Protokoll:
16097

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 16

  • date_rangeSitzungsnummer: 97

  • date_rangeDatum: 10. Mai 2007

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: None Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:32 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 16/97 Tagesordnungspunkt 3: a) Abgabe einer Erklärung durch die Bun- desregierung: Gesunde Ernährung und Bewegung – Schlüssel für mehr Lebens- qualität b) Antrag der Abgeordneten Peter Bleser, Julia Klöckner, Ursula Heinen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Volker Blumentritt, Mechthild Rawert, Waltraud Wolff (Wolmirstedt), weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der SPD: Förderung gesundheitsrelevanten Verhaltens zur Prävention von Fehl- und Mangeler- nährung, Übergewicht und Bewegungs- mangel insbesondere bei Kindern und Jugendlichen Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Detlef Parr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Julia Klöckner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) . . . . . . . . . Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9815 C 9816 B 9818 A 9819 B 9820 B 9821 C 9822 D 9824 B 9825 B 9826 B Deutscher B Stenografisc 97. Sit Berlin, Donnerstag I n h a Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Angelika Graf (Rosenheim) und Rainer Fornahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahl des Abgeordneten Dr. Rainer Wend in das Gremium gemäß § 23 c Abs. 8 des Zoll- fahndungsdienstgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . Wahl des Abgeordneten Dr. Gerhard Botz als Schriftführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung der Tagesordnungspunkte 24 und 25 Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 9803 A 9803 B 9803 B 9803 B 9805 A 9804 D (Drucksache 16/5258) in Verbindung mit 9805 A undestag her Bericht zung , den 10. Mai 2007 l t : Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN: Konkrete Maß- nahmen und verbindliche Strukturen für bessere Ernährung und mehr Bewegung umsetzen (Drucksache 16/5271) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Horst Seehofer, Bundesminister BMELV . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Volker Blumentritt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Ursula Heinen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 9805 B 9805 C 9809 A 9810 D 9812 D 9814 A Uda Carmen Freia Heller (CDU/CSU) . . . . Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . . 9827 C 9829 C II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 Tagesordnungspunkt 4: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur weiteren Stärkung des bürger- schaftlichen Engagements (Drucksache 16/5200) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Katrin Kunert, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Stärkung des bürgerschaftli- chen Engagements (Drucksache 16/5245) . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Hinz (Essen) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Eduard Oswald (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . Elke Reinke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Riegert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Ute Kumpf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Otto Bernhardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 29: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Dr. Hans-Peter Uhl, Kristina Köhler (Wiesbaden), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/ CSU sowie den Abgeordneten Fritz Rudolf Körper, Maik Reichel, Klaus Uwe Benneter, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mi- krozensusgesetzes 2005 und des Bevöl- kerungsstatistikgesetzes (Drucksache 16/5239) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Entlastung der Bundesregie- rung für das Haushaltsjahr 2006 – Vorlage der Haushalts- und Vermögens- rechnung des Bundes (Jahresrechnung 2006) (Drucksache 16/4995) . . . . . . . . . . . . . . . . 9830 C 9830 D 9830 D 9832 C 9834 C 9836 A 9837 C 9838 C 9841 B 9842 C 9843 B 9844 C 9845 C 9846 D 9848 A 9850 A 9851 A 9851 A c) Antrag der Abgeordneten Marina Schuster, Dr. Karl Addicks, Florian Toncar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für eine Neuausrich- tung der deutschen Afrikapolitik (Drucksache 16/5130) . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Fortschritte für Zypern – Eine Aufgabe für die deutsche EU-Rats- präsidentschaft (Drucksache 16/5259) . . . . . . . . . . . . . . . e) Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Katrin Kunert, Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LIN- KEN: Rechtsanspruch auf Mieterbera- tung für Menschen mit geringem Ein- kommen (Drucksache 16/5247) . . . . . . . . . . . . . . . f) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland 2002 bis 2005 (Drucksache 16/3777) . . . . . . . . . . . . . . . g) Unterrichtung durch die deutsche Delega- tion in der Interparlamentarischen Union: 115. Interparlamentarische Versamm- lung vom 16. bis 18. Oktober 2006 in Genf, Schweiz (Drucksache 16/4121) . . . . . . . . . . . . . . . h) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Siebzehnter Bericht nach § 35 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zur Überprüfung der Bedarfssätze, Freibeträge sowie Vomhundertsätze und Höchstbeträge nach § 21 Abs. 2 (Drucksache 16/4123) . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Zwei- undzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsge- setzes (22. BAföGÄndG) (Drucksache 16/5172) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Max Stadler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Beitritt des Bundes zum Rechtsstreit des Landes Schleswig-Holstein gegen die EU-Kom- mission (Drucksache 16/4607) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Sevim Dağdelen, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der LINKEN: Irakische Flüchtlinge in die EU aufneh- 9851 A 9851 B 9851 B 9851 C 9851 C 9851 C 9851 D 9851 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 III men – In Deutschland lebende Iraker und Irakerinnen vor Abschiebung schützen (Drucksache 16/5248) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Unternehmen leistungsge- recht besteuern – Einnahmen der öf- fentlichen Hand stärken (Drucksache 16/5249) . . . . . . . . . . . . . . . . e) Antrag der Abgeordneten Winfried Hermann, Fritz Kuhn, Peter Hettlich, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Schie- neninfrastruktur ist öffentliche Auf- gabe – Moratorium für die Privatisie- rung der Deutsche Bahn AG (Drucksache 16/5270) . . . . . . . . . . . . . . . . f) Antrag der Abgeordneten Krista Sager, Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn) und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Einrichtung des Europäi- schen Technologieinstituts abwenden – Bestehende europäische Förderstruktu- ren stärken und weiterentwickeln (Drucksache 16/5254) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 30: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung (Drucksachen 16/3303, 16/5096) . . . . . . . b) Zweite und dritte Beratung des vom Bun- desrat eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (Drucksachen 16/4198, 16/5274) . . . . . . . c) Beschlussempfehlungen des Rechtsaus- schusses: Übersicht 6 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfas- sungsgericht (Drucksache 16/5138) . . . . . . . . . . . . . . . . d) – k) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 210, 211, 212, 213, 214, 215, 216 und 217 zu Peti- tionen (Drucksachen 16/5120, 16/5121, 16/5122, 16/5123, 16/5124, 16/5125, 16/5126, 16/5127) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9852 A 9852 A 9852 A 9852 B 9852 C 9852 D 9853 A 9853 B Zusatztagesordnungspunkt 5: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Grünbuch Die Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz KOM (2006) 744 endg.; Ratsdok. 6307/07 (Drucksachen 16/4635 Nr. 2.20, 16/5272) . . . Zusatztagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktio- nen der CDU/CSU und der SPD: Aktuelle wirtschaftliche Entwicklung und Lage auf dem Arbeitsmarkt Franz Müntefering, Bundesminister BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Brüderle (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kornelia Möller (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Rainer Wend (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU) . . . . . . Andrea Nahles (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU) . . . . . . . . Gabriele Frechen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU) . . . . Tagesordnungspunkt 5: Zweite und dritte Beratung des von den Abge- ordneten Jerzy Montag, Hans-Christian Ströbele, Wolfgang Wieland, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zum Schutz von Jour- nalisten und der Pressefreiheit in Straf- und Strafprozessrecht (Drucksachen 16/576, 16/5283) . . . . . . . . . . . Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 9854 A 9854 B 9856 B 9857 B 9858 D 9860 A 9861 B 9862 C 9863 D 9864 D 9865 D 9866 D 9868 A 9868 D 9869 D 9870 A 9871 B 9872 C 9874 B IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: Entwicklungspolitische Afrikadebatte a) Antrag der Abgeordneten Hartwig Fischer (Göttingen), Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- ordneten Gabriele Groneberg, Dr. Sascha Raabe, Dr. Bärbel Kofler, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD: Für eine intensive wirtschaftliche und ent- wicklungspolitische Zusammenarbeit mit dem afrikanischen Kontinent auf Augenhöhe (Drucksache 16/5257) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung zu dem An- trag der Abgeordneten Dr. Karl Addicks, Hellmut Königshaus, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Die Entwicklungszusammen- arbeit mit Kenia auf den Prüfstand stel- len (Drucksachen 16/965, 16/2363) . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Dr. Karl Addicks, Hellmut Königshaus, Jens Ackermann, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Neue Strategien für die deutsche Entwick- lungszusammenarbeit mit Afrika erarbei- ten und durchsetzen (Drucksache 16/5243) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Karl Addicks (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE) . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Groneberg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9875 A 9876 A 9876 B 9878 C 9880 A 9880 B 9880 C 9880 D 9882 A 9883 B 9884 C 9885 D 9887 A 9888 D Tagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung kraftfahrzeugsteu- erlicher und autobahnmautrechtlicher Vorschriften (Drucksachen 16/2718, 16/2935(neu), 16/5234, 16/5244) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Achim Großmann, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP) . . . . . . . . . Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) . . . . . . Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg Vogelsänger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie – zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Zeil, Gudrun Kopp, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Keine Verlän- gerung des Briefmonopols – Wettbe- werb auf dem deutschen und euro- päischen Postmarkt ermöglichen – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, Sabine Zimmermann, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der LINKEN: Vollständige Öffnung der Post- märkte stoppen – Universaldienst- verpflichtung absichern (Drucksachen 16/3623, 16/4044, 16/4600) b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Sabine Zimmermann, Werner Dreibus, Ulla Lötzer, weiteren Ab- geordneten und der Fraktion der LINKEN eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Postgesetzes (Drucksachen 16/4908, 16/5276) . . . . . . . Alexander Dobrindt (CDU/CSU) . . . . . . . . . Martin Zeil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9890 B 9890 C 9891 C 9892 C 9893 B 9894 C 9895 B 9896 B 9896 C 9896 D 9898 A 9899 A 9900 C 9901 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 V Tagesordnungspunkt 9: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- torsicherheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Ingbert Liebing, Marie-Luise Dött, Katherina Reiche (Potsdam), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Christoph Pries, Marco Bülow, Dirk Becker, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der SPD: Schutz der Wale sicherstellen – zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm, Undine Kurth (Quedlinburg), Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Am Walfangmoratorium festhalten und Walschutz auf der IWC stärken (Drucksachen 16/4843, 16/5105, 16/5284) . . Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angelika Brunkhorst (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von den Abgeordneten Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer, weiteren Abgeordneten und der Frak- tion der LINKEN eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der erwerbsmäßigen Arbeit- nehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlas- sungsgesetzänderungsgesetz – AÜGÄndG) (Drucksache 16/4805) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werner Dreibus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Anette Kramme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines 9903 A 9903 C 9904 C 9905 C 9906 D 9907 C 9908 A 9908 C 9909 A 9910 A 9910 B 9911 A 9913 B 9914 B 9916 B Dritten Gesetzes zur Änderung des Fahr- personalgesetzes (Drucksachen 16/4691, 16/5238) . . . . . . . . . . Achim Großmann, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wilhelm Josef Sebastian (CDU/CSU) . . . . . . Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abge- ordneten Ute Koczy, Thilo Hoppe, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Rohstoffeinnahmen für nach- haltige Entwicklung nutzen (Drucksachen 16/4054, 16/5273) . . . . . . . . . . Walter Riester (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hellmut Königshaus (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU, der SPD, der FDP und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN: Für die Ver- urteilung des Systems der Laogai-Lager in China – zu dem Antrag der Abgeordneten Florian Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für die Verur- teilung des Systems der Laogai-Lager in China (Drucksachen 16/4559, 16/855, 16/5146) . . . Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Toncar (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erika Steinbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9917 A 9917 B 9918 B 9919 B 9920 D 9921 C 9922 A 9923 A 9923 B 9924 C 9925 C 9927 A 9928 A 9929 A 9929 B 9930 D 9932 A 9933 C 9934 B VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 Tagesordnungspunkt 14: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- trag der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Cornelia Pieper, Hans- Michael Goldmann, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP: Eigentums- rechte und Forschungsfreiheit schützen – Entschiedenes Vorgehen gegen Zerstö- rungen von Wertprüfungs- und Sorten- versuchen sowie von Feldern mit gen- technisch veränderten Pflanzen (Drucksachen 16/2835, 16/4474) . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Cornelia Behm, Undine Kurth (Quedlinburg) und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Keine Freisetzung von gentechnisch veränder- ten Pflanzen auf dem Gelände des Insti- tuts für Pflanzengenetik und Kultur- pflanzenforschung in Gatersleben (Drucksache 16/4904) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Cornelia Behm und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Einfuhrverbot für Produkte aus dem gentechnisch veränderten Mais MON863 anordnen (Drucksache 16/4905) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Max Lehmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . . Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Geset- zes über die Deutsche Bundesbank (Drucksachen 16/4971, 16/5286) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: a) Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LIN- KEN: Bildungszugang von Kindern und Jugendlichen stärken – Finanzierung 9935 C 9935 D 9935 D 9936 A 9938 A 9939 B 9940 B 9941 B 9941 C 9942 A 9943 C von Schüler- und Schülerinnenbeförde- rung im SGB II ermöglichen (Drucksache 16/4486) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Kommerzialisierungsten- denzen im Schulwesen stoppen – Bil- dungsteilhabe für alle Kinder und Ju- gendlichen sichern (Drucksache 16/5139) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Dr. Thea Dückert, Irmingard Schewe- Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Teilhabechancen für Kinder und Jugendliche aus armen Haushalten fördern (Drucksache 16/5253) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 17: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung medizinprodukte- rechtlicher und anderer Vorschriften (Drucksachen 16/4455, 16/5280) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwick- lung zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Hettlich, Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN: Energieeinsparverordnung zügig verabschieden – Energieausweis als Be- darfsausweis einführen (Drucksachen 16/4787, 16/5235) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 19: Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Begrenzung der Aufwendungen für die Prozesskostenhilfe (Prozesskostenhilfebe- grenzungsgesetz – PKHBegrenzG) (Drucksache 16/1994) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: Erste Beratung des von den Abgeordneten Jan Korte, Petra Pau, Ulla Jelpke, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion der LINKEN ein- gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (2. NS-AufhGÄndG) (Drucksache 16/3139) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9944 A 9944 A 9944 B 9944 C 9944 D 9945 A 9945 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 VII Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Weg vom Öl im Kunststoffbereich – Chance der Novelle der Verpackungsverordnung nutzen und mit Biokunststoffen echte Kreisläufe schließen (Drucksache 16/3140) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Mündliche Frage 12 Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Außen- und sicherheitspolitisches Interesse für einen Export deutscher U-Boote und dessen Absicherung durch Bürgschaften aus der Sicht der Bundesregierung Antwort Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (96. Sitzung, Drucksache 16/5213) Anlage 3 Mündliche Frage 13 Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Auswirkungen der Bestrebungen Pakistans zur Ausrüstung seiner U-Boote mit dem nuklearfähigen Marschflugkörper „Ba- bur“ auf die regionale Sicherheitslage Antwort Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (96. Sitzung, Drucksache 16/5213) Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hans Eichel (SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank (Tagesordnungspunkt 15) . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Än- 9945 C 9945 D 9947 A 9947 B 9947 C 9947 D derung des Gesetzes über die Deutsche Bun- desbank (Tagesordnungspunkt 15) Leo Dautzenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Jörg-Otto Spiller (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Herbert Schui (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staats- sekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Bildungszugang von Kindern und Jugend- lichen stärken – Finanzierung von Schü- ler- und Schülerinnenbeförderung im SGB II ermöglichen – Kommerzialisierungstendenzen im Schul- wesen stoppen – Bildungsteilhabe für alle Kinder und Jugendlichen sichern – Teilhabechancen für Kinder und Jugendli- che aus armen Haushalten fördern (Tagesordnungspunkt 16 a bis c) Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Wolfgang Grotthaus (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Gesine Multhaupt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Hirsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung medizinprodukterechtlicher und anderer Vor- schriften (Tagesordnungspunkt 17) Jens Spahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Marlies Volkmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Daniel Bahr (Münster) (FDP) . . . . . . . . . . . . Frank Spieth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rolf Schwanitz, Parl. Staatssekretär BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9948 A 9949 A 9949 C 9949 D 9950 C 9951 A 9951 C 9952 B 9952 D 9953 D 9954 D 9956 A 9956 D 9957 D 9958 B 9959 B 9960 A 9960 C VIII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Energieeinsparverordnung zügig verabschieden – Energieausweis als Bedarfs- ausweis einführen (Tagesordnungspunkt 18) Volkmar Uwe Vogel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Rainer Fornahl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Günther (Plauen) (FDP) . . . . . . . . . Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Roth, Parl. Staatssekretärin BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Begrenzung der Aufwendungen für die Prozesskosten- Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung natio- nalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (2. NS-AufhGÄndG) (Ta- gesordnungspunkt 20) Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Carl-Christian Dressel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg van Essen (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung 9961 B 9962 C 9963 C 9964 A 9964 C 9965 B 9971 D 9973 B 9974 A 9975 B 9977 A hilfe (Prozesskostenhilfebegrenzungsgesetz – PKHBegrenzG) (Tagesordnungspunkt 19) Elisabeth Heister-Neumann, Ministerin (Niedersachsen) . . . . . . . . . . . . Dirk Manzewski (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mechthild Dyckmans (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Nešković (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9966 B 9967 B 9968 A 9969 A 9970 B 9971 A des Antrags: Weg vom Öl im Kunststoffbe- reich – Chance der Novelle der Verpackungs- verordnung nutzen und mit Biokunststoffen echte Kreisläufe schließen (Tagesordnungs- punkt 21) Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Gerd Bollmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9977 D 9978 D 9980 B 9981 A 9981 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 9803 (A) (C) (B) (D) 97. Sit Berlin, Donnerstag Beginn: 9
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    Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 9947 (A) (C) (B) (D) des Abgeordneten Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (96. Sitzung, Drucksache 16/5213, Frage 12): schen Bundesbank zu machen. Diese Position wird nach bisheriger Rechtslage vom Bund besetzt. Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hartmut Schauerte auf die Frage Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Beckmeyer, Uwe SPD 10.05.2007 Bismarck, Carl-Eduard von CDU/CSU 10.05.2007 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 10.05.2007 Gabriel, Sigmar SPD 10.05.2007 Gloser, Günter SPD 10.05.2007 Griefahn, Monika SPD 10.05.2007 Dr. Gysi, Gregor DIE LINKE 10.05.2007 Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 10.05.2007 Höger, Inge DIE LINKE 10.05.2007 Kasparick, Ulrich SPD 10.05.2007 Knoche, Monika DIE LINKE 10.05.2007 Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10.05.2007 Lafontaine, Oskar DIE LINKE 10.05.2007 Leibrecht, Harald FDP 10.05.2007 Merten, Ulrike SPD 10.05.2007 Dr. Miersch, Matthias SPD 10.05.2007 Raidel, Hans CDU/CSU 10.05.2007 Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 10.05.2007 Schummer, Uwe CDU/CSU 10.05.2007 Steenblock, Rainder BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10.05.2007 Dr. Troost, Axel DIE LINKE 10.05.2007 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 10.05.2007 Anlagen zum Stenografischen Bericht Welches besondere außen- und sicherheitspolitische Inte- resse gemäß den politischen Grundsätzen der Bundesregie- rung für den Export von Kriegswaffen liegt für einen Export deutscher U-Boote und dessen Absicherung durch Bürgschaf- ten aus Sicht der Bundesregierung vor? Über derartige Rüstungsexportvorhaben befindet der Bundessicherheitsrat, der in geheimer Sitzung tagt. Von daher ist es nicht möglich, zu den einzelnen Abwägungs- kriterien, die dem jeweiligen Einzelfall zugrunde liegen, Auskunft zu geben. Diese Abwägung findet jeweils auf der Grundlage der Politischen Grundsätze der Bundes- regierung für Rüstungsexporte statt und kann – wie dies auch bereits in der Vergangenheit wiederholt der Fall war – zur Genehmigung des Exports von U-Booten in Länder außerhalb der EU und der NATO führen. Export- kreditgarantien des Bundes können nur im Rahmen der im Außenwirtschaftsrecht geltenden rechtlichen Vor- schriften übernommen werden. Für Exportkreditgaran- tien im Zusammenhang mit dem Export von Kriegswaf- fen und sonstigen Rüstungsgütern gelten die Politischen Grundsätze der Bundesregierung vom 19. Januar 2000 und die Entscheidungen des Bundessicherheitsrates. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hartmut Schauerte auf die Frage des Abgeordneten Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (96. Sitzung, Drucksache 16/5213, Frage 13): Wie beurteilt die Bundesregierung unter Berücksichtigung der fortgeschrittenen Bestrebungen Pakistans, den nuklearfä- higen Marschflugkörper „Babur“ auch in U-Boote zu integrie- ren, die Auswirkungen auf die regionale Sicherheitslage? Die Bundesregierung genehmigt – auch gemäß ihren Verpflichtungen aus den entsprechenden Nichtverbrei- tungsregimen – keine Exporte, die die Nuklearwaffen- oder Trägertechnologiefähigkeiten Pakistans stärken könnten. Der Bundesregierung liegen im Übrigen auch keine Erkenntnisse über „fortgeschrittene Bestrebungen“ Pakistans zur Integration des Marschflugkörpers „Babur“ in U-Boote vor. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hans Eichel (SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank (Tagesordnungspunkt 15) Dem Regierungsentwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank stimme ich nicht zu, weil dem Bundesrat nunmehr zu- sätzlich das Recht eingeräumt werden soll, einen Vor- schlag für die Besetzung des Vizepräsidenten der Deut- 9948 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 (A) (C) (B) (D) Es gibt seit der Eingliederung der Bundesbank in das System der europäischen Zentralbanken keinen plau- siblen Grund mehr für eine Mitbestimmung der Länder bei der Besetzung des Vorstandes der Bundesbank. Da- her geht die jetzt angestrebte Gesetzesänderung in die falsche Richtung. Sie schwächt die Position der Bundes- bank national und international. Anlage 5 Zu Protokoll gegeben Reden zur Beratung des Entwurfs eines Achten Geset- zes zur Änderung des Gesetzes über die Deut- sche Bundesbank (Tagesordnungspunkt 15) Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Mit Spannung ha- ben Bankvolkswirte heute die Sitzung des EZB-Rates in Dublin erwartet. Die große Frage: Wird EZB-Präsident Jean-Claude Trichet – wie von ihnen prognostiziert – den Weg für eine weitere geldpolitische Straffung eb- nen? Er hat ihn geebnet. Eine Zinserhöhung von 3,75 Prozent auf 4 Prozent im Juni ist damit wahrschein- lich. Seit nunmehr acht Jahren ist die EZB – nicht mehr die Deutsche Bundesbank – der geld- und währungspoliti- sche Souverän, auf den einmal monatlich alle Augen und Ohren gerichtet sind. Was für uns mittlerweile gängige Praxis ist, bedeutete für die Institution Bundesbank über Jahre hinweg einen herausfordernden Veränderungsprozess: Leitungs-, Ent- scheidungs- und Personalstrukturen mussten reformiert und an die veränderten Rahmenbedingungen angepasst werden. Mit dem Siebten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank haben wir im Jahr 2002 den rechtlichen Rahmen für eine umfassende Strukturre- form der Deutschen Bundesbank gesteckt. Mit dem heute zur Verabschiedung anstehenden Achten Ände- rungsgesetz nehmen wir eine weitere sinnvolle Anpas- sung vor: Der Vorstand der Bundesbank wird spätestens zum 30. April 2009 von derzeit acht auf sechs Mitglieder verkleinert. Die mittelfristige Verkleinerung des Bundesbankvor- standes ist aus zwei Gründen zu unterstützen: Zum einen bin ich davon überzeugt, dass – angesichts der neuen Aufgaben der Bundesbank – eine kleinere Leitungs- ebene noch effizienter arbeiten kann. Zum anderen ist die Verkleinerung des Bundesbankvorstandes ein wichti- ges Signal an die Mitarbeiter. Die Mitarbeiter mussten bei den Umstrukturierungsmaßnahmen in den letzten Jahren ein großes Maß an Flexibilität unter Beweis stel- len und Gehaltskürzungen in Kauf nehmen. Erst im letz- ten Jahr haben wir im Haushaltsbegleitgesetz 2006 eine Kürzung der Bundesbankzulage vereinbart. Durch die Verkleinerung des Vorstandes leistet nun auch die Bun- desbankspitze einen wichtigen Sparbeitrag. Das ist mehr als nur Symbolik. An dem Bestellungsverfahren für den Bundesbank- vorstand ändert sich mit dem Achten Änderungsgesetz zunächst einmal nichts. Das heißt, es bleibt kurz- und mittelfristig beim Vorschlagsrecht von Bundesregierung und Bundesrat. Dieser Pluralismus der Vorschlagsinstan- zen hat sich in der Vergangenheit bewährt, insbesondere weil dadurch die Unabhängigkeit der Bundesbank zusätzlich gestärkt wurde. Gerade in Zeiten, als die Bun- desbank noch die geld- und währungspolitische Souve- ränität innehatte, war es wichtig, politische Einfluss- nahme auf Zinsentscheidungen zu unterbinden. In den letzten Tagen hat das jüngste Bestellungsver- fahren für den Bundesbankvorstand viel öffentliche Auf- merksamkeit erweckt. Ich möchte diese Diskussion, die ich im Übrigen für alle Beteiligten etwas unrühmlich fand, nicht weiter kommentieren. Nur so viel: Grund- sätzlich darf ich doch davon ausgehen, dass Ministerprä- sident Oettinger mit Unterstützung des Bundesrates eine kompetente Person mit entsprechenden Qualifikationen vorgeschlagen hat. Abseits und unabhängig von dieser Diskussion ist es allerdings mittelfristig richtig, die Frage zu stellen, ob das derzeitige Bestellungsverfahren auch künftig noch angemessen ist. Berücksichtigt man den verkleinerten Vorstand sowie die Tatsache, dass die ehemaligen Lan- deszentralbanken mittlerweile weisungsabhängige Hauptverwaltungen sind, könnte man da zu unterschied- lichen Ergebnissen kommen. Die Frage des künftigen Bestellungsverfahrens müssen wir aber jetzt nicht ab- schließend klären. Fünf Jahre nach Verabschiedung des Siebten Bundes- bankänderungsgesetzes ist es mir vor allem wichtig, zu würdigen, dass die Bundesbank die durch das Gesetz in Gang gesetzte Organisationsreform mittlerweile erfolg- reich bewältigt hat und weiter auf veränderte Anforde- rungen reagiert. Gerade die Neuorganisation der Haupt- verwaltungen – ehemals Landeszentralbanken – und des Filialnetzes war für die Bundesbank eine große Heraus- forderung. Diese neue Struktur trägt heute wesentlich zu schlankeren und effizienteren Organisationsabläufen in der Bundesbank bei. Die Übertragung der geld- und währungspolitischen Souveränität von der Bundesbank auf die EZB ist schon seit geraumer Zeit – für die Öffentlichkeit sichtbar – abge- schlossen. Weniger transparent und bekannt sind die wichtigen Aufgaben, die die Bundesbank weiterhin – ins- besondere für die Stabilität des deutschen Finanzplatzes – innehat. Die „neue“ Deutsche Bundesbank befindet sich in ei- ner Doppelrolle: Sie ist zum einen eine unabhängige In- stitution Deutschlands. Zum anderen ist sie integraler Bestandteil des einheitlichen europäischen Zentralban- kensystems. Im Fokus der strategischen Neuausrichtung der Deut- schen Bundesbank stehen fünf Geschäftsfelder: Preis- stabilität im Euroraum, Stabilität des Finanz- und Währungssystems, Sicherheit und Effizienz von Zah- lungsverkehrs- und Abwicklungssystemen, effiziente Bargeldversorgung und -infrastruktur und Funktionsfä- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 9949 (A) (C) (B) (D) higkeit der deutschen Kredit- und Finanzdienstleistungs- institute. Gerade für die Funktionsfähigkeit der deutschen Kre- ditwirtschaft übernimmt die Bundesbank wertvolle Auf- gaben. Nicht zuletzt aufgrund ihrer jahrelangen Erfah- rung ist sie bei der Überwachung der Kreditinstitute ein wichtiger Partner für die BaFin. Wenn wir uns in den kommenden Wochen an die Neujustierung einiger Pro- zesse bei der BaFin begeben, sollten wir dies immer mit bedenken. Kurzum: Die Aufgabenvielfalt der Bundesbank zeigt: Auch wenn in puncto Zinsentscheidung an Tagen wie heute mittlerweile alle Augen auf die EZB gerichtet sind, bleibt die Deutsche Bundesbank eine Institution mit herausragender Bedeutung für Deutschland. Weil dem so ist, bleibt es unsere Aufgabe als Gesetzgeber, die Deutsche Bundesbank als Institution immer wieder den neuen Anforderungen anzupassen. So beschließen wir also das Achte Bundesbankände- rungsgesetz, wissend, dass irgendwann ein Neuntes kommen wird und kommen muss, um die Bundesbank wiederum auf neue Entwicklungen im Finanzsystem ein- zustellen. Jörg-Otto Spiller (SPD): Der vorliegende Gesetz- entwurf zur Änderung des Bundesbankgesetzes ist ein weiterer Schritt zur Anpassung der Bundesbank an die veränderte Situation, die existiert, seit es die Europäi- sche Zentralbank gibt. Die Deutsche Bundesbank hat seit ihrer Gründung über Jahrzehnte eine hervorragende Arbeit geleistet. Sie war so erfolgreich, dass die Europäische Zentralbank nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank gestaltet ist. Allerdings hat die Bundesbank heute aufgrund der Einführung unserer gemeinsamen Währung Euro nicht mehr dieselbe Stellung wie in der Vergangenheit. Sie äh- nelt ein Stück weit der Stellung, die zu D-Mark-Zeiten die Landeszentralbanken innegehabt haben. Es ist des- halb folgerichtig, dass mit dem vorliegenden Gesetzent- wurf der Vorstand der Bundesbank verkleinert wird, und zwar auf sechs Mitglieder. Gleichwohl hat die Bundesbank weiterhin wichtige Funktionen. Sie ist einmal integraler Bestandteil des Eu- ropäischen Systems der Zentralbanken, ESZB. Sie er- füllt wichtige Funktionen für den Zahlungsverkehr. Er- wähnen möchte ich auch ihre Arbeit im Bereich der monetären und volkswirtschaftlichen Statistiken und Analysen. Eine besonders wichtige Aufgabe ist ihre Mit- wirkung bei der Bankenaufsicht. Lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen, dem Mann meine Hochschätzung auszusprechen, der über ein Jahr- zehnt als Mitglied des Direktoriums beziehungsweise des Vorstands der Bundesbank für die Bankenaufsicht zuständig war und vor ein paar Tagen aus Altersgründen aus der Bundesbank ausgeschieden ist: Edgar Meister. Herr Dr. Meister hat wie kein anderes Mitglied des Di- rektoriums oder Vorstands der Bundesbank den Kontakt zum Finanzausschuss des Deutschen Bundestages ge- pflegt. In allen Fragen des Finanzmarktes war er für uns ein fairer und sachkundiger Partner. Besonders möchte ich auf seine Arbeit bei der Ausarbeitung der Eigenkapi- talregeln für Kreditinstitute hinweisen, die unter dem Be- griff „Basel II“ bekannt geworden sind. Edgar Meister hat in Sachen Verbesserung der Stabilität der Finanz- märkte viel vorangetrieben. Der veränderten Situation der Deutschen Bundesbank entspricht es auch, dass das Benennungsverfahren für die Vorstandsmitglieder etwas geändert wird. Der Bun- desrat wird die Möglichkeit haben, der Bundesregierung bei der Bestellung des Vizepräsidenten einen Vorschlag zu machen. Die Bundesregierung ist daran nicht gebun- den, aber es erhöht bestimmt die Chance des Bundesra- tes, mit seinem Vorschlag auch Gehör zu finden, wenn die vorgeschlagene Person neben aller sonstigen Kom- petenz und Qualifikation auch eine spezifische Eignung für das Bankenwesen mitbringt. Frank Schäffler (FDP): Wir begrüßen die Verklei- nerung des Bundesbankvorstandes, die mit dem vorlie- genden Gesetzentwurf vorgenommen wird. Sie ist eine logische Folge der mit der Einrichtung der Europäischen Zentralbank, EZB, eingeleiteten europäischen Entwick- lung. Die Strukturen der Bundesbank wurden bereits mit dem Siebten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank angepasst; nunmehr wird auch die Leitungsebene der Bundesbank effizienter gestaltet. Bedenklich ist die zunehmende Politisierung der Bun- desbank. Diese gefährdet ihre Unabhängigkeit. Die Un- abhängigkeit ist gerade für die Bundesbank aber von be- sonderer Bedeutung. Die Bundesbank war mit ihrer erfolgreichen Rolle als Garant der Stabilität der D-Mark ein Vorbild für die EZB, die nun selbst zum Erfolgsmo- dell geworden ist. Kritisch betrachten wir die aktuelle Diskussion über die Aufgaben der Bundesbank. Dabei werden der Bun- desanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, im- mer mehr Aufgaben übertragen. Aktuell überlegt die Bundesregierung nach Medienberichten, die Aufsicht über die „systemrelevanten“ Kreditinstitute auf die BaFin zu übertragen. Damit legt die Bundesregierung die Axt an die bewährte Tätigkeit der Bundesbank. Dies würde dem Finanzmarkt in Deutschland schaden. Einen schleichenden Verlust von Zuständigkeiten der Bundes- bank sollte es nach Auffassung der FDP-Fraktion daher nicht geben. Nicht zuletzt das Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zur Evaluierung der Bankenaufsicht hat im vergangenen Jahr bestätigt, dass die Kreditwirtschaft mit der Tätigkeit der Bundesbank zufrieden ist. Dabei wurden die Prüfer der Bundesbank tendenziell besser bewertet als die der BaFin. Es muss zu einer klaren Aufgabenverteilung zwischen Bundesbank und BaFin kommen, um Doppelprüfungen bei Kredit- instituten zu vermeiden; dieses Ziel teilen wir ausdrück- lich. So, wie es die Bundesregierung zu planen scheint, ist es jedoch der falsche Weg. Dr. Herbert Schui (DIE LINKE): Nachdem der Euro eingeführt und die EZB gegründet worden ist, sind die Kompetenzen der Bundesbank bedeutend geringer ge- 9950 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 (A) (C) (B) (D) worden. Das ist seit 1999 der Fall. Von diesem Zeitpunkt an wäre es angezeigt gewesen, den Vorstand der Bundes- bank zu verkleinern; denn wo weniger zu entscheiden ist, da sind auch weniger Vorständler nötig. Schließlich nimmt die Bundesbank nach Gründung der Europäi- schen Zentralbank nun eine viel weniger bedeutende Funktion wahr. Sie ist jetzt einer früheren Landeszentral- bank sehr ähnlich. Man bedenke: Die Führung der EZB besteht aus sechs Personen, der Vorstand der Banque de France lediglich aus drei. Da sollten doch drei Vor- standsmitglieder für die Bundesbank vollauf reichen. Nun endlich wird ein Gesetz vorgelegt, das nach einer Übergangsregelung spätestens im Frühjahr 2009 den Vorstand auf sechs Mitglieder verringern will. Wenn auch spät und unzureichend, so ist es doch endlich eine kleine Reaktion auf die veränderten Umstände. Die Linke stimmt diesem Gesetz zu, wenngleich mit Beden- ken, denn drei Vorständler statt acht würden zu Erspar- nissen in Höhe von 1,125 Millionen Euro führen. Zufrieden ist die Koalition mit dem von der Bundes- regierung eingebrachten Gesetz offenbar nicht. Der haushaltspolitische Sprecher der SPD, Carsten Schneider, sagt in der ARD, dass er eine Verkleinerung des Vorstandes auf fünf Personen wünsche. Hans Eichel unterstützt ihn hierbei. Warum also nicht gleich ein Ge- setz, das die Größe des Vorstands der Bundesbank auf drei Personen verringert? Scheinbar steht dem das Vorschlagsrecht der Länder entgegen. Baden-Württemberg ist gegenwärtig an der Reihe. Ministerpräsident Oettinger wünscht, dass der Posten von Böhmler besetzt wird. Das neue Bundes- bankgesetz könnte sich darüber hinwegsetzen. Die Kanzlerin aber will sich zu der Sache nicht äußern. Der Fall sei zu unwichtig. Einen Konflikt mit ihrem Partei- freund Oettinger will sie deswegen nicht riskieren. Posi- tion zu beziehen, ist hier aber wichtig. Denn offenbar hat nicht nur die SPD Bedenken. Die Bundesbank selbst, de- ren Vorstand bei der Neubesetzung angehört werden muss, hat sich eindeutig gegen Böhmler als neues Vor- standsmitglied ausgesprochen. All das soll aber nichts bedeuten, weil die Kanzlerin es sich mit dem Minister- präsidenten Oettinger nicht verderben will. Die Verkleinerung des Vorstandes der Bundesbank ist jedoch kein unwichtiger Fall. Es sind nicht nur 1,125 Millionen Euro einzusparen; es geht hier überdies darum, nichtrationale, nichtwirtschaftliche Verwaltung umzugestalten. Das ist eine sehr grundsätzliche Frage, wegen der die Bundesregierung bekanntlich den Nor- menkontrollrat berufen hat. Ist dieses Gremium in dieser Angelegenheit tätig geworden? Nichts ist bekannt. Und weiter: Böhmler kümmert sich in Stuttgart im Auftrag des Ministerpräsidenten um die Beseitigung von über- flüssiger Verwaltung, also um den so genannten Büro- kratieabbau. Wenn er aber seinen mit 225 000 Euro jähr- lich bezahlten Posten bei der Bundesbank antritt, dann kann von „Bürokratieabbau“ nicht die Rede sein. Im Ge- genteil: Das sind sinnlose Verwaltungsausgaben, hier: unnötige Bürokratie als Preis für Frieden in der CDU. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundesregierung plant mit ihrem Gesetzentwurf, den Vorstand der Bundesbank zu verkleinern und damit die Leitungsebene effizienter zu gestalten. Statt acht soll der Bundesbankvorstand künftig nur noch sechs Mitglie- der umfassen. Die Umstrukturierung des Vorstandes soll bis April 2009 abgeschlossen sein. Ich kann für meine Fraktion vorweg sagen, dass wir die Stoßrichtung der neuen Regelung begrüßen, uns aber wegen zwei zentra- ler Kritikpunkte der Stimme enthalten werden. Wir meinen, dass die Bundesregierung bei der Vor- lage des Gesetzes die Chance vertan hat, gleich noch weitere Mängel am Bundesbankgesetz zu beseitigen. Da ist an erster Stelle das Besetzungsverfahren zu nennen. Im Gesetz steht zwar, dass die Mitglieder des Vorstandes „besondere fachliche Eignungen besitzen“ müssen. In der Praxis kam es in jüngster Vergangenheit erneut da- rauf an, aus welchem Bundesland ein Kandidat für den Vorstand kommt und welches Parteibuch er besitzt. An- ders ist es nicht zu erklären, dass Rudolf Böhmler an die- sen Posten gekommen ist. Nichts gegen Herrn Böhmler, er ist ein ausgewiesener Verwaltungsfachmann und seit langem im Dienst verschiedener Ministerpräsidenten meines Heimatbundeslandes Baden-Württemberg. Aber Herr Böhmler ist weder Geld- noch Bankenspezialist. Das ist auch den anderen Vorstandsmitgliedern der Bun- desbank nicht entgangen, worauf sie ihn bei einer inter- nen Anhörung durchfallen ließen. Das spielt aber für die Berufungschancen von Herrn Böhmler keine Rolle, denn er ist Chef der Stuttgarter Staatskanzlei und Kandidat von Ministerpräsident Oettinger; also haben dessen Kol- legen der Personalie zugestimmt, anschließend hat die Bundesregierung den Vorgang abgenickt. Ein Bundes- bankvorstand ist aber kein Ort, an dem verdiente Beamte nur aufgrund ihrer Herkunft und ihres Parteibuchs sitzen dürfen. Wenn die Bundesbank weiterhin bedeutsam sein soll im System der europäischen Notenbanken, dann geht das in Zeiten der einheitlichen Geldpolitik nur durch Kompetenz, aber auf gar keinen Fall durch Pro- porz. Die föderalen Besetzungsstrukturen sind untaug- lich. Dass sie nicht im Zuge der Föderalismusreform abgeschafft wurden, beweist erneut deren schlechte Qua- lität. Dass sie auch nicht durch das vorliegende Gesetz geändert wurden, ist ein großes Versäumnis. Neben dem Besetzungsverfahren sollte die Bundes- regierung über eine weitere Verkleinerung des Bundes- bankvorstandes nachdenken und konkrete Vorschläge vorlegen. Die Strukturreformen sind ja an anderer Stelle bereits mutig angegangen worden, allein der Filialbe- stand wird bis Ende 2007 mit 47 Filialen um etwa zwei Drittel, der Personalbestand mit etwa 11 100 Beschäftig- ten um gut 30 Prozent geringer sein als fünf Jahre zuvor. Die Zahl der Führungspositionen wurde insgesamt um 74 Stellen und damit um mehr als die Hälfte verringert. Ab 2008 werden die jährlichen Kosten im Vergleich zum Jahre 2002 um rund 280 Millionen Euro geringer sein, wobei die Beschäftigten der Bundesbank dabei den größten Anteil geleistet haben. Hier hinkt die Entwick- lung beim Vorstand deutlich hinterher. Erst bis April 2009 soll die vorgeschlagene Verkleinerung abgeschlos- sen sein. Das ist zu langsam. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 9951 (A) (C) (B) (D) Das Bundesbankgesetz muss deutlicher als durch den vorgelegten Entwurf geändert werden. Das Besetzungs- verfahren spiegelt einen falsch verstandenen Föderalis- mus wider, der in Zeiten einer einheitlichen Geldpolitik erst recht nichts mehr zu suchen hat. Die vorgeschlagene Verkleinerung des Vorstands geht zwar in die richtige Richtung, aber nicht weit und nicht schnell genug. Des- wegen wird sich meine Fraktion bei der Abstimmung zu diesem Gesetz der Stimme enthalten. Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen: Der dem Bundestag zur Annahme vorliegende Gesetzentwurf dient dazu, die Anzahl der Mitglieder des Vorstandes der Deutschen Bundesbank mittelfristig von acht auf sechs Mitglieder zu verringern. Die Bundesregierung hatte einen solchen Vorschlag bereits in ihrem Gesetzentwurf für die Bun- desbankstrukturreform von 2002 gemacht. Im Gesetzge- bungsverfahren war seinerzeit diese Passage im Kom- promisswege geändert worden. Die Notwendigkeit einer Verkleinerung des Vorstandes der Deutschen Bundes- bank aus Effizienzgründen besteht aus Sicht der Bundes- regierung unverändert fort. Dem sechsköpfigen Vorstand sollen künftig der Präsi- dent, der Vizepräsident und vier weitere Mitglieder an- gehören. Damit wird die Effizienz der Leitungsebene der Deutschen Bundesbank weiter verbessert; gleichzeitig werden Kosten reduziert. Das bisherige Bestellungsver- fahren für die Vorstandsmitglieder wird beibehalten. Das heißt, der Präsident, Vizepräsident und ein weiteres Mit- glied des Vorstandes werden von der Bundesregierung, die übrigen Mitglieder vom Bundesrat vorgeschlagen. Allerdings ist nunmehr vorgesehen, dass der Bundesrat zukünftig der Bundesregierung für die Bestellung des Vizepräsidenten einen Vorschlag unterbreiten kann, den die Bundesregierung bei ihrer Entscheidung berücksich- tigen kann, aber nicht muss. Während einer Übergangszeit – längstens bis zum 30. April 2009 – kann der Bundesbankvorstand aus sie- ben Mitgliedern bestehen. Dies ermöglicht eine Vor- standsverkleinerung ohne Entlassung von Vorstandsmit- gliedern, denn der Zeitplan ist mit dem normalen Auslaufen der Verträge von Vorstandsmitgliedern abge- stimmt. Ich freue mich, dass heute ein weiterer Schritt zur Re- form der Leitungsebene der Deutschen Bundesbank um- gesetzt werden kann. Anlage 6 Zu Protokoll gegebenen Reden zur Beratung der Anträge: – Bildungszugang von Kindern und Jugend- lichen stärken – Finanzierung von Schüler- und Schülerinnenbeförderung im SGB II ermöglichen – Kommerzialisierungstendenzen im Schul- wesen stoppen – Bildungsteilhabe für alle Kinder und Jugendlichen sichern – Teilhabechancen für Kinder und Jugend- liche aus armen Haushalten fördern (Tagesordnungspunkt 16 a bis c) Karl Schiewerling (CDU/CSU): Nicht zuletzt seit den PISA-Studien wird die Bildungssituation in Deutschland beklagt. Bildungsdebakel, Bildungsrück- stand und soziale Ungleichheit sind die Schlagworte, welche die Diskussion um das deutsche Bildungswesen bestimmen. Im Kreuzfeuer der Kritik steht dabei der enge Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und er- zielten Bildungsleistungen. Dass es diesen Zusammen- hang gibt, ist nicht wegzudiskutieren. Auch wir machen uns zunehmend um die Kinder Sor- gen, die aus sozial schwachen Familien kommen und nicht den Fuß in die Tür des Berufslebens setzen kön- nen. Die starke Verknüpfung zwischen geringer Qualifi- kation und Arbeitslosigkeit zeigt, dass Bildungsförde- rung auch eine präventive Beschäftigungspolitik ist. Aus diesem Grund ist es in meinen Augen notwendig, in Zukunft wesentlich stärker präventiv zu arbeiten. Ich stelle mir hierbei eine Vernetzung zwischen dem SGB II, dem SGB VIII und dem SGB XII vor. Gerade erst haben wir den ersten Teil der Föderalis- musreform verabschiedet. Was wir nun bestimmt nicht machen werden, ist, in den Kompetenzbereich der Län- der einzugreifen. Nicht nur die Bildungshoheit liegt bei den Ländern, auch die Beförderung der Schüler zu den Schulen. Jedes Bundesland regelt in speziellen Gesetzen, Verordnungen und Erlassen, wie die Beförderung der Schüler zu organisieren ist und wer die Kosten dafür trägt. Oft werden die Kosten für die Beförderung im öf- fentlichen Nahverkehr bezuschusst oder in ländlichen Gebieten die Beförderung mit speziellen Schulbussen gewährleistet. In Ihrem Antrag gehen Sie auch auf Privatschulen ein. Ich kann nichts Verwerfliches daran erkennen, wenn El- tern sich es leisten können, ihre Kinder auf Privatschulen zu schicken. Das ist keine Katastrophe, sondern eine Chance. Zu einer Katastrophe wird es erst, wenn Schüle- rinnen und Schüler anderer Schulen dadurch benachtei- ligt werden. Das kann ich nicht erkennen. Diese Diskus- sion schürt Neid. Es geht nicht um Gleichheit, sondern um gerechte Bildungschancen. Es geht um Chancen- gleichheit. Ich verstehe auch nicht, warum Sie ein Problem ha- ben, wenn Unternehmen Schulen Computer spenden. Vielmehr frage ich mich, warum Sie es der Wirtschaft verbieten wollen, sich im Bildungsbereich zu engagie- ren? In meinem Wahlkreis klappt die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Berufskollegs hervorra- gend. 9952 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 (A) (C) (B) (D) Die Firmen stellen das Material zur Verfügung, und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Ausbildungs- und weiterführenden Bildungsgängen entwickeln durch ihre innovativen Projekte Lösungen, die von den Betrie- ben nachgefragt werden. Nicht zuletzt durch diese Ver- netzung von Schule und Betrieb erfolgt eine Stärkung des Mittelstandes. Die Arbeitslosenquote in meinem Wahlkreis beträgt 5,5 Prozent. Das ist für mich perfekte Vernetzung von Schule und Wirtschaft. Natürlich hat Schul-Sponsoring auch seine Grenzen. Sponsoring darf niemals staatliche Leistungen und Pflicht ersetzen. Gutes Sponsoring ist dann gegeben, wenn die Schulen einen Mehrwert erfahren. Der pädago- gische Nutzen muss im Vordergrund stehen. Die Schule darf auf keinen Fall instrumentalisiert werden. Sponsoring hat auch nicht immer etwas nur mit Geld zu tun. Wenn der Chemiekurs einmal im Jahr seine Experimente in den Profi-Labors des benachbarten Che- miekonzerns machen darf, ist das für die Schülerinnen und Schüler nicht nur ein unvergessliches Erlebnis, son- dern auch möglicherweise die Brücke zur Berufsausbil- dung. Im SGB II ist geregelt, welche Leistungen der Bund und welche die Kommunen zu erbringen haben. Die Kommunen sind zuständig für die Schüler- und Schüle- rinnenbeförderung. Ebenso für die Schulspeisung und die Übernachmittagsbetreuung. Es ist übrigens zu beobachten, dass es in vielen Län- dern innovative Schulprojekte gibt, die ganz bewusst in sozial schwierigen Regionen durchgeführt werden. Ich weise daraufhin, dass es beispielsweise in Nord- rhein-Westfalen diverse Projekte rund um das Thema ge- sunde Ernährung an Schulen gibt. Doch die präventive Arbeit hat nur Erfolg, wenn wir es den Kindern vorle- ben, in der Schule, in der Freizeit und vor allem in der Familie. Eltern haben eine Vorbildfunktion, egal, ob bei gesunder Ernährung oder bei der täglichen Arbeit. Wenn es eine zunehmende Anzahl von Familien gibt, in der Kinder nie erlebt haben, dass Eltern durch eigene Arbeit den Lebensunterhalt verdienen, sondern nur von Transferleistungen leben, kann das für die Entwicklung des Kindes höchst problematisch sein. Dank der guten Konjunktur sinkt die Arbeitslosigkeit und steigt die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse. Wir haben große Chancen, Langzeitarbeitslose aus dem SGB-II-Bezug herauszu- führen und ihnen durch Arbeit eine neue Perspektive zu geben. Hier müssen auch vor Ort Lösungen gefunden werden. Diese liegen sicherlich nicht darin, über eine an- gebliche Beeinflussung von Schülerinnen und Schülern durch Unternehmen zu diskutieren, die Schulen einen Computer spenden. Wolfgang Grotthaus (SPD): Das Thema „Bildungs- zugang von Kindern und Jugendlichen stärken“ wird heute auf der Grundlage von drei Anträgen der Opposi- tionsparteien Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen erstmals beraten. Als Mitglied des Ausschusses für Ar- beit und Soziales möchte ich mich auf den Aspekt der Anträge konzentrieren, der sich um Regelungen im Sozialgesetzbuch II und XII dreht. Die Bewertung der mehr bildungspolitischen Gesichtspunkte wird meine Kollegin Gesine Multhaupt vornehmen. Die Intention der Anträge, armutsbedingte Benachtei- ligungen beim Zugang zu Bildung zu beseitigen, ist nicht falsch und steht auch nicht im Widerspruch zu der von uns verfolgten Politik. So wie es sich die Antragstel- ler vorstellen, ist ein Auffangen einer Benachteiligung in Bezug auf die Gewährung von Fahrtkostenzuschüssen und Lehrmittelfreiheit über eine Regelung im SGB nicht zu regeln. Die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen der schu- lischen Ausbildung fällt vorrangig in die Kultuszustän- digkeit der Länder. Deshalb muss dort auch die Kosten- beteiligung so geregelt werden, dass hilfebedürftige Familien von den finanziellen Belastungen, die durch die Fahrtkosten oder durch Lernmittel, Mittagsspeisung entstehen können, nicht in einem unangemessenen Um- fang belastet werden. Oder es muss sogar eine Befreiung von den Kosten ermöglicht werden. Diese Leistungen dann vom Bund einzufordern, wenn die Länder sich weigern oder die Notwendigkeit nicht erkennen, bedeutet eine Verlagerung von Zuständigkei- ten. Warum sollen die Länder dann überhaupt noch an- schließend die Leistungen übernehmen, wenn sie doch wissen, dass der Bund hier einspringt. Nein, die von den Oppositionsfraktionen für ihre An- träge zum Anlass genommene Problematik der Schüler- beförderungskosten und anderer Sozialleistungen ist nicht Sache des Bundes. Uns ist auch nur aus dem Land Niedersachsen diese Problematik bekannt. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist bereits tätig geworden. Die zuständigen Stellen haben sich mit jenen des Landes Niedersachsen ins Benehmen gesetzt, um zu veranlassen, dass dort die erforderlichen Schritte durch das Land eingeleitet wer- den. Einen Handlungsbedarf auf Bundesebene darüber hi- naus sehe ich nicht, insbesondere deshalb nicht, weil der Umfang der Leistungen abschließend gesetzlich geregelt ist. Die Regelleistung bildet das soziokulturelle Exis- tenzminimum ab und umfasst auch Ausgaben für die Nutzung von Verkehrsmitteln, Nahrung und Schulmate- rial. Das Bundessozialgericht hat noch im November 2006 Höhe und Art der Bedarfsermittlung als verfas- sungsgemäß in § 23 Abs. 3 SGB II geregelt und mit dem Gesetz zur Fortentwicklung des SGB II sind weiterge- hende Sonderleistungen ausdrücklich ausgeschlossen. Gesetzlicher Regelungsbedarf besteht auch nicht im Be- reich des SGB XII und des Asylbewerberleistungsgeset- zes. Von daher werden wir die uns vorliegenden Anträge ablehnen. Gesine Multhaupt (SPD): Mit den vorliegenden Anträgen glaubt die Fraktion Die Linke, einen Beitrag Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 9953 (A) (C) (B) (D) zur Verbesserung des Bildungszugangs von Kindern und Jugendlichen leisten zu können. In einem entsprechen- den Forderungskatalog werden die Finanzierung der Schülerbeförderung, Kosten für Mittagessen und Lern- mittel sowie die Zulassung von privaten Bildungsein- richtungen thematisiert. Mein Kollege Wolfgang Grotthaus hat sich bereits zur sozialpolitischen Dimen- sion der vorliegenden Anträge geäußert. Auch auf der Suche nach dem bildungspolitischen Kern der vorliegenden Texte kann ich an keiner Stelle bundespolitische Kompetenzen entdecken. Die Ausge- staltung der Schulpolitik, die Beförderung von Schülern, Kontrolle von Schulbüchern, Unterrichtsmaterialien und Unterrichtsinhalten liegt in der Zuständigkeit der Län- der. Der Bund hat keine Möglichkeit, hier gestaltend ein- zugreifen. In der Tat werfen die von Ihnen angesprochenen The- men – Bildungserfolge von Schülern mit problemati- scher sozialer Herkunft sowie die wachsende Bedeutung privater Nachhilfe – insgesamt Fragen zur Leistungsfä- higkeit unseres Schulsystems auf. Die SPD-Bundestags- fraktion hat diese Probleme rechtzeitig erkannt, und wir haben auch gehandelt. Schon in der letzten Legislaturperiode hat die SPD- geführte Bundesregierung mit Edelgard Bulmahn und Renate Schmidt den Zug auf die richtige Schiene ge- setzt. Mit einem Investitionsprogramm von insgesamt 4 Milliarden Euro haben wir gezielt durch bauliche Maßnahmen Schulen zu Ganztagsschulen ausgebaut oder erweitert und damit den Zugang zu Bildung für alle Schüler in unserem Land erheblich verbessert. Die Betreuungsangebote werden wir auch in dieser Legislaturperiode für Kinder unter drei Jahren quantita- tiv und qualitativ weiter ausbauen. Obwohl es sich beim Ausbau der Kinderbetreuung und dem Ausbau von Ganztagsschulen um eine Pflichtaufgabe von Ländern und Kommunen handelt, haben wir hier mit erheblichen Bundesmitteln die Schulbildung und die Betreuung deut- lich verbessert. Sie sehen, wir debattieren nicht nur über bessere Chancen für alle Kinder und Jugendlichen; wir handeln auch. Nicht folgen kann ich der Ihrem Antrag zugrunde lie- genden Logik, dass die unzureichende Bildungsbetei- ligung von Kindern aus den genannten Familien ur- sächlich mit mangelnden oder gar fehlenden Transferleistungen zu tun hat. Um den Teufelskreislauf – Arbeitslosigkeit, niedriges Bildungsniveau, kein struk- turierter Tagesablauf und eine Mentalität des „Durch- wurschtelns“ – zu durchbrechen, müssen diese Kinder so früh wie möglich öffentliche Bildungsangebote wahr- nehmen. Diese Familien benötigen Angebote und Unter- stützung, um ihre Kinder frühzeitig aus dem familiären Teufelskreislauf herauszunehmen. Wir sorgen dafür, dass diese Kinder Angebote wohn- ortnaher Bildungs- und Betreuungseinrichtungen wahr- nehmen können. Allein mit immer mehr finanziellen Mitteln – das wissen Sie so gut wie ich – helfen Sie hier niemandem. Die Länder sind aufgefordert, im Sinne unserer Kin- der den hier begonnenen Weg konsequent fortzusetzen. Zu Recht weisen Sie auf wesentliche Unterschiede bei der Unterstützung in den einzelnen Bundesländern hin. Aus Rheinland-Pfalz wissen wir, dass die Landesre- gierung zu einem Vorbild geworden ist. Dort ist der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz im letzten Kindergartenjahr vor der Einschulung seit Januar 2006 beitragsfrei. Damit entlastet das Land die Familien um durchschnittlich 600 Euro pro Kind. Weiterhin bekommt jedes Kind mit Sprachproblemen vor dem Schuleintritt eine spezielle Förderung. Die Umsetzung des Ganztagsschulprogramms in Nie- dersachsen findet hingegen nur sehr halbherzig statt. Da zusätzliche Lehrer von der niedersächsischen Landesre- gierung gegenwärtig nicht eingestellt werden, können die Ganztagsschulen nicht ausreichend Förderunter- richt, Übungsstunden und Betreuungsangebote am Nachmittag bereitstellen. Dies erklärt möglicherweise den wachsenden Bedarf an privater Nachhilfe. In Thüringen beschäftigt sich eine gemeinsame Ar- beitsgruppe mit dem Phänomen von materieller Armut, Erziehungsdefiziten, mangelnden sozialen Kontakten und Bildungsarmut. Ich bin davon überzeugt, dass hier auch gerade im Hinblick auf die von ihnen angesproche- nen Themen sinnvolle Lösungsansätze gefunden wer- den. Die Schülerbeförderung in den Ländern stellt sich zwar sehr unterschiedlich dar, in der Regel wird aber die soziale Lage der Familien berücksichtigt. Außerdem bie- ten die Nahverkehrsverbunde ermäßigte Schülerzeitkar- ten an, die alle Schüler nutzen können, die aufgrund der Landesregelung keinen kostenfreien Transfer in An- spruch nehmen können. Ich möchte abschließend feststellen: Sie analysieren Probleme in unserem Schulsystem, die wir bereits vor vielen Jahren erkannt haben. Mit unserem Regierungs- handeln geben wir für Kinder und Jugendliche die richti- gen Antworten, während Sie sich damit begnügen, in al- ter Tradition mehr Geld zu fordern und dann zu hoffen, dass damit einer guten Bildung und Betreuung Genüge getan sei. Dass dieses nicht ausreicht, haben wir Ihnen aus sozial- und bildungspolitischer Sicht erklärt. Dass wir die vorliegenden Anträge ablehnen, wird Sie von da- her nun nicht verwundern. Die SPD wird sich auch in Zukunft in den Ländern, in denen wir Verantwortung tragen, und auf Bundesebene sehr dafür einsetzen, dass wir insbesondere bei Kindern und Jugendlichen zu mehr Chancengleichheit gelangen. Miriam Gruß (FDP): Hätte die Bundesregierung den Bericht des UN-Sonderberichterstatters Vernor Muñoz aufmerksam gelesen und daraus die richtigen Schlüsse gezogen, würden wir heute Abend nicht über dieses Thema debattieren. Denn die Quintessenz aus dem Muñoz-Bericht ist klar: Hinter den Ungleichheiten im deutschen Bildungssystem steht eine soziale Un- gleichheit, die weitreichende Folgen für die betroffenen 9954 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 (A) (C) (B) (D) Kinder und Jugendlichen hat. Diese soziale Ungerech- tigkeit gilt es abzubauen. Bei der Bundesregierung kann ich den entschiedenen Willen dazu leider immer noch nicht erkennen. Aber wie soll sie auch tätig werden, wenn sie sich selbst aller bil- dungspolitischen Kompetenzen dank der Föderalismus- reform beraubt hat? In seinem Bericht stellt Muñoz zweifelsfrei fest: Deutschland verfügt nicht über ein einheitliches Bil- dungssystem, da es keinen länderübergreifenden konsis- tenten Rahmen gibt. Leider hat die Bundesregierung damit nicht nur sich selbst viel Ärger eingebrockt, sondern auch unseren Kin- dern, die nun qua Geburtsort dem Bildungssystem ihres Bundeslandes ausgeliefert sind. Ihre Anträge, werte Kol- legen der Grünen und der Linken, lesen sich in Teilen wie eine Parodie auf den Föderalismusmurks. Die PISA-E-Studie hat gezeigt, dass es in keinem deutschen Bundesland gelungen ist, allen Heranwach- senden gleich gute Bildungschancen zu geben, sie indi- viduell zu fördern und gleichzeitig soziale, ethnische und kulturelle Unterschiede der Bildungsbeteiligung und des Bildungserfolgs auszugleichen. Dies sind ja gerade die Ziele Ihrer Anträge! Doch wie können wir es nun schaffen, soziale Un- gleichheiten im Bildungssystem abzubauen und damit allen Kindern – unabhängig von ihrem Elternhaus – das Rüstzeug mit auf den Weg zu geben, das so essentiell ist für die Entwicklung ihres gesamten Leben, nämlich Bil- dung? Ich glaube, wir müssen erstens ganz gezielt bei den Elternhäusern und Familien der Kinder ansetzen. Ein in- taktes, bildungsorientiertes Zuhause ist ein Grundstein für gute Bildungschancen, das steht fest. Zweitens müssen wir auch in die Schulen investieren. Sie sind kein Auffanglager für vernachlässigte Kinder. Schule muss sich darauf verlassen können, dass Eltern ihren Kindern ein Mindestmaß an Benehmen, Sozial- kompetenz, Sprachvermögen und Allgemeinbildung vermitteln, auf dem Lehrer aufbauen können. Eltern müssen sich jedoch ebenso darauf verlassen können, dass ihren Kindern in den Schulen das Wissen beigebracht wird, das sie für einen erfolgreichen Start in die Berufsausbildung benötigen, und darauf, dass Schule ihren Kindern nicht schadet, dass also das schulische Umfeld und die Aktivitäten dort keinen negativen Ein- fluss auf die Schüler haben. Im Gegenteil: Schule muss auf ein Fundament aufbauen und weiterbilden, ohne zu selektieren. Schule und Eltern sind also gleichermaßen in der Pflicht und in einer Erwartung. Sie bedingen sich gegen- seitig, soll den Kindern eine optimale Bildung und Er- ziehung zuteil werden. Versagt eine der beiden Institu- tionen, kommt es zum Zusammenbruch des Systems, denn die jeweils andere Seite kann dieses Versagen nur sehr bedingt auffangen oder ausgleichen. Leidtragende sind dann die einzelnen Kinder, die weder für das eine noch für das andere etwas können. Bundespolitisch sind uns die Hände in dieser Sache gebunden. Deshalb sind viele Ihrer Forderungen, liebe Kollegen der Bündnisgrünen und der Linken, so ehren- haft sie auch sein mögen, leider von uns nicht beein- flussbar. Wir können aber für einen breiten gesellschaftlichen Konsens werben, der Erziehung und Bildung Priorität vor anderen Zielen einräumt. Das bedeutet vor allem, mehr Geld in Bildung und in Familien zielgenau zu in- vestieren. Lebensstandard und Wohlstand einer Familie dürfen nicht mit der Geburt eines oder mehrerer Kinder sinken. Kinder müssen gesellschaftlich besser abgesi- chert werden. Gleiches gilt für Mütter, die sich frei für Kinder entscheiden sollen, ohne gleichzeitig Angst vor Arbeitslosigkeit oder schlechteren Chancen auf dem Ar- beitsmarkt zu haben. Insgesamt muss es zu einer besseren Verzahnung von Kindertagesstätten, Vorschulerziehung und Grundschule kommen, um Kindern einen möglichsten gleichen Start in die Schulzeit und gleiche Zugangschancen zu Bildung zu ermöglichen. Es müssen die elterlichen Ressourcen gestärkt, die institutionellen Rahmenbedingungen ver- bessert und das Bewusstsein aller, für das Aufwachsen von Kindern mitverantwortlich zu sein, gefördert wer- den. Darüber hinaus muss die Bildungsforschung, insbeson- dere im Bereich der frühkindlichen Bildung, intensiviert werden. Hier brauchen wir außerdem eine Qualitätsoffen- sive mit pädagogischen Zielen und Bildungsmindest- standards. Wir Liberalen schlagen zur Qualitätssiche- rung ein System der Akkreditierung bzw. Zertifizierung der Einrichtungen vor. Das Kinderhilfswerk UNICEF hat heute in einer Pres- semitteilung noch einmal darauf hingewiesen: Bildung ist das wichtigste Kapital für die Zukunft der Welt – preiswert, erneuerbar und voller Energie. Werden wir alle zu Bildungsbotschaftern in unseren Gemeinden und Kommunen. Denn nur wer Bildung auf- baut, baut soziale Ungleichheiten ab! Cornelia Hirsch (DIE LINKE): Wenn im Bundestag und in der Öffentlichkeit über Bildung diskutiert wird, betonen Abgeordnete aller Fraktionen, dass Bildung für sie ein überaus wichtiges Thema ist. Mit dieser Einigkeit ist aber Schluss, sobald es zur konkreten Politik und Herangehensweise kommt. Die Linke ist der Auffas- sung, dass Bildung – gerade weil sie sowohl für die indi- viduelle als auch die gesellschaftliche Entwicklung so bedeutend ist – ein Grundrecht sein muss. Die Teilhabe an Bildung muss für alle garantiert werden. Von Ihnen hören wir dagegen, dass Bildung wichtig sei, weil sie je- dem einzelnen Menschen die Chance bietet, sich eigen- verantwortlich um gute Zukunftsperspektiven zu küm- mern. Wer diese Chance nicht nutzt, hat eben Pech gehabt. Auf diese Weise verschleiern Sie aber, dass nicht jeder und jede gleichermaßen die Möglichkeit zur Teil- habe an Bildung hat. Schlimmer noch: Mit Ihrer Politik vergrößern Sie die Kluft zwischen Arm und Reich und produzieren immer mehr Armut. Armut führt aber zu Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 9955 (A) (C) (B) (D) Ausgrenzung und dies verhindert gerade auch die Teil- habe an Bildung. Ich möchte Ihnen das an drei Beispielen verdeutli- chen. Das erste Beispiel betrifft Ihre Sozialpolitik. Die Linke lehnt Hartz IV ab; alle anderen Fraktionen waren dafür. Ich empfehle Ihnen allen deshalb, sich das Flug- blatt der GEW zu diesem Thema durchzulesen. Dort wird anhand eines typischen Falls auf die Folgen von Hartz IV verwiesen: Nicole. Sie ist vierzehn und lebt in einer Bedarfsgemeinschaft. Der monatliche Regelsatz von Nicole beträgt 207 Euro. Darin sind weniger als 3 Euro pro Tag für Verpflegung enthalten, weniger als neun Euro monatlich für Fahrtkosten und kein einziger Cent für sonstige Schulkosten. Nicole zahlt aber 2,50 Euro für das Mittagessen in der Schule. Ihre Mo- natskarte kostet fast 30 Euro. An sonstigen Schulkosten kommen für Bücher, sonstige Lernmaterialien oder Klassenfahrten viele weitere Ausgaben zusammen. Mit einem Regelsatz von 207 Euro lässt sich das nicht finan- zieren. Das Beispiel von Nicole – und solche Beispiele könnte man zu Tausenden finden – zeigt: Ihre Politik führt zu Armut. Und diese Armut verhindert gerade auch die Teilhabe an Bildung. Mit unseren heutigen Anträgen fordern wir Sie des- halb dazu auf, das SGB II anzupassen und zu erweitern. Dies wäre zumindest ein erster Schritt in die richtige Richtung. Umfassend lässt sich Bildungsteilhabe aller- dings nur realisieren, wenn die Gebührenfreiheit der Bil- dung grundlegend gesichert ist. Die Bundesregierung muss gemeinsam mit den Ländern für die Wiedereinfüh- rung der Lernmittelfreiheit eintreten. Darüber hinaus muss mit Armutslöhnen endlich Schluss sein: Beenden Sie endlich Ihr Koalitionstheater, und führen Sie einen gesetzlichen Mindestlohn ein. Zweites Beispiel. Mit Ihrer Politik unterstützen Sie private Bildungsdienstleister, während zugleich das öf- fentliche Bildungssystem immer weiter ausgehöhlt wird. Dies lässt sich unter anderem an der wachsenden Bedeu- tung von Nachhilfe zeigen: Jedes vierte Kind nimmt pri- vate Nachhilfe in Anspruch. Die Kosten liegen durch- schnittlich bei rund 100 Euro monatlich. Anders als Nicoles Eltern können die Eltern der gleichaltrigen Katrin, die zu den Gutverdienenden gehören, die Nach- hilfe ihrer Tochter finanzieren. Nicole bleibt außen vor. Förderangebote in ihrer Schule gibt es so gut wie keine mehr. Schließlich kann selbst der reguläre Unterricht nur mit Mühe und hohen Belastungen für die Lehrkräfte auf- rechterhalten werden. Privatisierung zeigt sich auch an der Entwicklung der Privatschulen: In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Schülerinnen und Schüler an Privatschulen mehr als verdoppelt. Im Grundgesetz ist zwar festgelegt, dass dies nicht mit einer sozialen Sortie- rung einhergehen darf. Inzwischen gibt es aber Privat- schulen, deren Gründungszweck Gewinnerzielung ist. Welches Interesse besteht hier, Kinder wie Nicole aufzu- nehmen? Noch weiter verbreitet als Privatschulen ist Schulsponsoring. Schulen sind mehr und mehr darauf angewiesen, private Spenden einzuwerben. Die Haupt- schule, die Nicole besucht, kann aber nicht auf viele Spenden hoffen. Es fehlt somit an allen Ecken und En- den an Geld. Das Gymnasium, auf das Katrin geht und das in einer guten Wohngegend liegt, hat da deutlich mehr Möglichkeiten. Schließlich gelten ihre Mitschüle- rinnen und Mitschüler als besonders kaufkräftig und das Sponsoring an dieser Schule ist eine überaus gute Wer- bemöglichkeit für Unternehmen. All diese Entwicklungen folgen dem Prinzip: Gute Bildung für wenige, die es sich leisten können, schlechte Bildung für die große Mehrheit, die wenig Geld hat. Die Linke findet das falsch. Wir wollen das öffentliche Schulsystem stärken, und dazu braucht es allen voran eine bessere öffentliche Finanzierung. Ein erster Schritt dahin wäre es, wenn Sie endlich die Umsatzsteuerbefrei- ung für kommerzielle Nachhilfeanbieter abschaffen. Drittes und letztes Beispiel ist Ihr ständiges Gerede von Wettbewerb. Auch in der Bildung können Sie nicht genug vom Wettbewerb bekommen. Mit mehr Wettbe- werb – so behaupten Sie – wäre sichergestellt, dass sich die Besten der Besten durchsetzen. Bitte erinnern Sie sich noch einmal an das Beispiel von Katrin und Nicole. Nicole hatte keinen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz, und ich habe beschrieben, mit welch geringen finanziel- len Mitteln sie auskommen muss. In der Grundschule hatte sie von vorneherein deutlich schlechtere Ausgangs- bedingungen als Katrin, die nicht nur einen Kindergarten besucht hat, sondern dank der Finanzierung ihrer Eltern nebenbei auch noch Geigenstunden nehmen konnte. Kein Wunder also, dass Nicole nach der Grundschule in die Hauptschule und Katrin aufs Gymnasium kommt. Diverse Studien haben dieses selektive Sortieren des deutschen Schulsystems kritisiert. Und wenn es Nicole ausnahmsweise doch aufs Gymnasium geschafft hätte, dann hätten sie noch viele weitere Hürden erwartet. Spä- testens der Zugang zum Studium wäre ihr dann ange- sichts von Studiengebühren und nicht ausreichendem BAföG versperrt geblieben. Ihr bliebe nur die Alterna- tive, sich durch Studienkredite hoch zu verschulden. Katrin muss sich um solche Dinge keine Sorgen machen. Diese Beispiele zeigen, dass das Gerede um „die Bes- ten“ schlicht Blödsinn ist. Diejenigen, die die besten Ausgangsbedingungen haben, kommen nach oben. Un- gleiche Ausgangsbedingungen werden durch Wettbe- werb weiter zementiert und verschärft. Das Muster Ihrer Politik ist: Denjenigen, die viel haben, wird weiter viel gegeben. Denjenigen, die wenig haben, müssen damit rechnen, aussortiert zu werden. Die Linke steht für eine andere Bildungspolitik. Ich möchte unsere zentralen Forderungen abschließend noch einmal zusammenfassen: Erstens. Für uns ist Bildung kein Patentrezept gegen Armut. Bildungsteilhabe setzt die Bekämpfung von Armut voraus. Deshalb streiten wir für eine grundlegende Umverteilung von oben nach un- ten. Nur so kann auch das Recht auf Bildung wirklich für alle eingelöst werden. Zweitens. Wir wollen das öffentliche Bildungssystem stärken. Privatisierung von Bildung heißt gute Bildung für wenige und schlechte Bildung für viele! Deshalb leh- nen wir Bildungsprivatisierungen egal in welcher Form ab. 9956 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 (A) (C) (B) (D) Drittens. Wir fordern ein Bildungssystem, das auf Gleichheit und nicht auf Wettbewerb zielt. Wettbewerb zementiert und verschärft ungleiche Ausgangsbedingun- gen. Dies machen die aufgeführten Beispiele mehr als deutlich! Indem Sie unseren heutigen Anträgen zustim- men, können Sie ein Zeichen setzen: Machen sie endlich einen Schritt in die richtige Richtung – auch wenn es zu- nächst nur ein kleiner ist. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seit Inkrafttreten des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – SGB II – wird ein Problem immer deutlicher: In meh- reren Bundesländern – darunter NRW und Niedersach- sen – sind Kinder in Haushalten mit Arbeitslosengeld-II- Beziehenden nicht mit Schulbüchern versorgt. Die Lern- mittelfreiheit in diesen Ländern wurde abgeschafft, ohne dass eine Ausnahme für Kinder aus armen Haushalten, insbesondere ALG-II-Haushalten geschaffen wurde. Das Land NRW hat in der erst kürzlich erfolgten No- vellierung des Landesschulgesetzes erneut nicht die Ge- legenheit genutzt, diesen unsäglichen Missstand zu be- enden. Stattdessen verweist die NRW-Schulministerin Sommer von der CDU darauf, sie überlasse es den Kom- munen, ob sie die Schulbücher für Kinder von Langzeit- arbeitslosen bezahlen. Nur: Längst nicht alle Kommunen können oder dürfen die Kosten für Lernmittel überneh- men. Die Kostenübernahme für Lernmittel ist eine freiwil- lige Leistung der Kommune, keine Pflichtleistung. Ste- hen Kommunen in der sogenannten Haushaltssicherung, kann die Kommunalaufsicht ihnen die Genehmigung des Haushalts versagen, wenn sie die Kostenerstattung für Lernmittel garantieren. Dass Kommunen – wie etwa das rot-grün regierte Dortmund – die Kosten trotz Haushalts- sicherung übernehmen, ist anzuerkennen. In vielen ande- ren Städten jedoch müssen Kinder mit kopierten Zetteln hantieren, anstatt wie ihre Klassenkameraden ein Buch aufschlagen zu können. Ich sage es deutlich: Dieser Zustand ist ein Skandal. Die Länder versagen auf ihrem ureigensten Gebiet, ob- wohl sie bei jeder Gelegenheit – zuletzt im Rahmen der Föderalismusreform – die Bildungskompetenz für sich reklamieren. Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen fordert nun in ihrem Antrag, für die Jobcenter die Möglichkeit zu schaffen, die Kosten für Schulbücher zu erstatten. Da- bei wollen wir die Länder nicht aus ihrer Pflicht entlas- sen und sehen deshalb auch nicht die Kostenübernahme als Pflichtleistung für den Träger der Grundsicherung für Arbeitslose vor. Würde man dies tun – wie es etwa die Fraktion Die Linke in ihrem Antrag fordert –, würden unverzüglich alle Bundesländer die Finanzierung der Lernmittel für Kinder von Langzeitarbeitslosen dem Bund überlassen. Unser Antrag ist als eine Art Sofortmaßnahme für be- dürftige Kinder und Jugendliche zu sehen, die eindeuti- gen Notfallcharakter hat, um das völlige Versagen eini- ger Bundesländer zumindest teilweise auszugleichen. Nach unserer Vorstellung sollten die Sozialhilfeträger und Jobcenter vor Ort in Zukunft wenigstens eine Rechtsgrundlage haben, um auf aktuelle Hilfebedarfe von Kindern und Jugendlichen durch die Gewährung von Sachleistungen schnell und unbürokratisch reagie- ren zu können. Diese Maßnahmen sollen für die Versorgung mit Lernmitteln, aber auch für die Verpflegung in Schulen und Kitas gelten. Gegenwärtig können die örtlichen SGB-II- und SGB-XII-Leistungsträger selbst im Einzel- fall keine Lernmittel auf dem Weg der Vorleistung zur Verfügung stellen. Viele Eltern im Leistungsbezug haben ihre Kinder von der Schulverpflegung abgemeldet. Die Kostenbetei- ligung für ein Mittagessen in einem Kindergarten, einem Hort oder einer Ganztagsschule liegt in der Regel deut- lich höher als die im Regelsatz täglich vorgesehenen 1 Euro. Nach unserem Antrag soll zum Beispiel die Differenz zu den tatsächlichen Kosten als Sachleistung auf Antrag gewährt werden können. Ebenso wollen wir die Inan- spruchnahme von kommunalen Sportangeboten, Musik- schulen und Bibliotheken für Kinder von Sozialleis- tungsbeziehern dadurch erleichtern. Auch die Kosten hierfür sollen künftig als Sachleistung in angemessenem Umfang gewährt werden können. Bei der Bekämpfung von Armut geht es nicht nur um finanzielle Transferleistungen. Dennoch müssen die staatlichen Leistungen so ausgestaltet sein, dass sie das Existenzminimum sichern. Wir stellen dies bei den aktu- ellen und nun für das gesamte Bundesgebiet einheitli- chen Regelsätzen stark infrage. Umso wichtiger wäre eine flexible Regelung, durch die kurzfristig dringliche Sonderbedarfe wenigstens bei Kindern ermöglicht wer- den können. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung medizinprodukterechtlicher und anderer Vorschriften (Tagesordnungspunkt 17) Jens Spahn (CDU/CSU): Mit dem Gesetz zur Än- derung medizinprodukterechtlicher und anderer Vor- schriften passen wir die gesetzlichen Regelungen des Medizinprodukterechts neuesten Entwicklungen an, be- heben akute Vollzugsprobleme und schließen vorsorg- lich Lücken für den Zivil- und Katastrophenschutz. Erstens. Es ist in Zukunft möglich, die vom Bund zum Zwecke einer möglichen Pockenschutzimpfung an- geschafften Impfnadeln über das darauf angegebene Ver- fallsdatum hinaus zu verwenden. Dies ist unschädlich, da nach Einschätzung der Experten die Sterilität der Na- deln bei entsprechender Lagerung auch nach Ablauf des Gewährleistungszeitraumes des Herstellers gewahrt ist. So können unnötige und kostspielige Neuanschaffungen vermieden werden. Die regelmäßige Überprüfung der Produkte wird von den bevorratenden Stellen sicherge- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 9957 (A) (C) (B) (D) stellt. Diese Freistellung hat sich bereits in der Ver- gangenheit für die Bundeswehr bewährt, welche Ihre Produkte von vornherein ohne Verfallsdatum beziehen kann. Zweitens wird zur Klarstellung der Erstattungspraxis arzneimittelähnlicher Medizinprodukte die Erstattungs- fähigkeit im Gesetz präzisiert. Bereits nach geltendem Recht sind arzneimittelähnliche Medizinprodukte, die im Sinne des Arzneimittelgesetzes mit Stand vom 31. Dezember 1994 apothekenpflichtige Arzneimittel gewesen wären, in die Arzneimittelversorgung einbezo- gen. Allerdings führte diese Formulierung zu Schwierig- keiten in der praktischen Umsetzung, nahm sie doch auf einen überholten Gesetzestext Bezug. Deswegen soll der Gemeinsame Bundesausschuss dazu künftig in Richtli- nien festlegen, in welchen Fällen ausnahmsweise arznei- mittelähnliche Medizinprodukte in die Arzneimittelver- sorgung einbezogen werden. Das bedeutet, dass der Gemeinsame Bundesausschuss den gesetzlichen Auftrag erhält, eine Liste mit erstattungsfähigen arzneimittelähn- lichen Medizinprodukten abzufassen. Die Hersteller können und sollen frühzeitig die Aufnahme in die Liste beantragen. Um sicherzustellen, dass die Erstattungsfä- higkeit dieser Produkte nicht zum 30. Juni diesen Jahres schlagartig einbricht, haben wir auf die Anregung des Gemeinsamen Bundesausschusses reagiert, die Rege- lung umformuliert und sichergestellt, dass die Gesetzes- änderung erst zum 1. Juli 2008 in Kraft tritt. Dadurch wird auch künftig sichergestellt, dass etwa eine Mull- binde, die eine schmerzlindernde Salbe abgibt, von der gesetzlichen Krankenversicherung auch künftig nicht er- stattet werden muss, wenn der Gemeinsame Bundesaus- schuss der Auffassung ist, dass dieses Kombinationspro- dukt arzneimittelähnlich und etwa in seiner Wirkung der heute bereits nicht erstattungsfähigen Schmerzsalbe in Kombination mit einer einfachen Mullbinde vergleich- bar ist. In Zukunft werden wir drittens medizinprodukte- rechtliche Vorschriften auch auf Produkte anwenden, welche nicht als solche in den Verkehr gebracht, aber mit der Zweckbestimmung eines Medizinproduktes einge- setzt werden. Hierbei haben wir die begründeten Beden- ken einiger Sachverständiger sowie der über den Bun- desrat beteiligten Bundesländer als zuständige Prüf- und Kontrollinstanzen berücksichtigt. Es galt dabei zu be- rücksichtigen, dass die Überwachungs-, Dokumenta- tions- sowie Sicherheitsanforderungen in der prakti- schen, ärztlichen Anwendung durch diese Regelung nicht überdehnt werden und keine unnötige Bürokratie entsteht. Bei enger Auslegung wäre sonst womöglich so- gar ein Waschlappen, mit welchem einem Patienten das Gesicht gereinigt wird, als überwachungspflichtiges Pro- dukt anzusehen gewesen. Der Anwendungsbereich die- ser Regelung wird deswegen ausdrücklich auf solche Produkte eingegrenzt, für welche nach der Medizinpro- dukte-Betreiberverordnung sicherheits- bzw. messtech- nische Kontrollen vorgesehen sind. Damit werden im Sinne eines vorbeugenden Verbraucherschutzes in si- cherheitsrelevanten Bereichen alle Medizinprodukte und als solche verwendete Produkte künftig der Überprüfung unterzogen. Weiterhin haben wir auch im Bereich der Medizinpro- dukte-Sicherheitsplanverordnung im Sinne einer Entbü- rokratisierung Veränderungen vorgenommen. Künftig werden die zuständigen Behörden des Bundes für bereits ausreichend untersuchte Vorkommnisse Ausnahmen von der Meldepflicht oder eine zusammenfassende Meldung in regelmäßigen Zeitabständen anordnen. Damit stellen wir einen ressourcensparenden, risikoangemessenen Einsatz der personellen Kapazitäten sicher, ohne die ef- fektive Gefahrenabwehr zu vernachlässigen. Zudem wurde die Kontrollzuständigkeit des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte im Zuge des Gesetz- gebungsverfahrens auf aus dem Ausland stammende Me- dizinprodukte beschränkt. Damit vermeiden wir im Sinne der Deregulierung Doppelzuständigkeiten von Bundes- und Landesbehörden für Produkte aus dem Inland. Hierneben haben wir im Omnibusverfahren einige Korrekturen und Ergänzungen am SGB V vorgenom- men, welche Inkrafttretensregelungen im GKV-Wettbe- werbsstärkungsgesetz korrigieren. Damit stellen wir si- cher, dass die erstrebten Wirkungen sich sachgerecht entfalten können. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass wir im Sinne klarer Erstattungsregeln, unbürokratischen Ver- braucherschutzes und der Vorsorge für Katastrophenfälle wichtige Detailfragen regeln und dabei auch viele Anre- gungen aus der Anhörung aufgenommen haben. Daher freut es mich sehr, dass die gesamte Opposition dieses Gesetz unterstützt. Solch konstruktives Verhalten wünschte ich mir öfter. Dr. Marlies Volkmer (SPD): Wir beschäftigen uns heute mit der Reform des Medizinproduktegesetzes, einer notwendigen und sinnvollen Reform wie ich an- merken möchte. Die letzte Änderung des Medizinpro- duktegesetzes liegt bereits über drei Jahre zurück, und es ist müßig, darauf hinzuweisen, dass sich in einem sol- chen Zeitraum einige notwendige Änderungen ansam- meln. Dieses Gesetz steht sicherlich nicht im Mittel- punkt des öffentlichen Interesses. Nichtsdestoweniger ist es von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Un- ternehmen der Medizinproduktebranche, für Labore und natürlich für die Patientinnen und Patienten in Deutsch- land, die zu Recht ein Höchstmaß an Schutz durch den Gesetzgeber erwarten. Ein wichtiger Bestandteil dieser Novelle ist die Aus- weitung des Anwendungsbereichs des Medizinprodukte- gesetzes. Bisher war ein Medizinprodukt ein Produkt, das von seinem Hersteller als solches auf den Markt ge- bracht wurde, nachdem es die notwendigen Sicherheits- prüfungen erfolgreich durchlaufen hat, zum Beispiel eine Gehhilfe oder ein Katheterschlauch. Produkte, die zwar den Zweck eines Medizinproduktes erfüllten, aber von ihren Herstellern nicht als solche deklariert wurden, mussten die hohen Sicherheitsstandards hingegen nicht erfüllen. Diese Sicherheitslücke wird durch dieses Ge- setz nun geschlossen. So wird die Patientensicherheit in Deutschland nachhaltig erhöht. Kritiker der Ausweitung des Anwendungsbereichs haben die Befürchtung geäußert, dass nun auch Wasch- 9958 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 (A) (C) (B) (D) lappen oder Kühlschränke nachträglich zu Medizinpro- dukten gemacht würden. Dies würde die genannten Pro- dukte nicht nur unnötig verteuern, sondern widerspricht ganz einfach dem gesunden Menschenverstand. Durch entsprechende Änderungsanträge haben wir im Ausschuss für Gesundheit dieses Problem gelöst und ungewollte Konsequenzen der Ausweitung des Anwendungsbereichs ausgeschlossen. Nun können weder ein Kühlschrank noch ein Waschlappen nachträglich zum Medizinpro- dukt erklärt werden, sondern nur Produkte, die die fest- gelegten Kriterien eines Medizinproduktes wirklich er- füllen. Ein weiteres wichtiges Element dieses Gesetzes ist die Frage der Erstattung von arzneimittelähnlichen Me- dizinprodukten. Die Erstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung war in der Vergangenheit zwar grundsätzlich möglich, aber die bisherige Fassung des betreffenden Paragrafen im Fünften Buch Sozialgesetz- buch hat sich in der Praxis leider nicht bewährt. In der Vergangenheit gab es an dieser Stelle immer wieder Un- sicherheiten bis hin zu Gerichtsverfahren über die Frage, ob ein bestimmtes Medizinprodukt von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet wird. Um eine sichere und ein- deutige Rechtslage zu schaffen, haben wir diesen Para- grafen neu formuliert. Die Opposition kritisiert doch so häufig die angeblich fehlenden Bemühungen der Großen Koalition beim Bü- rokratieabbau. Sehen Sie sich dieses Gesetz ruhig einmal näher an; denn hier wird an vielen Stellen Deregulierung und Entbürokratisierung konsequent umgesetzt. Davon profitieren die betroffenen Unternehmen und letztend- lich die ganze Volkswirtschaft. Um nur einige Beispiele zu nennen: Überflüssig gewordene Regelungen zu In- vitro-Diagnostica werden gestrichen, nicht notwendige Anzeigepflichten bei Klinischen Prüfungen entfallen und Einrichtungen, die Medizinprodukte steril aufberei- ten und den Behörden bereits bekannt sind, müssen nicht mehr zusätzlich behördlich erfasst werden. Dieses Gesetz verfolgt mehrere Ziele: mehr Transpa- renz, Entbürokratisierung und vor allem die Erhöhung der Sicherheit der Medizinprodukte für die Patienten. Verantwortliche Gesundheits- und Verbraucherpolitik muss den Patientenschutz immer in den Mittelpunkt ih- res Handelns stellen. Diesem Grundsatz folgt dieses Ge- setz. Daniel Bahr (Münster) (FDP): Heute beraten wir hier im Deutschen Bundestag nicht nur über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Än- derung medizinprodukterechtlicher und anderer Vor- schriften, sondern auch noch einmal über das GKV- WSG und hier im Speziellen über die Arbeitsweise bzw. die handwerklichen Fähigkeiten der Bundesregierung. Im sogenannten Omnibusverfahren haben Sie eine große Anzahl von Änderungen im GKV-WSG dem vor- liegenden Gesetzentwurf angehängt, um „formale“ Feh- ler zu beheben. Nach Ihrer Darstellung beheben die Än- derungen lediglich technische und redaktionelle Fehler. Sie sind aber vor allem ein Beleg für eine schlecht ge- machte Gesundheitsreform. So muss die Finanzierungsregelung für die Selbsthilfe zum 1. Januar 2008 und nicht – wie bislang in der Ge- sundheitsreform geregelt – zum 1. April 2007 außer Kraft treten, da es ansonsten zu einer Finanzierungslü- cke kommt. Peinlich genug! Was haben Sie nicht im Herbst des letzten Jahres alles versprochen, als Sie den Start der Gesundheitsreform um drei Monate verschoben haben: „Qualität geht vor Schnelligkeit“ konnte man landauf, landab lesen. An dieser Stelle möchte ich nicht über inhaltliche Fehler des GKV-WSG sprechen, sondern darauf hinweisen, dass Sie, obwohl Sie sich mehr Zeit nahmen, eine so große Fülle von Fehlern fabrizierten. Es ist ein Armutszeugnis, wenn Sie so eine Leistung abliefern. Mehrfach wurde diese Reform als Meisterstück der schwarz-roten Koali- tion angekündigt – mit dieser Leistung wären Sie kra- chend durch jede Gesellenprüfung gefallen. Die FDP-Bundestagsfraktion hatte seinerzeit in ihrem Entschließungsantrag zum GKV-WSG ausführlich dar- gelegt, warum sie dieses Gesetz ablehnt. Nun stellt sich hier und heute die Frage: Wie wollen wir uns hinsicht- lich des Gesetzes zur Änderung medizinprodukterechtli- cher und anderer Vorschriften verhalten? Wir haben immer unsere Unterstützung zugesagt, wenn von der Bundesregierung sachgerechte Gesetze vorgelegt werden. Immer dort, wo es dem Wohle des Patienten, der Erleichterung der Arbeit der Ärzteschaft und es der Unterstützung der Medizintechnologieunter- nehmen und damit der Sicherung von über 150 000 Ar- beitsplätzen dient, wird die FDP sich nicht verweigern. Solchen Gesetzen werden wir zustimmen. An dieser Stelle lohnt ein Blick in die Branche, um die es hier geht. Wir sprechen von hochinnovativen Un- ternehmen, die in über 11 000 Unternehmen insgesamt über 150 000 Menschen einen Arbeitsplatz bieten. Der Medizintechnologiemarkt in Deutschland ist nach den USA und Japan der drittwichtigste Markt weltweit. Circa 20 Milliarden Euro werden jährlich in Deutsch- land umgesetzt. Übrigens führt die Branche der Medi- zintechnik die Liste der angemeldeten Patente in Deutschland an, weit vor anderen Branchen. Die Unter- nehmen der Medizintechnik investieren 7 Prozent ihres Umsatzes in Forschung und Entwicklung und tragen so zur Arbeitsplatzsicherheit und zu innovativen Produkten in Deutschland bei. Das ist vorbildlich, vor allem zum Wohle der Patienten, denen innovative und gute Pro- dukte zur Verfügung stehen. Es ist gut und richtig, dass dieses Gesetz heute auf den Weg kommt. Es baut Bürokratie ab, trägt zur Kostenersparnis der öffentlichen Hand bei und stärkt die Innovationskraft der Unternehmen. Ziel des Gesetzent- wurfs zur Änderung medizinprodukterechtlicher und an- derer Vorschriften ist es unter anderem, dass Medizin- produkte zum Zivil- und Katastrophenschutz auch nach Ablauf des Verfalldatums eingesetzt werden können. Hervorzuheben ist das Beispiel der vom Bund zum Zwe- cke einer möglichen Pockenimpfung beschafften Impf- nadeln. Da diese Nadeln nach Einschätzung von Exper- ten gefahrlos auch über das Verfalldatum hinaus eingesetzt werden können, soll dies künftig auch recht- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 9959 (A) (C) (B) (D) lich zulässig sein, um eine unnötige und kostenintensive Neuanschaffung zu vermeiden. Voraussetzung ist, dass Qualität, Leistung und Sicherheit der Produkte weiterhin gewährleistet sind. Schon bisher hat die Möglichkeit be- standen, Medizinprodukte ohne Verfalldatum an die Bundeswehr abzugeben. Dies sollte nun auch für die Ab- gabe an die zuständigen Behörden des Bundes und der Länder zum Zweck des Zivil- und Katastrophenschutzes gelten. Befürchtungen über Qualitätsverluste haben sich in den Beratungen nicht bestätigt. Eine weitere Änderung des Medizinproduktegesetzes betrifft die Eigenherstellung, die speziell von In-vitro- Diagnostika. Zudem will die Bundesregierung mit einem Verzicht auf bestimmte Anzeigepflichten in Bezug auf klinische Prüfungen, Aufbereitung und Sonderanferti- gungen einen Beitrag zum Bürokratieabbau leisten. Die Regelung der Aufnahme von Produkten in das Medizinproduktegesetz, die nicht originär als Medizin- produkte hergestellt wurden, wurde verändert. Damit wurde die Kritik der Fachverbände und der FDP aufge- nommen und eingearbeitet. Der ursprünglich geplanten Regelung hätten wir nicht zustimmen können. Die Aus- weitung wäre zu weit gegangen und hätte viel Aufwand in den Praxen bedeutet. Es wäre zu befürchten gewesen, dass selbst ein Teelöffel, den ein Arzt bei Untersuchun- gen nutzt, als Medizinprodukt gegolten hätte. Unsere Bedenken haben sich in der Anhörung bestätigt. Erfreu- licherweise hat die Koalition aber die Kritik aufgegriffen und mit einem Änderungsantrag eine praktikable und sachgerechte Lösung gefunden. Somit besteht nunmehr Klarheit, welche Produkte unter den Anwendungsbe- reich des Medizinproduktegesetzes fallen. Die Grenzen zwischen normalen Produkten und Medizinprodukten droht nun nicht mehr zu verwischen. Deswegen wird die FDP heute dem Gesetz zum Wohle der Patienten, der Arbeitsfähigkeit der Ärzte- schaft und zur Unterstützung der Medizintechnologie- branche zustimmen. Ich betone aber ausdrücklich, dass die Zustimmung zum Gesetz keine Zustimmung zur ver- korksten Gesundheitsreform ist. Frank Spieth (DIE LINKE): In dem Gesetz ist mehr drin, als draufsteht. Es werden im Huckepackverfahren gleichzeitig handwerkliche Fehler des GKV-Wettbe- werbsstärkungsgesetzes korrigiert. So beseitigt die Re- gierung die offensichtlichen Macken, die im Gesetz reichlich Platz gefunden haben. In den Änderungsanträ- gen werden Fristen verschoben und Rechtschreibfehler behoben. Da diese Änderungen für sich gesehen schlüs- sig sind, stimmen wir ihnen zu. An unserer grundsätzlich ablehnenden Haltung zum WSG halten wir aber weiter fest, denn mit dieser „Reform“ wird ein Systemwechsel vollzogen. Willentlich wird die Solidarität preisgegeben, indem junge und gesunde Versicherte auf kostenspa- rende Teilkaskotarife ausweichen, während ältere und chronisch kranke Versicherte keine Chance auf solche Rabattangebote haben und weiter „Vollkasko“ zahlen müssen. Damit wird die Solidargemeinschaft zerfallen. Trotz der nun bestehenden Möglichkeit, wieder in die alte Krankenkasse aufgenommen zu werden, sind von den betroffenen 300 000 Menschen, die in Deutschland ohne Versicherungsschutz sind, immer noch circa 295 000 unversichert. Sie müssen sich vor jeder Erkran- kung, jeder Verletzung fürchten, weil ein Beinbruch zum persönlichen Bankrott führen kann. Denn sie können sich im wahrsten Sinne des Wortes die Beiträge nicht leisten. Arbeitslose, die aus Furcht vor Arbeitslosen- geld II in die Selbstständigkeit gegangen sind, haben oft nur 700 bis 800 Euro brutto und müssen davon 200 Euro Krankenversicherungsbeitrag und die Miete zahlen. Da bleibt zum Leben nichts mehr übrig. Doch nun zum eigentlichen Gesetzentwurf. Von dem Medizinprodukterecht werden in Deutschland über 500 000 Medizinprodukte mit einem geschätzten Jahres- umsatz von etwa 23 Milliarden Euro erfasst. Ein be- trächtlicher Markt, der für die Industrie wie auch für die Nutzer von großem Interesse ist. Angefangen bei einem Verband bis hin zu Operationsrobotern – alle Gerätschaf- ten, die für die Behandlung von Patienten zum Einsatz kommen, werden auf dieser Grundlage zugelassen und überprüft. Das ist notwendig, ist allerdings in seiner An- wendung oftmals schwerfällig. Deshalb sollte das Medi- zinproduktegesetz mit diesem Entwurf entbürokratisiert und dereguliert werden. Aber was hier vorgelegt wird, führt nach Meinung vieler der in der Ausschussanhörung vertrenen Experten mitnichten zu einer Vereinfachung. Stattdessen werden nun auch Geräte, die bisher nicht als Medizinprodukte gehandelt werden, unter dieses Gesetz fallen. So muss der Arzt ein Fahrradergometer, mit dem er Belastungs-EKGs durchführt, nun ebenfalls regelmä- ßig überprüfen lassen. Ein Mehr an Sicherheit kann ich daran nicht erkennen, aber die beträchtlichen Mehrkos- ten, die eine Zertifizierung mit sich bringt, sehe ich wohl. Ist dieses Vorgehen entbürokratisierend, deregu- lierend und im Sinne der Nutzer? Für Patienten ist das Medizinproduktegesetz wegen der Sondennahrung zur künstlichen Ernährung von be- sonderem Interesse. Denn nur, wenn das entsprechende Präparat auf der Ausnahmeliste der arzneiähnlichen Me- dizinprodukte steht, kann es auch von der Krankenkasse erstattet werden. Patientenverbände mahnen an, dass die im Entwurf genannte Liste nicht ausreichend sei. Der Gemeinsame Bundesausschuss soll nun diese Liste über- prüfen und gegebenenfalls ergänzen. Wir unterstützen ausdrücklich die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbst- hilfe, die zu Recht auf dieses Problem aufmerksam ge- macht hat, und werden genau überprüfen, welche Konse- quenzen der Gemeinsame Bundesausschuss aus diesem Auftrag zieht. Für den Katastrophenschutz wird es demnächst mög- lich sein, Spritzen und Verbände auch dann zu verwen- den, wenn diese Medizinprodukte bereits das Haltbar- keitsdatum überschritten haben. Es mag ja sein, dass besondere Situationen besondere Maßnahmen erfordern. Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass eines der reichsten Länder der Welt sich ausgerech- net für den Katastrophenfall gesundsparen möchte! Un- ter anderem wegen der vorgenannten Gründe wird meine Fraktion diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. 9960 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 (A) (C) (B) (D) Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Kaum ist die Gesundheitsreform in Kraft, be- schäftigt sie uns schon wieder. Die Koalition wollte die Diskussion um die misslungene Reform so schnell wie nur irgend möglich beenden. Deshalb hat sie auf der Zielgeraden des Gesetzgebungsverfahrens mehr auf Schnelligkeit als auf Sorgfalt gesetzt. Die Folgen sind offensichtlich: Eine schier unübersehbare Zahl von tech- nischen Fehlern. Diese Schludrigkeiten haben die Bera- tungen zum eigentlichen Inhalt des vorliegenden Geset- zesentwurfs stark behindert. Die Koalition hat die vielen Flicken, die sie noch auf das GKV-Wettbewerbsstär- kungsgesetz zu kleben hatte, einfach an den Gesetzes- entwurf angehängt. Damit werden aber zwei Gesetzes- materien vermischt, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Alleine dieses Vorgehen würde schon eine Ablehnung des Gesetzentwurfes rechtfertigen. Inhaltlich sind die diversen Änderungen der Gesund- heitsreform unproblematisch. Allerdings sollen sie ein Gesetz nachbessern, das wir aus guten Gründen abge- lehnt haben. Hinsichtlich des eigentlichen Anliegens des Gesetzesentwurfs – der Änderung des Medizinprodukte- gesetzes – wechseln Licht und Schatten. Zu begrüßen sind die Regelungen, die den Patientenschutz verbes- sern. Dazu gehört die bessere Kontrolle von Geräten, die nicht als Medizinprodukte hergestellt wurden, aber in Krankenhäusern und Praxen als solche angewendet wer- den. Sinnvoll ist auch die Regelung, dass künftig auch mittelbare Gefährdungen durch ein Medizinprodukt durch das Gesetz erfasst werden. Zu begrüßen ist auch die Beendigung von Rechtsunsicherheiten bei der Erstat- tung arzneimittelähnlicher Medizinprodukte. Allerdings wird man genau beobachten müssen, wie sich die vorge- sehene Listung durch den Gemeinsamen Bundesaus- schuss auf die Leitungsansprüche der Patientinnen und Patienten auswirkt. Auch die erweiterten Handlungs- spielräume für die Eigenherstellung von In-vitro-Dia- gnostika sind grundsätzlich richtig. Allerdings ist der Begriff „Medizinprodukte aus Eigenherstellung“ zu un- bestimmt. Hier wären deutlichere Anforderungen erfor- derlich gewesen, um für die notwendige Rechtssicher- heit zu sorgen. Aus Sicht des Patientenschutzes problematisch ist die Regelung, dass Medizinprodukte, die für Krisen- und Katastrophenfälle angeschafft werden, auch nach Ablauf des Verfallsdatums verwendet werden können. Die Be- dingung, „dass Qualität, Leistung und Sicherheit der Medizinprodukte gewährleistet sind“, ist rechtlich zu un- bestimmt. Es braucht klare Vorgaben für anzuwendende Kontrollverfahren. Falsch ist auch, dass der Zugang zur Datenbank des DJMDI auf Behörden beschränkt werden soll. Damit geht Transparenz gerade auch für Patientin- nen und Patienten verloren. Wir werden den Gesetzesentwurf ablehnen. Die Än- derungen des Medizinprodukterechts werden an einigen Stellen zu neuen Rechtsunsicherheiten führen. Für mehr Transparenz auf dem unübersichtlichen Markt für Medi- zinprodukte wird nichts getan. Rolf Schwanitz, Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Gesundheit: Wir beschlie- ßen heute das Gesetz zur Änderung medizinprodukte- rechtlicher und anderer Vorschriften. Mit diesem Gesetz werden im Bereich des Medizinprodukterechts einige Punkte neu geregelt bzw. klargestellt, die in den letzten Jahren Probleme im praktischen Vollzug bereitet haben. Außerdem werden Aufgaben von Behörden des Bundes neu geordnet, um sie künftig unbürokratischer zu erledi- gen. In Teilbereichen der Anzeigepflichten wird zudem dereguliert. Wir führen außerdem eine Ausnahme- regelung in das Medizinproduktegesetz für Krisen- und Katastrophenfälle ein, die hilft, unnötige Ausgaben zu vermeiden. Näher eingehen möchte ich auf drei Punkte, die in der Anhörung des Gesundheitsausschusses am 28. März 2007 intensiv diskutiert wurden. Neben Medizinproduk- ten werden auch andere Produkte mit der Zweckbestim- mung eines Medizinproduktes eingesetzt. Ein Beispiel: Der Arzt setzt ein Fahrradergometer aus dem Fitnessbe- reich für die Erstellung eines Belastungs-EKGs in seiner Praxis ein. Da dieses Produkt jedoch nicht als Medizin- produkt in Verkehr gebracht wurde, können die für Me- dizinprodukte geforderten messtechnischen Kontrollen für diese Produkte bisher nicht verlangt werden, obwohl die Messgenauigkeit hier von großer Bedeutung für Diagnose und Therapie ist. Hier wurde in der Anhörung vorgetragen, dass künftig angeblich zum Beispiel Tee- löffel, Waschlappen und Kühlschränke zu Medizinpro- dukten gemacht würden. Mein Kommentar: Das war nie beabsichtigt. Um dies für jedermann klarzustellen, wurde die Regelung aber überarbeitet. Durch die Ein- schränkung der Erweiterung des Anwendungsbereichs auf Produkte mit hoher Sicherheitsrelevanz sowie auf bestimmte, insbesondere für die Diagnostik wichtige Produkte mit Messfunktion erreichen wir drei Dinge: Erstens. Ein Arzt darf auch weiterhin im Rahmen seiner Therapiefreiheit Nichtmedizinprodukte einsetzen. Zwei- tens. Der vorbeugende Patientenschutz wird verbessert. Drittens. Eine Überregulierung wird verhindert. Auf eine neue rechtliche Grundlage wird künftig auch die Erstattung sogenannter arzneimittelähnlicher Medi- zinprodukte gestellt. Der Gemeinsame Bundesaus- schuss (G-BA) soll in Richtlinien nach § 92 SGB V die erstattungsfähigen Produkte listen. Den in der Anhörung vorgetragenen Bedenken gegen eine entsprechende An- wendung von § 34 Abs. 1 Satz 1 bis 3 SGB V wurde durch einen Änderungsantrag Rechnung getragen. Diese Produkte müssen nicht der Behandlung einer schwerwie- genden Erkrankung als Therapiestandard dienen. An- sonsten gelten die Ausschlusskriterien für Arzneimittel entsprechend. Dem Gemeinsamen Bundesausschuss wird ein Jahr Zeit gegeben, die Richtlinien zu erarbeiten. Dies kann aber nur gelingen, wenn die Hersteller früh- zeitig entsprechend § 34 Abs. 6 SGB V Anträge an den Gemeinsamen Bundesausschuss stellen. Der letzte Punkt betrifft die hauseigene Herstellung von In-vitro- Diagnostika. Wir brauchen eine Regelung, welche die Belange von Patienten, Gesundheitseinrichtungen und Herstellern ausgewogen berücksichtigt. Unser Aus- gangs- und Zielpunkt ist stets die Gesundheit der Bürge- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 9961 (A) (C) (B) (D) rinnen und Bürger. Die Eigenherstellung in Gesundheits- einrichtungen ist wichtig und anerkannt – nicht nur für Tests zur Erkennung „seltener Erkrankungen“. Sie ist ebenso wichtig für die Neu- und Weiterentwicklung von Diagnostika, die bereits auf dem Markt erhältlich sind. Produkte aus Eigenherstellung müssen die gleichen An- forderungen im Hinblick auf Sicherheit und Leistungsfä- higkeit erfüllen wie kommerzielle Produkte. Soweit die Eigenherstellung in einem überschaubaren Rahmen stattfindet, genügt aber ein vereinfachtes Verfahren zum Nachweis, dass die Produkte die gesetzlichen Anforde- rungen erfüllen. Spielt sich die Herstellung allerdings in einem industriellen Maßstab ab, gelten die gleichen Be- dingungen, die auch für die Diagnostikaindustrie gelten. Diese Neuregelung ermöglicht Innovation, ohne die Si- cherheit von Patienten zu gefährden. Mein Dank gilt allen Beteiligten. Wir haben in einem positiven Miteinander kontrovers diskutierte Punkte zu einer weitgehend einvernehmlichen Lösung geführt. Ich bitte um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Energieeinsparverord- nung zügig verabschieden – Energieausweis als Bedarfsausweis einführen (Tagesordnungs- punkt 18) Volkmar Uwe Vogel (CDU/CSU): Die Bundes- gartenschau 2007 in Gera, in Ronneburg und im Land- kreis Greiz hat in diesen Tagen ihre Pforten erfolgreich geöffnet. Bei diesem Großereignis in meiner Thüringer Heimat sieht man, dass Umweltschutz und die Bewah- rung der Schöpfung in allen gesellschaftlichen Berei- chen und Branchen einen hohen Stellenwert haben. Zur Frage, was die Buga mit der Energieeinsparver- ordnung – EnEV 2006 – zu tun hat, sage ich, nicht ohne ein Augenzwinkern: Erstens. Ich wäre ein schlechter Patriot, wenn ich die- ses Ereignis im Herzen meiner ostthüringer Heimat nicht erwähnte. Zweitens. Wesentlicher ist, dass die Buga ein hervor- ragendes Beispiel dafür ist, wie Menschen einer ge- schundene Natur und Landschaft zu neuem Glanz und im wahrsten Sinne des Wortes zu neuer Blüte verholfen haben. Drittens. Die nachwachsenden Rohstoffe sind ein wichtiges Themenfeld dieser Bundesgartenschau. Man sollte selbst kommen und sich anschauen, was man tun kann, um dem Klimawandel aktiv entgegenzu- wirken. Auch der Entwurf der Novelle zur EnEV ist ein Bei- trag dazu. Sie wurde vom Kabinett beschlossen. Mit der Einführung von Energieausweisen für Bestandsgebäude wurde eine sachgerechte Lösung für die Frage der Wahl- freiheit bei den Energiesparausweisen gefunden. Ich möchte in diesem Zusammenhang deutlich ma- chen, dass man einzelne Bestandteile unserer Klima- schutzanstrengungen, wie der EnEV, niemals isoliert be- trachten darf. Aus Sicht meiner Fraktion dürfen wir auf keinen Fall den Blick für die Gesamtzusammenhänge verlieren. Der beste Klimaschutz besteht darin, erstens dafür zu sorgen, dass weniger Energie verbraucht wird; denn Energiesparen ist die beste und billigste Maßnahme zum Klimaschutz. Deshalb kommt es zweitens darauf an, die benötigte Energie so effizient wie möglich zu nutzen. Energiesparen und Energieeffizienz werden drittens durch die Verwendung erneuerbarer Energien ergänzt. Neben der Energieeinsparverordnung gibt es eine Reihe von Instrumenten, die diesen richtigen Ansatz um- setzen. Um nur einige zu nennen: das CO2-Gebäude- sanierungsprogramm, das Erneuerbare-Energien-Gesetz, EEG, und das Marktanreizprogramm. Bürger und Unternehmen in Deutschland haben in den letzten Jahren sowohl im privaten als auch im öf- fentlichen Bereich freiwillig viel getan, um durch spar- samen Verbrauch von Energie, bauliche Veränderungen und CO2-neutrale erneuerbare Energien einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Daran sieht man: Die beste- henden Instrumente wirken. Die Menschen verstehen, in der Praxis damit umzugehen und sie anzuwenden. Wir sollten also vorsichtig sein, wenn wir weitere Instru- mente entwickeln, damit wir die Nutzer nicht überfor- dern. Vielmehr müssen wir bestehende Instrumentarien fortschreiben, vereinfachen und ihre Finanzierung lang- fristig sicherstellen und verstetigen. Wir müssen uns immer vor Augen führen: Energie- verbrauch und -nutzung sind für die Menschen nicht die einzigen Probleme, die sie zu bewältigen haben. Deswe- gen dürfen wir sie nicht mit bürokratischen Anforderun- gen überfrachten und sie im Rahmen ordnungspoliti- scher Maßnahmen ständig überwachen und maßregeln. Eine Energiepolizei – wenn man das so nennen darf – lehnt die Union ab; eine solche wäre kontraproduktiv. Den Menschen würde die Eigeninitiative verleidet, mit der sie schon jetzt erfolgreich Maßnahmen gegen den Klimawandel ergriffen haben. Die Einführung des Energieausweises, der in Umset- zung einer EU-Richtlinie erfolgte, dokumentiert die Er- folge, gleichzeitig aber auch die noch vorhandenen Schwachstellen. Nach Auffassung der Union muss der Energieausweis objektiv und einfach verständlich Aus- kunft über den wesentlichen energetischen Zustand eines Gebäudes geben. Er muss ohne bürokratischen Aufwand erstellt werden können und auch für den schmalen Geld- beutel erschwinglich bleiben. Da die Praktiker unter uns wissen, dass jeder Haus- eigentümer ohnehin eine Energieanalyse für sich macht, ist es richtig, dass der Energieausweis nur bei Vermie- tung oder Verkauf erforderlich wird. Für Gebäude, die 9962 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 (A) (C) (B) (D) der Wärmeschutzverordnung von 1977 oder vergleich- baren Richtlinien entsprechen, ist der Energieausweis auf Verbrauchsgrundlage ausreichend, ebenso bei mehr als fünf Wohnungen, da hier das subjektive Wohnverhal- ten eine geringere Rolle spielt. Der teurere Energiebedarfsausweis soll nur bei Woh- nungen erforderlich sein, die den beschriebenen Wärme- dämmstandard nicht erfüllen. Hier war es gerade unser Interesse, die Eigentümer von kleineren Häusern, die sich schon in der Vergangenheit um die energetische Sa- nierung ihrer Häuser gekümmert haben, nicht durch teure Energiebedarfsausweise unnötig zu belasten. Mit der Regelung in der vorliegenden Novelle haben wir dafür Sorge getragen, dass der notwendige Ausweis finanziell erschwinglich bleibt. Vielleicht nicht für je- den, aber doch für den Großteil der Hauseigentümer macht es durchaus einen Unterschied, ob man 50 Euro oder 500 Euro dafür aufwenden muss. Da zieht auch das Argument, das Haus werde ja vermietet oder verkauft, wenig; denn Kosten sind Kosten. Es gilt, sie stets vor- sichtig zu planen und zu kalkulieren. Überbordende Bürokratieausgaben würden dafür sorgen, dass für den eigentlichen Zweck, nämlich die energetische Sanie- rung, Mittel fehlen. Erklärte Ziele der Union sind Planungssicherheit und Verlässlichkeit für die Menschen. Mit einer Übergangs- frist von zehn Jahren bei der Gültigkeit aller Energieaus- weise können Hauseigentümer planen. Da sich der Kabinettsbeschluss zur EnEV-Novelle in das Jahr 2007 hinein verzögert hat, halte ich die verein- barte vollständige Wahlfreiheit bis zum Inkrafttreten der geänderten Verordnung am 1. Januar 2008 für zu kurz. Bleibt es bei der Frist, könnte es zu einem Antragsstau kommen; die Kapazitäten zur Erstellung der Bedarfsaus- weise sind vielleicht nicht ausreichend. Die Preise für die Ausfertigung könnten steigen; die Qualität der Er- arbeitung könnte sinken. Das wollen wir alle nicht. Eine angemessene Fristverlängerung kann die mögli- chen Missstände minimieren. Solche Forderungen aus der Wohnungswirtschaft, den Verbänden der Hauseigen- tümer sowie aus den Ländern sollten ernst genommen werden. Ich hatte eingangs darauf hingewiesen, dass wir mit den vorhandenen Instrumenten in der Lage sind, unsere ehrgeizigen klimapolitischen Ziele zu realisieren. So ha- ben wir uns vorgenommen, bis 2020 den CO2-Ausstoß um mindestens 30 Prozent, gegenüber 1990, zu reduzie- ren. Unser Ziel prägte auch wesentlich den Klimagipfel im März: Die EU strebt bis 2020 ebenfalls eine Verringe- rung um 30 Prozent an. Darum sollten wir die Diskussion der nächsten Mo- nate dafür nutzen, notwendige Maßnahmen und mögli- che Entwicklungsschritte in die bestehenden Instrumente einzuarbeiten und nicht neue bürokratische Gebilde aus dem Boden zu stampfen. Eine weitere Novellierung die- ser EnEV ist dazu ein wichtiger Baustein. Die materiellen Anforderungen werden steigen. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwick- lung hat daher ein Gutachten in Auftrag gegeben, dessen Erkenntnisse in eine weitere Novellierung einfließen. Die EnEV ist auch der richtige Platz, um Regelungen für die Anwendung regenerativer Wärmeenergie zu for- mulieren und Förderkriterien festzuschreiben. Geson- derte Gesetze sind daher nicht erforderlich. Rainer Fornahl (SPD): Die Bundesregierung hat am 25. April eine Verordnung zur Energieeinsparung be- schlossen und darin den Handlungsrahmen für die Aus- stellung von Energieausweisen für den Gebäudebestand festgelegt. Damit hat sich ein Teil der Forderungen in dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, beispielsweise die Forderung, den Energieausweis Mietern oder Käu- fern auszuhändigen, erledigt. Die Berücksichtigung wei- terer Forderungen ginge über eine 1:1-Umsetzung der zugrunde liegenden EU-Richtlinie 2002/91/EG über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden hinaus, würde zu Verzögerungen bei der Verabschiedung der novellierten Energieeinsparverordnung und erheblichen Mehrkosten führen. Allein der Vorschlag, einen Ortstermin zwingend vorzuschreiben, würde wesentliche Bemühungen um eine kostenverträgliche Ausgestaltung der Energieaus- weise zunichtemachen und die Mindestkosten wenigs- tens verdoppeln. Auch die Einführung eines Zertifizie- rungsverfahrens wäre eine unnötige bürokratische Zusatzbelastung. Die Richtlinie fordert dies nicht, ebenso wenig Vorgaben zum Einsatz erneuerbarer Ener- gien. Hier gibt es Anreize durch die EnEV, das EEG und weitere Förderprogramme, sodass es keiner zusätzlichen Regelung bedarf. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass der sparsame und effiziente Umgang mit Energie unabdingbare Vo- raussetzung für eine sichere und kostengünstige Energie- versorgung ist, und dass in gleichem Maße Ressourcen und Klima geschont werden müssen. Ohne Zweifel ist der Gebäudebereich dabei von zentraler Bedeutung. Hier gibt es ein großes Potenzial, Energie einzusparen und et- was für den Klimaschutz zu tun, indem wir die CO2- Emissionen minimieren. Knapp 40 Prozent der gesamten deutschen Endenergie geht in Gebäuden drauf, im We- sentlichen für die Heizung. Und drei Viertel der deut- schen Wohngebäude sind älter als 30 Jahre; sie liegen damit außerhalb aller Wärmeschutzregeln, die erst 1977 erlassen wurden. Das geht am Klima nicht spurlos vor- bei: In deutschen Heizungskellern entsteht annähernd so viel CO2 wie im Autoverkehr. Durch Maßnahmen zur energetischen Gebäudesanierung kann der Ausstoß von Kohlendioxid in diesem Feld binnen zehn Jahren um 30 Prozent reduziert werden. Es lassen sich bis 2020 rund 40 Milliarden Euro Energiekosten sparen. Dies ent- spricht einer Einsparung von 500 Euro jährlich für eine 80-Quadratmeter-Wohnung. Die jetzige Novelle der EnEV ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Die künftigen Energieausweise mit ihren Modernisierungsempfehlungen zeigen, wie viele Kilowattstunden Energie pro Quadratmeter und Jahr nö- tig sind, um die Räume von Gebäuden zu heizen und warmes Wasser zu erzeugen. Dadurch wird es Mietern und Käufern künftig erleichtert, die anstehenden Neben- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 9963 (A) (C) (B) (D) kosten abzuschätzen. Gleichzeitig wird mit dem neuen Energieausweis ein Anreiz geschaffen, Gebäude so zu sanieren, dass danach Energie gespart und besser genutzt wird. Ziel ist es auch, den Ausstoß von Kohlendioxid zu verringern. Zwei verschiedene Verfahren werden ver- wendet, um Energieausweise zu erstellen. Der Ver- brauchsausweis wertet die Energieabrechnungen von drei Jahren aus. Den Bedarfspass errechnen Energiebera- ter nach einer Untersuchung der Bausubstanz. Es gab dazu Kritik von verschiedenen Seiten, insbesondere aus der Wohnungswirtschaft. Die Bundesregierung hat in dieser Frage einen Kom- promiss beschlossen. Für alle nicht modernisierten Ge- bäude, die vor 1977, also vor der ersten Wärmeschutz- verordnung, gebaut wurden, gilt der bedarfsorientierte Ausweis zwingend, wenn es in diesem Gebäude weniger als fünf Wohnungen gibt. Für alle anderen Gebäude be- steht Wahlfreiheit. Mit diesem Kompromiss wurde, glaube ich, eine ausgewogene Lösung gefunden, die so- wohl dem Anliegen der fachlichen Aussagekraft des Energieausweises und dem Anliegen einer ausreichen- den Berücksichtigung der Kostenseite angemessen Rechnung trägt. Gleichzeitig ist der Kompromiss ein Spiegelbild dessen, was mit dem Energieausweis be- zweckt wird: mehr Transparenz auf dem Immobilien- markt. Der Kauf- und Mietinteressent soll energetisch schlechte Gebäude erkennen können. Der Eigentümer soll Anreize zur sinnvollen energetischen Sanierung be- kommen. Vor diesem Hintergrund ist die mit dem Kom- promiss gefundene Grenzziehung bei der Anwendung von Bedarfs- und Verbrauchsausweis zu verstehen. Der Bedarfsausweis hat gerade bei Gebäuden mit wenigen Wohneinheiten Vorteile, weil seine Aussagegenauigkeit größer ist und er nicht das Nutzerverhalten abbildet. Wenn kleine Gebäude jedoch unter dem Regime der Wärmeschutzverordnung, also ab Ende 1977 oder später errichtet oder entsprechend modernisiert worden sind, weisen sie bereits eine bessere energetische Qualität auf, sodass für sie der Verbrauchsausweis ausreichend ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich der bedarfsorien- tierte Ausweis flächendeckend durchsetzen wird, ist meines Erachtens groß, denn wer künftig staatliche Gel- der für die Gebäudesanierung in Anspruch nehmen will, braucht den Bedarfsausweis. Deshalb muss man die no- vellierte EnEV im Zusammenhang mit dem CO2-Gebäu- desanierungsprogramm sehen. Die EnEV schafft Trans- parenz und stellt Forderungen an den Vermieter oder Verkäufer. Das Gebäudesanierungsprogramm bietet Un- terstützung, sodass tatsächlich saniert werden kann. Im Jahr 2006 sind über die KfW 1,5 Milliarden Euro geflos- sen. Es wurden 265 000 Wohneinheiten saniert. Dadurch sparen wir rund 1 Million Tonnen CO2-Emissionen ein. Die beschlossene Novellierung der EnEV ist ein wichtiger Beitrag zu mehr Energieeffizienz, wir dürfen aber hier nicht stehenbleiben. Die Ankündigung von Verkehrsminister Tiefensee, die Energieeinsparverord- nung im kommenden Jahr weiter zu verschärfen, die Standards für Neugebäude anzuheben und die Energie- effizienz um bis zu 30 Prozent zu verbessern, ist jeden- falls uneingeschränkt zu begrüßen. Joachim Günther (Plauen) (FDP): Wir haben ges- tern im Bauausschuss lange über Klimaschutz und damit verbundene Fragen der Reduzierung von CO2-Emissio- nen gesprochen. Wir sind uns auch alle darin einig, dass vor allem der Bausektor dazu einen gewaltigen Beitrag leisten kann. Immerhin stammen mehr als 40 Prozent der CO2-Emissionen aus dem Gebäudebereich. Also nicht nur, weil wir ohnehin durch die EU-Richtlinie (Energie- effizienzrichtlinie 2002/91/EG) verpflichtet sind, diese in nationales Recht umzusetzen, sondern auch, weil es ein Gebot der Zeit und eine Pflicht gegenüber nachkom- menden Generationen ist, müssen wir uns diesen Fragen zuwenden. Im September 2005 ist das 2. Änderungsgesetz zum Energieeinsparungsgesetz in Kraft getreten, das die Er- mächtigungsgrundlage für die Einführung eines Energie- ausweises durch Verordnung der Bundesregierung ent- hält. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, können sich sicher noch alle gut daran erinnern, wie schwierig es war, Konsens zu Fragen des Energieausweises im Ener- gieeinsparungsgesetz zu finden. Die FDP hat sich seiner- zeit – damals noch gemeinsam mit der Fraktion der CDU/CSU – dafür stark gemacht, dass das Gesetz die Wahlfreiheit zwischen Bedarfs- und Verbrauchsausweis vorsieht und dass der Energieausweis lediglich Empfeh- lungen ohne Sanktionscharakter haben soll. Mit beiden Forderungen haben wir uns damals durchgesetzt. Mit dem heute hier vorliegenden Antrag der Grünen soll eine dieser beiden Regelungen, nämlich die Wahlfreiheit, wieder rückgängig gemacht werden. Dieselbe Forderung ist der Grund, weshalb wir erst jetzt, mehr als eineinhalb Jahre nach Inkrafttreten des 2. Änderungsgesetzes zum Energieeinsparungsgesetz, über Inhalte eines Energie- ausweises reden können, denn seit Anfang 2006 hatte der Bundesumweltminister versucht, das Gesetz zu kon- terkarieren, indem er – wie jetzt die Grünen mit ihrem Antrag – die Wahlfreiheit wieder aufheben und stattdes- sen die Einführung des Bedarfsausweises durchsetzen wollte. Das sieht die mir seit vorgestern nun vorliegende Fas- sung der Energieeinsparverordnung zum Glück nicht vor. Sie beschränkt zwar ab dem 1. Januar 2008 für einige Gebäudetypen diese absolute Wahlfreiheit, aber damit können wir als FDP leben. Die FDP begrüßt vor allem, dass der Verordnungsentwurf klar herausstellt, dass die mit einem Energieausweis gegebenen Empfeh- lungen keine rechtlichen Sanktionen nach sich ziehen für den Fall, dass der Gebäudeeigentümer diese nicht um- setzt. Es ist richtig, es dem Wettbewerb der Gebäude- eigentümer untereinander zu überlassen, wann sie in welchem Umfang Maßnahmen zur Energieeinsparung unternehmen. Die Marktpreise beim Verkauf oder der Vermietung von Immobilien werden das konkrete Ver- halten der Eigentümer steuern – davon bin ich persönlich fest überzeugt. Einer staatlichen Reglementierung bedarf es deshalb nicht. Die mit dem Antrag der Grünen gefor- derte Ortsbesichtigung durch den Gutachter halten wir für ein zusätzliches bürokratisches Monster, das außer- dem den Energieausweis verteuern würde. Aus den genannten Gründen wird dem Antrag der Grünen nicht zugestimmt. 9964 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 (A) (C) (B) (D) Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): Schon am Beginn die- ser Legislaturperiode hatte Die Linke in ihrem Antrag „Die zukünftige Energieversorgung sozial und ökolo- gisch gestalten“ die Einführung des bedarfsorientierten Energieausweises für Gebäude gefordert. Nach EU-Vor- gabe hätte der Energiepass schon Anfang 2006 Pflicht sein müssen. Aber nach guter Gewohnheit der Großen Koalition, Warten statt Taten, wurde auch dieses Vorha- ben um eineinhalb Jahre verschleppt. Dieses Problem zieht sich wie ein roter Faden durch die Legislatur: Es wird viel angekündigt beim Klimaschutz, tatsächlich ge- macht wird wenig. Ich nenne nur KWK-Novelle, regene- ratives Energien-Gesetz und Emissionshandel. Nun hat die Regierung die Verordnung vorgelegt. Doch das Ergebnis ist das Papier nicht wert, auf dem der Text geschrieben steht. Mit wirksamem Klimaschutz hat das nichts zu tun. Der Wahl-Energiepass ist doch Augenwischerei, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition. Das ist ein fauler Kompromiss und ein Kniefall vor der Immobilienlobby. Denn genau die hat eine Wahl, der einfache Häuslebauer nicht. Ihr Energieausweis führt zum Missbrauch und nicht zu sinkenden Nebenkosten. Wie viel Energie ein Gebäude tatsächlich verbraucht, werden Wohnungsnutzer auch in Zukunft nicht wissen. Wesentliche Beiträge zum Klimaschutz sind deshalb auch nicht zu erwarten. Das Problem: Die meisten Gebäudeeigner brauchen lediglich die Verbrauchswerte der letzten Jahre anzuge- ben. Das sagt aber nur wenig über ein Gebäude aus. Das zeigt nur an, wie sich der Vormieter beim Heizen verhal- ten hat. Denn der Energieverbrauch kann je nach Nutzer- verhalten um 50 Prozent schwanken. Vielleicht kann Herr Schäuble die Daten für seine innere Sicherheit ge- brauchen, den Verbraucherinnen und Verbrauchern sa- gen die Zahlen nur wenig. Die Linke fordert deshalb aus gutem Grund einen Be- darfs-Energiepass, der den Energiebedarf eines Hauses vergleichbar darstellt. Dabei werden verwendete Bau- stoffe und Heizungstechniken auf fachlichen Grundla- gen bewertet. Gleichzeitig müssen Defizite bei der Wärmesanierung angezeigt und Vorschläge zur Energie- einsparung gemacht werden. Das macht Sinn, denn ein Energiepass für Gebäude muss den Mietern helfen, kost- spielige Wohnungen von denen mit guter Wärmedäm- mung und sparsamer Heizung zu unterscheiden. Die Kollegen von der CDU/CSU hatten ja angeführt, dass bei einem Bedarfs-Energiepass „auf die Haus- und Wohnungseigentümer erhebliche Kosten zukommen würden.“ Das stimmt natürlich nur, wenn sich Gebäude- eigner weigern, in Wärmedämmung und moderne Hei- zungen zu investieren. Der Wert von klimaschädlichen und energieverschwendenden Häusern würde natürlich fallen. Aber genau das ist doch der Sinn der Verordnung: Energieeffiziente Häuser werden mehr nachgefragt. Wer Mieter an der Nase herumführen will, muss auffliegen. Das hat die Bundesregierung nun verhindert. Die Punkte drei bis fünf des vorliegenden Antrags sind also von der Großen Koalition nicht abgearbeitet worden. Deshalb stimmen wir dem Antrag zu. Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist schon ein Kreuz mit dieser Bundesregierung. Vor über einem Jahr verkündete Minister Tiefensee noch stolz, er habe sich mit seinem Kollegen Glos über die Energieein- sparverordnung geeinigt. Und dann? Still ruhte der Tiefensee! Tatsächlich dauerte es noch bis vor 14 Tagen, als uns im Ausschuss die soeben im Kabinett beschlos- sene Verordnung vorgestellt wurde, und dies auch nur, weil wir das Thema als Selbstbefassung auf die Tages- ordnung gesetzt hatten. Selbstredend, dass wir den ge- druckten Entwurf auch dann noch nicht einmal vorliegen hatten. Dies alles erinnerte mich doch sehr an das ver- gangene Trauerspiel mit Ihrem Infrastrukturplanungsbe- schleunigungsgesetz. Jetzt könnte ich ja wenigstens sagen: „Was lange währt, wird endlich gut.“ Aber auch dieses Attribut kann ich dieser schwachen Energieeinsparverordnung beim besten Willen nicht zubilligen. Denn sie bleibt in vielen Punkten weit hinter dem zu- rück, was wir bereits heute im Bereich der Energieein- sparung und Effizienzsteigerung baulich und technisch realisieren können und angesichts des Klimawandels und der drohenden Klimakatastrophe auch dringend um- setzen müssten. Es scheint mir, als ob Sie bis heute schon wieder vergessen haben, worüber wir in den ver- gangenen Wochen so viele Debatten geführt haben. Mit dieser Energieeinsparverordnung wird die Chance vergeben, zumindest im Gebäudesektor bezüg- lich der CO2-Emissionsreduktion einen großen Schritt nach vorne zu machen, und das in einem Sektor, in dem Investitionen häufig eine Festlegung auf 50 Jahre und mehr bedeuten, und wir auch aus diesen Gründen keine Zeit mehr zu verlieren haben. Alle Welt diskutiert die IPCC-Berichte, und dieses Gremium hat in der letzten Woche – auch von der Bun- desregierung unwidersprochen – gefordert, dass wir un- sere Emissionen in den nächsten acht bis 15 Jahren und nicht erst in 50 Jahren drastisch reduzieren müssen. Aber das scheint Sie nicht zu tangieren. Da setzen Sie lieber mühsam und bürokratisch eine uralte EU-Verordnung aus dem Jahre 2002 um, auch wenn ein paar Jahre zu spät. Und natürlich muss dies auch eins zu eins gesche- hen; das steht ja schließlich so im Koalitionsvertrag. Ob es dem Klima hilft oder nicht, ist egal, Hauptsache eins zu eins. Dabei hätten wir von Ihnen erwarten müssen, dass Sie einem Sektor, der für mindestens 20 Prozent der CO2- Emissionen verantwortlich zeichnet, ambitionierte Ziele vorgeben, um wenigstens die von Ihnen selbst geforder- ten Reduktionsziele erreichen zu können. Das kann und wird mit dieser Verordnung nicht gelin- gen, denn sowohl bei den Wohn- als auch bei den Nicht- wohngebäuden, sowohl beim Neubau als auch beim Be- standsbau bleiben Ihre Anforderungen weit hinter den Möglichkeiten zurück. Wir fördern schon heute mit Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 9965 (A) (C) (B) (D) KfW-Mitteln Passivhäuser oder Niedrigenergiehäuser 40 und 60 und wissen, dass es sogar noch besser geht. Aber selbst in der Bedarfsberechnung liegen normale Neubauten nach ENEV im Standard noch deutlich über 100 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr. Noch schlimmer sieht es bei den Nichtwohngebäuden aus, bei denen der Standardbedarf bei 200 und mehr Kilowatt- stunden pro Quadratmeter und Jahr liegt, ganz zu schweigen von dem noch schlechteren Niveau bei mo- dernisierten Bestandsgebäuden. Ich will nur am Rande darauf hinweisen, dass es sich bei den Bedarfswerten um theoretische Werte handelt; in der Praxis dürften der Energiebedarf und damit die CO2- Emissionen noch deutlich höher – selbst bei Neubauten – sein. Das zeigen stichprobenartige Überprüfungen der Ausführungsqualität. Aber darüber spricht man ja lieber nicht. Die weiterhin unterschiedlichen Anforderungen an Wohn- bzw. Nichtwohngebäude zeigen zudem, dass der gewerbliche und industrielle Sektor geschont wird und die privaten Haushalte offensichtlich die Hauptlast der CO2-Reduktion im Gebäudesektor tragen sollen. Bei den hochgelobten Energieausweisen schauen die Verbraucherinnen und Verbraucher in die Röhre. Nur auf ausdrückliche Anforderung ist jetzt der Vermieter ver- pflichtet, den Mieterinnen und Mietern eine Kopie des Energieausweises zu übergeben. Dann können sich diese mit den vermutlich fotokopierten – eigentlich farbigen – Diagrammen in Schwarz-Weiß herumärgern und rätseln, ob denn ihr Mietshaus vor oder nach dem Stichtag er- richtet wurde und ob und warum es sich um einen Be- darfs- oder einen Verbrauchsausweis handelt. Was das mit Transparenz zu tun hat, wird mir auf ewig ein Rätsel bleiben. Auch hier wird eine große Chance vergeben, denn durch eine optimale Information der Verbraucher hätten diese bei der Wohnungswahl künftig mit den Füßen abstimmen können. Ob das so kommt, daran habe ich meine ernsten Zweifel. Wir werden bei diesem Thema nicht locker lassen, und wir kündigen Ihnen schon jetzt an, dass wir Sie bei der von Ihnen bereits angekündigten erneuten Novellie- rung der EnEV noch in dieser Legislaturperiode zum Ja- gen tragen werden. Wir haben einfach keine Zeit mehr! Karin Roth, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Der An- trag betrifft die Novellierung der Energieeinsparverord- nung, die das Kabinett am 25. April 2007 beschlossen hat, und dabei insbesondere die Energieausweise. Mit dem Antrag werden unter anderen die Einbringung der EnEV in die parlamentarische Beratung und bestimmte Regelungen zu Energieausweisen und Modernisierungs- empfehlungen gefordert, die über die EG-Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden hinausgehen. Ich bitte um Ablehnung des Antrags, der bereits in al- len beteiligten Ausschüssen abgelehnt wurde. Zu bedenken ist, dass der Deutsche Bundestag die Bundesregierung im Energieeinsparungsgesetz ermäch- tigt hat, mit Zustimmung des Bundesrates die neue Ener- gieeinsparverordnung zu erlassen. Die im Antrag gefor- derte parlamentarische Beratung der neuen EnEV würde zudem deren Verabschiedung erheblich verzögern. Dies würde bei der Öffentlichkeit, die an dieser Novellierung großes Interesse zeigt, auf Unverständnis stoßen und wäre nicht sachgerecht. Weitere im Antrag aufgestellte Forderungen würden eine überschießende Richtlinien- umsetzung darstellen. Die Bundesregierung ist, wie übrigens grundsätzlich bei Umsetzung von EG-Richtlinien, vom Grundkonzept der Eins-zu-eins-Umsetzung ausgegangen. Wir haben also bewusst nicht aufgesattelt, sondern uns an das, was die Richtlinie von den Mitgliedstaaten verlangt, gehal- ten. Hinzu kommt, dass wir in Zeiten, in denen Entbüro- kratisierung, bessere Rechtsetzung und Bürokratiekos- tenmessung wichtige Elemente unserer Politik sind, nicht ohne Not neue Bürokratien und neue Bürokratie- kosten aufbauen dürfen. Dies betrifft zum einen die Forderung nach einem Zertifizierungsverfahren für die Energieausweisausstel- ler. Die Einführung eines Zertifizierungsverfahrens führt sowohl zu neuen bürokratischen Strukturen als auch zu mehr Kosten. Unser Konzept besteht deshalb darin, ohne Zulas- sungsverfahren die erforderliche Qualifikation der Aus- steller durch die rechtlichen Vorgaben in der Verordnung sicherzustellen. Die zweite Forderung, die mir in diesem Zusammen- hang besonders ins Auge sticht, ist die Forderung nach einer durchgängigen Verpflichtung, für alle Gebäudety- pen sogenannte Bedarfsausweise vorzulegen, die auf in- genieurtechnischen Berechnungen beruhen. Hier sind wir beim zentralen Punkt dieser Verord- nung. Künftig muss den Interessenten bei Verkauf und Vermietung von Gebäuden ein Energieausweis zugäng- lich gemacht werden. Der Interessent soll wissen, ob es um ein energetisch gutes oder um ein energetisch schlechtes Gebäude geht. Deshalb werden in Zukunft Energieausweise eine wesentliche Rolle bei der Ent- scheidungsfindung von Kauf- und Mietinteressenten für Gebäude oder Wohnungen spielen. Hierdurch wird die Transparenz bezüglich der Energieeffizienz von Gebäu- den auf dem Immobilienmarkt erheblich verbessert. Bei der Frage, welcher Energieausweis in welchen Fällen zulässig ist, also der ingenieurtechnische Bedarfs- ausweis oder der sogenannte Verbrauchsausweis, hat die Koalition sehr sorgfältig abgewogen und sich bei den Wohngebäuden auf ein differenziertes Modell verstän- digt, das die entstehenden Kosten für die Immobilien- wirtschaft auf ein vertretbares Maß begrenzt: Energie- ausweis auf Bedarfsgrundlage bei „alten, unrenovierten“ Wohngebäuden mit weniger als fünf Wohnungen, also mit einem relativ schlechten Wärmedämmstandard, das erreicht nicht das Niveau der 1. Wärmeschutzverord- nung von 1977; Energieausweis auf Verbrauchsgrund- lage als Wahlmöglichkeit bei allen anderen Wohngebäu- den. 9966 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 (A) (C) (B) (D) Mit diesem Kompromiss hat die Bundesregierung eine ausgewogene Lösung gefunden, die den verschiede- nen betroffenen Belangen angemessen Rechnung trägt, also dem Anliegen nach fachlicher Aussagekraft des Energieausweises und dem Anliegen nach ausreichender Berücksichtigung der Kostenseite. Grundsätzlich ist der Energieausweis dem Kauf- und Mietinteressenten zu- gänglich zu machen. Auf Verlangen ist dem Interessen- ten auch eine Kopie zu überlassen. Wir haben also durchaus die Fälle berücksichtigt, in denen ein Interes- sent eine Kopie mitnimmt, um zu einer Beurteilung und Entscheidungsfindung kommen zu können. Eine Verschärfung der materiellen Anforderungen an Gebäude, Neu- und Altbauten, ist jetzt nicht vorgesehen, wegen der eben erwähnten Eins-zu-eins-Umsetzung, wird aber unmittelbar im Anschluss an diese Novelle vorbereitet und zeitnah umgesetzt. Über die Notwendigkeit einer Anpassung der energe- tischen Anforderungen herrscht innerhalb der Bundesre- gierung Einigkeit. Mit dieser Novelle sind unsere An- strengungen zur Verbesserung der energetischen Qualität im Gebäudebereich noch nicht am Ende angelangt. Wir werden alles tun, um die Potenziale der Energieeinspa- rung und die Nutzung von erneuerbaren Energien im Ge- bäudebereich weiter auszuschöpfen. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden Zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Begrenzung der Aufwendungen für die Prozess- kostenhilfe (Prozesskostenhilfebegrenzungsge- setz – PKHBegrenzG) (Tagesordnungspunkt 19) Elisabeth Heister-Neumann, Ministerin der Justiz (Niedersachsen): Als Beauftragte des Bundesrates ist es meine Aufgabe, den vom Bundesrat eingebrachten Ent- wurf eines Gesetzes zur Begrenzung der Aufwendungen für die Prozesskostenhilfe vor diesem Hohen Hause zu vertreten. Dieser Aufgabe komme ich gern nach, gibt sie mir doch Gelegenheit, Ihnen den Handlungsbedarf und die besondere Dringlichkeit des Gesetzentwurfs aus Sicht der Länder deutlich zu machen. Die Justizhaushalte der Länder sind seit Jahren mit ei- ner enormen Ausgabensteigerung konfrontiert. Betroffen sind insbesondere die Bereiche der Prozesskostenhilfe und der Beratungshilfe sowie das Betreuungsrecht und Verfahren nach der Insolvenzordnung. Auf allen diesen Feldern sind die Ausgaben durch Bundesgesetze vorge- geben. Sie können von den Ländern nicht ohne weiteres beeinflusst werden. Deshalb brauchen wir die Unterstüt- zung des Bundesgesetzgebers, um die ich Sie nach- drücklich bitten möchte. Besorgniserregend ist insbesondere die Entwicklung der Ausgaben für die Prozesskostenhilfe. Allein in der or- dentlichen Gerichtsbarkeit haben sich die Zahlungen an beigeordnete Rechtsanwälte bundesweit von 261,7 Millio- nen Euro im Jahre 1998 auf 361,8 Millionen Euro im Jahre 2005 erhöht. Das ist ein Anstieg um fast 40 Prozent inner- halb von acht Jahren. Diese Kostenlast trifft fast aus- schließlich die Länder, denn bei den wenigen Bundesge- richten spielt die Prozesskostenhilfe keine nennenswerte Rolle. Der Ausgabenexplosion bei der Prozesskostenhilfe können die Länder nicht tatenlos zusehen. Hier gilt es gegenzusteuern, um den Anstieg der Ausgaben schnell und dauerhaft zu begrenzen und so die Haushalte der Länder von vermeidbaren Ausgaben zu entlasten. Der Bundesrat hat daher mit breiter Mehrheit den heute zur Beratung anstehenden Gesetzentwurf eingebracht, weil er hier vordringlichen Handlungsbedarf sieht. Er befin- det sich dabei in erfreulicher Übereinstimmung mit der Bundesregierung, die in ihrer Stellungnahme zu dem Entwurf ihre Bereitschaft erklärt hat, die Länder bei der Konsolidierung ihrer Haushalte zu unterstützen. Der Entwurf schlägt eine Vielzahl von Maßnahmen zur Ausgabenbegrenzung vor, die eine Entlastung der Länderhaushalte um annähernd 100 Millionen Euro pro Jahr erwarten lassen. Sie sollen hier nur knapp skizziert werden. Ein wesentliches Ziel ist es, den Gerichten wirk- samere Mittel gegen die missbräuchliche Inanspruch- nahme von Prozesskostenhilfe an die Hand zu geben. Dazu wird die Versagung der Prozesskostenhilfe bei mutwilliger Rechtsverfolgung erleichtert. Darüber hinaus sollen die Vorschriften über das Ver- fahren verbessert werden, um sicherzustellen, dass die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des An- tragstellers einheitlich und zutreffend erfasst werden. Dazu werden die Gerichte zum einen in die Lage versetzt, ähnlich wie schon jetzt Sozial- und Finanzbehörden, die Angaben des Antragstellers zu überprüfen. Zum anderen soll die arbeitsintensive und von vielen Einzelumständen abhängige Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom Richter auf den Rechtspfleger übertra- gen werden können. Wenn ein Rechtspfleger diese Auf- gabe für das ganze Gericht erledigt, entlastet dies nicht nur die Richter, sondern es fördert auch die Einheitlichkeit der Rechtsanwendung. Zentrales Anliegen des Gesetzentwurfs ist die Ver- stärkung der Eigenbeteiligung des Antragstellers. Dazu gehört zunächst die Änderung der Freibeträge für das Einkommen des Antragstellers, die an das sozialhilfe- rechtliche Existenzminimum angeglichen werden sollen. Wer mit seinem Einkommen über diesen Freibeträgen liegt, muss sich, wie schon nach geltendem Recht, durch Ratenzahlungen an den Prozesskosten beteiligen. Jedoch soll ihm die Ratenzahlung künftig nicht mehr nach 48 Monaten erlassen werden, sondern erst dann, wenn die von ihm zu tragenden Kosten des Rechtsstreits ge- deckt sind. Schließlich soll der Antragsteller künftig zur Deckung der Prozesskosten dasjenige einsetzen, was ihm im Rechtsstreit zugesprochen worden ist. Ebenso wie eine vermögende Partei kann er den erstrittenen Be- trag nur nach Abzug der Prozesskosten beanspruchen. Mir ist bewusst, dass vor allem die zuletzt genannten Änderungsvorschläge Kritik auf sich gezogen haben. Auch die Bundesregierung macht verfassungsrechtliche Bedenken geltend. Ich teile diese Bedenken nicht. Der Bundesrat ist sich der Bedeutung der Prozesskostenhilfe, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 9967 (A) (C) (B) (D) die unbemittelten Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zum gerichtlichen Rechtsschutz gewährleistet, vollauf bewusst. Er hat daher besonderen Wert darauf gelegt, dass die Funktion dieses für unser rechtsstaatliches Ge- meinwesen notwendigen Instituts durch den Gesetzent- wurf nicht beeinträchtigt wird. Die Vorgaben, die sich aus dem Grundgesetz und aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die Ausgestaltung des Rechts der Prozesskostenhilfe ergeben, sind vollständig beachtet worden. Der Gesetzentwurf verlangt an keiner Stelle, dass die bedürftige Partei denjenigen Teil ihres ursprünglich vorhandenen Einkommens und Vermögens einsetzt, den sie zur Deckung des Existenzminimums be- nötigt. Er verlangt lediglich eine stärkere Eigenbeteili- gung mit dem darüber hinausgehenden Einkommen und Vermögen. Für die Bezieher von Sozialleistungen wird sich also nichts ändern. Der Gesetzentwurf des Bundesrates unterscheidet sich damit deutlich von einem Referentenentwurf, den das Bundesministerium der Justiz im Januar 2007 vorge- legt hat. Mit dem sogenannten „Entwurf eines Gesetzes zur Entschuldung völlig mittelloser Personen“ – als ob sich mittellos noch steigern ließe – soll ein vereinfachtes Restschuldbefreiungsverfahren eingeführt werden. Zu dessen Kosten soll der mittellose Schuldner mit einem monatlichen Beitrag von 13 Euro herangezogen werden, und zwar auch dann, wenn er lediglich Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II bezieht. Dies erklärt der Entwurf ausdrücklich für verfassungsrechtlich zulässig. Ich er- wähne dies nur, um zu zeigen, dass der verfassungs- rechtliche Spielraum offenbar größer ist, als es die Stel- lungnahme der Bundesregierung zu unserem Entwurf auf den ersten Blick vermuten lässt. Darüber wird bei den Ausschussberatungen im Einzelnen zu reden sein. Der Bundesrat würde es begrüßen, wenn der Bundes- tag seine Beratungen über die Vorlage konstruktiv füh- ren und zeitnah abschließen würde. Darum bitte ich Sie im Interesse der Länder. Dirk Manzewski (SPD): Ziel des Gesetzentwurfs des Bundesrats ist eine Reduzierung der Ausgaben im Be- reich der Prozesskostenhilfe. Ich kann ja durchaus nach- vollziehen, dass dem weiteren Anstieg der zugegebener- maßen in den letzten Jahren erheblich gestiegenen Kosten für die Prozesskostenhilfe Einhalt geboten wer- den soll. Ich finde jedoch, dass es sich der Bundesrat mit dem vorliegenden Gesetzentwurf dabei etwas zu einfach macht. Mir fehlt es in dem Gesetzentwurf zum Beispiel bereits an einer umfassenden und nachvollziehbaren Analyse der Gründe für die Steigerungen. Die dem Ge- setzentwurf zugrunde liegende Untersuchung des Rech- nungshofes Baden-Württemberg halte ich schon alleine deshalb nicht für exemplarisch, weil sich die finanziellen Situationen in den einzelnen Bundesländern erheblich voneinander unterscheiden. Zudem ist die Begründung widersprüchlich. Zum ei- nen wird hierin immer wieder insbesondere auf die Kos- tenexplosion von 2002 auf 2003 hingewiesen. Zum an- deren wird als Hauptursache für den Kostenanstieg die Anhebung der Freibeträge zum 31. Dezember 2004 so- wie der Anstieg der Rechtsanwaltsvergütung zum 5. Mai 2004 genannt. Anhebung und Anstiege im Jahre 2004 können aber nicht maßgeblich für Kostensteigerungen im Jahr 2003 sein. Hierzu fehlt vielmehr weiterhin jegli- cher Vortrag. Im Übrigen hätte ich Probleme damit, dass die be- dürftigen Parteien die Folge staatlicher Eingriffe – und nichts anderes sind ja Anhebung von Freibeträgen und Rechtsanwaltsvergütungen – zu tragen hätten. Mir fehlt es auch an einer konkreten Erfassung der tatsächlichen Belastung der Länderhaushalte. Denn die bloße Darlegung der Steigerung von gewährter Prozess- kostenhilfe ist nichtssagend, wenn nicht zugleich auch die Rückflüsse präzisiert werden. Zudem lassen sich nur so auch die tatsächlich angedachten Einsparungen ver- nünftig einschätzen. Man muss bei dem Gesetzentwurf meiner Meinung nach leider auch erhebliche verfassungsrechtliche Be- denken anmelden. Aufgrund des in Art. 3 Abs. 1 GG normierten Prinzips der Rechtsgleichheit haben wir als Gesetzgeber dafür Sorge zu tragen, dass auch die nicht so bemittelten Parteien in die Lage versetzt werden, ihre Ansprüche in einem Rechtsstreit geltend zu machen. Diesen Grundsatz sehe ich zum Beispiel gefährdet, wenn die Partei nach dem Vorschlag des Bundesrats zur He- rausgabe sämtlicher Vermögenswerte verpflichtet wer- den soll, die sie zuvor mithilfe von Prozesskostenhilfe erstritten hat. Zwar muss eine Partei bereits nach geltendem Recht die Verfahrenskosten mit dem in einem Rechtsstreit Er- langten zurückzahlen; der Vorschlag des Bundesrates geht jedoch weit über die bisherige Rechtslage hinaus, weil er keine Rücksicht darauf nimmt, ob das Erlangte der Sicherung des grundgesetzlich geschützten Existenz- minimums dient oder entsprechendes Schonvermögen darstellt. Wenn dann auch noch die Begrenzung der Ra- tenzahlungsdauer aufgehoben, die Einkommensfreibe- träge auf das sozialhilferechtliche Existenzminimum ab- gesenkt und eine Pauschalierung der Ratenhöhe auf zwei Drittel des einzusetzenden Einkommens vorgenommen werden sollten, dann ist – um es vorsichtig auszudrü- cken – zumindest das Bündel dieser Maßnahmen geeig- net, Parteien, denen es nicht so gut geht, von der gericht- lichen Durchsetzung ihrer Rechte abzuhalten. Denn abgesehen davon, dass sich dadurch die Pro- zesskostenhilfe quasi vom Zuschuss zum Darlehen ver- ändern würde, würde dies aufgrund der nicht mehr zu überblickenden zukünftigen Belastung dazu führen, dass das Risiko einer Prozessführung gescheut und damit auf die gerichtliche Durchsetzung der Rechte verzichtet wird. Dies kann weder gewollt sein noch von uns sozial- demokratischen Rechtspolitikern akzeptiert werden. Soweit nach dem Vorschlag des Bundesrats bei der Bemessung der Freibeträge der bundesweit pauschal maßgebliche Regelsatz gestrichen und stattdessen auf die in den jeweiligen Bundesländern maßgeblichen Sätze abgestellt werden soll, halte ich dies für eine Ver- 9968 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 (A) (C) (B) (D) komplizierung und weitere Belastung der Gerichte bei der Berechnung von Prozesskostenhilfe. Von dem Vorschlag der Einführung einer gesonderten Gebühr für die Festsetzung von Raten halte ich ebenso wenig. Abgesehen davon, dass insoweit schon eine Schlechterstellung gegenüber denjenigen vorliegt, die zwar keine Prozesskostenhilfe erhalten haben, aber im Nachhinein dann im Zusammenhang mit der Kosten- rechnung eine Zahlungsvereinbarung mit der Landes- kasse treffen, würden gerade bei Verfahren mit niedrigen Streitwerten Streitwert und Gebühr in keinem vernünfti- gen Verhältnis stehen. Ich halte es durchaus für legitim, dass wir uns hier darüber unterhalten, ob unsere Regelungen zur Prozess- kostenhilfe so tatsächlich noch zeitgemäß sind oder aber ob wir die Regularien nicht überarbeiten müssen. Ich selbst frage mich zum Beispiel schon seit langem, wa- rum Richter statt Rechtspfleger die Bedürftigkeit über- prüfen müssen und wieso überhaupt auch noch bei den- jenigen die Bedürftigkeit überprüft werden muss, denen dies gerade aktuell vom Sozialamt bzw. der Arge bestä- tigt worden ist. Den Entwurf des Bundesrates halte ich jedoch zumin- dest in der jetzigen Form allenfalls als Denkanstoß ge- eignet. Mechthild Dyckmans (FDP): Die Prozesskosten- hilfe ermöglicht es auch Bürgerinnen und Bürgern, die nur über ein geringes Einkommen oder über geringe Finanzmittel verfügen, ein prozessuales Verfahren anzu- strengen. Damit wird sichergestellt, dass die Gewährung von Rechtsschutz nicht von den finanziellen Verhältnis- sen der beteiligten Personen abhängt. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist eine tragende Säule des Rechtsstaatsprinzips. Der Zugang zu den Gerichten er- gibt sich neben der Rechtsschutzgarantie auch aus dem Justizgewährleistungsanspruch. Die Bundesländer behaupten, dass die Kosten der Jus- tizhaushalte für die Gewährung von Prozesskostenhilfe in den vergangenen Jahren stetig gestiegen sind. Dies trifft für einige Bundesländer sicherlich zu. Ich habe je- doch Zweifel an den Berechnungen, die sich in der Be- gründung des Gesetzentwurfs finden. Die Hochrechnung von Zahlen für einzelne Bundesländer auf das gesamte Bundesgebiet erscheint mir doch sehr gewagt. Offen spricht der Gesetzentwurf die Gründe an, die zum Teil ursächlich sind für den Anstieg der Prozesskostenhilfe. Dies sind zum einen die Erhöhung der Rechtsanwaltsge- bühren durch das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz und die Auswirkungen des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch aus der ver- gangenen Wahlperiode. In diesem Zusammenhang möchte ich deutlich darauf hinweisen, dass diese beiden Gesetzesinitiativen nicht an den Ländern vorbeigegan- gen sind. Die Länder waren an den entsprechenden Ge- setzgebungsverfahren beteiligt. Es kann also niemand zum jetzigen Zeitpunkt die Behauptung aufstellen, er trage für die Erhöhung der Prozesskostenhilfe keine Ver- antwortung. Die FDP hat in den vergangenen Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass Reformen der Justiz im Inte- resse der Bürgerinnen und Bürger nicht mit einer Ein- schränkung des Rechtsschutzes einhergehen dürfen. Re- formeifer, der nur durch das Ziel der Kostenreduktion getrieben ist, wird in der FDP keine Verbündeten finden. Reformen, die ausschließlich von fiskalischen Gründen bestimmt sind, schwächen den Rechtsstaat und gefähr- den den Justizgewährleistungsanspruch. Die Ausgestal- tung unseres Rechtsstaates ist zu Recht Vorbild für viele junge Demokratien überall in der Welt. Es ist daher je- der, der weitere Reformen in der Justiz und insbesondere im Bereich der Prozesskostenhilfe vorschlägt, dafür be- weispflichtig, dass diese Reformen auch tatsächlich ge- boten sind. An diesen Grundsätzen werden wir den Ge- setzentwurf des Bundesrates messen. Der Gesetzentwurf enthält einige Regelungen, die durchaus überlegenswert sind und die in der Tat zu einer Effektivierung des Bewilligungsverfahrens beitragen können. Dazu zählt beispielsweise die Erweiterung des Aufgabenbereichs der Rechtspfleger im PKH-Bewilli- gungsverfahren. Es ist sachgerecht, dass die Prüfung der Bedürftigkeit der Partei, die mitunter äußerst kompliziert und zeitaufwendig sein kann, vom Rechtspfleger über- nommen wird. Insgesamt überwiegen jedoch die Bedenken. In Teilen enthält der Gesetzentwurf Regelungen – so zum Beispiel die Definition der Mutwilligkeit in § 114 Abs. 2 ZPO –, die bereits ständige Rechtsprechung sind und daher einer zusätzlichen Erwähnung im Gesetzentwurf nicht zwin- gend bedürfen. § 114 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist darüber hi- naus bedenklich, da dadurch der Eindruck entsteht, Baga- tellfälle sollen grundsätzlich aus der Prozesskostenhilfe hinausgedrängt werden. Der Kern der Kritik betrifft je- doch die Vorschriften zur Art und Weise der Erhöhung der Eigenbeteiligung der bedürftigen Partei an den Prozess- kosten. Diejenigen, deren Einkommen und Vermögen über das im Sozialhilferecht definierte Existenzminimum hinausgeht, sollen Prozesskostenhilfe künftig nur noch als Darlehen erhalten, das durch Zahlungen aus ihrem einzu- setzenden Einkommen und Vermögen vollständig zurück- zuzahlen ist. Damit holt sich der Staat vom Bürger das zu- rück, was er ihm kurz zuvor erst gegeben hat. Wenn der Bürger zur Durchsetzung von Ansprüchen, die sein Exis- tenzminimum sichern sollen, vor Gericht geht und ihm das Gericht hierfür Prozesskostenhilfe gewährt, soll er bei positivem Ausgang des Prozesses die geforderten Zahlun- gen umgehend an die Staatskasse zurückgeben müssen. Wir sollten hier die Bewertung der Bundesregierung ernst nehmen, die gegen die Vorschriften zur stärkeren Eigen- beteiligung durchgreifende verfassungsrechtliche Beden- ken vorträgt. Der Gesetzentwurf weist zwar an verschie- denen Stellen darauf hin, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen sich in dem Rahmen bewegen, der verfas- sungsrechtlich geboten ist. Ich möchte für die FDP-Bun- destagsfraktion aber die Frage aufwerfen, ob das, was ver- fassungsrechtlich als Mindeststandard geboten ist, auch rechtspolitisch so gewünscht ist. Ich glaube, dass der Bundesrat zur Lösung des Pro- blems den falschen Weg einschlägt. Es macht keinen Sinn, die Prozesskostenhilfe pauschal zu kürzen und die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 9969 (A) (C) (B) (D) für den Anstieg der Prozesskostenhilfe verantwortlichen Strukturen innerhalb der Justiz unangetastet zu lassen. Wir haben es hier in erster Linie mit Strukturproblemen zu tun. Es ist bekannt, dass es die Justiz mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln nicht schafft, nach Ab- schluss eines Prozesses von der obsiegenden Partei die gewährte Prozesskostenhilfe zurückzufordern bzw. in- nerhalb der Vierjahresfrist eine Überprüfung der Bedürf- tigkeit vorzunehmen. Ein weiteres Problem liegt darin, dass die Gerichte personell kaum in der Lage sind, die PKH-Anträge umfassend zu prüfen. Hier wäre eine Auf- stockung der Ressourcen notwendig, um das Bewilli- gungsverfahren insgesamt zu effektivieren. Auch die Rechtsanwälte als Organ der Rechtspflege sollten jede Möglichkeit nutzen, bei der Eindämmung etwaiger Missbrauchsfälle mitzuhelfen. Ich halte es daher für den falschen Weg, zuerst beim Bürger anzusetzen, anstatt in erster Linie die Strukturprobleme in der Justiz zu behe- ben. Ich bin sehr gespannt darauf, wie sich die Koalition zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates verhalten wird. In der Debatte zum Justizhaushalt vom September 2006 hat der Kollege Stünker gesagt, der Gesetzentwurf des Bundesrats werde in diesem Haus keine Mehrheit fin- den. Die folgenden Beratungen im Rechtsausschuss ver- sprechen daher spannend zu werden. Wolfgang Nešković (DIE LINKE): Ich bin mir nicht ganz sicher, ob man den sozialpolitischen Absichtserklä- rungen der SPD wenigstens gelegentlich noch einmal Glauben schenken darf. Entgegen aller Vernunft und ent- gegen aller Erfahrung will ich diese Zuversicht – test- weise – für den aktuellen Gesetzgebungsprozess aufbrin- gen. Grund für so viel unvorsichtige Hoffnung geben mir die kraftvollen Bekundungen des Kollegen Stünker in der 45. Sitzung im September des vergangenen Jahres. In der 45. Sitzung wies ich in meiner Rede zum Haushalt auf die Tatsache hin, dass der heute zu behandelnde Ent- wurf des Bundesrates zur Begrenzung der Prozesskos- tenhilfe vor allem eines erkennbar und empfindlich be- grenzen wird: die soziale Gerechtigkeit. Sollte dieser Entwurf Gesetz werden, dann wird fortan der Zugang zu den Gerichten für sozial schlechter gestellte Menschen erheblich erschwert sein. Es handelt sich um ein Vorhaben, das nicht nur der so- zialen Intention unseres Grundgesetzes zuwiderläuft, sondern auch einen echten Anachronismus darstellt. Es wäre die Rückkehr zum historischen Armenrecht, das die Rechtsdurchsetzung für die Unbemittelten einst als ein gnädiges Almosen vergab. Während die Kolleginnen der CDU/CSU in der da- maligen Debatte angesichts des Entwurfs um ihren eige- nen Rechtschutz kaum bange waren und sich daher zu meinen Ausführungen prächtig amüsierten, reagierte der Kollege Stünker von der SPD einigermaßen entrüstet. Immerhin war das wohl der zaghafte Ausdruck eines ei- genen Unrechtsgefühls in dieser Sache. Wörtlich sagte uns der Kollege Stünker: „Herr Kollege Nešković, Sie können ganz sicher sein, dass das, was Sie über das be- richtet haben, was über den Bundesrat auf uns zukommt, in diesem Haus in absehbarer Zeit keine Mehrheit finden wird.