Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich und wünsche uns einen guten Morgen und gute
Beratungen am heutigen Plenartag.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich ei-
nige wenige Mitteilungen zu machen. Der Kollege Dr.
Wolfgang Schäuble feierte vorgestern seinen 65. Ge-
burtstag und die Kollegin Petra Merkel eben-
falls vorgestern ihren 60. Geburtstag. Im Namen des
ganzen Hauses gratuliere ich dazu herzlich und wünsche
alles Gute.
Bevor wir mit den Beratungen beginnen, stehen noch
zwei Wahlen zu Gremien an.
Die Bundesregierung hat den Deutschen Bundestag
um Benennung von zwei Sachpreisrichterinnen oder
-richtern für die Jury des internationalen Architek-
tenwettbewerbs für das Humboldt-Forum im Berli-
ner Schlossareal gebeten. Die Fraktion der CDU/CSU
schlägt den Kollegen Dirk Fischer und als
seine Stellvertreterin die Kollegin Renate Blank vor.
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Redet
Von der SPD-Fraktion werden der Kollege Vizepräsident
Dr. h. c. Wolfgang Thierse und als seine Stellvertreterin
die Kollegin Petra Weis vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist
das so beschlossen. Dann sind, wie gerade genannt, Dirk
Fischer und Dr. h. c. Wolfgang Thierse zu Mitgliedern
dieser Jury und die Kolleginnen Renate Blank und Petra
Weis jeweils zu ihren Stellvertreterinnen gewählt.
Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, dass der Kollege
Dr. Carl-Christian Dressel anstelle des Kollegen Dirk
Manzewski stellvertretendes Mitglied im Beirat der
Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekom-
munikation, Post und Eisenbahnen werden soll. Ich
vermute, dass Sie auch damit einverstanden
höre keinen Widerspruch. Dann ist der K
Dressel als stellvertretendes Mitglied in den
Bundesnetzagentur gewählt.
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Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an dem Einsatz der Interna-
tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Af-
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Grundlage der Resolutionen 1386 vom
20. Dezember 2001, 1413 vom 23. Mai
2002, 1444 vom 27. November 2002,
1510 vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004)
vom 17. September 2004, 1623 vom
13. September 2005, 1707 vom 12. Sep-
tember 2006 und 1707 vom 19. Septem-
ber 2007 des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen
Drucksache 16/6460
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen
Trittin, Winfried Nachtwei, Kerstin Müller
, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
ISAF und OEF parlamentarisch gemeinsam
behandeln
Drucksache 16/6325
Zum Antrag der Bundesregierung liegt ein Entschlie-
ungsantrag der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
iese Aussprache 75 Minuten vorgesehen. Ich höre
einen Widerspruch. Dann ist das so vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
er Bundesminister des Auswärtigen, Frank Steinmeier.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
uswärtigen:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Dass wir in Deutschland eine öffentliche De-
atte über Auslandseinsätze und über Afghanistan füh-
en, ist gut. Die Art und Weise, wie sie geführt wird,
acht es notwendig, dass wir zu Beginn dieser Debatte
n zwei Dinge erinnern:
Erstens. Es waren die mörderischen Anschläge vom
1. September, die uns nach Afghanistan gebracht ha-
en.
Zweitens. Erst mithilfe der gesamten internationalen
taatengemeinschaft ist es gelungen, das verbrecheri-
che Regime der Taliban niederzuringen.
Erst seither darum geht es mir stellen wir uns in
iesem Hohen Hause jedes Jahr die Frage, wie wir ver-
indern können, dass sich Afghanistan erneut zum
ückzugsraum für Terroristen entwickelt.
Ich sage Ihnen gleich vorweg: Unsere Antwort auf
iese Frage war nie schlicht, sie war nie einfältig. Sie
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11799
)
)
Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
lautete von Anfang an: Wir verhindern das, indem wir
den Menschen in Afghanistan eine neue Perspektive,
neue Hoffnung geben, indem wir sie dabei unterstützen,
das Land wiederaufzubauen, indem wir es ihnen ermög-
lichen, die Zukunft ihres Landes wieder in die eigenen
Hände zu nehmen, und indem wir sie unterstützen, die
Verantwortung für die Sicherheit im eigenen Lande
schrittweise wieder selbst zu übernehmen.
Das war von Anfang an unsere Politik. Möge mir heute
keiner mit dem dämlichen Argument kommen, wir hät-
ten von Anfang an nur Panzer und Soldaten in untaugli-
cher Weise gegen Fundamentalismus eingesetzt. Das
stimmt nicht.
Aus meiner Sicht kann kein Zweifel daran bestehen
wie ich weiß, haben sich viele von Ihnen in den letzten
Monaten davon überzeugen können , dass wir in Af-
ghanistan einiges erreicht haben. Nach den jahrzehnte-
langen Kriegen bzw. Bürgerkriegen, durch die vieles in
Trümmer gelegt wurde, ist die Wirtschaft etwas in
Gang gekommen. Nach inzwischen fast sechs Jahren ha-
ben sich die staatlichen Institutionen das gilt auch für
die Regierung etwas Freiraum erkämpft. Besonders im
Norden, wo wir Verantwortung tragen, sind neue Schu-
len und neue Straßen gebaut sowie Brunnen gebohrt
worden. Über 6 Millionen Kinder können dort wieder
eine Schule besuchen. Die Schülerzahl hat sich in den
letzten sechs Jahren mehr als verfünffacht. Immerhin
80 Prozent der dortigen Bevölkerung haben wieder Zu-
gang zu medizinischer Versorgung.
Trotz alledem muss ich sagen: Ja, es stimmt; der Weg
hat sich als schwieriger erwiesen, als wir, als viele von
uns sich erhofft haben. Insbesondere im Süden und
Südosten des Landes vollzieht sich der Aufbau, natür-
lich auch aus Sicht der afghanischen Bevölkerung, bei
weitem nicht schnell genug. Wenn das richtig ist, frage
ich: Welche Schlussfolgerung ziehen wir daraus? Gehen,
weil es schwierig ist? Ich glaube nicht. Ich glaube, die
einzig mögliche Schlussfolgerung, die wir daraus ziehen
können, ist, dass wir mehr tun müssen, dass wir unsere
Anstrengungen im Rahmen des zivilen Wiederaufbaus
verstärken müssen.
Das ist ja auch der Kern des Afghanistankonzepts, das
wir Ihnen gerade vorgelegt und über das wir in einigen
Ausschüssen schon gesprochen haben. Wir brauchen
eine deutliche Aufstockung der Mittel für die zivile Wie-
deraufbauhilfe. Ich bin mir sicher, dass der Deutsche
Bundestag das in der Schlussabstimmung über den
Haushalt auch so beschließen wird.
Wir müssen uns nicht gegenseitig darüber belehren,
wie schwierig die Sicherheitslage ist. Die internationale
Staatengemeinschaft hat es zwar vermocht, eine dro-
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ch könnte es zuspitzen und sagen: Es ist doch irrig, zu
lauben, wir könnten gerade in der derzeitigen Situation
uf die militärische Komponente unseres Einsatzes völ-
ig verzichten. Oder noch genauer gesagt: Wer heute den
bzug unserer Truppen aus Afghanistan fordert, setzt all
as aufs Spiel, was wir in den letzten sechs Jahren dort
ufgebaut haben.
Wer sich dabei auch noch in der moralisch besseren
osition fühlt, der sollte nicht nur den Drachenläufer
on Khaled Hosseini lesen den haben Sie alle vermut-
ich gelesen , sondern auch sein neues Buch Tausend
trahlende Sonnen. Schauen Sie einmal auf den Katalog
n Verboten Sie finden ihn auf den Seiten 257 f.; er ist
nderthalb Seiten lang! , durch die in zynischer und
enschenverachtender Weise jedes Leben in Kabul nach
em Einzug der Taliban im Grunde genommen unmög-
ich gemacht worden ist. Etwas, das den Namen Leben
erdient, blieb nicht übrig. Wer das will, der muss in der
at fordern, dass wir unser Engagement in Afghanistan
ufgeben. Ich glaube, an einer solchen Forderung kön-
en und sollten wir uns nicht beteiligen.
Meine Damen und Herren, aus diesen Gründen hat
er Sicherheitsrat der Vereinten Nationen heute Nacht
as ISAF-Mandat bestätigt. Deshalb bittet auch die
undesregierung Sie als Abgeordnete des Deutschen
undestages, das Mandat zu verlängern.
Es geht neben dem ISAF-Mandat gleichzeitig um die
erlängerung des Einsatzes der Aufklärungstornados.
ch habe die Debatte, die wir dazu hier im Hohen Haus
or einem halben Jahr geführt haben, in guter Erinne-
ung. Ich glaube, ich darf mit den meisten von Ihnen sa-
en, dass sich viele Befürchtungen, die sich an den Ein-
atz der Aufklärungstornados knüpften, nicht bestätigt
11800 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
haben. Ich sage: Unsere Entscheidung damals war rich-
tig. Die Tornados werden zur Aufklärung eingesetzt. Sie
helfen der ISAF, die Lage vor Ort besser zu beurteilen.
Sie helfen auch, militärische Mittel angemessener einzu-
setzen, was ja darüber haben wir hier in vielen Debat-
ten miteinander diskutiert unser gemeinsamer Wunsch
war.
Wir schlagen bei alldem vor, das ISAF-Mandat und
das Tornado-Mandat zusammenzulegen. Inhaltlich das
wird der Verteidigungsminister erläutern bleiben die
Mandate unverändert; aber sie geben uns die Möglich-
keit, durch eine gemeinsame Obergrenze die Soldaten
flexibler einzusetzen, um zum Beispiel das haben wir
hier im Hohen Hause schon als notwendig festgestellt
die afghanischen Sicherheitskräfte, vor allen Dingen die
afghanische Armee, beim Aufbau und bei der Ausbil-
dung besser zu unterstützen. Genau das müssen wir tun.
Lassen Sie mich zum Abschluss eines sagen: Unsere
Soldaten leisten in Afghanistan genauso wie die zivilen
Wiederaufbauhelfer und unsere Polizisten unter schwie-
rigsten Bedingungen einen hervorragenden Job. Sie ha-
ben sich bei den Afghanen, aber auch bei unseren inter-
nationalen Partnern große Anerkennung erworben. Sie
wissen das. Deshalb sage ich: Dafür gebührt ihnen unser
uneingeschränkter Dank.
Bei Debatten wie dieser geht es aber nicht nur ums
Danksagen, sondern auch darum, den Soldaten, Aufbau-
helfern und Polizisten die breite Unterstützung des Ho-
hen Hauses zu signalisieren, die sie bei einem solchen
Einsatz unter schwierigen Bedingungen brauchen. Des-
halb erhoffe ich mir am Ende dieser Debatte eine breite
Zustimmung dieses Hohen Hauses. Ich bitte Sie um Un-
terstützung bei der Verlängerung des Antrags.
Danke.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Werner Hoyer für
die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
FDP-Bundestagsfraktion wird den Antrag der Bundesre-
gierung, dessen endgültige Fassung wir erst seit wenigen
Stunden kennen, sorgfältig, unvoreingenommen und
verantwortungsbewusst prüfen. Nach allen Vorgesprä-
chen gehe ich davon aus, dass wir nach sorgfältigen Be-
ratungen in den Ausschüssen dem Antrag, wahrschein-
lich mit überwältigender Mehrheit zustimmen werden.
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umindest gibt dies der Bundesregierung die Chance wir
prachen heute schon in einer Unterrichtung im Verteidi-
ungsministerium darüber , die betroffenen Ausschüs-
e, aber auch den Deutschen Bundestag insgesamt besser
ber das zu unterrichten, was bei der Operation Endu-
ing Freedom passiert.
Die Unterscheidung zwischen dem vermeintlich bö-
en OEF-Mandat und dem guten ISAF-Aufbaumandat
cheint mir nicht sachgerecht und nicht fair gegenüber
nseren Partnern, die sich bei OEF besonders engagie-
en.
ch möchte im Übrigen daran erinnern, dass gestern im
üden Afghanistans die große Operation Hammer-
chlag mit 2 500 ISAF-Soldaten begonnen hat. Diese
errorbekämpfungsaktion wird also von der ISAF
urchgeführt. Die häufig vorgenommene Unterschei-
ung zwischen ISAF und OEF ist daher nicht in Ord-
ung.
nsofern sind die Debatten auf manchen Parteitagen ge-
adezu bizarr: Neben der Tatsache, dass die grüne Basis
hren Bundestagsabgeordneten Verantwortungsverwei-
erung auferlegen will wie am letzten Wochenende
eschlossen , finde ich es bemerkenswert, mit welchem
erfahren die Parteiführung versucht hat, eine Entschei-
ung herbeizuführen. Wer bei einer so gravierenden Ge-
issensentscheidung das ist es am Ende für jeden von
ns die Feststellung einer Parteimeinung über Frage-
ögen im Multiple-Choice-Verfahren ermitteln will, ver-
bschiedet sich von Verantwortungsübernahme.
Wir haben mit der Zusammenlegung der Entschei-
ung über das ISAF-Mandat und der Entscheidung über
en Einsatz von Tornados kein Problem. Wir richten un-
eren ausdrücklichen Dank an die Angehörigen des Auf-
lärungsgeschwaders. Unsere vor einem halben Jahr in
ieser Sache getroffene Entscheidung war schwierig,
ber richtig.
Wenn wir höchstwahrscheinlich zustimmen wer-
en, heißt das nicht, dass wir nicht Kritik zu üben hätten
nd nicht auf Verbesserung drängten. Ich unterstütze zu-
ächst einmal ausdrücklich einen Punkt, den der Minis-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11801
)
)
Dr. Werner Hoyer
ter angesprochen hat: das Umsteuern hin zur Bewälti-
gung der Herausforderungen des Wiederaufbaus. Ich
möchte darüber hinaus vier kurze Anmerkungen ma-
chen:
Erstens. Die Rolle der NATO in diesem Zusammen-
hang muss politischer werden. Es kann nicht sein, dass
der Generalsekretär der NATO mit dem Verweis, die
NATO dürfe keine Entwicklungsagentur werden, darauf
besteht, dass wir uns auf das Militärische beschränken.
Wenn die Gefahr besteht, dass aufgrund unseres Versa-
gens im nichtmilitärischen Teil, nämlich dem Aufbau
Afghanistans, auch die militärische Mission scheitert,
dann ist es im Interesse des Bündnisses und seiner Mit-
glieder, dass wir unsere Aktivitäten im nichtmilitäri-
schen Teil zumindest einmal koordinieren und gemein-
sam festlegen, welche Ziele sie sollten übrigens
manchmal etwas bescheidener sein wir verfolgen und
welche effektiven Zielerreichungsstrategien wir anwen-
den wollen.
Übrigens möchte ich darauf hinweisen, dass die NATO
ein Konsensgremium ist. Es kann keine Forderung der
NATO an Deutschland geben, die nicht auch von den
deutschen Vertretern abgesegnet worden ist. Deswegen
frage ich mich manchmal, welche Weisungen die Leute,
die für uns in den Gremien der NATO sitzen, eigentlich
haben.
Zweitens. Es ist Erhebliches geleistet worden; Minis-
ter Steinmeier hat darauf hingewiesen. Das sollten wir
nicht kleinreden. Was wir allerdings einfordern müssen,
ist mehr Nachhaltigkeit. Unsere Kolleginnen und Kol-
legen aus Afghanistan, von denen einige heute auf der
Besuchertribüne sitzen, haben uns gestern gesagt: Es
gibt einen lack of continuity, also einen Mangel an
Kontinuität und auch an Nachhaltigkeit. Es ist unbefrie-
digend, wenn wir mit großem Aufwand Schulen bauen,
nach ein paar Jahren aber nicht mehr genug Geld zur
Verfügung steht, um die Stellen der Lehrer finanzieren
und diese Schulen tatsächlich betreiben zu können.
Drittens. Auch und erst recht im Bereich von Verwal-
tung, Polizei und Justiz gibt es einen Mangel an Rechts-
staatlichkeit; das haben uns unsere Kollegen gestern be-
richtet. Daher müssen wir feststellen, dass der
Vorsitzende des Bundeswehr-Verbandes schlicht und er-
greifend recht hat, wenn er unseren Beitrag im Rahmen
der Polizeiausbildung zwar als gut gemeint, aber zu-
gleich als beschämend bescheiden darstellt. Hier müssen
wir dringend zulegen und in qualitativer und quantitati-
ver Hinsicht in neue Dimensionen vorstoßen.
Viertens. Der große Schwachpunkt all unserer Bemü-
hungen in Afghanistan ist und bleibt das Thema Drogen.
Als es damals um die Ausweitung des Einsatzes auf
Kunduz ging, habe ich darauf hingewiesen, dass wir un-
sere Soldaten in eine Mission Impossible schicken,
wenn wir auf Dauer dabei zusehen, wie unsere Soldaten
vor blühenden Mohnfeldern patrouillieren und damit das
dreckige Geschäft der Drogenbarone ich meine nicht
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In der jetzigen Debatte müssen wir auch unterstrei-
hen, was wir in den Jahren, in denen wir in Afghanistan
ufbauarbeit leisten, bereits erreicht haben. Im Norden
es Landes haben wir über 700 konkrete Projekte durch-
eführt. Diese Projekte reichten von der Herstellung von
trom- und Wasserversorgung über die Errichtung von
traßenverbindungen, Schulen und Kindergärten bis hin
ur Verbesserung der medizinischen Versorgung. Man
uss den Blick allerdings auch auf Gesamtafghanistan
ichten. Wir haben dieses Land von der Terrorherrschaft
er Taliban befreit. Nun hat das Land eine Verfassung
nd ein gewähltes Parlament.
11802 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Bundesminister Dr. Franz Josef Jung
Dass heute Parlamentarier aus Afghanistan, auch
weibliche Parlamentarier, diese Debatte verfolgen kön-
nen, ist auch ein Erfolg unserer Politik. Ich begrüße Sie,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus Afghanistan, herz-
lich in unserem Parlament!
Meine Damen und Herren, ich kann weitere Beispiele
bringen: Als ich in Kabul war, kamen Mädchen lä-
chelnd, freundlich und fröhlich aus den Schulen gelau-
fen.
Unter der Herrschaft der Taliban durften Mädchen nicht
zur Schule gehen. Mit Ihrer Politik Sie lehnen einen
solchen Einsatz ja ab wäre das nicht möglich gewesen.
Früher gingen in Afghanistans Schulen 1 Million
Schüler, jetzt sind es über 6,5 Millionen. Wir haben er-
reicht, dass fast 80 Prozent der Bevölkerung im Land
Zugang zu medizinischer Grundversorgung haben.
4,7 Millionen Flüchtlinge sind in dieses Land zurückge-
kehrt. Die Höhe der Einkommen hat sich verdoppelt.
Wir haben eine wesentlich verbesserte Infrastruktur;
wir haben gerade erst im Norden eine Brücke für eine
Straßenverbindung nach Tadschikistan eingeweiht. Wir
stellen Krankenhäuser wieder her. Wir sind hier auf ei-
nem Weg des Erfolges. Diesen Weg des Erfolges müssen
wir weitergehen.
Der Weg, den Sie von der Linken uns empfehlen,
nämlich Rückzug, wäre dagegen der falsche Weg, auch
im Hinblick auf die Sicherheit unserer Bürgerinnen und
Bürger. Das würde nämlich einen Rückfall zur Folge ha-
ben, sodass Afghanistan wieder zum Ausbildungszen-
trum für Terroristen würde.
Wir haben konkret vor, auch mit diesem Mandat, un-
sere Aktivitäten im Norden weiter zu verstärken. Wir
sind damals mit den Provincial Reconstruction Teams,
wie es in der Fachsprache heißt, also mit den Wieder-
aufbauteams in den einzelnen Regionen, vorangegan-
gen. Wir wollen jetzt mit Provincial Advisory Teams den
Menschen in den einzelnen Regionen mit Beratung und
Unterstützung helfen. Damit dehnen wir diesen Prozess
innerhalb Nordafghanistans aus.
Wir werden weiterhin, da wir im Norden die Verant-
wortung für den strategischen Lufttransport haben, für
die medizinische Versorgung, gegebenenfalls auch für
Evakuierung aus medizinischen Gründen sorgen. Wir
wollen auf diesem Weg weiter erfolgreich vorangehen.
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Meine Damen und Herren, im Hinblick auf die Dis-
ussion über den Süden will ich sagen: Wir lassen in
otsituationen Freunde nicht im Stich. Wir sind zurzeit
it insgesamt 3 200 Soldaten im Norden, einer Region,
ie halb so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland.
ir haben hier eine Verantwortung für 17 Nationen. Im
üden stehen 14 500 Soldaten, im Osten 16 500, also
nsgesamt über 30 000 Soldaten. Aber wenn Freunde in
ot kommen, helfen wir: Wir haben mit
20 Lufttransportflügen geholfen, wir haben mit Fern-
eldern ausgeholfen. Um letztlich zur Stabilisierung
nd zur friedlichen Entwicklung des gesamten Landes
u kommen, ist es, wie ich denke, richtig, dass wir un-
ere Verantwortung im Norden wahrnehmen und dort
nseren Weg weitergehen.
Das Thema der zivilen Opfer hat am Anfang dieses
ahres in der öffentlichen Diskussion eine bedeutende
olle gespielt. Wir haben über eine Weisung des COM
SAF mit dafür gesorgt, dass alle Anstrengungen unter-
ommen werden, um zivile Opfer zu vermeiden. Es ist
atürlich die hinterhältige Strategie der Taliban, bewusst
ivile Opfer zu verursachen, um die politische Diskus-
ion zu instrumentalisieren. Deshalb ist es richtig, dass
ie entsprechende Weisung an die Soldaten ergangen ist.
ass in Zukunft zivile Opfer vermieden werden, ist
ichtig, um das Vertrauen der Bevölkerung in unseren
insatz zu gewinnen.
Deshalb denke ich, wir sind in Afghanistan auf einem
rfolgreichen Weg. Diesen Weg wollen wir gemeinsam
ortsetzen: im Interesse von friedlicher und stabiler Ent-
icklung in diesem Land, im Interesse der Menschen in
iesem so geschundenen Land Afghanistan, aber auch
m Interesse der Sicherheit unserer Bürgerinnen und
ürger. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem
andat.
Besten Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gregor Gysi für
ie Fraktion Die Linke.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11803
)
)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da Sie,
Herr Bundesverteidigungsminister Jung, vor mir gespro-
chen und Sie gesagt haben, dass Sie sich auf bestimmte
Wege nicht einlassen, muss ich Ihnen sagen: Die Wege,
die Sie planen zu gehen, sind fernab von anderen Vor-
stellungen, fernab vom Grundgesetz und fernab vom
Bundesverfassungsgericht. Das ist nicht hinnehmbar.
Lassen Sie mich einige Sätze dazu sagen. Ich kenne
die Theorie, wonach man, wenn man ein entführtes
Passagierflugzeug abschießt, zwar Tote verursacht, die
es sowieso geben würde, aber das Leben anderer rettet.
Das ist doch Ihr Ausgangspunkt.
Ich sage gleich etwas zu Afghanistan. Herr Minister
Jung, Sie haben in einer solchen Situation aber nur we-
nige Minuten, um zu entscheiden, und Sie können nur
vermuten, was der Pilot macht.
Es ist doch abenteuerlich, prophylaktisch zu töten. Das
ist das, was Sie erklärt haben. Ich sage Ihnen: Das wäre
eine Anstiftung zum vielfachen Totschlag und ist in un-
serer Gesellschaft nicht hinnehmbar.
Da wir jetzt über Afghanistan sprechen: Es gibt in un-
serer Gesellschaft sehr unterschiedliche Positionen, die
Sie nicht zur Kenntnis nehmen. Der Parteitag der Grü-
nen hat sich jetzt wieder früheren antimilitaristischen
Positionen angenähert, was wir im Unterschied zu ande-
ren begrüßen. Die anderen kritisieren die Grünen dafür,
dass sie außenpolitisch unzuverlässig werden. Sie mer-
ken gar nicht mehr, dass Militär und Außenpolitik für sie
zu einer Einheit geworden sind, was wir überwinden
wollen.
Natürlich haben die Grünen dem völkerrechtswidri-
gen Angriffskrieg gegen Jugoslawien und bisher allen
Militäreinsätzen in Afghanistan zugestimmt. Es wird
höchste Zeit, dass Sie wieder einmal auf Ihre Basis hö-
ren und Ihre Positionen schrittweise verändern.
Der Außenminister hat zu Recht gesagt, dass die Tali-
ban in Afghanistan bekämpft und entmachtet werden
sollten. Nun sollen auch die Menschenrechte wiederher-
gestellt werden. Das Talibanregime wurde beseitigt; das
ist wahr. Es wird aber nie dazugesagt, dass die Nord-
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Es gibt entsprechende Studien. Nach sechs Jahren
eht jedes fünfte Mädchen in Afghanistan zur Schule.
Jedes fünfte Mädchen. Das ist für Sie ein Riesener-
olg. Ich finde das eine Schande. Jedes Mädchen muss
ur Schule gehen.
ch erkläre Ihnen, warum Sie so aufgeregt sind: Die
ehrheit der Bevölkerung ist auf unserer Seite und nicht
uf Ihrer. Das macht Sie so nervös.
Jetzt sage ich Ihnen noch etwas: Wir hatten gerade
esuch von Malalai Joya, einer sehr tapferen und muti-
en afghanischen Frau.
Finden Sie nicht? Sie ist mit vielen Stimmen in die
erfassunggebende Versammlung gewählt worden. Na-
ürlich kannte sie die Herren und sagte ganz konkret, wer
rogenbaron, wer Warlord etc. war. Daraufhin hat die
ehrheit beschlossen, sie wieder aus dem Parlament he-
auszuschmeißen. Das versteht man dort auch unter De-
okratie.
ch bin sehr froh, dass sie zu uns gekommen ist.
ie vertritt nicht in allen Punkten unsere Auffassung;
eien Sie doch ganz ruhig. Sie hat zum Beispiel gesagt,
ass mit den deutschen Soldaten die Hoffnung auf Be-
reiung verbunden war. Das stimmt. Sie hat auch gesagt,
ass diese Hoffnung weniger mit den US-Soldaten und
her mit den europäischen Soldaten verbunden war. Das
roblem war nur, sagte sie, dass man die Nordallianz
ätte entwaffnen müssen, sie aber aufgerüstet worden
ei. Sie sagte weiter: Die Nordallianz achtet Frauen-
echte genauso wenig wie die Taliban. Das ist das Pro-
lem.
asselbe sagt sie von den Warlords und den Drogenba-
onen.
11804 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Dr. Gregor Gysi
Eines kommt noch hinzu: Sie sagte, sie habe auf die
deutschen Soldaten gehofft. Das Problem sei nur, dass
sich die deutschen Soldaten der US-Strategie unterwer-
fen. Deshalb sei es keine Befreiung, sondern eine Besat-
zung geworden. Das sagen nicht wir, das sagt diese
afghanische Frau. Reden Sie doch mit ihr!
Da ich weiß, dass sie auf der Besuchertribüne sitzt,
möchte ich sie mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident
herzlich begrüßen.
Lassen Sie mich noch etwas zu Ihren Argumenten an-
merken. Unter der sowjetischen Besatzung konnten
Mädchen zur Schule gehen. Frauen durften sogar Fuß-
ball spielen. Das hat die Besatzung niemals gerechtfer-
tigt. Damals haben Sie das auch nicht behauptet. Sie ha-
ben Ihre Vorstellungen im Laufe der Jahre sehr stark
geändert. Darauf muss man hinweisen.
Derzeit wird auch bei den Grünen darüber disku-
tiert, ob die Strategie der deutschen Soldaten geändert
und dann gegebenenfalls dem ISAF-Mandat zugestimmt
werden könnte. Abgesehen davon, dass ISAF gerade
eine große Offensive gestartet hat, ist eines zu bedenken:
Weder die rot-grüne noch die heutige Regierung hatten
die Kraft, sich gegen die USA zu stellen und eine andere
Strategie zu verfolgen. Sie wollen es auch nicht. Deshalb
müssten Sie nach Ihrem Parteitagbeschluss auch gegen
ISAF stimmen, so wie wir das tun.
Sie haben über die Frauen- und Menschenrechte ge-
sprochen. In wie vielen Ländern wollen Sie eigentlich
aus diesem Grund intervenieren? Wie ist es um die Frau-
enrechte in Saudi-Arabien bestellt?
Dort dürfen die Frauen nicht einmal Auto fahren. Sie
dürfen ohne Genehmigung ihres Ehemannes nicht das
Land verlassen. Sie werden schlicht und einfach unter-
drückt. Aber Herr Bush und seine Familie machen
dickste Geschäfte mit der herrschenden Familie in
Saudi-Arabien.
Deshalb interessieren ihn dort die Menschenrechte nicht.
Es gibt sehr viele Länder in Afrika, Asien und Latein-
amerika, in denen Sie einmarschieren müssten. Selbst
die USA müssten Sie wegen Guantánamo angreifen.
Werden Sie doch nicht albern: Als ob Sie Ihr Militär
überall dorthin schicken, wo Menschenrechte verletzt
werden.
Es wird immer wieder gefragt, was passiert, wenn wir
das Land verlassen. Als Antwort wird immer die
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ir müssen die Nordallianz entwaffnen.
ie bewaffnen hingegen die Nordallianz. Das ist die
ahrheit. Sie sehen zu, wie die Nachbarländer eine völ-
ig unterschiedliche Politik betreiben. Ob Russland,
sbekistan, Pakistan oder der Iran: Sie alle bewaffnen
ntweder die Taliban oder die Nordallianz. Sie aber
chauen nur zu. Das ist die Realität; darin liegt das Pro-
lem.
Sie haben angekündigt, Sie wollten die Polizei und
rmee ausbilden. Was machen Sie denn seit sechs Jah-
en?
arum gibt es noch keine eigenständige Polizei in
fghanistan? Warum gibt es keine Armee? Nichts ist
iesbezüglich ernsthaft geleistet worden.
Sie tun immer, als ginge es um die Menschenrechte.
ch zitiere in diesem Zusammenhang Herrn Greenspan
er ist kein Linker , der erste Notenbankpräsident der
SA, der einen ausgeglichenen Haushalt zustande ge-
racht hat und gerade seine Memoiren veröffentlich hat:
er wesentliche Grund für den Krieg im Irak war das Öl.
Ja, das stammt nicht von mir, sondern von ihm.
Im Übrigen haben die USA hervorragend mit den
enschenverachtenden Taliban verhandelt, und zwar
ber eine Gaspipeline durch Afghanistan.
rst als die Verhandlungen über die Gaspipeline geschei-
ert waren, entdeckten sie die Menschenrechte in Afgha-
istan. Das ist die Wahrheit.
Sie verweisen immer darauf, dass im Falle eines Ab-
ugs der Soldaten auch die Aufbauhelfer abgezogen
erden müssten. In diesem Zusammenhang beziehe ich
ich wieder auf einen Nichtlinken, einen ehemaligen
rzt der Bundeswehr, mit dem ich bei einer Sendung im
ayerischen Fernsehen zusammengetroffen bin und der
m Süden Afghanistans Schulen baut. Er sagt, dass das
ur dann funktioniert, wenn der nächste Soldat
0 Kilometer entfernt ist. Er wurde gebeten, seine Schu-
en für die Wahl des Präsidenten zur Verfügung zu stel-
en. Er hat sich unter einer Bedingung dazu bereit er-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11805
)
)
Dr. Gregor Gysi
klärt, nämlich dass der nächste Soldat 10 Kilometer
entfernt ist. Das hat er auch durchgesetzt mit der Folge,
dass 60 Prozent der Wahlberechtigten zur Wahl gekom-
men sind, davon 40 Prozent Frauen. Wo die US-Soldaten
standen, betrug die Wahlbeteiligung 10 Prozent, darunter
nur 1 Prozent Frauen. Das ist die Wahrheit: Er braucht
nicht den Schutz der Soldaten; er braucht die Soldaten
nicht, um seine Aufbauarbeit in Afghanistan zu leisten.
Das sagt ein ehemaliger Arzt der Bundeswehr.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Herr Außenmi-
nister, Sie haben hier erklärt, dass derjenige, der für den
Abzug der Soldaten ist, die Macht der Taliban wieder-
herstellen will.
Das ist eine Unverschämtheit,
die Sie zwar äußern können, Herr Außenminister, aber
Sie müssen eines wissen: Zwei Drittel der deutschen Be-
völkerung ist für den Abzug der deutschen Soldaten aus
Afghanistan.
Damit unterstellen Sie zwei Drittel der Bevölkerung,
dass sie für die Taliban ist. Was Sie hier geboten haben,
ist indiskutabel.
Nächster Redner ist der Kollege Fritz Kuhn für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Herr Gysi, das war eine skurrile Mi-
schung aus dummem Zeug, das Sie hier vorgetragen ha-
ben. Das habe ich selten gehört.
Ich sage Ihnen, warum. Herr Gysi, Sie haben sich hier
aufgeblasen wie ein Ochsenfrosch und gesagt, nur ein
Fünftel der Mädchen in Afghanistan könnten zur Schule
gehen, nicht fünf Fünftel. Sie haben aber niemals gesagt,
wie Sie es seit 2001 durchgesetzt hätten, dass zumindest
dieses Fünftel zur Schule gehen kann. Das ist absolut
billig.
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err Dehm, ich will Ihnen auch den Grund sagen. Sie sa-
en nichts zur dortigen Situation der Menschenrechte,
eil es Sie so sehr an die DDR erinnert. Was dort ge-
chehen ist, haben viele von Ihnen als ganz normal emp-
unden.
Ich muss Sie enttäuschen, was unsere Position angeht.
ie Mehrheit hat auf dem Parteitag der Grünen entschie-
en, dass wir für ISAF und gegen den Tornado-Einsatz
ind. Deswegen wird die Mehrheit meiner Fraktion bei
er verbundenen Abstimmung nicht zustimmen, also
ich enthalten oder mit Nein stimmen. Aber wir haben
lar gesagt, dass wir gegen OEF und für ISAF sind. Ein
ntrag auf unserem Parteitag, der den sofortigen Abzug
er ISAF-Truppen vorsah, hat nur 10 Prozent der Stim-
en erhalten und wurde nicht verabschiedet. Das ist die
achlage.
Herr Westerwelle, Sie haben sich über unseren Partei-
ag so sehr gefreut und gesagt das haben alle gehört ,
ir, die Grünen, seien nicht regierungsfähig, während
ie FDP eine andere Einschätzung der Verantwortung in
er Welt habe. Ich will in diesem Zusammenhang daran
rinnern, wie die FDP bei den Abstimmungen in den
etzten Jahren die Verantwortung in der Welt wahrge-
ommen hat. Die FDP hat 2003 und 2004 Herr Hoyer,
ie waren in Ihrer Rede sehr unvorsichtig den Bundes-
ehreinsatz im Rahmen des ISAF-Mandats abgelehnt.
anach hat sie wieder zugestimmt. Die FDP hat 2003
as OEF-Mandat mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Des
eiteren hat die FDP zweimal gegen die UNIFIL-Mis-
ion gestimmt, genauso wie gegen die EUFOR-Mission
nlässlich der Wahlen im Kongo 2006 und das KFOR-
andat im Juni 2001. Wenn Sie meinen, dass derjenige,
er irgendwann einmal gegen einen Einsatz gestimmt
at, nicht regierungsfähig ist, Herr Westerwelle, dann
ann ich Ihnen nur sagen, dass Sie angesichts des Ab-
timmungsverhaltens Ihrer Fraktion auf 20 Jahre nicht
egierungsfähig sind.
Ich will nun zur Sache, zu den Mandaten, kommen.
ir sind für einen Strategiewechsel. Auch die Bundes-
egierung, insbesondere Herr Steinmeier, tritt für einen
trategiewechsel ein. Aber die entscheidende Frage ist,
b ein Strategiewechsel in Afghanistan tatsächlich statt-
indet, wenn OEF in der heutigen Form bestehen bleibt.
in Strategiewechsel ist kein theoretisches Konstrukt,
as wir uns im Parlament oder in den Ausschüssen
11806 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Fritz Kuhn
ausdenken. Vielmehr geht es um die Frage, was vor Ort
tatsächlich stattfindet und von der Bevölkerung wahrge-
nommen wird.
Es war nicht Anfang des Jahres, wie Sie, Herr Jung,
gesagt haben, dass es Klagen über die Strategie von OEF
gab. Britische Führungsoffiziere haben sich noch im Au-
gust dieses Jahres beklagt und gesagt lesen Sie die
New York Times vom 9. August , dass sie bei sich im
Süden kein OEF haben wollten, weil es kontraproduktiv
sei und der Glaubwürdigkeit des ISAF-Einsatzes des bri-
tischen Kontingents zuwiderlaufe. An der Stelle schwei-
gen die Kanzlerin und auch der Außenminister nachhal-
tig.
Die Frage, die Kollegen meiner Fraktion und ich
mehrfach gestellt haben, lautet: Haben Sie auf dem poli-
tischen Wege im Dialog mit der amerikanischen Regie-
rung angemahnt, dass OEF eine andere Strategie ver-
folgt, als es in der Vergangenheit der Fall war? Welches
Ergebnis wurde erreicht, und welche Verabredung gab es
dazu? Dazu sagen Sie nichts. Sie sagen auch dem Parla-
ment nicht, was genau bei OEF geschieht. Dazu gibt es
keinerlei präzise Aufklärung. Wir haben den Eindruck,
dass Sie es nicht wissen und nicht wissen können.
Allen muss klar sein, Herr Hoyer, warum wir immer
auf dem Unterschied bestehen: ISAF ist ein Mandat, das
auf dem Multilateralismus gründet. Die NATO ent-
scheidet. Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu, dass das
haben Sie vorhin gesagt die NATO politischer als in
der Vergangenheit entscheiden muss. OEF hingegen ist
ein unilaterales Mandat, bei dem die Amerikaner ent-
scheiden, was geschieht, und niemanden, weder diejeni-
gen, die dabei sind, noch diejenigen, die nicht dabei sind,
darüber aufklären, welche Strategie verfolgt wird. Dies
muss aufhören. Das ist der Grund, warum wir sagen,
dass OEF keine sinnvolle strategische Legitimation hat.
Frau Bundeskanzlerin, Sie müssten einmal sagen, wie
Sie das sehen; denn seit Sie Kanzlerin sind, verstecken
Sie sich systematisch, wenn es um die Beantwortung
dieser Frage geht. Wir können Ihnen das nicht durchge-
hen lassen.
Übrigens, Herr Außenminister, auch die Legitimation
der Operation Enduring Freedom wird immer öfter mit
Fragezeigen versehen. Erinnern wir uns an das
Jahr 2001. Der Grund, warum der Sicherheitsrat dem zu-
gestimmt und OEF legitimiert hat, war, dass der Angriff
auf New York von Terrorlagern aus, die in Afghanistan
lagen, ausgeführt wurde und somit der Verteidigungsfall
eingetreten war. Diese Begründung kann man zum heuti-
gen Zeitpunkt nicht mehr anführen. Heute geht es um die
Frage, ob die Taliban wieder zurückkommen, wenn
ISAF zurückgezogen würde. Wir sagen klar, dass dem so
wäre und wir das deswegen nicht tun können.
Aber die Frage hinsichtlich der Legitimation müssen
Sie beantworten. Die Terroristencamps sind heute in
Pakistan oder sonst wo auf der Welt, aber mit Sicherheit
nicht mehr wie vor 2001 in Afghanistan. Deswegen
meine ich, dass Sie sich vor einer Antwort drücken.
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Den Einsatz der Tornados lehnt meine Partei ab üb-
igens im Unterschied zu vielen in der Fraktion , weil er
n einem Kontext zu OEF stehe und von dieser Opera-
ion nicht unterschieden werden könne. Andere von uns
ich gehöre dazu sagen, dass die Tornados auch dem
chutz der ISAF-Truppen dienen. Es gibt also eine Dif-
erenz. Aber eines, was ich der Bundesregierung sagen
öchte, ist wichtig: Eine klare Evaluation dessen, was
ie Tornados in diesem halben Jahr tatsächlich gemacht
aben, hat bisher weder in den Ausschüssen oder im Par-
ament noch in der Öffentlichkeit stattgefunden, Frau
erkel. Sie sagen das eine oder andere in Unterrichtun-
en, aber Sie legen keine klare Evaluation der einzelnen
ufklärungsflüge und dessen, was daraus praktisch ge-
olgt ist, vor.
on diesem Vorwurf kann ich Sie nicht entlasten. Eine
valuation wäre die Pflicht der Bundesregierung, aber
err Jung, der dafür zuständig ist, hat dies bisher nicht
etan.
Ich komme zum Schluss. Wir als Grüne stehen zur
erantwortung Deutschlands in Afghanistan. Wir tun
ies am Beispiel des ISAF-Mandats. Wir lehnen OEF
b, wenn im Oktober oder November in diesem Hohen
aus über die Verlängerung des Mandats diskutiert und
ntschieden wird. Ich will für meine Fraktion ganz deut-
ich machen, dass sich an der Grundüberzeugung, dass
s in der Situation die Aufgabe deutscher Politik ist, zu
elfen und für den zivilen Aufbau und den Strategie-
echsel in Afghanistan einzutreten, nichts, aber auch gar
ichts geändert hat.
Ich danke Ihnen.
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Gysi
och einmal das Wort.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11807
)
)
Präsident Dr. Norbert Lammert
Herr Präsident! Herr Kuhn, ich will auf Ihre Beleidi-
gungen gar nicht weiter eingehen, sondern nur auf einen
Vorhalt: Sie sagen, es sei eine beachtliche Leistung, dass
nach sechs Jahren jedes fünfte Mädchen zur Schule
gehe, und wir hätten nicht erklärt, wie wir das hätten
durchsetzen können. Wenn nach sechs Jahren jedes
fünfte Mädchen zur Schule geht und die Zeitabschnitte
so bleiben, brauchen wir noch ungefähr 30 Jahre, bis alle
Mädchen zur Schule gehen. Ich halte das nicht für eine
Leistung. Ich halte das für viel zu wenig. Dort üben die
Besatzungsmächte die Macht aus, die für entsprechende
Veränderungen sorgen können.
Ich sage Ihnen gleich etwas dazu. Warten Sie doch ab!
Sie halten keine Bemerkung aus, nur weil Sie in der Be-
völkerung in der Minderheit sind. Lassen Sie mich das
noch einmal sagen: Das ist überhaupt keine Leistung.
Ich bleibe dabei.
Entscheidend ist das unterschiedliche Konzept. Ich
bin für die Selbstbefreiung der Völker.
Ich bin dafür, dass man die reichhaltig vorhandenen de-
mokratischen Kräfte in Afghanistan unterstützt. Jetzt ha-
ben wir eine Macht der Nordallianz, der Warlords und
der Drogenbarone. Das ist doch kein menschenrechtli-
cher Fortschritt. Ich bitte Sie! Deshalb müssen wir an-
dere Kräfte unterstützen. Das funktioniert militärisch
nicht. Das haben die letzten sechs Jahre bewiesen.
Zur Erwiderung Herr Kollege Kuhn.
Herr Gysi, niemand von meiner Fraktion ich nehme
auch an, niemand von den anderen Fraktionen würde
sagen, es sei ausreichend, dass ein Fünftel der Mädchen
in die Schulen gehen können. Selbstverständlich wollen
wir mehr. Das steht doch gar nicht zur Diskussion. Zur
Diskussion steht aber, dass Sie keinerlei Beitrag zu der
von Ihnen proklamierten Selbstbefreiung der Völker ge-
leistet haben, weil Sie immer Nein sagen. Haben Sie ei-
gentlich noch in Erinnerung, was das Taliban-Regime
vor 2001 in Afghanistan gemacht hat?
Daher ist Ihre Forderung nach Selbstbefreiung der Völ-
ker nichts anderes als eine leere Phrase, mithin sogar
eine Ausrede.
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Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist Kollege
hristoph Strässer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
en! Herr Kollege Dr. Gysi, ich sage es ganz deutlich:
ch bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Rede. Ich bin Ihnen
eswegen sehr dankbar ich bin mir ziemlich sicher,
ass es nicht nur mir, sondern vielen Kolleginnen und
ollegen aus meiner Fraktion auch so geht , weil die
ustimmung zu diesem Mandat nach Ihrem Redebeitrag
ei uns deutlich höher geworden ist. Die letzten Zweifel,
ie ich hatte, sind durch Ihren zynischen Beitrag über die
enschenrechte in Afghanistan zu einem großen Teil
eseitigt worden. Herzlichen Dank für diesen Beitrag.
Ich will es anhand der Frage, die Sie aus meiner Sicht
n wirklich unerträglicher Weise gestellt haben, verdeut-
ichen. Mir ist es nicht ganz so wichtig, welche Leistung
ie von Ihnen bewertet wird. Wenn aber von Ihrem Par-
eivorsitzenden in Kuba dem Rest dieses Hauses eine
roßspurige Auseinandersetzung mit Menschenrechten
orgeworfen wird, dann wird ein Schuh daraus. Denn es
st Ihnen offenbar völlig egal ist, ob 5 oder 6 Millionen
enschen in Afghanistan wieder zur Schule gehen kön-
en. Fahren Sie einmal nach Afghanistan und reden Sie
it den Mädchen. Fragen Sie sie, was sie davon halten,
ie Sie über diese Situation reden. Das ist zynisch und
enschenverachtend. Damit haben Sie sich endgültig
us der Debatte über Menschenrechte verabschiedet.
as ist die Wahrheit, die hier heute zutage gekommen
st.
In diesem Punkt haben Sie zum Teil recht: Uns allen
erläuft die Entwicklung in Afghanistan viel zu lang-
am. In vielen Bereichen müsste viel mehr viel schneller
eschehen. Wir tragen Verantwortung für den Aufbau
er zivilen Strukturen und der Gerichtsbarkeit. Dort ist
s schlicht und ergreifend nicht vorangegangen.
Die Arbeitsgruppe Rechtspolitik meiner Fraktion
at dem Rechtsausschuss und anderen Institutionen des
eutschen Bundestages zum Beispiel empfohlen, doch
inmal nach Afghanistan zu fahren und dort am Aufbau
itzuwirken, wenn schon Delegationsreisen durchge-
ührt werden. In Afghanistan braucht man Rat und Un-
erstützung, auch materieller und ideeller Art, dringli-
her als zum Beispiel die Juristen in Neuseeland oder in
ustralien. Vielleicht sollten wir uns einmal an die
11808 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Christoph Strässer
eigene Nase fassen und überlegen, was wir selber besser
machen können.
Ich möchte noch auf den Zeitfaktor eingehen. Da-
rüber sollten wir hier in Deutschland einmal intensiver
diskutieren. Wie wir gehört haben, gibt es in Afghanis-
tan seit mehr als 30 Jahren Krieg, Zerstörung, Missach-
tung der Menschenwürde, Missachtung der elementaren
Grundregeln des menschlichen Zusammenlebens, auch
durch Drogenbarone das bestreitet in diesem Saal doch
kein Mensch , auch durch Warlords und die Taliban.
Man hat sich die ehrgeizige Aufgabe gestellt, im Rah-
men der internationalen Staatengemeinschaft dafür zu
sorgen, dass die Missstände abgeschafft und dass der
Wiederaufbau vorangebracht wird. Wer kann schon,
bitte schön, dafür Gewähr bieten, dass diese Aufgabe in
sechs, sieben oder acht Jahren erfolgreich abgeschlossen
ist?
Ich empfehle, bei der Diskussion über Demokratie-
entwicklung und über Menschenrechtsentwicklung in
anderen Ländern und in anderen Gesellschaftsformen
ein bisschen mehr Bescheidenheit und auch ein bisschen
mehr Demut an den Tag zu legen. Schauen wir doch ein-
mal in unsere eigene Geschichte: Vom Zeitpunkt der
Aufklärung bis zur Durchsetzung der Menschenrechte in
Europa sind 300 Jahre vergangen. Ich hoffe nicht, dass
wir den Aufbau in Afghanistan ebenfalls 300 Jahre lang
unterstützen müssen. Aber zu fordern, dass das alles in
sechs oder sieben Jahren geschieht, ist absurd. Niemand
konnte glauben, dass das gelingt. Wir sollten beharrlich
daran arbeiten, dass die Situation dort auf Sicht besser
wird. Mit dieser Aufgabe haben wir es nämlich zu tun.
Ich stelle einmal etwas polemisch fest: Vom Ende des
Zweiten Weltkrieges bis zur Umsetzung demokratischer
Grundregeln auf dem gesamten deutschen Boden sind
über 40 Jahre vergangen. Das sollten wir im Hinterkopf
behalten. Was Deutschland angeht, waren die Vorausset-
zungen anders. Schon allein deshalb sollte man Demut
zeigen.
Ich komme zum Schluss. Hier wurde darauf hinge-
wiesen, dass sich nach dem ZDF-Politbarometer
49 Prozent der Befragten für einen Verbleib in Afghanis-
tan ausgesprochen hätten. Das ist für mich nicht das zen-
trale Problem.
Stichwort Tornado-Jets: Ich bekenne ganz klar, dass
ich in diesem Hohen Hause vor einem halben Jahr gegen
den Tornado-Einsatz gestimmt habe. Ich habe das da-
mals aus Überzeugung getan. Wenn ich heute wieder nur
die damals vorliegenden Informationen hätte, dann
würde ich heute wieder dagegenstimmen.
Was ich allen empfehle, ist, sich Klarheit darüber zu
verschaffen, was Tornados machen. Ich habe gelernt:
Meine Befürchtungen, dass es durch den Einsatz von
Tornados im Rahmen dieses Mandats zu einer Unterstüt-
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ir haben damit auch etwas erreicht. Es hat sich in der
olge in all den Punkten, die wir angemahnt hatten, eine
eränderung ergeben. Deswegen haben wir dann auch
ieder zugestimmt.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11809
)
)
Birgit Homburger
Wenn wir das alles betrachten, ist es heute wichtig, zu
fragen: Wo standen wir vor einem Jahr, und wo stehen
wir heute? Das betrifft vor allen Dingen die Frage nach
der Umsetzung des Strategiewechsels, nämlich hin zu
einem stärkeren Gewicht für mehr Wiederaufbau und
zivil-militärische Zusammenarbeit. Im Sommer wurden
Diskussionen über ein immer größeres militärisches En-
gagement geführt. Das ist falsch. Wir werden die Lage
allein durch immer größeres militärisches Engagement
nicht in den Griff bekommen; vielmehr bedarf es eines
Gesamtkonzepts und der Umsetzung des angekündigten
Strategiewechsels.
Wir als FDP-Bundestagsfraktion erkennen hier Bewe-
gung, beispielsweise bei den Bemühungen, im Rahmen
der militärischen Operation zivile Opfer zu vermeiden
es gibt neue Einsatzregeln , beispielsweise beim An-
satz der Bundesregierung, im Bereich der zivil-militäri-
schen Zusammenarbeit die Präsenz in der Fläche weiter
auszubauen. Es ist kein Geheimnis, dass die westlichen
Aufbauanstrengungen anfangs zu sehr auf die Städte
konzentriert waren und zu spät auf die Fläche ausge-
dehnt worden sind. Deshalb begrüßen wir es, dass es
jetzt weitere regionale Beraterteams geben soll. Wir soll-
ten weiter an dieser Optimierung des Wiederaufbaus und
der zivil-militärischen Zusammenarbeit arbeiten.
Die Berichterstattung der letzten Wochen war immer
wieder von schlechten Nachrichten dominiert. Sicher-
lich, die Sicherheitslage bleibt angespannt. Gerade hat
der Kommandeur der internationalen Schutztruppe ISAF
in der Nordregion, General Warnecke, gesagt, die Quali-
tät der Anschläge habe sich deutlich verändert. Das
möchte ich zum Anlass nehmen, nochmals deutlich zu
machen: Wir als FDP-Fraktion erwarten, dass die Solda-
tinnen und Soldaten die bestmögliche Ausrüstung mit in
den Einsatz bekommen.
Wir erkennen, dass es hierbei Fortschritte gibt, aber
wir erwarten, dass bestimmte Anstrengungen weiter in-
tensiviert werden und die Versorgung mit entsprechen-
dem Material beschleunigt wird. Ich sage an dieser
Stelle sehr deutlich: Es müsste manchmal schneller ge-
handelt werden. Das wird nur funktionieren, wenn die
teilweise langwierigen bürokratischen Verfahren zur
Prüfung von Materialanforderungen vor solch einem
Einsatz deutlich verbessert werden. Andere Partner sind
in dieser Frage schneller, Herr Minister, und an diesen
Partnern sollten wir uns orientieren.
Der Aufbau von Militär und Polizei und eines funk-
tionierenden Justiz- und Strafvollzugswesens bleibt das
Herzstück der Bemühungen. Deshalb ist es richtig, die
Ausbildung des Militärs zu forcieren. Deshalb ist es
auch richtig, dass wir uns in der Polizeiausbildung en-
gagieren.
An dieser Stelle muss man, wenn man resümiert, fra-
gen, was hier geschehen ist. Was bei der Polizeiausbil-
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Wir haben Berichte, auch von den Frauen aus der
afghanischen Delegation in Berlin, die deutlich zum
Ausdruck bringen: Die Situation der Frauen ist unter den
Bedingungen der heutigen Karzai-Regierung, die quasi
im Rahmen der Petersberger Gespräche installiert
wurde, so schlimm, wie sie auch vorher war.
Wer damals ich gehörte zu den Kritikerinnen des Krie-
ges unter den Grünen genau hingeschaut hat, wer in
die afghanische Regierung gesetzt wird, hat wissen kön-
nen und wissen müssen, dass die Korruption in diese
Regierung gesetzt wird. Unter solchen Bedingungen er-
laube ich es mir als Frau nicht, mich mit scheinheiligen
Argumenten zufriedenzugeben, die sich auf die Situation
der Mädchen in den Schulen begrenzen.
Wir wissen heute, dass Mädchen unter der Macht der
Warlords und gewissermaßen unter der Obhut der Regie-
rung Karzai nach wie vor als Tauschobjekt für Autos und
Hunde betrachtet werden. Es ist nach wie vor so, dass
80 Prozent der Gerichtsbarkeit von den Stammesfürsten
ausgeübt wird. Diese gehen mit den Frauen genauso übel
und schlimm um wie die Taliban.
Ich bin nicht erst seit heute Parlamentarierin. Ich em-
pöre mich, wenn die Situation der Frauen als kriegslegi-
timierender Grund herangezogen wird.
Das ist ein Missbrauch der Frauen in diesem instrumen-
tellen Verhältnis. Keiner und keine derer, die heute die
weitere militärische Präsenz in Afghanistan mit der
Situation der Frauen begründen, hat sich vor dem
11. September um die Lage der Frauen unter den Taliban,
die unter den USA groß geworden sind, gekümmert.
Kommen Sie mir also, bitte sehr, nicht mit diesen schein-
heiligen menschenrechtlichen Argumenten! Herr
Gregor Gysi hat vollkommen recht gehabt, als er diese
Doppelzüngigkeit in Bezug auf die Menschenrechtsfrage
deutlich dargestellt hat.
Es ist schlichtweg infam
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enn Sie richtig zugehört hätten, dann würden Sie viel-
eicht respektieren und akzeptieren, dass zum Beispiel
ch in meiner Rede über die Situation der Frauen in
fghanistan kein einziges Wort verloren habe. Sie kön-
en mir diesbezüglich gar nichts vorwerfen, außer viel-
eicht, dass ich sie nicht erwähnt habe.
Sie sprechen nicht nur die Parlamentarierinnen und
arlamentarier in diesem Land an, sondern auch ganz
iele NGOs.
ragen Sie zum Beispiel einmal die NGO Kinderberg,
ie in Kunduz arbeitet, warum in ihrem Bericht über
asic-health-Projekte in Nordafghanistan unter anderem
teht, dass diese nur mit Unterstützung der Bundeswehr
öglich sind. Ich kann Ihnen diesen Bericht gern zeigen.
n diesem Bericht steht neben anderem, dass die Unter-
tützung der Bundeswehr unter anderem durch das Iden-
ifizieren und Vorschlagen von Einsatzorten der mobilen
ehandlungsteams stattfinde. Ich frage Sie: Wo bekom-
en sie die Informationen denn her, die sie in die Lage
ersetzen, ihre Arbeit dort zu machen? Das ist nur durch
ie Informationen der Bundeswehr möglich und durch
ichts anderes.
enn die Bundeswehr aus Afghanistan herausginge,
ürden diese Projekte schlicht und ergreifend im Orkus
es afghanischen Landes untergehen.
Lassen Sie mich noch einen letzen Satz sagen: Es
ird hier immer so getan, als sei es die einhellige
11812 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Christoph Strässer
Auffassung von NGOs und anderen, dass in Afghanistan
alles besser ginge ohne die Bundeswehr.
Entschuldigung, lassen Sie mich bitte einmal ausre-
den. Human Rights Watch ist bekanntermaßen kein
Büttel diktatorischer Regierungen weltweit. Human
Rights Watch hat an Sie alle einen Brief geschrieben, aus
dem ich den letzten Satz zitieren möchte:
Deutschlands Rolle in der internationalen Staa-
tengemeinschaft würde aber ein schlechter Dienst
erwiesen, würde die Bundeswehr ihr Engagement
in Afghanistan reduzieren oder gar beenden.
Ich schließe mich diesem Zitat an. Human Rights
Watch hat wie in allen menschenrechtlichen Fragen auch
in dieser Frage vollständig recht. Sie sollten sich das ein-
mal näher anschauen.
Das Wort erhält nun der Kollege Gert Winkelmeier.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der
Herr Bundespräsident hat aus Anlass des 50-jährigen
Bestehens der Führungsakademie letzten Freitag die dort
ausgebildete militärische Elite in den höchsten Tönen
gelobt. Das hat durchaus etwas für sich, wenn man die
Offiziere der Bundeswehr mit denen des einen oder an-
deren NATO-Partners vergleicht. Nur habe ich mich in
den letzten Tagen nach dieser Jubiläumsrede sehr ge-
wundert. Ich habe mich gefragt: Wo waren denn die
hochgelobten Eliten? Wo waren der Generalinspekteur,
der Leiter der Führungsakademie und der Kommandeur
des Zentrums Innere Führung? Wo waren die goldbe-
tressten Staatsbürger in Uniform mit ihrer Zivilcourage,
als sie sich anlässlich des Focus-Interviews ihres Minis-
ters schützend vor ihre Wittmunder und Neuburger Pilo-
ten hätten stellen müssen? Dazu kann ich nur sagen: Es
reicht nicht aus, einmal im Jahr, am 20. Juli, im Bendler-
block des moralischen Vorbilds zu gedenken, aber zu
kneifen, wenn es darauf ankommt.
Der Bundesminister der Verteidigung hat zu Verfas-
sungsbruch und Straftaten aufgerufen, und die soge-
nannte Elite hat es Oberst Gertz und einem ehemaligen
Piloten überlassen, sich schützend vor die fliegenden
Besatzungen zu stellen. Statt seinen Rücktritt einzurei-
chen, lässt sich der Inspekteur der Luftwaffe politisch
für das Ziel des Ministers missbrauchen, innere und äu-
ßere Sicherheit mithilfe eines ungeheuerlichen Tabu-
bruchs zu verschmelzen.
Mehr als: Offiziere haben ihre Befehle zu erfüllen,
und zwar ohne Diskussion so die Financial Times
Deutschland von gestern , fällt Herrn Stieglitz dazu
nicht ein. Der General sollte eher einmal einen Blick in
das Wehrstrafgesetz und das Soldatengesetz werfen
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nd sich an seine Grundpflicht erinnern, Recht und
reiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.
o viel zu den Eliten.
Damit komme ich zum Antrag der Bundesregierung.
ie beantragen, die Mandate für ISAF und für den Tor-
adoeinsatz zusammenzulegen, dies jedoch nicht aus
achlichen Erwägungen. Nein, Sie haben zu einem klei-
en schäbigen Trick gegriffen. Es geht Ihnen darum, den
iderstand in den Koalitionsfraktionen auszuhebeln.
er im März dieses Jahres den Tornadoeinsatz abge-
ehnt hatte, den ISAF-Einsatz aber grundsätzlich befür-
ortet, soll nun die Kröte durch Verabschiedung eines
esamtpaketes schlucken. Ganz nebenbei konnten Sie
o einer Oppositionsfraktion auch noch kräftig in die
uppe spucken.
Ich bin zwar nicht der Auffassung, dass das ISAF-
onzept der Bundeswehr im Norden Afghanistans mit
einer zivil-militärischen Zusammenarbeit Aussicht
uf Erfolg hat; aber es ist völkerrechtlich nicht zu bean-
tanden. Es gibt Kollegen, die die zivil-militärische Zu-
ammenarbeit anders bewerten. Darunter sind aber Kol-
egen, die Luftbilder als Beihilfe zur Bombardierung
iner großen Anzahl Unschuldiger nicht verantworten
ollen. Denen nehmen Sie mit Ihrem Taschenspieler-
rick die Möglichkeit, sich frei zu entscheiden. Das ist
er Versuch eines Anschlages auf Art. 38 des Grundge-
etzes. Es ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Sie das
arlament schleichend zu Ihrem Büttel degradieren.
Seit dem Focus-Interview vom Montag haben wir üb-
igens auch beim Thema Afghanistan eine neue Situa-
ion. Wie kann man denn einer Bundesregierung noch
rauen, die diesen Minister deckt? Da stellen sich doch
och ganz andere Fragen, zum Beispiel beim Thema res-
riktive Weitergabe von Luftbildern an den OEF-Kom-
andierenden mit dem Doppelhut. Ergingen vielleicht
nweisungen an den deutschen Chef des Stabes, das
icht zu restriktiv, zu eng zu sehen, um die von der
anzlerin reanimierten transatlantischen Beziehungen
icht zu gefährden? Werden die sogenannten Erfolge
eim Wiederaufbau nicht vielleicht ein wenig aufge-
übscht? Werden kritische Meldungen aus dem Protek-
orat unterdrückt? Diese Fragen müssen Sie sich gefallen
assen, zumal Ihnen afghanische Experten bei nahezu al-
em widersprechen, was Sie als Erfolg ausgeben. Fragen
ie doch einmal Dr. Matin Baraki aus Marburg oder die
GOs Brot für die Welt, Welthungerhilfe und medico in-
ernational. Oder fragen Sie das neutrale Rote Kreuz,
as es von Ihrem Konzept hält, zivile Hilfe mit Militär
u verknüpfen: nämlich gar nichts.
Sie dürfen sich nicht länger in die eigene Tasche lü-
en. Sie sind gescheitert. Afghanistan wird zunehmend
rakisiert; das ist die Folge Ihres falschen Kurses. Allein
on 2005 bis 2006 hat sich die Zahl der Selbstmordat-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11813
)
)
Gert Winkelmeier
tentate verfünffacht und die der direkten Attentate ver-
dreifacht. Ziehen Sie also die Bundeswehr ab, solange
das noch unter würdigen Umständen geht!
Dem Verteidigungsminister muss ich von dieser Stelle
noch etwas sagen: Herr Minister, Sie haben etwas ge-
schafft, was noch keinem Ihrer Vorgänger gelungen ist:
an sich brave Soldaten ohne Not als Gehorsamsverwei-
gerer auf die Titelseiten zu bringen. Gratulation! Das gab
es noch nicht einmal im Kalten Krieg.
Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Rainer Arnold für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Unter dem Eindruck meiner letzten Reise nach Afgha-
nistan kann ich Ihnen zwei Dinge berichten:
Die Gespräche mit der afghanischen Zivilbevölke-
rung haben eines erfreulicherweise sehr deutlich gezeigt:
Die Deutschen sind in Afghanistan außerordentlich er-
wünscht das gilt für die zivilen Helfer, in hohem Maße
aber auch für die Soldaten , weil die Deutschen bei ih-
rer Arbeit die einheimische Kultur respektieren und die
gewachsenen Strukturen Afghanistans in die Aufbau-
überlegungen einbeziehen.
Überall haben wir aber auch eine kritische Anmer-
kung vernommen: Die Akzeptanz der afghanischen
Regierung sinkt bedrohlich. Wir wissen, dass klare
Worte der Staatengemeinschaft gelegentlich notwendig
sind, wenn es um Korruption geht. Wir wissen aber
auch, dass man Demokratie nicht von außen aufbauen
kann. Es braucht Zeit, bis sich die Demokratie in den
Dörfern und in Kabul ausgebreitet hat. Wir müssen Ge-
duld haben. Problematisch ist, dass mit der sinkenden
Akzeptanz der zentralen Administration auch die Hoff-
nungen der Menschen in Afghanistan sinken. Es ist ganz
wichtig, dem entgegenzutreten. Das tun wir, indem wir
den Menschen Perspektiven eröffnen, ihnen durch den
zivilen Aufbau Hoffnung geben.
Ich finde es schon bemerkenswert, was Herr Gysi von
den Linken dazu gesagt hat. In einer Hinsicht ist Die
Linke sehr konsequent: Sie verweigert durchgängig, von
der Arbeits- und Sozialpolitik bis zur Außenpolitik, die
Akzeptanz der Wirklichkeit. Sie verdrängt die Realität.
Folgendes ist die Realität: Afghanistan würde ohne die
Bundeswehr, die in Afghanistan übrigens 700 zivile
Aufbauprojekte durchgeführt hat, in Bürgerkrieg und
Chaos zurückfallen.
Würde die Nordallianz entsprechend Ihrer Forderung
entwaffnet, würde das Talibanregime dort am Ende die
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Gleichwohl wissen wir alle, dass ein einfaches Wei-
er so in Afghanistan nicht ausreicht. Deshalb sind wir
ehr dankbar für die Vorschläge der Bundesregierung.
ch bin der Meinung, dass in den nächsten Jahren eine
anze Menge erreicht werden kann. Der Vorschlag, mehr
usbildungshilfe zu leisten, Soldaten der ANA im Nor-
en für den Norden auszubilden, ist vernünftig. Wir
üssen darüber diskutieren, ob die Einzelverantwortung
on Nationen für bestimmte Prozesse,
um Beispiel im Rahmen der Militärausbildung, im Poli-
ei- oder Justizwesen, richtig ist oder ob wir in Afgha-
istan nicht eine kohärentere Organisation und Führung
ieser Prozesse brauchen. Das wird eine wichtige Auf-
abe für uns in den nächsten Monaten sein.
Herr Kollege Arnold, gestatten Sie eine Zwischen-
rage?
Ja, selbstverständlich.
Bitte.
Lieber Kollege Arnold, ein zentraler Punkt ist ja, dass
as Tornado-Mandat jetzt das ist der Vorschlag der
undesregierung in das ISAF-Mandat einbezogen
erden soll. Als wir im Frühjahr darüber debattiert ha-
en, haben viele Kolleginnen und Kollegen große Sor-
en und sogar Ängste geäußert. Sie haben sich gefragt,
ie das Tornado-Mandat in Afghanistan wahrgenom-
en wird und was dort geschehen wird. Können Sie uns
agen, wie im Rahmen des Tornado-Mandates nach Ihrer
enntnis in Afghanistan agiert wird?
Kollege Kuhn von den Grünen meinte vorhin, wir
üssten nichts darüber. Herr Kollege, das ist falsch. Zu-
indest die Obleute im Verteidigungsausschuss verfü-
en über eine sehr gute Informationsdichte.
Ich kann hier dazu sagen: Wir wissen, dass die Torna-
os mehr als 500-mal geflogen sind. 83 Prozent dieser
insätze waren erfolgreich. Für uns ist besonders wich-
ig, dass 40 Prozent dieser Flüge im Norden und Westen
es Landes stattgefunden haben, also im deutschen bzw.
talienischen Verantwortungsbereich. Bei den Einsätzen
11814 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Rainer Arnold
geht es in erster Linie um Aufklärung im Bereich Infra-
struktur; das ist das Allerwichtigste. Es geht darum, fest-
zustellen, ob Straßen verändert wurden. Es geht auch da-
rum, bei Entführungen Aufklärung zu leisten und die
Grenze in dieser Region zu überwachen. Alles in allem
heißt das: Das Tornado-Mandat ist für das ISAF-Mandat
elementar und extrem wichtig.
Die Befürchtung, die immer wieder geäußert wurde,
dass zwei oder drei Stunden, nachdem die Tornados über
ein Gebiet geflogen sind, dort Bomben abgeworfen wer-
den, ist eindeutig zu widerlegen, und zwar deshalb, weil
diese Kollateralschäden wie der Ausdruck ja heißt ,
die zivilen Opfer, die es leider gibt, dann entstehen,
wenn Bodentruppen Luftunterstützung anfordern müs-
sen, weil sie allein nicht mehr zurechtkommen. Diese
Luftunterstützung können die Tornados gar nicht leisten.
Erstens können sie es nicht, weil sie in Kampfzonen gar
nicht fliegen dürfen.
Herr Kollege Arnold, ich muss Sie bitten, zum Ende
zu kommen.
Ich bin mit der Beantwortung der Zwischenfrage
gleich fertig.
Sehr schön.
Zweitens können sie es nicht, weil ihre Bilder nicht
zeitgleich übermittelt werden können; die Auswertung
dauert anderthalb bis zweieinhalb Stunden. Deshalb ist
diese Sorge nach dem heutigen Kenntnisstand unbegrün-
det. Deshalb kann dieses Mandat mit dem ISAF-Mandat
verbunden werden, und deshalb können wir aus meiner
Sicht mit einer breiten Mehrheit dem Teil, der die Torna-
dos betrifft, zustimmen.
Es gibt jetzt noch den Wunsch nach einer Zwischen-
frage des Kollegen Gehrcke. Wollen Sie die auch noch
zulassen?
Ja, gerne.
Ich bitte, sowohl die Frage als auch die Antwort in ei-
ner gewissen Proportion zu der ansonsten verfügbaren
Redezeit zu halten.
Ich werde mich bemühen, Herr Präsident.
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Kollege Weisskirchen habe ich heute früh dort leider
ar nicht gesehen, Herr Kollege.
weitens kenne ich den Kollegen Weisskirchen als einen
iemlich eigenständigen Politiker, der nicht einfach Auf-
räge ausführt.
ch glaube, da haben Sie ein falsches Bild vom Parla-
entarier Weisskirchen.
War die Antwort kurz genug, Herr Präsident?
Ja.
Ich möchte jetzt noch darüber reden, was vor uns
iegt. Ich habe den Eindruck, dass eine Chance mögli-
herweise stärker genutzt werden muss. Meine Beobach-
ung im Deutschen Bundestag ist, dass viele Parlamenta-
ier sehen, dass mehr Verantwortung übernommen
erden muss. Ich glaube, die Bundesregierung könnte
ies bei zukünftigen Überlegungen durchaus berücksich-
igen.
Es gibt ein weiteres ernsthaftes Problem in der Staa-
engemeinschaft. Die Beobachtung in den NATO-Gre-
ien ist, dass dort gerade so etwas wie NATO-Mikado
espielt wird: Keiner bewegt sich. Die Deutschen müs-
en das aus meiner Sicht nicht als Erste tun; als dritt-
tärkstes Kontingent leisten wir wichtige Beiträge. Aber
uf Dauer wird das nicht ausreichen. Wir müssen in der
ATO erreichen, dass das, was Afghanistan zugesagt
urde und notwendig ist, von den Staaten insgesamt er-
üllt werden kann. Ich gehe davon aus, dass wir deshalb
n den nächsten Monaten hier noch wichtige Debatten zu
ühren haben.
Nun haben die Linken immer wieder argumentiert,
ass die Bevölkerung diesen Einsatz nicht möchte. Das
st erstens in einem unglaublichen Maß populistisch, und
weitens wünsche ich mir eine Zeitung oder ein Institut,
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11815
)
)
Rainer Arnold
das nicht fragt: Wollen Sie, dass die deutschen Soldaten
heimkommen? Das wollen wir doch alle; jeder vernünf-
tige Mensch will das. Ich wünsche mir eine Umfrage, in
der gefragt wird: Möchten Sie, dass die deutschen Solda-
ten heimkommen und das Risiko tragen, dass dieses
Land wieder dem Terror anheimfällt
Herr Kollege.
und Deutschland durch Terrorcamps in Afghanistan
gefährdet wird? Diese Umfrage würde aus meiner Sicht
ganz anders ausgehen.
Ich komme zum Ende. Mit Blick auf die afghanische
Delegation sage ich, dass sie in ihre Heimat mitnehmen
kann, dass der große, verantwortungsvolle Teil in der
deutschen Politik das afghanische Volk nicht im Stich
lassen wird. Dies soll ihre Gesellschaft wissen. Wir ste-
hen zu unseren Zusagen. Dies müssen auch alle Krimi-
nellen und Terroristen wissen.
Danke schön.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Christian Ruck
für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich möchte zunächst der Bundesregierung für
etwas danken, was sie international durchgesetzt hat,
was vor einem Jahr noch nicht selbstverständlich war
und jetzt bei uns Konsens ist, nämlich dass die Zukunft
Afghanistans und des gesamten internationalen Engage-
ments dort langfristig und letztlich von einem erfolgrei-
chen zivilen Aufbau und der Überwindung von Armut
und Unterdrückung abhängt. Nur so fassen die Men-
schen Mut, können die Herzen der Menschen erreicht
werden, fallen die Menschen nicht auf falsche Propheten
herein. Nur so kann eine Stabilisierung Afghanistans
von innen bewirkt werden; das Land befindet sich je-
doch in einer sehr schwierigen Nachbarschaft. Die Bun-
desregierung musste diese Erkenntnis, die heute für uns
selbstverständlich ist, erst durchsetzen; der Durchbruch
wurde in London mit dem Afghan Compact erreicht:
Erst damit wurde die Entwicklungspolitik in Afghanis-
tan das ist die größte Baustelle auch international in
den Fokus gerückt.
Gerade an Afghanistan sehen wir, was eine moderne
Entwicklungspolitik leisten muss: Sie muss die Funk-
tionsfähigkeit eines ganzen Landes wiederherstellen,
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abei gibt es drei Schlüsselbereiche, die gleichzeitig an-
epackt werden müssen: erstens die rasche und sichtbare
iederherstellung der physischen Infrastruktur, also der
traßen, der Brücken und der Energieversorgung; zwei-
ens die Befähigung der Afghanen, ihr Land, die Regie-
ung, die Administration und vor allem die Wirtschaft
hier ist an den Mittelstand zu denken selbst in die
and zu nehmen, und drittens die Schaffung der Grund-
agen für eine langfristige Aufwärtsentwicklung durch
ildungs- und Erziehungsarbeit für die Kinder.
Wir haben heute gehört, dass wir große Fortschritte
rreicht haben. Darauf können wir, unsere Soldaten, un-
ere Entwicklungsexperten und die internationale Ge-
einschaft, stolz sein. Wir haben zum Beispiel erreicht,
ass in 19 Universitäten Afghanistans fast 10 000 junge
rauen studieren; vorher waren es null.
Wir haben ferner erreicht, dass die Kindersterblich-
eit in Afghanistan dramatisch gesunken ist, dass hinge-
en das Wachstum der Wirtschaft drastisch steigt, und
war um 12 bis 13 Prozent pro Jahr, wenn man die Dro-
enökonomie herausrechnet. Darauf können wir, aber
uch die Entwicklungsexperten stolz sein. Ich möchte an
ieser Stelle erwähnen, dass das mit Opfern verbunden
st: Mindestens 50 Entwicklungshelfer haben bisher ihr
eben in Afghanistan verloren.
