Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11951
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zu schaffen.
Hochschulen finden, strukturiert und mit Sicherheit für
einen gleichwertigen Abschluss ihr Studium absolvieren,
wird nicht darauf verzichten können und dürfen, hierfür
die notwendigen hochschulübergreifenden Regelungen
Strothmann, Lena CDU/CSU 20.09.2007
Dr. Tabillion, Rainer SPD 20.09.2007
Wellmann, Karl-Georg CDU/CSU 20.09.2007
Anlage 1
Liste der entschuldigt
*
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Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Adam, Ulrich CDU/CSU 20.09.2007**
Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
20.09.2007
Bätzing, Sabine SPD 20.09.2007
Bulling-Schröter, Eva DIE LINKE 20.09.2007
Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
20.09.2007
Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
20.09.2007
Ernst, Klaus DIE LINKE 20.09.2007
Friedhoff, Paul K. FDP 20.09.2007
Gröhe, Hermann CDU/CSU 20.09.2007
Hill, Hans-Kurt DIE LINKE 20.09.2007
Dr. Hofreiter, Anton BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
20.09.2007
Kauch, Michael FDP 20.09.2007
Kressl, Nicolette SPD 20.09.2007
Lämmel, Andreas G. CDU/CSU 20.09.2007
Merz, Friedrich CDU/CSU 20.09.2007
Dr. Paech, Norman DIE LINKE 20.09.2007
Pflug, Johannes SPD 20.09.2007**
Rachel, Thomas CDU/CSU 20.09.2007
Rawert, Mechthild SPD 20.09.2007
Rupprecht
(Tuchenbach),
Marlene
SPD 20.09.2007*
Schmidt (Aachen), Ulla SPD 20.09.2007
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Anlagen zum Stenografischen Bericht
en Abgeordneten
für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates
für die Teilnahme an den Sitzungen der Westeuropäischen Union
nlage 2
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des
Hochschulrahmengesetzes
Antrag: Hochschulrahmengesetz beibehal-
ten
Antrag: Studentische Mobilität durch bun-
deseinheitliche Mindeststandards bei Hoch-
schulzulassung und -abschlüssen sicherstel-
len
Antrag: Aufhebung des Hochschulrahmen-
gesetzes zur Stärkung autonomer Hochschu-
len nutzen
(Tagesordnungspunkt 14 a bis c und Zusatz-
tagesordnungspunkt 4)
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Um allen Fan-
arenträgern der absoluten Autonomie und Freiheit von
ochschulen eine grundsätzliche Bemerkung schon am
nfang entgegenzustellen: Freiheit ohne Regeln endet
m Chaos. Das gilt auch für das Hochschulwesen. Auto-
omie der einzelnen Hochschulen ohne gemeinsame
tandards und abgestimmte Abläufe führt zu Kleinstaa-
erei, Intransparenz und Bürokratie.
Gerade wer möchte, dass Studenten gut und schnell
ber das Hochschulangebot informiert werden können,
erecht und möglichst unbürokratisch den Weg in die
ieczorek-Zeul,
Heidemarie
SPD 20.09.2007
olf (Frankfurt),
Margareta
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
20.09.2007
underlich, Jörn DIE LINKE 20.09.2007
bgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
11952 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
(A) )
(B) )
Solche Regelungen dienen letztlich auch dem Ausbau
von Wissenschaft und Lehre auf hohem Niveau in Quan-
tität wie Qualität. Sie waren Grundlage für den Wissen-
schaftsaufwuchs und Hochschulzuwachs, den wir in den
60er- und 70er-Jahren in Deutschland erlebt haben und
für den wir in diesem Jahrzehnt einen neuen Aufbruch
organisieren müssen.
Das Hochschulrahmenrecht, über dessen Aufhebung
wir hier heute im Parlament diskutieren sollten, hat
hieran übrigens einen auch in der Hochschulgeschichte
unzweifelhaft nachgewiesenen bedeutenden Anteil. Es
stand Pate für den großen Hochschulaufbruch der 70er-
Jahre, der in Deutschland mit der sozialliberalen Regie-
rungszeit von Willy Brandt und Helmut Schmidt einher-
ging.
Das Hochschulrahmenrecht war im Übrigen auch das
Tor zu späteren bundesweiten Studienreformen, die viele
jetzt bereits als selbstverständlich ansehen. Ohne Hoch-
schulrahmenrecht keine Öffnung zu den Bachelor- und
Master-Studiengängen, die in Deutschland jetzt breit an-
erkannt sind und den Bologna-Prozess hin zu einem eu-
ropäischen Hochschulraum mit beschreiben.
Allerdings werden wir konstatieren müssen, dass eine
solche stimulierende Funktion des Hochschulrechts auf
Bundesebene für die Zukunft sicherlich nicht mehr der-
art intensiv zu erwarten sein wird, wie es in der Vergan-
genheit der Fall war. Denn mit den Verfassungsgerichts-
urteilen über die sogenannte Erforderlichkeitsklausel
und deren Rückwirkung auf letzte wegweisende Bundes-
verfassungsgerichtsentscheidungen wie das Verbot der
Studiengebühren und die Einführung von Junior-Profes-
suren, mit der politischen Debatte um die Rückführung
von Rahmenrechten hin zu klaren Entscheidungskompe-
tenzen beim Bund einerseits und Ländern andererseits
und schließlich mit der Föderalismusreform und ihrer
Einigung darauf, dem Bund nur noch wenige Hoch-
schulkompetenzen zu belassen, zeichnet sich ab, dass es
zu gravierenden Veränderungen in der Hochschulzustän-
digkeit und im Hochschulrecht zwischen Bund und Län-
dern kommt.
Dass Autonomie der Hochschule und Differenzierung
der Hochschullandschaft nicht ohne Regeln für die Zu-
kunft auskommt, wird grundsätzlich begründet in Aussa-
gen wie der des Präsidenten des Deutschen Hochschul-
verbandes, Dr. Bernhard Kempen, der ausdrücklich
davor warnt, dass der Wettbewerbsföderalismus in seiner
extremen Form auch eine Verschlechterung der Lage für
die Hochschulen und für die Studierenden wie Lehren-
den und Forschenden mit sich bringen könne. Kempen
fordert, den Wettbewerb vor allem in der Wissenschaft
selbst stattfinden zu lassen, wo es ihn auch immer schon
gegeben hätte, ihn aber nicht auch noch auf die Institu-
tionen und ein marktwirtschaftliches Konkurrenzmodell
zwischen den Hochschulen in Deutschland zu verlagern.
Dass Freiheit zum Forschen und Lehren und Freiheit
des Studiums auch im Interesse der Studierenden Regeln
braucht, ist in letzter Zeit vor allem thematisiert worden
in Bezug auf die wachsende Belastung der Studierenden
durch die Unterschiede zwischen den Hochschulen, was
Studiengebühren angeht, aber auch Fragen der Zulas-
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ung, des NC, der Hochschulorganisation, der Ab-
chlüsse und der Studienverläufe. Nicht zuletzt der Zu-
ang zur Hochschule stellt sich noch sehr unterschiedlich
ar und verlangt danach, dass es Regeln gegen das Chaos
ibt, das mit einem falschen Verständnis von Autonomie
inhergehen könnte.
Ich möchte erinnern an die bemerkenswerte Analyse
nd die Ausführungen, die Jan-Martin Wiarda in der Zeit
nter der Überschrift Phantom im Hörsaal über das
rohende Chaos bei der Vergabe von Studienplätzen in
eutschland gemacht hat. Es ist eben manchmal so, dass
ie vermeintlich größten Anti-Bürokraten besonders viel
ürokratie, soziale Ungerechtigkeit und Belastungen für
ie Einzelnen in ihrem Wahn von Entstaatlichung und
eregulierung schaffen.
Nicht umsonst hat deshalb auch die SPD im Verfah-
en der Föderalismusreform darauf gedrungen, dass bei
rundsätzlicher Aufgabe des Rahmenrechtes speziell im
ochschulbereich der Bund Kompetenzen in der Frage
er Abschlüsse und der Zulassung an den Hochschulen
ehält und diese Sachgebiete als Teil der konkurrieren-
en Gesetzgebung von der Bundesebene aus mit lösen
ann. Nicht umsonst sind die Länder schon vorauseilend
arangegangen, mit Blick auf die Veränderungen im
ochschulrahmenrecht über einen Staatsvertrag zu einer
benso genauen, komplizierten wie aufwendigen und da-
urch auch in vielen Punkten studentenunfreundlichen
egelung dieser Materie zu kommen.
Wenn die Bundesregierung über die Bundesbildungs-
inisterin ein solches Aufhebungsgesetz zum Hoch-
chulrahmenrecht bereits zum jetzigen Zeitpunkt in den
undestag einbringt, auch wenn das Auslaufen dieser
echtsgrundlage erst zum 1. Oktober 2008 erfolgen
ürde, so ist das für die sozialdemokratische Seite der
oalitionsregierung nur ein erster Auftakt und nicht die
efinitive Entscheidung, wie in der Gesamtmaterie für
ie Zukunft verfahren werden soll. Von der sozialdemo-
ratischen Seite haben wir jedenfalls vehement darauf
estanden und auch durchsetzen können, dass parallel zu
er Beratung dieses Aufhebungsgesetzes eine Beratung
m zuständigen Bildungs- und Forschungsausschuss
tattfinden soll, um mit Sachkundigen aus den verschie-
ensten Bereichen die Implikationen des vorgelegten
ufhebungsgesetzes von der Immanenz der Gesetzge-
ung her, aber auch von den möglichen Vorstellungen
ür gesetzgeberische Aktivitäten in den Kompetenzen,
ie der Bund weiterhin im Hochschulbereich hat, und
er Gesamteinschätzung, wie Hochschulfragen recht-
ich in Deutschland behandelt werden sollten, anzuge-
en. Wir freuen uns, dass diese Anhörung bereits für den
ovember im zuständigen Fachausschuss vereinbart
orden ist.
Für die SPD-Bundestagsfraktion werden bei dieser
nhörung drei sachliche Fragen im Vordergrund stehen:
Erstens. Der Stand der Umsetzung des Hochschulrah-
enrechts in den Ländern ist weiterhin unbeleuchtet und
icht hinreichend dargestellt. Ohne diese Information ist
ine belastbare Abschätzung der Auswirkungen der Auf-
ebung des Hochschulrahmenrechtes nicht zu leisten,
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11953
(A) )
(B) )
etwa im Hinblick auf ein weitgehendes Auseinanderlau-
fen der Rechtslagen in den Ländern.
Zweitens. Weiterhin zu klären ist die Frage nach un-
verzichtbaren Ersatzregelungen für einzelne Vorschrif-
ten des HRG. Auch wenn die arbeitsrechtlichen Fragen
vorab geklärt werden konnten, so ist diese Frage auch
hinsichtlich der dienst- und beamtenrechtlichen Vor-
schriften bisher nicht hinreichend beantwortet.
Drittens. Schließlich ist die Annahme des Gesetzent-
wurfes ausdrücklich zu überprüfen, dass auf bundesge-
setzliche Regelungen zu Zulassungen und Abschlüssen
verzichtet werden kann. Hier bleibt intensiv nachzufra-
gen, ob die offensichtlichen Problemlagen durch den
Weg hinreichend abgedeckt werden können, der bisher
von den Ländern in ihrer Zuständigkeit im Hochschulbe-
reich mitgegangen worden ist.
Konkret: In Bezug auf das Recht und die Pflicht der
Gesetzgeber, sei es Bund oder seien es die Länder, bei
der Zulassung bleibt zu fragen:
Hat der im Juli 2006 geschlossene Staatsvertrag zwi-
schen den Ländern die Qualität, die von den Studieren-
den wie von den Hochschulen erwartet werden kann, in
Bezug auf ein alle Hochschulen und alle Studierenden
einschließendes, klar gegliedertes und effizient organi-
siertes Zulassungsverfahren?
Sind tatsächlich auch alle Hochschulen in dieses Sys-
tem einbezogen oder wird mit einem falschen Verständ-
nis von Hochschulautonomie zugelassen, dass ein sol-
ches Verfahren, wie es zwischen den Ländern per
Staatsvertrag abgestimmt worden ist, unterhöhlt werden
kann?
Bleibt tatsächlich die Homogenität und Gleichwertig-
keit in Deutschland im Verfahren der Hochschulzulas-
sung gewahrt, oder tut sich ein Feld von unterschiedli-
chen Kosten und Regelungen auf, das am Ende auf dem
Rücken der Studierenden abgewickelt wird?
Auch was die Abschlüsse angeht, werden intensive
Nachfragen und Klärungen notwendig sein:
Was folgt aus dem möglichen Wegfall des § 9 HRG in
Bezug auf die ländergemeinsamen Strukturvorgaben für
die Akkreditierung von Bachelor- und Master-Studien-
gängen und -Abschlüssen? Halten die Beschlüsse der
KMK, die weder Gesetz noch Staatsvertrag sind, der An-
forderung einer verlässlichen Koordinierung und Orien-
tierung stand?
Bedarf es einer einheitlichen Festlegung von der Bun-
desseite aus oder über einen Staatsvertrag in Bezug auf
eine Anpassung und Veränderung der Studienzeiten der
Bachelor- und Master-Studiengänge im Lichte von Ziel-
setzungen, die mit einem Aufwuchs bei den Auslands-
studien für jeden Studenten und mit einer Integration
von Studienphasen und Praxisphasen verbunden sind?
Ist die Akkreditierung von Studiengängen so geregelt,
dass nicht am Ende in einzelnen Ländern außerhalb der
Akkreditierung stehende Studieneinrichtungen Abschlüsse
vergeben, die aus der Mindestanforderung für die Quali-
tät von Studienabschlüssen herausfallen? Der aktuelle
§
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70 des HRG regelt immerhin Mindeststandards für die
nerkennung und Gleichbehandlung nichtstaatlicher Bil-
ungseinrichtungen. In der Folge einer zunehmenden
ründung von nichtstaatlichen Hochschulen wird die
rage der Sicherung von Qualitätsstandards bei den Ab-
chlüssen und der Gleichwertigkeit von Abschlüssen von
edeutung sein.
Schließlich wird im Rahmen der Anhörung auch zu
lären sein, was die Vereinbarung in unserem Koali-
ionsvertrag wirklich bedeutet, das heißt, dass die Zulas-
ung zu Fachhochschulen und Universitäten auf der
rundlage einer erfolgreich abgeschlossenen Berufsaus-
ildung im Hochschulrecht grundsätzlich geöffnet wer-
en soll. Hier wird zu klären sein, ob dieser Teil des
ochschulzugangs durch die Föderalismusreform tat-
ächlich ausgeschlossen ist. Denn diejenigen, die aus ei-
er qualifizierten und qualifizierenden Berufstätigkeit
ach einer erfolgreichen Berufsausbildung den Hoch-
chulzugang suchen, berühren damit ja keineswegs
chulische Abschlüsse, wie sie nach dem Begründungs-
ext der Föderalismusreform den Ländern vorbehalten
ind. Ganz im Gegenteil kommen sie ausdrücklich über
en nichtschulischen, sondern den berufsbildenden Ab-
chluss oder die Berufstätigkeit, die eben nicht in der al-
einigen Zuständigkeit der Länder liegt.
Wenn sich herausstellen sollte, dass dieser Weg ver-
assungsmäßig und von der Praktikabilität her nicht
angbar ist, muss jedenfalls im Rahmen der Anhörung
nd der weiteren Arbeit am Hochschulrecht infolge der
ufhebung des HRG intensiv geprüft werden, welche
nderen Wege es denn geben kann, diese überfällige ko-
rdinierende Leistung zu erbringen, dass gerade Men-
chen aus der Berufsausbildung und der Berufstätigkeit
icht im Dschungel der autonomen Bestimmungen der
inzelnen Hochschulen in den 16 Bundesländern ste-
kenbleiben. Dies dürfen und können wir uns nicht leis-
en. Es wäre eine Versündigung an den Bildungspoten-
ialen gerade von aktiven und um Bildungsaufstieg
emühten Menschen in unserem Land.
Was auf den ersten Blick deshalb als vor allem recht-
iche Frage erscheinen könnte, wenn man konkret den
esetzestext des Aufhebungsgesetzes durchsieht, entwi-
kelt sich im Zusammenhang dieser Fragestellung zu ei-
er hochpolitischen Diskussion, die wir jedenfalls von
er sozialdemokratischen Seite aus intensiv aufnehmen
ollen. Wir wollen dies deshalb umso mehr tun, als es
uf jeden Fall darum geht, Aufklärung und Bewusst-
einsbildung auch in Bezug auf die Problemlagen der
tudierenden und Hochschulen zu schaffen, die mit dem
uslaufen des HRG keineswegs gelöst sind, sondern
ich im Gegenteil bereits jetzt als massive Probleme für
ie Zukunft abzeichnen. Es geht auch darum, fraktions-
bergreifend die Bereitschaft zu wecken, sich nicht im
erfahren zu verlieren, sondern sich um die Substanz
on Hochschulzulassung, Hochschulabschlüssen und
ochschulqualität zu bemühen.
Zu den vorgelegten Anträgen der drei Oppositions-
raktionen müssen deshalb ein paar Hinweise erlaubt
ein:
11954 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
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Dass die FDP ganz entgegen ihrer positiven Tradition
als Bildungs- und Hochschulpartei der sozialliberalen
Zeiten sich einmal mehr reduziert auf die reine Wettbe-
werbsbetrachtung, spricht nicht für das moderne Hoch-
schulverständnis der Liberalen. Sie sind hier ganz schön
auf den Hund gekommen.
Wenn die Grünen in ihren längeren Ausführungen am
Ende auch die Forderung stellen, dass der Bundestag die
Bundesregierung auffordern soll, gemeinsam mit den
Ländern und in Abstimmung mit dem Deutschen Bun-
destag umgehend Verhandlungen über Staatsverträge
aufzunehmen, so bleibt nur die nüchterne Feststellung,
dass der Bund in keinem Fall an Staatsverträgen beteiligt
ist. Denn das Wesen von Staatsverträgen ist, dass sie
zwischen den Ländern ausgehandelt werden, ohne Bund
und ohne Bundesregierung. Gleichwohl wollen wir
gerne anerkennen, dass Staatsverträge ein alternativer
Weg sein können, um die notwendige Ordnung im Hoch-
schulwesen auch für die Zukunft des Europäischen
Hochschulrahmens mit zu schaffen.
Die Linkspartei schließlich weiß in ihrem Antrag
schon, was sie konkret will, nämlich ein eigenes Bundes-
gesetz, das die Hochschulzulassung und Studienab-
schlüsse bundesweit einheitlich regelt. Für die Sozialde-
mokraten darf ich Ihnen sagen, dass wir vor diesem
letztendlichen, absoluten Wissen, das andere schon ha-
ben, vor einer abschließenden Entscheidung noch mehr
wissen wollen. Deshalb bereiten wir die Anhörung in-
tensiv vor. Deshalb wird es noch zu intensiven Klärun-
gen mit Experten aus den Hochschulen, den Studenten
und dem Hochschulmanagementbereich kommen müs-
sen. Deshalb sind auch die Verhältnisse in den Bundes-
ländern und die bisherige Regelungsqualität genauer zu
untersuchen.
Entgegen den Gewissheiten der drei kleinen Opposi-
tionsparteien müssen wir deshalb feststellen, dass mit
der Einbringung des Aufhebungsgesetzes zum HRG, um
es als Schachspieler auszudrücken, die Partie erst eröff-
net wird und es noch vollkommen offen ist, welches Ge-
samtkonzept am Ende der Zukunft der Studierenden und
der Hochschulen am besten entspricht.
Uwe Barth (FDP): Wir Liberalen begrüßen den Be-
schluss der Bundesregierung, das HRG endgültig aufzu-
heben. Dass dies aus unserer Perspektive eine längst
überfällige Maßnahme war, versteht sich schließlich
hat die FDP immer wieder gefordert, den bürokratischen
Wust zugunsten von mehr Freiraum und mehr Autono-
mie für die Hochschulen abzubauen. Auf Länderebene
leisten wir unseren Beitrag. So hat die FDP in Nord-
rhein-Westfalen ein Hochschulfreiheitsgesetz auf den
Weg gebracht, ein Gesetz, das diesen Namen auch tat-
sächlich verdient hat.
Bildungsministerin Dr. Schavan gibt eine Politik der
Freiheit und Autonomie für die Hochschulen als Parole
aus und das ist bemerkenswert unterlegt diese Lo-
sung mit ersten konkreten Schritten. Das HRG soll weg!
Die Zielrichtung passt und wir unterstützen dieses Vor-
haben voll und ganz.
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Tatsächlich kann die Ministerin unsere Unterstützung
ut gebrauchen. Denn offensichtlich, so lässt sich der taz
om gestrigen Tage, 19. September 2007, entnehmen,
erät Frau Schavan unter friendly fire. Aus den Reihen
er SPD wurde verlautbart, dass man der Aufhebung
es HRG nicht zustimmen wird. Es scheint, als wollten
ie Sozialdemokraten die Fesseln des deutschen Hoch-
chulwesens nicht lösen das Korsett anbehalten, das
ie Schwachbrüstigkeit der deutschen Universitäten zu
aßgeblichen Teilen mit verursachte.
Das HRG hat keine Funktion. Es gründete auf der
nnahme, alle Hochschulen seien gleich. Die Sozialde-
okratin Edelgard Bulmahn hat diese Illusion der
omogenität des Hochschulsystems möglicherweise
öllig unbeabsichtigt zerstört. Mit der Exzellenzinitia-
ive ist ein Prozess auf den Weg gebracht worden, der
ich weder anhalten noch stoppen lässt. Da können die
ollegen der SPD noch so zetern und klagen. Aber mitt-
erweile treten ja sogar SPD-Wissenschaftsminister
nverhohlen für den offenen Wettbewerb zwischen
ochschulen ein und unterstützen das Kräftemessen in
achen wissenschaftlicher Exzellenz. Von der Vorstel-
ung, man könne mittels staatlicher Regelungen den
assenbetrieb unterfinanzierter Universitäten lenken,
erabschieden sich immer mehr Verantwortliche. Das
erstaubte Denken der 70er-Jahre schwindet und die
issenschaftspolitischen Ansätze sind, vielleicht auch
en Vergleichsstudien geschuldet, moderner und interna-
ionaler geworden.
Dennoch gibt es auch Beharrungseffekte, und diese
ollten nicht auf die leichte Schulter genommen werden.
rofessor Dr. Zöllner, der derzeitige KMK-Vorsitzende,
at sich dafür ausgesprochen, den durch den Wegfall des
RG entstandenen Freiraum durch neue Länderregelun-
en zu füllen. Er sieht auch, laut seiner Antwort auf eine
leine Anfrage im Berliner Senat, keinen Anlass, den
ntscheidungsspielraum der Hochschulen in seinem
erantwortungsbereich zu stärken. Es ist sehr fraglich,
b diese Haltung den Berliner Universitäten langfristig
ut bekommen wird.
Deswegen ist es so dringend notwendig, auf Länder-
bene für die Stärkung und für mehr Autonomie der
ochschulen zu werben. Die Regierung geht zwar einen
ichtigen Schritt mit ihrem Entwurf zur Aufhebung des
RG. Doch wenn sie will, dass am Ende ein Mehrwert
ei den Hochschulen ankommt, muss sie auch die Ver-
ntwortlichen davon überzeugen. Es kann und darf nicht
infach hingenommen werden, dass einzelne Wissen-
chaftsminister die Hochschulen in Feudalmanier wie
intersassen behandeln. Das ist nicht zeitgemäß. Des-
egen hat die FDP-Bundestagsfraktion hierzu einen An-
rag eingebracht, um dessen Unterstützung wir bitten.
Die Linke und die Grünen wollen sich über den Vor-
toß der Regierung bzw. CDU minus SPD nicht recht
reuen. Die Vorstellung, dass der Staat die Zügel loslas-
en könnte, trübt die Stimmung. Die Grünen fordern ei-
en Staatsvertrag zwischen Bund und Ländern der
ottlob kaum zu realisieren wäre. Da kann man dem Fö-
eralismus tatsächlich einmal fast dankbar sein. Denn
in solches bürokratisches Monstrum würde mehr Hür-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11955
(A) )
(B) )
den, Hindernisse und Probleme schaffen. Zudem wird in
dem Antrag die Vorstellung erzeugt, mit einem solchen
Vertragswerk könnten die Segnungen des HRG kom-
pensiert werden. Hat das HRG wirklich zur Mobilität
beigetragen? Nein! Hat es tatsächlich eine Vergleichbar-
keit der Hochschulen geschaffen? Nein! Hat es für
gleichwertige Abschlüsse gesorgt? Niemals! Das HRG
war lediglich eine Konstruktion, mittels derer die Illu-
sion der Gleichheit aufrechterhalten wurde. Nun werden
wir uns aber hoffentlich bald von der sozialromantischen
Weichzeichnerei verabschieden und der Realität ins
Auge blicken.
Die FDP ist davon überzeugt, dass Deutschlands
Hochschulen im internationalen Spitzenfeld mithalten
könnten sofern man ihnen dazu die richtigen Rahmen-
bedingungen bietet. Die Abschaffung des HRG ist ein
erster, richtiger Schritt. Darauf müssen selbstverständ-
lich zahlreiche andere folgen. Zunächst müssen Sie aber,
Frau Ministerin, Überzeugungsarbeit leisten! Werben
Sie für den notwendigen Freiraum, für Hochschulauto-
nomie, für Wettbewerb! Dann haben Sie uns an Ihrer
Seite.
Cornelia Hirsch (DIE LINKE): Die Linke lehnt die
von der Bundesregierung vorgeschlagene Aufhebung
des Hochschulrahmengesetzes ab. Wir halten diesen
Schritt für überflüssig und inhaltlich für falsch. Deshalb
begrüßen wir es, dass sich inzwischen auch innerhalb
der Koalition Widerstand gegen das Vorhaben regt.
Die Bundesregierung begründet ihre Initiative zur
Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes mit der in
2006 beschlossenen Föderalismusreform. Dieses Argu-
ment ist nicht überzeugend. Aus der Föderalismusreform
ergibt sich keinerlei Notwendigkeit, das Hochschulrah-
mengesetz aufzuheben. Aus unserer Sicht gibt es eigent-
lich nur Gründe, die dafür sprechen, das Gesetz in Kraft
zu belassen. Nur so können all die Grundsätze, die nach
der Föderalismusreform weiterhin auf Bundesebene ge-
regelt werden können bzw. zu denen auf der Ebene der
Länder noch keine alternativen Regelungen verabschie-
det wurden, weiter Bestand haben. Falls das vorliegende
Gesetz jedoch verabschiedet würde, hätte dies zur Folge,
dass erstens einzelne Länder quasi gezwungen wären,
ihre Hochschulgesetze zu überarbeiten, und zweitens der
Bildungsflickenteppich weitergesponnen wird.
Zweitens soll laut Bundesregierung durch die Aufhe-
bung des Hochschulrahmengesetzes ein Signal gegeben
werden, die Hochschulen zugunsten von mehr Wettbe-
werb aus der staatlichen Detailsteuerung zu entlassen.
Bisher war es doch gerade andersherum: Der Bund
steckte einen groben Rahmen ab, und die Länder füllten
diesen gegebenenfalls mit Details. Sie fordern mit Ihrem
Entwurf geradezu zur Kleinstaaterei auf. Außerdem will
die Bundesregierung mit der Gesetzesinitiative eine
Politik der Freiheit und Autonomie für die Hochschu-
len erreichen. Die Erfahrungen der letzten Jahre machen
deutlich, dass die vermeintliche Freiheit in der Praxis
meistens Unvergleichbarkeit und Chaos bedeutet und
vor allem die soziale Ungleichheit zwischen den Bun-
desländern und neuerdings sogar zwischen Hochschulen
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erschärft. Damit steht der Vorschlag, das Hochschul-
ahmengesetz abzuschaffen, im Widerspruch zu einer
rogressiven Hochschulpolitik.
Lassen Sie mich zwei Beispiele nennen, um dies zu
elegen: Erstens sollten wir uns den Bologna-Prozess
enauer ansehen. Begründet wurde die Umstellung der
tudiengänge auf die Bachelor- und Masterstruktur in
rster Linie mit dem Ziel, eine bessere Vergleichbarkeit
u erreichen und die Mobilität zu erhöhen. Inzwischen
edet die Bildungsministerin ganz offen davon, dass man
ach Wegen suchen muss, wie sich Mobilität trotz der
urch den Bologna-Prozess geschaffenen Hürden ge-
ährleisten lässt. Kürzere Studienzeiten und engere Stu-
ienpläne trugen nämlich gerade nicht dazu bei, dass
tudierende häufiger ihren Studienort wechseln oder ein
uslandsstudium absolvieren.
Ein zweites Beispiel ist das Ziel, die Studierenden-
uote auf mindestens 40 Prozent eines Altersjahrganges
u erhöhen, wie das die Große Koalition anstrebt. Wir
ind uns hier sicherlich einig, dass dieses Ziel nur er-
eicht werden kann, wenn die Studienplatzkapazitäten
usgebaut werden. Erst gestern haben wir uns in der Fra-
estunde danach erkundigt, wie viele ausfinanzierte Stu-
ienplätze zurzeit in Deutschland vorhanden sind. Die
undesregierung sah sich nicht in der Lage, hierauf eine
ntwort zu geben. Für die Linke ist es schlicht ein Rät-
el, wie ohne jedes Wissen darüber sinnvoll und bundes-
eit koordiniert ein Ausbau von Studienplatzkapazitäten
rfolgen soll. Dieses Beispiel verdeutlicht eindrucksvoll,
ie wichtig hier eine bundeseinheitliche Koordination
st.
Die Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes ist
eshalb der falsche Schritt. Die Linke fordert eine Poli-
ik in die entgegengesetzte Richtung. Wir müssen nach
öglichkeiten suchen, wie der Bund mehr gesamtstaat-
iche Verantwortung für die Hochschulen wahrnehmen
ann. Die Linke fordert die Bundesregierung auf, end-
ich ein Gesetz vorzulegen, das bundesweit den Zugang
n die Hochschulen und die Hochschulabschlüsse regelt.
ie Kompetenz hierfür ist dem Bund mit der Föderalis-
usreform zugefallen. Nun muss sich Frau Ministerin
chavan dieser Herausforderung auch stellen, anstatt
en Bund weiter aus der Regelung der Hochschulpolitik
erauszunehmen.
Ich fasse zusammen: Mit der Aufhebung des Hoch-
chulrahmengesetzes würden bundeseinheitliche Rege-
ungen ohne Not außer Kraft gesetzt. Eine Verschärfung
er ohnehin schon bestehenden Ungleichheit und man-
elnde Vergleichbarkeit wären die logische Folge.
chließlich wären die meisten Landesparlamente genö-
igt, ihre Hochschulgesetze zu überarbeiten. Die Linke
ordert die Bundesregierung deshalb auf, ihren Gesetz-
ntwurf zurückzuziehen.
Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das
ind ist in den Brunnen gefallen: Seit der Föderalismus-
eform I kann der Bund den Studierenden nicht mehr
echtssicher garantieren, dass sie in Deutschland pro-
lemlos von einer Uni zur anderen wechseln können.
ie abweichungssichere Bundeskompetenz dafür haben
11956 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
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Sie gegen unseren grünen Widerstand mit der Verfas-
sungsreform vom Tisch gewischt. Da das Kind mit der
Föderalismusreform I jetzt im Brunnen liegt, können wir
heute nur noch über Erste-Hilfe-Notlösungen diskutie-
ren. Auch unser grüner Vorschlag eines Staatsvertrags
zwischen Bund und Ländern ist das sage ich ganz of-
fen kein perfektes Instrument. Aber wir glauben, dass
es in der jetzigen Situation das beste Angebot an die Stu-
dienberechtigten, Studierenden und Absolventen dar-
stellt.
Ihr Vorgehen, Frau Schavan, überzeugt dabei am we-
nigsten: Sie geben mit dem Hochschulrahmengesetz
auch die Restkompetenz des Bundes für Hochschulzu-
lassung und -abschlüsse auf. Sie unternehmen noch nicht
einmal mehr den Versuch, einen bundesweiten Hoch-
schulraum mit Mobilitätsgarantie zu erhalten. Dies
kommt geradezu einer Aufforderung an die Länder
gleich, ihr eigenes Süppchen zu kochen, und ist deswe-
gen ein fatales Signal an Studienberechtigte, Studierende
und Absolventen. Ihr Hauptargument, das HRG-Aus
bringe weniger Bürokratie und mehr Hochschulautono-
mie, ist dürftig und nicht fachgerecht. Denn das HRG
enthält anders als die Landeshochschulgesetze gar
keine Detailvorschriften für die Hochschulen, sondern
setzt einen wichtigen einheitlichen Orientierungsrahmen
für die Länder. Mit Ihrem Argument, in einem europäi-
schen Hochschulraum sei das HRG verzichtbar, geben
Sie sämtliche Gestaltungskompetenz und Einheitlichkeit
im inländischen Hochschulraum auf. Der Studienort-
wechsel im Inland darf aber nicht schwieriger werden als
ins europäische Ausland. Sonst konterkarieren Sie die
Bologna-Ziele in Europa mit hochschulpolitischer
Kleinstaaterei in Deutschland. Die ersatzlose Streichung
des HRG halten wir daher für falsch, kontraproduktiv
und zudem völlig übereilt. Sie wird die Mobilität von
Studierenden verschlechtern, weil bundeseinheitliche
Regeln wegfallen und Regelungslücken in den Bundes-
ländern entstehen.
Zu einer pauschalen und gedankenlosen Abschaffung
des HRG erwartungsgemäß brav beklatscht von der
FDP gibt es drei Alternativen:
Erstens. Sie erhalten die Teile des Rahmengesetzes,
die explizit bundeseinheitliche Zulassungsregeln, die
länderübergreifende Gleichwertigkeit von Prüfungsleis-
tungen und Studienabschlüssen sowie die Möglichkeit
des Hochschulwechsels einfordern. Trotz des formalen
Abweichungsrechts der Länder entsteht so eine norma-
tive und im besten Fall dauerhafte Bindungswirkung,
weil der Bund zumindest symbolisch das Ziel bundes-
einheitlicher Mindeststandards aufrechterhält.
Zweitens. Sie schaffen ein neues Bundesgesetz, wie
es in unterschiedlicher Akzentuierung SPD und
Linke fordern. Auch hiermit würde der Bund das hohe
Gut bundesweiter Regelungen zu Hochschulzulassung
und -abschlüssen hervorheben. Allerdings erlaubt das
Grundgesetz Bundesregelungen eben nur noch zu genau
dieser Materie. Ein umfassendes Wünsch-dir-was-Ge-
setz, von dem die Linke träumt, ist verfassungsrechtlich
also gar nicht möglich. Und es würde sogar dazu beitra-
gen, den nationalen Hochschulraum zu zerfleddern.
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enn ein umfangreiches Bundesgesetz, das nicht im
onsens mit den Ländern entsteht, fördert geradezu eine
bweichende Gesetzgebung der Länder. Gut gemeint ist
lso nicht gut gemacht, sondern leider fachfremd und
ealitätsfern.
Die dritte Option, die uns zur Verfügung steht und wir
n unserem Antrag vorschlagen, ist ein Staatsvertrag
wischen allen Ländern und dem Bund. Uns ist bewusst,
ass die demokratische Beteiligung der Parlamente bei
inem Staatsvertrag nicht optimal ist, aber über die Rati-
izierung in allen Parlamenten nicht aufgegeben wird.
ber wir halten einen Staatsvertrag dennoch für das
este aller Instrumente in der unbefriedigenden födera-
en Kompetenzkonstellation. Denn:
In einem Staatsvertrag sind wir nicht auf die engen
renzen der Bundeskompetenz beschränkt. Das heißt im
invernehmen mit den Ländern können wir bundesein-
eitliche Regelungen zum Hochschulzugang für beruf-
ich Qualifizierte ohne Abitur verankern. Und wir kön-
en gemeinsam über die Vorschläge der KMK hinaus
innvolle Eckpunkte für die dringend erforderliche und
on uns mehrfach eingeforderte bundesweite Service-
telle zum Bewerbungsmanagement definieren. Diese
inrichtung kann ineffiziente Mehrfachbewerbungen für
tudienberechtigte und Hochschulen wirksam minimie-
en.
Zudem hat ein Staatsvertrag mit bundeseinheitlichen
indeststandards die höchste Haltbarkeit und Bindungs-
irkung. Ein gemeinsam erarbeiteter Staatsvertrag wirkt
n der unbefriedigenden Verfassungssituation ganz an-
ers und verbindlicher als ein nicht-zustimmungspflich-
iges Bundesgesetz.
Deshalb plädieren wir Grüne für einen Staatsvertrag
wischen Bund und Ländern, um den unverzichtbaren
ernbereich länderübergreifenden Hochschulrechts zu
efinieren.
Dass die SPD nun ein neues Hochschulrahmengesetz
ordert, zeigt mir, dass sich die Großkoalitionäre auch
ei diesem hochschulpolitischen Thema nicht einig sind.
nd wenn mittlerweile selbst die KMK erwägt, einen
unabdingbar notwendigen Kernbereich länderübergrei-
ender Regelungsmaterie in der Hochschulpolitik zu
eschreiben wie die Antwort auf unsere Kleine An-
rage belegt , dann rate ich den Koalitionspartnern, eine
enkpause einzulegen, und hoffe, dass sich in der Union
ie Vernunft durchsetzt.
Ich wünsche mir, dass wir gemeinsam in der auch
on uns eingeforderten Expertenanhörung die ver-
chiedenen Optionen erörtern und am Ende in der
chwierigen Lage nach der Föderalismusreform I zum
estmöglichen Ergebnis für die Studierenden und ihre
obilität sowie für die Hochschulen gelangen.
Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
esministerin für Bildung und Forschung: Der Gesetz-
ntwurf zur Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes,
ber den wir heute beraten, ist Ausdruck einer Politik
er Freiheit und Autonomie für die Hochschulen. Unsere
ochschulen brauchen diese Freiheit, um ihre Stärken
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11957
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auszubauen, flexibel auf neue Herausforderungen zu
reagieren und im Wettbewerb ein differenziertes Profil
entwickeln zu können.