“ Ganz sicher wäre ich gerne. Ich hoffe nun, dass der Kollege Stünker in seiner Fraktion einen ausreichenden Stand hat, um daran zu arbeiten, dass sich seine Voraus- sagen im Stimmverhalten in den Ausschüssen und noch später im Plenum bewahrheiteten. Denn dieser Entwurf darf keinesfalls Gesetz werden! Das sollte sogar die SPD erkennen. Zu den unverbrüchlichen Prinzipien der sozialen De- mokratie gehört es, dass die Kraft des Rechtes und sein Schutz jeden Einzelnen erreichen müssen, und zwar un- abhängig vom persönlichen Vermögen oder Unvermö- gen. Doch zur Durchsetzung und der Verteidigung seiner Rechte braucht der Mensch in aller Regel zweierlei: ei- nen guten Rechtsbeistand und den Zugang zu den Ge- richten. Beide Voraussetzungen stellt für sozial Schwa- che die Prozesskostenhilfe sicher. Beide gefährdet der aktuelle Entwurf, der die Prozesskostenhilfe beschnei- den will und zudem an eine ganze Reihe von unzumut- baren Bedingungen und Voraussetzungen knüpft. An dieser Stelle nur einige Beispiele: Auch in den Fällen eindeutiger Erfolgsaussicht soll es künftig noch leichter möglich werden, Prozesskostenhilfe wegen et- waiger mutwilliger Rechtsverfolgung zu verweigern. Der vorgesehene § 114 Abs. 2 ZPO unternimmt zu dem Kriterium der Mutwilligkeit eine Definition, die die Ge- fahr der Unwägbarkeit und des staatlichen Missbrauchs gleich mitbringt. Sie ist auch aus sich heraus entlarvend. Sie entlarvt die Kaltherzigkeit der Entwurfsersteller. Während es nach dem Entwurf nämlich jedem Gutbe- tuchten unbenommen sein wird, um einen Kleckerbetrag jahrelang zu prozessieren, werden für den PKH-Antrag des Mittellosen der „Einsatz“ und der „Gewinn“ eines Verfahrens ins Verhältnis gesetzt. Doch eigentlich kann es keinem Menschen schwerfallen, zu erkennen, dass ein vermeintlicher Kleckerbetrag gleichzeitig eine sehr be- deutende Summe sein kann, und zwar für jemanden, der in der Situation ist, überhaupt PKH beantragen zu müs- sen. Die angesprochene Abwägung ist also nicht weniger als eine unverhohlene Verhöhnung der Armen. Lesen Sie den Absatz einmal richtig! Man sagt dort den sozial Be- dürftigen: Wenn ihr um das Wenige kämpfen wollt, das euch noch zusteht, dann helfen wir euch nicht mehr! Denn dieses Wenige ist uns zu billig. Es ist uns vor allem zu teuer, euch dabei zu helfen, dieses Wenige zu erhal- ten. Darüber hinaus sorgen die vom Entwurf vorgesehe- nen drastischen Mitwirkungs- und Informationspflichten dafür, dass sich der Bedürftige wie ein glückloser Bitt- steller vor dem Recht fühlen muss. Als Richter kann ich Ihnen versichern, dass jedes Erfordernis, jede Mitwir- kung, jede Bedingung, die der Gesetzgeber den Bürge- rinnen abverlangt, zuallererst diejenigen trifft, denen es stets am schwersten fällt, vor solchen Hürden ihr Risiko und ihre Pflichten noch zu kalkulieren: den sozial 9970 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 (A) (C) (B) (D) Schwachen! Man macht es denen zusätzlich schwer, die es ohnehin schon schwer haben. Teilt der Antragsteller etwa eine Anschriftsänderung versehentlich nicht oder verspätet mit, so soll dies nach dem neuen § 124 Nr. 3 a ZPO – trotz anhaltender Be- dürftigkeit – zu einer Versagung oder Aufhebung der PKH führen. Willigt der Antragsteller nicht schon bei der Beantragung in die Einholung von Auskünften zu seinem Vermögen bei Dritten ein, zieht das nach den vorgesehenen neuen §§ 117, 118 ZPO die Ablehnung der PKH nach sich. Ein begründeter Anlass für die Wei- gerung im Einzelfall wird schon gar nicht für möglich gehalten. Es wird dem Antragsteller bereits verwehrt, überhaupt konkret erläutern zu dürfen, warum er einer solchen Auskunftseinholung aufgrund konkreter Um- stände mit berechtigter Sorge begegnet. Und dann kann sich der Entwurf, der ja auch die Übernahme von Gerichtsgebühren begrenzen will, rüh- men, selbst eine neue Gebühr einzuführen: Die Bewilli- gung eines PKH-Antrages soll nach dem Entwurf jedem Antragsteller, der sich auch nur knapp überhalb des Existenzminimums befindet, eine Pflicht zur Zahlung von 50 Euro bescheren. Das sind 50 Euro, die nicht er- stattet werden und von der Gegenseite selbst im Falle des Obsiegens nicht zu übernehmen sind. Zu schlechter Letzt ist es das Existenzminimum selbst, das der Entwurf für die ratenfreie PKH praktisch neu definieren will: Das einzusetzende Schoneinkom- men wird in etwa halbiert. Halbiert! Ich komme daher auf die eingangs getroffene Überlegung zu der Glaub- würdigkeit sozialdemokratischer Absichtserklärungen zurück: Sollte die SPD – trotz gegenteiliger Bekundun- gen – diesem Entwurf dennoch ihre Zustimmung geben, hätte sie sich endgültig als Partei sozialer Restgerechtig- keit disqualifiziert. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Gesetzentwurf des Bundesrates verfolgt das Ziel, der an- geblich exorbitant gestiegenen Prozesskostenhilfe einen Riegel vorzuschieben. Es ist ein reines Kostendämp- fungsgesetz ohne Rücksicht auf Verluste an Sozialstaat- lichkeit wie Rechtsstaatlichkeit. Die im Entwurf genann- ten Zahlen, mit denen die Länder die behauptete „Kostenexplosion bei der Prozesskostenhilfe“ belegen wollen, basieren auf recht windigen Hochrechnungen Sie stammen aus einer unveröffentlichten Kosten-Leis- tungs-Gegenüberstellung des Landes Baden-Württem- berg. Eine bundesweite Regelung, die die Prozesskos- tenhilfe grundlegend infrage stellt, lässt sich so nicht seriös begründen. Ob die Länder – wie von der Bundes- regierung angemahnt – inzwischen geeignete Maßnah- men zur genaueren Erfassung der PKH-Aufwendungen ergriffen haben, ist nicht bekannt. Richtig ist, dass die staatlichen Aufwendungen für die Prozesskostenhilfe gestiegen sind. Der Hauptgrund liegt in der gesetzlichen Anhebung der Rechtsanwaltsvergü- tung durch das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz von 2004. Sie war viele Jahre nicht angehoben worden und garantierte schon viel zu lang kein ausreichendes Ange- bot an qualifizierter anwaltlicher Vertretung vor Gericht. Dieses Gesetz hatte der Bundesrat übrigens einstimmig mitgetragen. Die schon damals vorhersehbaren und ge- wollten Folgen, die mit der notwendigen Anhebung der Anwaltsvergütung verbunden waren, jetzt auf sozial Schwache abwälzen zu wollen, ist sozialpolitischer Kahlschlag und – offen gesagt – schlicht unverfroren. Ich will nun auf die einzelnen Vorschläge des Bundes- rates eingehen. Die schwerwiegendsten ignorieren die mit dem Justizgewährungsanspruch gezogenen verfas- sungsrechtlichen Grenzen und – das möchte ich schon jetzt vorwegnehmen – werden von uns Grünen konse- quent abgelehnt: Die Prozesskostenhilfe beantragende Partei soll nach der Vorstellung der Länder eine noch stärkere Eigenbe- teiligung als bisher leisten. Zu diesem Zweck schlägt der Bundesrat vor, die Einkommensfreibeträge auf das so- zialhilferechtliche Existenzminimum abzusenken. Im Fall der Ratenzahlung sollen sogar pauschal Zweidrittel des Einkommens als Ratenhöhe eingesetzt werden. Und damit nicht genug: Die gegenwärtige zeitliche Begren- zung der Ratenzahlung auf maximal 48 Monate soll ge- strichen werden. Damit werden gerade Menschen in pre- kären finanziellen Situationen auf unabsehbare Zeit belastet. Wir schließen uns der Bundesregierung hier aus- drücklich an, die in ihrer Stellungnahme gegenüber die- sem und fast allen anderen Vorschlägen der Länder „durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken“ gel- tend macht. An den Rand des Existenzminimums will der Bun- desrat die Rechtssuchenden offenbar auch treiben, wenn er vorschlägt, dass das durch den Prozess Erlangte für die Rückzahlung der Prozesskostenhilfe vollumfänglich eingesetzt werden muss, und zwar ohne Begrenzung auf Existenzminimum oder Schonvermögen. Neben ihrer ins Auge springenden Verfassungswidrigkeit schaffen sol- che Vorschläge darüber hinaus den an anderer Stelle oft so verteufelten Bürokratiezuwachs. Doch nicht genug: Die Länder wollen daneben auch noch – im Fall der Ratenzahlung – eine sogenannte Pro- zesskostenhilfe-Bewilligungsgebühr in Höhe von 50 Euro einführen. Auch dies lehnen wir Grünen ab. Der Verstoß gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 GG liegt auf der Hand, wenn diejenigen keine Gebühr entrichten müssen, die ohne Bewilligung von Prozesshilfe eine Ra- tenzahlung erst nach Eingang der Kostenrechnung mit der Landeskasse vereinbaren. Abgesehen davon ent- spricht die Gebühr nicht – wie erforderlich – einer kon- kreten staatlichen Leistung. Erlauben Sie mir noch eine Schlussbemerkung: Aus sämtlichen Regelungsvorschlägen der Länder springt einen Missgunst an – eine Missgunst gegenüber denje- nigen, die nur mithilfe des Staates ihr Recht vor Ge- richt geltend machen können. Als Beispiel sei hier nur ein Satz aus der Begründung zitiert: „Zu den zentralen Anliegen des Gesetzentwurfs gehört es daher, den Ge- richten wirksamere Mittel gegen die missbräuchliche Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe an die Hand zu geben.“ Die Vorschläge richten sich aber mitnichten Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 9971 (A) (C) (B) (D) gegen Einzelne, sondern gegen alle Menschen, die Pro- zesskostenhilfe benötigen, um zu ihrem Recht zu kom- men. Ich fordere deshalb alle in diesem Hohen Hause auf, der bisher auf den verschiedensten Podien und öffentli- chen Veranstaltungen zuweilen zu hörenden Ablehnung solcher Vorschläge Taten folgen zu lassen: Dieses Ge- setz verdient nichts anderes als ein einhelliges Nein. Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin der Justiz: Der Gesetzentwurf des Bundes- rates soll die Ausgaben im Bereich der Prozesskostenhilfe spürbar reduzieren. Diese Ausgaben sind zuletzt erheblich gestiegen. Natürlich steht die Bundesregierung den Län- dern bei der notwendigen Konsolidierung der öffentlichen Haushalte zur Seite. Allerdings müssen die Einschnitte für die Betroffenen zumutbar sein, und sie dürfen nicht gegen die Verfassung verstoßen. Die Bundesregierung begrüßt Maßnahmen, die einer missbräuchlichen Inanspruchnahme von Prozesskosten- hilfe entgegenwirken. Es ist daher richtig, wenn der Ent- wurf die Empfänger von Prozesskostenhilfe verpflichtet, dem Gericht unaufgefordert eine Verbesserung ihrer Ein- kommenssituation mitzuteilen. Sinnvoll ist es außerdem, mutwillige Prozesskostenhilfeanträge genauer unter die Lupe zu nehmen, damit der Staat keine unsinnigen Pro- zesse finanziert. Kernstück des vorliegenden Entwurfes ist allerdings die stärkere Eigenbeteiligung der Partei an den Kosten des Rechtsstreits. Auch hier gibt es sicherlich Verbes- serungsmöglichkeiten, an die aber mit Augenmaß heran- gegangen werden muss. Der Justizgewährungsanspruch zieht klare verfassungsrechtliche Grenzen, die wir zu respektieren haben. Daraus folgt, dass niemand dazu ge- zwungen werden darf, zur Verfolgung seiner Rechte das verfassungsrechtlich verbürgte Existenzminimum einzu- setzen. Ich habe Bedenken, ob diese verfassungsrechtlichen Vorgaben in dem vorliegenden Entwurf überall hinrei- chend beachtet worden sind. Problematisch erscheint mir insbesondere der Vorschlag, die Partei zur Heraus- gabe sämtlicher Vermögenswerte zu verpflichten, die sie mithilfe der Prozesskostenhilfe erstritten hat. Mit diesem Vorschlag sollen auch solche Beträge abgeschöpft wer- den, die das Existenzminimum sichern oder sogenanntes Schonvermögen darstellen. Das können insbesondere Unterhaltsansprüche oder Arbeitslohn sein. Es ist aber widersprüchlich, ineffizient und bürokratisch, der be- dürftigen Partei im Prozesskostenhilfeverfahren das zu nehmen, was ihr der Staat bei der Sozialhilfe sogleich wieder zukommen lassen müsste. Im Übrigen könnte sich die bedürftige Partei gegen eine Vollstreckung von Verfahrenskosten durch den Staat auf einen Pfändungsschutz berufen, wenn zum Beispiel unpfändbarer Unterhalt oder Arbeitsentgelt abgeschöpft werden sollen. Die hier vorgeschlagene Gesetzesänderung zielt also letztlich darauf ab, dem Justizfiskus mit dem ei- nen Gesetz einen Anspruch zu verschaffen, den er wegen eines anderen Gesetzes gar nicht durchsetzen darf. Beson- ders bedenklich erscheint dies vor dem Hintergrund von Plänen in Baden-Württemberg, die Einziehung von For- derungen gerade auch für den Bereich der Prozesskosten- hilfe auf private Inkassounternehmen zu übertragen. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen außer- dem die Freibeträge an die sozialhilferechtlichen Regel- sätze angeglichen und auf das reine Existenzminimum re- duziert werden. Der Entwurf sieht neben dieser betragsmäßigen Absenkung auch eine Streichung der bis- her geltenden bundesweiten Pauschalierung der Freibe- träge vor und plädiert für eine Differenzierung nach einzel- nen Ländern und Lebensaltersstufen bei Freibeträgen für Unterhaltsberechtigte. Zwar mag dieser Vorschlag den ver- fassungsrechtlichen Vorgaben noch genügen, ich glaube aber, dass dadurch das Bewilligungsverfahren verkompli- ziert und bürokratischer wird. Es ist mehr als fraglich, ob sich so die erhofften Einsparpotenziale realisieren lassen. Ich bin alles in allem gleichwohl zuversichtlich, dass am Ende der nun anstehenden Beratungen in diesem Hause ein gutes Ergebnis stehen wird, das die sinnvollen und richtigen Vorschläge aus dem Bundesratsentwurf für ein Prozesskostenhilfebegrenzungsgesetz fortentwickelt und umsetzt. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Ge- setzes zur Änderung des Gesetzes zur Aufhe- bung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (2. NS-AufhGÄndG) (Ta- gesordnungspunkt 20) Norbert Geis (CDU/CSU): Die Fraktion Die Linke will mit dem vorliegenden Gesetzentwurf weitere Ur- teile, die in der nationalsozialistischen Zeit ergangen sind, ohne Einzelfallprüfung pauschal aufheben und für ungültig erklären. Mit dem Gesetz über die Aufhebung nationalsozialistischer Urteile vom 25. August 1998 hat der Gesetzgeber Gesetze aufgelistet, die den elementa- ren Grundsätzen der Gerechtigkeit widersprochen ha- ben. Die aufgrund dieser Gesetze ergangenen Urteile wurden durch Gesetz pauschal aufgehoben. Den Katalog dieser Gesetze hat die rot-grüne Koalition mit Gesetz vom 23. Juli 2002 ergänzt. Nun will die Fraktion Die Linke diesen Katalog um die Tatbestände des Militär- strafgesetzbuches, die vom Kriegsverrat handeln (§ 57, 59 und 60 NStGB) erweitern und damit auch alle Ur- teile, die auf Grundlage dieses Gesetzes ergangen sind, pauschal aufheben. Man fragt sich natürlich, warum mehr als 60 Jahre nach Ende der Nazizeit immer noch die Forderung kommt, Urteile aus dieser Zeit pauschal aufzuheben. Pauschal heißt, ohne Prüfung des Einzelfalles, ohne sich die Frage zu stellen, ob einzelne Urteile damals, bei allen Abstrichen, die man machen muss, nach den damaligen Umständen nicht doch rechtens gewesen sein könnten. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 19. Februar 1957 bei der pauschalen Aufhebung 9972 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 (A) (C) (B) (D) von Gesetzen nationalsozialistischer Herkunft sehr abge- wogene Maßstäbe gesetzt. Es hat festgestellt, dass unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft Gesetze entstanden sind, denen die Unmenschlichkeit und Unge- rechtigkeit gewissermaßen auf der Stirn geschrieben stand, und dass ihnen deshalb jede Gültigkeit als Recht abgesprochen werden muss. Selbstverständlich sind dann auch die Urteile, die auf solchen Gesetzesgrundla- gen ergangen sind, von Anfang an nichtig. Das Verfassungsgericht hat aber auch ausgeführt, dass nicht alle Gesetze, nur weil sie in der Nazizeit erlassen wurden, ohne Prüfung ihres Inhaltes pauschal als rechts- unwirksam aufgehoben werden dürfen: „Eine solche An- nahme würde übersehen, dass auch eine ungerechte und von geläuterter Auffassung aus abzulehnende Gesetzge- bung durch das auch ihr innewohnende Ordnungsele- ment Geltung gewinnen kann.“ Das Verfassungsgericht weist darauf hin, dass durch solche Gesetze wenigstens Rechtssicherheit geschaffen werden konnte und, wenn die äußersten Grenzen der Gerechtigkeit nicht über- schritten wurden, so dem Rechtschaos entgegengewirkt werden konnte. In diesem Sinne können auch Urteile Bestand haben, wenn sie innerhalb des weit gesteckten Rahmens der Gerechtigkeit für Rechtssicherheit und für Rechtsordnung gesorgt und dem Rechtschaos entgegen- gewirkt haben. Deshalb ist also bei der pauschalen Auf- hebung solcher Urteile größte Sorgfalt anzuwenden. Im- mer muss gefragt werden, ob diese Urteile, wenn auch bei aller Unzulänglichkeit, nicht doch der Rechtsidee entsprochen haben, wie sie zu allen Zeiten Gültigkeit hat. Diesen Gedanken des Verfassungsgerichtes hat das Gesetz vom 25. August 1998 aufgegriffen. Durch § 1 dieses Gesetzes wurden Urteile, die unter Verstoß gegen elementare Gedanken der Gerechtigkeit nach dem 30. Januar 1933 erlassen wurden, pauschal aufgehoben. In diesen Fällen kann die Staatsanwaltschaft auf Antrag die Aufhebung des Urteils feststellen. Über die Feststel- lung der Aufhebung erteilt die Staatsanwaltschaft eine Bescheinigung. Nicht also die Staatsanwaltschaft hebt auf, sondern die Staatsanwaltschaft stellt nur fest, dass dieses Urteil unter die Generalklausel des § 1 und damit durch das Gesetz vom 25. August 1998 pauschal aufge- hoben worden ist. Um nun der Staatsanwaltschaft die Feststellung, dass ein Urteil aus der NS-Zeit im Sinne dieser genannten Generalklausel aufgehoben ist, zu erleichtern, hat der Gesetzgeber in § 2 Regelbeispiele gebildet. Dazu gehört ein langer Katalog von Nazigesetzen. Bei solchen Geset- zen ist davon auszugehen, dass Urteile, die darauf beru- hen, gegen die Generalklausel verstoßen und deshalb ohne Einzelfallprüfung aufgehoben sind. Beruhen Ur- teile nicht auf diesen Regelbeispielen, hat die Staatsan- waltschaft im Einzelfall dennoch die Möglichkeit, fest- zustellen, dass ein Urteil im Sinne der Generalklausel des § 1 des Gesetzes vom 25. August 1998 aufgehoben ist, weil die Voraussetzung des § 1 gegeben ist. Der da- mals mit Gesetz von 1998 erstellte Katalog von Geset- zen wurde über die Parteigrenzen hinweg einvernehm- lich beschlossen. Mit dem Gesetz vom 23. Juli 2002 hat die damalige rot-grüne Regierungskoalition diesen Katalog gegen das Votum von CDU/CSU nochmals erweitert und darin die § 175, 174 a RStGB sowie einzelne Vorschriften des Militärstrafgesetzbuches (unter anderem Desertion, Feigheit vor dem Feind, unerlaubte Entfernung) aufge- nommen. Für die CDU/CSU-Fraktion war bei der Ab- stimmung klar, dass die Urteile von Militärgerichten ge- gen Homosexuelle pauschal aufzuheben waren, weil sie dem elementaren Gedanken der Gerechtigkeit wider- sprachen. Dies hatte der Bundestag bereits in einer frü- heren Entschließung auch so zum Ausdruck gebracht. Die CDU/CSU-Fraktion war jedoch nicht damit einver- standen, dass auch die Urteile wegen Desertion pauschal aufzuheben waren, weil bekannt war, dass in manchen Fällen durch Desertion Unrecht geschehen ist. Dieses Unrecht wollte die CDU/CSU damals im Nachhinein nicht für Recht erklären. Im Übrigen wollten wir auch nicht die Richter, wie Dr. Sack, der mit Bonhoeffer hin- gerichtet worden ist, nachträglich pauschal ins Unrecht setzen, weil sie solche Urteile erlassen haben. Deshalb hat die CDU/CSU diesem Gesetz nicht zugestimmt. Immerhin aber hat der Gesetzgeber bei dieser Ände- rung des NS-Aufhebungsgesetzes im Jahre 2002 be- wusst davon abgesehen, Verurteilungen wegen Kriegs- verrat per se als nationalsozialistisches Unrecht zu qualifizieren. Dies heißt nicht, dass nicht nach Prüfung des Einzelfalles die Staatsanwaltschaft feststellen kann, dass es sich um ein Unrechtsurteil handelt, das aufgeho- ben ist, weil es gegen die Generalklausel des § 1 des Ge- setzes vom 25. August 1998 verstößt. Die rot-grüne Ko- alition sah aber in einer generellen Aufhebung von Urteilen, die sich auf den Tatbestand des Kriegsverrates bezogen, neues Unrecht. Wer Kriegsverrat beging, hat oft in einer verbrecherischen Weise den eigenen Kame- raden geschadet, ja sie oft in Lebensgefahr gebracht, in der sie dann auch umgekommen sind, dies zum Beispiel dann, wenn der Verräter zu den feindlichen Linien über- wechselte und, um sich dort lieb Kind zu machen, die Stellungen der eigenen Kameraden verriet, von der er geflüchtet war. Der Feind konnte sich darauf einrichten und den Standort der Truppe unter Beschuss nehmen, wobei viele ihr Leben verloren haben. Dies gilt auch für die Fälle, dass Überläufer Pläne von Truppenbewegungen an den Feind verraten haben. Dies führte dazu, dass die eigenen Kameraden nicht selten in eine tödliche Falle gerieten. Der Verräter hat in diesen Fällen auch nach unseren heutigen Maßstäben verwerf- lich gehandelt. Aus diesem Grund hat die rot-grüne Ko- alition bei der seinerzeitigen Ergänzung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege vom 23. Juli 2002 ausdrücklich davon abgesehen, die Urteile wegen Kriegsverrates pauschal aufzuheben. Die damalige Mehrheit scheute davor zu- rück, ein Verhalten, durch welches das Leben der eige- nen Kameraden schwer in Gefahr geraten ist, nachträg- lich zu sanktionieren. Wer desertiert ist, um die eigene Haut zu retten und um beim Feind überhaupt aufgenom- men zu werden, auch die Stellungen seiner Kameraden verriet, hat sich nach allen Maßstäben der zivilisierten Welt in höchstem Maße verwerflich verhalten. Durch die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 9973 (A) (C) (B) (D) generelle Aufhebung dieser damaligen Urteile wegen Kriegsverrates aber würde ein solch verwerfliches Ver- halten nachträglich sanktioniert werden. Dies kann nicht rechtens sein. Die Fraktion Die Linke will sich aber über diese Grundsätze hinwegsetzen. Ihren Gesetzentwurf begrün- det sie damit, der Kriegsverrat sei immer politisch und moralisch motiviert gewesen und sei mit kriminellen Ta- ten nicht vereinbar. Dass dies im Einzelfall gerade nicht richtig ist, habe ich dargetan. Im Gesetzentwurf wird als weiterer Grund genannt, durch solche verräterische Taten sei die Militärmacht Hitlers geschwächt worden und der Krieg sei auf diese Weise zu einem schnelleren Ende gekommen. Ganz abgesehen davon, dass ganz andere Gründe den Zusammenbruch des Nazi-Regimes verursacht haben, ist diese Argumentation in hohem Maße machiavellistisch. Man kann nicht den Teufel mit dem Beelzebub austrei- ben, kann nicht Unrecht durch Unrecht ersetzen. So ent- steht immer neues Unrecht. Außerdem missachtet dieses Argument den wichtigen Unterschied, den das Völker- recht zu allen Zeiten gemacht hat: das ius in bello und das ius ad bellum. Hitler hatte zweifellos kein Recht zum Angriffskrieg. Das ius ad bellum stand ihm nicht zur Seite. Er ist deshalb einer der größten Kriegsverbrecher aller Zeiten. Aber auch in einem ungerechten Krieg müs- sen Rechtsregeln gelten, kann nicht das Verbrechen des Verrates generell als gerechtfertigte Tat abgesegnet wer- den. Das heißt nicht, dass eine solche Tat im Einzelfall nicht als eine Widerstandstat anzusehen ist. Dazu aber bedarf es einer Einzelfallprüfung. Sonst würde man pau- schal Widerstandskämpfer mit simplen verbrecherischen Verrätern auf eine Stufe stellen. Deshalb lehnen wir die pauschale Aufhebung von Urteilen, die auf Kriegsverrat gestützt sind, ab. Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Zu Beginn mei- ner Rede möchte ich eine grundsätzliche Feststellung treffen: Ein Diskurs um Rechtsprechung im Dritten Reich ist erst vor wenigen Wochen wieder aufgeflammt. Ich bin der festen Überzeugung, dass uns dieser Ab- schnitt unserer Rechtsgeschichte eines ganz besonders lehrt: Aus Wissen allein entstehen weder persönliche Moral noch ethische Überzeugungen. Gesetzestexte und Kommentare aus der Zeit des Nationalsozialismus ma- chen dies ebenso deutlich wie die Tatsache, dass auch viele Richter und andere Praktiker davon überzeugt wa- ren, dass der Nationalsozialismus auf der Höhe der Zeit sei. Darauf basierende Entscheidungen waren in Wahr- heit Akte der Menschenverachtung und der Vernichtung in der Form des Urteils. Wir beraten heute in erster Lesung den PDS-Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege. Diese Thematik ist – wir alle wissen dies – nicht zum ersten Mal Gegenstand der parlamenta- rischen Beratungen in unserem Hause. Angesichts des Ausmaßes des Unrechts, das uns der Nationalsozialis- mus hinterlassen hat, ist dies auch nicht weiter verwun- derlich. Lassen Sie mich zunächst auf die bisherige Rechts- entwicklung eingehen. Durch das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechts- pflege vom 25. August 1998 wurden verurteilende straf- gerichtliche Entscheidungen, die unter Verstoß gegen elementare Gedanken der Gerechtigkeit nach dem 30. Januar 1933 zur Durchsetzung des nationalsozialisti- schen Terrors ergangen sind, aufgehoben. Berücksichtigt wurden hier strafgerichtliche Entscheidungen, die aus politischen, militärischen, rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen ergangen sind. Dieses Ge- setz hat sich zwar grundsätzlich bewährt, jedoch wurde die in einigen Fällen vorgesehene Einzelfallprüfung der Aufgabenstellung teilweise nicht gerecht. Aus diesem Grund wurde das Gesetz am 23. Juli 2002 entsprechend geändert. Einige Verurteilungen – zum Beispiel wegen Kriegsverrats – blieben von der generellen Aufhebung weiterhin ganz bewusst ausgeschlossen – und dies aus guten Gründen, wie die Gesetzesänderung deutlich ge- macht hat. Hier wurde ja versucht, sämtliche Tatbe- stände des Militärstrafgesetzbuches zu erfassen, die eine pauschale Aufhebung rechtfertigten. Dies hatte zur Folge, dass insgesamt 44 Straftatbestände zusätzlich in das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Un- rechtsurteile aufgenommen wurden. Ausdrücklich nicht aufgenommen wurden Straftatbestände, bei denen die Aufhebung des Urteils ohne Einzelfallprüfung nach wie vor nicht verantwortbar erschien. Von zentraler Bedeu- tung ist dabei der Kriegsverrat – §§ 57, 59, 60 MStGB –, da in Fällen des Kriegsverrats möglicherweise doch ein Unrechtsgehalt gegeben ist. Ich möchte hierbei vor al- lem die nicht ausschließbare Lebensgefährdung für eine Vielzahl von Soldaten hervorheben, die auch durch den Umstand, dass sie während eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges begangen wurde, keinen Anlass zur pau- schalen Rehabilitierung geben konnte. An dieser Einschätzung wird festgehalten, wie die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der PDS vom 19. Juni 2006 belegt. Auf die Fragestel- lung „Ist aus Sicht der Bundesregierung der Verrat des nationalsozialistischen Vernichtungskriegs verurteilens- wert, und, wenn ja, warum?“ stellt die Bundesregierung fest: Die Frage lässt sich nur im konkreten Einzelfall be- antworten. Dabei kommt es darauf an, ob infolge des Verrats zusätzliche Opfer unter der Zivilbevöl- kerung und/oder deutsche Soldaten zu beklagen waren oder ob infolge des Verrats derartige Opfer gerade vermieden wurden. Der Gesetzgeber hat sich deshalb nach Auffassung der Bundesregierung zu Recht dafür entschieden, bei der Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Un- rechtsurteile in der Strafrechtspflege für diese Fälle eine pauschale Aufhebung abzulehnen und es bei der Einzelfallprüfung zu belassen … Da es bei den Verurteilungen wegen Kriegsverrats ge- rade auf die Motive ankommt, ist eine Einzelfallprüfung dringend geboten. 9974 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 (A) (C) (B) (D) Dieser Sachverhalt macht deutlich, dass es für die hier im Fokus stehende Problematik keine pauschale Lösung geben kann, sondern dass es der Einzelbetrachtung eines jeden Falles bedarf. Insofern ist die in dem Gesetzent- wurf der PDS vorgesehene Lösung, die Anlage zu § 2 Nr. 3 des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege vom 25. August 1998 in Nr. 26 a durch die §§ 51, 59, 60 des in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft geltenden Militär- strafbuches zu ergänzen, abzulehnen. Wenn wir uns an die Zeit des Nationalsozialismus er- innern, dann gedenken wir vor allem anderen der Millio- nen Opfer, die dieses verbrecherische Regime verschul- det hat. Das geschehene Unrecht kann niemals ungeschehen gemacht werden. Kein Gesetz und keine Entschädigungsleistung könnten dieses Ziel Wirklich- keit werden lassen, könnten dieses millionenfache Leid auch nur ansatzweise aus der Welt schaffen. Ich bin mir aber sicher, dass wir mit den Regelungen, die das Gesetz bisher vorsieht, das Maximum der pauschalen Aufhe- bung von Unrechtsurteilen erreicht haben. Alles, was darüber hinausreichen soll, muss im Einzelfall geprüft werden. Jörg van Essen (FDP): Ich finde es fast schon ge- spenstisch, dass wir uns heute mit diesem Antrag be- schäftigen. Es hat den Eindruck, man hätte es hier mit Untoten zu tun. Wie oft – das müssen sich die Antrag- steller von der Linksfraktion fragen lassen – wollen wir uns denn noch mit den Schandurteilen aus der NS-Zeit beschäftigen? Man kann doch juristisch ein Urteil nur einmal aufheben! Weder das Dritte Reich überdauerte 1 000 Jahre, noch leben aufgehobene NS-Urteile immer wieder auf! Nein, mit diesem Antrag machen Sie sich schon hand- werklich nicht um unseren Rechtsstaat verdient. Das wundert auch nicht weiter, da Sie in dieser Legislaturpe- riode nicht sonderlich mit rechtspolitischen Anträgen aufgefallen sind. Leider ist das Thema zu ernst, als dass man Ihren Antrag einfach unkommentiert stehen lassen könnte. Deswegen erlauben Sie mir bitte die nachfolgenden Aus- führungen: Das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialisti- scher Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege von 1998 ist unmissverständlich. Nach § 1 werden verurteilende strafgerichtliche Entscheidungen, die unter Verstoß ge- gen elementare Gedanken der Gerechtigkeit nach dem 30. Januar 1933 zur Durchsetzung oder Aufrechterhal- tung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes aus politischen, militärischen, rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen ergangen sind, aufgehoben. Die den Entscheidungen zugrunde liegenden Verfahren werden eingestellt. Der Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke für ein zweites Gesetz zur Änderung dieses Gesetzes, wie wir ihn heute in erster Lesung beraten, stellt Erreichtes in Frage, mehr noch: Er verunsichert Opfer der NS-Un- rechtsjustiz mehr, anstatt ihnen zu helfen. Zunächst eine grundsätzliche Anmerkung: Der An- trag verkennt die Systematik von § 2, der Regelbeispiele für Unrechtsentscheidungen bildet, und dabei in der Tat in Nr. 3 auf Entscheidungen Bezug nimmt, die auf den in einer Anlage genannten gesetzlichen Vorschriften beru- hen. Der Katalog dieser gesetzlichen Vorschriften erhob schon nach der Gesetzesbegründung keinen Anspruch auf Vollständigkeit und sollte auch keine Ausschluss- funktion haben. Dadurch, dass wir – nach dem ersten Änderungsge- setz – nun schon zum zweiten Mal Änderungen dieses Kataloges diskutieren, erhöhen wir ihn in seiner Bedeu- tung und entwerten gleichzeitig die Klarheit und Unmiss- verständlichkeit der Generalklausel in § 1. Ich würde mir wünschen – übrigens nicht nur hier –, wenn wir als Ge- setzgeber mehr Vertrauen in unsere Gerichte und die Be- deutung von Generalklauseln hätten. Erlauben Sie mir, dass ich Herrn Korte als einen der Verfasser des Antrages direkt anspreche. Ehrlich gesagt, finde ich insbesondere die Tonalität Ihres Antrages und die Begleitmusik sehr befremdlich und der Sache nicht dienlich. Der Antrag versucht Zwietracht dort zu säen, wo große Einigkeit in diesem Haus – auch mit Blick auf den Eindruck im Ausland – angebracht wäre und in mei- nen Augen bei der Bewertung von NS-Unrecht auch im- mer gegeben war. In den vergangenen Jahren haben wir uns wiederholt mit der Frage der Aufhebung der NS-Unrechtsurteile be- fasst. Dieses Haus hat bewiesen, dass der Bundestag sehr wohl in der Lage ist, seiner besonderen Verantwortung für die Opfer des Naziregimes gerecht zu werden. Wir müssen alles tun, um dem Eindruck der Fortgeltung na- tionalsozialistischen Unrechts zu begegnen. Der Antrag Ihrer Fraktion lag dem Deutschen Bun- destag schon einmal in der 14. Legislaturperiode zur Be- ratung vor. Damals hat dieses Haus mit großer Mehrheit dagegenvotiert. Die Rednerin der PDS, Frau Dr. Evelyn Kenzler, sagte dennoch damals – ich darf aus dem Proto- koll vom 17. Mai 2002 zitieren –: Der Gesetzentwurf wird weitgehend dem gerecht, was meine Fraktion mit ihrem Antrag vom März 2001 erreichen wollte. Die jetzt gewählte Tonalität passt dazu nicht. Ich habe mit Befremden verfolgt, wie Sie diese Gesetzesinitiative vorbereitet haben. Sie zitieren in einer Kleinen Anfrage mit dem Titel „Aufhebung der NS-Militärgerichtsurteile wegen Kriegsverrates“ im Sommer letzten Jahres die Bundes- justizministerin mit dem Satz, dass der „in Fällen des Kriegsverrates möglicherweise gegebene Unrechtsgehalt (nicht ausschliessbare Lebensgefährdung für eine Viel- zahl von Soldaten)“ äußerst hoch erschiene, „so dass auch der Umstand, dass sie während eines völkerrechts- widrigen Angriffskrieges begangen worden sind, keinen Anlass zur pauschalen Rehabilitierung begründen konnte.“ Sie kritisieren sodann diese Äußerungen und führen unter anderem aus, dass es als äußerst fragwürdig erscheine, warum hier eine „nicht ausschliessbare Le- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 9975 (A) (C) (B) (D) bensgefährdung für eine Vielzahl von Soldaten“ als „Un- recht“ bezeichnet werde. Leben ist ein kostbares Gut. Das gilt auch für das Le- ben von Soldaten, unabhängig davon – auch wenn diese Aussage manchmal schwerfällt –, in wessen Dienst sie stehen. Achtung vor dem Leben ist eine der Kernaussa- gen unseres Grundgesetzes. Ich bitte Sie, auch in dieser Debatte diesen Respekt zu wahren. Unterlassen Sie Po- lemik! Erinnern wir uns: Bei den Beratungen über das NS- Aufhebungsgesetz haben wir uns bereits vor Jahren auch mit den Urteilen der NS-Militärjustiz gegen Deserteure der Wehrmacht intensiv beschäftigt. Der Bundestag hat dabei festgestellt, dass die Gerichte der Militärjustiz im NS-Staat keine Gerichte im rechtsstaatlichen Sinne wa- ren. Wir haben in diesen Fragen so viel Konsens – ich be- fürchte, dass Sie diesen mit der Tonalität und Wortwahl im Kontext mit diesem Antrag gefährden. Das wäre brandgefährlich. Es wäre insbesondere nicht im Sinne der Opfer. Ich habe schon 2002 in der Debatte um das erste Än- derungsgesetz klargestellt, dass es für die FDP selbstver- ständlich ist, dass die NS-Unrechtsurteile bereits 1998 aufgehoben worden sind. Hier nun wieder Einzelfälle herauszugreifen, ist – so meine Befürchtung – eine er- neute Demütigung der Opfer. Erneut wird der Eindruck erweckt, dass diese Menschen weitere Jahre lang nicht rehabilitiert gewesen seien. Das ist etwas, was ich uner- träglich finde. Ich habe den Antrag sorgfältig gelesen. Und es ist auch bekannt, dass ich Kritik von Herrn Ludwig Baumann, dem Vorsitzenden der Bundsvereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz sehr ernst nehme. Ich bin mir aber nicht sicher, ob hier wirklich Regelungsbedarf be- steht. In meiner Erinnerung haben wir uns 1998 sehr gründlich und sachlich mit all den vielen verschiedenen Situationen der NS-Justiz befasst und sind ihr, so meine ich, gerecht geworden. Unsere Beratungen damals waren sorgfältig und von großem Respekt vor den Opfern ge- prägt. Ich bitte die Kollegen von der Linken, diesen Res- pekt vor den Opfern nicht für kurze Effekte in Frage zu stellen. Als FDP-Bundestagsfraktion darf ich Ihnen versi- chern, dass wir uns bei den Beratungen des Antrages ins- besondere darum bemühen werden, die Opfer der NS- Justiz nicht zu verunsichern und Erreichtes von 1998 zu bewahren. Jan Korte (DIE LINKE): Ich freue mich, dass der Bundestag heute erneut zu einem geschichtspolitischen Thema die Debatte sucht. Wichtig ist es auch deshalb, weil es bei dem von der Linksfraktion vorgelegten Ge- setzentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile um die Aufarbei- tung des dunkelsten Kapitels der deutschen Geschichte geht. Leider – das muss an dieser Stelle aber auch gesagt werden – findet diese Debatte viel zu spät statt: 62 Jahre nach der Befreiung vom Hitler-Faschismus, 62 Jahre nach dem Holocaust, 62 Jahre nach dem fürchterlichsten Krieg, den die Menschheit erlebt hat, 62 Jahre nach dem Massenmord durch deutsche Kriegsschergen an über 60 Millionen Menschen. Die Bundesrepublik Deutsch- land und der Deutsche Bundestag haben 58 Jahre ver- streichen lassen, um Menschen zu rehabilitieren, die aus politischen und moralischen Gründen gegen das Hitler- Regime handelten und deshalb bis heute vorbestraft sind und gesellschaftlich stigmatisiert werden. Die Rede ist von den sogenannten Kriegsverrätern. Mit dem Gesetz zur Aufhebung nationalsozialisti- scher Unrechtsurteile, NS-AufhG, wurde in der Straf- rechtspflege 1998 ein wichtiger Schritt in Richtung Auf- arbeitung deutscher Geschichte eingeschlagen. Im § 1 des NS-AufhG werden verurteilende strafgerichtliche Entscheidungen, die unter Verstoß gegen elementare Ge- danken der Gerechtigkeit nach dem 30. Januar 1933 zur Durchsetzung oder Aufrechterhaltung des nationalsozia- listischen Unrechtsregimes aus politischen, militäri- schen, rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen ergangen sind, aufgehoben. Die genannten Ent- scheidungen betreffen nach § 2 des Gesetzes unter ande- rem auch solche, die auf den in der Anlage zu § 2 Nr. 3 NS-AufhG genannten gesetzlichen Vorschriften beru- hen. Ausgenommen sind darin jedoch die §§ 57, 59 und 60 des Militärstrafgesetzbuches von 1934, also der Kriegsverrat. Betroffene müssen sich seither einer Ein- zelfallprüfung unterziehen. Dies ist unserer Meinung nach nicht nur unzumutbar, sondern auch undurchführ- bar; denn außer bei Verurteilungen in Abwesenheit wur- den sie grundsätzlich zum Tode verurteilt und hingerich- tet. Unter der rot-grünen Bundesregierung wurde der Katalog der Straftaten, die im Anhang zu § 2 Nr. 3 NS-AufhG aufgeführt sind, mit Gesetz vom 23. Juli 2002 erweitert. Mit dem Änderungsgesetz wurden die §§ 175, 175 a Nr. 4 des Reichsstrafgesetzbuches sowie eine Vielzahl von Verurteilungen unter anderem wegen Desertion (§ 69 Militärstrafgesetzbuch), Feigheit (§ 85) oder unerlaubte Entfernung (§ 64) in die Anlage zu § 2 Nr. 3 NS-AufhG (Nr. 26 a) aufgenommen. Die Begrün- dung damals: Die Einzelfallprüfung führe zu Unzuträg- lichkeiten. Der Gesetzgeber konnte sich trotz der Aufnahme ei- ner großen Zahl von Straftatbeständen des Militärstraf- gesetzbuches in die Anlage zu § 2 Nr. 3 nicht dazu ent- schließen, dieses Gesetz im Ganzen einzufügen. In der Begründung zum Änderungsgesetz heißt es: Es finden sich eine ganze Reihe von Straftatbestän- den, bei denen die Aufhebung des Urteils ohne Ein- zelfallprüfung nicht verantwortbar erscheint. Bei- spielhaft seien hier der Kriegsverrat, die Plünderung, die Fledderei sowie Misshandlungen von Untergebenen genannt. Diese Aussage ist gleich in mehrfacher Hinsicht skan- dalös: zum einen, weil sie zum Ausdruck bringt, dass Unrechtsurteile von Nazirichtern, die ohne rechtsstaatli- che Grundsätze und zum Schütze eines menschenver- achtenden Systems gefällt wurden, nur durch Einzelfall- prüfung revidiert werden können, zum anderen aber 9976 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 (A) (C) (B) (D) stellt diese Begründung den Kriegsverrat in eine Reihe mit Plünderungen und Fleddereien. Das ist nicht hin- nehmbar. Die unter dem Straftatbestand des Kriegsverrates sub- sumierten Handlungen sind mit den anderen genannten Straftatbeständen des Militärstrafgesetzbuches nicht ver- gleichbar; denn sie waren fast durchweg politisch oder moralisch motiviert, wie auch neuere Forschungen von zum Beispiel Professor Dr. Wolfram Wette belegen. Ein vergleichbarer krimineller Unrechtsgehalt wie bei Delik- ten der Plünderung ist nicht erkennbar. Um es deutlich zu sagen: Beim sogenannten Kriegs- verrat handelte es sich um den Verrat des deutschen An- griffs- und Vernichtungskrieges, der zu Mord, Vertrei- bungen und Vergewaltigungen an Millionen geführt hat. Neuere Untersuchungen zeigen zudem, dass das Verhal- ten der Menschen, die wegen Kriegsverrats verfolgt und verurteilt wurden, fast durchweg, wie bereits angespro- chen, moralisch-ethisch oder politisch motiviert war. Diese Menschen riskierten ihr Leben, um das barbari- sche Morden, um den Angriffs- und Vernichtungskrieg zu beenden. Diese Menschen verdienen Anerkennung und höchsten Respekt. Deshalb müssen unserer Mei- nung nach die §§ 57, 59 und 60 Militärstrafgesetzbuch in die Anlage zu § 2 Nr. 3 NS-AufhG aufgenommen wer- den. In seinem Urteil vom 11. September 1991 stellt das Bundessozialgericht hinsichtlich der Todesurteile der Militärstrafjustiz während des Zweiten Weltkrieges fest, dass angesichts der Gesamtumstände die Rechtswidrig- keit der Urteile zu vermuten sei. Angesichts der durch die NS-Militärjustiz gefällten 30 000 Todesurteile und Zehntausenden Zuchthausurteilen kann man wohl kaum mehr nur von einer Vermutung sprechen, sondern muss von einer belegbaren Tatsache in diesem Zusammen- hang ausgehen. Ihnen allen wird der Name Ludwig Baumann sicher- lich bekannt sein. Ludwig Baumann streitet seit Jahren gemeinsam mit seiner „Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz e. V.