Auch ich begrüße ausdrücklich, dass wir das Ent-
icklungshilfebudget für Afghanistan kontinuierlich
ufwachsen lassen. Ich möchte aber auch für eines plä-
ieren: Wir sollten die finanziellen Mittel nicht nur stetig
rhöhen, sondern auch dafür sorgen, dass das Geld sinn-
oll angelegt wird, dass es auch abfließt. Es hat keinen
inn, dass in den Provinzen dringend benötigtes Geld in
abul bleibt, weil die Administration dort noch zu
chwach ist und das Geld nicht abfließen lässt. Das ist
ines der Probleme, auf die wir reagieren müssen; es gibt
ber auch andere.
Wichtig ist, dass wir, die internationale Gemeinschaft,
erade in Afghanistan bereit sind, aus Fehlern zu lernen
nd bei der Korruptionsbekämpfung, bei der Hilfe für
ie Provinzen und bei der gigantischen Aufgabe der Ko-
rdination die Afghanen nicht zu überfordern, sondern
ie mitzunehmen.
Wir müssen auch lernen, dass ohne eine Stabilisie-
ung Pakistans eine Stabilisierung Afghanistans sehr
chwierig wird.
Im Hinblick auf die Drogenökonomie können wir
wei Dinge lernen:
Erstens. Wir können den Kampf gegen die Drogen-
konomie nicht ohne die rückhaltlose Unterstützung der
evölkerung führen. Deswegen ist es gut, dass immer
11816 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Dr. Christian Ruck
mehr Mullahs in ihren Freitagsgebeten den Kampf gegen
die Drogenökonomie führen, Seite an Seite mit uns.
Zweitens. Der Kampf gegen die Drogenökonomie
und für den Wiederaufbau ist sinnlos, wenn wir nicht Si-
cherheit garantieren können, vor allem auf dem flachen
Land, wo die Menschen erkennen müssen, dass es nicht
nur die Taliban, die infiltrieren, sondern auch eine
Staatsmacht gibt. Das heißt, wir müssen mehr bei der
Polizei tun. Ich möchte daran erinnern, dass bereits
19 000 Polizisten ausgebildet wurden. Auch beim Auf-
bau der Armee ist etwas getan worden. Darüber hinaus
ist es ein zutiefst entwicklungspolitisches Anliegen, dass
wir beim Aufbau des Justizwesens Fortschritte erzielen
müssen. Es nützt nichts, wenn wir sagen, das sei keine
Aufgabe Deutschlands. In Afghanistan muss ein Ge-
samtkunstwerk entstehen.
Herr Kollege Ruck, Sie müssen zum Ende kommen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Wer den Zusammenhang zwischen Aufbau und Sicher-
heit nicht sieht und unsere Sicherheitsanstrengungen tor-
pediert, der torpediert die Mission Afghanistan. Wer die
Mission Afghanistan torpediert, der torpediert die Mög-
lichkeit des Westens, Gefahren in der Welt gemeinsam
abzuwehren. Wer dies tut in einer durchgeknallten Rede
von den Linken konnten wir feststellen, wer das tut ,
der gefährdet das Wohl unseres eigenen Landes.
Wir jedenfalls wissen, wohin wir gehören: an die
Seite der Afghanen. Darüber hinaus wollen wir die Si-
cherheit unserer eigenen Bevölkerung gewährleisten. Ich
bitte auch die Grünen, ihrem Gewissen einen Ruck zu
geben, wenn es so weit ist.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Andreas Weigel
für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In großer Verbun-
denheit mit meinen Kollegen von Bündnis 90/Die Grü-
nen möchte ich an dieser Stelle meinen Respekt vor der
Debatte, die in dieser Partei zurzeit stattfindet, zum Aus-
druck bringen. Der Parteitag am letzten Wochenende hat
die Zerrissenheit in dieser Partei gezeigt.
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ch kann nur an Sie appellieren und Sie darum bitten, in
ieser Frage auch weiterhin mit uns zusammenzuarbei-
en. Ich glaube, das haben wir in den vergangenen Jahren
ut gemacht. Wir wollen dafür kämpfen, dass das so
leibt.
Ich möchte an dieser Stelle nicht ausführlich auf das
ingehen, was Herr Gysi von den Linken heute zum Bes-
en gegeben hat. Aber, Herr Gysi, an eines möchte ich
ie erinnern: Da Sie das Beispiel angeführt haben, dass
ie Gespräche mit afghanischen Parlamentarierinnen ge-
ührt haben sie haben übrigens auf der Besuchertribüne
latz genommen , und dies kritisch dargestellt haben
darüber kann man ja durchaus diskutieren , bitte ich
ie, dabei nicht zu vergessen, dass solche Gespräche im
ahr 2002 oder vorher nie möglich gewesen wären, weil
ie nicht nach Deutschland hätten kommen können und
ir keine Gespräche mit ihnen hätten führen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gelegentlich ent-
teht der Eindruck, dass wir eine oberflächliche Diskus-
ion führen; das war heute teilweise festzustellen. Daher
öchte ich ausdrücklich daran erinnern, dass in den letz-
en Wochen und Monaten viele deutsche Parlamenta-
ierinnen und Parlamentarier nach Afghanistan gereist
ind, sich im Land umgeschaut und Gespräche mit Ver-
retern des Militärs und mit Vertretern der Zivilorganisa-
ionen geführt haben. Das zeigt, wie fundiert und be-
usst wir die Auseinandersetzung mit diesem Thema
ühren. Daran wird auch deutlich, dass wir gewillt sind,
ns damit zu beschäftigen.
Wir, die SPD-Fraktion, haben aus diesem Grunde eine
askforce ins Leben gerufen, eine Arbeitsgruppe, die
ich aus Politikern ganz unterschiedlicher Fachbereiche
usammensetzt, und zwar aus Politikern all der Politik-
ereiche, die mit dem Aufbau in Afghanistan beschäftigt
ind. Außen- und Verteidigungspolitiker, Menschen-
echtspolitiker und Innen- und Entwicklungspolitiker ar-
eiten ressortübergreifend zusammen.
Ich glaube, hierin liegen die Chance und das Geheim-
is, bei der Entwicklung Afghanistans voranzukommen.
ir brauchen eine ressortübergreifende Zusammenar-
eit, nicht nur hier im Parlament, sondern auch vor Ort.
Diese Zusammenarbeit wird in den PRTs praktiziert.
llerdings möchte ich an dieser Stelle selbstkritisch sa-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11817
)
)
Andreas Weigel
gen: Manches kann durchaus noch besser werden. Na-
türlich müssen wir überdenken, ob die Verweildauer un-
serer Kontaktleute in den PRTs auf vier oder sechs
Monate begrenzt sein sollte oder ob eine längere Ver-
weildauer erforderlich ist, um gerade erst entstandene
Kontakte auszubauen, nützliche Informationen zu be-
schaffen und Vertrauensverhältnisse aufzubauen.
Wir müssen über die elementare, entscheidende Frage
des Drogenanbaus noch intensiver als bisher nachden-
ken. Natürlich bedarf es zuallererst der Zerschlagung der
Strukturen und Verflechtungen der Drogenmafia mit lo-
kaler Verwaltung und lokaler Polizei. Aber wir müssen
uns darüber hinaus Gedanken über Alternativen machen,
wie also der Anbau anderer landwirtschaftlicher Erzeug-
nisse und andere legale Einnahmequellen für die Bevöl-
kerung entwickelt werden können. Wir brauchen ent-
wicklungspolitische Leuchttürme. Ich sage das bewusst,
weil wir bei all unseren Diskussionen über entwick-
lungspolitische Ziele eines nicht vergessen dürfen: Wir
dürfen uns nicht nur mit Projekten beschäftigen, die
langfristig wirken. Unsere Projekte müssen sofort grei-
fen. Die Bevölkerung vor Ort muss unmittelbar spüren,
dass unser Engagement wirkt.
Eine Vielzahl von positiven Projekten ist heute schon
angesprochen worden: Schulen, Bildungsmaßnahmen.
Ich will zum Schluss meiner Rede noch einmal auf den
Aufbau der Polizeistrukturen zu sprechen kommen.
Die können Sie jetzt aber nicht mehr im Einzelnen er-
läutern; das ist Ihnen klar.
Wir haben die Polizeiakademie im Jahr 2004 eröffnet.
Seitdem sind 18 600 Polizisten ausgebildet worden. Wir
müssen uns an diesem Punkt weiter engagieren was
wir tun wollen. Wir führen gemeinsam mit der EU Ge-
spräche und verhandeln. Es braucht ein größeres Enga-
gement, mehr deutsche Beteiligung. Die Weiterführung
des ISAF-Mandates bietet dafür die besten Rahmenbe-
dingungen. Ich bitte um große Unterstützung.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Bernd Siebert für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als
letzter Redner möchte ich doch noch einmal auf das, was
in Afghanistan in der Vergangenheit geleistet wurde, zu-
rückkommen und mich im Namen der Arbeitsgruppe
Verteidigung, aber auch im Namen der übrigen Mit-
glieder der CDU/CSU-Fraktion in besonderer Weise bei
all denen bedanken, die vor Ort Besonderes geleistet ha-
ben, nämlich bei den Soldatinnen und Soldaten und bei
den vielen zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die
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Herr Kuhn hat in der Tat vorhin vernünftige Bemer-
ungen gemacht, die in den wesentlichen Teilen zu un-
erstützen sind.
ur, wenn jemand noch nicht einmal in der Lage ist, in
er eigenen Partei für eine Mehrheit zu sorgen, wird das,
as er hinterher hier erklärt, mit dem Wort Glaubwür-
igkeit nicht zu verbinden sein. Deswegen wünsche ich
hrer Führung, dass sie in Zukunft wieder Ihre Parteiba-
is
berzeugt. Denn wenn Sie das umsetzen würden, Herr
rittin und Sie haben ja mehrheitlich beschlossen, hier
m Parlament der Verlängerung des Mandates nicht zu-
ustimmen , dann bedeutet das im Ergebnis: Sie sind
ür den Abzug. Dann sind Sie letztlich für nichts wesent-
ich anderes als das, was die Linken seit Jahr und Tag
ropagieren. Das müssen Sie wissen bei dem, was Sie
iskutieren und was Sie beschließen.
Jedem politisch denkenden und die Realität betrach-
enden Menschen ist jedoch klar, dass es keine Alterna-
ive zum ISAF-Mandat in Afghanistan gibt. Ein Ende
es Engagements in Afghanistan hätte für das Land und
ie dort lebenden Menschen verheerende Folgen. Es
uss aber auch in aller Deutlichkeit gesagt werden: Wir
rauchen noch auf Jahre hinaus die militärische Absi-
11818 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Bernd Siebert
cherung des Wiederaufbaus in Afghanistan. Nur so,
im Sinne des im Weißbuch von 2006 beschriebenen
Konzeptes der vernetzten Sicherheit, können wir auch
langfristig zum Erfolg gelangen.
Für diesen Wiederaufbau im Norden Afghanistans ist
die im Mandat enthaltene Höchstgrenze von 3 500 Sol-
daten und Soldatinnen aus unserer Sicht vollkommen
ausreichend. Da die Tornados ohnehin unter dem ISAF-
Befehl standen und stehen, macht es auch Sinn, diese
bisher getrennten Mandate unter einem gemeinsamen
Mandat zusammenzufassen.
Darüber hinaus hat sich der Einsatz der Tornados
bewährt. Das ist hier einige Male ausgeführt worden;
deswegen brauche ich das nicht zu wiederholen. Dass
er so erfolgreich war, haben viele hier in diesem Parla-
ment auch in der Vergangenheit bezweifelt. Wir ha-
ben vorhin ein Statement besonderer Art gehört. Ich
muss den Kollegen beglückwünschen, dass er seine Ge-
dankengänge hier in aller Offenheit dargestellt hat.
Einige Kolleginnen und Kollegen haben im Vorfeld
dieser Debatte geäußert, dass man sich durchaus auch mit
einer dauerhaften Ausdehnung unseres Auftrages mit
Ausbildung im Süden beschäftigen sollte. Ich denke,
dass damit der Rahmen des Mandates, das wir in der
Vergangenheit beschlossen haben und heute wieder be-
schließen wollen, gesprengt würde. Deshalb glaube ich
nicht, dass es sinnvoll ist, einen anderen Ansatz von
Kräften und Mitteln für diese Aufgabe zu wählen.
Zum Schluss möchte ich noch einmal feststellen: Der
bisherige Ansatz für den Wiederaufbau Afghanistans hat
sich bewährt und wird mit dem Afghanistan-Konzept der
Bundesregierung dort nachjustiert, wo es nötig ist. Aus
diesem Grunde werden wir das vorläufige ISAF-Mandat
verbunden mit dem Tornado-Mandat unterstützen und
entsprechend zustimmen.
Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Tagesordnungspunkt 3 a. Interfraktionell wird die
Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 16/6460
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag auf der
Drucksache 16/6461 soll an dieselben Ausschüsse über-
wiesen werden, an den Haushaltsausschuss jedoch nicht
nach § 96 der Geschäftsordnung. Sind Sie damit einver-
standen? Das ist offenkundig der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nun unter dem Tagesordnungspunkt
3 b zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 16/6325 mit
dem Titel ISAF und OEF parlamentarisch gemeinsam
behandeln. Wer stimmt für diesen Antrag? Wer stimmt
dagegen? Wer enthält sich der Stimme? Dann ist die-
ser Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt.
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Hajduk, Alexander Bonde, Anna Lührmann,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Sicherung der Handlungs-
fähigkeit von Haushaltspolitik in der Zukunft
Drucksache 16/5955
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Anja
Hajduk, Alexander Bonde, Anna Lührmann,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Begleitgesetzes zum Gesetz zur Siche-
rung der Handlungsfähigkeit von Haushalts-
Drucksache 16/5954
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Für diese Aussprache sind nach einer interfraktionel-
en Vereinbarung wiederum 75 Minuten vorgesehen.
ch höre keinen Widerspruch dazu. Dann ist das so be-
chlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
nja Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine werten Kolle-
en! Was in diesem Hohen Hause in den letzten knapp
0 Jahren jährlich als Haushaltsgesetz beschlossen
urde, muss man in seiner Gesamtheit so bewerten, dass
s mit Blick auf die Haushaltslage nicht nachhaltig war
nd nicht verantwortungsvoll gegenüber den zukünfti-
en Generationen ist. Wenn man eine solche Aussage
rifft, dann muss man daraus Konsequenzen ziehen. Des-
egen legen wir von Bündnis 90/Die Grünen Ihnen
eute einen Gesetzentwurf zur Sicherung der Hand-
ungsfähigkeit der Haushaltspolitik in der Zukunft vor.
as ist nichts Geringeres als ein Vorschlag zur Änderung
es Grundgesetzes.
Zum Problem. Wie ich schon erwähnte, ist es lange
er, dass der Haushalt ausgeglichen war. Der letzte aus-
eglichene Haushalt war 1969. Das ist fast 40 Jahre her.
as bedeutet in Zahlen ausgedrückt, dass der Bund über
00 Milliarden Euro Schulden aufgehäuft hat. Was die
ynamik angeht, muss man feststellen, dass sich der
chuldenstand in den letzten zehn Jahren verdoppelt hat.
uf ein Jahr bezogen ist festzuhalten, dass wir mehr als
0 Milliarden Euro das ist ein Sechstel des Bundes-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11819
)
)
Anja Hajduk
haushaltes Zinsen zahlen, ohne dass an Tilgung auch
nur zu denken ist.
Dieses Problem müssen wir alle ernst nehmen. Wir
müssen feststellen, dass die bisherigen Regeln zum Ein-
dämmen von Verschuldung nicht ausgereicht haben. An-
gesichts der Tatsache, wie häufig wir den dehnbaren Be-
griff Erhalt des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts
gebraucht haben, um übermäßig viel Schulden zu ma-
chen, müssten wir uns einig sein, dass die bisherigen Re-
geln im Grundgesetz und die dort formulierten Ausnah-
metatbestände dringend geändert werden müssen.
Welchen Lösungsweg kann man aufzeigen? Wir Grü-
nen plädieren für eine Neuausrichtung der gesetzlichen
Rahmenbedingungen, indem wir Folgendes berücksich-
tigt sehen wollen: Wir wollen, dass grundsätzlich die
Ausgaben stärker an die Einnahmen gekoppelt werden.
Der Zusammenhang ist eigentlich einfach: Wir können
so viel ausgeben, wie wir einnehmen. Aber um auch den
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Rechnung zu tra-
gen, ist es klug, diese Regel so zu konzipieren, dass mit
dem Konjunkturverlauf Ausgaben und Einnahmen at-
men können.
Deswegen sind wir gegen ein absolutes Verbot von
Schulden. Das halten wir für volkswirtschaftlich nicht
durchdacht. Wir sind für einen über den Konjunkturzy-
klus ausgeglichenen Haushalt. Das müssen wir auch im
Grundgesetz normieren. Diese Lösung ist Maastricht-
konform, und es ist eine striktere Lösung als die beste-
henden Regelungen. Wir Grünen haben uns umgesehen,
wie man eine solche Lösung entwickeln kann.
Wir haben in die Schweiz geschaut. Wir haben aber
nicht die Schweizer Schuldenbremse kopiert, sondern
eine Schuldenbremse entwickelt, die den Verhältnissen
in Deutschland angepasst ist. Das heißt, wir schließen
eine Finanzierung von Investitionen über Kredite nicht
aus, wenn sie streng dem Maßstab genügen, dass sie das
Volksvermögen wirklich mehren. Das heißt, wir müssen
Privatisierungen abziehen und kalkulatorische Abschrei-
bungen vornehmen. Solche sogenannten Nettoinvestitio-
nen, die das Volksvermögen mehren, wollen wir durch-
aus kreditfinanzieren können.
Des Weiteren glauben wir dieser Vorschlag wurde
in ähnlicher Form vom Sachverständigenrat vorgelegt
und diskutiert , dass man sich damit auseinandersetzen
muss, dass Prognosen für die Zukunft nicht immer ein-
fach sind. Wenn wir vorschlagen, dass sich die Ausga-
ben an den Einnahmen orientieren sollen, dann stehen
wir damit vor dem Problem, die Konjunkturentwicklung
einschätzen zu müssen. Deswegen gehört zu einer ange-
passten Schuldenbremse auch, dass Schätzfehler nach
einem Jahr korrigiert werden können. Ich erwähne das
aus folgendem Grund: Mir ist der Einwand bekannt, dass
die Schweizer Schuldenbremse schon im zweiten oder
dritten Jahr nicht richtig funktioniert hat und korrigiert
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Ich möchte das begründen. Nach Art. 109 des Grund-
esetzes sind Bund und Länder in ihrer Haushaltspolitik
elbstständig. Selbst wenn es keine Einigung mit den
undesländern gibt, müssen wir vorangehen, weil wir
ie große Chance haben, bald einen ausgeglichenen
undeshaushalt vorzulegen ich bin davon überzeugt:
och in dieser Legislaturperiode , und die historische
hance, mit der Großen Koalition und der Unterstützung
on uns, der grünen Opposition, mit Zweidrittelmehrheit
as Grundgesetz zu ändern. Wir dürfen das Zeitfenster
afür keinesfalls verstreichen lassen, sondern müssen
iese Chance nutzen. Das sind wir zukünftigen Genera-
ionen schuldig, wenn wir endlich nach Maßgabe einer
achhaltigen Haushaltspolitik umsteuern wollen.
Das Budgetrecht ist das Königsrecht des Parlamen-
es. Es ist gut, dass darüber mit den Bundesländern in
er Föderalismuskommission beraten wird. Es ist aber
uch wichtig, dass der Bundestag über eine Änderung
es Budgetrechts ausführlich berät und nicht nur auf die
rgebnisse der Föderalismuskommission wartet. Deswe-
en setze ich auf eine intensive und gute Beratung über
ie von uns vorgeschlagene Grundgesetzänderung. Wir
ollen die Ausgaben wieder stärker an die Einnahmen
oppeln. Wir wollen vermögenssteigernde Investitionen
11820 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Anja Hajduk
finanzieren. Wir wollen einen Haushalt, der mit der
Konjunktur atmet, aber auch generationengerecht ist und
eine nachhaltige Haushaltspolitik ermöglicht.
Vielen Dank.
Ich gebe das Wort dem Kollegen Jochen-Konrad
Fromme, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich begrüße außerordentlich, dass dieses Thema
an so prominenter Stelle hier im Plenum diskutiert wird;
denn es geht um Nachhaltigkeit und um langfristige Ent-
wicklungen. Die Kredite von heute sind die Zinsen und
damit die Steuern von morgen. Ich möchte festhalten:
Kinder können auf Schuldenbergen nicht spielen. Des-
wegen ist es wichtig, dass wir uns um den Schuldenab-
bau kümmern.
Das Thema ist aber natürlich nicht neu, Frau Kollegin
Hajduk. Sie wissen, dass sich die Berichterstatter im
Haushaltsausschuss schon lange mit der Frage befassen,
wie wir diese Entwicklung ändern können. Das ist ein
Hauptthema auch der Föderalismuskommission. Der
Rechnungsprüfungsausschuss hat dieses Thema aufge-
griffen. Ich denke, dass es nicht darauf ankommt, in einer
frühen Phase mit einem fertigen Vorschlag zu kommen;
vielmehr müssen wir ausloten, wo die Probleme liegen.
Mir geht Ihr Entwurf ich komme darauf zurück nicht
tief genug.
Ich will eines gerade hier im Plenum, wo nicht nur die
Haushälter versammelt sind das geht das gesamte Ple-
num an , deutlich machen: Dass jeden Tag in der Zei-
tung etwas von weniger Neuverschuldung und mehr
Steuereinnahmen steht, worüber wir uns freuen, ist Zei-
chen einer guten Entwicklung. Es darf aber nicht der
Eindruck entstehen, die Probleme seien gelöst;
denn die Fixierung auf die Neuverschuldung ist falsch.
Solange wir eine Neuverschuldung haben, heißt das,
dass wir mehr ausgeben, als wir einnehmen. Es ist längst
nicht mit der Beseitigung der Neuverschuldung getan.
Wir dürfen auch nicht mehr die Einnahmen aus Ver-
kaufserlösen im Haushalt berücksichtigen. Erst wenn
wir mehr einnehmen, als wir ausgeben, dann liegen wir
richtig, und dann sind die Probleme gelöst. Das sage ich
zu allen Kolleginnen und Kollegen; denn manch einer
wünscht sich schon wieder neue Programme und denkt,
man könne die Ausgaben wieder steigern.
Wir müssen uns über eines im Klaren sein: Wenn es
heißt, dass Deutschland möglicherweise ohne neue
Schulden auskommt, dann muss man auch die sehr un-
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Was ist passiert? Wir haben 1969 in der Großen Ko-
lition das Haushaltsrecht verändert. Bis dahin war völ-
ig klar, dass Ausgaben nur mit Einnahmen finanziert
erden dürfen. In eng begrenzten Ausnahmen durften
nvestitionen, die zusätzliche Einnahmen für den Staat
ebracht haben, durch Kredite finanziert werden. 1969
aben wir zwei Punkte verändert: Wir haben dafür ge-
orgt, dass Investitionen generell mit Krediten finanziert
erden durften, und wir haben dann die Konjunkturre-
elung hinzugefügt, wonach zur Bekämpfung eines ge-
amtwirtschaftlichen Ungleichgewichts zusätzlich Kre-
ite aufgenommen werden dürfen. Genau das ist der
ehler. Deswegen glaube ich, dass alles, was an einen
ngeren Investitionsbegriff anknüpft, die Probleme
icht lösen wird. Ich glaube, dass uns die Bindung der
erschuldungsgrenze an Maastricht-Kriterien oder an
as BIP nicht weiterbringt; denn der Normalfall sowohl
ach Maastricht als auch nach dem Grundgesetz ist eine
euverschuldung von null. Also generell keine Finan-
ierung durch Kredite, nur in eng begrenzten Ausnahme-
ällen.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11821
)
)
Jochen-Konrad Fromme
Es gilt der Grundsatz: Niemand kann auf Dauer mehr
ausgeben, als er einnimmt.
Ich sage präziser: Niemand kann mehr verbrauchen, als
er einnimmt. Da gibt es einen deutlichen Unterschied.
Ich will Ihnen am Beispiel eines Autokaufs klarmachen,
was wir in Deutschland falsch machen: Wenn wir für
den Bund ein Kraftfahrzeug beschaffen, ist es eine In-
vestition. Sie darf nach unserem geltenden Haushalts-
recht mit Krediten finanziert werden und ist in den letz-
ten Jahrzehnten auch mit Krediten finanziert worden.
Wir haben alles ausgereizt. Durch den Kauf des Autos
ändert sich die Vermögenslage des Staates aber über-
haupt nicht. Er hat ein bisschen mehr Schulden, und er
hat einen Vermögensgegenstand. Die Vermögenslage
des Staates ändert sich erst, wenn das Auto gebraucht
wird und damit an Wert verliert. Das wird im staatlichen
Budget aber überhaupt nicht erfasst. Das heißt, wir ha-
ben die Investition über einen Kredit finanziert, der Ver-
brauch erfolgt aber neben dem Haushalt. Dadurch, dass
die Bundesrepublik Deutschland Kredite gar nicht tilgt,
haben wir ein Verbrauchsgut indirekt mit Krediten finan-
ziert. Das genau ist das Problem.
Ich habe nachgeschaut: Wir haben dieses Haushalts-
recht seit 1969. Seit 1972 kaufen wir Dienstwagen auf
Kredit. Wir zahlen heute noch Zinsen für Dienstwagen,
von denen nicht einmal mehr die Asche oder der Schrott
übrig geblieben ist. Das genau ist das Problem. Deswe-
gen konnten sich die Schulden so hochschaukeln. Es hat
nichts damit zu tun, dass wir Dienstwagen brauchen,
aber es hat etwas damit zu tun, dass wir den Verbrauch
nicht durch laufende Einnahmen finanzieren.
Potenziert haben wir diesen Prozess noch durch die Kon-
junkturregelung, mit der wir festgelegt haben, dass man
zur Bekämpfung eines gesamtwirtschaftlichen Ungleich-
gewichts mehr Kredite aufnehmen kann. In Wahrheit ha-
ben wir aber immer nur Verbrauchsausgaben finanziert
und damit den Prozess noch gesteigert.
Eine ganz besondere Überdehnung dieser Möglich-
keit wurde durch das Verfassungsgerichtsurteil vom
letzten Sommer bestätigt. Was war der Streitgegenstand?
Im Haushalt 2004 hatten wir man höre und staune!
im November die Einnahmen verändert und die Kredit-
aufnahme um rund 20 Milliarden erhöht, während sich
bei den Ausgaben nichts verändert hat. Das heißt, wir
haben normale haushaltsmäßige Ausgaben mit Krediten
finanziert. Das Bundesverfassungsgericht hat dies sogar
durchgehen lassen. Dafür habe ich überhaupt kein Ver-
ständnis. Damals wäre die Gelegenheit gewesen, ein
deutliches Zeichen zu setzen, dass dieser Prozess geän-
dert werden muss.
Die Gemeinden stehen im Übrigen im Vergleich bes-
ser da als Bund und Länder. Warum ist das so? Die Ge-
meinden sind durch die Kommunalaufsicht immer ge-
zwungen worden, mindestens 2 Prozent ihrer Schulden
zu tilgen. Dieses Verhalten war zwar wirtschaftlich nicht
sauber, aber die Gemeinden haben immerhin getilgt.
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Politiker sind Menschen, und Menschen sind schwach, und
sie suchen in einer konkreten Situation immer den leichtes-
ten Ausweg. Das ist unsere Erfahrung seit 1969. Wir brau-
chen eine instrumentelle Absicherung, durch die es unmög-
lich wird, auszuweichen. Auf diesem Wege muss das süße
Gift des Verlagerns finanzieller Lasten in die Zukunft besei-
tigt werden. Wenn wir das schaffen, kommen wir finanz-
wirtschaftlich besser über die Runden. Dann werden wir
der Verantwortung unseren Kindern gegenüber gerecht,
weil wir ihnen keinen Schuldenberg, sondern ein geordne-
tes Staatswesen hinterlassen.
Schönen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Flach, FDP-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Ich finde es gut, Frau Hajduk, dass die Fraktion Die Grü-
nen eine Woche nach unserer Haushaltsdebatte im Ple-
num diesen Vorschlag macht. Manchmal hat man das
Gefühl, dass der Finanzminister und die hier versam-
melte Große Koalition den Eindruck vermitteln möch-
ten, alles sei im Lot, der Bundesfinanzminister sei nicht
nur Peer im Glück, sondern auch das Sterntalermäd-
chen. Aber in der Realität nimmt die Verschuldung der
öffentlichen Haushalte weiter zu, zwar etwas langsamer
das ist sicherlich positiv zu vermerken , aber deutlich
und stetig.
Die Situation ist nach wie vor dramatisch da stimme
ich meinen beiden Vorrednern ausdrücklich zu , und sie
rechtfertigt keineswegs das sage ich auch für unsere
Fraktion Forderungen nach umfangreichen Ausgaben,
für welchen guten Zweck auch immer.
Sparen ist angesagt. Wir müssen von den 40 Milliar-
den Euro Zinslasten des Bundes das muss man sich
einmal auf der Zunge zergehen lassen endgültig runter.
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a sind wir völlig bei Ihnen, Herr Fromme. Diesen Weg
ehen wir gemeinsam.
Insofern freue ich mich, dass die Grünen mit der so-
enannten Schweizer Schuldenbremse zumindest ein-
al einen Vorschlag auf den Tisch gelegt haben. Ich will
hnen aber auch gleich sagen: Die FDP steht dem kri-
isch gegenüber, und zwar aus folgenden Gründen:
Erstens. Bislang orientiert sich die Höhe der Kredit-
ufnahme an den Bruttoinvestitionen. Frau Hajduk, Sie
aben eben erläutert, dass Sie das ändern wollen, indem
ur noch ein Bezug zu den Nettoinvestitionen herge-
tellt wird. Das bedeutet, dass der Kreditrahmen um Ab-
chreibungen und Privatisierungserlöse verringert wird;
ber das ist für uns entscheidend eine steigende Ver-
chuldung wird nicht grundsätzlich verhindert. Der
achverständigenrat schätzt die Ermächtigung, die aus
en Nettoinvestitionen herrührt, auf circa 6 bis
Milliarden Euro. Als Haushälter muss man sich überle-
en, ob man das will; wir wollen es nicht.
Zweitens. Schulden, die aufgrund von Schätzfehlern
eim Haushaltsvollzug auftreten, werden auf einem vir-
uellen Ausgleichskonto gesammelt.
ie sagen, dass diese Summe 2 Prozent des BIP nicht
berschreiten darf. Da frage ich mich natürlich: Warum
Prozent?
as ist im Prinzip eine willkürlich gegriffene Zahl.
enn man dies nach dem augenblicklichen Stand be-
echnet, kommt man zu dem Ergebnis, dass dort
0 Milliarden Euro Schulden geparkt werden können.
as ist eine nicht unerhebliche Summe. Steigt das BIP,
teigt auch die Höhe der dort hinterlegten möglichen
chulden. Das sehen wir als problematisch und auch als
ntransparent an.
Drittens. Ihr Modell sieht bei Naturkatastrophen
der Unglücksfällen die Möglichkeit einer höheren Ver-
chuldung vor, wenngleich dies nur mit einer Zweidrit-
elmehrheit im Bundestag beschlossen werden kann. Da
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11823
)
)
Ulrike Flach
sind sich unsere Positionen näher, Frau Hajduk, als es im
Augenblick vielleicht scheint; aber es wird wirklich
schwierig. Widmen wir uns zum Beispiel dem Klima-
wandel, dessen Abfederung erhebliche Geldströme be-
nötigt! Wie schätzt man das ein? Dazu ist sicherlich
noch eine vertiefte Diskussion nötig.
Im Bundeshaushalt fallen die meisten Ausgaben für
Transferleistungen an. Ein kurzfristiges Umsteuern ist
hierbei äußerst schwer.
Sie geben nun etwas vor, was ich an Ihrem finanzpoli-
tisch sonst sehr stringenten Entwurf für völlig sachfremd
halte: Sie setzen das Ziel der Einhaltung des ökologi-
schen Gleichgewichts und der kontinuierlichen Senkung
der Umweltbelastung. Das heißt, Sie mischen Haushalts-
grundsätze und politische Zielvorstellungen.
Ebenso gut könnte man zum Beispiel das Ziel der Sen-
kung der Belastung für Familien oder aber das Ziel der
Senkung der Staatsquote einbeziehen. Das passt aus un-
serer Sicht nicht zusammen. Das öffnet Schleusen, die
wir gerade schließen wollen.
Was schlagen wir nun alternativ vor? Die FDP hat be-
reits im letzten Jahr einen Antrag eingebracht, nach dem
ein generelles Neuverschuldungsverbot bestehen soll,
von dem nur in Ausnahmefällen und nur mit einer Zwei-
drittelmehrheit im Bundestag abgewichen werden darf.
Wir haben seit 40 Jahren erstmals die Chance, einen
Haushalt ohne Neuverschuldung aufzustellen, sogar
schon 2008. Man muss aber sehen, dass wir mit einer
schwarzen Null im Bundeshaushalt nicht am Ziel sind.
Dann geht es natürlich erst richtig los; Herr Fromme, da
sind wir völlig einer Meinung. Rund 900 Milliarden
Euro der gesamtstaatlichen Verschuldung entfallen auf
den Bund. Erst wenn wir diesen Betrag abgebaut haben
wie schwierig das ist, werden wir alle in den kommen-
den Wochen mit unseren Kollegen in den einzelnen
Fachausschüssen hautnah erleben , sind wir am Ziel.
Wir brauchen aus unserer Sicht sehr restriktive Ver-
schuldungsverbote; denn schon im ersten Jahr eines
Haushaltsüberschusses sehen wir das begierige Funkeln
in den Augen vieler Minister. Frau von der Leyen ist ge-
rade nicht hier; sie hätte ich als besonders gutes Beispiel
dafür nennen können. Diesbezüglich stehen wir zum
Finanzminister Frau Hendricks, wenn Sie es ihm mit-
teilen würden, wären wir Ihnen dankbar : Haushaltssa-
nierung muss Priorität haben.
Die FDP will die Subventionen um 20 Prozent kür-
zen und den Subventionsbegriff erweitern. Wir wollen
darin unterscheiden wir uns sehr deutlich von der Ko-
alition und auch von den Linken im Haushalt erheb-
lich mehr einsparen. Sie könnten schon heute einen
ausgeglichenen Haushalt ohne Neuverschuldung vorle-
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Lassen Sie mich einen letzten Aspekt ansprechen.
und, Länder und Kommunen zusammen müssen zu ei-
er anderen Haushaltsführung kommen; da bin ich mit
hnen völlig einer Meinung, Herr Fromme. Die Schul-
enbremse, die die Grünen vorschlagen, wird aber schon
ei den Ländern methodisch problematisch, weil die
änder kaum eigene Steuergestaltungsmöglichkeiten ha-
en und somit ihre Einnahmen nicht so planen können
ie der Bund. Bei den Kreisen ist es ähnlich. Es gibt
chon heute Kreise, deren Einnahmen nicht mehr ausrei-
hen, um die Pflichtaufgaben zu erfüllen.
Die Föderalismuskommission hat im ersten Teil der
eform einiges auf den Weg gebracht, aus unserer Sicht
icht genug. Sie hat vor allen Dingen genau diesen emp-
indlichen Punkt im ersten Teil nicht erledigt. Sie hat
etzt die Chance, die Finanzbeziehungen zwischen Bund
nd Ländern auf eine sehr solide Basis zu stellen. Eine
onsequente Beschränkung der Neuverschuldungsmög-
ichkeiten wäre angesichts ihrer guten Einnahmesitua-
ion natürlich auch für die Länder möglich.
Das Modell der Grünen, Frau Hajduk, ist aus unserer
icht dazu nicht geeignet. Aber ich bin auf die Diskus-
ionen gespannt, die wir in nächster Zukunft dazu haben
erden. Wir sind völlig mit Ihnen einig, dass wir hier im
nteresse unserer Kinder und Enkelkinder einen neuen
eg gehen müssen und nicht so wie bisher weiterma-
hen können.
Wir sind für ein generelles Neuverschuldungsverbot
nd hoffen, dass uns dabei ein Großteil des Hauses fol-
en wird.
Das Wort hat der Kollege Volker Kröning, SPD-Frak-
ion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Nach der Devise Weniger ist mehr werde ich
ie Redezeit der SPD-Fraktion von 24 Minuten nicht
usschöpfen.
ch werde mir ein gutes Beispiel an den Vorrednerinnen
nd Vorrednern nehmen und mich kurz fassen; vielleicht
önnen es die Nachfolgenden entsprechend machen.
Ohne Frage besteht Handlungsbedarf im Hinblick auf
in System gesamtstaatlicher Haushaltsdisziplin. Es
urde schon gesagt: 1 500 Milliarden Euro öffentliche
chulden, also Schulden des Gesamthaushalts von Bund,
ozialversicherungen, Ländern und Gemeinden, sind zu
iel und verlangen nach einer Trendumkehr, einem Weg
11824 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Volker Kröning
aus der Schuldenfalle. Wenn Sie ich spreche hier vor
allem unsere Zuhörerinnen und Zuhörer an sehen, dass
wir im Bundeshaushalt allein 40 bis 45 Milliarden Euro
jährlich für Zinsen ausgeben und gar nicht tilgen, dann
zeigt ihnen dies, welche Handlungsmöglichkeiten uns
nicht erst in Zukunft, sondern schon in der Gegenwart
durch die Last entgehen, die unter anderem die Teilung
und Einigung Deutschlands den öffentlichen Finanzen
aufgebürdet haben.
Ich freue mich, feststellen zu können, dass es nicht
mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie einer
Schuldenschranke geht. Dazu ist der Vorschlag, den die
Grünen dankenswerterweise eingebracht haben, ver-
dienstvoll. Er kommt nicht mehr aus der Regierung he-
raus, sondern wurde mit den Mitteln einer Oppositions-
fraktion erarbeitet. Als Rechts- und Verfassungspolitiker
halte ich ihn auch deshalb für maßstabsetzend, weil er
nicht nur die Verfassung, sondern auch die Ausführungs-
gesetze ins Auge fasst, die wir uns ebenfalls anschauen
müssen. Es sind das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz
und die Bundeshaushaltsordnung für unseren Haushalt
und das Haushaltsgrundsätzegesetz für die nachgeordne-
ten Gebietskörperschaften, also die Länder inklusive der
Gemeinden.
Allerdings zeigt das Verfahren der Grünen bei allem
Charme dieser Debatte in der Kernzeit, dass wir noch
längst nicht so weit sind, eine Entscheidung treffen zu
können. Heute geht es ja auch um die erste Lesung des
Gesetzentwurfs. Die Grünen haben ihr Vorschlagspaket
in die Kommission eingebracht, von der schon die Rede
war. Dort ist es eine der Lösungsalternativen, die wir bei
der Bewältigung dieser Aufgabe, die unserer Generation
für unsere Nachkommen zu lösen aufgegeben ist, zu be-
urteilen haben. Dieses Verfahren, das ein bisschen an
Spagat erinnert, ist nicht nur unschädlich, sondern sogar
nützlich, weil der Vorschlag eine Vorlage für eine ge-
samtstaatliche Verständigung bildet, die wir brauchen
und zu der der Bund und zumindest verbal im Augen-
blick auch die Länder bereit sind, wie unsere Kommis-
sionsarbeit zeigt.
Um entsprechend vorarbeiten zu können, kenn-
zeichne ich auch die anderen Alternativen: den Vor-
schlag des Sachverständigenrates, um den die Bundes-
kanzlerin gebeten hatte und der uns in der Kommission
beschäftigt hat und weiter beschäftigen wird in ihm
geht es um das sogenannte Nettoinvestitionenmodell ,
und die Überlegung, das Regime, das die Europäische
Union inzwischen mit dem Vertrag von Maastricht, dem
Stabilitäts- und Wachstumspakt und der Reform des
Paktes eingeführt hat, auf die innerstaatlichen Verhält-
nisse zu übertragen. Diesen sehr einleuchtenden Ansatz
kann man ebenfalls auf einen Begriff bringen.
Da wir inzwischen akzeptieren müssen, dass Englisch
die Weltsprache ist, verwende ich den Fachbegriff close
to balance, das heißt Haushaltsausgleich innerhalb ei-
nes Konjunkturzyklus mit normalen Aufschwüngen und
Abschwüngen, also abgesehen von unvorhersehbaren
und unvermeidbaren Fällen, die einer Sonderregelung
bedürfen.
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Der Kollege Fromme hat zum Schluss seiner Ausfüh-
rungen eine mehr technische Bemerkung gemacht, die
aber hochpolitisch ist. Er hat deutlich gemacht, dass auf
dem Prüfstand der jetzt bevorstehenden Finanzverfas-
sungsreform nicht nur die Vorschrift über die Grenzen
des Kredits, Art. 115 des Grundgesetzes, steht oder die
Vorschrift in Art. 109, die mehr oder weniger fiktiv von
einer Haushaltsautonomie von Bund einerseits und Län-
dern andererseits ausgeht. Fiktiv sage ich übrigens
deshalb, weil die Länder entscheiden müssen, ob sie ihre
Staatlichkeit überhaupt ernst nehmen oder nicht. Das ist
eine hinkende Staatlichkeit, eine Staatlichkeit, die auf
der Ausgabenseite relativ groß ist, doch auf der Einnah-
menseite fast gleich null ist und im Wesentlichen darin
besteht, dass die Länder an der Steuergesetzgebung des
Bundes mitwirken. Das ist sozusagen Beteiligungsför-
deralismus und kein Gestaltungsförderalismus. Deshalb
kommt die größte verfassungspolitische Herausforde-
rung nicht auf den Bund, sondern auf die Länder zu.
Wichtig ist das hat Herr Kollege Fromme zu Recht
hervorgehoben; diesbezüglich kann ich ein bisschen die
Katze aus dem Sack lassen , dass es auch um Art. 114
des Grundgesetzes, nämlich die Vorschriften über Rech-
nungslegung und Rechnungsprüfung, geht. Das ist ein
ganz interessantes Thema. Wir haben bei unserer Arbeit
ja auch den Bundesrechnungshof auf unserer Seite. Und
es geht in Art. 110 Grundgesetz um die sogenannte Ka-
meralistik. In Art. 110 Abs. 1 Grundgesetz heißt es:
Alle Einnahmen und Ausgaben des Bundes sind in
den Haushaltsplan einzustellen; bei Bundesbetrie-
ben und bei Sondervermögen brauchen nur die Zu-
führungen oder die Ablieferungen eingestellt zu
werden.
Diese zwei kleinen Sätze zeigen, dass wir überhaupt
nicht wissen, was unseren Schulden an Vermögen ge-
genübersteht. Wir haben keine Vermögensrechnung. Wir
machen keine Bilanz und keine Gewinn- und Verlust-
rechnung. Wir müssen uns die grundlegende Frage stel-
len, ob das, was in der privaten Finanzwirtschaft üblich
ist, auf die öffentliche Finanzwirtschaft übertragen wer-
den muss und kann. Einige Länder und viele Gemeinden
sind da schon weiter als der Bund.
Wir als Koalitionsarbeitsgruppe Haushalt sind so
viel, Herr Fromme, darf ich ausplaudern bereit und
fühlen uns durch die Unterstützung des Finanzministeri-
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Das ist seit 1975 unter verschiedenen Koalitionen der
all: erst unter der sozial-liberalen unter Helmut
chmidt, dann der schwarz-gelben unter Herrn Kohl,
ann der rot-grünen unter Herrn Schröder und nun unter
er Großen Koalition.
etztlich ist es aber immer das gleiche Politikmodell.
In der Tat haben wir einen sehr hohen Schulden-
tand. Aber wenn man sich anschaut, woher er in den
etzten 20 Jahren gekommen ist, dann kann man insbe-
ondere zwei Zeiträume hervorheben: Das sind zum Ers-
en in ganz erheblichem Umfang die Jahre nach 1990 mit
em sogenannten Aufbau Ost.
11826 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Dr. Axel Troost
Wenn man das aufsummiert, sind darauf allein rund
700 Milliarden Euro des Schuldenstandes von 1,5 Billio-
nen Euro zurückzuführen. Es ist zum Zweiten die Politik
seit 2000, die dazu geführt hat, dass der Schuldenstand
noch einmal um rund 300 Milliarden Euro gestiegen ist;
darauf gehe ich gleich ein. Zwei Drittel des gesamten
Schuldenstandes, über den wir reden, sind also nur durch
diese zwei Phänomene verursacht.
Es wird gesagt, in Bezug auf den Aufbau Ost habe
man andere Finanzierungsvorstellungen gehabt und es
für falsch gehalten, zu meinen, das könne man aus der
Portokasse bezahlen. Da manche sagen, das sei verschüt-
tete Milch, schauen wir uns einmal an, was seit 2000
passiert ist.
Es ist in der Tat so, dass unter Rot-Grün natürlich mit
Unterstützung der CDU/CSU eine angebotsorientierte
Politik gemacht worden ist, indem vorwiegend an Unter-
nehmen und Reiche milliardenteure Steuergeschenke ge-
geben worden sind in der Hoffnung, dies führe zu mehr
Wachstum und zu einem Abbau der Arbeitslosigkeit.
Das Gegenteil ist eingetreten. Seitdem haben wir jähr-
lich rund 50 Milliarden Euro weniger an Einnahmen. Im
Jahre 2006 hätten wir insgesamt 53 Milliarden Euro
mehr in den öffentlichen Haushalten gehabt, wenn wir
die Steuerquote des Jahres 2000 noch gehabt hätten.
Das Ergebnis ist nicht, dass mehr Arbeitsplätze ent-
standen sind. Das Ergebnis sind vielmehr ein niedrigeres
Wachstum und riesige Haushaltsdefizite, weil Steuer-
mehreinnahmen ausgeblieben sind. Sie haben nämlich
makroökonomische Grundzusammenhänge schlicht und
einfach ignoriert. Die angebotsorientierten Steuersen-
kungen haben hauptsächlich Unternehmen und Spitzen-
verdiener entlastet und deswegen gerade nicht zu
Wachstum geführt.
Die Unternehmen belohnten diese Steuergeschenke in
den Jahren bis 2005 nicht mit einem Investitionsboom.
Nein, sie nahmen die Steuersenkungen als willkomme-
nes Geschenk mit und warteten auf steigende Nachfrage.
Aber diese Nachfrage gab es aufgrund der Binnenmarkt-
schwäche nicht im Inland, sondern ausschließlich im Ex-
port. Dies hat zu einer verteilungspolitischen Schieflage
in erheblichem Umfang geführt und dazu, dass dem An-
stieg der Schulden mit neuer Sparpolitik und wohlge-
merkt Steuersenkungen entgegengewirkt wurde. Inso-
fern glauben wir, dass ein Politikwechsel dringend
erforderlich ist, ein Wechsel, der letztlich zu mehr
Wachstum führt, das dann zu einer Sanierung der Staats-
finanzen beitragen kann.
Sie dagegen haben den Versuch unternommen der
Sachverständige Bofinger hat Deutschland als Weltmeis-
ter im Sparen auf dem öffentlichen Sektor bezeichnet ,
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Doch, das haben Sie gerade gesagt. Sie haben gerade
gesagt: Die Regeln sind so wunderbar, dass wir einfach
so weitermachen können.
Eines kann ich Ihnen sagen: Das Einzige, was die Re-
gierungen vereint, die Sie gerade als Vorbild in Ihrer Ar-
gumentation genannt haben, ist, dass in keiner dieser
Regierungen ein Kommunist am Ruder sitzt. Die Kom-
munisten stehen in diesen Ländern auf der Straße und
demonstrieren gegen die rigide Sparpolitik.
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Wir haben immer noch ein zu großes strukturelles De-
izit in Höhe von 23,5 Milliarden Euro, und wir reißen
mmer noch das Schuldenstandskriterium; denn wir
iegen bei 67,9 Prozent. Das ist sage und schreibe das
,6-Fache der Verschuldung, die wir in den 70er-Jahren
atten. Deshalb ist es nach Auffassung der Union gerade
n konjunkturell guten Zeiten von so großer Wichtigkeit,
ie weiterhin bestehenden Haushaltsungleichgewichte
o schnell wie möglich zu beseitigen und der Intention
er europäischen Haushaltsregeln folgend einen ausge-
lichenen Haushalt nicht nur zu erreichen, sondern auch
ür die Zukunft zu sichern.
Insoweit sind wir uns einig: Generationengerechte
aushaltspolitik bedeutet, keine vermeidbaren Kosten
uf die folgenden Generationen zu übertragen. Diese
rundregel ist im Grunde nichts Neues. Schon Bundes-
inanzminister Theo Waigel hat diesen Grundgedanken
ls Leitlinie in den Vertrag von Maastricht, in das Stabi-
itäts- und Wachstumsrecht von 1997 eingebaut.
Liebe Frau Kollegin Hajduk, es war das ist nur als
albsatz zu werten Ihr Finanzminister, der Finanz-
inister, den Sie in der Zeit von Rot-Grün unterstützt
aben, der als eine wesentliche Arbeit diesen Stabilitäts-
nd Wachstumspakt erheblich geändert hat. Das heißt,
ie waren mit dabei.
11828 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Georg Fahrenschon
Wir müssen uns auch darüber unterhalten, dass der im
März 2002 eingerichtete nationale Stabilitätspakt durch
die Einführung des § 51 a in das Haushaltsgrundsätzege-
setz zwischen Bund und Ländern zwar vereinbart wurde,
wir aber heute feststellen müssen, dass dieser nationale
Stabilitätspakt nicht funktioniert.
Darüber hinaus besteht die Sachlage, dass das Bun-
desverfassungsgericht zu der Klage Berlins auf Gewäh-
rung von Sanierungshilfen im vergangenen Jahr klar und
deutlich gesagt hat, dass wir verfahrensrechtliche und in-
haltliche Regelungen zwischen Bund und Ländern zum
Umgang mit Sanierungsfällen brauchen. Beide Aufga-
ben die Optimierung des nationalen Stabilitätspakts
und die fehlenden verfahrensrechtlichen und inhaltlichen
Regelungen hat die Föderalismuskommission II jetzt
zu bearbeiten.
CDU und CSU unterstützen diese Bestrebungen aus-
drücklich. Denn das will ich noch einmal deutlich ma-
chen wir brauchen ein System, das dazu führt, dass
jede Gebietskörperschaft schnellstmöglich einen ausge-
glichenen Haushalt anstrebt und durch entsprechende
Überschüsse in ihrem Wirken in die Lage versetzt wird,
Schulden abzubauen.
Im Grunde ist es ein ganz einfacher Dreiklang. Nur
wenn wir in guten Zeiten Überschüsse erwirtschaften
und in normalen Zeiten einen ausgeglichenen Haushalt
erreichen, sind wir in der Lage, in schlechten Zeiten
quasi über den Griff in die Rücklage Politik zu machen.
Wenn wir diesen Dreiklang nicht erreichen, wenn wir
nicht erreichen, dass wir in besonders guten Zeiten be-
sonders hohe Überschüsse erwirtschaften, dürfen wir
uns in besonders schlechten Zeiten nicht verschulden.
Das ist der klassische Dreiklang, zu dem wir zurück
müssen. Dafür brauchen wir eine Grundlage.
Wir sind deshalb der Auffassung, dass die Reform des
nationalen Haushaltsrechts eine Verfassungsänderung
einschließt, die nicht nur den Verpflichtungen der Bun-
desrepublik Deutschland im Rahmen der Europäischen
Union Rechnung trägt, sondern auch alle anderen Ge-
bietskörperschaften verfassungsrechtlich auf den Grund-
satz der Nachhaltigkeit in der Haushaltspolitik verpflich-
tet. Unser klares Ziel ist es darüber hinaus, dass sich
Gebietskörperschaften, die dieses Ziel nicht sofort errei-
chen können, auf einen Weg des schrittweisen Abbaus
des Defizits begeben.
Deshalb wollen wir über die Verfassungsänderung hi-
naus ein Frühwarnsystem aufbauen, das bei Störungen
der Haushalte ausgelöst wird, um sie schon in einem frü-
hen Stadium korrigieren zu können. Die Einleitung eines
solchen Warnverfahrens muss die jeweilig betroffene
Körperschaft zur Darlegung ihrer vergangenen und zu-
künftigen Haushaltspolitik und zur Festlegung verbindli-
cher Ziele für den Abbau der Verschuldung verpflichten.
Wenn wir über solch ein Frühwarnsystem und die da-
mit verbundenen Verpflichtungen reden, müssen wir uns
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Zweitens. Art. 115 Grundgesetz wurde 1969 von der
Politik gegen die damalige Troeger-Kommission durch-
gesetzt. Die Politik ist zum Teil gut damit gefahren, das
Land aber nicht.
Deshalb gibt es nur eines: Art. 115 Grundgesetz ersatz-
los streichen.
Drittens, Schweizer Schuldenbremse. Man muss ehr-
lich sagen: Es gibt in der Schweiz sehr unterschiedliche
Schuldenbremsen. Die Kantone haben unterschiedliche
Schuldenbremsen; die Eidgenossenschaft hat eine eigene
Schuldenbremse, die bisher nur einmal angewendet wer-
den sollte.
Was hat die Politik gemacht? Sie hat die Verantwortung
verschoben, weil sie sich zur Durchsetzung nicht im-
stande sah. Das zeigt doch, dass die Schweizer Schul-
denbremse nicht zum Ziel führt.
Wir brauchen ein Neuverschuldungsverbot. Nur das
wird dauerhaft dazu führen, den Marsch in den Schul-
denstaat zu stoppen und aus den Schulden herauszukom-
men.
Eines muss dann aber klar sein: Wenn wir die Länder
dazu verpflichten wollen, dauerhaft auf Schulden zu ver-
zichten, dann müssen wir den Ländern die Instrumente
geben, die das politisch überhaupt ermöglichen. Die
Länder brauchen dann Gestaltungsmöglichkeiten auf der
Einnahmenseite. Wenn wir den Ländern keine Steuer-
autonomie einräumen, wird jede Lösung von vornherein
zum Scheitern verurteilt sein.
Schließlich möchte ich einen Punkt nennen, der heute
noch nicht angesprochen wurde. Wenn wir dauerhaft auf
Schulden verzichten wollen, dann müssen wir Änderun-
gen am Länderfinanzausgleich vornehmen. Der anreiz-
feindliche Länderfinanzausgleich kann so nicht bestehen
bleiben.
Meine Damen und Herren, wir haben eine große Ver-
antwortung gegenüber den nächsten Generationen. Ha-
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Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzent-
ürfe auf den Drucksachen 16/5955 und 16/5954 an die
n der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
chlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? Das
st nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlos-
en.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 g sowie
ie Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf:
32 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro-
tokoll vom 28. Oktober 1993 zur Änderung des
Europäischen Übereinkommens vom 30. Sep-
tember 1957 über die internationale Beförde-
rung gefährlicher Güter auf der Straße
Drucksache 16/6121
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu-
ordnung der Ressortforschung im Geschäfts-
bereich des Bundesministeriums für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher-
schutz
Drucksache 16/6124
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Änderung des Pflanzenschutzgeset-
zes und des BVL-Gesetzes
Drucksache 16/6386
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Leibrecht, Dr. Werner Hoyer, Jens Ackermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Den gemeinsamen Standpunkt der EU zu
Birma/Myanmar stärken
Drucksache 16/5608
11830 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Behm, Alexander Bonde, Hans-Josef Fell, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Programm Energiewende in Gewächshäu-
sern auflegen
Drucksache 16/5969
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
f) Beratung des Antrags des Präsidenten des Bun-
desrechnungshofes
Rechnung des Bundesrechnungshofes für das
Haushaltsjahr 2006
Einzelplan 20
Drucksache 16/6129
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Herbert
Schui, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE
Initiative Frankreichs aufgreifen EADS
durch Kapitalerhöhung stärken und staatliche
Sperrminorität sicherstellen
Drucksache 16/6395
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
ZP 2a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ina
Lenke, Frank Schäffler, Dr. Hermann Otto Solms,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Steuerklasse V abschaffen Lohnsteuerabzug
neu ordnen
Drucksache 16/6396
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Grietje
Bettin, Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Fehlende Verbraucherschutzregeln und Rechts-
unsicherheiten im Telemediengesetz beseitigen
Drucksache 16/6394
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
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Drucksache 16/4763
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
Drucksache 16/6438
Berichterstattung:
Abgeordneter Martin Dörmann
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-
iehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
6/6438, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf
rucksache 16/4763 in der Ausschussfassung anzuneh-
en. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
timmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt
agegen? Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist da-
it in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD,
ündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU bei Enthaltung
er FDP und der Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
nd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
esetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben.
er stimmt dagegen? Enthaltungen? Der Gesetzent-
urf ist damit in dritter Beratung mit demselben Stim-
energebnis wie in der zweiten Beratung angenommen.
Tagesordnungspunkt 33 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der Richtlinie 2005/36/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates über
die Anerkennung von Berufsqualifikationen
der Heilberufe
Drucksache 16/5385
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit
Drucksache 16/6458
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Hans Georg Faust
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11831
)
)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/6458, den Gesetz-
entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/5385 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. Gegenstimmen?
Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen von SPD, der Fraktion Die
Linke und der CDU/CSU bei Enthaltung von Bündnis 90/
Die Grünen und FDP angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben.
Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? Damit ist auch
dieser Gesetzentwurf in der dritten Beratung mit demsel-
ben Stimmenergebnis wie in der zweiten Beratung ange-
nommen.
Tagesordnungspunkt 33 c:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-
derung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes
Drucksache 16/5725
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Drucksache 16/6439
Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Friedrich
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/6439, den Gesetzentwurf des Bundesra-
tes auf Drucksache 16/5725 in der Ausschussfassung an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. Wer stimmt dagegen? Enthaltungen?
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben.
Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? Der Gesetzent-
wurf ist auch in dritter Beratung mit den Stimmen des
ganzen Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt 33 d:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie zu dem Antrag der Ab-
geordneten Rainer Brüderle, Birgit Homburger,
Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Mehr Wettbewerb im Schornsteinfegerwesen
Drucksachen 16/3344, 16/4601
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Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:
Aktuelle Stunde
Äußerungen des Bundesinnenministers zu an-
geblich bevorstehenden atomaren Anschlägen
durch Terroristen in Deutschland und seine
Ermunterung für die verbleibende Zeit
Diese Aktuelle Stunde findet auf Verlangen der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen statt.
Ich gebe das Wort dem Kollegen Wolfgang Wieland,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es war
ja nicht irgendjemand, der in der Sommerpause ange-
sichts des Stakkatos aus dem Hause Schäuble geradezu
flehentlich um eine Atempause für die Bevölkerung bat.
Es war der Bundespräsident Horst Köhler. Aber selbst
dessen Appell ist ungehört verhallt. Im Gegenteil: Als
wäre er dadurch noch angestachelt worden, hat
Wolfgang Schäuble nun am Wochenende Dürers Apoka-
lyptische Reiter geradezu durch den Blätterwald galop-
pieren lassen.
Bis sie uns einholen, so sagt er, mögen wir die verblei-
bende Zeit doch bitte schön noch genießen.
Man könnte das als schwarze Satire nehmen:
Dr. Schäuble oder wie ich lernte, die Bombe zu fürchten.
Aber der, der hier solche Ängste schürt, sitzt nun nicht
als Kabarettist da, das ist kein Feuilletonist im Geiste
von Oswald Spengler. Er ist der zuständige Mann, eben-
dies zu verhindern, er muss die Gefahr einer solchen
schmutzigen Bombe bekämpfen, konkret, mit Augen-
maß. Wenn er sich dies nicht zutraut, dann ist er falsch
am Platz, dann muss er gehen.
Natürlich haben Terroristen jedweder Couleur auch
nach Atommaterial gegiert, nach atomaren Abfällen,
nach Plutonium. Deswegen hat gestern der Kollege
Hermann Scheer von der SPD völlig richtig gesagt: Ein
erster Schritt wäre die Abschaltung von Biblis.
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1) Abstimmungen zu den Tagesordnungspunkten 33 h und k siehe
Seite 11832 A
ir haben das vorgeschlagen. Der Antrag liegt seit Mo-
aten im Innenausschuss; er wird geschoben und ge-
choben und geschoben. Dazu sage ich: Die Bürger wol-
en, dass man der Gefahr real begegnet, dass man
andelt und nicht schwafelt. Dazu sind wir aufgefordert.
Herr Schäuble macht sich da gar keine Gedanken. Er
agt: Es ist gar nicht die Frage, ob, sondern nur, wann es
assiert. Das sagen die meisten Experten. Dahinter ver-
chanzt er sich. Dann kommt dieser nette Rat, die Zwi-
chenzeit fröhlich auszufüllen. Da sage ich klipp und
lar: Angst zu schüren, das ist das Ziel von Terroristen.
ngste abzubauen und reale Sicherheit zu verstärken,
as ist die Aufgabe und sollte das Ziel des Bundesinnen-
inisters sein.
Das Motiv für diese Kampagne ist klar: Mit den im-
er neuen Horrorszenarien soll der Koalitionspartner
turmreif geschossen werden.
Es ist doch nachgerade absurd: Nach den Festnah-
eerfolgen im Sauerland ging eine Debatte darüber los,
elche Lücken und Mängel wir haben. Man stelle sich
och einmal einen Fußballtrainer vor, dessen Mannschaft
: 0 gewonnen hat und der sagt: Wir sind den gegneri-
chen Angriffen schutzlos ausgeliefert, wir müssen jetzt
lles, Strategie und Taktik, anders machen. Den würde
an für plemplem erklären.
Der Bundesinnenminister nimmt sich diese Narren-
reiheit aber. Warum? Er tut dies, weil er das steht
eute völlig richtig in der Zeit die andere Republik
ill. Er haut mit dem Vorschlaghammer auf die be-
ährte Sicherheitsarchitektur ein. Das ist für einen Ver-
assungsminister unglaublich.
Die Schritte sind vorgegeben und liegen als Referen-
enentwürfe auf dem Tisch. Er will das BKA zu einem
eutschen FBI aus- bzw. umbauen, und zwar so, dass es
ie vollen geheimdienstlichen Befugnisse der CIA
leich noch mit erhält. Die Länderpolizeien werden dann
ur noch Hilfspolizeien sein und Amtshilfe leisten dür-
en. Mehr nicht. Dabei wird die Abkopplung vom Gene-
albundesanwalt und dessen Sachleitungsbefugnis erfol-
en. Er wird noch nicht einmal mehr darüber informiert,
as das BKA tut. Auch dies ist Absicht; denn das ist
ann auch eine Abkopplung von der Strafprozessord-
ung. Das will Wolfgang Schäuble, weil dort, wie er
eint, alleine die Unschuldsvermutung gilt, im Polizei-
echt also nicht. Deswegen will er Polizeirecht pur und
chranken- sowie uferlos vorgehen.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11833
)
)
Wolfgang Wieland
Zu den Vorschlägen aus dem Hause Zypries in dieser
Woche zu Terrorcamps und dem Abschießen von Flug-
zeugen vom heutigen Tage an, sofern es keine Passagier-
maschinen sind, sage ich hier ganz deutlich auch in
Richtung der SPD-Fraktion: Wer Wolfgang Schäuble,
Wolfgang Bosbach und der ganzen Kompanie den klei-
nen Finger gibt, der wird erleben, dass sie nach der gan-
zen Hand, ja sogar nach dem ganzen Arm greifen. Das
ist das Problem. Deswegen muss man Nein sagen und
standhaft sein. Man darf hier nicht nachgeben.
Schließlich und endlich zum Militäreinsatz im Inne-
ren. Das galt zunächst ja als eine Art persönliche Ma-
rotte von Wolfgang Schäuble. In den 90er-Jahren hat er
wegen der Asylantenfluten damit angefangen. Dann hat
er es für die Fußballweltmeisterschaft 2006 immerhin er-
reicht, dass sich die CDU/CSU-Innenminister hinter ihn
gestellt haben. Nun, in diesem Jahr, sagt die Bundes-
kanzlerin auf die Gretchenfrage, was an der Union denn
noch konservativ sei: Wir sind für den Bundeswehrein-
satz im Inneren. Das ist sozusagen der konservative
Marienschatz.
Herr Kollege, in der Aktuellen Stunde haben Sie fünf
Minuten Redezeit. Ich bitte Sie, diese auch einzuhalten.
Ja, Frau Präsidentin, das ist richtig. Ich komme zu
meinem letzten Satz.
Wolfgang Schäuble will die Vermischung von Militär
und Polizei. Er will die Vermischung von äußerer und in-
nerer Sicherheit und nicht mehr die Trennung von Krieg
und Frieden. Dieser Minister wähnt sich im Krieg. Er
führt Krieg gegen den gesamten rechtstaatlichen Fundus
unserer Republik.
Herr Kollege, der eine Satz ist bereits beendet.
Er ist als Verfassungsminister untragbar.
Es ist richtig, was ich hier mache.
Das Wort hat der Bundesinnenminister Dr. Wolfgang
Schäuble.
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hm wurde in diesem Interview die Frage gestellt:
Im Umfeld von al-Qaida hieß es ja schon, man
strebe nach Atomwaffen. Halten Sie die Gefahr für
realistisch, dass Terroristen an die ultimative Waffe
kommen?
ie Antwort al-Baradeis lautete:
Das ist meine größte Sorge, ein Horrorszenario. Ich
denke jetzt nicht an eine Atomwaffe dafür reichen
das Know-how und das Beschaffungspotential kei-
ner Terrorgruppe. Aber eine kleine, sogenannte
schmutzige Bombe mit radioaktivem Material,
irgendwo gezündet in einer Großstadt, könnte Men-
schenleben kosten, massiven Terror auslösen mit
schweren wirtschaftlichen Folgen. Manchmal
denke ich, es ist ein Wunder, dass das noch nicht
passiert ist. Und bete, dass es so bleibt.
ollen Sie das, was Sie gesagt haben, in Bezug auf die
ußerungen von Herrn al-Baradei verstanden wissen
der nicht?
Ich habe festgestellt, dass das übrigens nicht seit
euestem die größte Sorge der Sicherheitsexperten ist.
ls wir uns wie meistens am Montag getroffen ha-
en, Herr Kollege Körper, haben Sie zu Recht festge-
tellt, dass das nichts Neues ist. Wir wissen, dass Bin
aden schon 1998 das war noch vor dem
1. September nach den Anschlägen in Nairobi und
aressalam gesagt hat, es sei heilige Pflicht aller Mus-
ime im Kampf gegen die USA, sich aller verfügbaren
affen ob A-, B- oder C-Waffen zu bemächtigen.
as ist weder neu, noch um das auch zu sagen gibt es
onkrete Hinweise darauf, dass uns in Deutschland ein
erartiger Anschlag droht. Trotzdem ist es die große
orge aller Sicherheitsexperten. Die Aussage ist leider
ichtig, und wenn al-Baradei sich so äußert, dann wird
an das wohl feststellen müssen.
Deswegen hat man damals ich habe noch in Erinne-
ung, wer seinerzeit Regierungsverantwortung getragen
at in völligem Einvernehmen von Bund und allen
ändern ich bin derjenige, der diese bewährte Sicher-
eitsarchitektur in ihrer Wirkungskraft immer verteidigt
nd dies auch begründet richtigerweise beschlossen,
uch übrigens in der Vorbereitung auf das große Ereignis
er Fußballweltmeisterschaft 2006, im Bevölkerungs-
11834 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
schutz Elemente der ABC-Vorsorge einzuführen, und hat
daraufhin 500 Dekontaminationsfahrzeuge, also Fahr-
zeuge für den ABC-Schutz, angeschafft. Das heißt, wir
bereiten uns vor. Damit habe nicht erst ich angefangen.
Das wäre auch völlig unverantwortlich. Wir stehen viel-
mehr in einer Kontinuität und nehmen die Lage ernst.
Wie ich schon nach den erfolgreichen Fahndungs-
maßnahmen im Zusammenhang mit dem Ermittlungs-
verfahren der Bundesanwaltschaft festgestellt habe, gibt
es zwei Botschaften aus diesem Ereignis. Die gute Bot-
schaft ist: Wir haben gute Sicherheitsbehörden, die gute
Arbeit leisten. Die Bevölkerung kann auf die gute Arbeit
dieser Sicherheitsbehörden auch angesichts ernst zu neh-
mender Bedrohungen vertrauen.
Die andere nicht ganz so frohe Botschaft lautet: Wir
sind bedroht. Auch das ist nicht neu; es ist nur ein Stück
konkreter geworden. Das ist nicht erfreulich, aber es ist
die Wahrheit. Wir können diese Wahrheit nicht ver-
schweigen. Wir müssen sie sagen. Wir müssen darauf
nicht überzogen reagieren, überhaupt nicht; aber wir
sollten uns bemühen, sie nicht zu verdrängen.
Wir alle reden immer vom mündigen Bürger. Wenn
wir ihn ernst nehmen, dann sollten wir ihm sagen: Wir
haben gute Sicherheitsbehörden; sie leisten gute Arbeit.
Da die Arbeit der Sicherheitsbehörden so gut ist, bin ich
auch dafür, auf sie zu hören, wenn sie uns gerade im An-
gesicht eines so zu rühmenden Fahndungserfolges gera-
dezu beschwören, ihnen angesichts der rasanten Ent-
wicklungen in den Kommunikationstechnologien die
notwendigen gesetzlichen Instrumente zu geben, damit
sie auch in Zukunft gute Arbeit leisten können. Wer die
Auffassung des Präsidenten des Bundeskriminalamts
oder der verfahrensleitenden Generalbundesanwältin
kennt, der wird doch nicht sagen, dass die CDU/CSU
verrückt geworden ist. Auch sie wollen versuchen, den
Sicherheitsbehörden, die gute Arbeit leisten, auch in der
Zukunft die notwendigen gesetzlichen Grundlagen zu
geben, damit sie auch in der Zukunft gute Arbeit leisten
können. Das ist unsere Verantwortung als Gesetzgeber,
nicht mehr und nicht weniger.
Darüber können wir gerne streiten, aber nicht in die-
ser Form von Diffamierung.
Doch. Sie unterstellen einem abwechselnd, man wolle
die Verfassung abschaffen oder man sei geisteskrank.
Dazwischen gibt es kaum etwas bei Ihnen.
Frau Künast, ich verstehe, dass Sie Herrn Wieland
nicht so genau zuhören. Wenn man ihn öfter hören muss,
dann kann ich das gut nachempfinden. Aber lassen wir
das. Das Thema ist offensichtlich ernst.
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Lassen Sie uns in allem Ernst über die Frage der Ab-
renzung und darüber reden, wie wir sicherstellen kön-
en, dass wir auch in der Zukunft ausschließlich auf kla-
er und eindeutiger verfassungsrechtlicher Grundlage
andeln. Ich erinnere mich dunkel daran, dass der Ent-
urf eines Luftsicherheitsgesetzes, über den wir gestern
m Rahmen der Aktuellen Stunde zu den Äußerungen
es Kollegen Jung debattiert haben, von der rot-grünen
undesregierung stammt. Ich erinnere mich präzise da-
an, dass der damalige Redner der Opposition das war
er Abgeordnete Schäuble gesagt hat: Den Schutz-
weck teilen wir, aber die verfassungsrechtliche Grund-
age dafür ist fraglich.
Wir haben im Koalitionsvertrag sodann einen Prü-
ungsauftrag vereinbart, der bei der Beantwortung der
rage helfen sollte, was wir machen, wenn das Verfas-
ungsgericht so entscheidet, wie es damals nicht auszu-
chließen war. Dann haben die drei fachlich beteiligten
essorts, Innenministerium, Justizministerium und Ver-
eidigungsministerium auf fachlicher Ebene, politisch
icht abgestimmt Frau Kollegin Zypries hat immer ge-
agt, das ist politisch nicht entschieden; darüber gibt es
einen Dissens; diese Entscheidung kann nicht in der
erantwortung der Ressorts getroffen werden, sondern
ur in der Koalition im Ganzen , einen auf Abteilungs-
eiterebene abgestimmten Vorschlag erarbeitet, aus dem
ervorgeht, wie man das Problem lösen kann, das auf-
rund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum
ot-grünen Gesetzentwurf entstanden ist. Diesen Vor-
chlag haben wir der Koalitionsführung unterbreitet. Es
st bisher nicht entschieden worden. Das kritisiere ich
icht, aber ich verstehe die Not des Kollegen Jung und
itte, sie ernst zu nehmen.
Herr Kollege, über den Gegenvorschlag der SPD reden
ir.
Bis es aber entschieden ist, hat der Kollege Jung ge-
auso wie sein direkter Vorgänger, Herr Struck von
hm gibt es entsprechende Äußerungen , und alle ande-
en Vorgänger seit Georg Leber die Not zu tragen, in ei-
er verfassungsrechtlich nicht einwandfrei geregelten
ituation was Gott verhindern möge Entscheidungen
reffen zu müssen, für die ich lieber eine verfassungs-
echtlich einwandfreie Lösung haben möchte. Dafür
erbe ich.
as gilt um es noch einmal zu sagen in gleicher
eise für die Bitten von Generalbundesanwaltschaft und
undeskriminalamt, gerade angesichts der Fahndungser-
olge.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Gefahr ist
icht vorüber. Die Islamische Dschihad-Union hat uns
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11835
)
)
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
eine Woche danach erklärt: Jawohl, das stimmt so, und
man wird die Planungen fortsetzen. Das müssen die
Sicherheitsbehörden ernst nehmen. Wenn sie uns gera-
dezu beschwörend bitten, gebt uns einwandfreie Rechts-
grundlagen übrigens sind die Rechtsgrundlagen aus
rot-grüner Zeit vom Bundesgerichtshof für nicht ein-
wandfrei erklärt worden , dann ist es unsere Pflicht,
Rechtsgrundlagen zu schaffen; nicht mehr, aber auch
nicht weniger. Diejenigen, die sagen, auf der Basis unse-
res Grundgesetzes wollen wir auch in Zukunft unsere
Freiheit wahren und im Rahmen dieser Freiheit den
Menschen das mögliche Maß an Sicherheit gewähren,
planen keine Anschläge auf die Verfassung, sondern ma-
chen die Verfassung auch in Zukunft krisenfest. Dafür
bitte ich Sie um Ihre Unterstützung.
Ich habe gebe das Wort der Kollegin Gisela Piltz,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Herr Schäuble, ich bin wirklich verwundert, dass
Sie hier und heute für das, was Sie am Wochenende der
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gesagt haben,
ein Spiegel-Interview als Erklärung anbieten. Ist dieses
Interview, das Bemerkungen von al-Baradei enthält,
wirklich alles, was Sie heute dem Deutschen Bundestag
und der Bevölkerung zu bieten haben? Ich finde, das ist
eines Innenministers nicht würdig.