Mit der Aufhebung des HRG unterstützt der Bund die
Länder darin, die Hochschulen aus der staatlichen De-
tailsteuerung zu entlassen. Die Länder sind deshalb auf-
gefordert, ihre neu gewonnenen Spielräume an die
Hochschulen weiterzugeben. Dies geschieht inzwischen
in immer mehr Ländern. Was noch vor wenigen Jahren
in meiner Heimatstadt Darmstadt mit der Vorlage des
bundesweit ersten Autonomiegesetzes für die Techni-
sche Universität Modellcharakter hatte, ist nun flächen-
deckend zum Vorbild für die Hochschulpolitik gewor-
den.
Die Rahmengesetzgebung war eine gute und richtige
Idee zu ihrer Zeit. Sie hat sich aber heute überlebt und
wurde deshalb zu Recht mit der Föderalismusreform im
vergangenen Jahr aufgegeben.
Heute geht es bei der politischen Gestaltung des Wis-
senschaftssystems darum, Anreize zu setzen, Wettbe-
werb zu ermöglichen und die Gestaltungsspielräume vor
Ort zu stärken. Kurz gesagt: Es geht nicht um Steuerung
über Detailregelungen und Verwaltung, sondern um Mo-
dernisierung der Hochschulen durch Freiheit und Auto-
nomie.
Bund und Länder nehmen ihre gemeinsame Verant-
wortung für eine zukunftsfähige Entwicklung der Hoch-
schulen durch neue Steuerungsinstrumente wahr. Ge-
meinsame Ziele und der feste Wille, diese Ziele zu
erreichen, können erheblich mehr bewirken als gesetzli-
che Regelungen. Beleg dafür sind die Exzellenzinitiative
und der Hochschulpakt.
Die Exzellenzinitiative hat eine ungeheure Dynamik
in der deutschen Hochschullandschaft ausgelöst. Nicht
nur die im Rahmen dieser Initiative erfolgreichen Hoch-
schulen überlegen sich zukunftsweisende Strategien zum
Ausbau der eigenen Stärken. Auch viele der übrigen
Hochschulen setzen auf innovative Konzepte und strate-
gische Partnerschaften, um in Forschung und Lehre zu
international sichtbaren Leuchttürmen zu werden.
Eine weitere Stärkung der Forschung an den Hoch-
schulen erfolgt im Rahmen des Hochschulpakts. Mit ei-
ner Programmpauschale für erfolgreiche Forschungsvor-
haben, die sich im Wettbewerb um Fördermittel der DFG
durchsetzen, erhalten die Hochschulen mehr Gestal-
tungsspielräume außerhalb ihrer Grundfinanzierung. Für
dieses Instrument, das gerade in die Breite der Hoch-
schulforschung wirkt, stellt der Bund bis 2010 mehr als
700 Millionen Euro bereit.
Der Hochschulpakt verfolgt aber vor allem das Ziel,
mehr jungen Menschen ein Studium zu ermöglichen.
Bund und Länder schaffen in den nächsten Jahren ge-
meinsam die Voraussetzungen für die Aufnahme von
mehr als 90 000 zusätzlichen Studienanfängern. Alleine
der Bund nimmt hierfür bis zum Jahr 2010 rund
565 Millionen Euro in die Hand. Damit geben Bund und
Länder einer wachsenden Zahl junger Menschen die
Chance für eine akademische Qualifizierung und begeg-
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en zugleich einem sich abzeichnenden Fachkräfteman-
el.
Für Befürchtungen, die Aufhebung des Hochschul-
ahmengesetzes führe zu Regelungslücken, besteht kein
nlass. Die Vorgaben des HRG wurden vollständig in
en Hochschulgesetzen der Länder umgesetzt. Das un-
ittelbar geltende Hochschulrecht ergibt sich schon jetzt
icht aus dem HRG, sondern aus den Landeshochschul-
esetzen.
Die Aussage, die Abschaffung des HRG werde die
änder zu weitreichenden Änderungen ihrer Landes-
ochschulgesetze zwingen, entbehrt daher jeder Grund-
age. Erforderlich sind allenfalls redaktionelle Änderun-
en von Paragrafen, die das HRG unmittelbar zitieren.
efahren für Vergleichbarkeit und Mobilität sind damit
icht verbunden.
Dies gilt auch und vor allem für die Bereiche Hoch-
chulzulassung und Hochschulabschlüsse. In beiden
ereichen gibt es übereinstimmende Regelungen der
änder, sodass insbesondere die Mobilität von Studien-
nteressenten und Studierenden, aber auch die der Absol-
entinnen und Absolventen gesichert ist.
So haben die Länder auf Basis der HRG-Regelungen
m vergangenen Jahr einen neuen Staatsvertrag über die
ergabe von Studienplätzen vereinbart und landesrecht-
iche Regelungen erlassen, auf deren Grundlage das
VS-Verfahren seit dem Wintersemester 2006/2007
urchgeführt wird. Auch die Regelungen zu den Hoch-
chulabschlüssen, die das HRG etwa zur Umsetzung der
ologna-Ziele enthält, sind in Landesrecht umgesetzt
orden.
Solange sich im Bereich des Landesrechts keine Ent-
icklungen abzeichnen, die nachteilige Auswirkungen
uf die nationale und internationale Mobilität von Stu-
ierenden und Hochschulabsolventen befürchten lassen,
ibt es auch keinen Bedarf für neue bundesrechtliche
egelungen zu Hochschulzulassung oder Hochschul-
bschlüssen.
Erlauben Sie mir an dieser Stelle ein paar Bemerkun-
en zur Frage des Hochschulzugangs beruflich Qualifi-
ierter. Es ist erklärtes Ziel der Bundesregierung, die
urchlässigkeit insbesondere zwischen beruflicher und
kademischer Ausbildung zu verbessern. Wir sind hierzu
ereits mit den Ländern im Gespräch. Auch der Innova-
ionskreis berufliche Bildung, dem unter anderem KMK-
räsident Professor Zöllner angehört, hat sich klar für
erbesserungen in diesem Bereich ausgesprochen. Es
äre jedoch ein Missverständnis, wenn man mit Blick
uf die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die
ochschulzulassung nun eine bundesgesetzliche Rege-
ung für den Hochschulzugang, etwa von beruflich Qua-
ifizierten, fordern wollte. Eine solche Regelung wird
on der Gesetzgebungskompetenz des Bundes ausdrück-
ich nicht erfasst. Ein Blick in die Begründung des neuen
rt. 74 Abs. 1 Nr. 33 des Grundgesetzes genügt, um
iese klare Kompetenzzuweisung festzustellen.
Die Aufhebung des HRG hat weder Regelungslücken
och eine Gefährdung von studentischer Mobilität zur
olge. Sie ist vielmehr ein deutliches Signal für mehr
11958 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
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Autonomie. Unsere Hochschulen brauchen diese Frei-
heit, um ihre Leistungsfähigkeit im weltweiten Wettbe-
werb auszubauen. Davon profitieren Wirtschaft und
Wissenschaft, Studierende und Forscher gleichermaßen.
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts: Nationalen Aktionsplan gegen Rassis-
mus erstellen (Tagesordnungspunkt 15)
Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU): Zum Na-
tionalen Aktionsplan gegen Rassismus habe ich für die
CDU/CSU-Fraktion schon in der ersten Lesung des vor-
liegenden Antrages am 22. März dieses Jahres hier im
Plenum alles Relevante gesagt.
Die Bundesregierung wird ihrer Verpflichtung aus der
Weltkonferenz 2001 in Durban nachkommen. Die Arbeit
am Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus, NAP, ist
weit fortgeschritten. Er ist in den betroffenen Ressorts
abgestimmt und wird nun mit den Vertretern der Zivilge-
sellschaft diskutiert werden. Somit wird die Arbeit am
NAP noch in diesem Jahr beendet sein.
Die Bundesregierung braucht sich hier nichts vorwer-
fen zu lassen, erst Recht nicht bei der Frage der Einbin-
dung der Zivilgesellschaft. Wer die Schlussdokumente
der Durbaner UN-Weltkonferenz liest und die Entwick-
lung des NAP nachvollzieht, der weiß, dass die Bundes-
regierung diese Einbindung sogar über das dort gefor-
derte Maß betrieben hat.
Es ist auch Humbug, zu behaupten, Deutschland sei
eines der letzten Länder, die noch keinen NAP haben.
Richtig ist vielmehr, dass wir bei den Ersten sein wer-
den, die bei den Vereinten Nationen einen Nationalen
Aktionsplan gegen Rassismus hinterlegen. Wenn man
fair ist, muss man auch sagen, dass die Bundesregierung
schon im Jahr 2002 den Vereinten Nationen einen Be-
richt über die Rechtsextremismusbekämpfung übersandt
hat, der nichts anderes als bereits ein Kern-NAP war.
Der Nationale Aktionsplan gegen Rassismus wird die
geplanten Maßnahmen und Aktivitäten der Bundesregie-
rung zur Rassismusbekämpfung zusammenfassen. Ich
würde aber nicht erwarten, dass irgendein Neonazi beim
Erscheinen des NAP vor lauter Schreck zum Demokra-
ten wird. Dieser Antrag der Linken klingt gerade so, als
reduziere sich die Bekämpfung von Rassismus und
Extremismus auf den NAP. Wir alle hier wissen, dass
das Unsinn ist.
Dass das Thema NAP hier so schnell zu aller Zufrie-
denheit abgehandelt werden kann, gibt mir die Chance,
noch einmal für die CDU/CSU-Fraktion ein paar grund-
sätzliche Anmerkungen zur Extremismus- und Rassis-
musbekämpfung in Deutschland zu machen. Genau
genommen geht es um fünf Leitsätze der Extremismus-
bekämpfung, die uns offensichtlich von den anderen
Fraktionen unterscheiden.
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Erstens. Wir führen einen Kampf gegen jegliche
orm des Extremismus, also gegen alle diejenigen, die
nsere freiheitlich-demokratische Grundordnung be-
ämpfen. Dies umfasst deshalb sowohl den Rechts- und
en Linksextremismus als auch den Islamismus. Es ist
ine großer Fehler, die gegenseitigen Abhängigkeiten
wischen den Extremismusbereichen zu ignorieren. Von
er linksextremen Propaganda gegen den Sozialstaat
rofitiert zurzeit etwa auch die NPD in gehörigem Maße.
Zweitens. Wir führen auch einen Kampf gegen jegli-
he Form des Rassismus, und das heißt, ohne Ansehen
er Ethnie von Opfer und Täter. Wenn rassistische Ge-
alt gegen Deutsche ignoriert wird, ist dies genauso
chlimm, wie wenn rassistische Gewalt gegen Ausländer
gnoriert wird. Es ist deshalb richtig, wenn Politik und
edien Rassismus gegen Ausländer offensiv benennen
nd dagegen vorgehen. Aber es ist falsch und es ist Was-
er auf die Mühlen der Rechtsextremisten, wenn zu-
leich Rassismus gegen Deutsche weiterhin ignoriert
nd verharmlost wird.
Drittens. Der Kampf gegen die einen Extremisten
ann nicht zusammen mit anderen Extremisten geführt
erden. Insbesondere in der Rechtsextremismusbe-
ämpfung werden leider immer wieder linksextreme
der auch islamistische Organisationen unterstützt. Mit
em Belzebub treibt man jedoch nicht den Teufel aus.
an kann die freiheitlich-demokratische Grundordnung
icht zusammen mit den Feinden der freiheitlich-demo-
ratischen Grundordnung verteidigen.
Viertens. Wir kämpfen gegen den Rechtsextremis-
us, nicht gegen Rechts. Die CDU/CSU stellt sich ge-
en den Generalverdacht, alles was Rechts sei, sei
uch rechtsextremistisch. Wer glaubt, unter dem Deck-
antel des legitimen und notwendigen Kampfes gegen
en Rechtsextremismus einen Kampf gegen Rechts
ühren zu können, der wird uns nicht an seiner Seite ha-
en. Rechte und konservative Einstellungen sind Teil
es demokratischen Spektrums, egal ob man sie mag
der nicht. Die Grenze zwischen rechten Einstellungen
nd rechtsextremistischen Einstellungen ist klar defi-
iert: Es ist das Verhältnis zur freiheitlich-demokrati-
chen Grundordnung und zur Menschenwürde.
Fünftens. Gegen blinden Hass muss man sehenden
uges kämpfen. Übertreibungen sind genauso Wasser
uf die Mühlen der Rechtsextremisten wie Verharmlo-
ungen. Pauschale und vorschnelle Urteile über ganze
tädte und Gemeinden führen ebenso in die Irre, wie es
n die Irre führt, die Augen vor rechtsextremistischen
mtrieben zu verschließen. Man kann den Rechts-
xtremisten jedoch keinen größeren Gefallen tun, als
enn eine Tat von Medien und Politik vorschnell als
echtsextrem klassifiziert werden, es sich im Nachhinein
ber herausstellt, dass die Tat tatsächlich keinen rechts-
xtremistischen Hintergrund hatte.
Diese fünf Leitsätze lassen sich zusammenfassen in
inem Wort: konsequent. Die CDU/CSU wird weiterhin
afür einstehen, dass die Bekämpfung von Rassismus
nd Extremismus in Deutschland eine konsequente Be-
ämpfung sein wird.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11959
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Gabriele Fograscher (SPD): Heute diskutieren wir
die Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem
Antrag der Linksfraktion, in dem die Bundesregierung
aufgefordert wird, einen Nationalen Aktionsplan gegen
Rassismus vorzulegen.
Rassismus ist eine Form der Fremdenfeindlichkeit,
die sich auf tatsächliche oder behauptete Rassenunter-
schiede stützt. Rassisten behaupten, dass Menschen sich
nicht nur in ihren biologischen Merkmalen, zum Bei-
spiel Hautfarbe, unterscheiden, sondern dass ihr gesam-
tes Wesen von ihrer Rassezugehörigkeit geprägt sei.
Damit verbunden ist stets der Glaube, die eigene
Rasse sei höherwertig. Deshalb sei es in Ordnung, be-
stimmte Menschen zu benachteiligen, zu unterdrücken
und im Extremfall sogar zu vernichten.
Auf der Weltkonferenz der Vereinten Nationen gegen
Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlich-
keit und damit zusammenhängende Intoleranz im Sep-
tember 2001 in Durban hat sich die Bundesrepublik
Deutschland verpflichtet, einen Nationalen Aktionsplan
gegen Rassismus zu erarbeiten.
Für meine Fraktion stelle ich fest, dass dieser Natio-
nale Aktionsplan richtig und wichtig ist. Verzögerungen
bei der Arbeit am Nationalen Aktionsplan gegen Rassis-
mus sind weder der rot-grünen noch der jetzigen Bun-
desregierung zuzuschreiben. Sie begründen sich darin,
dass sich die Nichtregierungsorganisationen bei der Ar-
beit in der Durban Follow-Up AG überworfen hatten.
Dieses Problem ist inzwischen gelöst.
Auch war es Ziel der Bundesregierung und der sie tra-
genden Fraktionen, die Umsetzung der EU-Antirassis-
mus-Richtlinie als zentralen Bestandteil des Nationalen
Aktionsplans zu integrieren. Die Umsetzung der EU-
Richtlinie ist durch das Allgemeine Gleichstellungsge-
setz geschehen.
Inzwischen ist die Bundesregierung auf einem guten
Weg, den Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus
noch in diesem Jahr vorzulegen und somit den Ver-
pflichtungen aus dem Schlussdokument von Durban
nachzukommen. Die Themenschwerpunkte sind: Mi-
granten, Flüchtlinge, Menschenhandel, Bildung und
Menschenrechtserziehung, Diskriminierung am Arbeits-
markt und Zugang zu diesem, soziale Ausgrenzung,
Minderheiten, Maßnahmen gegen Gewalt, Menschen
mit Behinderung.
Weder die Bundesregierung noch die Vorgängerregie-
rungen warten auf die Erstellung des Nationalen
Aktionsplans gegen Rassismus, um auf diesem Gebiet
aktiv zu werden. Deshalb unterstützt und initiiert die
Bundesregierung zahlreiche Initiativen und Maßnahmen
gegen Rassismus in den unterschiedlichsten Ressorts.
Eine umfassende gesetzliche Maßnahme ist das 2006
beschlossene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Es
enthält unter anderem das Ziel, Benachteiligungen aus
Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft,
des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, ei-
ner Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität
zu verhindern oder zu beseitigen.
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Das Bündnis für Demokratie und Toleranz gegen
xtremismus und Gewalt, gegründet durch das Bundes-
nnen- und das Bundesjustizministerium, soll die demo-
ratischen Werte in unserem Land fördern, um ein stär-
eres Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger für
chtung und Garantie demokratischer Regeln wie der
ürde des Menschen, Toleranz, Meinungs- und Reli-
ionsfreiheit zu bewirken. Es bündelt alle Kräfte, die
ich gegen rassistische, fremdenfeindliche und antisemi-
ische Bestrebungen wenden.
Das Bundesministerium für Familie, Senioren,
rauen und Jugend fördert mit dem Programm Jugend
ür Vielfalt und Toleranz Initiativen gegen Rechtsextre-
ismus und Fremdenfeindlichkeit. Zusätzlich gibt es
as Programm Förderung von Beratungsnetzwerken
obile Intervention gegen Rechtsextremismus.
Das Programm Xenos Leben und Arbeit in Viel-
alt, das zu Teilen aus dem Europäischen Sozialfonds
inanziert wird, wird vom Bundesministerium für Arbeit
nd Soziales verwaltet und umgesetzt. Es werden insbe-
ondere Jugendliche und junge Erwachsene angespro-
hen, die durch fremdenfeindliches Denken und Han-
eln auffallen oder sich dafür anfällig zeigen.
egenseitiges Verständnis soll gefördert werden.
Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadt-
ntwicklung setzt sich mit dem Programm Soziale
tadt gegen Rassismus ein. Es geht um Zusammenle-
en, Nachbarschaft und Integration, aber auch um The-
en wie einen sozialen Arbeitsmarkt, demografischen
andel, lokale Demokratie und den Kampf gegen
echtsextremismus.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung
nterstützt den Wettbewerb Demokratisch Handeln,
er seit 1989 für alle allgemeinbildenden Schulen in
eutschland ausgeschrieben wird. Der Wettbewerb will
emokratische Haltung und demokratische Kultur im ge-
ebten Alltag von Schule und Jugendarbeit stärken. In
er Begegnung mit anderen sollen Fragen und Probleme
ichtbar und ein Korridor zu politischer Verantwortung
eöffnet werden.
Das Forum gegen Rassismus, dessen Geschäftsstelle
m BMI angesiedelt ist, fungiert als nationaler runder
isch im Sinne der Grundsätze der Europäischen Stelle
ur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlich-
eit. Es umfasst mittlerweile rund 80 Organisationen,
arunter 60 bundesweit bzw. überregional tätige Nicht-
egierungsorganisationen, die sich für die Überwindung
on Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Gewalt ein-
etzen.
Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft hat sich auch
it Blick auf die besondere historische Verpflichtung
eutschlands entschieden, die europaweite Bekämp-
ung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit wieder
uf die politische Agenda zu setzen. Sie wird die seit
005 auf Eis liegenden Verhandlungen über den Rah-
enbeschluss zur Bekämpfung von Rassismus und
remdenfeindlichkeit wieder aufnehmen. Ziel ist, eine
indestharmonisierung der Vorschriften über die Straf-
arkeit des Verbreitens von rassistischen und fremden-
11960 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
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feindlichen Äußerungen zu erreichen. Es geht zum Bei-
spiel um die öffentliche Aufstachelung zu Gewalt und
Hass oder das Leugnen oder Verharmlosen von Völker-
mord aus rassistischen oder fremdenfeindlichen Moti-
ven.
Die Bundeszentrale für politische Bildung stellt zahl-
reiches Informationsmaterial über Rassismus, Rechtsex-
tremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus
zur Verfügung. Die Bundeszentrale für politische Bil-
dung unterstützt alle interessierten Bürgerinnen und Bür-
ger dabei, sich mit diesen Themen zu befassen. Ihre Auf-
gabe ist es, Verständnis für politische Sachverhalte zu
fördern, das demokratische Bewusstsein zu festigen und
die Bereitschaft zur politischen Mitarbeit zu stärken.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz stellt ebenfalls
Informations- und Aufklärungsmaterial zur Verfügung,
bietet Ausstellungen wie Die braune Falle an, infor-
miert, analysiert und beobachtet. Auch die Sammlung
mit nachrichtendienstlichen Mitteln ist unverzichtbar.
Zudem werden Aussteiger aus der Szene unterstützt, und
es sind Telefonhotlines für Ausstiegswillige geschaltet.
Dies sind einige Beispiele für Maßnahmen der Bun-
desregierung gegen Rassismus und Fremdenfeindlich-
keit. Sie zeigen das große Engagement des Bundes, der
dies als Querschnittsaufgabe begreift. Mangelndes Inte-
resse an der Bekämpfung rassistischer Diskriminierung
kann man der Bundesregierung und den sie tragenden
Fraktionen somit nicht vorwerfen, so wie es die Links-
fraktion in ihrem Antrag tut.
Und, ich wiederhole es, ein Nationaler Aktionsplan
gegen Rassismus wird das Problem allein nicht lösen.
Dazu bedarf es mehr. Neben den Maßnahmen der Bun-
desregierung braucht es aber auch das Engagement der
Länder und Kommunen sowie eine starke Zivilgesell-
schaft.
Abschließend lässt sich festhalten: Die Bundesregie-
rung wird ihren Verpflichtungen aus der Weltkonferenz
in Durban nachkommen. Ein Nationaler Aktionsplan ge-
gen Rassismus wird in Zusammenarbeit mit dem Fo-
rum für Rassismus erstellt und bis Ende dieses Jahres
vorliegen. Deshalb lehnen wir den Antrag der Linksfrak-
tion ab und stimmen der Beschlussempfehlung zu.
Christian Ahrendt (FDP): Die Forderung nach ei-
nem nationalen Aktionsplan gegen Rassismus, den die
Linke mit dem heute zur Debatte stehenden Antrag ver-
folgt, geht in die richtige Richtung. Die FDP-Fraktion
wird den Antrag gleichwohl ablehnen. Er kommt
schlicht ein Jahr zu spät.
Wir haben schon im vergangenen Jahr von der Bun-
desregierung ein konkretes und tragfähiges Konzept zur
Bekämpfung von Extremismus und Fremdenfeindlich-
keit eingefordert. Es soll jetzt aber nicht das Jahr Verspä-
tung bemängelt werden. Wirklich zu kritisieren ist, dass
die Bundesregierung es bis heute nicht vermocht hat, ein
tragfähiges nationales Konzept gegen Extremismus und
Fremdenfeindlichkeit vorzulegen.
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Die Berichterstattung über rassistisch motivierte
traftaten nimmt zu. Erst vor wenigen Tagen war in der
elt zu lesen, dass ein Familienvater aus Ghana auf dem
ückweg von seiner Arbeitsstelle von drei Rechtsextre-
isten durch Barmbeck gehetzt wurde. Trotz lauter Hil-
erufe hielt kein Autofahrer an, um die Verfolgungsjagd
u beenden. Die Hetzjagd fand erst ein Ende, nachdem
in Anwohner dem Familienvater zu Hilfe eilte.
Solche und ähnlich Berichte lesen wir landauf, landab
n den verschiedenen Tageszeitungen. Es spielt keine
olle, ob die Tatorte fremdenfeindlicher Übergriffe im
aden-württembergischen Langenau, im norddeutschen
amburg oder im sächsischen Mügeln liegen. Gleich-
ohl kann man sich nicht ganz des Eindrucks erwähren,
ass mit zweierlei Maß gemessen wird: Die Aufmerk-
amkeit und die Gewichtung fremdfeindlicher Straftaten
n den neuen Bundesländern erfährt eine andere ungleich
chwerere Gewichtung als vergleichbare Vorfälle im
esten der Republik. In diesem Zusammenhang gibt es
a dann auch noch die relativ dumme Bemerkung von so-
enannten No-go-Areas in den neuen Bundesländern.
iese ebenso undifferenzierten Blickwinkel führen nicht
ur zu falschen Stigmatisierungen, sie verstellen zu-
leich den Blick auf das eigentliche Problem.
Entscheidend sind vielmehr drei Aspekte:
Erstens: Die rassistisch motivierten Straftaten gegen
usländer und Migranten nehmen zu.
Zweitens: Fremdenfeindlichkeit ist kein Problem ge-
ellschaftlicher Randbereiche, sondern ist latent vorhan-
en und in der Mitte der Gesellschaft verankert.
Drittens dieser Aspekt wird in der Diskussion auch
ern übersehen : Es gibt bei uns auch eine rassistisch
otivierte Fremdenfeindlichkeit, die sich auf einen
ntisemitismus islamischer Prägung stützt. Es liegt ge-
ade einmal ein Jahr zurück, dass ein jüdisches Mädchen
ier in Berlin unter Polizeischutz zur Schule eskortiert
erden musste, weil ein Streit mit einer islamischen
itschülerin eskaliert war. Im Spiegel ist hierzu zu lesen
ich zitiere :
Rechtsextreme Jugendliche und junge Muslime
kultivieren einen Hass, der in Deutschland jahr-
zehntelang für undenkbar gehalten wurde: Sie ma-
chen Jagd auf jüdische Mitschüler. Politische Ap-
pelle verhallen an vielen Schulen ungehört.
ngesichts dieser Entwicklung und der Vielschichtigkeit
es Problems, mit dem wir es hier zu tun haben, ist es
ir unverständlich, warum die Bundesregierung sich mit
inem nationalen Konzept gegen Rassismus derart viel
eit lässt.
Der Aktionsplan sollte im ersten Halbjahr 2007 vor-
elegt werden. Er liegt nicht vor. Ob die Ankündigung,
is Ende des Jahres die Arbeiten abgeschlossen zu ha-
en, erfüllt wird, bleibt angesichts der insgesamt schlep-
enden Lösung dieser Aufgabe abzuwarten. Es soll nicht
nerwähnt bleiben: Die Verpflichtung für die Bundesre-
ierung stammt aus dem Jahr 2001. Ich bin der Meinung,
ass die zurückliegenden sechs Jahre einen ausreichend
angen Zeitraum darstellen, um die übernommene Auf-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11961
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gabe, einen nationalen Plan gegen Rassismus zu erstel-
len, zu bewältigen.
Die dargestellte Entwicklung unterstreicht die Dring-
lichkeit dieser Aufgabe, zumal sich nach der Vorlage
dieses Plans eine Diskussion mit den Nichtregierungsor-
ganisationen anschließen soll, also noch einmal Zeit ins
Land geht, bevor ein verbindlicher Plan vorliegt.
Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Laut Bericht der eu-
ropäischen Agentur zum Schutz der Grundrechte hat die
Zahl rassistisch motivierter Gewalttaten im Jahr 2006 in
acht von elf beobachteten Staaten der EU zugenommen
mit dabei die Bundesrepublik Deutschland. Im Vergleich
zum Vorjahr nahmen rassistische Gewalttaten um
14 Prozent zu. Doch noch immer wird versucht, das Pro-
blem zu leugnen oder zu relativieren. Wenn Einsicht der
beste Weg zur Besserung ist, sehe ich skeptisch in die
Zukunft. Denn diesem Land fehlt es an Politikerinnen
und Politikern, die willens sind, das Kind beim Namen
zu nennen.
Da werden in einer Kleinstadt acht Inder von mehre-
ren Dutzend Menschen attackiert und über den Markt-
platz gejagt. Getreu dem Motto Weil nicht sein kann,
was nicht sein darf fällt einigen Politikern nichts Besse-
res ein, als jedweden Zusammenhang mit Nazis zu be-
streiten.
Der sächsische Ministerpräsident Milbradt erklärt,
dass es keine Hetzjagd in Mügeln, sondern eine Hetz-
jagd auf Mügeln gegeben habe. Der Bundesinnenminis-
ter Wolfgang Schäuble stellt gleich den ganzen Übergriff
infrage, wenn er sagt: Wir müssen ein bisschen aufpas-
sen, dass wir noch die Fähigkeit haben, auch hinzu-
schauen, ob denn wirklich was gewesen ist.
Der Bürgermeister von Mügeln versicherte, es gebe in
seiner Stadt keinen Rechtsextremismus. Aber wird das
Ganze dadurch besser, wenn sich bewahrheiten würde,
dass die Täter keine organisierten Nazis gewesen sind,
sondern ganz normale Bürger, die ihrer rassistischen Ge-
sinnung freien Lauf gelassen haben?
Wohl kaum! Und genau das ist das Problem der Bun-
desregierung. Nach wie vor wollen sie nicht begreifen,
dass zwar jeder Nazi Rassist ist, aber nicht jeder Rassist
automatisch auch Nazi. Die Bekämpfung des sogenann-
ten Rechtsextremismus ersetzt deshalb nicht einmal an-
satzweise die Bekämpfung von Rassismus.
Ein Nationaler Aktionsplan müsste ein solches strate-
gisches Vorgehen im Rahmen eines Gesamtkonzeptes
beinhalten. Aber genau davor drückt sich die Bundesre-
gierung. Zur Erinnerung: 2001 verpflichtete sie sich in
Durban zur Erarbeitung eines Aktionsplans gegen Ras-
sismus. Mit der Bewerbung um einen Sitz im UN-Men-
schenrechtsrat im April 2006 kündigte sie die Vorlage im
Laufe des Jahres 2006 an. Frau Köhler sprach dann in
der ersten Lesung im März 2007 davon, dass der Ent-
wurf im ersten Halbjahr 2007 vorliegen werde.
Dann kündigte im Juni 2007 Staatssekretär Altmaier
an, den Aktionsplan bis Ende dieses Jahres unter Beteili-
gung der NGOs fertigzustellen und an die UN zu schi-
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ken. Aber bis heute liegt kein Entwurf vor. Wenn die
undesregierung diesmal trotzdem an ihrer aktuellsten
erminierung festhält, lässt dies befürchten, dass sie in
inem Hauruck-Verfahren die Beratung mit der Zivilge-
ellschaft durchführen wird. Genau dies wollten wir mit
nserem Antrag, den Sie im Innenausschuss abgelehnt
aben, verhindern. Zeit für eine tatsächliche Auseinan-
ersetzung um Inhalte, konkrete Maßnahmen und einem
onitoringverfahren wird dabei keine bleiben. Während
ie Bundesregierung Jahre hat verstreichen lassen, müs-
en die dann beteiligten Organisationen in kürzester Zeit
hre Vorstellungen dazu erarbeiten. Für Änderungen
ird da wohl kaum Zeit bleiben, wobei diese auch kaum
ewünscht sein dürften. Schließlich brauchen Sie die
ichtregierungsorganisationen lediglich als demokrati-
ches Feigenblatt zum Abnicken.
An diesem Dilemma sind allerdings auch die Grünen
owie die FDP mitverantwortlich. Die Grünen haben es
n der Zeit ihrer Regierungsbeteiligung sträflichst ver-
äumt, diesen Aktionsplan selbst vorzulegen. Anstatt
un aber dieses Versagen wiedergutzumachen, versu-
hen die Grünen, dieses zu kaschieren. Gemeinsam mit
er FDP haben sie unserem Antrag nicht zugestimmt.
Stattdessen soll nach Ansicht der Grünen der Aktions-
lan die Programme gegen Rechtsextremismus ergän-
en. Aber eigentlich müsste die Bekämpfung des
echtsextremismus als aggressivste Form des Rassismus
estandteil des Engagements gegen Rassismus sein. Da-
er kann ein solcher Aktionsplan nicht lediglich aus ei-
er Zusammenfassung von bereits bestehenden Initiati-
en und Programmen gegen rechts bestehen.
Und solange es keinen solchen Aktionsplan gibt,
acht es auch kaum Sinn, wenn die Integrationsbeauf-
ragte Maria Böhmer einen Pakt für Demokratie auf
en Weg bringen will, der Bürgermeister verpflichten
oll, regelmäßig zu berichten, was sie gegen Rechts-
xtremismus unternommen haben. Dazu bedarf es zum
inen überhaupt erst einmal eines Problembewusstseins
er politischen Verantwortungsträgerinnen und -träger.
ass wir davon noch weit entfernt sind, zeigt gerade
ügeln, aber auch nicht zuletzt die einseitige Sicht auf
assismus und Nazismus als ostdeutschem Problem.
um anderen macht ein solcher Vorschlag nur Sinn,
enn sich die lokalen und kommunalen Aktivitäten in
inen kohärenten Ansatz zur Bekämpfung von Rassis-
us einfügen lassen. Denn die Bekämpfung des institu-
ionellen Rassismus beispielsweise im Bildungssystem,
uf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt ist kaum allein
on den Kommunen zu lösen.
Wer Menschen, die seit Jahrzehnten in der Bundes-
epublik leben oder hier geboren sind, wie Bürgerinnen
nd Bürger zweiter Klasse behandelt, sie für soziale
onflikte in der Gesellschaft verantwortlich macht und
hnen per se sexistische und fundamentalistische Haltun-
en unterstellt oder sie als terroristische Bedrohung
riminalisiert, trägt entscheidend zum Rassismus bei.
Soll Rassismus, von wem auch immer und gegen wen
uch immer, tatsächlich bekämpft werden, muss die
undesregierung ihre Vorbildwirkung durch eine ent-
prechend antirassistische Politik wahrnehmen. Die
11962 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
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Grundlage dafür muss ein Konzept sein, das sich sowohl
dem institutionellen als auch dem individuellen Rassis-
mus stellt. Genau das hat die Bundesregierung 2001 zu-
gesagt und nicht mehr und nicht weniger fordern wir ein.
In der ersten Lesung unseres Antrags am 22. März
2007 hatte ich bereits konstatiert, dass es den Vorwurf
gibt, dass die Koalition nichts Substanzielles im Kampf
gegen den Rassismus zu bieten hat. In diesem Zusam-
menhang bleibt mir nur noch die Wiederholung des
Zitats des britischen Soziologen Stuart Hill: Wenn man
in einer Gesellschaft ohne antirassistische Politik lebt, ist
man dazu verurteilt, in einer rassistischen Gesellschaft
zu leben. Also sparen Sie sich in Zukunft Ihre Pseudo-
betroffenheit, wenn es wieder zu rassistischen Übergrif-
fen kommt.
Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein
Nationaler Aktionsplan würde unterstreichen, dass der
Rassismusbekämpfung bundesweite Bedeutung zu-
kommt. Das ist wichtig, denn leider reagiert Deutschland
sehr aktionistisch auf rechtsextrem motivierte Vorfälle.
Der häufigste strategische Fehler ist, dass man erst aktiv
wird, wenn ein solches Ereignis bevorsteht oder eine
Straftat begangen wurde. Viele der Gegenaktionen er-
weisen sich nach kurzer Zeit als Sturm im Wasserglas
und schlafen wieder ein. Die Nazis gehen deutschland-
weit wie international mittlerweile langfristig und ver-
netzt vor. Dem müssen wir mit eigenen Konzepten ent-
gegentreten.
Außerdem hat sich die Bundesrepublik in Durban zur
Erstellung eines Nationalen Aktionsplans verpflichtet
und muss nun dazu stehen. Über diese Notwenigkeit be-
steht meiner Wahrnehmung nach auch Einigkeit in die-
sem Haus. Dissens tut sich erst auf, wenn wir über die
konkrete Umsetzung sprechen.
Ein Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus muss
nicht bei null beginnen, sondern kann auf Bestehendes
aufbauen. Wir haben viele Bundesgesetze, um rechte
Straftaten zu ahnden oder Naziaufmärsche zu erschwe-
ren. Es gibt aktive Initiativen, die öffentlich immer wie-
der Zeichen gegen Nazis setzen. Viele Bürgerinnen und
Bürger wollen sich engagieren.
Notwendig sind bessere Aufklärung über vorhandene
Möglichkeiten, stärkere Vernetzung von Aktivitäten und
Ausweitung der Angebote. Es gibt zu wenige Anlauf-
stellen für betroffene Eltern, deren Kinder in die Nazi-
Szene gerutscht sind. Naziaussteiger bekommen oft
keine Hilfe, sondern werden vom Verfassungsschutz nur
als Informationsquellen ausgenutzt und dann sich selbst
überlassen. Lehrern fehlen Fortbildungen zur inhaltli-
chen Auseinandersetzung mit Nazis in den Schulklassen.
Strukturen, die in solchen Bereichen Angebote schaffen,
müssen durch einen Nationalen Aktionsplan gestärkt
und vermehrt werden.
Für nicht sinnvoll halten wir hingegen ein neues Gre-
mium, wie es im Antrag der Linksfraktion gefordert
wird. Das schafft zusätzliche Kosten und mehr Bürokra-
tie. Stattdessen brauchen bestehende Gremien, in denen
zivilgesellschaftliche Akteure beteiligt sind, mehr Unter-
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tützung. Bereits unter Rot-Grün gab es hierzu Konsulta-
ionen mit NGOs; daran kann die jetzige Bundesregie-
ung anknüpfen. Das Bündnis für Demokratie und
oleranz sowie das Forum gegen Rassismus können
ei der Umsetzung eines Nationalen Aktionsplans ge-
utzt und gegebenenfalls weiter ausgebaut werden.
Ich halte die Strategie, etwas Neues zu schaffen und
as Bewährte nicht zu unterstützen, für falsch. Wichtig
ür uns Grüne bleibt vor allem die Förderung von Initia-
iven vor Ort. Ich fordere Nachbesserungen an den Bun-
esprogrammen. Besonders wichtig ist ein direktes An-
ragsrecht für freie Träger, da sie aufgrund ihrer
achkompetenz die Gefahren früh erkennen. Den Kom-
unen, die momentan als Einzige Förderung für lokale
ktionspläne beantragen dürfen, fehlt oft dieser Ein-
lick.
Ein weiterer Punkt: Viele Bundesländer haben noch
mmer kein eigenes Landesprogramm gegen Rechts-
xtremismus aufgelegt. Es ist nicht akzeptabel, dass
iese Länder die finanzielle Verantwortung einfach auf
en Bund abschieben. Das Erstellen eines Nationalen
ktionsplans muss als Chance genutzt werden, eine ein-
eitliche und vernetzte Förderstrategie in Deutschland
u erarbeiten. Alle demokratischen Parteien sollten ei-
en Konsens finden, der nicht jährlich auf dem Prüfstand
teht, sondern langfristige Strategien ermöglicht. Das ist
esonders wichtig, wenn wir auf rassistische Einstellun-
en in der Bevölkerung einwirken wollen. Hier dürfen
ir von der Kindheit bis ins Alter nicht lockerlassen, um
erte wie Toleranz, Weltoffenheit, Menschenwürde und
ielfalt in der Gesellschaft zu verankern.