“ für die Rehabilitierung von Wehrmachtsdeserteuren und Kriegsverrätern. Sein be- wegtes Leben bietet ein plastisches Beispiel für die Ver- hältnisse in Wehrmacht und NS-Regime und für die Aufarbeitung der deutschen Geschichte durch die Bun- desrepublik. Im Zuge der Gesetzesänderung unter Rot- Grün im Jahr 2002 hat er sich intensiv in die politische und parlamentarische Debatte eingebracht, hat gute Kontakte zur damaligen PDS-Fraktion, aber auch zu den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen hergestellt. Nachdem der Straftatbestand des Kriegsver- rats von der Gesetzesänderung 2002 ausdrücklich ausge- nommen wurde, unternahm er 2006 einen erneuten Ver- such und machte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries auf das Thema aufmerksam. In ihrem Antwortschreiben vom 25. April 2006 an Ludwig Baumann nimmt Frau Zypries zum Sachverhalt wie folgt Stellung: Bei der Erarbeitung des NS-AufhG, der als Entwurf der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grü- nen in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht worden ist (BT-Drs. 14/8276), wurde versucht, sämtliche Tatbestände des Militärstrafgesetzbuches zu erfassen, bei denen eine pauschale Aufhebung gerechtfertigt werden konnte. Als Ergebnis wurden insgesamt 44 Straftatbestände zusätzlich in das NS- AufhG aufgenommen. Ausdrücklich nicht aufge- nommen wurden Straftatbestände, bei denen die Aufhebung des Urteils ohne Einzelfallprüfung nach wie vor nicht vertretbar erschien. […] Der in Fällen des Kriegsverrats möglicherweise gegebene Un- rechtsgehalt (nicht ausschließbare Lebensgefähr- dung für eine Vielzahl von Soldaten) erschien äu- ßerst hoch, so dass der Umstand, dass sie während eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges began- gen worden sind, keinen Anlass zur pauschalen Re- habilitierung begründen könnte. Für mich übersetzt heißt dies, dass der Widerstand ge- gen einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg nicht an- erkannt wird, auch wenn es sich dabei um einen Vernich- tungsfeldzug im Namen des Hitler-Faschismus handelte. In Bezug auf die Äußerungen der Ministerin zur Gefähr- dung einer Vielzahl von Soldaten durch den Kriegsverrat ergeben sich für mich Fragen. Bedeutet dies übersetzt, dass das Leben von Soldaten, die einen Angriffskrieg führen, höher bewertet wird, als das Leben von Millio- nen von Zivilisten, die durch den Verrat von Kriegsvor- bereitungen oder -handlungen hätten gerettet werden können? Es wäre hilfreich, wenn Frau Zypries im Rah- men dieser Gesetzesdebatte ihre Position noch einmal deutlich machen würde, um Missverständnisse auszu- schließen. Die Antwort der Frau Ministerin ist umso besorgnis- erregender, als der Bundestag in seiner Entschließung vom 15. Mai 1997 auf Drucksache 13/7669 bereits fest- stellte: Der Zweite Weltkrieg war ein Angriffs- und Ver- nichtungskrieg, ein vom nationalsozialistischen Deutschland verschuldetes Verbrechen. Der Verrat eines, wie der Bundestag sagt, „Vernich- tungskrieges“ ist nach Meinung der Bundesjustizminis- terin offenbar nicht rehabilitierungswürdig, zumindest nicht ohne Einzelfallprüfung. Diese juristische Position zeugt von wenig politischer Souveränität; denn wie be- reits dargestellt, ist eine Einzelfallprüfung kaum mög- lich, da die meisten Betroffenen den NS-Henkern zum Opfer gefallen sind. Für die wenigen noch lebenden ist eine solche Prüfung erniedrigend und beschädigt das Ge- denken an den Widerstand gegen die NS-Diktatur. Ich möchte zum Schluss noch einmal daran erinnern, was die NS-Justiz unter dem Straftatbestand des Kriegs- verrates verstand: Verraten deutscher Angriffspläne und -termine an die Niederlande, Frankreich, Belgien, Eng- land, Dänemark, Norwegen, Jugoslawien; das Knüpfen konspirativer Auslandskontakte; der Versuch, Jüdinnen und Juden das Leben zu retten; die Aufnahme von Kon- takten zu sowjetischen Kriegsgefangenen; das Überlau- fen zu den Partisanen und die Unterstützung des einhei- mischen Widerstandes durch Weitergabe kriegswichtiger Informationen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 9977 (A) (C) (B) (D) Wie Sie sehen können, verbirgt sich hinter dem einfa- chen Wort „Kriegsverrat“ eine ganze Reihe von Tätig- keiten, die heute, beispielsweise im Zusammenhang mit dem 20. Juli, durch die Öffentlichkeit und den Bundes- tag gewürdigt werden. Ich bitte Sie also, unserem Gesetzesentwurf Ihre Zu- stimmung zu geben. Es ist an der Zeit. Kurt Tucholsky schrieb 1921 im Hamburger Echo: „Aber wenn wir nicht mehr wollen: dann gibt es nie wieder Krieg!“ Und wenn wir wollen, dann werden wir endlich auch die Kriegsver- räter rehabilitieren und anerkennen, dass sie Gegner des Krieges waren und die Anerkennung der Bundesrepublik verdienen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich der Deut- sche Bundestag immer wieder mit der Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure beschäftigt, mit den Män- nern, die dem verbrecherischen Krieg Hitlers den Rücken kehrten, die sich dem Morden verweigerten. Im Bundestag war die Anerkennung und Würdigung der Opfer der NS-Militärjustiz ein quälend langsamer Prozess. Ich kann mich an sehr schwierige Diskussionen im Parlament erinnern, aber auch an Vorträge von Sach- verständigen bei Anhörungen, die einen wirklich schau- dern ließen. So hatte 2002 der von der Union benannte Sachverständige Professor Seidler im Rechtsausschuss gesagt, dass das Verhängen der Todesstrafe bei Deser- tion zur Durchsetzung der Manneszucht in der Truppe notwendig gewesen sei. Und fünf Jahre später? Die Fehlleistung des Baden- Württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger bei der Trauerfeier für Hans Filbinger und sein tagelanges Ringen um eine angemessene Reaktion auf das Entsetzen und den Protest zeigen: In unserem Land ist immer noch vieles nicht wirklich aufgearbeitet. Das 1998, im letzten Jahr der Regierung Kohl, be- schlossene Gesetz zur Aufhebung von NS-Unrechtsur- teilen hatte für Deserteure noch keine befriedigende Lö- sung gebracht. Während ansonsten NS-Unrechtsurteile durch dieses Gesetz pauschal aufgehoben wurden, blie- ben Deserteure auf den demütigenden Weg der Einzel- fallprüfung verwiesen. Der wirkliche Durchbruch erfolgte dann 2002. Mit ei- ner Ergänzung des NS-Aufhebungsgesetzes haben wir für Gerechtigkeit für Deserteure gesorgt. Die Deserteure der Wehrmacht haben sich dem Angriffskrieg Hitlers verweigert. Dennoch mussten sie in der Bundesrepublik den Makel des verurteilten Straftäters tragen. Mit der Ergänzung von 2002 wurde ihnen die Ehre wiedergege- ben. Das Gleiche gilt für die Verurteilungen von Homo- sexuellen nach § 175 in der NS-Zeit. Die Gesetzesergänzung von 2002 führte hinsichtlich der Militärjustizurteile eine lange Liste von Tatbestän- den des Militärstrafgesetzesbuches auf. Urteile, die nach diesen Vorschriften ergangen waren, wurden pauschal aufgehoben. Die Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz hat die Reform damals sehr begrüßt, allerdings seitdem auch moniert, dass in dieser langen Liste der Strafvor- schriften die Bestimmungen zum Kriegsverrat noch feh- len. Es ist ein großes Verdienst dieser Vereinigung und insbesondere ihres Vorsitzenden Ludwig Baumann, das Schicksal der Wehrmachtsdeserteure und den Umgang mit ihnen nach dem Krieg ins öffentliche Bewusstsein getragen zu haben. Ich möchte Herrn Baumann und sei- ner Vereinigung hierfür nachdrücklich danken. Sie ha- ben sich um die Demokratie in Deutschland sehr ver- dient gemacht. Das Anliegen, auch noch die Bestimmungen gegen Kriegsverrat in das NS-Aufhebungsgesetz mit einzube- ziehen, ist berechtigt. Wir werden dem Antrag also zu- stimmen. Die jüngsten Forschungen des Militärhistorikers Wolfram Wette haben sehr eindrucksvoll aufgezeigt, um welche Tatbestände, um welche Personen und welche Motivlagen es hier ging. Als Kriegsverrat zählte zum Beispiel die Übermittlung von Informationen über den Holocaust an die Alliierten, die Aufnahme von Kontak- ten zu russischen Kriegsgefangenen, die Unterstützung von Widerstandsgruppen in den besetzten Ländern. Die Ergänzung des NS-Aufhebungsgesetzes von 2002 wollte damals ein Teil des Hauses leider nicht mittragen. Ich hoffe sehr, dass die Diskussion fünf Jahre später nun versachlicht werden kann und dass wir zu einer Einigung im Bundestag kommen. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden Zur Beratung des Antrags: Weg vom Öl im Kunststoffbereich – Chance der Novelle der Verpackungsverordnung nutzen und mit Bio- kunststoffen echte Kreisläufe schließen (Tages- ordnungspunkt 21) Michael Brand (CDU/CSU): Der Antrag von Bünd- nis 90/Die Grünen wäre ein besserer Antrag, wenn nicht die im Prinzip konservativen Ansätze zur Schonung von Ressourcen und natürlichen Lebensgrundlagen am Beispiel der Förderung von biologisch abbaubaren Werkstoffen, BAW, mit klassischen ideologischen Vor- behalten gegen die haushaltsnahe und getrennte Wert- stofferfassung vermischt würden. Als Abgeordneter aus dem wunderschönen Wahlkreis Fulda kenne ich die Pro- duktion und den Einsatz von nachwachsenden und biolo- gisch abbaubaren Rohstoffen aus eigener Anschauung. Ich kann aus eigener örtlicher Kenntnis sowohl die Chancen und Schwierigkeiten bei biologisch abbaubaren Werkstoffen, BAW, in der Produktion als auch beim Ein- satz und in der Akzeptanz bei Verbraucherinnen und Verbrauchern in einiger Tiefe beurteilen. Wenn in der Begründung dieses Antrages dann die altbekannte Skepsis mancher Grünen zur aktuellen Ver- fassung der Verpackungsverordnung dokumentiert wird, dann erinnert das stark an traditionelle, ideologische 9978 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 (A) (C) (B) (D) Bedenken der Grünen gegen die dualen Systeme und den immer wieder unternommenen Versuch, der Sammlung in der Gelben Tonne die Basis abzugraben. Dass diese unter Umweltminister Klaus Töpfer entworfene und von der Umweltministerin Angela Merkel weiterentwickelte Verpackungsverordnung der in der Produktverantwor- tung zugrunde gelegten Einbeziehung der Kosten bereits in die Produktion von Produkten und damit dem obers- ten Prinzip der Vermeidung von Abfällen dient, wird all- gemein anerkannt. Dass nach der Produktion und nach der Verwendung eine werkstoffliche Verwertung vorge- geben wird, dient der Entwicklung von Märkten, die ge- schlossene Kreisläufe schaffen und ausbauen. Von der Kreislaufwirtschaft wird es in Zukunft in die Stoffstrom- wirtschaft gehen, und manche Kämpfe heute haben in der angestrebten Kontrolle von Stoffströmen ihre eigent- liche Ursache. Dass der alte, schon in Nordrhein-Westfalen unter Frau Höhn gescheiterte Versuch, die erfolgreiche und breit akzeptierte getrennte Sammlung von Verpackungs- müll zu ersetzen durch eine großtechnische Sammlung gemeinsam mit Restmüll, bei dem hier vorgelegten An- trag ausgespart wurde, ist bezeichnend. Dass diese in NRW gescheiterte grüne Ideologie von Frau Kollegin Höhn nach der Abwahl in NRW nun in den Bundestag transportiert wurde, macht das Unterfangen nicht Erfolg versprechender. Ausgerechnet die Novellen von Umweltminister Trittin als Erfolg abzufeiern, zeugt dabei schon von sehr eingeengtem Blickwinkel und Nostalgie. Wer erinnert sich nicht mehr an das „Dosenpfand-Chaos“ und die un- glückliche Rolle des grünen Umweltministers? Und dass wir heute beim Thema Mehrweg teils drastische Einbrü- che zu verzeichnen haben, ist klarer Beleg dafür, dass grüne Ideologie und kurzfristige Ansätze nur zu mise- rablen Ergebnissen und weiteren Reparaturnotwendig- keiten führen. Für die CDU/CSU und auch für die gesamte Koali- tion kann und will ich ein glasklares Bekenntnis zur Sammlung von Verpackungen über duale Systeme abge- ben. Dass wir immer wieder an der einen oder anderen Stellschraube nachjustieren müssen, ist dabei auch klar. Aber wir werden als CDU/CSU weder aus Ideologie noch aus einseitigen Interessen heraus das Kind mit dem Bade ausschütten. Und wir wissen uns mit dieser Posi- tion auch einig mit der ganz übergroßen Mehrheit bei Kommunen, Recyclingwirtschaft und – das müsste Ih- nen doch zu denken geben – mit Umwelt- und Verbrau- cherverbänden. Getrennte Erfassung und werkstoffliche Kreisläufe stellen eine entscheidende Voraussetzung für marktfä- hige Recycling-Produkte aus LVP dar. Dass Bündnis 90/ Die Grünen diese teils sehr innovativen mittelständi- schen Unternehmen hier pauschal des „Downcyling“ be- schuldigt, ist ideologisch und in einer Reihe von Studien und Praxisbeispielen mehr als widerlegt. Wer Ressour- censchonung propagiert, der muss dies nachhaltig und glaubwürdig tun. Um es klar zu sagen: die Propagierung von biologisch abbaubaren Werkstoffen, BAW, und die Öffnung der Verpackungsverordnung in diesem Punkt wäre glaubwürdiger, wenn die offenen oder indirekten Attacken auf die getrennte Sammlung und die werkstoff- liche Verwertung unterblieben. Dass wir bei der aktuellen Novelle der Verpackungs- verordnung noch andere Baustellen als die BAW zu re- geln haben, ist weithin bekannt. Dass dabei auch weiter- gehende Innovationen von Teilen der Bundesregierung ins Gespräch gebracht werden, ist auch kein Geheimnis. Wir müssen allerdings bei dieser jetzigen fünften No- velle vor allem das Hauptziel der Sicherung der haus- haltsnahen Sammlung erreichen und diejenigen Inver- kehrbringer erfassen, die sich bislang gegen die rechtlichen Vorgaben weder an der haushaltsnahen noch an einer anderen Sammlung von Verpackungsabfällen beteiligen. Dass wir nach der aktuellen dann bei der si- cher anstehenden sechsten Novelle auch grundsätzli- chere Fragen angehen müssen, ist in der Koalition sowie zwischen Bund und Ländern schon heute Diskussionsge- genstand. Dabei werden wir uns allerdings davor hüten uns von Bündnis 90 einen „grünen Trojaner“ in ein er- folgreiches System schleusen zu lassen. Aus der anfangs erwähnten eigenen Anschauung von Produktion über Einsatz beim Kunden bis hin zur Ent- sorgung weiß ich auch um die vielen kleinen roten Teu- fel, die im Detail stecken. Ich streite ja hier und da schon bei der jetzigen No- velle mit Teilen der Bürokratie um eine klare Datenbasis und um ein realistisches Abbild beim Thema Verpa- ckung. Nur auf solider Basis können wir Prognosen ab- geben und unsere politischen Entscheidungen verant- wortlich treffen. Was den Ansatz zu biologisch abbaubaren Werkstof- fen und den erwähnten „grünen Trojaner“ angeht, so werden wir in den Ausschüssen erheblich ernster und er- gebnisoffener diskutieren, wenn Bündnis 90/Die Grünen die Ideologie, auch gegen die dualen Systeme, abrüstet und sich um ein ganzheitliches Konzept mitbemüht, das den BAW die großen Chancen wirklich eröffnet. Wir von der CDU/CSU hoffen auf diese ideologisch unbelastete Erörterung in den Ausschüssen zu dieser Zu- kunftsfrage. Wir sind bereit, ernsthaft über ernst ge- meinte Konzepte zu sprechen. Der vorliegende Antrag wird dabei dann nicht der schlussendliche Antrag sein können. Wir sehen das ganze Bild, und dazu gehört die ganze Kette, um biologisch abbaubare Werkstoffe zu dem Erfolg zu verhelfen, den wir zum Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen und zum Schutz des Kli- mas anstreben. Gerd Bollmann (SPD): Grundsätzlich haben Verpa- ckungen aus Biokunststoffen viele Vorteile und sind ökologisch besser als andere Kunststoffverpackungen. Sie werden nicht auf Erdölbasis, sondern auf Pflanzen- basis hergestellt. Aus diesem Grund sind sie nicht nur kompostierbar und ressourcenschonend. Sie können auch klimaneutral energetisch verwertet werden. Inzwischen werden zahlreiche Produkte aus Bio- kunststoffen hergestellt. Neben Einkaufs- und Abfalltü- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 9979 (A) (C) (B) (D) ten und Folien sind dies auch Trinkbecher oder Plastik- teile von Automobilen. Aus eigener Anschauung weiß ich, dass sich die ver- schiedenartigen Produkte auf den ersten Blick nicht mehr von normalem Plastik unterscheiden. Sie sind qua- litativ gleichwertig und in manchen Fällen sogar besser. Trotzdem haben Produkte aus Biokunststoff nur einen geringen Marktanteil. Sie sind nämlich trotz hoher Öl- preise immer noch teurer als normaler Kunststoff. Ich halte Biokunststoffe insgesamt für eine sinnvolle Alternative und eine zukunftsweisende Technologie. Aus diesem Grund hat sich die SPD bei der 3. Novelle der Verpackungsverordnung für eine Förderung von bio- logisch abbaubaren Werkstoffen eingesetzt. Kunststoffver- packungen aus diesem Material sind bis zum 31. Dezem- ber 2012 von der Teilnahme an Rücknahmesystemen befreit. Die SPD befürwortet grundsätzlich den Einsatz von Biokunststoffen. Für erdölbasierte Produkte sind Verpa- ckungen und andere Produkte aus nachwachsenden Roh- stoffen eine sinnvolle Alternative. Eine weitergehende Förderung, wie sie in dem vorgelegten Antrag gefordert wird, muss jedoch genau geprüft werden. Zahlreiche Fragen sind bisher ungeklärt. Eine Ökobi- lanz, die internationalen Standards genügt und belegt, dass Biokunststoffe umweltfreundlicher sind, liegt bis- her noch nicht vor. Aus diesem Grund steht das Umweltbundesamt der Sache skeptisch gegenüber. So ein Vertreter des Um- weltbundesamtes in der Zeitung „Die Zeit“ vom 23. No- vember letzten Jahres. Ein weiteres Problem entsteht bei der Kompostierung von Biokunststoffen. Nach der jetzigen Gesetzeslage er- laubt die Bioabfall- und Düngemittelverordnung den Einsatz als Düngemittel nur, wenn sie zu 100 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt wurden. Die meisten Produkte aus Biokunststoffen enthalten aber noch einen Anteil von Kunststoff auf Erdölbasis. Dem- entsprechend dürfen sie nicht als Düngemittel eingesetzt werden. Zusätzlich gibt es Absatzprobleme für Kompost aus Bioabfall. Wie sich jeder vorstellen kann, ist gesammel- ter Bioabfall selten rein. Insbesondere im Abfall aus Biotonnen finden sich häufig Verschmutzungen. Allein die Möglichkeit der Verunreinigung führt dazu, dass Kompost aus Abfall kaum Abnehmer findet. An- ders ausgedrückt: Derzeit gibt es kaum Verwendung für Kompost aus Bioabfall. Diese Problematik ist inzwischen bekannt. In dem Antrag wird die Förderung von Biokunststoffen daher durch deren klimaneutrale Nutzung bei der energeti- schen Verwertung begründet. Wir müssen die Nutzung fossiler Rohstoffe bei der Energieerzeugung senken. Zukünftig muss Energie aus erneuerbaren, klimaneutralen Energien produziert wer- den. Hierbei muss die Biomasse ihren Anteil haben. Ich setze mich daher insbesondere für die energeti- sche Nutzung von Bioabfall ein. Dabei sollte die Nut- zung in der Regel in Form von Kraft-Wärme-Kopplung erfolgen. Die Koalition plant deshalb auch, die thermi- sche Verwertung von Bioabfall zum Beispiel in Biogas- anlagen zu fördern. Ein vermehrter Einsatz von Biokunststoffabfall ist bei der Energieerzeugung meiner Meinung nach begrüßens- wert. Wie ich dargelegt habe, stehe ich einem vermehrten Einsatz, einer Förderung von Biokunststoffen grundsätz- lich positiv gegenüber. Bevor wir jedoch konkrete ge- setzliche Schritte unternehmen, müssen wir grundle- gende Fragen klären. Der Antrag entwirft ein Szenarium, in dem Kunst- stoffe aus Erdöl durch Biokunststoffe ersetzt werden. Andere „Visionäre“ fordern den Ersatz von Benzin und Diesel durch Biosprit. Energiepflanzen wie Weizen sollen zur Energieerzeugung eingesetzt werden. Beim ökologischen Bauen sollen pflanzliche Rohstoffe ver- stärkt Verwendung finden. Ebenso sollen nachwach- sende Rohstoffe vermehrt fossile Rohstoffe ersetzen. Biosprit, Energiepflanzen, neue Verwendung als Ersatz fossiler Rohstoffe, traditioneller Einsatz in Möbel- und Textilindustrie. Die Einsatzmöglichkeiten von Bio- masse, oder einfacher ausgedrückt von Pflanzen, sind riesig und laufend kommen neue hinzu. Dabei dürfen wir eines nicht vergessen: die Nah- rungsmittelproduktion. Die Erzeugung von Biosprit, Biokunststoff und Ener- giepflanzen steht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelpro- duktion. Wollen wir die Anbauflächen von Nahrungs- mitteln verringern? Wollen wir den Einsatz gentechnisch veränderter Pflanzen? Meiner Meinung nach müssen wir die grundsätzli- chen Fragen der Nutzung von Biomasse erst einmal klä- ren, bevor wir immer neue Verwendungsformen fördern. Die Anbauflächen in Deutschland und Europa sind begrenzt. Aus diesem Grund stehen die verschiedenen Nutzungsformen der Pflanzen in Konkurrenz. Wir kön- nen nicht einfach so tun, als ließen sich die Pflanzenwelt und ihre Produkte unendlich nutzen. Wir müssen uns grundsätzlich überlegen, welche Nut- zung der Pflanzenwelt bzw. Biomasse in welchem Um- fang und welcher Form wir wollen. Wir müssen auch die wirtschaftlichen Konsequenzen genau feststellen. All diese Fragen und viele Einzelaspekte sind zu klären. Ich verweise zum Beispiel auf den Arten- und Natur- schutz. Natürlich können wir die Produktion von Ener- giepflanzen und Biokunststoffen durch großflächigen Monoanbau steigern. Nach derzeitigem Stand ist der großflächige Anbau in Monokulturen notwendig. Ein solcher Anbau schädigt aber die pflanzliche und tierische Artenvielfalt. Wollen wir also einen verminder- ten Arten- und Naturschutz, weil der verstärkte Einsatz nachwachsender Rohstoffe dem Klimaschutz dient? 9980 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 (A) (C) (B) (D) Kurz erwähnen möchte ich in diesem Zusammen- hang, dass wir uns für eine nachhaltige biologische Landwirtschaft in der Nahrungsmittelproduktion einset- zen. Also das Gegenteil dessen, was beim Anbau indus- triell genutzter Pflanzen ökonomisch sinnvoll ist. Ungeklärt ist auch der Einsatz der Gentechnik in die- sem Bereich. Manche Vertreter aus der Wirtschaft befür- worten den Einsatz gentechnisch veränderter Pflanzen. Sie argumentieren damit, dass Energiepflanzen und nachwachsende Rohstoffe nicht in den Nahrungskreis- lauf gelangen. Auf den ersten Blick stimmt dies. Auf den ersten Blick erscheint der Einsatz grüner Gentechnik auch wirtschaftlich sinnvoll. Schnelleres Wachstum im Allgemeinen, höheres Energiepotenzial bei Energiepflanzen, mehr Stärke für die Produktion von Biokunststoffen, gentechnisch ist das machbar. Aber stimmt es wirklich, dass es keine Auswirkungen auf den Nahrungsmittelkreislauf gibt? Ich bin skeptisch. Vor allem aber bin ich der Meinung, dass hier genauer untersucht werden muss. Meiner Meinung nach entspricht die derzeitige Förde- rung von Biokunststoffen in der 3. Novelle der Verpa- ckungsverordnung den Notwendigkeiten. Bevor wir jedoch konkrete Schritte für eine zusätzli- che Förderung einleiten, müssen wir die grundsätzlichen Fragen klären. Im Rahmen der jetzigen 5. Novelle der Verpackungs- verordnung lehne ich aus zeitlichen Gründen und den er- wähnten grundsätzlichen Fragen eine weitere Förderung von Biokunststoffen ab. Ich plädiere dafür, zeitnah die aufgeworfenen Fragen zu klären und erst dann weitere Fördermaßnahmen für Biokunststoffe aufzulegen. Horst Meierhofer (FDP): Wieder einmal steht uns eine Novelle der Verpackungsverordnung bevor – die fünfte mittlerweile. Für die Grünen ist dies der Anlass zu fordern: „Weg vom Öl im Kunststoffbereich – Chancen der Verpackungsverordnung nutzen und mit Biokunst- stoffen echte Kreisläufe schließen“. Wenn ich mir den Feststellungsteil des Antrags an- schaue, kann ich in vielen Punkten nur zustimmen: Auch die FDP ist der Meinung, dass nach mittlerweile gut 15 Jahren Verpackungsverordnung eine kritische Überprüfung mehr als überfällig ist. Keine Frage, die Einführung der gelben Säcke Anfang der 1990er-Jahre war gut und richtig, um den damaligen Verpackungsber- gen Herr zu werden. Wir sagen aber auch: Die Zeiten ha- ben sich geändert. Moderne Techniken sind teilweise in der Lage, Hausmüll und Wertstoffe maschinell zu tren- nen. Wenn man bedenkt, dass vor allem in Ballungsräu- men der Inhalt von Restmülltonne und gelbem Sack na- hezu identisch ist, muss man sich meiner Meinung nach schon fragen, ob die Trennung von Hand wirklich noch überall sinnvoll ist. Darüber erreicht das Grüne-Punkt-System für einen Milliardenaufwand gerade einmal 0,3 Prozent der Ge- samtabfallmasse in Deutschland. Während wir unsere Joghurtbecher im Idealfall brav in den gelben Sack wer- fen, wandern stoffgleiche Nichtverpackungen nach wie vor in den Restmüll. Kurzum: Auch die FDP ist der Meinung, dass die Ver- packungsverordnung anstelle von weiteren „Reförm- chen“ grundlegend überarbeitet werden muss. Nur die haushaltsnahe Entsorgung der Verkaufsverpackungen si- cherzustellen reicht nicht aus. Und alle wie wir hier sit- zen wissen eigentlich schon jetzt, dass die 5. Novelle nicht die letzte sein wird. Anstatt der geplanten Novelle ist es deshalb Zeit für den großen Wurf. Die Abfallwirt- schaft in Deutschland muss vom Kopf auf die Füße ge- stellt werden. Aber – spätestens hier ist es vorbei mit der trauten Zweisamkeit, Frau Kotting-Uhl – auch Ihr Antrag ist nicht mehr als ein – wenn auch begrüßenswertes – „Re- förmchen“. Mehr Anreize für den Einsatz sogenannter Biokunststoffe zu schaffen, löst die derzeitigen Pro- bleme rund um die Verpackungsverordnung nicht grund- legend. Natürlich ist der Einsatz von Biokunststoffen, soweit möglich, gut: Biokunststoffe sind bei ihrer ener- getischen Verwertung klimaneutral, darüber hinaus bio- logisch abbaubar und sie führen uns weg von der sehr endlichen Ressource Öl. Ein höherer Marktanteil wäre deshalb sicherlich wünschenswert. Trotz alledem: Der Einsatz von Biokunststoffen bietet nur geringe Möglichkeiten, sich von der endlichen Res- source Öl unabhängiger zu machen und Treibhausgase einzusparen. In Ihrem Antrag schreiben Sie, dass rund 10 Prozent des gesamten Erdölimportes in den Bereich der Chemie und Kunststoffproduktion gehen. Lässt man die Chemie weg, so sind es gerade einmal 4 Prozent des Erdöls, die Ausgangsmaterial für Kunststoffe sind. Ein Tropfen auf den heißen Stein, vor allem wenn man be- denkt, dass nicht alle Kunststoffe durch Biokunststoffe ersetzt werden können. Hinzu kommt, dass es bislang keine einheitliche Linie gibt, was die Förderung bzw. Nichtförderung nachwach- sender Rohstoffe angeht: bei den erneuerbaren Energien haben wir das EEG, bei erneuerbarer Wärme gibt es nichts. Bei den Biokraftstoffen haben wir wiederum die Beimischungspflicht. Und jetzt auch noch die Biokunst- stoffe, die übrigens auch jetzt schon bis Ende 2012 privi- legiert sind, wenn Sie einmal in die Übergangsvorschrif- ten der Verpackungsverordnung schauen! Alles nicht gerade systematisch! Im Übrigen sind wir der Meinung, dass die energeti- sche Verwertung generell und nicht nur bei den Bio- kunststoffen ökologisch und ökonomisch sinnvoll sein kann. Schließlich ersetzt sie fossile Energieträger wie Kohle, Gas und Öl. Und schließlich sind es nicht die stofflichen Verwertungsquoten, sondern erst die Verrin- gerung von Emissionen, die zu einer Entlastung der Um- welt führen. Die Rolle des Staates sollte sich deshalb darauf beschränken, die Höhe der Emissionen festzule- gen. Wie diese Restriktionen kosteneffizient erfüllt wer- den können, muss dem Markt überlassen bleiben. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 9981 (A) (C) (B) (D) Fazit: Das System insgesamt muss sich öffnen. An einzelnen Stellen herumzudoktern, bringt auf lange Sicht nichts. Was wir – über den Einsatz von Biokunststoffen hinaus – brauchen, ist ein flexibles System, in dem duale Systeme, maschinelle Sortierung und thermische Ver- wertung miteinander konkurrieren können. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Ich kann vo- rausschicken, dass wir den Antrag der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen unterstützen. Verpackungen aus bio- logisch abbaubaren Werkstoffen machen in mehrerer Hinsicht Sinn. Erstens. Sie können auf der Basis nachwachsender Rohstoffe wie Stärke, Zucker, Zellulose, Pflanzenöle oder Proteine hergestellt werden. Der Vorteil liegt auf der Hand: Wir sparen wertvolle fossile Rohstoffe und vermindern den Ausstoß von Kohlendioxid. Zweitens. Sie fördern den Gedanken der Kreislauf- wirtschaft. Hier wird am Produkt angesetzt und nicht nachher aufwendig getrennt und recycelt. Dadurch wird übrigens wiederum Energie eingespart. Drittens. Sie verringern weitere Abfallprobleme wie das Vermüllen, und zwar dadurch, dass weggeworfene Verpackungen schnell in der Umwelt schadlos zersetzt werden. Und viertens schaffen sie Einkommensalternativen für die deutsche Landwirtschaft. Unserer Ansicht nach sollten nicht nur Verpackungs- materialien aus biologisch abbaubaren Werkstoffen her- gestellt werden, sondern auch Einweggeschirr oder Folien für den Garten und den Landschaftsbau. Anwen- dungsbereiche sind auch Produkte wie Bindegarne oder Pflanztöpfe. Um die Anwendung im Landschaftsbau oder in der Landwirtschaft voranzubringen sollte schnellstmöglich eine DIN-Norm entwickelt werden, die die Abbaubar- keit im Freilandbereich regelt. Denn wie wir von der Forschungsgemeinschaft Biologisch Abbaubare Werk- stoffe, FBAW, in Hannover wissen, bestehen einige Pro- dukte aus diesem Bereich aus einem Verbund von nach- wachsenden und nicht nachwachsenden Rohstoffen. Es muss aber gewährleistet sein, dass das Produkt in jedem Fall vollständig biologisch abbaubar ist. Das kann eine DIN-Norm leisten. Eine solche DIN-Zertifizierung wurde bereits auf Ini- tiative von European Bioplastics und FBAW für den Be- reich Biokompostierung entwickelt. Allerdings fehlt es hier noch an einer entsprechenden Regelung in der Bio- abfall-Verordnung. Nach der muss nämlich momentan Bioabfall zu 100 Prozent aus nachwachsenden Rohstof- fen bestehen. Es ist jedoch nicht einsichtig, dass Verpa- ckungen, die lediglich zu einem geringen Teil aus nicht nachwachsenden Rohstoffen hergestellt wurden, aber entsprechend der DIN EN 13432 nachweislich vollstän- dig kompostierbar sind, der Weg in die Biotonne verbaut wird. In den Niederlanden, Großbritannien, Italien und der Schweiz gibt es diese Einschränkung nicht. Die Anwen- dung solcher Verpackungen hat davon profitiert. Biologisch abbaubare Verpackungen müssen also aus unserer Sicht nicht in jedem Fall vollständig aus nach- wachsenden Rohstoffen gemacht sein, obwohl das viel- leicht ökologisch der konsequenteste Weg wäre. Aber man muss ja die Sache technisch-ökonomisch nicht schwieriger gestalten, als sie ohnehin ist. Davon hat dann die Umwelt auch nichts. Die Linke unterstützt das Anliegen der Grünen, recht- lich den Weg für die Verbrennung von Bioverpackungen freizugeben. Die energetische Nutzung wäre hier weitge- hend CO2-neutral und es würde für bestimmte mögliche Anwendungen den letzten Kick für eine positive Bilanz geben. Damit kann die Anwendung solch innovativer Materialien nach vorn gebracht werden. Die rot-grüne Bundesregierung hat von April 2001 bis März 2002 einen Demonstrationsversuch in Kassel zur verstärkten Verwendung kompostierbarer Verpa- ckungen in der kommunalen Bioabfallsammlung gestar- tet. Es gab bereits hoffnungsvolle Ergebnisse. Auch in anderen Forschungsprojekten wurden öffentliche Mittel investiert. Nun käme es darauf an, die Entwicklung dieser Werk- stoffe von der Bundesregierung weiterhin nach vorn zu bringen. Neben den rechtlichen Schritten wären das Maßnahmen im Bereich der Materialentwicklung und Produktanwendung sowie der Forschungsförderung. Nicht zuletzt muss die Produktkennzeichnung verbes- sert und die Bevölkerung besser aufgeklärt werden. Denn es wäre schade, wenn die Bioverpackungen am Ende in der falschen Tonne landen. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die ökologische, ökonomische und friedenspolitische Notwendigkeit zur Abkehr vom Erdöl als Rohstoff und Energieträger ist unbestritten. Es ist die zentrale Zu- kunftsherausforderung unserer Gesellschaft, unser Wirt- schaftssystem auf eine Basis erneuerbarer Ressourcen umzustellen. Im Bereich der Bioenergien haben wir be- reits einiges erreicht, bei der Produktion von Waren und Gütern stehen wir dagegen noch ganz am Anfang der notwendigen Umstellung auf eine erneuerbare Ressour- cenbasis. Vor allem in der Chemie- und Kunststoffindus- trie sind wir noch immer zu über 90 Prozent vom impor- tierten Rohstoff Erdöl abhängig, was neben den ökologischen Problemen vor allem immense wirtschaft- lichen Risken birgt. Obwohl derzeit nur etwa 10 Prozent des gesamten Erdölimportes in den Bereich der Chemie- und Kunst- stoffproduktion gehen, sind die in diesem Bereich un- mittelbar angesiedelten Beschäftigungsverhältnisse von großer Bedeutung. Nach Angaben des Statistischen Bun- desamtes von 2005 sind im Bereich der Chemie- und Kunststoffindustrie über 800 000 Menschen unmittelbar beschäftigt. Gehen fossile Rohstoffe wie Erdöl und Erd- gas zur Neige, gibt es in der Chemie- und Kunststoffin- dustrie keine andere Alternative als die Nutzung von Bio- 9982 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 (A) (C) (B) (D) masse. Es kommt deshalb darauf an, jetzt die notwendigen Weichenstellungen vorzunehmen. Produk- te auf regenerativer Rohstoffbasis müssen gefördert und vor allem aber bestehende Hemmnisse wie die im Ab- fallrecht abgebaut werden. Die Umstellung der Rohstoffbasis in der Chemie ist jedoch nicht nur eine wirtschaftspolitische Notwendig- keit, sondern vor allem auch eine ökologische. Kunst- stoffe sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken, sie haben unbestritten viele Vorteile in der Nutzung; hin- sichtlich ihrer Recyclingeigenschaften sind sie jedoch problematisch. Echte Kreislaufprodukte sind es nicht. Statt dessen steht am Ende des Recyclingprozesses meist ein minderwertigeres Produkt, das früher oder später doch in der Verbrennungsanlage landet. es klar und unmissverständlich heißt, „dass eine ökologi- sche Industriepolitik mehrere Dinge gleichzeitig leisten muss, unter anderem die stoffliche Basis der Industrie in wichtigen Bereichen zunehmend auf nachwachsende Rohstoffe umzustellen.“ Ihre tatsächliche Politik, Herr Minister, ist aber wie so oft eine andere. Sie lassen Ihren Ankündigungen keine Taten folgen. Sie machen sogar das Gegenteil, indem sie im vorliegenden Referentenentwurf zur fünften Novelle die bisher geltende Freistellung von der Verpflichtung zur Teilnahme an einem Dualen System für alle Bio- kunststoffe bis 2012 wieder einschränken und die pfand- freien Getränke aus der Befreiung ausnehmen wollen. Sie tun dies, obwohl Biokunststoffe am Verpackungs- markt gerade erst am Start stehen. Ein Ausstieg aus dem Downcycling von Kunststoffen gelingt jedoch mit Biokunststoffen. Durch den Einsatz lang- und kurzlebiger Biokunststoffe auf der Basis nach- wachsender Rohstoffe eröffnet sich für Kreislaufwirt- schaft- und Abfallpolitik eine neue Perspektive. Wäh- rend die bisherige Abfallgesetzgebung – insbesondere die Verpackungsverordnung – aus Gründen des Ressour- censchutzes ein möglichst hochwertiges werkstoffliches Recycling zum Ziel hat, können Produkte auf regenerati- ver Basis entweder recycelt werden oder durch eine energetische Verwertung in einen echten Kreislauf ge- führt werden. Durch den Anteil an biogenem Kohlen- stoff kann zum Beispiel klimaneutral Strom und Wärme erzeugt werden. Es gibt keinen Treibhausgaseffekt, denn nachwachsende Rohstoffe werden durch Sonnenlicht aus Wasser und CO2 ständig neu gebildet, und nur diese Komponenten werden bei der Verwertung wieder freige- setzt. Biokunststoffe sind auch keine Konkurrenz zu den Bioenergien, sondern ganz im Gegenteil eine sinnvolle Ergänzung. So wird Biomasse zuerst stofflich genutzt und erst anschließend energetisch. Solche Nutzungskas- kaden erhöhen die Unabhängigkeit vom Erdöl, ohne den Bedarf an Anbaufläche zu vergrößern. Diese Chancen durch Biokunststoffe werden aber noch immer viel zu wenig erkannt und genutzt, die Bun- desregierung ist in dieser Hinsicht untätig. Herr Minister Gabriel, ich möchte Sie an dieser Stelle gerne an das von Ihnen in Oktober 2006 vorgelegte Memorandum für ei- nen „New Deal“ von Wirtschaft, Umwelt und Beschäfti- gung zur ökologischen Industriepolitik erinnern, in dem sellschaft mbH, Amsterdamer Str. 19 Sie verstehen unter Produktverantwortung lediglich die Existenzsicherung der Dualen Systeme, aber nicht die Chance ökologischer Innovationen, die sie selber doch immer so vehement an anderer Stelle einfordern. Die Verpackungsverordnung bietet tatsächlich die Chance, den Umstieg wichtiger Wirtschaftsbereiche auf nachwachsende Rohstoffe zu forcieren. Der Verpa- ckungsmarkt ist derzeit einer der wenigen, in denen Kunststoffe auf der Basis nachwachsender Rohstoffe überhaupt eine Rolle spielen und marktreife Produkte angeboten und vertrieben werden. Wenn es gelingt, Biokunststoffe im Verpackungs- markt zu etablieren, bringt das die notwendige Dynamik, um auch in den anderen Wirtschaftsbereichen den not- wendigen Wechsel hin zu erneuerbaren Ressourcen zu vollziehen. Kunststoffe auf der Basis nachwachsender Rohstoffe sind eine Chance für Umwelt und Wirtschaft. Herr Minister, lassen Sie ihren Ankündigungen end- lich mal Taten folgen und sorgen Sie dafür, dass anstelle eines weiteren Reförmchens des bestehenden Systems, die Verpackungsverordnung grundlegend mit dem Ziel überarbeitet wird, Anreize für die Umstellung von erdöl- basierten Kunststoffen auf Biokunststoffe aus nach- wachsenden Rohstoffen zu setzen. Sorgen Sie dafür, dass die Verpackungsverordnung konsequent in Rich- tung Ressourcenschutz weiterentwickelt wird und die Verwendung der nachwachsenden Rohstoffbasis zusam- men mit der biologischen Abbaubarkeit als Produktver- antwortung anerkannt wird. nd 91, 1 2, 0, T 22 97. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609700000

Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich und wünsche uns einen fröhlichen Morgen und
einen erfolgreichen Tag.

Die Kollegin Angelika Graf (Rosenheim) und der
Kollege Rainer Fornahl feiern heute ihren 60. Ge-
burtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich
herzlich und wünsche alles Gute.


(Beifall)


Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, dass die Kollegin
Ute Berg aus dem Gremium gemäß § 23 c Abs. 8 des
Zollfahndungsdienstgesetzes ausscheidet. Als Nachfol-
ger wird der Kollege Dr. Rainer Wend vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist so. Dann ist der
Kollege Dr. Rainer Wend zum Mitglied dieses Gremi-
ums nach dem Zollfahndungsdienstgesetz gewählt.

Die Kollegin Caren Marks hat ihr Amt als Schriftfüh-
rerin niedergelegt. Als Nachfolger schlägt die Fraktion
der SPD den Kollegen Dr. Gerhard Botz vor. Sind Sie
auch damit einverstanden? – Es hat hier schon stärkere
Auseinandersetzungen gegeben. – Das ist offenkundig
auch der Fall. Dann haben wir das so vereinbart.

Rede
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun-
dene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste auf-
geführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD:
Aktuelle wirtschaftliche Entwicklung und Lage auf dem
Arbeitsmarkt

ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der LINKEN:
zu der Antwort der Bundesregierung auf die dringliche
Frage Nr. 3 auf Drucksache 16/5236

(siehe 96. Sitzung)


ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Bärbel Höhn, Volker Beck (Köln), weiterer A
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ
Konkrete Maßnahmen und verbindliche
bessere Ernährung und mehr Bewegung um
– Drucksache 16/5271 –
zung

, den 10. Mai 2007

.00 Uhr

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Gesundheit

ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 29)


a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrach-
ten Entwurfs eines Zweiundzwanzigsten Gesetzes zur
Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes

(22. BAföGÄndG)


– Drucksache 16/5172 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela Piltz,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Max Stadler,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Beitritt des Bundes zum Rechtsstreit des Landes
Schleswig-Holstein gegen die EU-Kommission

– Drucksache 16/4607 –

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen

text
Union

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke,
Petra Pau, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der LINKEN

Irakische Flüchtlinge in die EU aufnehmen – In
Deutschland lebende Iraker und Irakerinnen vor Ab-
schiebung schützen

– Drucksache 16/5248 –

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara
l, Dr. Axel Troost, Werner Dreibus, weiterer Abge-
neter und der Fraktion der LINKEN

ternehmen leistungsgerecht besteuern – Einnah-
n der öffentlichen Hand stärken
bgeordneter und
NEN
Strukturen für

setzen

Höl
ord

Un
me
– Drucksache 16/5249 –






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Hermann, Fritz Kuhn, Peter Hettlich, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN
Schieneninfrastruktur ist öffentliche Aufgabe – Mora-
torium für die Privatisierung der Deutsche Bahn AG
– Drucksache 16/5270 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Krista Sager,
Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn) und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Einrichtung des Europäischen Technologieinstituts
abwenden – Bestehende europäische Förderstruktu-
ren stärken und weiterentwickeln
– Drucksache 16/5254 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss

ZP 5 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache

(Ergänzung zu TOP 30)

Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des
Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
braucherschutz (10. Ausschuss) zu der Unterrichtung
durch die Bundesregierung
Grünbuch
Die Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands im
Verbraucherschutz
KOM (2006) 744 endg.; Ratsdok. 6307/07
– Drucksachen 16/4635 Nr. 2.20, 16/5272 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Julia Klöckner
Marianne Schieder
Hans-Michael Goldmann
Karin Binder
Ulrike Höfken

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl Addicks,
Hellmut Königshaus, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Neue Strategien für die deutsche Entwicklungszusammen-
arbeit mit Afrika erarbeiten und durchsetzen
– Drucksache 16/5243 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

ZP 7 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der
SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
der Rechtsgrundlagen zum Emissionshandel im Hinblick
auf die Zuteilungsperiode 2008 bis 2012
– Drucksache 16/5240 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

ZP 8 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Zweiter Bericht zur Realisierung der Ziele des Bologna-
Prozesses

– Drucksache 16/5252 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 9 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der FDP und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN:

Haltung der Bundesregierung zur Finanzierung des ge-
planten Ausbaus von Kinderkrippen

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden.

Schließlich mache ich auf zwei nachträgliche Aus-
schussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste
aufmerksam: Der in der 73. Sitzung des Deutschen Bun-
destages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf der
Bundesregierung soll zusätzlich dem Ausschuss für Bil-

(18. Ausschuss)


Entwurf eines … Strafrechtsänderungsgeset-
zes zur Bekämpfung der Computerkriminali-
tät (… StrÄndG)


– Drucksache 16/3656 –
überwiesen:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

Der in der 95. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem
Ausschuss für Tourismus (20. Ausschuss) zur Mitbera-
tung überwiesen werden:

Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, Daniel
Bahr (Münster), Heinz Lanfermann, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP

Nichtraucherschutz praktikabel und mit Au-
genmaß umsetzen

– Drucksache 16/5118 –
überwiesen:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Tourismus






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
Der Tagesordnungspunkt 24 – hier handelt es sich um
den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Passgeset-
zes und weiterer Vorschriften – und der Tagesordnungs-
punkt 25 – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Zollfahndungsdienstgesetzes und anderer Gesetze – wer-
den abgesetzt. Ich vermute, dass Sie auch mit diesen
Vereinbarungen einverstanden sind. – Dann ist das so
beschlossen.

Ich rufe nun unsere Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b
sowie den Zusatzpunkt 3 auf:

3 a) Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregie-
rung

Gesunde Ernährung und Bewegung – Schlüs-
sel für mehr Lebensqualität


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Bravo!)


b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Bleser, Julia Klöckner, Ursula Heinen, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU so-
wie der Abgeordneten Volker Blumentritt,
Mechthild Rawert, Waltraud Wolff (Wolmirstedt),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Förderung gesundheitsrelevanten Verhaltens
zur Prävention von Fehl- und Mangelernäh-
rung, Übergewicht und Bewegungsmangel ins-
besondere bei Kindern und Jugendlichen

– Drucksache 16/5258 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Sportausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Bärbel Höhn, Volker Beck (Köln), wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN

Konkrete Maßnahmen und verbindliche Struk-
turen für bessere Ernährung und mehr Bewe-
gung umsetzen

– Drucksache 16/5271 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Gesundheit

– Die Bewegung entsteht schon vor Beginn der Regie-
rungserklärung.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung anderthalb Stunden vorgesehen. – Auch das können
wir offensichtlich so vereinbaren.
Das Wort zur Abgabe der Regierungserklärung erhält
nun der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz, Horst Seehofer.

Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Prävention ist bekanntlich noch immer die beste
Medizin. Sie ist notwendig; denn in Deutschland – wie
auch in allen anderen Industrienationen – nimmt die
Zahl der Krankheiten zu, die durch frühzeitige Präven-
tion vermieden werden könnten. Das gilt für Fehlernäh-
rung, das gilt für Übergewicht, das gilt für Bewegungs-
mangel. All dies beeinträchtigt die Lebensqualität vieler
Menschen, und diese Krankheiten können die Lebenser-
wartung verkürzen und bewirken hohe Kosten für Ge-
sundheits- und Sozialsysteme.

Die Bundesregierung hat deshalb gestern ein Eck-
punktepapier beschlossen, das die Grundlage für einen
nationalen Aktionsplan zur Prävention von Fehlernäh-
rung, Bewegungsmangel, Übergewicht und den damit zu-
sammenhängenden Krankheiten sein soll. Denn dies ist
eine der größten gesundheits- und ernährungspolitischen
Herausforderungen der kommenden Jahre. Übergewicht
und Adipositas, also Fettleibigkeit, sind maßgeblich be-
teiligt an der Entstehung von Zivilisationskrankheiten
wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ II
sowie Rücken- und Gelenkbeschwerden.

Eine bedarfsgerechte Versorgung mit Nährstoffen und
ausreichend Bewegung bilden die Grundlagen für Ge-
sundheit und Leistungsfähigkeit in allen Altersgruppen.
Es gibt schon vielfältige Aktivitäten auf nationaler und
europäischer Ebene sowie durch die Weltgesundheitsor-
ganisation. Durch all diese Aktivitäten wurde bisher aber
keine Trendwende herbeigeführt.

Mit unserem Aktionsplan verfolgen wir daher die
Ziele, die zum Teil durchaus erfolgreichen Projekte im
staatlichen und im nichtstaatlichen Bereich zu identifi-
zieren, zu vernetzen, besser aufeinander abzustimmen
und als Qualitätsstandards für künftige Aktivitäten zu
implementieren sowie eine Verständigung über verstärkt
zu bearbeitende Schwerpunkte herbeizuführen. In die-
sem Aktionsplan werden konkrete Ziele, Handlungsfel-
der und Maßnahmen festgelegt, um die Menschen in
Deutschland in ihrem Bemühen um einen gesunden Le-
bensstil mit ausgewogener Ernährung und ausreichender
Bewegung zu unterstützen und damit auch ihre Lebens-
freude zu erhöhen.

Bevor ich auf Einzelheiten dieses Aktionsplans zu
sprechen komme, möchte ich eine Grundbotschaft voran-
stellen: Es geht der Bundesregierung nicht darum, dass
der Staat wieder einmal vorschreibt, wie die Bürgerinnen
und Bürger zu leben haben. Wir wollen keinen Staatsdi-
rigismus, keine von oben verordnete Moral der Lebens-
führung und keinen Feldzug gegen die Menschen oder
einzelne Produkte. Wir wollen die Menschen in ihrem
Bemühen um einen gesunden Lebensstil unterstützen.
Beratung statt Bevormundung ist deshalb die General-
linie dieses Projekts.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Horst Seehofer

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Bisher lautete die Botschaft: Fit statt fett!)


Ich möchte das auch von vielen anderen Dingen sau-
ber abgrenzen, die uns hier beschäftigen. Vor wenigen
Tagen haben wir hier über den Nichtraucherschutz de-
battiert. Wenn es um einen potenziell gesundheitsgefähr-
denden Stoff geht, dann haben wir die Verpflichtung,
diesen gefährlichen Stoff von den Menschen fernzuhal-
ten. Genauso ist es in der Lebensmittelpolitik selbstver-
ständlich, Lebensmittel aus dem Verkehr zu ziehen, die
für die Menschen ohne Zweifel gesundheitsschädlich
sind.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Völliger Konsens!)


Wenn es aber darum geht, den richtigen Gebrauch von
Lebensmitteln zu erwirken, dann sind Verbote nicht die
richtige Antwort.

Vor zwei Wochen bin ich Botschafter des Bieres ge-
worden.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist die neue Vorbildrolle!)