Es nützt überhaupt nichts, dass Sie von der CDU/
CSU-Fraktion so lange klatschen. Eines ist heute und
gestern klar geworden: Diese Koalition ist in der Innen-
politik total zerrüttet.
Das ging sehr schnell; das muss Ihnen erst einmal je-
mand nachmachen.
Als ich am Sonntagmorgen die Sonntagsausgabe der
FAZ gelesen habe, konnte ich jedenfalls nicht gelassen
bleiben. Sie können sich vorstellen, dass es mir schon
schwerfällt ich bin Rheinländerin , nicht gelassen zu
bleiben.
Viele Fachleute sind inzwischen überzeugt, dass es
nur noch darum geht, wann solch ein Anschlag
kommt, nicht mehr, ob.
Das ist ein Zitat von Ihnen. Der Höhepunkt ist aus mei-
ner Sicht aber, dann auch noch zur Gelassenheit aufzuru-
fen. Was sollen denn die Eltern, die gerade mit ihren
Kindern am Frühstückstisch sitzen, damit anfangen?
Sollen wir jetzt unsere Häuser verkaufen, unser Testa-
ment ändern und fröhlich in den Tag leben? Das kann
doch wirklich nicht Ihr Rat an uns sein.
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Was wollen Sie damit eigentlich erreichen? Sie wol-
en die SPD unter Druck setzen. Dass Sie dafür die
ngste unserer Bevölkerung nutzen, halte ich für skan-
alös.
Das, was Sie tun, ist nicht ehrlich und zugleich ge-
ährlich, weil Onlinedurchsuchungen nicht das Allheil-
ittel gegen Terrorismus sind.
ir brauchen mehr. Über viele Dinge, zum Beispiel über
ie bessere Ausstattung der Polizei, bessere Kommuni-
ation
11836 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Gisela Piltz
ich nenne nur den BOS-Digitalfunk und über die
Vermeidung von Doppelarbeit und Doppelzuständigkei-
ten hört man im Moment sehr wenig von Ihnen. Hinge-
gen gibt es einen Bericht des Bundesrechnungshofs, der
ganz klar sagt, dass in Ihrem eigenen Programm zur
Stärkung der inneren Sicherheit bei der Mehrzahl der un-
tersuchten Maßnahmenpakete nicht erkennbar ist, dass
die Bundespolizei ihre Ziele in absehbarer Zeit erreichen
kann. Auch davon ist in Ihren Interviews nichts zu lesen.
Das könnten Sie dann nicht einschränken oder zurück-
nehmen. Das ist nämlich die Wahrheit.
Aber Sie schrecken auch vor der nächsten Stufe nicht
zurück; Sie haben sich vielmehr mit dem Bundesvertei-
digungsminister zusammengetan, sozusagen als Tan-
dem, das an der Bedrohungsspirale dreht.
Sie machen gemeinsame Sache mit dem Bundesverteidi-
gungsminister. Sie haben es sich wirklich klug ausge-
dacht, dass Sie an einem Wochenende zwei Interviews
geben. Allerdings hat Ihnen der Bundesverteidigungsmi-
nister einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das In-
terview hätten Sie selber redigieren sollen. Ehrlich ge-
sagt: Das, was Ihrem Kollegen passiert ist, wäre Ihnen
nicht passiert. Das sollten Sie in Zukunft besser machen.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Mein letzter Satz. Daraus wird eines klar: Genau
wie die USA wollen Sie die terroristische Bedrohung
nicht mit den Mitteln des Rechtsstaats bekämpfen, son-
dern Sie wollen ein Sonderrecht außerhalb unserer Ver-
fassung. Den Rechtsstaat und seine Bürgerinnen und
Bürger zu schützen, das ist kein Firlefanz, wie es gestern
hier gesagt worden ist.
Frau Kollegin.
Das ist vielmehr die Aufgabe dieses Hauses. Wir je-
denfalls arbeiten daran.
Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Fritz Rudolf Körper
von der SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
Herr Schäuble, freitagabends scheint Sie die Sorge zu
befallen, was Sie nur mit dem bevorstehenden Wochen-
ende machen sollen.
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iese Frage ist mir aufgefallen. Sie beantworten Sie in
er Regel durch die Abgabe eines Interviews oder durch
ie Verbreitung auch manchmal alarmierender Presse-
eldungen. Wenn ich die letzten Wochenenden Revue
assieren lasse, fallen mir einige dieser Freizeitbeschäf-
igungen auf. Eigentlich ist es keine Freizeitbeschäfti-
ung, sondern eher deren Vermeidung. Es ist eine Art
ienst an Wochenenden, allerdings mit Folgen, die nie-
andem nützen, auch nicht der innenpolitischen Debatte
n Deutschland.
Ich gebe zu, es wäre auch sinnvoller gewesen, eine so
nverantwortliche ins Auge gefasste Maßnahme wie die
erabsenkung des Mindestalters für den Erwerb und den
esitz großkalibriger Waffen von 21 auf 18 Jahre, nicht
us der Presse zu erfahren.
ch bin auch sehr froh darüber, dass diese Maßnahme zu-
ückgenommen worden ist. Das zeugt auch zu einem
eil davon, wie Öffentlichkeitsarbeit gemacht wird.
Lieber Herr Schäuble, am vergangenen Wochenende
lagte Sie offensichtlich wieder die Langeweile. Also
aben Sie der FAS vom 16. September ein Interview.
arin beschäftigten Sie sich mit der Möglichkeit eines
erroristischen Anschlags mit nuklearem Material. Sie
ntwarfen ein Gefahrenszenario, das die Sicherheitsbe-
örden schon seit langer Zeit beschäftigt. Das weiß ich
us eigener Anschauung. Leider erweckten Sie aber den
indruck, dass dieses Szenario nicht nur die bekannten
bstrakten Gefahren abbildet, sondern dass ihm eine ge-
isse Aktualität zukommt. Und darin besteht das Pro-
lem.
Hätte es eine Aktualität gegeben, wären Sie verpflich-
et gewesen, die zuständigen Gremien zu unterrichten.
ies ist nicht erfolgt, deswegen gab es auch keine
ktualität.
Herr Schäuble, ich hätte gern, dass Sie jetzt noch ein-
al zuhören.
m gleichen Interview rufen Sie die Bevölkerung in ei-
em Atemzug mit der Warnung vor einem Terrorangriff
it Nuklearmaterial zu Gelassenheit auf. Das ist nach
einem Dafürhalten die Besonderheit.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11837
)
)
Fritz Rudolf Körper
Der Aufruf hat daher nur den Hintergrund, Beunruhi-
gung zu erzeugen. Wenn Sie diesen Nachsatz, den Sie
gesagt haben, den Sie aber heute nicht angesprochen ha-
ben, ins Pfälzische übersetzen, könnte man sagen: Trink
noch einen Schoppen oder zwei, es ist ohnehin bald alles
vorbei.
Ich halte es für sehr unverantwortlich, mit diesem
Thema so umzugehen.
Sie tragen auch die Verantwortung dafür, die Sicher-
heitslage objektiv darzustellen.
Wir können darauf stolz sein, dass Deutschland im inter-
nationalen Vergleich eines der sichersten Länder der
Welt ist.
Wenn das subjektive Empfinden der Menschen nicht mit
dieser objektiven Lage, dass wir eines der sichersten
Länder der Welt sind, übereinstimmt, sind diese Inter-
views dafür verantwortlich.
Es gibt ein Sprichwort Reden ist Silber, Schweigen ist
Gold.
Lieber Herr Schäuble, mein Rat an Sie lautet, sich dieses
Sprichwort zu Herzen zu nehmen. Damit dienen Sie
auch der innenpolitischen Debatte.
Diese Öffentlichkeitsarbeit überlagert im Grunde ge-
nommen die innenpolitische Arbeit. Ich finde das
schade, denn wer die Koalition von innen heraus kennt,
wird feststellen, dass wir auf einem guten Weg sind.
Nicht umsonst wollen wir beispielsweise das Bundeskri-
minalamt mit einer Präventionszuständigkeit ausstatten.
Das ist für den Kampf gegen den internationalen Terro-
rismus dringend notwendig. Wir hätten da viel weiter
sein können, wenn es nach den Vorstellungen der SPD-
Fraktion gegangen wäre.
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Das Wort hat die Kollegin Petra Pau, Fraktion Die
inke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
as zur Rede stehende Zitat spricht für sich. Ich kom-
entiere das nicht. Es ist mir einfach zu zynisch.
Mich ärgert etwas anderes mehr: Seit Wochen, ja Mo-
aten erleben wir ein Stakkato von Angriffen auf Recht
nd Gesetz, auf die grundsätzliche Verfasstheit der Bun-
esrepublik. Diese Attacken auf das Grundgesetz kom-
en nicht von Extremisten und auch nicht von Terroris-
en, sondern direkt aus den Ministerien und dem
undeskanzleramt. Ich finde, das ist ein unhaltbarer Zu-
tand.
Der eine Minister sagt: Das Grundgesetz taugt nicht
ehr für diese Zeit. Der andere Minister, Franz Josef
ung, sagt: Das Grundgesetz interessiert mich nicht. Ich
age dazu: Es ist etwas faul. Ich finde, die Loyalität der
undeskanzlerin darf nicht so weit gehen, dass sie sol-
he Angriffe auf das Grundgesetz duldet oder gar stützt.
Das aktuelle Tohuwabohu von Amts wegen begann
brigens schon rund um den G-8-Gipfel. Ich will nur ei-
en Punkt ansprechen. Mit mehreren tausend Soldatin-
en und Soldaten nebst Militärgerät wurde die Bundes-
ehr rund um Heiligendamm und damit im Inneren
ingesetzt. Bis heute ist im Übrigen nicht einmal klar,
er den Tornados die Flüge über die G-8-Camps geneh-
igt hat. Ich finde, das ist ein Ding aus dem Tollhaus.
rotzdem verweist die Bundesregierung auf Art. 35
rundgesetz und behauptet, alles sei rechtens gewesen.
rt. 35 Grundgesetz gestattet den Einsatz der Bun-
eswehr im Innern bei außerordentlichen Naturkatastro-
hen und bei besonders schweren Unglücksfällen. Liebe
olleginnen und Kollegen, ist das Ihr Ernst? Wenn der
-8-Gipfel eine außerordentliche Naturkatastrophe war
nd ein besonders schwerer Unglücksfall,
11838 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Petra Pau
dann frage ich die Bundesregierung: Warum holen Sie so
viel Unglück in unser Land?
Die Unionsparteien wollen seit langem die Bundes-
wehr im Innern einsetzen, und sie setzen dabei auch auf
so etwas wie Gewohnheitsrecht. Selbst bei sogenannten
Sicherheitskonferenzen, die von Rüstungskonzernen or-
ganisiert werden, sichert die Bundeswehr rechtswidrig
die Logistik. Anders gesagt, der einfache Steuerzahler
finanziert die Rüstungslobby. Das ist inzwischen Usus,
und das ist für die Linke nicht hinnehmbar.
Verteidigungsminister Jung hat wiederholt, er werde
von Terroristen entführte Passagierflugzeuge abschießen
lassen. Das wollten schon damals SPD und Bündnis 90/
Die Grünen, bis das Bundesverfassungsgericht ent-
schied: Niemand darf Gott spielen und Menschenleben
gegen Menschenleben aufwiegen. Minister Jung will es
dennoch. Ich finde, das offenbart ein gefährliches
Rechts-, aber auch Religionsverständnis der CDU.
Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass Bundesregie-
rungen Urteile hoher Gerichte wie der Berliner sagt
wurscht finden. Das Bundesverwaltungsgericht hat im
Jahre 2005 festgestellt, dass Deutschland sehr wohl am
völkerrechtswidrigen Krieg der USA gegen den Irak be-
teiligt ist. Was macht die Bundesregierung bis heute mit
diesem Urteil? Sie ignoriert es. Wer so mit Recht und
Gesetz umspringt, darf sich über eine allgemeine Verro-
hung der Sitten nicht wundern.
Innenminister Schäuble will beharrlich Computer
klammheimlich online überwachen lassen. Auch das ist
ein Angriff auf verbriefte Grundrechte; er weiß das. Herr
Minister, hätte ich nicht ein gestörtes Verhältnis zu die-
ser Behörde, so würde ich sagen: Wolfgang Schäuble ist
ein typischer Fall für den Verfassungsschutz.
Ich gebe zu, Herr Minister: Sie sind intelligent. Sie
lenken den Fokus auf die Onlineuntersuchung, und ganz
nebenbei forcieren Sie den größten Umbau in der Ge-
schichte der Bundesrepublik, weg vom demokratischen
Rechtsstaat hin zum präventiven Sicherheitsstaat. Sie
setzen dabei auf die SPD, denn nie war die Koalition so
groß und damit offensichtlich auch die Versuchung, ei-
nen Pakt mit dem Teufel zu schließen. Liebe Kollegin-
nen und Kollegen von der SPD, da die Union teuflisch
entschlossen zu sein scheint, kann ich an Sie nur appel-
lieren: Verweigern Sie sich, und helfen Sie, das Grund-
gesetz zu schützen!
Ganz in diesem Sinne wird es übrigens am Sonn-
abend in Berlin eine bundesweite Demonstration geben.
Ich lade Sie alle dazu ein. 14.30 Uhr am Brandenburger
Tor: Gegen Überwachung und Datenklau, für Freiheit
und Bürgerrechte. Ich werde jedenfalls dabei sein.
Ich gebe das Wort dem Kollegen Clemens Binninger,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
nd Kollegen! Vor etwa zweieinhalb Wochen hat es
urde schon angesprochen der Chef der Atomenergie-
ehörde, al-Baradei, gesagt, seine größte Sorge sei, dass
erroristen mit radioaktivem Material eine schmutzige
ombe zünden könnten. Gab es darauf Empörung oder
ndere Reaktionen? Nein. Hat sich die FDP oder haben
ich die Grünen irgendwie empört? Nein. Gab es eine
edial aufgeblasene Debatte über die Unsinnigkeit die-
er Behauptung? Nein.
Wolfgang Schäuble hat vor vier Tagen in der Frank-
urter Allgemeinen Sonntagszeitung genau das Gleiche
esagt. Daraufhin haben Grüne und FDP ihre Empö-
ungsmaschine eingeschaltet und Betroffenheit geheu-
helt. Das ist nicht nur scheinheilig, sondern in hohem
aße auch unglaubwürdig.
Ich würde mir wünschen, dass Sie sich etwas mehr
er Sicherheitslage widmen, statt sich intensiv nur mit
en Interviews des Ministers auseinander zu setzen.
ass Deutschland innerhalb der letzten zwölf Monate
ur zweimal knapp einem verheerenden Anschlag ent-
angen ist, das kommt bei Ihnen nicht vor.
ass die drei Attentäter, die vorletzte Woche festgenom-
en wurden, mehr als eine halbe Tonne Sprengstoff an
elebten Orten zünden wollten, das kommt bei Ihnen
icht vor. Dass es in Deutschland unverändert mehr als
00 sogenannte Gefährder gibt, die eine permanente Be-
rohung für unser Land sind, die sich sehr konspirativ
erhalten, die modernste Technik benutzen, die sich ab-
chotten, das alles kommt bei Ihnen nicht vor. Sie von
DP und Grünen blenden die Sicherheitspolitik in Ihren
ebatten völlig aus und konzentrieren sich stattdessen
uf Polemik gegenüber dem Innenminister.
as ist nicht nur unanständig, sondern auch schädlich
ür die Sicherheit unseres Landes.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11839
)
)
Clemens Binninger
Herr Kollege Körper, man kann über Interviews na-
türlich immer unterschiedlicher Meinung sein, aber ei-
nes, glaube ich, muss klar sein: Es ist die Pflicht und die
Aufgabe eines Innenministers, auf die Sicherheitslage
und die Bedrohungslage sowie die damit verbundenen
Herausforderungen hinzuweisen.
Es ist eben nicht so, dass die Bedrohungslage seit dem
11. September unverändert wäre. Sie hat sich gewandelt.
Die Bundesrepublik ist von einem Ruhe- und Rückzugs-
raum zu einem Anschlagsziel geworden. Das Täterprofil
hat sich gewandelt. Madrid und London, daran sieht
man: Die Vorgehensweise wird hemmungsloser, bruta-
ler. Die Abschottung nimmt zu, und das Handeln wird
immer konspirativer. Neue Technik wird eingesetzt. All
das hat sich gewandelt.
Es ist die Aufgabe und die Pflicht von Minister
Schäuble ich bin ihm dankbar dafür, dass er ihr nach-
kommt , dies zu benennen und zu sagen, was wir tun
müssen, wenn wir die Sicherheit der Menschen in unse-
rem Land gewährleisten wollen, und wir wollen das.
In diesem Zusammenhang ist die heutige Debatte eine
gute Gelegenheit, einmal darauf hinzuweisen, wo sich
die FDP und teilweise auch die Grünen in den letzten
Jahren bei notwendigen sicherheitspolitischen Maßnah-
men immer wieder verweigert haben. Die Einrichtung
eines Antiterrorzentrums dies trifft nicht die Grünen :
Die FDP hat dagegen gestimmt. Mehr Befugnisse zur In-
formationsbeschaffung für die Sicherheitsbehörden, vor
einem halben Jahr beschlossen: Die FDP hat dagegen
gestimmt. Die überfällige Antiterrordatei: Grüne und
FDP haben dagegen gestimmt.
So ließe es sich fortsetzen. Überall, wo wir etwas für die
Sicherheit unseres Landes tun, blenden sich FDP und
Grüne aus. Das ist fahrlässig und unverantwortlich.
Bei der FDP hat dies ja ein bisschen Tradition. Viele
werden sich daran erinnern, wie sehr die FDP den gro-
ßen Lauschangriff politisch bekämpft hat. Seinerzeit gab
es sogar einen Rücktritt; den Namen habe ich vergessen.
Heute sind wir froh, dass wir dieses Instrument für unsere
Sicherheitsbehörden haben. Ohne den großen Lauschan-
griff, den die FDP bekämpft hat, wären die Sicherheitsbe-
hörden nicht in der Lage gewesen, die Anschläge zu ver-
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Wir müssen uns über eines im Klaren sein: Die große
ehrheit der Bevölkerung in diesem Land möchte,
enn es um die Bekämpfung des Terrorismus geht, ei-
en starken Staat. Die Große Koalition will das auch.
DP und Grüne wollen es offensichtlich nicht. Sie schü-
en Misstrauen, sie polemisieren gegen den Innenminis-
er; aber vernünftige Vorschläge für die Sicherheit unse-
es Landes kommen von ihnen beiden nicht. Das ist die
otschaft der heutigen Debatte.
Herzlichen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Silke Stokar für
ündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wäre
ie Situation in Deutschland nicht so ernst wir haben ja
ine reale Bedrohung durch Terrorismus , könnte man
ber einen Teil der innenpolitischen Debatte, die hier im
lenum so offen geführt wird im Innenausschuss läuft
ie viel schlimmer ab , durchaus amüsiert sein.
Herr Binninger, Sie haben uns vorgeworfen, wir wür-
en die Sicherheit nicht ernst nehmen. Ich möchte Ihnen
agen: Zwei in Deutschland geplante Terroranschläge
urden auf der Grundlage der unter Rot-Grün geschaffe-
en Sicherheitsgesetze verhindert.
enau die Gesetze, die damals unaufgeregt, unter Ach-
ung der Verfassung,
hne Schüren von Ängsten und in Einigkeit der Koali-
ion geschaffen wurden, waren die Grundlage für die Er-
olge der Sicherheitsbehörden, über die wir alle froh
ind.
Herr Bundesinnenminister Schäuble, ich empfinde es
ls merkwürdig, was Sie hier seit einiger Zeit abziehen.
inerseits werfen Sie uns an jedem Wochenende über
ie Sonntagszeitungen Brocken hin und freuen sich da-
über, wie es Ihnen mit den Interviews gelingt, zum ei-
en die SPD vor sich her zu treiben und zum anderen
11840 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Silke Stokar von Neuforn
dies halte ich für unverantwortlich die Bevölkerung
in Angst und Verunsicherung zu versetzen. Andererseits
sagen Sie, wenn Sie im Innenausschuss oder im Parla-
ment sind ich weiß nicht, ob das feige oder Strategie
ist; das ist mir auch egal , Sie hätten doch gar nichts ge-
macht. Es ist doch ein Unterschied, in welchem Zusam-
menhang ein Zitat vorgebracht wird. Dass seit dem
11. September über eine dreckige Bombe geredet wird,
ist uns allen bekannt. Es geht doch darum, auf welche
Art und Weise, in welchem Kontext und mit welcher
Empfehlung an die Bevölkerung Sie darüber reden. Dies
ist hier zu Recht gesagt worden.
Sie können als Innenminister hier doch nicht sagen, es
sei möglich, dass Terroristen eine Nuklearbombe bauten,
und dann der Bevölkerung die Empfehlung geben: Ge-
nießen Sie bis dahin das Leben! Das ist ein Fatalismus,
mit dem Sie das Vertrauen in Politik unterminieren, mit
dem Sie den Eindruck erwecken, der demokratische
Rechtsstaat sei mit seiner Verfassung in einer solchen
Bedrohungslage nicht handlungsfähig. Ich nenne ein sol-
ches Verhalten unverantwortlich; es ist ein parteipoliti-
sches Ausschlachten von Innenpolitik, ohne dass Lösun-
gen oder Konzepte angeboten würden.
Rot-Grün hat damals anders gehandelt; das haben Sie
zu Recht gesagt. Wir haben damals in Anbetracht der
möglichen Anthrax-Anschläge zivile ABC-Fahrzeuge
angeschafft, damit wir mit zivilen Mitteln, ohne Einsatz
der Bundeswehr, mit neuen Bedrohungslagen im Innern
umgehen können. Das war genau die richtige Antwort.
Erkennbare Gemeinsamkeiten auch das finde ich fa-
tal; ich denke, dass die innenpolitische Debatte so nicht
weitergehen kann in der Innenpolitik gibt es in dieser
Großen Koalition nicht. Ich will Ihnen nur einmal Ein-
blick gewähren, wie das im Innenausschuss aussieht;
dagegen ist das hier eine softe Veranstaltung. Im Innen-
ausschuss sagt Herr Bosbach zum innenpolitischen Spre-
cher Lügner; da leisten sich SPD und Union im Bei-
sein des BKA-Chefs Ziercke eine Schlammschlacht über
Innenpolitik; sachlich-inhaltlich haben sie gemeinsam
keinen Beitrag zu leisten.
Ich schaue da auch in Richtung SPD: Ich finde es eine
verkehrte Welt, wenn ein Landesinnenminister wie Herr
Stegner in Schleswig-Holstein gehen muss und Herr
Schäuble hier sitzen bleiben kann. Da erwarte ich von
Ihnen von der SPD nicht nur eine vorsichtige Auseinan-
dersetzung, sondern dass Sie, wie Herr Struck das getan
hat, deutlich machen, wohin es in der Innenpolitik in
Deutschland gehen soll.
Eine Regierungserklärung dazu, wie sie gestern gefor-
dert wurde, hat es nicht gegeben. Aber ich denke, Bevöl-
kerung und Parlament haben Anspruch darauf, dass die
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von der Großen Koalition verantwortlich betrieben
erden kann und soll. Vom Bundesinnenminister
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen. Auch
enn Sie mich weiterhin ignorieren, muss ich Sie daran
rinnern, dass Ihre Redezeit zu Ende ist.
mein letzter Satz erwarte ich eine offene Darstel-
ung. Sie haben hier gesagt, Sie wollen im Rahmen der
erfassung
Frau Kollegin!
Politik machen. Dann erklären Sie hier auch öffent-
ich, dass Sie die Verfassung nicht ändern wollen.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Michael Hartmann, SPD-
raktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
erren! Ich finde es schade, Herr Kollege Binninger,
ass Herr Westerwelle vielleicht zufällig nach Ihrer
ede den Saal verlassen hat. Vielleicht kann aber je-
and von den Kolleginnen und Kollegen aus der FDP
hm meinen Zuruf noch übermitteln: Viel Spaß bei allen
chwarz-gelben Blütenträumen!
as muss ja richtig lustig werden, wenn ihr über innere
icherheit verhandelt.
Herr Bundesinnenminister, Sie haben vor zwei Tagen
hren 65. Geburtstag gefeiert. Ich darf Ihnen nachträg-
ich dazu noch recht herzlich gratulieren. Ich denke, Sie
ätten diesen Geburtstag lieber etwas unbeschwerter ge-
eiert unbeschwerter von den Belastungen in der inne-
en Sicherheit, aber vielleicht auch von den Kommenta-
en und Reaktionen auf Ihre in der Tat nicht sehr
lückliche Interviewäußerung.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11841
)
)
Michael Hartmann
Was uns eint, Herr Bundesinnenminister nicht nur
das eint uns , ist die Sorge um die innere Sicherheit in
unserem Land. Deshalb seien Sie versichert: Die SPD-
Fraktion wird bei allen notwendigen Maßnahmen und
Entscheidungen an Ihrer Seite stehen. Da werden wir
nicht wackeln und nicht rütteln, sondern sind bei Ihnen.
Wir werden aber darauf achten, ob sie wirklich notwen-
dig sind und wie weit sie notwendig sind, Herr Minister.
Es gibt Netzwerke des Terrors in unserem Land, de-
nen wir Netzwerke der Sicherheit entgegenstellen wol-
len. Die jüngsten Festnahmen da haben Sie völlig recht
mit Ihrer Analyse sind noch kein Grund zur Entwar-
nung, keineswegs! Das Täterbild ist differenziert und
wird immer differenzierter. Die Anschlagsplanung ist
differenziert und wird gerade nach den jetzigen Festnah-
men immer differenzierter werden. Gerade deshalb ist
ein bedachtes und besonnenes Agieren auf allen Seiten
dieses Hauses erforderlich.
Wir brauchen sicherlich hohe Aufmerksamkeit bei
der Betrachtung des Problems des vagabundierenden
atomaren Materials.
Spätestens seit dem Zusammenbruch des Warschauer
Paktes ist das ein Thema, das oben auf der Tagesordnung
steht.
Vielen Dank, vielleicht applaudieren Sie ja auch bei
dem nächsten Satz; es würde mich freuen. Das vaga-
bundierende Atommaterial wird aber nicht gestoppt und
die entsprechende Problematik nicht gelöst durch vaga-
bundierende Interviews, die jedes Wochenende erneut
stattfinden.
Es kommt darauf an, in Ruhe zu handeln und nicht stän-
dig über mögliches Handeln öffentlich zu reden, zumal
dies nur zur Verunsicherung und zur Aufregung beiträgt.
Wir brauchen abwägende Vernunft, Herr Bundesinnen-
minister. Ich weiß sehr genau wir alle wissen es , dass
Sie dazu in der Lage sein können.
Wer stark sein will in der inneren Sicherheit ich
denke, auch das eint uns hier im Haus , der muss seine
Stärke nicht unbedingt dadurch beweisen, dass er dau-
ernd in die Trompete bläst. Das gilt, mit Verlaub, auch
für Ihr Interview. Überlegen Sie doch einmal, was ein
unbedarfter Zeitungsleser denkt, wenn er hört, dass der
für die innere Sicherheit verantwortliche Minister prak-
tisch sagt: Das Ende ist nah, aber bis dahin seid noch
fröhlich und lustig. Das kann nicht gut gehen, das muss
ins Auge gehen, und die Reaktionen sind ja leider auch
entsprechend gewesen.
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das von der Opposition und leider Gottes auch von eini-
gen Teilen der SPD initiiert und instrumentalisiert
wurde.
Die Kritik und die Attacken mancher Kolleginnen und
Kollegen gehen wirklich bis an die Grenze der Verleum-
dung und des menschlich Erträglichen.
Dies gilt ausgerechnet unter anderem für eine Partei wie
die Grünen,
die ihre hohe Kompetenz in Sachen innerer und äußerer
Sicherheit bei ihrem Parteitag am vergangenen Wochen-
ende ja eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat.
Der Leitantrag des Vorstands ist vom Parteitag abge-
schmettert worden. Sie haben eindrucksvoll gezeigt,
dass Sie nach wie vor nicht regierungsfähig sind. Das
macht deutlich, dass man insbesondere die Gewährleis-
tung der Sicherheit der deutschen Bürgerinnen und Bür-
ger nicht in Ihre Hand geben darf.
Was hat denn Bundesinnenminister Schäuble tatsäch-
lich gesagt? Ich zitiere nochmals ganz bewusst, um die
Debatte auf den Kern zurückzuführen, aus dem Inter-
view vom vergangenen Sonntag:
Erinnern Sie sich an die Zeit unmittelbar nach dem
11. September, als die Angst existierte, nun könnten
chemische oder biologische Anschläge folgen. Ei-
nen vollständigen Überblick haben wir auch heute
nicht.
Der Bundesinnenminister hat weiter darauf hingewiesen,
dass unter Fachleuten die Sorge existiert, dass durch Ter-
roristen ich zitiere wiederum
ein Anschlag mit nuklearem Material vorbereitet
werden könnte.
Ende des Zitats.
Dies sind keine Neuigkeiten. Dies ist seit Jahren bzw.
Jahrzehnten bekannt.
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nter Fachleuten ist anerkannt, dass die abstrakte Ge-
ährdung dann unermesslich wird und nicht mehr kalku-
ierbar ist, sobald nichtstaatliche Organisationen, also
errororganisationen, in den Besitz der Atombombe
der auch nur von radioaktivem Material gelangen; ich
öchte an dieser Stelle nur an den Fall Litwinenko erin-
ern.
Das Interview von Mohammed al-Baradei im Spiegel
om 3. September ist bereits erwähnt worden. Ich darf
ortwörtlich daraus zitieren:
es ist ein Wunder, dass das noch nicht passiert
ist.
r meint damit, dass schmutzige Bomben von Terroris-
en zur Zündung gebracht wurden oder dass es Spreng-
toffanschläge mit nuklearem Material in Europa gege-
en hat. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen
on der Opposition und teilweise von der SPD, wo blei-
en denn Ihre Empörung und Ihre Aufregung über die
ussagen in diesem Interview?
arum geht es. Sie betreiben eine schäbige, unverant-
ortliche Betroffenheits- und Empörungspolitik.
Es ist eine himmelschreiende und verantwortungslose
ealitätsverweigerung, wenn man nicht zur Kenntnis
immt, dass Deutschland auch nach der Festnahme der
rei potenziellen Attentäter im Sauerland am
. September nach wie vor vor der abstrakten dies hat
er Bundesinnenminister deutlich gemacht Gefahr
teht, zum Operationsraum von islamistischen Terroris-
en zu werden,
nd zwar nicht nur im Hinblick auf konventionelle
prengstoffanschläge, sondern durchaus auch im Hin-
lick auf Bioterrorangriffe oder Anschläge mit radioak-
ivem Material.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11843
)
)
Stephan Mayer
Ich finde es gerade deshalb richtig, dass die Bundes-
justizministerin Zypries, SPD, in dem von ihr in dieser
Woche vorgestellten Entwurf zur Verbesserung und Ver-
änderung des Strafrechts einen neuen § 89 a vorsieht,
mit dem die Herstellung, das Beschaffen, das Überlassen
und Aufbewahren nicht nur von Sprengstoffen und
Viren, sondern ganz bewusst und ausdrücklich auch von
radioaktivem Material mit einer Freiheitsstrafe von bis
zu zehn Jahren bewehrt werden soll.
Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr
Klaus Naumann hat auf dem gestrigen Symposium zum
Thema Nukleare Sicherheitsrisiken im 21. Jahrhun-
dert, das die Hanns-Seidel-Stiftung veranstaltet hat,
deutlich darauf hingewiesen, dass eine Differenzierung
zwischen innerer und äußerer Sicherheit einer Denk-
weise des letzten Jahrhunderts entspricht. Deswegen
handelt der Bundesinnenminister umsichtig und außeror-
dentlich verantwortungsbewusst, wenn er zum einen die
Gefahren ernst nimmt und deutlich macht, dass es zwar
keine hundertprozentige Sicherheit gibt, aber man
durchaus gelassen in die Zukunft sehen kann, und wenn
er zum anderen immer wieder deutlich darauf hinweist
und fordert, dass man unseren Sicherheitsbehörden alle
technischen Möglichkeiten an die Hand geben muss, um
insbesondere mit potenziellen islamistischen Terroristen
auf gleicher Augenhöhe kämpfen und diese zur Strecke
bringen zu können.
Deswegen ist es richtig, dass wir weiterhin um solche
Themen wie Onlinedurchsuchungen streiten und ringen,
die wir alsbald gesetzlich festlegen müssen. Es ist zy-
nisch und wirklich verantwortungslos ich komme zum
Schluss , wie die Grünen argumentieren, wenn sie sa-
gen: Die bisherigen potenziellen Attentate sind doch mit
den schon vorhandenen gesetzlichen Möglichkeiten auf-
geklärt worden.
Terroristen gehen inzwischen intelligenter und perfider
vor. Deshalb ist es notwendig, insbesondere den Sicher-
heitsbehörden in Zukunft erweiterte technische Möglich-
keiten wie die Onlinedurchsuchung an die Hand zu ge-
ben.
Abschließend bitte ich Sie, in der zukünftigen Debatte
zu der Gelassenheit, zu der uns der Bundesinnenminister
aufgefordert hat, zurückzukehren.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Uwe Benneter
von der SPD-Fraktion.
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as ist denn das für eine Haltung? Erst selbst den Unter-
ang prophezeien und dann die verbleibende Zeit hoch-
eben lassen. Das ist doch verrückt. Das ist absurd. Das
st so etwas von abwegig.
as kann der Innenminister doch nicht als seine Aufgabe
nsehen, seinen Wochenendfrust in Sonntagsinterviews
ber uns auszuschütten.
Niemand hier im Hause bestreitet die Bedrohung,
uch nicht das Ausmaß der Bedrohung. Das, was am
1. September 2001 geschehen ist, war vorher unvor-
tellbar. Wir machen uns sicher keine Illusionen. Wir
lle wissen, was alles hätte passieren können. Es kann
och aber nicht darum gehen, von der verbleibenden
eit zu reden und die Hände in den Schoß zu legen. Es
uss gehandelt werden.
Rot-Grün hat gehandelt. Es ist schon mehrfach darauf
ingewiesen worden, dass wir eine Sicherheitsarchitek-
ur aufgebaut haben. Wir haben auf das, was am
1. September 2001 passiert ist, reagiert. Wir haben ge-
einsame Einrichtungen und gemeinsame Dateien ge-
chaffen. Wir haben erstmals eine Zusammenarbeit der
olizeien und Sicherheitsbehörden von Bund und Län-
ern herbeigeführt. Wir waren diejenigen, die das in die
ege geleitet haben. Dieses Konzept funktioniert. Das
eigen die Fahndungserfolge der letzten Zeit. Bei uns
raucht niemand komplexhaft Otto Schily zu kopieren.
ir haben in diesem Lande eine Sicherheitsarchitektur
eschaffen, die zumindest bei den bisherigen Anschlags-
ersuchen gezeigt hat, dass sie ausreicht und richtig ist,
eil sie zielführend ist.
Jetzt muss es darum gehen Herr Mayer, da kann kei-
er anderer Auffassung sein , das, was wir bei diesen
11844 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Klaus Uwe Benneter
Anschlagsversuchen erfahren haben, genau aufzuarbei-
ten und zu analysieren. Es geht darum, genau zu
schauen, ob es Schwachstellen gibt. An diesen Stellen
muss dann gegebenenfalls nachgearbeitet werden. Na-
türlich müssen wir immer im Auge haben, dass es auch
bei den Kriminellen, bei denjenigen, die terroristische
Anschläge planen, Fortschritte gibt. Wir müssen aber
sachlich und seriös vorgehen. Das ist unsere Aufgabe.
Wir können den Menschen sagen: Solange Sozialde-
mokratinnen und Sozialdemokraten in der Regierung
sind, sorgen wir dafür, dass sie keine Albträume erleben.
Wir arbeiten an und für unser aller Sicherheit. Das ist die
Aufgabe der Sozialdemokraten in dieser Regierung.
Ihr Interview, Herr Schäuble, hefte ich zusammen mit
anderen in meinem Ordner Sonderliches ab. Er enthält
übrigens schon ein Interview vom 29. Januar 2006. Vor
über anderthalb Jahren hat Herr Schäuble fast wortgleich
dasselbe gesagt wie heute.
Damals ging es ihm bei der Vorbereitung der Fußball-
weltmeisterschaft darum, eine Zustimmung zum Einsatz
der Bundeswehr im Innern zu bekommen. Das war der
Hintergrund des Bedrohungsszenarios, das er damals
aufgebaut hatte. Aber auch damals ließ er alles im
Unklaren und hat es einfach nur zur Ängstigung der
Gesellschaft getan. Das ist nicht die Aufgabe eines Bun-
desinnenministers. Das, denke ich, müssen wir hier klar-
machen.
Insofern möchte ich noch einmal deutlich hervorhe-
ben: Wir haben die Fußballweltmeisterschaft 2006 gut
über die Bühne gebracht. Es war ein freudiges Ereignis.
Die Sicherheitsarchitektur dafür wurde unter Rot-Grün
vorbereitet.
Die Sicherheitsarchitektur für diese Weltmeisterschaft
ist von Rot-Grün vorbereitet worden.
Das ist alles schon längst in Szene gesetzt worden. Da
konnte man sich auf den fahrenden Zug begeben.
Solange wir in der Regierung sind, wird nicht rumge-
faselt, sondern seriös und verantwortungsvoll gehandelt,
gerade im Innen- und im Sicherheitsbereich. Darauf
können sich die Menschen in diesem Land verlassen.
Das Wort hat der Kollege Ralf Göbel von der CDU/
CSU-Fraktion.
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Zum Zweiten. Wir haben heute viel über Rot-Grün
ehört und mit Rot-Grün auch einiges erlebt. Ich erin-
ere mich noch gut daran, dass der ehemalige Bundesin-
enminister Otto Schily hier im Deutschen Bundestag
esagt hat: Wer den Tod haben will, kann ihn haben.
lle saßen Sie da, einige waren betroffen, aber die meis-
en haben Beifall geklatscht; denn Otto Schily ist Garant
ür eine verantwortungsvolle Innenpolitik.
err Benneter wird diese Rede von Otto Schily sicher-
ich auch im Ordner Absonderliches abgeheftet haben.
Zu Ihrer Rede, Herr Körper, kann man mit den Philo-
ophen sagen: Si tacuisses
Was ist an den Äußerungen des Bundesinnenministers
alsch? Nichts. Was ist daran hysterisierend? Ebenfalls
ichts.
iegt eine solche Bedrohung außerhalb der Vorstellungs-
raft? Nein.
nd warum? Ich komme auf die neue Videobotschaft
on al-Qaida zu sprechen, in der es heißt:
Es gilt, den islamistischen Terrorismus in den Wes-
ten zu tragen, damit dieser ein den Naturkatastro-
phen ähnliches Phänomen wird.
ie Botschaft kommt an bei uns.
Ich will Ihnen ein Beispiel dazu nennen. Im Jahre
001 wurde in meiner Heimatstadt, in Landau, ein Ar-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11845
)
)
Ralf Göbel
beiter festgenommen, der in der Wiederaufarbeitungsan-
lage in Karlsruhe ein Röhrchen mit Plutonium entwendet
hatte. Anschließend war ein riesiger Aufwand notwen-
dig, um die Kontamination, die in der Umwelt, im Haus
und bei den Menschen entstanden ist, zu beseitigen. Es
ist also möglich, an solches Material zu kommen.
Wenn man dann noch weiß, Frau Stokar auch das ist in
der Presse nachzulesen , dass einer der Gefährder, die
jetzt aus Pakistan zurückgekommen sind, bei der Inge-
nieurfirma gearbeitet hat, die unter anderem ein Institut
beim Forschungszentrum Karlsruhe betreut, dann zeigt
das, dass die Möglichkeit, an solches Material heranzu-
kommen, gar nicht mehr so fern ist.
Im Übrigen hat sich damals auch Bundesumweltmi-
nister Trittin mit diesem Vorgang befasst. Insoweit
müssten Sie wissen, dass die Gefährdung sehr konkret
ist
und wir nicht über irgendwelche abstrakten Spinnereien
reden, sondern über das, was in dieser Bundesrepublik
jeden Tag vorkommen kann.
Was verlangen Sie eigentlich vom Bundesinnenminis-
ter?
Soll der Bundesinnenminister sagen: Wir ignorieren es,
ähnlich wie es die Grünen machen; wir stecken den Kopf
in den Sand, dann wird schon nichts passieren;
wir ignorieren die Gefahren, dann gibt es sie auch nicht?
Das ist keine verantwortungsvolle Innenpolitik.
Es ist richtig, den Menschen zu sagen, wo Gefahren
entstehen können, wo Gefahren herrühren und wie wir
Gefahren beseitigen können.
Wir diskutieren seit einigen Monaten über dieses
Thema; ich muss sagen: bisher leider ohne Ergebnis. Es
wäre schön, wenn wir langsam zu einem Ende der De-
batte kämen und den Leuten signalisieren könnten: Wir
haben die Gefahr erkannt, wir haben das Problem ver-
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err Minister, angesichts dessen ist es nicht nur ent-
cheidend, was aus Fachdiskussionen zitiert wird, son-
ern auch, in welchen gesellschaftlichen und medialen
ontext die Zitate gestellt werden. Ich gehe davon aus,
ass ein so erfahrener Minister und Politiker wie Sie dies
eiß und nicht fahrlässig vorgeht.
Wenden wir uns der Fachdiskussion zu. Der Zufall
ill es, dass die anerkannte und renommierte Hessische
tiftung für Friedens- und Konfliktforschung in ihrem
eft 2/2007 eine Studie mit dem Titel Nuklearterroris-
us: Akute Bedrohung oder politisches Schreckge-
penst? veröffentlicht hat. Ich würde gern mit Ihrer Er-
aubnis, Herr Präsident, daraus zitieren:
Ein als ultimatives politisches Schreckgespenst
ins Feld geführter Terror mit Atombomben bringt
dabei die Gefahr mit sich, durch absichtlich falsche
oder in Unkenntnis verzerrte Risikodarstellungen
hinsichtlich der terroristischen Möglichkeiten den
gesellschaftlichen Abwägeprozess zwischen Si-
cherheit und Freiheitsrechten in eine Schieflage zu
11846 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Gerold Reichenbach
bringen. Die vorliegende Risikoabschätzung zeigt,
dass die vom Nuklearterrorismus ausgehende Be-
drohung keinen Anlass dazu gibt, den Weg über die
Verschärfung der inneren Sicherheit als besonders
erfolgversprechend zu werten.
Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Diese Studie führt übrigens auch aus der von Ihnen
zitierte Chef der UN-Atombehörde hat das auch inten-
diert , dass Antiproliferationsbemühungen auf interna-
tionaler und nationaler Ebene am wirksamsten sind.
Dazu haben Sie kein Wort gesagt.
Zur Gefahr einer Dirty Bomb sagen alle Fachleute:
Natürlich kann man damit Schaden anrichten, aber das
Schadenspotenzial ist begrenzt. Die eigentliche Funktion
einer solchen Dirty Bomb ist, in einer Gesellschaft Panik
hervorzurufen und damit Bevölkerung und Wirtschaft zu
schädigen, psychologisch und auch ökonomisch.
Die Studie führt dazu aus, dass jemand, der in der Bevöl-
kerung Atomterrorhysterie schürt, den Tätern bewusst
oder unbewusst in die Hände spielt, weil er den Boden
dafür bereitet, dass ein Anschlag mit einer Dirty Bomb
die gewünschten Effekte zeitigt. Die Studie kommt dann
zu dem Ergebnis, das ich auch gern mit Ihrer Erlaubnis,
Herr Präsident, zitieren würde:
Eine Verschärfung von Sicherheitsmaßnahmen
drohte damit letztlich übers Ziel hinauszuschießen
und denjenigen in die Hände zu spielen, denen ei-
gentlich das Handwerk gelegt werden soll.
Deswegen ist das Angebot, das wir Sozialdemokraten
auf den Tisch gelegt haben und Netzwerk für Sicherheit
nennen, darauf die richtige Antwort. Gehen wir darauf
ein! Wir sollten also für den Bereich, in dem die Polizei
gemäß dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts keine
entsprechenden Möglichkeiten hat ich nehme Bezug
auf unsere gestrige Diskussion , in Art. 35 des Grund-
gesetzes klarstellen, dass dann, wenn eine Bedrohung
aus der Luft oder von der See vorliegt, in beschränktem
Rahmen militärische Mittel im Sinne des Polizeirechts
eingesetzt werden dürfen.
Herr Minister, da ich Sie und Ihre Sorge ernst nehme,
füge ich hinzu: Wir als Ihr Koalitionspartner verstehen
manches, was in Ihrem Hause geschieht, nicht. Wenn der
Einsatz einer Dirty Bomb eine potenzielle Bedrohung
darstellt, dann verstehe ich nicht, warum Sie nicht, wie
es Ihr Vorgänger Otto Schily getan hat, dafür sorgen,
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ondern einen Großteil des zur Verfügung gestellten Gel-
es verwenden, um bei Ihren Innenministerkollegen in
en Ländern Gutwetter zu machen und die Finanzierung
on Aufgaben zu übernehmen, die eigentlich in deren
uständigkeit fallen.
Auch verstehe ich nicht das ist der letzte Kritik-
unkt, den ich ansprechen möchte , dass wir in diesem
ause zwar darüber reden, was passiert, wenn ein Flug-
eug entführt worden ist, Ihr Haus aber gleichzeitig die
ntervalle der Sicherheitsüberprüfung im Bereich des
uftverkehrs von einem auf fünf Jahre verlängert und
adurch ökonomischen Begehren nachgibt.
Auf zwei und dann auf fünf.
Doch, erst zwei und dann fünf Jahre; so steht es in der
erordnung. Lesen Sie das nach, Herr Binninger. Da-
urch schwächen Sie ein bislang redundantes Sicher-
eitssystem.
Wir Sozialdemokraten sagen: Im Bereich der inneren
icherheit kommt es in der Praxis darauf an, Vernunft
nd Augenmaß an den Tag zu legen und den großen Zu-
ammenhang im Auge zu behalten, und zwar auf allen
benen, nicht nur bei spektakulären Gesetzesvorhaben.
n diesem Sinne sollten wir, wie ich meine, zu einer
achlichen Diskussion zurückkehren.
nsere Angebote dazu liegen auf dem Tisch, nicht in
orm von spektakulären Interviews, sondern in Form
on sachlicher gesetzestechnischer Arbeit.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11847
)
)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung
Fünfter Bericht zur Lage der älteren Gene-
ration in der Bundesrepublik Deutschland
Potenziale des Alters in Wirtschaft und Ge-
sellschaft Der Beitrag älterer Menschen
zum Zusammenhalt der Generationen
und Stellungnahme der Bundesregierung
zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten
Sibylle Laurischk, Jens Ackermann, Dr. Karl
Addicks, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP zu der Beratung der Unterrichtung
durch die Bundesregierung
Fünfter Bericht zur Lage der älteren Gene-
ration in der Bundesrepublik Deutschland
Potentiale des Alters in Wirtschaft und Ge-
sellschaft Der Beitrag älterer Menschen
zum Zusammenhalt der Generationen
und Stellungnahme der Bundesregierung
zu dem Antrag der Abgeordneten Britta
Haßelmann, Grietje Bettin, Ekin Deligöz, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Das neue Bild vom Alter Vielfalt und Po-
tenziale anerkennen
Drucksachen 16/2190, 16/4219, 16/4163,
16/6366
Berichterstattung:
Abgeordnete Antje Blumenthal
Angelika Graf
Ina Lenke
Jörn Wunderlich
Britta Haßelmann
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja
Seifert, Karin Binder, Dr. Lothar Bisky, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Einsetzung einer Enquete-Kommission Ethik,
Recht und Finanzierung des Wohnens mit
Assistenz
zu dem Antrag der Abgeordneten Jörn
Wunderlich, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Heimbericht im Bundestag diskutieren
Missstände offenlegen und bekämpfen
Drucksachen 16/1267, 16/3696, 16/6075
Berichterstattung:
Abgeordnete Markus Grübel
Angelika Graf
Ina Lenke
Jörn Wunderlich
Britta Haßelmann
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an möchte fast sagen: Endlich fangen wir an, uns aus-
iebig mit den positiven Seiten des Älterwerdens aus-
inanderzusetzen.
Mit der Formulierung ihrer Handlungsempfehlung
eistert die Altenberichtskommission eine heikle
ratwanderung. Sie gelingt ihr, indem sie in den Emp-
ehlungen die Ernte des Alters nicht ausschließlich als
ndividuellen Nutzen darstellt, sondern ihren gesamtge-
ellschaftlichen Ertrag und damit ihren Beitrag zum Zu-
ammenhalt der Generationen in den Vordergrund stellt.
Wir haben in unserem Entschließungsantrag Forde-
ungen formuliert, mit denen wir diese Ernte rasch und
hne Einbußen einfahren wollen. Wir können dabei auf
erausragende Initiativen der Bundesregierung auf-
auen, so etwa beim bürgerschaftlichen Engagement, bei
er Entwicklung neuer Wohnformen und bei der Senio-
enwirtschaft. Damit werden nicht nur die Potenziale der
lteren Menschen selbst gestärkt, sondern es ist uns ein
benso wichtiges Anliegen, dass das Alter als ein Le-
ensabschnitt verstanden wird, von dessen Möglichkei-
en die ganze Gesellschaft in hohem Maße profitieren
ann. Wir alle kennen das schließlich aus eigener Erfah-
ung die Älteren unter uns genauso wie die Jüngeren :
m Bewusstsein hält sich immer noch hartnäckig die
11848 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Antje Blumenthal
Vorstellung, im Alter sei man generell weniger einsatz-
fähig, weniger tatkräftig und kreativ sei man schon gar
nicht.
Die Herausforderung ist deshalb, diesen Negativsze-
narien ein differenziertes Altersbild entgegenzustellen,
das die vielfältigen Potenziale des Alters klar und deut-
lich hervorhebt.
Ich möchte an dieser Stelle drei der zentralen Aspekte
unserer Entschließung vorstellen:
Zu den drängendsten Aufgaben zählt aus unserer
Sicht die Integration älterer Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer in den Arbeitsmarkt.
Es ist eine logische Konsequenz aus der demografischen
Entwicklung: Sie ist unverzichtbar für den weiteren wirt-
schaftlichen Erfolg Deutschlands.
Gerade ältere Menschen verfügen über einen immen-
sen Wissens- und Erfahrungsschatz. Eine Gesellschaft
des langen Lebens kann es sich schlicht nicht leisten, auf
diese Ressourcen noch länger zu verzichten. Um auch
hier bei Ernst Bloch zu bleiben: Worin liegt denn bitte
der Sinn, ein Arbeitsleben lang in Fertigkeiten und Qua-
lifikationen zu investieren, ohne dann die vielen Früchte
ernten zu wollen?
Wir arbeiten deshalb weiter daran, Einstellungsbarrie-
ren für ältere Arbeitnehmer abzubauen. Man muss sich
dabei auch die Frage gefallen lassen, ob die gegenwärti-
gen Altersgrenzen für die Ausübung von Berufen noch
zeitgemäß sind. Wir haben uns deshalb entschieden, die
Altersgrenzen auf den Prüfstand zu stellen und sie, wo es
möglich ist, flexibler zu gestalten. Ich glaube, viele aus
unseren Reihen können hier genügend Beispiele für
nicht nachvollziehbare Altersgrenzen bzw. -schranken
anführen.
Wir geben damit älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmern mehr Entscheidungsfreiheit in der Frage, wann
sie aus ihrer beruflichen Tätigkeit ausscheiden möchten.
Meine Damen und Herren, eine ganz wesentliche Vo-
raussetzung, um die Potenziale des Alters in Wirtschaft
und Gesellschaft besser nutzen zu können, ist ein ausrei-
chendes Maß an Bildung und Qualifikation. Bildung ist
ein Thema für Jung und Alt auch das gehört zu einem
neuen Altersbild. Ältere Menschen haben im Vergleich
zu früheren Generationen im Durchschnitt ein höheres
Bildungsniveau, ein breiteres Spektrum von Interessen
und Kompetenzen und ein umfangreicheres Erfahrungs-
wissen. Damit diese Potenziale im nachberuflichen Le-
ben wie auch in der Arbeitswelt gestärkt werden können,
müssen wir die Erwachsenenbildung weiter voranbrin-
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Das Wort hat jetzt die Kollegin Sibylle Laurischk von
er FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem
ünften Altenbericht rückt ein Lebensabschnitt in den
okus unseres Interesses, der von der Politik bisher zu
enig beachtet wurde. Das ist klar; denn Senioren sind
mmer die anderen.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11849
)
)
Sibylle Laurischk
In einer alternden Gesellschaft müssen wir uns die
Potenziale des Alters besonders verdeutlichen, um den
Menschen ein selbstbestimmtes, ein eigen- und mitver-
antwortliches Leben bis in die Hochaltrigkeit zu ermög-
lichen. Ich halte dies für einen urliberalen Denkansatz.
Die Angst vor Abhängigkeit und Gebrechlichkeit ist
doch das Tabu beim Stichwort Alter. Gerade deshalb will
die FDP-Fraktion, dass auch ältere Menschen ein Ge-
winn für jede Gesellschaft sind, den wir erschließen
müssen.
Es ist das Verdienst des fünften Altenberichts, dass
damit belastbare Zahlen für die Zukunft des Alters gelie-
fert und gleichzeitig die Möglichkeiten der Gestaltung
durch die staatlichen und gesellschaftlichen Rahmenbe-
dingungen aufgezeigt werden. Ältere Menschen dürfen
nicht nur als Wähler, sondern müssen auch als selbstbe-
wusste Bürger mit dem Anspruch auf Teilhabe und Mit-
einander von Interesse sein.
Die überwiegende Mehrheit der 60 bis 80 Jahre alten
Menschen ist körperlich fit. Lediglich 5 Prozent sind
pflegebedürftig. Die Öffentlichkeit muss und wird da-
von bin ich überzeugt das Leistungsvermögen und die
Leistungsbereitschaft der Älteren in allen gesellschaftli-
chen Bereichen anerkennen, akzeptieren und fördern.
Anders haben wir keine Zukunft.
Dazu gehört auch die kulturelle Frage unseres Selbstver-
ständnisses, wie wir mit dem großen und eben nicht ma-
teriellen Kapital von Gedächtnis und Erfahrungswissen
der älteren Generation umgehen und wie wir es für die
ganze Gesellschaft fruchtbar machen.
Bei der Beurteilung der materiellen Situation durch
den fünften Altenbericht fühlt sich die FDP-Fraktion in
ihrer Forderung bestätigt, die Altersversorgung durch ein
kapitalgedecktes System zu stärken, um Altersarmut
vorzubeugen. Dass von Altersarmut eher Frauen betrof-
fen sind, haben wir in unserem Entschließungsantrag
kritisch deutlich gemacht. Erwerbsbiografien und damit
Rentenbeitragsjahre sind bei Frauen oft löchrig, da sie
sich der Familie gewidmet haben. Aber auch Männer
wird dies mit Zunahme der Arbeitslosigkeit treffen.
Teilhabe bedeutet, mitmachen zu können und zu dür-
fen. Die FDP-Fraktion sieht in den Möglichkeiten zur
Frühverrentung den völlig falschen Weg.
Damit wurden viele Menschen aus dem Erwerbsleben
ausgesteuert, die noch voller Schaffenskraft sind. Des-
halb fordert die FDP-Fraktion den flexiblen Eintritt in
den Ruhestand vom 60. Lebensjahr an bei Abschaffung
jeglicher Alters- und Zuverdienstgrenzen, wie Sie, Frau
Blumenthal, das gerade auch gefordert haben.
Die Unternehmen sollten die Älteren nicht nur als
Konsumenten entdecken. Ältere bilden einen erhebli-
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ielversprechende Ansätze gibt es schon in einigen
ommunen. Sie reichen so weit, dass Mitarbeitern mit
em Ausscheiden aus dem Erwerbsleben ein individuell
bgestimmter Vorschlag für ehrenamtliche Betätigung in
er Kommune unterbreitet wird, was von einem erstaun-
ich hohen Prozentsatz auch angenommen wird. So wird
us dem Ruhestand der Unruhestand.
An dieser Stelle weise ich auch auf das Engagement
on älteren und erfahrenen Bürgern und Bürgerinnen in
en Kommunalparlamenten hin. Mancher Gemeinderat
äre ohne sie aufgeschmissen.
11850 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Sibylle Laurischk
Den älteren Kommunalpolitikern und -politikerinnen
gilt, wie Sie gerade gehört haben, an dieser Stelle auch
der Dank der FDP-Fraktion.
Ein wesentliches Gestaltungsfeld für sicheres und
selbstbestimmtes Leben ist das Wohnen im Alter. Beson-
ders notwendig erscheint der FDP-Fraktion ein transpa-
rentes, auch überregional erstelltes Informationssystem
über die verschiedensten Formen altersgerechten Woh-
nens von der Wohngemeinschaft über genossenschaftli-
ches Wohnen, das Seniorenstift, begleitetes Wohnen bis
hin zur passenden Pflegeeinrichtung.
Das Thema Pflege, das heute mit dem Antrag auf Ein-
setzung einer Heim-Enquete-Kommission auf der Tages-
ordnung steht, berührt tiefe Ängste der Menschen vor ei-
nem Lebensabschnitt, in dem die Selbstbestimmung
zurückzutreten droht hinter Hilflosigkeit und Ausgelie-
fertsein Dritten gegenüber seien es Angehörige, seien
es fremde, bezahlte Pflegekräfte. Die Zuständigkeit für
das Heimrecht ist nach der Föderalismusreform in die
Kompetenz der Länder übergegangen,
was wir abgelehnt haben.
Die Qualitätssicherung, Transparenz und Kontrolle
von Pflegeleistungen bleibt dennoch eine drängende
Aufgabe der Bundesregierung. Die FDP-Fraktion hat
mit ihrem Antrag Entbürokratisierung der Pflege voran-
treiben Qualität und Transparenz der stationären
Pflege erhöhen Forderungen aufgestellt, die die Situa-
tion in den Heimen deutlich verbessern werden. Das
Thema Pflegereform steht also an, doch dies lässt sich
nicht mit einer Enquete über das Thema Heime bewälti-
gen. Deshalb werden wir den Antrag der Linken ableh-
nen.
Die FDP-Fraktion fordert an dieser Stelle Sie, Frau
Ministerin von der Leyen, ausdrücklich auf, Ihrer Aufga-
benstellung für Senioren mehr als bisher zu entsprechen.
Ihrem Engagement für Kinder und Kinderbetreuung
sollte eine vergleichbare Initiative für Senioren gegen-
überstehen.
Das Stichwort Mehrgenerationenhäuser ist kein ausrei-
chender Beleg, wie erst gestern Abend in den Beratun-
gen des Unterausschusses Bürgerschaftliches Engage-
ment deutlich wurde.
Der fünfte Altenbericht hat deutlich gemacht: Politik
für Ältere ist eine Querschnittsaufgabe, bei der die Res-
sorts Familie, Bildung und Forschung, Soziales, Bauen
und Wohnen, Gesundheit und Wirtschaft auf allen Ebe-
nen unseres Landes besonders in den Kommunen in
der Verantwortung stehen, den demografischen Wandel
nicht nur hinzunehmen, sondern als gesellschaftlichen
Aktivposten zu nutzen.
Ein Ausspielen der Generationen gegeneinander ist
dabei völlig unsinnig. Eine Verkürzung des Themas Al-
ter auf materielle Aspekte ist eine sträfliche Vernachläs-
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Wir von der SPD beklagen sehr die Defizite im Bereich
ihrer Fort- und Weiterbildung. Sie werden sich in naher
Zukunft rächen.
Wir müssen vom Jugendwahn wegkommen, der min-
destens die vergangenen zwei Jahrzehnte geprägt hat,
und uns zu einer Gesellschaft entwickeln, die gleichzei-
tig die individuellen Leistungen jedes Einzelnen aner-
kennt und der solidarischen Bewältigung der Schwierig-
keiten, die die demografische Veränderung unserer
Gesellschaft mit sich bringt, mehr Raum gibt. Wir brau-
chen eine grundlegende Kurskorrektur der bisher ju-
gendzentrierten Arbeits- und Beschäftigungspolitik bei
Unternehmensleitungen und Tarifvertragsparteien sowie
in der Arbeitsmarktpolitik. Ich hoffe, dass die Unterneh-
men in Deutschland die entsprechenden Konsequenzen
ziehen und künftig mehr in die Köpfe ihrer Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter, auch der älteren, investieren.
Ich folge der Argumentation des vorliegenden Berich-
tes, dass nur durch die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung
Älterer Lücken auf dem Arbeitsmarkt geschlossen, wirt-
schaftliche Prosperität und gesellschaftliche Entwick-
lung gefördert sowie die Finanzierung der sozialen
Sicherungssysteme gewährleistet werden können. Viel-
leicht ist es kein Zufall, dass wir nicht nur im Bildungs-
bereich neidisch nach Schweden, Norwegen, Dänemark
und Finnland schauen. Mehr Kinder, ein effektiveres
Bildungssystem und vorbildliche Regelungen für die
bessere Einbeziehung älterer Arbeitnehmer in das Ar-
beitsleben: Überall sind sie uns voraus. Ich werde den
Verdacht nicht los, dass all das etwas miteinander zu tun
hat. Die Weichen für das Leben im Alter werden oft
schon in sehr jungen Jahren gestellt.
Die Konsumbedürfnisse älterer Menschen Stich-
wort Silver Market werden neue Märkte weltweit er-
schließen und damit einen Weg zu neuen Arbeitsplätzen
auch in Deutschland bauen, aber nur dann, wenn wir die
Chance nutzen und nicht anderen die Entwicklung de-
mografiesensibler Wachstumsfelder und Märkte überlas-
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Ich freue mich, dass es der Ministerin Ulla Schmidt
on der SPD gelungen ist, über das Pflegezeitgesetz zu
egeln, dass sich, ähnlich wie bei der Erkrankung eines
indes, Mann oder Frau für eine gewisse Zeit, zehn
age im Jahr bezahlt und maximal ein halbes Jahr unbe-
ahlt, pflegebedürftigen Familienangehörigen widmen
ann, ohne in einem ständigen Konflikt zwischen Ar-
eitsplatz und Pflege zu stehen. Ich verstehe nicht, dass
an etwas dagegen haben kann, verhindern wir doch da-
urch, dass alte Menschen in ein Heim gegeben werden,
eil sich die pflegenden Angehörigen durch die Situa-
ion überfordert fühlen.
Mit dem Gesetzentwurf zur Pflegeversicherung neh-
en wir ein Thema des vierten Altenberichts auf. Ich
age das deswegen so deutlich, um klarzumachen, wie
ichtig diese Berichte für unsere gesamte politische Ar-
eit sind. Wir greifen nämlich das Problem der Versor-
ung Demenzkranker auf und stärken die ambulante
11852 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Angelika Graf
Versorgung sowie die ehrenamtlichen Pflegehilfenetz-
werke. Über die Regelungen zur Absicherung der Pfle-
gequalität setzen wir einen großen Teil der Ergebnisse
des 2003 eingerichteten Runden Tisches Pflege um.
Zu ihnen gehört auch die Charta der Rechte hilfe- und
pflegebedürftiger Menschen. Ich sage das deshalb, weil
heute auf der Tagesordnung auch die Abstimmung über
die Einsetzung einer Heim-Enquete steht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, las-
sen Sie uns die Kraft unserer parlamentarischen Arbeit
in die Begleitung dieser wichtigen Änderung der Pflege-
versicherung setzen.
Die Einrichtung einer Heim-Enquete lehnen wir von der
Regierungskoalition ab, zumal nach der bedauerlichen
Verlagerung der Kompetenzen beim Heimrecht auf die
Länder
der Bund keine Möglichkeit mehr hat, durch seine ei-
gene Gesetzgebungskompetenz eventuell erarbeitete
Verbesserungen wirklich durchzusetzen.
Lassen Sie mich nach diesem kurzen Ausflug zum
Heimrecht wieder zur Breitenwirkung zurückkommen,
die der fünfte Altenbericht in meinen Augen hat. Ich
habe versucht, Ihnen vor Augen zu führen, welchen Ein-
fluss er zum Beispiel auf die Pflege hatte. Ich sehe noch
viele andere Möglichkeiten, die Ergebnisse dieses Be-
richts in unsere Politik, in die Arbeit aller Ressorts und
auf allen politischen Ebenen einfließen zu lassen. Lassen
Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass der fünfte Alten-
bericht noch stärkeren Einfluss hat.
Ich habe es schon am Anfang gesagt: Wir brauchen
eine neue Alterskultur, um den demografischen Wandel
unserer Gesellschaft erfolgreich zu gestalten. Wir brau-
chen eine neue Alterskultur aber auch für uns selbst. Das
gilt auch für mich als sogenannte junge Alte. Wir gestal-
ten damit ganz konkret unsere Zukunft. Alle, die unge-
fähr in meinem Alter oder ein bisschen jünger sind,
möchte ich einladen, dabei mitzumachen. Lesen Sie den
Altenbericht! Es ist eines der spannendsten Bücher über-
haupt.
Das Wort hat jetzt Kollegin Elke Reinke von der
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau von der Leyen, im Sommer verkündeten Sie bei der
Vorstellung Ihres Programms Wirtschaftsfaktor Alter
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Altersarmut ist bereits Realität, und es wird nicht bes-
ser werden, sollte es keine Abkehr von Ihrer verfehlten
Politik geben. Armut im Alter: Die Koalition erscheint
ratlos. Die Linke hilft hier gerne auf die Sprünge. Die
Höhe der Alterssicherung darf durch Dämpfungsfakto-
ren und Schutzklauseln im Endeffekt nicht weiter abge-
senkt werden. In der gesetzlichen Rentenversicherung ist
die Lebensstandardsicherung wieder als zentrales Ziel
festzuschreiben.
Die Linke bleibt dabei: Nein zur Rente ab 67, nein zur
Zwangsverrentung nach Auslaufen der 58er-Regelung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, selbstbestimmtes
Altern in Würde ist und bleibt ein unveräußerliches
Menschenrecht. Die Linke fordert deshalb: Die politi-
sche Mitwirkung Älterer und Pflegebedürftiger muss in
allen sie betreffenden Lebensbereichen und auf allen
Ebenen gesichert werden. Die soziale und finanzielle Si-
cherheit älterer und pflegebedürftiger Menschen muss
gewährleistet werden. Alter und Pflege dürfen nicht flot-
ten Schrittes in die Armut führen.
Schließlich müssen gesellschaftliche Teilhabe sowie
Selbstbestimmung ausgebaut werden. Altersdiskriminie-
rung muss endlich aufhören. Lassen Sie uns genau hier
die Voraussetzungen dafür schaffen! Nur so entsteht ein
wirklich neues Bild vom Alter.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Britta Haßelmann von
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Sehr
geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Aus meiner Sicht ist es nicht einfach, umzuschal-
ten: Wir haben bis eben mit dem Innenminister Schäuble
hitzig und sehr kontrovers über die innere Sicherheit ge-
stritten. Dieses Thema war von großer Aufmerksamkeit
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Die Zahlen, die den Wandel unserer Gesellschaft be-
egen, sind auch in der Wiederholung beeindruckend: Im
ahr 2050 wird ein Drittel der Bürgerinnen und Bürger in
iesem Land 60 Jahre und älter sein. Der Anteil der
enschen über 65 wird doppelt so groß sein wie der An-
eil der Menschen unter 20 Jahren. Dieser Trend ist un-
erkennbar. Er lässt sich nicht stoppen und auch nicht
mkehren.
Es ist eine Herausforderung für die eigene Fantasie,
ich eine Gesellschaft vorzustellen, in der das Verhältnis
on Jung und Alt so ganz anders ist, als wir es heute
och kennen. Welches Bild schließlich prägend sein
ird, hängt auch ganz entscheidend davon ab, welches
erhältnis zum Alter wir alle selber transportieren, ent-
ickeln und in die gesellschaftliche Debatte einfließen
assen.
Frau Reinke, da sage ich ganz deutlich: Die Beschäf-
igung mit diesem Thema ist einfach mehr als Wir neh-
en alle Reformen, die in den letzten fünf Jahren be-
chlossen wurden, zurück, und dann wird alles gut. Das
erhältnis zwischen der Gesellschaft und den älteren
enschen hat wirklich ganz andere Dimensionen als die
ente mit 67, worüber man auch diskutieren muss. Ich
iederhole: Das, worüber wir hier reden, hat eine ganz
ndere Dimension.
Ich denke, in der Analyse sind wir uns alle einig: Die
rsten Schritte zu einem neuen Verständnis von Alter
ind getan; aber es ist noch ein langer Weg, die bestehen-
en Stereotype aufzubrechen. Wir müssen uns immer
ieder verdeutlichen: Die Teilhabe am gesellschaftli-
hen und kulturellen Leben darf keine Frage des Alters
ein. Es gibt keine magische Linie, bei deren Überschrei-
en plötzlich Stillstand angesagt ist. Fähigkeitsverluste
nd Gebrechlichkeiten sind an kein bestimmtes Alter ge-
unden, auch wenn es noch so viele Vorurteile darüber
ibt. Lebensstil und Bildungsstand und die Einkom-
enssituation von Menschen entscheiden über die Fä-
igkeiten und das Leistungsvermögen.
Tragen Sie diesen Erkenntnissen des fünften Altenbe-
ichts Rechnung! Ältere zeichnen sich längst durch eine
ielfalt der Betätigungswünsche und -möglichkeiten
us. Sie haben in ganz hohem Maße Potenziale zu bie-
en, sei es in sozialen und in kulturellen Netzen, durch
ie Weitergabe von Wissen und Erfahrung, sei es als be-
ehrte Kundinnen und Kunden, als Verbraucherinnen
nd Verbraucher in der wachsenden Branche der Senio-
enwirtschaft. Häufig bleibt dieses Potenzial ungenutzt.
as ist eine Situation, die vor dem Hintergrund der de-
ografischen Entwicklung nicht tragbar ist.
11854 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Britta Haßelmann
Lassen Sie den Worten endlich Taten folgen! Schaf-
fen Sie die notwendigen Rahmenbedingungen, damit
diese neuen Möglichkeiten der Älteren wirklich ausge-
schöpft werden! Stellen Sie die Partizipation von Älteren
am gesellschaftlichen und kulturellen Leben als Ziel Ih-
rer politischen Maßnahmen in den Vordergrund! Machen
Sie die Selbstbestimmung zum Ausgangspunkt Ihres po-
litischen Handelns! Kurz gefasst: Lassen Sie uns die Po-
tenziale des Alters wirklich nutzen! Ich glaube, dass es
dafür Chancen gibt. Wenn die gesellschaftliche Debatte
von allen befördert wird, haben wir einen breiten Raum
und hoffentlich auch die nötige Unterstützung für dieses
Anliegen.
Schon ein kurzer Blick auf den Arbeitsmarkt verdeut-
licht, wie zwingend notwendig eine Wende der bisheri-
gen Politik bereits heute ist. In den letzten Jahrzehnten
hat die Praxis der Frühverrentung zu einer massiven Un-
terbeschäftigung von Menschen über 55 Jahren geführt
und die Rentenlaufzeiten erheblich verlängert. Zwischen
1960 und 2005 erhöhte sich die Rentenbezugsdauer von
9,9 auf 17,2 Jahre.
Es sind nicht nur die Kosten der Sozialsysteme, die
hier negativ zu Buche schlagen. Die mangelnde Er-
werbsintegration von Älteren ist auch ein Grund für den
Mangel an Fachkräften, der mit deutlichen Einkom-
mensverlusten für die Unternehmen verbunden ist. Der
Bundesverband der Deutschen Industrie rechnete für das
Jahr 2006 mit Einkommensverlusten von mindestens
3,5 Milliarden Euro allein durch 48 000 nicht besetzte
Ingenieursstellen. Warum also eine so hohe Beschäfti-
gungslosigkeit von Menschen über 50 Jahren? Verlore-
nes Erfahrungswissen und Innovationspotenzial sind an
dieser Stelle gar nicht eingerechnet.
Es ist höchste Zeit, eine Strategie am Arbeitsmarkt zu
verfolgen, die Vorbehalte und Diskriminierung gegen-
über Älteren endlich abbaut und deren Beschäftigungs-
fähigkeit erhöht. Hier, Frau Blumenthal, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, hat aus meiner Sicht auch die
Bundesregierung massiven Nachholbedarf.
Sie sind gleichsam aufgefordert, die Weiterbildung
als wesentliches Instrument zum lebenslangen Lernen
weiterzuentwickeln. Wenn es um Neueinstellungen geht,
werden über 50-Jährige von Unternehmen zu 76 Prozent
abgelehnt ich habe also noch fünf Jahre; ich bin 45 ,
weil sie so die Aussage Qualifikationsdefizite haben.
Das muss man sich einmal vorstellen! Bei viel Überein-
stimmung in der Analyse muss ich an dieser Stelle doch
fragen: Wo ist die Bildungsministerin?
Wo ist der Arbeitsminister, der gemeinsam mit der Fami-
lienministerin konkrete Vorschläge dazu unterbreitet,
wie die Weiterbildungssituation gerade älterer Menschen
wirklich nachhaltig verbessert werden kann und lebens-
langes Lernen implementiert werden kann?
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Das Wort hat jetzt der Kollege Paul Lehrieder von der
DU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
amen und Herren!
Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an.
Mit 66 Jahren, da hat man Spaß daran.
ie Älteren unter uns werden sich daran erinnern; Udo
ürgens hat es vor knapp 30 Jahren gesungen. Ich habe
ieses Zitat nicht deshalb ausgewählt, weil ich ein Fan
er Popmusik bin oder weil wir gestern im Ausschuss
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11855
)
)
Paul Lehrieder
die Förderung der Popmusik beschlossen haben, sondern
ich habe es ganz bewusst im Anblick des Vizepräsiden-
ten Hermann Otto Solms vorgetragen, der genau
66 Jahre alt ist. Sie können sich also bei meiner Rede
immer ein Bild von der Generation machen, von der ich
spreche.
Frau Laurischk, Sie haben Recht, viele Kommunal-
parlamente wären ohne die Weisheit und Erfahrungen
unserer älteren Generation ein Stück weit aufgeschmis-
sen; aber auch der Bundestag wäre es. Wir haben
83 Kolleginnen und Kollegen im Alter von über 62 Jah-
ren; so weist es das Bundestagshandbuch aus. Wir wer-
den sie nicht als alte Generation bezeichnen.
Schauen Sie sich doch nur einmal um, meine Damen
und Herren, in unserer Gesellschaft, aber auch hier:
überall junge Alte. Nicht Hilfsbedürftigkeit, Senilität
oder Gebrechlichkeit charakterisieren die sogenannte
goldene Generation, sondern die Mehrheit lebt bis ins
hohe Alter ohne gesundheitliche Beeinträchtigung und
Belastung. Gleichwohl ist der Begriff Alter in unserer
Wahrnehmung überwiegend negativ besetzt.