Die Bundesregierung hat angekündigt, einen Nationa-
en Aktionsplan noch in diesem Jahr vorzulegen, den
undestag einzubeziehen und Stellungnahmen der
GOs zu berücksichtigen. Wir werden aufmerksam ver-
olgen, ob diese Zusagen eingehalten werden.
nlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung
der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteili-
gungen (MoRaKG)
Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwick-
lung des Gesetzes über Unternehmensbetei-
ligungsgesellschaften (UBGG)
(Tagesordnungspunkt 16 a und b)
Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Im Koalitions-
ertrag haben CDU und SPD vereinbart, moderne, inter-
ational attraktive Rahmenbedingungen für Wagnis-
apital zu schaffen. Damit wollen wir besonders junge
echnologieunternehmen, wie beispielsweise im Bio-
echnologie- und Pharma-Bereich, fördern. In Deutsch-
and hat sich in den letzten Jahren eine starke und leben-
ige Landschaft dieser Hightech-Firmen entwickelt.
iese Unternehmen sind wichtig für die deutsche Markt-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11963
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führerschaft in Zukunftsmärkten und Spitzentechnolo-
gien. Die Wettbewerbsfähigkeit in der globalisierten
Wissensgesellschaft wird gesichert und so der Grund-
stein für mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze gelegt.
Das geplante Gesetz ist also ein wichtiger Bestandteil
der Hightechförderung der großen Koalition.
Neue Produkte in jungen Unternehmen sollen unter-
stützt werden. Gerade in der wichtigen Frühphase
herrscht in diesen Firmen oft Kapitalknappheit. Dem soll
mit dieser Förderung und den verbesserten Rahmenbe-
dingungen abgeholfen werden. Dazu sollen die steuerli-
chen Rahmenbedingungen für Investoren und Unterneh-
men der Wagniskapitalbranche verbessert werden. Bei
Wagniskapitalgebern handelt es sich nach wie vor um
die wichtigsten Geldgeber für junge Unternehmen. Ge-
nau für diese müssen wir Anreize zu mehr Investitionen
schaffen. Nur so investieren sie auch in deutsche Unter-
nehmen. Mit solch einer Förderung kann und soll
Deutschland in einer globalisierten Welt entschieden
besser positioniert werden.
In der Allgemeinheit wird immer wieder polemisch
von den Heuschrecken gesprochen. Genau die wollen
wir ja nicht fördern. Wir fordern doch gerade eine klare
Abgrenzung der Hedgefonds von den Private-Equity-
und Venture-Capital-Firmen, die die jungen Hightech-
Firmen unterstützen wollen. Für diese Unterstützung
muss allerdings auch erst mal entsprechendes Wagnis-
kapital mobilisiert werden. Aus unserer Sicht sind fol-
gende Anforderungen mindestens notwendig eine
kleine Auswahl:
Erstens wollen wir eine transparente Besteuerung von
Beteiligungsfonds, also die Steuerfreiheit auf Fonds-
ebene. Der Anleger selbst wird ganz normal besteuert,
wie bei jedem anderen Fonds. Steuerausfälle sind hier
nicht zu befürchten.
Zweitens: Für junge Technologieunternehmen ist be-
sonders der Verlustvortrag ganz entscheidend. Wir wol-
len eine Ausnahme von der jetzigen Verlustverrechnung.
Nur so lassen sich die hohen Anfangsinvestitionen der
Gründungsphase für Forschung und Entwicklung und
die noch fehlenden Gewinne verschmerzen. Nur so kön-
nen die gerade geschaffenen neuen Arbeitsplätze gesi-
chert werden! Daher dürfen diese Verlustvorträge auch
bei Mehrheitsübertragungen dieser Firmen nicht verlo-
ren gehen.
Drittens wollen wir eine Beibehaltung der steuerli-
chen Begünstigung der Erfolgsbeteiligung der Wagnis-
kapitalmanager auf Fondsebene der sogenannte
Carried Interest. Sie ist trotz vielfachen starken Pro-
tests notwendig. Sie motiviert die Manager, die jungen
Technologieunternehmen nach vorn zu bringen. Die
räumliche Nähe des Fondsmanagement zu den Port-
foliounternehmen ist ganz entscheidend für deren wirt-
schaftlichen Erfolg. Und genau das steigert auch die At-
traktivität des Finanzplatzes Deutschland.
Trotzdem tun sich doch einige sehr schwer mit so ei-
ner Förderung, wie man es auch den ersten Eckpunkten
des BMF entnehmen konnte. Sie wirkten halbherzig und
die beschriebenen angeblichen Steuerausfälle von 15 bis
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0 Milliarden Euro abschreckend. Viele gewinnbrin-
ende Vorschläge von Gutachten wurden leider nicht be-
ücksichtigt. Nach einigen Gesprächen haben wir dann
eutliche Verbesserungen erzielt. Insbesondere die Kri-
erien für Investitionen von Wagniskapitalbeteiligungen
aren zu restriktiv. Die Begrenzung des Eigenkapitals
uf 500 000 Euro war vollkommen unzureichend. For-
chungsintensive, innovative Unternehmen wären damit
us dem Förderungsbereich größtenteils ausgeschlossen
orden.
Aber nicht nur die Gründungsphase, sondern auch die
achstumsphase muss gestützt werden. Die Abgren-
ungskriterien für die Zielunternehmen sollen nun wie
olgt sein: maximal zehn Jahre alt und maximal 20 Mil-
ionen Euro Eigenkapital. Meines Erachtens wäre aber
uch zu prüfen, ob die Altersbegrenzung von zehn Jah-
en überhaupt das richtige Kriterium ist. Ist es nicht bes-
er, nach Mindestaufwendungen für Forschung und Ent-
icklung zu fragen? Hier könnte ich mir einen Satz von
5 Prozent gut vorstellen.
Auch die transparente Besteuerung konnten wir
urchsetzen, also die Besteuerung auf Anlegerseite und
icht im Fonds. Dazu werden diese Beteiligungsgesell-
chaften als vermögensverwaltend eingestuft.
Eine gute Nachricht auch für private Geldgeber: Im
euen Einkommensteuergesetz erhöht sich ihr Freibetrag
eutlich von circa 9 000 Euro auf 20 000 Euro. So wird
ine Beteiligung an Hightech-Firmen in Zukunft attrakti-
er.
Ich sehe aber noch weitere Verbesserungsmöglichkei-
en: Die Höhe der Mindesttranchen für eine Investition
n einen Wagniskapitalfonds momentan liegt sie bei
0 000 Euro sollte weiter herabgesetzt werden oder
anz wegfallen. Nur so können wir eine große Anzahl
on Privatinvestoren für die Investition in diese vielver-
prechenden Unternehmen gewinnen.
Lassen Sie mich noch etwas zu den Verlustvorträgen
agen: Zwar ist nun eine Mindesthaltedauer von vier
ahren notwendig. Erst nach deren Ablauf können die
nteile an der Zielgesellschaft verkauft werden können.
och der Verlustvortrag wird gewahrt und bleibt auch
ei einer späteren Weiterveräußerung die sogenannte
inbeziehung des Nacherwerbs an Dritte erhalten.
ine Steuerbegünstigung des Carried Interest bleibt be-
tehen, allerdings erfolgt eine Absenkung von bisher
0 auf 40 Prozent. Dies entspricht zwar nicht unserer ur-
prünglichen Forderung, war aber eine Notwendigkeit
ur Gegenfinanzierung. Unter dem Strich werden durch
iese Maßnahmen die Wagniskapitalgesellschaften steu-
rlich in Höhe von 465 Millionen Euro entlastet!
Keine Frage, die Förderung hätte für die Union weit-
ehender sein können. Doch mit dem Wagniskapitalbe-
eiligungsgesetz haben wir einen ersten, richtigen Schritt
etan und notwendige Rahmenbedingungen und eine
örderung geschaffen, dass junge, kapitalintensive
ightech-Unternehmen mithilfe von Geldgebern nach-
altig die Gewinnzone erreichen können. In einem wei-
eren Schritt soll auch die Zukunft des breiten Mittel-
11964 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
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stands mithilfe von Beteiligungskapital gewährleistet
werden. Hierzu sollen die Regelungen des Gesetzes über
Unternehmensbeteiligungen flexibilisiert und an neue
Entwicklungen angepasst werden. In einem letzten
Schritt sollen im Rahmen eines Risikobegrenzungsgeset-
zes die Rechte von Unternehmen im Umgang mit
Finanzinvestoren gestärkt werden. Wir sind auf dem
richtigen Weg.
Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD): Die Konjunktur in
Deutschland ist auf einem guten Weg, die Arbeitslosig-
keit sinkt, und die Bedingungen für Unternehmen am
hervorragenden Standort Deutschland sind auch dank
unserer Unternehmensteuerreform attraktiv ausgestaltet
worden.
Aber auf diesem politischen Erfolg ruhen wir uns
nicht aus, im Gegenteil. Ziel unserer umsichtigen Politik
ist es, mit dafür zu sorgen, dass in Deutschland hochmo-
tivierte junge Start-up-Unternehmen die Chance erhal-
ten, ihr Know-how umzusetzen und weiterzuentwickeln.
Hierzu müssen wir alle politischen Möglichkeiten nut-
zen, den Standort Deutschland auch für geeignete Kapi-
talgeber attraktiv zu gestalten. Gerade im Bereich der
Wagniskapitalfinanzierung haben wir in den letzten Jah-
ren einen Rückgang zu verzeichnen, welchen wir schon
aus ökonomischer Sicht ins Gegenteil umkehren müs-
sen. Denn gerade kleine und mittlere junge Unterneh-
men benötigen Kapital. Wir wissen doch, welches
enorme Leistungspotenzial und welches innovative Den-
ken in den Köpfen unserer jungen Unternehmergenera-
tion steckt, vor allem im IT- und Hochtechnologiebe-
reich. Die Entwicklung einer Idee bis zur Marktreife
kostet aber viel Geld und erfordert oft eine Menge Perso-
nal. Die Bereitstellung von benötigtem Kapital stellt
diese Unternehmen natürlich wie überall in der Welt
häufig vor erhebliche Probleme, da finanzielle Eigenmit-
tel und Sicherheiten fehlen.
In diesem Zusammenhang ist natürlich auch die staat-
liche Förderung solcher Unternehmen ein Schwerpunkt
unserer Politik, aber letztendlich sind häufig nur private
Kapitalgeber in der Lage, diesen Unternehmen die erfor-
derlichen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen.
Dies zu unterstützen und zu fördern, ist eben auch ein
Kapitel unserer erfolgreichen und effektiven Finanzpoli-
tik.
Wir bringen heute in erster Lesung den Entwurf eines
Gesetzes zur Modernisierung der Rahmenbedingungen
für Kapitalbeteiligungen ein, der ein neues Wagniskapi-
tal-Beteiligungsgesetz formuliert. Ziel ist eine gezielte
Förderung von Kapitalbeteiligungen in junge und mittel-
ständische Unternehmen, vor allem wie bereits er-
wähnt in der IT- und Hochtechnologie-Branche. Hier-
bei ist es uns außerordentlich wichtig, einen Kreis
förderungswürdiger Unternehmen zu definieren, um
Missbrauchs- und Mitnahmetatbestände zu vermeiden.
So werden nur Wagniskapitalbeteiligungsgesellschaften
gefördert, die ihre Mittel in nichtbörsenorientierte junge
Unternehmen mit einem Alter von höchstens zehn Jahren
und ein Eigenkapital von maximal 20 Millionen Euro in-
vestieren. Darüber hinaus muss damit sichergestellt
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ird, dass eine Wagniskapitalbeteiligungsgesellschaft
chwerpunktmäßig in förderungswürdige Wagniskapital-
eteiligungen investiert der Anteil der Wagniskapital-
eteiligungen am Gesamtwert des von ihr verwalteten
ermögens mindestens 70 Prozent betragen.
Damit wir den größtmöglichen Schutz vor unseriösen
apitalgebern, die nur die Rendite im Kopf haben und
ventuell mit unlauteren Mitteln steuerliche Förderung
rhalten wollen, gewährleisten, bedürfen die investieren-
en Wagniskapitalbeteiligungsgesellschaften zudem der
nerkennung der Bundesanstalt für Finanzdienstleis-
ungsaufsicht (BaFin), die die im Gesetz formulierten
oraussetzungen prüfen, anerkennen und vor allem
berwachen soll. Da wir wissen, dass Wagniskapitalbe-
eiligungsgesellschaften zudem manchmal mit nicht kal-
ulierbaren Risiken behaftet sind, ist es auch unsere
ufgabe, vor allem Kleinanleger zu schützen. Deshalb
st vorgesehen, eine Mindesteinlage in Höhe von 50 000
uro einzuführen.
Alles in allem schaffen wir mit dem vorliegenden Ge-
etz zweierlei: Zum einen wie gesagt die Förderung
on jungen aufstrebenden Unternehmen und die damit
erbundene Schaffung von neuen Arbeitsplätzen. Und
um anderen bieten wir attraktive steuerliche Förderun-
en von Wagniskapitalbeteiligungsgesellschaften, zum
eispiel bei entsprechenden Voraussetzungen die Ge-
erbesteuerfreiheit.
Mit diesem Gesetz, welches wir in den kommenden
ochen noch intensiv beraten werden, schaffen wir es,
en Standort Deutschland weiter attraktiv zu gestalten.
on daher ist es richtig und notwendig, durch gezielte
örderung die lokale Ansiedlung von Wagniskapital-
onds zu unterstützen.
Parallel zum vorliegenden Gesetz werden wir in den
ächsten Wochen auch intensiv ein Risikobegrenzungs-
esetz diskutieren, welches unerwünschten Entwicklun-
en in Bereichen, in denen Finanzinvestoren tätig sind,
ntgegenwirken wird. Aktuelle Signale aus den USA und
ngland zeigen die Notwendigkeit solcher Überlegungen.
uch werden damit Befürchtungen, Wagniskapitalgesell-
chaften könnten der Rendite zuliebe junge Unterneh-
en an den Meistbietenden verhökern, ausgeräumt.
Letztendlich ist dies wiederum ein Beitrag unserer ef-
ektiven und verbraucherfreundlichen finanzpolitischen
rbeit.
Nina Hauer (SPD): Insbesondere junge und innova-
ive Unternehmen bringen unsere Wirtschaft voran. Sie
ind es, die für zukunftsfähige Produkte, Wirtschafts-
achstum und neue Arbeitsplätze sorgen. Daher darf es
ns nicht gleichgültig sein, dass Unternehmensgründer
it einer innovativen Geschäftsidee oftmals keine Fi-
anzierung für deren Umsetzung finden. Mit öffentli-
hen Geldern allein ist diesem Missstand nicht Herr zu
erden. Wir müssen auch privates Kapital für diese
tart-up-Unternehmen mobilisieren.
Viele Hoffnungen ruhten in den letzten Jahren auf der
eteiligungsbranche, den sogenannten Private-Equity-
esellschaften, die Jahr um Jahr Rekordzuflüsse an Ka-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11965
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pital verzeichneten. Doch dieses Kapital kam selten bei
jungen Unternehmen an, sondern wurde von den Pri-
vate-Equity-Gesellschaften fast ausschließlich in eta-
blierte Unternehmen investiert. Die Zahlen sprechen für
sich: Nur 6,5 Prozent der Private-Equity-Investitionen
erfolgten im Jahr 2006 in Unternehmensgründungen,
und das trotz der erfreulich guten Wirtschaftskonjunktur.
Meine Fraktion begrüßt daher den Schritt des Bun-
desfinanzministers im vorliegenden Entwurf eines Wag-
niskapitalbeteiligungsgesetzes den Kapitalzufluss an
junge und innovative Unternehmen zu fördern. Es ist
auch gerechtfertigt, dass das Gesetz nicht Unterneh-
mensbeteiligungen generell fördert, sondern sich auf
diejenigen Unternehmen beschränkt, für die der Markt
alleine nicht ausreichend Kapital zur Verfügung stellen
will. Der vorliegende Gesetzesentwurf fördert Wagnis-
kapital und nicht Private-Equity-Investitionen generell
und das ist gut so.
Nur wenn es das Kerngeschäft einer Private-Equity-
Gesellschaft ist, jungen Unternehmen Wagniskapital be-
reitzustellen, kann sie künftig von einer transparenten
Besteuerung, einer vereinfachten Mantelkaufregelung
und der Möglichkeit zu Verlustvorträgen profitieren.
Eine generelle Förderung von Private-Equity wäre nicht
vertretbar. Steuervorteile für die Branche würden zulas-
ten des allgemeinen Steueraufkommens gehen und
müssten daher durch einen volkswirtschaftlichen Nutzen
gerechtfertigt sein. Dieser ist für mich nicht erkennbar.
Wir werden mit gezielten Regelungen in diesem Ge-
setz dafür sorgen, dass Unternehmensgründer, die mit
Mut und Innovationsbereitschaft Risiken eingehen, auf
gute Rahmenbedingungen und einige Erleichterungen
auf ihrer Wegstrecke treffen. Wir setzen Anreize für Pri-
vate-Equity-Gesellschaften, sich dem Bereich des Wag-
niskapitals zu widmen, indem wir die Tätigkeit solcher
Gesellschaften als vermögensverwaltend einstufen und
damit ihre Einkünfte gewerbesteuerfrei gestalten. Ver-
lustvorträge bleiben im Umfang der in der Zielgesell-
schaft vorhandenen stillen Reserven erhalten, auch wenn
die Anteile von der Gesellschaft an einen Dritten weiter-
veräußert werden. Auch die sogenannten Business An-
gels wollen wir in ihrem Engagement für junge Unter-
nehmen unterstützen. Ihr Freibetrag wird von 9 060 Euro
auf 20 000 Euro erhöht.
Die Kosten für diese Fördermaßnahmen halten wir
mit der geplanten Gegenfinanzierung in Grenzen. Wir
schränken die Steuervorteile des Carried Interest, also
der Beteiligung der Managementgesellschaft am Gewinn
eines Private-Equity-Fonds, ein. Der steuerfreie Anteil
dieses Carried Interest wird von 50 auf 40 Prozent der
Vergütungen abgesenkt.
Neben der gezielten Wagniskapitalförderung wird
durch den Gesetzentwurf die Mittelstandsfinanzierung
vereinfacht. Rechtsformabhängige Beschränkungen für
die Kapitalanlage entfallen, und Entwicklungen bei ei-
genkapitalähnlichen Finanzierungsformen werden be-
rücksichtigt. In Zukunft ist es auch zulässig, sich an Of-
fenen Handelsgesellschaften, Gesellschaften des
bürgerlichen Rechts sowie an Gesellschaften vergleich-
barer ausländischer Rechtsformen zu beteiligen.
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Gute und wegweisende Geschäftsideen dürfen nicht
n fehlender Finanzierung scheitern. Den Gesetzentwurf
ehmen wir daher positiv entgegen; wir werden ihn
orgfältig und intensiv beraten. Der volkswirtschaftliche
utzen, insbesondere die Entstehung neuer Arbeits-
lätze, rechtfertigt auch steuerliche Sonderregelungen,
ie im Rahmen bleiben.
Frank Schäffler (FDP): Die Private-Equity-Bran-
he übernimmt damit eine wichtige volkswirtschaftliche
unktion bei der Vermittlung von Kapitalangebot und
apitalnachfrage. Nach einer Untersuchung der
riedrich-Ebert-Stiftung legen Finanzinvestoren inzwi-
chen mehr als 30 Milliarden Euro in Deutschland an.
ie mit diesem Geld finanzierten Unternehmen bieten
ber 800 000 Arbeitsplätze und tragen mit rund 7 Pro-
ent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Diese vollkommen
ichtige Einschätzung stammt aus der Antwort der Bun-
esregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion
om November letzten Jahres.
Der uns nun vorliegende Gesetzentwurf ist dagegen
in Dokument des Scheiterns. Die Koalition hatte im
oalitionsvertrag vereinbart, das Unternehmensbeteili-
ungsgesetz in ein Private-Equity-Gesetz fortzuentwi-
keln. Doch dazu ist sie nicht in der Lage. Das ist bedau-
rlich, denn privates Beteiligungskapital ist gerade auch
ür den deutschen Mittelstand wichtig. Die Zahlen bele-
en dies: Mehr als drei Viertel der finanzierten Unter-
ehmen haben weniger als 100 Beschäftigte, und 72 Pro-
ent haben einen Umsatz von weniger als 10 Millionen
uro.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geht die Koali-
ion in die falsche Richtung. Sie schreibt die bestehende
echtsunsicherheit für einen Großteil der Branche fort.
ür den Bereich des Wagniskapitals sieht sie unter
ahlreichen Voraussetzungen Verbesserungen vor. Sie
egründet die Beschränkung mit sonst drohenden Steu-
rausfällen, doch tatsächlich droht uns jetzt die Abwan-
erung zahlreicher Unternehmen, die dann erst recht zu
teuerausfällen führt. Doch auch das gibt es bei der
oalition nicht, ohne dass gleich die bittere Pille mitge-
iefert wird. Die Eckpunkte eines Risikobegrenzungsge-
etzes hat sie gleich mitbeschlossen. Und da sie den Ent-
urf dafür noch nicht fertiggestellt hat, diskutiert sie
unter weiter, welche staatlichen Markteingriffe sie
och vornehmen kann. Gerade diese Woche wurde noch
orgeschlagen, die Erschwerung des Verkaufs fauler
redite zum Gegenstand des Risikobegrenzungsgesetzes
u machen. Das Risikobegrenzungsgesetz ist wie die
esamte Politik der Koalition durchdrungen von einem
iefen Misstrauen gegenüber Investoren und gegenüber
em Markt an sich. Was wir brauchen, sind aber nicht
ehr staatliche Eingriffe, sondern mehr Marktwirt-
chaft. Die Koalition stellt sich eine Büste von Ludwig
rhard ins Wirtschaftsministerium, aber in der prakti-
chen Politik ist sie ganz weit von ihm entfernt.
Liebe Kollegen der Koalition, ich kann Sie nur auf-
ordern: Lassen Sie das Risikobegrenzungsgesetz in der
chublade und legen Sie den vorliegenden MoRaKG-
11966 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
(A) )
(B) )
Entwurf gleich mit dazu. Lesen Sie noch einmal Ihren
Koalitionsvertrag und fangen Sie dann ganz neu an.
Was wir für unseren Finanzplatz brauchen, ist ein
echtes Private-Equity-Gesetz. Dabei geht es auch ganz
konkret um die Interessen des deutschen Mittelstandes.
Die Unternehmensnachfolge wird in unserem Land zu
einem wachsenden Problem. Nach einer Studie der
Deutschen Bank sind 70 000 Familienunternehmen mit
fast 700 000 Beschäftigten von einer anstehenden Über-
gabe betroffen. Nicht einmal jedes zweite Unternehmen
wird familienintern übergeben. Davon sind nicht nur die
Unternehmen selbst betroffen, sondern die ungelösten
Nachfolgeschwierigkeiten gefährden auch zahlreiche
Arbeitsplätze. Hier kann die Private-Equity-Branche mit
ihrem Kapital und ihrem Know-how helfen. Wir müssen
die Chancen von Private Equity sehen und nutzen, ge-
rade im Interesse des deutschen Mittelstandes.
Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Mit dem Entwurf ei-
nes Gesetzes zur Modernisierung der Rahmenbedingun-
gen für Kapitalbeteiligungen (MoRaKG) hat die Bundes-
regierung neben der erst kürzlich verabschiedeten
Unternehmensteuerreform 2008 ein weiteres Projekt
nach dem Motto Wer da hat, dem wird gegeben in An-
griff genommen.
Begünstigte dieses Vorhabens werden große Teile der
Private-Equity-Branche und ihre Manager sowie die
Fondsanleger sein. Dabei geht es konkret um die folgen-
den Punkte: Erstens um die gewerbesteuerliche Behand-
lung der Fondsgesellschaften selbst, die im Juristen-
deutsch als Beteiligungsgesellschaften bezeichnet
werden. Zweitens geht es um die einkommensteuerliche
Behandlung der Gewinnbeteiligung von Fondsmanagern.
Drittens gibt die Begründung des Gesetzentwurfes vor,
sogenannte Business Angel, also erfahrene Unternehmer-
persönlichkeiten
, die sich mit Kapital und Know-how
unmittelbar in junge Unternehmen in der Rechtsform der
Kapitalgesellschaft einbringen, steuerlich fördern zu wol-
len.
Lassen Sie mich auf einige Aspekte der ersten beiden
Punkte eingehen: Sie wollen eine besondere Unterform
des Private-Equity-Fonds schaffen, nämlich die Wagnis-
kapitalbeteiligungsgesellschaft. Fonds, die deren Krite-
rien entsprechen, sollen künftig generell von der Gewer-
besteuer befreit werden, indem sie pauschal als
vermögensverwaltend eingestuft werden können. Da mit
Wagniskapital jenes Kapital bezeichnet wird, das in
junge und technologieorientierte Unternehmen investiert
wird, erweckt das Finanzministerium den Eindruck, dass
Steuerprivilegien hier am Besten zu rechtfertigen sind,
da die jeweiligen Zielunternehmen nach der ursprüngli-
chen Planung nicht mehr als 500 000 Euro an Eigenkapi-
tal hätten haben dürfen. Maßgeblich auf Druck der CDU
wurde diese Grenze aber zwischenzeitlich um das 40-fa-
che auf 20 Millionen Euro erhöht.
Der IG Metall geht das zu weit, sie schreibt, dass da-
mit auch sehr große mittelständische oder sogar Großun-
ternehmen gefördert würden. Von den 3,5 Millionen
deutschen KMU-Unternehmen im KfW-Mittelstandspa-
nel KMU: Unternehmen mit einem Jahresumsatz unter
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00 Millionen Euro verfüge kein einziges über ein Ei-
enkapital von 20 Millionen Euro. Dem habe ich nichts
inzuzufügen. Ihre Steuerpläne sind ein Steuergeschenk
ür Private-Equity-Fonds und keine zielgenaue Förde-
ung von innovativen Betrieben.
Lassen Sie mich zum zweiten Punkt kommen, die er-
öhte Gewinnbeteiligung von Managern vermögensver-
altender Fonds. Diese ist auf Betreiben von SPD,
ündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU seit 2004 zur
älfte steuerfrei. Damit diese Privilegierung der Privile-
ien nicht allzu offensichtlich ins Auge springt, bezeich-
en die Protagonisten dieser Steuerbefreiung die erhöhte
ewinnbeteiligung gerne mit dem englischen Begriff
carried interest. Darunter ist die Beteiligung von
ondsmanagern, die selbst Anteile am verwalteten
onds halten, am erzielten Gewinn dieses Fondsvermö-
ens zu verstehen. Diese Gewinnbeteiligung von in der
egel circa 20 Prozent kommt erst dann zur Auszahlung,
enn die Gesellschafter ihr eingezahltes Kapital voll-
tändig zurückerhalten haben. Hier sagt Die Linke ganz
lar: Dieses Steuerprivileg passt nicht in die heutige
andschaft, wo von immer mehr Menschen steuerliche
pfer verlangt werden.
Dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zufolge sol-
en die Steuermindereinnahmen, mit denen bei Inkraft-
reten des MoRaKG zu rechnen ist, den Betrag von
65 Millionen Euro jährlich nicht übersteigen. Laut An-
aben der Bundesregierung kommen allein auf die
emeinden Mindereinnahmen aus Gewerbesteuer und
inkommensteuer in den Jahren 2009 bis 2012 von ins-
esamt 520 Millionen Euro zu. Nur 2008 kommt es zu
iner Erhöhung bei den Anteilen aus der Einkommen-
teuer von 2 Millionen. Auch in Anbetracht der aktuel-
en Finanzsituation der meisten Kommunen ist das für
ns nicht hinnehmbar.
Die Bundestagsfraktion Die Linke, hat mit einer Klei-
en Anfrage diese Berechnung und die entsprechende
atengrundlage hinterfragt. Dabei stellte sich heraus,
ass die Bundesregierung weder über Informationen da-
über verfügt, in welchem Umfang die bereits heute be-
tehenden Steuerprivilegien der Private-Equity-Branche
nd ihrer Manager das Staatssäckel belasten, noch da-
über, mit welchen Ausfällen bei den einzelnen geplan-
en Maßnahmen in Zukunft zu rechnen ist. Auch existie-
en keinerlei Schätzungen darüber, wie viele Fonds
ünftig versuchen werden, den Kriterien der Steuerfrei-
eit zu entsprechen. Damit können die verlautbarten
65 Millionen Euro Steuermindereinnahmen getrost als
uftnummer qualifiziert werden. Das ist weder eine ziel-
enaue Wirtschaftspolitik, noch eine seriöse Haushalts-
olitik. Dazu sagt Die Linke klar Nein.
Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es
st erfreulich, dass nach monatelangem Koalitionshick-
ack zwischen Bundeswirtschaftsminister und Bundesfi-
anzminister jetzt endlich ein Gesetzentwurf vorliegt,
er zumindest das Ziel hat, Wagniskapital besser zu be-
andeln. Das ist auch bitter notwendig. Denn mit der
nternehmensteuerreform hat die Große Koalition das
egenteil getan: Die Bedingungen für Investitionen und
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11967
(A) )
(B) )
Innovationen hier am Standort wurden systematisch ver-
schlechtert: schlechtere Abschreibungsbedingungen,
Diskriminierung von Eigenkapitalinvestitionen, be-
schleunigter Wegfall von Verlustvorträgen und eine
hochkomplexe Besteuerung von Funktionsverlagerun-
gen. Es werden genau diejenigen bestraft, die aktiv in-
vestieren und Risiken übernehmen. Investitionen mit re-
lativ risikoarmen Fremdkapital wurden dagegen
steuerlich begünstigt. Verkehrte Welt sollte man denken!
Denn Innovationen sind die Triebfedern für nachhaltiges
Wachstum und damit für Wertschöpfung und zukunftsfä-
hige Arbeitsplätze.
Unser Standort braucht mehr Unternehmen, die hier-
zulande forschen und in die Entwicklung und Vermark-
tung ihrer Produkte investieren. Wir Grünen hatten die
Regierung deshalb schon im März aufgefordert, die In-
novationsfähigkeit des Standortes zu stärken und Wag-
niskapital zu fördern. Die von der Regierung jetzt vorge-
legten Vorschläge bleiben weit hinter ihrem Anspruch
zurück. Damit die Geldströme privater Investoren in
Hochtechnologiegründungen und in junge innovative
Unternehmen gelenkt werden, muss der Gesetzentwurf
der Bundesregierung deshalb noch deutlich nachgebes-
sert werden!
Als Allererstes stechen die willkürlich gewählten För-
derkriterien ins Auge. Warum ist ein Unternehmen inno-
vativ und damit förderwürdig, nur weil es unter zehn
Jahre alt ist und weniger als 20 Millionen Euro Eigenka-
pital besitzt? Das sind keine zielgenauen Kriterien für
Innovationsfähigkeit! Die Förderung muss an der tat-
sächlichen Forschungs- und Entwicklungstätigkeit an-
knüpfen. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von
der Großen Koalition, schauen Sie in unseren grünen
Antrag, da finden Sie das beste Rezept dafür, sich näm-
lich an den direkten Ausgaben für Forschung und Ent-
wicklung relativ zum Umsatz zu orientieren. Das ist ziel-
orientiert und damit viel erfolgversprechender als die
starre Abgrenzung im Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung.
Äußerst merkwürdig ist es aber auch, wenn diese
Bundesregierung schon wieder ein Gesetz vorlegt, ohne
dass sie überhaupt weiß, welche finanziellen Auswir-
kungen verschiedene Maßnahmen haben könnten. Ex-
emplarisch dafür, wie dass BMF im Nebel stochert, ist
das Zahlenwirrwarr um die transparente Besteuerung.
Einmal schreibt Peer Steinbrück an die TU-München,
dass die transparente Besteuerung aller Private-Equity-
Fonds zu gigantischen Steuerausfällen von 15 bis 20 Mil-
liarden Euro führen würde. Dann behauptet die Parla-
mentarische Staatssekretärin Barbara Hendricks auf
meine Nachfrage hin, dass es nur 12,5 Milliarden Euro
kosten würde. Ein doch erheblicher Unterschied von
sage und schreibe 7,5 Milliarden Euro. Zum Vergleich:
Nach Regierungsangaben kostet die ganze Unterneh-
mensteuerreform mit angeblich nur 5 Millionen Euro ja
schon deutlich weniger. Es ist schon skandalös, mit wel-
chen Zahlen hier durch die Gegend geworfen wird.
Und schließlich fehlen im Gesetzentwurf der Bundes-
regierung auch noch einige ganz wichtige Maßnahmen,
um den Standort Deutschland als Innovationsstandort
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irklich attraktiv zu machen. Auch hier empfehle ich
er Koalition die intensive Lektüre unseres grünen An-
rags!
Wir Grünen fordern: Die Mindestbesteuerung darf für
it Wagniskapital finanzierte Unternehmen nicht grei-
en! Gerade im Hochtechnologiebereich muss viele
ahre verlustreich investiert werden, bevor ein innovati-
es Unternehmen Gewinne macht. Verluste dieser Un-
ernehmen sollen deshalb zeitlich und in der Höhe unbe-
chränkt vorgetragen und mit Gewinnen verrechnet
erden können. Auch die Mantelkaufregelung der Gro-
en Koalition ist hier viel zu eng gefasst. Fünf Jahre rei-
hen zum Beispiel in der Biotechnologie längst nicht
us, um Anfangsverluste auszugleichen.
Wir Grünen fordern außerdem: Die Nachteile der Ab-
eltungsteuer für Wagniskapitalgeber müssen beseitigt
erden! Die von der Großen Koalition beschlossene Ab-
eltungsteuer benachteiligt eigenkapitalfinanzierte In-
estitionen. Kreditzinsen werden nur mit 25 Prozent be-
teuert; Dividenden und Veräußerungsgewinne tragen
ünftig eine Steuerlast von fast 50 Prozent. Diese Diskri-
inierung eigenkapitalfinanzierter Investitionen wird
ie inländischen Wagnisfinanzierungsquellen, wie zum
eispiel Investitionen von Business-Angels, austrock-
en. Dividenden und private Veräußerungsgewinne dürf-
en deshalb nach unserer Auffassung nur mit dem halben
teuersatz der Abgeltungsteuer belegt werden.
Wir brauchen international wettbewerbsfähige Steu-
rn für Wagniskapitalgeber. Ich rate deshalb der Großen
oalition: Gehen Sie noch einmal in sich und überneh-
en Sie unsere Vorschläge, damit der Innovationsstand-
rt Deutschland den Anschluss behalten kann.
nlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
Rücknahme der Ermächtigung zur Strafver-
folgung von Journalisten wegen Verstoßes
gegen Geheimhaltungsvorschriften gemäß
§ 353 b des Strafgesetzbuches
Ermächtigung zur Strafverfolgung von
Journalisten gemäß § 353 b Abs. 4 StGB im
Zusammenhang mit dem 1. Untersuchungs-
ausschuss der 16. Wahlperiode zurückneh-
men
(Tagesordnungspunkt 17 a und b)
Wolfgang Neković (DIE LINKE): Eine funktionie-
ende freiheitlich-demokratische Gesellschaft erkennen
ir nicht daran, dass es innerhalb der Exekutive nie
issstände gäbe und Rechtsbrüche niemals vorkämen.
as anzunehmen, wäre naiv. Sondern wir erkennen eine
unktionierende freiheitlich-demokratische Gesellschaft
aran, dass wir von diesen Missständen und Rechtsbrü-
hen wenigstens hinterher in der Zeitung lesen können.
s ist also die Transparenz der Politik für eine demokra-
11968 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
(A) )
(B) )
tische Öffentlichkeit, die ganz wesentlich zum Funktio-
nieren der Demokratie als solche beiträgt.
Es ist die verfassungsrechtliche Funktion der Vierten
Gewalt, für diese Transparenz zu sorgen. Wer sie dabei
stören oder verängstigen möchte, hat entweder die De-
mokratie nicht begriffen oder ist schlicht kein Demokrat.
Als der Präsident des Deutschen Bundestages gegen
die Stimmen meiner Fraktion und die der Grünen seine
Ermächtigung für die Strafverfolgung wegen der Verlet-
zung von Dienstgeheimnissen erteilte, missachtete er die
Funktion der Vierten Gewalt. Er missachtete zugleich
die ihm obliegenden Pflichten. Als Bundestagspräsident
ist Herr Lammert zur Neutralität verpflichtet und darf
sich deshalb nicht einseitig in den Dienst der Regie-
rungsfraktionen stellen.
Da die Ermächtigung zur Strafverfolgung keine Ver-
pflichtung darstellt, sondern in seinem freien Ermessen
steht, musste er als Präsident des gesamten Bundestages
auch die politische Haltung der Opposition in seine Er-
messensentscheidung mit einbeziehen. Alle drei Opposi-
tionsfraktionen hatten sich gegen eine Strafverfolgung
von Journalisten ausgesprochen. Dies hat Herr Lammert
pflichtwidrig unberücksichtigt gelassen und damit ein-
seitig die politischen Interessen der ihm verbundenen
Regierungsfraktionen wahrgenommen. Außerdem hat er
in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau am
1. September erklärt, dass er von den Einstellungen der
von ihm ermöglichten staatsanwaltschaftlichen Ermitt-
lungen nicht überrascht gewesen wäre. Damit hat Herr
Lammert sehenden Auges die ohnehin knappen staats-
anwaltschaftlichen Arbeitsressourcen für die parteipoli-
tischen Zwecke der Regierungsfraktionen missbraucht
weil er schon zu Beginn wusste, dass am Ende der Er-
mittlungen die Verfahren eingestellt werden würden.
Dazu kommt, dass nicht die geringsten Anhaltspunkte
für einen Geheimnisverrat durch Abgeordnete vorlagen.
Herr Lammert hätte vielmehr berücksichtigen müssen,
dass mehr als einhundert Personen zu den fraglichen In-
formationen Zugang hatten. Und es gab für ihn einen
ganz einfachen Weg, herauszufinden, wo unter diesen
einhundert Personen das fragliche Leck sich vermutlich
befindet und wo mit Sicherheit nicht. Dazu hätte der
Bundestagspräsident nur seinen Fraktionskollegen
Siegfried Kauder ernst nehmen müssen. Dieser hatte
nämlich in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Un-
tersuchungsausschusses laut Spiegel-online vom 3. Au-
gust öffentlich erklärt:
Man konnte über eingestufte Akten in der Presse
mehr lesen, als wir im Ausschuss vorliegen hatten.
