein
        Lärm, der vom menschlichen Ohr nur noch halb so laut
        wahrgenommen wird.
        Im Juni wurde dieses Umrüstprogramm hier im Bun-
        destag beschlossen. Da sind wir alle dafür. Für diesen
        sehr sinnvollen Weg haben wir uns erfolgreich einge-
        setzt. Für die tatsächliche und europaweite Umsetzung
        12918 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        bis zur Inbetriebnahme des 3. und 4. Gleises der Rhein-
        talbahn – unter anderem durch die Einführung lärm-
        abhängiger Trassenpreise – werden wir kämpfen.
        Nun zu den vier Forderungen zu einzelnen Strecken-
        abschnitten im Antrag der FDP. Diese vier Forderungen
        übernimmt die FDP von den Bürgerinitiativen im Rhein-
        graben. Da die in Abs. II an die Bundesregierung gerich-
        teten Forderungen in der Gesamttendenz richtig sind,
        werden wir dem FDP-Antrag zustimmen. Wir schließen
        uns einer sorgfältigen Prüfung der einzelnen Forderun-
        gen generell an, auch wenn wir manche Details anders
        sehen.
        Nun noch eine Bewertung im Detail:
        Zu Forderung eins: Die bisherige Planung zu Offen-
        burg kann so nicht bleiben, da die bereits hohe Belastung
        der Offenburger Innenstadt sich noch drastisch ver-
        schärft. Offenburg ist ohne Zweifel der problematischste
        Punkt der gesamten Neubaustrecke mit den meisten di-
        rekt betroffenen Anwohnern. Wir fordern eine detail-
        lierte Prüfung einer Tunnel-Lösung für Offenburg unter
        Berücksichtigung des Lärm- und Erschütterungsschutzes
        sowie des innerstädtischen Flächenverbrauchs.
        Zu Forderung zwei: Eine Bündelung der Linienfüh-
        rung von Offenburg bis Freiburg von Neubaustrecke und
        A 5 halten wir Grünen für die sinnvollste Variante der
        Trassenführung. Diese muss im Planfeststellungsverfah-
        ren gleichrangig mit anderen Varianten im Hinblick auf
        Landschaftsverbrauch, Lärmschutz und Betriebssicher-
        heit geprüft werden.
        Zu Forderung drei: Die zusammen mit anderen bauli-
        chen Maßnahmen vorgeschlagene teilweise Trassenab-
        senkung im Freiburger Streckenabschnitt soll geprüft
        werden Dieses für eine deutliche Lärmreduzierung vor-
        geschlagene Maßnahmenbündel stellt eine klare Verbes-
        serung der bisherigen Bahnplanungen dar. Das Maßnah-
        menpaket, das in einer von den betroffenen Kommunen
        finanzierten Ingenieursstudie im Detail erarbeitet wurde,
        verdient eine sorgfältige Prüfung im Planfeststellungs-
        verfahren.
        Zu Forderung vier: Auch eine Trassenabsenkung mit
        Teildeckelung des Streckenabschnitts vom Südportal des
        Mengener Tunnels bis südlich von Buggingen soll ge-
        prüft werden. Die ursprüngliche Maximalforderung, die-
        sen Streckenabschnitt ganz zu untertunneln, wird nicht
        mehr erhoben. Das begrüßen wir.
        Unser abschließendes Fazit: Wir begrüßen das Nach-
        hintenziehen des Prognosehorizonts aufs Jahr 2025, weil
        das ein realistischerer Zeitpunkt für den tatsächlichen
        Güterverkehr auf der Strecke ist. Sollten von Land oder
        Bund zusätzliche Mittel für den baulichen Lärmschutz
        bereitgestellt werden, – also Gelder, die über die gesetz-
        lichen Verpflichtungen hinaus fließen – so sollte dieses
        Geld an den kritischsten Punkten eingesetzt werden. Der
        kritischste Punkt ist für uns Offenburg, weil dort die
        meisten Menschen am härtesten und am direktesten be-
        troffen sind.
        Was wird aus den großen Versprechungen, die die
        Abgeordneten der Großen Koalition in der Region in den
        letzten Jahren gemacht haben? Regionale Abgeordnete
        der CDU und der SPD aus dem Bundestag und aus dem
        Stuttgarter Landtag haben vor Ort immer viel mehr
        Lärmschutz versprochen als er gesetzlich vorgeschrie-
        ben ist. Das Land Baden-Württemberg verschleudert
        beim Projekt Stuttgart 21 ohne Not eine Milliarde Euro.
        Wir sind sehr gespannt, wie viel Geld die CDU/FDP-
        Landesregierung für das Projekt Ausbau der Rheintal-
        bahn zur Verfügung stellen wird. Und wir sind sehr neu-
        gierig, was aus den forschen Worten der SPD-Opposi-
        tion im Ländle in Berlin wird. Dort ist man mit an der
        Regierung, dort will man dann häufig nichts mehr von
        dem wissen, was man – wie zum Beispiel die Abschaf-
        fung des Schienenbonus – vor Ort bei den Betroffenen
        gefordert hat.
        Anlage 15
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrages: Umweltqualitäts-
        normen im Bereich Wasserpolitik – Forderun-
        gen des Europäischen Parlaments aufgreifen
        und ausweiten (Tagesordnungspunkt 22)
        Ulrich Petzold (CDU/CSU): Von alters her und wohl
        in jeder Kultur gilt das Vergiften eines Brunnens als ein
        außerordentlich schweres Verbrechen. In der Zeit der In-
        dustrialisierung ist das diesbezügliche Unrechtsbewusst-
        sein leider zurückgegangen. Doch Brunnenvergifter im
        ursprünglichen Sinn – gibt es die noch?
        Der Verbrauch von Wasser in beliebiger Menge und
        in höchster Qualität ist in den Industrieländern eine
        Selbstverständlichkeit, und nur wenige machen sich Ge-
        danken um ihr Handeln, wenn es gilt, ihre Wünsche mit
        ihrem Handeln in Übereinstimmung zu bringen. Dass
        das persönliche Verhalten bei der Entsorgung von Abfäl-
        len oder Abwasser, ihr Wirtschaften oder sonstiges Ver-
        halten in der Natur direkten Einfluss auf das Wasser hat,
        das sie wie selbstverständlich aus der Wasserleitung
        konsumieren und entnehmen, ist vielen Menschen leider
        gar nicht richtig bewusst. Nein, es stellt sich heute nie-
        mand mehr hin und verschmutzt oder vergiftet wissent-
        lich und zielgerichtet Trinkwasserbrunnen. Die Vergif-
        tung erfolgt viel subtiler und nicht am Brunnen selbst.
        Der Landwirt, der Felder überdüngt, der Unternehmer,
        der bei wassergefährdenden Prozessen nicht auf eine
        ordnungsgemäße Sperrschicht achtet, die achtlos wegge-
        worfene Farbbüchse oder Batterie oder das in die Toi-
        lette gespülte Medikament – das sind die modernen
        Brunnenvergifter. Meist Unachtsamkeit, oft aber auch
        übersteigertes Gewinnstreben oder pure Bequemlichkeit
        gefährden das Wasser, das wir als Grundwasser in unse-
        ren Brunnen wiederfinden. Auf der anderen Seite schaf-
        fen modernste Messmethoden die Voraussetzung, Stoff-
        konzentrationen zu messen, die noch vor wenigen Jahren
        um Potenzen unter den messbaren Konzentrationen la-
        gen.
        Letztendlich war es die Sorge um unsere natürlichen
        Lebensgrundlagen, die das Europäische Parlament im
        Mai 2007 bewogen hat, dafür zu stimmen, dass 28 wei-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12919
        (A) (C)
        (B) (D)
        tere Stoffe in die Liste der prioritären Stoffe der Euro-
        päischen Wasserrahmenrichtlinie aufgenommen werden
        sollen. Umweltverbände hatten ihre Wünsche und Er-
        kenntnisse zu der Gefährlichkeit von Stoffen an die EU-
        Abgeordneten herangetragen. Daraus war dann die Liste
        von 28 Stoffen entstanden, die die 33 bisherigen prioritä-
        ren Stoffe ergänzen sollten. Doch genau das war nicht
        der Weg, der in der Europäischen Union verabredet war.
        Wie in dem vorliegenden Antrag richtig vermerkt ist,
        müssen die bestehenden Auflagen und Vorgaben der
        EU-Wasserrahmenrichtlinie ergänzt und überarbeitet
        werden. Dazu hat die Europäische Union eine Arbeits-
        gruppe gebildet, die sich intensiv und wissenschaftlich
        exakt mit Stoffen beschäftigt, deren Gefährlichkeit in-
        frage steht. Die Dosis macht das Gift – diese Weisheit
        des Paracelsus gilt auch bei den Umweltgiften. Es ist ex-
        akt zu arbeiten, und gut gemeint ersetzt auch in diesem
        Fall keine fachliche Arbeit.
        Deshalb ist die Entscheidung der EU-Umweltminister
        vom 28. Juni dieses Jahres, die vom EU-Parlament vor-
        geschlagenen 28 Stoffe nicht kurzfristig in die Liste der
        gefährlichen Substanzen aufzunehmen, so nicht zu kriti-
        sieren. Auch wenn die fachlich exakte Arbeit mit allen
        notwendigen Diskussionen und Abstimmungen etwas
        länger dauert als von Umweltverbänden gewünscht, ist
        sie doch übereilten Entscheidungen vorzuziehen. Die da-
        ran im Antrag geübte Kritik ist daher fachlich und sach-
        lich nicht begründet.
        Bedenklich sind hingegen Beschlüsse, die im Antrag
        als „Aufweichung der Prioritäre-Stoffe-Richtlinie“ be-
        zeichnet werden. So ist es auch unserer Meinung nach
        falsch, dass man sich nicht auf EU-einheitliche Emis-
        sionsregelungen geeinigt hat. Schon allein mögliche
        Wettbewerbsverzerrungen hätten damit eingedämmt
        werden können, geschweige denn, dass in vielen Fällen
        nur so ein guter chemischer Zustand von Oberflächenge-
        wässern hergestellt werden kann. Deswegen sind wir si-
        cher, dass vonseiten der Bundesregierung alles Erdenkli-
        che getan wird, die europäischen Partner vom Wert von
        Emissionsgrenzwerten zu überzeugen. Eines eigenen
        Antrages, um die Bundesregierung zum Handeln zu ver-
        anlassen, hätte es, wie Sie selbst wissen, dazu nicht be-
        durft.
        Anders sehen wir das bei der Möglichkeit, die die
        EU-Mitgliedstaaten in Zukunft haben, bei Schadstoffbe-
        stimmungen in Gewässern flexibler vorzugehen. Wir
        sind es in Deutschland gewöhnt, Schadstoffkonzentratio-
        nen im Wasser direkt zu messen. Insbesondere Großbri-
        tannien, aber auch Frankreich bevorzugen Biota-Mes-
        sungen. Dazu werden die Schadstoffkonzentrationen in
        Gewässerorganismen oder auch Sedimenten gemessen.
        Unserer Auffassung nach kommt es indes nicht darauf
        an, wie Schadstoffkonzentrationen gemessen werden,
        sondern es muss eine Vergleichbarkeit der Messergeb-
        nisse erreicht werden. Nach Aussage der Fachleute ist
        auch nach der Flexibilisierung die geforderte Vergleich-
        barkeit in jedem Fall gegeben. Im Gegenteil darf sogar
        angenommen werden, dass die vorgeschriebenen Kon-
        zentrationsgrenzen bei den Messungen in Biota und Se-
        dimenten strenger ausfallen.
        Die Forderung, PCB und Dioxine in die Liste der
        prioritären Stoffe aufzunehmen, ist zwar aufgrund deren
        hoher Schadwirkungen verständlich. Es muss jedoch
        festgestellt werden, dass diese Stoffe zurzeit kein Ge-
        wässerproblem darstellen. Nur in einigen alten Transfor-
        matoren ist noch PCB enthalten, und es darf in Deutsch-
        land schon längst nicht mehr neu eingesetzt werden.
        Somit ist PCB ein Auslaufproblem. Bei Dioxinen muss
        man wissen, dass dieses bei Verrottungsvorgängen natür-
        lich entsteht und somit immer auch eine Hintergrundbe-
        lastung vorhanden ist. Dass trotzdem die Einhaltung von
        Schadstoffgrenzwerten auch bei Dioxinen kein Problem
        darstellt, sollte bei den überbordenden Forderungen auch
        wieder etwas Vernunft einziehen lassen.
        Die gleiche Vernunft und auch Augenmaß fordern wir
        bei den im Antrag als „neuartige Problemstoffe“ benann-
        ten Substanzen ein. Es handelt sich hierbei um pharma-
        zeutisch aktive Wirkstoffe, die von Organismen natür-
        lich oder nach Einnahme von Präparaten verändert oder
        unverändert wieder ausgeschieden werden. So neuartig,
        wie der Antrag den Eindruck erwecken will, sind uns
        Auswirkungen von Arzneimittelrückständen und hormo-
        nell wirksamen Stoffen nicht. Zahlreiche Kongresse,
        Kolloquien und Untersuchungen haben sich mit dem
        Problem befasst. Im April dieses Jahres hat sich auch
        wieder der Sachverständigenrat für Umweltfragen zum
        Thema Arzneimittelrückstände geäußert und festgestellt,
        „dass viele der eingesetzten Wirkstoffe nur in geringen
        Konzentrationen in die Umwelt gelangen und meist sehr
        kurzlebig sind“. Von 3 000 eingesetzten Wirkstoffen
        sind circa 80 in Kläranlagen zu finden. Dort erfolgt ein
        weitgehender Abbau, bevor das gereinigte Abwasser in
        die Vorfluter entlassen wird. Die im Grundwasser aufge-
        fundenen Spuren von Arzneimittelrückständen liegen
        meist um mehrere Zehnerpotenzen unterhalb von Kon-
        zentrationen, die für eine lebenslange Aufnahme beim
        Menschen toxikologisch ableitbar gesundheitlich duld-
        bar sind. Wir wissen jedoch, dass die pharmazeutisch ak-
        tiven Wirkstoffe, aber auch solche Substanzen wie das
        17α-Ethinyl-Estradiol, welches Sie in Ihrem Antrag an-
        sprechen, auf diverse Organismen unterschiedliche Ef-
        fekte haben können. Hier können schon bei geringsten
        Konzentrationen Wirkungen auftreten, wie sie uns si-
        cherlich allen von der Auswirkung minimaler Spuren
        humaner weiblicher Hormone auf Krallenfrösche be-
        kannt sind.
        Daher ist es richtig, dass im Gesetz über den Verkehr
        mit Arzneimitteln 2006 eine Umweltverträglichkeitsbe-
        wertung eingeführt bzw. erweitert wurde. Auch die Euro-
        päische Arzneimittelagentur hat mit der am 1. Dezember
        2006 in Kraft getretenen „Guideline on the environmental
        risk assessment of medicinal products for human use“
        diesbezüglich das richtige Signal bereits gesetzt. Dass wir
        gerade auch hier Augenmaß einfordern, geschieht allein
        vor dem Hintergrund einer hohen Verunsicherung der
        Menschen. Wenn im Jahr 2005 bei Google 531 000 meist
        besorgten Einträgen zu Arzneimittelrückständen gerade
        einmal 34 wissenschaftliche Beiträge gegenüberstehen,
        dann kann man nur vor Panikmache warnen.
        Insgesamt ist festzustellen: Wir haben zum Beispiel
        gerade auch mit REACH einen sehr guten Ansatz,
        12920 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        Schadstoffemissionen in den Griff zu bekommen. Es
        wäre wichtig, zwischen den prioritären Stoffen der Was-
        serrahmenrichtlinie und solchen Eingruppierungen wie
        der von REACH eine Abstimmung zu entwickeln. Un-
        terschiede in der Bewertung könnten die Glaubwürdig-
        keit unserer Chemikalien- und Umweltpolitik schädigen.
        Das sollte, ja, das darf uns nicht passieren. Deswegen
        sind auch Schnellschüsse auf dem Gebiet sehr problema-
        tisch. Die fundierte, fachlich gute Arbeit der Bundesre-
        gierung im Bereich des Wasserschutzes sollte deshalb
        von uns unterstützt und nicht kritisiert werden.
        Ich gebe zu, dass ich mich in einem Punkt sehr über
        den Antrag geärgert habe. Wenn es darin heißt: „Der
        Bundestag fordert die Bundesregierung auf, dafür Sorge
        zu tragen, dass die Wasserrahmenrichtlinie nicht aufge-
        weicht wird“, oder „dafür Sorge zu tragen, dass neue
        prioritäre Stoffe von der EU aufgenommen werden“, so
        zeugt diese Formulierung von keinem großen Demokra-
        tieverständnis. Dafür Sorge zu tragen, heißt: „hat durch-
        zusetzen“. Der Antrag fordert die Bundesregierung apo-
        diktisch auf, ihre Ziele in der EU durchzusetzen. Auch
        wenn es das Richtige in der Sache ist: Eine Zwangsbe-
        glückung ist immer falsch. Zu einer Zwangsbeglückung
        aufzurufen oder sie, wie in dem Antrag, einzufordern, ist
        nicht unsere Sache. Die Nachhaltigkeit gerade im Um-
        weltschutz ist umso größer, je mehr auch der Partner
        vom richtigen Handeln überzeugt ist. Dieses Handeln
        zwangsweise von anderen Staaten streng und intolerant
        einzufordern, ist etwas, was wir nicht unterstützen kön-
        nen. Ich habe eingangs etwas über Brunnenvergiften ge-
        sagt. Im übertragenen Sinn kann man dieses auf Ihre
        apodiktische Formulierung anwenden.
        Wir werden uns daher im Ausschuss sehr kritisch mit
        dem Antrag auseinandersetzen.
        Petra Bierwirth (SPD): Wir beraten heute den An-
        trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. In diesem An-
        trag wird die Bundesregierung gebeten, die Forderungen
        des Europäischen Parlamentes zur Richtlinie über Um-
        weltqualitätsnormen im Bereich der Wasserpolitik zu
        übernehmen. Mit dem vorliegenden Richtlinienvor-
        schlag sollen die Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie
        in EU-Recht umgesetzt werden. Des Weiteren schlägt
        die Kommission Qualitätsnormen für die Konzentration
        der prioritären Stoffe in Oberflächenwasser, Sedimenten
        und Biota vor.
        Gemäß dem sechsten Umweltaktionsprogramm gehö-
        ren Maßnahmen zur Begrenzung prioritärer Stoffe zu
        den vorrangigen Aktionsbereichen. Der vorliegende Vor-
        schlag dient dem Schutz und der Verbesserung der Qua-
        lität der Umwelt. Dies geschieht in Übereinstimmung
        mit dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung.
        Gleichzeitig wird mit dem Vorschlag die Harmonisie-
        rung der Wirtschaftsbedingungen auf dem Binnenmarkt
        sichergestellt. Das war unbedingt erforderlich, da die
        bislang geltenden Umweltqualitätsnormen sehr unter-
        schiedlich sind. Ferner tragen der Vorschlag und die bei-
        gefügten Mitteilungen zur Kohärenz mit anderen ge-
        meinschaftlichen Rechtsvorschriften bei. Als Beispiel
        möchte ich hier insbesondere die Chemikalienpolitik,
        einschließlich REACH, anführen.
        Der Richtlinienvorschlag stellt einen wesentlichen
        Beitrag zur Verminderung der Gewässerbelastung durch
        Festlegung von gemeinschaftlichen Umweltqualitätsnor-
        men für prioritäre Stoffe dar. Er leistet auch einen we-
        sentlichen Beitrag zur Umsetzung der Ziele der OSPAR-
        Konvention.
        Der Richtlinienvorschlag ist in der EU intensiv bera-
        ten worden. Deutschland konnte während seiner EU-
        Präsidentschaft die politische Einigung im Rat erreichen.
        Das ist eine gute Ausgangslage für einen gemeinsamen
        Standpunkt von Rat und Europäischem Parlament zur
        harmonisierten Sicherung des Gewässerschutzes in Eu-
        ropa. Der erreichte Kompromiss ist gekennzeichnet von
        großer Flexibilität der Anwendung der Umweltqualitäts-
        normen und geringem Verwaltungsaufwand. Um die
        Effizienz der Umsetzung in den Mitgliedstaaten weiter
        zu verbessern, hat die Kommission eine Erklärung abge-
        geben, in der sie sich verpflichtet, so rasch wie möglich
        nach Inkrafttreten der Richtlinie Leitlinien für ihre Um-
        setzung festzulegen.
        Die von der Präsidentschaft zur Frage der Emissions-
        minderungsmaßnahmen vorgeschlagene Überprüfungs-
        klausel sehe ich positiv. Auf der Grundlage der Berichte
        der Mitgliedstaaten wird die Notwendigkeit zusätzlicher
        spezifischer Emissionsbegrenzungen geprüft.
        Die gemeinschaftsweiten festgelegten Umweltquali-
        tätsnormen für prioritäre Stoffe tragen dazu bei, die
        menschliche Gesundheit und die Umwelt zu schützen.
        Die Mitgliedstaaten sind gefordert, Maßnahmen zu ent-
        wickeln und umzusetzen, die geeignet sind, die Gewäs-
        ser von gefährlichen Stoffen so weit wie möglich frei zu
        halten und gleichzeitig die Einhaltung des in der Richtli-
        nie vorgegebenen zeitlichen Rahmens zu gewährleisten.
        Bis spätestens 2025 wird sich die Kommission Gewiss-
        heit darüber verschafft haben, ob die erfassten Emissio-
        nen und Einleitungen die festgelegten Reduzierungsziele
        bzw. Beendigung der Einleitung prioritärer gefährlicher
        Stoffe, entsprechend den Regelungen der Wasserrah-
        menrichtlinie, nach 20 Jahren erreicht worden sind.
        Damit soll das wichtige Ziel für den europäischen Ge-
        wässerschutz erreicht werden, die Gewässer von gefähr-
        lichen Stoffen so weit wie möglich frei zu halten. Ent-
        sprechend dem Ratsvorschlag muss die Kommission auf
        der Grundlage der erstellten Berichte für die Bestands-
        aufnahmen auch eine Überprüfung durchführen, ob zu-
        sätzliche gemeinschaftsweite Maßnahmen, wie etwa
        Emissionsbegrenzungen, notwendig sind und gegebe-
        nenfalls entsprechende Vorschläge unterbreiten.
        Natürlich kann man mehr fordern, wie es das Europäi-
        sche Parlament auch getan hat, und natürlich ist es legi-
        tim, diese Forderungen in einen Oppositionsantrag
        aufzunehmen. Man muss aber sehen, dass der jetzt vor-
        liegende Richtlinien-Vorschlag einen Kompromiss dar-
        stellt, der von allen Mitgliedstaaten getragen wird. Der
        vorliegende Antrag von Bündnis 90/Die Grünen folgt ei-
        ner Argumentation, die für mich nicht vollständig nach-
        vollziehbar ist.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12921
        (A) (C)
        (B) (D)
        Der Beschluss des Rates zum Richtlinienvorschlag
        entspricht in den wesentlichen Punkten auch der Haltung
        der Bundesregierung und der Länder. Er berücksichtigt
        auch Forderungen des Europäischen Parlaments. Der
        Richtlinienvorschlag weicht nicht, wie im Antrag be-
        hauptet wird, die bestehenden Verpflichtungen der Was-
        serrahmenrichtlinie auf.
        Die Forderung der Bundesregierung zum Beispiel
        nach gemeinschaftsweiten Maßnahmen für Emissions-
        begrenzungen nach den besten verfügbaren Techniken,
        wie auch im Antrag der Opposition gefordert, konnten
        nicht vollständig durchgesetzt werden. Diese fanden
        aber durch eine strenge Überprüfungsklausel weitgehend
        Berücksichtigung. Insofern werden auch die weiterge-
        henden Forderungen des Europäischen Parlaments nach
        Emissionsanforderungen auf der Grundlage der besten
        verfügbaren Techniken im weiteren Abstimmungsver-
        fahren unterstützt. In Deutschland gilt die Abwasserver-
        ordnung, die die Anforderungen an die Rückhaltung be-
        stimmter prioritärer Stoffe als beste verfügbare Technik
        festlegt.
        Ich möchte noch auf einige Punkte des Antrages ein-
        gehen. In ihrem Antrag sagen Sie: „EU-weite Qualifizie-
        rungsziele für Sedimente und Biota sind nicht verpflich-
        tend, und das Monitoring ist ebenfalls zu unverbindlich
        und großzügig geregelt.“
        Ich möchte an dieser Stelle festhalten, dass die Forde-
        rung einiger Mitgliedstaaten nach unverbindlichen Refe-
        renzwerten für die Umweltqualitätsnormen verhindert
        werden konnte. Der Kompromiss sieht zwar beim Ge-
        wässer-Monitoring die flexible Möglichkeit vor, statt der
        gesetzlich verbindlichen Wasser-Umweltqualitätsnor-
        men auch Biota und Sediment-Umweltqualitätsnormen
        zu verwenden. Allerdings müssen diese vom Schutzni-
        veau gleichwertig sein und die angewandten Methoden
        bei der Kommission notifiziert werden.
        Sie wollen die Bundesregierung auffordern „dafür
        Sorge zu tragen, dass die vom Europäischen Parlament
        vorgeschlagenen 28 weiteren prioritären Stoffe in die
        Tochterrichtlinie der Wasserrahmenrichtlinie aufgenom-
        men werden“. Der Europäische Rat und das Europäische
        Parlament haben sich bei der Verabschiedung der Was-
        serrahmenrichtlinie und der Liste der prioritären Stoffe
        im Jahre 2000/2001 auf eine Verfahrensweise bei der
        Stoffauswahl geeinigt. Die Wasserrahmenrichtlinie sieht
        in Art. 16 die Erarbeitung einer Liste von prioritären und
        prioritären gefährlichen Stoffen vor. Hierzu wird in
        Art. 16(2) ein transparentes, auf wissenschaftlichen
        Grundlagen beruhendes Auswahlverfahren verankert.
        Dieses Verfahren wurde auch bei der Verabschiedung
        der ersten Liste der 33 prioritären Stoffe im Jahre 2001
        angewandt. Daneben sieht Art. 16(4) der Wasserrahmen-
        richtlinie einen regelmäßigen vierjährigen Überprü-
        fungs- und Aktualisierungszyklus für die Liste der prio-
        ritären Stoffe vor.
        Für die derzeitige laufende Überprüfung gemäß der
        Wasserrahmenrichtlinie ist eine Arbeitsgruppe von der
        Kommission eingesetzt, mit deren Hilfe ein Vorschlag
        für die Aktualisierung der Stoffliste bis Ende 2008 vor-
        gelegt werden soll. Die Auswahl zusätzlicher Stoffe er-
        folgt gemäß Wasserrahmenrichtlinie zum einem nach
        wissenschaftlichen Kriterien, zum anderen nach der Be-
        deutung und dem Vorkommen der Stoffe in den Gewäs-
        sern der Gemeinschaft. Die zusätzlichen 28 neuen Stoffe
        sind Bestandteil der Prüfung bei der Aktualisierung der
        Liste.
        Darüber hinaus fordern Sie die Erarbeitung einer na-
        tionalen Strategie zur Emissionsbegrenzung bis 2008.
        Hier muss ich Ihnen ins Buch schreiben, liebe Kolle-
        ginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, dass
        eine nationale Strategie zur Emissionsbegrenzung und
        Vermeidung prioritärer bzw. prioritäre gefährliche Stoffe
        bis spätestens 2008 nicht erforderlich ist. In Deutschland
        sind mit der Abwasserverordnung nach § 7 a des Was-
        serhaushaltsgesetzes strenge Emissionsforderungen an
        das Einleiten in Gewässer festgelegt. Weitergehende ein-
        schränkende Maßnahmen, wie Anwendungsbeschrän-
        kungen oder Stoffverbote, sind nur gemeinschaftlich
        zielführend.
        Fazit: Die Wasserrahmenrichtlinie stellt uns vor eine
        große Herausforderung. Zur Koordination der Bewirt-
        schaftungsmaßnahmen sind nicht nur Abstimmungen
        mit den Nachbarstaaten, sondern auch der Bundesländer
        untereinander erforderlich. Um die festgeschriebenen
        Ziele der Richtlinie in dem gesetzten Zeitrahmen reali-
        sieren zu können, müssen die erforderlichen finanziel-
        len, personellen und organisatorischen Entscheidungen
        verantwortungsvoll und zügig getroffen werden. Um die
        erforderlichen Arbeiten in Angriff zu nehmen, müssen
        diese auf einer sicheren Grundlage gestellt werden. Das
        bedeutet, dass die rechtlichen und fachlichen Vorgaben
        zur Umsetzung der Richtlinie zeitgerecht vorliegen müs-
        sen.