Der fünfte Altenbericht plädiert daher zu Recht dafür,
neue Bilder zuzulassen. In der Tat brauchen wir ver-
schiedene Vorstellungen nebeneinander, wie man im Al-
ter leben kann. Altern ist schließlich ein höchst individu-
eller Prozess. Die Bundesregierung unterstützt daher
ausdrücklich die Forderung der Kommission, die Hete-
rogenität des Alters zu bejahen. Auch die CDU/CSU-
Fraktion hat sich zum Ziel gesetzt, ein neues Leitbild zu
entwickeln.
Eigentlich müssen wir uns dafür nur die Stärken und
Potenziale des Alters wieder bewusst machen.
Jede neue Generation von Seniorinnen und Senioren ist
im Durchschnitt gesünder, besser ausgebildet und vitaler
als ihre Vorgängergeneration und wird im Übrigen im
Schnitt drei Jahre älter als die jeweilige Vorgängergene-
ration; auch dies müssen wir wissen. Ihr Wissen und ihre
Einsatzbereitschaft liegen in unserer Gesellschaft jedoch
noch allzu oft brach. Derzeit werden ältere Menschen
weder in ausreichendem Maße gefördert noch gezielt an-
gesprochen.
Es klafft ein Loch zwischen Vorstellung und Realität.
Schließlich ahnen wir es doch alle oder haben es bereits
erfahren, dass Leistungsfähigkeit, Kreativität und Pro-
duktivität nicht plötzlich mit dem Erreichen der 50er-Al-
tersgrenze verpuffen. Natürlich sind diese Qualitäten
auch jenseits der Lebensmitte vorhanden. Es muss daher
unsere vordringliche Aufgabe sein, die Rahmenbedin-
gungen so zu gestalten, dass die Fähigkeiten und Stärken
älterer Menschen tatsächlich abgefragt werden können
und ihre Kompetenz und Erfahrung wieder zu einem an-
erkannten Beitrag in Wirtschaft und Gesellschaft wer-
den.
Derzeit sind in Deutschland gerade einmal 41 Prozent
der 55- bis 64-Jährigen erwerbstätig. Dem Vorurteil, im
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Ich will darauf hinweisen, dass es nichts Besonderes ist,
dazuzugehören.
Jetzt steht im Vordergrund, die Fähigkeiten und Po-
tenziale der alten Menschen zu stärken. Prima; ich bin
sehr dafür. Aber wir dürfen bei der Gelegenheit nicht
vergessen, dass es Phasen gibt, übrigens auch in jünge-
rem Alter, in denen es nicht so gut geht. Mir ist es nicht
so wichtig, als Silberfuchs umworben oder als Best-Ager
beschimpft ich finde diese englischen Bezeichnungen
furchtbar bzw. umworben zu werden, um meine Kauf-
kraft abzuschöpfen, sondern ich möchte, dass man meine
Fähigkeiten auch dann nutzt, wenn sie vielleicht einer
Unterstützung bedürfen, wenn vielleicht Assistenz erfor-
derlich ist, wenn es vielleicht erforderlich ist, gepflegt zu
werden. Das, meine lieben Kolleginnen und Kollegen,
haben wir viel zu selten im Blick. Solange Menschen
Angst haben und Angst haben müssen, pflegebedürftig
zu werden und vielleicht in ein Heim zu kommen, weil
sie glauben, dass das etwas ganz Furchtbares ist, werden
wir nicht vorankommen mit einem Menschenbild, das
jedes Alter positiv bewertet.
Sie werden heute in großer Geschlossenheit unseren
Vorschlag ablehnen, eine Heim-Enquete einzusetzen.
Das ist auch kein Wunder; wenn wir sie jetzt einsetzen
würden, wäre das viel zu spät. Aber Sie haben unseren
Antrag schon einmal mit der Begründung zurückgewie-
sen: Wir machen ohnehin alles; wir haben keinen Er-
kenntnisbedarf, sondern nur noch einen Handlungsbe-
darf. Sie handeln aber nicht! Sie beraten sich auch
nicht, und Sie nehmen vor allem nicht die Erfahrungen
derjenigen zur Kenntnis, die etwas einzubringen hätten,
zum Beispiel in einer solchen Heim-Enquete. Sie wei-
gern sich auch, dem Bundestag den Heimbericht vorzu-
legen, obwohl das laut Gesetz Pflicht wäre. Sie haben
ihn erst verzögert, und jetzt behaupten Sie mit Hinweis
auf die Kleinstaaterei, dass das nicht mehr nötig sei.
Ich finde, Sie verweigern sich hier und in der Bevöl-
kerung einer Diskussion, die notwendig wäre und die
dazu beitrüge, ein positives Bild von jedem Lebensalter
zu schaffen und damit auch von den Menschen, die
wirklich auf fremde Hilfe, auf Assistenz, auf den Aus-
gleich altersbedingter Nachteile angewiesen sind.
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Das ist ein ganz wichtiger Satz. Es geht um die Solidari-
tät zwischen Alt und Jung sowie zwischen älteren und
noch älteren Menschen. An dieser Stelle möchte ich aus
gegebenem Anlass darauf hinweisen, dass wir die Ein-
richtung der Mehrgenerationenhäuser voll und ganz un-
terstützen. Frau Ministerin, auch die Öffentlichkeitsar-
beit, die dafür gemacht wird, und die Evaluation halten
wir für äußerst wichtig. Das sollen ja Leuchttürme sein,
die ausstrahlen. Es soll nicht nur in jedem Landkreis ein
Einzelprojekt bleiben, sondern es sollen Leuchtturmpro-
jekte mit Ausstrahlung sein.
Ich komme zur Generationensolidarität: Im Altenbe-
richt wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es ei-
nen notwendigen Zusammenhang zwischen einer kin-
derfreundlichen Gesellschaft und der Förderung der
Potenziale des Alters gibt. Das ist ein ganz wichtiger
Punkt. Wenn wir also über das neue Altersbild reden,
müssen wir auch darüber reden, wie wir in unserer Ge-
sellschaft mit Kindern umgehen.
Ich sage es einmal ganz einfach: Wir brauchen jedes
einzelne Kind und jeden einzelnen Jugendlichen. Uns
sind natürlich diejenigen 2 Millionen Kinder, die sozial
benachteiligt sind, ganz besonders wichtig. Deswegen
hat es auch etwas mit dem Anliegen des Altenberichts zu
tun, dass es uns jetzt in einem zweiten großen Schritt,
nachdem der erste in der letzten Legislaturperiode getan
worden ist, gelingt, die frühe Förderung und Bildung un-
serer Kinder endlich ein großes Stück nach vorne zu
bringen.
Dass wir in Deutschland noch große Defizite haben, was
den Bildungsbereich insgesamt betrifft, möchte ich an
dieser Stelle nur kurz andeuten.
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ie Vereinbarkeit von Familie und Beruf sollte doch
icht nur für die Betreuung von Kindern gelten, sondern
uch für die Betreuung und Pflege der Eltern.
ei Erkrankung von Kindern ist die Gewährung von
ehn Tagen bezahlten Urlaubs gängige Praxis und selbst-
erständlich. Ich weiß nicht, aus welchen prinzipiellen
rwägungen man das bei der Pflege der Eltern verwei-
ert. Darüber sollte man noch einmal nachdenken.
Ganz entscheidend ist, dass mit der Reform der Pfle-
eversicherung Rahmenbedingungen geschaffen wer-
en, um die häusliche Pflege durch finanzielle Entlas-
ungen, Beratung und andere Hilfen zu erleichtern und
u ermöglichen, dem Wunsch vieler in meiner Genera-
ion nach anderen bzw. gemeinschaftlichen Wohnformen
m Alter nachzukommen. Hier ist ein großer gesell-
chaftlicher Fortschritt festzustellen.
Der Altenbericht gibt eine Menge Empfehlungen, die
an sicherlich jeweils einzeln auf den Prüfstand stellen
uss. Im Hinblick auf die generelle Perspektive dieses
11858 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Wolfgang Spanier
Altenberichts ist von ganz entscheidender Bedeutung da
sind jetzt die 50- und 40-Jährigen gemeint , ob es uns
wirklich gelingt, das Prinzip der Solidarität in unserer Ge-
sellschaft durchzusetzen. Das gelingt auf keinen Fall,
wenn wir Jung gegen Alt ausspielen.
Das sagt nicht nur der Altenbericht, sondern ist, wie ich
glaube, letztlich die Überzeugung von uns allen.
Ich stelle überhaupt fest, dass in den Grundlinien ein
breiter Konsens herrscht.
Natürlich müssen wir über die einzelnen Bereiche und
die einzelnen Maßnahmen intensiv diskutieren, sicher-
lich auch über das Thema der drohenden Altersarmut.
Ich will überhaupt nicht verschweigen, dass das ein ernst
zu nehmendes Thema ist. Ich bin froh, dass wir, wenn
ich mich hier so umschaue, über die Generationengren-
zen hinweg eine gemeinsame Linie haben.
Jetzt habe ich eine Bitte: Wir haben in diesem Parla-
ment über den Kinder- und Jugendbericht diskutiert und
waren alle voll des Lobes. Wir haben über den Familien-
bericht diskutiert und waren alle voll des Lobes. Auch
heute: einheitliche Lobpreisung des fünften Altenbe-
richts. Der Bildungsbericht sei der Vollständigkeit halber
auch noch erwähnt. Wir müssen aufpassen, dass wir
diese Berichte nicht hier in einstündigen Debatten abfei-
ern und dann in die Regale packen.
Weil diese gesellschaftliche Veränderung unumkehr-
bar, unausweichlich und bereits voll im Gange ist, soll-
ten wir das, was hier oft miteinander verzahnt vorgestellt
und vorgeschlagen wird, wirklich ernst nehmen und ver-
suchen, den mühsamen Weg der praktischen Umsetzung
gemeinsam zu gehen.
Herzlichen Dank.
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich das Wort dem Kollegen Markus Grübel von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
Gegensatz zu den meisten meiner Vorredner möchte ich
den Schwerpunkt meiner Rede nicht auf den fünften Al-
tenbericht Potenziale des Alters in Wirtschaft und Ge-
sellschaft legen. Hierzu wurde schon viel ausgeführt.
Ich möchte stattdessen auf die beiden Anträge der Frak-
tion Die Linke zu den Themen Heim-Enquete einrich-
ten und Heimbericht im Bundestag diskutieren einge-
hen.
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Markus Grübel
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Nacht!)
bzw. für die Nacht ich glaube, es war nachts um 3 Uhr
angesetzt. Um 3 Uhr hätten wir wahrscheinlich weder Zu-
schauer noch Zuhörer gehabt, noch wären Kolleginnen
oder Kollegen im Plenum gewesen.
Ich möchte auf den zweiten Grund eingehen: Wir ha-
ben lange genug über die Pflegesituation in Deutschland
diskutiert. Der Runde Tisch Pflege hat seine Ergeb-
nisse bereits vorgelegt. Zusätzlich eine Heim-Enquete
einzurichten, würde bedeuten, dass nötige Maßnahmen
um Jahre verzögert würden. Eine Heim-Enquete ist we-
nig sinnvoll, wenn man gleichzeitig Gesetzgebungsvor-
haben auf den Weg bringen will. Eine Verzögerung kann
aber keiner wollen. Jetzt ist die Zeit für Taten.
Dennoch haben Sie durchaus ich habe das vorhin
schon gesagt wichtige und richtige Punkte genannt, die
auch in der Koalitionsvereinbarung der Großen Koali-
tion behandelt wurden. Zur Qualitätssicherung in den
Heimen möchte ich Folgendes anmerken: Entgegen Ih-
rer Wertung in der Begründung Ihres Antrages kommt
der sogenannte Heimbericht Seite 2, Mitte zu folgen-
der Einschätzung Zitat :
Die Qualität der stationären Versorgung ist, wie die
Fakten dieses Berichts belegen, erheblich besser,
als es öffentlich geführte Debatten und einzelne Be-
richte gelegentlich vermuten lassen. Gute Pflege
und Betreuung ist möglich und wird in den Heimen
grundsätzlich auch praktiziert.
Man sollte sich also hüten, das Leben in Heimen pau-
schal schlechtzureden.
Gerade der jetzt vorgelegte Prüfbericht des Medizini-
schen Dienstes der Krankenkassen zeigt, dass sich die
Ergebnisse im Vergleich zum ersten Bericht verbessert
haben.
An dieser Stelle möchte ich allen Pflegerinnen und
Pflegern und dem ganzen sonstigen Personal in den Hei-
men für ihre schwere Arbeit danken. Das ist, wie ich
finde, eine wichtige, schöne und verantwortungsvolle
Aufgabe.
Trotzdem da geben mir bestimmt alle recht dürfen
wir uns nicht damit zufriedengeben, wenn bei rund
10 Prozent der Heimbewohner und 6 Prozent der ambu-
lant Betreuten ein kritischer Gesundheitszustand festge-
stellt wird. Diese Prozentsätze sind immer noch zu hoch.
Genau da wollen wir mit der Pflegereform ansetzen. Seit
einigen Tagen liegt der Referentenentwurf auf dem
Tisch.
Zukünftig sollen die Ergebnisse der Pflegequalitäts-
prüfungen des Medizinischen Kontrolldienstes in allge-
meinverständlicher Sprache verfasst und veröffentlicht
werden. Dies wird zu mehr Transparenz und zu einer
besseren Qualität führen. Gerade für Menschen, die ei-
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Das alles überragende Thema war der Nichtraucher-
schutz, über den auch im Rahmen öffentlicher Petitionen
bzw. in einer öffentlichen Ausschusssitzung mit Petenten
diskutiert wurde. Mir ist natürlich bewusst, dass es auch
in diesem Haus einige gibt, die unter den neuen Be-
schlüssen leiden. Der Ausschuss konnte in der Bevölke-
rung jedoch überwiegend Zuspruch zu den geplanten
Neuregelungen feststellen.
Der größte Rückgang beim Eingang von Petitionen
war im Jahr 2006 beim Bundesministerium des Innern
zu verzeichnen; die Zahl der eingereichten Petitionen
sank von fast 4 000 Eingaben in 2005 auf 1 348 im
Jahr 2006.
Stark rückläufig war dabei die Zahl der Petitionen, die
sich auf das Asylrecht bezogen, während Petitionen zum
öffentlichen Dienstrecht nach wie vor einen Schwer-
punkt bildeten.
Ein Beispiel für die Petitionen, die das Bundesminis-
terium des Innern betrafen, ist die Forderung, ein Gesetz
zum Schutz der deutschen Sprache zu beschließen oder
im Grundgesetz den folgenden Artikel aufzunehmen
ich zitiere : Die Sprache der Bundesrepublik
Deutschland ist Deutsch.
So weit mochte der Ausschuss diesem Vorschlag nicht
folgen. Allerdings sah er in diesem Zusammenhang die
Notwendigkeit, dass die Bundesregierung ihre Bemü-
hungen, der deutschen Sprache innerhalb der EU einen
ihrer Bedeutung angemessenen Stellenwert zu verschaf-
fen, fortsetzt und verstärkt.
Wenn man bedenkt, das manche der auf den ersten
Blick kleinen Wehwehchen für die Betroffenen selbst
enorme Auswirkungen auf ihre Lebensumstände haben
und der Petitionsausschuss als höchste Rettungsinstanz
in der Not gesehen wird, bestätigt das einmal mehr die
Notwendigkeit und Bedeutung unseres Ausschusses.
Wir konnten zum Beispiel erreichen, dass eine Peten-
tin einen Treppenlift für ihre behinderte Tochter bekam,
der ihr vorher verweigert worden war, und dass eine zu-
gesagte, dann aber verweigerte Fahrtkostenbeihilfe letzt-
endlich doch von der Bundesagentur für Arbeit gezahlt
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Zum Dritten wurde für die sogenannten Sammel- und
assenpetitionen erstmals die Möglichkeit geschaffen,
ie Anhörung eines oder mehrerer Petenten in einer öf-
entlichen Ausschusssitzung vorzusehen. Die Bedingung
afür ist, dass die Petition innerhalb von drei Wochen
on wenigstens 50 000 Mitzeichnern unterstützt wird.
ies schaffte im vergangenen Jahr jedoch nur eine
11862 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Kersten Naumann
Petition; mit ihr forderten 103 000 Unterstützer die
Rücknahme der teilweisen Abschaffung der Entfer-
nungspauschale im Steueränderungsgesetz. Auch bei
dieser Neuerung ist für die kommenden Jahre mit erheb-
lichem Zuwachs zu rechnen, besonders im Hinblick da-
rauf, dass die Testphase dieses Projektes in Kürze abge-
schlossen sein und der darauf folgende Regelbetrieb
noch übersichtlicher und reibungsloser funktionieren
wird.
Diese neuen Formen der Petitionsarbeit tragen zu ei-
nem großen Teil dazu bei, die Öffentlichkeitsarbeit des
Petitionsausschusses zu unterstützen. Wir werden aber
auch künftig daran arbeiten, unserem Bild bei der Bevöl-
kerung noch schärfere Konturen zu geben, und weiterhin
vor Ort für Fragen und Anregungen zur Verfügung ste-
hen, wie das meine Kolleginnen und Kollegen und ich
schon intensiv tun.
Gestatten Sie mir, zum Abschluss meiner Ausführun-
gen denen zu danken, ohne die wir als Ausschussmit-
glieder dem enormen Arbeitspensum hilflos ausgeliefert
wären: Ich danke den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
des Ausschussdienstes, aber auch den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern der Fraktionen und der Abgeordneten.
Ohne ihr engagiertes Wirken hinter den Kulissen wäre
die Bearbeitung der fast 17 000 Petitionen des vergange-
nen Jahres nicht möglich gewesen. Dabei möchte ich
nicht verhehlen, dass ich dem laufenden und geplanten
Stellenabbau in der Verwaltung des Deutschen Bundes-
tages mit Sorge entgegensehe. Wenn man bedenkt, dass
täglich über 270 Briefe nach intensiver Beschäftigung
mit dem Sachverhalt den Ausschussdienst verlassen,
wird der Arbeitsaufwand mehr als deutlich.
Eine letzte, persönliche Bemerkung, in meiner Funk-
tion als Vorsitzende: Ja, die Arbeit im Ausschuss ist
meistens sachlich und konstruktiv, und man wird es
nicht glauben: Sie macht auch Spaß, mir jedenfalls.
Dafür einen herzlichen Dank an meine Ausschusskolle-
ginnen und Ausschusskollegen!
Die gute Zusammenarbeit kann aber nicht darüber
hinwegtäuschen, dass die Ausschussmitglieder aus fünf
verschiedenen Fraktionen kommen und somit öfters po-
litisch unterschiedliche Sichten auf die Dinge haben.
Meine Arbeitsweise richte ich so aus, dass ich die Mei-
nung des anderen in jedem Fall respektiere, auch wenn
ich sie nicht verstehe oder sie nicht teile. Das halte ich
nicht nur deswegen, weil ich Vorsitzende bin, so, son-
dern weil ich denke, dass Politik von Respekt geprägt
sein sollte. In diesem Sinne hoffe ich auf weitere gute
Zusammenarbeit und darauf, dass wir gemeinsam mög-
lichst viele positive Entscheidungen für die Petentinnen
und Petenten fällen.
Danke schön.
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Das Wort hat jetzt der Kollege Jens Ackermann von
er FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
erehrte Zuschauer! Der Jahresbericht gibt uns von
euem die Möglichkeit, die Arbeit des Petitionsaus-
chusses rückblickend zu bewerten. Es ist jedes Mal ver-
lüffend, festzustellen, wie sehr gesellschaftliche und
olitische Themen ihren Widerhall in den Petitionen der
enschen finden.
Der Petitionsausschuss hat einen hohen Stellenwert in
er Gesellschaft. Ich bin nach wie vor davon überzeugt,
ass er einen wichtigen Beitrag gegen Politikverdrossen-
eit leistet. Als Schnittstelle zwischen Bundestag und
ürger nimmt er auf, was den Bürgern am Herzen liegt,
elche Bauchschmerzen sie mit Gesetzen und Behörden
aben und welche Vorschläge und Lösungsansätze die
ürger selber entwickeln.
Ich nenne drei Beispiele. Erstens. Sportpiloten haben
ich mit der Bitte an uns gewandt, die verschärften Be-
timmungen bezüglich der Überprüfung der Tauglichkeit
ieder zurückzunehmen, damit sie auch in Zukunft ih-
em Hobby nachgehen können. Zweitens. Ein weiterer
etent hat sich mit der Idee an uns gewandt, den Perso-
alausweis im Scheckkartenformat herzustellen, damit
r auch in die Brieftasche passt. Auch dieser Bitte konn-
en wir nachkommen.
Ein dritter Vorschlag aus der Bevölkerung war, sich
ndlich um das sehr komplizierte Mehrwertsteuersystem
u kümmern. Es war nicht mehr nachzuvollziehen, wa-
um man für Trüffel 7 Prozent und für Sondennahrung in
en Heimen 19 Prozent zahlen muss.
Diese Hinweise aus der Bevölkerung zeigen uns, dass
ie Bürgerinnen und Bürger sich wünschen, dass wir un-
ere politische Arbeit mit mehr Augenmaß und Vernunft
errichten.
11864 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Jens Ackermann
An den Petitionen, die den Deutschen Bundestag errei-
chen, lässt sich aber auch die Arbeit der Bundesregie-
rung messen. Die hohe Anzahl der Petitionen kann nicht
zuversichtlich stimmen. Die Bundesregierung würde gut
daran tun, genauer zuzuhören. Petitionen zeigen nicht
selten die schlechte Mittelstandspolitik der Bundesregie-
rung auf.
So wandte sich ein mittelständischer Unternehmer der
Technischen Orthopädie an uns. Er bat darum, die Kos-
ten zu regeln, auf denen er oft sitzenbleibt, weil er Ret-
tungswagen und Notaufnahmen mit Halskrausen ver-
sorgt. Wir haben nach einer Überprüfung festgestellt,
dass der Eigenanteil von Notfallpatienten oft nicht den
Lieferanten erreicht. Wir haben ein Berichterstatterge-
spräch durchgeführt. Staatssekretärin Caspers-Merk si-
cherte uns zu, Abhilfe zu leisten.
Petitionen sind ein geeignetes Messinstrument der
Regierungspolitik. Die Ausschussvorsitzende hat darauf
hingewiesen, dass gerade im Gesundheitsbereich ein Zu-
wachs an Petitionen zu verzeichnen ist. Es wird ge-
wünscht, das Problem der Pflege anzugehen, einen Ge-
setzentwurf zur Pflegeversicherung vorzulegen und die
Zustände in den Heimen zu verbessern.
Wir haben im letzten Jahr 16 700 Petitionen bearbeitet.
Das ist ein beträchtlicher Arbeitsaufwand. Mein Dank
gilt insbesondere der akribischen Arbeit des Ausschuss-
dienstes und des -sekretariates. Kollegin Lösekrug-
Möller meinte kürzlich, das einzige Argument, welches
gegen eine Große Koalition spreche, sei, dass die Oppo-
sition im Petitionsausschuss doppelt so viel Arbeit leisten
müsse, da eine Akte jeweils von der Regierungskoalition
und der Opposition bearbeitet werden muss.
Werte Kollegin, mir fielen noch 20 andere Argumente
ein, die gegen Schwarz-Rot sprächen.
Angesichts der enormen Arbeitsbelastung im Peti-
tionsausschuss bin ich auch unseren Stellvertretern, den
Kollegen Fricke und Wissing sowie der Kollegin Lenke,
sehr dankbar, die die gleiche Arbeit wie die vollen Aus-
schussmitglieder in unserer Fraktion leisten.
Die FDP-Fraktion misst den Petitionen und dem Peti-
tionsausschuss eine hohe Bedeutung zu. Das ist ein Bei-
spiel für direkte Demokratie. Wir nehmen die Bürgerin-
nen und Bürger ernst. Es ist gut, dass es den
Petitionsausschuss gibt und dass die Menschen dieses
Instrument so rege nutzen.
Der Jahresbericht 2006 zeigt uns eine Vielzahl von
Problemen auf, die in unserem Land angegangen werden
müssen. Dies haben uns die Bürgerinnen und Bürger mit
ihren Petitionen deutlich gemacht. Es liegt an Ihnen von
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Frau Lazar, das ist ein gutes Zeichen. Das nehmen wir
gerne an. Wir müssen auch feststellen, dass es 17 Jahre
nach der Wiedervereinigung immer noch Unterschiede bei
der materiellen Angleichung der Lebensverhältnisse gibt.
Wir haben in dieser Woche über den Jahresbericht der Bun-
desregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2006 disku-
tiert, anhand dessen wir das feststellen konnten.
Ich möchte beispielhaft anführen, welche Petitionen
speziell aus dem östlichen Teil wir positiv entscheiden
konnten. Die Opfer des SED-Regimes haben sich mit ei-
ner Vielzahl von Petitionen an uns gewandt. Mit dem
Dritten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz vom 1. Sep-
tember dieses Jahres konnten wir dieses Problem klären.
Die unterschiedlichen Sätze beim Arbeitslosengeld II in
Ost und West konnte ebenfalls keiner verstehen. Auch
das haben wir geklärt. Es steht noch eine Vielzahl von
Petitionen auf der Tagesordnung. Ein Teil betrifft die un-
terschiedlichen Rentenbiografien in Ost und West. Wir
hatten in dieser Woche ein Gespräch mit dem Staatsse-
kretär, in dem wir einige Probleme aufgezeigt haben.
Der Einigungsvertrag und die Gesetze, die danach ver-
abschiedet wurden, haben nicht alle Unterschiede besei-
tigen können. Weiterhin gibt es vermögensrechtliche
Probleme, bei denen das Handeln der Treuhand und ihrer
Nachfolgeorganisationen hinterfragt werden muss.
Der Petitionsausschuss hat ein besonderes Recht, im
Grundgesetz verbrieft, nämlich Ortstermine durchführen
zu können. Im Jahr 2006 haben wir einen solchen Orts-
termin durchgeführt und sind ins Edertal nach Hessen
gefahren. Ein Petent, der in einer Staumauer ein Mu-
seum betrieben hat, in dem die Geschichte des Krieges
und der Vertreibung aufgearbeitet wurde, hatte sich an
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Gestatten Sie mir, noch kurz auf Folgendes hinzuwei-
en: Ein besonderer Akzent unserer Arbeit lag auch 2006
uf dem Thema Öffentlichkeitsarbeit. Wir gehen ver-
tärkt auf Messen und präsentieren uns den Bürgerinnen
nd Bürgern an Ständen. Im letzten Jahr waren wir in
ostock, Erfurt, Dortmund und auf Messen in anderen
tädten und haben mit den Bürgern direkt Kontakt auf-
enommen. Die Bürger kommen zu uns und fragen uns.
ch denke, wir helfen entscheidend mit, der oft diskutier-
en Politikverdrossenheit ein Stück entgegenzuwirken.
Ich möchte wie meine Vorredner den letzten Teil mei-
er Rede dazu nutzen, mich im Namen der CDU/CSU-
undestagsfraktion bei den Mitarbeiterinnen und Mitar-
eitern des Ausschussdienstes ganz herzlich für die
ompetente, kollegiale und sehr gute Zusammenarbeit
u bedanken. Ohne ihre Arbeit wäre es uns nicht mög-
ich, diese Stöße von Petitionen zu bearbeiten. Ich
öchte aber auch unsere eigenen Mitarbeiterinnen und
itarbeiter in den Büros der Fraktionen in den Dank ein-
eziehen, die oft über Aktenstößen sitzen und uns eine
ichtige Hilfe sind. Ihnen allen gilt ein ganz herzlicher
ank.
Unser erreichtes hohes Niveau bei der Bearbeitung
on Petitionen stärkt das Vertrauen in unsere lebendige
emokratie und ermutigt uns, gemeinsam diesen Dienst
ür unsere Bürgerinnen und Bürger fortzuführen. Ich
enke, das Klima im Ausschuss zeigt uns, dass wir auf
em richtigen Weg sind. Wir möchten so weitermachen.
Herzlichen Dank.
Ich gebe das Wort der Kollegin Heidrun Bluhm, Frak-
ion Die Linke.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Vorsitzende!
iebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Als
bfrau der Linken habe ich heute erstmals die Gelegen-
eit, zu einem Jahresbericht zu sprechen. Auch ich
11866 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Heidrun Bluhm
möchte die Gelegenheit nutzen, mein persönliches Resü-
mee damit zu verbinden.
Am Beginn einer Rede soll man Lob aussprechen.
Das will auch ich tun. Alle meine Vorredner haben ins-
besondere die Zusammenarbeit mit dem Ausschuss-
dienst gelobt. Ich möchte mich diesem Lob ausdrücklich
auch für meine Fraktion anschließen und mich herzlich
dafür bedanken, dass die Arbeit immer sehr ordentlich
vorbereitet wird und vieles, was wir sonst selbst erledi-
gen müssten, bereits vom Ausschussdienst erledigt wird.
Das ist für uns eine große Erleichterung.
Der Petitionsbericht für das Jahr 2006 stellt dar, dass
es insgesamt ein sehr arbeitsreiches Jahr war. Das gilt für
die Arbeit der Abgeordneten in den Ausschüssen, die
Arbeit der Berichterstatter und die Arbeit der Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter, die wir zur Verfügung haben.
Auch hier, glaube ich, ist es angebracht, einmal ein Dan-
keschön zu sagen.
Der Jahresbericht gibt vieles aus der Arbeit des Peti-
tionsausschusses wieder. Besonders wichtig findet Die
Linke die von ihm neu praktizierten Verfahrensweisen
wie öffentliche Anhörungen und öffentliche Petitionen.
Dank der Einführung der öffentlichen Petitionen konnte
im letzten Jahr mehr Aufmerksamkeit, mehr Medienprä-
senz und damit sicherlich auch ein weiterer Schritt in
Richtung mehr Bürgernähe erzielt werden.
Leider fällt es uns oft noch ziemlich schwer, uns ge-
meinsam auf Themen, die öffentlich behandelt werden
sollen, zu verständigen. Wir halten es für erforderlich,
zukünftig stärker darauf zu achten, dass insbesondere die
Themen in den Mittelpunkt der öffentlichen Behandlung
gestellt werden, die die Menschen besonders bewegen.
Leider gehen die Meinungen zwischen Opposition und
Regierung dabei manchmal auseinander. Zum Beispiel
hätten wir gern schon im Jahr 2006 eine öffentliche Sit-
zung zum Arbeitslosengeld II abgehalten. Nicht umsonst
hat die Frau Vorsitzende festgestellt, dass uns zum sozia-
len Bereich und zum Arbeitslosengeld II sehr viele Peti-
tionen erreichen. Deshalb wäre es wert, dieses Thema in
Zukunft auf die Tagesordnung zu setzen.
Die grundsätzlich wohlwollende Darstellung der Ar-
beit des Petitionsausschusses im Jahresbericht darf je-
doch nicht den Blick davor verstellen, dass in der über-
wiegenden Mehrzahl der Fälle dem Anliegen der
Petenten im Ergebnis nicht entsprochen werden konnte
und dass sich das Petitionsverfahren für viele Betroffene
zu wenig durchsichtig, zu wenig verständlich, zu lang-
wierig und auch zu bürokratisch darstellt. Ich will aber
eingestehen, dass wir Abgeordnete im Ausschuss uns
bemühen, an diesem Problem weiterzuarbeiten und posi-
tiv zu wirken. Aus diesem Grund setzt sich die Linke für
ein Petitionsgesetz zur Sicherung von Transparenz und
der Rechte der Bürger im Verfahren ein. Ich hoffe, dass
auch andere Fraktionen dieses Anliegen unterstützen.
Warum soll das, was uns andere Bundesländer bereits
vorleben, auf Bundesebene nicht realisiert werden kön-
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atürlich erkenne ich an, dass auch mit der Zusendung
on Materialien und mit Auskünften, die den Menschen
egeben werden, Hilfe geleistet wird. Dies alles soll
uch statistisch erfasst werden. Jedoch darf die Darstel-
ung im Jahresbericht nicht so erfolgen, dass beim au-
enstehenden Leser der Eindruck entsteht, dass durch
as parlamentarische Wirken in hohem Maße positiv auf
ie Belange der Menschen eingegangen wird.
Gestatten Sie mir noch ein paar Gedanken zu den öf-
entlichen Petitionen. Dabei handelt es sich um ein An-
iegen von allgemeinem Interesse, mit dem die Petenten
ine Änderung der bestehenden gesetzlichen Regelun-
en begehren. Die öffentlichen Petitionen machen deut-
ich, dass nicht wenige Bürgerinnen und Bürger das
edürfnis haben, sich in Gemeinwohlbelange einzumi-
chen und im Austausch und zusammen mit anderen ge-
taltend auf die Politik einzuwirken. Zudem erfüllen öf-
entliche Petitionen für die Bürgerinnen und Bürger eine
ichtige Informationsfunktion, weil die Beschlussbe-
ründung nach Abschluss der Petition im Internet nach-
ulesen ist. Aus diesem Grunde hätten wir uns mehrere
eispiele von öffentlichen Petitionen im Jahresbericht
ewünscht. Zudem sollten wir diese Petitionen zukünftig
ls öffentliche Petitionen im Inhaltsverzeichnis kenn-
eichnen.
Die öffentliche Petition zum Thema Generation
raktikum, die im Jahre 2006 bei uns eingegangen ist
nd zu der der Ausschuss auch eine öffentliche Beratung
urchgeführt hat, wünschen wir uns im Jahresbericht
007 erwähnt, vor allem in Anbetracht der Tatsache,
ass diese Petition die Unterstützung von mehr als
00 000 Menschen erfahren hat. Ich glaube, dass wir
ier eine besondere Aufmerksamkeit zeigen sollten.
Noch ein Beispiel dafür, dass der Jahresbericht 2006
us unserer Sicht einer kritischen Betrachtung bedarf:
lle Berücksichtigungs- und Erwägungsbeschlüsse so-
ie Materialüberweisungen an die Bundesregierung
erden dahin gehend gewertet und dargestellt, dass die
etition einen positiven Ausgang im Sinne des Anlie-
ens des Petenten gefunden hat. Herr Ackermann hat
ier vorhin beispielhaft die Petition genannt, die ein Or-
hopäde eingereicht hat.
Der Petitionsausschuss hat daraufhin die Bundesre-
ierung in seinem Erwägungsbeschluss aufgefordert,
ine Änderung der gesetzlichen Voraussetzungen vorzu-
ehmen. Das war ein hohes Votum unsererseits. Nach
bschluss der Behandlung dieser Petition hat sich das
inisterium letztlich aber entschieden, hier keine Ab-
ilfe zu leisten. Damit ist dem Anliegen des Petenten
icht entsprochen worden; das wiederum ist in diesem
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11867
)
)
Heidrun Bluhm
Bericht leider nicht erwähnt. Wir sind in dieser Frage
also wie ein Tiger gestartet und wie ein Bettvorleger ge-
landet. Das ist leider kein Einzelfall.
Eine Analyse der Auswertung der 14. und 15. Wahl-
periode hat ergeben, dass Petitionen mit Erwägungs- und
Berücksichtigungsbeschlüssen eine Chance von 50 Pro-
zent auf einen positiven Ausgang haben. Rechnet man
noch die ungeklärten und offenen Petitionen heraus,
dann liegt diese Wahrscheinlichkeit sogar bei 56 Pro-
zent. Uns ist das aber immer noch zu wenig.
Natürlich kann das Parlament der Regierung keine
Weisungen erteilen. Aber wir sollten daran arbeiten, das
nicht einfach zu akzeptieren und die Arbeit einzustellen.
Vielmehr sollten wir darüber nachdenken, wie wir die
Bundesregierung dazu bringen können, mehr Kraft da-
ran zu setzen, nach Lösungen für die Petenten zu suchen.
Wir denken daher über Regelungen nach, die der Regie-
rung wenigstens eine Erklärung zu ihrem Verhalten ab-
verlangen. Diese Erklärung können wir dann im Peti-
tionsausschuss oder im Plenum diskutieren.
Gerechtigkeit kennt keine Parteien, den Titel dieses
kürzlich erschienenen Buches eines Abgeordnetenkolle-
gen sollten wir uns zum Motto für unsere weitere Arbeit
machen.
Vielleicht können wir dann in der Debatte über den
nächsten Jahresbericht gemeinsam feststellen, dass eine
größere Anzahl von Petitionen zum Erfolg geführt wer-
den konnte.
Diese Frage habe ich erwartet. Herr Baumann, das
sollten Sie selber recherchieren.
Nächster Redner ist der Kollege Josef Winkler, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Auch von einem ehemaligen Kollegen aus mei-
ner Fraktion soll demnächst ein Buch erscheinen.
Ich lege Ihnen auch die Lektüre dieses Buches ans Herz.
Zunächst möchte ich der Ausschussvorsitzenden,
Kollegin Naumann, dem stellvertretenden Ausschuss-
vorsitzenden Storjohann, den Kolleginnen und Kollegen
Obleuten, allen Mitgliedern des Ausschusses sowie den
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Kollege Ackermann, Sie klatschen gerade. Gleich wird
hnen nicht mehr danach sein.
Herr Ackermann, Sie meinten den Herrn Staatssekre-
är Thönnes auf der Regierungsbank in Unruhe versetzen
u müssen, als Sie die Petitionen aus dem Bereich des
inisteriums für Wirtschaft und Technologie als Seis-
ometer für die schlechte Mittelstandspolitik der Regie-
ung bezeichnet haben. Dazu kann ich nur sagen: Es feh-
en Vergleichsmöglichkeiten; denn Sie sind schon zu
ange in der Opposition, als dass jemand zu Ihrer Mittel-
tandspolitik Petitionen einreichen könnte.
Ich will zu den Neuerungen, die angesprochen und
ositiv gewürdigt worden sind, Folgendes sagen: Im
inblick auf die Korrektheit der Darstellung der Parla-
entsgeschichte und des Petitionsrechts möchte ich mir
n dieser Stelle erlauben, die ideelle Vaterschaft der
euerungen für die ehemalige rot-grüne Bundesregie-
ung zu reklamieren.
atürlich haben sich inzwischen einige zusätzliche Vä-
er und Mütter in diesem Hohen Hause gefunden, die die
11868 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Josef Philip Winkler
Neuerungen im Rahmen einer Patchworkfamilie wir
leben in Zeiten einer modernen Familienpolitik, auch
wenn es noch nicht alle kapiert haben positiv bewer-
ten. Die Neuerungen waren darin begründet, dass Rot-
Grün im Koalitionsvertrag geregelt hatte: Es ist zu über-
legen, wie das Petitionsrecht fortzuentwickeln ist.
Frau Kollegin Lösekrug-Möller und ich waren in der
letzten Wahlperiode an verantwortlicher Stelle zusam-
men mit anderen Kollegen in diesem Bereich tätig und
haben überlegt, welche Änderungen wir vornehmen.
Wir Grüne das sage ich ganz ehrlich hätten noch
mehr Vorschläge gehabt. Sie erinnert sich sicherlich,
ein verschmitztes Lächeln geht über ihr Gesicht; nein,
immer noch nicht. Sie hat aus guten Gründen, aus ihrer
Sicht zumindest, den einen oder anderen Vorschlag ab-
gelehnt. Ich bin aber stolz darauf, dass wir die drei Neue-
rungen E-Mail-Petition, öffentliche Petition und öffent-
liche Beratung sowie das Mitzeichnen von Petitionen
eingeführt haben.
Ich freue mich, dass wir im ganzen Hause inzwischen
der Auffassung sind, dass es sinnvoll ist, die Bürgerin-
nen und Bürger mehr in die Petitionsarbeit einzubinden.
Das ist auch mit mehr Transparenz verbunden. Die Tat-
sache, dass 450 000 Kommentare von einzelnen Perso-
nen im Internet zu den dort eingestellten Petitionen ab-
gegeben wurden, zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg
sind.
Inzwischen wird auch auf der Landesebene diskutiert.
Zum Beispiel liegt im Niedersächsischen Landtag ein
Gesetzentwurf meiner Fraktion vor, der fraktionsüber-
greifend ernst genommen und diskutiert wird.
Ich weiß natürlich nicht, ob es noch vor Ablauf der
Wahlperiode im nächsten Jahr gelingen wird, sich zu ei-
nigen. Aber nicht nur dort, sondern auch in anderen
Landtagen wird genau geschaut, wie sich das im Bun-
destag entwickelt. Wenn die Evaluierung, die das Büro
für Technikfolgenabschätzung des Bundestages durch-
führt, zu einem Abschluss gekommen ist, wird sich in
den 16 Landtagen ein Boom entwickeln. Wir werden uns
vor Besuchen von Kolleginnen und Kollegen, die sehen
wollen, wie das hier funktioniert, gar nicht mehr retten
können.
Wir müssen auch im Bundeshaushalt entsprechende
Maßnahmen ergreifen. Wie schon erwähnt wurde, müss-
ten in der Bundestagsverwaltung flächendeckend die
Stellen reduziert werden. Davon muss der Petitionsaus-
schuss ausgenommen werden, weil die Aufgaben erwei-
tert wurden; im Zweifel muss bei den Stellen sogar auf-
gestockt werden. Das gilt auch für die Infrastruktur
technischer Art; denn es ist natürlich peinlich, wenn
sich, wie bei der Generation Praktikum, die Beschwerde-
führer darüber beschweren müssen, sich nicht beschwert
haben zu können, weil die Internetserver zusammenge-
brochen sind und unter anderem deshalb das Quorum
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ill ich nur noch einen Fall ansprechen, und zwar die
etition, die uns von ehemaligen Heimkindern zugeleitet
orden ist. Das ist ein wirklich schlimmer Fall; er hat
ns sehr mitgenommen. Diese ehemaligen Heimkinder,
ie in den 50er- und 60er-Jahren in der ehemaligen Bun-
esrepublik in Heimen untergebracht waren dabei geht
s nicht nur um kirchliche Heime, sondern auch, wie ich
leich dazusagen will, um Heime in öffentlicher Hand ,
aben berichtet, dass sie dort massiv misshandelt wor-
en sind. Sie haben jetzt, nach so vielen Jahrzehnten, die
elegenheit, öffentlich, teilweise auch nicht öffentlich,
ämlich in Gesprächen mit Abgeordneten, ihre Sicht der
inge zu schildern. Ich würde mich freuen, wenn wir im
aufenden Jahr noch etwas vorankämen und das nicht bis
um Ende der Wahlperiode warten müsste.
Wir sind auf gutem Weg; ich weiß. Wir werden im
usschuss sicherlich noch das eine oder andere Mal über
ieses Thema sprechen. Die Betroffenen dürfen jetzt
icht noch einmal jahrelang vertröstet werden.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Klaus Hagemann,
PD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Zunächst ein Kompliment an die Regierungs-
ank: Was die Anwesenheit der Mitglieder der Bundes-
egierung angeht, haben wir in diesem Jahr eine Steige-
ung um 200 Prozent festzustellen.
as finde ich ganz toll. Im vorigen Jahr haben wir dieses
hema ohne die Bundesregierung besprochen. Deswe-
en ein Kompliment an die beiden Herren, die heute von
er Bundesregierung anwesend sind.
Kollege Winkler und andere haben darauf hingewie-
en, dass es in Art. 17 unseres Grundgesetzes heißt, je-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11869
)
)
Klaus Hagemann
dermann habe das Recht, sich einzeln oder in Gemein-
schaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder
Beschwerden an den Deutschen Bundestag zu wenden.
Ich spreche jetzt zur Galerie sowie zu den Zuhörerinnen
und Zuhörern draußen: Jedermann damit ist auch jede
Frau gemeint sollte das Recht wahrnehmen, wenn er
eine Anregung oder eine Bitte hat, sich direkt an uns zu
wenden. Dies gilt nicht zuletzt für Jugendliche und ältere
Menschen.
Gerade wurde darauf aufmerksam gemacht, dass wir
das Petitionsrecht insofern reformiert haben, als wir das
Wort schriftlich so auslegen, dass man sich auch per
E-Mail an uns wenden kann. Die Vaterschaft dafür, lie-
ber Josef Winkler, ist zum größeren Teil der SPD-Frak-
tion und zum kleineren Teil der Grünen-Fraktion zuzu-
rechnen. Jedenfalls war es, lieber Josef, liebe Frau Lazar,
eine gemeinsame gute und sinnvolle Entscheidung, was
schon dadurch bewiesen ist, dass sich mehr junge Men-
schen mit ihren Themen auch über die elektronischen
Medien an uns wenden.
Zu diesen Themen gehört an vorderer Stelle die Aus-
bildungsförderung für Studierende, besser bekannt unter
BAföG. Wir haben uns damit auch deshalb häufig be-
schäftigt, weil die Zahl der entsprechenden Petitionen
angestiegen ist. Lassen Sie mich daher auf dieses Thema
näher eingehen.
Zum einen wurde beklagt, dass die Bearbeitungszeit
der Anträge zu lang sei. Dafür habe ich Verständnis. Als
Abgeordneter bekommt man dies auch immer wieder in
den Bürgersprechstunden vorgetragen. Hier sind die
Länder mit ihren BAföG-Ämtern gefordert, dafür zu sor-
gen, dass die Anträge möglichst schnell bearbeitet wer-
den.
Ein zweites wichtiges Thema ist die Rückzahlung der
Darlehen. Um die jungen Menschen nicht mit einer zu
großen Schuldenlast in das Leben starten zu lassen, ha-
ben wir die Rückzahlung auf höchstens 10 000 Euro be-
grenzt. Sorgen bereiten vielen jungen Menschen die Stu-
diengebühren, die in mehreren Ländern eingeführt
wurden. Dafür sind wir allerdings nicht mehr zuständig;
das ist jetzt Ländersache.
Zum Dritten wurde beklagt, dass die Bedarfssätze
über viele Jahre nicht angehoben worden sind. Seit sie-
ben Jahren wird das BAföG in gleicher Höhe ausgezahlt,
und auch die Freibeträge sind nicht angehoben worden.
Gerade diesen Bereich, bei dem wirklich Handlungsbe-
darf besteht, hat sich die Koalition jetzt vorgenommen.
Daher können wir auch davon sprechen, dass wir uns
den Petitionen zuwenden, die zum Thema BAföG einge-
reicht worden sind und in denen es darum ging, Struktur-
reformen durchzuführen und den Höchstsatz von zurzeit
585 Euro pro Monat anzuheben. Wir streben an das ist
in der Koalition noch nicht ganz ausdiskutiert , die
Leistungen um 10 Prozent anzuheben. Wir wollen auch
die Freibeträge um 8 Prozent erhöhen, sodass gewähr-
leistet wird, dass mehr als 25 Prozent eines Studieren-
denjahrgangs BAföG beantragen können. Hier sind wir
sicherlich auf einem guten Wege.
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Nächster Redner ist der Kollege Gero Storjohann,
DU/CSU-Fraktion.
11870 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen!
Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ohne Kritik
Demokratie geben kann. Damit fängt sie an.
Diesen Satz hat einst Michail Gorbatschow geprägt,
und ich glaube, er hatte recht. Die Politik darf sich nicht
nur alle vier oder fünf Jahre der Beurteilung durch die
Bürgerinnen und Bürger stellen, sondern sie muss es
kontinuierlich tun. Tag für Tag muss sie ein offenes Ohr
für Sorgen und Bedürfnisse haben und auch Kritik der
Bevölkerung ertragen.
Hieraus ergibt sich die Bedeutung des Petitionsaus-
schusses für unsere freiheitlich-demokratische Grund-
ordnung. Der Petitionsausschuss ist nach Meinung der
einen ein Seismograf, nach Meinung der anderen ein
Spiegel des Volkes. Auf alle Fälle ist er ein wichtiges In-
strument. Er gibt uns die wunderbare Gelegenheit, das
Einzelschicksal zur Kenntnis zu nehmen und es oft auch
im Gesetzesregelwerk nachzuvollziehen.
Das Instrument der Petition kann allerdings nur er-
folgreich sein, wenn es zwei Voraussetzungen erfüllt:
Erstens muss es mit der Zeit gehen, sich also in Bezug
auf neue technische Möglichkeiten stetig modernisieren.
Wir haben schon über die Vaterschaft der elektronischen
Petition gesprochen. Entscheidend ist, dass man nicht
nur über etwas redet, sondern es auch tut. Wir haben das
jetzt geschafft und sind stolz darauf. Zweitens muss den
Bürgerinnen und Bürgern bekannt sein, dass das Peti-
tionsverfahren existiert, wie es funktioniert und dass
man es gern in Anspruch nehmen kann.
Bezüglich beider Voraussetzungen hat der Petitions-
ausschuss in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte
gemacht. Hinsichtlich der technischen Modernisierung
des Petitionsverfahrens berichtet der vorliegende Jahres-
bericht 2006 von drei großen Neuerungen, die im Herbst
2005 eingerichtet worden sind. Erstens geht es um die
Möglichkeit, Petitionen online durch ein standardisiertes
E-Mail-Formular einzureichen. Zweitens geht es um den
Modellversuch zur Mitzeichnung von Petitionen im In-
ternet, die sogenannten öffentlichen Petitionen. Drittens
geht es um das Anrecht von Sammel- und Massenpeti-
tionen auf die Behandlung in einer öffentlichen Sitzung
des Ausschusses, sofern sie von mindestens 50 000 Mit-
zeichnern unterstützt werden.
Ich spreche im Namen meiner Fraktion, wenn ich
sage, dass wir die Neuerungen im Petitionswesen befür-
worten, auch den Modellversuch der öffentlichen Peti-
tionen. Das Petitionsverfahren wird hierdurch transpa-
renter, und die Hemmschwelle des einzelnen Bürgers,
Petent zu werden, sinkt erheblich. Wenn Demokratie
durch Kritik lebt, dann ist jede Maßnahme, durch die die
Kritik des Bürgers an der Politik erleichtert wird, eine
demokratische und somit eine gute Maßnahme.
Vor lauter Euphorie über die neuen Möglichkeiten
und ihre Popularität bei den Bürgerinnen und Bürgern
dürfen wir aber vorhandene Missstände des neuen Sys-
tems nicht verschweigen. Die Arbeit im Petitionsaus-
schuss hat gezeigt, dass einige Kollegen, besonders der
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it dem Gerechtigkeitsempfinden meiner Fraktion ließe
ich die zuvor beschriebene Vorgehensweise nicht ver-
inbaren. Wir plädieren dafür, jede Petition nach ihrem
nhalt und nicht nach der Petentenanzahl zu bewerten.
taatliche Hilfe soll nach unserer Auffassung den Be-
achteiligten und Schwachen zukommen, gerade dann,
enn es sich um Einzelschicksale handelt, die keine
reiten Unterstützerkreise finden.
Als zweite Voraussetzung eines wirksamen Petitions-
usschusses im Sinne des Grundgesetzes hatte ich bereits
en ausreichenden Bekanntheitsgrad dieser Einrichtung
enannt. Diesbezüglich ist unser Ausschuss in der Tat sehr
ktiv. Unser Internetauftritt ist hervorragend und der
eistbesuchte Bereich auf der Bundestagsseite. Zudem ist
er Petitionsausschuss mit eigenen Informationsständen
uf Messen präsent, an denen der Deutsche Bundestag
ilnimmt. Bürgersprechstunden und Pressekonferenzen
omplettieren unsere Öffentlichkeitsarbeit. Die hohe An-
ahl an Petitionen beweist, dass wir auf dem richtigen
eg sind.
Letztendlich beschränkt sich unsere Öffentlichkeitsar-
eit aber nicht nur auf das Inland. Im Austausch mit Ver-
retern ausländischer Parlamente versuchen wir kontinu-
erlich, das deutsche Verfahren zu optimieren oder auch
nser deutsches Modell zu exportieren. Zwei Delega-
ionsreisen des Ausschusses fanden 2006 statt. Eine von
hnen führte nach Estland, Lettland und Litauen, eine
weite nach Kambodscha und Vietnam. Ich kann berich-
en, dass uns in den genannten Staaten mit großem Inte-
esse für unser Petitionswesen begegnet wurde. Dabei
rafen wir nicht nur Vertreter der dortigen Parlamente,
ondern es ergaben sich auch aufschlussreiche Gesprä-
he mit Vertretern von Nichtregierungsorganisationen
nd Projekten der Entwicklungszusammenarbeit. Mit
lick auf die Erfahrungen im Ausland können sich die
ürgerinnen und Bürger Deutschlands eigentlich sehr
lücklich schätzen, dass sie ein hoch entwickeltes Peti-
ionswesen haben.
Nicht unerwähnt möchte ich lassen, dass wir zahlrei-
he Delegationen hier in Berlin empfangen konnten:
um Beispiel eine Delegation des britischen Unterhau-
es, wo es eigentlich noch kein Petitionsrecht gibt, Ver-
reter des schottischen Parlaments, von denen wir da-
als sehr viel gelernt haben, Kollegen aus Kirgisistan,
akistan, Kambodscha, Vietnam und China sowie eine
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11871
)
)
Gero Storjohann
Gruppe von Journalisten aus den USA. Die gemeinsame
Botschaft dieser Besuche ist: Das deutsche Petitionswe-
sen wird international respektiert, ist attraktiv und wird
mit großem Interesse verfolgt. Lassen Sie uns deshalb
gemeinsam daran arbeiten; es gibt eine gute Zusammen-
arbeit.
Mein Dank geht an die Mitarbeiterinnen und Mitar-
beiter sowie den ganzen Ausschuss.
Ich gebe das Wort der Kollegin Gabriele Lösekrug-
Möller; SPD-Fraktion.
Verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Meine Damen und Herren! Ich kann mich allen
Danksagungen, guten Wünschen und Komplimenten nur
anschließen. Sie gelten den Kolleginnen und Kollegen
aus dem Ausschuss sowie dem Ausschussdienst. Ich
möchte das nicht im Einzelnen wiederholen, kann es
aber auch im Namen der Mitglieder der SPD-Fraktion in
diesem Ausschuss aus vollem Herzen unterstützen.
Einmal im Jahr haben wir die Gelegenheit, über die
Arbeit des Petitionsausschusses hier in diesem Hohen
Haus zu sprechen. Es müsste uns dankbar sein, dass wir
das nur einmal machen, weil unsere Ausschussarbeit so
exzellent ist, dass wir diesem Hohen Haus damit viele
Abstimmungen ermöglichen, die Ihnen Zeit sparen. Das
hängt damit zusammen, dass wir sehr gründlich und lö-
sungsorientiert arbeiten und die Ergebnisse immer die
Zustimmung dieses Hohen Hauses finden. Da dürfen wir
uns auch einmal selbst loben; denn das gelingt nicht je-
dem Ausschuss des Bundestages.
Meine Vorrednerinnen und Vorredner haben viele
Zahlen genannt. Wir wissen jetzt also, wie viele Einga-
ben wir hatten und wie diese sich verteilten. Ich will nur
noch eine Zahl nennen, die ich extrem beeindruckend
finde und die noch nicht erwähnt worden ist: Im
Jahr 2006 gab es, Mitzeichnungen und Kommentare ein-
bezogen, insgesamt knapp eine halbe Million Bürger
und Bürgerinnen aber auch andere Menschen, denn
das Petitionsrecht ist nicht nur ein Bürgerrecht; bei uns
kann jeder Mann und jede Frau eine Petition einreichen
oder mitzeichnen , die sich an dem Verfahren beteiligt
haben, das für den Bundestag gilt. Das zeigt, wie enga-
giert viele unsere Arbeit begleiten, wie viele ihre Hoff-
nung auf unsere Arbeit setzen.
Ich möchte diejenigen um Nachsicht bitten das sind
nicht wenige , deren Wünsche wir nicht erfüllen konn-
ten. Wir sind keine Versammlung von Feen, wir sind
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ine erhebliche Zahl von Anfragen wird auf diese Weise
earbeitet.
Da ich dabei bin, auf Ihren Redebeitrag zu reagieren,
ill ich Ihnen sagen: Ich glaube nicht, dass ausschließlich
hre Fraktion entscheidet, welche Themen die Menschen
ewegen. Ich denke, alle, die in dieses Parlament gewählt
urden, um die Interessen der Bürger und Bürgerinnen zu
ertreten, können das gut beurteilen. Das wird gerade am
eispiel der Reformen auf dem Arbeitsmarkt und Ihrer
orderung nach einer öffentlichen Debatte dazu deutlich.
hre Position zum Arbeitslosengeld II hören wir in jeder
lenarwoche wie ein Mantra. Dafür brauchen wir keine
ffentliche Ausschussberatung. Wir brauchen eine solche,
enn wir gezielt nach Wegen suchen, differenziert zu hel-
en, und Antworten in einer sicher schwierigen Arbeits-
arktsituation und Arbeitsmarktpolitik finden wollen.
Insofern haben wir einen absolut ordentlichen Um-
ang. Ich sehe auch keinerlei Vorteile in einem extra zu
erabschiedenden Petitionsgesetz; da kann ich dem Kol-
egen Winkler nur beipflichten. Wir brauchen eine kon-
rete Arbeit an den Anliegen derjenigen, die sich an uns
enden. Ich finde, dies erfüllen wir, zumeist auch posi-
iv. Damit können wir sehr zufrieden sein.
Ich will dem Kollegen Winkler, was die Elternschaft
ezüglich der Modernisierung des Petitionsrechts anbe-
angt, sagen: Du heißt zwar Josef, ich aber nicht Maria.
ir sollten diesen Streit beiseitelegen und sagen: Es ist
ut, dass es eine Modernisierung gibt. Wir brauchen kei-
en Rückgriff auf die Elternschaft. Wir gehen gut mit
em neu ausgestalteten Recht um.
Dazu möchte ich noch feststellen: Wir haben erstmals
ngaben darüber, wer sich besonders stark an uns wen-
et. In der Regel sind das männliche Petenten. Sie sind
lter als 40 Jahre. Sie haben einen Hochschulabschluss.
ll das freut uns, und uns ist jede Petition willkommen.
11872 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Gabriele Lösekrug-Möller
Ich wünsche mir aber, dass sich auch verstärkt Migran-
ten, Frauen und Jüngere an uns wenden. Da haben wir
also noch viel zu tun, damit wir auch diese Teile unserer
Gesellschaft es sind keine kleinen Gruppen errei-
chen. Ich glaube, dass wir da noch viel Arbeit vor uns
haben.
Wir haben den Zuhörern und Zuhörerinnen, die heute
anwesend sind, einen Flyer über unsere Ausschussarbeit
ausgehändigt und ihn ihnen ans Herz gelegt. Ich weise
auf Folgendes hin Frau Präsidentin, Sie werden mir
den kleinen Werbeblock in eigener Sache gestatten :
Am 8. Oktober und am 12. November finden öffentliche
Ausschusssitzungen statt; an diesen kann jeder teilneh-
men. In der Sitzung im Oktober befassen wir uns mit
dem Steuerrecht und im November mit dem Schwer-
punkt eheähnliche Gemeinschaften. Ich denke, dass
wir sehr interessante Ausschussberatungen vor uns ha-
ben. Wir freuen uns natürlich über eine große Resonanz.
Dass wir international anerkannt sind und das Peti-
tionsrecht ein Exportschlager ist, darauf hat schon der
Kollege Storjohann hingewiesen. Ich will nur sagen:
Viel Arbeit liegt vor uns, zum Beispiel im nächsten Jahr
die Beratung einer Petition, die sich darum dreht, dass
wir die Fahrradwegebenutzungspflicht infrage stellen.
Dazu haben wir schon 30 000 Mitzeichnungen. Auch
dieses Thema werden wir in gewohnter Qualität behan-
deln. Ich bin gespannt auf das Ergebnis.
Vielen Dank.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Carsten Müller, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Viele Zahlen sind schon genannt worden. Als
letzter Redner in dieser wichtigen Debatte will ich sie
nicht wiederholen. Es ist auch schon gesagt worden, dass
der Petitionsausschuss gleichsam der Seismograf des
Parlaments ist. Da ist viel Wahres dran.
Ebenso wie meine geschätzte Vorrednerin möchte ich
mich eingangs kurz mit der Rede der Kollegin Bluhm
auseinandersetzen. Sehr geehrte Frau Bluhm, Sie regen
die Einbringung eines Gesetzes zum Petitionswesen an.
Ich empfehle Ihnen ganz ernsthaft, zunächst einmal den
Bericht, über den wir heute debattieren, genau zu studie-
ren. Wenn Sie auf Seite 8 der in Bezug genommenen
Bundestagsdrucksache nachschauen, werden Sie fest-
stellen, dass nicht, wie Sie behauptet haben, lediglich
12 Prozent der Anliegen es handelt sich um mehrere
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Es ist bereits gesagt worden, dass wir die Zugangs-
öglichkeiten erleichtert haben. Das hat meines Erach-
ens dazu beigetragen, die Akzeptanz und das Vertrauen
n das Parlament noch weiter zu erhöhen. Die hohe An-
ahl an Petitionen zeigt, dass die Bevölkerung großes
ertrauen in die Lösungskompetenz des Deutschen Bun-
estages hat.
Die Arbeit im Petitionsausschuss erfordert ein gewis-
es Fingerspitzengefühl das ist eine wirkliche Heraus-
orderung ; denn hinter den meisten Petitionen verbirgt
ich ein ganz bedeutendes Einzelschicksal oder eine
anz bedeutende Einzelfrage. Die überwiegend sachli-
he und intensive Auseinandersetzung mit den Kollegin-
en und Kollegen der meisten anderen Fraktionen
chätze ich sehr. Oftmals reicht es Gott sei Dank schon,
enn ein Schreiben des Petitionsausschusses abgesandt
ird. Dieses Schreiben führt nicht selten dazu, dass eine
achlage neu bewertet, ein Gesetzgebungsverfahren an-
eregt oder eine andere Lösung im Sinne des Petenten
efunden wird.
Lassen Sie mich aus der Arbeit im Jahr 2006 zwei
inzelfälle herausgreifen, die mir ganz besonders in Er-
nnerung geblieben sind:
Einer Familie mit einem schwerstbehinderten Kind
der Vater arbeitet für ein leider sehr überschaubares
inkommen als Fernfahrer wurde eine Aufstockung
es Pflegegeldes verweigert, weil sich dadurch gemäß
inem Schreiben des Gesundheitsministeriums die wirt-
chaftlich ohnehin schwierige Lage dieser Familie nach
inschätzung des Ministerialbeamten nur graduell ver-
essern ließe. Dieses Schreiben war Zynismus pur. Es
ar mir ein persönliches Anliegen, dass diese Stellung-
ahme des Gesundheitsministeriums durch den Peti-
ionsausschuss nicht unwidersprochen geblieben ist.
Ein weiterer wichtiger Fall findet in dem Bericht Er-
ähnung. Es geht um das Thema Zwangsprostitution.
in Petent regte an, sogenannte Freier von Zwangspros-
ituierten zu bestrafen. Er führte richtigerweise die
rwägung an, dass Menschenhandel und Zwangsprosti-
ution besonders krasse Verstöße gegen die Menschen-
ürde darstellen. Bereits in der 37. Strafrechtsänderung
urde ein entsprechender Schritt unternommen und eine
ichtige strafrechtliche Ergänzung vorgenommen. Die
oalition hat dieses Anliegen im Koalitionsvertrag auf-
enommen. Insofern wurde diesem wichtigen Anliegen
echnung getragen. Wir müssen die Öffentlichkeit für
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11873
)
)
Carsten Müller
dieses Thema sensibilisieren und mit gezielten Kampa-
gnen gegen Zwangsprostitution eintreten. Hierzu haben
der Petent und an seiner Seite der Petitionsausschuss
Wesentliches beigetragen.
Zahlreiche Petitionen aus dem Jahr 2006 und aktuelle
Petitionen beschäftigen sich mit dem Thema GEZ. In
mindestens einer großen Tageszeitung konnten wir in
den vergangenen Tagen lesen, welche Probleme es auf
diesem Gebiet gibt. Ich mag der aktuellen Diskussion
nicht vorgreifen, möchte aber sagen, dass die große An-
zahl an Eingaben unseres Erachtens zeigt, dass die Bür-
ger die Gebührenpolitik nicht vollkommen durch-
schauen und der Umfang der Grundversorgung durch die
öffentlichen Sender, vor allem aber die Methoden der
GEZ einer genaueren Prüfung bedürfen. Dieser Aufgabe
will sich der Petitionsausschuss annehmen.
Mein Kollege Baumann hat bereits angesprochen, dass
uns auch im vergangenen Jahr Petitionen von Opfern der
SED-Diktatur beschäftigt haben. Dabei wurde immer
wieder deutlich: Nicht der finanzielle Ausgleich steht im
Vordergrund der Interessen der Petenten, sondern die mo-
ralische Anerkennung der erlittenen Unterdrückung. Ei-
nes muss hierbei deutlich sein daran arbeitet die CDU/
CSU-Fraktion : Es darf den damaligen Unterdrückern
nicht gelingen, sich selbst eine Opferrolle anzudichten.
Hierfür treten wir im Petitionsausschuss ein.
Der Petitionsausschuss ist ein Ort, an dem Relativie-
rungspolitiker und Schönfärber des DDR-Unrechtsstaa-
tes nichts zu suchen haben. Dafür ist der Petitionsaus-
schuss eine viel zu wichtige Einrichtung dieses Hauses.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Elke Hoff, Dr. Rainer Stinner, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr herstellen
Wehrpflicht aussetzen
Drucksache 16/393
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
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Nachtwei, Kai Gehring, Alexander Bonde, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Wehrpflicht überwinden Freiwilligenarmee
aufbauen
Drucksache 16/6393
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Ich
öre keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
r. Rainer Stinner, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ch beginne mit einem Zitat:
Die Wehrpflicht ist ein tiefer Eingriff des Staates in
die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen; sie muss
deshalb wohlbegründet sein, und sie muss gerecht
sein.
Das Zitat ist von Ihnen, Herr Minister, vom
3. September dieses Jahres im Handelsblatt. Sie haben
echt damit.
er Eingriff in die Persönlichkeitsrechte ist aber so groß,
ass er nur mit der Notwendigkeit zur Landesverteidi-
ung begründet werden kann. Darüber sind sich alle Ver-
assungsrechtler einig. Angesichts des gewandelten und
on uns allen gleich beurteilten strategischen und sicher-
eitspolitischen Szenarios ist die Notwendigkeit der
andesverteidigung und somit die der Wehrpflicht ent-
allen. Also ist die Geschäftsgrundlage für die Wehr-
flicht entfallen. Sie ist auszusetzen. Damit könnte die
ebatte eigentlich beendet sein.
Sie ist aber nicht beendet, weil für die Wehrpflicht
ach wie vor verschiedene Gründe ins Feld geführt wer-
en, die mit der Notwendigkeit der Landesverteidigung
ichts, aber auch gar nichts zu tun haben.
Lieber Kollege Rossmanith, lieber Kurt, es wird ers-
ens gesagt vielleicht auch nachher von dir :
11874 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Dr. Rainer Stinner
Durch die Wehrpflicht bekommt die Bundeswehr leich-
ter bessere Soldaten. Das ist richtig, Herr Minister; das
bestreitet keiner von uns. Nur, die Rekrutierungspro-
bleme der Bundeswehr sind kein Legitimationsgrund für
diesen erheblichen Persönlichkeitseingriff. Von daher
können Sie dabei nicht bleiben.
Ich will das auf die Spitze treiben. Selbstverständlich
würde jeder Polizeichef furchtbar gerne eine Dienst-
pflicht für die Polizei haben. Das wäre für die Polizeire-
krutierung wesentlich besser; es würden bessere und
mehr Bewerber für den Polizeidienst zu gewinnen sein.
Das kann aber kein Grund sein.
Zweitens wird gesagt: Durch die Abschaffung der
Wehrpflicht bekommen wir erhebliche Probleme mit
dem Zivildienst. Auch das ist richtig. Aber auch hier
sage ich: Die Aufrechterhaltung eines Ersatzdienstes
oder seine eventuelle Gefährdung ob er wirklich ge-
fährdet wäre, steht ja infrage kann kein Legitimations-
grund für den ursprünglichen Dienst, den Wehrdienst,
sein, dessen Grundlage entfallen ist.
Drittens wird gesagt: Die Wehrpflicht sorgt für eine
Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft.
Das ist eine Beleidigung für Hunderttausende, für Milli-
onen von Zeit- und Berufssoldaten, die seit über 50 Jah-
ren in der deutschen Bundeswehr dienen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen auch von der
Union , es gibt nicht den geringsten Anhaltspunkt da-
für, dass sich in der Bundeswehr über 50 Jahre hinweg
etwas entwickelt hat, das wir in der Weimarer Zeit erlebt
haben und wogegen wir alle Vorkehrungen treffen woll-
ten und mussten. Es gibt nicht den geringsten Ansatz-
punkt dafür.
Nein, lieber Kurt Rossmanith, das Gegenteil ist der
Fall: Soldaten, Offiziere, Unteroffiziere und Zeitsoldaten
sind so in die Gesellschaft integriert, dass wir in Offi-
zierskasinos abends keine mehr sehen, weil sie zu Hause
sind und als normale Bürger in der Gesellschaft leben
in Vereinen, in Verbänden und mit ihrer Familie. Es ist
eine Beleidigung es ist fast schon infam , zu behaup-
ten, wir müssten die Wehrpflicht aufrechterhalten, um
die demokratische Kultur der Bundeswehr zu wahren.
Bitte nehmen Sie hier heute endlich Abstand von diesem
infamen Vorwurf!
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Herr Minister, Ihre Entscheidung, zusätzlich
700 Wehrpflichtige einzuziehen, ist falsch. Sie begrün-
en Ihre Entscheidung gar nicht fachlich, sondern ei-
entlich nur damit, dass der Anschein der Wehrgerech-
igkeit dadurch einigermaßen aufrechterhalten werden
ann.
Ich habe mir das Argument der Wehrgerechtigkeit be-
usst für den Schluss aufgehoben. Es ist ein ganz wich-
iges, aber nicht das erste Argument. Angesichts der Tat-
ache, dass nur noch 40 Prozent der Männer eines
ahrgangs Zivil- oder Wehrdienst leisten, kann doch von
ehrgerechtigkeit nicht mehr im Geringsten die Rede
ein.
Herr Kollege Niebel, ich mache das schon.
Herr Minister, Sie schönen Ihre Zahlen, indem Sie die
riterien für die Musterung so heraufsetzen, dass sich
ie Zahl der nicht Wehrdienstfähigen innerhalb von vier
ahren fast verdreifacht hat. Das sind Ihre geschönten
ahlen! Außerdem führen Sie in Ihren Dokumenten die
reiwillig länger dienenden Wehrdienstleistenden und
ie normalen Grundwehrdienstleistenden schlank zu-
ammen; nur so kommen Sie zu dem Ergebnis, dass
eute etwa 18 Prozent eines Jahrgangs Wehrdienst leis-
en. Das sind aber geschönte Zahlen; die Wirklichkeit
ieht anders aus.
ehr- bzw. Zivildienst leisten nur noch 40 Prozent eines
ahrgangs; von Wehrgerechtigkeit kann daher nicht die
ede sein.
Zum Schluss komme ich auf die fabelhafte SPD.
iebe Kolleginnen und Kollegen, Ihr Vorschlag der frei-
illigen Wehrpflicht ist halbgar.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11875
)
)
Dr. Rainer Stinner
Sie wissen es: Die Wehrpflicht ist nicht mehr zu halten.
Sie wagen nur nicht, das zuzugeben. Ich prophezeie Ih-
nen: In der nächsten Legislaturperiode reden und han-
deln Sie wie wir. Ich fordere Sie von der SPD auf: Stel-
len Sie Ihre Uhren etwas vor! Stimmen Sie schon jetzt
unserem Antrag zu!
Vielen Dank.
Ich gebe das Wort dem Kollegen Jürgen Herrmann,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue
mich, dass wir bei diesem ernsten Thema auch eine hu-
moristische Ader gefunden haben. Wir diskutieren über
dieses Thema nicht zum ersten Mal. Wir werden Herr
Stinner, Sie haben das gesagt sicherlich noch öfter da-
rüber diskutieren. Ich persönlich glaube, dass Sie den
Aufhänger, dieses Thema noch einmal auf die Tagesord-
nung zu setzen, in der Vorlage für den Parteitag der SPD
gefunden haben, eine freiwillige Wehrpflicht zu initiie-
ren.
Allein der Begriff das sehen Sie mir nach zeugt
von der Quadratur des Kreises. Liebe Kolleginnen und
Kollegen der FDP und der Grünen, Sie haben den Vor-
schlag zum Anlass genommen, das Thema reflexartig
noch einmal aufzugreifen. Ich sage Ihnen aber gleich:
Wenn Sie schon einen Antrag stellen Herr Stinner, Sie
haben in der 14. und 15. Wahlperiode nahezu gleichlau-
tende Anträge eingebracht , sollten Sie, sofern Sie das
Hohe Haus ernst nehmen, zumindest das Datum ändern.
Ihr neuer Antrag trägt aber das Datum vom 18. Januar
2006.
Das zeigt mir, wie ernst Sie dieses Thema nehmen.
Wenn Sie in Ihrem Antrag davon sprechen, dass Sie
die Wehrpflicht aussetzen wollen, dann sagen Sie meines
Erachtens nur die halbe Wahrheit; denn Sie wissen ge-
nau: Wenn wir die Wehrpflicht aussetzten, hätten wir
später faktisch kaum noch die Möglichkeit, sie wieder
durchzusetzen. Damit plädieren Sie letztendlich für eine
Abschaffung.
Im Titel des Antrags der Grünen heißt es Wehr-
pflicht überwinden. Ich habe einmal im Duden nachge-
schlagen, was man unter überwinden findet; dieses
Wort hat nämlich einen relativ negativen Touch. Dort ist
unter anderem von folgenden Bedeutungen die Rede:
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Ja, Herr Nachtwei, das zeigt Ihre Einstellung zu die-
em sehr wichtigen Thema. Vor zwei Jahren haben wir
och das 50-jährige Bestehen der Wehrpflicht gefeiert.
it einem solchen Erfolgsmodell sollte man, zumindest
as die Wortwahl angeht, so nicht umgehen.
In den Anträgen, die Sie gestellt haben, findet man ei-
ige Aussagen, die auch ich unterschreiben würde. Sie
prechen davon, dass Sie eine transparente Armee wol-
en; ohne Frage, die Bevölkerung und die Streitkräfte
ollten eng miteinander verbunden sein. Wechselnde
ahrgänge tun der Bundeswehr gut, was die Aufwuchs-
ähigkeit betrifft; auch das ist richtig.
Da Sie auch die Innere Führung erwähnen, sage ich
hnen: Ich glaube, dass wir eine Wehrform gefunden ha-
en, durch die das Prinzip der Inneren Führung beson-
ers hervorgehoben wird. Für uns, die CDU/CSU-Frak-
ion, ist es äußerst wichtig, dass dieser Bereich weiterhin
eschützt wird. Wir müssen für die Wehrpflicht einste-
en; denn sie macht den Unterschied zu vielen anderen
rmeen in Europa aus.
Claire Marienfeld, die ehemalige Wehrbeauftragte,
at in diesem Zusammenhang einmal gesagt: Es besteht
ein Grund zur Sorge, dass sich die Streitkräfte bei der
bschaffung der Wehrpflicht von der Gesellschaft ent-
ernen. Nein, aber umgekehrt ist die Gefahr groß, dass
ich die Gesellschaft von ihren Streitkräften entfernt.
as lehrt uns die Erfahrung, die in anderen Staaten, in
enen die Wehrpflicht außer Kraft gesetzt bzw. abge-
chafft wurde, gemacht werden musste. Aus dieser Er-
ahrung sollten wir lernen, statt die gleichen Fehler zu
achen, die in anderen Ländern begangen wurden.