Richtig verstanden bedeutet diese Aussage: Die
Presse hatte mehr Informationen als die Ausschussmit-
glieder folglich kommen die Abgeordneten als Täter
nicht in Betracht. Das hätte für den Bundestagspräsiden-
ten bedeutet, keine Ermächtigung auszusprechen. Er hat
es dennoch getan und damit seine Fürsorgepflicht gegen-
über dem Abgeordneten verletzt.
Als Herr Lammert sich demnach entschloss, die Fak-
ten außer Acht zu lassen, seine Pflichten zu ignorieren
und trotz der eigenen negativen Erwartung im Hinblick
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uf den Ausgang der Ermittlungen die Ermächtigung zu
rteilen, hätte er diese wenigstens auf die Abgeordneten
es Bundestages begrenzen müssen. Denn es ist eine Sa-
he, wenn ein Präsident die eigenen Schützlinge im
tich lässt, und es ist eine andere, noch ärgere Sache,
enn er dabei zusätzlich noch Dritte hineinzieht.
In den vorliegenden Anträgen der anderen Opposi-
onsparteien auf Teilrücknahme der Ermächtigung was
ie Presse angeht sieht meine Fraktion insoweit einen
alben Ausweg aus dem ganzen Irrweg. Hälftig ist die-
er Ausweg, weil der Antrag nur die konkrete Ermächti-
ung des Präsidenten im aktuellen Fall betrifft. Wir mei-
en, dass grundsätzlich sichergestellt werden muss, dass
trafverfolgungen wegen Anstiftung oder Beihilfe zum
eheimnisverrat unterbleiben, wenn es um die Wahrneh-
ung der in Art. 5 Grundgesetz geschützten Befugnisse
eht. Dazu haben wir einen Gesetzentwurf eingebracht,
er zweifelsfrei die Straffreiheit von Journalisten sichert.
Wir werden heute den Anträgen der anderen Opposi-
ionsparteien deshalb zustimmen, weil auch ein halber
usweg immerhin in die richtige Richtung führt.
Wenn Sie heute anders als meine Fraktion gegen
ie Anträge der Grünen und der FDP stimmen, dann zei-
en Sie damit, dass sie an der rechtlich möglichen Be-
renzung der Ermächtigung ausschließlich auf die Ge-
eimnisträger gar nicht interessiert sind. Dann zeigen
ie, dass Sie entgegen allen öffentlichen Beteuerungen
erade die Strafverfolgung von Journalisten anstreben.
ie stimmen damit zugleich für eine Verunsicherung und
edrängung der vierten Gewalt, auf deren Selbstbe-
usstsein und Entschlossenheit die demokratische Ge-
ellschaft jedoch angewiesen ist.
Gert Winkelmeier (fraktionslos): Eigentlich ist es
rschreckend, dass wir Abgeordnete hier für die Presse-
reiheit streiten müssen und dabei eigene Kollegen des
undestages gegen uns haben. Fakt ist, dass der rang-
öchste Parlamentarier selbst die Ermächtigung zur
trafverfolgung auch gegen Journalisten erteilte.
Es macht also nicht den Anschein, als hätte Herr
ammert aus dem Cicero-Urteil gelernt. Zumindest
cheinen Teile der Regierungsfraktionen nichts aus dem
rteil des Bundesverfassungsgerichts gelernt zu haben.
Wir, als Parlamentarier, müssen der Öffentlichkeit
und insbesondere den Journalistinnen und Journalisten
laubhaft deutlich machen, dass wir die Entscheidung
es obersten deutschen Gerichts ernst nehmen. Ansons-
en machen wir uns an einem Angriff auf die Pressefrei-
eit mitschuldig.
Ich erinnere daran, dass Deutschland schon im Jahr
006 im Ranking der Reporter ohne Grenzen in der Be-
ertung der Pressefreiheit auf einen wenig ruhmrei-
hen 23. Rang zurückgefallen ist. So etwas darf sich
ine Demokratie nicht leisten. Im vorliegenden Fall lässt
ich die Tatsache der Strafverfolgung gegen Journalisten
war noch relativ leicht korrigieren. Der langfristige
mageschaden für unsere demokratische Verfasstheit
ber kann nur abgewendet werden, wenn die Politik das
orrektiv der Presse weiterhin als hohes Gut pflegt. Herr
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11969
(A) )
(B) )
Bundestagspräsident, nehmen Sie die Ermächtigung zur
Strafverfolgung zurück, sofern sie Journalisten betrifft!
Aber Sie haben ja bereits gesagt, dass Sie eine solche
Ermächtigung immer wieder erteilen würden. Von Ein-
sicht in einen Fehler zeugt dies nicht.
An anderer Stelle haben Sie dagegen durchaus Weit-
sicht bewiesen, wenn Sie fordern, dass die Einstufung
von Dokumenten als geheim sorgsamer gehandhabt
wird. Sie wünschen sich auch gelegentlich mehr Selbst-
bewusstsein des Parlaments. Das sollten Sie aber vor
allem Ihren Kolleginnen und Kollegen in den Regie-
rungsfraktionen ins Stammbuch schreiben, die oft genug
in strammer Koalitionsdisziplin brav der Regierung hin-
terherlaufen.
Die Geheimniskrämerei der Bundesregierung gegen-
über den Parlamentariern geht eindeutig zu weit. Hier
muss sich etwas grundlegend ändern, wenn man sich
nicht der Lächerlichkeit preisgeben will. Wenn es nicht
so ein ernstes Thema wäre die Transparenz der De-
mokratie und der Politik , müsste man glauben, Sie
führten eine Posse auf: Zeitungsartikel, die der ganzen
Republik zugängig waren, werden als geheim einge-
stuft. Entweder gibt sich da jemand gar keine oder aber
entschieden zu viel Mühe. Es darf auf keinen Fall so
weitergehen.
Das Ganze hätte zudem einen angenehmen Nebenef-
fekt: Würden künftig nur noch vereinzelt Dokumente als
geheim eingestuft, müsste man auch deutlich weniger
Angst vor einem Geheimnisverrat haben. Dann wäre
es wohl auch nicht mehr vonnöten, Ermittlungen gegen
Journalisten anzustrengen, die selbst ja keine Geheim-
nisträger sind und eigentlich nur ihrer Arbeit nachgehen.
Im Sinne der Pressefreiheit wäre dies eine begrüßens-
werte Entwicklung.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Kreuzfahrttouris-
mus und Fährtourismus in Deutschland voran-
bringen (Tagesordnungspunkt 18)
Jürgen Klimke (CDU/CSU): Stellen Sie sich ein
Hotel am Meer vor, mit Meerblick auf beiden Seiten, mit
allem Komfort, mit Pools, Salons, Geschäften und das
Beste: Das Hotel setzt sich in Bewegung und bringt Sie
zu den schönsten Orten der Welt, die Sie auf Ausflügen
verlassen können, ohne ihre Koffer ein- und auspacken
zu müssen. Das alles bietet eine Kreuzfahrt. Es liegt auf
der Hand, dass eine Schiffsreise als Inbegriff des kom-
fortablen und luxuriösen Reisens gilt.
Kreuzfahrten hatten eigentlich nur einen Nachteil:
Für die meisten Menschen waren diese Reisen uner-
schwinglich. Doch das hat sich inzwischen grundlegend
geändert. Mehr als 705 000 Deutsche unternahmen im
vergangenen Jahr eine Kreuzfahrt, ein Plus von mehr als
10 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dieser Trend hält
nun schon seit vielen Jahren an, so hat sich der mit
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ochseekreuzfahrten erzielte Umsatz in den letzten sie-
en Jahren mehr als verdoppelt und ereichte im vergan-
enen Jahr bereits 1,36 Milliarden Euro. Damit ist
reuzfahrttourismus ein wichtiger Tourismusbereich für
eisebüros, Reiseveranstalter, Reedereien aber natür-
ich auch für deutsche Werften und Schiffszulieferer. Ge-
ade in Norddeutschland werden durch den Bau und die
nstandsetzung von Kreuzfahrtschiffen tausende Ar-
eitsplätze gesichert. Allein die Meyer-Werft in Papen-
urg sichert 2 400 Arbeitsplätze und bildet 270 Men-
chen aus. Bis 2012 sind allein zehn Schiffsübergaben
ür Kreuzfahrtschiffe von 250 bis 330 Meter Länge
urch die Werft vorgesehen. 1 800 Zulieferfirmen und
amit etwa 10 000 externe Arbeitskräfte sorgen für den
nnenausbau der Kreuzfahrtschiffe. Schiffszulieferer fin-
en sich dabei nicht nur im Norden, sondern im ganzen
and, so dass auch Regionen im Süden Deutschlands
om Kreuzfahrtboom profitieren.
Über die Arbeitsplätze in Werften und bei Zulieferern
inaus sichert der Kreuzfahrttourismus auch Arbeits-
lätze in Restaurants, bei Dienstleistern, im Einzelhan-
el sowie bei Busunternehmen, die die Passagiere von
en Terminals zu den Sehenswürdigkeiten ins Landesin-
ere bringen. Maßgeblich für diese Entwicklung ist, dass
eutschland sich auch mit seinen Häfen und dem attrak-
iven Hinterland zu einer immer beliebteren Kreuzfahrt-
estination entwickelt. Die Kreuzfahrtterminals in
arnemünde, Bremerhaven, Cuxhaven, Kiel, Saßnitz,
übeck und Hamburg werden von immer mehr Schiffen
ngelaufen. Damit tragen sie zum Wachstum des Touris-
us in Norddeutschland bei und sorgen zudem dafür,
ass Tagesbesucher von Schiffen als Übernachtungstou-
isten wiederkommen. Gründe für diese positive Ent-
icklung sind nicht nur in der Attraktivität des Touris-
usstandorts Deutschland zu suchen, sondern auch
arin, dass Nordsee und vor allem Ostsee sich zu attrak-
iven Destinationen für Seereisen entwickelt haben, wie
ie Passagierzahlen eindrucksvoll belegen. Diese Ent-
icklung wollen wir dadurch fortschreiben, dass die
undesregierung gemeinsam mit den Regierungen der
ordsee- und Ostseeanrainer Maßnahmen trifft, um die
estinationen Nordsee und Ostsee weiter zu stärken.
iel sollte jeweils eine Dachmarke sein, zum Beispiel
Baltic Sea für den Ostseeraum. Denn nur durch eine
ngere internationale Kooperation beim Marketing kön-
en die Schönheiten und die touristischen Angebote der
stsee- und Nordseeregion in Südeuropa sowie außer-
alb Europas bekannt gemacht werden.
Ich freue mich, dass die Erfordernisse eines professio-
ellen Marketings inzwischen auch bei den Terminalbe-
reibern erkannt wurden: So haben sich die deutschen
eehäfen entschlossen, auf der weltgrößten Kreuzfahrt-
esse der Welt, der Seatrade in Miami, gemeinsam auf-
utreten und ihre Kräfte zu bündeln. Damit ist eine For-
erung erfüllt worden, die wir als Tourismuspolitiker der
nion schon vor längerer Zeit aufgestellt hatten. Diese
ositive Entwicklung wollen wir weiter forcieren und
ierfür leistet der vorliegende Antrag einen sehr guten
eitrag:
Wir setzen uns dafür ein, dass die land- und seeseiti-
en Zufahrten zu den deutschen Häfen auch unter touris-
11970 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
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tischen Belangen weiter ausgebaut werden. Auf der
Landseite treten wir vor allem für bessere Bahnanbin-
dungen der Kreuzfahrtterminals ein. Es ist nicht zufrie-
denstellend, wenn Kreuzfahrtterminal und Bahnhof an
verschiedenen Enden der Stadt liegen, wenn Bahnhöfe
in der Nähe von Terminals nur über veraltete Infrastruk-
tur verfügen und an den Fahrkartenautomaten der Bahn
garantiert kein Ausländer ohne Hilfe eine Fahrkarte er-
werben kann.
Ebenfalls erforderlich sind weitere Marketingaktivitä-
ten für den Kreuzfahrtstandort Deutschland durch die
Deutsche Zentrale für Tourismus.
Wir sehen es weiterhin als nicht zielführend an, dass
derzeit nur ein Kreuzfahrtschiff unter deutscher Flagge
fährt. Wenn demnächst fast eine Million Deutsche auf
Hochseekreuzfahrt gehen, dann wollen sie das auch auf
deutschen Schiffen tun. Dazu müssen die Bedingungen
aber stimmen. Wir fordern die Bundesregierung deshalb
auf, Gespräche mit Reedereien und Veranstaltern da-
rüber zu führen, wie mehr Kreuzfahrtschiffe unter deut-
sche Flagge gebracht werden können.
Weitere Forderungen betreffen den Sicherheitskodex
ISPS, wo es durch unterschiedliche Handhabung zu
Wettbewerbsverzerrungen kommt. Wir treten hier für
Harmonisierungen auf EU-Ebene ein. Ähnliches gilt
auch für Umsatzsteuern für Lieferungen an Bord, die
derzeit nur anfallen, wenn die Kreuzfahrt in bestimmten
Ländern startet. So ist zum Beispiel Deutschland gegen-
über Großbritannien oder Dänemark benachteiligt, weil
bei einer dort begonnenen Kreuzfahrt keine Steuern für
Lieferungen an Bord zu zahlen sind.
Wenn man den Kreuzfahrttourismus betrachtet, rich-
tet sich der Fokus vor allem meist auf Hochseekreuz-
fahrten. Dabei wird vergessen, dass auch Flusskreuz-
fahrten immer beliebter werden. Mit einem erzielten
Umsatz von 365 Millionen Euro und einer Passagierzahl
von etwa 310 000 trägt die Wachstumsbranche Fluss-
kreuzfahrten erheblich zum positiven Ergebnis der
Kreuzfahrtbranche bei. Auch hier sind deutsche Werften
und Zulieferer durch den Bau von Schiffen am Wachs-
tum beteiligt. Auch deutsche Flüsse und Wasserstraßen,
wie Donau, Rhein, Mosel, Elbe, Havel, Oder, Main und
Weser und die sie verbindenden Kanäle sind beliebte
Destinationen für Flusskreuzfahrten.
Flusskreuzfahrten sind anders als Hochseekreuz-
fahrten abhängig von der ganzjährigen durchgängigen
Befahrbarkeit von Wasserstraßen. Hier hat es insbeson-
dere an der Elbe in den vergangenen Jahren Probleme
durch Niedrigwasser gegeben, so dass die Potenziale
dieses attraktiven Wasserweges noch bei weitem nicht
ausgeschöpft sind. Deshalb halten wir es für notwendig,
dass bei der baulichen Gestaltung der Binnenwasserstra-
ßen auch deren touristische Bedeutung für Flusskreuz-
fahrten sowie für Wassertourismus insgesamt berück-
sichtigt wird. Auch einheitliche Standards bei der
Informationspolitik über nautische Besonderheiten
könnten dazu beitragen, Flusskreuzfahrten noch weiter
zu erleichtern.
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Wichtig ist auch, dass die grenzübergreifende Befah-
ung der mit Deutschland über Flusssysteme verbunde-
en Staaten erleichtert wird, damit die Potenziale opti-
al genutzt werden können. Das kann durch den Einsatz
ür die Instandhaltung der Binnenwasserstraßen anderer
änder ebenso geschehen wie durch erleichterte Zoll-
nd Visabestimmngen, die gerade den Schiffsverkehr an
er Donau erleichtern würden.
Lassen Sie mich am Ende noch auf den Aspekt des
ährtourismus eingehen, der ebenfalls in unserem An-
rag eine Rolle spielt. Fährtourismus wird in seiner Be-
eutung unterschätzt: Mehr als 12 Millionen Passagiere
erden jährlich in deutschen Fährhäfen abgefertigt.
ährtouristen stellen ein wichtiges Tourismussegment
icht nur für die norddeutschen Urlaubsregionen dar. So-
it kann ein gezieltes Marketing in den Einzugsregionen
er Fährverbindungen in Skandinavien für eine über-
urchschnittliche Nachfragesteigerung für Deutschland-
eisen sorgen. Mit Marktforschung und kreativen Marke-
ingkooperationen lässt sich mit geringen Mitteln ein
rheblicher Mehrwert erzielen. So werben Berlin und
amburg mit einer Broschüre auf den Schiffen der
irma Scandlines in schwedischer und dänischer Spra-
he gemeinsam um Gäste. Der Erfolg, dessen bin ich mir
icher, wird nicht lange auf sich warten lassen.
Hochseekreuzfahrten, Flusskreuzfahrten aber auch
ie Fährschifffahrt leisten einen wichtigen Beitrag für
en Deutschlandtourismus aber auch für die deutsche
irtschaft insgesamt. Mit unserem Antrag haben wir die
eichen dafür gestellt, dass sich die positive Entwick-
ung in diesen Bereichen weiter fortsetzen wird.
Annette Faße (SPD): Kreuzfahrten sind in. Dies be-
rifft Hochseekreuzfahrten genauso wie Flusskreuzfahr-
en. Deutschland ist weiterhin das beliebteste Reiseziel
ür Flusskreuzfahrten.
Der Bauboom bei Hochseekreuzfahrtschiffen und
assagierschiffen hält an. 2006 wurden weltweit mehr
ls 60 Fähren und Passagierschiffe ausgeliefert, und der
uftragsbestand stieg auf weitere 72 neue Schiffe. Da-
on profitiert die deutsche Werft- und Zulieferindustrie
um Beispiel in Rostock und Papenburg. Gläserne
erften ziehen Besucher an. Überführungen auf der
ms sind zu touristischen Events geworden. Der Umsatz
it Hochseekreuzfahrten hat sich seit 1999 mehr als
erdoppelt und ist gegenüber 2005 um 11,2 Prozent ge-
tiegen. Im Bereich der Flusskreuzfahrten ist die Ent-
icklung insgesamt ähnlich positiv. Die Anzahl der Pas-
agiere im Gesamtkreuzfahrtmarkt überstieg im Jahre
006 erstmals 1 Million.
Die Fährschifffahrt und Fährtouristik liegt in diesem
achstumstrend, da diese Schiffe nicht mehr nur als
ransportmittel, sondern vermehrt für Minikreuzfahrten
enutzt werden. Über 6 000 Reisen finden auf Fracht-
chiffen statt. In allen Bereichen bestehen weiterhin sehr
ute Wachstumserwartungen. Dieser Entwicklung trägt
uch die Wissenschaft Rechnung. So gibt es den welt-
eit ersten Bachelor-Studiengang Cruise Industry
anagement seit vier Jahren in Bremerhaven.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11971
(A) )
(B) )
Der Antrag hat zum Ziel, den Kreuzfahrt- und Fähr-
tourismus zu unterstützen und zu fördern und damit ver-
bundene Arbeitsplätze im seemännischen und touristi-
schen Bereich zu sichern. Ziel muss es sein, vorrangig
deutsche und europäische Beschäftigte an Bord zu
haben. Dazu gehört die weitere Harmonisierung von si-
cherheits-, arbeits- und steuerrechtlichen Voraussetzun-
gen und Einreisebestimmungen. Werften, Zulieferer,
Gaststätten und touristische Verkehrs- und Dienstleis-
tungsunternehmen sollen vom Wachstum der Branche
profitieren können; Arbeitsplätze sollen nicht nur gesi-
chert, sondern in allen Bereichen zusätzlich geschaffen
werden können.
Es gilt, die große wirtschaftliche Bedeutung des
Kreuzfahrt- und Fährtourismus in der Öffentlichkeit of-
fensiver darzustellen. Gegenüber der Deutschen Zentrale
für Tourismus, der DZT, soll angeregt werden, dass
Deutschland noch intensiver als Kreuzfahrtsdestination
vermarktet wird. Die Belange des Kreuz- und Fährtou-
rismus müssen beim Ausbau der land- und seeseitigen
Zufahrten der Häfen Berücksichtigung finden. Auf EU-
Ebene soll dafür eingetreten werden, dass der internatio-
nale Sicherheitskodex ISPS in seiner Handhabung har-
monisiert wird. Die Vereinfachung und Harmonisierung
von arbeits- und steuerrechtlichen Voraussetzungen
sowie Ein- und Ausreisebestimmungen für grenzüber-
schreitende Flusskreuzfahrten muss vorangetrieben wer-
den. Die Bemühungen zur Vermeidung von Schiffsemis-
sionen sowie zur Normung von Stromanschlüssen für
die Stromversorgung von Land sollen unterstützt wer-
den. Ein geplantes Modellprojekt in Lübeck zeigt den
richtigen Weg auf. Mit der Deutschen Bahn gilt es Ge-
spräche aufzunehmen, um eine bessere Anbindung der
Kreuzfahrtterminals zu gewährleisten und um die Bedie-
nung der Fahrkartenautomaten durch ausländische Gäste
zu erleichtern. Der Prüfauftrag für die Rückflaggung von
Kreuzfahrtschiffen muss konsequent umgesetzt werden.
Dafür gilt es die Bedingungen zu definierten, unter de-
nen eine Rückflaggung unter deutscher Flagge möglich
wäre.
Ich werde alle Kolleginnen und Kollegen animieren,
Urlaub auf dem Wasser zu genießen. Wunderbare Rou-
ten auf großen und kleinen Schiffen, große attraktive
Städte, kleine beschauliche Orte, große Ozeane und
kleine Flusslandschaften werden Sie begeistern.
Jens Ackermann (FDP): Kreuzfahrten faszinieren
die Menschen seit eh und je. Gerade in Norddeutschland
gibt es eine hohe Affinität zu Kreuzfahrtschiffen. Dies
sieht man jedes Mal, wenn die Queen Mary II in den
Hamburger Hafen einfährt: Menschenaufläufe und
Volksfeststimmung. Diese Faszination wirkt sich schließ-
lich auch auf die Buchung von Kreuzfahrten aus. Denn
viele hegen den Traum, einmal eine Kreuzfahrt zu erle-
ben. Viele erfüllen sich den Traum im Kleinen in den
schönen Regionen Deutschlands, der Nord- und Ostsee
oder den Flüssen. In meinem Heimatland Sachsen-Anhalt
gehören Fährfahrten nicht nur zum Transport über die
Saale oder die Unstrut, sondern sind kleine Highlights
von Tagestouristen. Der Ostseeraum profitiert ganz be-
sonders vom Kreuzfahrttourismus. Hafenstädte sind
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ielorte der Urlauber. Und nicht nur der Tourismus, auch
er Bau von Kreuzfahrtschiffen verschafft zum Beispiel
er Meyer Werft in Papenburg oder den Werften an der
stsee Gewinne.
Der hier vorliegende Antrag von CDU/CSU und SPD
st aber ein typischer Antrag, wie wir ihn von der Großen
oalition kennen: schwammig und unkonkret. Es ist ein
unschkatalog, enthält aber so gut wie keine konkreten
nsätze, die man von Regierungspolitik erwarten sollte.
ie Bundesregierung wird aufgefordert, mal hier oder
al da Gespräche zu führen: mal mit der Deutschen
ahn AG, mal mit den deutschen Reedereien und Kreuz-
ahrtveranstaltern. Meine Damen und Herren von der
oalition, gegen Gespräche kann ja niemand etwas ha-
en, aber die Verbände und Vertreter aus dem Bereich
er Kreuzfahrten und dem Fährtourismus können doch
ohl von einer Regierung zu Recht mehr erwarten, als
ei Herrn Mehdorn zum Plausch vorbeizuschauen. Alles
nkonkrete und Beliebige gipfelt schließlich in der letz-
en Forderung, ich zitiere:
die für die vorgeschlage-
en Maßnahmen gegebenenfalls erforderlichen Haus-
altsmittel ausschließlich durch Umschichtung innerhalb
er betroffenen Einzelpläne bereitzustellen. Liebe Kol-
eginnen und Kollegen von der CDU/CSU, liebe Kolle-
innen und Kollegen von der SPD: Welche Maßnahmen
einen Sie? Lediglich das Eintreten auf europäischer
bene dafür, dass der internationale Sicherheitskodex
SPS über die Gefahrenabwehr in der Schifffahrt im
ährverkehr innerhalb der Ostsee- und der Nordseehäfen
n seiner Handhabung harmonisiert wird und dass keine
ettbewerbsverzerrungen entstehen sowie der eine oder
ndere Punkt danach, geben mal was her.
Der vorliegende Antrag der Koalition ist in der Ana-
yse nicht falsch. Ganz im Gegenteil: Es werden wichtige
akten präsentiert und das Potenzial des Kreuzfahrttou-
ismus sowie des Fährtourismus richtig erkannt. Der
ourismus in Deutschland hat von einer Regierung und
en Regierungsfraktionen aber mehr verdient, als bloße
nalysefähigkeit. Die eigentliche Regierungskunst sollte
och darin bestehen, die Voraussetzungen noch besser,
och effektiver, noch praktikabler für diesen Bereich zu
estalten: dass die deutschen Reedereien und Kreuzfahrt-
eranstalter noch bessere Ergebnisse erzielen können,
ass die Touristen noch lieber mit Kreuzfahrtschiffen
ahren und Fähren benutzen. Wo sind die Probleme? Was
ann dagegen getan werden? Ich vermisse hier konkrete
inweise.
Der Kreuzfahrttourismus und der Fährtourismus lö-
en bei den Menschen Emotionen aus und regen zum
räumen an. Der Antrag der Koalition ist ebenfalls im
ereich der Träume angesiedelt; allerdings ist er so un-
onkret, dass er wenige Emotionen bei den Menschen zu
ecken vermag.
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Schon die Überschrift
es Koalitionsantrages Kreuzfahrttourismus und Fähr-
ourismus in Deutschland voranbringen ist fragwürdig.
arum will die Koalition etwas voranbringen, was auch
hne sie und ihren Antrag überproportionale Zuwächse
at? Die Koalitionsfraktionen verweisen selbst in ihrem
11972 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
(A) )
(B) )
Antrag auf dieses Wachstum: Der Umsatz des Kreuz-
fahrtenmarktes in Deutschland hat sich seit 1999 mehr
als verdoppelt das gilt auch für den Bereich der Fluss-
kreuzfahrten. Und die Koalition sagt voraus, dass es
auch weiterhin sehr gute Wachstumserwartungen gibt.
Wozu also dieser Antrag? Um an dem Erfolg teilzuha-
ben, statt hinterherzuschwimmen?
Von Reisen übers Meer und in ferne Länder träumen
viele. Seefahrerabenteuer in Kinder- und Jugendbüchern
und auch die vielen Traumschifffernsehserien zu besten
Sendezeiten wecken Wünsche. Zunehmend mehr Ange-
bote an günstigen Schiffsreisen inklusive preiswerter
Flüge zum Hafen und zurück schaffen Voraussetzungen
für zunehmend mehr Menschen, sich diesen Traum zu
erfüllen. Dagegen ist auch nichts einzuwenden, und ich
gönne jeder und jedem die Erfüllung dieses Traumes.
Einwände habe ich aber zu diesem Antrag. Ist es wirk-
lich die Aufgabe der Politik, diesen so rasant wachsen-
den Tourismussektor noch stärker zu fördern, anstatt die
Konsequenzen daraus kritisch zu hinterfragen? In dem
Antrag der Koalition werden sämtliche Probleme, die
mit der nationalen und internationalen Schifffahrtstou-
ristik verbunden sind, ausgeblendet. Selbst auf der Inter-
netseite der Bundeszentrale für politische Bildung kom-
men unter dem Stichwort Kreuzfahrttourismus an erster
Stelle viele negative Aspekte, die sich mit dem Boom
dieses Sektors auftun. Hier seien nur einige genannt:
Erstens. Transport, Übernachtung und Verpflegung
machen den Löwenanteil der Ausgaben eines jeden Tou-
risten aus. Bei Kreuzfahrten landet dieser Teil der Ur-
laubskasse faktisch zu 100 Prozent in den Taschen der
internationalen Tourismusbetriebe. Ihre Schiffe laufen
die Kreuzfahrthäfen zumeist frühmorgens an und legen
in der Nacht wieder ab. Im Gegensatz zu Hotel- oder gar
Rucksacktouristen können die Kreuzfahrer so nur einen
Bruchteil ihres Urlaubsgeldes in den bereisten Ländern
selbst ausgeben. Dieses gilt natürlich auch für an den
deutschen Seehäfen anlandende Kreuzfahrtliner.
Zweitens. Paul Wilkinson von der kanadischen York
University beobachtete 1999 folgerichtig den Trend,
dass die Traumschiffpassagiere Jahr für Jahr weniger
Geld in den Kreuzfahrthäfen ausgeben. Als Beispiel
führt er die Bahamas an. Dort ließen die Passagiere 1980
im Schnitt noch rund 55 US-Dollar während ihres Land-
ganges auf der Inselgruppe. 16 Jahre später, 1996, waren
es inflationsbereinigt nur noch 31 US-Dollar pro Person.
Hauptursache dieses Rückgangs seien die Luxusliner,
die sich mit jeder neuen Schiffsgeneration zu regelrech-
ten Geldfallen entwickelt hätten. Die Kreuzfahrtindus-
trie nutzt lokale Infrastrukturen, gibt aber nichts der lo-
kalen Wirtschaft zurück.
Drittens. Um Gewinne zu maximieren, spart die
Traumschiffbranche auch bei den Löhnen und Arbeits-
bedingungen ihrer Crewmitglieder. Unabhängige Ar-
beitsvermittler besorgen das billige und willige Personal
vor allem aus den verarmten Ländern des Südens und
des Ostens. Untersuchungen der Arizona State Univer-
sity zufolge ist es nicht ungewöhnlich, wenn die bis zu
1 000-köpfige Besatzung eines Luxusliners aus mehr als
40 verschiedenen Nationen stammt. Weil aufgrund die-
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er Völker- und Sprachenvielfalt an Bord keine effektive
ewerkschaftliche Arbeitnehmervertretung möglich sei,
ießen sich sehr niedrige Löhne bei gleichzeitig sehr lan-
en Arbeitszeiten und fragwürdigen Lebensbedingungen
n Bord durchsetzen.
Viertens. Was bleibt den Inseln und Regionen vom
reuzfahrttourismus? Der Abfall, lautet die Antwort.
Ein Kreuzfahrtschiff mit 1 200 Passagieren und Besat-
ung produziert jeden Tag 4,2 Tonnen Müll, andere Ab-
allschadstoffe wie Ölreste, Abwasser und sanitäre
ückstände nicht mitgerechnet, so ein besorgter Com-
enwealth-Report. Abwässer und Müll der Ozeanriesen
anden direkt im Meer und später an den Stränden. Ab-
älle der Kreuzfahrtschiffe finden sich heute an allen
tränden der Karibik und bald auch an allen Küsten der
üdsee. Gegenwärtige, internationale Abkommen sind
nzureichend, um die fortschreitende Vermüllung und
erseuchung der Meere vor den Trauminseln zu verhin-
ern. Doch selbst wenn künftig Müll- und Abwasserent-
orgung auf hoher See verboten und mit schmerzhaften
trafen belegt werden sollte: Das Problem bleibt. Wohin
it dem Dreck? Schon jetzt wissen die Inselstaaten
icht, wohin mit dem eigenen Müll.
Fünftens. Kreuzfahrtschiffe haben für Tourismuskon-
erne noch einen unschlagbaren Vorteil. Sie verringern
ie Abhängigkeit der Touristikbranche von den Urlaubs-
ändern. Die schwimmenden Touristikressorts können
berallhin ausweichen. Dank geringem Tiefgang können
inige moderne Luxusschiffe selbst kleine Dörfer am
mazonas oder die winzigsten Tropeninseln anlaufen.
udem gehen sie auch bei einem noch so hohen, durch
lobale Erwärmung ausgelösten Meeresspiegelanstieg
icht unter. Dies aber droht gerade den Tropeninseln.
er Kreuzfahrtbranche tut dies keinen Abbruch. Sie
ann sich zurücklehnen und dem bevorstehenden Unter-
ang vieler Trauminseln zusehen.
Gestatten Sie noch ein paar Anmerkungen zu einzel-
en Punkten des Antrages. In welchem Umfang Ausbau
nd Anbindung der Häfen mit Steuermitteln wie in
unkt 2 gefordert für die Kreuzfahrtschifffahrt voran-
ubringen sind, ist auch unter sozialen, städtebaulichen
nd ökologischen Gesichtspunkten zu prüfen. Ein wich-
iger Aspekt muss dabei auch die durchgängige Barriere-
reiheit sein: im Hafen und bei den angebotenen Ausflü-
en in der Hafenstadt und Umgebung. Ich halte es für
alsch, wenn wie in Punkt 3 gefordert die vor allem
it Bundesmitteln agierende DZT noch mehr Geld in
ie Vermarktung der Kreuzschifffahrt steckt, anstatt sich
ehr bei der Bewerbung von barrierefreien Reisen, Rei-
en für Kinder und Jugendliche oder dem Tourismus
wischen Städtepartnern zu engagieren.
Punkt 6 ist zu begrüßen, wenn damit der Erhalt von
atürlichen Flusslandschaften statt der unnötige Ausbau
on Wasserstraßen gemeint ist.
Bei den Punkten 16 bis 18 sollte unbedingt der As-
ekt der Barrierefreiheit berücksichtigt werden. Die Er-
ahrungen zeigen, dass solche Gespräche die Bahn schon
etzt wenig schert auch dies ist ein Grund, die weitere
rivatisierung der Bahn zu stoppen.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11973
(A) )
(B) )
Nun zum Punkt 19. Schon jetzt gibt es im Bundes-
haushalt 2007 und auch im in der Diskussion stehenden
Plan für 2008 eine deutliche Schieflage in der Touris-
muspolitik. Während die Stärkung der Tourismuswirt-
schaft zum zentralen Ziel erklärt wird, sind die Förde-
rung von barrierefreiem Tourismus, von Tourismus für
finanzschwache Familien, für Kinder und Jugendliche
und für die Förderung eines ökologisch verträglichen
Tourismus nur Randthemen.
Die Linke fordert: Reisen für alle. CDU/CSU und
SPD wollen Kreuzfahrten für viele und verschleiern mit
ihrem Antrag komplett die ökologischen und sozialen
Probleme, die mit dieser Art des Tourismus verbunden
sind. Der Antrag wird daher von der Linken abgelehnt.
Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der
Kreuzfahrt- und Fährtourismus ist ein wachsender Markt
der Tourismusbranche. Das ist erfreulich. Doch mit dem
zunehmenden Wirtschaftswachstum wachsen natürlich
auch die Umweltprobleme, die mit dem Schifffahrtstou-
rismus verbunden sind. Deswegen ist es notwendig, dass
die Rahmenbedingungen für den Kreuzfahrt- und Fähr-
tourismus nachhaltig und verantwortlich ausgestaltet
werden.
Die einseitige Ausrichtung des Koalitionsantrages auf
wirtschaftliche Aspekte, wie beispielsweise die Verbes-
serung der Infrastruktur, die gezielte Vermarktung des
Kreuzfahrttourismus oder die Forderung nach dem Ab-
bau bürokratischer Hemmnisse verfehlt die wesentlichen
Kriterien für einen verantwortungsbewussten und zu-
kunftsfähigen Ausbau des Kreuzfahrt- und Fährtouris-
mus. Der einzige erfreuliche ökologische Zungenschlag
des Antrages ist der Appell, die internationalen Bemü-
hungen zur Vermeidung und Reduzierung von Schiffs-
emissionen in den Häfen zu unterstützen und die Mög-
lichkeit für eine Normung von Landstromanschlüssen
für die Schiffsversorgung in Häfen zu prüfen. Darüber
hinaus finden sich leider keine weiteren ökologischen
Forderungen. Dabei sollte uns allen doch eines ganz klar
sein: Einen langfristig erfolgreichen Kreuzfahrt- und
Fährtourismus wird es nur dann geben, wenn er im Ein-
klang mit der Natur und der Umwelt steht. Nicht zuletzt
der weltweite Klimawandel macht deutlich, dass Touris-
mus sowohl in Deutschland als auch weltweit nicht mehr
zulasten unserer Umwelt gehen darf. Die Stärkung des
Inlandstourismus, die in diesem Antrag zu Recht formu-
liert ist, könnte ein sinnvoller Bestandteil einer Klima-
strategie sein.
Aber die Gefahr einer Überbeanspruchung der Um-
welt durch den Schifffahrtstourismus bleibt. Gerade
Kreuzfahrtschiffe sind hier nicht unproblematisch. So
verursachen sie beispielsweise einen großen Anteil der
Abwässer, die im Schiffsverkehr anfallen. Auch beim
Schiffsantrieb erweisen sich insbesondere die vielen äl-
teren Schiffe als umweltschädlich. Zwar benötigt ein
Kreuzfahrtschiff wie im Koalitionsantrag richtig ange-
merkt tatsächlich weniger Brennstoff pro Passagier als
ein Flugzeug, jedoch fahren gerade die älteren Schiffe
oftmals noch mit billigem Schweröl anstatt mit Diesel.
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Wir hätten uns deshalb in diesem Antrag ein gesundes
leichgewicht von wirtschaftlichen und ökologischen
orderungen gewünscht. Denn auch für die Tourismus-
ranche gilt: Ökonomie funktioniert auf Dauer nur in
erbindung mit Ökologie! Auch wir wollen das Poten-
ial des Schifffahrtstourismus in Deutschland nutzen,
ber bitte umweltverträglich! Deshalb sollten wir neben
irtschaftsinteressen immer auch die langfristigen Fol-
en für die Umwelt im Blick haben.
nlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
Antrag: Das Schengen-Informationssystem
im europäischen Raum der Freiheit, der
Sicherheit und des Rechts transparent und
bürgerrechtsfreundlich gestalten
Beschlussempfehlung und Bericht: Zugriff
von Geheimdiensten auf das Schengener
Informationssystem der zweiten Generation
verhindern
(Tagesordnungspunkt 19 a und b)
Günter Baumann (CDU/CSU): Wie die meisten
ollegen wissen, liegt mein Wahlkreis Annaberg-Aue-
chwarzenberg direkt an der Grenze zu Tschechien. So-
it ist die Thematik der Sicherheit und damit verbunden
ie Einführung des Schengener Informationssystems der
weiten Generation einhergehend mit der Grenzöffnung
ür mich sehr bedeutsam. Deshalb werde ich gern auch
er Fraktion Bündnis 90/Die Grünen den Fahrplan der
inführung von SISone4All und darüber hinaus von
IS II gern erläutern.