        Durch eine enge und gute Zusammenarbeit zwischen
        Bund und Ländern, die schon bei den Beratungen der
        Richtlinie und bei der Vorbereitung der Umsetzungsar-
        beiten sehr hilfreich gewesen ist, kann eine zeitlich und
        inhaltlich ordnungsgemäße Umsetzung der Wasserrah-
        menrichtlinie gelingen.
        Horst Meierhofer (FDP): Wasser ist unverzichtbare
        Lebensgrundlage. Die Sicherung der Wasserqualität ist
        deshalb von immenser Bedeutung. Hinzu kommt: Ge-
        wässerverschmutzungen machen nicht an irgendwelchen
        Ländergrenzen halt. Umso wichtiger ist es, dass Europa
        an einem Strang zieht. Dem Ziel der Europäischen Was-
        serpolitik, einen guten ökologischen und chemischen
        Zustandes der Gewässer zu erreichen, kann die FDP-
        Fraktion deshalb nur zustimmen.
        In diesem Kontext hat die Europäische Kommission
        einen Richtlinienentwurf vorgelegt, der darauf abzielt,
        das Umweltschutzniveau europäischer Gewässer zu ver-
        einheitlichen. Dazu sollen europaweit Höchstwerte für
        Pestizide, Schwermetalle und andere chemische Stoffe
        festgelegt werden, die eine spezielle Gefährdung für
        Tiere und Pflanzen in Gewässern sowie für die mensch-
        liche Gesundheit bedeuten. Besonders gefährliche Stoffe
        sollen langfristig sogar ganz verboten werden.
        12922 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        Doch sobald es um Details geht, scheiden sich in
        Brüssel die Geister: Während der Rat unter der
        deutschen Präsidentschaft die von der Kommission
        vorgeschlagenen Umweltqualitätsnormen einstimmig
        bestätigte, hat das EP in seiner ersten Lesung mit
        672 Stimmen für substanzielle Änderungen gestimmt.
        Ginge es nach unseren Europäischen Kollegen, so soll-
        ten vor allem die Wasserqualitätsstandards für 28 wei-
        tere Stoffe verschärft werden. Ob in Brüssel angesichts
        der doch sehr unterschiedlichen Positionen zwischen Rat
        und Parlament in zweiter Lesung eine Einigung möglich
        ist, oder ob das Ganze in einen Vermittlungsausschuss
        geht, bleibt abzuwarten.
        Der Antrag, den wir heute beraten, will die Forderun-
        gen des Europäischen Parlaments aufgreifen und aus-
        weiten. Lassen Sie mich dazu folgende Bemerkungen
        machen.
        Erstens. Allen Unstimmigkeiten zum Trotz darf man
        nicht vergessen: Auch der Kommissionsvorschlag führt
        zu mehr Gewässerschutz als der Status quo. Das gilt
        nach Aussage der Bundesregierung auch für Deutsch-
        land. Auch bei uns gibt es derzeit noch einige wenige
        Stoffe, die die vorgegebenen Qualitätsziele noch deut-
        lich überschreiten.
        Zweitens. Aus unserer Sicht ist die Art und Weise,
        wie das Europäischen Parlament weitere Stoffe als prio-
        ritär bzw. prioritär gefährlich einstuft, äußerst fragwür-
        dig, und das sowohl rechtlich als auch in der Sache.
        Schließlich ergibt sich aus den Erwägungsgründen der
        Richtlinie, dass die Festlegung der Liste der prioritären
        Stoffe nach einem festgelegten Verfahren zu erfolgen
        hat. Genau dieses ist jedoch im Rahmen der Entschei-
        dung des Europäischen Parlaments augenscheinlich
        nicht berücksichtigt worden.
        Drittens. Auch die FDP hält die Renationalisierung
        bereits EU-weit festgelegter Emissionsgrenzwerte nicht
        für zielführend. Wir bedauern, dass die Bundesregierung
        sich hier im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft
        nicht weiter durchsetzen konnte. Geht es nach der Kom-
        mission, so sollen nur immissionsseitige Umweltquali-
        tätsnormen europaweit festgelegt werden. Emissionen
        interessieren Brüssel scheinbar nicht. Dies ist aus unse-
        rer Sicht sowohl ökologisch als auch ökonomisch nicht
        akzeptabel. Wirksamer Gewässerschutz fängt beim Ver-
        ursacher an. Hinzu kommt: Würde sich die Richtlinie
        ausschließlich mit Umweltqualitätsnormen begnügen,
        hätten Mitgliedstaaten ohne entsprechende Emissions-
        regelungen einen Wettbewerbsvorteil.
        Auch bin ich der Meinung, europaweit einheitliche
        Emissionsgrenzwerte wären allemal besser als die von
        EP und den Grünen vorgeschlagenen nationalen Pläne
        zur Emissionsbegrenzung.
        Zum Schluss möchte ich noch sagen: Ich warne da-
        vor, die Bundesregierung schon jetzt zu verpflichten, die
        Forderungen des Europaparlaments zu übernehmen,
        ohne Rücksicht darauf, was auf europäischer Ebene be-
        schlossen wird. Denn sollten sich die Parlamentarier in
        Brüssel nicht mit ihren Maximalforderungen durchset-
        zen – das halte ich für ziemlich realistisch –, haben wir
        in Deutschland wieder einmal einen Wettbewerbsnach-
        teil im Vergleich zum Rest Europas.
        Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Die Linke un-
        terstützt den Antrag der Grünen. Er beschreibt zutreffend
        den Rückschritt in der europäischen Wasserpolitik be-
        züglich des Schutzes der Gewässer vor Schadstoffen.
        Es ist an sich schon ein Skandal, dass die Umweltqua-
        litätsrichtlinie für den Wasserbereich erst drei Jahre nach
        Ablauf der in Art. 16 der Wasserrahmenrichtlinie festge-
        legten Frist vorgelegt wurde. Das Hauptproblem der
        politischen Einigung dazu ist jedoch, dass das Ganze
        weiterhin nur auf Qualitätsnormen aufgebaut ist, die
        Oberflächengewässer haben sollen. Für die prioritären
        Stoffe sind dort die zulässigen Höchstkonzentrationen in
        Gewässern definiert. Ein Immissionsansatz also. Grenz-
        werte für Einleitungen im klassischen Emissionsansatz
        soll es demnach – zumindest EU-weit – nicht geben. Der
        kombinierte Ansatz im Art. 16 der Wasserrahmenrichtli-
        nie wurde damit versenkt. In der Folge dürfte eine Firma
        an einem großen Fluss mehr Schadstoffe in das Gewäs-
        ser lassen als eine Firma an einem kleinen Fluss, jeden-
        falls sofern nationale Gesetzgebungen nichts anderes
        festgelegen. Angesichts der immer noch unakzeptabel
        hohen Belastung beispielsweise von Nordsee und Ostsee
        ist dies vollkommen unverständlich.
        Gegenwärtig sind zwar noch einige Stoffe und Stoff-
        gruppen EU-weit über die noch geltende „Gefährliche-
        Stoffe-Richtlinie“ mit Emissionsgrenzen belegt. Doch
        dieses Gesetz wird bekanntlich ersatzlos aufgehoben.
        Danach werden wir nur noch für große Anlagen EU-weit
        gültige Emissionsgrenzen haben, und zwar über die
        IVU-Richtlinie. Sämtliche kleinen Anlagen bleiben ab
        diesem Zeitpunkt auf Ebene der EU ungeregelt.
        Ob und wie die einzelnen Mitgliedstaaten diese Lü-
        cke durch eigene Gesetzgebung schließen, ist ungewiss.
        Letztlich läuft dies auf eine Renationalisierung der ur-
        sprünglichen Gemeinschaftsmaßnahmen hinaus, ähn-
        lich wie bei der Meeresstrategierichtlinie. Doch gerade
        für Deutschland mit seinen vielfach fortschrittlichen
        Emissionsstandards könnte es problematisch werden,
        wenn andere Länder ihrem Firmen erlauben sollten,
        fortan niedrigeren Standards zu folgen.
        Die Bundesregierung war darum nicht ohne Grund
        der Auffassung, dass Umweltqualitätsziele für Oberflä-
        chengewässer mit Emissionsstandards für die Anlagen
        verknüpft werden müssen. Natürlich hat Deutschland
        diese Forderung in erster Linie aus Wettbewerbsgründen
        erhoben. Aber damit wird sie ja nicht falsch. Es ist auch
        die Forderung von Umweltverbänden.
        Die Linke ist ebenfalls der Meinung, dass ein vorsor-
        gender Umweltschutz keinesfalls auf Emissionsstan-
        dards nach dem Stand der Technik verzichten kann. Nur
        so ist Distanz- und Summationsschäden vorzubeugen.
        Umweltqualitätsziele können dies nur ergänzen, nicht
        aber ersetzen.
        In der Substanz fehlt neben dem eben beschriebenen
        Problemen auch ein sachgerechter Umgang mit den prio-
        ritären Stoffen. Von den 33 Stoffen und Stoffgruppen des
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12923
        (A) (C)
        (B) (D)
        2001 verabschiedeten Anhangs X der WRR sind nun-
        mehr lediglich 13 Stoffe und Stoffgruppen als prioritär
        gefährlich eingestuft. Ihre Einleitung, Emission oder ihr
        Verlust soll wegen ihrer besonderen Schädlichkeit been-
        det bzw. schrittweise eingestellt werden.
        Als prioritär oder prioritär gefährlich gelten jedoch
        viel zu wenige Stoffe. Die entsprechenden Listen bei den
        Meeresschutzabkommen OSPAR oder HELCOM sind
        bedeutend länger. Selbst das UBA sprach einmal von
        rund 10 000 problematischen Stoffen. Das Parlament
        hatte in der ersten Lesung die Anzahl der Stoffe der
        Liste X wenigstens verdoppelt. Der Rat hat davon je-
        doch nichts in die politische Einigung übernommen.
        Es ist aber nicht nur diese Blockade, es ist auch der
        Einzelstoffansatz an sich, welcher der enormen Zahl pro-
        blematischer Stoffe nicht gerecht wird. Er müsste drin-
        gend ergänzt werden durch Höchstgrenzen für Summen-
        parameter, vergleichbar mit den Regelungen in der
        Grundwasserrichtlinie.
        Aber offenbar hatte die Wirtschaft an solchen Rege-
        lungen kein Interesse, und sie hat sich wieder einmal
        durchgesetzt.
        Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir
        haben in Deutschland im internationalen Vergleich zwar
        einen hohen Standard bei der Gewässerqualität, dennoch
        besteht auch bei uns Handlungsbedarf. Unsere Gewässer
        sind mit Schwermetallen, Pestiziden und Arzneimittel-
        rückständen belastet. Allein 5 000 Tonnen Schwerme-
        talle landen jährlich in unserem Wasser. Jede fünfte
        Grundwasserprobe enthält Pestizide. Außerdem tauchen
        in unseren Gewässern immer wieder neue gefährliche
        Stoffe auf, seien es Hormone oder Arzneimittelrück-
        stände, die sich nicht oder nur schwer herausfiltern las-
        sen. Die beobachteten Auswirkungen auf die Tierwelt in
        den belasteten Flüssen geben Anlass zur Sorge um die
        Gesundheit der Menschen. Diese Fakten sind alarmie-
        rend und zudem nur die Spitze des Eisberges, denn wir
        haben nach wie vor zu wenig Daten und Informationen
        über die mehr als 1 Millionen Stoffe und Stoffmischun-
        gen, die direkt oder über Umwege in unser Wasser ge-
        langen. Hier wäre rascher, vorsorgender Schutz für
        Mensch und Umwelt angebracht.
        Umso bedauerlicher ist es daher, dass die EU-Um-
        weltminister die Empfehlungen des Europäischen Parla-
        mentes zur Verbesserung der Umweltqualitätsnormen in
        der Wasserpolitik nicht aufgegriffen haben und sich
        stattdessen sogar auf eine Aufweichung der Wasserrah-
        menrichtlinie geeinigt haben. Das Parlament hatte unter
        anderem gefordert, dass 28 weitere schädliche Stoffe in
        die bereits bestehende Liste prioritär gefährlicher Stoffe
        der Wasserrahmenrichtlinie aufgenommen werden.
        Diese besonders gefährlichen Stoffe müssen bis 2015
        komplett aus unseren Gewässern verschwinden, und das
        mit gutem Grund, denn viele von ihnen haben erhebliche
        negative Wirkung auf Mensch und Umwelt. Statt den
        sinnvollen Vorschlägen des Europaparlamentes zu fol-
        gen und weitere Umweltgifte auf die Liste zu setzen,
        wurden für die bestehende Liste sogar zusätzliche Aus-
        nahmeregelungen geschaffen.
        Ein guter Wasserzustand wird so weder in Deutsch-
        land noch im Rest Europas erreicht. Wieder einmal
        bleibt ein Ratsentwurf im Umweltbereich deutlich hinter
        den Forderungen des Parlaments und der Kommission
        zurück, und die Bundesregierung sieht untätig zu.
        Wenn, wie es die Wasserrahmenrichtlinie vorsieht,
        der „gute chemische Wasserzustand“ der Binnengewäs-
        ser und des Grundwassers bis zum Jahre 2015 tatsäch-
        lich realisiert werden soll und auch die Meere ab 2020
        weitgehend giftfrei sein sollen, dann muss das zentrale
        Ziel der Wasserrahmenrichtlinie und der OSPAR- und
        Helsinkikonvention in allen Verursacherbereichen kon-
        sequent umgesetzt werden: Die Gewässerverschmutzung
        durch Stoffe mit hohem Umweltrisiko muss kontinuier-
        lich verringert werden, und dafür muss sich die Bundes-
        regierung im weiteren Gesetzgebungsverfahren in Brüs-
        sel einsetzen.
        Aber Deutschland muss noch mehr tun. Die Bundes-
        regierung sollte in der Wasserpolitik mit gutem Beispiel
        vorangehen und die notwendigen Vorgaben zur Bekämp-
        fung der Wasserverschmutzung in das Wasserwirt-
        schaftskapitel des geplanten Umweltgesetzbuches auf-
        nehmen. Wiederholte Anfragen unserer Fraktion haben
        gezeigt, dass die Anforderungen der Wasserrahmenricht-
        linie von den Ländern nur unbefriedigend erfüllt werden.
        Hier sollte die Bundesregierung endlich selbst aktiv wer-
        den und ihre Gesetzgebungskompetenz nutzen, statt un-
        tätig die Hände in den Schoß zu legen. Darüber hinaus
        brauchen wir dringend eine sektorübergreifende natio-
        nale Strategie zur Emissionsbegrenzung und -Vermei-
        dung von gefährlichen Stoffen. Insbesondere in der
        Landwirtschaft und im Verkehr ist hier unter den Minis-
        tern Tiefensee und Seehofer so gut wie gar nichts pas-
        siert. Statt die Warnungen von Opposition und Umwelt-
        verbänden zu ignorieren, sollte die Bundesregierung
        endlich hier in Deutschland Verantwortung für die Um-
        setzung internationaler Umweltqualitätsnormen über-
        nehmen und ihren Einfluss in Brüssel geltend machen,
        um ein Absenken von Standards zu unterbinden.
        Wir brauchen deutschland- und europaweit eine nach-
        haltige Wasserpolitik, die sich an den Kriterien eines
        vorbeugenden Umwelt- und Gesundheitsschutzes orien-
        tiert. Sauberes Trinkwasser ist ein Menschenrecht, das
        unter allen Umständen geschützt werden muss. Lippen-
        bekenntnisse auf internationalen Konferenzen sind nicht
        genug!
        Anlage 16
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gestzes zur
        Aufhebung der Heimkehrerstiftung und zur
        Finanzierung der Stiftung für ehemalige politi-
        sche Häftlinge (Heimkehrerstiftungsaufhe-
        bungsgesetz – HKStAufhG) (Tagesordnungs-
        punkt 25)
        Klaus Brähmig (CDU/CSU): „Politik bedeutet ein
        starkes, langsames Durchbohren von harten Brettern mit
        12924 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        Leidenschaft und Augenmaß.“ Dieses Zitat von Max
        Weber passt sehr gut zu der heutigen Verabschiedung des
        Heimkehrerstiftungsaufhebungsgesetzes, HKStAufhG.
        Denn ich erinnere mich noch genau, als im Sommer
        2000 in meinem Büro der erste Entwurf für ein Heim-
        kehrerentschädigungsgesetz erarbeitet wurde. Bis zum
        Tag der Gesetzesverabschiedung sind nunmehr also sie-
        ben Jahre verstrichen.
        Durch das beharrliche Verhandeln der Union erhal-
        ten etwa 12 200 ehemalige deutsche Kriegsgefangene
        und circa 3 000 Zivilverschleppte aus Ostdeutschland
        eine symbolische Anerkennung für ihr damals erlitte-
        nes Schicksal. Die Opfergruppe der zivildeportierten
        Frauen aus dem Gebiet jenseits von Oder und Neiße
        bekommt eine einmalige Zahlung von 3 000 Euro.
        Ferner wird den ehemaligen ostdeutschen Kriegsgefan-
        genen eine Entschädigung, gestaffelt nach der Dauer
        des Gewahrsams, in Höhe von 500 Euro, 1 000 Euro
        und 1 500 Euro gewährt.
        Das Gesetz sorgt mehr als 60 Jahre nach Ende des
        Zweiten Weltkrieges dafür, dass die ostdeutschen
        Kriegsheimkehrer und Zivilverschleppten ihren west-
        deutschen Leidensgefährten gleichgestellt werden. Die
        beiden genannten Opfergruppen erhalten eine späte,
        wenn auch symbolische Entschädigung für das ihnen wi-
        derfahrene Unrecht.
        Als Vorsitzender des Parlamentarischen Beirates des
        Verbandes der Heimkehrer, Kriegsgefangenen und Ver-
        misstenangehörigen Deutschlands e.V., VdH, bedanke ich
        mich ganz herzlich bei allen Kolleginnen und Kollegen
        dieses Gremiums für die Zusammenarbeit.
        Mit dem vorliegenden Gesetz wurden die wichtigsten
        politischen Ziele des VdH noch Realität. Trotz der all-
        mählichen Auflösung des Bundesverbandes sind viele
        Landesverbände des VdH sehr aktiv. Aus dem direkten
        Kontakt mit dem Präsidenten des VdH-Bundesverban-
        des, Herrn Günter Berndt, kann ich Ihnen versichern,
        dass alle Landesverbände diese abschließende Gesetzge-
        bung begrüßen.
        Einige werden nun bemängeln, dass durch die jetzige
        Einigung die Entschädigung für viele Betroffen zu spät
        kommt. Da kann ich nur sagen: Ja, die Anerkennung
        kommt spät und für viele auch zu spät. Aber auch hier
        wurde mir aus der Verbandsspitze signalisiert, dass viele
        Familien zu schätzen wissen, dass die großen demokrati-
        schen Parteien Deutschlands noch zu einer einvernehm-
        lichen Lösung gefunden haben. Diese Lösung steht da-
        mit in der Tradition des Parlamentarischen Beirates des
        VdH. In den letzten 55 Jahren seines Bestehens wurde
        dort über Fraktionsgrenzen hinweg eine Politik gestaltet,
        die eine besondere Verantwortung für die Menschen aus
        der Kriegsgeneration anerkannt hat.
        Mit dem heutigen Gesetz senden wir das Zeichen: Es
        gab keine ehemaligen Krieggefangenen und Zivildepor-
        tierten erster und zweiter Klasse. Eine weitere Gerech-
        tigkeitslücke zwischen Ost und West wird mit diesem
        Gesetz geschlossen.
        Abschließend möchte ich noch eine Bitte an meine
        Kolleginnen und Kollegen von der sozialdemokratischen
        Koalitionsfraktion richten. Wir haben heute durch diesen
        Kompromiss eine gute Lösung erreicht. Lassen Sie uns
        nun auch beherzt die Arbeitsgruppe Kriegsfolgenberei-
        nigung in Angriff nehmen. Der Wähler hat der Großen
        Koalition einen klaren Regierungsauftrag gegeben. Wir
        sollten diesen Wählerauftrag nutzen, um noch offene
        Probleme aus vergangener Zeit abzuarbeiten und eine
        gute Zukunft für unser Land zu gewinnen.
        Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Mit dem
        heute zu beschließenden Gesetzentwurf über ein Heim-
        kehrerstiftungsaufhebungsgesetz verbindet sich eine
        gute Perspektive für all die Kriegsheimkehrer im Bei-
        trittsgebiet, die bis heute keinerlei Entschädigung erhal-
        ten haben. Es ist das gute Signal, dass unsere Gesell-
        schaft sie nicht vergessen hat und auch ihr Schicksal
        würdigt. So wird mit dem vorliegenden Gesetz zwar die
        Heimkehrerstiftung aufgelöst, das ist aber nur eine orga-
        nisatorische Änderung. Inhaltlich ist mit dem heute zu
        verabschiedenden Gesetz ein neuer Akzent gesetzt.
        Für geschätzt 12 000 Heimkehrer, die nicht nur Ge-
        fangenschaft erdulden mussten, sondern über deren
        Schicksal in der SBZ und späteren DDR einfach hinweg-
        gegangen wurde, ist eine gute Lösung gefunden worden.
        Wir haben eine gesellschaftliche Anerkennung in das
        Gesetz geschrieben. Das ist ein Akt historischer und ge-
        sellschaftlicher Gerechtigkeit, ein Beitrag zum Zusam-
        menwachsen unseres Vaterlandes, ein Beitrag zur inne-
        ren Einheit Deutschlands. Über acht Jahre haben wir von
        CDU und CSU uns dafür eingesetzt, dass den Kriegs-
        heimkehrern im Osten das zuteil werden kann, was im
        Westen ganz selbstverständlich war: eine Würdigung ih-
        res Schicksals. Daher freue ich mich, dass unser Koali-
        tionspartner von der SPD sich, wenn auch spät, hat über-
        zeugen lassen.
        Es ist auch gut, dass es mit den Änderungsanträgen
        ferner gelungen ist, eine dauerhafte Auszahlung der
        Rentenleistungen für den Berechtigtenkreis bis zum Le-
        bensende sicherzustellen. Alles andere wäre auch wür-
        delos gewesen. Somit verbindet sich mit der Auflösung
        der Heimkehrerstiftung für alle Betroffenen eine gute
        Perspektive.
        Im Übrigen – das sei in Richtung der Linksfraktion
        gesagt – verbindet sich mit der von uns seit Jahren gefor-
        derten und nun gefundenen Lösung auch eine gute Per-
        spektive für die Mitarbeiter der Heimkehrerstiftung. Für
        die Umsetzung dieses Beschlusses bedarf es qualifizier-
        ten Personals. Daher bin ich sicher, dass sich für die Be-
        schäftigten der Heimkehrerstiftung eine adäquate Wei-
        terbeschäftigung finden wird.
        Mit der gefundenen Einigung für die Heimkehrer Ost
        konnte ein weiteres Kapitel im Kriegsfolgenrecht einer
        guten, sozialverträglichen Lösung zugeführt werden. Al-
        lerdings sind auch mit dieser gefundenen Lösung noch
        nicht alle Fragen beantwortet, es sind Schicksale auch
        weiterhin bis heute unberücksichtigt und unbeachtet ge-
        blieben. Daher ist es unbedingt notwendig, dass wir so-
        wohl bei der Aufarbeitung der Kriegsfolgen als auch bei
        der Aufarbeitung des SED-Unrechts das bisher Geleis-
        tete überprüfen, um festzustellen, wo noch lösungsbe-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12925
        (A) (C)
        (B) (D)
        dürftige Fragen bestehen, wo noch Schicksale bis heute
        offen sind. In beiden historischen Bereichen, beim SED-
        Unrecht und beim Kriegsfolgenrecht, sollten wir uns
        dieser Mühe unterziehen, um mit einer Schlussgesetzge-
        bung unserer historischen Verantwortung in Bezug auf
        die Opfer gerecht zu werden.
        Sechs Jahrzehnte nach Kriegsende sind auch im Be-
        reich des Kriegsfolgenrechts, so meinen wir von CDU
        und CSU, noch nicht alle Fragen gelöst, Menschen-
        schicksale oftmals ohne Würdigung geblieben. In der
        Bundesrepublik Deutschland und auch in den ehemali-
        gen deutschen Gebieten leben heute noch viele Men-
        schen, die als Zivilisten, häufig im jugendlichen Alter,
        verschleppt und zu Zwangsarbeit herangezogen worden
        sind. Viele von ihnen mussten unter härtesten, men-
        schenunwürdigen Bedingungen, vor allem im Bergbau,
        Zwangsarbeit verrichten. Besonders bei den Frauen gin-
        gen damit nicht selten körperliche Übergriffe einher.
        Viele Menschen verloren im Zusammenhang mit
        Zwangsarbeit ihr Leben. Diejenigen, die überlebt haben,
        leiden auch heute häufig noch unter den Spätfolgen.
        Im Jahr 2001 hat der Deutsche Bundestag für die aus-
        ländischen Opfer von Zwangsarbeit die Stiftung „Erin-
        nerung, Verantwortung und Zukunft“ beschlossen, die in
        diesem Jahr ihre Auszahlungen abgeschlossen hat. Dies
        war gut und richtig. Es wäre aber auch richtig, für die
        deutschen zivilen Opfer von Zwangsarbeit, von denen ja
        heute im Wesentlichen nur noch die zum damaligen
        Zeitpunkt jüngsten Opfer leben, eine humanitäre Geste
        zur Würdigung ihres schweren Schicksals bereitstellen
        zu können. Denn das, was viele Menschen als Zwangs-
        arbeiter erdulden mussten, lässt sich eben nicht unter den
        Begriff eines allgemeinen Kriegsfolgenschicksals fas-
        sen. Das gerne angeführte Gegenargument, 60 Jahre da-
        nach sei es für eine solche Geste zu spät, verfängt nicht.
        Für die ausländischen Opfer von Zwangsarbeit, die wäh-
        rend des Krieges nach Deutschland Verschleppten,
        haben wir auch erst sehr spät eine Lösung gefunden.
        Zeitablauf kann kein Argument dafür sein, bisher Ver-
        säumtes nicht nachzuholen. Das gilt nicht nur für die zi-
        vilen, deutschen Opfer von Zwangsarbeit. Das gilt auch
        für die sogenannten „Wolfskinder“: keine große Gruppe,
        aber eine besonders schwer geschädigte. Die histori-
        schen Ereignisse, die sich damit verbinden, sind herzzer-
        reißend. Allein die Beschäftigung und ehrliche Ausein-
        andersetzung mit diesem Kapitel liefert einen wichtigen
        Beitrag zu einem verantwortlichen Umgang mit unserer
        Geschichte.
        Mit dem Inkrafttreten des 3. SED-Unrechtsbereini-
        gungsgesetzes in diesem Sommer wurde die Opferpen-
        sion für politische Häftlinge der SBZ/DDR geschaffen.
        Das war ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung des
        SED-Unrechts. Aber auch hier sind noch Fragen offen.
        Beispielhaft nenne ich hier die Zwangsausgesiedelten
        aus dem Bereich der ehemaligen innerdeutschen Grenze
        und das Schicksal verfolgter Schüler, deren berufliche
        Benachteiligung nicht durch das Berufliche Rehabilitie-
        rungsgesetz erfasst worden ist. Ein Außerachtlassen die-
        ser Schicksale wäre ein schlimmes historisches Ver-
        säumnis.
        Daher freue ich mich, dass sich unser Koalitionspart-
        ner von der SPD nun doch, nach langem Zögern, dazu
        bereitgefunden hat, die bisherigen Gesetze im Bereich
        des Kriegsfolgenrechts und zur Aufarbeitung des SED-
        Unrechts zu analysieren, um festzustellen, in welchen
        Bereichen noch offene und lösungsbedürftige Fragen be-
        stehen. Daher werbe ich nochmals für Schlussgesetzge-
        bungen in beiden Bereichen. Das wäre ein großer Bei-
        trag zu historischer Verantwortung und Gerechtigkeit.