Nun ein Wort zur Landesverteidigung. Wir, die
DU/CSU-Fraktion, und unser Koalitionspartner beken-
en uns ausdrücklich zur Landesverteidigung, sowohl in
en VPRs als auch im neuen Weißbuch, das unter der
ot-grünen Regierung nicht verabschiedet worden ist
ffensichtlich deshalb, weil man Bedenken hatte, die
ehrpflicht zu erwähnen.
In einigen anderen Staaten ich will es nicht verheh-
en: in 20 der 26 NATO-Staaten gibt es keine Wehr-
flicht mehr. In diesen Ländern wurden allerdings viele
chlechte Erfahrungen gemacht, nachdem die Wehr-
flicht abgeschafft worden war. In Frankreich, wo man
ie Wehrpflicht vor einigen Jahren abgeschafft hat, über-
egt man heute, sie wieder einzuführen,
eil man die Rekrutierung von jungen, aktiven und
ochgebildeten Menschen nicht mehr gewährleisten
ann.
11876 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Jürgen Herrmann
In Spanien werden Menschen aus Übersee in der Ar-
mee eingestellt. Man versucht, diese Menschen dadurch
zu locken, dass man ihnen einen spanischen Pass gibt;
das kann sicherlich nicht Sinn und Zweck der Sache
sein, insbesondere dann, wenn man berücksichtigt, dass
als Einstellungsqualifikation ein IQ von 75 zugrunde ge-
legt wird.
Auch in den Niederlanden wir haben das in der letz-
ten Ausschusssitzung vom Generalinspekteur gehört
gibt es erhebliche Probleme, genug junge Leute für die
Streitkräfte zu rekrutieren; das muss man ganz deutlich
sagen. Das ist zwar nicht der einzige Grund, aus dem
man sich in Teilbereichen aus Afghanistan zurückziehen
will. Aber es fehlt schlichtweg der Nachwuchs.
Sehen wir uns die Situation bei uns an. In Deutsch-
land gab es im Jahr 2006 etwas mehr als 71 000 Grund-
wehrdienstleistende. Über 9 000 dieser 71 000 Personen
sind Berufs- und Zeitsoldaten geworden; daran wird
deutlich, wie wichtig die Wehrpflicht für den Bestand
der Bundeswehr ist. 13 Prozent der Grundwehrdienst-
leistenden haben sich dafür entschieden, eine Karriere
bei der Bundeswehr anzustreben; das ist sicherlich wich-
tig. Anders ausgedrückt: Man hat innerhalb von zehn
Jahren ein Drittel des gesamten Personals bei der Bun-
deswehr durch Wehrpflichtige ersetzt.
Gerade wenn es um die Rekrutierung geht, darf man
die freiwillig länger Wehrdienstleistenden nicht ver-
gessen. Sie dürfen die Dauer ihres Wehrdienstes auf bis
zu 23 Monate verlängern und in Auslandseinsätze ge-
hen. Man muss dazusagen: Zusammen mit den Reservis-
ten stellen sie bis zu 15 Prozent derjenigen, die sich in
einem Einsatz befinden. Wir können auf sie und auf ihre
Erfahrung nicht verzichten. Von daher ist es ein adäqua-
tes Mittel, die Wehrpflicht beizubehalten, insbesondere
unter dem Aspekt, dass die Reservisten im Nachklang
ihre Erfahrungen und ihr berufliches Know-how im Rah-
men von Auslandseinsätzen einbringen.
Zu den Kosten. Es würde nicht billiger, wenn wir
eine Berufsarmee hätten. Schätzungen zufolge hätten
wir maximal 180 000 bis 200 000 Berufssoldaten. Wie
wollen wir dann die Stehzeiten im Ausland verkürzen
und unseren Soldatinnen und Soldaten darauf legen
wir sehr großen Wert einen Auslandsaufenthalt nicht
erschweren? Reinhold Robbe, der jetzige Wehrbeauf-
tragte, sprach davon, dass wir, wollten wir eine Berufsar-
mee unterhalten, 3 bis 7 Milliarden Euro zusätzlich auf-
wenden müssten. Sagen Sie uns doch bitte, wie Sie diese
Mittel im Haushalt zur Verfügung stellen wollen!
Ein Wort zur Wehrgerechtigkeit, Herr Stinner. 100 Pro-
zent Wehrgerechtigkeit hat es nie gegeben nicht, als
Sie in der Regierung waren, und auch nicht, als Herr
Nachtwei mit den Grünen in der Regierung war und
wird es nicht geben. Das wird sich auch nicht ändern.
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ondern selbst vor Ort ist, sehen Sie, wie wichtig uns
ieses Thema letztendlich ist.
Ich sage eindringlich: Wir haben die Wehrpflicht bei-
ehalten und wir werden sie beibehalten, weil sie unse-
er Meinung nach eine elementare Voraussetzung dafür
st, eine leistungsstarke und den Herausforderungen ge-
achsene Armee zu bilden. Wir erreichen damit die Ge-
ellschaft; das dürfte uns allen klar geworden sein. Ich
age hier in aller Deutlichkeit: Die CDU/CSU bekennt
ich zu einer uneingeschränkten Wehrpflicht, und wir
erden sie auch in den nächsten Jahren beibehalten.
Herzlichen Dank.
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem
ollegen Stinner.
Vielen Dank, lieber Kollege, dass Sie so ausführlich
uf mich eingegangen sind. Sie haben genau das ge-
acht, was ich hier öffentlich machen wollte: Sie haben
ür die Aufrechterhaltung der Wehrpflicht ausschließlich
eserveargumente bemüht.
Darauf, dass wir die Wehrpflicht nur mit Landesver-
eidigung begründen können, sind Sie mit keinem Wort
ingegangen. Lieber Kollege, wir gehen doch nicht mehr
ie in den 60er-Jahren von einer Panzerschlacht in der
orddeutschen Tiefebene aus. Die Bundeswehr hat da-
als 5 000 Panzer gehabt. Wir haben der neuen Konzep-
ion nach zwischen 350 und maximal 500 Panzer. Die
elt hat sich doch grundlegend verändert.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11877
)
)
Dr. Rainer Stinner
Im Übrigen: Zu Auslandseinsätzen werden Wehr-
pflichtige ausdrücklich nicht eingezogen. Freiwillig län-
ger dienende Wehrpflichtige sind Zeitsoldaten.
Daran, dass sich Leute für zwei Jahre verpflichten kön-
nen, wollen wir gar nichts ändern; das ist doch völlig
klar.
Sie sind wieder einmal auf die Zahlen eingegangen.
Ich kann Ihnen nur vorlesen: Im Jahre 2002 waren nicht
wehrdienstfähig oder vorübergehend nicht wehrdienstfä-
hig insgesamt 160 000. Im Jahre 2005 sind daraus oh
Wunder! 380 000 geworden. Und da wollen Sie mir er-
zählen, dass dieselben Kriterien angewandt worden
sind?
Das hat sich durch die Praxis des Ministeriums drama-
tisch verändert.
Sie haben die Ausschöpfungsquote angeführt. Da
kann ich Sie nur auf ein Dokument aus dem Bundesver-
teidigungsministerium verweisen: Im Jahre 2006 hat der
externe Bedarf, von dem Sie gesprochen haben, bei ge-
nau 9 695 Leuten, also bei 2,2 Prozent, gelegen. Das
kann nicht die Masse sein, die zur Begründung der
Wehrpflicht herhalten soll. Auch in diesem Dokument
werden dummerweise die Grundwehrdienstleistenden
und die FWDLs, zusammen geführt, was nicht rechtens
ist. Das Zweite sind nämlich die freiwilligen Soldaten.
So kommen Sie dann auf 18,7 Prozent. Sie behaupten,
die Ausschöpfungsquote ist hoch. Aber sie ist hoch, weil
Sie die Kriterien so hoch ansetzen. Arbeiten Sie also
bitte nicht mit falschen Zahlen!
Vor allen Dingen bitte ich Sie herzlich auch die Kol-
legen, die nachher sprechen , auf das Grundargument
einzugehen, ob denn aus Ihrer Sicht die Wehrpflicht zur
Landesverteidigung unabdingbar notwendig ist und ob
Sie glauben, dass diese Einschätzung vor dem Bundes-
verfassungsgericht Bestand haben wird.
Ich danke Ihnen.
Herr Kollege Herrmann, Sie können darauf eingehen.
Herr Niebel, Sie sollten schon bei der Sache bleiben.
Herr Stinner, wenn Sie zugehört hätten, dann hätten
Sie auch aufnehmen können, dass ich eben kurz ich
gebe zu, dass das nur kurz war auch den Bereich der
Landesverteidigung angesprochen habe. Wir bekennen
uns zur Landesverteidigung. Aus meiner Sicht ist das
auch notwendig. Wir stellen immer wieder dar, dass sich
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Ich gebe dem Kollegen Paul Schäfer, Fraktion Die
inke, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
ollege Herrmann, dass wir hier immer wieder fast
leichlautende Anträge zur Wehrpflicht stellen müssen,
eigt nur, wie starrköpfig diese Bundesregierung und die
raktionen der Regierungskoalition sind, die an einer
ache festhalten, die nicht zu halten ist.
ass Sie einer Schimäre namens Wehrpflichtarmee
achjagen, die fiktiv ist das erkennen Sie, wenn Sie
ich die Zahlen anschauen , zeigt auch, welches Maß an
ealitätsverdrängung bei Ihnen herrscht. Das genau ist
ie Ausgangslage.
11878 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Paul Schäfer
Sie kennen genau wie ich die Aussage das ist zwar
auch unsere Überzeugung, aber das ist eine Aussage des
Bundesverfassungsgerichts , dass die Wehrpflicht ein
erheblicher Eingriff in die individuellen Grundrechte
junger Männer ist,
der nur durch außergewöhnliche sicherheitspolitische
Umstände sprich: eine äußere Bedrohung zu recht-
fertigen ist. Genau deshalb hat die Wehrpflicht ausge-
dient. Sie ist ein Auslaufmodell, weil sie für die Landes-
verteidigung nicht gebraucht wird.
Das steht doch auch in Ihren Dokumenten. Sie sagen,
diese Art der militärischen Bedrohung ist nicht mehr
existent. Also muss man den notwendigen Schluss zie-
hen.
Wenn man die Wehrpflicht gerecht ausgestalten würde
ich bitte Sie, sich das einmal genau anzusehen , dann
müsste man zusätzlich weit über 100 000 junge Männer
pro Jahr einberufen. Diese Ausdehnung des Umfangs der
Streitkräfte ist mit den Verhältnissen in der heutigen Zeit
überhaupt nicht kompatibel und verursacht entsprechende
Kosten. Genau das wollen wir nicht. Wir wollen weniger
Soldaten, weniger Waffen und weniger Rüstungslasten.
Deshalb geht der Antrag der FDP in die richtige Rich-
tung und ist in dieser Hinsicht auch konsequent. Leider
verbinden Sie diese Vorstellungen mit der Aussage, dass
die Wehrpflicht einer modernen Einsatzarmee im Wege
steht. Sie wissen, dass wir der Transformation der Bun-
deswehr in eine weltweit agierende Eingreiftruppe ab-
lehnend gegenüberstehen. Deshalb können wir uns bei
Ihrem Antrag nur enthalten.
Der Antrag der Grünen entspricht weitestgehend un-
seren Überzeugungen. Wir werden ihm zustimmen.
Wir hatten lange auf einen Gruppenantrag gehofft, um
zu sehen, dass Bewegung in die Sache gebracht wird.
Was wahr ist, ist wahr und muss gesagt werden, lieber
Kollege Nachtwei.
Jetzt kommt ein bisschen Bewegung in diese Sache.
Das sage ich mit Blick auf die SPD. Das, was Sie jetzt
substanziell vorlegen, ist aber natürlich von besonderer
Halbherzigkeit und Inkonsequenz geprägt. Es ist schon
auf diese skurrile Vorstellung einer freiwilligen Wehr-
pflicht hingewiesen worden. Überlegen Sie sich das
genau. Die Aufrechterhaltung des Systems Wehrpflicht
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Vor allem soll die Wehrpflicht wenn man Ihre Vor-
tellungen wörtlich nimmt zu einem relativ willkür-
ichen staatspolitischen Bedarfsregulierungsinstrument
emacht werden. Wenn es genug Freiwillige gibt, ist al-
es in Butter; wenn nicht, schlägt der Staat wieder mit
er Wehrpflicht zu. Man muss sich einmal vorstellen,
as das für die betroffenen Generationen bedeutet. Sie
erden einen Zustand der Ungewissheit und Unsicher-
eit kultivieren und konservieren und die Menschen in
hrer Lebensplanung verunsichern. Das ist für uns nicht
kzeptabel. Man muss doch konsequent sein.
Ein solches Herangehen birgt auch die Gefahr, dass
an nicht durchbuchstabiert, was der konsequente Um-
au der Streitkräfte zu einer Berufs- und Freiwilligenar-
ee bedeutet. Ich meine, wir müssen uns endlich diesen
ragen zuwenden, statt die Auseinandersetzung der Ver-
angenheit zu führen.
ir müssen darüber nachdenken; denn die Wehrpflicht
ird nicht zu halten sein. Das wissen Sie auch. Sie hal-
en Ihre Reden so, dass Sie bis zum Ende der Legislatur-
eriode durchhalten. Dann werden die Karten sowieso
eu gemischt.
Lassen Sie uns doch darüber reden, welche Konse-
uenzen sich daraus ergeben müssen, zum Beispiel für
ie Ausbildung der Unteroffiziere, die das Rückgrat der
treitkräfte bilden.
as bedeutet das für die politische Bildung in dieser Be-
ufsarmee und die parlamentarische Kontrolle über die
treitkräfte? Wir sollten besser über das richtige Verhält-
is zwischen militärischer und ziviler Ausbildung in den
treitkräften reden, statt uns ständig in Diskussionen
ber die Fragen der Vergangenheit durchzuwurschteln.
as kann nicht die richtige Position sein.
Abschließend komme ich auf den Zivildienst zu spre-
hen. Wie Sie wissen, haben sich die Wohlfahrtsver-
ände lange gesträubt, weil sie glaubten, dass sie das be-
tehende System brauchen, um die Versorgung der
enschen in den Bereichen Gesundheit und Pflege zu
rmöglichen. Sie sind aber längst umgeschwenkt und ge-
en jetzt davon aus, dass sie diese Aufgabe mit ausgebil-
eten und qualifizierten Kräften, die sie beschäftigen
nd ordentlich bezahlen, besser und effizienter erfüllen
önnen.
Jetzt haben wir einen öffentlich geförderten Beschäf-
igungssektor im Zivildienst zum Minimaltarif. Wir sind
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11879
)
)
Paul Schäfer
zwar für einen öffentlich geförderten Beschäftigungs-
sektor, aber nicht mit Mindestlöhnen, sondern mit einer
entsprechenden Ausstattung. Das wäre möglich. Außer-
dem könnte man das Prinzip der Freiwilligkeit, wie es
vor drei Jahren von einer Kommission gefordert wurde,
durch den Ausbau des Freiwilligen Sozialen Jahres ent-
schieden fördern. Das wäre sinnvoller, als immer weiter
die Auseinandersetzung der Vergangenheit zu führen.
Danke.
Ich gebe das Wort der Kollegin Ursula Mogg, SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich beginne mit einer Feststellung: Die SPD bekennt
sich zur Wehrpflicht. Wir wollen die Wehrpflicht erhal-
ten.
Es ist mir wichtig, dies zu Beginn dieser Debatte über
die Anträge der FDP und der Grünen zu erwähnen, weil
diese Grundbotschaft in den vergangenen Wochen in den
Diskussionen etwas verdeckt worden ist.
Es gibt viele gute Gründe für das Ja zur Wehrpflicht,
die hinlänglich bekannt sind. Deshalb möchte ich sie
nicht im Einzelnen wiederholen. Nach wie vor lesens-
wert sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen
in dem Bericht der Weizsäcker-Kommission aus dem
Jahr 2000. Die Kommission ist damals nach einem in-
tensiven Abwägungsprozess zu dem Ergebnis gekom-
men, die Wehrpflicht zu erhalten. Sie begründet dies
unter anderem damit, dass angesichts vieler Ungewiss-
heiten jede neue Struktur für die Streitkräfte
hinrei-
chend flexibel sein muss, um auf unerwartete Entwick-
lungen angemessen reagieren zu können, Herr Kollege
Stinner.
Auch diejenigen, die einer Freiwilligenarmee das
Wort geredet haben, haben anerkannt, dass die Wehr-
pflicht Sicherheitsvorsorge bedeutet. Ich bitte um Ver-
ständnis, wenn ich etwas ausführlicher zitiere:
Zugleich ist sich die Kommission über die Folgen
im Klaren, die sich bei der Abschaffung oder Aus-
setzung der Wehrpflicht ergeben könnten. Bei einer
dramatischen Veränderung der Sicherheitslage wäre
eine rasche Wiedereinführung der Wehrpflicht in-
nenpolitisch schwierig und außenpolitisch eskalie-
rend. Nicht weniger schwer wiegt die Ungewiss-
heit, ob ohne Wehrpflicht der Bedarf an Berufs- und
Zeitsoldaten gedeckt werden könnte. Dass die Bun-
deswehr Freiwillige in der für die Berufsarmee er-
forderlichen Anzahl und Qualität gewinnen könnte,
kann nicht garantiert werden. Die Rekrutierungs-
probleme verbündeter Freiwilligenarmeen sind in-
sofern
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Liebe Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/
ie Grünen, Sie argumentieren allerdings insgesamt ehr-
icher.
ie fordern die Aussetzung der Wehrpflicht und flankie-
en diese Forderung mit einer Reihe von weiteren kon-
reten Punkten. Zur Vermeidung von Missverständnis-
en deshalb noch einmal klar und laut: Die SPD will die
ehrpflicht erhalten.
Das ist immer so in einer demokratischen Partei.
Wir sollten uns dem Kern der Herausforderung zu-
enden, die wir als Gesetzgeber zu bewältigen haben.
unge Menschen wollen staatliches Handeln nachvoll-
iehen können, insbesondere dann, wenn es um einen
ingriff in ihre private Lebensplanung geht. Sie wollen,
ass es gerecht zugeht. Dabei helfen die diversen Zah-
enspiele bei den Planungen für Geburtsjahrgänge nicht
11880 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Ursula Mogg
weiter. Richtig bleibt dabei nur die Feststellung: Einen
absoluten Ausschöpfungsgrad und damit formale Ge-
rechtigkeit hat es auch in der Vergangenheit nie gegeben.
Das kann auch nicht das Ziel unserer Bemühungen sein.
Was allerdings weiterhelfen kann, ist die Erkenntnis,
dass wir die Wehrpflicht in den vergangenen Jahrzehn-
ten immer wieder den Realitäten angepasst haben. Auch
dazu finden wir bei von Weizsäcker ein Beispiel:
Da die starken Geburtsjahrgänge der 50er- und
60er-Jahre nicht ausgeschöpft werden konnten,
wurde auf Vorschlag der ersten Wehrstruktur-Kom-
mission 1971 der Grundwehrdienst verkürzt. Seit-
her ist die Dauer von Wehrdienst und Zivildienst
ständig weiter verringert worden.
Wir wissen, dass heute eine solche Anpassung nicht
mehr möglich ist. Andere zeitgemäße Justierungen sind
notwendig. Attraktivität des Dienstes ist in diesem Zu-
sammenhang ein wichtiges Stichwort, genauso wie die
Stärkung der Freiwilligkeit. Im Übrigen sollten wir bei
all unseren Überlegungen auch die Folgen des demogra-
fischen Wandels erkennbar ab dem Einberufungsjahr
2010 nicht aus den Augen verlieren.
Sie sehen, dass das Thema des Schweißes der Edlen
wert ist. Die Wehrpflicht gehört nicht zum alten Eisen,
ist kein verrostetes Instrument. Die SPD ist entschlossen,
ihr neuen Glanz zu geben. Fortsetzung folgt ganz im
Sinne der von der Weizsäcker-Kommission geforderten
Flexibilität. Der Kollege Bartels wird dazu weitere Aus-
führungen machen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich gebe dem Kollegen Winfried Nachtwei,
Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich darf zunächst einmal als Gäste bei uns die Wehr-
pflichtigenvertreter im Vorstand des Bundeswehr-Ver-
bandes begrüßen.
Kollege Herrmann, Sie haben in einer Art für die all-
gemeine Wehrpflicht gesprochen, die ich seit vielen Jah-
ren hier im Parlament und außerhalb des Parlaments von
der Union und vom überwiegenden Teil der SPD ken-
nengelernt habe. Man hat bei diesen Fürsprachen für die
Wehrpflicht den Eindruck, dass die Wehrpflicht ein Wert
für alle Ewigkeit ist. Da gehen Sie an einem entschei-
denden Punkt vorbei, den der Kollege Stinner in der Ein-
leitung angesprochen hat. Sie übergehen schlichtweg die
Tatsache, dass die Wehrpflicht eigentlich geben Sie das
zu ein massiver Eingriff in die Grundrechte junger
Männer ist. Das hört sich vielleicht abstrakt an, aber
wenn man immer wieder einmal mit einzelnen Fällen
von Wehrpflichtigen zu tun hat das sind nicht wenige ,
dann merkt man, dass die Wehrpflicht konkret einige Be-
nachteilungen und Mehrbelastungen mit sich bringt. In-
sofern kann man nicht darüber hinweggehen. Deshalb
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Es wird behauptet, die Wehrpflicht sei so wichtig für
en Austausch zwischen Streitkräften und Gesellschaft.
ieser Austausch und diese Integration sind in der Tat
ehr wichtig. Daran liegt uns, den Wehrpflichtkritikern,
benfalls. Aber das, was in den letzten 50 Jahren ein
ichtiger Beitrag der Wehrpflicht war, ist inzwischen
ngesichts dieser Zahlen kaum noch ein Beitrag zu die-
er Integration. Da muss man sich etwas anderes überle-
en.
Nun zu dem SPD-Vorschlag im Hinblick auf den Par-
eitag der SPD. Immerhin wird mit diesem Vorschlag das
ehrpflichtdogma in den Reihen der SPD zumindest re-
ativiert. Zumindest kann von der SPD nicht mehr ein
rgument wie das kommen, was Peter Struck leider in
en vorigen Jahren öfter gebracht hat, nämlich es drohe
ie Söldnerarmee. Das ist wirklich eine Unterstellung
egenüber den Zeit- und Berufssoldaten, was damals
eutlich zum Ausdruck gebracht worden ist.
Bei diesem Vorschlag der SPD bleiben allerdings
anz zentrale Fragen unberücksichtigt. Was bringen
iese neun Monate für die verschiedenen Beteiligten?
ie soll es mit den Anreizen bei dieser Art von Wehr-
ienst aussehen? Was ist schließlich mit der kleineren
ruppe der Wehrpflichtigen, die am Ende übrig bleiben
nd dann zwangsweise gezogen werden müssen? Dann
ird die Wehrdienstungerechtigkeit wirklich auf die
pitze getrieben. Ob das verfassungsrechtlich einwand-
rei ist, da habe ich meine größten Zweifel.
SPD-Kollegen erinnern sich vielleicht, dass wir in un-
erer Koalitionszeit im November 2004 einen Vorschlag
ür einen freiwilligen Kurzdienst eingebracht haben.
ieser Kurzdienst sollte einen Zeitraum von zwölf bis
4 Monaten umfassen, offen für Männer wie Frauen,
on vornherein attraktiver angelegt.
Dies ist damals von den SPD-Kollegen leider beiseite
ewischt worden. Wenn man aber über diesen Vorschlag
enauer nachdenkt, wird man feststellen, dass beide Sei-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11881
)
)
Winfried Nachtwei
ten erheblich etwas davon haben, nämlich eine bessere
Ausbildung, viel mehr Verwendungsmöglichkeiten und
ein gegenseitiges Erproben.
Bei der besseren Attraktivität wird einerseits zu Recht
auf die materielle Seite hingewiesen. Eine andere Seite
der Attraktivität ist aber von ganz entscheidender Bedeu-
tung. Darauf hat auch der Bundeswehr-Verband mit sei-
ner Umfrage hingewiesen. Aus ihr ging nämlich hervor,
dass 74 Prozent der Berufssoldaten ihnen nahestehenden
Personen nicht raten, zur Bundeswehr zu gehen. Das ist
in der Tat unmöglich. Wenn man dieses Verhältnis um-
dreht, hat man schon einen erheblichen Beitrag zur Stei-
gerung der Attraktivität geleistet.
Ein solcher freiwilliger Kurzdienst wäre geeignet als
Brücke zur Umstellung von einer Armee mit Wehr-
pflichtigen zu einer Freiwilligen-Armee. Ich meine, es
ist viel besser, diesen Übergang jetzt demokratie- und
sozialverträglich zu gestalten, bevor er uns irgendwann
einmal vom Bundesverfassungsgericht aufgezwungen
wird.
Herr Kollege Nachtwei!
Ich komme jetzt auch zum Schluss. Das habe ich ge-
nau geplant.
Darum würde ich bitten.
Selbstverständlich. Ich glaube, dieser Vorschlag ent-
hält viele Elemente, die auch auf eurem Parteitag in die
Diskussion aufgenommen werden könnten. Herr Kol-
lege Herrmann, nach dem, wie Sie sich vorhin geäußert
haben, könnte darüber sogar mit der Union diskutiert
werden, weil auch die Union in diesem Bereich sicher
nicht dogmatisch sein will.
Danke schön.
Ich gebe das Wort dem Kollegen Kurt Rossmanith,
CDU/CSU-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Da-
men und Herren Kollegen!
Ich habe auch Damen gesagt. Ich gehe davon aus,
dass Sie eine Dame sind, und deswegen habe ich Sie
auch mit Dame Kollege angesprochen. Ich weiß, dass
Gender Approach Ihnen ein besonderes Anliegen ist.
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ch hoffe aber, dass ich mit Damen und Herren Kolle-
en auch das weibliche Geschlecht in unserem Hohen
ause entsprechend gewürdigt habe.
Ich freue mich darüber, dass wir heute diese Debatte
ühren. Ich bin dem Kollegen Nachtwei nicht nur wegen
eines letzten Satzes dankbar für seinen Beitrag, der sich
ehr abhebt von manchen Tönen, die wir auf Ihrem letz-
en Sonderparteitag gehört haben.
ch sage das auch deshalb, weil wir, die CDU/CSU, die-
es Thema sehr wichtig nehmen. Natürlich kann bei der
ehrpflicht nicht einfach gesagt werden: Das machen
ir, das brauchen wir für alle Zeit und Ewigkeit. In der
at haben wir die Wehrpflicht ständig zu hinterfragen.
ch muss sie aber richtig und nicht mit fragwürdigen Ar-
umenten hinterfragen.
Logischerweise befinden sich nach dem Wegfall des
st-West-Konfliktes nur noch Freunde um Deutschland
erum. Damit sind aber Konflikte als solche noch nicht
u Ende und die Sicherheit unseres Vaterlandes nicht
chon automatisch gegeben. Der Fokus der Bedrohung
at sich verändert. Deshalb benötigen wir weiterhin
unge Männer, die Wehrdienst leisten. Natürlich ist das
hema Wehrgerechtigkeit dabei sehr wichtig. Für mich
st es ein ganz oben in der Prioritätsskala liegendes
hema. Ich sage aber auch, dass die Verteidigung eines
andes jeden Bürger betrifft. Ich bin überzeugt davon,
ass jede Bürgerin und jeder Bürger auch der beste Ver-
eidiger seines Landes ist.
Gerade aus dieser Situation heraus müssen wir sehr
orsichtig und umsichtig in der Diskussion sein. Natürlich
das tun wir aber auch nicht, lieber Kollege Stinner
ürfen wir dabei nicht nur Nachwuchs und anderes mehr
ordern. Natürlich brauchen wir das, aber das sind nur
usflüsse aus der Wehrpflicht. Das war nie ein Argu-
ent. Wir haben nie gesagt: Das hat oberste Priorität.
Lieber Kollege Kolbow, natürlich tut es manchen alt-
edienten Soldaten ganz gut, sich jedes Vierteljahr oder
edes halbe Jahr auch einmal mit jungen Leuten ausein-
ndersetzen zu müssen. Das steht jetzt logischerweise
ber nicht so im Fokus, dass ich sagen muss: Die Wehr-
flicht ist zwingend notwendig.
Auch die Katastropheneinsätze unserer Soldaten, vor-
ehmlich wehrpflichtiger ich erinnere an die Hochwas-
erkatastrophen im östlichen Teil unseres Vaterlandes
or einigen Jahren , sind für mich nicht das Hauptargu-
ent, sondern die Sicherheit und die Verteidigung unse-
es Landes.
Diese Debatte wurde immer ernsthaft und sachlich
eführt dafür bin ich dankbar , und zwar von allen
eiten. Die Linken, früher PDS und davor Kommunisten
vielleicht sind sie es auch heute noch; ich weiß es nicht ,
11882 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Kurt J. Rossmanith
waren nicht immer ganz sachlich. Aber, Herr Schäfer,
ich muss sagen: Heute waren Sie durchaus sachlich.
Lieber Kollege Dr. Rainer Stinner, die Zahl, die Sie
genannt haben, ist zwar nicht falsch.
Aber wenn Sie auf die Musterungsuntersuchungen der
Kreiswehrersatzämter eingehen, dann müssen Sie schon
klarstellen, was Erstuntersuchung und was Folgeunter-
suchungen sind. Ihre Feststellung 380 000 mussten
nicht dienen ist nicht korrekt, weil das eine Zusammen-
fassung der Ergebnisse von Musterungsuntersuchungen
mehrerer Jahrgänge war: In den Kreiswehrersatzämtern
haben Erstuntersuchungen und Folgeuntersuchungen,
Zweit-, Dritt- und manchmal auch Viertuntersuchungen,
stattgefunden.
Sie haben gesagt, im Jahre 2006 seien etwa 380 000
wehrtaugliche junge Männer nicht eingezogen worden.
Die meisten dieser jungen Männer entstammen dem
Jahrgang 1986. Im Jahre 1986 gab es in den alten Bun-
desländern 291 006 und in den neuen Bundesländern,
damals noch DDR, 113 717 männliche Neugeborene.
Das heißt, im Jahre 1986 gab es in Deutschland insge-
samt 404 723 männliche Neugeborene, die etwa im
Jahre 2006 wehrpflichtig gewesen sind. Angesichts des-
sen verstehe ich Ihren Hinweis darauf, dass 380 000
junge Männer ihren Wehrdienst nicht geleistet haben,
nicht. Da sollten wir ehrlich sein.
Lassen Sie mich abschließend Folgendes sagen: Wir
müssen bei der Behandlung dieser Thematik vermeiden,
mit Begriffen zu operieren oder uns einfach mangels
Durchsetzungsvermögens, mangels sonstiger Argumen-
tationen in Begriffe zu flüchten. Es ist nicht sinnvoll,
hier Termini wie sicherheitspolitische Dienstpflicht
oder freiwillige Wehrpflicht zu gebrauchen.
Gestatten Sie mir, zu letzterem Terminus noch einen
kleinen humorvollen Beitrag zu leisten.
Lieber Kollege Arnold, wenn es zu der von Ihnen befür-
worteten freiwilligen Wehrpflicht kommt, dann müssen
Sie den jungen Soldaten nur noch beibringen, dass sie in
der Bundeswehr entsprechend Ihrer Terminologie
auch trockenes Wasser für ihre morgendliche Dusche
oder für die Rasur vorfinden werden. Die jungen Solda-
ten werden das sofort begreifen und werden sagen: Das
ist ja logisch; die SPD hat das so gesagt. Ich bitte also
auch in diesem Punkt um etwas Ehrlichkeit und um kei-
nerlei Begriffsverwirrung. Letztendlich trägt das zur
Verwirrung der jungen Menschen bei.
Herr Kollege, auch Sie muss ich an Ihre Redezeit er-
innern.
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Ich bedanke mich ausdrücklich bei allen Soldatinnen
nd Soldaten für ihren Dienst,
nsbesondere aufgrund unserer heutigen Debatte über die
ehrpflicht bei den jungen Wehrpflichtigen.
Herr Kollege, das ist jetzt schon mindestens der achte
chlusssatz.
Aus der Gruppe der jungen Männer, die Wehrdienst
eisten, erwachsen die Reservisten, die für unsere Bun-
eswehr und deren Auslandseinsätze von sehr großer
ichtigkeit sind.
Ich bedanke mich.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
r. Hans-Peter Bartels, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
etzt kommt die Conclusio. Ich habe mich neulich über
ine Umfrage gefreut. Dabei ging es nicht um mögliche
oalitionen, die hier und dort erkennbar geworden sind.
ir bleiben bei dieser erfolgreichen Koalition
nd bei der Wehrpflicht. Gefreut habe ich mich über eine
mfrage, nach der 73 Prozent der Deutschen den frei-
illigen Wehrdienst, das Konzept der SPD, für eine gute
dee halten,
arunter 55 Prozent CDU/CSU-Wähler. Das ist eine gute
ache.
Natürlich kann man fragen: Ist das Konzept bei de-
en, die gefragt wurden, in allen Details bekannter ge-
esen als bei Ihnen? Offenbar ist die Botschaft aber an-
ekommen. Die Botschaft lautete das entspricht auch
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11883
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Dr. Hans-Peter Bartels
dem Bewusstsein der Menschen : Wir brauchen heute
offensichtlich weniger Soldaten als zu Zeiten des Kalten
Krieges. An der Wehrpflicht festzuhalten, ist eine gute
Sache; dann ist man auf der sicheren Seite. Aber man
kann mehr Freiwilligkeit wagen. Wenn die SPD das zu-
sammenbringt, ist das gut.
Das Prinzip ist also schon erkannt. Ich kann es Ihnen
aber noch einmal erklären und will das jetzt auch tun:
Wehrpflicht ja, mit so viel Freiwilligkeit wie möglich.
Die Zahlen kennen Sie. Die Zahl der Bundeswehrsol-
daten ist von 500 000 auf 250 000 halbiert worden. Die
Zahl der Zeitsoldaten und Berufssoldaten hat sich gegen-
über der der Grundwehrdienstleistenden und freiwillig
länger Wehrdienstleistenden deutlich verändert. Wir ha-
ben heute 200 000 Berufssoldaten und Zeitsoldaten ge-
genüber etwas über 50 000 Grundwehrdienstleistenden
und FWDLern. Das ist eine andere Struktur als bei der
Armee des Kalten Krieges mit gut der Hälfte Wehr-
pflichtigen, W-15ern.
Wir brauchen heute weniger, aber es sind immer noch
viele: 77 000 junge Leute aus jeweils einem Jahrgang.
Kein Arbeitgeber auf dem freien Markt muss so viele
neu werben. Ich möchte mir den bürokratischen Auf-
wand nicht vorstellen, den wir bräuchten, wenn wir Wer-
bebüros aufmachen wollten, um jedes Jahr 77 000 Men-
schen oder seien es auch nur 70 000 in die
Bundeswehr zu bekommen.
Die Struktur für 2010 sieht diese 77 000 vor. Das haben
wir im Prinzip heute schon. Davon wird ein Teil Frauen
sein, vielleicht 10 Prozent.
Wir werden übrigens auch in Zukunft einen Teil des
Sicherheitsapparats unseres Landes auf der Wehrpflicht
gründen. Jeder, der zur Polizei geht, leistet damit seinen
Wehrdienst ab. Jeder, der beim THW arbeitet, leistet da-
mit seinen Wehrdienst ab.
Feuerwehr.
Der gesamte Katastrophenschutz basiert auf der Wehr-
pflicht; das gilt auch für den Zivildienst.
Die Fragen der Wehrgerechtigkeit, die immer wieder
gestellt werden, sollte man eigentlich nur mit Zahlen be-
antworten. In den 60er- und 70er-Jahren haben gut zwei
Drittel der jungen Männer eines Jahrgangs einen Dienst
geleistet, übrigens überwiegend den Dienst in der Bun-
deswehr. In den 90er-Jahren haben gut zwei Drittel der
Männer eines Jahrgangs einen Dienst geleistet; da kam
der Zivildienst sehr stark dazu. Das Thema Dienstge-
rechtigkeit ist eines, das sich in den Jahrzehnten der
Bundeswehr nicht wesentlich verändert hat. Es gab im-
mer einen Teil, der keinen Dienst leisten musste.
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Lassen Sie mich ein paar Worte zu dem sagen, was
ir Sozialdemokraten uns mit dem neuen Konzept einer
ehrpflicht vorstellen, die natürlich nicht freiwillige
flicht heißt.
en Witz hören wir immer gern. Wir sind es gewohnt,
ass man Dinge nicht verstehen will.
Kurt Beck hat von freiwilligem Wehrdienst gespro-
hen, dem Prinzip folgend, dass wir, wenn wir heute
eniger brauchen, erst einmal diejenigen nehmen, die es
uch wollen. Auch heute haben wir in der Bundeswehr
chon viele, die nicht gegen ihren Willen dahin kommen:
ie freiwillig länger dienenden Wehrdienstleistenden
nd die Zeit- und Berufssoldaten. Ein guter Teil derer,
ie als W-9er kommen, ist ebenfalls nicht gegen seinen
illen da, sondern hält es für eine richtige Sache. Heute
st also nicht jeder gegen seinen Willen bei der Bundes-
ehr; Gleiches gilt für die anderen Dienste, die auf der
ehrpflicht aufbauen.
Auch bei den Reservisten gibt es Elemente der Frei-
illigkeit. Kein Reservist wird heute gegen seinen Wil-
en zu einer Wehrübung gezwungen. Des Weiteren wird
iemand gegen seinen Willen in Auslandseinsätze ge-
chickt. Dass die Wehrdienstarmee Bundeswehr und die
orrangige Anwendung des Prinzips der Freiwilligkeit
icht übereingingen, hieße, dass die Bundeswehr heute
icht funktionierte. Das kann man aber nicht sagen; viel-
ehr leistet sie einen hervorragenden Dienst. Die Bun-
eswehr als Wehrpflichtarmee funktioniert in der Form,
ie wir sie heute haben.
Allerdings können und sollten wir etwas ändern,
enn wir dem vom Herrn Verteidigungsminister be-
chriebenen Problem Rechnung tragen wollen. Wir re-
en darüber, dass über die vorhandenen Planstellen hi-
aus zusätzliche Grundwehrdienstleistende eingezogen
erden sollen. Wenn aber die Tauglichkeitskriterien so
ngewandt werden, dass 46 Prozent eines Jahrgangs zu-
ächst einmal nicht herangezogen werden, sondern un-
11884 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
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Dr. Hans-Peter Bartels
tauglich sind, dann weist das darauf hin, dass wir ein
Problem haben. Man kann aber auch sagen, dass wir ei-
nen Gestaltungsspielraum bekommen. Diesen Gestal-
tungsspielraum wollen wir im Sinne derjenigen Männer
nutzen, die in jedem Jahrgang zum Wehrdienst anstehen.
Darauf bezieht sich unsere Aussage, das Prinzip der
Freiwilligkeit solle Vorrang haben.
Unser Modell sieht wie folgt aus: Jeder wird erfasst
und gemustert. Jeder junge Mann eines Jahrgangs wird
sich mit der Frage beschäftigen müssen, wie er zum
Dienst in der Bundeswehr oder zu einem anderen Dienst
steht. Auch wird er gefragt, wie es mit seiner Motivation
aussehe, zur Bundeswehr zu kommen: Würdest du wol-
len? Wenn dann die Zahl aufgeht, haben wir kein Pro-
blem. Dass sie aufgeht, dafür können wir einiges tun.
Hier sind wir mit den Grünen sehr einig; eine Steigerung
der Attraktivität der Bundeswehr ist auch heute in jedem
Fall eine sinnvolle Sache, in unserem Modell allemal.
Man kann einen Bonus geben, man kann Anreize dafür
geben, dass es aufgeht. Wenn es aber nicht aufgeht, dann
müssen wir nichts ändern. Dann haben wir eine Wehr-
pflicht, die so greift, wie sie es heute tut: Es wird nach
Tauglichkeit und Bedarf eingezogen, und damit sind wir
auf der sicheren Seite.
Wir sind für mehr Freiwilligkeit, wollen dabei aber
kein Risiko eingehen. Die Bundeswehr ist für die Sicher-
heit Deutschlands da, und wir haben ein Modell, das
diese Sicherheit auch in Zukunft garantieren kann.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird
Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/393
und 16/6393 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan-
den? Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Moder-
nisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämp-
fung von Missbräuchen
Drucksache 16/6140
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält der Parla-
mentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach.
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Zweitens müssen wir die Gläubiger besser vor Miss-
rauch schützen, und zwar insbesondere bei der Insol-
enz einer Gesellschaft. Wie erreichen wir dieses Ziel?
ir setzen das Mindeststammkapital auf 10 000 Euro
erab und stellen die GmbH damit künftig noch mehr
nternehmern zur Verfügung. Gerade für Existenzgrün-
er aus dem Dienstleistungsbereich dürften 10 000 Euro
in akzeptabler Betrag sein und gleichzeitig ein Mindest-
aß an Solidität gewährleisten. Dies bestätigt ein Blick
uf vergleichbare Auslandsgesellschaften. Davon abge-
ehen hatten wir früher genau den gleichen Betrag, und
s ist gutgegangen.
Neu ist die haftungsbeschränkte Unternehmergesell-
chaft, kurz UG. Die UG kann ohne Mindeststammkapi-
al gegründet werden, muss ihr Mindestkapital von
0 000 Euro aber durch eine reduzierte Gewinnausschüt-
ung nach und nach ansparen. Ist das geschafft, kann die
G ohne aufwendigen Umwandlungsvorgang einfach in
ine normale GmbH umfirmieren.
Über das Für und Wider einer solchen Klein-GmbH
ag man zwar streiten, vor allem nachdem wir gleich-
eitig das Mindestkapital herabsetzen. Die Verbreitung
er englischen Limited in Deutschland hat jedoch ge-
eigt, dass es zumindest bei Existenzgründern und
leinunternehmern einen Bedarf an einer Gesellschaft
it beschränkter Haftung geben dürfte. Aus Sicht des
eutschen Mittelstandes ist dabei vor allem wichtig, dass
as Ansehen der GmbH nicht leidet. Ich denke, das ge-
ährleistet dieses Modell, weil es klar zwischen GmbH
nd UG unterscheidet. Deshalb bin ich dem Kollegen
r. Gehb dankbar, dass er diese Idee aufgegriffen und
egen einige Widerstände mit der ihm eigenen Beharr-
ichkeit weiterverfolgt hat.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11885
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Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach
Einfacher, schneller und kostengünstiger wird die
GmbH-Gründung vor allem durch das sogenannte Grün-
dungsset. Für Standardgründungen stellt das Gesetz eine
Mustersatzung und ein Muster für die Handelsregister-
anmeldung zur Verfügung. Die vertraglichen Bestim-
mungen sind so einfach formuliert, dass eine zwingende
Beratung und Belehrung durch den Notar verzichtbar er-
scheint.
Es genügt eine Beglaubigung der Unterschrift. Ich halte
diese Lösung für gut und richtig, möchte aber, lieber
Uwe Benneter, aus der Frage Beglaubigung oder Beur-
kundung? keinen Glaubensstreit machen; wir hatten
hier heute schon genug Glaubensstreite. Wir sollten die
Lösung wählen, die für die Unternehmen einfach und
günstig ist und die Belange des Rechtsverkehrs wahrt.
Die Sachverständigenanhörung wird uns dabei sicher
weiterhelfen.
Zusammen mit der Umstellung des Handelsregisters
auf die elektronische Führung kann das Gründungsset ei-
nen deutlichen Zeitgewinn bringen. Damit sich am Ende
nicht doch wieder alles verzögert, weil vielleicht noch
eine Genehmigung des Gewerbeamtes fehlt, sollen das
Eintragungs- und das Genehmigungsverfahren entkop-
pelt werden. Die Genehmigung kann dann nachgereicht
werden.
Auch für die Phase nach der Gründung bringt der Ent-
wurf Erleichterungen und Verbesserungen. Wir ermögli-
chen den gutgläubigen Erwerb von Gesellschafterantei-
len, wir vereinfachen die äußerst komplizierten
Regelungen über Kapitalaufbringung und Kapitalerhal-
tung, und wir stellen das sogenannte Cash-Pooling auf
eine gesetzliche Grundlage. Ich habe gedacht, Jerzy
stellt jetzt eine Zwischenfrage.
Das sind allesamt Punkte, die von der Wirtschaft erwar-
tet und begrüßt werden, die ich aber aus Zeitgründen nur
in Stichworten erwähnen kann.
Ich komme zum zweiten Aspekt der Reform, zur Be-
kämpfung von Missbräuchen. Ein Problem sind heute
GmbHs, die sich faktisch einer Rechtsverfolgung entzie-
hen. Dem wollen wir einen Riegel vorschieben. Im Han-
delsregister ist eine inländische Geschäftsanschrift ein-
zutragen. Kann unter dieser Anschrift nicht zugestellt
werden, ist eine öffentliche Zustellung unter erleichter-
ten Voraussetzungen möglich. Komplizierte und oft
zwecklose Auslandszustellungen werden damit überflüs-
sig.
Es gibt außerdem GmbHs, die sich dem Zugriff ihrer
Gläubiger dadurch entziehen, dass sie plötzlich keinen
Geschäftsführer mehr haben. In solchen Fällen können
die Gläubiger in Zukunft die Gesellschafter in die Pflicht
nehmen. Es kann an die Gesellschafter zugestellt wer-
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Der Entwurf macht aber nicht bei deutschen Gesell-
chaften halt. Die Missbrauchsbekämpfung erstreckt
ich sogar auf Auslandsgesellschaften, die im Inland
gieren. Auch für diese Gesellschaften gilt künftig die
trafbewehrte Insolvenzantragspflicht. Insolvente Aus-
andsgesellschaften werden also ebenfalls aus dem Ver-
ehr gezogen.
Ich habe Ihnen nun in aller Kürze die wesentlichen
unkte des vorliegenden Gesetzentwurfes vorgestellt.
ch hätte Jerzy Montag gern noch etwas über das Cash-
ooling erzählt. Der Entwurf findet das richtige Gleich-
ewicht zwischen Modernisierung und Deregulierung
uf der einen Seite und der Bekämpfung von Missbräu-
hen auf der anderen Seite. Die deutsche GmbH braucht
un den Wettbewerb mit anderen Rechtsformen nicht
ehr zu fürchten.
Ich bedanke mich sehr herzlich für die freundliche
ufmerksamkeit.
Ich gebe das Wort der Kollegin Mechthild Dyckmans,
DP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
egen! Noch in der letzten Legislaturperiode hat uns die
ot-grüne Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorge-
egt, der nur die Absenkung des Stammkapitals vorsah.
as war eindeutig zu kurz gesprungen. Denn Deregulie-
ung, Vereinfachung von Gründungen, Bekämpfung von
issbräuchen und Stärkung der Gläubigerrechte sind die
ichtigen und zentralen Fragen. Diese müssen mit einer
mfassenden Reform beantwortet werden. Deshalb un-
erstützen wir die grundlegenden Ziele des heute zu be-
atenden Entwurfs, die diese Bereiche betreffen, auch
enn man sicher noch über das eine oder andere wird re-
en müssen.
Beim Thema Gründungserleichterungen gratuliere
ch dem BMJ dazu, einen Vorschlag der FDP aufgenom-
en zu haben, den wir im Februar letzten Jahres hier im
lenum eingebracht haben.
Sie waren damals noch sehr vage in Bezug darauf, ob
ie diese Erleichterungen haben wollen. Aber es ist
ichtig, die GmbH-Eintragung ins Handelsregister vom
orliegen verwaltungsrechtlicher Genehmigungen abzu-
oppeln.
11886 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
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Mechthild Dyckmans
Ich will mich heute bei der ersten Lesung nicht mit
Einzelregelungen beschäftigen; dafür haben wir in den
Ausschussberatungen noch genügend Zeit. Vielmehr
möchte ich ein grundlegendes Problem ansprechen. Ein,
wie ich meine, populistischer Schwerpunkt des Geset-
zesvorschlags ist die Schaffung der sogenannten Unter-
nehmergesellschaft .
Sie wollen damit in Konkurrenz zur Limited treten. Es
ist zwar sehr löblich, dass die Regierung und insbeson-
dere Herr Dr. Gehb sich Gedanken über die Wettbe-
werbsfähigkeit deutscher Gesellschaftsformen machen,
aber in diesem Fall sind die Schlussfolgerungen falsch.
Die Rechtsprechung des EuGH aus den Jahren 2002 und
2003 zur Niederlassungsfreiheit in Europa hatte zur
Folge, dass Unternehmer unter dem Schirm ausländi-
scher Rechtsformen in Deutschland Geschäfte machen
können. Dies führte wie wir alle wissen zu einem
Boom der Limiteds in Deutschland. Die Bundesregie-
rung läuft diesem Trend nun Jahre später hinterher und
meint, mit der Schaffung der Unternehmergesellschaft
ein Konkurrenzprodukt zur Li-
mited erfinden zu müssen. Diesem Trend nachzulaufen
ist weder sinnvoll noch notwendig.
Zwar häuften sich zunächst die Meldungen über
Vorteile der Limited angeblich geringere Kosten,
schnellere Gründungen, niedrigeres Stammkapital und
angeblich weniger Bürokratie im englischen Gesell-
schaftsrecht , mittlerweile hat sich aber herumgespro-
chen, dass die Limited auch zahlreiche Nachteile hat. So
kommen die Unternehmer zum Beispiel mit den umfang-
reichen Offenlegungspflichten des englischen Rechts
nicht zurecht. Eine Beratung über das ausländische Recht
wird jedoch teuer. Folge der Unkenntnis des ausländi-
schen Rechts ist oft die Löschung der Limited in Eng-
land, und damit darf die Gesellschaft auch in Deutsch-
land nicht mehr tätig werden.
Viele Unternehmer haben auch erfahren, dass die Li-
mited im Geschäftsverkehr nicht anerkannt wird. Nach
einer Untersuchung des Wirtschaftsmagazins Impulse
sehen zwei Drittel der befragten Führungskräfte die Ak-
zeptanz der Limited als eher gering an, und bei Kreditge-
bern waren es sogar 90 Prozent. Das alles hat zu einem
deutlichen Rückgang der Zahl der Limited-Gesellschaf-
ten geführt.
Nun mögen Sie vielleicht sagen: Dass das englische
Recht so schwierig ist, ist ja gerade der Grund dafür,
weshalb wir eine deutsche Gesellschaftsform anbieten.
Dazu stelle ich aber fest: Nicht nur die rechtlichen Rege-
und unklar; so fragt man sich zum Beispiel folgendes:
Wo sind zusätzliche gläubigerschützende Regelungen,
damit die Unternehmergesellschaft
nicht von vornherein als unseriös erscheint? Warum be-
steht nicht die Pflicht, Gewinne anteilsmäßig anzuspa-
ren, und zwar zeitlich unbegrenzt? Aber nicht nur das,
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Eine Gesellschaft ohne Stammkapital wird keine Kre-
ite erhalten. Geschäftspartner einer Gesellschaft ohne
tammkapital werden andere Sicherheiten verlangen.
it der Schaffung einer Kapitalgesellschaft ohne Kapi-
al ist für die Gründer schlichtweg nichts gewonnen. Ka-
italschwache Gründer sind auch heute nicht gehindert,
um Beispiel als Einzelkaufmann aufzutreten.
Völlig verfehlt ist meines Erachtens die Ansicht, eine
-Euro-GmbH ermögliche die Gründung eines Unter-
ehmens ohne Eigenkapital.
ereits durch die Gründungskosten droht selbst bei Nut-
ung der Mustersatzung dazu wird in den Beratungen
och einiges zu sagen sein die Überschuldung dieser
esellschaft. Der Systembruch durch die Schaffung ei-
er kapitallosen Kapitalgesellschaft ist durch nichts ge-
echtfertigt.
üllung. Sie wecken Hoffnungen, die nicht erfüllt wer-
en. Der Wunschtraum einer Geschäftstätigkeit mit
aftungsbeschränkung ohne bestimmtes Stammkapital
ird zerplatzen, wenn die Banken die notwendigen Kre-
ite aufgrund fehlenden Haftungskapitals verweigern
der andere Sicherheiten verlangen. Nur für das Gefühl,
in Unternehmen leichter und einfacher gründen zu kön-
en, ist die Schaffung Ihrer GmbH auf Raten der falsche
eg.
Die Mini-GmbH wird auch schwerlich zu neuen se-
iösen Unternehmen führen; da bin ich ganz anderer
einung als Sie, Herr Kollege Hartenbach. Vielmehr
erden wir uns in dieser Runde sehr schnell damit be-
chäftigen müssen, welchen Imageschaden diese Mini-
mbH der richtigen GmbH zugefügt hat.
Es mag zwar sein, dass es, wie Frau Zypries kürzlich
agte, eines Signals zur schnelleren und einfacheren
ründung von Unternehmen bedarf. Durch eine seriöse,
ute und fundierte Reform des Rechts der GmbH könn-
en wir den Unternehmern ein zeitgemäßes Gesetz an die
and geben. Dies allein wird bereits neuen Wind für die
rwünschte Wettbewerbsfähigkeit der GmbH in Europa
ringen. Eine kapitallose Kapitalgesellschaft brauchen
ir hierfür nicht.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11887
)
)
Mechthild Dyckmans
Ich danke Ihnen.
Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Jürgen Gehb,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Entge-
gen meiner sonstigen Gewohnheit, völlig frei zu reden,
habe ich mich heute einmal entschlossen, ein Manu-
skript heranzuziehen. Ich bitte also, mich von der ge-
schäftsordnungsmäßigen Pflicht, in freier Rede zu spre-
chen, zu dispensieren. Das ist ein großes Glück für Dich,
meine liebe Mechthild Dyckmans; sonst hätte ich auf
das, was ich jetzt habe hören müssen, ganz anders repli-
ziert.
Dennoch freue ich mich sehr, dass mich der Staatsse-
kretär so gelobt hat. Der Herrgott, lieber Alfred, mag dir
deine maßlose Übertreibung verzeihen und mir, lieber
Herrgott, dass ich sie gerne gehört habe.
Meine Damen und Herren, als vor mehr als
100 Jahren die Gesellschaft mit beschränkter Haftung
das Licht der Welt erblickte, glaubten nur wenige an ei-
nen wirklich großen Erfolg dieser neuer Rechtsform. Sie
stand ziemlich im Schatten der bereits etablierten Ak-
tiengesellschaft und war ein eher ungeliebtes Kind. Wie
so manches ungeliebte Kind konnte sich die GmbH aber
schnell aus diesem Dasein befreien und sich sehr rasch
zu einem richtigen Erfolgsmodell entwickeln. So wie
sich etwa in der Autobranche der Golf millionenfach als
Erfolgsmodell für die Mittelklasse etabliert hat, so ist die
GmbH zum bevorzugten Modell gerade für unseren
deutschen Mittelstand geworden. Über 1 Million Gesell-
schaften mit beschränkter Haftung sprechen für sich.
Doch Vorsicht, liebe Kolleginnen und Kollegen: So
wie ein Erfolgsauto der ständigen Modellpflege und ab
und zu auch einer richtigen Runderneuerung bedarf, um
weiterhin auf Erfolgskurs zu bleiben, so bedarf auch un-
ser Erfolgsmodell GmbH einer Auffrischung und dies
nicht nur, weil etwa der Motor ein bisschen schwächelt,
sondern auch und gerade, weil sich im Gesellschafts-
recht der Markt um präzise zu sein: der europäische
Markt doch sehr erheblich verändert hat.
Lange lebten wir in Deutschland quasi abgeschottet in
einer Art Paradies;
doch diese Zeiten gehören inzwischen der Vergangenheit
an. Ob es uns als nationalem Gesetzgeber gefällt oder
nicht: Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichts-
hofs der vergangenen Jahre hat rechtlich und faktisch
dazu geführt, dass europäische Gesellschaften hierzu-
lande unter fremder Flagge operieren dürfen. So stehen
Firmengründern aus Deutschland alle in der EU angebo-
tenen Gesellschaftsformen zur Verfügung. Nach wie vor
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Schön, Herr Wieland, dass Sie sich diese Bemerkung
gleich zu eigen machen. Mein Blick hätte ein wenig län-
ger auf Ihnen ruhen müssen.
Ich habe einen leichten Stau im mittleren Ring. Manche
sagen, ich hätte einen dicken Bauch; andere sagen, die
Beine stünden etwas weit hinten, Herr Wieland.
Das Ergebnis dieser Reform liegt Ihnen heute vor. Mit
all den vielen Neuerungen wird die GmbH-Novelle 2007
insgesamt eine Kleine Revolution sein, wie ein be-
kanntes Magazin titelte. Genau dies ist auch von der
Union, von unserem Berliner Koalitionspartner und, mit
Verlaub, auch ganz persönlich von mir so gewollt.
Wir stehen in einem europäischen Wettbewerb nicht
nur hinsichtlich der Erzeugung von Gütern und Dienst-
leistungen, sondern auch hinsichtlich der Rechtsordnun-
gen und der Rechtsformen. Diesen Wettbewerb nehmen
wir an. Wir wollen und müssen ihn gewinnen. Wir wol-
len und müssen uns einfach auf dem europäischen Markt
behaupten können. Ich sage das nicht zuletzt vor dem
Hintergrund der Debatte über die Europäische Privatge-
sellschaft. Ich finde dieses Projekt gut, richtig und wich-
tig. Wer aber sieht, mit welch spitzen Fingern der zustän-
dige EU-Kommissar Charlie McCreevy so heißt er
wirklich dieses Projekt anfasst, kann doch nicht ein-
fach die Augen davor verschließen, dass die EPG nicht
heute, nicht morgen und allerfrühestens übermorgen,
wenn überhaupt, kommen wird.
Herr Benneter, es ist schön, dass Sie Ihr Lachen
manchmal nicht unterdrücken können.
Vor diesem Hintergrund will ich, dass wir Deutschen
uns in einem reformierten nationalen und damit auch
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nders als in anderen Konstellationen ich will ja gar
icht vom MiKaTraG und dem unsäglichen Mindestka-
italgesetz reden werden wir, lieber Staatssekretär
lfred Hartenbach, auch den Willen und die Kraft dazu
ufbringen, dass das nächstes Jahr im Bundesgesetzblatt
teht.
Wir wollen ganz gezielt mit den Mitteln des Rechts
uch Wirtschaftsförderung betreiben ich sehe den
irtschaftsstaatsekretär Hartmut Schauerte und Unter-
ehmensgründern helfen. Ich war sehr erfreut, dass bei
en Beratungen im Bundesrat daher meine, unsere Idee
er Unternehmergesellschaft auf so positiven Widerhall
estoßen ist. Das war nicht immer so. Ich habe aber na-
ürlich eine erbitterte Kritikerin mit meiner Kasseler
ollegin Mechthild Dyckmans. Am Ende allerdings
ird man sehen, dass sich alle als Erfinder dieser Gesell-
chaftsform gerieren, ähnlich wie bei der Idee von der
u, liebe Mechthild, eben meintest, es sei eine der FDP
ewesen. Insofern empfehle ich nur die Lektüre meines
ufsatzes in der NZG 2006. Da wurde das alles schon
rwähnt.
Jürgen Möllering, Leiter der Rechtsabteilung des
IHK, hatte recht, als er im Focus im Mai dieses Jahres
agte:
Es gibt unterschiedliche Bedürfnisse zwischen klas-
sischem Mittelstand und Kleingewerbe.
Da für manchen Gründer auch noch 10 000 Euro
Gründungskapital zu viel
ei, lautete seine Forderung:
Wir brauchen noch eine zusätzliche Rechtsform für
die ganz Kleinen.
So galt es, im Gesetz einen Weg zu finden, um Exis-
enzgründer und Kleingewerbetreibende auch bei Vorha-
en mit geringem Kapitalbedarf in den Genuss der Haf-
ungsbeschränkung zu bringen, ohne dass dies zulasten
es Gläubigerschutzes geht. Außerdem, verehrte Frau
ollegin Dyckmans, liebe Mechthild, wer glaubt, dass
as Stammkapital am Anfang ausreicht, um die Gläubi-
er zu befriedigen, der ist nicht von dieser Welt. Ich gebe
a gerne zu, dass es eine gewisse Seriositätsschwelle ist
nd etwa Erhebungen der Creditreform besagen, dass es
ine gewisse Korrelation zwischen der Höhe des Stamm-
apitals und der Häufigkeit der Insolvenzen gibt.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11889
)
)
Dr. Jürgen Gehb
Das Entscheidende ist aber, dass man für die Dauer des
Bestands der Gesellschaft Kapital hat und nicht nur am
Anfang.
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage der
von Ihnen so geschätzten Kollegin Dyckmans zulassen?
Aber selbstverständlich.
Bitte schön.
Lieber Kollege Gehb, ist dir bekannt,
dass vor etwas mehr als 25 Jahren hier in diesem Hause,
damals noch in Bonn, das Mindestkapital von damals
20 000 D-Mark auf 50 000 D-Mark heraufgesetzt
wurde? Ist dir bekannt, aus welchen Gründen das damals
gemacht wurde?
Ich darf dir vielleicht einfach einmal aus der Be-
schlussempfehlung des Rechtsausschusses vorlesen.
Dort heißt es, es liege auf der Hand, dass der bisherige
Betrag von 20 000 D-Mark nicht mehr ausreichend sei,
um eine Haftungsbeschränkung zu rechtfertigen. Dieser
seit 1892 nicht erhöhte Betrag müsse den heutigen wirt-
schaftlichen Verhältnissen zumindest in etwa angenähert
werden.
Damals ist die Mehrheit davon überzeugt gewesen, dass
die Anhebung des Mindeststammkapitals mit dazu
beitragen [werde], die erhebliche Konkursanfällig-
keit der kleinen GmbH, die unzweifelhaft gegeben
sei, zu vermindern und unsolide Gründungen weit-
gehend zu verhindern.
Ich frage dich: Trifft das heute nicht mehr zu? Hat
sich da so viel verändert?
Verehrte Mechthild, ich finde es zunächst einmal au-
ßergewöhnlich schön, dass der Fragesteller die Antwort
gleich mitliefert. Der erste Teil der Frage, ob ich wüsste,
wie das war und wie es damals begründet wurde, ist also
beantwortet. Die Antwort hast du ja mit lauter Stimme
und Betonung vorgelesen.
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ass sie aber gelesen wird, dafür kann ich nichts.
Ich möchte festhalten: Ich habe schon immer die Auf-
assung vertreten ich vertrete sie auch heute noch ,
ass das bloße Drehen an der Stellschraube Stammkapi-
al eigentlich gar nichts hergibt.
1892 das war über 30 Jahre vor Einführung der
eichsmark. Damals konnte man von dem Geld ein gan-
es Haus kaufen. Heute sind 25 000 Euro oder gar
0 000 Euro dagegen natürlich nur noch eine Quantité
égligeable. Wenn man mich also fragt, ob das zutrifft,
ann ich nur antworten: Das hat damals nicht zugetrof-
en; es trifft auch heute nicht zu. Deshalb gehe ich relativ
eidenschaftslos an die Frage heran, ob das Stammkapi-
al diese oder jene Höhe haben soll. Wenn der Betrag
lle zehn Jahre hoch- und runtergeht, zeigt das doch,
ass es kein taugliches Instrument ist.
Ich fahre fort. Bei diesem Gesetz galt es, einen Weg
u finden, um Existenzgründer und Kleingewerbetrei-
ende mit geringem Kapitalbedarf in den Genuss der
aftungsbeschränkung zu bringen. Ich habe das eben
chon gesagt; das wird den Stenografen auffallen; so
rauchen sie es nicht doppelt zu schreiben. Ebenso sollte
ie Gründung schnell, unbürokratisch und preiswert er-
olgen können. Das sind gerade für Existenzgründer ge-
ichtige Faktoren bei der Wahl der von ihnen präferier-
en Rechtsform.
Die Lösung stellt nun die neu entwickelte Unterneh-
ergesellschaft in § 5 a des Gesetzentwurfs dar, die ge-
enüber ursprünglichen Ideen allerdings nun recht
chlank daherkommt. Ich hatte einmal einen Gesetzent-
urf mit 76 Paragrafen entwickelt. Er war ziemlich dick:
r hatte nicht nur einen relativ weiten Beinhinterstand,
ondern er war wirklich dick. Nun ist er auf fünf Absätze
bgespeckt.
11890 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Dr. Jürgen Gehb
Die Unternehmergesellschaft unterliegt dem Regime des
GmbH-Rechts. Es ist keine andere Rechtsform; wir be-
wegen uns in dem Regime, das es schon immer gab.
Deswegen bin ich der Meinung, dass das eine sehr
Es ist auch einiges verloren gegangen. Heute ist aber
nur die erste Lesung. Wir werden das nachher an die
Ausschüsse überweisen. Dort werden wir wie immer
externen Sachverstand zu Rate ziehen. Da wird man se-
hen, ob ich nicht vielleicht das eine oder andere, was ich
schon einmal vorgeschlagen habe, doch wieder von
hinten durch die Brust ins Auge reaktivieren kann, lie-
ber Freund Montag.
Normenkontrollrat? Da ist es schon abgesegnet wor-
den; ich habe dafür schon eine Flasche Schampus be-
kommen.
Meine Damen und Herren, darüber hinaus betreffen
viele zusätzliche Änderungen des Regierungsentwurfs
die Unternehmergesellschaft und die GmbH in gleicher
Weise. Ich sagte ja, dass die Vorschriften auch für die
Sagt nicht immer Mini-GmbH. Das tut meiner Seele so
weh. Es handelt sich um die Unternehmergesellschaft
. Diese Diminuierung auf Mini-Ge-
sellschaft wollen wir nicht haben. Die Vorschriften
stellen damit insgesamt bemerkenswerte Innovationen
gegenüber dem geltenden Recht dar.
Ich sagte schon: Wir werden im weiteren Verfahren
noch über viele Details des Gesetzentwurfs reden. Auf-
merksamen Beobachtern wird nicht entgangen sein, dass
beispielsweise die Frage der Mustersatzung schon im
Bundesrat zu intensiver Diskussion geführt hat; nament-
lich Justizministerin Kolb hat dort kritische Töne ange-
schlagen. Die Notare kämpfen noch für die Beibehaltung
der Beurkundungspflicht anstelle der bloßen Beglaubi-
gung. Außerdem stellt sich die Frage, ob wir, wenn wir
schon keine Steuererklärung auf dem Bierdeckel hinbe-
kommen, vielleicht ein Gründungsprotokoll in Bierde-
ckelgröße hinbekommen. All das, liebe Kolleginnen und
Kollegen, werden wir im parlamentarischen Beratungs-
verfahren erörtern.
Wir werden dann sehen, was im nächsten Jahr daraus ge-
worden sein wird.
Frau Präsidentin, da hier dauernd die Zuschauer
wechseln, will ich folgende Schlussbemerkung machen:
Ich finde es sehr schön, dass wir auch Debatten führen,
in denen wir uns nicht gegenseitig als Brunnenvergifter,
als Sicherheitsrisiko oder manch einer versteigt sich
sogar zu dieser Bezeichnung als Mörder bezeichnen.
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Ich möchte Ihnen allen bzw. fast allen; Sie von den
inken sind leider nie dabei noch etwas sagen.
Herr Kollege, bevor Sie jetzt noch vor den Zuschau-
rn sagen, mit wem Sie diese Flasche Champagner trin-
en wollen,
uss ich Ihnen mitteilen: Ihre Redezeit ist weit über-
chritten.
Ich hätte es Ihnen gerne verraten; aber das Ende mei-
er Redezeit verbietet es mir.
Frau Präsidentin, ich bedanke mich für Ihre Großzü-
igkeit, und Ihnen, meine Damen und Herren, danke ich
ür Ihre Aufmerksamkeit. Ich wünsche Ihnen noch einen
chönen Tag!
Zumal die Zuschauer weder lachen noch applaudieren
önnen, Herr Gehb,
eder das eine noch das andere.
Jetzt hat der Kollege Dr. Herbert Schui für Die Linke
as Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer das
echt auf Gewinn in Anspruch nimmt, hat auch die
flicht, für das Risiko einzustehen; das ist der Grund-
atz. Weil das so ist, beschäftigt sich die Fachwelt in
roßbritannien und in den USA zunehmend mit Unter-
ehmen der Rechtsform Limited Liability. Erst im Juli
ieses Jahres fand an der University of London, im Col-
ege SOAS, eine Konferenz zu diesem Thema statt, die
om Guardian ebenso wie von der Financial Times in
ondon sehr positiv kommentiert worden ist. Über die-
es Thema wird also diskutiert, und das nicht nur in ir-
endeinem Keller und nicht nur von Gruppierungen, die
ie vielleicht nicht so sehr mögen.
Die Grundlage der kritischen Argumentation hier
ird oft auf Smith Bezug genommen ist die Folgende:
leichheit vor dem Gesetz für alle, also auch für juristi-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11891
)
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Dr. Herbert Schui
sche Personen und damit auch für Unternehmen und An-
teilseigner. Alle müssen im Sinne eines bürgerlichen
Rechtsverständnisses die Verantwortung für die Folgen
ihres Handelns tragen. Ausnahmen, die durch Gewinn-
aussichten und gegebenenfalls vorgeschützte güns-
tige Wirkungen auf die Gesamtwirtschaft gerechtfertigt
würden, dürfe es, so die kritische Argumentation, im
Grundsatz nicht geben.
Die Bundesregierung will mit ihrem Gesetzentwurf
offenbar dazu beitragen, dass wir der gegenwärtigen an-
gelsächsischen Rechtspraxis näherkommen. Ein Wider-
schein der aktuellen Debatte in diesen Ländern lässt sich
im Gesetzentwurf dagegen nicht finden, ein unter straf-
rechtlichen Gesichtspunkten verschärftes Haftungsrecht
ebenfalls nicht.
Eine Haftungsbeschränkung stellt von der Sache her
eine Risikoverlagerung dar. Folglich sind drei Fragen,
die bei jeder Verteilung von Risiken zu stellen sind, auch
an die GmbH-Novelle der Bundesregierung zu richten:
Erstens. Kann die Risikoentlastung von Unternehmen
ein gewünschtes wirtschaftliches Verhalten auslösen?
Zweitens. Wird die Haftungsbeschränkung nicht zu
einer Einladung zu unerwünschtem, verwerflichem, im
Extremfall sogar kriminellem Verhalten?
Drittens. Wer, wenn nicht der Unternehmer selbst,
trägt an dessen Stelle die Risiken?
Die erste Frage beantwortet die Bundesregierung
ideologisch: Schneller, kostengünstiger und mit geringe-
rer Haftung Unternehmer zu werden, das müsse doch, so
die Bundesregierung, auf jeden Fall etwas Gutes sein.
Besonders problematisch an der GmbH-Novelle sind
die vorgesehenen Mustersatzungen. Der Notar soll nun
nicht mehr die Rechtmäßigkeit des Gründungszwecks
feststellen. Er soll nicht mehr das Verhältnis zwischen
den Gesellschaftern und der Kapitalaufbringung prüfen.
Er soll nur noch die Personenidentität der Gründer be-
glaubigen.
Mustersatzungen mögen im simplen Fall einer Ein-
personengesellschaft in Form einer GmbH mit eindeuti-
gem Gründungszweck der Vereinfachung dienen. Aber
spätestens wenn zwei Gesellschafter im Spiel sind oder
wenn der Unternehmensgegenstand einer Präzisierung
bedarf, verwandelt sich das von der Bundesregierung ge-
botene Gründungsset in eine Einladung, sich als Ge-
schäftszweck alles Mögliche mit allerlei Leuten vorzu-
nehmen. Dann entsteht die Hoffnung, dass das Formblatt
den eigenen Verstand, privatwirtschaftliche Selbstorga-
nisation und eingehende Rechtsberatung ersetzen könne.
Die Folge wird sein, dass die nachträglichen Bera-
tungs- und Rechtskosten steigen. Es wird zu mehr ge-
richtlichen Streitfällen kommen. Deswegen sind eindeu-
tige Spielregeln, klare Regulierungen eine Forderung
politisch sehr unterschiedlicher Richtungen. Die Geset-
zesnovelle trägt all dem nicht Rechnung. Sie schafft
Chaos statt eine Ordnung, in der sich Erwerbstätigkeit
entwickeln kann. Das ist gegen die etwas höheren Kos-
ten der jetzigen GmbH-Beurkundung aufzurechnen. Da
gewinnt in jedem Falle die gegenwärtige Rechtsetzung.
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Sicherlich kann eine Haftungsbeschränkung unter be-
timmten Bedingungen sinnvolle Projekte ermöglichen,
ie bei voller Deckung durch das Privatvermögen aus-
leiben würden. Dann ist aber sicherzustellen, dass es zu
einer unerwünschten Risikoverlagerung zulasten Drit-
er kommt. Folglich sind Vorkehrungen zu treffen, damit
ie Risiken nicht billig und für die Verursacher folgenlos
uf Gläubiger, Lieferanten und andere überwälzt wer-
en. Wichtig ist das fehlt in dem Gesetzentwurf , dass
ls Pendant zu der vorgesehenen Haftungsreduzierung
ransparenz und Intransparenzhaftung deutlich verbes-
ert werden.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen, bitte.
Ich bin sofort durch. Bei strafrechtlich relevanten
ällen fehlt eine klare Durchgriffshaftung ins Privatver-
ögen. Es fehlen Ausschlussgründe für straffällig ge-
ordene Geschäftsführer.
Herr Kollege!
Es fehlt ein Berufsverbot im Sinne des BGB für Ge-
ellschafter und Geschäftsführer, die sich an das Recht
icht halten.
Der Gesetzentwurf trägt dem Interesse der Allge-
einheit also insgesamt nicht Rechnung. Ihm ist nicht
uzustimmen.
Vielen Dank.
Jerzy Montag spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grü-
en.
Danke, Frau Präsidentin. Liebe Kolleginnen und
ollegen! In unserem Land entschließen sich jedes Jahr
iele Menschen, selbstständig wirtschaftlich tätig zu
erden. Ich sage für uns Grüne ausdrücklich: Wir heißen
as gut, wir halten das für richtig und für notwendig. Wir
rauchen Unternehmensgründungen, und wir wollen
11892 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
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Jerzy Montag
alles dafür tun, dass es insbesondere jungen Menschen,
aber nicht nur diesen, erleichtert wird, selbstständig als
Unternehmer im Dienstleistungssektor genauso wie im
Produktionssektor tätig zu werden.
Aus dem letzten Beitrag, den wir gehört haben, habe
ich so etwas wie eine prinzipielle Gegnerschaft gegen
eine solche Betrachtungsweise herausgehört. Ich kann
Ihnen nur sagen: Wer gute Löhne für Arbeitnehmer
will das wollen wir , der muss auch die Wirtschaft
und das Unternehmertum selbst unterstützen; sonst geht
die Gleichung in einer sozialen Marktwirtschaft nicht
auf.