Jedoch möchte ich vorerst einen kurzen Abriss über
ie geschichtliche Entstehung des Schengen-Raumes ge-
en. Schon die Römischen Verträge von 1957 und der Be-
elux-Vertrag von 1958 enthielten die Idee der Freizügig-
eit von Personen und Gütern. Am 15. Juni 1985
ereinbarten Vertreter von Deutschland, Belgien, Frank-
eich, Luxemburg und den Niederlanden im luxemburgi-
chen Schengen ein Übereinkommen. Dessen Ziel lau-
ete, dass die Binnengrenzen an jeder Stelle ohne
ersonenkontrollen überschritten werden dürfen. Den
ründerstaaten des Schengener Abkommens schlossen
ich schnell weitere europäische Staaten an.
Neben den klaren Vorteilen eines gemeinsamen
chengen-Gebietes für die Wirtschaft und den Touris-
us durch beispielsweise einen gemeinsamen Zollraum,
as Reisen ohne Grenzkontrollen und eine gemeinsame
ährung gibt es auch nach wie vor sicherheitspolitische
edenken. Durch ein grenzenloses Europa gibt es keine
tationären Grenzkontrollen, die als Filter gegen organi-
ierte Kriminalität und Schleuserbanden eingesetzt wer-
en können. Somit ist es von hoher Wichtigkeit, die Au-
engrenzen der Schengen-Staaten verstärkt zu sichern
nd dort zu kontrollieren. Für diese grenzüberschrei-
11974 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
(A) )
(B) )
tende Polizei- und Justizarbeit wurde das Schengener In-
formationssystem, SIS I, entwickelt.
SIS ist ein elektronisches Personen- und Sachfahn-
dungssystem, in dem Informationen zu den Bereichen
Festnahmeersuchen, Übergabe und Auslieferung, dem
Auffinden von Vermissten, Asylanträgen und Gefahren-
abwehr enthalten sind. Somit bietet es den zuständigen
Behörden der einzelnen teilnehmenden Mitgliedstaaten
ein Abfragesystem für Informationen über Personen und
Gegenstände, die von anderen Mitgliedstaaten eingestellt
worden sind. Diese Möglichkeit der Informationsabfrage
über die einzelnen nationalen Datenbanken hinweg dient
wesentlich der inneren Sicherheit des Schengen-Raums.
Das Schengener Informationssystem hat sich seit seiner
Einführung 1995 bewährt. Wie man der Antwort der
Bundesregierung auf die Anfrage der Linken (Drucksa-
che 16/1044) vom 24. März 2006 entnehmen kann, wur-
den im Zeitraum von 1995 bis 31. Dezember 2005
882 627 Einträge über Personen und 13 779 800 über
verlorengegangene oder gestohlene Gegenstände erstellt.
Somit ist SIS heute das System einer leistungsstarken
Zusammenarbeit der nationalen Polizeien, das sich durch
eine einfache Benutzbarkeit und kurze Aktualisierungs-
zeit auszeichnet.
Abgesehen von dem Schengener Informationssystem
wurde und wird eine Zusammenarbeit der jeweiligen na-
tionalen Polizeien in den Grenzregionen großgeschrie-
ben. Diese polizeiliche Zusammenarbeit, vordergründig
von Schengen- und Nicht-Schengen-Staaten, wurde
durch bilaterale Abkommen geregelt. Beispielsweise trat
das erste Abkommen dieser Art zwischen Deutschland
und der Tschechischen Republik im Jahr 2002 in Kraft.
Darin wurde festgelegt, dass deutsche und tschechische
Beamte zusammen auf Streife im Grenzgebiet gehen
können.
Darüber hinaus besteht seit dem Abkommen die Mög-
lichkeit der Nacheile für die Beamten auf das jeweils an-
dere Hoheitsgebiet. Nach wiederholten Besuchen und
dem daraufhin folgenden Informationsaustausch mit den
Beamten vor Ort an den Grenzübergängen in meinem
Wahlkreis bin ich zu der Ansicht gelangt, dass dieses
System der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von or-
ganisierter Kriminalität und Verhinderung von Schleu-
sungen gut funktioniert und hoffentlich neben der Einset-
zung des SISone4All fortgeführt wird.
Das gegenwärtige SIS I+ ist für 18 Staaten ausgelegt:
für 15 Mitgliedstaaten und Island, Norwegen und gege-
benenfalls ein weiteres Mitglied. Durch die Erweiterung
der EU auf nunmehr 27 ist das SIS I+, das auf 18 Staaten
begrenzt ist, technisch ausgereizt. Jedoch ist die Teil-
nahme der europäischen Mitgliedstaaten an dem Schen-
gener Informationssystem eine Voraussetzung für den
Wegfall der Grenzkontrollen.
Somit musste eine Weiterentwicklung des SIS I vor-
genommen werden. Die Europäische Kommission er-
stellte 2002 eine Durchführbarkeitsstudie, in der die
technischen, finanziellen und organisatorischen Aspekte
behandelt wurden. 2004 gab die Europäische Kommis-
sion grünes Licht für die Entwicklung des SIS II. Ur-
sprünglich war der Start des neuen Systems für März
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007 vorgesehen, jedoch kam es bei der Realisierung
mmer wieder zu Verzögerungen, die überwiegend auf
echnischen Problemen beruht; unter anderem stellten
ich Schwierigkeiten beim Überspielen der Daten von
IS I auf SIS II heraus. Die derzeitige Planung zur Ein-
ührung von SIS II geht von Ende Dezember 2008 als
tarttermin aus.
Da eine Integration der neuen Mitgliedstaaten in das
ktuelle SIS I+ technisch nicht realisierbar ist, wird seit
em 5. Dezember 2006 als Zwischenlösung das
ISone4All entwickelt. Dieses SIS enthält alle Funktio-
en des derzeitig angewendeten SIS I+. Es dient aus-
chließlich dem Anschluss weiterer Staaten an das
chengener Informationssystem. An dem SISone4All
ehmen 24 Staaten teil. Durch Einsetzung des SISone4All
ieht man die Grenzöffnung zu den beteiligten neuen
itgliedstaaten Polen, Tschechien, Slowakei, Slowe-
ien, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn und Malta für
en 31. Dezember 2007, Landgrenzen, und 29. März
008, Flughäfen, vor.
Im September 2007 wird eine Evaluation über die
utzungsweise des Schengen-Informationssystems
urch die neuen Teilnehmerstaaten durchgeführt werden.
s wird geprüft, ob die Anwendung des SISone4All
onform zu dem Schengen-Übereinkommen erfolgt.
enn im Vordergrund steht die Wahrung der inneren Si-
herheit auch nach Wegfall der Grenzkontrollen.
Letztendlich entscheidet der Rat der Europäischen
nion über die Beendigung der Kontrollen. Vorausge-
etzt, dass keine immanenten Defizite oder Versäum-
isse festgestellt werden, fallen die Grenzkontrollen zu
en zuvor genannten Terminen weg. Diese Entscheidung
ber die Ausweitung der Schengen-Zone wird definitiv
m November dieses Jahres fallen. Somit existieren fest-
esetzte Fristen für die Grenzöffnungen, an denen sich
ie neuen Mitgliedstaaten orientieren können.
Das SIS II wird einfacher zu verwalten, flexibler und
icherer sein. Im Hinblick auf die reale Terrorgefahr in
uropa muss das SIS II erstens dem neuesten Stand der
nformationstechnik angepasst werden und zweitens mit
euen Funktionen ausgestattet werden, um die höchst-
ögliche Sicherheit in Europa zu gewährleisten.
Im Gegensatz zu den werten Kolleginnen und Kolle-
en von Bündnis 90/Die Grünen sehe ich die Verknüp-
ung von verschiedenen Einträgen nicht als problema-
isch, sondern als essenziell an. Dies dient meiner
nsicht nach einer effektiveren Polizeiarbeit. Auch der
on Ihnen viel zitierte Datenschutz wird durch hohe
ürden für den Informationszugriff bewahrt; denn ein
itgliedstaat darf nur dann Ausschreibungen miteinan-
er verknüpfen, wenn hierzu eine eindeutige operatio-
elle Notwendigkeit besteht.
Ein zweites neues und notwendiges Instrument des
IS II ist die Verwendung von biometrischen Daten. Bei
er Heranziehung von diesen biometrischen Daten wird
er Datenschutz auch nicht außer Acht gelassen. Denn
rst wenn ein Drittstaatsangehöriger durch eine alpha-
umerische Suche im SIS II gefunden wurde und nun
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11975
(A) )
(B) )
seine Identität bestätigt werden soll, können biometri-
sche Daten zur Klärung herangezogen werden.
Meiner Meinung nach bleibt das Schengener Infor-
mationssystem im Schwerpunkt ein Fahndungssystem
trotz der funktionalen Weiterentwicklungen. Die im An-
trag dargestellte Aufweichung der Zweckbindung
kann ich folglich nicht nachvollziehen.
Das Betriebsmanagement des zentralen SIS II über-
nimmt eine Verwaltungsbehörde, die aus dem EU-Haus-
halt finanziert wird. Die Behörde wird die erforderlichen
Wartungsarbeiten und technischen Anpassungen durchfüh-
ren sowie für den problemlosen Betrieb des Informations-
systems Sorge tragen. Außerdem wird der Europäische
Datenschutzbeauftragte die Verarbeitung personenbezo-
gener Daten überwachen. Die nationalen Kontrollinstan-
zen und der Europäische Datenschutzbeauftragte werden
aktiv zusammenarbeiten und für eine koordinierte Über-
wachung des SIS II sorgen.
Zu dem Punkt der beiden Anträge von Bündnis 90/Die
Grünen und der Linken den Zugriff von Geheimdiensten
auf das SIS II ist so viel zu sagen, dass die Bundesregie-
rung im Rahmen der Innenausschussberatung erklärte,
dass die Nachrichtendienste etlicher Mitgliedstaaten auf-
grund innerstaatlicher Regelungen Zugriff auf die Daten
des SIS hätten. Das wollte die Bundesregierung auch für
den deutschen Nachrichtendienst ermöglichen. Dies war
im Europäischen Parlament nicht mehrheitsfähig und da-
mit wird dieses Anliegen von der Bundesregierung nicht
weiter verfolgt. Folglich lehne ich beide Anträge ab.
Wolfgang Gunkel (SPD): Europas Einigung wird
immer greifbarer. Im kommenden Jahr können Sie Län-
der wie Polen oder Tschechien, die 2004 beigetreten
sind, bereisen, ohne langwierige Kontrollen an den
Grenzübergängen in Kauf nehmen zu müssen. Da ich in
direkter Nachbarschaft zur polnischen Grenze wohne,
freue ich mich ganz besonders auf diesen Zeitpunkt.
Neben dieser Freude wissen wir alle auch, dass die
Öffnung der Grenzen Risiken mit sich bringen wird.
Denn nicht nur gesetzestreue Bürgerinnen und Bürger
haben damit die Möglichkeit des ungehinderten Reisens,
sondern auch Straftäter.
Dieser Entwicklung wurde auch das Schengen-Infor-
mationssystem als automatisiertes System zur Abfrage
von Informationen über Personen, das bereits mit Ab-
schluss des Schengener Abkommens in Kraft trat, ange-
passt. Die Inbetriebnahme des Schengen-Informa-
tionssystems II ist für Ende 2008 vorgesehen. Damit
wird das Schengen-Informationsystem abgelöst.
Bündnis 90/Die Grünen kritisieren nun, dass die Inbe-
triebnahme verzögert wird. Damit wurde auch die Öff-
nung der Grenzen auf Oktober 2008 verschoben. In die-
ser Hinsicht kann ich die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen beruhigen die Öffnung der Grenzen wird wie
vorgesehen am 1. Januar 2008 erfolgen. Insofern ist
der Antrag fehlerhaft.
Die Inbetriebnahme kann jedoch nur erfolgen, wenn
die vorangegangenen Tests die Betriebssicherheit und
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unktionssicherheit nachgewiesen haben. Insoweit ist
ie Verzögerung wohl nicht der Politik anzulasten, son-
ern technischen Schwierigkeiten. Da sicher auch die
raktion von Bündnis 90/Die Grünen wünscht, dass nur
in voll funktionstüchtiges Schengen-Informationssys-
em II, SIS II, in Betrieb gehen soll, wird man sich wohl
it der Verzögerung abfinden müssen.
Zum anderen wird im Antrag gefordert, den Deut-
chen Bundestag und die Öffentlichkeit besser über die
ktuellen Entwicklungen hinsichtlich SIS II und die Ent-
cheidungen im Europäischen Rat zu informieren. In
ieser Hinsicht ist der Antrag obsolet, denn das SIS II
ird bis zur Inbetriebnahme auf der Tagesordnung jedes
ates der Justiz- und Innenminister stehen. Damit ist
ieser Punkt auch automatisch Bestandteil jeder Vor-
nd Nachberichterstattung in den zuständigen Ausschüs-
en des Bundestages.
Mit der medialen Berichterstattung über die Tagungen
es Rates und der Ausschüsse kann auch die geforderte
ffentlichkeit gewährleistet werden.
Das Schengen-Informationssystem stellt durch seinen
ugang zu Informationen über bestimmte Personengrup-
en eine wichtige Bedingung für das reibungslose Funk-
ionieren des Raumes der Sicherheit, der Freiheit und
es Rechts dar. Demzufolge ist die Entwicklung von
IS II die Voraussetzung für die Erweiterung des Rau-
es der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts auf die
euen Mitgliedstaaten. Eine Ausweitung der Datensätze,
uf die zugegriffen werden kann, ist der veränderten Si-
herheitslage seit der Inbetriebnahme des SIS geschul-
et. Nun kritisiert die Fraktion von Bündnis 90/Die Grü-
en zu Recht die Ausweitung der Zugriffsrechte auf die
eheimdienste. Die Festlegung, welche Behörden zu-
riffsberechtigt sind, obliegt den Mitgliedstaaten. Bun-
esinnenminister Wolfgang Schäuble hat der SPD-Bun-
estagsfraktion zugesichert, keine neuen Initiativen in
iese Richtung ohne vorherige Abstimmung zu starten.
as Europaparlament hat bereits in der ersten Lesung
ine solche Reglung abgelehnt.
Der uns hier vorliegende Antrag kritisiert weiterhin,
ass Daten erhoben werden könnten, die nichts mit dem
weck der ursprünglichen Datenerhebung zu tun haben.
amit bezieht sich der Antrag auf Äußerungen der euro-
äischen Datenschutzbeauftragten. Insoweit bleibt aber
estzustellen, dass diese Zweckbindung in den Rechts-
rundlagen zum Schengen-Informationssystem geregelt
ind.
Die Einführung biometrischer Daten, die nach An-
icht von Bündnis 90/Die Grünen erst nach einer Folgen-
bschätzung unter Einbeziehung der Datenschutzbeauf-
ragten und des Europäischen Parlaments erfolgen soll,
st zur Identifikation einer Person bereits zur Überprü-
ung von Trefferfällen vorgesehen. Die alleinige Suche
ach biometrischen Merkmalen bedarf noch der Ent-
cheidung unter Beteiligung des Europäischen Parla-
ents. Deshalb ist der Antrag auch in dieser Hinsicht
infällig.
Die generelle Sorge der Fraktion Bündnis 90/Die
rünen, der Datenschutz würde bei der Einführung von
11976 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
(A) )
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SIS II zu kurz kommen, kann entgegengehalten werden,
dass auch die Datenschutzvorschriften in den Rechts-
grundlagen enthalten sind. Im Übrigen wurden auch
schon wie im Antrag selbst angeführt die Änderun-
gen des Europäischen Parlamentes hinsichtlich eines
besseren Datenschutzes vorgeschlagen und aufgegriffen.
Ich bin guter Hoffnung, dass dies auch in Zukunft der
Fall sein wird.
Die angeführten Argumente belegen, dass der Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abzulehnen ist.
Gisela Piltz (FDP): Die Fortentwicklung des Schen-
gener Informationssystems ist wahrlich nicht gerade eine
Erfolgsgeschichte. Dies gilt sowohl für den Zeitrahmen,
in dem sich die Entwicklung vollzieht, als auch hinsicht-
lich der Transparenz, mit der die entscheidenden Wei-
chenstellungen getroffen werden, und nicht zuletzt auch
für den Umgang mit den Daten aus der Sicht der Betrof-
fenen. Seit Mai 2005 liegt der Vorschlag der Kommis-
sion zu Schengen II vor. Seitdem folgt eine technische
Panne der anderen.
Misstrauen ist bei der zukünftigen Verwendung der
Daten durchaus angebracht. Wir haben es leider immer
wieder erlebt, wie gerade auch die Bundesregierung den
Umweg über Europa nutzt, um politisch fragwürdige
Entwicklungen ohne Diskussion in Gang zu setzen. Ich
erinnere an dieser Stelle nur an die Fluggastdaten und an
die Vorratsdatenspeicherung.
Mit der Fortentwicklung des Schengener Informa-
tionssystems zu Schengen II droht dieses Instrument, zu
einem umfassenden polizeilichen Informationssystem zu
werden. Die Frage, ob so ein System eingeführt werden
sollte, ist jedenfalls in diesem Parlament aber nicht ein-
mal im Ansatz diskutiert worden, obwohl es jeden Bür-
ger betrifft. Ganz problematisch wird es dann, wenn
keine ausreichenden Schutzvorkehrungen vor einem
Missbrauch dieses Systems vorgesehen werden. Aber
wo die Grundsatzdebatte vermieden wird, da fällt es
leicht, die Notwendigkeit von weiterem Schutz vor
Missbrauch mit Verweis auf die bei der Einführung des
Schengener Informationssystems vorgesehenen Nut-
zungszwecke wegzuwischen.
Der Deutsche Bundestag sollte aus den vergangenen
Entwicklungen in Europa zur Biometrie in Reisepässen
lernen. Auch dort wurden europarechtliche Tatsachen
geschaffen, ohne eine Debatte im eigenen Land über
Sinn und Unsinn zu führen. Übrigens: Auch über Sinn
und Unsinn von biometrischen Daten im Personalaus-
weis hat es noch keine ausreichende Debatte gegeben.
Wir sollten daher die Möglichkeit vielleicht sollte ich
lieber von der Gefahr sprechen der Ausweitung von
Schengen II jetzt und hier diskutieren. Der vorliegende
Antrag kann dazu ein sinnvoller Anstoß sein. Insbeson-
dere sollten die biometrischen Merkmale nicht ohne
Weiteres in das Schengener Informationssystem inte-
griert werden. Die Aufnahme von biometrischen Daten
auch zur Verifikation muss durch ein besonderes Bedürf-
nis gerechtfertigt sein, sonst ist die massenhafte Speiche-
rung von biometrischen Daten schlicht unverhältnismä-
ßig.
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Auch in einer anderen Hinsicht ist die Einführung der
iometrie in die Reisepässe ein mahnendes Beispiel:
as Vorhaben der EU-Spitze, nach den Pässen der
50 Millionen EU-Bürger auch die von den Mitglied-
taaten ausgestellten Visa mit biometrischen Daten auf-
urüsten, erwies sich bereits in der Planungsphase als
öchst komplex und prekär. Die zunächst vorgesehene
ösung, bei der biometrische Merkmale wie Fingerab-
ruck und Gesichtsbild auf RFID-Chips in den Visa ge-
peichert werden sollten, hat sich als technisch nicht
achbar herausgestellt. Nun erleben wir auch bei Schen-
en II, wie zuerst die Wünsche in Beschlüsse gegossen
erden, bevor das technisch Machbare und vor allem
innvolle ausreichend mit Sachverstand erkundet ist.
Was wir in jedem Fall von Schengen II einfordern
ollten, müssen wir uns hinreichend deutlich machen.
ie Gemeinsame Kontrollinstanz von Schengen hat hier
chon 2005 eine gute Vorarbeit geliefert. Wir brauchen
egelungen zu einer klaren und eindeutigen Verantwort-
ichkeit für die Einhaltung des Datenschutzes. Und wir
rauchen Regelungen zu einer effektiven Kontrolle und
atenschutzrechtlichen Überwachung des Systems
chengen II. Diese Aufgabe soll weiterhin den nationa-
en Datenschutzbeauftragten zufallen. Die Gemeinsame
ontrollinstanz soll jedoch ihre Kompetenzen zur Bera-
ung, Kontrolle und Koordinierung verlieren. Gerade die
oordinierung zwischen den nationalen Datenschutzbe-
uftragten ist jedoch unverzichtbar notwendig, um einen
inheitlichen Datenschutz in der Durchführung sicherzu-
tellen. Hier muss in jedem Fall dringend nachgebessert
erden.
Ein Zugriff von Geheimdiensten auf das Schengener
nformationssystem wäre ein grundsätzlicher Fehler und
in Verstoß gegen das Trennungsgebot. Nachrichten-
ienste sind naturgemäß intransparent, ihre Aufgaben,
hre Befugnisse und ihre Arbeitsweisen unterscheiden
ich erheblich von denen der Polizei. Während den
achrichtendiensten Beobachtungsaufgaben zufallen,
ollen die Polizeibehörden Gefahren weniger beobach-
en als vielmehr abwehren. Der rechtliche Sinn des Tren-
ungsgebots ist dabei ganz einfach: Die Nachrichten-
ienste dürfen zwar viel beobachten, mit ihren
nformationen aber relativ wenig anfangen. Die Polizei
arf zwar weniger beobachten, mit ihren Informationen
ber wesentlich mehr anfangen. Damit wird klar, dass
ie Zusammenführung der Datenbanken der Nachrich-
endienste und der Polizei zur Bewahrung des freiheitli-
hen Rechtsstaats begrenzt sein muss. Wer fast alles
eiß, soll nicht alles dürfen; und wer fast alles darf,
oll nicht alles wissen. Das Trennungsgebot muss als
usdruck der bundesstaatlichen, rechtsstaatlichen und
ewaltenteilenden Grundsätze unseres Staates erhalten
leiben. Wenn polizeiliche Daten auch den Nachrichten-
iensten offenstehen, dann wird das Vertrauen des Be-
roffenen auf eine zweckgebundene Verwendung seiner
aten belastet. Wir fordern die Bundesregierung auf,
läne zur Einbeziehung von Geheimdiensten in das
chengener Informationssystem nicht wieder aufzugrei-
en.
Jan Korte (DIE LINKE): Das Schengener Informa-
ionssystem der zweiten Generation ist eine unendliche
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11977
(A) )
(B) )
Geschichte. Mehr noch: Eine Geschichte, die zeigt, wie
technisches Unvermögen auf antidemokratisches Verhal-
ten trifft und so den Weg an den nationalen Parlamenten
vorbei in den Überwachungsstaat ebnet. Aber worum
geht es im Einzelnen? Seit Jahren wird in der Europäi-
schen Union, nicht erst seit dem Beitritt von zehn weite-
ren Staaten zur EU im Jahr 2004, über eine Erweiterung
des Schengener Informationssystems diskutiert. Eilig
verständigte man sich im Rat darauf, künftig nicht nur
biometrische Daten hierin aufzunehmen, sondern weite-
ren Behörden und Institutionen den Zugriff auf die per-
sonenbezogenen Daten im SIS zu ermöglichen. 2005
legte die Europäische Kommission Vorschläge für die
Einführung des Schengener Informationssystems der
zweiten Generation vor. Seitdem ist es schwer, detail-
lierte Informationen über das Projekt zu erhalten. Die In-
formationspolitik der Bundesregierung und des zuständi-
gen Rates für Justiz und Inneres der EU dies legt der
hier zur Diskussion gestellte Antrag der Grünen treffend
dar ist höchst intransparent. Eine Beteiligung bei-
spielsweise des Bundestages und des Europäischen Par-
laments an der konkreten Ausgestaltung von SIS II war
nicht oder nur ungenügend vorgesehen.
Hinzu kommen so die offizielle Darstellung tech-
nische Probleme, sodass die Inbetriebnahme des SIS II
im März 2007 endgültig verschoben werden musste.
Nun wird mit Hochdruck an einer Übergangslösung ge-
arbeitet, an dem sogenannten SISone4All, welches bis
Dezember dieses Jahres in Betrieb gehen soll, spätestens
aber im März 2008. So ganz genau wissen dies die Ver-
antwortlichen in Brüssel anscheinend auch nicht, wie die
aktuelle Fassung der europapolitischen Vorausschau für
den Innenausschuss darlegt. Eines ist indes sicher: Die
Erweiterung des Informationssystems beinhaltet nicht
nur die Anhebung der zu den einzelnen Personen gespei-
cherten Datensätze, die Speicherungsdauer dieser Daten,
die Verwendung biometrischer Daten, sondern umfasst
auch das Fehlen eines Rahmenbeschlusses zum Daten-
schutz in der Dritten Säule und des zu erwartenden Zu-
griffs von nationalen Geheimdiensten auf das Informati-
onssystem. Dabei scheint es die Innenminister der
Mitgliedstaaten der EU wenig zu stören, dass Informati-
onen der Geheimdienste, die demnach Eingang in das
SIS der zweiten Generation finden sollen, nicht zwangs-
läufig auf gerichtsfesten oder belegbaren Tatsachen be-
ruhen müssen, sondern meist spekulativer Natur sind.
Diesen Umstand verschärft insbesondere eine Regelung,
nach der sogenannte Drittstaatenangehörige im SIS II
zwecks Einreiseverweigerung ausgeschrieben bzw. ver-
merkt werden können, wenn sie eine Bedrohung für die
öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die
nationale Sicherheit darstellen. Die Anwendung dieser
schwammigen Vorgabe erfolgt von Mitgliedstaat zu Mit-
gliedstaat unterschiedlich. Eine europaweite Lösung die-
ses konkreten Problems bei der Verwendung des SIS II
wurde nicht gefunden. Die Folgen sind klar: Im Extrem-
fall kann diese Vorgabe genutzt werden, um Menschen
in Zukunft von legitimen und demokratischen Protesten,
wie zum Beispiel denen gegen den G-8-Gipfel in Heili-
gendamm, fernzuhalten und gar nicht erst einreisen zu
lassen. Grenzen werden dadurch nicht abgebaut, wie ur-
sprünglich mit dem Schengener Vertrag vorgesehen,
sondern neue Zäune errichtet.
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Ungeklärt bleibt zukünftig auch, ob es eine Informa-
ionspflicht gegenüber Personen, die im SIS ausge-
chrieben sind, geben wird. Die ist Voraussetzung dafür,
ass Menschen ihre Rechte, wie das Recht auf Berichti-
ung oder Löschung eines entsprechenden Eintrages,
or einem Gericht erwirken können.
Heute nun liegt uns ein Antrag der Grünen vor, der
ehr Transparenz für den europäischen Raum der Frei-
eit, der Sicherheit und des Rechts im Hinblick auf das
chengener Informationssystem fordert. Dieses Anlie-
en findet die Unterstützung der Linken. Gleichzeitig
ber und dies muss eben auch erwähnt sein frage ich
ich, warum die Fraktion der Grünen so zahnlos in ih-
em Antrag argumentiert und damit hinter die Arbeit
hrer eigenen Europaparlamentarier zurückfällt. Das Eu-
opäische Parlament hat sich, neben zahlreichen daten-
chutzrechtlichen Bedenken, klar und deutlich gegen
inen Zugang von Geheimdiensten zum SIS II ausge-
prochen. Hierzu der Berichterstatter des EP, Herr Carlos
oelho am 25. Oktober 2006: Die Abgeordneten wei-
erten sich jedoch, dem Vorhaben des Ministerrates zu-
ustimmen und auch den nationalen Geheimdiensten Zu-
riff zum System zu gewähren. Der Vorschlag, den
eheimdiensten Zugang zu SIS II zu geben, macht kei-
en Sinn.
Die deutschen Grünen wiederum wollen durch ihren
ntrag lediglich festgestellt wissen, dass der Deutsche
undestag den Versuch der Bundesregierung missbilligt,
en Geheimdiensten einen direkten Zugriff auf die Da-
en des SIS II zu ermöglichen. Weiter heißt es, dass der
Deutsche Bundestag [
] hofft, dass der Rat das Ab-
timmungsverhalten des Europäischen Parlamentes in
iesem Punkt übernehmen wird. Ich frage mich, warum
ie an dieser zentralen Stelle so zurückhaltend agieren
nd argumentieren. Denn auch Sie stellen doch völlig zu
echt fest, dass mit der Öffnung des SIS II für nationale
eheimdienste eine Aushebelung der in Deutschland
erfassungsrechtlich verankerten Trennung von Polizei
nd Geheimdiensten stattfindet. Überdies frage ich
ich, warum Sie sich nur gegen einen direkten Zugriff
uf die Daten des SIS II durch Geheimdienste ausspre-
hen. Wir wissen doch alle, dass über Europol Informa-
ionen aus dem SIS II auch Geheimdienste erreichen
erden. Die europäische Polizeibehörde wird nach ihrer
eform, die bereits beschlossene Sache ist, nicht nur mit
m Tisch der SIS-II-Zugriffsberechtigten sitzen, sondern
ben auch die Möglichkeit haben, erhaltene Daten an
ritte weiterzureichen, also auch an Geheimdienste.
inzu kommt, dass mit der Reform von Europol eine de-
okratische Kontrolle des Polizeiamtes durch das Euro-
aparlament oder die nationalen Parlamente weiterhin
icht vorgesehen ist. Doch dazu verlieren Sie in Ihrem
ntrag leider kein Wort. Dabei zeigt doch dieses eine
eispiel anschaulich, dass das SIS der zweiten Genera-
ion nicht als geschlossenes System betrachtet werden
ann, sondern weitere Aspekte und Institutionen in die
ewertung des Systems einbezogen werden müssen.
hre Hoffung, meine Kolleginnen und Kollegen von den
rünen, der Rat würde das Abstimmungsverhalten des
uropäischen Parlaments übernehmen, hilft dem EP kei-
en Schritt weiter. Eine Stärkung demokratischer Mit-
prache und Kontrolle, gerade durch eine Stärkung des
11978 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
(A) )
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Europaparlaments im europäischen Institutionengefüge,
sieht anders aus.
Die Linke kann dem Ansinnen der Grünen insoweit
zustimmen, als dass auch wir den Zugang von Geheim-
diensten zum SIS II verhindern wollen und auch wir uns
gegen die Verwendung biometrischer Daten ausspre-
chen. Dennoch können wir Ihrem Antrag als Gesamtpro-
dukt nicht unsere Zustimmung geben. Neben dem be-
reits Skizzierten sprechen vor allem zwei Gründe
dagegen: Zum einen können wir es nicht mittragen, die
Bundesregierung aufzufordern und so ist es in Ihrem
Antrag formuliert worden einen eindeutigen Zeitrah-
men für die Einführung von SIS II vorzulegen. Zuvor
sind für uns andere, wesentliche Fragen um das SIS II
und SISone4All zu klären. Zum zweiten können wir der
Forderung unter Punkt sechs nicht zustimmen, wonach
dafür Sorge zu tragen sei, dass der Datenschutz bei Po-
lizei und Justiz durch einen Rahmenbeschluss europa-
weit auf hohem Niveau harmonisiert und eine effektive
Datenschutzkontrolle auf nationaler und europäischer
Ebene gewährleistet wird. Diese Forderung ist im Kern
zwar richtig, aber hier kausal der Einführung von SIS II
nachgeordnet. Für die Linke aber ist der Entscheid über
einen Rahmenbeschluss zum Datenschutz in der Dritten
Säule Voraussetzung für Beschlüsse weiterer Maßnah-
men im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zu-
sammenarbeit auf europäischer Ebene. Sie wissen so gut
wie ich, dass ein solcher Rahmenbeschluss seit Jahren
von den Regierungen der Mitgliedstaaten hinausgezö-
gert wird, um rechtlich und demokratisch fragwürdige
Projekte wie das SIS II oder die Überführung des Vertra-
ges von Prüm problemlos umzusetzen. Gerade im Be-
reich der Dritten Säule sucht man demokratische Kon-
trollmechanismen vergeblich. Wir fordern deshalb:
Zuerst einen Rahmenbeschluss mit hohen Standards
über den Datenschutz in der Dritten Säule und danach
eine Debatte über europäische Maßnahmen im Bereich
der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit.
Diese allerdings müssen dann in einem anderen Stil und
in anderen Verfahren geführt werden, das heißt öffent-
lich, transparent und bürgerrechtsfreundlich.
Schließlich hat es mich doch stark verwundert, als ich
Ihren vorliegenden Antrag gelesen habe, warum sich die
Grünen im Innenausschuss bei unserem Antrag 16/3619,
der den Zugriff von Geheimdiensten auf das SIS II ver-
hindern will, der Stimme enthalten haben. Unser Antrag
ist wesentlich konkreter und gibt Innenminister
Dr. Wolfgang Schäuble ein klares Abstimmungsverhal-
ten im Rat an die Hand. Ich hoffe deshalb heute auf Ihre
Zustimmung zu unserem Antrag. Damit hätten wir dann
das eine Problem der Geheimdienste in Bezug auf SIS II
vorerst gelöst, vor allem vor dem Hintergrund der not-
wendigen einstimmigen Entscheidung im Rat über
SIS II, und können dann gemeinsam Fragen des Daten-
schutzes in der Dritten Säule und schließlich die endgül-
tige Überwindung der derzeitigen Konzeption des SIS
der zweiten Generation diskutieren und angehen.
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Am vergangenen Dienstag tagten die europäischen In-
nen- und Justizminister in Brüssel. Bei diesem Treffen
standen auch die Erweiterung des Schengen-Raums und
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ie Weiterentwicklung des Schengen-Informationssys-
ems (SIS) auf der Tagesordnung.
Die erfreuliche Nachricht nach diesem Treffen ist,
ass der Schengen-Raum, ein weltweit einmaliger Raum
hne Schlagbäume und Grenzkontrollen, zum 1. Januar
008 auf die neun 2004 der Europäischen Union beige-
retenen Länder mit Ausnahme von Zypern ausge-
eitet wird. Dies ist ein gutes und wichtiges Signal an
ie neuen EU-Mitgliedstaaten, denn Freizügigkeit und
ngehinderte Reisefreiheit ist ein zentrales Element der
uropäischen Union. Sie machen das Zusammenwach-
en Europas praktisch und emotional erlebbar.
Die deutsche Bundesregierung hat sich in diesem
angwierigen Prozess leider nicht mit Ruhm bekleckert.
as Schengen-Informationssystem II, die technische
lattform für die Erweiterung, sollte eigentlich schon im
ärz 2007 also während der deutschen Ratspräsident-
chaft in Betrieb gehen. Dies wurde von der Bundesre-
ierung auch im Vorfeld der Ratspräsidentschaft immer
ieder betont. Heute wissen wir, dass SIS II nicht vor
ezember 2008 funktionstüchtig sein wird. Gleichzeitig
errschte lange Unklarheit darüber, wann die neuen Mit-
liedstaaten endlich Teil des Schengen-Raums werden
önnen, es fehlt schlicht ein Fahrplan. Dies hat für viel
erunsicherung und berechtigten Unmut gesorgt.
Mit SISone4All wird nun ein Hilfskonstrukt die Zeit
berbrücken bis zum Start von SIS II. Im Grundsatz
leibt zu hoffen, dass dies mit über zwanzigmonatiger
erspätung dann Ende 2008 auch tatsächlich gelingen
ird.
Ich sage bewusst im Grundsatz, denn wir Grüne be-
bachten die konzeptionelle Weiterentwicklung des
chengen-Informationssystems gleichzeitig mit Sorge.
icht nur wir tun dies, sondern auch der Europäische
atenschutzbeauftragte Peter Johan Hustinx und das Eu-
opäische Parlament.
Mit SIS II soll die Zahl der gespeicherten Datensätze
nd Funktionen des Informationsnetzes deutlich ausge-
eitet werden. Der eigentliche Auftrag des Schengen-
nformationssystems ist es, die grenzüberschreitende
ahndung nach Personen und Sachen zu ermöglichen.
ngesichts der Weiterentwicklungen liegt nun der Ver-
acht nahe, dass es zu einem umfassenden polizeilichen
nformationssystem ausgebaut werden soll. Nicht nur
us diesem Grund forderte Peter Johan Hustinx bereits
m April 2006 eine Studie zur Folgenabschätzung für
IS II ein. Diese Studie ist bis heute nicht vorgelegt wor-
en.
Doch weiteres Ungemach droht: Künftig sollen au-
erdem weitere Behörden Zugriff auf die Daten im
IS II erhalten. Der Europäische Datenschutzbeauftragte
at frühzeitig kritisiert, dass diese Behörden die erhobe-
en Daten mangels Zweckbindung auch für andere
ls die vorgesehenen Zwecke verwenden könnten.
All diese Kritik hat bisher leider nicht zu einem Ein-
enken geführt. Ganz im Gegenteil: Die Bundesregie-
ung versuchte noch bei den Verhandlungen über das
IS II im Oktober letzten Jahres, auch den Geheimdiens-
en Zugriff auf die Daten zu verschaffen. Dieses Vorge-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11979
(A) )
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hen war ein Generalangriff auf die in Deutschland ver-
fassungsrechtlich verankerte Trennung von Polizei und
Nachrichtendiensten. Dies war und bleibt ein Skandal.
Mit unserem Antrag mahnen wird daher dringend
mehr Transparenz und eine stärkere Ausrichtung an Bür-
gerrechten bei SIS II an. Wir fordern konkret, dass die
Speicherfrist für Daten nicht verlängert wird, solange sie
nicht stichhaltig begründet werden kann. Wir fordern au-
ßerdem eine strenge Zweckbindung der Daten und des
Zugriffs auf sie. Wir mahnen dringend eine Folgenab-
schätzung insbesondere zur Nutzung biometrischer Da-
ten an. Die Entwicklung in diesem Bereich geht stetig
weiter, ohne dass sich die Verantwortlichen ernsthaft mit
der Frage auseinandersetzen, welche Risiken daraus für
Datenschutz und Bürgerrechte erwachsen.
Datenschützer und das Europäische Parlament haben
ihre Bedenken deutlich formuliert. Der Deutsche Bun-
destag sollte dies ebenfalls tun.
Es ist unerträglich, dass allen voran die Bundesregie-
rung immer wieder neue Vorschläge zur Aushöhlung des
Datenschutzes und damit der Bürgerrechte macht und
sich gleichzeitig über die Bedenken der Datenschützer
hinwegsetzt. Dagegen müssen wir Parlamentarier uns
zur Wehr setzen.
Die Erfahrung der letzten Zeit zeigt: Wo es Daten
gibt, tritt auch immer jemand auf, der sie ohne Maß und
Ziel sammeln und ausschlachten will ohne Rücksicht
auf das Grundgesetz, ohne jegliches Verständnis dafür,
dass Datenfriedhöfe ineffizient und genau deshalb nicht
im Sinne von mehr Sicherheit für die Menschen sind.