        Maik Reichel (SPD): Wir beraten heute abschließend
        den Gesetzentwurf zur Aufhebung der Heimkehrerstif-
        tung und zur Finanzierung der Stiftung für politische
        Häftlinge einschließlich eines Änderungsantrages der
        Koalitionsfraktionen. Wir behandeln damit auch ein Ka-
        pitel deutscher und europäischer Geschichte. Die Grund-
        lagen für die Heimkehrerstiftung liegen im 1954 be-
        schlossenen Gesetz über die Entschädigung ehemaliger
        Kriegsgefangener.
        Dieses heute zu beschließende Gesetz sieht vor, die
        Heimkehrerstiftung, eine bundesunmittelbare Stiftung
        des öffentlichen Rechts, zum 31. Dezember 2007 aufzu-
        heben. Damit ist aber die Aufgabe immer noch nicht be-
        endet. Die Zuständigkeit für die Leistungsgewährung
        wird auf das Bundesverwaltungsamt übertragen. Wir re-
        geln mit diesem Gesetz, dass die einmaligen Unterstüt-
        zungsleistungen nach § 3 Abs. 1 HKStAufhG mit Ablauf
        des Jahres 2009 enden. Das Antragsende wird auf den
        Tag der Gesetzesverkündung geschoben. Dagegen ge-
        währen wir weiterhin nach § 3 Abs. 2 und 3 HKStAufhG
        die Rentenzusatzleistung ohne Befristung. Ich möchte
        mich an dieser Stelle bei meinem Berichterstatterkolle-
        gen Dieter Baumann und bei Herrn Parlamentarischen
        Staatssekretär Dr. Christoph Bergner für die konstrukti-
        ven Gespräche bedanken, und dafür, dass sie diese von
        der SPD-Fraktion gewünschte Weiterzahlung der Ren-
        tenzusatzleistungen mittragen. Damit wollen wir weiter-
        hin zu unserer Verantwortung stehen, denen Hilfe zu-
        kommen zu lassen, die durch einen der schrecklichsten
        Kriege in der Menschheitsgeschichte in Haft gekommen
        sind und dort Not und Leid erfahren und in ihrer weite-
        ren persönlichen Entwicklung Entbehrungen erlitten ha-
        ben.
        Mehr als 300 Millionen Euro wurden durch die Heim-
        kehrerstiftung an Betroffene ausgezahlt. Noch heute er-
        halten etwa 11 500 Personen Rentenzusatzleistungen.
        Weitere Anträge liegen für Rentenzusatzleistungen und
        die einmalige Unterstützung noch vor. Daran sehen wir,
        dass die Aufgabe der Stiftung noch nicht ganz beendet
        ist. Das Bundesverwaltungsamt wird aber die Weiterfüh-
        rung dieser Aufgaben in der jetzigen bzw. in der heute zu
        beschließenden Gesetzeslage weiterhin gut ausführen.
        Im Weiteren regeln wir die Finanzierung der Unter-
        stützungsleistungen nach dem Häftlingshilfegesetz. Jetzt
        stehen in den Jahren 2007 bis 2009 jeweils 2,18 Millio-
        nen Euro zur Verfügung, jährlich circa l,4 Millionen
        Euro mehr als ursprünglich vorgesehen. Diese zusätz-
        lichen Mittel sollen vor allem Zivilinternierten und -de-
        portierten jenseits von Oder und Neiße zur Verfügung
        stehen. Empfänger sind außerdem ehemalige politische
        12926 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        Häftlinge aus dem kommunistischen Machtbereich so-
        wie deren hinterbliebene Ehegatten, Kinder und Eltern,
        um deren Notlage zu lindem. Die Aufstockung der Mit-
        tel liegt aber auch darin begründet, dass die nunmehrige
        Hauptaufgabe der Stiftung für ehemalige politische
        Häftlinge nicht mehr in den Ausführungen des Häft-
        lingshilfegesetzes liegt, sondern in der Ausführung des
        strafrechtlichen Rehabilitationsgesetzes. Darauf reagie-
        ren wir.
        Neu eingeführt wird im Art. 3 eine einmalige Ent-
        schädigung an die Heimkehrer aus dem Beitrittsgebiet,
        der einstigen Sowjetischen Besatzungszone und der spä-
        teren Deutschen Demokratischen Republik. Das sie bis
        1989/90 keine Entschädigung nach den Richtlinien der
        Häftlingshilfestiftung erhalten konnten, sollen sie zum
        Ausgleich für den erlittenen Gewahrsam eine einmalige
        Entschädigung erhalten. Die Höhe der einmaligen Ent-
        schädigung für jeden Berechtigten beträgt nach § 4
        Abs. 1 des Gesetzes über die einmalige Entschädigung,
        gestaffelt nach der Dauer des Gewahrsams: für die Ent-
        lassungsjahrgänge 1947 und 1948 500 Euro, für die Ent-
        lassungsjahrgänge 1949 und 1950 1 000 Euro und für
        die Entlassungsjahrgänge ab 1951 1 500 Euro. Der An-
        spruch bleibt bei Sozialleistungen, deren Gewährung
        von anderen Einkünften abhängig ist, unberücksichtigt.
        Auch mehr als 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten
        Weltkrieges bleiben die Folgen immer noch erkennbar.
        Dessen sind wir uns auch mit diesem Gesetz bewusst.
        Ich möchte mich im Namen meiner Fraktion bei den
        Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Heimkehrerstif-
        tung für ihre Arbeit, die ein Teil der Aufarbeitung der
        deutschen Geschichte ist, bedanken und ihnen in ihren
        neuen Verwendungen, die durch das Bundesinnenminis-
        terium angekündigt wurde und durch meine Fraktion
        nachdrücklich unterstützt wird, alles Gute wünschen.
        Dr. Max Stadler (FDP): Mit dem Gesetzentwurf
        greift die Bundesregierung eine nunmehr zehn Jahre alte
        Prüfmitteilung des Bundesrechnungshofs auf. Dieser
        war seinerzeit zu dem Ergebnis gekommen, dass sich der
        Zweck der Heimkehrerstiftung, die wirtschaftliche und
        soziale Förderung ehemaliger Kriegsgefangener, „im
        Wesentlichen erledigt“ habe. Deshalb sei eine Aufhe-
        bung der Stiftung zu erwägen.
        Die FDP-Bundestagsfraktion hält diese Auffassung
        grundsätzlich für zutreffend. Die noch vorhandenen Auf-
        gaben rechtfertigen in der Tat keine eigenständige Stif-
        tung mehr. Es ist daher richtig, die Aufgaben auf das
        Bundesverwaltungsamt zu übertragen. Die FDP-Bun-
        destagsfraktion übersieht nicht, dass hiermit ein Wegfall
        der Vertretung der Opferverbände bei der Mittelvergabe
        verbunden ist. Sie vertraut aber auf die Richtigkeit der
        Einschätzung der Bundesregierung, dass aus demografi-
        schen Gründen die Repräsentation der Betroffenen in
        den Stiftungsgremien praktisch kaum mehr zu verwirkli-
        chen sei.
        Zu begrüßen ist, dass mit der Aufhebung der Stiftung
        nunmehr nicht, wie von der Bundesregierung ursprüng-
        lich beabsichtigt, die ersatzlose Streichung der Renten-
        zusatzleistungen für bedürftige Kriegsheimkehrer und
        Kriegerwitwen mit Ablauf des Jahres 2009 verbunden
        sein wird. Der Änderungsantrag der Koalitionsfraktio-
        nen sieht vor, bewilligte Rentenzusatzleistungen bis zum
        Versterben des Begünstigten weiter zu gewähren. Eine
        solche ersatzlose Streichung der Leistungen wäre im
        Hinblick auf die Rechtsstaatsgarantie und das Sozial-
        staatsprinzip sowie das Recht auf Eigentum zumindest
        bedenklich gewesen. Möglicherweise hätten sich auch
        Mehrbelastungen für die Sozialhilfeträger ergeben. Auf
        jeden Fall wären hiermit Härten für die Betroffenen ver-
        bunden gewesen, die so vermieden werden. Es erscheint
        mir wirklich nicht zumutbar, Menschen, die vielleicht
        schon in ihrem achten oder neunten Lebensjahrzehnt ste-
        hen, auf die Möglichkeit zu verweisen, Sozialhilfe in
        Anspruch zu nehmen. Die Mehrbelastungen für den
        Bundeshaushalt, die sich aus der Weitergewährung der
        Rentenzusatzleistungen über das Jahr 2009 hinaus erge-
        ben, halten sich zudem in vertretbaren Grenzen. Das
        Ziel, den Haushalt zu konsolidieren, wird hierdurch
        nicht gefährdet.
        Ebenfalls zu begrüßen ist die Unterstützung der Zi-
        vilinternierten und -deportierten aus den ehemaligen
        deutschen Ostgebieten jenseits von Oder und Neiße, wie
        sie ebenfalls Gegenstand des Änderungsantrags der Ko-
        alitionsfraktionen ist. Damit wird nunmehr endlich ein
        Versprechen aus dem Koalitionsvertrag eingelöst und
        eine bislang „vergessene“ Opfergruppe in den Kreis der
        Anspruchsberechtigten einbezogen. Die FDP-Bundes-
        tagsfraktion hat sich hierfür stets eingesetzt, zuletzt im
        Zusammenhang mit der Beratung des 3. SED-Unrechts-
        bereinigungsgesetzes. Ob die hierfür vorgesehenen Mit-
        tel ausreichen werden, bleibt abzuwarten. Die FDP-Bun-
        destagsfraktion wird dies sehr genau im Auge behalten.
        Der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen sieht
        darüber hinaus eine Einmalleistung für Kriegsgefangene
        und Geltungskriegsgefangene vor, die nach ihrer Gefan-
        genschaft in die Sowjetische Besatzungszone, SBZ, bzw.
        Deutsche Demokratische Republik, DDR, heimkehrten.
        Die FDP-Bundestagsfraktion sieht hierin ein überfälliges
        Symbol der Anerkennung und eine Geste der Wiedergut-
        machung gegenüber ostdeutschen Heimkehrern. Zu kri-
        tisieren ist allerdings, dass Mittel hierfür erst im Haus-
        haltsjahr 2009 zur Verfügung gestellt werden sollen.
        Diese Kritik mag man als kleinlich abtun. Für uns ist sie
        das nicht. Im Hinblick auf das weit fortgeschrittene Alter
        der noch lebenden ehemaligen Kriegsgefangenen hätte
        man sich hier eine großzügigere Lösung gewünscht.
        Unsere weitere Kritik gilt dem Ablauf des Gesetzge-
        bungsverfahrens. Der eigentliche Beratungs- und Ab-
        stimmungsgegenstand ergibt sich nicht aus dem Gesetz-
        entwurf der Bundesregierung vom 27. Juni 2007,
        sondern aus dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktio-
        nen vom 1. November 2007. Offensichtlich haben CDU/
        CSU und SPD so lange gebraucht, um sich auf eine halb-
        wegs vertretbare Lösung zu verständigen. Wofür die
        Koalition vier Monate braucht, soll die Opposition dann
        in vier Tagen nachvollziehen. Ordnungsgemäße Gesetz-
        gebung sieht anders aus.
        Noch schlechter als den Oppositionsfraktionen ergeht
        es den Beschäftigten der Heimkehrerstiftung. Diese wer-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12927
        (A) (C)
        (B) (D)
        den bis zum heutigen Tage darüber im Unklaren gelas-
        sen, wo sie ab dem 1. Januar 2008 ihren Dienst versehen
        dürfen. Im Gesetzentwurf heißt es lapidar: „Das Stif-
        tungspersonal soll vom Bund übernommen werden.“
        Was dies genau heißt, konnte die Bundesregierung auch
        auf meine Nachfrage hin nicht mitteilen. In ihrer Ant-
        wort auf eine schriftliche Frage vom 23. Oktober 2007
        heißt es sogar, die „Absichtserklärung einer Personal-
        übernahme entbinde die Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
        ter der Heimkehrerstiftung nicht davon, sich bereits jetzt
        und auch in Zukunft zusätzlich selbst aktiv um eine
        berufliche Tätigkeit innerhalb und außerhalb des öffent-
        lichen Dienstes zu bemühen“. Eine Informations-
        veranstaltung über die künftigen Beschäftigungsmög-
        lichkeiten werde voraussichtlich im Dezember 2007
        durchgeführt werden. So sollte man mit Beschäftigten
        nicht umgehen. Ein Dienstherr, der sich so verhält, wird
        seiner Fürsorgepflicht nicht gerecht und setzt die Moti-
        vation seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leichtfer-
        tig aufs Spiel. Die FDP-Bundestagsfraktion kritisiert
        dies nachdrücklich und fordert die Bundesregierung auf,
        nunmehr endlich Klarheit zu schaffen und das Verspre-
        chen, das Personal zu übernehmen, unverzüglich einzu-
        lösen.
        Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass die FDP-Bun-
        destagsfraktion dem Gesetzentwurf unter diesen Um-
        ständen nicht zustimmen kann, sondern sich der Stimme
        enthalten wird.
        Petra Pau (DIE LINKE): Erstens. Wir entscheiden
        heute über das „Heimkehrerstiftungsaufhebungsgesetz“.
        Ich merke erneut an: Kein zweiter Berufstand vermag
        solche Wortungetüme zu schöpfen wie die Gesetzes-
        schreiber im Bundestag. Deshalb für Normalbürger: Es
        gibt seit 1969 eine Bundesstiftung, die sich um Kriegs-
        heimkehrer kümmert. Sie hat nunmehr ihren Sinn erfüllt.
        Deshalb kann und soll sie ihre Arbeit Ende 2007 einstel-
        len. Das muss der Bundestag beschließen und zwar per
        Gesetz. Die Linke stimmt dem zu.
        Zweitens. Bleibt die Frage: Was wird mit den Mitar-
        beiterinnen und Mitarbeitern der Stiftung? Bisher hat die
        Bundesregierung stets geantwortet, das könne sie erst
        entscheiden, wenn die Schließung der Stiftung beschlos-
        sen sei. Das wird in wenigen Minuten geschehen. Und
        deshalb hat die Linke einen weiteren Antrag gestellt. Wir
        wollen, dass der Bundestag die Bundesregierung auffor-
        dert, das Stiftungspersonal im Raum Bonn und Umge-
        bung in Bundesbehörden zu übernehmen. Denn es reicht
        nicht, dem Stiftungspersonal zu danken. Man muss ihm
        auch eine Zukunft eröffnen.
        Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Die heute beschlossene Reform der Heimkehrerstiftung
        ist eine gute Entscheidung; denn diese Reform findet den
        Mittelweg zwischen der Fortsetzung einer wichtigen
        und richtigen Arbeit und dem schrittweisen Abbau ei-
        ner in dieser Form mittelfristig nicht mehr benötigten
        Behörde.
        Es muss aber auch gesagt werden, dass der ursprüng-
        lich von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf die-
        sen Ansprüchen nicht genügt hat. Er sah die Abwicklung
        der Stiftung und die Einstellung der Leistungen zum Jah-
        resende 2009 vor. Damit hätten die ehemaligen Kriegs-
        gefangenen und ihre Hinterbliebenen nicht mehr auf die
        finanzielle Unterstützung durch die Stiftung zählen kön-
        nen. Häufig finanziell sehr schlecht gestellten Menschen
        wäre eine in absoluten Zahlen zwar nicht besonders
        hohe, für sie aber individuell sehr wichtige Unterstüt-
        zung verloren gegangen. Neben dieser finanziellen Ein-
        buße hätten sicher nicht wenige Betroffene auch den
        Eindruck gehabt, dass ihnen eine Anerkennung nicht nur
        nicht gewährt, sondern ausdrücklich wieder entzogen
        wird.
        Warum die Große Koalition zwei Anläufe gebraucht
        hat, um diese offensichtlichen Probleme zu erkennen,
        bleibt ihr Geheimnis. Es bleibt auch ihr Geheimnis, wa-
        rum sie zum Bürokratieabbau und zur Haushaltskonsoli-
        dierung ausgerechnet auf die Heimkehrerstiftung verfal-
        len ist. Der Bund hat der Stiftung für die Gewährung von
        Leistungen zuletzt jährlich circa 2 Millionen Euro für
        einmalige Zahlungen zur Unterstützung in Notfällen und
        weitere circa 4 Millionen Euro für Rentenzusatzleistun-
        gen zur Verfügung gestellt. Rechnet man noch die circa
        1 Million Euro für Verwaltungskosten hinzu, ergibt sich
        ein jährlicher Aufwand von 7 Millionen Euro. Das ist
        nicht wenig Geld, und der Anteil der Verwaltungskosten
        ist sicher zu hoch. Setzt man diese 7 Millionen Euro mit
        dem Gesamthaushalt des Bundes in Relation, handelt es
        sich um einen Anteil von weniger als 0,03 Promille.
        Dann stellt sich schon die Frage, ob dies die richtige
        Stelle zum Sparen ist, zumal es sich bei den Empfängern
        ja zumeist um sehr alte Menschen handelt, die ihre Ren-
        tenzusatzleistungen nur noch für wenige Jahre erhalten
        werden. In ihrer Rechnung im Änderungsantrag gehen
        die Koalitionsfraktionen auch davon aus, dass bis 2015
        für die Rentenzusatzleistungen nur noch Kosten von
        circa 13 Millionen Euro anfallen werden, pro Jahr also
        durchschnittlich gerade einmal 1,6 Millionen Euro. Des-
        halb war es der falsche Ansatz, gerade hier den Rotstift
        anzusetzen und die Stiftung und die Zahlungen schon bis
        2010 abwickeln zu wollen. Da dieser Mangel aber nun
        korrigiert ist, werden Bündnis 90/Die Grünen dem Ge-
        setzentwurf der Bundesregierung zustimmen.
        Vier wichtige Punkte seien noch kurz angesprochen:
        Zum einen ist es gut, dass mit dem Heimkehrerentschä-
        digungsgesetz eine gut handhabbare Regelung für die
        Menschen gefunden wurde, die bisher nicht von den
        Leistungen der Heimkehrerstiftung profitieren konnten.
        Zweitens freut es mich, dass auch für die Leistungen
        nach dem Häftlingshilfegesetz erhöhte Finanzzuweisun-
        gen vorgesehen sind. Es ist drittens zu begrüßen, dass
        die Stiftung als solche schon vor dem Ende ihrer Auf-
        gabe aufgelöst wird und ihre Aufgaben dem Bundesver-
        waltungsamt übertragen werden; denn es ist ja absehbar,
        dass der Verwaltungsaufwand spürbar zurückgehen und
        in den nächsten Jahren immer weiter abnehmen wird.
        Die Übertragung der Aufgaben erlaubt es, das Personal
        der Stiftung zunächst mit der gleichen Aufgabe unter
        dem Dach des Bundesverwaltungsamtes zu betrauen, um
        dann nach und nach neue Aufgaben zu finden.
        12928 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        Das bringt mich zum letzten, aber nicht unwichtigsten
        Punkt. In ihrem Gesetzentwurf erklärt die Bundesregie-
        rung ihre Absicht, die Angestellten der Stiftung weiter
        zu beschäftigen. Das ist auch nur recht und billig. Diese
        Menschen haben ihre Aufgabe über Jahre gewissenhaft
        erfüllt, und es sollte ihnen nun nicht zum Nachteil gerei-
        chen, dass sie bei einer Stiftung mit nur einer Aufgabe
        und nicht bei einer Behörde mit einem breiteren Spek-
        trum an Zuständigkeiten gearbeitet haben. Aber natür-
        lich gilt auch für sie, dass sie sich nach dem absehbaren
        Wegfall ihres jetzigen Arbeitsfeldes neuen Aufgaben in
        der Bundesverwaltung zuwenden. Ihnen diese Möglich-
        keit nicht zu geben, hieße, ihre bisherige Leistung nicht
        anzuerkennen.
        Anlage 17
        Zu Protokoll gegebene Rede
        zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
        Berichts: Die Erweiterungs- und Nachbar-
        schaftspolitik der Europäischen Union weiter
        entwickeln (Tagesordnungspunkt 24)
        Michael Link (Heilbronn) (FDP): Als Folge der letz-
        ten Erweiterungsrunde 2004/2007 grenzt die Europäi-
        sche Union heute an mehr Nachbarn und Großräume als
        je zuvor in ihrer Geschichte. Wir reden hier heute insbe-
        sondere über unsere Nachbarn im Süden und im Osten
        der EU. Beide Gruppen verfügen zum heutigen Zeit-
        punkt über keine EU-Beitrittsperspektive, lediglich die
        Nachbarn im Osten haben die sehr vage Perspektive ge-
        mäß Art. 49 EU-Vertrag, wonach die Union allen euro-
        päischen Staaten offen steht, die die Aufnahmekriterien
        erfüllen. Doch ob Beitrittsperspektive oder nicht: Diese
        Nachbarn existieren, und die EU braucht eine überzeu-
        gende Strategie für den Umgang mit ihren Nachbarn.
        Deshalb brauchen wir die Europäische Nachbarschafts-
        politik, ENP.
        Die ENP wurde 2003 von der Europäischen Kommis-
        sion ins Leben gerufen, um sowohl der Union wie auch
        ihren unmittelbaren Nachbarstaaten die Möglichkeit für
        den Ausbau ihrer politischen, ökonomischen wie auch
        kulturellen Beziehungen zu bieten.
        Ihr ausdrückliches Ziel ist es, in einem vereinigten
        Europa die Entstehung neuer Trennlinien zu verhindern
        und einen gemeinsamen Raum des Wohlstands, des Frie-
        dens und der Stabilität zu schaffen. Die Nachbarschafts-
        politik ist ein klarer Ausdruck des politischen Willens
        der Union, auf der Grundlage gemeinsamer Werte die
        Partnerstaaten wesentlich auf ihrem Weg zu nachhalti-
        gen politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen
        Reformen zu stärken und zu unterstützen.
        Diese Reformpartnerschaft gründet wesentlich auf ei-
        nen verstärkten politischen Dialog zwischen den Part-
        nern, technische und finanzielle Aufbauhilfen im Rah-
        men des Europäischen Nachbarschafts- und
        Partnerschaftsinstrumentes, ENPI, und eine verstärkte
        bilaterale wie regionale Kooperation in den Bereichen
        Handel, Energie, Sicherheit und Umwelt. Die politische
        und wirtschaftliche Kooperation wird begleitet durch
        eine dritte Dimension, die menschliche Dimension. Bila-
        terale und regionale Austauschprogramme im wissen-
        schaftlichen und kulturellen Bereich sowie die Förde-
        rung des Kontaktes zwischen den Bürgern der Union
        und der Nachbarstaaten bzw. -regionen sollen die gegen-
        seitigen Kenntnisse bereichern und so das Verständnis
        und die Toleranz gegenüber anderen Kulturen stärken.
        Dies ist besonders wichtig im Zusammenhang der ge-
        waltsamen Konflikte in den Nachbarregionen, deren Lö-
        sung ein wichtiges Anliegen der Union ist.
        Mir ist bewusst, dass viele unter Ihnen die Logik einer
        Politik infrage stellen, die für sich beansprucht, Länder
        und Regionen mit so unterschiedlichen geschichtlichen
        Erfahrungen, Gesellschaften und Traditionen in einem
        gemeinsamen Ansatz zu verbinden. Auch wurde die Be-
        deutung der Nachbarschaftspolitik im Hinblick auf eine
        Beitrittsperspektive schon oft diskutiert. Aber diese Ein-
        lasse verkennen einen wichtigen Punkt: Die Zusammen-
        führung der vormals isolierten Politiken gegenüber den
        Staaten der südlichen und östlichen Nachbarregion in ei-
        nem kohärenten und integrativen Konzept ist eine essen-
        zielle Voraussetzung für die Lösung der Herausforderun-
        gen, denen wir heute gegenüberstehen.
        Herausforderungen wie die Bekämpfung von organi-
        sierter Kriminalität in den Bereichen Geldwäsche, Men-
        schen- und Drogenhandel, die Eindämmung der kata-
        strophalen Folgen illegaler Migration und schließlich
        auch der Kampf gegen die Bedrohung durch fundamen-
        talistische Terrororganisationen – mögen sie religiös
        oder politisch motiviert sein – können nur durch eine
        verstärkte regionale Kooperation und den konsistenten
        Einsatz von Mitteln und Ressourcen der EU wie der Mit-
        gliedstaaten bewältigt werden. Die ENP bietet eben die
        Möglichkeit für eine gemeinschaftliche Politik, die so-
        wohl die Interessen der EU sowie ihrer Mitgliedstaaten
        vertritt, aber Antwort auf die politischen, ökonomischen
        und gesellschaftlichen Herausforderungen gibt.
        Deshalb ist es unerlässlich, daß die ENP ein eigen-
        ständiger Politikansatz bleibt, der konzeptionell unab-
        hängig von der Erweiterungspolitik wie auch der klassi-
        schen Entwicklungspolitik der Union ist. Die
        Nachbarschaftspolitik ist weder ein Ersatz für die Erwei-
        terung, eine Art Abstellgleis für unerwünschte oder ge-
        scheiterte Mitgliedskandidaten, noch darf sie als Vor-
        stufe zur Aufnahme in die nächste Erweiterungsrunde
        verstanden werden.
        Auch wenn eine Mitgliedschaft für alle heutigen Part-
        ner der ENP kurz- und mittelfristig ausgeschlossen ist,
        so bleibt die Differenzierung der Partnerstaaten in
        „Nachbarn Europas“ in Bezug auf die südliche Dimen-
        sion und „Europäische Nachbarn“ in Bezug auf die östli-
        che Dimension, wie Sie im Kommissionspapier von
        2003 vorgenommen wurde, aus unserer Sicht bedeut-
        sam. Die Mitgliedsperspektive darf jedoch nicht als Au-
        tomatismus begriffen werden. Im Gegenteil, sie ist ab-
        hängig von den Reformfortschritten des jeweiligen
        Landes und dem glaubwürdigen politischen Willen, die
        wirtschaftlichen und politischen Kriterien des Gipfels
        von Kopenhagen zu verwirklichen. Will sie auch in Zu-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12929
        (A) (C)
        (B) (D)
        kunft erfolgreich sein, muss das Prinzip der Differenzie-
        rung ein wichtiges Element der ENP bleiben. Hier gilt
        das Prinzip des Tüchtigen, Reformfortschritte sollen mit
        einem deutlichen Mehr an europäischem Engagement
        belohnt, Reformverzögerungen und Verletzungen der
        essenziellen Prinzipien der Partnerschaft soll mit geeig-
        neten Maßnahmen begegnet werden. Die ENP muss da-
        her mit Blick auf die Partnerstaaten differenzieren. Diese
        Differenzierung ist auch bedeutend im Hinblick auf die
        Bedürfnisse und Möglichkeiten der Partnerstaaten. Ins-
        besondere wir als Europäische Union, eine politische
        Union, die aus der Vielfalt 27 unterschiedlicher Staaten
        zusammengesetzt ist, darf die Verschiedenheit unserer
        ENP-Partner nicht ignorieren.
        Die ENP muss eine bilaterale Kooperationspartner-
        schaft ermöglichen, die den beiderseitigen Anforderun-
        gen und Bedürfnissen gerecht wird. Nichtsdestotrotz
        muss es eine Differenzierung innerhalb eines kohärenten
        Politikkonzeptes sein. Nicht nur die Annäherung des je-
        weiligen Partnerstaates an die Union, sondern auch die
        Förderung der regionalen Zusammenarbeit, ja wo mög-
        lich der regionalen Integration innerhalb der Partnerregi-
        onen, ist ein wichtiges Ziel der ENP. Aus diesem Grund
        plädieren wir für einen stärkeren Ausbau der regionalen
        Komponenten der Europäischen Nachbarschaftspolitik,
        vor allem bezüglich der beiden regionalen Großräume
        Schwarzmeerregion und Mittelmeeranrainer, Stich-
        wort „Schwarzmeersynergie“ und der sogenannte Bar-
        celona-Prozess. In diesem Sinne sieht die FDP übrigens
        in der von Präsident Sarkozy angemahnten neuen Mit-
        telmeerpartnerschaft durchaus positive und konstruk-
        tive Zeichen. Die Kooperation innerhalb wie auch
        zwischen diesen beiden Sparten einer regional ausdif-
        ferenzierten und maßgeschneiderten ENP ist nach Mei-
        nung der FDP essenziell für die Fortentwicklung und
        den Erfolg der ENP.