Hunderttausende machen sich einfach auf den Weg
und nutzen nicht die Rechtsform einer Gesellschaft, die
ihnen der Staat bietet, sondern handeln als Einzelkauf-
leute mit vollem Risiko, mit voller Haftung. Andere
nehmen die Möglichkeit wahr, ihre wirtschaftliche Tä-
tigkeit in einer GmbH, also mit einer beschränkten Haf-
tung, auszuüben. Das muss auf der anderen Seite dann
aber natürlich auch mit einem gewissen Schutz verbun-
den sein. Das ist schon dargestellt worden, und ich brau-
che darauf nicht näher einzugehen.
In der Europäischen Union hat es einen dramatischen
Wandel in dieser Richtung gegeben. Durch die Recht-
sprechung des Europäischen Gerichtshofs wurde der ab-
geschottete nationale Rechtsmarkt für diese Materie auf-
gebrochen, und es gibt nun eine Konkurrenz mit anderen
europäischen Rechtsinstituten. Dem müssen wir uns
stellen. Wir finden das richtig, aber wir glauben nicht,
lieber Kollege Gehb, dass die Einrichtung einer Mikro-
GmbH, quasi einer GmbH light, neben einer jetzt
schon wieder verschlankten GmbH die richtige Lösung
ist.
Wir finden, dass gerade diejenigen, die keine GmbH
gründen, sondern sozusagen als Einzelkaufleute oder in
einer BGB-Gesellschaft beginnen wollen, in einer Perso-
nengesellschaft mit beschränkter Haftung wie in einer
Gesellschaft mit beschränkter Haftung tätig werden kön-
nen sollten.
Wir wollen also nicht irgendein Minus zur GmbH, son-
dern etwas ganz anderes, das gerade auf diesen Perso-
nenkreis zugeschnitten ist.
Ja, aber Sie haben das im Gegensatz zu uns aufgege-
ben.
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Ich finde es ganz interessant, dass sich die Wirt-
chaftspartei FDP um diese Frage völlig herumdrückt,
ein einziges Wort dazu sagt
nd den Vorschlag der Regierung, der nicht optimal ist,
blehnt, ohne einen eigenen zu machen. Ich finde es al-
erdings auch interessant, dass der Staatssekretär den
oalitionspartner für sein Engagement und für die Tatsa-
he gelobt hat,
ass Sie sich, Herr Gehb, zu einem kleinen Teil 60 Para-
rafen
ind auf einen zusammengeschmolzen, nämlich auf den
5 a des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit be-
chränkter Haftung durchgesetzt haben.
Ich darf an dieser Stelle zitieren, was die Bundesjus-
izministerin, Frau Zypries, noch im März dieses Jahres
m Handelsblatt zu dieser Frage geäußert hat:
Offen gesagt konnte mir noch keiner erklären, wo-
rin der Mehrwert einer weiteren Gesellschaftsform
unterhalb dieser verschlankten GmbH liegen soll.
un, einige Monate später, werden Sie vom Staatssekre-
är dafür gelobt, dass Sie die Ministerin offensichtlich
uf einen anderen Weg gebracht haben.
Lieber Kollege Dr. Gehb, in dem gleichen Beitrag
teht allerdings auch, was Sie eigentlich wollten. Ich
ehme an, Sie werden dort richtig zitiert. Sie wollten
ach Ihren Überlegungen den Schutz der Vertragspartner
on denjenigen, die sich im geschützten Raum einer
mbH wirtschaftlich betätigen, ein Gläubigerforum und
trenge Haftungsvorschriften. Davon ist in dem Gesetz
ichts mehr zu lesen.
Zum Schluss meiner Ausführungen will ich noch sa-
en: Es wundert mich, dass in dieser Debatte von keiner
raktion die steuerrechtliche Seite der Vorschläge, die
uf dem Tisch liegen und diskutiert werden sollen, an-
esprochen worden ist. Gerade durch das Angebot an
xistenzgründer, sich ausschließlich in einer Mikro-
mbH wirtschaftlich zu betätigen, werden sie steuer-
echtlich in das System der Körperschaftsteuern gesto-
en. Mit unserem Vorschlag einer Personengesellschaft
it beschränkter Haftung wollen wir die Vorteile, die
ich aus der persönlichen Besteuerung ergeben, mit den
öglichkeiten des Handelns in einem geschützten
aum, aber auch mit strengen Regeln für Publizität und
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11893
)
)
Jerzy Montag
Transparenz verbinden. Dazu werden wir noch Vor-
schläge machen.
Ich danke Ihnen und freue mich auf die Debatte im
Ausschuss.
Jetzt gebe ich dem Kollegen Klaus Uwe Benneter das
Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Uns liegt ein wichtiger Gesetzentwurf vor. In
Deutschland gibt es derzeit schätzungsweise mehr als
900 000 GmbHs. Die GmbH ist die Rechtsform des
deutschen Mittelstandes und bis heute ein Erfolgsmo-
dell.
Alfred Hartenbach hat bereits darauf hingewiesen.
In der Rechtsform der GmbH können Existenzgrün-
der ihr Unternehmen beginnen. Sie können ihr Unter-
nehmen als GmbH auch stabilisieren und wachsen las-
sen. Die GmbH ist eine attraktive Rechtsform, und das
soll auch so bleiben.
Trotzdem besteht in vielerlei Hinsicht Reformbedarf.
Meine Vorredner haben dazu schon einiges gesagt. Das
Recht der Kapitalaufbringung und -erhaltung ist über-
kompliziert. Hinzu kommt, dass auch das schönste und
komplizierteste Kapitalschutzrecht nichts nützt, wenn
sogenannte Firmenbestatter professionell mit relativ ein-
fachen Mitteln eine ordnungsgemäße Insolvenz verhin-
dern können. Die Geschäftsführer werden abberufen und
das Geschäftslokal aufgegeben mit dem Ergebnis, dass
die GmbH keine Adresse mehr hat und ihr niemand
mehr etwas zustellen kann. Solche Machenschaften wer-
den wir verhindern.
Außerdem haben wir inzwischen ausländische Kon-
kurrenz im Land, vor allem die britische Limited, die mit
wenig bürokratischem Aufwand und ohne Mindestkapi-
tal gegründet werden kann. Schließlich werden die Stim-
men immer lauter, die meinen, es sei besonders wichtig,
dass eine GmbH sehr schnell praktisch über Nacht
und besonders preisgünstig gegründet werden kann.
Auch wenn mir die Bedeutung dieses Punktes etwas
übertrieben erscheint, ist etwas Wahres daran.
Es ist deshalb gut, dass die Justizministerin mit ihrem
Gesetzentwurf den Reformbedarf aufgegriffen hat. Es ist
bekannt, dass der Referentenentwurf kurz vor der Kabi-
nettsbefassung noch in entscheidenden Punkten geändert
worden ist. Neu aufgenommen wurde vor allem das völ-
lig neue Konzept der Unternehmergesellschaft, besser
bekannt unter dem Stichwort Mini-GmbH. Wir wissen
auch wenn Sie das nicht gerne hören, Herr Gehb ,
dass die Möglichkeit einer einfach, billig und praktisch
ohne Stammkapital zu gründenden Unternehmergesell-
schaft ein besonderes Anliegen unseres Kollegen Gehb
war,
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nd ich teile inzwischen auch seinen Grundansatz: Es
ibt sicherlich Unternehmen, die mit weniger Stammka-
ital als 25 000 Euro oder auch 10 000 Euro auskommen
önnen, ohne dass sie deshalb unseriös oder ohne Er-
olgsaussichten sein müssen. Wir sollten diesen Unter-
ehmen eine einfache, billige und deutsche Rechtsform
ur Verfügung stellen. Es ist nicht gut, wenn solche Exis-
enzgründer nur auf die britische Limited zugreifen kön-
en, die in britischen Handelsregistern angemeldet wer-
en muss und nach britischem Recht funktioniert oder in
ielen Fällen eben auch nicht.
Mir persönlich hat zu Beginn dieser Diskussion und
er ersten Gehbschen Überlegungen der Gedanke nicht
efallen Jerzy Montag, ich bitte um Aufmerksamkeit ,
ass wir zu der Vielzahl von Rechtsformen, die das deut-
che Gesellschaftsrecht seinen Unternehmen zur Verfü-
ung stellt, noch eine weitere Rechtsform hinzuerfinden
nd damit das deutsche Gesellschaftsrecht um weitere ju-
istische Probleme und Kommentare bereichern sollen.
enn eigentlich wollen wir unser Recht insgesamt etwas
infacher, verständlicher und übersichtlicher gestalten.
Insofern kann sich die Lösung, die das Justizministe-
ium gefunden hat, sehen lassen. Die neue sogenannte
nternehmergesellschaft sprich: Mini-GmbH ist von
enigen Besonderheiten abgesehen eine echte GmbH
nd richtet sich nach GmbH-Recht. Durch die Rücklage-
erpflichtungen wird sie bei gutem Gang der Geschäfte
utomatisch zu einer ganz normalen GmbH und kann
ich auch umbenennen. Sie wächst also sozusagen zur
mbH heran.
Ich denke, das ist eine elegante Konstruktion: Wir ha-
en eine schlanke Regelung und müssen keine neue
echtsform erfinden. Trotzdem ist die neue Unterneh-
ergesellschaft namensmäßig deutlich von den alten,
estehenden GmbHs unterscheidbar. Das halte ich für
usgesprochen wichtig. Denn wir sollten uns nichts vor-
achen: Wenn wir eine solche billige Rechtsform an-
ieten, werden auch Miniunternehmen gegründet wer-
en, die dann doch keine echte Chance am Markt haben
nd scheitern. Wenn dies massenhaft geschieht, dann
ird sich die Mini-GmbH am Markt nicht durchsetzen.
hr Ansehen würde durch zu viele unsolide Mitspieler
eschädigt werden. Das muss nicht so kommen, aber wir
ollten es in unseren Beratungen mitbedenken. Die
ini-GmbH ist auch eine Art gesetzgeberisches Experi-
ent. Wir wissen heute noch nicht, wie ein solches Ex-
eriment enden wird.
Die GmbHs mit einem Stammkapital von mindestens
5 000 Euro dürfen jedenfalls nicht entwertet werden.
an muss den Unterschied zur Mini-GmbH erkennen
önnen. Das werden wir bei unseren weiteren Beratun-
en zu berücksichtigen haben.
Es erscheint mir sinnvoll, das vereinfachte Grün-
ungsverfahren hauptsächlich auf die neue Mini-GmbH,
lso die Unternehmergesellschaft, zu beschränken. Be-
enkenswert erscheint mir das vorgeschlagene Grün-
ungsprotokoll anstelle der im Gesetzentwurf vorgese-
11894 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Klaus Uwe Benneter
henen Mustersatzung. Wir sollten die Vielzahl von
Anregungen des Bundesrates, der sich mit dem Gesetz-
entwurf sehr eingehend befasst hat, bei unseren Beratun-
gen sehr genau prüfen. Die Herabsetzung des Stammka-
pitals von 25 000 Euro auf 10 000 Euro ist nicht
notwendig, wenn zukünftig die Möglichkeit besteht, eine
Mini-GmbH mit einem Stammkapital zwischen 1 Euro
und 25 000 Euro zu gründen.
An dieser Stelle möchte ich auf ein Anliegen zu spre-
chen kommen, das mir wichtig ist. Wenn wir für die Ka-
pitalgesellschaft GmbH mit der neuen Mini-GmbH ei-
nen solchen einfachen Zugang ermöglichen, dann sollten
wir das auch für Genossenschaften tun; denn sonst wird
die teure Genossenschaft vollends von der neuen preis-
werten Mini-GmbH verdrängt. Genossenschaften sind
Gemeinschaften, die zusammen in Selbsthilfe und
Selbstverwaltung mehr bewirken wollen, als es jeder für
sich alleine könnte. Ich bin überzeugt, dass an solchen
Gemeinschaften ein wachsender Bedarf besteht. Wir
sollten deshalb die Rechtsform der Genossenschaft stär-
ken. Sie wird zunehmend weniger gewählt, weil die
Gründungskosten und die Rechtsformkosten zu hoch
sind. Wir sollten deshalb auch die Gründung von Mini-
genossenschaften ermöglichen. In der Schweiz gibt es
entsprechende Modelle. Diese sollten wir uns ansehen.
Wir werden alle Fragen und Anregungen des Bundes-
rates sorgfältig prüfen. Das Ziel ist klar: Wir wollen das
Erfolgsmodell GmbH fortsetzen. Der vorliegende Ge-
setzentwurf bietet eine gute Grundlage für unsere weite-
ren Beratungen.
Ich schließe die Aussprache.
Die Fraktionen haben vereinbart, den Gesetzentwurf
auf Drucksache 16/6140 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu an-
dere Vorschläge? Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gregor Gysi,
Dr. Barbara Höll, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Steuerflucht wirksam bekämpfen
Drucksachen 16/2524, 16/5673
Berichterstattung:
Abgeordnete Simone Violka
Dr. Barbara Höll
Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-
mentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Dazu höre
ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
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Warum sollten diese Menschen, die schon heute wis-
entlich gegen geltendes Steuerrecht verstoßen, bei ge-
ndertem Recht plötzlich brave Steuerzahler werden?
iese Haltung ist mehr als blauäugig.
Mir ist wichtig, das von Ihnen verbreitete Bild, viele
ürgerinnen und Bürger, die viel verdienen, würden sich
ermanent ihrer Steuerpflicht entziehen, zu entschleiern.
s gibt nämlich in diesem Land viele Leistungsträger,
ie nicht nur ihre Steuern pünktlich zahlen, sondern die
uch einen nicht unerheblichen Teil ihres Vermögens der
esellschaft wieder zur Verfügung stellen. Ich erinnere
n die vielen Stifterinnen und Stifter, ohne deren En-
agement unsere Kulturlandschaft viel ärmer wäre. Ich
rinnere auch an die vielen Menschen, die nicht nur Zeit,
ondern auch viel privates Geld einsetzen, um Vereine,
oziale Einrichtungen, Sportveranstaltungen, Kultur,
chulen und vieles mehr zu unterstützen. Das tun sie
äufig, ohne genannt zu werden, weil es für sie einfach
ormal ist, sich so zu verhalten. Vielleicht ist das der
rund, weshalb die Linke so tut, als würde es das nicht
eben.
Wenn Sie mich etwas fragen wollen, dann melden Sie
ich zu einer Zwischenfrage. Ansonsten halten Sie mich
icht von meiner Rede ab.
Möchten Sie die Zwischenfrage des Kollegen zulas-
en?
Gerne.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11895
)
)
Bitte schön.
Frau Violka, ich bin ein bisschen überrascht und muss
deshalb an der Stelle nachfragen. Ich erlebe hier im Ple-
num regelmäßig, dass gerade Ihre Fraktion, wenn es um
Vorschläge der Linken etwa zu Fragen der Vermögen-
steuer geht, uns erzählt, wenn man unseren Vorschlägen
folgte, gingen die Leute massenhaft ins Ausland, und wir
würden deshalb die Einnahmen überschätzen. Können
Sie mir erklären, wie diese zwei Aussagen zueinander-
passen? Welche stimmt denn nun?
Es gibt durchaus solche Fälle. Das will ich gar nicht
verschweigen; das habe ich in meiner Rede im letzten
Jahr gesagt. Ich finde das nicht gut. Letztendlich gilt es,
an dieser Stelle die Linie zwischen legalem Verhalten
und illegalem Verhalten zu ziehen. Das ist das Wichtige
in diesem Zusammenhang. Sie können Leute nicht in
Deutschland festbinden. Ich werde auch in dieser Rede
erwähnen das habe ich schon letztes Jahr gesagt , dass
ich mir darüber eine breit angelegte moralische Debatte
wünschen würde. Man sollte auch als Verbraucher ent-
sprechend reagieren und ein solches Verhalten nicht da-
durch unterstützen, dass man Produkte von solchen Leu-
ten kauft, solche Leute in Deutschland hofiert und ihnen
auch noch Ehrenbürgerschaften anbietet. Das ist eine
moralische Debatte, die wir führen müssen. Wir können
das nicht über das Steuerrecht regeln.
Ich habe manchmal wirklich den Eindruck, dass all
das, was nicht in der Zeitung steht, für Sie nicht existiert,
und dass all das, was in der Zeitung steht, sofort verall-
gemeinert wird. Sie haben ein zu einfaches Weltbild.
Dass Sie dieses einfache Weltbild haben, spiegelt sich in
Ihrem Antrag mehrfach wider. So ist in Ihrem Antrag zu
lesen:
Die Anknüpfung der unbeschränkten Steuerpflicht
an die Staatsbürgerschaft begründet sich insbeson-
dere daraus, dass auch Personen, die ihren Wohn-
sitz verlegen, zuvor öffentlich finanzierte Infra-
struktur z. B. im Bereich Bildung und Ausbildung
für sich und teilweise ihre Kinder in Anspruch ge-
nommen haben.
Das stimmt, und das würde ich sofort unterschreiben.
Aber Sie müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass sich
unsere Welt verändert hat.
Europa ist in dieser Frage noch nicht ganz bei Ihnen
angekommen. Wie verhält es sich denn mit Ihrem Argu-
ment, wenn zum Beispiel ein deutsches Paar aus wel-
chen Gründen auch immer beschließt, nach Spanien,
Italien oder Frankreich zu ziehen? Das Paar bekommt
Kinder, die dort aufwachsen. Wenn diese Kinder als Er-
wachsene nach Deutschland zurückkehren, dann müss-
ten sie nach Ihrer Logik, weil sie nicht die deutsche In-
frastruktur in Anspruch genommen haben, sondern die
französische, italienische oder spanische, ihre Steuern in
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Aber wenn sie danach nach Deutschland zurückkehren
nd hier leben, zahlen sie in Spanien keine Steuern. Sie
üssen mir einmal erklären, wie das gehen soll.
Wie verhält es sich denn in dem Fall, wenn die im
usland gezahlte Steuer höher als die ist, die in Deutsch-
and zu zahlen ist? Sie wollen doch die Steuern verbin-
en.
as habe ich Herrn Gysi schon einmal gefragt. Ich hätte
ich gefreut, im Ausschuss mit ihm darüber diskutieren
u können. Er hat es auch angeboten, aber er war nie im
usschuss.
ielleicht beantwortet er dann hier meine Fragen.
Wir haben ein funktionierendes Steuerrecht, und die
oppelbesteuerungsabkommen, die wir haben, funktio-
ieren gut. Was, glauben Sie, käme heraus, wenn wir
etzt mit über 90 Staaten, die alle eigene Interessen ver-
reten, in neue Verhandlungen eintreten würden? Nein,
n Europa lassen wir die Finger von solchen steuerpoli-
ischen Alleingängen und arbeiten besser an einer euro-
äischen Harmonisierung auf steuerlichem Gebiet.
as bringt Europa viel mehr nach vorne und macht es
andlungsfähig. Wir brauchen, was steuerliche Pro-
leme angeht, eine enge europäische Zusammenarbeit.
ann lassen sich auch Verfehlungen auf diesem Gebiet
eitnaher, einfacher und effektiver verfolgen. Daran
üssen wir gemeinsam arbeiten.
Wenn das amerikanische Steuerrecht so genial wäre,
ie Sie es uns hier verkaufen wollen, frage ich mich,
eshalb es dann auf dieser Welt so einsam geblieben ist.
ch will ehrlich sein, es ist nicht ganz allein. Liberia hat
as gleiche System. Das war es aber auch schon. Bei
wei Ländern kann man wohl kaum von einem amerika-
ischen Exportschlager reden, zumindest dann nicht,
enn es um das Steuerrecht geht. Vielleicht hängt es
ber teilweise mit dem bürokratischen Aufwand zusam-
en, der damit verbunden ist. Fragen Sie doch einmal in
nderen Ländern nach, warum man das amerikanische
teuersystem nicht längst übernommen hat, wo es doch
o toll sein soll.
Es ist wie bei vielen Ihrer Anträge: Sie sehen ein Pro-
lem, das es unbestritten gibt. Dann aber nehmen Sie die
roße Keule und hoffen, umso mehr erwischen zu kön-
en, je größer die Keule ist. Leider erwischen Sie mit
11896 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Simone Violka
Ihrem Gesetzesvorschlag aber nicht nur die, die sich ge-
sellschaftlich daneben benehmen und überall für sich nur
das Beste herauspicken. In der Masse werden die getrof-
fen, die nicht aus steuerlichen, sondern aus ganz anderen
Gründen ihren Wohnsitz verlegen. Die werden sich
freuen, wenn sie sich dann statt mit einer mit zwei Steu-
erbehörden befassen müssen.
Wenn es sich dann vielleicht auch noch um eine
Patchworkfamilie handelt, in der Erwachsene und Kin-
der unterschiedliche Staatsbürgerschaften haben, stelle
ich mir die Steuererhebung enorm einfach vor. Das ist
dann einmal ein richtig toller Vorschlag zur Steuerver-
einfachung und zur Entlastung der Bürgerinnen und Bür-
ger. Glauben Sie mir, die, die Sie treffen wollen, können
sich ein ganzes Heer von Steuerberatern und Anwälten
leisten. Die stört es mit Sicherheit nicht. Wo bleibt denn
in dieser Frage Ihr angeblich so großes Herz für den klei-
nen Mann und die kleine Frau? Diese machen dann die
Steuererklärung im Ausland am Küchentisch alleine,
weil sie sich den Steuerberater nicht leisten können.
Interessant ist es auch, einmal genau hinzuschauen,
wie erfolgreich der amerikanische IRS in dieser Frage
wirklich ist. Denn in einem gleichen sich die Menschen,
egal aus welchem Land sie stammen: Ein Gesetz hält
niemanden davon ab, etwas Illegales zu tun, wenn er es
nur will. Viel wichtiger ist es, diese Verfehlungen rigoros
zu verfolgen und zu ahnden, damit die Ehrlichen eben
nicht die Dummen sind und sich auch nicht so fühlen.
Dabei ist aber die ganze Gesellschaft gefragt, und dazu
brauchen wir eine offene moralische Debatte.
Hier muss die Frage schon erlaubt sein, ob es vertret-
bar ist, jemanden medial zu hofieren, obwohl er aus rein
steuerlichen Gründen Deutschland den Rücken kehrt.
Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt, und sie darf
auch zu keinem werden. Nicht derjenige ist der Held, der
es schafft, den Staat zu hintergehen, sondern diejenigen
sind die Helden, die mit ihrem Beitrag diesen Staat tra-
gen. Das kann nicht genug betont werden.
Sie hatten im Ausschuss die Möglichkeit, für Ihren
Antrag zu werben und Argumente zu bringen, die eine
Zustimmung möglich gemacht hätten. Das ist Ihnen aus
vielen Gründen und vor allem wegen der stichhaltigen
Gegenargumente nicht gelungen. Deshalb werden wir
diesen Antrag wie auch schon im Ausschuss mit breiter
Mehrheit ablehnen.
Jetzt spricht für die FDP-Fraktion der Kollege Frank
Schäffler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir müssen uns heute mit einem Antrag der
Fraktion Die Linke beschäftigen, der das Welteinkom-
men eines deutschen Staatsbürgers unabhängig von sei-
nem Wohnsitz unbeschränkt steuerpflichtig machen will.
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ernsehsendungen über Auswanderungen erzielen die
esten Einschaltquoten. Das ist ein Alarmsignal für die-
es Land.
ffenkundig ist Deutschland kein attraktiver Standort
ehr für junge Menschen. Sie lassen sich nicht einsper-
en, sondern nutzen die Reisefreiheit, die ihnen eine glo-
alisierte Welt ermöglicht. Der fürsorgende Sozialstaat
at eben doch nicht die Ausstrahlkraft, die gerade die
inken propagieren.
Aber die Große Koalition lässt dies billigend zu, an-
tatt auf Ludwig Erhard, den parteilosen liberalen Wirt-
chaftsminister der Nachkriegszeit, zu hören, der gesagt
at:
Ich will mich aus eigener Kraft bewähren, ich will
das Risiko des Lebens selbst tragen, will für mein
Schicksal selbst verantwortlich sein. Sorge Du,
Staat, dafür, dass ich dazu in der Lage bin.
Es ist die vergessene Mitte, die in Deutschland ge-
chröpft wird. Diese Gruppe ist das Herzstück der Ge-
ellschaft. Das sind diejenigen Menschen, die morgens
m halb acht zur Arbeit gehen und abends wieder nach
ause kommen. Diese vergessene Mitte wird gerade von
er Großen Koalition alleingelassen.
Eine Alleinverdienerfamilie mit drei Kindern und ei-
em Einkommen von 40 000 Euro hat im Jahre 2008 ge-
enüber der Regierungszeit Schröder durch zusätzliche
teuern und Abgaben eine Mehrbelastung von über
500 Euro im Jahr.
as ist die Bilanz Ihrer bisherigen Regierungsarbeit.
Die Fleißigen sind in diesem Land die Dummen. Sie
eden von Mitarbeiterbeteiligung in Unternehmen und
ergreifen sich am hart verdienten Geld anderer Leute.
as ist die Verantwortung, die Sie von der Regierung zu
ragen haben. Sie befördern die soziale Staatswirtschaft
nd behindern die soziale Marktwirtschaft. Geben Sie
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11897
)
)
Frank Schäffler
den Bürgern durch eine umfassende Steuerreform für
alle Bürger in diesem Land endlich ihr Geld zurück!
Dann können Sie auch gleich das Steuerrecht verein-
fachen. Gestern hat der Normenkontrollrat seine Halb-
zeitbilanz vorgelegt. Konkret machen Sie beim Bürokra-
tieabbau zu wenig. Allein im letzten Jahr haben Sie das
Einkommensteuerrecht 13-mal geändert. Faktisch gab es
jeden Monat ein neues Einkommensteuergesetz. Das
macht deutlich, dass wir ein neues Steuerrecht brauchen.
Die Frühaufsteher in diesem Land müssen gefördert
werden.
Sie machen genau das Gegenteil: Erst atomisieren Sie
den Sparerfreibetrag, und dann besteuern Sie auch noch
die Kursgewinne. Die Folge ist: Wer in Deutschland
spart, ist der Dumme. Das ist eine zutiefst unsoziale Po-
litik.
Wir brauchen in diesem Land mehr Freiheit und we-
niger Staat. Dann bleiben die Menschen auch wieder im
Land. Dann kommen die Leistungsträger wieder zurück.
Dann verhallen die Kassandrarufe der Linken in diesem
Parlament.
Vielen Dank.
Jetzt hat Manfred Kolbe das Wort für die CDU-Frak-
tion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Mit dem heute diskutierten Antrag der Frak-
tion der Linken Steuerflucht wirksam bekämpfen erleben
wir ein Stück verkehrte Welt. Die Linke fordert auch für
die Bundesrepublik Deutschland die Einführung des un-
beschränkt geltenden Welteinkommensprinzips und be-
ruft sich dabei man höre und staune vor allem auf die
USA. Ich zitiere:
Diese vorgeschlagene Regelung ist in den USA
gängige Praxis und kann und sollte daher auch in
der Bundesrepublik Deutschland umgesetzt wer-
den.
Das sind wahrlich neue Töne, Herr Gysi. Bisher haben
Sie immer gesagt: Von der Sowjetunion lernen heißt
siegen lernen. Jetzt sind die USA an der Reihe.
Zunächst einmal möchte ich für meine Fraktion klar-
stellen: Was die Freundschaft zu den Vereinigten Staaten
betrifft, lassen wir uns nicht von Ihnen überholen.
Die Bundesrepublik Deutschland verdankt den Vereinig-
ten Staaten sehr viel. Ohne die USA hätte das freie Eu-
ropa nicht der Sowjetunion trotzen können, und ohne die
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und nicht solche, wie Sie sie vorschlagen.
Meine Damen und Herren von der PDS, lassen Sie
mich ein Argument vortragen, was vielleicht auch Sie
überzeugt. Viele Entwicklungsländer haben eine
schlechte Infrastruktur und schlechte Arbeitsbedingun-
gen. Jemand aus Europa, der zum Beispiel in Afrika ar-
beitet, etwa ein Arzt, unterliegt dort oftmals einer niedri-
geren Besteuerung. Entwicklungsländer setzen dieses
Instrument der niedrigeren Besteuerung teilweise gezielt
ein, um Investoren und Fachkräfte zu gewinnen. Wollen
wir Entwicklungsländern dieses Instrumentarium neh-
men, indem wir das Welteinkommen abschöpfen? Ich
glaube, das ist nicht der richtige Weg.
Danke.
Was also tun? Wir brauchen intelligente und unbüro-
kratische Lösungen, damit sich deutsche Spitzenverdie-
ner der Einkommensteuerpflicht nicht entziehen.
Erstens. Wir brauchen eine Steuerharmonisierung in
Europa. Wir in der Koalition haben damit begonnen. Die
europäische Zinsrichtlinie setzt eine Mindestbesteuerung
von Kapitaleinkünften durch. Die europäische konsoli-
dierte Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer
ist in Arbeit.
Zweitens. Wir müssen gegen Steueroasen vorgehen.
Für ein besonderes Ärgernis halte ich, dass es auch mit-
ten in Europa derartige Steueroasen gibt. Die Europäi-
sche Union ist gefordert, eine gleichmäßige Besteuerung
sicherzustellen.
Drittens. Wir brauchen daneben wettbewerbsfähige
Steuersätze in Deutschland. Auch auf diesem Gebiet hat
die Große Koalition einiges bewegt, meine Damen und
Herren von der FDP. Wir senken mit der Unternehmen-
steuerreform den nominalen Körperschaftsteuersatz
deutlich und vermindern damit auch das fiskalische Inte-
resse an Gewinnverlagerungen deutlich. Wir mindern
mit der Einführung der Abgeltungsteuer auf Kapitalein-
künfte auch das Interesse privater Anleger, ins Ausland
zu gehen.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir haben eini-
ges auf den Weg gebracht, um die Steuerflucht zu be-
kämpfen. Wir müssen aber noch viel tun. Ihr Weg ist der
falsche. Wir werden Ihren Antrag deshalb ablehnen.
Danke schön.
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Jetzt hat der Kollege Gregor Gysi das Wort für die
raktion Die Linke.
Der Tisch ist ein bisschen hoch; ich warte einmal, bis
r auf meine Länge reduziert ist.
Dafür gibt es an Ihrem Pult einen Knopf. Sie können
elbstbestimmt handeln. Jedem nach seinen Bedürfnis-
en!
Das ist ja wunderbar; dann mache ich es selber.
Fangen Sie nicht an, wie heute früh zu pöbeln. Ich
abe doch noch gar nichts gesagt.
Die Kolleginnen und Kollegen, die jetzt hier sind, in-
eressieren sich sicherlich alle für die Steuerflucht. Da-
er sollten Sie ein bisschen zur Ruhe kommen, auch
enn es vor namentlichen Abstimmungen etwas schwie-
ig ist. Sie sollten es wenigstens versuchen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
unächst nehme ich überrascht zur Kenntnis, dass Frau
iolka von der SPD mich nicht nur im Plenum, sondern
uch noch in den Ausschüssen zu sehen wünscht. Ich
erde darüber nachdenken.
Sie, Herr Kolbe, handeln nach einem berühmten
DR-Grundsatz: Überholen ohne einzuholen. Das
eht nun mit Sicherheit schief, wollte ich Ihnen nur sa-
en.
Herr Kollege, Frau Violka möchte Ihnen eine Zwi-
chenfrage stellen. Wollen Sie sie zulassen?
Aber selbstverständlich, Frau Violka.
Bitte schön.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11899
)
)
Mir ist es ein Bedürfnis, Sie zu fragen, ob Sie sich
noch daran erinnern können, dass Sie mir bei der ersten
Lesung angeboten haben, wir könnten dieses Thema im
Ausschuss erörtern. Deshalb habe ich mich darauf bezo-
gen.
Ich hatte Ihre Bemerkung verstanden. Aber Sie wis-
sen ja, welche Ausschussmitglieder wir haben, und die
wollten auch mit Ihnen darüber diskutieren. Aber wir
können auch gerne noch woandershin gehen und darüber
diskutieren; das macht mir gar nichts aus.
Da alle zu einem anderen Thema gesprochen haben,
möchte ich zum eigentlichen Thema zurückkehren. Es
geht um die Frage, ob deutsche Staatsangehörige, die
sich in einem anderen Land aufhalten und ihre Staatsan-
gehörigkeit behalten wollen, auch in Deutschland steuer-
pflichtig sind, selbstverständlich unter Anrechnung der
Einkommenssteuer, die sie in dem anderen Land bezah-
len. Es geht uns nur um die Differenz.
Deshalb wäre es auch kein Fall von Doppelbesteuerung.
Die Kleinigkeiten, die Sie bei hundert Abkommen än-
dern müssten, die jetzt ohnehin alle auf dem Prüfstand
stehen, können dies doch nicht ernsthaft verhindern.
Auch das Argument, dass es dann so viele Steuer-
flüchtlinge gebe, ist nicht zulässig. Ich bitte Sie, dann
müssten Sie ja den Diebstahl erlauben, weil so viel ge-
klaut wird.
Wenn man das Recht ändert, kann man immer davon
ausgehen, dass sich eine Mehrheit daran hält. Ihr Argu-
ment, dass dies so bürokratisch sei, kann ich nun über-
haupt nicht nachvollziehen. Jede Steuer ist irgendwie bü-
rokratisch. Aber hier ginge es nur darum, den Kreis
derjenigen, die steuerpflichtig sind, zu erweitern. Das ist
nun das Unbürokratischste, was man sich im Steuerrecht
vorstellen kann.
Ihr Argument, dass wir auch kleine Leute träfen, ist
albern. Für die kleinen Leute haben wir Freibeträge und
alles Mögliche vorgesehen. Nichts spricht dagegen. Ich
nenne Ihnen jetzt einmal den Fall, der für die Bürgerin-
nen und Bürger so ärgerlich ist, wobei es egal ist, ob ich
Schumi oder Beckenbauer nehme. Beckenbauer ist ein
großer Patriot, und er hat zum Beispiel bei der Fußball-
weltmeisterschaft viel geleistet. Er bekommt das Bun-
desverdienstkreuz, ist als Patriot aber nicht bereit, von
seinem Einkommen auch nur einen Euro Steuern in
Deutschland zu bezahlen.
Bei bestimmten Veranstaltungen sagt er noch, er müsse
schnell wieder nach Österreich. Er will keinen Tag län-
ger in Deutschland sein, weil sonst womöglich eine
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Außerdem können wir differenzieren, Herr Kolbe.
ir üben schwere Kritik an den USA. Aber diese Rege-
ung im Steuerrecht finden wir vernünftig, und das sagen
ir auch. Was ist daran so verwerflich? Ich kann es nicht
achvollziehen.
Nein, das ganze Problem ist, dass weder die FDP
och die Union möchte, dass solche reichen Leute hier
inen Euro Steuern zahlen, wenn sie woanders wohnen.
ber wir wollen, dass sie Steuern zahlen. Bei der FDP
nd der Union finde ich das noch verständlich. Aber
ass SPD und Grüne es auch nicht wollen, finde ich
iemlich unverständlich, wenn ich das einmal sagen
arf.
Wir haben ja auch Pflichten gegenüber deutschen
taatsangehörigen; das haben Sie hier völlig vernachläs-
igt. Es geht nicht nur um die Frage, Frau Violka, dass
ie in ihrer Jugend Schulen und sonst etwas in Anspruch
enommen haben. Wenn einem solchen Menschen etwas
assiert, dann greift unsere Bundesregierung ein. Wenn
r entführt wird, zahlen wir Lösegeld. Das ist alles rich-
ig; denn wir sind auch für den Schutz des Lebens deut-
cher Staatsangehöriger verantwortlich, die im Ausland
ohnen. Aber wenn wir dafür verantwortlich sind und
enn wir unsere Pflichten erfüllen, dann ist es auch
icht so schlimm, wenn diese Menschen die Einkom-
ensteuerdifferenz hier bezahlen, gerade dann, wenn sie
ur umgezogen sind, um diese Differenz nicht bezahlen
u müssen.
Um dieses Stück mehr Gerechtigkeit geht es. Ich ver-
tehe nicht, warum Sie nicht bereit sind, dieses Stück
ehr Gerechtigkeit herzustellen.
Christine Scheel spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grü-
en.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
err Gysi, ich glaube, dass es kaum jemanden gibt, der
icht der Meinung ist, dass man Steuerflucht wirksam
ekämpfen muss. Es gibt aber Vorschläge, die dazu nicht
eeignet sind, und das gilt auch für Ihren Vorschlag.
11900 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
Christine Scheel
Sie wollen auf diesen Punkt werde ich jetzt einge-
hen anstelle des Wohnsitzprinzips das Staatsangehö-
rigkeitsprinzip in das Steuerrecht einführen. Das klingt
im ersten Moment gar nicht so schlecht; es soll schließ-
lich das suggeriert Ihre Rhetorik der Bekämpfung der
Steuerflucht dienen, es wird nicht doppelt besteuert, das
Welteinkommen soll erfasst werden, und der Steuerbür-
ger soll unbeschränkt steuerpflichtig werden.
Praktisch gesehen würde das bedeuten, dass jemand,
der in Spanien arbeitet, zum Beispiel in der Touristik-
branche, seinen festen Wohnsitz in Spanien hat und
heute seine Steuern dort bezahlt, in Zukunft nach
Deutschland kommen müsste, um hier ein Finanzamt
aufzusuchen, sich noch einmal veranlagen zu lassen und
dementsprechend in Deutschland seine Steuern zu be-
zahlen. Wenn er das nicht machen würde, müsste er in
der Konsequenz das ist das Verrückte an Ihrem Vor-
schlag seinen Pass abgeben. Das bedeutet ganz kon-
kret, in Zukunft müssten nach dem Vorschlag der Links-
partei deutsche Staatsbürger, die mit einem deutschen
Pass im Ausland arbeiten und leben, ihren Pass abgeben,
wenn sie nicht ein Finanzamt in Deutschland aufsuchen.
Das ist absurd. Das ist ein Vorschlag, der in keiner Weise
mit unserer Realität zu vereinbaren ist.
Liebe Kollegin Scheel, möchten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Gysi zulassen?
Ja.
Selbst für den Fall einer Steuerverkürzung, Frau Kol-
legin, hat niemand von uns gefordert, dass jemand sei-
nen deutschen Pass abgeben muss. Im Übrigen kann er
seine Steuererklärung aus Spanien einfach nach
Deutschland schicken, um sein Einkommen anzugeben
und die Höhe der Steuer ermitteln zu lassen. Das geht
per Post; dazu muss er nicht anreisen und das Finanzamt
aufsuchen. Ich weiß nicht, welche Vorstellungen Sie von
der globalisierten Welt haben.
Herr Kollege Gysi, stellen Sie sich das einmal prak-
tisch vor: Wenn man das administrierbar machen wollte,
würde das bedeuten, dass die Finanzbeamten in alle Län-
der dieser Welt reisen müssten, um zu schauen, ob ir-
gendwo deutsche Staatsbürger leben, die dort ihre Steu-
ern bezahlen und in Deutschland kein Geld verdient
haben. Das ist doch absurd. Sie können das nicht admi-
nistrieren.
Deswegen ist dieser Vorschlag nicht nur finanztech-
nisch gesehen Quatsch, sondern leider auch in politischer
Hinsicht realitätsfremd. Denn im Rahmen des europäi-
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Auch wir Grünen wollen natürlich erreichen, dass
teuerflucht bekämpft wird. Aber wir wollen im Gegen-
atz zu Ihnen eine andere Methode. Dazu haben wir ei-
en Antrag vorgelegt. Nach unserer Methode sollen nur
ie Menschen besteuert werden, die ihren Wohnsitz in
eutschland haben. Das würde nach der Anrechnungs-
ethode funktionieren. Man kann das auch das klingt
ompliziert; deswegen führe ich es nicht aus im Dop-
elbesteuerungsabkommen festlegen. Das wäre eine
öglichkeit, das Welteinkommensprinzip zu berück-
ichtigen, allerdings unter Heranziehung des Wohnsitzes
nd nicht der Nationalität. Ich will keine Staatsangehö-
igkeitsdebatte oder Passdebatte führen, sondern ich
öchte eine Debatte über eine bessere Steuermoral im
ahmen einer offenen Weltwirtschaft führen. Das ist un-
er Ansatz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
ussprache.
Ich bitte Sie, noch einen Moment auf Ihren Plätzen zu
erharren. Bevor wir nämlich mit der namentlichen Ab-
timmung beginnen, komme ich noch einmal zurück auf
ie Tagesordnungspunkte 33 h und 33 k. Es handelt sich
m die Abstimmung über zwei Beschlussempfehlungen
es Petitionsausschusses zu Sammelübersichten, über
ie heute Mittag versehentlich nicht abgestimmt wurde.
ies holen wir jetzt nach.
Tagesordnungspunkt 33 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 265 zu Petitionen
Drucksache 16/6351
Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? Enthal-
ungen? Damit ist die Sammelübersicht 265 einstim-
ig angenommen.
Tagesordnungspunkt 33 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 268 zu Petitionen
Drucksache 16/6354
Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? Enthal-
ungen? Die Sammelübersicht ist mit den Stimmen der
)
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11901
)
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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenom-
men.
Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Fi-
nanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke
mit dem Titel Steuerflucht wirksam bekämpfen. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/5673, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 16/2524 abzulehnen. Die Fraktion Die
Linke verlangt hierzu namentliche Abstimmung. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, jetzt ihre
Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? Das
scheint der Fall zu sein.
Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? Dann schließe ich jetzt
die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der na-
mentlichen Abstimmung wird Ihnen, wie gewöhnlich,
später bekanntgegeben.1)
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 10 a bis 10 c
auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Jahressteuergesetzes
2008
Drucksache 16/6290
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE
Entfernungspauschale vollständig anerken-
nen Verfassungsmäßigkeit und Steuerge-
rechtigkeit herstellen
Drucksache 16/6374
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Werner
Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Heimliche Steuererhöhungen vermeiden In-
flation im Steuerrecht berücksichtigen
Drucksache 16/6037
Für die Aussprache ist eine halbe Stunde vorgesehen.
Sind Sie damit einverstanden? Dann ist das so be-
schlossen.
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b1) Ergebnis Seite 11903
m die Schaffung von mehr Steuergerechtigkeit auch
urch die Bekämpfung von Missbrauch und schließ-
ich um die Erleichterung im Lohnsteuerverfahren. Ich
erde auf fünf Punkte näher eingehen, nämlich erstens
uf die Einführung von elektronischen Verfahren der Da-
enermittlung und -übermittlung, zweitens auf die Miss-
rauchseindämmung durch eine Neufassung des § 42 AO,
rittens auf die Einführung des Anteilsverfahrens für be-
ufstätige Ehegatten, viertens auf die Ablösung des un-
ersteuerten Eigenkapitals EK 02 und fünftens auf die
npassung der Umsatzsteuerbefreiung der Leistungen
er Kinder- und Jugendhilfe.
Die Sonne scheint so schön herein, dass ich einen
latz an der Sonne habe. Ist Ihnen das schon aufgefal-
en? Das ist bestimmt ein gutes Zeichen für das Gesetz.
Daran wage ich zu zweifeln.
Erstens. Dort, wo durch den Einsatz der neuen Me-
ien Bürokratieaufwand vermieden werden kann, sollten
ir das auch nutzen. Das elektronische Verfahren zur
bermittlung der Lohnsteuerdaten wird überflüssig ge-
ordene Arbeit bei Arbeitnehmern, Arbeitgebern und
en Finanzbehörden sparen und Verfahrenskosten sen-
en. Vergleichbare Systeme gibt es erfolgreich bereits in
inigen Nachbarländern, beispielsweise in den Nieder-
anden und in Dänemark. Deshalb sollte dieser Punkt un-
trittig sein. Die Einwände, die sich auf den Datenschutz
eziehen, nehmen wir natürlich sehr ernst. Aber ich bin
11902 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Gabriele Frechen
mir sicher, dass wir diese im Verfahren ausräumen kön-
nen.
Zweitens. Die Vermeidung unerwünschter Steuerge-
staltung und Steuerumgehung, das Schließen von Steuer-
schlupflöchern und die Verhinderung von Missbrauch
sind für mich wesentliche Beiträge zur Schaffung von
Steuergerechtigkeit. Nur wenn die Menschen wissen,
dass alle Steuerpflichtigen gleichmäßig und nach Maß-
gabe ihrer Leistungsfähigkeit besteuert werden, können
wir zwischen Steuerbürgern und Staat Vertrauen erwar-
ten.
Die Koalition befindet sich diesbezüglich zwar auf ei-
nem guten Weg, aber jedes neue Modell zur Steueropti-
mierung erzeugt, wenn es als Missbrauch angesehen
wird, eine Reaktion des Gesetzgebers. Das komplizierte
Steuerrecht wird dadurch natürlich nicht einfacher, und
ausgerechnet diejenigen, die die Kompliziertheit immer
wieder beklagen, müssen sich in diesem Zusammenhang
die immerwährende Henne-oder-Ei-Frage stellen.
Die Möglichkeiten des materiellen Steuerrechts,
Missbrauch zu verhindern, sind endlich. Deshalb gab
und gibt es den § 42 Abgabenordnung. Mit der Ände-
rung werden wir gesetzlich verankern, dass eine Gestal-
tung nur dann zulässig ist, wenn es beachtliche außer-
steuerliche Gründe gibt. Das alte Motto Ein Geschäft
wird erst dann ein Geschäft, wenn man gegenüber dem
Finanzamt nachweist, dass es keines war, soll seine
Gültigkeit verlieren, und das zu Recht.
Gestern erzählte uns ein ziemlich liberaler Kollege,
dass es zum Wesen des Innovationsstandorts Deutsch-
land gehören müsse, Missbrauch im Steuerrecht zuzulas-
sen. Diese Kreativität sei ein Spiegel der Innovationsfä-
higkeit unseres Landes. Unter Kreativität und
Innovationsfähigkeit verstehe ich etwas anderes.
Nun mag es ja sein, dass meine Definition nicht die al-
lein seligmachende ist, die des Kollegen ist es aber ga-
rantiert nicht.
Drittens möchte ich auf die Einführung des Anteils-
verfahrens beim Lohnsteuerabzug für berufstätige Ehe-
gatten eingehen. Bisher können sie zwischen den
Lohnsteuerklassenkombinationen IV/IV und III/V wäh-
len. Bei der Kombination IV/IV werden beide Ehegatten
unabhängig voneinander nach ihrem jeweiligen Einkom-
men besteuert. Bei der Lohnsteuerklassenkombina-
tion III/V wird der Ehegatte mit Steuerklasse V zu
90 Prozent handelt es sich um Frauen im Verhältnis
zum Einkommen unterjährig deutlich zu hoch besteuert.
Die Steuerklasse V wird deshalb häufig als diskriminie-
rend empfunden und als negativer Arbeitsanreiz angese-
hen.
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azu gehört auch die Hilfe für Kinder und Eltern, um sie
n Lebenskrisen zu unterstützen. Ich halte es für wichtig,
ass wir auf die veränderten Anforderungen und die ver-
nderten Trägerstrukturen reagieren und die Steuerbe-
reiung insoweit ausdehnen.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11903
)
(D)
Gabriele Frechen
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 545;
davon
ja: 499
nein: 46
enthalten: 0
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer
Dirk Fischer
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
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r. Michael Fuchs
ans-Joachim Fuchtel
r. Jürgen Gehb
orbert Geis
berhard Gienger
alf Göbel
osef Göppel
eter Götz
r. Wolfgang Götzer
te Granold
einhard Grindel
ichael Grosse-Brömer
arkus Grübel
anfred Grund
onika Grütters
r. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
lav Gutting
olger Haibach
erda Hasselfeldt
da Carmen Freia Heller
ichael Hennrich
ürgen Herrmann
ernd Heynemann
rnst Hinsken
obert Hochbaum
laus Hofbauer
ranz-Josef Holzenkamp
oachim Hörster
nette Hübinger
ubert Hüppe
usanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Noch einen Satz zum Antra
sungsmäßigkeit der Änderung
schale, der heute mitberaten w
Haltung zu dieser Änderung n
meine Bedenken habe ich auch
gemeldet. Sie können im Protok
Letztendlich entscheiden jetzt
noch der Bundesfinanzhof darü
ist, sondern das Verfassungsger
Mutmaßungen sind hier überha
tte wissentlich gegen die
odenlose Frechheit.
neten der SPD)
ndesregierung, des Bun-
Sachverständige, darun-
iversität Bayreuth, haben
sfest angesehen. Dass es
t völlig unstrittig.
: Was machen Sie
aber weder Sie noch ich
ber, was verfassungsfest
icht. Unterstellungen und
upt nicht angebracht.
Was passiert jetzt?)
fest, dass wir mit dem
tzes der Forderung, ein
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ahrens- und Arbeitsabläufe erl
ungsfreien Zugang für Frauen
est steuerrechtlich herstellen
ert, muss in den Köpfen pas
ämpfung von Steuerschlupflö
ehen. Man muss jedem Hinde
eit und eine sanfte Stimme en
homas Jefferson. Ich hoffe, d
em Sinne freue ich mich auf k
useinandersetzungen im Auss
Herzlichen Dank.
ring-Eckardt:
Tagesordnungspunkt 9,
hrerinnen und Schriftfüh-
mentlichen Abstimmung
des Finanzausschusses zu
r. Gregor Gysi, Dr. Barbara
eiterer Abgeordneter der
eben: abgegebene Stim-
err Fuchtel nicht hier. Wir
. Wir sind uns jetzt einig.
Nein haben gestimmt 46.
Beschlussempfehlung ist
11904 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Laurenz Meyer
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Hildegard Müller
Carsten Müller
Stefan Müller
Bernward Müller
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht
Peter Rzepka
Anita Schäfer
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt
Andreas Schmidt
Ingo Schmitt
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
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Patrick Meinhardt
lleginnen und Kollegen!
inisterium der Finanzen
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erren von der Regierung,
ert, dass Sie die Stirn be-
stag ein Gesetz vorzule-
pensammler bezeichnen.
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en. Wir haben offensichtlich
esammelten Lumpen hier zu b
ekommen. Sie legen uns
chtsänderungen vor. Das
Ein Steuerrecht, das all-
flickt werden muss, kann
13-mal in 2006!)
zentwurf wieder einmal:
eformregierung.
er FDP)
Dr. Rainer Wend Burkhardt Müller-Sönksen
Undine Kurth Dr. Lukrezia Jochimsen
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
Miriam Gruß
Joachim Günther
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger
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An einigen Stellen legen Sie durchaus Vereinfachungen
auf den Tisch. Das erkennen wir ausdrücklich an.
Wenn Sie aber einmal genau hinschauen, erkennen
Sie ganz schnell das Problem: Ihre Vereinfachungen hel-
fen vor allen Dingen der Verwaltung; für die Bürgerin-
nen und Bürger bieten Sie reichlich wenig.
Die Bürgerinnen und Bürger sind in den Augen der
Großen Koalition offenbar vor allem potenzielle Steuer-
hinterzieher. Ein Generalverdacht gegen jeden Steuer-
zahler in diesem Land zieht sich wie ein roter Faden
durch diesen Gesetzentwurf.
Nehmen wir die Steueridentifikationsnummer. Ich
frage Sie: Welchen konkreten Nutzen sollen die Bürge-
rinnen und Bürger davon haben? Sie gehen hier gezielt
den Weg zum allwissenden Staat und greifen Schritt
für Schritt immer tiefer in die Privatsphäre der Men-
schen ein.
Die Verwaltung hat es dadurch leichter; aber die Bürger
laufen Gefahr ich zitiere den Bundesbeauftragten für
den Datenschutz , dass der Staat die Informationen
schon bald für nichtsteuerliche Zwecke missbraucht und
auch andere Behörden auf die Daten zugreifen.
Nach der gläsernen Wohnung haben Sie das gläserne
Bankkonto geschaffen. Sie wollen den gläsernen Com-
puter.
Jetzt fordern Sie den gläsernen Steuerbürger. All das
mag im Interesse Ihrer politischen Absichten liegen; es
liegt aber ganz sicher nicht im Interesse der Bürgerinnen
und Bürger dieses Landes.
Das Gleiche gilt für die Neufassung des § 42 der Ab-
gabenordnung. Sie stellen mit dieser Regelung die Steu-
erzahler in Deutschland unter Generalverdacht.
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)
Die Finanzverwaltung braucht eine schärfere Waffe
gegen die nicht enden wollenden missbräuchlichen Steu-
ergestaltungen.
Aber ich sage ganz deutlich: Eine solche Regelung muss
verfassungsrechtlich einwandfrei sein, und sie muss un-
ter Berücksichtigung unserer rechtsstaatlichen Prinzi-
pien erfolgen.
Eine völlige Beweislastumkehr zuungunsten des Steuer-
bürgers ist mit uns nicht zu machen.
Nichtsdestotrotz benötigen wir eine Art Generalklausel
gegen den Missbrauch von Steuergestaltungsmodellen.
Das wäre sozusagen der Schlussstein in unserem Kampf
gegen missbräuchliche Steuergestaltungen und damit für
mehr Steuergerechtigkeit.
Wir haben in den letzten Jahren viele Verlustzuwei-
sungsmodelle ausgetrocknet, und das zu Recht; ein
Großteil der jetzigen Steuermehreinnahmen ist auch da-
rauf zurückzuführen. Allerdings kann man es keinem
Steuerbürger verwehren, seine rechtlichen Verhältnisse
so zu gestalten, dass sich für ihn eine verhältnismäßig
geringe Steuerlast ergibt;
as ist legitim und niemandem zu verdenken, wenn man
it berücksichtigt, dass man frühestens Anfang Juli ei-
es Jahres durch die eigene Arbeit den ersten ganzen
uro erwirtschaftet hat, der in das eigene Portemonnaie
ließt.
Uns geht es um die Ausschaltung von Missbrauch.
as Hase-und-Igel-Spiel zwischen der Steuerverwaltung
nd einigen wenigen Steuerbürgern ist wirklich leidig.
an kann das, wie ich meine, auch nicht mehr sportlich
ehen. Wenn wir das zukünftig vermeiden und für eine
leichmäßigere und dadurch gerechtere Besteuerung in
iesem Land sorgen wollen, dann brauchen wir vor al-
em drei Dinge:
Wir brauchen eine erträgliche Steuerlast, die dazu
otiviert, Steuern hier zu zahlen.
Wir brauchen ein einfacheres und damit gerechteres
teuerrecht.
Das war Punkt eins. Sie haben nicht zugehört.
Wir brauchen eine Anpassung von § 42 AO. Aller-
ings ich sage es noch einmal stellt die jetzt vorlie-
ende Änderung bereits eine brauchbare Diskussions-
rundlage dar.
Wir wollen vor allem die Ursachen und nicht die
ymptome bekämpfen. Wenn man sich die Vorschläge
on Gunnar Uldall, Friedrich Merz und Paul Kirchhof
nsieht,
ann kann man nur sagen: Sie dürfen nicht in den Anna-
en der Reformpolitik des deutschen Steuerrechts landen.
ir müssen vielmehr in allen steuerpolitischen Diskus-
ionen daran erinnern, dass wir Vereinfachungen brau-
hen.
Solange wir uns immer wieder in der Reparaturwerk-
tatt unseres Steuerrechts wiederfinden, müssen wir uns
eider mit Bordmitteln behelfen. Das gilt auch für die
om Bundesrat vorgeschlagene Anzeigepflicht bei Steu-
rgestaltungsmodellen. Schon in meiner Rede zum Jah-
essteuergesetz 2007 habe ich mich für eine vertretbare
nzeigepflicht bei Steuergestaltungsmodellen ausge-
prochen.
b der jetzt gemachte Vorschlag des Bundesrats, das im
ahmen des Jahressteuergesetzes 2008 zu regeln, prakti-
abel ist, werden die weiteren Beratungen zeigen.
Manch einer hält einige der geplanten Änderungen
nd Anpassungen für eine Verkomplizierung unseres
teuerrechts.
11908 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Olav Gutting
Dies mag im Einzelfall sogar zutreffend sein, ist aber,
wenn man im System bleibt, in Anbetracht des ständigen
Flusses der Rechtsprechung und aufgrund notwendiger
Anpassungen an die Realität schlicht unumgänglich.
Wir sehen im Jahressteuergesetz 2008 aber auch Ver-
einfachungen: Mit der Einführung der elektronischen
Lohnsteuerabzugsmerkmale, mit dem Wegfall der Pa-
pierlohnsteuerkarte und mit der Umstellung der Anmel-
dung zur Kapitalertragsteuer auf das elektronische Ver-
fahren wird dem Stand der Technik Rechnung getragen.
Den Unternehmen und den Steuerbürgern, welche im
täglichen Leben überwiegend ganz selbstverständlich
mit dem Computer umgehen und bereits heute ihre
Lohnsteuererklärung über die Elster-Schnittstelle ver-
schicken, ist nicht mehr zu vermitteln, warum wir jedes
Jahr noch 40 Millionen Lohnsteuerkarten aus Karton
verschicken.
Das neue Verfahren vermeidet unnötige Fehlerquellen
und trägt nicht nur zu erheblicher Entlastung des Steuer-
zahlers von Bürokratie bei, sondern es entlastet vor al-
lem auch die Finanzverwaltung. Im weiteren Gesetzge-
bungsverfahren die Kollegin Frechen hat es schon
angesprochen müssen wir peinlichst darauf achten,
dass die datenschutzrechtlichen Bestimmungen in die-
sem Fall eingehalten werden und nur berechtigte Perso-
nen Zugriff auf diese Daten erhalten. Aber wir müssen
die Diskussion auch versachlichen: Die Finanzverwal-
tung hat auch nach der Einführung der elektronischen
Lohnsteuerabzugsmerkmale nur die Daten, die sie schon
heute hat, nämlich die, die auf der Lohnsteuerkarte ein-
getragen sind.
Lassen Sie uns also im weiteren Verfahren dafür sorgen,
dass eine missbräuchliche Verwendung dieser Daten
ausgeschlossen ist! Dann sind wir, glaube ich, auf dem
richtigen Weg.
Eine weitere Neuerung, bei der es Erörterungsbedarf
gibt, stellt die geplante Einführung des Anteilsverfah-
rens dar. Bei diesem Anteilsverfahren soll das tatsächli-
che Verhältnis der insgesamt zu entrichtenden Lohn-
steuer in der Lohnsteuerkarte eingetragen werden. Das
Ziel ist klar: Wir wollen den Ehegatten mit dem geringe-
ren Einkommen das ist meist die Frau entlasten und
wollen, dass auch ein kleines Einkommen eine Berufstä-
tigkeit rentabel macht. Insgesamt ist diese neue Option
zu begrüßen; das hat ja auch die Opposition erkannt.
Die Teilnahme am Anteilsverfahren erfolgt freiwillig.
Deswegen, meine ich, sind auch die Probleme beim Da-
tenschutz beherrschbar. Wir werden das noch genau an-
sprechen.
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Nun ist der Omnibus eigentlich schon ganz gut ge-
üllt. Sie haben es vorhin gesagt: Über 200 Einzelsitze
ind schon belegt. Um es mit den gestrigen Worten des
ollegen Schick zu sagen: Dennoch sind offensichtlich
och ein paar Plätze frei. Einen sollten wir dabei für die
ewahrung des Hausbankprinzips reservieren, für die
icherung des Geschäftsmodells vieler Banken und
parkassen in unserem Land, die Finanzierung und Geld-
nlage aus einer Hand, vom selben Kreditinstitut, anbie-
en. Hier greift die Regelung des § 32 d Einkommen-
teuergesetz in das sogenannte Hausbankprinzip ein.
iese ungewollte Folge bei den Einschränkungen bei der
bgeltungsteuer sollten wir möglichst bald korrigieren.
Auch der Nachtrag zur REITs-Gesetzgebung zur Ver-
eidung der Doppelbesteuerung bereits belasteter Ein-
ünfte steht an der Bushaltestelle und wartet. Packen
irs gemeinsam an! Auf gute Beratungen!
Jetzt hat das Wort die Kollegin Dr. Barbara Höll für
ie Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ieber Herr Gutting, Frau Frechen, Sie haben leider
icht bemerkt, dass Ihr Omnibus inzwischen eine rote
skorte bekommen hat.
emeinsam mit dem Jahressteuergesetz 2008 beraten
ir zwei Anträge der Linken,
ie Ihnen die Möglichkeit geben, Fehler, die gemacht
urden, zu heilen. Wir fungieren gerne mal als Erste
ilfe.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11909
)
)
Dr. Barbara Höll
Vielleicht haben Sie dann tatsächlich einmal so viel Ein-
sicht, diese Eskorte in den Bus zu bitten und entspre-
chende Änderungen vorzunehmen.
Wir schlagen Ihnen in dem ersten Antrag vor, die Ent-
fernungspauschale vollständig anzuerkennen sowie die
Verfassungsmäßigkeit und Steuergerechtigkeit wieder-
herzustellen. Es bietet sich geradezu an, diese Änderun-
gen im Jahressteuergesetz 2008 aufzugreifen. Es geht
um nicht mehr, aber auch um nicht weniger als darum,
die steuerliche Absetzbarkeit der Fahrten zwischen der
Wohnung und der Arbeitsstätte als Werbungskosten oder
als Betriebsausgaben für Selbstständige sofort und in
voller Höhe wieder einzuführen.
Es ist allen hier im Hause bekannt, dass die Nichtbe-
achtung der ersten 20 Kilometer bei der Entfernungspau-
schale zu einer Mehrbelastung sehr vieler Haushalte ge-
führt hat. Jährlich entsteht dadurch eine Mehrbelastung
zwischen 300 und 500 Euro. Außerdem stellt das de
facto auch wieder eine Reduzierung auf ein Verkehrsmit-
tel dar, nämlich im Wesentlichen auf den privaten Pkw;
denn vorher war die Anerkennung immerhin verkehrs-
mittelunabhängig. Es galt also auch der Fuß- oder der
Radweg.
Bei dem, was Sie gemacht haben und wo eine Ände-
rung nottut, ist eines allerdings wirklich fatal, dass Sie
nämlich das Werktorprinzip einführen wollen, was der
Finanzminister in der vorigen Woche begründet hat. Im
Jahre 2002 hat Ihnen das Bundesverfassungsgericht hin-
sichtlich der zeitlichen Begrenzung der steuerlichen Ab-
setzbarkeit der doppelten Haushaltsführung noch einmal
eindeutig bestätigt, dass alle Ausgaben, die ein Indivi-
duum tätigt, um Einkommen zu erzielen, steuerlich gel-
tend gemacht werden können. Dieses Prinzip gilt.
Damals haben Sie versucht, dieses Prinzip bei der
doppelten Haushaltsführung einzugrenzen. Jetzt versu-
chen Sie es bei der Entfernungspauschale und hoffen,
das noch fortführen zu können. Wenn Sie das Prinzip
einmal durchbrochen haben, dann können wir uns alle
hier im Hause ausrechnen, dass weitere soziale Belas-
tungen anstehen. Als Nächstes wollen Sie vielleicht die
Absetzbarkeit der Ausgaben für Fachbücher und die Ab-
setzbarkeit der Telefonkosten sowie der Anschaffungs-
kosten von Fahrzeugen, die zum Teil geltend gemacht
werden können, streichen. Selbstständige betrifft dies al-
les in einem noch viel höheren Maße. Das lehnen wir ab.
Kehren Sie deshalb um! Nutzen Sie jetzt die Möglich-
keit, das zu tun!
Als Zweites haben wir Ihnen vorgeschlagen, auf die
heimlichen Steuererhöhungen zu verzichten und die In-
flation im Steuerrecht zu berücksichtigen. Viele Bürge-
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enn der erwerbsbedingte Mehrbedarf wird bei der So-
ialhilfe mitberechnet. Wenn die Vorschriften zur Entfer-
ungspauschale nicht geändert werden und wenn die In-
lation nicht berücksichtigt wird, dann geraten die
enschen, die ein niedriges Einkommen haben, in die
ituation, dass das Existenzminimum, das steuerfrei ge-
tellt werden soll, nicht mehr steuerfrei ist.
Noch ein Wort zum Anteilsverfahren und zu den Ein-
endungen, die bereits erhoben wurden. Da das daten-
chutzrechtlich sehr kompliziert ist und da schon sehr
iel Kritik zu hören ist, frage ich mich, wohin die Koali-
ion will.
Am gestrigen Tage hat die Familienministerin eine
mwandlung des Ehegattensplittings in ein Familien-
plitting angekündigt. Im nächsten Jahr gehen wir also
en Schritt in Richtung Anteilsverfahren, danach führen
ir das Familiensplitting durch und dann immer weiter.
eien Sie doch konsequent und wandeln Sie das Ehegat-
ensplitting um, damit nur noch das steuerfreie Existenz-
inimum gegenseitig berücksichtigt wird!
Frau Kollegin.
Die Mehreinnahmen nutzen wir, um das Kindergeld
uf 250 Euro zu erhöhen.
Ich danke Ihnen.
Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege
r. Gerhard Schick das Wort.
11910 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte nur auf zwei der vielen Regelungen eingehen,
die im Jahressteuergesetz 2008 zu finden sind. Die eine
betrifft die Missbrauchsbekämpfung, die andere das An-
teilsverfahren bei den Lohnsteuerklassen.
Herr Wissing, Sie haben gefragt, was im Interesse der
Bürgerinnen und Bürger liegt. Sie haben dabei verges-
sen, dass die meisten Bürgerinnen und Bürger ein gestei-
gertes Interesse daran haben, dass wir den Missbrauch
von Steuergestaltungen bekämpfen; denn die meisten
Bürger wollen ehrlich ihre Steuern zahlen und nicht die
Steuerlast derjenigen mittragen, die unser Steuersystem
ausnutzen.
Genau deswegen ist es wichtig, dass wir den Missbrauch
ernsthaft bekämpfen.
Dass zu dem Missbrauch im Einzelnen keine Zahlen-
angaben vorliegen das haben Sie angeführt , stellt
kein überzeugendes Argument dar. Sie haben aber zu
Recht die Frage der Bürokratie angesprochen. Wir schla-
gen insofern ein System vor den Vorschlag haben wir
im Übrigen schon vor einem Jahr gemacht , das eine
andere Handhabung vorsieht.
Herr Dr. Schick, möchten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Wissing zulassen?
Das können wir gerne tun.
Bitte schön.
Herr Kollege Schick, teilen Sie meine Auffassung,
dass man, wenn man Missbrauch bekämpfen will, zu-
nächst einmal feststellen muss, ob Missbrauch vorliegt,
und dass es nicht überzeugend ist, wenn eine Bundesre-
gierung erklärt, es lägen keinerlei Erkenntnisse über den
Umfang des Missbrauchs durch Verletzungen des § 42
Abgabenordnung vor, und man gleichzeitig darangeht,
den Missbrauch zu bekämpfen? Das ist eine Diskrepanz.
Teilen Sie meine Auffassung, dass das keine konse-
quente und logische Politik ist?
Herr Wissing, ich teile Ihre Auffassung nicht. Denn
die Tatsache, dass etwas gegeben ist, ist etwas anderes
als die Tatsache, ob man das im Detail nachweisen kann.
Für Missbrauch, Schwarzarbeit und Ähnliches ist ty-
pisch, dass wir den Umfang nicht im Detail nachweisen
können.
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Unsere Autobahnen sind die sichersten Straßen
Deutschlands. Wir verfügen in Deutschland über das
größte Autobahnnetz in Europa. Die Autobahnen sind
unsere Hauptschlagadern im Straßennetz mit über
30 Prozent der Fahrleistung. Es ereignen sich auf den
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)
Das ist umso überraschender, wenn Sie sich einmal
emühen, die Historie dieser Debatte aufzuarbeiten. Seit
er 10. Wahlperiode erblickt regelmäßig ein Antrag die-
er Art das Licht dieses Saales bzw. in Bonn eines ande-
en Saales. Der Beginn war am 26. Oktober 1983 mit ei-
em Antrag von Frau Beck-Oberdorf, einem gewissen
errn Otto Schily und einer Frau Kelly sowie der Frak-
ion Die Grünen.
otmaßnahmen gegen das Waldsterben durch Ge-
chwindigkeitsbegrenzungen bei Kraftfahrzeugen, so
ieß es damals. Seitdem haben bis zur Regierungsüber-
ahme durch Rot-Grün im Jahr 1998 57 parlamentari-
che Initiativen in diesem Hause so viel Widerhall ge-
unden, dass sie immer wieder abgelehnt wurden,
nsbesondere die vielen Anträge der sozialdemokrati-
chen Fraktion in der 10., 11. und 12. Wahlperiode.
aum regierte Rot-Grün, die glühendsten Befürworter
on Tempolimits, ebbte die parlamentarische Arbeit auf
iesem Gebiet schlagartig ab. In beiden Wahlperioden,
n denen Rot-Grün regierte, gab es außer zwei Anträgen
er PDS keine weitere Initiative zu diesem Thema.
Nun kann man sagen, dass die Sozialdemokratie in
en Wahlperioden 10 bis 13 so viel dazugelernt hat, dass
ie dieses Thema nicht weiterverfolgte, als sie Verant-
ortung hatte. Dazu kann man nur herzlich gratulieren.
arum?
Das Argument der Verkehrssicherheit ist schlicht eine
ehauptung, die durch einfache Fakten widerlegt wer-
en kann.
5 Prozent aller tragischen Unfälle mit Todesfolge wer-
en auf Straßen mit einem generellen Tempolimit ver-
eichnet, nämlich außerorts auf Bundesstraßen. Dort gilt
empo 100, wie wir alle wissen.
Das sind keine Autobahnen. Das ist doch der entschei-
ende Punkt. Daraus wird deutlich, dass auf weniger
ls der Hälfte des deutschen Autobahnnetzes, auf der
och kein Tempolimit gilt, die Verkehrsgefährdung so
roß nicht sein kann. Oder gibt es irgendeinen Verkehrs-
inister, egal welcher Couleur, von dem Sie glauben,
ass er eine Tempobeschränkung nicht einführen würde,
enn es zu Unfallschwerpunkten auf Autobahnteilab-
chnitten ohne Tempolimit gekommen wäre?
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11913
)
)
Patrick Döring
Ich glaube, diesen Verkehrsminister gibt es nicht, weder
bei den Sozialdemokraten noch bei den Grünen, auch
nicht bei den Christdemokraten und den Liberalen. Denn
jeder Verkehrsminister führt auf Autobahnen Tempoli-
mits ein, wenn es notwendig ist und verstanden wird.
Bleibt das ökologische Argument wie Waldsterben
oder andere Punkte.
Klimawandel. Dazu gibt es eine Untersuchung des
Vereins Deutscher Ingenieure, die das Gutachten des
Umweltbundesamtes zerpflücken, weil das Umweltbun-
desamt fälschlicherweise davon ausgeht, dass jeder, der
auf einem nicht limitierten Autobahnteilstück fährt,
schneller als 120 oder 130 Stundenkilometer fährt. Das
ist aber gar nicht der Fall; die meisten von uns nehmen
das in der Realität auch wahr. Weit weniger als die
Hälfte aller Verkehrsteilnehmer fährt auf den Teilstre-
cken, auf denen keine generellen Tempolimits gelten,
aus welchen Gründen auch immer, mehr als 120 oder
130 Stundenkilometer. Das heißt, am Ende könnte im
Pkw-Verkehr vielleicht ein Einspareffekt von
0,08 Prozent des Gesamtausstoßes von CO2 erzielt wer-
den, so der Verein Deutscher Ingenieure, die ich für
Fachleute halte, auch wenn andere das nicht so sehen.
Nun mögen die Grünen sagen: Warum nicht? Das ist
immerhin etwas. Einverstanden. Ich glaube aber, dass
es zu dieser Minderung überhaupt nicht kommt, weil die
Fahrerinnen und Fahrer, wie es Herr Kollege
Vogelsänger gesagt hat, kein Verständnis haben werden
für Tempolimits auf Streckenabschnitten, die wenig be-
fahren werden, oder für Tempolimits in der Nacht und
am frühen Morgen.
Frau Präsidentin, ich bitte um Entschuldigung. Ich
komme gleich zum Schluss. Bleibt als drittes Argu-
ment die Behauptung: Wenn wir ein generelles Tempoli-
mit haben, dann werden sich die Exportfahrzeuge so ver-
ändern nämlich leichter werden und abgerüstet
werden; gelegentlich hört man diesen martialischen Be-
griff , dass wir insgesamt etwas erreichen.
In die USA exportiert die Automobilindustrie dieses
Landes erfolgreich Fahrzeuge man darf sie dort zwar
nie ausfahren, was allerdings nichts mit der Motorisie-
rung zu tun hat wegen einer überzeugenden Technik
und wegen überzeugender Sicherheitsanforderungen.
Alle Ihre Argumente sind nicht überzeugend. Deshalb
schließen wir uns der Beschlussempfehlung an.
Herzlichen Dank.
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ie möchten gerne Tempolimits auf Autobahnen haben,
egrenzt entweder auf 120 oder 130 Stundenkilometer.
er Kollege Döring hat soeben festgestellt, wie lange
ir hier in diesem Hause schon über dieses Thema spre-
hen. Angesichts dessen wäre ein zwischen den beiden
ppositionsfraktionen abgestimmter Antrag gar nicht so
alsch gewesen.
Zur Einführung eines generellen Tempolimits stelle
ch Folgendes fest: Unsere Autobahnen sind die sichers-
en Straßen Deutschlands. In Schleswig-Holstein habe
ch nur noch selten die Gelegenheit, zu rasen, wie Sie sa-
en. Ich bin froh, wenn ich da 100 oder 120 Stundenki-
ometer fahren kann. Die Fahrzeuge auf den dortigen
utobahnen sind in erster Linie Lkws. Wie Sie alle wis-
en, unterliegen Lkws einem generellen Tempolimit, das
ei 80 Stundenkilometern liegt. Wie Sie ebenfalls wis-
en, wird dieses Tempolimit nicht eingehalten. Wenn es
enn so ist, ist es doch eigentlich Sache der Länder,
ehr zu kontrollieren, um der Verkehrssicherheit zu die-
en. Aber auch dazu sind wir schon nicht mehr in der
age. Deswegen stellt sich die Frage: Was machen wir
nsgesamt?
Auf den Bundesautobahnen werden rund 31 Prozent
ller in Deutschland von Kraftfahrzeugen gefahrenen
ilometer zurückgelegt. Der Anteil der auf den Bundes-
utobahnen zu Tode gekommenen Verkehrsteilnehmer
iegt bei etwa 12 Prozent. Er ist im Vergleich zu den Ver-
ehrsteilnehmern, die auf anderen Straßen zu Tode ge-
ommen sind, also signifikant geringer. Auf deutschen
utobahnen verunglücken rund 7,5 Prozent aller Ver-
ehrsteilnehmer. Lediglich 6 Prozent aller Unfälle mit
ersonenschäden ereignen sich dort.
Ich komme zu meinem Eingangsstatement zurück.
nsere deutschen Autobahnen sind die sichersten Stra-
en in Deutschland.
ie sind am wenigsten unfallträchtig. Für mich ist auch ein
ntscheidendes Argument, die Verkehrssicherheit wir
üssen sie ebenfalls im Auge haben; ich möchte Ver-
ehrssicherheit nicht gegen Umwelt ausspielen zu ge-
ährleisten und weiter zu verbessern.