Nicht selten heißt dieser jemand Wolfgang Schäuble.
Nach SIS und Flugpassagierdaten werden wir uns be-
stimmt demnächst an dieser Stelle über den Geheim-
dienstzugriff auf das Visa-Informationssystem unterhal-
ten müssen. Diese Konjunktur der Datensammelwut
weitergedacht ist es wahrscheinlich nur eine Frage der
Zeit, bis wir uns an diesem Ort über eine europaweite
Onlinedurchsuchung unterhalten müssen.
Wir als Parlament sind in der Pflicht, zu handeln. Es
genügt nicht, darauf zu hoffen, dass die Forschung ir-
gendwann ein wirksames Medikament gegen Datensam-
melwut entwickelt.
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung:
Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Ände-
rung des Bundespolizeigesetzes
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Bundespolizeigesetzes und anderer Gesetze
(Tagesordnungspunkt 20 und Zusatztagesord-
nungspunkt 5)
Ralf Göbel (CDU/CSU): Die Bundespolizei trägt
durch ihre Arbeit vor allem in den Bereichen Grenz-
schutz, Luftsicherheit und Bahnverkehr entscheidend
zum Erhalt der inneren Sicherheit in Deutschland bei. In
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inem Europa ohne Grenzkontrollen haben sich die Auf-
aben in den letzten Jahren jedoch immer mehr verän-
ert. Ein Teil dieser neuen Aufgaben soll durch die hier
ur Debatte stehende Umsetzung einer EU-Richtlinie in
eutsches Recht übertragen werden. Diese Richtlinie
ieht vor, dass bestimmte Passagierdaten bei Flügen aus
rittstaaten in die EU-Mitgliedstaaten den Grenzschutz-
ehörden auf Anforderung zugänglich gemacht werden
üssen. Dies ist ein wichtiger Schritt zur Bekämpfung
llegaler Migration und nicht zuletzt auch des internatio-
alen Terrorismus.
Die Übermittlung der Daten obliegt hiernach nicht
em Staat, in dem das Flugzeug abfliegt, sondern dem
ntsprechenden Luftfahrtunternehmen. Dadurch wird
en Grenzpolizisten zukünftig mehr Zeit für die Über-
rüfung der Passagiere bleiben. Eine gründlichere Kon-
rolle wird wiederum für illegale Einwanderer eine grö-
ere Hürde darstellen. Weltweit wird dieses System
ereits von vielen Staaten praktiziert, was die Bedeutung
es Instrumentes belegt. Die Richtlinie ist bereits im
eptember 2004 in Kraft getreten und muss innerhalb
on zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden,
odass es Zeit wird, zu handeln.
Die Anforderungen an die Bundespolizei wachsen je-
och nicht nur in diesem Bereich stetig. Durch die
undesweiten und zunehmenden internationalen Ver-
flichtungen ist es unumgänglich, die Strukturen der
undespolizei effizienter zu gestalten. Die Bundespoli-
ei steht vor der Aufgabe, die sich stetig entwickelnden
erkehrsströme zu überwachen. Die Kontrolle von Zug-
nd Flugverkehr werden zunehmend an Bedeutung ge-
innen. Insbesondere der Wegfall der Grenzkontrollen
u den östlichen Nachbarstaaten wird eine erhöhte Auf-
erksamkeit an den Binnengrenzen wie Bahnhöfen
nd Flughäfen erfordern. Deutschland ist ein Transit-
nd Zielland, das an neun Nachbarstaaten grenzt eine
renze von 4 500 Kilometer Länge. Über 3 500 Kilo-
eter Küstenlinie stellt die Schengen-Außengrenze dar.
as deutsche Bahnnetz umfasst 40 000 Kilometer, mehr
ls 180 Flughäfen bestimmen den nationalen und inter-
ationalen Flugverkehr. Nur durch eine Straffung der
rozesse und Strukturen können mehr operative Kräfte
ür die Bekämpfung illegaler Migration, Schleuserkrimi-
alität und des internationalen Terrorismus gewonnen
erden.
Zur Effizienzsteigerung werden die bisherigen fünf
ittelbehörden durch eine zentrale Bundesoberbehörde
n der Nähe von Berlin zusammengefasst. Diese Be-
örde wird zukünftig die operativen Aufgaben des Bun-
esinnenministeriums, der früheren Mittelbehörden
owie der Bundespolizeidirektion übernehmen. Dem
räsidium kommen demnach operative, koordinierende
nd zentral wahrzunehmende Aufgaben zu. Zusätzlich
bernimmt das neue Präsidium Aufgaben, die bislang
on zum Teil unselbständigen Dienststellen, wie zum
eispiel der Zentralstelle für Information und Kommu-
ikation der Bundespolizei, wahrgenommen wurden.
uch andere Angelegenheiten, die zukünftig zentral ge-
egelt werden sollen, wie zum Beispiel die Personalkos-
en, obliegen der neuen Bundesoberbehörde. Die Aufga-
enwahrnehmung in der Bundespolizei wird hierdurch
11980 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
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insgesamt gestrafft, Stabs- und Verwaltungstätigkeiten
werden zugunsten der polizeilichen Aufgabenerfüllung
schlanker und effizienter gestaltet. Dem Bundespolizei-
präsidium unterstehen die Bundespolizeidirektionen, die
Bundespolizeiakademie und die Zentrale Direktion der
Bundesbereitschaftspolizei.
Die bisher 19 Bundespolizeiämter werden zu neun
Bundespolizeidirektionen zusammengefasst. Die neuen
Bundespolizeidirektionen sind gleichmäßig über die Flä-
che der Bundesrepublik verteilt, sodass die Präsenz der
Polizei in der Fläche gewährleistet bleibt. Grundsätzlich
orientiert sich die Verteilung an den Grenzen der einzel-
nen Bundesländer. Nur in Ausnahmefällen erstreckt sich
eine Direktion über einen größeren Bereich. Behörden
und Partnern in einem Bundesland soll zukünftig nur ein
Ansprechpartner der Bundespolizei gegenüberstehen.
Dies gewährleistet eine effektivere Zusammenarbeit.
Die Direktionen werden in ihrem Zuständigkeits-
bereich die Aufgaben der bisherigen Polizeiämter und
insbesondere die einsatzbezogenen Aufgaben der bishe-
rigen Bundespolizeipräsidien übernehmen. Zudem
obliegen ihnen die regionalen Aufgaben der Kriminali-
tätsbekämpfung. Außerdem kommt ihnen die Personal-
hoheit für die Laufbahnen des einfachen, mittleren und
teilweise des gehobenen Dienstes zu. Jede Bundespoli-
zeidirektion verfügt über eine Mobile Kontroll- und
Überwachungseinheit, MKÜ, zur Bewältigung von tem-
porären Einsatzmaßnahmen. Die MKÜs sind nicht an
den Regeldienst gebunden und somit flexibler einsetz-
bar. Sie ermöglichen den Bundespolizeidirektionen,
Spitzenbelastungen oder sich kurzzeitig verändernde
Aufgabenschwerpunkte mit eigenen Kräften zu bewälti-
gen. Die Anzahl der Polizeivollzugsbeamten in den Mo-
bilen Kontroll- und Überwachungseinheiten wird mit
1 200 mehr als verdoppelt. Insgesamt sollen in jeder Di-
rektion nicht weniger als 2 000 und nicht mehr als
3 000 Polizeivollzugsbeamte in der operativen Basis be-
schäftigt werden.
Die Bundespolizeidirektionen bestehen aus 77 Bun-
despolizeiinspektionen, bei denen jeweils 200 bis
300 Polizeivollzugsbeamte eingesetzt werden. In Größe
und Struktur werden alle Inspektionen vergleichbar sein.
Die Inspektionen nehmen grundsätzlich alle bundespoli-
zeilichen Aufgaben wahr, wodurch sie eine höhere Ein-
satz- und Führungsverantwortung bekommen. Im Inte-
resse der Leistungsfähigkeit und Flexibilität muss
zukünftig auf kleinere Inspektionen verzichtet werden.
Unterhalb der Inspektionen können auch Bundespolizei-
reviere eingerichtet werden, sofern dies aus einsatztakti-
schen Gründen erforderlich erscheint. Dies betrifft be-
sonders Einsatzorte, an denen eine regelmäßige Präsenz
in der Fläche erforderlich ist. Die Präsenz in der Fläche
bleibt somit erhalten, wird an den erforderlichen Stellen
sogar aufgabenbezogen gestärkt.
Für den bahnpolizeilichen und grenzpolizeilichen
Aufgabenbereich sind fachliche Kriterien entwickelt
worden, auf deren Grundlage der für die jeweilige Auf-
gabenwahrnehmung erforderliche Personalbedarf ermit-
telt und das für die operative Aufgabenwahrnehmung
erforderliche Personal bundesweit zielgerichtet und aus-
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erichtet am Einsatzschwerpunkt eingesetzt werden
ann. Hierfür wird das durch den Wegfall der systemati-
chen Grenzkontrollen frei werdende Personal nach poli-
eilichen Kriterien bedarfsgerecht eingesetzt.
Vielfach wurde die Entscheidung der neuen Standorte
er Inspektionen kritisiert. Dazu besteht jedoch kein An-
ass: Die Entscheidung über die Standorte ist nicht poli-
isch motiviert, sondern erfolgt einzig nach polizeifachli-
hen Überlegungen. Das ist auch richtig.
Die Zentrale Direktion Bereitschaftspolizei ist
benfalls dem neuen Bundespolizeipräsidium direkt
achgeordnet. In der Direktion werden alle Führungs-,
oordinierungs- und Unterstützungsaufgaben der ver-
andorientierten Einsatzkräfte wahrgenommen. Die Di-
ektion steuert die Einsatzbewegungen und sorgt für eine
leichmäßig hohe Auslastung. Sie koordiniert einen effi-
ienten Einsatz aller Bundesbereitschaftspolizeiabteilun-
en. Dadurch gewährleistet sie den für geschlossene
insätze absolut erforderlichen hohen Qualitätsstandard.
urch diese Organisationsänderung werden vor allem
ie Abteilungsstäbe reduziert, und die Personalstärke der
insatzhundertschaften wird von 117 auf 123 Polizei-
ollzugsbeamte erhöht.
Die Bundespolizeiakademie ist zukünftig zentral zu-
tändig für die Aus- und Fortbildung der Bundespolizis-
en. Der Akademie zugeordnet sind weitere fünf Aus-
nd Fortbildungszentren.
Neben den veränderten Anforderungen im nationalen
ereich hat sich in den letzten Jahren auch die grenzpoli-
ische Zusammenarbeit erheblich verändert. Die interna-
ionale Zusammenarbeit für die innere Sicherheit ge-
innt auch für die Bundespolizei immer mehr an
edeutung. Ein wichtiger Punkt ist der Austausch grenz-
olizeilicher Verbindungsbeamter, die den direkten Aus-
ausch mit den grenzpolizeilichen Behörden der Gastlän-
er sicherstellen. Sie analysieren die grenzpolitische
age und stehen als Mittler und Ratgeber zur Verfügung.
nsgesamt 18 Verbindungsbeamte sind derzeit in 17 Län-
ern eingesetzt, weitere Entsendungen sind in Vorberei-
ung. Weiterhin wird jedoch auch die Teilnahme an poli-
eilichen Auslandmissionen unter der Verantwortung der
ereinten Nationen, der Europäischen Union und der
esteuropäischen Union zunehmend an Bedeutung ge-
innen. Dazu kommt außerdem die operative Zusam-
enarbeit mit der Europäischen Agentur für die opera-
ive Zusammenarbeit an den Außengrenzen, Frontex.
Hinzu kommen außerdem die mandatsgebundenen
uslandseinsätze, zu denen unter anderem auch der Ein-
atz in Afghanistan gehört. Die Bundespolizei leistet mit
hrer Arbeit einen wichtigen Beitrag zum Wiederaufbau
fghanistans und dessen Weg zu innerer Stabilität, zu ei-
em demokratischen Rechtsstaat. Für diesen und andere
insätze wird zukünftig ein Pool für längerfristige Aus-
andsverwendungen bei der Bundespolizei eingerichtet.
Zuletzt unterstehen die Spezialverbände Bundespoli-
eiflugdienst und die GSG 9 der Bundespolizei als zen-
raler Bestandteil dem Bundespolizeipräsidium. Auch in
er neuen Organisation sollen sie zentrale und den Ein-
atz unterstützende Dienstleistungen von hoher Qualität
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11981
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für die gesamte Bundespolizei und externe Bedarfsträger
erbringen. Ihre ganz besondere Leistungsfähigkeit wird
erhalten und ausgebaut werden. Die Spezialverbände
werden in die Neuorganisation so integriert, dass diese
Ziele erreicht werden. Prozessabläufe werden gestrafft
und die Einbindung der politischen Entscheidungsebene
für alle Aufgaben von besonderer Bedeutung sicherge-
stellt. Wesentliche und übergreifende Entscheidungen
mit Blick auf ihre Wirkung für die gesamte Bundespoli-
zei werden grundsätzlich auf der Ebene des zukünftigen
Bundespolizeipräsidiums getroffen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Reform
der Bundespolizei aufgrund der veränderten und gestie-
genen Anforderungen dringend notwendig ist. Die Poli-
zei des Bundes muss an die aktuelle Lage die terroristi-
sche Bedrohung, die illegale Migration, die Schengen-
Erweiterung und die Entwicklung einer europäischen
Sicherheitsarchitektur angepasst werden. Unsere Bun-
despolizisten müssen in der Lage sein, angemessen auf
die veränderte Situation zu reagieren.
Eine Straffung der Organisationsstrukturen und der
Abbau von Stabspersonal zur Gewinnung von mehr poli-
zeilicher Präsenz sind unumgänglich, um die Effizienz
der Bundespolizei zu steigern.
Die Arbeit des Bundesinnenministers verlief zügig
und vorbildlich. Standort- und andere Entscheidungen
sind nicht aus politischen Gründen gefällt worden, son-
dern dem Einsatz einer Projektgruppe aus Behördenlei-
tern, Personalvertretern und anderen Experten zu ver-
danken. Ich danke Herrn Bundesminister Dr. Wolfgang
Schäuble und allen Beteiligten an dieser Reforment-
scheidung an dieser Stelle für ihre hervorragende Arbeit.
Wolfgang Gunkel (SPD): Heute behandeln wir
gleich zwei Änderungen des Bundespolizeigesetzes. Mit
dem ersten Gesetzesentwurf auf Drucksache 16/6291
soll die von Bundesinnenminister Schäuble im Novem-
ber 2006 so überraschend angekündigte Reform der
Bundespolizei verwirklicht werden.
Eine Beteiligung des Deutschen Bundestages ist auf-
grund der angeführten Änderungen im Bundespolizeige-
setz erforderlich.
Die SPD-Bundestagsfraktion ist schon seit der An-
kündigung der Reform hinsichtlich des Zwecks skep-
tisch. Diese Bedenken haben sich mit dem vorgelegten
Regierungsentwurf noch verstärkt.
Begründet wird die Reform mit der veränderten Si-
cherheitslage im Zuge des weltweiten Terrorismus und
des fortschreitenden europäischen Integrationsprozesses.
Insbesondere die Tatsache, dass Deutschland ab dem
nächsten Jahr nur noch von Ländern, die dem Schengen-
Abkommen angehören, umgeben ist und deshalb die
Grenzkontrollen wegfallen, ist für den Bundesinnen-
minister Anlass, die bisherigen Strukturen zu überden-
ken und zu verschlanken. Ebenso ist auch der finanzielle
Aspekt der schrumpfenden Haushaltmittel Motivation
für die Neugestaltung.
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Für die SPD-Bundestagfraktion stellen sich allerdings
inige Fragen, welche die oben schon angekündigten
edenken am Erreichen des Zwecks durch die Reform
etreffen. Diese Bedenken, verbunden mit eigenen Ideen
ur Umsetzung einer Umstrukturierung hat der stellver-
retende SPD-Fraktionsvorsitzende Fritz Rudolf Körper
ereits in der vergangenen Woche in einem Brief an den
undesinnenminister formuliert. Ich möchte im Folgen-
en einige der darin gestellten Fragen aufwerfen.
Bei der von Bundesinnenminister Schäuble immer
ieder gerade in letzter Zeit skizzierten Gefähr-
ungslage erscheint es als geradezu paradox, eine Re-
orm umzusetzen, die eine Veränderung der Aufgaben
ür einige Tausend Polizeibeamtinnen und -beamten be-
eutet. Dass sich mit dem Wegfall der Schengen-Gren-
en auch eine veränderte Sicherheitslage darstellt, bleibt
nbestritten. Diese muss allerdings sorgfältig evaluiert
erden, bevor es zu einer Veränderung der Strukturen
ommen kann. Die Erfahrungen der Westerweiterung,
lso der Wegfall der Grenzen zu den Beneluxländern,
rankreich und Österreich haben gezeigt, dass Aktionis-
us in diesem Moment deplaziert ist. Denn es wurde
ebenso wie jetzt an den Grenzen zu Polen und Tsche-
hien Personal abgebaut, welches dann bald wieder
ufgebaut werden musste.
Wenn man sich ein solches Hin und Her ersparen will,
ollte man die Reduzierung von Personal in dieser Grö-
enordnung noch einmal überdenken.
Das gesetzte Ziel, die Strukturen zu verschlanken und
ie Effizienz zu erhöhen, erscheint äußerst fraglich,
enn man beachtet, dass keine Führungsebene wegfällt,
ondern mit den erforderlich werdenden Revieren noch
ine neue etabliert wird. Die Reviere werden allerdings
ur aufgrund der flächenmäßigen Größe der neu gebilde-
en Inspektionen nötig. Durch die lokale Ausweitung der
uständigkeit von Inspektionen nimmt die Präsenz der
undespolizei in der Fläche ab. Das vorgesehene Ziel,
ehr Einsatzkräfte auf die Straße zu bringen, wird ver-
ehlt.
Das neue Bundespolizeipräsidium und die für Ange-
egenheiten der Bundespolizei zuständige Abteilung im
undesministerium des Inneren haben eine nahezu iden-
ische Aufgabenstruktur. Dadurch werden Kosten ver-
oppelt und nicht minimiert. An dieser Stelle wäre es
achpolizeilich angebracht, dem Vorbild einiger CDU-
eführter Landesinnenministerien zu folgen und die
ührungsfunktionen beim Ministerium zu belassen. Da-
it ist ein Bundespolizeipräsidium mit hohem Kosten-
ufwand verzichtbar.
Es ist nicht gelungen, die Standorte der Bundesbereit-
chaftspolizei in Richtung der erkannten Einsatzschwer-
unkte zu verlagern. Die Verbandskräfte werden nicht
erstärkt, sondern geschwächt, denn effektiv können
ach dem Gesetzesentwurf etliche Beamtinnen und Be-
mte weniger eingesetzt werden. Diese Einheiten wer-
en bei wichtigen Großeinsätzen, Einsätzen zur Terroris-
usbekämpfung, bei denen sie die Landespolizeien oder
as Bundeskriminalamt unterstützen, zukünftig fehlen.
uch dies ist hinsichtlich der Bedrohungsvisionen des
undesinnenministers umso unverständlicher.
11982 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
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Wenn nach dem Wegfall der Schengen-Grenzen eine
verstärkte Verlagerung der Einsatzschwerpunkte auf die
Flughäfen erfolgt, ist es nicht nachvollziehbar, weshalb
Flughafeninspektionen zu Revieren herabgestuft wer-
den. Damit wird man den zukünftigen einzigen Außen-
grenzen nicht gerecht.
Ein weiterer Mangel ist die Nichtvorlage eines Orga-
nisations- und Dienstpostenplanes durch das Bundes-
innenministerium. Dadurch kann nicht nachvollziehbar
erkannt werden, welche personellen Konsequenzen im
Detail zu erwarten sind und mit welchem Kostenfaktor
zu rechnen ist. Der vorliegende Gesetzesentwurf lässt
befürchten, dass gerade bei der Kostenfrage geschönt
worden ist.
Die SPD-Bundestagsfraktion erwartet, dass es im an-
stehenden Gesetzgebungsverfahren noch intensive Ge-
spräche mit dem Bundesinnenministerium zu diesen
Themen geben wird.
Im zweiten Gesetzesentwurf auf Drucksache 16/6292,
der uns heute vorgelegt wird, ist die Richtlinie 2004/82/
EG des Rates vom 29. April 2004 umgesetzt worden.
Ein Vertragsverletzungsverfahren wegen nicht fristge-
mäßer Umsetzung der Richtlinie wurde durch die Kom-
mission bereits eingeleitet.
Die Richtlinie sieht vor, dass Beförderungsunterneh-
men auf Anforderung der Grenzschutzbehörden bei Flü-
gen in den sogenannten Schengen-Raum bestimmte
Passagierdaten übermitteln. Dabei handelt es sich um
folgende Daten: Familienname und Vorname, Geburts-
datum, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, Nummer und
Art des Reisedokuments, Nummer und ausstellender
Staat des Aufenthaltstitels oder Flughafentransitvisums,
Grenzübergangsstelle, Flugnummer, planmäßige Ab-
flug- und Ankunftszeit und ursprünglicher Abflugort,
gebuchte Flugroute, soweit sich das aus den vorgelegten
und vorhandenen Buchungsunterlagen ergibt.
Die Daten werden bei den Verkehrsunternehmen nach
24 Stunden gelöscht. Bei der Bundespolizei werden die
Daten ebenfalls nach 24 Stunden gelöscht, dürfen aber
nach den allgemeinen Regelungen gespeichert werden,
soweit dies für die Aufgabenerfüllung der Bundespoli-
zei, wie den Grenzschutz oder die Strafverfolgung, er-
forderlich ist. Die Speicherung und Übermittlung der so
gespeicherten Daten richtet sich nach dem Bundespoli-
zeigesetz. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt, dass
lediglich die Übermittlung von zehn vertretbaren Grund-
daten vorgesehen ist. Die Voraussetzungen zur Speiche-
rung und Übermittlung der Daten wird gesetzlich
geregelt. Im Gesetzgebungsverfahren müssen die daten-
schutzrechtlichen Aspekte jedoch noch weiter überprüft
werden.
Gisela Piltz (FDP): Im Rahmen der Sicherheitsar-
chitektur der Bundesrepublik Deutschland spielt die
Bundespolizei eine zentrale Rolle. Eine effiziente Auf-
gabenerfüllung trägt damit zu mehr Sicherheit in
Deutschland bei. Vor allem müssen eine schlanke Struk-
tur und klare Zuständigkeiten dazu beitragen, Reibungs-
verluste zu vermeiden und erfolgreiche Arbeit sicherzu-
stellen.
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Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung
ur Änderung des Bundespolizeigesetzes und anderer Ge-
etze wird diesem Anspruch jedoch nur in Teilen gerecht.
as Ziel, die Verwaltung zu straffen und die internen Ent-
cheidungsstrukturen zu verbessern, teilt die FDP-Frak-
on. Es ist aber fraglich, ob der Weg, den die Bundesre-
ierung aufzeigt, zu diesem Ziel führt. Die Schaffung
ines zentralen Bundespolizeipräsidiums und mehrerer
undespolizeidirektionen ist jedenfalls nicht offensicht-
ch geeignet, administrativen Überhang abzubauen und
amit mehr Personal für das operative Geschäft freizube-
ommen. Insbesondere wird in den weiteren Beratungen
u hinterfragen sein, wie Doppelstrukturen und -kompe-
nzen zwischen Bundespolizeipräsidium und Bundesin-
enministerium vermieden werden können. Außerdem ist
us unserer Sicht noch Erläuterung notwendig, weshalb
otz der angestrebten Bündelung von Kompetenzen im
undespolizeipräsidium nicht alle Aufgaben am Sitz des
eu zu schaffenden Präsidiums wahrgenommen werden
ollen. Gerade vor dem Hintergrund, dass die administra-
ven Stäbe verkleinert werden sollen, erscheint mir doch
uch die räumliche Zusammenführung zentral zu erledi-
ender Aufgaben als logische Konsequenz. Dazu bedürfte
s aber grundlegender Reformen, die die Bundespolizei fit
acht für eine effektive Kriminalitätsbekämpfung. Eine
ehr kosmetische Reparatur schafft nicht mehr Freiraum
ür die Einsatzkräfte.
Der Bundesregierung gelingt es mit dem vorliegenden
ntwurf nicht, zu verdeutlichen, wie die Bundespolizei
re Aufgaben mit einem zentralisierten Bundespolizei-
räsidium besser wahrnehmen kann. Die Befürchtung
egt nahe, dass eine Zentrale nach dem Vorbild des FBI
eschaffen wird. Schon bei der Föderalismusreform hat
ie FDP-Fraktion eine zentralisierte Polizeigewalt für
anz Deutschland abgelehnt. Wirksame Kontrollmecha-
ismen für ein bundesweit zuständiges Polizeipräsidium
at die Bundesregierung jedoch nicht vorgelegt. Dabei ist
ie Missbrauchsgefahr bei einer derartigen Bündelung
on Polizeigewalt in einer einzigen Behörde als oberster
ienstherr aller weiteren Bundespolizeibehörden in einem
ünftig nur noch zweistufigen Aufbau deutlich größer.
nsbesondere vor dem Hintergrund der ständig wachsen-
en Aufgaben und Kompetenzen, die die Bundesregie-
ung den Sicherheitsbehörden zuweist, ist eine vernünf-
ge Kontrollstruktur aber von größter Bedeutung.
Die Umstrukturierung der Bundespolizei muss, um
ine positive Wirkung auf die Sicherheitslage in
eutschland entfalten zu können, noch erheblich kon-
retisiert werden. Die FDP-Fraktion wird sich an einer
onstruktiven Debatte hierzu beteiligen; denn es muss
nser gemeinsames Ziel sein, die Kräfte in den Sicher-
eitsbehörden sinnvoll einzusetzen und dazu auch die
otwendigen gesetzlichen Klarstellungen zu treffen.
lankierend müssen bei der Neuorganisation der Ein-
atzkräfte an den verschiedenen Standorten und in den
erschiedenen Bereichen personelle und materielle Res-
ourcen klug umgeschichtet werden. Hier geht es um die
rundsatzentscheidung, in welche Bereiche investiert
erden soll. Mehr Einsatzkräfte vor Ort und an Gefah-
enstellen können nicht durch immer mehr technische
berwachungsmaßnahmen ersetzt werden.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11983
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Das zweite Gesetz, das wir heute zu beraten haben, ist
ein Ausdruck der heute in Deutschland und leider auch
in der EU schwindenden Beachtung des Grundrechts auf
informationelle Selbstbestimmung. Die Datensammel-
wut sucht sich beständig neue Felder. Nach dem vorlie-
genden Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des
Bundespolizeigesetzes können auf Anordnung der Bun-
despolizei von Flugreisenden, die von außerhalb des
Schengen-Gebiets nach Deutschland kommen, perso-
nenbezogene Daten erhoben und für mindestens 24 Stun-
den gespeichert werden. Der dadurch angekündigte Ge-
winn an Sicherheit ist auf den ersten Blick nicht
erkennbar. Denn die Daten müssen doch erst einmal ver-
arbeitet werden. Entweder muss dafür zusätzliches Per-
sonal eingesetzt werden, oder aber das vorhandene Per-
sonal wird mit der Aufgabe betraut, sodass diese Kräfte
dann bei den tatsächlichen Grenzkontrollen fehlen. Der
Argumentation der Bundesregierung, durch die Vorab-
übermittlung würde den Bundespolizisten mehr Zeit
bleiben, die Einreisekontrollen durchzuführen, ist eine
Milchmädchenrechnung: Daten, die erhoben werden, sind
nur dann hilfreich, wenn sie auch ausgewertet werden.
Und das passiert nicht von selbst, sondern bindet Kraft
und Zeit, die oft sinnvoller eingesetzt werden könnte. Die
angenommene Zahl von 3 000 kontrollierten Flügen mit
ungefähr je 200 Passagieren ergibt 600 000 zu überprü-
fende Datensätze pro Jahr. Und damit ist dann immer
noch nicht gesichert, dass ausgerechnet von dem Flieger,
in dem wirklich ein potenzieller Terrorist sitzt, die Daten
angefordert wurden. Besser wäre es daher, das Augen-
merk auf die Arbeit vor Ort zu legen und nicht auf das
Datensammeln. Die Umsetzung der europäischen Richt-
linie, auf der das Gesetz basiert, darf daher nicht dazu
führen, dass von der Ermächtigung ausufernd Gebrauch
gemacht wird. Hier brauchen wir ein klares politisches
Signal: Die informationelle Selbstbestimmung darf nicht
ins Hintertreffen geraten.
Nach der Darstellung der Bundesregierung werden
die Kosten, die durch die Verpflichtung zur Datenüber-
mittlung auf die Luftverkehrsgesellschaften zukommen,
zu vernachlässigen sein. Die Kostenschätzung der Bun-
desregierung beläuft sich auf circa 100 000 Euro jähr-
lich. Da es sich bei der Übermittlung der Daten um eine
Pflicht handelt, die die Luftverkehrsunternehmen nicht
im eigenen Interesse erbringen, sondern quasi als ver-
längerter Arm" der Bundespolizei, ist es nach Ansicht
der FDP-Fraktion erforderlich, dass sie hierfür eine
Kompensation erhalten. Eine entsprechende Regelung
muss in das Gesetz aufgenommen werden.
Die FDP-Fraktion wird die beiden Gesetzesvorhaben
in den anstehenden weiteren Beratungen kritisch, aber
gerne konstruktiv begleiten. Die Schaffung einer Sicher-
heitsarchitektur in Deutschland, die auf klaren Kompe-
tenzzuweisungen, effizienten Strukturen und einer ver-
nünftigen Prioritätensetzung unter Wahrung und
Beachtung der Grundrechte beruht, ist für die Liberalen
eines der zentralen Anliegen in der Innenpolitik.
Petra Pau (DIE LINKE): Erstens. Wir reden wieder
einmal über eine Reform der Bundespolizei. Sie wurde
als Jahrhundertwerk angekündigt, kommt aber nur
Scheibchenweise bei den Parlamentariern an. Und so
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teht auch heute wieder nur ein kleiner Ausschnitt zur
ebatte, während die großen Fragen im Dunkeln blei-
en. Das kritisiere ich.
Es geht um eine Strukturreform. Die Zahl der Stütz-
unkte der Bundespolizei wird verkleinert. Es kommt zu
usammenlegungen und zu Versetzungen. Das alles hat
ür viele eine soziale Komponente. Bis heute aber wer-
en die davon Betroffenen nicht hinreichend einbezo-
en. Auch das ist schlecht.
Zweitens. Und es geht um eine Funktionalreform. Die
ufgaben der Bundespolizei sollen anders gewichtet
erden. Sie bekommt neue Befugnisse und andere Vor-
aben, unter denen die Bundespolizei die neuen Aufga-
en wahrnehmen soll. Und genau deshalb ist es nicht
innehmbar, die Scheibchen dem Bundestag vorzulegen,
as große Ganze aber nicht.
Heute steht unter anderem zur Debatte, dass die Bun-
espolizei zum Beispiel Flugunternehmen Passagierda-
en abverlangen kann. Mit dieser Gesetzgebung werde
ine bindende EU-Vorgabe umgesetzt, heißt es. Was in-
ofern eine Halbwahrheit ist, weil deutsche Innen- und
ußenminister vordem heftig auf diese EU-Regelung
edrängt hatten.
Drittens. Zur Funktionalreform gehört auch, dass die
undespolizei künftig lageunabhängig, man könnte auch
agen nach Willkür, Personenkontrollen durchführen
ann. Ich halte das für höchst bedenklich, weil damit
echtsstaatlicher Boden verlassen wird. Aber diese De-
atte werden wir ja noch einmal führen.
So, wie ich eine weitere Debatte anmahne. Die Bun-
espolizei soll darauf vorbereitet werden, dass sie noch
äufiger im Ausland eingesetzt wird, als bislang. Und da
in ich bei einer Grundfrage. Denn, wenn das so vorge-
ehen ist, dann ist es auch höchste Zeit, dass Polizeiein-
ätze im Ausland nicht länger am Parlament vorbei be-
ohlen werden können.
Viertens. Bundesinnenminister Schäuble hat den Sta-
us quo einmal trefflich beschrieben. Wenn es ein kleines
roblem gibt, dann schicken wir die Bundeswehr zum
insatz. Wenn es schwierig wird, dann greifen wir auf
ie Polizei zurück. Und wenn es ganz kompliziert wird,
ann muss das THW herhalten. Warum das so ist, ist
bersichtlich:
Für Bundeswehreinsätze im Ausland bedarf es einer
ehrheit im Parlament. Je kleiner das Problem ist, desto
rößer scheint die Mehrheit dafür. Umgekehrt: Umso
nsicherer die parlamentarische Mehrheit ist, desto häu-
iger wird die Bundespolizei anstatt der Bundeswehr in
arsch gesetzt. Das ist nicht akzeptabel, übrigens auch
icht für die Polizisten.
Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN): In einer Nacht-und-Nebel-Aktion, ohne
ussprache im Parlament, findet die erste Lesung des
esetzes zur Strukturreform der Bundespolizei statt.
undesinnenminister Schäuble hat allen Grund, die of-
ene Debatte im Bundestag zu scheuen. Die Neuorgani-
ation der Bundespolizei ist Murks. Sie gibt weder Ant-
11984 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
(A) )
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wort auf wichtige inhaltliche Fragen der zukünftigen
Arbeit der Polizeibehörden des Bundes noch können mit
dieser Strukturreform die vorgegebenen Ziele erreicht
werden.
Wir kündigen jetzt schon mal an: Wir wollen eine in-
tensive Beratung im Innenausschuss, wir verlangen die
Offenlegung der Umsetzung im Detail, und wir werden
eine Anhörung beantragen. Bislang habe ich den Ein-
druck, dass hier in verantwortungsloser Weise Geld ver-
schleudert wird, um Wasserkopfstrukturen mit polizeili-
chen Führungsämtern zu erhalten. Statt einer Stärkung
des Einzeldienstes sehe ich einen Rückzug aus der Flä-
che.
Ich melde parlamentarischen Diskussionsbedarf da-
rüber an, ob es richtig ist, wenn sich die Bundespolizei
immer mehr aus der Fläche zurückzieht und ihre originä-
ren Aufgaben wie die Sicherheit im Bahnverkehr zu-
rückschraubt. Gerade in den Abend- und Nachtstunden
erwarten wir eine verbesserte Präsenz der Bundespolizei
auf den Regionalbahnhöfen und in den Nahverkehrs-
zügen der DB.
Wir haben uns immer für eine grundlegende Bundes-
polizeireform ausgesprochen. Aber am Anfang einer
Reform steht eine grundlegende neue Bestimmung der
Aufgabenschwerpunkte. Wir sind für flache Hierarchie-
ebenen und den Abbau von Mittelbehörden. Schon an
den Bezeichnungen der Polizeibehörden wird deutlich,
dass wir teure Doppelstrukturen aufrechterhalten. Was
soll ein Bundespolizeikriminalamt und ein Bundeskrimi-
nalamt? Wofür brauchen wir überhaupt ein Bundespoli-
zeipräsidium, wenn die gleichen Koordinierungs- und
Führungsaufgaben im Bundespolizeireferat des BMI
wahrgenommen werden?
Wir haben die Einsetzung einer Reformkommission
gefordert. Das im BMI weitgehend ohne Beteiligung der
Bediensteten erarbeitete Konzept zeigt, wie recht wir
hatten. Weder wurden die Schnittstellen zwischen Bun-
despolizei und Länderpolizei untersucht, noch ist ein
Abbau von Doppelstrukturen zwischen BKA und Bun-
despolizei erkennbar. Im Bereich der Bahnsicherheit und
Flugsicherheit haben wir durch eine falsche Privatisie-
rungspolitik erhebliche Sicherheitslücken, ein bundes-
weit abgestimmtes Konzept zur Grenzsicherung nach
der Erweiterung des Schengen-Raumes liegt nicht vor.
Mich ärgert, dass seit Wochen Entwürfe für eine
grundlegende Änderung des BKA-Gesetzes herumgeis-
tern, die eine geradezu monströse Aufblähung dieses
Apparates bringen wird. Wie auf einem Flohmarkt
wurde alles zusammengesucht, was man aus den Polizei-
gesetzen der Länder und aus dem Bundespolizeigesetz
so brauchen kann. Auf die Strukturreform der Bundes-
polizei hat es offensichtlich nicht den geringsten Ein-
fluss, dass hier beim BKA nach dem Willen des BMI pa-
rallele Befugnisse geschaffen werden sollen. Dies ist
doch blanker Unsinn. Hier wird es doch zukünftig eine
ständige Abordnung von einer Sicherheitsbehörde zur
anderen geben. Was erhalten bleibt, sind die Wasser-
köpfe in den Zentralen.
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Lassen Sie mich zum Abschluss noch eine Anmer-
ung zur Umsetzung der Ratsrichtlinie über die Weiter-
abe von Passagierdaten machen. Hier wird mal wieder
as EU-Soll übererfüllt. Luftfahrtunternehmen werden
ur Übermittlung von Daten der Drittstaatenangehörigen
erpflichtet. Ich frage mich dabei, ob die Anlage ständig
euer Datenbestände tatsächlich ein Mehr an Sicherheit
ringt. Es schwächt auch unsere Position in den schwie-
igen Verhandlungen mit den USA über die Weiterlei-
ung von Daten der EU-Bürger an die dortigen Sicher-
eitsbehörden.
Gert Winkelmeier (fraktionslos): Es ist schon be-
eichnend für diese Sicherheitswahn-Regierung, dass
an eine heikle Debatte in der Tagesordnung kurz vor
itternacht versteckt. So setzt man darauf, dass mög-
ichst wenige Journalisten den dringend gebotenen Streit
um Thema verfolgen, und so auch der Souverän die
ählerinnen und Wähler nur spärlich informiert wer-
en.
Man muss schon ein wenig tiefer in die Materie ein-
ringen, um zu wissen, dass es sich beim Tagesord-
ungspunkt Drittes Gesetz zur Änderung des Bundes-
olizeigesetzes im Kern um die Debatte zur Weitergabe
on Fluggastdaten handelt. Diese aber wird man nur in
en zu Protokoll gegebenen Reden nachlesen können.