        Anlage 18
        Zu Protokoll gegebene Rede
        zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
        Berichts:
        – zu der Verordnung der Bundesregierung:
        Fünfte Verordnung zur Änderung der Ver-
        packungsverordnung
        – zu dem Antrag: Verpackungsverordnung
        sachgerecht novellieren – Weichen stellen
        für eine moderne Abfall- und Verpackungs-
        wirtschaft in Deutschland
        – zu dem Antrag: Weg vom Öl im Kunststoff-
        bereich – Chance der Novelle der Verpa-
        ckungsverordnung nutzen und mit Bio-
        kunststoffen echte Kreisläufe schließen
        (Tagesordnungspunkt 26)
        Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Die Linke be-
        grüßt, dass die Novelle der Verpackungsverordnung
        mehr Gerechtigkeit schafften will. Künftig müssen sich
        nun alle Inverkehrbringer von Verpackungen an der
        Finanzierung der Sammlung und Verwertung ihrer Ver-
        packungen beteiligen. Die Trittbrettfahrerei über das
        Schlupfloch der sogenannten Selbstentsorger ist dann
        hoffentlich Geschichte. Zu begrüßen ist auch die Strei-
        chung der Ausnahme von der Pfandpflicht für Verpa-
        ckungen diätetischer Getränke. Sie wurde vielfach mit
        fantasievoller Namensgebung missbraucht. Hier hört das
        Lob aber auch auf, denn die Novelle hat zwei gravie-
        rende Schwächen:
        Zum einen dürfen stoffgleiche Nichtverpackungen
        auch mit dieser Novelle nicht in den gelben Sack. Aber
        Kunststoffgieskannen oder Quietscheentchen wären
        vielleicht besser zu recyceln als verklebte Yoghurt-
        becher. Darum tritt die Linke dafür ein, die Produktver-
        antwortung der Verpackungsverordnung auf stoffglei-
        che Nichtverpackungen auszudehnen. Umweltminister
        Gabriel hat eine solche Erweiterung ja angekündigt. Wir
        fragen uns, warum sie nicht Bestandteil der neuen Ver-
        ordnung ist.
        Zum anderen hat die Novelle für das gegenwärtig
        größte Problem – zumindest aus umweltpolitischer Sicht –
        überhaupt keine Lösung: Trotz des Pflichtpfandes für
        Einwegflaschen und -dosen sinkt die Mehrwegquote un-
        aufhörlich. Nur noch 31 Prozent der alkoholfreien Ge-
        tränke werden in wiederbefüllbaren Verpackungen ver-
        kauft. In den 90er-Jahren waren es über 70 Prozent. Wir
        denken, dass eine zusätzliche Einwegabgabe die Händler
        vom ökologischen Vorteil der Mehrwegverpackungen
        überzeugen könnte.
        Noch ein Wort zu Wirtschaftsminister Michael Glos,
        der ja das Duale System mittelfristig abschaffen will und
        dafür alternativ eine gemeinsame Entsorgung aller
        Haushaltsabfälle einführen möchte. Die Anhörung des
        Umweltausschusses hat noch einmal klar gemacht, dass
        die haushaltsnahe Trennung der Abfallfraktionen gegen-
        wärtig noch die beste und preiswerteste Art ist, um zu
        qualitativ hochwertigen Abfallfraktionen zu kommen.
        Und nur Sekundärrohstoffe in solch hohen Qualitäten
        lassen sich auch in der Industrie sinnvoll einsetzen. Zwar
        gibt es inzwischen auch Technik, die Gemischtabfall
        trennen kann. Diese ist aber noch nicht ausgereift und
        teuer. Großtechnisch für die gesamte Siedlungsabfall-
        wirtschaft ist sie noch nicht einsetzbar. Sie rechnet sich
        wohl nur, wenn ein Großteil der wertvollen Sekundär-
        rohstoffe in Verbrennungsöfen landet. Genau dies ist ja
        das Ziel von Minister Glos. Das lehnen wir natürlich ab.
        Aus Sicht des Ressourcen- und Klimaschutzes muss
        an erster Stelle ohnehin die Abfallvermeidung treten.
        Aus diesem Blickwinkel birgt die Gemischttonne die
        Gefahr, dass sich die Gesellschaft vorgaukelt, Abfall sei
        kein Problem mehr.
        Die FDP wiederum will mit dem in ihrem Antrag vor-
        geschlagenen Zertifikatesystem mehr Markt und Flexibi-
        lität. Grundsätzlich könnte ein Zertifikatesystem viel-
        leicht tatsächlich zu besseren Verwertungsqualitäten und
        weniger Bürokratie beitragen. Schließlich würde der
        Staat die Zertifikate direkt für eine nachgewiesene Ver-
        wertung an die Recycling- und Verwertungsbetriebe aus-
        geben. Das könnte die zunehmende Intransparenz beim
        12930 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        Verwertungsnachweis über die Kaskade von Verpflichte-
        ten über Beauftragte hin zu Sub- und Sub-Sub-Unterneh-
        men an dieser Stelle beenden. Dies wäre der Charme ei-
        ner solchen Lösung. Allerdings will die FDP ja gar kein
        hochwertiges Recycling. Denn auch für die simple Ver-
        brennung soll es ja die wunderschönen Verwertungszer-
        tifikate geben. Das ist dann auch der Grund für unsere
        Ablehnung des Antrags, denn wir stehen für den Gedan-
        ken einer Kreislaufwirtschaft.
        Anlage 19
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung:
        – Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Ände-
        rung des Regionalisierungsgesetzes
        – Entwurf eines Gesetzes zur effizienteren
        Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs
        (Regionalisierungsreformgesetz)
        – Beschlussempfehlung und Bericht: Verwen-
        dung der Regionalisierungsmittel offenlegen
        – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
        Eisenbahnkreuzungsgesetzes
        (Tagesordnungspunkt 27 a bis d)
        Klaus Hofbauer (CDU/CSU): Die Konsolidierung
        der öffentlichen Haushalte ist ein wesentliches Ziel in
        dieser Legislaturperiode. Zu diesem Ziel steht die Große
        Koalition.
        Auf die Regionalisierungsmittel haben sich im Zu-
        sammenhang mit dem Ziel der Haushaltskonsolidierung
        Auswirkungen ergeben. Wir sind jetzt bemüht, die nöti-
        gen Angleichungen vorzunehmen.
        Die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung
        der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen
        Personennahverkehr ist eine Aufgabe der Daseinsvor-
        sorge. Die Daseinsvorsorge und damit der Personennah-
        verkehr gehören zu den Grundbedürfnissen der Men-
        schen, auf die sie einen grundgesetzlich verankerten
        Anspruch haben. Diesem Anspruch müssen wir als Ge-
        setzgeber gerecht werden.
        ÖPNV und SPNV sind die tragenden Säulen des öf-
        fentlichen Verkehrssystems. Sie sichern gleiche Lebens-
        verhältnisse von Stadt und ländlichem Raum und leisten
        einen ebenso wichtigen Beitrag zum Umwelt- und Kli-
        maschutz. Ohne einen effizienten ÖPNV bzw. SPNV
        lassen sich die verkehrs- und umweltpolitischen Heraus-
        forderungen der heutigen Zeit nicht bewältigen.
        Das Regionalisierungsgesetz hat die Aufgaben für
        den öffentlichen Personennahverkehr bzw. Schienenper-
        sonennahverkehr auf die Bundesländer übertragen. Da-
        durch müssen die Länder einer großen Verantwortung
        nachkommen, die nicht einfach zu schultern ist und viele
        Herausforderungen mit sich bringt.
        Dass die Länder dieser Verantwortung verkehrs-,
        wirtschafts- und umweltpolitisch durchaus gewachsen
        sind, haben sie über die Jahre eindrucksvoll bewiesen.
        Die Passagierzahlen haben sich deutlich erhöht, die Kos-
        ten konnten durch zunehmenden Wettbewerb gesenkt
        werden. Wir können stolz auf das sein, was sich im öf-
        fentlichen Nahverkehr getan hat.
        Um diese Erfolgsgeschichte auch weiterhin fortsetzen
        zu können, steht es außer Frage, dass der Bund den
        ÖPNV und damit die Ausübung der Verantwortung der
        Länder für den SPNV mit einem hinreichenden Finanz-
        beitrag auf hohem Niveau fördern muss. Diesem Um-
        stand trägt das heute zur Beratung und Verabschiedung
        stehende Gesetz Rechnung. Zugleich kommt die Große
        Koalition damit ihrer im Koalitionsvertrag festgeschrie-
        benen Verantwortung nach und hält Kurs auf ihr großes
        Ziel.
        Die Regelungen des vorliegenden Gesetzentwurfs
        schaffen eine Grundlage dafür, dass die Länder finan-
        ziell nun gut aufgestellt und ausreichend in der Lage
        sind, den ÖPNV bzw. SPNV angemessen zu bestellen.
        Für 2006 und 2007 bleibt es bei den nach dem Haus-
        haltsbegleitgesetz vorgesehenen Regionalisierungsmit-
        teln. Für die Jahre 2008 bis 2010 wird den Ländern für
        die Absenkung der Regionalisierungsmittel eine Kom-
        pensation von insgesamt 500 Millionen Euro auf gesetz-
        licher Grundlage gegeben, die sie zur Aufrechterhaltung
        der Bestellung von schienengebundenen Nahverkehren
        einsetzen können. Um den Ländern auch in Zukunft In-
        vestitionen in den Regionalverkehr zu ermöglichen, wird
        ab 2009 eine Dynamisierungslinie für die Regionalisie-
        rungsmittel vereinbart.
        Im Jahr 2008 erhalten die Länder Regionalisierungs-
        mittel in Höhe von 6 675,0 Millionen Euro aus dem Mi-
        neralölsteueraufkommen des Bundes. Ab dem Jahr 2009
        steigt dieser Betrag jährlich um 1,5 Prozent. Bis zum
        Jahr 2014 erreicht er eine Höhe von 7 298,7 Millionen
        Euro. Es ist erfreulich, dass es gelungen ist, die ur-
        sprünglich im Koalitionsvertrag vorgesehene Einspa-
        rungssumme von 3,1 Milliarden auf 1,8 Milliarden Euro
        zu reduzieren.
        Im Jahr 2014 ist eine erneute Überprüfung der Höhe
        der Mittel und der Finanzierungsquelle mit Wirkung ab
        dem Jahr 2015 vorgesehen.
        Die Länder sollen jährlich die Verwendung der Mittel
        jeweils nach gemeinsam vereinbarten Kriterien transpa-
        rent darstellen. Wir brauchen diese vollständige Transpa-
        renz, denn nur so lässt sich ein hoher und effizienter Mit-
        teleinsatz politisch legitimieren.
        Als Vertreter des ländlichen Raumes hat mich die
        Thematik Regionalisierungsmittel in besonderem Maße
        beschäftigt. Das erzielte Ergebnis halte ich für einen gu-
        ten Kompromiss zwischen Bund und Ländern, sowohl
        aus verkehrspolitischer als auch aus haushaltspolitischer
        Sicht. Ich glaube auch, dass hier eine Lösung mit Per-
        spektive für die Zukunft aufgebaut werden kann. Die
        Länder erhalten Planungssicherheit und genügend Spiel-
        raum, um mit den zusätzlichen Einnahmen aus der
        Mehrwertsteuer bei der Förderung des öffentlichen Ver-
        kehrs eigene Prioritäten zu setzen. Für den Bund leistet
        das Ergebnis zugleich einen notwendigen Beitrag, das
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12931
        (A) (C)
        (B) (D)
        Ziel der Haushaltskonsolidierung weiter verfolgen zu
        können. Dies war so beabsichtigt. Den Bundesländern
        gebührt großer Dank, dass sie bereit waren, dies mitzu-
        tragen.
        Den mit dem Regionalisierungsgesetz eingeschlage-
        nen erfolgreichen Weg wollen wir mit dem vorliegenden
        Gesetz weiter gehen. Der Bund ist bereit, finanziell wei-
        terhin einen hohen Beitrag zu leisten. Die Länder müs-
        sen im Gegenzug für eine effiziente und transparente
        Mittelverwendung sorgen und in ihren Haushalten Prio-
        ritäten für den ÖPNV setzen. Sie haben dafür ausrei-
        chend Spielraum.
        Unser Ziel ist die Sicherstellung einer bedarfsgerech-
        ten, zielgenauen und effizienten Finanzierung des öffent-
        lichen Nahverkehrs. Mit dem vorliegenden Gesetz tra-
        gen wir als Bund weiterhin zur Gewährleistung eines
        attraktiven Nahverkehrsangebots bei.
        Sören Bartol (SPD): Der Regionalverkehr ist unbe-
        stritten das Zugpferd des öffentlichen Personenverkehrs.
        Seine Bedeutung für die Erschließung der Fläche und als
        Zubringer zu den Städten und Ballungszentren ist in den
        letzten zehn Jahren deutlich gewachsen. Seit 1994 ist das
        Gesamtangebot über 25 Prozent gestiegen, die Zahl der
        beförderten Personen von 1,5 auf über 2 Milliarden. Der
        Schienenpersonennahverkehr hat zudem seinen Modal-
        Split-Anteil um 10 Prozent von 3,3 auf 3,7 Prozent aus-
        bauen können.
        Wenn man weiß, wie schwierig auch nur kleine Be-
        wegungen des Modal Split zu erkämpfen sind, zeigen
        diese Zahlen, dass das Regionalisierungsgesetz ein Er-
        folgsmodell ist. Der Bund hat eine über die Jahre solide
        finanzielle Basis geschaffen. Sie ist die Grundlage für
        die verbesserte Angebotsqualität im SPNV. In den gut
        zehn Jahren seit Inkrafttreten des Regionalisierungsge-
        setzes haben die Länder über 77 Milliarden Euro für den
        Regionalverkehr erhalten. Allein in den drei Jahren bis
        2010 werden es weitere 21 Milliarden Euro sein.
        Heute wollen wir ein Gesetz beschließen, das diese
        Finanzierungsbasis auch für die Zukunft sichert. Es ist
        die Umsetzung der Zusagen, die die Bundesregierung
        den Ländern bei der Verabschiedung des Haushaltsbe-
        gleitgesetzes 2006 gegeben hat.
        Rückblickend möchte ich noch einmal betonen: Wir
        Verkehrspolitiker waren über die Kürzungen bei den
        Regionalisierungsmitteln nicht glücklich. Wir waren
        froh, dass es uns gelungen ist, im Laufe des parlamen-
        tarischen Verfahrens deutliche Verbesserungen zu er-
        zielen: Die ursprünglich zur Haushaltskonsolidierung
        geforderte Summe von rund 3,1 Milliarden konnte auf
        2,3 Milliarden Euro reduziert werden. Mit dem vorlie-
        genden Gesetzentwurf erhalten die Länder nun die zu-
        sätzlich vereinbarte Kompensation.
        Erstens. Die Kürzungen werden um eine halbe Mil-
        liarde verringert. Zweitens. Die Regionalisierungsmittel
        werden ab 2008 wieder dynamisiert. Sie wachsen jähr-
        lich um 1,5 Prozent. Die Länder bekommen damit eine
        solide Planungsgrundlage für die nächsten sieben Jahre.
        Im Gegenzug fordern wir von ihnen mehr Transparenz
        bei der Mittelverwendung.
        Ich sage ganz klar: Die einmalige Information der
        Länder über die Mittelverwendung reicht uns nicht aus.
        Mehr Transparenz ist im Interesse von Bund und Län-
        dern, denn sie hilft uns, den Verdacht zu widerlegen,
        dass nicht alle Mittel zielgerichtet eingesetzt werden.
        Mehr Transparenz erleichtert es uns in Zukunft, andere
        fiskalpolitische Begehrlichkeiten abzuwehren.
        Wir wollen mehr Transparenz, lassen aber den Län-
        dern die Möglichkeit, die Kriterien selbst festzulegen. So
        wie die Grünen es in ihrem Antrag vorschlagen, geht es
        nicht. Eine jährliche Rechtsverordnung über die Krite-
        rien führt zu Endlosdiskussionen. Ihr Antrag schießt
        über das Ziel hinaus: Eine engere Zweckbindung, mehr
        Kontrolle und Sanktionen sind auf den ersten Blick sinn-
        volle Instrumente, um den effizienten Mitteleinsatz zu
        gewährleisten. Sie berücksichtigen aber nicht die finanz-
        verfassungsrechtlichen Grundlagen: Grundgesetzartikel
        106 a begründet eine Zahlungspflicht des Bundes. Die
        Länder aber sind für die bestimmungsgemäße Verwen-
        dung der Mittel verantwortlich. Wenn wir mehr Transpa-
        renz wollen, dann geht das nur mit ihnen.
        Ich halte nichts davon, den Revisionszeitpunkt – wie
        es der Bundesrat will – auf 2019 zu verschieben. Die von
        der Bundesregierung vorgesehenen sieben Jahre bis zur
        Überprüfung geben einerseits genügend Planungssicher-
        heit auch für Investitionen, andererseits die Möglichkeit,
        auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren. Die sollten wir
        uns nicht nehmen lassen.
        Der vorliegende Gesetzentwurf ist eine gute Grundlage
        dafür, den Regionalverkehr in den nächsten Jahren weiter
        zu stärken. Wenn die Länder argumentieren, dass ange-
        sichts steigender Trassenentgelte 1,5 Prozent Aufwuchs
        im Jahr zu wenig sind, dann ist das nur die halbe Wahr-
        heit, denn die Trassenentgelte machen nur 40 Prozent der
        Bestellentgelte aus. Die Erfahrungen zeigen zudem, dass
        die Länder reichlich Potenzial haben, die Regionalisie-
        rungsmittel noch zielgerichteter und effizienter einzuset-
        zen. Inzwischen werden 20 Prozent der bestellten Leitun-
        gen im Wettbewerb vergeben, in einzelnen Ländern wie
        NRW sogar 50 Prozent. Zwar dominiert immer noch deut-
        lich die DB AG, aber auch sie muss mehr Effizienz und
        Qualität bringen. Unser ist Ziel eine bedarfsgerechte, aber
        auch zielgenaue und effiziente Finanzierung des SPNV.
        Der Bund ist weiterhin bereit, einen hohen Finanzbeitrag
        zu leisten. Die Länder müssen im Gegenzug für eine effi-
        ziente und transparente Verwendung der Mittel sorgen.
        Ich bitte Sie deshalb um Zustimmung für den Gesetzent-
        wurf der Bundesregierung.
        Patrick Döring (FDP): Zuerst einmal möchte ich an
        dieser Stelle – zum wiederholten Male – mein Bedauern
        darüber ausdrücken, dass die Koalitionsfraktionen wich-
        tigste politische Themen im Parlament mit Vorliebe bei
        Nacht und Nebel verhandeln. Man tut dem Parlament
        und der Demokratie einen Tort an, wenn politische und
        gesellschaftliche Fragen nicht mehr lebendig ausdisku-
        tiert, sondern nur noch als nächtliche Papierschlacht aus-
        gefochten werden. Im vorliegenden Fall verstehe ich es
        12932 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
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        noch viel weniger, weil die Kolleginnen und Kollegen
        der Regierungsfraktionen noch nicht einmal wirklich et-
        was richtig falsch gemacht haben. Im Gegensatz zu frü-
        heren Debatten kann ich ihnen daher nicht einmal vor-
        werfen, dass sie wie in so vielen anderen Fällen bloß
        schnell irgendeine Gesetzesschimäre nach Beginn der
        Sperrstunde um die Ecke bringen wollten.
        Umso mehr verrät dieses Verhalten aber in meinen
        Augen über die fehlende Wertschätzung in ihren Reihen
        für dieses Hohe Haus. Wir bringen hier und heute, ver-
        teilt auf sieben Jahre, 48,881 Milliarden Euro unter die
        Leute – oder besser gesagt: unter die Länder. Lauschen
        Sie noch einmal dem Klang meiner Worte: Achtund-
        vierzigmilliardenundachthunderteinundachtzigmillionen
        Euro! Nach der plötzlichen und unerwarteten Kürzung
        im letzten Jahr stocken Sie die Mittel in den nächsten
        Jahren um 1,5 Prozent per anno auf. Die Länder haben
        sich hier durchgesetzt, auch weil Bundesminister Tiefen-
        see die vorherigen Vereinbarungen mit den Ländern für
        den Haushalt 2006 und 2007 gebrochen hat. Die Regio-
        nalisierungsmittel steigen von 6,675 Milliar-den im
        kommenden Jahr auf 7,3 Milliarden Euro im Jahr 2014.
        Ich finde, über solche Summen hätte man auch zu einer
        sonnigeren Zeit reden dürfen und an sich auch reden
        müssen. Es geht hier schließlich nicht um irgendwelche
        Peanuts, zumindest sofern Sie sich nicht die Einstellung
        des Herrn Kopper, seligen Angedenkens, zu eigen ge-
        macht haben sollten.
        Es wäre daher in meinen Augen durchaus angebracht,
        an dieser Stelle einmal darüber zu diskutieren, ob und
        wie diese Mittel effizient eingesetzt werden. Es ist
        schließlich ein offenes Geheimnis, dass nicht jedes Land
        diese Gelder so einsetzt, wie es der Wunsch des Bundes
        wäre. Immerhin haben Sie deshalb bereits eine kleine
        Klausel in das Gesetz geschrieben, dass die Länder über
        die Mittelverwendung Bericht erstatten sollen. Ob dies
        den gewünschten Effekt erbringt, bleibt abzuwarten.
        Leider haben die Bundesregierung und Minister
        Tiefensee, wie auch schon bei den Verhandlungen zur
        ÖPNV-Richtlinie auf europäischer Ebene, aber wieder
        einmal die Gelegenheit verstreichen lassen, für mehr
        Wettbewerb im Nahverkehr zu sorgen. Aufträge aus Re-
        gionalisierungsmitteln werden auch in Zukunft nicht ei-
        nem Ausschreibungszwang unterworfen. Die meisten
        Länder werden also weitermachen wie bisher. Das heißt:
        Die weit überwiegende Zahl der Aufträge wird per In-
        house-Vergabe an die DB Regio AG gehen. Die Konkur-
        renz erhält gar nicht erst Gelegenheit, bessere und billi-
        gere Angebote vorzulegen. Damit vergibt sich die Poli-
        tik ein wichtiges Instrument, um mehr Wettbewerb und
        damit auch mehr Service und Angebot zu schaffen. Da-
        bei sieht man zum Beispiel in Niedersachsen und Schles-
        wig-Holstein, die in den letzten Jahren verstärkt ausge-
        schrieben haben, wie positiv sich dies auf die
        Angebotssituation im SPNV auswirkt. Stattdessen wer-
        den die Regionalisierungsmittel auch in Zukunft in erster
        Linie zu einer Daueralimentation für die Deutsche Bahn.
        Offenbar haben die fortlaufenden Preiserhöhungen
        durch die DB im Nahverkehr bei der Mehrheit noch im-
        mer keinen Lerneffekt ausgelöst: Wir brauchen mehr
        Wettbewerb! Nur so können wir die Preise senken und
        erhöhen die Effizienz. Ohne Veränderung der in weiten
        Teilen immer noch bestehenden Monopolstrukturen wird
        die DB die sicheren Einkünfte aus dem SPNV weiterhin
        nutzen, um die Expansion in anderen Geschäftsfeldern
        voranzutreiben. Das nützt vielleicht der DB, aber nicht
        dem Nahverkehr. Nicht ohne Grund hat die DB Regio
        bisher kaum eine Ausschreibung gewonnen.
        Es kann also noch einiges verbessert werden. Das soll
        uns aber nicht vergessen lassen, dass die Geschichte des
        Regionalisierungsgesetzes, seitdem es 1994 von der da-
        maligen schwarz-gelben Mehrheit durch- und umgesetzt
        wurde, in weiten Teilen eine große Erfolgsgeschichte ge-
        wesen ist. Die Anbindung vieler Regionen konnte nach-
        haltig verbessert werden. Service, Takt und Komfort
        wurden erheblich gesteigert. Durch die Regionalisierung
        wurden verkrustete Strukturen aufgebrochen und der
        Wettbewerb überhaupt ermöglicht. Strecken, die von der
        Deutschen Bahn de facto schon lange aufgegeben wor-
        den waren, sind heute wieder zu Verkehrswegen für
        ganze Regionen geworden. Man sehe sich dazu nur zum
        Beispiel die Geschichte der Nord-West-Bahn an. Noch
        vor einigen Jahren verkehrten auf diesen Trassen täglich
        höchstens drei oder vier Züge. An Sonn- oder Feiertagen
        bekam man von der Bahnauskunft auch schon einmal zu
        hören, man solle sich doch einen anderen Tag für die
        Anreise aussuchen. Heute hingegen verkehren die Bah-
        nen im Stundentakt, die Bahnhöfe und Waggons sind in
        einem ansprechenden Zustand, und die Züge sind voll.
        Jede einzelne dieser Entwicklungen hätte mancher in
        diesem Haus – vor allem vermutlich in den Reihen der
        mehrheitlich hier anwesenden Marktskeptiker – wohl für
        unmöglich gehalten.
        Gerade diese bisherige Erfolgsgeschichte lehrt uns
        aber, wie wichtig der Wettbewerb für eine Verbesserung
        der Nahverkehrssituation ist. Es gilt auch hier: Konkur-
        renz belebt das Geschäft. Das sieht man übrigens auch
        bei der Deutschen Bahn. Denn – um an dieser Stelle dem
        Eindruck vorzubeugen, ich hielte dieses Unternehmen
        von vornherein für die institutionalisierte Ineffizienz –
        auch die DB verhält sich nur rational. Wo man von dem
        Konzern keine Anstrengungen verlangt, um einen Auf-
        trag zu erhalten, da wird er auch keine unternehmen. In
        anderen Geschäftsfeldern hat die DB sich hingegen
        durchaus als flexibel und wettbewerbsfähig präsentiert.
        Dieses Verhalten ist keineswegs Bösartigkeit der DB. Es
        ist vollkommen ökonomisch und vernünftig, nicht mehr
        zu tun, als von einem verlangt wird. Irrational und un-
        vernünftig handelt nur die Politik, wenn sie keine Aus-
        schreibungen vornimmt und dadurch alle Unternehmen
        zu Höchstleistungen anspornt.
        Von daher bleibt mir an dieser Stelle abschließend nur
        zu sagen: Gerne unterstützt die FDP-Fraktion das von
        der Regierung vorgelegte Regionalisierungsgesetz. Für
        die Zukunft sehe ich allerdings weiterhin Verbesserungs-
        bedarf. Aus den bisherigen Erfolgen sollten wir lernen
        und diese Lehren auch im politischen Handeln beherzi-
        gen.
        Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Mit dem Haushalts-
        begleitgesetz zum Haushaltsplan 2007 hatte die Bundesre-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12933
        (A) (C)
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        gierung die Gelder für Bahn und Bus drastisch gekappt –
        so sehr, dass die Schmerzgrenze durchbrochen worden
        war. Die Linke hatte daraufhin die enormen Auswirkun-
        gen dieser Kappung öffentlich gemacht. Aufgrund des
        entstandenen öffentlichen Drucks erklärte sich die Bun-
        desregierung wenn auch spät bereit, die Kürzung der
        Gelder mindern zu wollen.
        Was nun dabei herauskam, ist eine Reduzierung der
        Kürzung um immerhin knapp 500 Millionen Euro. Das
        begrüßen wir. Zu kritisieren bleibt jedoch, dass der
        500-Millionen-Euro-Nachschlag bis 2011 gestreckt
        wird. Die Rückkehr zur jährlichen Steigerung um
        1,5 Prozent sowie die zuletzt eingearbeitete Änderung in
        § 6 Abs. 2, die Geldverwendung nach gemeinsamen Kri-
        terien der Länder darzustellen, ist ebenfalls zu begrüßen.
        Leider ist es nicht gelungen, wie von uns in den Aus-
        schussberatungen beantragt, die jährliche Dynamisie-
        rung an steigende Verkehrsleistungen im Verhältnis zu
        vorangegangenen Jahren zu binden. Dies hätte nach
        Auffassung meiner Fraktion stärkere Anreize für attrak-
        tive Tarifangebote geschaffen. Und es schwebt das Da-
        moklesschwert der Bahnprivatisierung nach wie vor
        über diesem Gesetz. Steigt privates Kapital bei der Deut-
        schen Bahn AG ein, dann bietet dieses Gesetz den Län-
        dern nach wie vor zu wenig Geld. Deshalb kann es von
        der Fraktion Die Linke nur eine Enthaltung geben.