11914 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Gero Storjohann
Was die Geschwindigkeitsbegrenzung anbetrifft, ist
Folgendes festzuhalten: Derzeit sind knapp 40 Prozent
des Autobahnnetzes dauerhaft oder temporär geschwin-
digkeitsbeschränkt. Temporäre Geschwindigkeitsbe-
schränkungen werden etwa durch Baustellen verursacht.
In diesem Bereich haben wir sehr viele Unfälle. Auf
9 Prozent des Netzes werden Geschwindigkeitsbe-
schränkungen durch Verkehrsbeeinflussungsanlagen in
Abhängigkeit von Verkehrsdichte oder Wetter bereits
heute angeordnet. Damit unterliegt faktisch schon knapp
die Hälfte des deutschen Autobahnnetzes einem Tempo-
limit.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch auf
Folgendes hinweisen: 15 Prozent des gesamten Verkehrs
werden auf Autobahnen mit dieser Geschwindigkeitsbe-
schränkung abgewickelt. Das Tempolimit von
80 Stundenkilometer für Lkws habe ich bereits erwähnt.
Ein Zusammenhang zwischen Tempolimit und Sicher-
heitsniveau auf Autobahnen ist international nicht fest-
stellbar. Man kann vielleicht sagen, dass ausländische
Autobahnen von anderer Qualität sind. Aber ich glaube,
es wäre zu einfach, zu sagen: Wir drücken das Tempo,
und dann wird sich die Verkehrssicherheit erhöhen.
Ein europäischer Vergleich hinsichtlich der Verkehrs-
sicherheit zeigt, dass Deutschland zum Teil bessere Er-
gebnisse aufweisen kann als Länder mit Geschwindig-
keitsbegrenzungen auf ihren Autobahnen. Diese positive
Entwicklung der Verkehrssicherheit in Deutschland ver-
danken wir nicht zuletzt vielfältigen Maßnahmen im Be-
reich der Kraftfahrzeugtechnik.
In diesem Bereich ist Deutschland führend. Es wurden in
Deutschland besondere Anstrengungen unternommen,
und das macht sich auf dem Weltmarkt bemerkbar. Es
wurden passive und aktive Sicherheitssysteme entwi-
ckelt. Hierzu zählen das elektronische Stabilitätspro-
gramm ESP sowie das Antiblockiersystem ABS.
Wie auch in unserem Land schätzen die Kunden welt-
weit Sicherheit, Leistung, Komfort, sparsamen Ver-
brauch, Design und Image an deutschen Autos. Eine An-
triebsfeder für diesen technischen Fortschritt ist immer
auch das deutsche Autobahnsystem gewesen. Insbeson-
dere die Sicherheitseigenschaften stehen in engem Zu-
sammenhang mit dem Gewicht eines Autos und somit
dem Kraftstoffverbrauch. Das haben wir alles bei der
Debatte um die Caravans erlebt. Je sicherer wir die Cara-
vans machen, umso schwerer werden sie. Damit haben
wir eine Debatte, die wir vor 20 Jahren noch gar nicht zu
führen brauchten. Deshalb muss weiterhin die Gesamtef-
fizienz der Fahrzeuge optimiert werden.
Ein Tempolimit würde nach meiner Auffassung zu ei-
nem verminderten Interesse der Kunden an Sicherheits-
technologie sowie zu Konsequenzen bei den Unfallfol-
gen und der deutschen Wettbewerbsfähigkeit führen. Die
CDU/CSU-Fraktion sieht auch angesichts dieser Tatsa-
che die Verbesserung der Fahrzeugsicherheit durch mo-
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Die Bundesanstalt für Straßenwesen hat 1992 errech-
et, dass rund zwei Drittel der Fahrleistungen auf Auto-
ahnen mit Geschwindigkeiten unter der Richtgeschwin-
igkeit von 130 Stundenkilometern erbracht werden.
amals wurde festgestellt, dass nur etwa 13 Prozent al-
er Personenkraftwagen über 150 Stundenkilometer fah-
en. Nun ist das 15 Jahre her, und die Verkehrsdichte ist
estiegen. Insofern werden sich die Verhältnisse noch
erschoben haben. Deshalb kann auf unseren Autobah-
en weniger zügig gefahren werden. Die meisten Emis-
ionen entstehen immer noch durch Überholvorgänge
der Staus, die ohnehin unsinnig sind.
Die Verkehrssicherheit sollte uns allen am Herzen lie-
en. Deswegen müssen wir alles dafür tun, dass die Au-
os da fahren, wo dies am sichersten ist, nämlich auf den
utobahnen. Wir dürfen sie nicht auf nachgelagerte
traßen wie die Landstraßen verdrängen; denn die zäh-
en zu den Straßen mit enormem Begegnungsverkehr.
adurch werden sie gefährlich. Dort gibt es Radfahrer
nd Fußgänger. Sobald wir durch politische Maßnahmen
ahrzeuge auf die Landstraße drängen, entstehen Debat-
en. Erinnern wir uns an die Maut-Debatte! Durch die
emautung der Autobahnen gab es am Anfang Aus-
eichverkehre; das hat sich in der Zwischenzeit wieder
twas zurückverlagert. Dadurch haben wir aber spüren
önnen, dass auch politische Weichenstellungen sehr
ohl Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit haben.
Die CDU/CSU wird einen Schwerpunkt auf die Ent-
icklung einer flexiblen zukunftsweisenden Infrastruk-
ur legen, die die Lebensqualität und vor allem die Mobi-
ität der Menschen im privaten und beruflichen Bereich
icherstellt. Wir sprechen uns für den verstärkten Aus-
au elektronischer Verkehrsbeeinflussungsanlagen ent-
ang unserer Autobahnen aus. Eine flexible Geschwin-
igkeitsregelung ermöglicht es, das Tempo an die
eweilige Verkehrssituation und die Umfeldbedingungen
nzupassen. Diese Flexibilität erlaubt eine optimale Nut-
ung unserer Autobahnen.
erkehrsabhängige Straßenverkehrsbeeinflussungsanla-
en, mit deren Hilfe die Geschwindigkeit sowie Über-
olverbote situationsabhängig geregelt werden können,
eisten einen hohen Beitrag zum optimierten Fahrverhal-
en. Dadurch werden der Verkehrsablauf auf unseren
utobahnen und somit auch die Verkehrssicherheit ver-
essert. Untersuchungen haben ergeben, dass im Bereich
lektronischer Verkehrsbeeinflussungsanlagen ein Rück-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11915
)
)
Gero Storjohann
gang der Unfallzahlen um 20 bis 30 Prozent festzustel-
len ist.
Im Bundeshaushalt stellen wir Mittel für den Bau von
Verkehrsbeeinflussungsanlagen bereit. Wir werden auch
für eine Aufstockung sorgen. Da muss die Politik Schritt
für Schritt vorgehen. Wir wollen deutlich machen, wo
unser Schwerpunkt ist. Hier werden wir noch einmal
Gas geben.
Geschwindigkeitsbeschränkungen müssen für die
Verkehrsteilnehmer nachvollziehbar sein.
Ein einheitliches Tempolimit ich kenne es aus Schles-
wig-Holstein unter Rot-Grün; damals wurde auf den Au-
tobahnen eine einheitliche Geschwindigkeit festgelegt
ist nicht nachvollziehbar.
Nachdem es jetzt von Dietrich Austermann wieder auf-
gehoben wurde, haben wir vernünftige Verkehrsverhält-
nisse auf den Straßen, und die Menschen passen ihre Ge-
schwindigkeit der jeweiligen Situation an. Wenn sie
nachts nicht schnell fahren sollen, dann tun sie es auch
nicht. Aber wenn tagsüber auf einsamen Strecken die
Autobahn frei ist, ist es halt anders.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die CDU/
CSU-Fraktion wird die Anträge sowohl der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen als auch der Fraktion Die Linke
ablehnen.
Nächster Redner ist nun der Kollege Lutz Heilmann
für die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Werte Gäste! Gut 66 Prozent der Bevölkerung sind für
den Abzug deutscher Soldaten aus Afghanistan.
67 Prozent der Bevölkerung lehnen die Kapitalprivati-
sierung der Bahn ab.
Sie haben heute für eine Verlängerung des Afghanistan-
Einsatzes gestimmt und sind gerade dabei, den zweiten
Coup über die Bühne zu ziehen. 73 Prozent der Men-
schen hierzulande sind nach einer Forsa-Umfrage für die
Einführung eines Tempolimits. Dies werden Sie Sie
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Warum sind Sie gegen ein allgemeines Tempolimit?
hre Argumente sind nach unserer Meinung nur Schein-
rgumente, die bei genauerem Hinsehen wie ein Karten-
aus zusammenfallen. Mehr als Ideologie haben Sie lei-
er nicht zu bieten.
arum also nun? Die Antwort auf diese Frage können
ie derzeit bei der IAA in Frankfurt am Main finden. Zu
eginn der IAA machte der Titel Grüne Woche in
rankfurt die Runde. Alle Medien berichteten davon,
ie innovativ die deutsche Autoindustrie sei. Vergessen
ie Nichteinhaltung der Selbstverpflichtung zur CO2-Re-
uzierung, vergessen die Schelte der letzten Monate von
olitik und Öffentlichkeit, vergessen auch das Feilschen
m jedes Gramm CO2. Wir sind endlich wieder wer!
ber als der Trubel der Eröffnung vorbei war und die
elbsternannte Klimaschützerin der Nation, Kanzlerin
ngela Merkel,
uch vor ökologischen Neuheiten posiert hatte, ging es
m gewohnten Stile weiter. Ganz schnell verschwanden
ie Ökoautos wieder in den Nischen, wohin sie gefälligst
uch gehören, zumal die meisten davon das Studiensta-
ium noch nicht verlassen hatten. Ab dem dritten Tag
ab es endlich wieder die wahren Leistungen der deut-
chen Autoindustrie zu sehen: PS-stark, groß und
chnell. Ideal für die Jagd von Großwild am Berliner
lex! Gerade diese Autos will aber Minister Tiefensee
nter Artenschutz stellen.
Vor allem Geschwindigkeit ist dabei gefragt. So rich-
ig frei sind Sie doch erst bei Tempo 200, Herr Kollege
cheuer.
ber da sind Sie wieder in der Minderheit; denn
4 Prozent der Menschen hierzulande haben beim Auto-
ahren Angst, etwa Angst vor drängelnden Rasern auf
er linken Spur.
ür die Mehrheit der Verkehrsteilnehmerinnen und Ver-
ehrsteilnehmer bedeutet eine Geschwindigkeit von 180
is 200 Stundenkilometer keine Freiheit, sondern Stress
nd Anstrengung.
Nun ganz kurz einige Verkehrsunfallzahlen: 2005
tarben auf deutschen Autobahnen 662 Menschen, da-
on 428 auf Strecken ohne Geschwindigkeitsbegren-
11916 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Lutz Heilmann
zung. Das heißt, circa 70 Prozent der Verkehrstoten auf
Autobahnen sind dort zu beklagen, wo einige ihrem
Freiheitsverständnis freien Lauf lassen.
Zurück zur IAA: Sie wird jetzt muss ich mich leider
an die Grünen wenden auch durch einen grünen Info-
stand nicht zur Ökoveranstaltung. Es macht nur deutlich,
wohin und womit die Reise der Grünen geht. Das Haupt-
ziel der Vermeidung von Individualverkehr haben Sie of-
fenbar aufgegeben. Aber Sie sind ja dafür bekannt,
Grundsätze ganz einfach einmal zu begraben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Tempolimit
bringt nicht nur eine Senkung der CO2-Emissionen; es
gewährleistet auch die Funktion der Katalysatoren.
Diese schalten sozusagen bei Tempo 120 ab, und in der
Folge werden vermehrt andere Emissionen wie Kohlen-
monoxid oder Kohlenwasserstoffe ausgestoßen. Das
dürfte auch Ihnen bekannt sein. Wenn nicht, dann emp-
fehle ich Ihnen, das Sondergutachten des Sachverständi-
genrates für Umweltfragen Umwelt und Straßenverkehr
zu lesen. Vielleicht lernen Sie noch etwas dazu.
Ein Tempolimit sorgt in letzter Konsequenz auch für
die Entschleunigung des Lebens. Gerade für ältere Ver-
kehrsteilnehmer ist es eine wichtige Maßnahme. Leider
wurde gestern im Verkehrsausschuss die Debatte zum
Thema Demografischer Wandel verschoben. Ich bin
mir sicher, dass alle Kolleginnen und Kollegen von dem
Bericht des Beirates für nachhaltige Entwicklung profi-
tieren würden.
Was bleibt am Ende festzuhalten? Die Große Koali-
tion regiert an der Mehrheit der Menschen vorbei.
Sie hat nicht den Mut, alte, eingefahrene Wege zu verlas-
sen. Die Quittung dafür werden Ihnen die Menschen
hoffentlich spätestens 2009 geben falls Sie es über-
haupt so lange miteinander aushalten.
Nach der gestrigen Sitzung im Umweltausschuss bin ich
mir da nicht so sicher.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Seit vielen Jahren wird in diesem Haus über
as Tempolimit gesprochen. Es ist eines der großen Pro-
leme, die noch nicht bewältigt sind.
ir haben hier von vielen gehört, was angeblich die
akten seien. Aber wie sind denn die Fakten in Wirklich-
eit?
Erstes Thema: Klimaschutz. Die Abteilung Verkehr
es UBA hat festgestellt, dass die CO2-Minderung durch
ie Einführung des Tempolimits mindestens 9 Prozent
etrüge, und das wären nur die direkten Effekte ohne die
ndirekten. Wenn Sie die Abteilung Verkehr des UBA
ennen würden, wüssten Sie, dass das die besten Fach-
eute weltweit sind.
s gibt wenige Fachleute, die weltweit so mit Preisen
usgezeichnet worden sind wie diejenigen in dieser Ab-
eilung, und genau diese Fachleute stellen fest, dass das
empolimit eine erhebliche CO2-Minderung zur Folge
ätte.
elbstverständlich sind sich die Fachleute auch einig,
ass die Autos leichter, intelligenter und damit letztend-
ich verbrauchsärmer werden könnten, das heißt anders
ebaut werden könnten.
Ich war gerade auf der IAA.
ort hört man viel von Umweltschutz. Aber wenn man
ich dort umschaut, sieht man Familienautos mit über
00 PS vollkommen absurd! Es wird argumentiert, die
amilienautos hätten zwar über 500 PS, aber pro PS
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11917
)
)
Dr. Anton Hofreiter
würden sie so wenig CO2 ausstoßen wie noch nie. Welch
absurde Argumentation!
Natürlich gäbe es durch ein Tempolimit auch weniger
Lärm, und wir könnten die Autobahnen kostengünstiger
bauen. Aber der Hauptvorteil wäre, dass es weniger Ver-
letzte, Schwerverletzte und Tote gäbe. Ich habe heute
mit jemandem von der Berufsfeuerwehr und mit einem
hohen Polizeibeamten, der in dem Bereich tätig ist, ge-
sprochen. Ich glaube, wenn sie die Debatte verfolgen
könnten, würden sie sich etwas wundern und wahr-
scheinlich sogar schämen. Sie haben mir von den Pro-
blemen erzählt und gesagt, wie dankbar sie wären, wenn
es ein Tempolimit gäbe, weil dann nämlich auch weniger
ihrer Rettungskräfte totgefahren würden. Genau so ha-
ben sie es gesagt und gemeint. Und nun sehen sie ein
Hohes Haus, das über dieses Thema feixt und sich lustig
macht.
Wir können über manche Themen, gerade am Abend,
auch einmal entspannter reden. Aber angesichts dessen,
was man zu diesem Thema gehört hat, schämt man sich
ehrlich gesagt etwas dafür, wie diese Debatte geführt
wird. Die Fachleute auf europäischer Ebene und bei der
deutschen Polizei sind sich einig: Durch ein Tempolimit
gäbe es weniger Tote und Schwerverletzte. Fragen Sie
bei der Hochschule der Polizei in Münster nach; die er-
klären Ihnen das. Sie bieten Ihnen vielleicht sogar an,
mit einem Videowagen mitzufahren. Hoffentlich ändern
Sie dann Ihre Meinung. Oder gehen Sie einmal zu einer
Unfallstelle, wenn jemand nach einem Unfall bei über
200 km/h aus einem Auto herausgeschnitten wird. Ob
dann immer noch so gelacht wird und ob man das dann
immer noch so feixend abtun kann, frage ich mich doch
sehr.
Gefeixt hat die FDP, gefeixt hat die CDU/CSU und ge-
feixt hat auch die SPD. Bei diesem Thema ist das pein-
lich.
Das tut mir wirklich leid. Man sollte manche Themen
hier im Haus ernsthafter und angemessener behandeln.
Geben Sie sich einen Ruck, überwinden Sie Ihre Ideo-
logie,
gehen Sie auf die Mehrheit der Bevölkerung zu und fra-
gen Sie die Fachleute sowie die Mehrheit aller Länder in
Europa. Wir sind das einzige Industrieland weltweit, das
kein Tempolimit hat.
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timmen Sie für mehr Klimaschutz und stimmen Sie für
ehr Verkehrssicherheit!
Ich schließe nun die Aussprache zu diesem Tagesord-
ungspunkt.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
mpfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und
tadtentwicklung auf Drucksache 16/5950. Der Aus-
chuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfeh-
ung auf Drucksache 16/5950 die Ablehnung des An-
rags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/5145
it dem Titel Einführung eines generellen Tempolimits
on 130 Stundenkilometern auf Bundesautobahnen. Wer
timmt für diese Beschlussempfehlung? Wer ist dage-
en? Enthaltungen? Dann ist die Beschlussempfeh-
ung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
DP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion
ündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke an-
enommen .
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
er Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
ündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5420 mit
em Titel Einführung eines generellen Tempolimits von
20 km/h auf deutschen Autobahnen. Wer stimmt für
iese Beschlussempfehlung? Wer ist dagegen? Ent-
altungen? Dann ist diese Beschlussempfehlung mit
em gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Vorbereitung eines registergestützten Zen-
sus einschließlich einer Gebäude- und Woh-
Drucksache 16/5525
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses
Drucksache 16/6455
Berichterstattung:
Abgeordnete Kristina Köhler
Maik Reichel
Christian Ahrendt
Jan Korte
Silke Stokar von Neuforn
11918 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 16/6456
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Luther
Bettina Hagedorn
Otto Fricke
Roland Claus
Anja Hajduk
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
FDP dazu vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich sehe
dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfah-
ren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin das Wort der Kollegin Kristina Köhler für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten
heute den Entwurf für das Zensusvorbereitungsge-
setz 2011. Das Gesetz schafft die Voraussetzungen dafür,
dass wir rechtzeitig mit den Vorbereitungen für den für
das Jahr 2011 vorgesehenen registergestützten Zensus
beginnen können. Damit betreten wir methodisches
Neuland, und ich bin stolz darauf, dass wir das gemein-
sam umsetzen werden.
Denn das war beim Thema Volkszählung ja nicht im-
mer so. Vor rund 20 Jahren sahen die Diskussionen noch
ganz anders aus. In einem Ratgeber von damals mit dem
Titel Wie wehre ich mich gegen die Volkszählung? hieß
es, die Volkszählung bereite den Weg zu einer ich
zitiere wörtlich Welt psychischer Schrecknisse und
verletzter Menschenwürde, der Vernichtung von Libera-
lität und Persönlichkeit.
Das haben damals nicht die Grünen gesagt.
Die Grünen waren wirklich kreativer und witziger.
Die Grünen haben uns damals zum Beispiel ein Flugblatt
präsentiert mit dem Titel 99 Wege, einen Fragebogen zu
zerstören.
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Übertroffen wurden die Grünen freilich noch von den
nscheinend friedliebenden Demonstranten, die aber ge-
en die Volkszählung mit dem etwas weniger friedlie-
enden Spruch mobil machten: Zählt nicht uns, zählt
ure Tage.
Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, heute diskutie-
en wir etwas anders über diese Fragen. Wir sind uns ei-
ig, dass man ohne solide Daten keine ordentliche Poli-
ik machen kann. Deshalb brauchen wir vernünftige
tatistiken, die auf der Höhe der Zeit sind. Das sind die
aten, die wir heute zur Verfügung haben, nicht mehr,
nd 2011 sind sie das erst recht nicht mehr; denn die vor-
andenen Daten beruhen auf alten Volkszählungen. In
en alten Bundesländern arbeiten wir immer noch mit
en Zahlen vom Zensus 1987. In den neuen Bundeslän-
ern arbeiten wir sogar mit den Zahlen vom Zensus
981. Unsere Basisdaten sind also bereits über 20 Jahre
lt. Sie werden zwar hochgerechnet und aktualisiert,
ber damit potenzieren sich auch die Fehlerquellen. Kein
nternehmen würde mit einer derart veralteten Datenba-
is arbeiten und daran seine Ausgaben ausrichten.
Deswegen hat die Große Koalition das Thema Zensus
n den Koalitionsvertrag aufgenommen, und heute set-
en wir das Ganze um. So gibt es Schätzungen, die da-
on ausgehen, dass in Deutschland bis zu 1,3 Millionen
enschen weniger leben, als es die offiziellen Statisti-
en sagen. Solch eine Lücke wäre für unser Land enorm
nd müsste zu Neujustierungen in der Politik führen.
Und: Mehr als 50 Gesetze basieren auf den Bevölke-
ungszahlen. Die Zahlen regeln den Länderfinanz-
usgleich. Sie regeln den kommunalen Finanzausgleich.
ie regeln die Einteilung der Wahlkreise. Sie regeln so-
ar vielleicht macht das irgendjemandem Hoffnung
ie Stimmenverteilung im Bundesrat. Deswegen ist die
edeutung dieser Zahlen enorm.
Realistische Daten sind aber auch notwendig, um
estzustellen, wie viele Schulen eine Stadt braucht, ob
in neues Krankenhaus geplant werden muss. Sie sind
ie Grundlage für die Verkehrsplanung und den Woh-
ungsbau. Sie sehen also, diese Zahlen betreffen uns
lle. Es geht hierbei nicht um langweilige Statistik, son-
ern dieses Thema betrifft uns alle direkt und unmittel-
ar. Es ist daher höchste Zeit, dass wir die Zahlen auffri-
chen.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11919
)
)
Kristina Köhler
Meine Damen und Herren, die Notwendigkeit einer
Volkszählung ist eigentlich weitgehend unbestritten.
Dass sich selbst die Grünen heute wenn sie es wie im
Ausschuss machen der Stimme enthalten, ist ange-
sichts der damaligen Haltung schon eine kleine Revolu-
tion.
Die eigentliche Frage ist jedoch, wie die Volkszäh-
lung durchgeführt werden soll. Aber auch hier besteht
weitgehend Einigkeit. Eine direkte Vollerhebung bei den
Bürgern in Deutschland wäre nicht mehr Standard. Eine
Vollerhebung birgt Unsicherheiten. Sie verursacht hohe
Kosten und vor allem natürlich auch Belastungen für den
Bürger. Aber eine solche Vollerhebung brauchen wir
auch gar nicht mehr. Mittlerweile stehen uns zur Daten-
erhebung neue statistische Methoden zur Verfügung, die
eine effiziente und sichere Erfassung von Bevölkerungs-
daten ermöglichen. In jahrelanger Arbeit haben das Sta-
tistische Bundesamt in Wiesbaden und die Landesämter
an dieser Methode gearbeitet. Sie haben hier echte Pio-
nierarbeit geleistet, und wir sind stolz darauf, dass un-
sere Landesämter und das Bundesamt ein solch fundier-
tes Konzept vorgelegt haben, dass sie methodisch
Neuland betreten und Pionierarbeit geleistet haben.
Die Methode des registergestützten Zensus besteht
aus einem Dreischritt. Erstens werden wir die Meldere-
gister, die Daten der Bundesagentur für Arbeit sowie die
Daten zum Personalbestand der öffentlichen Hand über-
einanderlegen, auswerten und gewissermaßen ihren
wahren Kern herausfiltern. Zweitens werden wir eine
postalische Befragung der Gebäude- und Wohnungsei-
gentümer zur Gewinnung der Gebäude- und Wohnungs-
daten durchführen. Drittens werden wir eine Stichprobe
von rund 10 Prozent der Bevölkerung ziehen, um so die
durch die Register gewonnenen Daten korrigieren zu
können, aber auch um weitere Merkmale, die wir über
die Register nicht gewinnen, erheben zu können.
Darum, all das vorzubereiten, geht es heute. Das Zen-
susvorbereitungsgesetz schafft die rechtlichen Voraus-
setzungen dafür, dass das notwendige Anschriften- und
Gebäuderegister aufgebaut werden kann. Ferner schafft
es die rechtlichen Voraussetzungen für die Datenüber-
mittlungen, die zur Zensusvorbereitung erforderlich
sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden das
Zensusvorbereitungsgesetz heute verabschieden, weil es
Sinn macht, weil es ein gutes Gesetz ist und weil wir es
ganz einfach brauchen. Oder, um noch einmal einen al-
ten Spontispruch zu zitieren: Der Klügere zählt nach.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Gisela Piltz für die
FDP-Fraktion.
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s ist eine Sache, über damals zu sprechen, aber eine an-
ere, sich heute noch daran zu erinnern.
Ich war eine ganz Schlimme. Ich war damals im Amt
ür Statistik und Wahlen eingesetzt und musste die Kis-
en falten. Ich weiß genauso wie Frau Köhler, wovon ich
preche. Ansonsten berufe ich mich auf meine Schwei-
epflicht. Im Rahmen dieses Gesetzes wurden die rich-
igen Lehren aus der Auseinandersetzung von 1987 ge-
ogen. Von daher kann man sagen: Gute Arbeit!
Auf die Frage, warum wir uns enthalten, gibt es eine
elativ einfache Antwort: Aus unserer Sicht hat die Bun-
esregierung ihre Arbeit nicht vollständig zu Ende ge-
racht. Es fehlt nämlich die Sicherstellung einer einheit-
ichen Durchführung des Zensus in den Ländern. Die
edeutung dieser Einheitlichkeit ist immens: Die erar-
eiteten statistischen Zahlen bilden unter anderem die
rundlage für den Länderfinanzausgleich. Jeder Ein-
ohner hat für die Gemeinde, der er zugerechnet wird,
inen Wert von rund 2 000 Euro pro Jahr.
Nun droht ein unterschiedlicher Umgang in den Fäl-
en, in denen sich die Angaben in den bei den Stichpro-
en abgefragten Registern widersprechen. Da die An-
ahl der in den Stichproben nötigen Korrekturen auf das
esamtergebnis hochgerechnet wird, kann eine unter-
chiedliche Handhabung schnell einen ordentlichen Be-
rag für die Gemeinden ausmachen.
11920 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Gisela Piltz
Es ist absehbar, dass die Gemeinden, die aufgrund des
Ergebnisses des Zensus schlechter dastehen als bisher,
klagen werden und somit eine Klagewelle auf uns zurol-
len wird. Die Klagen könnten für den Bund relativ teuer
werden; denn nur wegen der Einheitlichkeit der Durch-
führung der Volkszählung wurden die gerichtlich ange-
brachten Einwände nach 1987 abgewiesen. Wenn wir
diese Einheitlichkeit nicht herstellen, werden die Zahlen
angreifbar. Das würden wir bedauern.
Die Experten erwarten ohnehin beträchtliche Abwei-
chungen des Ergebnisses des Zensus von unseren bishe-
rigen amtlichen Zahlen. Nach über 20 Jahren der
schlichten Fortschreibung das haben Sie schon ausge-
führt dürfte die Fehlerquote zumindest in einigen Ge-
meinden erheblich sein. Da kann es leicht passieren, dass
ein Oberbürgermeister nach dem Zensus nur noch Bür-
germeister ist.
Nein, nicht in Düsseldorf. Dafür ist Düsseldorf zu
groß, und als eine der wenigen Großstädte wächst Düs-
seldorf.
Es darf nicht dazu kommen, dass in den Zweifelsfäl-
len, in denen sich die Daten der Melderegister und die
der Bundesagentur für Arbeit widersprechen, unter-
schiedliche Verfahren zur Ermittlung des amtlichen Er-
gebnisses angewendet werden. Wir setzen uns dafür ein,
dass entweder das eine oder das andere Verfahren ange-
wandt wird. Ansonsten würden die Fehlerquoten un-
gleichmäßig verändert. An dieser Stelle hat die Bundes-
regierung das Gesetz aus unserer Sicht nicht sauber
ausgearbeitet, da die Erhebungsverfahren in jedem Bun-
desland absolut einheitlich sein müssen.
Dieses Problem könnte man auf zwei Arten lösen:
Entweder die Länder einigen sich auf ein einheitliches
Verfahren, was angesichts der derzeitigen Zeitvorstel-
lung schwierig sein dürfte, oder der Bund schreibt den
Ländern klare Regelungen vor. Das wäre allerdings zu-
stimmungsbedürftig und für den Bund vermutlich teurer.
Das muss man ehrlicherweise sagen. Ob dies geht, ist
darüber hinaus sehr fraglich, da der Bund nach der
Föderalismusreform I keine Aufgaben mehr auf die
Kommunen übertragen darf.
Eins wird bei diesem Zensusvorbereitungsgesetz wie-
der ganz deutlich: Das Aufgabenübertragsverbot im
Grundgesetz hat sich nicht bewährt. Es wäre besser ge-
wesen, der Bundestag hätte stattdessen mit seiner Mehr-
heit das Konnexitätsprinzip übernommen und dem FDP-
Modell zugestimmt.
Die Bundesregierung muss diese Aufgabe auf die
eine oder andere Weise lösen. Aber eins darf sie nicht
tun: Sie darf nicht einfach den Kopf in den Sand stecken.
Denn sonst wird die Bundesregierung die Verantwortung
dafür tragen, dass die Streitereien am Ende vor Gericht
ausgetragen werden.
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Nächster Redner ist nun der Kollege Maik Reichel für
ie SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Vielen Dank für das Kompliment von der
echten Seite.
1981 war in der DDR eine Volkszählung. Ich war da-
als zehn Jahre alt. Ich kann mich nur in einem Punkt
aran erinnern: Meine Mutter, die meistens für alle büro-
ratischen Sachen zuständig war, saß am Küchentisch,
lätterte das Formular um und schrieb das hinein, was
ort alles abgefragt wurde.
Ich gehe davon aus, dass sie es richtig gemacht hat. Ich
abe nicht nachgesehen. Als Zehnjähriger beobachtet
an nur und hat den Sinn des Ganzen nicht im Blick.
Andere können natürlich viel mehr erzählen. Wir ha-
en von Kollegin Köhler einiges gehört. Ich glaube,
iebe Silke Stokar, auch du kannst einiges dazu sagen,
as 1987 in der BRD passiert ist. Ich kann das nur in
erichten, Büchern und Zeitungen nachlesen und kann
avon berichten das habe ich eben getan , was 1981
n der DDR passiert ist.
In vier Jahren wird in der EU eine Volks- und Gebäu-
ezählung durchgeführt. Die beteiligten Länder werden
iesen Zensus auf unterschiedliche Weise durchführen.
achdem die letzten Volkszählungen 1981 und 1987
wir haben sie gerade genannt auf die konventionelle
eise, das heißt durch die Befragung aller Bürger,
urchgeführt wurden, soll es 2011 erstmals einen regis-
ergestützten Zensus geben. Dies entlastet die Bürger
on allen großen und zeitraubenden Auskunftspflichten;
leichzeitig wird es für den Steuerzahler billiger. Zur
eststellung der bevölkerungsstatistischen Angaben
erden nur 5 bis 10 Prozent der Bevölkerung befragt.
Die aktuellen Bevölkerungszahlen in Bund, Länder
nd Kommunen sind teilweise mit großen Unsicherhei-
en behaftet. In der Anhörung am Montag haben wir zur
enauigkeit bzw. zur Richtigkeit mancher Register sehr
eutliche Aussagen der Gutachter gehört. Genauere Zah-
en sind notwendig. Wenn wir schon durch eigene Schät-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11921
)
)
Maik Reichel
zung davon ausgehen, dass 1,3 bis 1,5 Millionen Men-
schen weniger als geglaubt in Deutschland leben also
nicht die 82 Millionen Menschen, von denen wir heute
ausgehen , so ist das eine Abweichung von etwa
1,8 Prozent. Das sind eben nur Schätzungen.
Zuverlässige Bevölkerungszahlen sind auch als Be-
rechnungsgrundlage für den Länderfinanzausgleich und
den kommunalen Finanzausgleich wir haben es gehört
notwendig. Das hat sich nach der Volkszählung von 1987
gezeigt, als in diesem Bereich nachhaltige Korrekturen
durchgeführt wurden. Die zum Zensusstichtag festgestell-
ten Einwohnerzahlen bilden die Grundlage für die Bevöl-
kerungsfortschreibungen. Aber es sind auch etwa
50 Rechtsvorschriften betroffen, für die die amtliche Ein-
wohnerzahl als wichtige Bemessungsgrundlage dient.
Hiervon sind noch andere Bereiche sie wurden schon
genannt , zum Beispiel die Einteilung der Wahlkreise,
die Bundesratsstimmen, die Berechnung von Sitzen bis in
die Vertretungen kommunaler Gebietskörperschaften, be-
troffen. Wir brauchen also dringend eine solche neue Zäh-
lung.
Dass der Zensus notwendig ist, darin sind wir uns ei-
nig. Dass wir ihn registergestützt machen, das ist neu.
Aber auch da sind wir uns einig. In der EU wird es ja
sehr unterschiedlich gemacht.
Nach dem Zensustest wird das Vorbereitungsgesetz
auf den Weg gebracht, das im Wesentlichen die techni-
schen und organisatorischen Voraussetzungen für den ei-
gentlichen Zensus schaffen soll. Hierbei geht es um den
Aufbau des Anschriften- und Gebäuderegisters, des ei-
gentlichen Instruments für den Zensus, der 2011 durch-
geführt wird.
Dem wird später das Zensusanordnungsgesetz folgen.
Ich sage dies, weil ich zwischen dem, was wir heute be-
schließen den Aufbau des Instruments und die Weiter-
leitung der Daten , und dem folgenden Anordnungsge-
setz es bereitet Erhebungsmerkmale, Stichproben etc.
weiter vor klar trennen möchte. In der Anhörung am
Montag ging es im Wesentlichen um das Anordnungsge-
setz, das noch folgen wird, nicht um das Gesetz, das wir
heute beschließen.
In der Anhörung wurde Kollegin Piltz hat es er-
wähnt auch die Einheitlichkeit der Erhebung angespro-
chen. Vor allem die Länder sind darauf eingegangen. Ich
gebe Ihnen recht, Kollegin Piltz: Es muss Rechtssicher-
heit gegeben sein. Ich bin mir aber sicher, dass Bund und
Länder, nachdem wir das vorliegende Gesetz beschlos-
sen haben, Einheitlichkeit herstellen werden. Nicht nur
der Bund, sondern auch die Länder sind nämlich sehr
stark an den Zahlen interessiert. Ich gehe davon aus, dass
wir dort einen gemeinsamen Weg finden werden.
Wenn man sich all dies vor Augen führt, dann blickt
man natürlich auch auf die verbleibende Zeit. Millionen
von Daten werden bewegt und zusammengeführt. Das
machen nicht nur Computer; das müssen auch Menschen
machen. Ende 2010 muss das Anschriften- und Gebäu-
deregister einsatzfähig sein. Im April 2008 das heißt
bereits in einem halben Jahr werden die ersten Daten
hierzu geliefert. Wir haben keine Zeit, die Verabschie-
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Oder drei Jahre. Schauen wir zunächst, dass wir die
aten auswerten. Erst danach können wir die Daten lö-
chen. Die Auswertung wird sicherlich nicht, wie es
987 der Fall war, zehn Jahr lang andauern. Wir brau-
hen aber etwas Zeit zur Auswertung. Danach werden
ie Daten gelöscht.
Der Gesetzentwurf sieht auch vor, zwischen den sta-
istischen und den Verwaltungsdaten zu trennen. Wir ha-
en all dies im Gesetz verankert.
11922 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Maik Reichel
Lassen Sie uns am heutigen Abend das Vorberei-
tungsgesetz beschließen, um 2011 einen für Bund, Län-
der und Gemeinden erfolgreichen Zensus durchführen
zu können.
Ich danke Ihnen.
Nun hat das Wort der Kollege Jan Korte für die Frak-
tion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Man kann trefflich darüber streiten, ob es im Hinblick
auf den Datenschutz ein Fortschritt ist, dass ein register-
gestützter Zensus und nicht eine Vollerhebung mit Fra-
gebögen durchgeführt werden soll. Wenn ich einen Fra-
gebogen ausfülle, kann ich mich einmal nicht so genau
erinnern oder, wenn ich gar keine Lust habe, etwas preis-
zugeben, falsche Angaben machen. Das ist jetzt nicht
möglich. Deswegen kann man darüber trefflich streiten.
Ich möchte drei Anmerkungen machen. Zum Ersten
finde ich eines etwas merkwürdig: Am Montag dieser
Woche haben wir, was erfreulich war, eine Anhörung zu
diesem wichtigen Thema, das auch hier für enorme
Emotionalität sorgt, durchgeführt. Von den Datenschüt-
zern wurden einige Bedenken vorgetragen, über die wir
diskutiert haben.
Aber was geschieht drei Tage später? Drei Tage später
steht die abschließende Beratung dieses Gesetzentwurfs
auf unserer Tagesordnung. Das ist vom Verfahren her
nicht in Ordnung. Wer so vorgeht, der nimmt die Sach-
verständigen nicht ernst. Wir wollen nach Möglichkeit
einen Erkenntnisgewinn erzielen. Dafür bräuchten wir
allerdings erst einmal das Protokoll der Anhörung. Erst
auf dieser Grundlage könnten wir den Gesetzentwurf
noch verändern.
Es wurde versucht, in diesem Entwurf eines Vorberei-
tungsgesetzes im Hinblick auf die Datenerfassung
Schranken zu setzen. Gleichzeitig werden diese Schran-
ken aber infrage gestellt. Mit diesem Gesetzentwurf wird
die Intention verfolgt, die Daten aus der Statistik nicht in
die Verwaltung zurückfließen zu lassen. Das ist aus-
drücklich zu begrüßen, da man sich Mühe gegeben hat,
die Trennung von Statistik und Verwaltung aufrechtzuer-
halten.
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as ist der entscheidende Grund, warum wir diesem Ge-
etzentwurf nicht zustimmen können.
Zur dritten Bemerkung, die ich machen will. Natür-
ich handelt es sich nicht um irgendwelche Daten, die
esammelt werden sollen. Frau Köhler, ich finde, der
ehlerquotient der Daten rund 1,5 Millionen bei rund
2 Millionen Einwohnern ist relativ gering. Das hört
ich geradezu so an, als seien alle Daten, auf deren Basis
ie bisher Politik machen, grundfalsch; das denke auch
ch des Öfteren. Das würde eine Zählung allerdings not-
endig machen. Denn dann hätten Sie wirklich fast gar
eine Daten.
ber es ist doch wohl nicht so, dass wir überhaupt keine
atengrundlage haben.
Grundsätzlich möchte ich Ihnen sagen: Natürlich ist
as Sammeln von Daten, zu welchen Zwecken auch im-
er es gibt solche und solche , nicht in dem einen
all grundsätzlich unproblematisch und in einem ande-
en Fall grundsätzlich problematisch. Das sage nicht nur
ch, sondern das sagt auch jemand, der unverdächtig ist,
ei uns tätig zu sein. Der ehemalige BND-Präsident
ansjörg Geiger hat heute das ist also ganz aktuell
ur Verarbeitung von Daten gesagt: Daten, die einmal
a sind, werden weiter genutzt, Versprechen hin oder
er. Das ist mir wichtig. Ich finde, dass Sie einen sen-
iblen Umgang mit diesen Fragen leider sehr vermissen
assen.
Der letzte Grund, warum wir diesem Gesetzentwurf
icht zustimmen können, ist, dass darin nicht konkret
argelegt wird auch das wurde in der Anhörung teil-
eise angesprochen , warum wir diese Volkszählung
berhaupt brauchen; das ist nicht klar. Sie kostet 500 Mil-
ionen Euro. Jetzt wird der Einwand angeführt, dass die
U ein Strafgeld androht. Das ist natürlich richtig. Aber
an könnte doch erst einmal abwarten, ob diese Strafe
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11923
)
)
Jan Korte
nicht vielleicht niedriger ausfällt als der Betrag von
500 Millionen Euro, den wir für die Volkszählung aus-
geben müssten.
Wir erkennen nicht den Nutzen dieser Volkszählung.
Hier wird mit ungeheuren Mengen von Daten und mit
Daten der Bundesagentur für Arbeit herumhantiert. All
das halten wir für relativ bedenklich.
Hier muss noch massiv nachgebessert werden. Deswe-
gen lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab. Wir bleiben im
Gegensatz zu den Grünen konsequent.
Schönen Dank.
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist nun die Kollegin
Silke Stokar von Neuforn für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Er-
innerung an die Volkszählungsboykottbewegung erfüllt
mich eher mit Stolz.
Sie war ein Ausdruck von wirklich erfolgreichem zivi-
lem Ungehorsam.
Die Volkszählungsboykottbewegung hat den Staat bzw.
die staatlichen Vertreter damals an den Rand des Ner-
venzusammenbruchs gebracht.
Aber was viel wichtiger war: Wir haben, und zwar au-
ßerhalb des Parlamentes, das berühmte Volkszählungsur-
teil erstritten, über das viele sagen: Das war die Geburts-
stunde des Datenschutzes in Deutschland.
Ich habe mich gefreut, wie oft bei der Sachverständigen-
anhörung aus diesem Volkszählungsurteil zitiert wurde.
Der Erfolg ist ja: Wir haben keine Volkszählung. Nie
wieder hat sich der Staat getraut, die Wohnungen der
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ie wieder ist eine Volkszählung wie damals in Erwä-
ung gezogen worden. Das ist nachhaltig erfolgreiche
olitik.
Wir stimmen der registergestützten Volkszählung
der dem Zensus zu, weil es Ihr Zwischenruf war ja
ichtig darum geht, die korrekte Zahl der Einwohner
nd Einwohnerinnen in unseren Kommunen festzustel-
en. Da kann ich es mir nicht so einfach machen wie
err Korte. Denn es geht hier auch um Fragen der Ge-
echtigkeit. Zum einen geht es darum, wie der Finanz-
usgleich zwischen Deutschland und Europa in be-
timmten Regionen geregelt wird. Das kann durchaus
um Ergebnis haben, dass Deutschland insgesamt weni-
er zahlen muss. Wichtiger ist aber der kommunale Fi-
anzausgleich. Zur gerechten Verteilung der Steuern
rauchen wir den korrekten Einwohnerschlüssel. Ich
enke, man sollte sich nicht aus Ideologie dagegen wen-
en. Die Ergebnisse werden auch für den Finanzaus-
leich vieler Gemeinden in den neuen Bundesländern
ichtig sein.
Lassen Sie mich kurz begründen, warum wir uns ent-
alten. Ein Teil der handwerklichen Fehler in diesem
esetzentwurf ist von Frau Piltz benannt worden. Wir
ätten es begrüßt, wenn sich das Ministerium im Vorfeld
it Ländern und Kommunen über die Aufteilung der
osten geeinigt hätte. Ich habe jetzt nicht die Zeit, die
omplizierten verfassungsrechtlichen Fragen gerade
eit der Föderalismusreform darzulegen. Kurz gesagt
st es so: Der Bund verlangt von den Kommunen eine
eistung, und die Aufteilung der Kosten ist nicht geklärt.
Wegen der fehlenden Bundeseinheitlichkeit in der
ethode der Erhebung wird der nächste Volkszählungs-
oykott weder von der Linksfraktion noch von den Bür-
erinnen und Bürgern die vom Zensus gar nichts mer-
en ausgehen. Der Volkszählungsboykott wird von den
ommunen ausgehen, die ja ein erhebliches finanzielles
nteresse daran haben, dass es zu einer gerichtsfesten Er-
ebung der Einwohnerzahl kommt. Hier, meine Damen
nd meine Herren aus dem Innenministerium, haben Sie
andwerklich schlecht gearbeitet, hier provozieren Sie
hne Not eine Klageflut. Wir hätten es begrüßt, wenn
ie sich mit Ländern und Kommunen im Vorfeld über
ie Detailfragen geeinigt und die ja zum Teil richtigen
inwände aus dem Bundesrat aufgenommen und einge-
rbeitet hätten.
Letzter Punkt: Datenschutz. Es ist schon gesagt wor-
en, wir sollten die Daten nicht sechs Jahre aufheben; das
st eine völlig willkürliche Zahl. Die Hälfte, drei Jahre,
11924 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Silke Stokar von Neuforn
reicht voll und ganz aus. Nicht im Zensusvorbereitungs-
gesetz, Herr Korte, sondern im Durchführungsgesetz
werden wir genau darauf achten, dass die Georeferenzda-
ten, wie es der Datenschutz gebietet, anonymisiert wer-
den.
Auch bei einem anderen Punkt sind wir nicht einver-
standen: bei der Trennung von Verwaltung und Statistik,
die mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vor-
gegeben ist. Das gehört nicht in die Begründung, das ge-
hört in das Gesetz.
Wir hätten zugestimmt, wenn Sie ordentlich gearbei-
tet hätten.
Das haben Sie nicht; deswegen enthalten wir uns heute.
Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zensus-
vorbereitungsgesetzes 2011. Der Innenausschuss emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/6455, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 16/5525 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen, um das Handzeichen.
Wer ist dagegen? Enthaltungen? Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Ko-
alitionsfraktionen bei Enthaltung der Fraktion der FDP
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Gegen-
stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben.
Wer ist dagegen? Enthaltungen? Dann ist der Gesetz-
entwurf auch in dritter Beratung mit dem gleichen Stim-
menergebnis angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Druck-
sache 16/6459. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? Wer ist dagegen? Enthaltungen? Dann ist der
Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen
der FDP-Fraktion abgelehnt.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 13 a und b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Christel Happach-Kasan, Dr. Hermann Otto
Solms, Hans-Michael Goldmann, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der FDP
Rein-Biokraftstoffe von Besteuerung bis 2009
befreien und den Bericht zur Steuerbegünsti-
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Kurt Hill, Eva Bulling-Schröter, Lutz Heilmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Stufenbesteuerung und Quotenpflicht bei Bio-
kraftstoffen zurücknehmen Nachhaltigkeits-
kriterien umgehend einführen
Drucksache 16/5679
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
raktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. Ich höre
azu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfah-
en.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
erin der Kollegin Frau Dr. Christel Happach-Kasan für
ie FDP-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
och in der letzten Legislaturperiode habe ich eigentlich
icht erwartet, dass ein solcher Tagesordnungspunkt im
eutschen Bundestag aufgerufen werden würde. Ich
abe fest darauf vertraut, dass es bis 2009 die beschlos-
ene Steuervergünstigung für Biodiesel geben würde.
as ist nicht eingetreten. Durch den Koalitionsvertrag
urde eine beispielhafte Erfolgsgeschichte des Biodie-
els abrupt beendet.
Mit privatem Geld unterstützt durch öffentliche För-
erungen sind Millionen Euro investiert worden. Etwa
0 Anlagen sind in Deutschland dezentral entstanden.
it der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages wurde
iese Erfolgsgeschichte schlicht abgeschlossen. Verläss-
iche Politik ist für uns in der FDP etwas ganz anderes.
Minister Gabriel hat noch im September 2005 ein
lammendes Plädoyer für den Biodiesel gehalten. Zwei
onate später hatten er und die CDU/CSU-Fraktion das
rotz aller anderslautenden Erklärungen vergessen. Die
uswirkungen für die mittelständisch geprägte Biokraft-
toffbranche sind dramatisch. Schon im Frühjahr warnte
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11925
)
)
Dr. Christel Happach-Kasan
das Bundesamt für Güterverkehr, dass der Biokraftstoff-
markt mit Einsetzen der zweiten Steuerstufe am
1. Januar 2008 zusammenbrechen wird. Schon jetzt ist
die Hälfte der Kapazitäten stillgelegt. Das ist eine im-
mense Kapitalvernichtung. Fast neue Anlagen werden
stillgelegt und durch die Entscheidung der Bundesregie-
rung zu Ruinen.
Doch Finanzminister Steinbrück handelt rein fiska-
lisch. Obwohl die Steuereinnahmen durch die wirtschaft-
liche Aktivität der Biokraftstoffbranche den theoretisch
entgangenen Einnahmen durch die Steuer entsprochen
haben, hat er die Abschaffung der Steuervergünstigung
durchgesetzt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Union Herr Schindler persönlich und auch von der
SPD, alle Briefe an den Finanzminister waren reine
Showveranstaltungen. Einige waren vielleicht gut ge-
meint sie waren im Wesentlichen an die eigene Klientel
gerichtet , aber in der Sache vollkommen wirkungslos.
Kollege Wissing hat vor kurzem im Finanzausschuss
einmal nachgefragt, ob die Bundesregierung beabsich-
tigt, das Gesetz zu ändern. Dies ist bis heute nicht der
Fall. Ich fordere die Kolleginnen und Kollegen von SPD
und Union auf, gemäß ihren Worten zu handeln. Fordern
Sie den Finanzminister dazu auf, dieses unsägliche Ge-
setz mit Ihnen zusammen abzuschaffen.
Ansonsten sind Ihre Showveranstaltungen wirklich ab-
solut nichts wert.
In jeder Klimaschutzpolitik hat die energetische Nut-
zung von Biomasse eine entscheidende Bedeutung. Bis
2020 soll der Anteil der erneuerbaren Energien am Pri-
märenergieverbrauch 20 Prozent betragen. Schon jetzt
hat die energetische Nutzung von Biomasse den größten
Anteil an den erneuerbaren Energien. Bundesminister
Seehofer hat in der Haushaltsdebatte von 70 Prozent ge-
sprochen. Aber für den Biokraftstoffmarkt rührt er kei-
nen Finger. Ich bin der Auffassung, dass die Bundesre-
gierung damit das Vertrauen verwirkt hat. Sie ist nicht
zuverlässig und kein Partner, der Planungssicherheit für
Betriebe verspricht.
5,3 Prozent des Primärenergieverbrauchs werden
durch erneuerbare Energien erzeugt. Der Anteil der
Energie aus Biomasse beträgt 70 Prozent. Nur über die
Nutzung der Biomasse werden wir die Klimaschutzziele
dieser Bundesregierung erreichen können. Wir alle wis-
sen, dass dies gemessen an den Forderungen von Ver-
bänden noch eine sehr geringe Zielsetzung ist. Das heißt,
es müssen sehr viel stärkere Anstrengungen erfolgen als
bisher. Dafür bietet diese Bundesregierung nicht die
richtigen Rahmenbedingungen.
Mit der Einführung des Beimischungszwangs haben
die großen Mineralölkonzerne eine kostengünstige Mög-
lichkeit erhalten, die EU-Vorgabe eines Anteils an bioge-
nen Kraftstoffen in Höhe von 5,75 Prozent bis 2009 um-
zusetzen.
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ie Konzerne werden sich mit billigen Importen versor-
en. Wie wir wissen, stammen etwa 50 Prozent der Im-
orte aus dem Ausland. Bei diesen Importen wird billi-
end in Kauf genommen, dass auf Flächen produziert
ird, die vor kurzem noch Urwald waren. Zwar sind
ertifikate in Arbeit, aber derzeit gibt es noch keines,
as glaubwürdig die Herkunft von Pflanzenölen aus
achhaltigem Anbau garantiert. Die Urwaldzerstörung
ird billigend in Kauf genommen, damit sich die Mine-
alölkonzerne mit billigem Rohstoff versorgen können.
Ich bin der Meinung, dass sich Nahrungsmittelpro-
uktion und Energiepflanzenproduktion nicht gegensei-
ig ausschließen.
ch bin der Meinung, dass beides parallel möglich ist,
enn wir dafür die geeigneten Marktbedingungen schaf-
en. Die Doppelstrategie, die Nahrungsmittelproduktion
it der Produktion von Biomasse für die Energiegewin-
ung zu kombinieren, stärkt gleichzeitig den ländlichen
aum. Wir müssen feststellen, dass der ländliche Raum
om Anbietermarkt zu einem Nachfragemarkt geworden
st. Damit können bessere Preise erzielt werden. Wie wir
issen, sind die Lebensmittelpreise in Deutschland so
iedrig wie nirgends. Dies ist erst gestern beim Parla-
entarischen Abend des Raiffeisenverbands noch ein-
al sehr drastisch dargestellt worden. Ich meine, dass
as eine gute Chance ist.
Notwendig ist aber auch die Förderung innovativer
rodukte; denn anders können sie sich nicht am Markt
urchsetzen. Deswegen verlangen wir von der Bundes-
egierung eine Förderstrategie, die den Unternehmen
lar aufzeigt, welche Ziele gesetzt worden sind, mit wel-
hen Mitteln sie erreicht werden und welche Möglich-
eiten sie erhalten, die von ihnen getätigten Investitio-
en in Gewinne umzusetzen.
Wir setzen uns dafür ein, dass die vorhandenen Kapa-
itäten für Biodiesel genutzt werden. Zurzeit ist die
älfte der Anlagen stillgelegt. Das heißt, es werden
Millionen Tonnen CO2 in die Luft geblasen, obwohl
ir die notwendigen Kapazitäten hätten, um dies zu ver-
eiden.
Wir brauchen ein Gesamtkonzept zur Förderung von
iokraftstoffen. Uns ist bewusst, dass Rapsmethylesther
icht das letzte Wort ist; darin liegt aber eine Chance.
ie Entwicklung von Technologien wurde angestoßen.
ie Entwicklung von BTL-Kraftstoffen stockt, wie wir
issen.
Ich begrüße es, dass Schwarz-Rot gestern erklärt hat,
ass die energetische Nutzung von tierischen Nebenpro-
ukten inzwischen auch von Ihnen anerkannt wird. Es ist
11926 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Dr. Christel Happach-Kasan
höchste Zeit, dass Sie diesen rationalen Weg beschreiten.
Wir haben das zwar seit längerem gefordert, sind aber
immer wieder von Ihnen verleumdet worden. Es ist aber
nur ein Baustein eines dringend erforderlichen Gesamt-
konzepts, das wir von Ihnen einfordern. Wir fordern au-
ßerdem die Änderung des Energiesteuergesetzes sowie
die Nichteinführung der zweiten Stufe am 1. Januar
2008 und damit eine Chance für die Biokraftstoffe in
Deutschland.
Nächster Redner ist der Kollege Norbert Schindler für
die CDU/CSU-Fraktion.
Guten Abend, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
Guten Abend, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Frau Dr. Happach-Kasan, erstens hat
das Parlament ein Initiativrecht im Zusammenhang mit
dieser Problematik, das wir auch wahrnehmen werden.
Die Bundesregierung muss nicht tätig werden. Darauf
haben Sie gestern hingewiesen, Frau Staatssekretärin
Hendricks. Verlassen Sie sich darauf: Wir werden tätig.
Herr Kollege Fell, wir brauchen dafür den Bericht der
Bundesregierung; das wird Kollege Schultz nachher
deutlich machen. Wir müssen das in direkter Abstim-
mung mit der Europäischen Union regeln; das wissen
alle Insider. Gemach bei diesem Thema! Es muss richtig
gemacht werden. Ich teile sicherlich die Kritik: Es wird
höchste Zeit, dass etwas getan wird.
Frau Happach-Kasan, ich weiß, wie schwer sich Ihre
Fraktion 2003 und 2004 in der Diskussion über die Steu-
erbefreiung im Finanzausschuss getan hat.
Wenn ich die Folgen aus der damaligen Argumentations-
linie für heute sehe, dann bin ich nicht verwundert. Ich
kann nur sagen: Damals wurde der richtige Weg einge-
schlagen.
Die Große Koalition hat sicherlich Probleme bekom-
men. Uns fehlen für die Haushaltskonsolidierung viel-
leicht 1 Milliarde bis 2,5 Milliarden Euro, wenn die Ent-
wicklung gerade beim Biodiesel so weitergeht.
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ir haben aber mit Blick auf die nächste Generation
ersprochen, die Schulden deutlich zurückzufahren. Wir
aben einen sehr erfolgreichen haushaltspolitischen
urs eingeschlagen. Lob als Schwarzer dem roten Fi-
anzminister!
as ist eine gute Entwicklung.
Wir sind außerdem zu der Überzeugung gekommen,
ass wir angesichts der Entwicklung der Investitionen
005 man ist einfach davon ausgegangen, dass der
taat die Steuerfreiheit bis 2009 aufrechterhält die In-
estitionsbereitschaft dringend bremsen müssen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
ollegin Höhn?
Bitte schön.
Danke schön, Herr Kollege. Herr Kollege
chindler, ist Ihnen bekannt, dass damals diverse Kolle-
en der Großen Koalition im Bundestag gegen den Ge-
etzentwurf der Bundesregierung gestimmt haben und
inem Antrag der Grünen gefolgt sind, der zum Ziel
atte, Biodiesel nicht zu besteuern? Unterstellen Sie,
ass diese Kollegen die finanziellen Berechnungen, die
ie nun angestellt haben, nicht nachvollziehen können
nd den Haushalt nicht sanieren wollen, oder haben
iese Kollegen eher daran gedacht, dass durch neue Un-
ernehmen neue Einnahmen für das Land entstehen und
ine neue mittelständische Struktur in diesem Bereich
ufgebaut wird?
Frau Kollegin Höhn, damals wurden gar keine Be-
echnungen angestellt. Dass es in der damaligen rot-grü-
en Regierung Befürworter gab und dass ich bei unseren
inanzpolitikern Überzeugungsarbeit leisten musste, ist
ns doch allen bekannt. Die geplante steuerliche Frei-
tellung bis 2009 hat dazu geführt, dass man mit Lobby-
olitik auf unbedingten staatlichen Schutz beharrt hat,
m Investitionen tätigen zu können. Wir müssen aber
uch zur Kenntnis nehmen, dass Deutschland als Steuer-
and in der Europäischen Union nicht alleine ist. In den
amaligen Verhandlungen der Koalition über eine hö-
ere Mehrwertsteuer und eine Eindämmung der Steuer-
usfälle in diesem Bereich war für mich die Aufhebung
er Steuerfreiheit leider die höhere Staatseinsicht. Ich
abe mich den sehr vernünftigen Argumenten für eine
taatsphilosophie der Entschuldung gebeugt und der Ko-
litionsvereinbarung zugestimmt; dazu stehe ich.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11927
)
)
Norbert Schindler
Angesichts der Einnahmen aus der Diesel- und Mine-
ralölsteuer in Milliardenhöhe und der Tatsache, dass Un-
garn und Franzosen für den deutschen Markt produzie-
ren, war es wichtig, hier einen Riegel vorzuschieben.
Das hören Ölmüller weiß Gott nicht gerne. Aber 2009
hört es noch nicht auf. Wir werden für den Rapsölbe-
reich eine Auslauffrist und entsprechende Steuersätze
festlegen.
Das Problem in Europa und vor allem in Deutschland
ist, dass der Markt unter einer Überproduktion, insbe-
sondere unter importierten Dieselersatzstoffen aus der
Europäischen Union, zu leiden hat. Derzeit wird in deut-
schen Häfen versucht, Palmöl anzudienen. Natürlich
brauchen wir eine Nachhaltigkeitsregel. Natürlich brau-
chen wir die Abstimmung mit der Europäischen Union,
damit nicht in der Dritten Welt Urwaldflächen und Wei-
deflächen umgebrochen werden und darauf für den Ex-
port in die Europäische Union produziert wird. Bei aller
Ungeduld, die auch ich bei diesem Thema habe, muss
ich Sie um etwas Geduld bitten, bis der Bericht, der zwi-
schen der Bundesregierung und der Europäischen Union
abzustimmen ist, auf den Tisch kommt.
Für unsere deutschen Erzeuger kommt die Entwick-
lung der Nahrungsmittelpreise der letzten Wochen und
Monate hinzu. Es erinnert an ein Tollhaus, wie in diesem
Zusammenhang argumentiert wird. Wenn 100 Einheiten
eines Produkts angeboten werden, aber 101 Einheiten
gebraucht werden, dann spricht man schon von einem
knappen Markt. Werden aber 102 Einheiten angeboten,
besteht angeblich ein Überangebot. Man reagiert derzeit
sehr empfindlich. Manche Vertreter der Nahrungsmittel-
branche argumentieren, auch das Bier müsse teurer wer-
den. Ein Kasten Bier kostet in der Bundesrepublik
Deutschland im Durchschnitt 14 Euro. Der Anteil der
Gerste an einem Kasten Bier macht 0,36 Euro aus. Wenn
der Preis der Gerste auf 40 oder 42 Cent steigt, dann
wird argumentiert, der Preis eines Kastens Bier müsse
um mehrere Prozent erhöht werden. So wird oft dumm
und plakativ, aber trotzdem geschickt argumentiert.
Es gibt keine Verknappung von Nahrungsmitteln, üb-
rigens auch keine Verknappung von nachwachsenden
Rohstoffen. Im kommenden Jahr werden einige Millio-
nen Hektar frei, was mit der Aufhebung der Zwangsstill-
legung von Flächen in der Europäischen Union zusam-
menhängt. Dann haben wir genügend Ertragspotenzial,
um auch diesen Markt wieder vernünftig zu bedienen.
Ich hoffe, dass sich die Preisentwicklung, die wir der-
zeit gerade bei Getreide haben, fortsetzt, aber ich be-
fürchte, dass es sich um eine Blase handelt. Ab Januar,
Februar gibt es wieder Getreideernten auf der Südhalb-
kugel der Erde. Sie werden sehen, dass sich der Markt
beruhigt. Ich sage meinen Bauern immer: Besser mit
Reue verkauft, als mit Reue behalten. Das gilt vor allem
für die, die derzeit horten. Dass wir bei Milch und
Milchprodukten endlich auf das Preisniveau von vor
20 Jahren zurückkommen, haben die Bauern für die
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Es wird über einige Optionen diskutiert. So werden
peziell zum öffentlichen Nahverkehr Stichwort Frei-
tellung Überlegungen angestellt. Ich plädiere dafür,
ass mindestens eine Steuerstufe ausgesetzt wird. Am
esten wäre es, sie zu streichen, weil derjenige, der einen
ieselmotor kauft, eine Ersparnis von 8 Cent erzielen
uss, um die Mehrkosten des Motors auszugleichen.
ann ist er auch bereit, klimabelastende Stoffe nur noch
n geringem Maße zu benutzen.
Wir diskutieren derzeit intensiv über die Nachhaltig-
eitsregel. Es geht um die Frage, wie wir uns WTO-ver-
räglich schützen, damit wir nicht unter Billigimporten
u leiden haben. Wenn in Malaysia Waldflächen gerodet
erden, um darauf für den Export in die Europäische
nion zu produzieren, dann kann man nicht von Nach-
altigkeit sprechen. Die europäische Landwirtschaft
ber muss das Gebot der Nachhaltigkeit erfüllen. Wir
rauchen deshalb die Unterstützung der Europäischen
nion. Das betrifft auch die Produktion von Ethanol.
as sollte man nicht vergessen. Es geht nicht nur um
iodiesel, sondern auch um den Ersatz von Benzin. Es
tellt sich dann die Frage, wie wir mittels einer höheren
wangsbeimischung den Markt entlasten können.
Es bedarf schon einer guten Abstimmung innerhalb
er Koalition, um die anstehenden Fragen zu beantwor-
en. Ich räume ein, dass wir noch nicht bei allen Punkten
ine gemeinsame Linie gefunden haben. Aber wir be-
ommen das in den nächsten Wochen hin. Wir müssen
s hinbekommen. Es besteht dringender Handlungsbe-
arf. Aktiver Umweltschutz darf nicht nur in der Dritten
elt stattfinden, sondern muss auch in Deutschland und
uropa gefördert werden. Wir waren wieder einmal die
rsten, die die bahnbrechende Entwicklung angestoßen
aben. Verstärkt ist das unter Rot-Grün geschehen. Ich
abe kein Problem damit, das anzuerkennen. In der ers-
en Phase war aber die jetzige Bundeskanzlerin Umwelt-
inisterin der Bundesrepublik.
Wir brauchen eine Korrektur der zu rigiden Be-
chlüsse, die wir gefasst haben. Da gebe ich der Opposi-
ion recht. Das war auch meine persönliche Meinung.
ie wissen aber, wie es in der Politik und mit den Inte-
essen der Mineralölwirtschaft ist. Ich komme vom Dorf.
er Ministerpräsident meines Landes hat diesen Spruch
on mir gern übernommen ich wiederhole ihn hier :
n der Politik und in der Koalition ist es so, wie wenn Sie
m Dorf auf die Musi gehen: Sie können nur mit den Mä-
els tanzen, die da sind.
Man braucht einen Kompromiss, damit es in dieser
rage wirklich mit Vernunft weitergeht. Ansonsten wä-
en die Investitionen im ländlichen Raum weiß Gott
lödsinn und eine absolute Katastrophe. Das kann es
icht sein. Wir brauchen unbedingt Morgenstimmung,
amit es auch in diesem Bereich weitergeht. Dabei ist
bzuwägen: Den ersten Rang hat natürlich die Nah-
ungsmittelproduktion. Das sind 90 Prozent des land-
11928 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Norbert Schindler
wirtschaftlichen Ertragspotenzials. Darin enthalten sind
die großen Auflagen wie Cross-Compliance und Um-
weltschutz. Wenn wir aber 10 Prozent der europäischen
Agrarflächen auf Dauer für die Schaffung von Unabhän-
gigkeit in einem Teil der Energieversorgung vorsehen
können, haben wir einen Ausgleich an den Märkten.
Jetzt wäre aber die Gefahr nach dem Motto Rein in die
Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln gegeben. Das wer-
den wir nicht tun. Verlassen Sie sich darauf!
Danke schön.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Kirsten
Tackmann für die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste! Herr Schindler, mit Ihrer Biokraftstoffpoli-
tik werden Sie wahrscheinlich beim nächsten Tanz sitzen
bleiben und nicht abgeholt werden, weder von den vor-
handenen Bräuten noch von irgendjemand anders.
Um es gleich auf den Punkt zu bringen: Für die Linke
ist Ihre Biokraftstoffstrategie deutlich gescheitert. Dieses
Scheitern ist unübersehbar und auch nicht überraschend.
Sie selbst haben es dargestellt: Gerade die klein- und
mittelständischen Biodieselhersteller haben entweder
geschäftliche Schwierigkeiten oder stehen schon vor der
Pleite. Zwei Drittel der deutschen Biodieselhersteller
stehen vor dem Aus, so meldet Agra-Europe. Damit ste-
hen auch die regionalen Versorgungsstrukturen, die ei-
nen ganz anderen Markt darstellen als die Tankstellen
das wissen Sie wahrscheinlich genauso gut wie ich ,
und Arbeitsplätze vor allem im ländlichen Raum vor
dem Aus.
Wir können weitermachen mit dem Bioethanolwerk
in Schwedt, das gerade die Produktion auf null herunter-
gefahren hat. Man kann zu Projekten wie in Schwedt ste-
hen, wie man will. Eines ist aber Fakt: Dort sind Förder-
mittel in Millionenhöhe in den Sand gesetzt worden.
Das hat aber damit zu tun; denn Sie haben das mit ein-
bezogen.
Sie können gern eine Zwischenfrage stellen, wenn Sie
darauf Wert legen.
Die Hoffnung auf eine zukünftige ökologische Kraft-
stoffstrategie mit einheimischen Rohstoffen ist damit
vergeigt. Das Schielen auf kurzfristige Steuereinnahmen
lässt die vielleicht in einigen Jahren sprudelnde Quelle
schon jetzt versiegen. Diese Politik widerspricht auch
den angeblich so ambitionierten Klimaschutzzielen Ihrer
Regierung. Sie hat zudem soziale Folgen, weil Arbeit-
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bwohl der Sachverständigenrat für Umweltfragen fest-
estellt hat, 7 Prozent seien auf Basis der einheimischen
essourcen zu decken;
lles andere müsse importiert werden. Ich sage: Oder wir
eduzieren den Kraftstoffverbrauch der Autoflotte dras-
isch und benutzen mehr Bus und Bahn. Andernfalls
ird der deutsche Biokraftstoffmarkt von billigen und
limaunfreundlichen Exporten überflutet oder werden
hre Klimaschutzziele nicht erfüllt.
Aus unserer Sicht gibt es aber sehr wohl soziale und
kologische Alternativen zu Ihrer Politik. Wir haben sie
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11929
)
)
Dr. Kirsten Tackmann
in unserem Antrag niedergeschrieben und freuen uns
sehr auf die Diskussion. Wir hoffen auf Besserung.
Danke schön.
Nun hat das Wort der Kollege Reinhard Schultz für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man sich die Anträge der FDP und der Linken
oder die Flugblätter und Zuschriften vieler Verbände aus
der Biokraftstoffszene anschaut, dann muss man wirk-
lich glauben, dass der Untergang nahe sei und dass der
Zusammenbruch unmittelbar bevorstehe;
die Ursache liege ausschließlich in der neuen Biokraft-
stoffstrategie der Bundesregierung Weg von der steuer-
lichen Förderung, hin zur Beimischungspflicht.
Wie die Zahlen zeigen, haben diese Parolen mit der
Wirklichkeit überhaupt nichts zu tun im Gegenteil. Ich
kann Ihnen hier heute Abend die freudige Botschaft ver-
künden, dass der Biokraftstoffabsatz in Deutschland im
ersten Halbjahr 2007 so hoch war wie noch nie zuvor.
Das gilt natürlich auch im Vergleich zum Vorjahr, als es
noch die steuerliche Förderung und keine Beimischungs-
pflicht gab.
Die Steuerstatistik ist aussagekräftig; denn die Kraft-
stoffe insgesamt unterliegen der Besteuerung. Aus der
Steuerstatistik geht hervor, dass bei uns im ersten Halb-
jahr 2007 bereits über 970 000 Kubikmeter reiner Bio-
diesel und 367 000 Kubikmeter reines Pflanzenöl in Ver-
kehr gebracht wurden. Das sind insgesamt wesentlich
größere Mengen, als es im Jahr zuvor der Fall gewesen
ist. Hinzu kommt natürlich noch das, was dem fossilen
Kraftstoff beigemischt wird. Wir können heute sagen:
Im Vergleich zum ersten Halbjahr 2006 haben wir so-
wohl im Bereich der reinen Biokraftstoffe als auch ins-
gesamt also einschließlich der Produkte mit Beimi-
schungen einen Zuwachs von 20 Prozent, und die
Tendenz ist steigend.
Die Sorgen, die uns vor einigen Monaten zum Teil
vorgetragen worden sind, waren darin begründet, dass
wir einen ausgesprochen warmen Winter hatten das hat
sich auf die Vergleichspreise niedergeschlagen und
dass die Rohstoffpreise exponentiell angestiegen sind
das tun sie zum Teil auch jetzt noch , und daraufhin
hat sich eine Schere geöffnet, mit der Folge, dass der
eine oder andere Marktteilnehmer wirklich Existenz-
ängste bekommen hat. Zum Teil hat man die Reißleine
gezogen, seine Anlagen abgebaut und sich im Ausland
angesiedelt.
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Sie können doch keine Statistiken, die sich lediglich
uf Monate beziehen, zum Abbild der gesamtwirtschaft-
ichen Wirklichkeit erklären; vielmehr müssen Sie eine
angfristige Betrachtung der Wirtschaft wenigstens
ine einjährige vornehmen, so wie wir es in unserem
iokraftstoffbericht letztendlich tun werden. 2007 wird
ür die Biokraftstoffbranche ein Rekordjahr im Vergleich
u den Jahren vorher. Wir haben den Ehrgeiz zu errei-
hen, dass diese Entwicklung so weitergeht, und zwar
icht auf der Grundlage von Importen, sondern im We-
entlichen auf der Grundlage einheimischer Wertschöp-
ung.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
ollegin Dr. Happach-Kasan?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Schultz, verstehe ich Sie richtig, dass
ie der Einschätzung Ihres Kollegen Schindler wider-
prechen, also nicht planen, das Energiesteuergesetz zu
ndern?
Meine liebe Frau Kollegin, ich habe noch einige Mi-
uten Redezeit. Die werde ich darauf verwenden, die
trategie für die Zukunft darzustellen. Warten Sie das in
uhe ab. Selbstverständlich werden wir gemeinsam
och etwas ändern. Wir werden die jetzige Linie weiter-
erfolgen und sie in die Zukunft fortschreiben.
Ich will noch ein Wort zu den angeblich so Not lei-
enden Firmen verlieren. Ich habe hier die Pressemittei-
ung eines Biodieselherstellers, der in Brandenburg eine
ittelgroße Anlage mit einer Kapazität von etwa
30 Jahrestonnen betreibt. Die Firma schreibt stolz, und
war zu Recht:
11930 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Reinhard Schultz
Das Pritzwalker Unternehmen EOP Biodiesel AG
hat in der ersten Hälfte des Geschäftsjahres 2006/
2007 bei Gewinn und Umsatz kräftig zugelegt.
Seit dem 30. Juni 2006 steigerte die Bioenergie-
Firma ihren Umsatz im Vergleich zum Vorjahres-
Der Gewinn nach Steuern und Zinsen sei sogar um
186 Prozent auf 0,625 Millionen Euro ge-
stiegen
Trotz erhöhter Steuern für Biodiesel er-
wartet das Unternehmen auch für die zweite Hälfte
des Geschäftsjahres deutliche Zuwächse bei Um-
satz und Ertrag.
So schreibt diese Firma.
Herzlichen Glückwunsch nach Pritzwalk! Das ist eine
tolle Entwicklung. Anderen Firmen kann ich nur sagen:
Machen Sie das nach! Das ist kein Zufallstreffer. Das ist
eine gut aufgestellte Firma mittlerer Größenordnung, die
sich unter den gegebenen politischen Rahmenbedingun-
gen vernünftig eingerichtet hat, ordentlich produziert,
mit Gewinn, wie wir uns das wünschen.
Wir haben in den vergangenen Monaten beim Biodie-
sel einen Marktpreis von im Schnitt etwa 63 bis 65 Cent
je Liter vor Steuern gehabt. Damit konnten die Unter-
nehmen offensichtlich Gewinne erwirtschaften, weil ihre
Kosten unter diesen Preisen gelegen haben. Die durch-
schnittlichen Verkaufspreise von fossilem Diesel lagen
im Schnitt bei etwa 94 Cent pro Liter. Da sehen Sie die
Spanne. Da ist so viel Luft drin, dass aus meiner Sicht
die nächste Biodieselsteuerstufe locker zu verkraften ist.
Es bleiben immer noch deutlich mehr als 10 Cent pro Li-
ter Luft, um Gewinne zu machen. Das muss man auf-
grund der Daten, die uns heute vorliegen, zur Kenntnis
nehmen.