Alle Passagiere, die über die Schengen-Außengrenzen
die Bundesrepublik einreisen, müssen künftig davon
usgehen, dass ihre persönlichen Daten (Name, Geburts-
atum, Geschlecht etc.) der Bundespolizei übermittelt
erden können. Denn die Fluggesellschaften sind ver-
flichtet, alle erhobenen Angaben unverzüglich nach dem
heck-in weiterzugeben.
Lapidar könnte man sagen: Deutschland muss endlich
ie entsprechende EU-Richtlinie umsetzen, weil sonst
ach dem angestrengten Vertragsverletzungsverfahren
trafzahlungen drohen. Herr Schäuble kann also gar
ichts dafür. Nur anscheinend wollte es Minister
r. Maßlos mal wieder noch besser und noch gründli-
her machen. Am liebsten hätte er für die EU ja eine
hnliche Regelung wie in den USA gehabt. Der vorlie-
ende Gesetzentwurf geht über die Vorgaben der Euro-
äischen Union hinaus. Gründlichkeit gilt zwar als ty-
isch deutsche Tugend, aber auch das Hohelied auf die
ürgerrechte wurde hierzulande über Jahre wie eine Art
weite Nationalhymne intoniert. Damit scheint es nun
ndgültig vorbei zu sein.
Zwar hegt der Datenschutzbeauftragte des Bundes
eine Bedenken gegen das Gesetz, da die Daten sowohl
ei den Fluggesellschaften als auch bei der Bundespoli-
ei nach 24 Stunden wieder gelöscht werden müssen.
ber es gibt natürlich wie immer Ausnahmen, wenn
s um Grenzsicherung oder die Verfolgung von Straf-
aten geht. Hier muss man die Frage stellen: Ist das im
weifelsfall Ermessenssache der Bundespolizei? Und an
elchen Maßstäben wird es ermessen? Das Gesetz regelt
ies nicht.
Die Bundesregierung sieht in der Übermittlung der
luggastdaten ein wichtiges Instrument zur Verbesse-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11985
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rung der Einreisekontrolle und zur Bekämpfung illegaler
Einwanderung. Der Innenminister betont zudem den
Mehrwert für die Terrorismusbekämpfung.
Ich sehe in dieser Erhebung eine weitere Etappe beim
Abbau der Bürgerrechte. Die Datensammelwut geht wei-
ter, jeder und jede Einzelne wird erst einmal unter Gene-
ralverdacht gestellt. Vor dem Hintergrund der geschürten
Angst vor dem Internationalen Terrorismus finden In-
nenminister Schäuble und seine Adjutanten immer wie-
der Schleichwege weg von der Bürgerrechtsgesellschaft
hin zum Überwachungsstaat.
Und weil es sich im Dunkeln noch unauffälliger
schleichen lässt, verlegt man solch heikle Debatten lie-
ber mitten in die Nacht einer Parlamentssitzung.
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Entwürfe:
Erstes Gesetzes zur Änderung des Tier-
schutzgesetzes
Gesetzes zur Änderung des Tierschutz-
gesetzes
(Tagesordnungspunkt 21 a und b)
Dr. Peter Jahr (CDU/CSU): Mit dem von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Ersten Geset-
zes zur Änderung des Tierschutzgesetzes sollen mobile
Tierschauen und Zirkusbetriebe mit Tierhaltung in ei-
nem entsprechenden Register erfasst werden. Damit
greift die Bundesregierung eine Entschließung des Bun-
desrates vom 17. Oktober 2003 zum Verbot der Haltung
bestimmter wildlebender Tierarten im Zirkus und zur
Einrichtung eines Zirkuszentralregisters auf. Dies wurde
vor allem aufgrund von nicht zufriedenstellenden Hal-
tungsbedingungen von Zirkustieren gefordert. Mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf wird dem Anliegen des
Bundesrates teilweise Rechnung getragen. Durch das
Register soll erreicht werden, dass in jedem Bundesland
von den Behörden dieselben Daten erhoben und in allen
Behörden automatisierte Verfahren angewendet werden,
damit eine schnelle Datenübermittlung möglich wird.
Dies ist erforderlich, um die Einhaltung tierschutzrecht-
licher Vorschriften bei Betrieben, die regelmäßig ihren
Standort wechseln, effektiv zu überwachen.
Für mich als Tierschutzbeauftragten der Fraktion ist
dies ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Der
Gesetzentwurf beinhaltet die Chance, die Diskussion zu
versachlichen. Beispiele aus der Nutztierhaltung bewei-
sen, dass eine Erfassung des Tieres lückenlos nachvoll-
ziehbare Informationen ermöglicht. Damit können unge-
rechtfertigte Pauschalangriffe auf die Zirkusbetriebe
verhindert werden. Insgesamt geht es darum, bei den
Zirkusbesitzern die sogenannten schwarzen Schafe von
den anderen zu trennen.
Ich freue mich auf die Beratung in dem zuständigen
Ausschuss.
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Seit der Bundesrat die Gesetzesinitiative zur Ände-
ung des Tierschutzgesetzes der Länder Hessen und
chleswig-Holstein in den Bundestag einbrachte, reißt
er Strom von Bürgerzuschriften in meinem Büro nicht
b. Es waren nicht nur organisierte Tierschützer, sondern
or allem einfache Bürger, denen dieses Thema am Her-
en liegt. Sie alle kennen sicher diese Briefe.
Bereits 2001 ergab eine Umfrage des Spiegels, dass
9 Prozent der Befragten das Schächten ablehnen. Des-
alb ist es für die Mehrheit der Bevölkerung wie auch
ür mich als Landwirt und Tierschutzbeauftragten mei-
er Fraktion nicht nachvollziehbar, weshalb sich die
undesregierung offensichtlich einer Unterstützung die-
es Antrages verweigert.
Das Bundesverwaltungsgericht selbst hat durch sein
rteil aus dem November des letzten Jahres die Notwen-
igkeit einer erneuten Klärung der Problematik des
chächtens durch den deutschen Gesetzgeber notwendig
emacht. Wir sind als Gesetzgeber an das Grundgesetz
ebunden. Das viel beredete Spannungsfeld zwischen
eligionsfreiheit und Tierschutz muss von uns geklärt
erden.
An dieser Stelle sei mir eine wichtige Vorbemerkung
estattet. Im umgänglichen Sprachgebrauch wird unter
chächten das betäubungslose Töten von Tieren durch
usblutung verstanden. Dies geht an der aktuellen Ent-
icklung völlig vorbei. Die religiösen Vorschriften zum
chächten treffen keine Aussage zur Frage der Betäu-
ung. Vielmehr geht es um das Töten des Tieres mittels
ines Schnittes und das anschließende Ausbluten. Mitt-
erweile haben sich in der Praxis Schächtverfahren
tabliert, bei der das Tier vorher betäubt werden kann.
enau das ist aber die Kernfrage. Oder um es deutlicher
u sagen: Niemand in Deutschland hat die Absicht, sich
inzumischen, wenn eine bestimmte religiöse Grund-
berzeugung ein spezielles Tötungsverfahren definiert.
ber kein Gott dieser Welt gibt uns das Recht, dem Tier
nnötiges Leid zuzufügen, ganz im Gegenteil: In allen
eligionen finden wir Hinweise, die von einer besonde-
en Verantwortung gegenüber unseren Mitgeschöpfen
prechen.
Genau dieser Aufgabe stellt sich der Gesetzentwurf
es Bundesrates zur Änderung des Tierschutzgesetzes.
iel des Gesetzesantrages ist es, verschärfte Anforderun-
en an Ausnahmegenehmigungen zum Schächten im
ierschutzgesetz festzulegen. Danach soll die zuständige
ehörde eine Ausnahmegenehmigung für eine Schlach-
ung ohne Betäubung nur erteilen dürfen, wenn der An-
ragsteller beweisen kann, dass zwingende Vorschriften
hm das Schächten vorschreiben und dass das Schächten
m Verhältnis zum Schlachten mit vorheriger Betäubung
ür das Tier keine zusätzlichen erheblichen Schmerzen
nd Leiden bedeutet.
Als Tierschutzbeauftragter der CDU/CSU-Bundes-
agsfraktion befürworte ich diesen Gesetzesentwurf. Nur
urch ein Tätigwerden des Bundesgesetzgebers kann das
pannungsfeld zwischen den Verfassungsgütern Tier-
chutz und Religionsfreiheit in einer Weise gelöst wer-
en, die beiden gerecht wird.
11986 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
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So ist der geforderte Nachweis zwingender religions-
gemeinschaftlicher Vorschriften eine Verbesserung der
bisherigen Praxis. Der Tierschutz wird dadurch nicht
mehr der Beliebigkeit preisgegeben. Besonders zu be-
grüßen ist zudem das Erfordernis einer Vergleichbarkeit
mit den entstehenden Schmerzen der Tiere. Für die Tiere
darf das Schächten nicht mit erheblich mehr Leiden ver-
bunden sein, als sie beim gewöhnlichen Schlachten auf-
treten. Eine solche bundesweit einheitliche Lösung in
dieser wichtigen Frage, die viele Bürgerinnen und Bür-
ger bewegt, ist längst überfällig.
Die Einschätzung der Bundesregierung, dass die Ver-
schärfung der Anforderungen für das Schächten verfas-
sungsrechtlich bedenklich sei, teile ich nicht. Denn das
Schächten wird nicht verboten werden, sondern die An-
forderungen für die Erteilung einer Ausnahmegenehmi-
gung, also für das betäubungslose Schächten, werden im
Lichte der Staatszielbestimmung des Tierschutzes ange-
messen bewertet. Denn der Gesetzestext ist eine be-
wusste Wertentscheidung unserer Gesellschaft für den
Tierschutz! Dies bedeutet keinen unbegrenzten Tier-
schutz, aber auch keine grundsätzliche Höherstellung
der Religionsfreiheit. Aufgabe des Gesetzgebers ist es,
zwischen den sich gegenüberstehenden Verfassungs-
gütern einen Ausgleich zu finden, der allen betroffenen
Belangen gerecht wird. Demnach sieht die Gesetzesini-
tiative auch kein grundsätzliches Verbot, sondern eine
verstärkte Beschränkung des Schächtens im Interesse
des Tierschutzes vor. Die Tatbestandsmerkmale des § 4 a
Abs. 2 Nr. 2 Tierschutzgesetz müssen demnach enger zu
verstehen und objektiv überprüfbar sein. Im Hinblick auf
religiöse Überzeugungen werden aber auch weiterhin
Ausnahmen möglich sein. Deren Vorraussetzungen hat
dann aber der Antragssteller darzulegen. Im Hinblick auf
das hohe Gut des Tierschutzes ist dies auch angemessen.
Das Kriterium der Vermeidung zusätzlicher erhebli-
cher Leiden und Schmerzen wird ebenfalls dem Verfas-
sungsrang des Tierschutzes gerecht. Es besteht kein reli-
giös begründetes Interesse an zusätzlichen erheblichen
Schmerzen beim Töten von Tieren. Sowohl Tierschützer
als auch die Glaubensgemeinschaften stimmen in dem
Bestreben überein, Tiere vor vermeidbaren Schmerzen
zu schützen. So galt das rabbinische Gebot, den
Schmerz der Tiere zu vermeiden, schon lange vor
europäischen Tierschutzgesetzen. Auch vonseiten isla-
mischer Rechtsgelehrter gibt es Aussagen, die die Betäu-
bung vor dem Schächten nicht im Widerspruch mit den
islamischen Vorschriften sehen. Beispielsweise sei ein
Gutachten des Hohen Amtes für Religiöse Angelegen-
heiten der Türkischen Republik aus dem Jahr 2004 er-
wähnt. Hierin heißt es, dass Schlachttiere weder gequält
werden noch unnötig leiden sollen. Die Betäubung der
Tiere vor dem Schächten ist nicht gegen den islamischen
Sinn des Schächtens. Weiterhin stellt das Europäische
Halal-Zertifizierungsinstitut, getragen vom Islamrat für
die Bundesrepublik Deutschland und dem Bündnis der
islamitischen Gemeinschaften in Norddeutschland, fest,
dass Betäubungsmethoden, die die Tiere vor Schmer-
zen und Leiden bei der Schlachtung schützen, anzuwen-
den sind.
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Dabei stellt sich die Frage nach der praktischen Be-
eutung der Ausnahmegenehmigungen. Zunächst muss
och einmal daran erinnert werden, es besteht in
eutschland ein grundsätzliches Verbot für ein Schlach-
en ohne Betäubung. Gemäß dem Tierschutzgesetz
edarf es jedoch keiner Betäubung, wenn dafür eine
usnahmegenehmigung erteilt wurde. Diese darf nur in-
oweit erteilt werden, als es erforderlich ist, den Bedürf-
issen von Angehörigen bestimmter Religionsgemein-
chaften zu entsprechen, denen zwingende Vorschriften
hrer Religionsgemeinschaften das Schächten vorschrei-
en. Dabei wird auch hier das Schächten mit dem betäu-
ungslosen Töten von Tieren gleichgesetzt.
Die religiösen Vorschriften im Judentum und im Is-
am zielen darauf ab, dass das Essen rein ist. In beiden
eligionen gilt Fleisch nur dann als rein, wenn es lebend
nd unversehrt ausgeblutet ist. Allerdings kommt eine
om Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundes-
ages angefertigte Ausarbeitung zum Schluss, dass
Ausnahmegenehmigungen nicht in der Weise prakti-
che Relevanz besitzen, wie dies in den Medien zum Teil
ermittelt wird. Außer in Bayern und Baden-Würt-
emberg waren im Zeitraum 2003 bis 2006 Ausnahme-
enehmigungen zum Schächten praktisch nicht von
edeutung. Die geringe Inanspruchnahme ist mit der
erbreiteten Anwendung der Elektrokurzzeitbetäu-
ung zu erklären. Anscheinend wird diese Methode von
en betroffenen Akteuren als Möglichkeit akzeptiert, so-
ohl den Belangen des Tierschutzes als auch den reli-
iösen Speisevorschriften gerecht zu werden.
Auf Grundlage dessen muss ein vorurteilsfreier Dia-
og möglich sein, ob eine Betäubung von Tieren unmit-
elbar vor dem Schächten mit den religiösen Vorschriften
ereinbar ist. Meiner Meinung nach ist ein Kompromiss
öglich. Das Tier wird nur betäubt, es ist also nicht tot.
as unmittelbar anschließend stattfindende Schächten
st also möglich. Das Tier spürt jedoch keine Schmerzen.
amit kann der Religionsfreiheit und dem Tierschutz
raxisgerecht Rechnung getragen werden. Dies ent-
pricht auch den Erfahrungen, die bereits in anderen
ändern gemacht worden sind. So haben in Dänemark,
sterreich und den USA Muslime die Kurzzeitbetäu-
ung vor dem Schächtschnitt als Kompromiss aner-
annt.
Eben diese Methode der Elektrokurzzeitbetäubung als
lternative zum betäubungslosen Schächten beabsich-
igt auch die Gesetzesinitiative in das Tierschutzgesetz
ufzunehmen. Tiere sind vor dem Schlachten wirkungs-
oll zu betäuben. Jede Begründung, warum Tiere nicht
it modernen Methoden vor dem Schlachten betäubt
erden können, ist schlicht und ergreifend nicht nach-
ollziehbar. Die Gesetzesinitiative erscheint mir hierbei
ine angemessene Antwort.
Abschließend möchte ich noch einmal deutlich ma-
hen, dass das betäubungslose Schlachten grausam und
it erheblichem Leid der Tiere verbunden ist. Die not-
endige Fixierung der Tiere auf dem Rücken oder auf
er Seite ist im hohen Maße angstauslösend. Beim
chächtschnitt selbst erleiden die Tiere erhebliche
chmerzen.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11987
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Wissenschaftliche Untersuchungen haben zudem er-
geben, dass die Tiere noch bis zu mehreren Minuten
nach dem Schnitt bei vollem Bewusstsein sind. So
durchleiden die Tiere mitunter einen mehrminütigen
Todeskampf, obwohl Hauptschlagader und Luftröhre
durchtrennt worden sind.
Aus Sicht des Tierschutzes ist das betäubungslose Tö-
ten von Tieren unbedingt abzulehnen. Ziel muss es sein,
dass in Deutschland das Schächten ohne Betäubung
verboten bleibt. Tierschutzgerechte Schlacht- und Betäu-
bungsmethoden, die den religiösen Bedürfnissen Rech-
nung tragen, sind vorhanden und müssen genutzt wer-
den. Deshalb unterstütze ich die vorgeschlagene
Gesetzesänderung des Bundesrates. Diese ermöglicht es,
den Tierschutz mit den betroffenen Grundrechten wirk-
lich in ein ausgeglichenes Verhältnis zu bringen und dem
seit 2002 bestehenden Verfassungsrang des Tierschutzes
endlich gerecht zu werden.
Die schroffe Ablehnung seitens der Bundesregierung
ist übereilt und nicht nachvollziehbar. Hier besteht noch
erheblicher Diskussionsbedarf.
Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Zu sehr später
Stunde sind zwei Gesetzesvorlagen zur Änderung des
Tierschutzgesetzes in erster Lesung aufgerufen. Der
erste Gesetzentwurf, der uns heute beschäftigt, soll den
Weg ebnen zur Errichtung eines Zirkuszentralregisters.
Nach vielen Diskussionen wird nun endlich dafür ge-
sorgt, dass die einschlägigen Bestimmungen zum Tier-
schutz in unseren Zirkusunternehmen besser überwacht
werden können. Das geplante Register wird bundesweit
mobile Tierschauen und Zirkusbetriebe mit Tierhaltung
erfassen.
Es gibt circa 300 Zirkusunternehmen, in denen Tiere
mitgeführt werden. Wir wissen aus der Anhörung unse-
res Ausschusses, dass es in diesen Unternehmen immer
wieder zu gravierenden Mängeln kommt. Zirkusunter-
nehmen sind ein traditionell reisendes Gewerbe. Bisher
war er ihnen möglich, sich durch Standortwechsel den
behördlichen Auflagen zu entziehen. Für die regional
zuständigen Vollzugsbehörden und Veterinärämter ist es
enorm schwierig, die tierschutzrechtlichen Vorgaben tat-
sächlich durchzusetzen. Mit dem vorliegenden Gesetz-
entwurf schaffen wir nun endlich die Möglichkeit einer
effektiven Überwachung und der Einhaltung tierschutz-
rechtlicher Vorschriften. Wir stellen sicher, dass alle not-
wendigen Daten über Missstände, Mängel und behördli-
che Auflagen zentral erfasst und allen für die Aufsicht
von Zirkusunternehmen zuständigen Behörden länder-
übergreifend zugänglich gemacht werden. Daher be-
grüße ich diesen Gesetzentwurf ausdrücklich und unter-
stütze ihn.
Bei der Gesetzesvorlage des Bundesrates zur Ände-
rung des Tierschutzgesetzes debattieren wir, unter wel-
chen Voraussetzungen in Deutschland geschächtet wer-
den darf. Diese Frage hat die tierschutzpolitische
Diskussion seit vielen Jahren entscheidend bestimmt und
wesentlich dazu beigetragen, dass der Tierschutz als
Staatsziel in unser Grundgesetz aufgenommen wurde.
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amit haben wir das rechtliche Gewicht des Tierschut-
es eindeutig gestärkt.
Als tierschutzpolitischer Sprecher der SPD-Bundes-
agsfraktion und auch als Tierarzt, der verpflichtet ist,
as Leiden von Tieren zu verhüten, fühle ich mich durch
ie Schächtproblematik in besonderer Weise betroffen.
as Töten eines Tieres ist immer ein dramatischer Mo-
ent, der bei vielen Menschen selbst wenn vorge-
chriebene Betäubungsmethoden angewendet werden
ehr starke Emotionen und eine große Betroffenheit aus-
öst. Darum liegt mir die tierschutzgerechte Betäubung
on Schlachttieren in besonderer Weise am Herzen. Nur
o lässt sich unnötiges Leiden von Tieren vermeiden.
Es herrscht ein breiter Konsens in unserer Gesell-
chaft und es ist ein ethisches Gebot, dass wir auch für
nsere Tiere als Mitgeschöpfe eine besondere Verant-
ortung tragen. Das betäubungslose Schlachten von Tie-
en regelt § 4 a Abs. 2 des Tierschutzgesetzes. Der nun
om Bundesrat auf Initiative des Landes Hessen einge-
rachte Gesetzesentwurf zur Novellierung des Tier-
chutzgesetzes ist vor dem Hintergrund der Entschei-
ung des Bundesverwaltungsgerichtes vom November
006 zu sehen. Dieses Urteil hat das Recht eines türki-
chen Metzgers bestätigt, in seinem Betrieb Schlacht-
iere zu schächten. Ich möchte in diesem Zusammen-
ang alle zu einer sachlichen Diskussion aufrufen, in der
uch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
it einbezogen werden muss. Wir müssen im konkreten
all eine angepasste Rechtsgüterabwägung zwischen
em Tierschutz als Staatziel einerseits und dem Grund-
echt auf Religionsfreiheit auf der anderen Seite vorneh-
en. Den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf halte ich für
ine gute Grundlage, dieses Thema noch einmal ernst-
aft zu diskutieren.
Ich stelle gleichzeitig fest, dass sich dieses sensible
hema jedoch nicht dazu eignet, politische Profilierung
u betreiben. In den vergangenen Monaten haben mich
nzählige Briefe von Bürgern und Bürgerinnen erreicht,
ie sich kritisch und ernsthaft mit der Schächtproblema-
ik auseinandersetzen. Vielen Kolleginnen und Kollegen
n diesem Haus geht es ähnlich. Ich habe viele fundierte
rgumente wahrgenommen und werde mich bemühen,
ie in meinen persönlichen Entscheidungsprozess ein-
ließen zu lassen. Mich haben aber auch Briefe erreicht,
eren Inhalt gegen die Glaubensüberzeugung unserer jü-
ischen und muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbür-
er gerichtet ist. Das macht mich sehr betroffen. Wir
ürfen und werden es nicht zulassen, dass Argumente
egen das Schächten mit zum Teil klaren rassistischen
ntertönen unterlegt werden. Eine Debatte egal zu
elchem Thema auf dem Rücken von Minderheiten zu
ühren, ist zutiefst verabscheuenswürdig und muss von
llen am Diskussionsprozess Beteiligten aufs Schärfste
erurteilt werden.
In der Diskussion um den vorliegenden Gesetzent-
urf werden wir prüfen müssen, ob es nach Abwägung
er bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungs-
erichts möglich ist, den Anwendungsbereich des § 4 a
bs. 2 des Tierschutzgesetzes so zu fassen, dass die An-
ahl der in Deutschland geschächteten Tiere auf ein Mi-
11988 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
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nimum reduziert wird. Wie es im Gesetzentwurf vorge-
sehen ist, soll der Antragsteller zukünftig für jeden
einzelnen Schlachtvorgang zwingend den Begründungs-
zusammenhang zwischen seinem individuellen Glau-
bensinteresse und dem Schächten darlegen. Das befür-
worte ich ausdrücklich.
Den zweiten Halbsatz der Gesetzvorlage sehe ich je-
doch kritisch. Hier wird der Nachweis des Antragstellers
gefordert,
dass vor, während und nach dem Schächt-
schnitt bei dem Tier im Vergleich zu dem Schlach-
ten mit der vorgeschriebenen vorherigen Betäubung
keine zusätzlichen erheblichen Schmerzen oder
Leiden auftreten
Dieser Nachweis kann nach den Ergebnissen der bisheri-
gen wissenschaftlichen Untersuchungen nicht erbracht
werden, da der Schächtvorgang sehr wohl mit zusätzli-
chen Schmerzen verbunden ist. Ich frage Sie daher: Wie
soll dann ein Antragsteller die Vermeidung zusätzlicher
Schmerzen im Lichte der gegenwärtigen wissenschaftli-
chen Erkenntnisse jemals glaubhaft darstellen? Wenn
diese Bedingung niemals erfüllt werden kann, bedeutet
das für mich im Umkehrschluss, dass zukünftig in jedem
Fall eine Genehmigung zum Schächten versagt werden
muss. Dies kommt dann einem faktischen Schächtverbot
gleich, was aus tierschutzrechtlicher Sicht zwar begrü-
ßenswert ist, aber der gebotenen Rechtsgüterabwägung
wahrscheinlich nicht entspricht. Ich muss feststellen,
dass wir uns, wenn wir dem vorliegenden Gesetzentwurf
in der gegenwärtigen Form zustimmen würden, vermut-
lich nicht mehr im Rahmen des Grundgesetzes bewegen.
Wir stehen jetzt am Anfang des Gesetzgebungsver-
fahrens. Die weiteren Beratungen in den nächsten Wo-
chen und Monaten werden zeigen, ob ein Ausgleich zwi-
schen dem beabsichtigten Zweck des Gesetzes einerseits
und der Verfassungsvorgabe andererseits zu erreichen
ist. Ziel muss es weiterhin sein, die Zahl der in Deutsch-
land geschächteten Tiere auf das unvermeidbare Maß zu
reduzieren.
Hans-Michael Goldmann (FDP): Mit zwei Gesetz-
entwürfen soll der Tierschutz in Deutschland gestärkt
werden. Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung, der die Einführung ei-
nes Registers zur Erfassung von Tierhaltung in mobilen
Tierschauen und Zirkusbetrieben vorbereiten soll.
Die Anhörung des ELV-Ausschusses hat im letzten
Jahr ergeben, dass ein generelles Verbot der Wildtierhal-
tung in Zirkussen unter dem Aspekt des Tierschutzes aus
wissenschaftlicher Sicht nicht erforderlich ist. Es kommt
darauf an, wie die Tiere gehalten werden. Weder beste-
hende Vollzugsdefizite bei der amtstierärztlichen Begut-
achtung von Zirkussen noch Verstöße gegen geltendes
Tierschutzrecht in einzelnen und zu Recht beklagens-
werten Fällen rechtfertigen ein generelles Verbot.
Unbestritten ist aber die Notwendigkeit der Errich-
tung eines Zirkuszentralregisters. Dabei muss zugleich
sichergestellt werden, dass die jeweiligen Tiere und
nicht nur die Betriebe registriert werden. Das Führen
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on Stallbüchern sollte für Zirkusse verpflichtend wer-
en. Darauf sollte die Regierung bei der geplanten Ver-
rdnung achten.
Die kontinuierliche veterinärmedizinische Bestands-
etreuung ist notwendige Voraussetzung für tiergerechte
altung. Zirkusse, die nicht willens oder in der Lage
ind, eine angemessene und dauerhafte tierärztliche Be-
reuung ihres Tierbestandes zu gewährleisten, erfüllen
icht die Voraussetzungen, die an Tierhalter gestellt wer-
en müssen. Hier liegt ein ähnliches Problem vor wie bei
er Haltung von Tieren im privaten Bereich Tierhal-
ung bringt eine große Verantwortung mit sich. Dass ei-
ige dieser Verantwortung nicht gerecht werden, kann
ber keine Begründung für ein generelles Verbot der
altung von Tieren sein. Damit würden auch die getrof-
en, die verantwortungsbewusst und rechtstreu sowie am
ohle der Tiere orientiert handeln. Es muss jedoch da-
über diskutiert werden, ob bestimmte Tierarten grund-
ätzlich nicht für die Haltung in Zirkussen geeignet sind,
ie beispielsweise Bären und Affen.
Der zweite Gesetzentwurf, der vom Bundesrat einge-
racht wurde, ist abzulehnen. Der Bundesrat möchte das
ierschutzgesetz insoweit ändern, als dass die Behörden,
ie die Ausnahmegenehmigungen zum Schächten ertei-
en, künftig noch strengere Kriterien anzulegen hätten.
nsbesondere sollen die Antragsteller nachweisen, dass
s in ihrer Religion keine Alternative zum betäubungslo-
en Schächten gibt.
Diese Vorschläge sind aus Sicht der FDP hochproble-
atisch. Wir haben Zweifel, dass diese Änderung dem
rteil des Bundesverfassungsgerichts vom Januar 2002
erecht wird. Das Verfassungsgericht hatte ausdrücklich
rklärt, dass der Staat sich nicht zum Schiedsrichter über
ie richtige Auslegung von religiösen Vorschriften erhe-
en darf. Er hat religiöse Neutralität zu wahren. Dabei ist
s völlig unerheblich, ob der Staat religiöse Vorschriften
ür sinnvoll hält, für antiquiert oder ob man andere Mit-
lieder der Glaubensrichtung vorweisen kann, die diese
orschriften ganz anders oder großzügiger auslegen.
ach der Rechtsprechung des BVerfG ist ausreichend,
enn derjenige, der die Ausnahmegenehmigung bean-
ragt, nachvollziehbar und belastbar darlegt, dass nach
emeinsamer Überzeugung der Glaubensgemeinschaft
er Verzehr von Tieren zwingend eine betäubungslose
chlachtung voraussetzt.
Auch der vom Bundesrat gewollte Nachweis, dass das
chächten keine zusätzlichen erheblichen Schmerzen
erursache, ist verfassungsrechtlich bedenklich. Im Er-
ebnis würde damit das Grundrecht auf Religionsfreiheit
eitgehend leerlaufen, wie die Bundesregierung in ihrer
tellungnahme zu Recht ins Feld führt, weil ein solcher
ositiver Nachweis kaum zu erbringen ist.
Es stellt sich mir die Frage, ob den Initiatoren des Ge-
etzentwurfs im Gegenzug der negative Nachweis gelin-
en würde, dass das fachgerechte Schächten tatsächlich
ine größere Qual für die Tiere ist als die herkömmliche
berwiegend in Deutschland praktizierte Schlachtung.
atsächlich gibt es durchaus seriöse Erkenntnisse, wo-
ach das fachgerechte Schächten bereits beim ersten
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11989
(A) )
(B) )
Schnitt durch einen Nervenschock zu einer Bewusstlo-
sigkeit des Tieres führt.
Im Rahmen der Ausschussberatungen wird es Gele-
genheit geben, sich mit diesen Fragen noch intensiv aus-
einanderzusetzen. Für die FDP aber steht die staatliche
Neutralität in religiösen Fragen nicht zur Disposition.
Bodo Ramelow (DIE LINKE): Auf der Tagesord-
nung steht als Ankündigung ein Tierschutzgesetz bzw.
die erste Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfes eines ersten Gesetzes zur Änderung
des Tierschutzgesetzes. Dazu mit aufgerufen ist die Be-
ratung der Bundestagsdrucksache 16/6233. Als Einbrin-
ger fungiert hier der Bundesrat.
Wenn ich den Arbeitstitel des Tagesordnungspunktes
wörtlich nehme, handelt es sich also bei dem Gesetz, das
wir hier behandeln wollen, um ein Gesetz, das die Tiere
schützen soll. Dies suggeriert jedenfalls der Begriff
Tierschutzgesetz. Hierbei möchte ich aber ausdrück-
lich erwähnen, dass hier zwei Grundsätze von Verfas-
sungsrang miteinander in Widerstreit sind: die Freiheit
der Religionsausübung und der Tierschutz.
Ein Gesetz, das Tiere schützt, müsste also das Leben
der Tiere umfassen, und der geneigte Abgeordnete
müsste schlussfolgern, dass sich der Bundestag um le-
bende Tiere bzw. um das Leben der Tiere im schützen-
den Sinne Gedanken machen möchte und dazu schluss-
endlich auch ein Gesetz erlassen würde. Weit gefehlt!
Denn um das Leben der Tiere geht es genau bei dem ein-
gereichten Gesetzestext nicht. Es geht vielmehr um das
Ende eines Tierlebens und um die funktionale Umwand-
lung eines Tieres in zum Verzehr geeignetes Fleisch. Es
geht also um die Schlachtung, und es geht um Schlacht-
tiere. Die Überweisung, die vorgeschlagen wird in die
Ausschüsse für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz und Umwelt und Naturschutz, scheint mir
deshalb konsequent zu sein, denn dort wird man sich mit
Themen wie Hygiene bzw. unter dem Aspekt des Ver-
braucherschutzes möglicherweise auch mit veterinärme-
dizinischen und hygienerechtlichen Bestimmungen be-
schäftigen.
Man könnte also erwarten, dass es bei dem einge-
reichten Gesetz um die Rahmenbedingungen für
Schlachttiere vor dem Schlachten und die Hygienebedin-
gungen unter dem Aspekt des Verbraucherschutzes für
das aus den Schlachttieren entstehende Fleisch als Nah-
rungsmittel gehen würde. Weit gefehlt! Weder beschäf-
tigt sich der Gesetzgeber in seinem Begründungstext mit
den Schlachttieren, den Lebendtransporten, den Zustän-
den auf dem Fleischmarkt oder mit den gigantischen
Transportmengen von Lebendtieren, die einzig zum
Zweck der Auslastung großer Schlachtbetriebe quer
durch Europa gekarrt werden und die teilweise auch des-
halb lebend transportiert werden, damit sie als vermeint-
liches regionales Schlachtgut unter veränderten Begrif-
fen wie in veredelter Form als Parmaschinken oder als
Südtiroler Bauchspeck wieder in den Lebensmittelmarkt
kommen, noch geht es um die Hygienebedingungen oder
grundsätzliche Fragen, wie sie bei Hausschlachtungen
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elbstverständlich gesetzgeberisch geregelt sind, also
richinenschau usw.
Es geht bei genauer Betrachtung des Textes aus-
chließlich um eine einzige Schlachtvorschrift, die sich
m Kern weniger mit den vorgenannten Fragen beschäf-
igt, als ausschließlich mit Dingen, die religiöse Gefühle
on Menschen betreffen, die in Deutschland leben, sich
ls gläubige Menschen empfinden und wahrnehmen und
brahamitischen Weltreligionen angehören, aber eben
icht der christlichen Weltreligion. Es geht um das
chächten, also um das Zu-Tode-Bringen eines Tieres,
ei dem religiöse, jahrtausendealte mündlich oder
chriftlich weitergegebene Schlachtungsregeln zur An-
endung kommen. Es geht um das Schächten, welches
owohl im jüdischen als auch im moslemischen Glauben
n den jeweiligen religiösen Riten und für die gläubigen
enschen eine große Rolle spielt. Es geht um koscheres
leisch für die Juden und um halales Fleisch für die
uslime.
Als Christ erinnere ich mich sehr gut an die Diskus-
ion vor 20 oder 30 Jahren in Westdeutschland, als die
rsten türkischen Gemeinden zum Opferfest das Schäch-
en als Teil ihrer Religionsausübung praktizierten. Das
ührte zu Entsetzen und die Unwissenheit um das, was
raktiziert wird, und die Verwechslung des Schächtens
ls alttestamentarische Form der ausschließlichen Dar-
ringung eines Opfertieres führte immer wieder zu hefti-
en Reaktionen. Hier konnte man zum ersten Mal das
efühl bekommen, dass das christliche Abendland be-
roht sei durch Schlachtrituale, die in einer bestimmten
orm angewendet werden und die trotzdem zur Entste-
ung von Schlachtgut, also letztendlich zu geschächte-
em Fleisch, welches zum Verzehr dienen soll, prakti-
iert wurden. Es geht also um Vorschriften, die für Tiere
n der Grenzlinie zwischen Leben und Tod stehen. Hier
estehe ich als Christ, dass ich mir manches vorstellen
der auch persönlich ablehnen kann; aber trotzdem re-
pektiere ich, dass gläubige Menschen im Kontext der
brahamitischen Weltreligionen bestimmte Vorschriften
is heute praktizieren, die für unsere Glaubensvorfahren
uch gegolten haben.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch erwäh-
en, dass die Schlachtungsregeln im Judentum und Is-
am gerade als Tierschutzmaßnahme betrachtet werden,
lso den Schmerz für das Tier möglichst auszuschließen.
b eine vorherige Betäubung religionsgesetzlich erlaubt
st, bedarf in der Tat der Beurteilung durch zu hörende
xperten der jeweiligen Religionsgemeinschaften. Im
udentum zum Beispiel gibt es Rabbiner, welche gleich-
eitig Veterinäre sind und deshalb hohe Fachkenntnisse
n beiden Feldern mitbringen.
Bei dem hier eingebrachten Tierschutzgesetz geht es
lso weniger um ein Schutzrecht für ein Tier, denn es
ird so oder so in jedem Fall getötet das zweifelt der
esetzgeber auch gar nicht an , sondern es geht um die
ötungsart, die Tötungsvorschrift und die mit dieser
orschrift verbundenen Regeln. Die Regel heißt, das
ier soll ohne Leid sterben, das heißt, ohne unerträgli-
hen Schmerz, und dies, sagt mir mein Verstand, ist eine
ute Regelung. Wenn ich aber ausblende, welche
11990 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
(A) )
(B) )
Schmerzen ein Tier durchleiden muss in einem Schlacht-
hof, bevor es getötet wird, und wenn ich ausblende, was
an Ängsten, nachgewiesen durch die Cortisolmenge im
Blut, existiert, bevor die Betäubung im Schlachtprozess
einsetzt, dann halte ich es für schwierig, dass bei den
hier in Rede stehenden Regelungen nun einerseits der
Gläubige nachweisen soll, dass seine Religion zwingend
diesen Ritus vorschreibt, und andererseits derjenige, der
diesen Ritus praktiziert, nämlich den Schnitt bei dem
Tier am Hals ansetzt, nachweisen soll, dass das Tier
beim Ansetzen des Schnittes und beim Sterben keine zu-
sätzlichen Schmerzen erleidet.
Die Form, wie der Gesetzgeber nun in Art. l Abs. l die
Beweislast den Gläubigen auferlegt, und zwar nur im
Rahmen der Beweislast dieser Ausnahmeregelung zum
normalen Schlachtprozess in Deutschland, halte ich ge-
nau für das Problem. Während also auf einem Schlacht-
hof die Frage nach der Angst von Tieren überhaupt nicht
gestellt wird, obwohl Wissenschaftler nach meiner
Kenntnis sehr wohl belegen können, welche Ängste
Schlachttiere durchleben, bevor sie in den Schlachtpro-
zess kommen, soll für die Ausnahme von der Regel ein
höheres Maß an Beweislast entstehen als für die Regel.
Dies halte ich für ein Problem, das hier bei mir, aber
nicht nur bei mir, sondern nach meinen Gesprächen mit
Juden und Moslems auch bei unseren Mitbürgern, die im
Rahmen der abrahamitischen Religionen Nichtchristen
sind, der Eindruck sich verfestigt, dass hier eine Aktuali-
tät zu einem Thema vorgetragen wird, die sich weder aus
Recht und Gesetz noch durch aktuelle Urteile ergibt,
sondern einzig und allein in dem Kontext gespürt wird,
den wir zurzeit in Deutschland immer wieder erleben.