        Förderung von Schienenverkehrsleistungen macht
        nur Sinn, wenn die entsprechende Schieneninfrastruk-
        tur vorhanden ist. Die Fraktion Die Linke ergreift mit
        ihrem Gesetzentwurf zur Änderung des Eisenbahnkreu-
        zungsgesetzes zur Einführung eines Verursacherprin-
        zips eine wichtige, weil notwendige Initiative. Die bun-
        deseigene Deutsche Bahn AG muss sich vermehrt den
        Vorwurf gefallen lassen, durch fehlende Instandset-
        zungsmaßnahmen den schienengebundenen Nahver-
        kehr und damit ein wichtiges Element der öffentlichen
        Daseinsvorsorge zu gefährden. Zugleich sind viele
        Kommunen mit der Finanzierung von Baumaßnahmen
        nach Eisenbahnkreuzungsgesetz gnadenlos überfordert.
        Die Kosten von solchen Baumaßnahmen sowie die Er-
        höhung von Sicherheitsstandards an Bahnübergängen
        und die Auflassung von Bahnübergängen können durch
        Mittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz
        (GVFG) bezuschusst werden. Jedoch ist auch hier ein
        oft das Gemeindebudget übersteigender Anteil zu leis-
        ten, und dringend benötigte Investitionen in den kom-
        munalen öffentlichen Personennahverkehr und im Stra-
        ßenbau werden geschmälert.
        Mehr als die Hälfte aller Landkreise in der Bundesre-
        publik hat mittlerweile unausgeglichene Haushalte. Als
        einziger Ausweg blieb vielen Städten und Gemeinden
        nur, ihre Investitionen drastisch zurückzuführen. Anga-
        ben der KfW besagen, dass 1999 durch die Kommunen
        Investitionen in Höhe von 19 Milliarden Euro, im Jahre
        2004 aber nur noch in Höhe von 15 Milliarden Euro aus-
        gelöst worden sind. Das ist in fünf Jahren ein Fünftel
        weniger. Diese traurigen Zahlen zeigen: Eine verantwor-
        tungsvolle kommunale Selbstverwaltung ist zusehends
        nicht mehr möglich.
        Ein Beispiel: Die Gemeinde Dornbock im Landkreis
        Köthen in Sachsen-Anhalt hat 2004 auf Grundlage des
        Eisenbahnkreuzungsgesetzes für Maßnahmen der In-
        standsetzung und Modernisierung einer auf ihrem Terri-
        torium gelegenen Bahnanlage eine Rechnung von knapp
        250 000 Euro erhalten. Der Investitionshaushalt jedoch
        umfasste nur ganze 80 000 Euro in diesem Jahr. Damit
        war die Gemeinde zahlungsunfähig. Dies ist kein Einzel-
        fall. Dieses Schicksal widerfuhr der Gemeinde übrigens
        nach 1994 und damaligen langwierigen juristischen Aus-
        einandersetzungen zum zweiten Mal; das ist schon ein
        Skandal an sich. Es besteht Handlungsbedarf, und die
        meisten Kommunen sind schon seit Jahren mit der Über-
        nahme eines Drittels der Kosten, wie es das Eisenbahn-
        kreuzungsgesetz aktuell vorsieht, finanziell absolut
        überfordert.
        Verkehrspolitisch bedeuten marode Kreuzungsanla-
        gen im Bahnstraßennetz das Ziel, mehr Verkehr von der
        Straße auf die Schiene zu holen, da bei fehlender In-
        standhaltung und Modernisierung sogar Streckenstillle-
        gungen drohen. Das kann auch vor dem Hintergrund
        der momentan sehr intensiv geführten Klimaschutzde-
        batte und der Diskussion um die Reduzierung des CO2-
        Ausstoßes nicht unser Anspruch sein. Mit dem Antrag
        meiner Fraktion Die Linke werden durch Änderung des
        § 13, Abs. 1 die Kostenübernahme für kommunale Brü-
        ckenbauwerke, welche Bahnanlagen betreffen, neu ge-
        regelt und die Gemeinden entlastet.
        Wir sind der festen Überzeugung, dass die Gemein-
        den von der Mischfinanzierung befreit werden und zu-
        gleich verantwortungsvoll mit der Infrastruktur umge-
        gangen wird, und zwar nach dem Verursacherprinzip.
        Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Am 16. Juni 2006 hat der Bundesrat die Kürzung der Re-
        gionalisierungsmittel beschlossen. Der Bundesfinanz-
        minister hat den Ländern damals zugesagt, die Kürzung
        der Regionalisierungsmittel im Zeitraum 2006 bis 2009
        in einer Größenordnung von 500 Millionen Euro zu ver-
        mindern. Mehr als ein Jahr später wird diese Zusage mit
        dem vorliegenden Gesetzentwurf für ein zweites Gesetz
        zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes eingelöst.
        Die teilweise Rücknahme der Kürzung der Regionali-
        sierungsmittel lehnen wir zwar nicht ab; die Kürzung ha-
        ben wir aber abgelehnt und halten sie auch heute noch für
        falsch. Die vorausgesagten Streichungen im Schienen-
        personennahverkehr als Folge der Kürzung der Regiona-
        lisierungsmittel sind in vielen Bundesländern eingetre-
        ten. Nur ein Bundesland hat die Kürzung zu 100 Prozent
        durch Landesmittel kompensiert.
        Nach dem bisherigen § 7 RegG war für den Bund
        nicht überprüfbar, ob die Mittel zweckentsprechend ver-
        wendet wurden. Die im Gesetzentwurf der Bundesregie-
        rung in § 6 Abs. 2 enthaltene Berichtspflicht der Länder
        gegenüber dem Bund über die Verwendung der Regiona-
        lisierungsmittel ist zu begrüßen; sie greift aber viel zu
        kurz, weil sie nicht näher beschreibt, was einheitliche
        Kriterien sind. Damit ist nicht sichergestellt, dass die
        jährliche Mittelverwendung transparent dargestellt wer-
        den kann.
        12934 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        So wie es jetzt im Gesetzentwurf steht, wird bei dem
        Bericht nicht mehr herauskommen als beim GVFG-Be-
        richt. Aus unserer Sicht sollten zumindest einige Krite-
        rien bzw. Ausgabenarten angegeben werden, damit der
        Bericht wenigstens etwas aussagen kann. Man sollte aus
        dem Bericht schon entnehmen können, in welcher Höhe
        Zuschüsse für Bestellungen von Zugleistungen im
        SPNV, für Bestellungen von Verkehrsleistungen im
        ÖPNV außerhalb des SPNV, sonstige Zuwendungen an
        Aufgabenträger und Verkehrsbünde im SPNV/ÖPNV,
        Zuschüsse für Investitionen in Fahrzeuge des SPNV, Zu-
        schüsse für Investitionen in Fahrzeuge des ÖPNV außer-
        halb des SPNV, Zuschüsse für Investitionen in bauliche
        Anlagen des ÖPNV und des SPNV und Zuschüsse für
        sonstige Projekte geflossen sind.
        Was auf jeden Fall versäumt wurde, ist die Präzisie-
        rung der Zweckbindung. Regionalisierungsmittel kön-
        nen nach wie vor für Aufgaben verwendet werden, die
        vor dem Regionalisierungsgesetz die Länder aus eigenen
        Mitteln bestritten haben. Genannt seien hier beispiels-
        weise Ausgleichsleistungen bei der Schüler- und
        Schwerbehindertenbeförderung. Das war sicher nicht In-
        tention des Gesetzgebers. Intention des Gesetzgebers
        war, Fahrgastzuwächse beim öffentlichen Personannah-
        verkehr zu erzielen, und nicht, die Länder durch das Re-
        gionalisierungsgesetz finanziell zu entlasten.
        Es kann auch nicht sein, dass der Verkehrsminister
        den Ländern Fehlverwendung der Regionalisierungsmit-
        tel vorwirft, was er in der Debatte der letztjährigen Kür-
        zung getan hat, es aber dann unterlässt, Fehlverwen-
        dungsmöglichkeiten im Gesetz auszuschließen.
        Der Gesetzentwurf enthält auch keinen Anreiz, dass
        die Länder die Regionalisierungsmittel effizient ausge-
        ben. Für die Verteilung der Mittel spielt es keine Rolle,
        ob ein Bundesland Fahrgastzuwächse erreicht hat oder
        nicht. Das Geld wird einfach überwiesen.
        Wenn man über ein Jahr für ein Änderungsgesetz
        braucht, hätte man also schon etwas mehr hineinschrei-
        ben können als eine Teilrücknahme einer falschen Kür-
        zung und eine unzureichende Berichtspflicht. Vorschläge
        unsererseits liegen in Gesetzes- und Antragsform vor.
        Beim Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ei-
        senbahnkreuzungsgesetzes der Linken wurde ein frühe-
        rer Antrag der Linken in Gesetzesform gegossen. Im Ge-
        gensatz zum Antrag enthält der Gesetzentwurf immerhin
        einen Finanzierungsvorschlag. Trotzdem ist einiges un-
        verständlich:
        Der Gesetzentwurf stellt alle Straßenbaulastträger und
        nicht nur die Kommunen frei. Die Linke problematisiert
        aber nur die Kommunen.
        Warum soll die DB AG die Hälfte des bisherigen An-
        teils des Straßenbaulastträgers bezahlen? Bisher bezahlt
        sie ein Drittel, nach dem Gesetzentwurf die Hälfte.
        Die NE-Bahnen bezahlen nichts mehr. Damit werden
        sie besser behandelt als die DB.
        Der Bund soll nun auch für Bahnübergänge von
        NE-Bahnen bezahlen, bei denen er bisher – außer im
        Falle der Straßenbaulastträgerschaft – nichts bezahlt.
        Achim Großmann, Parl. Staatssekretär beim Bun-
        desminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Der
        vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Än-
        derung des Regionalisierungsgesetzes wurde in den Aus-
        schussberatungen durchaus kontrovers diskutiert. Ich
        möchte deshalb die Gelegenheit nutzen, um noch einmal
        das Ziel dieser Gesetzesänderung zu verdeutlichen:
        Es ist ein dringendes Anliegen der Bundesregierung,
        die Qualität des Öffentlichen Personennahverkehrs
        (ÖPNV) weiter zu verbessern und ein bedarfsgerechtes
        Angebot im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) auch
        in der Fläche sicherzustellen.
        Den Ländern stehen nach dieser Gesetzesänderung
        auch künftig ausreichend Mittel für die Bestellung von
        Nahverkehrsleistungen und für qualitative Verbesserun-
        gen des ÖPNV zur Verfügung.
        Im Rückblick ist festzustellen, dass der Nahverkehr
        vor 1994 ein ungeliebtes und hochdefizitäres Aufgaben-
        gebiet der Bahn war. Ziel der Bahnstrukturreform 1994
        war es daher auch, eine zukunftsfähige Grundlage für
        den SPNV zu schaffen.
        Im Zusammenhang mit den gesetzlichen Änderungen
        zur Bahnreform wurde das Grundgesetz um einen neuen
        Art. 106 a ergänzt. Den Ländern steht damit für den
        ÖPNV aus dem Steueraufkommen des Bundes ein Be-
        trag zu. Einzelheiten werden im Regionalisierungsge-
        setz, RegG, geregelt, welches ebenfalls im Rahmen der
        Bahnreform verabschiedet wurde und am 1. Januar 1996
        in Kraft trat.
        Dies bedeutete eine vollständige Neuordnung des
        Ordnungsrahmens: der SPNV wurde zur Landesaufgabe;
        die verschiedenen Zuständigkeiten wurden zusammen-
        geführt; die bisher vom Bund für den SPNV aufgewen-
        deten Mittel wurden auf die Länder übertragen; Länder
        und Aufgabenträger wurden an der Finanzierung betei-
        ligt und der Verkehr wurde für den Wettbewerb geöffnet.
        All dies brachte seit Inkrafttreten des Regionalisie-
        rungsgesetzes zum 1. Januar 1996 eine neue Dynamik in
        die jahrzehntelange statische Eisenbahnlandschaft. Über
        das Regionalisierungsgesetz werden den Ländern umfas-
        sende Finanzmittel aus dem Steueraufkommen des Bun-
        des zur Verfügung gestellt, die sie in erster Linie zur
        Finanzierung der Verkehrsleistungen im SPNV, aber
        auch investiv zur Verbesserung des ÖPNV einsetzen
        können.
        Dennoch ist die Schaffung eines attraktiven ÖPNV
        nicht unabhängig von anderen politisch vereinbarten
        Zielen, wie etwa der Haushaltskonsolidierung zu sehen.
        So wurde durch das Haushaltsbegleitgesetz 2006 vom
        29. Juni 2006 der in der Koalitionsvereinbarung veran-
        kerte Auftrag einer Kürzung der Mittel des Bundes für
        den Nahverkehr umgesetzt.
        Mit der jetzt anstehenden Änderung des Regionali-
        sierungsgesetzes werden die zwischen dem Bund und
        den Ländern im Rahmen der Verabschiedung des Haus-
        haltsbegleitgesetzes (HBeglG) 2006 am 16. Juni 2006
        vereinbarten Eckpunkte umgesetzt. Die mit dem Haus-
        haltsbegleitgesetz 2006 vorgenommenen Kürzungen
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12935
        (A) (C)
        (B) (D)
        der Regionalisierungsmittel (im Zeitraum 2006 bis 2009
        ergab sich daraus eine Minderung der Regionalisie-
        rungsmittel für die Länder von insgesamt rund 2,3 Mil-
        liarden Euro) sollen so teilweise kompensiert werden.
        Die Belastung wird dadurch um rund 500 Millionen
        Euro vermindert und es wird eine Dynamisierungslinie
        für die Regionalisierungsmittel eingeführt.
        Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung
        setzt diese Vorgaben um: Die Länder werden im Jahr
        2008 Regionalisierungsmittel in Höhe von 6 675,0 Mil-
        lionen Euro aus dem Mineralölsteueraufkommen des
        Bundes erhalten. Ab dem Jahr 2009 wird dieser Betrag
        dynamisiert und steigt jährlich um 1,5 vom Hundert. Die
        jährlichen Beträge werden im Sinne einer verlässlichen
        Planungsgrundlage bis 2014 festgelegt.
        Im Jahr 2014 ist eine erneute Überprüfung der Höhe
        der Mittel und der Finanzierungsquelle mit Wirkung ab
        dem Jahr 2015 vorgesehen. Darüber hinaus sollen die
        Länder dem Bund jährlich die Verwendung der Mittel je-
        weils nach gemeinsam vereinbarten Kriterien transpa-
        rent darstellen.
        Mit diesen Neuregelungen wird die Finanzierungs-
        grundlage für den öffentlichen Personennahverkehr auch
        weiterhin gesichert. Gleichzeitig wird in geeigneter
        Form und unter Beachtung der verfassungsrechtlichen
        Vorgaben des Artikels 106 a Grundgesetz Transparenz
        über die Verwendung der Mittel hergestellt. Die Bundes-
        regierung will mit dieser Gesetzesänderung die Voraus-
        setzungen dafür schaffen, dass die Erfolgsgeschichte der
        Regionalisierung weitergeht.
        Anlage 20
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung:
        – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der
        gesetzlichen Berichtspflichten im Zuständig-
        keitsbereich des Bundesministeriums für
        Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
        cherschutz
        – Beschlussempfehlung und des Bericht: Neu-
        ordnung des Berichtswesens
        (Tagesordnungspunkt 29 a und b)
        Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): „Totgesagte leben
        länger.“ Dieser Spruch gilt im übertragenen Sinne auch
        für das Landwirtschaftsgesetz von 1955. Mit vereinten
        Kräften der Koalition und durch den entschiedenen
        Widerstand der SPD-Fraktion mit entsprechender Unter-
        stützung der CDU-Kollegen ist es uns gelungen, Minis-
        ter Seehofer davon zu überzeugen, das Landwirtschafts-
        gesetz nicht abzuschaffen. Wir machen in der heutigen
        Plenardebatte zunächst einen wichtigen Schritt in
        Richtung Entbürokratisierung des Berichtswesens des
        BMELV. Auf der Basis des Entschließungsantrags aus
        dem Sommer dieses Jahres werden wir mit der jetzigen
        Regelung unnütze Bürokratiekosten vermeiden und
        gleichzeitig die Möglichkeit schaffen, die Informations-
        bereitstellung effektiver zu gestalten. Der Agrarbericht
        inklusive seines forstwirtschaftlichen Teils und der Tier-
        schutzbericht werden in Zukunft nur noch alle vier Jahre
        vorgelegt werden.
        Ich teile die Kritik des nationalen Normenkontrollaus-
        schusses: Der bisherige Aufwand zur Berichterstellung
        steht in keinem angemessenen Verhältnis zum Informa-
        tionsgehalt. Vielfach sind bereits vor der Veröffentlichung
        des Agrarberichtes oder des Tierschutzberichtes aktuellere
        Daten und entsprechende Bewertungen dieser Daten aus
        anderen Quellen verfügbar. Diese Kritik gilt im Übrigen
        auch für Berichte in anderen Politikfeldern.
        Das vorliegende Gesetz macht auch Sinn angesichts
        der enormen Weiterentwicklung der technischen Mög-
        lichkeiten zur Informationsaufbereitung und -bereitstel-
        lung. Innerhalb der letzten Jahre sind in allen Bereichen
        des täglichen Lebens durch das Internet neue und umfas-
        sende Informationsmöglichkeiten geschaffen worden.
        Diese Entwicklung hat sich auch im Verantwortungsbe-
        reich des BMELV vollzogen. Als Ergebnis kann heute
        jede Bundesbürgerin und jeder Bundesbürger auf ein
        breites und aktuelles Informationsangebot und die dazu-
        gehörigen Daten zu allen wichtigen Themenbereichen
        der Agrar- und Verbraucherpolitik zugreifen. Dieses An-
        gebot beschränkt sich dabei nicht nur auf originäre In-
        halte aus dem Kernbereich der Agrar-, Verbraucher- und
        Tierschutzpolitik. Es wird ergänzt durch eine Vielzahl
        zusätzlicher Informationen wie zum Beispiel der ZMP,
        des Bundesinstituts für Risikobewertung oder auch des
        Friedrich-Loeffler-lnstituts, um nur einige Beispiele zu
        nennen. So werden schon heute die gesetzlichen Infor-
        mationspflichten des Bundesministeriums durch viele
        weitere Informationsquellen ergänzt und vervollständigt.
        Aktuelle Markt- und Strukturdaten, die für die For-
        schung und Wissenschaft relevant sind, sind jederzeit und
        überall abrufbar. Darüber hinaus informiert das Bundes-
        ministerium die Abgeordneten des Deutschen Bundesta-
        ges durch aktuelle Berichte sowie durch schriftliche und
        mündliche Antworten auf parlamentarische Anfragen. So-
        mit haben die bisherigen Routineberichte in Papierform
        weitgehend ihren ursprünglichen Zweck verloren, und die
        Verlängerung der Veröffentlichungsintervalle ist somit ge-
        rechtfertigt.
        Selbstverständlich wird es nicht, wie die Opposition
        behauptet, unweigerlich zu einer Abwertung der genann-
        ten Politikbereiche kommen. Die Änderungen im Be-
        richtswesen des BMELV werden auch nicht dazu führen,
        wie die Kollegin Behm im Ausschuss behauptet hat,
        dass wir ab sofort nur noch alle vier Jahre über Agrar-,
        Forst- oder Tierschutzpolitik sprechen werden. Ich bin
        sicher, dass wir als Parlamentarier in Zukunft auf der
        Grundlage eigener Anträge ausreichend Gelegenheit fin-
        den werden, zur aktuellen Agrar- und Tierschutzpolitik
        zu debattieren.
        Der vorliegende Gesetzentwurf kann nur im Zusam-
        menhang mit dem heute zu beschließenden Entschlie-
        ßungsantrag der Koalition gesehen werden. Er bestimmt
        den Rahmen der zukünftigen Berichterstattung und ent-
        hält zwei wichtige Prüfaufträge an die Bundesregierung,
        die in einem zweiten Schritt konsequent umgesetzt
        12936 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        werden müssen. Es gilt, die Agrarpolitik grundsätzlich
        neu auszurichten. Sie muss zum integralen Bestandteil
        einer nachhaltigen Politik für den ländlichen Raum wer-
        den. Die Entwicklung des Landwirtschaftsgesetzes zu
        einem modernen Landwirtschaftsgesetzbuch kann dafür
        wesentliche Voraussetzungen schaffen.
        Jeder von uns weiß, dass sich die Agrarpolitik mit ih-
        rem Anspruch als eigenständiges Politikfeld in unserer
        Gesellschaft ständig neu legitimieren muss. Die natio-
        nale wie auch die internationale Agrarpolitik stehen da-
        bei vor tiefgreifenden Herausforderungen.
        Ich nenne nur drei Beispiele, um zu verdeutlichen,
        was uns erwartet: erstens die Zunahme der Weltbevöl-
        kerung um drei Milliarden Menschen bis zum Jahr
        2050, für die es gilt, die Versorgung mit hochwertigen
        Lebensmitteln sicherzustellen; zweitens der Beitrag,
        den die Landwirtschaft und somit auch die Agrarpolitik
        in Hinblick auf die Herausforderungen des weltweiten
        Klimawandels leisten muss; drittens wird sich der
        Strukturwandel in den landwirtschaftlichen Betrieben
        unvermindert fortsetzen, sodass wir spätestens für das
        Jahr 2020 nur noch von 100 000 Vollerwerbsbetrieben
        ausgehen müssen.
        Angesichts dieser Herausforderungen darf sich
        Agrarpolitik heute nicht mehr als Klientelpolitik verste-
        hen. Für Sozialdemokraten steht der Mensch im Vorder-
        grund der Politik. Daraus leitet sich auch die Zielbestim-
        mung für eine sozialdemokratische Agrarpolitik ab, die
        zukünftig integraler Bestandteil einer Politik für die Ent-
        wicklung ländlicher Räume und die dort lebenden und
        arbeitenden Menschen sein wird. Agrarpolitik muss neu
        gedacht und definiert werden. Das heißt, dass wir die
        Agrarpolitik als Querschnittspolitik denken müssen, die
        viel stärker mit der Beschäftigungspolitik, der Infra-
        strukturpolitik aber auch der Umweltpolitik verzahnt
        wird. Im Hinblick auf den multifunktionalen Charakter
        ländlicher Räume wird die Landwirtschaft dann das
        starke Rückgrat im ländlichen Raum bilden. Es heißt
        Abschiednehmen vom allseits so geliebten Förder- und
        Subventionsmodellen wie zum Beispiel der Flächenprä-
        mie. Niemand in dieser Gesellschaft hat ein ererbtes An-
        recht auf dauerhafte Zahlungen aus dem Steuersack. Es
        gilt, die Rahmenbedingungen für die Agrarpolitik so zu
        gestalten, dass die Bewertung und Honorierung der Leis-
        tungen einer wettbewerbsorientierten Landwirtschaft im
        Vordergrund stehen. Nur so lässt sich Agrarpolitik auch
        langfristig legitimieren. Daher hat der im Entschlie-
        ßungsantrag formulierte Prüfauftrag an das BMELV für
        mich besondere Bedeutung. Für die Weiterentwicklung
        des Landwirtschaftsgesetzes zum Landwirtschaftsge-
        setzbuch habe ich den politischen Rahmen bereits skiz-
        ziert. Konkret bedeutet dies, dass wir die Vorgaben so
        gestalten, dass die Wertschöpfung und die Arbeitsplätze
        im ländlichen Raum ausgebaut, die soziale Absicherung
        der in der Landwirtschaft Tätigen angemessen berück-
        sichtigt, die Innovations- und Wettbewerbskraft der
        Landwirtschaft gefördert und die hohen Qualitäts-, Pro-
        dukt- sowie Tierschutzstandards weiterentwickelt wer-
        den. Ich wünsche mir, dass auch die Grundsätze der gu-
        ten fachlichen Praxis und das die Landwirtschaft
        betreffende Fachrecht zum Bestandteil eines neuen
        Landwirtschaftsgesetzbuches werden. Diese kann auch
        die Arbeit eines neu einzurichtenden Rates für die ländli-
        chen Räume entscheidend erleichtern. Die deutschen
        Landwirte stellen sich den Herausforderungen einer glo-
        balisierten Welt. Dafür müssen wir die politischen Rah-
        menbedingungen schaffen. Ich bitte Sie, daher dem vor-
        liegenden Gesetzentwurf und dem Entschließungsantrag
        zuzustimmen.
        Hans-Michael Goldmann (FDP): Natürlich begrüßt
        die FDP grundsätzlich alle Maßnahmen der Bundes-
        regierung, die dazu führen, Bürokratie abzubauen. Doch
        Minister Seehofer neigt dazu, das Kind mit dem Bade
        auszuschütten. Auch die Änderungen beim Fleischge-
        setz wurden uns verkauft als Beitrag zum Bürokratie-
        abbau. Deshalb ist es notwendig, solche Argumente kri-
        tisch zu hinterfragen.
        Unbestreitbar würde es die Verwaltung entlasten,
        wenn sie die vier Berichte, die in die Verantwortung des
        BMELV fallen, nur noch alle vier Jahre anstatt jedes Jahr
        vorzulegen hätte. Und in der Tat, die jährlichen Berichte
        waren nicht zweckdienlich. Doch wir befürchten, dass
        diese Initiative leider wiederum der Geringschätzung des
        Ministers für den Agrarbereich geschuldet ist. Den letz-
        ten Agrarbericht hat Herr Seehofer ja nicht einmal mehr
        selber auf der Bundespressekonferenz vorgestellt.
        Der geplante Zeitraum von vier Jahren für das Be-
        richtswesen im Bereich des BMELV ist zu lang bemes-
        sen. Bei dieser Zeitspanne fehlt die Aktualität von Ent-
        wicklungen. Im ersten Jahr einer Legislaturperiode einer
        neuen Regierung würde man im Wesentlichen auf Zah-
        len der Vorgängerregierung zurückgreifen, und im letz-
        ten Jahr haben wir Wahlkampfzahlen.
        Gerade beim Agrarbericht geht es darum, Tendenzen
        zu erkennen, um politische Weichenstellungen vorneh-
        men zu können. Da hilft dann auch nicht der Verweis
        aufs Internet, denn die Zahlen und Informationen müs-
        sen doch in einen gewichteten sachlichen Zusammen-
        hang gebracht werden. Nehmen wir zum Beispiel die
        Entwicklung der Milch- und Getreidepreise. Diese Ent-
        wicklung hat vor sechs bis neun Monaten in dieser Form
        niemand vorhersehen können. Wir könnten uns nun im
        nächsten Jahr beim nächsten Agrarbericht parlamenta-
        risch mit diesen Entwicklungen beschäftigen und Konse-
        quenzen ableiten. Der Agrarbericht gibt uns einen Auf-
        trag für eine parlamentarische Auseinandersetzung.
        Es gilt, einen Mittelweg zwischen dem Wunsch und
        der Notwendigkeit nach mehr Effizienz und unserem In-
        formationsbedürfnis zu finden. Die FDP hielte deshalb
        einen Zweijahresrhythmus für angemessen. Auch die
        Verbraucherzentrale schlägt für den Bericht zum Ver-
        braucherschutz einen Zeitintervall von zwei Jahren vor.
        Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Seit 1956 er-
        scheint jährlich der Agrarbericht der Bundesregierung
        zur Lage der Landwirtschaft, zur nationalen und interna-
        tionalen Agrarpolitik und zu deren Finanzierung. Die
        Landwirtschaft ist seit jeher ein Wirtschaftssektor mit
        engster politischer Verflechtung. Agrarpolitische Ent-
        scheidungen in Deutschland und Europa prägen wie
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12937
        (A) (C)
        (B) (D)
        kaum ein anderer Faktor das Bild und das Geschehen in
        der Landwirtschaft. Der jährliche Agrarbericht bietet da-
        bei die besondere Möglichkeit, nicht nur die Gesamtbe-
        wertung des Wirtschaftssektors Land- und Agrarwirt-
        schaft in die Betrachtung zu nehmen, sondern auch die
        getroffenen agrarpolitischen Entscheidungen auf natio-
        naler und europäischer Ebene zu bewerten. Sie können
        quasi Rechenschaftsbericht und Frühwarnsystem in ei-
        nem sein.