Trotzdem ist es notwendig, die Biokraftstoffstrategie
weiterzuentwickeln. Das sieht die EU so, die zwischen-
zeitlich unter unserer Präsidentschaft eine eigene Bio-
kraftstoffstrategie aufgelegt hat. Dies sieht die Bundesre-
gierung so, die in Meseberg Beschlüsse gefasst hat, die
sich auf Biodiesel beziehen. Sie haben es eben zitiert: Es
soll eine Quote von etwa 20 Prozent bis zum Jahr 2020
erreicht werden. Auch die SPD-Fraktion hat sich Gedan-
ken gemacht und ihrerseits Beschlüsse zur Weiterent-
wicklung der Biokraftstoffstrategie gefasst. Das bezieht
sich auf folgende Punkte: Gegenüber dem, was im Ge-
setz steht, werden wir die Quote deutlich anheben. Die
Produktionskapazitäten auch die einheimischen und
der Markt geben es her.
Wir haben Zusagen der Automobilindustrie. Sie ver-
kraftet sowohl im Dieselbereich als auch im Ethanolbe-
reich wesentlich mehr, als sie in den vergangenen Jahren
eingeräumt hat. Dabei werden wir bis zum Anschlag ge-
hen. Wir werden sie treiben. Wir werden die Automobil-
industrie auf das festlegen, was sie anlässlich der Inter-
nationalen Automobil-Ausstellung zugesagt hat. Ihre
ökologischen Versprechen werden wir sozusagen einkla-
gen, indem wir Vorgaben dazu machen, wie Kraftstoffe
in der Zukunft zusammengesetzt sein müssen.
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Dabei werden wir natürlich auf die Hersteller von
einkraftstoffen Rücksicht nehmen. Unsere Idee ist, im
inblick auf die etwas unsicheren Kantonisten der Spe-
itionen, die immer dann mal kurz über die Grenze fah-
en, wenn der Preis dort günstiger ist, einen stabilen ein-
eimischen Markt zu schaffen, indem wir den
ffentlichen Personennahverkehr auf der Straße und der
chiene von der Besteuerung von Biokraftstoffen, ähn-
ich wie in der Landwirtschaft, auf Dauer freistellen. Das
st eine sehr dezentrale Veranstaltung. Das kommt den
ezentralen Vertriebsstrukturen, den kleinen Ölmühlen
usgesprochen entgegen. Das ist nicht steuerlich getrie-
en. Dadurch entsteht kein steuerpolitisches Vakuum,
as Zuflüsse von Biokraftstoffen aus Ungarn, Frankreich
der sonst woher initiiert. Das schafft die Möglichkeit
ines vernünftigen regionalen Kreislaufs in einer Grö-
enordnung von 500 000 bis 1 Million Tonnen im Jahr.
as ist eine ganze Menge. Würden wir dies auf Dauer
arantieren, wäre auch für den Reinkraftstoffmarkt viel
rreicht, und zwar außerhalb der Quote bzw. der Beimi-
chung.
Ein letztes Wort noch zum Thema Nachhaltigkeit, das
ch ausgesprochen ernst nehme: Wir hatten uns vorge-
ommen, durch eine Nachhaltigkeitsverordnung dafür
u sorgen, dass Ökodumpingprodukte weder der Quote
eigemischt werden noch als Reinkraftstoffe steuerlich
ubventioniert werden. Dies machen wir aus umweltpo-
itischem Bewusstsein heraus und nicht, um Wettbewer-
er aus dem Ausland abzuhalten. Wer die Kriterien, die
ir entwickeln, einhält, darf selbstverständlich auf unse-
em Markt erscheinen. Kriterien werden im Wesentli-
hen sein: eine positive CO2-Bilanz, kein Raubbau an
er Natur es darf also kein Regenwald für Palmölplan-
agen abgeholzt werden und die Beachtung der guten
andwirtschaftlichen Praxis bei der Herstellung, also
eine Überdüngung usw. Diese drei Kriterien kann man,
ie ich glaube, auch einhalten.
Jeder Kraftstoff wird zertifiziert werden müssen. Ich
in sicher, dass wir dies für den deutschen und den euro-
äischen Markt hinbekommen. Ob diese Spielregeln
ann auch für den Rest der Welt gelten werden, ist eine
ndere Frage. Möglicherweise wird ein Teil der Pro-
ukte aus Indonesien unseren Nachhaltigkeitskriterien
ntsprechen, der größere Teil, der für China bestimmt
st, wo man inzwischen auch Biokraftstoffe einkauft,
ber ohne Einhaltung dieser Kriterien produziert wer-
en.
Diesbezüglich muss man Sorge haben, wenn man sich
ie entsprechende OECD-Studie oder die Untersuchung
es Sachverständigenrats anschaut. Ich nehme dies aus-
esprochen ernst. Aber hier gilt dasselbe wie beim übri-
en Klimaschutz: Wir müssen zeigen, dass es möglich
st, eine Biokraftstoffstrategie unter Einhaltung von
achhaltigkeitskriterien zu fahren, damit andere sie
achmachen können. Anders können wir doch nicht an-
reten. Man müsste sich doch gleich erschießen, wenn
an die Furcht hätte, dass nicht alle genauso gut und
chlau wie wir sind.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11931
)
)
Herr Kollege, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.
Ich neige als Politiker eher dazu, ein gewisses missio-
narisches Bewusstsein an den Tag zu legen, Gutes zu tun
und vorzuzeigen und aus dem, was in Deutschland oder
Europa entwickelt worden ist, Exportartikel zu machen.
Vielen Dank.
Nächster Redner ist nun der Kollege Hans-Josef Fell
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Schultz, Ihre Ausführungen ange-
sichts der Konkursentwicklung bei mittelständischen
Biodieselproduzenten kann man nur als unverantwortli-
chen Zynismus bezeichnen.
Der Ölpreis liegt auf Rekordhoch und beträgt mehr als
80 Dollar pro Barrel. Trotzdem tut die Bundesregierung
vieles, um den Ausbau der erneuerbaren Energien zu
schwächen, und sie tut schon gar nichts für den Ausbau
der erneuerbaren Energien. Zwar spricht Bundesminister
Gabriel von einem kleinen Wirtschaftswunder recht hat
er ; aber er schmückt sich mit fremden Federn, da er es
nicht initiiert hatte und zunehmend dafür verantwortlich
wird, dass sich dieses kleine Wirtschaftswunder ab-
schwächt.
Die Ergebnisse des Nichthandelns und der falschen
Handlungen dieser Bundesregierung werden nun sicht-
bar. Im ersten Halbjahr 2007 gab es dramatische Einbrü-
che in wichtigen Teilbereichen der erneuerbaren Ener-
gien: minus 20 Prozent bei Windkraftinvestitionen im
Binnenmarkt, minus 35 Prozent bei Sonnenkollektoren,
minus 50 Prozent bei Holzpelletsheizungen, minus
50 Prozent bei Biogasanlagen und minus 60 Prozent bei
der Nachfrage nach dem KfW-Gebäudesanierungspro-
gramm. Dies ist ein unerwartet schneller und dramati-
scher Abschwung der erneuerbaren Energien; der Wirt-
schaftswunderschwung durch Rot-Grün wird von
Schwarz-Rot abrupt abgebremst.
Meine Damen und Herren, das gleiche Bild zeigt sich
bei den Biokraftstoffen. Bewusst und in aller Konse-
quenz wird der Markt für reine Biokraftstoffe zerstört.
Allein auf Beimischung wird gesetzt und damit das Ge-
schäft der Mineralölkonzerne gemacht. Die Mineralöl-
konzerne spürten ja zunehmend die Konkurrenz von de-
zentral vermarkteten reinen Biokraftstoffen, die mithilfe
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Was ist das Ergebnis? Die Steuerbefreiung von Rot-
rün hatte zum Aufbau einer Produktionskapazität von
,8 Millionen Tonnen Biodiesel geführt. Die vielge-
ühmte Beimischung führte dazu, dass von den etwa
0 Biodieselproduzenten rein rechnerisch die fünf größ-
en die Beimischungsquote erfüllen können. Die anderen
5 mittelständischen Biodieselhersteller stehen aktuell
or dem Konkurs so viel zur angeblichen Mittelstands-
olitik der Bundesregierung. Zehntausende Arbeits-
lätze sind höchstgefährdet, genauso wie 10 Millionen
onnen CO2-Reduktion. Gewerbe- und Einkommensteu-
reinnahmen werden wegfallen und, Herr Schindler,
uch die Steuereinnahmen bei reinem Biodiesel. Wie
önnen Sie da noch auf Berechnungen der Bundesregie-
ung warten? Die Unternehmen können nicht mehr war-
en.
Beim kleinen Bruder, bei den reinen Pflanzenölen,
ieht dies noch düsterer aus. Da sie überhaupt nicht bei-
ischungsfähig sind, sollen sie gänzlich verschwinden.
ezentrale Strukturen, Direktvermarktung, ökologische
roduktionsprozesse und Entwicklung ländlicher
äume, dies alles unterstützt die Bundesregierung nicht.
Die Anträge von der FDP und den Linken gehen daher
n die richtige Richtung, wobei der Antrag der Linken mit
em wichtigen Hinweis auf die Nachhaltigkeit und die
ertifizierung der Produktion von Biokraftstoffen einen
nverzichtbaren Akzent setzt. So können vorhandene
ehlentwicklungen in Form intensiver Landwirtschaft
nd Urwaldabholzung bei der Biokraftstofferzeugung
usgeräumt werden.
Beide Anträge stehen in der Tradition unseres grünen
ntrages, den die Große Koalition längst abgelehnt hat.
ie Resistenz der Großen Koalition gegen die Unterstüt-
ung eines Marktes für reine Biokraftstoffe ist unglaub-
ich. So entlarvt sich die Bundesregierung selbst als rei-
en Rhetorikverein für erneuerbare Energien, dessen
andeln gegen die eigenen Worte gerichtet ist. So ist
iese Bundesregierung mitverantwortlich für weitere
O2-Emissionen, für weitere Klimazerstörung, für den
ückgang der Investitionen in erneuerbare Energien, für
11932 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Hans-Josef Fell
die Konkurse in der Biodiesel- und Pflanzenölbranche,
für die Schwächung ländlicher Räume, aber auch für die
weitere Monopolisierung im Kraftstoffmarkt.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/5133 und 16/5679 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? Ich sehe dazu keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 14 a bis 14 c
sowie Zusatzpunkt 4 auf:
14 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhe-
bung des Hochschulrahmengesetzes
Drucksache 16/6122
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
tion DIE LINKE
Hochschulrahmengesetz beibehalten
Drucksache 16/4626
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
Gehring, Krista Sager, Britta Haßelmann, Priska
Hinz und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Studentische Mobilität durch bundeseinheitli-
che Mindeststandards bei Hochschulzulassung
und -abschlüssen sicherstellen
Drucksache 16/5759
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Barth, Patrick Meinhardt, Cornelia Pieper, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes zur
Stärkung autonomer Hochschulen nutzen
Drucksache 16/6397
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2)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
uf den Drucksachen 16/6122, 16/4626, 16/5759 und
6/6397 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
chüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden?
uch dies ist offenkundig der Fall. Dann sind die Über-
eisungen so beschlossen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 15:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses zu
dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen,
Petra Pau, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus er-
stellen
Drucksachen 16/4201, 16/5824
Berichterstattung:
Abgeordnete Kristina Köhler
Gabriele Fograscher
Gisela Piltz
Sevim Dağdelen
Josef Philip Winkler
Auch hier haben folgende Kolleginnen und Kollegen
ağdelen und Monika Lazar.2) Das heißt, eine Ausspra-
he findet nicht statt.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Innenaus-
chusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem
itel Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus erstellen.
er Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
uf Drucksache 16/5824, den Antrag der Fraktion Die
inke auf Drucksache 16/4201 abzulehnen. Wer stimmt
ür diese Beschlussempfehlung? Wer ist dagegen?
nthaltungen? Dann ist die Beschlussempfehlung mit
en Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-
raktion bei Enthaltung der Fraktion der Grünen und
egenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b
uf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Moder-
Anlage 2
Anlage 3
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11933
)
)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
nisierung der Rahmenbedingungen für Kapi-
talbeteiligungen
Drucksache 16/6311
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung
des Gesetzes über Unternehmensbeteiligungs-
gesellschaften
Drucksache 16/3229
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
Die Kolleginnen und Kollegen Klaus-Peter Flosbach,
Dr. Hans-Ulrich Krüger, Nina Hauer, Frank Schäffler,
Dr. Axel Troost und Christine Scheel haben ihre Reden
zu diesem Punkt zu Protokoll gegeben.1)
Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzent-
würfe auf den Drucksachen 16/6311 und 16/3229 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b
auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Christian Ströbele, Volker Beck , Monika
Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rücknahme der Ermächtigung zur Strafver-
folgung von Journalisten wegen Verstoßes ge-
gen Geheimhaltungsvorschriften gemäß § 353 b
des Strafgesetzbuches
Drucksache 16/6326
b) Beratung des Antrags der Fraktion der FDP
Ermächtigung zur Strafverfolgung von Jour-
nalisten gemäß § 353 b Abs. 4 StGB im Zu-
sammenhang mit dem 1. Untersuchungsaus-
schuss der 16. Wahlperiode zurücknehmen
Drucksache 16/6217
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten
soll. Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden
wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Hans-Christian Ströbele für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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B1) Anlage 4
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
en! Zu später Stunde beschäftigt sich der Deutsche
undestag mit einem sehr wichtigen Vorgang in eigener
ache. Dieser Deutsche Bundestag hat die Ursache für
trafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen 17 Journalis-
en gesetzt, und zwar nicht gegen irgendwelche, sondern
nter anderem gegen die besten investigativen Journalis-
en in diesem Land.
Dem Kollegen Kauder gebührt das zweifelhafte Ver-
ienst, diese Ermittlungsverfahren damit angeschoben
u haben, dass auf seine Anregung hin von den Mitglie-
ern des 1. Untersuchungsausschusses der Beschluss ge-
asst wurde, den Bundestagspräsidenten dazu aufzufor-
ern, die Ermächtigung für diese Strafverfolgung zu
rteilen. Ich war dagegen gegen meinen heftigen
chriftlichen und mündlichen Widerstand sind diese Ver-
ahren eingeleitet worden , weil diese Verfahren
uatsch sind. Der Staatsanwalt in Hamburg, der diese
rmittlungsverfahren als Erster von offizieller Seite be-
rteilt hat, hat sie zu Recht als Quatsch bezeichnet.
In der Zwischenzeit mussten wir feststellen, dass
iese Verfahren von einigen Staatsanwaltschaften einge-
tellt werden sollen, von einer Staatsanwaltschaft schon
ingestellt worden sind, dass aber andere Staatsanwalt-
chaften sie weiterlaufen lassen. Das können wir nicht
infach so hinnehmen.
a haben wir eine Verantwortung, da müssen wir ein-
reifen.
Als im Sommer in allen Zeitungen und sämtlichen
edien groß über diese strafrechtlichen Ermittlungsver-
ahren gegen die Journalisten berichtet wurde, kam aus
llen Fraktionen des Deutschen Bundestages heftige Kri-
ik. Selbst der Kollege Grindel von der CDU/CSU-Frak-
ion Medienexperte seiner Fraktion
at das Vorgehen als höchst problematisch bezeichnet;
as ist für einen CDU-Abgeordneten ja schon höchst kri-
isch. Der SPD-Obmann im Untersuchungsausschuss hat
esagt, diese Ermittlungsverfahren seien verfehlt, ob-
ohl die Union und die SPD im Untersuchungsaus-
chuss dafür gestimmt haben, dass diese Ermächtigung
rteilt wird.
Wenn die Fraktionen in dieser Weise in der Öffent-
ichkeit Stellung nehmen, dann sind sie auch verpflich-
et, dieser Kritik Taten folgen zu lassen. Dann müssen
ie jetzt mit uns dafür sorgen, dass diese Verfahren ein-
estellt werden, und zwar sofort.
Das können wir sehr einfach erreichen, indem wir den
undestagspräsidenten auffordern, die Ermächtigung,
11934 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Hans-Christian Ströbele
die er erteilt hat, zurückzunehmen. Er kann das. Er muss
das tun. Er kann das auch beschränkt auf die Journalisten
tun. Das ist in allen Kommentierungen zum Strafrecht so
vorgesehen. Der Kollege Kauder bestreitet das. Aber er
hat keine einzige Belegstelle, die dem entgegensteht.
Wenn das nicht gemacht wird, dann ist das böser Wille.
Wir sind für guten Willen gegenüber den Journalisten.
Deshalb fordern wir, dass die Ermächtigung sofort zu-
rückgezogen wird, damit dieser Quatsch aufhört, damit
diese strafrechtlichen Ermittlungsverfahren sofort einge-
stellt werden.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat bereits Ende
des letzten Jahres einen Gesetzentwurf in den Deutschen
Bundestag eingebracht,
gemäß dem solche Strafverfahren gegen Journalisten
nicht mehr eingeleitet werden könnten. Wir wollen da-
mit festschreiben, dass ein Journalist nicht allein deshalb
wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat verfolgt werden
darf, weil er in der Zeitung schreibt, dass ein Skandal
passiert ist und ihm dazu eine bestimmte Information aus
geheimen Quellen gegeben worden ist. Das darf nicht
für die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsver-
fahrens und schon gar nicht für eine Verurteilung ausrei-
chen.
Deshalb wollten wir das Gesetz ändern und haben vorge-
schlagen, dass der Deutsche Bundestag beschließt, dass
Beihilfe und Anstiftung zu solch einem Geheimnisver-
rat, also eine Teilnahmehandlung, in Zukunft nicht allein
aus dem Grund verfolgt werden, weil man etwas in der
Zeitung bzw. in den Medien veröffentlicht. Das darf
nicht sein. Das wollen wir ausschließen. Das darf nach
dem Gesetz keine rechtswidrige Handlung mehr sein.
Damit wären die Journalisten umfangreich und in dem
erforderlichen Maße geschützt.
Wir stehen auf der Seite der Pressefreiheit. Wir stehen
auf der Seite der Journalisten und fordern deshalb: Las-
sen Sie die Journalisten in Ruhe ihre bewundernswerte
Recherchearbeit durchführen und deren Ergebnisse auch
veröffentlichen. Setzen Sie heute hier im Deutschen
Bundestag ein Zeichen dafür, dass das Parlament nicht
will, dass die Journalisten weiter verfolgt werden. For-
dern wir den Bundestagspräsidenten auf, die Ermächti-
gung zurückzunehmen.
Das Wort hat der Kollege Dr. Carl-Christian Dressel
für die SPD-Fraktion.
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Schöner ist, was ich zu Ihrem Antrag zu sagen habe.
Wir behandeln zu dieser wahrlich etwas vorgerückten
tunde Herr Ströbele, spät würde ich sie noch nicht
ennen ein bedeutsames Thema. Es geht um nichts Ge-
ingeres als die Pressefreiheit. Es geht aber auch um
ichts Geringeres als Geheimnisverrat. Ich sage dazu: Es
eht auch um nichts Geringeres als um das Verstehen des
rinzips der Gewaltenteilung.
Lassen Sie mich zunächst in Erinnerung rufen, warum
s überhaupt zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft
egen Journalisten gekommen ist
zw., wie Sie sagten, Herr Ströbele, welche Ursachen
afür denn gesetzt wurden. Auslöser für alle Ermittlun-
en waren Presseberichte mit vertraulichen Informatio-
en aus dem 1. Untersuchungsausschuss.
iejenigen, die aus dem 1. Untersuchungsausschuss In-
ormationen weitergegeben haben, wollen wir doch zu-
indest nicht in Schutz nehmen.
Nachdem Sie, Herr Ströbele, sagten, Sie stehen auf
er Seite der Journalisten und der Pressefreiheit, möchte
ch Sie fragen: Stehen Sie auch auf der Seite derjenigen,
ie die vertraulichen Informationen aus dem
. Untersuchungsausschuss nach außen getragen haben?
Kollege Dressel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Hans-Christian Ströbele?
Gern, Frau Präsidentin.
Bitte.
Herr Kollege, haben Sie die Anträge der Fraktionen
on Bündnis 90/Die Grünen und der FDP richtig gele-
en?
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11935
)
)
Hans-Christian Ströbele
Wenn das der Fall wäre, wüssten Sie, dass unser Antrag
lediglich darauf zielt, die Ermächtigung zur Verfolgung
von Journalisten wegen ihrer journalistischen Arbeit zu-
rückzuziehen, und sich nicht auf die mögliche Strafver-
folgung der Täter eines Geheimnisbruches bezieht.
Herr Kollege Ströbele, ich darf Ihnen versichern: Ich
habe die beiden Anträge gelesen. Ich bilde mir ein, sie
auch richtig und genau gelesen zu haben. Ich darf Ihnen
an dieser Stelle das Kompliment machen, dass Sie hand-
werklich ein klein wenig besser waren;
denn im Gegensatz zur FDP zitieren Sie aus der aktuel-
len Auflage des StGB-Kommentars Schönke/Schröder.
Die FDP nutzt eine frühere Auflage.
Vielleicht sollte ich den Kollegen ein neues Exemplar
zur Verfügung stellen.
Ich darf Ihnen versichern, dass mir die Zielrichtung
Ihres Antrages aus dem vorliegenden Antragstext sehr
wohl bekannt ist. Allerdings legt die Rede, die Sie ge-
rade gehalten haben, die Frage nahe, ob Sie über diese
Zielrichtung hinaus noch andere Zielrichtungen verfol-
gen. Diese Frage sollte einem Redner gestattet sein.
Um zu meinen Ausführungen zurückzukommen: Die-
jenigen, die den Geheimnisverrat nichts anderes ist es
begangen haben, haben in entscheidendem Maße dazu
beigetragen, dass der 1. Untersuchungsausschuss als
Gremium, das den Regeln der Strafprozessordnung un-
terworfen ist und privilegierten Zugang zu Akten erhält,
Schaden genommen hat. Vor diesem Hintergrund hat
sich die Mehrheit des Ausschusses meines Erachtens
zu Recht dem Vorschlag des Vorsitzenden angeschlos-
sen, um zu demonstrieren, dass die Weitergabe von Do-
kumenten an Journalisten als Geheimnisverrat strafbar
ist und solche Straftaten nicht gebilligt werden.
Unter dieser Prämisse und in Anbetracht der Fakten und
der gesetzlichen Regelungen halte ich Ihre Forderungen
für ein falsches Signal.
Es soll hin und wieder vorkommen, dass Staatsan-
wälte draußen im Lande übereifrig ermitteln.
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ie Verantwortung für Ermittlungen und Durchsu-
hungsmaßnahmen im Einzelfall liegt ausschließlich bei
en zuständigen Staatsanwaltschaften. Das müssen wir
ier einmal klarstellen.
Sie haben von einem Ursachegesetz im Sinne von
quivalenz gesprochen, Herr Kollege Schäuble.
Verzeihung, Herr Kollege Ströbele. Dazu sage ich Ih-
en: Dafür ist hier der falsche Platz.
Genauso sind wir hier am falschen Platz, um uns die
idersprüchlichkeit zwischen Ihrer Argumentation und
er Argumentation der Kolleginnen und Kollegen der
DP zu Gemüte zu führen. Diese sagen, dass ein Eingriff
n die Pressefreiheit vom Parlament nicht gewollt ist,
nd zitieren teilweise wörtlich das Bundesverfassungs-
ericht, indem sie ausführen:
Deshalb müssen die strafprozessualen Normen über
Durchsuchung und Beschlagnahme dahin gehend
ausgelegt werden, dass die bloße Veröffentlichung
des Dienstgeheimnisses
nicht ausreicht, um ei-
nen diesen Vorschriften genügenden Verdacht der
Beihilfe zum Geheimnisverrat zu begründen
enn Sie das, was Sie da schreiben, ernst meinen, dann
enken Sie bitte an das Prinzip der Gewaltenteilung, das
igentlich jeder Gymnasiast kennt: Der Deutsche Bun-
estag ist nicht dazu da, Recht auszulegen, sondern
echt zu setzen.
Ja genau, Herr Kollege Montag, Ihr Gesetz. Sie haben
inen Gesetzesentwurf vorgelegt.
as war die richtige Form. Ihr Antrag, über den wir hier
ebattieren, ist die falsche Form. Aber Ihr Gesetzent-
urf, Drucksache 16/576, und auch der Gesetzentwurf
on den Kollegen der FDP, Drucksache 16/956, haben
11936 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Dr. Carl-Christian Dressel
beide ihre Probleme. Denn der eine Entwurf ist nicht
dazu geeignet, Schutz gegen übereifrige Staatsanwälte
zu ermöglichen. Der andere Gesetzentwurf würde Straf-
barkeitslücken aufreißen. Details dazu haben Sie im
Fachausschuss gehört. Die will ich hier nicht wiederho-
len.
Aber auf eines weise ich hin: Wir alle reden von Jour-
nalisten. Wer bitte schön das darf ich Sie, Kollege
Ströbele, auch einmal fragen ist nach Ihrer Ansicht
oder nach Ansicht der beiden Antragsteller denn Journa-
list?
Das ist aber keine geschützte Bezeichnung. Machen
Sie hier keine Türen auf, indem Sie diese Bezeichnung
einführen.
Eine Parallele zum Berufsgeheimnisträger haben Sie in
Ihrer Begründung ja gerade nicht gebracht. Die Grünen
dagegen sprechen von Medienangehörigen. Das ist ein
relativ breiter und schwammiger Begriff.
Nein, unser Interesse als Gesetzgeber ist und muss
sein, dafür zu sorgen, dass die Rechtsprechung durch die
dafür zuständigen Organe von Justiz und Exekutive kor-
rekt angewendet wird. Wir dürfen uns hier nicht, wie
heute im Rechtsausschuss versucht, als Generalober-
staatsanwaltschaft oder als Superrevisionsgericht auf-
führen, indem wir Ermittlungsverfahren überprüfen. Un-
sere Aufgabe ist und bleibt es, Recht zu setzen, und
nicht, Recht auszulegen. Davon sollten wir nicht abge-
hen.
Aus diesen Gründen für diese Begründung brauchte
ich, Kollege Ströbele, keine neun Minuten Redezeit,
sondern deutlich weniger ist Ihr Antrag genauso wie
der Antrag der Kollegen der FDP abzulehnen.
Ich hoffe, dass wir endlich aufhören, uns an dieser
Stelle mit Einzelfallmaßnahmen zu befassen; denn dazu
gibt es die unabhängigen Gerichte und Staatsanwalt-
schaften. Wir hingegen haben anderes zu tun.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Dr. Max Stadler für die
FDP-Fraktion.
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odass es mich wirklich reizen würde, hier in eine juristi-
che Fachdebatte einzutreten. Das würde aber ebenfalls
m Kern der Sache vorbeigehen. Heute geht es nämlich
ufgrund der Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und
er FDP-Fraktion darum, dass der Deutsche Bundestag
ine Gelegenheit zu einer Klarstellung wahrnimmt, die
ringend notwendig ist.
er Deutsche Bundestag legt selbstverständlich Wert
arauf, dass die eigenen Verfahrens- und Geheimhal-
ungsregeln von denen eingehalten werden, die zu dieser
eheimhaltung verpflichtet sind.
ber der Deutsche Bundestag will nicht, dass durch
trafverfahren in die Pressefreiheit eingegriffen wird.
as könnte mit einer Zustimmung zu unseren Anträgen
eute hier vom Hohen Haus klargestellt werden.
Ich sage Ihnen ganz offen: Als derzeitiger Vorsitzen-
er des Parlamentarischen Kontrollgremiums bin ich so-
ar sehr stark daran interessiert, dass Geheimhaltungsre-
eln strikt beachtet werden. Man macht da aber übrigens
o seine eigenartigen Erfahrungen: Vor gut zwei Wochen
urden drei Personen verhaftet, die im Verdacht stehen,
ürchterliche Bombenanschläge geplant zu haben. Dazu
onnte man aus der Presse Details aus den Ermittlungs-
erfahren erfahren, ehe auch nur ein einziges parlamen-
arisches Gremium über die Vorgänge informiert worden
ar.
as zeigt: Die Verantwortung dafür lag bei anderen, je-
enfalls nicht bei Parlamentariern. Das wollte ich nur
inmal zu der Praxis sagen, mit der wir uns hier beschäf-
igen.
Gleichwohl verstehe ich, dass unser Kollege Siegfried
auder als Vorsitzender des Untersuchungsausschusses
ür den von ihm geleiteten Ausschuss das gleiche Inte-
esse verfolgt, welches ich für das Kontrollgremium in
nspruch nehme: nämlich die Einhaltung der Geheim-
altungsregeln. Deswegen war seinem Vorschlag zuzu-
timmen, dass bei Verletzung der Geheimhaltungsregeln
it entsprechenden Ermittlungsverfahren gegengesteu-
rt wird. Die FDP hat aber bei ihrer Zustimmung von
nfang an klargestellt: Wir wollen nicht, dass sich sol-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11937
)
)
Dr. Max Stadler
che Verfahren gegen Journalisten richten, die nur ihrer
Pflicht zur Information der Öffentlichkeit nachkommen.
Wir sind der Meinung das will ich jetzt aus Zeit-
gründen juristisch nicht näher begründen; die Fachleute
wissen es sowieso , dass sich Journalisten nach gelten-
dem Recht ohnehin nicht wegen Beihilfe zum Geheim-
nisverrat strafbar machen, wenn sie Informationen, die
sie erhalten haben, publizieren. Vielmehr sind die dieje-
nigen als Täter zu verfolgen, die den Geheimnisverrat
begangen haben.
Diese Auffassung, die wir, gestützt auf gewichtige
Stimmen in der Strafrechtsliteratur, vertreten, wird aber
offenkundig nicht von allen geteilt. Deswegen bestand
von Anfang an die Gefahr, dass sich eine undifferenzierte
Ermächtigung zur Strafverfolgung dann auch gegen Jour-
nalisten richtet. Leider ist es genau so gekommen, weil
der Herr Bundestagspräsident die Ermächtigung nicht
beschränkt hat. Er hätte die Journalisten von der Er-
mächtigung ausnehmen können; das wäre rechtlich zu-
lässig gewesen. Das hat er aber nicht getan.
Da der Bundestagspräsident damit nur dem Willen
der Großen Koalition entsprochen hat, richtet sich unser
Antrag nicht etwa gegen den Bundestagspräsidenten;
im Gegenteil: Wir wollen, dass das Parlament ihm heute
den Rücken stärkt, sodass er die erteilte Ermächtigung in
Bezug auf die Journalisten zurücknimmt.
Wir sind es, die ihm diesen Willen des Parlaments vor-
tragen müssen. Dies ist rechtlich ohne Weiteres zulässig.
Herr Kollege Dressel, wenn wir aus einem älteren
Kommentar zitiert haben, so zeigt dies nur, dass unsere
Meinung schon seit langem vertreten wird, nicht etwa
nur im konkreten Fall.
Somit halte ich fest: Es ist rechtlich zulässig, die Er-
mächtigung zur Strafverfolgung auf die eigentlichen Tä-
ter zu beschränken und die Journalisten davon auszuneh-
men. Dies wäre ein gutes Signal des Bundestags; es
würde zeigen, dass wir uns des Werts der Pressefreiheit
bewusst sind, wenn wir die Dinge wieder ins Lot brin-
gen, die sich vielleicht unbeabsichtigt in eine falsche
Richtung entwickelt haben.
Allerdings hat Kollege Dressel zugleich Recht: Das
Problem sitzt tiefer.
Es muss auch das Strafgesetzbuch in dem Sinne geändert
werden, dass eine Klarstellung erfolgt, dass journalisti-
sche Tätigkeit keine Beihilfe zum Geheimnisverrat dar-
stellt und damit nicht strafbar ist.
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Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Siegfried
auder das Wort.
Siegfried Kauder (CDU/
SU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-
en! Wer kämpferisch wie der Kollege Ströbele das Ho-
elied der Pressefreiheit singt, läuft schnell Gefahr, dass
an ihm Populismus vorwirft.
ch will das nicht tun, sondern versuchen, die bestehende
echtslage zu erhellen.
Zweifellos ist die Pressefreiheit ein hohes Gut. Das
issen wir schon seit der Entscheidung des Bundesver-
assungsgerichts in Band 20, Seiten 162 ff.; insbeson-
ere zu empfehlen ist Seite 174.
ber die Pressefreiheit schwebt nicht in einem rechts-
reien Raum über der Demokratie.
ie ist in das Rechtssystem eingebunden, wie sich aus ei-
em Blick in das Grundgesetz sehr schnell ergibt. In
rt. 5 Abs. 2 des Grundgesetzes ist nämlich festgelegt,
ass die Pressefreiheit ihre Schranken in den Vorschrif-
en der allgemeinen Gesetze findet. Allgemeine Gesetze
ind sowohl die Strafprozessordnung als auch das Straf-
esetzbuch.
11938 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Siegfried Kauder
Neben dem Grundrecht der Pressefreiheit gibt es auch
grundrechtsgleiche Rechte, die gleichrangig zur Presse-
freiheit zu schützen sind. Zu diesen grundrechtsgleichen
Rechten gehört auch die innere Sicherheit.
Mit Themen zu diesem Bereich befassen wir uns im Un-
tersuchungsausschuss.
Dabei geht es um hochsensible Daten von im operativen
Einsatz tätigen Mitarbeitern der Nachrichtendienste und
um gute Kontakte zu unseren Partnerdiensten im Aus-
land. Was diese guten Kontakte wert sind, haben wir in
den letzten Wochen leidvoll erfahren, als wir feststellen
mussten, dass der Terrorismus nun auch in Deutschland
angekommen ist.
Es gehört also zu den essenziellen Aufgaben unseres Un-
tersuchungsausschusses, dafür zu sorgen, dass Geheim-
haltungspflichten gewahrt werden. Ich glaube, hier sind
wir uns alle einig.
Die Frage ist: Welche Rolle spielt in diesem hochsen-
siblen Bereich die Presse unter dem Schutz der Presse-
freiheit? Auch Pressevertreter bewegen sich nicht in ei-
nem rechtsfreien Raum;
auch sie sind an die Gesetze gebunden.
Ob sie sich noch im Rahmen der Pressefreiheit oder auf-
grund einer Verstrickung schon im strafrechtlich rele-
vanten Raum nach § 97 Abs. 2 der Strafprozessordnung
bewegen, bleibt der sehr detaillierten Beurteilung im
Einzelfall vorbehalten.
Hier gilt es, die sogenannte Wechselwirkungstheorie zu
beachten, die das Bundesverfassungsgericht entwickelt
hat. Das heißt, dass man die allgemeinen Gesetze, denen
auch ein Journalist unterliegt, immer unter dem Ge-
sichtspunkt der Grundrechte abgleichen muss. Darüber
hinaus ist die Rechtsprechung, die sich insbesondere aus
der Cicero-Entscheidung ergibt, zu berücksichtigen.
Aber, meine Damen und Herren, fangen wir von
vorne an.
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ie zweite im Oktober 2006, und die dritte wurde Mitte
ärz 2007 eingeläutet. Jeder dieser drei Wellen haben
ir im Untersuchungsausschuss nicht nur ich als Vor-
itzender, sondern auch der Ausschuss durch seine Ent-
cheidungen zu begegnen versucht, indem wir den
undestagspräsidenten angeschrieben, ihm die Lage ge-
childert und ihn gebeten haben, zu prüfen, ob er eine
rmächtigung zur Strafverfolgung erteilt. Eine solche
rmächtigung erteilt er nach eigener Sachprüfung.
Herr Kollege Ströbele, manch einer schleicht sich
eg und will es nicht wahrhaben.
ie erste Entscheidung vom Juni 2006, den Bundestags-
räsidenten zu einer Ermächtigung anzuregen, wurde
ämlich einstimmig gefasst.
uch der Kollege Ströbele hat dieser Entscheidung im
bleutegespräch zugestimmt.
as wollen Sie möglicherweise nicht mehr wahrhaben.
Auch als es zur zweiten Welle kam, also im
ktober 2006, gab es in der Abstimmung über die Frage,
b der Bundestagspräsident gebeten werden soll, eine
rmächtigung zur Strafverfolgung zu erteilen, keine Ge-
enstimme.
Am 21. März 2007 hat sich bei der Opposition aller-
ings etwas getan. Ich frage mich noch heute, was ei-
entlich der Grund für diese Änderung der Einschätzung
ar. Die Cicero-Entscheidung vom 27. Februar 2007
ann es schlechterdings nicht gewesen sein; denn durch
ie wird kein neues Recht gesetzt. Durch die Cicero-Ent-
cheidung wurde lediglich genau skizziert, wo die
rundrechte enden und inwieweit ein Journalist den
chutz der Grundrechte für sich in Anspruch nehmen
ann.
Manchmal wird aber eine Rechtswohltat zum Fluch;
arüber lassen Sie mich jetzt einmal nachdenken: Der
undestagspräsident hat seine Ermächtigung erteilt. Die
taatsanwaltschaften wurden informiert und gerieten
nter Zeitdruck. Normalerweise verjähren Straftaten des
alibers Geheimnisverrat gemäß § 78 des Strafgesetzbu-
hes nach drei Jahren. Nach allen Landespressegesetzen
erjähren Straftaten im Zusammenhang mit der Veröf-
entlichung in Presseorganen allerdings nach sechs Mo-
aten. Das heißt also, die Staatsanwaltschaften konnten
öglicherweise nur nach summarischer Prüfung kurz-
ristig entscheiden, ob sie gegen Journalisten ein Ermitt-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11939
)
)
Siegfried Kauder
lungsverfahren eröffnen oder ob sie dies nicht tun; dann
wären eventuelle Straftaten verjährt.
Kollege Kauder, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Hans-Christian Ströbele?
Siegfried Kauder (CDU/
CSU):
Nein. Deswegen muss man sich überlegen, ob diese
Rechtswohltat im Interesse der Journalisten ist oder ob
man nicht da etwas ändern sollte.
Bisher wurde die Sach- und Rechtslage übrigens nur
aus der Sicht des Parlaments betrachtet. Vielleicht darf
man die Situation auch aus der Sicht des Bundestagsprä-
sidenten betrachten: Er wurde anfangs durch einstim-
mige Beschlüsse, zuletzt durch Mehrheitsbeschlüsse
gebeten, zu prüfen, ob er eine Ermächtigung erteilt.
Muss nun ein Bundestagspräsident in einen schwierigen
rechtlichen Abwägungsprozess eintreten? Muss er sich
mit Rechtsinstituten der Wechselwirkung zwischen
Grundrechten und allgemeinem Recht abplagen? Muss
er sich mit der Verstrickungsregelung des § 97 Abs. 2
der Strafprozessordnung befassen? Kann man ihm das
alles zumuten?
Der Bundestagspräsident hat sich zu diesen Anträgen
in weiser Vorausschau schon in einem Artikel im Rheini-
schen Merkur vom 6. September 2007 geäußert:
Ganz offensichtlich bestand die Erwartung an den
deutschen Bundestagspräsidenten, dass er schon die
Genehmigung zur Ermittlung auf Abgeordnete be-
schränken, nicht aber auf Journalisten ausweiten
dürfe. Das ist schon kurios. Was hätte man mir denn
wohl vermutlich zu Recht vorgehalten, wenn
ich mir angemaßt hätte, anstelle der Justiz festzule-
gen, gegen wen ermittelt werden darf?
Der Bundestagspräsident will nicht Staatsanwalt spie-
len. Deswegen haben wir seine Meinung zu respektieren.
Somit sind die Anträge vielleicht doch als nicht ganz un-
populistisch abzulehnen.
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Hans-
Christian Ströbele das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann Ihnen
nicht ersparen, dass ich dazu eine Kurzintervention ma-
che, weil der Kollege Kauder meine Zwischenfrage ja
nicht zugelassen hat.
Herr Kollege Kauder, Sie wissen genau, dass sich die
Situation verändert hatte. Deshalb habe ich Ihnen ja auch
einen Brief geschrieben den haben Sie nicht erwähnt.
Nachdem beim ersten Mal, soweit ich weiß, überhaupt
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Das Wort hat der Kollege Siegfried Kauder für eine
rwiderung.
Siegfried Kauder (CDU/
SU):
Kollege Ströbele, so schnell kommt man in eine
echtfertigungssituation, wenn man die zeitlichen Ab-
äufe durcheinanderbringt. Ich darf zunächst festhalten,
ass Sie dem haben Sie ja nicht widersprochen bei
en ersten beiden Wellen von Geheimnisverrat der Bitte
n den Bundestagspräsidenten um Einleitung eines Er-
ittlungsverfahrens zugestimmt haben. Außerdem, Kol-
ege Ströbele, verhält es sich nicht so, wie Sie sagen:
chon bei den ersten beiden Wellen sind teilweise Er-
ittlungsverfahren gegen Journalisten eingeleitet wor-
en; diese wurden aber nach § 170 Abs. 2 der Strafpro-
essordnung sofort eingestellt. Man sollte auch einmal
aran denken, ob ein Journalist, der nichts Unrechtes ge-
an hat, nicht einen Anspruch auf eine Verfahrenseinstel-
ung nach § 170 Abs. 2 hat, wie dies teilweise jetzt schon
eschehen ist, und ob die Beschränkung einer Ermächti-
ung nicht ein Geschmäckle aufweist.
Auch der übrige Ablauf war ein bisschen anders, als
ie es geschildert haben. Nachdem die Cicero-Entschei-
ung herausgekommen war, habe ich in den Entwurf
11940 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Siegfried Kauder
meines Briefes an den Bundestagspräsidenten sofort den
Satz aufgenommen: Dabei werden die Grundsätze der
Cicero-Entscheidung zu beachten sein.
Wir dürfen festhalten, dass Sie die Überlegung des
Kollegen Stadler, die Ermächtigung zu beschränken, im
Gespräch der Obleute nicht aufgegriffen haben, sondern
dass Sie rundweg also insgesamt dagegen gestimmt
haben.
Sie versuchen jetzt also, auf ein Pferd aufzuspringen,
das der Kollege Stadler aufgezäumt hat. Tatsächlich war
es anders. Vielleicht kramen Sie einmal in der Historie.
Dann kommen wir der Wahrheit ein bisschen näher.
Die Rede des Kollegen Wolfgang Neković aus der
Fraktion Die Linke und die Rede des Kollegen Gert
Winkelmeier, fraktionslos, haben wir zu Protokoll ge-
nommen.1)
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/6326
mit dem Titel Rücknahme der Ermächtigung zur Straf-
verfolgung von Journalisten wegen Verstoßes gegen Ge-
heimhaltungsvorschriften gemäß § 353 b des Strafge-
setzbuches. Wer stimmt für diesen Antrag? Wer stimmt
dagegen? Wer enthält sich? Damit ist der Antrag ab-
gelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6217 mit dem Titel
Ermächtigung zur Strafverfolgung von Journalisten ge-
mäß § 353 b Abs. 4 StGB im Zusammenhang mit dem
1. Untersuchungsausschuss der 16. Wahlperiode zurück-
nehmen. Wer stimmt für diesen Antrag? Wer stimmt
dagegen? Enthaltungen? Damit ist auch dieser An-
trag gegen die Stimmen der Antragsteller und gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke und der Grünenfraktion
abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Brähmig, Jürgen Klimke, Dr. Hans-Peter
Friedrich , weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Annette Faße, Niels Annen, Dr. Hans-Peter
Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Kreuzfahrttourismus und Fährtourismus in
Deutschland voranbringen
Drucksache 16/5957
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1) Anlage 5 2)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 16/5957 an die in der Tagesordnung aufge-
ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
erstanden? Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
o beschlossen.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 19 a und
9 b:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Omid
Nouripour, Silke Stokar von Neuforn, Wolfgang
Wieland, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Das Schengen-Informationssystem im europäi-
schen Raum der Freiheit, der Sicherheit und
des Rechts transparent und bürgerrechts-
freundlich gestalten
Drucksache 16/5966
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses zu
dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Ulla
Jelpke, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Zugriff von Geheimdiensten auf das Schenge-
ner Informationssystem der zweiten Genera-
tion verhindern
Drucksachen 16/3619, 16/4270
Berichterstattung:
Abgeordnete Ralf Göbel
Wolfgang Gunkel
Gisela Piltz
Jan Korte
Wolfgang Wieland
Auch hier geben die Kolleginnen und Kollegen ihre
eiträge zu Protokoll. Das ist der Fall für den Kollegen
ünter Baumann aus der Unionsfraktion, für den Kolle-
en Wolfgang Gunkel aus der SPD-Fraktion, für die
ollegin Gisela Piltz aus der FDP-Fraktion, für den Kol-
Anlage 6
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11941
)
)
Vizepräsidentin Petra Pau
legen Jan Korte aus der Fraktion Die Linke und für den
Kollegen Omid Nouripour aus der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.1)
Tagesordnungspunkt 19 a. Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 16/5966 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 19 b. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4270, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3619
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? Die Gegenprobe! Wer enthält sich? Die Be-
schlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Antrag-
steller bei Enthaltung der FDP-Fraktion und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 sowie Zusatz-
punkt 5 auf:
20 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur
Änderung des Bundespolizeigesetzes
Drucksache 16/6292
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss
ZP 5 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Bundespolizeigesetzes und anderer
Gesetze
Drucksache 16/6291
Überweisungsvorschlag
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss
Auch hier gehen die Redebeiträge zu Protokoll. Das
betrifft den Kollegen Ralf Göbel für die Unionsfraktion,
den Kollegen Wolfgang Gunkel für die SPD, die Kolle-
gin Gisela Piltz für die FDP, die Kollegin Silke Stokar
von Neuforn für Bündnis 90/Die Grünen, den fraktions-
losen Kollegen Gert Winkelmeier und die Kollegin Petra
Pau für die Fraktion Die Linke.2)
Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzent-
würfe auf den Drucksachen 16/6292 und 16/6291 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? Das
ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Tierschutzgesetzes
Drucksache 16/6309
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
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1) Anlage 7
2) Anlage 8 3)
Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des
Tierschutzgesetzes
Drucksache 16/6233
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Rechtsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Auch hier gehen die Reden zu Protokoll. Der Kollege
r. Peter Jahr hat für die Unionsfraktion seinen Beitrag
u Protokoll gegeben, für die SPD-Fraktion der Kollege
r. Wilhelm Priesmeier, für die FDP-Fraktion der Kol-
ege Hans-Michael Goldmann, für die Fraktion Die
inke der Kollege Bodo Ramelow und für die Fraktion
ündnis 90/Die Grünen die Kollegin Undine Kurth.3)
Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzent-
ürfe auf den Drucksachen 16/6309 und 16/6233 an die
n der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
chlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? Das
st nicht der Fall. Dann ist auch hier so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Regierungskonferenz zur Änderung der ver-
traglichen Grundlagen der Europäischen
Union und Unterrichtung der Bundesregie-
rung entsprechend Ziffer VI der Vereinbarung
zwischen Deutschem Bundestag und der Bun-
desregierung über die Zusammenarbeit in An-
gelegenheiten der Europäischen Union
Drucksache 16/6399
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Anlage 9
11942 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Vizepräsidentin Petra Pau
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dazu
Widerspruch? Das ist nicht der Fall. Dann ist dies so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Axel Schäfer für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Mitgliedstaaten haben auf dem EU-Gipfel vom
21. bis 22. Juni 2007 in Brüssel dem von der deutschen
Ratspräsidentschaft vorgelegten Entwurf für ein Mandat
zu Beginn einer Regierungskonferenz mit kleinen Ab-
strichen zugestimmt. Das bedeutet inhaltlich: Das, was
wir bereits im Verfassungsvertrag gemeinsam ratifiziert
haben, ist Grundlage eines Reformvertrages und eines
neuen Vertrages für die Politiken der Europäischen
Union.
Damit wurde der Beschluss des Deutschen Bundesta-
ges vom 14. Juni dieses Jahres umgesetzt. Was heißt
das? Wir haben jetzt in den zentralen Punkten gemein-
sam Klarheit bekommen. Die zentralen Punkte umfas-
sen: Es gibt eine Rechtspersönlichkeit der Europäischen
Union. Wir überwinden die Pfeilerstruktur und schaffen
einen einheitlichen institutionellen Rahmen. Wir gren-
zen Kompetenzen klarer voneinander ab. Wir stärken
das Europäische Parlament, das mit nur ganz geringen
Abstrichen auf gleicher Augenhöhe mit dem Ministerrat
ist.
Wir verlängern die Ratspräsidentschaft auf zweiein-
halb Jahre, und wir schaffen das Amt des europäischen
Außenministers.
Wir stärken die Gemeinsame Außen- und Sicherheits-
politik. Erstmalig führen wir das Element der direkten
Demokratie auf europäischer Ebene ein. Hier sollten wir
im Bundestag ein Stück weit von Europa lernen.
Die Rechte der nationalen Parlamente werden da-
rauf kommt es uns besonders an gestärkt. Dabei han-
delt es sich um das, was wir können, was wir aber auch
wollen müssen.
Wir sollten uns sozusagen europäisieren und unsere Ar-
beit weiterentwickeln. Damit ist für die Bundesregierung
sowohl inhaltlich als auch politisch das Einvernehmen
bei der Regierungskonferenz hergestellt.
Ich sage ganz offen: Ich bin mit der Abfolge sicher-
lich nicht ganz zufrieden und lade die Kolleginnen und
Kollegen aller Fraktionen ein, klarzustellen, wie wir uns
in Zukunft die Unterrichtung vorstellen, auch mit wel-
chen Formulierungen. Wir sollten uns aber nicht nur mit
formalen Details aufhalten. Schließlich ist es der Bun-
desregierung während ihrer Ratspräsidentschaft und in-
folge der begonnenen Regierungskonferenz gelungen,
den Deutschen Bundestag im Allgemeinen und den Eu-
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Ich kann alles unterschreiben, was Sie über die großen
europäischen Ziele und darüber, wie toll das Ganze ist,
gesagt haben. Ich muss aber sagen: Ich werde allmählich
zynisch, wenn ich hier höre, wie toll es ist, dass die Par-
lamente mehr Rechte bekommen sollen. Ich bin sehr da-
für, dass die Parlamente mehr Rechte bekommen, aber
ich bin auch sehr dafür, dass wir als Deutscher Bundes-
tag die Rechte, die wir haben, endlich wahrnehmen.
Es sind die zwei großen Fraktionen, die das in diesem
Fall verhindert haben.
Wir mussten uns im Europaausschuss von Mitglie-
dern der Bundesregierung, vom Außenminister und vom
Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, anhö-
ren, dass es nicht an ihnen gelegen hat, dass der Bundes-
tag nicht vor Eintritt in die Verhandlungen der Regie-
rungskonferenz um die Herstellung von Einvernehmen
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Ich finde es beschämend, wenn zwei Fraktionen blo-
kieren, sodass wir nicht in der Lage sind, die Rechte,
ie wir uns erkämpft haben, wahrzunehmen. Es ist nicht
n Ordnung, wie Sie damit umgehen und dass Sie jetzt
ersuchen, durch Herumeiern und windelweiche Formu-
ierungen so zu tun, als ob wir im Nachhinein das Ein-
ernehmen herstellen könnten. Das ist lachhaft. Wir ha-
en Sie dazu aufgefordert, dies, wie es in der
ereinbarung steht, zu Beginn der Regierungskonferenz
nd vor Eintritt in die Verhandlungen zu tun. Das wäre
nser Recht gewesen. Ich hätte erwartet, dass zwei große
raktionen dieser beiden Volksparteien darauf bestanden
ätten, auch gegenüber der eigenen Bundesregierung.
ch hätte aber nicht gedacht, dass diese Bundesregierung
hren eigenen Fraktionen sagen muss, dass das Parla-
ent noch nicht einmal seine eigenen Rechte wahr-
immt.
Kollege Löning, gestatten sie eine Zwischenfrage aus
er Unionsfraktion?
Bitte, gerne.
Herr Kollege Löning, ist Ihnen bekannt, dass der
eutsche Bundestag am 14. Juni einen Entschließungs-
ntrag verabschiedet hat, in dem er die Eröffnung einer
egierungskonferenz befürwortet hat, in dem er auch
uf der Basis des bisherigen Verfassungsvertrages es be-
rüßt hat, dass die Verhandlungen nach Möglichkeit die
ubstanz dieses Verfassungsvertrages bewahren sollen?
ind Sie mit mir einer Meinung, dass in diesem Ent-
chließungsantrag eine Zustimmung zur Aufnahme von
erhandlungen vor Einberufung der Regierungskonfe-
enz zu sehen ist?
Falls Sie der Ansicht sein sollten, dass eine solche Zu-
timmung erst in Kenntnis des Mandates der Regie-
ungskonferenz erfolgen sollte, könnten Sie uns dann er-
lären, wie an einem Wochenende eine vorherige
ustimmung des Bundestags zur Aufnahme von Ver-
andlungen vor dem Hintergrund eingeholt werden
ollte, obwohl nach Verlängerung des europäischen Gip-
els das Mandat erst spätnachts ausformuliert vorlag?
Lieber Herr Kollege Silberhorn, an dieser Stelle teile
ch Ihre Meinung nicht. Was ist das für ein Verständnis
es Parlamentes, wenn gesagt wird, am Wochenende
11944 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
)
)
Markus Löning
haben wir keine Zeit, die Regierung zu kontrollieren,
oder wenn in vorauseilendem Gehorsam schon einmal
eine Blankogenehmigung erteilt wird, auch wenn das
Mandat nicht bekannt ist? Viel schlimmer finde ich aber,
dass Ihre Fraktion und auch die der Sozialdemokraten
versucht haben, uns weiszumachen, dass ein Einverneh-
men überhaupt nicht nötig ist und dass es reicht, einen
Brief des Bundesaußenministers zur Kenntnis zu neh-
men.
Aufgrund eines Gutachtens des Wissenschaftlichen
Dienstes sind Sie darauf gestoßen, dass es doch dort ei-
nen Beschluss gegeben hat. Den ziehen Sie jetzt aus der
Tasche und überlegen sich, ob man einen Beschluss, den
es doch schon einmal gab, hilfsweise heranziehen
könnte. Herr Silberhorn, ich kann mich gut an die De-
batte hier im Haus über die Inkraftsetzung der BBV erin-
nern, als der Kollege Stübgen klipp und klar gesagt hat:
Vor Eintritt in die Verhandlungen muss die Regierung
das Mandat dem Bundestag vorlegen und Einvernehmen
herstellen. Ich hätte mir gewünscht, dass das nicht nur in
einer Sonntagsrede gesagt worden wäre, sondern dass
sich die Unionsfraktion und die SPD-Fraktion bei die-
sem Verfahren auch daran gehalten hätten. Sie haben es
nicht, und deshalb nenne ich es windelweich, wenn hin-
terher irgendwelche Hilfskonstruktionen herangezogen
werden.
Herr Kollege Löning, lassen Sie eine weitere Zwi-
schenfrage zu? Bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Herr Kollege
Löning, sind Sie sich im Klaren darüber, dass Ihre Auf-
fassung zur Konsequenz hätte, dass die Bundesregierung
während des europäischen Gipfels in Brüssel nach Errei-
chen eines Konsenses über das Mandat für die Regie-
rungskonferenz diesen Gipfel hätte abbrechen müssen,
um die Zustimmung des Deutschen Bundestags für die-
ses Mandat einzuholen?
Herr Kollege Silberhorn, soviel ich weiß, sind Sie Ju-
rist. Insofern verstehe ich nicht, wie Sie überhaupt eine
solche Frage stellen können. Sie wissen genau, dass dort
eine politische Einigung erzielt worden ist, dass aber der
formelle Beginn der Regierungskonferenz erst eine gute
Woche später stattgefunden hat. Insofern wäre es über-
haupt kein Problem gewesen, den Deutschen Bundestag
oder zumindest den Europaausschuss mit dieser Sache
zu befassen. Ich finde es schade, dass Sie versuchen, ge-
gen dieses Recht des Parlaments zu argumentieren. Ich
hätte mir gewünscht, dass aus den Reihen der beiden
großen Fraktionen gesagt wird: Wir als Bundestag haben
viele Rechte, und wir wollen sie in Zukunft besser wahr-
nehmen, als wir es an dieser Stelle gemacht haben. Das
höre ich leider nicht von Ihnen.
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Herr Bodewig, ich kann mich daran erinnern, dass es
ine Reihe von vertraulichen Unterrichtungen der Ob-
eute gegeben hat. Das finde ich richtig. Ich bin der Bun-
esregierung dafür dankbar, dass sie das so handhabt.
ber ich sehe nicht, dass eine vertrauliche Unterrichtung
on Obleuten eine parlamentarische Debatte hier in ir-
endeiner Form ersetzen kann. Es geht uns darum, dass
ir diese Dinge vor den Augen des deutschen Volkes de-
attieren.
Ich verstehe nicht, dass die Bundesregierung in dieser
ituation zum Mandat nicht Stellung nimmt, etwa indem
ie im Deutschen Bundestag sagt, was sie erreicht hat.
ann hätte sie all das Lob auch aus den Reihen der
pposition bekommen, das Sie so wünschen.
Ich kritisiere nicht die Bundesregierung, Herr
odewig. Ich kritisiere Sie und Ihre Fraktion dafür, dass
ie auf dem vom Parlament ausgehandelten und mühe-
oll erarbeiteten Recht des Parlaments, nämlich vor Ein-
ritt in Verhandlungen über Reformverträge, vor Eintritt
n Verhandlungen über Beitritte gehört zu werden die-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11945
)
)
Markus Löning
ses Recht fußt in Art. 23 des Grundgesetzes , nicht be-
stehen.
Auf dieses Recht würde der Bundesrat niemals ver-
zichten. Er vertritt seine Anliegen an dieser Stelle so-
wieso sehr viel besser, sehr viel dezidierter, mit sehr viel
mehr politischem Nachdruck, als es die Mehrheit dieses
Hauses leider tut. Es bleibt dabei das muss ich konsta-
tieren , dass das sehr enttäuschend ist.
Lassen Sie mich dennoch einige Punkte zum Inhalt
des Reformvertrages anführen. Wir werden von der Bun-
desregierung regelmäßig informiert; da gibt es wenig zu
kritisieren. Wir sind der Meinung, dass Europa dringend
einen Reformvertrag braucht. Wir müssen schnell hand-
lungsfähig werden. Wir wünschen uns die politische Ei-
nigung im Oktober, und wir wünschen uns eine schnelle
Ratifizierung. Es ist nötig, dass wir diese Debatte end-
lich hinter uns bringen.
Ich sehe, dass es gegenüber dem Verfassungsvertrag
durchaus eine Reihe von Verbesserungen gegeben hat.
Wir stehen dem ganzen Prozess also außerordentlich po-
sitiv gegenüber. Ich will aber nicht verschweigen, dass
es auch eine ganze Reihe von Punkten gibt, die uns Pro-
bleme bereiten, die uns Sorgen machen. Diesbezüglich
finden wir das Bild, das die Bundesregierung in der Öf-
fentlichkeit malt, etwas zu rosig.
Einige dieser Punkte möchte ich hier trotz der knap-
pen Redezeit noch kurz anreißen.
Es wird Sie nicht verwundern, dass wir als Liberale
den Kompromiss zwischen Frau Merkel und Herrn
Sarkozy, was den fairen und unverfälschten Wettbewerb
angeht, nicht gut finden können. Wir verstehen nicht,
warum ein zentrales Element gerade des sozialen Euro-
pas herausgekickt wird und warum Sie als Sozialdemo-
kraten das nicht kritisieren. Es geht darum, dass die Ver-
braucher, dass die kleinen Leute geschützt werden. Ich
erinnere an das vor kurzem gefällte Microsoft-Urteil. Es
ist eine zentrale Aufgabe der Europäischen Kommission
als Kartellbehörde, die Kleinen vor Monopolen zu schüt-
zen. Ich verstehe nicht, warum dieses Ziel herausgestri-
chen worden ist.
Wir appellieren an die Bundesregierung, den unsinni-
gen Ioannina-Kompromiss auf gar keinen Fall zu akzep-
tieren. Eine Akzeptanz wäre die Umkehrung dessen, was
mit dem Reformvertrag erreicht werden sollte: mehr
Transparenz, mehr Nachvollziehbarkeit für den Bürger.
Der Ioannina-Kompromiss würde das ins Gegenteil ver-
kehren. Es ist geradezu die Karikatur eines europäischen
Kompromisses, wenn eine Entscheidung immer wieder
verschoben wird. Sie haben unsere volle Unterstützung,
wenn Sie sich dafür einsetzen, dass diese Regelung auf
gar keinen Fall in den Vertrag aufgenommen wird.
Ansonsten gibt es einige Fragen, was die parlamenta-
rische Beteiligung angeht. Wenn wir wollen, dass so-
wohl die Beteiligung des EP als auch die der nationalen
Parlamente besser wird, dann sollte die Bundesregierung
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Die CDU/CSU-Fraktion spricht der Bundesregierung
hierzu noch einmal ihre Anerkennung und ihren Dank
aus.
Positiv zu würdigen ist aber auch die Verhandlungs-
führung der portugiesischen Ratspräsidentschaft, die mit
einer geradezu stoischen Entschiedenheit jegliche neue
Forderungen abgelehnt hat. Das war alles andere als ein-
fach.
Es ging nämlich nicht immer nur um die Frage, was
im Mandat steht oder nicht. Es ging auch um die Frage,
wie das Mandat von einigen EU-Mitgliedern interpre-
tiert wurde. Die Portugiesen haben die erfolgreiche deut-
sche Ratspräsidentschaft fortgesetzt. Wenn der EU-Re-
formvertrag am Ende Vertrag von Lissabon oder
Vertrag von Porto genannt wird, dann würde dies auch
dem Beitrag gerecht, den Portugal im Rahmen seiner
Präsidentschaft tatsächlich geleistet hat.
Was sind die wichtigsten Elemente des Reformver-
trags? Wir haben das in unserem Antrag beschrieben:
Die Grundrechtecharta erhält volle Rechtsverbindlich-
keit. Auch bei der umstrittenen Frage der Stimmenge-
wichtung im Rat konnte das Prinzip der doppelten Mehr-
heit, an dem gerade Deutschland ein besonderes
Interesse hat, erhalten werden, auch wenn die Einfüh-
rung der neuen Entscheidungsregel auf das Jahr 2014
und wegen des Einspruchsrechts das ist ein Rückfall in
die Nizza-Regelung faktisch bis 2017 verschoben
wurde.
Als Erfolg ist auch zu verbuchen, dass der Anwen-
dungsbereich der qualifizierten Mehrheit und der Mit-
entscheidung des Europäischen Parlaments ausgedehnt
wurde. Wir haben immer schon gefordert, das Mitent-
scheidungsverfahren in der europäischen Rechtssetzung
zur Regel zu machen. Damit wird das Europäische Par-
lament zum gleichberechtigten Gesetzgeber neben dem
Rat. Die Europäische Union wird durch diese Fort-
schritte demokratischer, transparenter und effektiver.
Auch die Verminderung der Zahl der Kommissare auf
zwei Drittel der Zahl der Mitgliedstaaten ab 2014 stärkt
die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union. Das
Gleiche gilt für das neue Amt des Präsidenten des Euro-
päischen Rates, das dem Handeln der Europäischen
Union Kontinuität, Kohärenz und Sichtbarkeit nach in-
nen wie nach außen ermöglicht.
Die bereits im Verfassungsvertrag angelegte Stärkung
der Rolle der nationalen Parlamente insbesondere bei der
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Kollege Silberhorn, ich hätte wirklich, nachdem Sie in
dem ganzen Verfahren zwischen Bundesregierung und
Bundestag doch so ein entscheidender Faktor waren, er-
wartet, dass Sie etwas deutlicher an die Seite des Kolle-
gen Löning getreten wären. Die Frage ging in eine ganz
andere Richtung. Es ist eine Farce, wenn nur zwei Mo-
nate verhandelt wird und einen Monat vor Ende der Ver-
handlungen das Einvernehmen erzielt werden soll.
Den zu erwartenden Vertrag über die Veränderung der
EU-Grundlagen werden wir ablehnen. Nach dem Schei-
tern des Verfassungsvertrages bei den Volksabstimmun-
gen in Frankreich und den Niederlanden werden seine
wesentlichen neoliberalen und militaristischen Inhalte
mit einem Taschenspielertrick neu als Reformvertrag
verpackt. Aus einem alten, gekippten Wein wird nichts
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ass wir das nicht mitmachen, wissen Sie.
Es soll nur ein komplizierter Änderungstext, nicht
ine lesbare Gesamtfassung vorgelegt werden. Niemand
oll einfach nachlesen können, was in den neuen Verträ-
en steht. Man muss die geltenden Verträge und den Än-
erungsvertrag schon nebeneinanderlegen, um sich wie
ei einem komplizierten Puzzle ein Gesamtbild machen
u können.
as ist Zynismus gegenüber den Bürgerinnen und Bür-
ern, gegenüber dem demokratischen Souverän. Keiner
oll sich wundern, wenn die Begeisterung für das Projekt
er europäischen Integration weiter sinkt. Oder sind
esinteresse und Verwirrspiel gar gewollt?
Wenn Europa gelingen soll, dann kann das nur fried-
ich und sozial geschehen und nicht mit diesem Verfas-
ungssurrogat hinter dem Rücken der Völker. Die Linke,
uch die europäische Linke, fordert deshalb in allen Mit-
liedstaaten Volksabstimmungen. Dafür werden wir
echtzeitig eine Ergänzung des Grundgesetzes beantra-
en.
Die Charta der Grundrechte teils kritikwürdig, teil-
eise aber zu unterstützen wird nicht einmal integraler
ertragsbestandteil, und es wird zugelassen, dass ein-
elne Mitgliedstaaten sich den sozialen Regelungen per
pt-out entziehen.
Oberstes Prinzip im Vertrag bleibt der ich zitiere
Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem
ettbewerb als Grundlage von noch mehr Deregulie-
ung und Privatisierung, Lohn-, Steuer- und Sozialdum-
ing. Unser Grundgesetz verpflichtet aber alle deutschen
olitiker auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Sozi-
lstaatlichkeit. Das sind drei gleichwertige Pfeiler. Wa-
um lassen Sie zu ich frage nicht nur die Vertreter mei-
er früheren Partei, sondern Sie alle, die teilweise auf
as Grundgesetz vereidigt sind , dass im neuen Vertrag
ur noch von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, aber
icht mehr von Sozialstaatlichkeit die Rede ist? Wer ge-
en die Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 des Grund-
esetzes verstößt, verstößt gegen das Grundgesetz. Das
ürfen Sie nicht, auch wenn Bundestag und Bundesrat
inem Reformvertrag mit einer Mehrheit von zwei Drit-
eln zustimmen.
Auch wenn wir die Einzigen sind: Wir wollen eine
ichtige Verfassung, die auch so heißt, verständlich, so-
ial und friedlich, damit die Menschen überzeugt Ja sa-
en zu Europa. Wir, die Linke, werden dabei den Geist
es gesamten Grundgesetzes verteidigen
11948 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
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Dr. Diether Dehm
mit dem Sozialstaatsgebot , notfalls auch gegen Sie. Er-
innern wir uns: Der gescheiterte Verfassungsvertrag ist
auch von deutscher Seite nicht ratifiziert worden, Kol-
lege Schäfer. Wir im Bundestag können ihn gar nicht ra-
tifizieren, sondern dazu wird die Unterschrift des Bun-
despräsidenten benötigt. Das Bundesverfassungsgericht
hatte das Verfahren angehalten. Das wird mit Ihrem Än-
derungsvertrag nicht anders sein. Es wird spannend wer-
den in Deutschland und Europa ich verspreche Ihnen:
auch durch die Linken.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-
lege Rainder Steenblock das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich zunächst einen Satz dazu sagen, wie wir
mit der Einvernehmensregelung umgegangen sind; denn
das Thema ist jetzt schon mehrfach angesprochen wor-
den. Ich würde das nicht zu hoch hängen. Wir haben die
Debatte darüber ja schon geführt. Ich stimme dem Kolle-
gen Stübgen völlig darin zu, dass wir eine unklare Rege-
lung haben. Das hat die Situation im Sommer ja gezeigt,
zu der es sehr viele unterschiedliche Interpretationen
gab. Letztendlich war es der Chef Ihrer Fraktion, der da-
für gesorgt hat, dass wir diese Einvernehmensregelung
so, wie wir es uns gewünscht hätten und wie es auch aus
meiner Sicht vernünftig gewesen wäre, nicht realisiert
haben.
Aber wir sind auf dem Weg so sehe ich das jeden-
falls in Bezug auf die Obleute , zu einer Regelung zu
kommen, die egal, wie man sie dreht für alle klar ist;
das ist richtig und gut so. Denn eine Verbindlichkeit, die
für die Bürgerinnen und Bürger, zumindest aber für die
Mitglieder dieses Parlaments transparent sein sollte, ist
wünschenswert.
Lieber Kollege Stübgen und lieber Herr Kollege
Schäfer, das, was Sie heute mit dieser verspäteten Ein-
vernehmenserklärung machen, ist absurd und des Deut-
schen Bundestages unwürdig.
Wenn man wenigstens sagen würde, dass wir das heute,
nachdem die Verhandlungen der Fachleute abgeschlos-
sen sind, machen! Aber Sie machen noch nicht einmal
das. Sie stellen Ihr Einvernehmen heute ja nicht zur Ab-
stimmung, sondern verschieben diesen Antrag mit der
Einvernehmensregelung noch in die Ausschüsse, damit
er dann am 11. Oktober zur Abschlusssitzung vorliegt.
Es ist natürlich wirklich absurd, wenn man das Einver-
nehmen erteilen will, wenn die Regierungskonferenz zu
Ende ist. Das sollten wir als Bundestag nicht machen.
Das Zweite, was mich doch ein bisschen reizt, ist das,
was der Kollege Dehm gesagt hat. Ich spreche von dem,
lieber Kollege Dehm, was hier an Anti-EU-Propaganda
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Lesen Sie sich einmal den Grundrechtekatalog durch,
en wir mit dieser Verfassung verabschieden werden.
Ich weiß ja, dass Sie das nicht lesen wollen, weil Sie
ie Wahrheit und die Wirklichkeit fürchten wie der Teu-
el das Weihwasser.
as ist ein Katalog, der zu ungefähr 70 bis 80 Prozent aus
ozialen Grundrechten besteht, die zum Teil über das hi-
ausgehen, was in unserer Verfassung steht. Eine linke
artei muss es doch zu ihrem Anliegen machen, für diese
ozialen Grundrechte der Menschen in Europa zu kämp-
en. Das ist das, worum es uns auch geht. Deshalb ist diese
rundrechtecharta ein wichtiger Bestandteil. Wir haben
lle dafür gekämpft, dass sie Bestandteil der Verfassung
der des Reformvertrages bleibt. Wir werden sehr darauf
chten, dass sie ein wesentlicher Bestandteil ist.
Herr Kollege Steenblock, gestatten Sie eine Zwi-
chenfrage des Kollegen Dehm?
Nein.
Diether, wir haben darüber so häufig diskutiert, und
ch möchte jetzt, dass wir diese Debatte würdig beenden.
Deshalb fordere ich die Bundestagsparteien auf, mit
en Menschen im Lande über diesen Reformvertrag zu
iskutieren. Wir brauchen eine transparente Debatte und
üssen die Menschen mitnehmen. Herr Kollege Dehm,
ie haben gesagt, dass das Misstrauen in Europa wächst:
chauen Sie sich aber einmal all die Umfragen an, die
emacht wurden, nachdem wir dieses Verfassungspro-
ekt in den Reformvertrag eingebunden haben, nachdem
ir es nach vorne bewegt haben und seitdem Entschei-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11949
)
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Rainder Steenblock
dungen fallen. Das Vertrauen der Menschen in allen eu-
ropäischen Ländern ist deutlich gewachsen. Das werden
Sie nicht kaputtmachen können.
Vielen Dank.
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Dr. Diether
Dehm das Wort.
Wenn Sie meine Zwischenfrage nicht zulassen das
müssen Sie wissen , kommt von mir automatisch eine
Kurzintervention. Gewöhnen Sie sich einfach einmal an
den Mechanismus, dann ist es gut.
Sie bauen hier einen Popanz auf und behaupten, die
Grundrechtecharta entspreche unserem Sozialstaatsprin-
zip im Grundgesetz. Ich muss Sie ja jetzt nichts mehr
fragen, sondern kann in der Kurzintervention Feststel-
lungen treffen; es hat auch einen Vorteil, wenn Sie die
Frage nicht akzeptieren. Ich verweise auf Art. 14 und 15
Grundgesetz. Danach ist der private Gebrauch des Ei-
gentums eng damit verbunden, dass es der Allgemein-
heit von Nutzen ist. Zeigen Sie mir bitte den in diesem
Impetus gehaltenen rechtlichen Zusammenhang in der
Grundrechtecharta. Zeigen Sie ihn mir. Sie werden fest-
stellen, dass er nicht da ist.
Es sind das habe ich auch gesagt viele unterstüt-
zenswerte Teile darin. Deswegen sagen wir, es hätte inte-
graler Bestandteil des Vertrages sein müssen. Das ist ja
das, was ich vorhin gesagt habe. Aber das Sozialstaats-
prinzip des Grundgesetzes ersetzt diese Charta nun in
keiner Weise. Art. 14 und 15 und vieles andere mehr,
das, worauf die Ewigkeitsklausel des Grundgesetzes uns
alle verpflichtet, sind in der Grundrechtecharta nicht an-
nähernd wiederzufinden. Ich bleibe dabei. Seien Sie
ganz sicher: Viele Gewerkschafterinnen und Gewerk-
schafter, viele Leute in der sozialen Bewegung wissen,
dass wir es ernst meinen mit diesem Grundgesetz und
dass hier einige, besonders die Partei, die Art. 15 des
Grundgesetzes wieder einmal streichen möchte, nämlich
die FDP, viel weiter vom Grundgesetz weg sind als wir.
Kollege Steenblock, Sie haben die Möglichkeit, zu er-
widern.
Herr Kollege Dehm, ich biete Ihnen gerne an, eine ei-
gene Veranstaltung zur Grundrechtecharta und zu den
sozialen Implikationen zu machen. Ich will das nicht nä-
her ausführen, sondern es nur an einem Beispiel deutlich
machen.
Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland in vie-
len Teilen der Gewerkschaftsbewegung, der Linken eine
Debatte über das Recht auf Arbeit gehabt, zum Beispiel
darüber, ob das ins Grundgesetz soll. Das ist nicht reali-
siert worden. In der gesellschaftlichen Wertehierarchie
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Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 16/6399 an die in der Tagesordnung aufge-
ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
erstanden? Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
o beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Personalanpassungsgesetzes
Drucksache 16/6123
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss
Innenausschuss
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Wir nehmen auch hier die Beiträge der Kolleginnen
nd Kollegen zu Protokoll. Das betrifft den Kollegen
rnst-Reinhard Beck für die Unionsfrak-
ion, den Kollegen Rolf Kramer für die SPD-Fraktion,
ie Kollegin Birgit Homburger für die FDP-Fraktion, die
ollegin Inge Höger aus der Fraktion Die Linke und den
ollegen Winfried Nachtwei aus der Fraktion Bünd-
is 90/Die Grünen.1)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
urfs auf Drucksache 16/6123 an die in der Tagesord-
ung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
azu anderweitige Vorschläge? Das ist nicht der Fall.
ann ist die Überweisung so beschlossen.
Anlage 10
11950 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
(C)
(D)
Vizepräsidentin Petra Pau
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 21. September 2007,
9 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen einen schönen und vielleicht auch
erfolgreichen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.