Da wird vom christlichen Abendland als Kerngröße ge-
sprochen, da wird im Zusammenhang mit der europäi-
schen Verfassung nicht von einem universellen Gott ge-
sprochen, sondern der Bezug zum christlichen
Abendland wird benannt. Da wird in aktuellster Art und
Weise vom Fraktionsvorsitzenden der Union das Kruzi-
fix für öffentliche Gebäude als Regelfall vorgeschlagen.
In diesem Kontext fühlen sich Juden und Moslems in
Deutschland zurückgewiesen und mit dieser scheinbar
harmlosen Vorschrift im Tierschutzbereich unter Gene-
ralverdacht gestellt. Es ist die ungute Mischung, die hier
gedanklich entsteht, die Islamophobie, die in Deutsch-
land mit jeder Debatte um Moscheen entsteht, aber eben
auch um antisemitische Angriffe auf Mitbürger, die als
Juden in Deutschland anfangen, deutlicher ihren Glau-
ben leben zu wollen.
Wenn ich aber, harmlos erscheinend, das Thema
Schächten unter Tierschutzgesetz thematisiere und
eine religiöse Beweislast Religionsgemeinschaften auf-
erlege, die eine abschließend Autorität wie im Katholi-
zismus mit dem Vatikan und dem Papst nicht kennen,
und entsprechende Vorschriften teilweise gelebte und ri-
tuelle Vorschriften sind, dann wird es schwierig zu klä-
ren, wer alleine als autorisierte Person im Sinne des Tier-
schutzgesetzes angesehen werden soll.
Auch darf ich daraufhinweisen, dass die muslimi-
schen Vertreter in Deutschland um die Anerkennung als
Körperschaften des öffentlichen Rechtes kämpfen und
dass es zurzeit gerade muslimische Glaubensvertreter
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ibt, die versuchen, sich als gleichberechtigte Ge-
prächspartner analog den christlichen Kirchen und der
üdischen Glaubensgemeinschaft zu verankern. Hier darf
ch aktuell daraufhinweisen, dass es der Innenminister
st, der große Zweifel anmeldet. Wenn man also den
uslimen gegenüber die Anerkennung als verbindliche
nd staatlich anerkannte Glaubensgemeinschaft verwei-
ert, gleichermaßen im Tierschutzgesetz eine Regel ver-
nkert, die die religiös zwingend vorgeschriebenen Riten
ttestieren soll, halte ich diese Vorgehensweise, vorsich-
ig formuliert, für nicht zielführend, um nicht zu sagen:
ür fadenscheinig. Deshalb würde ich am liebsten bean-
ragen, das gesamte Gesetzgebungsverfahren an dieser
telle zu beenden und schlicht zu überprüfen, ob sich
ach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Thema
Schächten irgend etwas in Deutschland verändert hat,
as eine aktuelle Veränderungsnotwendigkeit erzwingt.
arum soll der Gesetzgeber handeln, wenn nach mei-
em Dafürhalten und nach Rücksprache mit Juden und
uslimen auch nach ihrer Wahrnehmung sich nichts
erändert hat? Ein Zurück zum, vorsichtig gesagt, illega-
en Schächten vor dem Hintergrund des Bundesverfas-
ungsgerichtsurteils, so wie ich es noch in Erinnerung
abe, ein Zurück in die Illegalität halte ich für nicht ak-
eptabel. Sollten aber die Mehrheit hier im Haus und die
undesregierung der Meinung sein, dass man den hessi-
chen Vorstoß hier weiter verfolgen sollte, wäre es
laubwürdig, wenn die tierschutzrechtlichen Aspekte
ern von jeder Glaubensfrage einfach nur unter dem As-
ekt der Vergleichbarkeit geprüft werden. Das heißt
ber, dass die gesamte Kette zu betrachten ist und nicht
infach nur der Halsschnitt, wie er hier unter dem Buch-
taben B dargestellt wird. Die Frage von Angst und
chmerzen und die Wechselwirkung zwischen Angst
nd Schmerzen ist dann auch für sämtliche andere
chlachttiere zu betrachten, und man müsste gleicher-
aßen mit den Religionsgemeinschaften bzw. mit den
ertretern der abrahamitischen Weltreligionen in
eutschland dahin gehend im Gespräch sein, dass wir
ns auch ihre Glaubensvorschriften erläutern lassen und
arauf hören.
Gegebenenfalls gibt es die von mir schon angespro-
hene Möglichkeit, in der Finalphase auch im Wege des
lektroschocks eine Kurzzeitbetäubung als Option zu
ennen. Ich möchte aber als Vertreter meiner Fraktion
ieses nicht ohne oder gegen den Willen der Vertreter
es muslimischen oder des jüdischen Glaubens in den
esetzestext aufnehmen. Für mich gehören gleichbe-
echtigt, wenn es um religiöse Themen geht, deren Re-
räsentanten mit an den Gesprächstisch. Deswegen fehlt
ir hier auch eine ernsthafte Überweisung des Gesetzes-
extes zuallererst an diejenigen, die es betrifft, wenn wir
hn schon nicht an die Interessenvertreter der Tiere sel-
er überweisen können; denn dann würden uns die Inte-
essenvertreter der Tiere alle anderen Fragen des mit Fü-
en getretenen Tierschutzes bei der gelebten
chlachtpraxis sämtlicher Schlachttiere in Deutschland
m die Ohren hauen. Um dem Vorwurf zu entgehen,
ass hier eine antisemitische oder antiislamische Vor-
chrift, harmlos als Tierschutz verkleidet, in den Gesetz-
ebungstext kommen soll, müssen wir also zuallererst
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11991
(A) )
(B) )
mit diesen Vertretern selbst sprechen und mit ihnen Lö-
sungswege erörtern.
Der überwiesene Gesetzestext aus dem Bundesrat
scheint nicht zielführend und adäquat das Problem zu er-
fassen. In der Stellungnahme der Bundesregierung wird
darauf eingegangen. Der gesetzgeberische Lösungsan-
satz müsste sich deshalb auch und gerade über die Reli-
gionsfreiheit entwickeln. Deshalb erbitte und beantrage
ich auch eine entsprechende Anhörung und eine Be- und
Erarbeitung mit Vertretern der muslimischen und jüdi-
schen Menschen in Deutschland auf gleicher Augen-
höhe.
Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Wir debattieren heute über zwei wichtige
Punkte, die den Tierschutz in Deutschland verbessern
sollen: das Verbot des betäubungslosen Schächtens und
eine Ermächtigungsgrundlage für die Einrichtung eines
Zirkuszentralregisters.
Auf den ersten Blick haben beide Themen nicht viel
miteinander zu tun, auf den zweiten Blick sehr wohl. Es
geht in beiden Fällen um den notwendigen Respekt und
um die Wahrung der Würde im Umgang mit Tieren, die
wir für menschliche Bedürfnisse nutzen. Es geht darum,
ob wir das immer wieder vorgetragene Bekenntnis zum
Staatsziel Tierschutz auch rechtlich untermauern wollen.
Das deutsche Tierschutzgesetz verbietet das betäu-
bungslose Schlachten von warmblütigen Tieren, weil es
eine vorsätzliche und barbarische Tierquälerei darstellt.
Eine Ausnahmegenehmigung darf bislang erteilt werden,
wenn zwingende Vorschriften einer Religionsgemein-
schaft dies verlangen. Diese Genehmigungsmöglichkeit
stellt jedoch eine Kann- und keine Mussbestimmung dar.
Das Grundrecht auf freie Religionsausübung kann
und darf nicht das im Grundgesetz verankerte Staatsziel
Tierschutz aushebeln. Bündnis 90/Die Grünen begrüßen
daher den Beschluss des Bundesrates vom 6. Juli 2007,
der klarstellt, dass die Ausnahmegenehmigung an den
Nachweis gebunden sein muss, dass bei dem Tier vor,
während und nach dem Schächtschnitt im Vergleich zu
dem Schlachten mit
Betäubung keine zusätzlichen er-
heblichen Schmerzen oder Leiden auftreten.
Meine Gespräche mit Vertretern der muslimischen
Religionsgemeinschaften in Deutschland haben ergeben,
dass eine Elektrokurzzeitbetäubung mit den rituellen
Vorschriften des Schächtens durchaus vereinbar ist. Aus
unserer Sicht gewährleistet dieses Verfahren daher einen
tragfähigen Ausgleich zwischen Religionsfreiheit und
Tierschutz, denn es ermöglicht das für die Schächtung
charakteristische Ausbluten, erspart den durch die Be-
täubung bewusstlosen Tieren aber Leiden und Schmer-
zen.
Ich möchte es ausdrücklich betonen: Nicht das
Schächten an sich steht in der Kritik, sondern das betäu-
bungslose Schächten, bei dem gefesselten und niederge-
worfenen Tieren mit einem scharfen Messer die vordere
Halshaut, Halsmuskel, Speise- und Luftröhre sowie
beide Halsschlagadern unbetäubt durchtrennt werden.
Eine grausame, brutale Art des Tötens, bei dem das Tier
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ei vollem Bewusstsein schrecklich leidet, praktisch bis
um Auslaufen des letzten Blutstropfens, was bis zu
3 Minuten dauern kann, weil die großen, das Gehirn
ersorgenden Arterien innerhalb der Halswirbelsäule
benso wie das Rückenmark und die zwölf Hirnnerven
icht durchtrennt werden und wegen der knöchernen
mmantelung auch nicht durchtrennt werden können,
odass keine Bewusstlosigkeit eintritt.
Der Vorgang des Schächtens bleibt hinsichtlich der
uswahl der Tiere, der Positionierung des Tieres beim
chächten, Schächtschnitt, Schächtgebete, religiöse Aus-
ildung des Schächters usw. völlig unbeeinträchtigt. All
as wird von Tierschutzseite uneingeschränkt respektiert.
Das Verbot des betäubungslosen Schächtens und da-
it die Beseitigung von Ausnahmen vom Verbot des be-
äubungslosen Schlachtens stellt keine Diskriminierung
ar, sondern eine gebotene Gleichbehandlung aller
iere, und es sichert die Gleichrangigkeit zweier grund-
esetzlicher Werte.
Es muss das Ziel der gesamten Gesellschaft und aller
eligionsgemeinschaften sein, mehr für den Schutz der
iere zu tun. Die im Tierschutzgesetz genannte Ver-
flichtung, Tiere vor vermeidbaren Leiden und Schmer-
en zu schützen, betrifft uns alle.
nlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Ersten Geset-
zes zur Änderung des Personalanpassungsgeset-
zes (Tagesordnungspunkt 23)
Ernst-Reinhard Beck (CDU/CSU): Für die Funk-
ionsfähigkeit und Einsatzbereitschaft der Streitkräfte ist
icht nur eine adäquate Ausrüstung unabdingbar, son-
ern ist insbesondere eine ausgewogene Alters- und
ähigkeitsstruktur zwingend erforderlich. Diese Forde-
ung gilt speziell seit sich die Art der Bundeswehrein-
ätze im Rahmen weltweiter internationaler Verpflich-
ungen gewandelt hat. Auslandseinsätze sind physisch
nd psychisch extrem fordernd. Darin unterscheidet sich
ie Bundeswehr essenziell vom übrigen öffentlichen
ienst.
Der gegenwärtige militärische Personalkörper ist in-
olge der mehrfach vorgenommenen Veränderungen von
truktur und Gesamtpersonalumfang durch erhebliche
nwuchten im Altersaufbau gekennzeichnet. Denn der
bergang zum Personalstrukturmodell PSM 2010 ruft
ei den Berufssoldaten erhebliche Überhänge in der Al-
ers- und Dienstgradschichtung hervor. Das heißt: Die in
er Gesamtbetrachtung der Laufbahnen vorhandenen
trukturellen Überhänge verzögern einen Personalauf-
uchs, der an der Einsatzorientierung ausgerichtet ist.
Dieser Überhang resultiert aus einer Zeit, in der die
rmee bis zu 375 000 Soldaten zählte. Inzwischen ist
as Ziel der Transformation der Abbau auf
50 000 Soldaten bis zum Jahr 2010 bereits heute er-
eicht. Insgesamt werden nach Einschätzung der Bun-
11992 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
(A) )
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deswehr daher 4 200 Berufssoldaten auf ihren derzeiti-
gen Posten nicht mehr benötigt.
Das Verteidigungsministerium will mit dem vorlie-
genden Gesetz eine Regelung verlängern, die Ende 2006
ausgelaufen ist. Nach jenem Personalanpassungsgesetz
waren zwischen 2002 und Ende 2006 insgesamt
2 775 Berufssoldaten in den vorzeitigen Ruhestand ver-
abschiedet worden, davon war der Großteil Offiziere.
Jetzt zielt die Maßnahme vor allem auf die Portepee-Un-
teroffiziere.
Der Generalinspekteur schreibt in seinem Bundes-
wehrplan 2008, dass andere darüber hinaus vorhandene
ressorteigene Instrumentarien der Personalsteuerung
eine dem Ziel entsprechende Binnenstruktur erst deut-
lich nach 2012 erreichen ließen falls keine unterstüt-
zenden gesetzlichen Maßnahmen ergriffen würden. Eine
gesetzliche Regelung zur dauerhaften Abmilderung von
transformationsbedingten personalstrukturellen Verwer-
fungen ist deshalb geboten.
Die bestehenden strukturellen Überhänge behinderten
und behindern einen Wechsel von zwingend erforderli-
chen Verwendungsflüssen. Sie führten insbesondere zu
einer Überalterung auf einsatzwichtigen Dienstposten.
Eine ausreichende Zahl von Verwendungswechseln mit
steigender Verantwortung und Anforderung ist im Rah-
men der Einheitslaufbahn der Berufssoldaten und Be-
rufssoldatinnen notwendig, um einen geordneten Ver-
wendungsaufbau zu realisieren. Nur so können Soldaten
und Soldatinnen für die Wahrnehmung höherwertiger
Aufgaben qualifiziert sowie die Leistungsfähigkeit und
Regeneration des Führungs- und Funktionspersonals je-
derzeit sichergestellt werden. Vor dem Hintergrund der
auch zukünftig weiter zunehmenden einsatzbezogenen
Ausrichtung der Streitkräfte ist dies von zentraler Be-
deutung.
Das Personalanpassungsgesetz aus der 14. Wahl-
periode, das die vorzeitige Zurruhesetzung von circa
6 000 Berufssoldaten ermöglicht hat, hat wegen seiner
zeitlichen Begrenzung bis Ende 2006 nicht alle überbe-
setzten Geburtsjahrgänge der Bundeswehr erfasst. Perso-
nelle Unwuchten sind weiterhin in den jüngeren
Geburtsjahrgängen vorhanden. Sie binden somit Haus-
haltsmittel, die an anderer Stelle gebraucht werden. Jün-
gere Jahrgänge können nicht verpflichtet werden, es ent-
steht eine Lücke im Personalaufbau.
Auf Grundlage des am 11. November 2005 geschlos-
senen Koalitionsvertrages wurde daher geprüft, wie die
strukturellen Überhänge bei älteren Berufssoldaten mit
Blick auf die Erfordernisse der Streitkräfte im Transfor-
mationsprozess abgebaut werden können. Die vorge-
nommene Prüfung ergab im Ergebnis die Notwendigkeit
zur Änderung des Personalanpassungsgesetzes. Es sieht
vor, dass in den Jahren 2007 bis 2011 bis zu 1 200 Be-
rufssoldatinnen und Berufssoldaten mit ihrer Zustim-
mung frühestens nach Vollendung des 50. Lebensjahres
im dienstlichen Interesse in den Ruhestand versetzt wer-
den können.
Der Gesetzentwurf stellt keine bloße Fortschreibung
des bisherigen Personalanpassungsgesetzes dar, sondern
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etzt neue, überprüfbare, enge inhaltliche und zeitliche
renzen. Damit soll sichergestellt werden, dass vorzei-
ige Zurruhesetzungen als ultima ratio erfolgen.
Diese Regelung ist an drei Voraussetzungen gebun-
en:
Erstens. Die Soldaten müssen das 50. Lebensjahr
ollendet haben.
Zweitens. Für sie besteht aus organisatorischen oder
onstigen dienstlichen Gründen keine anderweitige ge-
ignete Verwendungsmöglichkeit im Geschäftsbereich
es Bundesministeriums der Verteidigung, das Dienst-
erhältnis des Berufssoldaten kann nicht in das eines
oldaten auf Zeit umgewandelt werden, oder der Soldat
ann nicht in den Bereich einer anderen Bundesbehörde
ersetzt werden.
Drittens. Die Versetzung in den Ruhestand unter Be-
ücksichtigung dient dazu, Jahrgangsstrukturen zu schaf-
en, die die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr nachhal-
ig verbessern und die keine vergleichbaren strukturellen
olgen in anderen Geburtsjahrgängen erwarten lassen.
Nur wenn alle drei genannten Voraussetzungen erfüllt
ind, können die betroffenen Berufssoldaten in den Ru-
estand versetzt werden.
Die Kosten für die zusätzlich anfallenden Pensionen
erden mit 110 Millionen Euro bis 2018 veranschlagt.
Die Bundeswehr befindet sich immer noch in der
ransformation von einer Armee in der Bereitschaft hin
u einer Armee für den Einsatz. Insbesondere in den
insätzen kommen auf die Soldaten überdurchschnittli-
he Belastungen zu, die so in anderen Berufsgruppen
icht vorkommen und die insbesondere durch ältere Sol-
aten nicht ohne Auswirkungen auf die Gesundheit be-
ältigt werden können. Aus diesem Grunde ist dringend
rforderlich, die aus der Vergangenheit bestehenden Per-
onalüberhänge zu beseitigen im Interesse unserer
icherheit und der Gesundheit der betroffenen Soldaten.
Waren beim vorhergehenden Gesetz vor allem die Of-
iziersdienstgrade betroffen, so sollen nun die Probleme
m Bereich der Unteroffiziersdienstgrade beseitigt wer-
en. Um die Bundeswehr weiter an die sicherheitspoliti-
chen Gegebenheiten anzupassen, ist die durch das Ge-
etz ausgelöste Maßnahme unabdingbar.
Um die Leistungsfähigkeit der Soldaten und somit der
undeswehr als Ganzes sicherstellen zu können, muss
ine stete Auffrischung mit jungen Menschen erfolgen.
in normales Pensionsalter für alle Soldaten würde be-
euten, dass die Bundeswehr innerhalb kürzester Zeit
beraltert wäre. Dies würde ihrem Auftrag nicht gerecht.
Auch von Soldatenseite stößt das Personalanpas-
ungsgesetz kaum auf Gegenwehr. Im Gegenteil: Ge-
präche mit potenziellen Kandidaten bestärken diese
ffizielle Sicht. Daher stimmt die Union für den Gesetz-
ntwurf.
Rolf Kramer (SPD): Mit dem hier vorgelegten Ent-
urf eines Gesetzes zur Änderung des Personalanpas-
ungsgesetzes wird ein weiterer Punkt aus dem Koali-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11993
(A) )
(B) )
tionsvertrag von CDU/CSU und SPD abgearbeitet.
Bedingt durch die Transformation der Bundeswehr war
es notwendig, die vorhandenen strukturellen Überhänge
bei älteren Berufssoldaten abzubauen. Dazu wurde im
Jahre 2001 von der damaligen rot-grünen Bundesregie-
rung das Personalanpassungsgesetz verabschiedet. Die-
ses Gesetz war allerdings bis Ende 2006 zeitlich be-
grenzt und konnte so, entgegen der ursprünglichen
Absicht, nicht alle überbesetzten Jahrgänge erfassen.
Nach wie vor ist der Personalkörper der Bundeswehr
von Unwuchten geprägt. Es besteht zurzeit nach Aus-
kunft des Verteidigungsministeriums ein personeller
Überhang von etwa 4 200 Berufssoldaten. Strukturge-
rechte Einstellungen wurden aufgrund der Bindung von
Haushaltsmitteln behindert. Damit fehlen jetzt Berufs-
soldaten jüngerer Jahrgänge, was zu weiteren Verwer-
fungen in der Personalstruktur führte.
Vor diesem Hintergrund ist die Schaffung einer recht-
lichen Möglichkeit für weitere vorzeitige Zurruhesetzun-
gen von Berufssoldatinnen und Berufssoldaten unbe-
dingt notwendig. Ein Abbau der personellen Überhänge
durch reguläre Ruhestandsregelungen wäre erst in 15 Jah-
ren erreichbar. Durch die zeitliche Erweiterung im Rah-
men des Personalanpassungsgesetzes können in den Jah-
ren 2007 bis 2011 bis zu 1 200 Berufssoldaten ab dem
50. Lebensjahr in den vorzeitigen Ruhestand versetzt
werden. Andernfalls wird die Einsatzbereitschaft der
Streitkräfte beeinträchtigt. Schaffen wir nicht diese
Möglichkeit, so verhindern die vorhandenen Überhänge
eine planmäßige, alters- und strukturgerechte Versetzung
von Soldatinnen und Soldaten auf Dienstposten, die sie
im Interesse eines geordneten Verwendungsaufbaus und
der erforderlichen Verwendungsbreite einnehmen müs-
sen. Insbesondere im Hinblick auf das erweiterte Aufga-
benspektrum der Streitkräfte mit ihren Einsätzen im
Rahmen der Krisen- und Konfliktbewältigung wäre dies
mehr als fahrlässig.
Es handelt sich hier nicht um einen goldenen Hand-
schlag, wie er in früheren Jahren einmal in der Bundes-
wehr praktiziert worden ist. Die vorzeitige Zurruheset-
zung kann und darf nur eine Ultima Ratio sein. Insofern
ist die Forderung des Deutschen Bundeswehr-Verbandes
nach einer noch stärkeren Ausweitung der Ausnahmere-
gelung verständlich, aber nicht umsetzbar. Dieses Instru-
ment darf keine dauerhafte Einrichtung zur Bereinigung
struktureller Überhänge werden und sich nur auf die be-
stehende Ausnahmesituation beziehen. Daher wird diese
Möglichkeit auch an verschiedene Voraussetzungen ge-
knüpft und zeitlich befristet. Dazu gehört, dass die be-
troffenen Berufssoldatinnen und -soldaten weder durch
Qualifizierungsmaßnahmen noch in organisatorischen
Übergangsstrukturen anderweitig einsetzbar sind. Damit
bleibt die Ausnahmeregelung eng begrenzt.
Dieser Gesetzentwurf führt zu Mehrausgaben für die
öffentlichen Haushalte. Im Bereich der Versorgung ent-
stehen, zeitlich befristet, Mehrkosten dadurch, dass die
Soldatinnen und Soldaten zu einem früheren Zeitpunkt
als nach den sonst geltenden Altersgrenzenregelungen
mit Anspruch auf Ruhegehalt in den Ruhestand versetzt
werden. Diese Mehrkosten entstehen, wenn das Gesetz
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n Kraft tritt, ab dem Jahr 2007. Vorgesehen ist eine Zur-
uhesetzungsquote von ungefähr 240 Soldatinnen und
oldaten pro Jahr für die Dauer von fünf Jahren. Damit
teigen diese Mehrkosten von 2,7 Millionen Euro in
007 auf 20,8 Millionen Euro im Jahre 2011. Danach
inken sie wieder bis zum Jahre 2018 auf 1,1 Millionen
uro und entfallen schließlich ganz. Insgesamt wird
iese Regelung die öffentlichen Haushalte mit rund
10 Millionen Euro belasten. Eine Summe, die aus mei-
er Sicht tragbar ist, um die Einsatzfähigkeit unserer
treitkräfte dauerhaft zu sichern.
Die Regelung, die mit diesem Gesetzesvorschlag in
raft treten wird, ist mitnichten eine übermäßige Bevor-
ugung der Bundeswehr gegenüber anderen Berufsgrup-
en, sondern eine mit Augenmaß gefundene Regelung
ur notwendigen Anpassung unserer Streitkräfte an die
euen Notwendigkeiten.
Birgit Homburger (FDP): Zum dritten Mal, nach
985, 1991 und 2001, debattieren wir einen Gesetzent-
urf, der die vorzeitige Pensionierung von Berufssolda-
innen und Berufssoldaten zum Ziel hat.
Während das Personalstrukturgesetz von 1985 als
ielsetzung die Milderung des erheblichen Beförde-
ungs- und Verwendungsstaus durch die vorzeitige Pen-
ionierung von 1 200 Berufssoldaten hatte, ging es bei
em Personalstärkegesetz von 1991 um etwas ganz an-
eres. Zur Erreichung der deutschen Einheit hatte sich
ie Bundesrepublik Deutschland unter anderem dazu
erpflichtet, den Personalbestand der Streitkräfte bis
um 31. Dezember 1994 auf 370 000 Soldaten zu ver-
indern. Die Notwendigkeit, der verkleinerten Bundes-
ehr einen sinnvollen und wirksamen Personalaufbau zu
rhalten bzw. zu ermöglichen, erforderte es, dass min-
estens 6 800 Berufssoldaten bis Ende 1994 vorzeitig
ur Ruhe gesetzt wurden. Die vorzeitige Zurruhesetzung
tand also in unmittelbarem Zusammenhang mit der Re-
uzierung der Personalstärke der Bundeswehr. Sie war
eshalb zwingend notwendig.
2001 war die Sachlage schon etwas anders. Es ging
ei dem damals erlassenen Personalanpassungsgesetz
icht um eine Personalreduzierung, sondern um eine
erbesserung der Altersstruktur der Offiziere und Unter-
ffiziere. Unwuchten im Personalkörper der Bundes-
ehr sollten durch die vorzeitige Pensionierung von
000 Berufssoldaten beseitigt und strukturgerechte Ein-
tellungen des Nachwuchses ermöglicht werden.
Nun, 2007, sollen erneut 1 200 Berufssoldatinnen und
erufssoldaten die Möglichkeit erhalten, bis 2011 be-
eits nach Vollendung des 50. Lebensjahres in den Ruhe-
tand zu treten. Diese Maßnahme würde den Bundeshaus-
alt mit Mehrausgaben in Höhe von rund 110 Millionen
uro belasten. Es handelt sich hier um reine Mehrausga-
en, da das vorliegende Personalanpassungsgesetz nicht
m Rahmen einer Reduzierung des Personalumfangs der
undeswehr zu sehen ist.
Um es klar zu sagen: Es soll keine einzige Haushalts-
telle im Zuge der Frühpensionierung gestrichen wer-
en!
11994 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
(A) )
(B) )
Ziel dieses Gesetzes ist es einzig und allein, wie
schon 2001, die sogenannten Unwuchten im militäri-
schen Personalkörper zu beseitigen. Diese Unwuchten,
besser gesagt, die ungleichen Jahrgangsstärken, bestehen
tatsächlich. Aber sie sind zum einen nicht gottgegeben,
sondern von der Personalabteilung des Bundesministe-
riums der Verteidigung herbeigeführt. Zum anderen
wurden Haushaltsstellen, die durch vorzeitige Pensionie-
rungen infolge der früheren Personalstruktur-, Personal-
stärke- und Personalanpassungsgesetze frei geworden
waren, nicht im ausreichenden Maß zur Verbesserung
des Stellenkegels genutzt. Jetzt rächt sich die über Jahr-
zehnte praktizierte falsche Personalpolitik des Verteidi-
gungsministeriums.
Hierfür den Steuerzahler zur Kasse zu bitten ist ver-
antwortungslos, zumal in einer Zeit, in der das Renten-
eintrittsalter eben von dieser Regierung auf 67 Jahre an-
gehoben wurde. Das passt nicht zusammen. Eine
bestimmte Zahl von Staatsdienern soll sage und schreibe
17 Jahre eher in den Ruhestand treten können, und das
ohne Abschläge bei den Pensionsleistungen. Der Steuer-
zahler soll für Fehler aufkommen, die in einem Bundes-
ministerium gemacht worden sind.
Es steht außer Zweifel, dass es einen Beförderungs-
stau in der Bundeswehr gibt. Aber ist das eine Besonder-
heit? Gibt es nicht auch Beförderungsstaus in anderen
Ministerien oder bei der Polizei? Inwieweit wurden ei-
gentlich die bisherigen drei Frühpensionierungsaktionen
bei der Bundeswehr zur Verbesserung der Personalstruk-
tur genutzt?
Es wundert mich schon sehr, dass ein der CDU ange-
hörender Verteidigungsminister dem Bundestag einen
erneuten Entwurf für eine Frühpensionierung von Be-
rufssoldaten vorlegt, wo doch seine Fraktion das Perso-
nalanpassungsgesetz von 2001 abgelehnt hat. Als
Gründe wurden in der Debatte am 9. November 2001
unter anderem aufgeführt: Frühpensionierungsregelun-
gen sind zur Bewältigung personeller Strukturprobleme
grundsätzlich ungeeignet; eine Überalterung der Bun-
deswehr findet auch ohne Frühpensionierung nicht statt,
da die Berufssoldaten bereits einer besonderen Alters-
grenze unterliegen; der Bevölkerung ist es nicht vermit-
telbar, dass Berufssoldaten zu einem derartig frühen
Zeitpunkt mit 50 Jahren in Pension gehen dürfen; es
ist nicht vermittelbar, dass die Bundesregierung die
Möglichkeit einer Frühpensionierung schaffen will, ob-
wohl der Bundeswehr 12 000 länger dienende Soldaten
fehlen.
Alle damals von der CDU/CSU-Fraktion aufgeführ-
ten Gründe gegen das Personalanpassungsgesetz treffen
unverändert zu. Hinzu kommt erschwerend, dass das
Renteneintrittsalter zwischenzeitlich von 65 auf 67 Jahre
angehoben wurde.
Darüber hinaus kann ich nur feststellen: Attraktivität
eines Berufsbildes schafft man nicht durch eine um
17 Jahre vorgezogene Pensionierung, Attraktivität
schafft man zum Beispiel durch die Schaffung eines in-
teressanten Berufsbildes, durch eine leistungsgerechte
Besoldung und Förderung, durch familienfreundliche
Versetzungspraktiken sowie durch eine angemessene
Versorgungsgesetzgebung.
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Inge Höger (DIE LINKE): Nein, es ist keine Satire:
ie Bundesregierung will mit dem Gesetz zur Änderung
es Personalanpassungsgesetzes die Rente mit 50 ein-
ühren, und zwar bei vollem Lohnausgleich, aber natür-
ich nicht für die Mehrheit der Beschäftigten. Für diese
urde ja erst kürzlich die Rente mit 67 beschlossen, und
er früher in den Ruhestand geht, muss mit massiven
ürzungen rechnen. Da Unternehmen häufig schon Be-
chäftigte über 50 für zu alt halten und deswegen Mittel
nd Wege finden, sich dieser Mitarbeiter vorzeitig zu
ntledigen, bedeutet Rente mit 67 für die meisten Men-
chen eine massive Absenkung des Rentenniveaus. Die
undesregierung hat mit diesem Vorstoß eine spezielle
ruppen von sogenannten überflüssigen Beschäftigen
m Blick. Auch die Bundeswehr will Mitarbeiter über
0 loswerden, und zwar konkret Unteroffiziere ab Jahr-
ang 1957. Bei diesen bemüht sich die Regierung um
esondere Fürsorge und plant den goldenen Handschlag.
iesen gibt es natürlich nicht zum Nulltarif: 110 Millio-
en Euro will sich die Bundesregierung die Beseitigung
es strukturellen Überhangs bei den Bundeswehrange-
örigen kosten lassen.
Worum geht es der Bundesregierung mit diesem Ge-
etz? Es geht darum, die Aktionsfähigkeit der Bundes-
ehr für weltweite Kriegs- und Besatzungseinsätze zu
erbessern. Dabei stehen gegenwärtig noch einige tau-
end ältere Unteroffiziere im Weg. Die Armee im Ein-
atz will junge Unteroffiziere mit hoher körperlicher
eistungsfähigkeit. Dieser Nachwuchs für die Auslands-
insätze kann zurzeit aber nicht in gewünschtem Um-
ang angeworben und vor allem nicht zur Motivation be-
ördert werden, da auf den entsprechenden Stellen ältere
nd für die Auslandsabenteuer beschränkt taugliche Kol-
egen sitzen. Das Personalanpassungsgesetz zeigt ein-
rucksvoll, dass die Politik der Bundesregierung grund-
egend in die falsche Richtung geht. Obwohl alle wissen,
ass Beschäftigte längst vor dem Erreichen des Ren-
enalters in den Betrieben häufig nicht mehr erwünscht
ind, wird das Renteneintrittsalter erhöht. Obwohl die
ehrheit der Menschen in Deutschland sich gegen Bun-
eswehrkriegseinsätze ausspricht, finden diese statt. Und
enn die Regierung bei ihrer militärischen Machtpolitik
it ihrer eigenen Beschäftigungspolitik in Konflikt
ommt, dann werden wie im vorliegenden Fall die Ge-
etze entsprechend geändert. Dies ist eine komplette
ankrotterklärung. Ich fordere die Regierung deswegen
uf: Geben Sie sich doch bitte die Mühe, nach ziviler
erwendung für ihre überzähligen Soldaten zu suchen,
nstatt diese so früh wie möglich in den Ruhestand zu
chicken. Das ist auch ein falsches Signal an die Wirt-
chaft. Aber vor allem beenden Sie die Auslandseinsätze
nd setzen Sie das Renteneintrittsalter wieder auf
5 herab! Vielleicht sollten nicht Unteroffiziere über ihre
ögliche Frühverrentung nachdenken, sondern die Mi-
ister, die für die verfehlte Beschäftigungs- und Militär-
olitik verantwortlich sind.
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ie Anforderungen an die Soldaten und Soldatinnen der
undeswehr sind durch die Auslandseinsätze deutlich
estiegen. Gleichzeitig bringt die von Rot-Grün einge-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 115. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007 11995
(A) (C)
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leitete Reform der Bundeswehr für ihre neuen Aufgaben
im Rahmen kollektiver Friedenssicherung eine Reihe
von sozialen Belastungen für die Bundeswehrangehöri-
gen und ihre Familien mit sich, vor denen wir die Augen
nicht verschließen dürfen. Deshalb haben wir Grünen in
der Vergangenheit Maßnahmen wie das Personalanpas-
sungsgesetz von 2001 oder das Attraktivitätsprogramm,
mit denen der Beförderungs- und Verwendungsstau in
der Bundeswehr deutlich abgebaut werden konnte, auch
mitgetragen.
Außer Acht lassen dürfen wir dabei aber nicht, dass
die vorzeitige Pensionierung von Soldatinnen und Solda-
ten nur eine gut begründete Ausnahmeregelung sein
kann. Strukturelle Defizite können und dürfen auf Dauer
nicht damit gelöst werden. Auch Gleichbehandlungsas-
pekte müssen berücksichtigt werden. Wer wie die Bun-
desregierung die Notwendigkeit längerer Lebensarbeits-
zeit und den Stellenwert älterer Beschäftigter predigt,
kann sich nicht eben dieser älteren Beschäftigten einfach
entledigen. Auf der einen Seite wird für viel Geld auf
das Potenzial von erfahrenen, qualifizierten und leis-
tungsfähigen Männern und Frauen verzichtet. Auf der
anderen Seite fehlt es an allen Ecken und Enden an zivi-
blemlösung ausgeschöpft werden. Auch bezweifele ich
nicht, dass für die Attraktivität des soldatischen Dienstes
ein angemessenes Paket sozialer Leistungen ausschlag-
gebend ist. Für die Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr
reichen Attraktivitätssteigerungen aber nicht. Die jetzige
Bundeswehrstruktur muss dringend auf den Prüfstein.
Deshalb bin ich von dem von der Bundesregierung
vorgelegten Personalanpassungsgesetz noch nicht über-
zeugt. Ich traue den guten Worten der Bundesregierung
nicht. Die Bundesregierung redet zwar viel von vernetz-
ter Sicherheit, sie handelt aber nicht entsprechend. Für
eine integrierte Sicherheitsstrategie fehlen vor allem
entsprechende zivile und polizeiliche Kapazitäten für
Friedensmissionen. Dafür brauchen wir eine andere
Prioritätensetzung, und zwar nicht nur im Verteidigungs-
haushalt. Wenn das nicht angegangen wird, besteht die
Gefahr, dass Militäreinsätze eben doch zum Politikersatz
werden.
Statt wie die Union immer neue Aufgaben für die
Bundeswehr im Innern zu fordern, brauchen wir endlich
eine klare Richtungsentscheidung. Dafür mangelt es der
Großen Koalition an Mut und Konsequenz. Es fehlt der
Motor der Transformation. Deutschland leistet sich für
len Expertinnen und Experten, die für die immer wichti-
ger werdenden Aufgaben der humanitären Hilfe, der
Krisenprävention und des zivilen Aufbaus zur Verfü-
gung stehen. Diese katastrophale Schieflage führt dazu,
dass die Bundeswehr länger im Einsatz bleiben muss als
erforderlich. Das dürfen wir auch im Interesse der Solda-
tinnen und Soldatinnen nicht hinnehmen.
Ich stelle nicht in Abrede, dass angesichts der Beför-
derungs- und Verwendungssituation vor allem bei älte-
ren Portepee-Unteroffizieren Handlungsbedarf besteht.
Bei ihnen kann angesichts des strukturellen Personal-
überhangs nicht garantiert werden, dass sie ihre jewei-
lige Laufbahnperspektive erreichen. Das hat negative
Auswirkungen auf die Motivation und Dienstzufrieden-
heit. Hier müssen deshalb alle Möglichkeiten zur Pro-
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twa 29 Milliarden Euro eine Wehrpflichtarmee mit
50 000 Soldaten und Soldatinnen sowie Zivilbeschäf-
igten von denen 83 Prozent noch nie in einem Auslands-
insatz waren. Aus der Antwort auf unsere Kleine
nfrage zu Reservistinnen und Reservisten im Aus-
andseinsatz geht hervor, dass nur ein Drittel der Offi-
iere und Unteroffiziere der Bundeswehr und weniger
ls 10 Prozent der Mannschaftsdienstgrade bislang an ei-
em Auslandseinsatz teilgenommen haben. Von den
ehr als 100 000 Zivilbeschäftigten der Bundeswehr
aren gerade einmal 2 Prozent in einem Auslandsein-
atz. Für eine belastbare und tragfähige Strukturreform
uss die Rest-Wehrpflicht endlich vom Tisch. Alles an-
ere ist auch gegenüber den Soldatinnen und Soldaten
icht zu verantworten.
115. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10