        Gerade die vergangenen Jahre haben deutlich gezeigt,
        welchen Einfluss die Agrarpolitik auf die wirtschaftliche
        Lage der landwirtschaftlichen Betriebe haben kann. Als
        Beispiel sei die Einführung der Förderung der energeti-
        schen Biomassenutzung genannt. Damit sind völlig neue
        Einkommensmöglichkeiten für landwirtschaftliche Be-
        triebe entstanden. Die politische Entscheidung für Straf-
        steuer und Zwangsbeimischung bei Biokraftstoffen hat
        dagegen diese Quelle gleich wieder zum Rinnsal ge-
        macht. Das zeigt, dass politische Entscheidungen oft
        sehr viel schneller wirken als eine Legislaturperiode
        dauert. Hinzu kommt eine deutliche Dynamisierung der
        Veränderungsprozesse infolge neoliberaler Globalisie-
        rung der Märkte.
        Die Koalition schafft mit dem Gesetzentwurf zur Ver-
        längerung der Berichtszeiträume die Möglichkeit einer
        zeitnahen Bewertung und Diskussion der Agrarpolitik
        schlichtweg ab. Die Linke hält angesichts der hohen Dy-
        namik der Entwicklung ein Zweijahresintervall für die
        Bewertung agrarpolitischer Entscheidungen für eine
        Mindestforderung und lehnt daher den Antrag ab. Es
        gibt viele Gründe, Agrar-, Waldzustands-, Tierschutz-
        und Verbraucherschutzbericht weiter regelmäßig in den
        Fokus öffentlichen Interesses zu stellen. Manche mögen
        denken, dass die Landwirtschaft an Bedeutung verliert.
        Der Agrarbericht selber bringt ja auch Zahlen, die das
        nahelegen mögen. So beträgt der Anteil der Landwirt-
        schaft am Bruttoinlandsprodukt gerade einmal 1 Pro-
        zent, die Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe ist
        rückläufig und die Zahl der in der Landwirtschaft Be-
        schäftigten, und Selbstständigen sinkt kontinuierlich.
        Nur: Eine Reduktion unserer Sicht auf diese volkswirt-
        schaftlichen Kriterien ist falsch.
        Die Erzeugung von Nahrungsmitteln gehört zur De-
        ckung der Grundbedürfnisse des Menschen und bleibt
        damit wesentlich. Die Entwicklung in jüngerer Zeit
        bringt gerade diese Diskussion wieder in eine neue Ak-
        tualität: Durch Klimawandel, die dynamische Entwick-
        lung der sogenannten Schwellenländer, die steigende
        Weltbevölkerung und neue Aufgaben für die Landwirt-
        schaft wie zum Beispiel die Erzeugung von Bioenergie
        wird die Agrarerzeugung im nationalen, europäischen
        und internationalen Kontext sogar wieder wichtiger. Die
        Anzahl potenzieller Krisenfaktoren hat sich deutlich er-
        höht. Dabei sind heute nicht nur die Bedingungen der
        hiesigen Landwirtschaft von Bedeutung, sondern der
        weltweite Kontext. Zudem werden weltweit die sozialen
        und ökologischen Folgen der beschleunigten neolibera-
        len Globalisierung immer deutlicher sichtbar. Mit dem
        Agrarbericht und den weiteren Ressortberichten werden
        die Auswirkungen dieser Prozesse in den Fokus öffentli-
        chen Interesses gerückt. Dieses ist und bleibt eine der
        wichtigsten Funktionen der politischen Berichterstat-
        tung.
        Im Antrag der Koalition wird auf die Datenverfügbar-
        keit aus dem Berichtswesen der Testbetriebe im Internet
        hingewiesen. Für eine reine Expertendiskussion wäre
        das vielleicht ausreichend. Aber genau diese Reduktion
        der Debatte kann nicht unser parlamentarischer Wille
        sein. Für die Linke ist der öffentliche Bezug gerade bei
        der agrarpolitischen Debatte wichtig. Die vor uns liegen-
        den Entscheidungen zur Weiterentwicklung der europäi-
        schen Förderpolitik, zum Umgang mit der Agrogentech-
        nik, zu Vermeidungs- und Anpassungsstrategien auf den
        heute schon spürbaren Klimawandel, zur Entwicklung
        auf den Weltmärkten usw. bedürfen der regelmäßigen
        Bewertung.
        Allerdings sind wir auch der Auffassung, dass die Be-
        richte inhaltlich qualifiziert werden müssen. Zum Bei-
        spiel fehlen aus Sicht der Linken Indikatoren für die Be-
        wertung der sozialen Situation und zur Gleichstellung.
        Ebenfalls sehr sensibel ist in der öffentlichen deutschen
        und auch europäischen Diskussion der Tierschutzbe-
        richt. Die millionenfache Haltung, Züchtung und Nut-
        zung von Tieren in der Landwirtschaft, in der Forschung
        oder in der privaten Hobbyhaltung setzt die Politik in be-
        sondere Verantwortung. Der alle zwei Jahre erschei-
        nende Tierschutzbericht hat bislang effizient dazu beige-
        tragen, das Thema Tierschutz im Blick zu behalten und
        die Diskussion um ihn zu befördern. Hier gilt im Grunde
        dasselbe wie zur Agrarberichterstattung: Dem öffentli-
        che Interesse an der Thematik ist mit einer Verlängerung
        der Abstände der Berichterstattung nicht gedient.
        Das wirkliche Ziel des Gesetzentwurfs liegt auf der
        Hand. Wo keine Berichte sind, da ist kein Anlass zu poli-
        tischen Diskussionen. Aber genau das hält Die Linke für
        den falschen Weg. Wir brauchen gerade auch für die
        Landwirtschaft mehr Debatte in einer größeren gesell-
        schaftlichen Breite. Dazu werden keine Rohdaten im In-
        ternet gebraucht, sondern die Positionierung der Regie-
        rung zur Situation, das mindestens alle zwei Jahre und
        nicht einmal pro Legislatur.
        Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir
        Grüne lehnen die Verlängerung der Berichtsintervalle für
        den Agrar- und Tierschutzbericht sowie für den Waldzu-
        standsbericht auf alle vier Jahre mit aller Entschieden-
        heit ab. Mindestens alle zwei Jahre sollte getrennt über
        die Agrarpolitik, über die Tierschutzpolilik, über die
        Verbraucherschutzpolitik und über den Waldzustand be-
        richtet werden, um der politischen Bedeutung dieser
        Themen gerecht zu werden.
        Der Hauptgrund für unsere Ablehnung ist, dass die
        Verlängerung auf einen vierjährlichen Zyklus diese Poli-
        tikbereiche deutlich schwächen wird. Denn die Berichte
        und die Diskussionen darüber im Bundestag lenken re-
        gelmäßig die Aufmerksamkeit von Politik, Presse und
        Öffentlichkeit auf diese Politikfelder. Agrar-, Tierschutz-
        und Vcrbraucherpolitischer Bericht bieten Politikern und
        der Branche den Anlass, sich regelmäßig mit den Grund-
        satzfragen der Agrar-, der Tierschutz- und der Verbrau-
        cherpolitik auseinanderzusetzen, statt immer nur ein-
        12938 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        zelne Spezialfragen zu bearbeiten. Speziell der
        Agrarbericht bietet die Möglichkeit, der Gesellschaft die
        im Vergleich zu ihrem Anteil am BIP große Bedeutung
        von Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft für gesunde
        Ernährung und den Erhalt der Kulturlandschaft darzule-
        gen.
        Durch die fehlenden jährlichen Berichte werden aber
        zukünftig nicht nur diese Grundsatzdebatten deutlich
        seltener stattfinden. Zukünftig werden auch einfach zu-
        gängliche Daten- und Wissensgrundlagen nicht mehr so
        einfach zur Verfügung stehen, und zwar nicht nur für uns
        Abgeordnete, sondern auch für die Fachöffentlichkeit.
        Die Koalition nennt als Hauptgrund für diese Ein-
        griffe den Abbau von Bürokratie. Dieser Abbau hält sich
        aber in Grenzen, wenn man bedenkt, dass die statisti-
        schen Daten nach wie vor im unveränderten Rhythmus
        erhoben werden müssen. Es wird also vor allem Auf-
        wand bei der Zusammenstellung, Formulierung und der
        Abstimmung der Fakten eingespart. Rechtfertigt dieser
        etwas geringe Aufwand tatsächlich diesen Bedeutungs-
        verlust für die Agrar- und Tierschutzpolitik? Nein, das
        tut er nicht.
        Deswegen muss man annehmen, dass der mit der Ver-
        längerung des Berichtszyklus verbundene Bedeutungs-
        verlust für die Ticrschutzpolilik und für die Verbraucher-
        politik von der Großen Koalition billigend in Kauf
        genommen wird. Warum die Agrarpolitiker der Union
        dies auch für die Agrarpolitik akzeptieren, bleibt mir al-
        lerdings verborgen; denn die so nötige Imageverbesse-
        rung der Landwirtschaft erreicht man dadurch ganz si-
        cher nicht.
        Besonders drastisch wird der Bedeutungsverlust für
        den Waldzustandsbericht sein: Mit seinem Wegfall wird
        auch die Aufmerksamkeit für die Waldschäden in der
        Öffentlichkeit entfallen. Das ist ganz eindeutig; denn
        derzeit findet der Wald ohnehin nur einmal jährlich in
        den Medien statt, nämlich dann, wenn der Waldzu-
        standsbericht vorgelegt wird.
        Die Beseitigung der öffentlichen Aufmerksamkeit für
        die Waldschäden ist aber offensichtlich die wesentliche
        Motivation für den Wegfall der jährlichen Waldzustands-
        berichte. Politisch erwünscht sind im Rahmen der Charta
        für Holz nur noch gute Nachrichten aus dem Wald.
        Schlechte Nachrichten soll die Gesellschaft nicht mehr
        hören. Denn es wird in der Forst- und Holzbranche viel-
        fach befürchtet, dass schlechte Nachrichten über kranke
        Wälder die Zustimmung der Gesellschaft zur sinnvollen
        verstärkten Holznutzung untergraben. Deswegen soll der
        jährliche Waldzustandsbericht weg. Dass sich die große
        Koalition so eindeutig dieser Lobby beugt, ist beschä-
        mend.
        Gravierend ist auch, dass nach dem Willen der Koali-
        tionsfraktionen nicht mehr jährlich über die künftige Ge-
        staltung der GAK berichtet werden soll, sondern dass
        dieser Bericht laut Koalitionsantrag im vierjährlichen
        Agrarbericht aufgehen soll. Allerdings ist dem Gesetz-
        entwurf der Koalition zu entnehmen, dass sich am Zu-
        schnitt des Agrarberichtes nichts ändern wird. Entfällt
        dann die Berichterstattung über die GAK zukünftig
        ganz, oder wird sie, und wenn wie, in den Agrarbericht
        aufgenommen? Ihre Beschlussvorlagen geben dazu
        keine klare Auskunft.
        Ich erinnere daran, dass sich auch Parlamentarier der
        Union im Rahmen der Haushaltsberatungen darüber be-
        klagten, dass der Bundestag zwar jedes Jahr über
        600 Millionen Euro für die GAK bereitstellt, dass der
        Bundestag aber in keiner Weise an den Entscheidungen
        über die konkrete Mittelverwendung beteiligt wird. Wol-
        len Sie jetzt nicht einmal mehr wissen, was mit dem
        Geld gemacht wurde?
        Herr Schirmbeck, Ihre Fraktion will plötzlich dafür
        sorgen, dass dem Bundestag nicht einmal mehr jährlich
        über die Mittelverwendung und über die Veränderungen
        bei den Fördergrundsätzen berichtet wird, und das, ob-
        wohl der PLANAK jedes Jahr über Änderungen der För-
        dergrundsätze entscheidet. Sieht so die Stärkung parla-
        mentarischer Beteiligungsrechte aus?
        Der Koalitionsantrag zur Neuordnung des Berichts-
        wesens im Bereich Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
        braucherschutz ist ein einziger Murks. Er wird durch
        seine gesetzliche Umsetzung nicht besser. Deswegen
        lehnen wir Ihren Antrag und Ihr Gesetz ab.
        Ursula Heinen, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
        minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher-
        schutz: Vereinfachung und Bürokratieabbau sind erklärte
        Ziele der Bundesregierung. Das Bundesministerium für
        Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz setzt
        die entsprechende Vereinbarung des Koalitionsvertrages
        mit dem „Aktionsplan zur Verringerung bürokratischer
        Hemmnisse“ konsequent um.
        Zuerst geht es uns dabei um Erleichterungen für
        Landwirte und Unternehmen. Zusätzlich überprüfen wir
        Routinevorgänge in der Verwaltung. Dabei hinterfragen
        wir sowohl die Notwendigkeit als auch die Art und
        Weise des Vollzugs unseres Verwaltungshandelns.
        Ein wichtiger Punkt unseres Aktionsplans ist die
        Straffung und die Konzentration unseres Berichtswe-
        sens. Wir wollen die starre Routine jährlich wiederkeh-
        render Berichte aufbrechen. Hier wird bisher viel Auf-
        wand betrieben – unabhängig davon, ob es überhaupt
        Neues zu berichten gibt.
        Aus diesem Grund hat die Bundesregierung den Ent-
        wurf eines Gesetzes zur Änderung der Berichtspflichten
        im Zuständigkeitsbereich des BMELV vorgelegt.
        Wir verfolgen damit zwei Ziele: Routineberichte soll
        es künftig seltener geben. Dafür werden sie stärker län-
        gerfristige Entwicklungen und Perspektiven aufgreifen.
        Die notwendigen Informationen wollen wir dagegen ak-
        tueller, schneller und sachbezogener zur Verfügung stel-
        len.
        Ein praktisches Beispiel: Der Agrarbericht 2007 do-
        kumentiert die Lage der Landwirtschaft im vorletzten
        Wirtschaftsjahr 2005/2006 und Maßnahmen der Agrar-
        politik für das Jahr 2006. Nach Abstimmung zwischen
        den beteiligten Bundesministerien wurde er am 31. Ja-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12939
        (A) (C)
        (B) (D)
        nuar 2007 beschlossen. Ende Oktober 2007 beriet
        schließlich der federführende Ausschuss darüber.
        Ich glaube, dass dieses Verfahren 1955 – das ist das
        Jahr, in dem erstmals ein entsprechender Bericht dem
        Deutschen Bundestag zugeleitet wurde – angemessen
        war. Den heutigen Anforderungen einer modernen Infor-
        mationsgesellschaft wird diese Art und Weise der Be-
        richterstattung nicht gerecht.
        Die kurzen Berichtsintervalle waren damals sinnvoll,
        denn es standen vergleichsweise wenige andere Informa-
        tionsquellen zur Verfügung. Mit Blick auf die inzwi-
        schen für alle und jederzeit zugänglichen Informationen
        wird hier jedoch eine Arbeit geleistet, deren Nutzen für
        die Interessenten immer geringer geworden ist.
        Die Verwendung älterer – teilweise veralteter – Daten
        mindert die Aktualität der Berichte, schwächt das Inte-
        resse der Öffentlichkeit und verkleinert die Basis für
        Entscheidungen aufgrund der Berichte. Das heißt: Kurze
        Berichtsintervalle führen nicht automatisch zu besserer
        Information.
        Deshalb sieht unser Gesetzentwurf vor, den Agrarbe-
        richt und den Tierschutzbericht im Vierjahresturnus ab-
        zugeben. Wir wissen uns dabei im Einklang mit der
        Mehrheit des Bundestages. Mit dem heute ebenfalls ab-
        zustimmenden Entschließungsantrag erhalten wir den
        Auftrag, auch die anderen Routineberichte unseres Hau-
        ses thematisch zu ordnen und künftig einmal in der Le-
        gislaturperiode herauszugeben.
        Künftig wird das BMELV vier Themenberichte vorle-
        gen. Erstens. Der bisherige Agrarbericht wird sich neben
        der Lage der Landwirtschaft und der Fischerei verstärkt
        den ländlichen Räumen widmen und hierzu auch die
        Mittelverwendung der Gemeinschaftsaufgabe „Agrar-
        struktur und Küstenschutz“ wiedergeben. Zweitens. Für
        den Schwerpunkt „Wald und Forst“ ist ein Gesamtbe-
        richt vorgesehen, in dem auch Informationen zum Wald-
        zustand ihren angemessenen Platz finden werden. Drit-
        tens wird es einen Tierschutzbericht und viertens einen
        verbraucherpolitischen Bericht geben.
        Im Übrigen verweise ich darauf, dass es bisher für ei-
        nen regelmäßig erscheinenden verbraucherpolitischen
        Bericht keine Grundlage gab und diese Lücke jetzt ge-
        schlossen wird.
        In Ergänzung zu den periodischen Berichten wird das
        BMELV in zeitgemäßer Form aktuell und sachbezogen
        informieren, ohne dass Jahrzehnte alte Routinen dabei
        im Weg stehen. Wir werden verstärkt das Internet nut-
        zen, daneben auch Pressemitteilungen und Broschüren.
        Mit diesem Wandel in der Form der Berichterstattung
        können wir schneller auf aktuelle Entwicklungen reagie-
        ren. Sensible Politikfelder mit hoher öffentlicher Wahr-
        nehmung sollen besonders berücksichtigt werden. Hier
        denke ich zum Beispiel an den Tierschutz oder auch den
        Waldzustandsbericht.
        Für uns gilt der Grundsatz: Wenn es etwas zu berich-
        ten gibt, werden wir dies umgehend tun.
        In den Sitzungen der Ausschüsse des Bundestages
        sowie durch parlamentarische Anfragen machen Sie,
        verehrte Kolleginnen und Kollegen, darüber hinaus
        umfassend von Ihrem Auskunftsrecht gegenüber der
        Bundesregierung Gebrauch.
        Die Basis jeder Berichterstattung sind die Erhebun-
        gen und deren Ergebnisse. Diese bleiben von unserem
        Vorhaben unberührt: Im Agrarbereich werden Daten
        auch künftig jährlich erhoben und veröffentlicht, und
        zwar unmittelbar nach der Erhebung.
        Mit der Neuordnung des Berichtswesens können wir
        einen Teil des Personals – übrigens nicht nur im Land-
        wirtschaftsministerium – von jährlich wiederkehrenden
        Routineaufgaben befreien und künftig effektiver einset-
        zen.
        In seiner Stellungnahme hat uns der nationale Nor-
        menkontrollrat seine Auffassung übermittelt, dass der
        derzeitige Aufwand für die Erstellung der Berichte in
        keinem angemessenen Verhältnis zum daraus resultie-
        renden Informationsgehalt steht. Er begrüßt daher die
        Verlängerung der Berichtszeiträume. Mehr noch: Er
        empfiehlt auch anderen Bundesressorts die Überprüfung
        ihres Berichtswesens unter diesem Gesichtspunkt.
        Auch der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme den
        Ansatz begrüßt, mit der Neuordnung des Berichtswesens
        den Verwaltungsaufwand zu verringern und in den Rou-
        tineberichten künftig politisch bedeutsame Zusammen-
        hänge und Entwicklungen zu betrachten.
        Zusammengefasst lässt sich sagen: Das Gesetz dient
        dem Bürokratieabbau, ohne dass die Transparenz dabei
        verlorengeht. Daher bitte ich Sie um Ihre Zustimmung.
        Anlage 21
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und
        anderer Vorschriften des Sozialen Entschädi-
        gungsrechts (Tagesordnungspunkt 31)
        Max Straubinger (CDU/CSU): Wir behandeln hier
        und heute in zweiter und dritter Lesung den Entwurf
        eines Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsge-
        setzes und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädi-
        gungsrechts der Bundesregierung.
        Kernpunkte des Gesetzentwurfs sind: die Schaffung
        einer materiellen Ermächtigungsgrundlage zum Erlass
        einer Rechtsverordnung in § 30 des Bundesversorgungs-
        gesetzes, auf deren Grundlage die „Anhaltspunkte für
        die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädi-
        gungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“,
        kurz AHP genannt, zukünftig ohne verfassungsrechtli-
        che Bedenken erlassen werden können; der Ausdruck
        „Minderung der Erwerbsfähigkeit“, MdE, wird durch die
        Bezeichnung „Grad der Schädigungsfolgen“, GdS, er-
        setzt, der aus sich heraus das Kausalitätserfordernis zwi-
        schen der Schädigung und dem zu entschädigenden Ge-
        sundheitsschaden deutlich macht; Änderung im Bereich
        12940 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        der Kriegsopferfürsorge, die überwiegend bereits Ein-
        gang in die Praxis gefunden hat; Änderung im Bereich
        der Heil- und Krankenbehandlung; Umsetzung der not-
        wendigen Korrekturen und Anpassungen im Sozialen
        Entschädigungsrecht und in Gesetzen, die auf das So-
        ziale Entschädigungsrecht unmittelbar Bezug nehmen.
        Bei den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertä-
        tigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem
        Schwerbehindertenrecht, AHP, handelt es sich nach der
        Rechtsprechung um antizipierte Sachverständigengut-
        achten, die im Einzelfall nicht widerlegbar sind. Den-
        noch existierte bisher keine gesetzliche Ermächtigungs-
        grundlage sowohl für die AHP selbst als auch für die
        Organisation, das Verfahren und die Zusammensetzung
        des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim BMAS,
        das dieses Regelwerk erarbeitet und ständig überprüft.
        Dies rügte mehrmals auch die höchstrichterliche Recht-
        sprechung. Mit der Änderung des Bundesversorgungsge-
        setzes kommt die Bundesregierung dieser Forderung nun
        endlich nach.
        Beim zweiten Kernschwerpunkt ist die Änderung in-
        sofern nötig, da der Begriff „Minderung der Erwerbsfä-
        higkeit“, MdE, der im Sozialen Entschädigungsrecht zur
        Feststellung des schädigungsbedingten Gesundheits-
        schadens verwendet wird, irreführend ist und dort, wie
        auch im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung,
        wo er ebenfalls verwendet wird, von den Betroffenen
        oftmals falsch verstanden wird.
        Dieser Ausdruck würde nämlich aus sich heraus und
        ohne nähere Erläuterung auch nichtursächliche Gesund-
        heitsschäden mit umfassen, die nach Sinn und Zweck
        des Sozialen Entschädigungsrechts nicht entschädigt
        werden können. Aus diesem Grunde ist die neue Be-
        zeichnung „Grad der Schädigungsfolgen“, GdS, insbe-
        sondere für die Betroffenen besser gewählt und damit
        verständlicher.
        Auch die Änderung im Bereich der Kriegsopferfür-
        sorge wird der schon jetzt gängigen Praxis angeglichen.
        Beispielsweise werden die Vorschriften zum Einsatz von
        Einkommen und Vermögen Beschädigter, die für ihr
        volljähriges Kind Hilfe zur Pflege oder Eingliederungs-
        hilfe erhalten, an die Vorschrift zur Heranziehung Unter-
        haltspflichtiger angeglichen.
        Beim vorletzten Kernpunkt der Änderung im Bereich
        der Heil- und Krankenbehandlung ergab sich Ände-
        rungsbedarf durch die bis zum Jahre 2004 erlassenen Re-
        formgesetze zur gesetzlichen Krankenversicherung und
        die Änderungen in Gesetzen, die in das Bundesversor-
        gungsgesetz einstrahlen und bis zum Jahre 2005 vorge-
        nommen wurden. Zu nennen ist hier insbesondere die
        Berücksichtigung von Hospizleistungen.
        Vor allem erfüllt dieser Gesetzentwurf die Aufgabe
        der Umsetzung der notwendigen Korrekturen und An-
        passungen im Sozialen Entschädigungsrecht und in Ge-
        setzen, die auf das Soziale Entschädigungsrecht unmit-
        telbar Bezug nehmen. Hier wird nun höchstrichterliche
        Rechtsprechnung in gesetzliche Vorschriften umgesetzt.
        Die vom Bundesrat in seinem Beschluss vom 21. Sep-
        tember 2007 geforderte Streichung von Art. 1 Nr. 48
        Buchstabe b Doppelbuchstabe cc – „Wird Versorgung
        abweichend von § 7 Abs. 2 erbracht, werden mit Zustim-
        mung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales
        ausländische Rentenleistungen aus derselben Ursache
        angerechnet“ – wurde Rechnung getragen. Hier wurden
        vom Bundesrat dazu verfassungsrechtliche und rechts-
        systematische Bedenken angeführt.
        Insgesamt erfüllt dieser Gesetzentwurf die gesteckten
        Ziele bezüglich der Umsetzung der notwendigen Kor-
        rekturen und Anpassungen sowohl im Bundesversor-
        gungsgesetz als auch im Sozialen Entschädigungsgesetz
        und in Gesetzen, die auf das Soziale Entschädigungs-
        recht unmittelbar Bezug nehmen. Insofern stimmt die
        Fraktion CDU/CSU dem Entwurf eines Gesetzes zur
        Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer
        Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts der
        Bundesregierung zu.
        Anton Schaaf (SPD): Wir beraten heute abschlie-
        ßend über zahlreiche Änderungen des Bundesversor-
        gungsgesetzes und anderer Vorschriften. Mit den vorgese-
        henen Regelungen wird das Soziale Entschädigungsrecht
        konsequent weiterentwickelt. So organisieren wir den
        nötigen sozialen Ausgleich, um Menschen zu befähigen,
        ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Dies ist eine un-
        serer grundlegenden Aufgaben. Dieser Aufgabe stellen
        wir uns mit dem zur Beratung stehenden Gesetzentwurf.
        Im Wesentlichen schaffen wir eine demokratisch legi-
        timierte Grundlage für die medizinische Begutachtung
        im Bereich des Sozialen Entschädigungsrechts und des
        Schwerbehindertenrechts. Zugleich führen wir den Be-
        griff „Grad der Schädigungsfolgen“ ein. Damit erfolgt
        eine Präzisierung des Bundesversorgungsgesetzes. Da-
        rüber hinaus enthält der Gesetzentwurf eine Reihe weite-
        rer notwendig gewordener Gesetzesänderungen, die von
        eher redaktioneller Natur sind.
        Das Gesetz verankert rechtlich die Vorlage der
        Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im So-
        zialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehin-
        dertenrecht, AHP. Bundesverfassungsgericht und Bun-
        dessozialgericht haben mehrfach die Schaffung solch
        einer materiellen Rechtsgrundlage gefordert. Bisher
        fehlt diese für die sogenannten Anhaltspunkte als auch
        für das Verfahren zu deren Erarbeitung. Auch die Zu-
        sammensetzung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats
        beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales, des
        Expertengremiums, das dieses Regelwerk erarbeitet und
        ständig überprüft, ist bislang nicht gesetzlich geregelt.
        Das wird nun durch die Änderung des Bundesversor-
        gungsgesetzes und den Verweis im Schwerbehinderten-
        recht, im SGB IX, erreicht.
        Auf dieser Basis wird das Bundesministerium für Ar-
        beit und Soziales dann kurzfristig den Entwurf einer
        Rechtsverordnung erarbeiten, auf deren Grundlage die
        Anhaltspunkte laufend nach medizinisch-wissenschaftli-
        chen Kriterien zu überprüfen und zu aktualisieren sind.
        Diese Aufgabe wird der neu gegründete Medizinische
        Sachverständigenbeirat übernehmen.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12941
        (A) (C)
        (B) (D)
        Für die Betroffenen wird sich also zunächst nichts än-
        dern. Inhaltliche Änderungen wird es nur mit neuen wis-
        senschaftlichen Erkenntnissen in der Medizin geben.
        Daneben sorgen wir mit dem vorliegenden Gesetzent-
        wurf für eine begriffliche Klarstellung im Bereich der
        Sozialen Entschädigung. Der bisher verwendete Begriff
        „Minderung der Erwerbsfähigkeit“ führt in der Praxis
        immer wieder zu Missverständnissen.
        Kinder, die Opfer von Gewalt geworden sind, oder
        Kriegsopfer, die sich heute im Rentenalter befinden, sind
        kaum über ihre Erwerbsfähigkeit zu beurteilen, da sie
        schon aufgrund ihres Alters noch nicht oder nicht mehr
        erwerbsfähig sind.
        Darum führen wir den Begriff „Grad der Schädi-
        gungsfolgen“ ein. Damit haben wir für den Bereich des
        Sozialen Entschädigungsrechts eine deutlich zutreffen-
        dere Bezeichnung als bisher. Der Begriff „Grad der
        Schädigungsfolgen“ soll aber vor allem verdeutlichen,
        dass ein Gesundheitsschaden direkt aus einer Schädi-
        gung herrühren muss, um in diesem Rahmen Entschädi-
        gungsansprüche zu begründen. Es geht uns also allein
        um eine begriffliche Klarstellung. Substanziell ändert
        sich an der bisherigen Bewertung gesundheitlicher Schä-
        digungsfolgen nichts. Darüber hinaus werden einige
        Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts an den
        veränderten Sprachgebrauch angepasst. Außerdem ha-
        ben sich aufgrund von Änderungen in anderen Gesetzen
        einige redaktionelle Änderungen ergeben.
        Des Weiteren werden Rechtsfortentwicklungen durch
        höchstrichterliche Rechtsprechung, die bereits in der
        Praxis umgesetzt werden, nun auch in die Vorschriften
        des Sozialen Entschädigungsrechts eingefügt. Dies be-
        trifft vor allem die Kriegsopferfürsorge.
        Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme den Ge-
        setzentwurf grundsätzlich begrüßt. Allerdings hat er an
        einer Stelle verfassungsrechtliche und rechtssystemati-
        sche Einwendungen erhoben. Dabei geht es um die An-
        rechnung ausländischer Rentenleistungen. Die Bundes-
        regierung hat in ihrer Gegenäußerung zugesagt, die
        Einwendungen des Bundesrates zu überprüfen. Bisher
        konnte allerdings kein Einvernehmen erzielt werden.
        Die Bedenken des Bundesrates konnten nicht vollständig
        ausgeräumt werden.
        Darum haben wir die betreffende Vorschrift aus dem
        vorliegenden Gesetzesvorhaben herausgenommen. Wir
        können nun davon ausgehen, dass eine Anrufung des
        Vermittlungsausschusses und damit eine Verzögerung
        der unstrittigen Teile nicht mehr notwendig ist. Außer-
        dem wurden im Ausschuss einige redaktionelle Korrek-
        turen im Bereich des SGB IX vorgenommen.
        Jörg Rohde (FDP): Der heute zur Abstimmung ste-
        hende Gesetzentwurf enthält zahlreiche Vorschläge zu
        Verbesserungen und Klarstellungen im Bundesversor-
        gungsgesetz und im Sozialen Entschädigungsrecht. Die
        FDP-Bundestagsfraktion begrüßt diese notwendigen
        Korrekturen und unterstützt deshalb den Gesetzentwurf.
        Mit dem Gesetzentwurf wird eine Vielzahl leistungs-
        rechtlicher Klarstellungen im Bundesversorgungsgesetz
        erreicht. So werden zum Beispiel Brillengläser und Kon-
        taktlinsen für Geschädigte ersetzt, wenn diese gerade
        schädigungsbedingt eine Sehhilfe benötigen. Dies folgt
        aus dem Entschädigungsgedanken und rechtfertigt eine
        Abweichung vom Recht der gesetzlichen Krankenversi-
        cherung.
        Auch wird klargestellt, dass für Entschädigungsleis-
        tungen ambulante Rehabilitationsmaßnahmen möglich
        sein sollen, auch wenn dies im SGB V nicht mehr vorge-
        sehen ist.
        Die FDP begrüßt ferner
        – die Klarstellung, dass bei Behandlung Beschädigter
        auch die Reisekosten getragen werden. Dies ent-
        spricht der gegenwärtigen Verwaltungspraxis,
        – die Sicherstellung, dass Kriegsopferfürsorgeberech-
        tigte, die ihr Einkommen zur Bedarfsdeckung einzu-
        setzen haben, in Hinblick auf die Einkommensgrenze
        nicht schlechter dastehen als Leistungsberechtigte
        nach SGB XII (§ 85, 5. bis 9. Kapitel SGB XII),
        – dass sichergestellt wird, dass die Regelungen über
        den zusätzlichen Barbetrag auch für Empfänger von
        Entschädigungsleistungen gelten,
        – dass die Vorschriften zur Waisenrente im Entschädi-
        gungsrecht hinsichtlich der Gewährung über das
        18. Lebensjahr hinaus, was die Anrechnung von Ein-
        kommen und Vermögen betrifft, an das Recht der
        Unfall- und Rentenversicherung angeglichen wer-
        den.
        Weiterhin wird im Bundesversorgungsgesetz der Be-
        griff „Grad der Erwerbsminderung“ durch den Begriff
        „Grad der Schädigungsfolgen“ ersetzt. Die FDP begrüßt,
        dass dadurch die Schädigung als Ursache für den Erhalt
        von Entschädigungsleistungen deutlicher als bisher ge-
        macht wird.
        Daneben enthält der Gesetzentwurf eine wesentliche
        organisatorische Veränderung: Die vom Bundesministe-
        rium für Arbeit und Soziales, BMAS, herausgegebenen
        „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im
        sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbe-
        hindertenrecht“, AHP, werden auf eine gesetzliche
        Grundlage gestellt. Bisher gibt es für den Erlass der
        AHP keine gesetzliche Grundlage; dies läuft im Rahmen
        des Erlasses von Verwaltungsvorschriften durch das
        BMAS ab. Künftig regelt das Bundesversorgungsgesetz,
        wer an der Erstellung der AHP beteiligt wird und in wel-
        chem Verfahren die Vorschriften erstellt werden.
        Ferner begrüßt die FDP, dass in der Kriegsopferfür-
        sorge die Vorschriften über die Beteiligung von Beiräten
        gestrichen werden. Die Mitwirkung der Beiräte in
        grundsätzlichen Fragen der Kriegsopferfürsorge hat
        heute keine wesentliche Bedeutung mehr, da das BMAS
        hier in Zusammenarbeit mit den Integrationsämtern und
        Hauptfürsorgestellen „Empfehlungen zur Kriegsopfer-
        fürsorge“ herausgegeben hat. Eine Beteiligung der Bei-
        räte beim Erlass von Richtlinien findet nicht mehr statt.
        Für Entscheidungen in Widerspruchsverfahren treten die
        Beiräte bereits heute nur noch selten zusammen, und
        dies ist laut BMAS zeitlich und organisatorisch sehr auf-
        wendig.
        12942 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        Die im Ausschuss beratenen Änderungsanträge der
        Koalitionsfraktionen haben darüber hinaus allerdings er-
        neut gezeigt, dass die Sozialgesetzgebung mittlerweile
        so kompliziert geworden ist, dass selbst das Bundesmi-
        nisterium für Arbeit und Soziales erst mit Jahren Verspä-
        tung bemerkt, dass lange zurückliegende Änderungen in
        den Sozialgesetzbüchern noch immer keinen Eingang in
        die daran anknüpfende Sozialgesetzgebung gefunden ha-
        ben. Exemplarisch sei hier nur die bereits 2006 erfolgte
        Klarstellung des Merkzeichens „B“ genannt, die im
        Bundesversorgungsgesetz noch nicht übernommen war
        und jetzt, mit über einem Jahr Verspätung, nachgeholt
        werden muss. Die FDP ermahnt daher die Bundesregie-
        rung, weiter an der Vereinfachung und Entflechtung der
        Sozialgesetzgebung zu arbeiten. Dem heute vorliegen-
        den Gesetzentwurf stimmt die FDP aber zu.
        Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): Das
        Bundesversorgungsrecht regelt die Versorgung bei Ge-
        sundheitsschäden, für deren Folgen die staatliche Ge-
        meinschaft in Abgeltung eines besonderen Opfers oder
        aus anderen Gründen nach versorgungsrechtlichen
        Grundsätzen einzustehen hat. Kernstück der sozialen
        Entschädigung ist die Kriegsopferversorgung als eines
        der größten Probleme, die von der Bundesrepublik
        Deutschland nach Ende des Zweiten Weltkriegs zu be-
        wältigen waren. Nach dem letzten Sozialbudget-Bericht
        der Bundesregierung beliefen sich die Ausgaben für so-
        ziale Entschädigung auf cirka 3,9 Milliarden Euro – der
        Großteil Einkommensleistungen/Renten, 2,4 Milliarden
        Euro sowie 1 Milliarde Sachleistungen.
        Das vorliegende Änderungsgesetz beinhaltet folgende
        Schwerpunkte:
        Erstens. Das Ausmaß einer auszugleichenden Schädi-
        gung wird nach den „Anhaltspunkten für die ärztliche
        Gutachtertätigkeit“ ermittelt. Diese Anhaltspunkte sind
        in konkreten Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zu be-
        achten. Von verschiedenen Gerichten ist die fehlende de-
        mokratische Legitimation dieser Anhaltspunkte kritisiert
        worden, da ihnen eine gesetzliche Rechtsgrundlage
        fehlte. Der Gesetzentwurf führt nunmehr in das Bundes-
        versorgungsgesetz eine Ermächtigungsgrundlage für
        eine Rechtsverordnung ein, um eine Rechtsgrundlage zu
        schaffen. Eine inhaltliche Änderung erfolgt nicht. Die
        Linke hat hiergegen keine Vorbehalte.
        Zweitens. Der Begriff „Minderung der Erwerbsfähig-
        keit“ wird in dem Zusammenhang des Versorgungs-
        rechts als irreführend interpretiert, da er die Vorausset-
        zungen für den Leistungsbezug nicht erkennbar macht.
        Er wird daher systematisch ersetzt durch den Begriff
        „Grad der Schädigungsfolgen“. Mit der begrifflichen
        Neufassung sind nach der Begründung keine materiellen
        Veränderungen verbunden, insofern kann Die Linke
        auch hier zustimmen.
        Drittens. Hinzu kommen einige weitere Änderungen
        im Bereich der Kriegsopferfürsorge sowie im Bereich
        der Heil und Krankenbehandlung. Dass es dabei auch zu
        einigen – wenn auch kleineren – Verschlechterungen für
        die Betroffenen im Rahmen der stationären Eingliede-
        rungshilfe hinsichtlich der Pflegezulage und im Bereich
        der Heil- und Krankenbehandlung kommt, können wir
        nicht mittragen. Auch die Streichung der Beteiligung
        von Beiräten in der Kriegsopferfürsorge vermögen wir
        nicht nachzuvollziehen. Die Beteiligung von einschlägi-
        gen Verbänden ist ein Stück praktizierte Demokratie,
        welche bewahrt und eher ausgebaut werden sollte.
        Auf diesem Hintergrund kann meine Fraktion ihrem
        Entwurf nicht zustimmen, und wir werden uns enthalten.
        Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der
        Gesetzentwurf der Bundesregierung ist im Großen und
        Ganzen vernünftig, da er viele gesetzliche Klarstellun-
        gen schafft. Durch eine Verordnungsermächtigung wird
        eine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die „An-
        haltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im
        Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbe-
        hindertenrecht“, AHP, geschafft. Dies fordert die höchst-
        richterliche Rechtsprechung seit langem. Die Bundes-
        regierung plant des Weiteren, den neuen Rechtsbegriff
        „Grad der Schädigungsfolgen“, GdS, einzuführen. Dies
        soll den bisher geltenden Begriff „Minderung der Er-
        werbsfähigkeit“, MdE, ablösen. Die MdE beschreibt den
        Grad der Funktionsbeeinträchtigung in Prozent. Mit dem
        Begriff „Grad der Schädigungsfolgen“ soll künftig im
        Sozialen Entschädigungsrecht deutlich gemacht werden,
        dass das Bundesversorgungsgesetz, BVG, „keinen umfas-
        senden Ersatz aller Gesundheitsschäden anstrebt und zu-
        dem auch nicht nur auf das Erwerbsleben beschränkt ist“.
        Er soll künftig die Auswirkungen von Funktionsbeein-
        trächtigungen in allen Lebensbereichen abdecken und
        nicht nur die Einschränkungen im Erwerbsleben. Darüber
        hinaus setzen wir mit dem Gesetzentwurf die notwendi-
        gen Korrekturen und Anpassungen im Sozialen Entschä-
        digungsrecht und in Gesetzen, die auf das Soziale Ent-
        schädigungsrecht Bezug nehmen, um.
        Ich möchte Ihnen nun aber kurz erklären, warum die
        Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen dem Ge-
        setzentwurf trotz seiner vielen Verbesserungen nicht zu-
        stimmen kann: Die Bundesregierung versäumt es zum
        wiederholten Male, eine grundsätzliche und einheitliche
        Diskussion über die Feststellung einer Behinderung vor-
        zunehmen. Der Behinderungsbegriff muss konsequent
        nach der „Internationalen Klassifikation von Funk-
        tionseinschränkungen und Behinderungen“, ICF, be-
        stimmt werden. Diese unterscheidet Schädigungen, Ak-
        tivitätseinschränkungen und Partizipationsverluste, die
        im Wechselverhältnis von Funktionsverlusten und Kon-
        textfaktoren entstehen. Der Behinderungsbegriff der ICF
        ist allgemeiner und umfassender als der Begriff gemäß
        § 2 Abs. 1 Sozialgesetzbuch IX. Wird der allgemeine
        Behinderungsbegriff der ICF verwandt, sollte daher auch
        besser von einer „Beeinträchtigung der funktionalen Ge-
        sundheit“ gesprochen werden. Diese Definition folgt
        dem Geist der UN-Konvention zu den Rechten von
        Menschen mit Behinderungen. In einer Übersetzung
        vom 16. Februar 2007 ist der Personenkreis von „Men-
        schen mit Behinderungen“ in Art. 1 der Konvention wie
        folgt definiert: „Der Begriff ,Menschen mit Behinderun-
        gen‘ umfasst Menschen mit langfristigen körperlichen,
        seelischen, geistigen oder Sinnesschädigungen, die sie
        im Zusammenwirken mit verschiedenen Barrieren daran
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12943
        (A) (C)
        (B) (D)
        hindern können, gleichberechtigt mit anderen uneinge-
        schränkt und wirksam an der Gesellschaft teilzuneh-
        men.“
        Infolge unterschiedlicher Behinderungsbegriffe in
        den verschiedenen Büchern des Sozialgesetzbuches
        kommt es darüber hinaus zu enormen Schnittstellenpro-
        blemen. So knüpft der Behinderungsbegriff des III. Bu-
        ches Sozialgesetzbuch zwar grundsätzlich an die Defini-
        tion des IX. Buches Sozialgesetzbuch an, nimmt aber
        zusätzlich Bezug auf die Teilhabefähigkeit am Arbeitsle-
        ben und zieht ausdrücklich den Personenkreis der Men-
        schen mit sogenannten Lernbehinderungen ein. Zwar
        wird in den Büchern II, V und VI des Sozialgesetzbu-
        ches ein Behinderungsbegriff verwandt, dieser wird aber
        weder nach Art noch nach Schwere der Behinderung nä-
        her konkretisiert. Ähnliche Schwierigkeiten finden wir
        in den Büchern VIII, XI und XII Sozialgesetzbuch vor.
        Zurzeit sind noch keine einheitlichen erprobten In-
        strumente zur Einschätzung und Bewertung einer indivi-
        duellen Situation entsprechend der ICF vorhanden. Im
        Rahmen der Beschäftigung mit den „Anhaltspunkten für
        die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädi-
        gungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“
        hätte parallel mit dem Prozess der Umsetzung der UN-
        Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinde-
        rungen ebensolche Instrumente diskutiert und entwickelt
        werden müssen. Es müssen ferner, ähnlich wie beim
        Pflegebedürftigkeitsbegriff, endlich finanzielle Ressour-
        cen zur Verfügung gestellt werden, um auch einen Be-
        hinderungsbegriff entsprechend der ICF zu entwickeln.
        Da all die von mir genannten Punkte in dem vorlie-
        genden Gesetzentwurf nicht einmal andiskutiert werden,
        können meine Fraktion und ich dem Gesamtpaket – trotz
        überwiegend zu begrüßender Veränderungen – nicht zu-
        stimmen. Unser Votum lautet: Enthaltung.
        Anlage 22
        Zu Protokoll gegebene Rede
        zur Beratung:
        – Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Ände-
        rung des Gentechnikgesetzes
        – Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Ände-
        rung des EG-Gentechnik-Durchführungs-
        gesetzes
        – Antrag: Kennzeichnung gentechnikfreier
        Fütterung bei tierischen Produkten ermögli-
        chen
        – Antrag: Schutz von Mensch, Umwelt und
        gentechnikfreier Produktion im Gentechnik-
        recht bewahren
        (Tagesordnungspunkt 32 a und b und Zusatz-
        tagesordnungspunkte 9 und 10)
        Dr. Max Lehmer (CDU/CSU): Problem und Ziel des
        Entwurfes der Bundesregierung eines Vierten Gesetzes
        zur Änderung des Gentechnikgesetzes lauten wie folgt:
        Das deutsche Gentechnikrecht ist so auszugestalten,
        dass Forschung und Anwendung der Gentechnik in
        Deutschland befördert werden. Der Schutz von Mensch
        und Umwelt bleibt, entsprechend dem Vorsorgegrund-
        satz, oberstes Ziel des Gentechnikrechts. Die Wahlfrei-
        heit der Landwirte sowie der Verbraucher und die
        Koexistenz der unterschiedlichen Bewirtschaftungsfor-
        men bleiben gewährleistet. Diese sind die unumstritte-
        nen Ziele bei der Gestaltung der rechtsverbindlichen Be-
        dingungen für Forschung und Anwendung der Grünen
        Gentechnik.
        Das Dritte Gesetz zur Änderung des Gentechnikge-
        setzes wurde am 17. März 2006 erlassen und damit die
        ordnungsgemäße Umsetzung der Freisetzungsrichtlinie
        2001/18/EG vorgenommen. In der Zwischenzeit wurden
        zahlreiche Expertengespräche und Anhörungen aller be-
        teiligten Interessensgruppen durchgeführt, mit dem Ziel,
        den einzelnen Interessenlagen gerecht zu werden. Auf
        dieser Grundlage wurde das Eckpunktepapier durch das
        Bundeskabinett verabschiedet, auf dessen Basis die wei-
        tere Novellierung des Gentechnikgesetzes vorbereitet
        wurde. Der vor uns liegende Gesetzentwurf ist ein politi-
        scher Kompromiss.
        Lassen Sie mich kurz die vier – aus meiner Sicht –
        zentralen Punkte bei der anstehenden Novellierung des
        Gentechnikrechts ansprechen:
        Erstens. Die Kennzeichnung. Die umfassende Kenn-
        zeichnung ist die Grundlage für Transparenz und damit
        die Voraussetzung einer vollen Wahlfreiheit. Die jetzt
        vorgesehene Kennzeichnung „Ohne Gentechnik“ wird
        meines Erachtens diesen bisher gesetzten Zielen einer
        vollständigen und alle Produktionsstufen umfassenden
        Kennzeichnung keinesfalls gerecht. Die volle Wahlfrei-
        heit für den Verbraucher wäre damit nicht gewährleistet.
        Ich plädiere für eine prozessorientierte Kennzeichnung,
        bei der der Einsatz jedweder gentechnisch veränderter
        Organismen, also auch von Mikroorganismen, Enzymen
        oder Tierarzneimitteln, bei der Herstellung von Lebens-
        mitteln Berücksichtigung findet.
        Zweitens. Anbauabstände. In dem aktuell gültigen
        Gentechnikrecht sind Anbauabstände nicht festgelegt.
        Anbauabstände bilden jedoch einen wichtigen Baustein
        für den praktischen Anbau gentechnisch veränderter
        Pflanzen und damit auch für ein geregeltes Nebeneinan-
        der verschiedener Anbausysteme – der Koexistenz.
        Ausreichende Abstände dienen dazu, Haftungsfälle
        möglichst auszuschließen. Allerdings stellen die vorlie-
        genden Abstände von 150 Meter bzw. 300 Meter rein
        politische Werte dar. Sie basieren leider nicht auf wis-
        senschaftlichen Erkenntnissen. Dagegen haben Wissen-
        schaft und Forschung durch Ihre Versuche einen Anbau-
        abstand von 50 Meter wiederholt als absolut ausreichend
        belegt.
        Ein solches Vorgehen sollte keinesfalls für künftige
        Festlegungen von Abstandwerten zur Regel werden.
        Vielmehr sind neue Erkenntnisse aus den vielen laufen-
        den und geplanten Versuchen als Grundlage zu verwen-
        den.
        12944 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        Sehr zu begrüßen ist die im Entwurf vorgesehene
        Möglichkeit für Landwirte, untereinander Absprachen
        zur Reduzierung der Abstände zu treffen. Dies ist eine
        praktikable Möglichkeit, Haftungsfälle von vornherein
        auszuschließen und das Nebeneinander einvernehmlich
        zu regeln.
        Drittens. Standortregister. Wichtig ist: Wir stehen zur
        Transparenz des GVO-Anbaus. Gesetzlich erlaubter und
        nach den Regeln der guten fachlichen Praxis erfolgter
        Anbau ist legitim und muss nicht verborgen werden. An-
        dererseits gewinnt die Frage nach dem Schutz geneh-
        migter Anbau- und Versuchsflächen aufgrund der erheb-
        lichen Zunahme von Feldzerstörungen eine immer
        größere Bedeutung.
        Die sich leider häufenden Feldzerstörungen verursa-
        chen erhebliche Kosten für Unternehmen und For-
        schungsinstitute und vernichten wissenschaftliche Er-
        kenntnisse. Sie sind deshalb scharf zu verurteilen.
        Freilandversuche sind unverzichtbar und dienen der
        wichtigen Erkenntnisfindung über die ökologischen
        Auswirkungen des GVO-Anbaus. Praktikable Maßnah-
        men zur Vermeidung solcher Zerstörungen sind unum-
        gänglich und umgehend zu entwickeln.
        Viertens. Haftung. Der Entwurf des Vierten Gesetzes
        zur Änderung des Gentechnikgesetzes sieht keine Ände-
        rung der Haftungsregelungen vor. Das ist das Ergebnis
        eines von Bundesminister Seehofer durchgeführten
        Fachgesprächs mit Experten aus Wissenschaft, Recht-
        sprechung und den Bundesministerien.
        Das Haftungsrecht darf nicht dazu führen, dass Land-
        wirte von einem Anbau zugelassener und als sicher be-
        werteter gv-Pflanzen abgeschreckt werden. Wichtig ist
        in diesem Zusammenhang die Definition des Scha-
        densereignisses. Ein solches liegt erst dann vor, wenn
        durch Auskreuzung einer gv-Pflanze gentechnisch-ver-
        änderte Pflanzenanteile oberhalb des Schwellenwertes
        von 0,9 liegen und damit ein Vermarktungsverlust auf-
        tritt. Aus diesem Grunde kommt dem Schwellenwert
        eine erhebliche Bedeutung zu. Aus Gründen der Rechts-
        sicherheit ist dieser vom Gesetzgeber vorzugeben und
        darf nicht von Dritten – zum Beispiel potenziellen Ab-
        nehmern – bestimmt werden. In diesem Zusammenhang
        sei darauf hingewiesen, dass der Anbau von gv-Pflan-
        zen, bei Einhaltung der guten fachlichen Praxis, nicht zu
        einem unkalkulierbaren Risiko werden darf.
        Schluss. Alle neuen Regelungen zur Gentechnologie
        müssen dem Ziel dienen, Forschung und Anwendung er-
        folgversprechender zugelassener und risikogeprüfter
        gentechnisch veränderter Pflanzen zu ermöglichen. Wie
        bei jeder anderen neuen Technologie müssen auch bei
        der Grünen Gentechnik nach erfolgter konsequenter Ri-
        sikoabklärung die Chancen und Potenziale genutzt wer-
        den können. Bei der anstehenden neuen Generation von
        gentechnisch veränderten Pflanzen geht es um wichtige
        neue Pflanzeneigenschaften: verbesserte Nährstoffge-
        halte, höhere Energiedichte zur Energiepflanzennutzung,
        bessere Eignung für schwierige Standorte und Wider-
        standsfähigkeit gegen klimatischen Stress sowie größere
        Resistenz gegen Schädlinge und Krankheiten zur Ver-
        meidung von Ertrags- und Qualitätsverlusten, um die
        Wichtigsten zu nennen.
        Die großen globalen Herausforderungen, gesunde und
        ausreichende Ernährung sowie sichere Rohstoff- und
        Energieversorgung durch Pflanzenanbau, machen es
        dringend erforderlich, die Leistungsfähigkeit der land-
        wirtschaftlichen Kulturpflanzen in dieser Richtung zu
        steigern. In diesem Zusammenhang kann die Grüne
        Gentechnik die bisher praktizierten Züchtungsmethoden
        erfolgreich ergänzen.
        Elvira Drobinski-Weiß (SPD): An die 30 000 Mails
        sind innerhalb von nur drei Tagen beim Bundestag ein-
        gegangen, in denen Bürgerinnen und Bürger sich da-
        rüber beschweren, dass diese Debatte zum Gentechnik-
        gesetz zu nachtschlafender Zeit stattfindet. Das zeigt
        uns, wie interessiert die Menschen die Entwicklung des
        Gentechnikrechts verfolgen, und sollte uns gemahnen,
        sensibel mit dem Thema umzugehen und für Vertrauen
        zu sorgen, indem wir für rechtliche Rahmenbedingungen
        eintreten, die durchgehend dem Vorsorgeprinzip gerecht
        werden. Ein gentechnisch veränderter Organismus ist ein
        Organismus, dessen genetisches Material in einer Weise
        verändert worden ist, wie sie unter natürlichen Bedin-
        gungen durch Kreuzen oder durch natürliche Rekombi-
        nation nicht vorkommt. So lautet die in § 3 unter Punkt 3
        im Gentechnikgesetz vorgenommene Begriffsbestim-
        mung für einen GVO.
        Diese Definition verdeutlicht die Problematik, die
        sich aus dem Einsatz der Gentechnik im offenen System,
        auf dem Acker ergibt: Diese Organismen kommen in der
        Natur nicht vor; einmal freigelassen können sie sich dort
        aber verbreiten und sind nicht rückholbar. Das kann
        Auswirkungen haben auf die Umwelt, auf bewirtschaf-
        tete und auf unbewirtschaftete Flächen. Deshalb müssen
        für den Einsatz der Gentechnik auf dem Feld ganz an-
        dere Bedingungen gelten als für Arbeiten mit GVO im
        geschlossenen System, unter Laborbedingungen. So
        stellt ein Gentechnikgesetz, welches einerseits den An-
        bau von GVO-Pflanzen ermöglichen und andererseits
        Mensch, Umwelt und gentechnikfreie Wirtschaft vor den
        Auswirkungen des GVO-Anbaus schützen soll, ein we-
        nig den Versuch der Quadratur des Kreises dar.
        In meiner bisher noch kurzen Laufbahn im Deutschen
        Bundestag ist es bereits das zweite Mal, dass ich am Rin-
        gen um ein neues Gentechnikgesetz beteiligt bin. Die
        Probleme, die es dabei zu lösen gilt und die Fragen, die
        sich stellen, sind die gleichen geblieben wie beim ersten
        Mal. Die Antworten, die wir mit dem noch geltenden
        Gesetz darauf gefunden haben, waren sehr pragmatisch.
        Nach meiner Überzeugung werden sie sich am Ende
        nicht groß unterscheiden können von denen, die wir
        diesmal finden. Allerdings haben wir die Chance, bereits
        gewonnenen Erfahrungen einfließen lassen und sich ab-
        zeichnende Entwicklungen aufnehmen zu können.
        Der Entwurf des Gentechnikgesetzes, der heute ein-
        gebracht wird, ist aus unserer Sicht eine gute Beratungs-
        grundlage. Mit der Beibehaltung der Haftungsregelung
        und des flurstückgenauen öffentlichen Standortregisters
        bleiben in ganz zentralen Punkten die Interessen des
        gentechnikfreien Anbaus und der Verbraucherinnen und
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12945
        (A) (C)
        (B) (D)
        Verbraucher gesichert: Die Verursacher müssen im Scha-
        densfall weiterhin Ausgleich leisten, und Bürgerinnen
        und Bürger können sich weiterhin im Internet darüber
        informieren, wo gentechnisch veränderte Pflanzen ange-
        baut werden. Ich bin sehr froh, dass wir uns mit unserem
        Koalitionspartner darauf geeinigt haben, denn das ist un-
        bürokratisch, transparent und schafft Vertrauen.
        Wir werden nun in den Ausschussberatungen und zu-
        sammen mit den Sachverständigen in einer öffentlichen
        Anhörung am 26. November noch einige offene Fragen
        zu diskutieren haben, die sich für uns zum Beispiel im
        Zusammenhang mit der in § 16 b des Gesetzentwurfs
        neu geschaffenen Möglichkeit der nachbarschaftlichen
        Vereinbarungen ergeben. Hier könnte die Gefahr beste-
        hen, dass dem Nachbarn, der auf die Einhaltung des
        Mindestabstands zwischen seinem Feld und dem GVO-
        Anbau verzichtet, nicht alle Folgen bewusst sind, die
        sich daraus für ihn ergeben, zum Beispiel die Kenn-
        zeichnung seiner Produkte, die einzuhaltenden Vorsorge-
        maßnahmen usw. Daraus könnten Schäden, Konflikte
        und Rechtsstreitigkeiten entstehen. So etwas kann nicht
        den Gerichten überlassen werden, und wir sollten prü-
        fen, wie dies von Anfang an klar geregelt werden kann.
        Wir werden noch einige andere Fragen diskutieren
        müssen, aber dafür wird es noch reichlich Gelegenheit
        geben.
        Ein Punkt, der nicht direkt das Gentechnikgesetz be-
        trifft, der aber im Zusammenhang mit dem Gentechnik-
        gesetz vereinbart worden ist, ist die Kennzeichnung tie-
        rischer Produkte. Ich bin sehr froh darüber, dass wir uns
        mit Minister Seehofer und dem Koalitionspartner darauf
        geeinigt haben, hier eine Regelung zu finden, die es Ver-
        braucherinnen und Verbrauchern möglich machen soll,
        bei Milch, Eiern, Fleisch und daraus gefertigten Produk-
        ten zu erkennen, ob diese von gentechnikfrei gefütterten
        Tieren stammen.
        Das wird ein enormer Fortschritt sein; denn hier klafft
        bislang eine Lücke: Nach den EU-Kennzeichnungsrege-
        lungen müssen gentechnisch veränderte Futtermittel
        zwar gekennzeichnet werden, aber diese Information
        findet sich nicht auf dem Endprodukt. Deshalb wissen
        die Konsumenten bisher nicht, ob zum Beispiel die
        Milch von mit gentechnisch veränderten Pflanzen gefüt-
        terten Kühen stammt oder nicht. Mit der Kennzeichnung
        werden sie endlich auch bei konventionellen Erzeugnis-
        sen auswählen können; sie werden die Möglichkeit be-
        kommen, bewusst zu entscheiden, ob sie mit ihrem Kauf
        den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen unterstüt-
        zen wollen. Gerade der Anbau von gentechnisch verän-
        derten Pflanzen, von Organismen, die es in der Natur
        nicht gibt, die sich dort aber unkontrolliert verbreiten
        können, ist ein sensibles Thema. Deshalb müssen Ver-
        braucherinnen und Verbraucher Wahlfreiheit haben; die
        Produkte dürfen ihnen nicht länger aufgezwungen wer-
        den. Nur so lassen sich Vertrauen und Akzeptanz gewin-
        nen. Ein Vorschlag für eine Kennzeichnungsregelung
        muss nun zügig vorgelegt werden, denn sie ist wichtiger
        Mosaikstein einer Einigung über gesetzliche Regelungen
        im Gentechnikbereich.
        Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Die schwarz-
        rote Koalition hat entschieden, die Einbringung ihrer
        Novelle des Gentechnikgesetzes als letzten Tagesord-
        nungspunkt am gestrigen Donnerstag, also am Freitag-
        morgen um 4.15 Uhr vorzusehen. Damit soll sicherge-
        stellt werden, dass niemand die Debatte im Fernsehen
        verfolgen kann. Wie viel Angst hat diese Regierung,
        dass sie ein Gesetzeswerk, an dem sie angeblich über
        zwei Jahre gearbeitet hat, zu nachtschlafender Zeit im
        Bundestag vorstellt? Und ihre Befürchtungen sind be-
        gründet. Das Gesetzeswerk schadet Deutschland, scha-
        det den Menschen in diesem Land, und deswegen sollte
        es nie das Licht der Welt erblicken.
        In Umfragen äußert sich eine Mehrheit der Menschen
        ablehnend zu den Produkten der Grünen Gentechnik.
        Das kann angesichts von Medienkampagnen der Gegner
        nicht verwundern. Wir wissen von umfangreichen Un-
        tersuchungen, dass die Ablehnung oder Befürwortung
        eines Produkts nicht unbedingt einen Niederschlag auch
        im Kaufverhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher
        findet. Deshalb fürchten die Gegner der Gentechnik
        nichts mehr, als dass Verbraucherinnen und Verbraucher
        die Chance erhalten, sich an der Ladentheke selbst zu
        entscheiden.
        Verantwortliche Politiker haben die Pflicht, ihr Han-
        deln nicht an der Stimmung des Augenblicks auszurich-
        ten, sondern an übergeordneten Erfordernissen: Siche-
        rung der Lebensgrundlagen, Erhalt und Schaffung neuer
        Arbeitsplätze. Die Bundesregierung hat dies mit der Ini-
        tiierung ihrer Hightechstrategie richtig erkannt. Doch sie
        ist zu schwach, trotz Großer Koalition, die zielführenden
        Gesetzesinitiativen auf den Weg zu bringen. Dazu gehört
        ein innovationsfreundliches Gentechnikgesetz, das er-
        möglicht, dass im Interesse von Verbraucherinnen und
        Verbrauchern, im Interesse der Landwirte die in Europa
        zugelassenen transgenen Pflanzensorten ohne Schikane
        und Furcht vor Zerstörung durch Demonstrationstouris-
        ten angebaut werden können. Die bestehende Innova-
        tionsführerschaft deutscher Forschungsinstitute und Un-
        ternehmen braucht Rahmenbedingungen, die die zügige
        Entwicklung marktfähiger Produkte ermöglichen.
        Die FDP hat bereits im Januar einen Entwurf zur No-
        vellierung des Gentechnikgesetztes vorgelegt – Drucksa-
        che 16/4143. Unser Entwurf berücksichtigt ausgewogen
        die unterschiedlichen Positionen und ermöglicht Rechts-
        sicherheit für alle Marktbeteiligten. Der Gesetzentwurf
        der Bundesregierung erreicht nichts von allem.
        Es ist absurd, nach 20 Jahren Risikoforschung, nach
        elf Jahren Anbau von GVO auf inzwischen über
        100 Millionen Hektar Fläche über hypothetische Risiken
        zu philosophieren, statt die Chancen dieser Züchtungs-
        methode entschlossen zu nutzen. Schädlingsresistente
        Sorten, der Goldene Reis, haben lange bewiesen, dass
        sie ein erhebliches Potenzial besitzen, die Landwirt-
        schaft naturnäher zu gestalten, die Gesundheit der ärms-
        ten Menschen zu fördern. Es sind die satten Europäer,
        die mit ihren Kassandrarufen verhindern, dass Armut
        und Hunger in der Welt entschlossen bekämpft werden.
        All diejenigen, die sich in den vergangenen Jahren als
        Kassandra betätigt haben und Horrorszenarien an die
        12946 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        Wand schrieben, sind aufgefordert, zur Realität zurück-
        zukehren, ihre Position zu korrigieren und die Bevölke-
        rung wissensbasiert zu informieren.
        Im jetzigen Novellierungsentwurf der Bundesregie-
        rung kritisiert die FDP insbesondere folgende Punkte:
        Der Schwellenwert der Kennzeichnung muss als Haf-
        tungsschwellenwert festgeschrieben werden. Nur so
        kann die geforderte Rechtssicherheit für alle Beteiligten
        – auch die Ökobauern – geschaffen werden. Die Vorstel-
        lung, dass Landwirte, die GVO anbauen, mit dem Gesetz
        gezwungen werden könnten, für die Einhaltung privat-
        rechtlicher Verträge anderer zu haften, mit denen der von
        der EU vorgegebene Schwellenwert von 0,9 Prozent
        ausgehebelt werden soll, ist rechtsstaatlich nicht haltbar.
        Die Bevölkerung hat ein Recht auf umfassende Infor-
        mationen über die Züchtungsmethode Grüne Gentech-
        nik. Als Liberale fühlen wir uns dem mündigen Bürger
        verpflichtet, der eigenverantwortlich entscheiden möchte
        und dafür wissenschaftlich fundierte Sachinformationen
        braucht. Wir fühlen uns in gleicher Weise dem Schutz
        des Eigentums verpflichtet. Deswegen erfüllen uns die
        zahlreichen Zerstörungen von Feldern, die mit gentech-
        nisch veränderten Pflanzen bestellt sind, mit Sorge. Die
        Vorgänge zeigen, dass das öffentliche Standortregister
        von Demonstrationstouristen als Einladung zur Zerstö-
        rung von Feldern empfunden wird. Dies muss unterbun-
        den werden. Volle Transparenz kann nur gewährleistet
        werden, wenn diese nicht missbraucht wird, um Felder
        zu zerstören. Es ist schlichte Geldverschwendung, wenn
        Forschungsinstitute und Unternehmen die knappen For-
        schungsmittel für die Überwachung ihrer Versuche aus-
        geben müssen. Der öffentliche Teil des Standortregisters
        darf somit nur auf die Gemarkung genau Auskunft ge-
        ben. Mit der flurstücksgenauen Ausweisung der GVO-
        Flächen leistet der Staat Feldzerstörungen Vorschub.
        Die Abstandsregelungen dienen der Organisation der
        Koexistenz. Dadurch wird gewährleistet, dass kein zu-
        fälliger Polleneintrag auf Felder von Landwirten ge-
        langt, die auf den Anbau von GVO verzichten wollen.
        Die Festlegung der Abstände für Mais missachtet die Er-
        gebnisse der eigenen Ressortforschung. Unterschiedli-
        che Abstände für konventionelle Landwirtschaft und
        Ökolandbau sind nicht erforderlich, denn es gilt immer
        derselbe Schwellenwert von 0,9 Prozent.
        Wir unterstützen die Regelung, dass auf benachbarten
        Feldern, auf denen GVO angebaut werden, kein Abstand
        erforderlich ist. Private Absprachen zwischen Landwir-
        ten sind üblich und sinnvoll und erleichtern die Organisa-
        tion der Koexistenz. Es ist nicht verständlich, warum es
        erforderlich sein soll, das Auskreuzen von GVO-Mais
        auf einem Feld, auf dem ebenfalls GVO-Mais angebaut
        wird, zu verhindern. Eine solche Forderung müssen
        Landwirte, die in den Regionen mit starkem Maiszüns-
        lerbefall Mais anbauen, als Schikane empfinden. Da-
        rüber hinaus gibt es auch Nutzungen der Ernte, die keine
        Kennzeichnung erfordern: Das ist bei der Verwendung
        als Tierfutter oder Rohstoff für die Biogasanlage auf dem
        eigenen Hof der Fall. In diesen Fällen sind eventuell Ein-
        kreuzungen unerheblich, es entsteht kein finanzieller
        Nachteil. Hinzu kommt, dass benachbarte Landwirte oh-
        nehin über Nacht eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts
        bilden können, die die Felder gemeinsam bewirtschaftet.
        Die Berichterstattung in den führenden Printmedien
        zeigen die enormen Chancen der Züchtungsmethode
        Grüne Gentechnik auf. Der Nobelpreisträger Norman
        Borlaug hat ein überzeugendes Plädoyer für die Anwen-
        dung der Grünen Gentechnik zur Bekämpfung des Welt-
        hungers veröffentlicht. Die FDP hat dazu in ihrem An-
        trag auf Drucksache 16/6714 konkrete Vorschläge
        unterbreitet und diese mit einer Vielzahl von Beispielen
        unterlegt. Europa – und insbesondere Deutschland –
        sollte endlich seine rückwärtsgewandten Träumereien
        beenden. Nicht die Wünsche satter Europäer sollten
        Maßstab der Bewertung der Grünen Gentechnik sein,
        sondern die Erfordernisse der Bekämpfung von Hunger
        und Armut in den ärmsten Ländern der Erde.
        Von Horst Seehofer ist keine zukunftsorientierte Poli-
        tik zu erwarten. Ob Milchquote, Gammelfleisch oder
        eben Gentechnik: Er duckt sich weg. Die Atmosphäre
        um die Anwendung der Grünen Gentechnik ist in
        Deutschland vergiftet – und maßgeblich dazu beigetra-
        gen haben die vorherige und auch die jetzige Bundesre-
        gierung. Anstatt mit gutem Beispiel voranzugehen und
        sichere Innovationen in Deutschland zu begrüßen, wer-
        den scheinbar gefühlte Risiken vermittelt.
        Die Quittung für die populistische Politik des Herrn
        Seehofer wird der Union schneller präsentiert werden,
        als es CDU und CSU heute bewusst und lieb ist. Denn
        sobald gentechnisch veränderte Futtermittel aus Übersee
        nicht mehr nach Europa importiert werden, ist die Vered-
        lungswirtschaft in Deutschland massiv bedroht. Das gilt
        ganz besonders für die Schweineproduktion, die auf Soja
        als Eiweißquelle nicht verzichten kann. Die Fortführung
        der Anti-Gentechnikpolitik à la Künast durch die vorlie-
        gende Gentechniknovelle ist eine „Kampfansage“ an die
        deutsche Schweine- und Geflügelhaltung. Diese dro-
        hende Vernichtung von Arbeitsplätzen und Wertschöp-
        fung vor allem im ländlichen Raum ohne erkennbaren
        Nutzen für die Verbraucher wird die FDP massiv be-
        kämpfen.
        Jetzt ist die Führungskraft der Bundeskanzlerin gefor-
        dert, die nicht weiter nach dem Grundsatz „Da mische
        ich mich nicht ein“ verfahren darf, sondern die im Koali-
        tionsvertrag festgelegte Förderung von Forschung und
        Anbau in Deutschland umsetzen muss. Mit Minister
        Seehofer ist die CDU/CSU-Fraktion völlig von der zu
        gemeinsamen Oppositionszeiten getragenen innova-
        tionsfreundlichen Gentechnikpolitik abgerückt.
        Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Heute ist kein
        guter Tag für die gentechnikfreie Landwirtschaft und
        Imkerei in Deutschland. Es wäre aber noch schlimmer
        gekommen, wenn sich die CDU/CSU durchgesetzt hätte.
        Zum Beispiel wäre dann das öffentlich zugängliche
        Standortregister einfach abgeschafft worden. Auf diesem
        Teilerfolg sollten Sie sich aber nicht ausruhen, liebe Kol-
        leginnen und Kollegen der SPD. Im Ausschuss sollten
        wir ernsthaft darüber diskutieren, wie die Risiken des
        Abenteuers Agrogentechnik weiter deutlich reduziert
        werden können.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12947
        (A) (C)
        (B) (D)
        Die vorliegenden Änderungsvorschläge zum Gen-
        technikgesetz und der damit verbundene Entwurf der
        Gentechnik-Pflanzenerzeugungsverordnung werden die
        gentechnikfreie Landwirtschaft und Imkerei, ob konven-
        tionell oder ökologisch arbeitend, langfristig nicht si-
        chern. Aber genau das steht in § 1: die Sicherung der
        Koexistenz zwischen gentechnisch veränderten und un-
        veränderten Pflanzen. Was aber tun, wenn die Verschlep-
        pungsrisiken kaum zu kontrollieren sind? Mit welchen
        Maßnahmen können dann die gentechnikfreie Landwirt-
        schaft, die Imkerei und die Verbraucherinnen und Ver-
        braucher geschützt werden? Der französische Präsident
        Sarkozy hat darauf eine Antwort: Er hat ein Moratorium
        des Anbaus von gentechnisch verändertem Mais ver-
        hängt. Ihr konservativer Kollege hat gute Gründe dafür,
        Frau Merkel!
        Aber kommen wir zum Gesetzesentwurf. Ich werde
        mich auf drei Aspekte konzentrieren: Erstens die Er-
        leichterungen der Forschung; zweitens die Transparenz
        und drittens die Haftungsfragen. Erstens: Die Regierung
        will die Forschung erleichtern. Dafür werden Vorsorge-
        maßnahmen schlichtweg abgeschafft und Sicherheitsbe-
        denken beiseite geschoben. Die Worte „Wahlfreiheit“
        und „Koexistenz“ aus dem Koalitionsvertrag werden da-
        mit zur Farce. In § 2 ermächtigen Sie die Bundesregie-
        rung, bestimmte Genpflanzen von der Kontrolle und der
        nachträglichen Anordnungen zu befreien. Ich frage Sie
        warum? Ist der Preis nicht zu hoch für diese Verfahrens-
        beschleunigung im Namen der Forschungsfreiheit? Die
        Linke sieht keine sinnvolle Begründung dafür, dieses er-
        kennbare Risiko einzugehen. Wir lehnen daher einen so
        riskanten Freifahrschein für den Forschungsstandort
        Deutschland kategorisch ab.
        Aber es gibt noch mehr Forschungsförderung dieser
        Art. Nach § 14 Abs. 4 soll das sogenannte vereinfachte
        Verfahren, das bereits jetzt aufgeweicht war, weiter er-
        leichtert werden. Es soll Standard statt Ausnahme wer-
        den. Das heißt im Klartext: Im Gegensatz zur bisherigen
        Regelung muss der Antragsteller eine Freisetzung nur
        für den ersten Standort beantragen, jedoch nicht für wei-
        tere Freisetzungen – diese sollen nur noch nachgemeldet
        werden, selbst wenn es andere Standorte betrifft.
        Da aber bedeutet: keine Anhörung mehr, keine stand-
        ortbezogene Prüfung, keine Transparenz. Diese undemo-
        kratische Regelung ist inakzeptabel. Gerade bei dieser
        Risikotechnologie brauchen wir mehr Transparenz statt
        weniger. Alles andere ist industriehörige monopolisti-
        sche Politik und als vertrauensbildende Maßnahme nicht
        geeignet. Mit Verbraucher- und Umweltschutz hat das
        alles nichts zu tun. Deshalb lehnt Die Linke diese Rege-
        lung ab.
        Zweitens, die Transparenz: Hier sind die privaten Ab-
        sprachen ein Problem. Künftig sollen die Sicherheitsab-
        stände der guten fachlichen Praxis durch Absprachen
        von Gartenzaun zu Gartenzaun unterlaufen werden. Das
        soll dann zwar noch aufgeschrieben werden, aber: wer
        bitte erfährt dann noch wie von den Absprachen? Das
        wird im Gesetzentwurf nicht mal erwähnt. Transparenz
        ist offensichtlich nicht gewollt. Diese Regelung ist nicht
        nur ein Kontaminationsrisiko, sondern garantiert sie ge-
        radezu! Diese Ausnahmeregelung muss ersatzlos gestri-
        chen werden. Sie ist auch für Außenstehende nicht nach-
        vollziehbar ist. Die kontrollierenden Behörden können
        die Einhaltung dieser gesetzlichen Regelung gar nicht
        wirksam überprüfen. Damit werden die Landesbehörden
        wieder mal im Regen stehen gelassen! Für Die Linke ist
        die Einhaltung der Sicherheitsabstände ohne Ausnahmen
        eine Mindestforderung.
        Kommen wir zu Punkt drei, der Frage der Haftung.
        Wer haftet für kontaminierte Felder und Ernten, für indi-
        rekte Schäden zum Beispiel durch Mehrkosten zur gen-
        technikfreien Lebensmittelproduktion? Die Linke hat
        eine Kleine Anfrage zu den volkswirtschaftlichen Kos-
        ten dieser Risikotechnologie vorgelegt, auf deren Beant-
        wortung viele Interessierte warten.
        Doch zurück auf den Bauernhof. Wie läuft die Haftung
        von Betrieb zu Betrieb? Die Regelung zur gesamtschuld-
        nerischen Haftung bleibt entgegen der katastrophalen
        Vorschläge des Eckpunktepapiers aus dem Hause Seehofer
        vom Februar 2007 im Gesetzentwurf bestehen. Proble-
        matisch ist auch bei dieser Regelung die Frage der Beein-
        trächtigung. Nach Auffassung der Bundesregierung ist
        die 0,9 Prozent Grenze als gesetzlicher Schwellenwert
        maßgebend. Diese 0,9 Prozent beziehen sich aber nach
        der EU-Verordnung 1829/2003 auf die Kennzeichnung,
        wenn es um technisch unvermeidbare oder zufällige Ver-
        unreinigungen geht. Was aber ist technisch unvermeidbar
        oder zufällig? Ist ab jetzt jede Verschleppung zufällig
        oder technisch unvermeidbar, wenn der gesetzlich vorge-
        schriebene Sicherheitsabstand von 150 Metern eingehal-
        ten wird? Werden damit die 0,9 Prozent zu einem kalku-
        lierten und letztlich akzeptierten Risiko, also ohne
        Haftungsanspruch?
        Für Die Linke steht fest: Wer gentechnisch veränderte
        Pflanzen anbaut, muss für jede nachweisbare Verschlep-
        pung haften, auch unter 0,9 Prozent! Ein Haftungsan-
        spruch muss sich also an der Nachweisgrenze orientie-
        ren! Gleiches muss für den Nachweis im Honig gelten.
        Die Agrogentechnikindustrie muss für alle gesamtgesell-
        schaftlichen Mehrkosten durch Anbau oder Freisetzung
        transgener Pflanzen aufkommen. Wieso sollten die Steu-
        erzahler für eine Risikotechnologie bezahlen, die nie-
        mand will und keiner braucht?
        Der Linken geht es um den Schutz der Interessen der
        gentechnikfreien Landwirtschaft, der Imkerei und der
        Verbraucherinnen und Verbraucher.
        Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Fünf
        Uhr morgens in Deutschland: Für diese Zeit ist die No-
        velle zum Gentechnikgesetz als letzter Punkt auf die Ta-
        gesordnung des Bundestages gesetzt worden. Bei allem
        Verständnis für volle Tagesordnungen, aber hier handelt
        es sich um ein für Verbraucherinnen und Verbraucher so-
        wie für die gesamte gentechnikfreie Produktionsweise
        durchaus bedeutendes Gesetz. Das sollte wirklich nicht
        zu nachtschlafender Zeit, sondern im Lichte der Öffent-
        lichkeit diskutiert werden. Die Bundesregierung und die
        Regierungskoalitionen möchten am liebsten in einer par-
        lamentarischen Geisterstunde das Agrogentechnikge-
        setz diskutieren, denn Minister Seehofer hat mit seinem
        12948 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        (A) (C)
        (B) (D)
        Entwurf das bisherige Gentechnikrecht ausgehölt und
        seine Schutzwirkungen stark geschwächt. Ich kann mich
        des Eindrucks nicht erwehren, dass die große Koalition
        dieses heftig kritisierte Gesetz am liebsten auch ganz
        ohne Debatte beschließen würde. Nicht mit uns!
        In zahlreichen öffentlichen Auftritten mit Landwirten,
        bei Lebensmittelverarbeitern und bei Verbraucher- und
        Ernährungsveranstaltungen heuchelt Minister Seehofer
        nicht nur Verständnis für deren Anliegen, sondern äu-
        ßerte selbst große Bedenken gegenüber der Agrogen-
        technik. Mit seinem Gentechnikgesetz hat er sich selbst
        Lügen gestraft. Mehr als 80 Prozent der Verbraucherin-
        nen und Verbraucher lehnen die Gentechik in Lebens-
        mitteln ab. Mehr als 27 000 Landwirte haben in privaten
        Selbstverpflichtungserklärungen im gesamten Bundes-
        gebiet auf einer landwirtschaftlichen Fläche von mehr
        als 980 000 Hektar gentechnikfreie Regionen eingerich-
        tet, um eine nachhaltige und gentechnikfreie Landbe-
        Zu Recht läuft eine breite Front aus Verbraucher-,
        Umwelt-, Wirtschafts- und Agrarverbänden sowie kirch-
        lichen Gruppen Sturm gegen diese genhofersche Verun-
        reinigungs-Novelle zum Gentechnikrecht. Letzte Woche
        zeigte Stern Marken-Profile in einer repräsentativen Stu-
        die, dass das Bewusstsein der Verbraucher für qualitativ
        hochwertige Produkte deutlich steigt. Die „Geiz-ist-
        geil“-Mentalität bei Lebensmittelprodukten ist Schnee
        von gestern. Unabhängig von allen bisher nur wenig er-
        forschten gesundheitlichen Risiken hätte eine Ausbrei-
        tung der Agrogentechnik vor allem weitreichende wirt-
        schaftliche Folgen. Allein 150 000 Arbeitsplätze in der
        stark wachsenden Biobranche sind akut durch die Geset-
        zesnovelle betroffen. Auch im Bereich des konventionel-
        len Lebensmitteleinzelhandels wächst eine immer grö-
        ßere Ablehnung gegenüber dieser Risikotechnologie.
        Deutsche Wirtschaftsunternehmen wie etwa Hipp oder
        die großen Handelsketten wie Edeka und Rewe haben
        sich klar gegen die Agrogentechnik ausgesprochen.
        wirtschaftung zu garantieren. Dies setzt die schwarz-rote
        Bundesregierung mit der vorgelegten Gesetzesnovelle
        einfach aufs Spiel.
        An einem Beispiel möchte ich Ihnen dies näher erläu-
        tern: Das Vorsorgeprinzip beim Umgang mit gentech-
        nisch veränderten Organismen ist die Basis des gelten-
        den Gentechnikgesetzes. Weil gentechnisch veränderte
        Organismen – einmal in die Natur entlassen – nicht mehr
        rückholbar sind, muss das Ziel der Regelungen sein, dass
        Verunreinigungen konsequent vermieden werden müs-
        sen. Diesem Ziel wird weder der Gesetzentwurf noch die
        Verordnung zur guten fachlichen Praxis, die derzeit im
        Bundesrat beraten wird, gerecht. Stattdessen leisten
        Bundesregierung und Koalitionsfraktionen der schlei-
        chenden Verunreinigung der Landwirtschaft und Um-
        welt Vorschub, in dem sie das Gentechnikgesetz so ver-
        schlechtern, dass gentechnisch veränderte Pflanzen auch
        dann angebaut werden dürfen, wenn diese die gentech-
        nikfreie Landwirtschaft gefährden. Und sie wollen Pri-
        vatabsprachen zulassen, mit denen rechtliche Vorsorge-
        vorschriften unterwandert werden können, sodass
        Kontrollen und Schutz vor Verunreinigungen unmöglich
        werden.
        Bündnis 90/Die Grünen lehnen die vorgelegte No-
        velle zum Gentechnikgesetz aus den bereits beschriebe-
        nen Kriterien kategorisch ab. Wir fordern die Bundesre-
        gierung auf, statt einer Verschlechterung des geltenden
        Gentechnikrechts endlich eine Monitoringverordnung
        sowie Maßnahmen vorzulegen, mit denen die EU-Kenn-
        zeichnungslücke bei Produkten von Tieren, die mit gen-
        technisch veränderten Futtermitteln gefüttert wurden,
        auf nationaler Ebene geschlossen wird, damit Verbrau-
        cherinnen und Verbraucher zukünftig eine echte Wahl-
        freiheit haben und zum Beispiel Milchprodukte wählen
        können von Kühen, die gentechnikfreie Futtermittel er-
        halten haben. Auch fordern wir bei der Verordnung zur
        guten fachlichen Praxis, die längst überfällig ist, tatsäch-
        lich wirksame Abstandsregeln.
        Als letzten Punkt möchte ich Minister Seehofer auf-
        fordern, beim EU-Zulassungsprozedere für gentechnisch
        veränderte Organismen den Kampf gegen Neuzulassun-
        gen von Gentechpflanzen, wie ihn der derzeitige EU-
        Umweltminister Dimas führt, voll zu unterstützen. Auch
        Umweltminister Gabriel lehnte letzte Woche die beiden
        gentechnisch veränderten Maissorten Bt11 und 1507
        zum Anbau ab.
        123. Sitzung
        Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
        Inhalt:
        Redetext
        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        Anlage 1
        Anlage 2
        Anlage 3
        Anlage 4
        Anlage 5
        Anlage 6
        Anlage 7
        Anlage 8
        Anlage 9
        Anlage 10
        Anlage 11
        Anlage 12
        Anlage 13
        Anlage 14
        Anlage 15
        Anlage 16
        Anlage 17
        Anlage 18
        Anlage 19
        Anlage 20
        Anlage 21
        Anlage 22