Niemand wird bestreiten, dass durch den bestimmungs-
gemäßen Gebrauch, also den mäßigen Gebrauch, von
Bier keinerlei Gesundheitsgefahren hervorrufen wer-
den. Der Missbrauch von Alkohol kann aber sehr wohl
gesundheitsschädlich sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Darum geht es: Die Menschen müssen über den richti-
gen Gebrauch von Lebensmitteln informiert und auf-
geklärt werden. Wir alle miteinander können hier immer
wieder dazulernen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Clever, aber nicht vorbildlich, Herr Minister!)


Falsches Essen und zu wenig Bewegung führen bei
immer mehr Menschen zur Einschränkung ihrer Lebens-
qualität. Ich sage noch einmal: Das betrifft nicht nur uns
Deutsche, sondern alle Industrienationen. Rund 1,6 Mil-
liarden Menschen auf der Welt sind nach Angaben der
Weltgesundheitsorganisation übergewichtig. Besonders
betrüblich ist, dass darunter 20 Millionen Kinder unter
fünf Jahren sind. In Europa sterben jährlich mehr als
eine Million Menschen an durch Fettleibigkeit bedingten
Krankheiten.

Heute gibt es bereits 14 Millionen Kinder in Europa
mit Übergewicht. Die Folgen, die deshalb auf uns zu-
kommen, sind offenkundig. Die Kosten für die Behand-
lung von Krankheiten, die durch Fehlernährung und
Übergewicht mitbedingt sind, werden allein in Deutsch-
land mit 30 Prozent, also mit fast einem Drittel aller Ge-
sundheitskosten kalkuliert. Das sind mehr als 70 Mil-
liarden Euro.

Alleine die Kosten für die Behandlung von Diabetes
belaufen sich auf 30 Milliarden Euro. Erschreckend ist,
dass 6 000 Kinder jährlich neu an Altersdiabetes erkran-
ken. Es ist eine der ganz großen Herausforderungen in
der Gesundheitspolitik, dass Altersdiabetes mittlerweile
epidemische Auswirkungen im Kindheitsalter hat und
dass wir hier nach allen Prognosen in den nächsten Jah-
ren noch drastische Erhöhungen erleben werden. Neben
dem individuellen Leid wird das auch Unsummen an Be-
handlungskosten verursachen; denn kaum eine Behand-
lung ist wegen der vielfältigen Folgeerkrankungen so
teuer wie die Behandlung von Diabetes. Dabei ist die
Hauptursache von Diabetes längst bekannt: falsche Er-
nährung und zu wenig Bewegung. Wir wissen alle, dass
es dafür persönliche, soziale und historische Ursachen
gibt. Für die Generation, die den Zweiten Weltkrieg und
die nachfolgenden Jahre mit Entbehrungen und Hunger
erlebt hat, war es eine Wohltat, als es wieder Butter, Zu-
cker, Nudeln und Fleisch gab. Diese Erfahrung aus der
Notzeit wurde in vielen Familien weitergegeben und war
auch eine Ursache für die Entwicklung der Folgezeit.

In diesen Nachkriegsjahren gab es zu wenig zu essen
und genug Bewegung. Heute gibt es – jedenfalls in den
Industrienationen – in den allermeisten Fällen genug zu
essen, aber zu wenig Bewegung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wissen heute auch um die genetischen Struktu-
ren, die die körperliche Konstitution festlegen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das stimmt nicht!)


Dazu gehört auch, wie Studien ergaben, dass Menschen
je nach genetischer Disposition ganz unterschiedliche
Essensverwerter sind. Untersuchungen haben zudem ge-
zeigt, dass sich die Ernährungsgewohnheiten im früh-
kindlichen Alter bis in die genetischen Strukturen nie-
derschlagen und später nur schwer wieder verändert
werden können.

Alle diese Erkenntnisse zeigen, wie falsch es wäre, al-
len Menschen eine bestimmte Ernährung aufzuzwingen
oder eine einheitliche Regel für ein ganzes Volk aufzu-
stellen. Die Untersuchungen haben aber auch gezeigt,
dass über die genetische oder historisch-soziale Verer-
bung hinaus jeder Mensch hinsichtlich der Ernährung ei-
nen eigenen disponiblen Handlungsbereich besitzt. Ge-
schichte oder Gene können jedenfalls nicht mehr
erklären, warum sich die Zahl der übergewichtigen und
fettleibigen Kinder in der Zeit von 1985 bis 1999 ver-
doppelt hat. Man kann den Menschen als Ganzes nicht
verändern, aber es gibt auch immer Möglichkeiten zu
neuen Einsichten und Verhaltensweisen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn einseitige Ernährung und Bewegungsmangel
Hauptursachen für Übergewicht sind, dann muss man
hier ansetzen und versuchen, Verbesserungen zu errei-
chen. Wir alle – mich eingeschlossen – kämpfen heute
mit manchen negativen Folgen unseres modernen Le-
bensstils. In unserer hochindustrialisierten und techni-
sierten Welt verbrauchen wir in unserer Arbeit nur noch
einen Bruchteil der Energie von früher. Es gibt immer
weniger Schwerarbeiter. Das ist auf der einen Seite ein
Segen und auf der anderen Seite eine Herausforderung.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Horst Seehofer
Moderne Maschinen ersetzen unsere Körperkraft. Autos
und Aufzüge nehmen uns unsere täglichen Schritte ab.
In den letzten 40 Jahren ist der notwendige Kalorienver-
brauch bei Männern um 40 Prozent, bei Frauen um
30 Prozent zurückgegangen.

Unsere Ernährung hat sich diesen reduzierten Anfor-
derungen jedoch nicht angepasst. Hinzu kommt die Ver-
änderung unserer Nahrungsmittel insgesamt. Mit
Blick auf Fastfood, Fertigprodukte und funktionelle Le-
bensmittel kommt es einem so vor, als hätte sich das,
was wir essen, in den letzten 30 Jahren stärker verändert
als in den 30 000 Jahren davor. Es ist heute wichtiger
denn je, dass wir wieder einen kenntnisreichen, verant-
wortungsvollen Umgang mit Lebensmitteln pflegen.

In gleicher Weise haben sich die Lebensumstände
der Kinder in den letzten Jahrzehnten drastisch verän-
dert. Ich kann mich noch gut erinnern, dass wir viel auf
der Straße, im Wald oder im Park gespielt haben. Diese
Straßenkindheit im positiven Sinne ist weitgehend verlo-
rengegangen. Jetzt sitzt ein Kind im Durchschnitt fünf
Stunden vor dem Computer, dem Fernsehgerät oder der
Spielkonsole. Diese Zeit geht für das Herumtollen, Fuß-
ballspielen oder Fahrradfahren verloren. Bewegung, die
früher selbstverständlich war, muss wieder künstlich er-
lernt werden. Das gilt auch für uns Erwachsene. Sportli-
che Betätigung bleibt in unserem modernen und hekti-
schen Alltag oft auf der Strecke.

Wir Deutschen sollen sogar ganz besondere Bewe-
gungsmuffel sein, wie internationale Studien zeigen.
Laut der jüngsten Umfrage treiben nur 21 Prozent der
Deutschen regelmäßig Sport. In anderen europäischen
Ländern ist dieser Wert doppelt so hoch. Die Bundesre-
gierung gibt deshalb mit dem Aktionsplan einen Start-
schuss zur Prävention von Fehlernährung, Übergewicht
und damit zusammenhängenden Krankheiten.

Erstens brauchen wir mehr Forschung im Bereich
Ernährung und Gesundheit. Ich erinnere beispielsweise
an die weit verbreiteten Ernährungsirrtümer. Bis vor kur-
zem standen zum Beispiel Eier als gefährliche Choleste-
rinbomben oder Nüsse als fette Dickmacher auf dem In-
dex. Mittlerweile gibt es hier völlig neue Erkenntnisse.
Heute darf und soll man wieder sein Frühstücksei essen,
und Nüsse sind wegen ihrer ungesättigten Fettsäuren
wieder wertvoll. Ich darf Ihnen in diesem Zusammen-
hang sagen: Wir haben die Ressortforschung in meinem
Verantwortungsbereich reformiert. Die Ernährung wird
in diesem reformierten Forschungskonzept einen ganz
wichtigen Platz einnehmen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das stimmt ja nicht!)


Zweitens. Wir müssen mehr Aufklärung über
gesunde Lebensmittel leisten. Wir sollten keinen
Kampf gegen Lebensmittelprodukte oder die Lebensmit-
telwirtschaft führen, sondern in erster Linie für einen
vernünftigen Gebrauch von Lebensmitteln tätig sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich sage hier als der für Ernährung zuständige Minister:
Wir können heute trotz aller Skandale, die gelegentlich
als Einzelfälle auftreten, auf die hohe Qualität unserer
Lebensmittel zu Recht stolz sein. Ich sage auch hier den
Satz: Die Qualität der Lebensmittel ist heute so hoch wie
nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. Es kommt auf
den richtigen Gebrauch der Lebensmittel an.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb wäre eine Olympiade der Verbote völlig falsch.
Wir setzen auf Vernunft statt auf Vorschriften.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Zeiten, in denen gutes Essen alleine einer gehobe-
nen Gesellschaftsschicht vorbehalten war, sind glückli-
cherweise vorbei. Heute haben alle Menschen in unse-
rem Lande genügend Möglichkeiten, gute und gesunde
Lebensmittel zu kaufen. Leider sind besonders Kinder
aus sozial benachteiligten Familien und solche mit
Migrationshintergrund von Fehlernährung und mitunter
von Unterernährung betroffen. Dabei ist gesundes Essen
längst keine Frage des Geldbeutels mehr. Wir müssen
uns an alle Bevölkerungsschichten wenden und konse-
quent über richtiges Ernährungsverhalten aufklären. Ich
bin weiten Teilen der deutschen Lebensmittelwirtschaft
dankbar, dass sie ihrerseits in Eigenverantwortung eine
nicht irreführende, sondern eine hilfreiche Aufklärung
und Information der Verbraucher betreibt.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Wichtig ist, dass die Aufklärung auch in verändertes
Verhalten mündet. Oft haben wir das Problem, dass sich
die besten Empfehlungen über gesunde Ernährung und
Bewegung nur schwer mit unseren beruflichen Anforde-
rungen und dem individuellen Tagesablauf vereinbaren
lassen. Mit Vorsätzen verhält es sich wie mit Aalen:
Manches ist leichter zu fassen als zu halten. Deshalb
müssen wir die Menschen durch eine gute Infrastruktur
stärken und ihnen aufzeigen, wie man ungesunde Ernäh-
rungsgewohnheiten ablegen und Bewegungsarmut über-
winden kann.

Drittens. Wir wollen den Schwerpunkt auf die Prä-
vention legen. Ich verweise auf die jüngste Gesundheits-
reform – oft kritisiert, aber in diesem Punkt völlig unter-
schätzt –, durch die die Prävention zu einem zentralen
Element gemacht wurde und die Unterstützung der ärzt-
lichen Vorsorgeleistungen massiv nach vorne getrieben
wird, zum Beispiel durch einen konsequenten Gesund-
heitscheck zur Früherkennung von Herz-Kreislauf-
Erkrankungen für Menschen, die in der gesetzlichen
Krankenversicherung versichert sind. Wir brauchen indi-
viduellere Programme der Krankenkassen. Es hat sich in
der Vergangenheit gezeigt, dass man, wenn man für alle
das Gleiche tut, für einige zu viel und für andere zu we-
nig macht. Das geschah oft mehr unter Werbegesichts-
punkten der Sozialversicherung und weniger mit dem
Ziel, den Menschen mit ihren individuellen Anliegen zu
helfen.

Die ersten Jahre der Kindheit haben entscheidenden
Einfluss auf das künftige Körpergewicht; das wissen wir






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Horst Seehofer
alle. Deshalb ist es besonders wichtig, bereits bei Klein-
kindern ein Bewusstsein für gesunde Ernährung und
mehr Bewegung zu wecken. Das geht in erster Linie in
der Familie. Das ist aber auch in den Kitas und den
Schulen notwendig. Ich bemühe mich nachhaltig, die
Kultusminister zu gewinnen, für das Thema Ernährung
wieder als wichtigen und regelmäßigen Bestandteil un-
seres Schulunterrichts zu werben.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das kann jeder machen!)


Dabei geht es nicht nur um graue Theorie, sondern auch
um die konkrete Praxis. Wir haben gemeinsam mit den
deutschen Landfrauen und der Plattform „Ernährung
und Bewegung“ einen Ernährungsführerschein entwi-
ckelt. Ich erlaube mir, darauf hinzuweisen, dass es an-
gesichts der zum Teil schwierigen motorischen Ent-
wicklungen bei Kindern nachhaltig wünschenswert
wäre, dass der Schulsport für Kinder und Jugendliche
wieder einen deutlich höheren Stellenwert in Deutsch-
land bekommt.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Wir brauchen viertens eine Veränderung der Struktu-
ren im Alltag. Denken Sie nur an unsere Esskultur. Das
betrifft uns auch persönlich sehr stark. Jede dritte Mahl-
zeit wird außer Haus konsumiert. Wir sind deshalb mit
Krankenhäusern, Kitas, Seniorenheimen und Betriebs-
kantinen in Kontakt, um diese Verpflegung bedarfsge-
recht und gesund zu gestalten.

Wir wollen bundesweite Qualitätsstandards – nicht
durch Paragrafen, sondern eigenverantwortliche, von der
Politik unterstützte Qualitätsstandards – und vor allem
auch die Möglichkeit, gutes Essen zu einem fairen Preis
in Kantinen und ähnlichen Einrichtungen, vor allem in
Schulen, anzubieten.

Wir haben uns deshalb entschlossen, in Nordrhein-
Westfalen ab dem 1. Januar des nächsten Jahres kosten-
frei bzw. deutlich kostenreduziert in den Schulen Milch
oder Milchprodukte anstelle von Cola Light und anderen
Softgetränken anzubieten. Das wird die Bundesregie-
rung unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte auch ein Wort zur Lebensmittelkenn-
zeichnung sagen. Wenn wir vom aufgeklärten, infor-
mierten Bürger sprechen, sind Transparenz und auch die
Kennzeichnung ein ganz wichtiges Mittel. Ich habe da-
bei gewisse Vorbehalte, nämlich dass die Kennzeich-
nung in einem Umfang gestaltet ist, dass sie fast an die
Medikamentenbeipackzettel heranreicht, mit der Folge,
dass die abschreckende Wirkung bzw. die Desinforma-
tion oft größer ist als die Hilfe für die Leser des Bei-
packzettels. Die Informationen dürfen nicht irreführend
sein.

Es kommt immer der Vorschlag, mit dem ich mich
schon seit Monaten beschäftige: Wir machen einen roten
Punkt, einen gelben Punkt, einen grünen Punkt. Dann
hat die Bevölkerung eine Information, was wegzulassen
und was zu konsumieren ist. Das Problem dabei ist, dass
auch viele Lebensmittel, die mit einem roten Punkt ver-
sehen würden – denken Sie an Fettprodukte –, sehr wohl
wichtige Nährwertstoffe für die Menschen beinhalten
und dass es hierbei auch wieder darauf ankommt, sie in
richtigem Maß zu gebrauchen und nicht im Übermaß.
Ein reiner roter Punkt könnte sehr schnell dazu führen,
dass die Menschen die Finger von etwas lassen, das, in
richtigem Maße verwendet, sehr wohl als Nährstoff für
den menschlichen Körper notwendig ist.

Lassen Sie uns darüber weiter nachdenken. Dabei
lohnt es sich auch, streitig zu diskutieren. Aber, Frau
Künast, wenn Sie das jetzt als das Allheilmittel ansehen,
wie ich es in den letzten Tagen lesen durfte, dann frage
ich mich, warum Sie in den vielen Jahren, in denen Sie
vor mir Verantwortung trugen, dieses Punktesystem
nicht realisiert haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Ich möchte auch die Plattform Ernährung und
Bewegung in Deutschland nicht unerwähnt lassen. Das
ist ein Zusammenschluss von Politik, Wirtschaft, Wis-
senschaft, Sport, Eltern und Ärzten. Da gab es zahlrei-
che Initiativen und Projekte. Ich würde mir wünschen,
dass wir das Potenzial dieser Plattform künftig noch
besser ausschöpfen. Dazu würde gehören, dass sich
noch mehr Bundesländer dieser Plattform freiwillig an-
schließen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Der Beitrag dafür ist geringer, als es oft bei einem Sport-
verein der Fall ist. Ich würde mir wünschen, dass wir
diese Plattform so in das Bewusstsein der Bevölkerung
bringen, dass diese sehr segensreiche Arbeit gerade in
den Schulen noch stärker angenommen wird.

Wir haben vor kurzem gemeinsam mit dem Gesund-
heitsministerium und der EU eine Konferenz zu dem
Thema „Gesunde Ernährung und mehr Bewegung“
durchgeführt. Alle Mitgliedstaaten in Europa waren sich
unter unserer Präsidentschaft über zwei Ziele einig: Bis
zum Jahr 2020 wollen wir die Zunahme des Überge-
wichts bei Kindern stoppen und die Zahl übergewichti-
ger Menschen in Europa verringern.

Ich bin froh über einen solchen Zeitraum; denn unser
Aktionsplan soll kein Aktionismus sein. Wir verstehen
ihn vielmehr als einen Dauerprozess, der in der Realität
etwas nachhaltig verändert. Auf diese Nachhaltigkeit
kommt es ganz entscheidend an. Wir dürfen uns nicht
mit einer Bundestagsdebatte oder mit einer politischen
Diskussion begnügen. All dies, was jetzt an Vorschlägen
auf dem Tisch liegt oder im Rahmen der Debatte über
den Aktionsplan noch eingeführt wird, muss realisiert
werden. Wir werden hierbei nur nachhaltig und nicht mit
Aktionismen vorwärts kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich bitte, dass wir diese Diskussion auf der einen
Seite natürlich mit dem nötigen Ernst und mit Elan, auf






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Horst Seehofer
der anderen Seite aber auch mit Spaß und Freude führen,
nicht verbiestert. Mir ist manches in den letzten Tagen
schon wieder zu verbissen und zu verbiestert vorgekom-
men. Ich glaube, dass man nur mit einer gesunden, zu-
versichtlichen und freudigen Grundeinstellung, die die
Quelle jeder Veränderung ist, die Menschen mitnimmt
und in der Realität etwas in Richtung mehr Lebensquali-
tät für die Menschen verändert.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609700100

Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort erhält zunächst der Kollege Hans-Michael
Goldmann für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1609700200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich will nicht verhehlen, dass ich mich durch-
aus mit der Antwort auf das, was Sie, Herr Minister,
eben hier vorgetragen haben, schwer tue,


(Ursula Heinen [CDU/CSU]: Dann lassen Sie es!)


weil sehr viele schöne Worte aneinandergereiht und sehr
viele Botschaften ins Land geschickt wurden, über die
hier im Haus absoluter Konsens besteht und die wir, die
wir im Bereich Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz tätig sind, die wir zum Teil Mitglied der
Plattform Ernährung und Bewegung sind, eigentlich alle
kennen. Wir bemühen uns intensiv darum, sie durch
Information und Bildung an den mündigen Bürger he-
ranzutragen, sodass er sein eigenes Verhalten daran
orientieren kann, ob die Ernährungsaufnahme mit sei-
nem Bewegungsverhalten im Einklang ist. Das ist die
entscheidende Voraussetzung für gesellschaftliche Teil-
habe. Man soll so fit sein, dass man den Herausforderun-
gen, vor denen man steht, gerecht wird.


(Beifall bei der FDP)


Ich frage mich schon, warum Sie eigentlich erst ein-
einhalb Jahre nach Regierungsübernahme diese doch im
Kern sehr dünne Botschaft verkünden. Wenn man Ihr
Eckpunktepapier betrachtet, dann stellt man fest, dass
darin außerordentlich wenig Substanzielles steht.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Norbert Röttgen [CDU/ CSU]: Na dann mal los!)


Sie tun sich selbst damit keinen Gefallen; denn Sie ha-
ben einen gewissen Ruf als Ankündigungsminister und
als Aktionsminister.


(Ursula Heinen [CDU/CSU]: Das war die Vorgängerin!)


Sie haben ein Aktionsprogramm zur Bekämpfung des
Gammelfleischs aufgelegt. Damals waren es zehn
Punkte. Heute hat Ihr Programm fünf Punkte. Sie haben
ein Verbraucherinformationsgesetz auf den Weg ge-
bracht, mit dem Sie gescheitert sind. Insofern ist zwi-
schen dem, was Sie wollen, und dem, was dann wirklich
politisch erreicht wird, eine Riesenkluft. Unter dieser
Kluft leidet die Politik in Deutschland und die Politik,
die aus Ihrem Haus kommt. Das ist schlecht für die Ver-
braucher und für die Menschen in Deutschland.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich will das an einigen Beispielen deutlich machen,
weil meiner Meinung nach zwischen dem, was Sie sa-
gen, und dem, was dann passiert, der rote Faden fehlt,
auch der rote Faden der Gemeinsamkeit dieser Regie-
rung.


(Detlef Parr [FDP]: Richtig!)


Sie haben die Versorgung der jungen Menschen in der
Schule mit Schulspeisung angesprochen. Sie erklären,
die Mehrwertsteuer auf die Weitergabe dieser Produkte
in den Schulen solle wegfallen. Die zuständige Staats-
sekretärin erklärt jedoch im Finanzausschuss, davon
könne überhaupt keine Rede sein, die Bundesregierung
gehe an die Mehrwertsteuerdiskussion nicht heran, das
sei in der Koalitionsvereinbarung so vereinbart. Was gilt
also? Warum diese Überschrift, Herr Seehofer, und der
Mangel an Inhalt?


(Beifall bei der FDP)


Sie sagten, dass Sie die Ressortforschung verstärken.
Sie hätten gestern an der Anhörung des Ausschusses teil-
nehmen sollen. Sie reduzieren die Institute im Ernäh-
rungsbereich von 17 auf acht.


(Detlef Parr [FDP]: Hört! Hört!)


Nennen Sie das Verstärkung im Bereich der Ressortfor-
schung? Nennen Sie die permanente Reduzierung des
Personals in diesem Bereich Verstärkung der Ressortfor-
schung?


(Beifall bei der FDP)


Nehmen wir einen anderen Punkt: die Ampelkenn-
zeichnung. Ich bin hundertprozentig auf Ihrer Seite und
finde, dass man endlich einmal lernen soll. Die Englän-
der, die dieses Modell zu verwirklichen versucht haben,
sind damit gescheitert. Es ist dumme Politik, wenn man
ein bestimmtes Nahrungsmittel mit einem roten Punkt
und ein anderes mit einem grünen Punkt kennzeichnet.
Sie haben das an einem Beispiel belegt. Butter ist bei
vernünftigem Konsum ein gutes Produkt. Wer natürlich
jede Menge Butter auf seine Brötchen schmiert und sich
davon morgens vier Stück hereinzieht, der liegt natür-
lich völlig falsch. Das brauchen Sie aber nicht uns zu
erklären, das müssen Sie Ihrer Ministerkollegin erklä-
ren. Frau Schmidt hat doch gesagt, wie wunderbar die
Ampelkennzeichnung ist. Bei Ihnen sind die Dinge un-
geordnet. Deswegen kann ich aus meiner Sicht nur sa-
gen, dass zwischen Ihren Worten hier und dem Inhalt,
den Sie in Ihrem Eckpunktepapier transportieren, Wel-
ten klaffen.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Hans-Michael Goldmann
Ich habe heute Morgen mit meiner Mitarbeiterin ge-
sprochen. Deren kleine Tochter von acht Jahren hat sie
gefragt: Mama, bin ich zu dick? – Ich finde es sehr gut,
was Sie in puncto Vorsicht und Stigmatisierung gesagt
haben. Allerdings steht diese Kampagne doch unter dem
Motto „Fit statt fett“. Ich halte das für außerordentlich
problematisch. Lassen Sie uns an diese Dinge mit Vor-
sicht, mit Nachsicht und auch mit Toleranz herangehen!
Manch einer bleibt dick, obwohl er sich Mühe gibt, ab-
zunehmen.


(Detlef Parr [FDP]: Richtig!)


Wir müssen alle Menschen in unsere Gesellschaft ein-
binden, und wir müssen auch dicke Menschen als gleich-
wertige Geschöpfe betrachten. Auf Stigmatisierungen
müssen wir mit äußerster Vorsicht reagieren.


(Beifall bei der FDP)


Sie haben sich vorhin sehr klug und sehr clever als
Botschafter des Bieres dargestellt. Ich verstehe das. Von
Ernährungsverhalten habe ich Kenntnisse; ich habe das
Fach Ernährung schließlich einmal studiert und im
Grunde genommen auch gelehrt. Sie bewegen sich auf
sehr dünnem Eis. Ich glaube, unsere Vorbildrolle muss
noch deutlicher werden. Wir müssen uns diejenigen zum
Vorbild nehmen, die versuchen, einen Einklang zwi-
schen vernünftiger Ernährung und Bewegung herzustel-
len. Diese Vorbilder müssen wir dann auch besser he-
rausstellen, damit Menschen Ernährungskompetenz
erwerben. Mit dieser Kompetenz können sie dann mün-
dige Mitglieder der Gesellschaft werden.

Ich finde es gut, dass Sie die Rolle der Wirtschaft und
die großartige Leistung der deutschen Ernährungswirt-
schaft insgesamt angesprochen haben. Aber nehmen Sie
doch auch ein bisschen mehr Rücksicht auf die Selbst-
verpflichtungsbemühungen der Wirtschaft. Zum Bei-
spiel gab es eine Vereinbarung mit dem Hotel- und
Gaststättengewerbe, die vorsah, zahlreiche Maßnah-
men zu ergreifen, um den Schutz der Nichtraucher in
den Gaststätten zu verbessern. Warum streben Sie ge-
setzliche Regelungen an, bevor das Hotel- und Gaststät-
tengewerbe überhaupt die Möglichkeit hatte, diese
Selbstverpflichtung zu erfüllen?


(Beifall bei der FDP – Zurufe von der SPD: Oh!)


Ich bin nicht mit allen Anstrengungen der Wirtschaft
einverstanden. Wenn Sie aber verfolgen, was Ihnen ge-
rade in den letzten Tagen an Informationen aus der Wirt-
schaft auf den Tisch gekommen ist, dann werden Sie
ganz klar erkennen, dass der gesamte ernst zu nehmende
Wirtschaftsbereich eindeutig für eine Nährwertkenn-
zeichnung ist.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Dann können sie es doch machen!)


Sie wissen sicherlich sehr genau, dass weite Teile der
Wirtschaft sehr wohl wissen, dass dieser Bereich nur im
Einklang mit dem Verbraucher auf einen guten Weg ge-
bracht werden kann. Allerdings müssen wir das Ge-
spräch mit der Wirtschaft dann auch suchen.

(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Wer hindert die Wirtschaft denn?)


Herr Seehofer, ich habe sehr viele Veranstaltungen
zum Thema Plattform Ernährung und Bewegung durch-
geführt und an sehr vielen parlamentarischen Abenden
und Begegnungen mit Wirtschaftsvertretern teilgenom-
men. Sie habe ich dort nie gesehen. Warum sprechen Sie
mit der Wirtschaft so wenig, um zu guten Lösungen zu
kommen? Warum gehen Sie nicht auf die Wirtschaft zu,
um klarzustellen, dass die Politik im Einklang mit der
Wirtschaft für mehr Wettbewerb, für mehr Marktöffnung
– und zwar nicht nur im nationalen, sondern im globalen
Bereich – sorgen will?

Sehr geehrter Herr Minister, was ist die Aufgabe der
Politik? Wir müssen uns Wege überlegen, wie wir an die
Menschen herankommen. Ich kann Ihnen nur empfeh-
len: Gehen Sie gemeinsam mit allen Fraktionen des
Deutschen Bundestages vor! Warum scheitern so viele
Appelle, Kampagnen? Warum besteht die Gefahr, dass
Ihr inhaltsloser Aktionsplan ebenfalls scheitern wird?
Weil Sie keine moderne Ernährungskommunikation
praktizieren!

Herr Minister, es geht darum, zu motivieren, statt zu
belehren, zu reflektieren, statt zu bekehren, mitzuma-
chen, statt zu erklären, zu erleben, statt zuzuschauen.
Wenn Sie diesen Weg gemeinsam mit uns beschreiten,
dann können wir mit dieser außerordentlich notwendi-
gen Aktion, die Sie hier auf den Weg gebracht haben,
mit diesem außerordentlich notwendigen Anliegen ge-
meinsam Erfolg haben, und das wird den Menschen in
Deutschland guttun.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609700300

Das Wort erhält nun der Kollege Volker Blumentritt,

SPD-Fraktion.


Volker Blumentritt (SPD):
Rede ID: ID1609700400

Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Da es heute um Ernährung
und Bewegung geht, hatte ich eigentlich vor, jeden auf-
zufordern, eine Liegestütze oder eine Kniebeuge zu ma-
chen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit einer kommen wir nicht weiter!)


Herr Goldmann, dieses Thema ist sehr wichtig. Man
sollte es wirklich mit allem Ernst betrachten. Ernährung
und Bewegung können in dieser Welt viel Freude ma-
chen.


(Beifall der Abg. Julia Klöckner [CDU/CSU])


Sehr geehrter Herr Minister, ich bedanke mich aus-
drücklich für Ihre Ausführungen. Mit dem heutigen Tag
haben Sie wieder ein Thema in den Fokus gerückt, das
nicht nur Gesundheit und Bewegung, sondern auch Le-
bensfreude zum Inhalt hat. Ich wiederhole: Dafür be-






(A) (C)



(B) (D)


Volker Blumentritt
danke ich mich ausdrücklich. Wir alle haben unseren
Anteil daran gehabt.

Wir nehmen mit Freude zur Kenntnis, dass Sie der
Aufforderung der Europäischen Kommission gefolgt
sind und nun einen nationalen Aktionsplan vorgelegt
haben. Mit der Verabschiedung des Grünbuches der
Europäischen Kommission zur Förderung gesunder Er-
nährung und körperlicher Bewegung wurden die Mit-
gliedstaaten im Jahre 2005 angehalten, nationale Strate-
gien zur Verhinderung von Übergewicht und
chronischen Krankheiten zu entwickeln. Es ist gut, dass
hier bereits die Vorgängerregierung wertvolle Weichen
gestellt hat. Auch das sollte man an dieser Stelle einmal
erwähnen.

Deutschland wird in Europa häufig als Vorreiter be-
zeichnet, wenn es um die Entwicklung von Maßnahmen
zur Reduzierung von Übergewicht geht. So wird die Ini-
tiative der nationalen Plattform Ernährung und Bewe-
gung stets als Vorbild für die Gründung der europäischen
Plattform angeführt, die im März 2004 ins Leben geru-
fen wurde. Doch in jüngster Zeit wurde durch die Veröf-
fentlichung der Ergebnisse neuester Studien nur allzu
deutlich, dass wir dieses Engagement leider bitter nötig
haben. Die Deutschen belegen aktuell einen der vorders-
ten Plätze auf der Liste der – ich sage es vorsichtig – et-
was korpulenten Menschen, um nicht andere Ausdrücke
zu gebrauchen.

Das Thema Übergewichtsprävention ist nicht neu,
sondern schon lange ein Dauerbrenner; seit Jahren wird
die Öffentlichkeit mit Berichten und Zahlen zur Verfet-
tung der Gesellschaft in Alarmbereitschaft versetzt. Des-
wegen freut es mich, dass dieses Thema heute im Fokus
steht.

Das Problem wurde ins Bewusstsein der Menschen
gerückt. Aber allen Informationen und aller Aufklärung
zum Trotz hat sich an den Bäuchen und Speckrollen der
Menschen nicht allzu viel geändert. Im Gegenteil, die
Zahl der übergewichtigen Kinder und Jugendlichen
steigt stetig. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht ab-
sehbar. Erklärtes Ziel ist zurzeit nicht etwa, die Anzahl
der Übergewichtigen zu reduzieren. Vielmehr müsste be-
reits ein Stagnieren dieser Zahl als Erfolg gewertet wer-
den.

Zielsetzung unseres Antrags muss sein, ein neues Er-
nährungs- und Bewegungsbewusstsein zu schaffen. Wir
wollen neue Impulse auf dem Weg zur Trendwende set-
zen. In der im September 2006 vom Robert Koch-Insti-
tut veröffentlichten Kinder- und Jugendgesundheits-
studie konnten mehrere Hauptrisikofaktoren auf dem
Weg zum Übergewicht ermittelt werden.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Alle bekannt!)


– Herr Goldmann, vorrangig wurde ein niedriger sozia-
ler Status genannt.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ja! Das ist alles bekannt!)


Außerdem belegt die Studie, dass aus 80 Prozent der di-
cken Kinder im Laufe des Lebens übergewichtige Er-
wachsene werden. Prävention muss aus diesem Grunde
zwangsläufig vor Intervention stehen; Herr Minister, Sie
hatten das gesagt. Eine Therapie zur Reduzierung von
Übergewicht, ob im Kindes- oder im Erwachsenenalter,
führt sehr selten nachhaltig zum Erfolg und ist mit enor-
men Aufwendungen verbunden, die in der Regel ge-
samtgesellschaftlich getragen werden müssen. Was
Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Aufgrund
dieser Erkenntnis müssen wir Hans und Gretel bereits in
ihrer frühesten Kindheit erreichen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Kindertagesstätten, Kindergärten und Schulen sind
unserer Meinung nach geeignete Orte, an denen Kinder
und Jugendliche etwas über ausgewogene Ernährung
und gesunde Lebensweise lernen können.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ländersache!)


An diesen Orten – dieser Punkt ist für eine Einfluss-
nahme wahrscheinlich noch viel wichtiger – können He-
ranwachsende darüber hinaus gesunde Verhaltensweisen
leben lernen, und dies unabhängig von ihrem sozialen
Status. Schulen und Kindergärten müssen als Lebens-
welten verstanden werden. Wenn wir diese Erkenntnis
verinnerlichen, müssen wir diese Einrichtungen mit an-
deren Augen sehen und im Bereich der Gemeinschafts-
verpflegung, der Umfeldgestaltung, aber auch bei der
Gestaltung von Zeitabläufen, zum Beispiel bei der Ein-
planung geregelter und ausreichender Essenszeiten, an-
dere Prioritäten setzen.

Meine Damen und Herren, das gemeinsame Einneh-
men von Mahlzeiten ist mehr als nur Nahrungsauf-
nahme. Da Kinder einen Großteil des Tages in einer Kita
oder Schule verbringen, müssen wir ihnen dort auch
Esskultur nahebringen. Dazu gehört die Atmosphäre in
den Speisesälen der Schulen und Kindergärten ebenso
wie ein appetitlicher Eindruck der Speisen, die schmack-
haft und gesund sein sollen. Dieser Punkt liegt mir als
gelerntem Koch besonders am Herzen, und es tut mir
manchmal weh, wenn ich sehe, was manchmal produ-
ziert wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


In Zusammenarbeit mit den Ländern, denen im Bil-
dungsbereich die Verantwortung zukommt, müssen wir
Konzepte erarbeiten, die umsetzbar sind und flächende-
ckend Verbreitung finden. Der Bund kann und soll sich
an dieser Stelle nicht mit dem Hinweis auf fehlende
Kompetenz aus der Verantwortung ziehen. In diesem
Punkt gebe ich Ihnen recht; ich denke, dass ich diese
Einschätzung auch bei Ihnen herausgehört habe. Hier
gilt es, eigene und neue Instrumente, die einen ausrei-
chenden Handlungsspielraum bieten, zu entwickeln.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Genau das wollten wir doch in der Anhörung machen!)


Ein hervorragend geeignetes Mittel zur Ansprache so-
zial benachteiligter Bevölkerungsgruppen stellt das Bun-
desprogramm „Soziale Stadt“ dar. An dieser Stelle ist






(A) (C)



(B) (D)


Volker Blumentritt
ein großer Dank an Herrn Minister Tiefensee auszuspre-
chen. Durch dieses Programm konnten völlig neue Maß-
stäbe gesetzt werden; zu dieser Entwicklung hat auch
unsere Vorgängerregierung ihren Beitrag geleistet.
Durch dieses Programm konnten seit seinem Start im
Jahre 1999 die Lebensbedingungen der Menschen in be-
nachteiligten Stadtteilen bundesweit stabilisiert und
verbessert werden. Als Ortsbürgermeister eines 25 000
Einwohner umfassenden Stadtteils, einer Großwohnsied-
lung, weiß ich, wovon ich spreche. Wir haben Erfolge
gehabt. Ich denke, das kann man deutschlandweit ver-
mitteln.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Weil wir vor Ort was gemacht haben!)


– Jawohl.


(Beifall bei der SPD)


Im Rahmen des Programms konnten bis heute in zahl-
reichen Orten wertvolle Strukturen aufgebaut werden,
die wir intensiv nutzen sollten. Bis heute führt der Be-
reich der Gesundheitsförderung im Programm „Soziale
Stadt“ vor allem aufgrund mangelnder Kapazitäten eher
ein Schattendasein.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Nein!)


Die Notwendigkeit einer Einbindung dieses Bereichs
liegt jedoch auf der Hand.

Ich habe mich deshalb sehr gefreut, dass wir bei-
spielsweise im vergangenen Jahr auf einem Workshop
Vertreter der Plattform Ernährung und Bewegung und
des Deutschen Instituts für Urbanistik bei uns in der
Stadt begrüßen konnten, wo Experten mögliche Ansatz-
punkte zur Gesundheitsförderung und Übergewichtsprä-
vention in der Stadtentwicklung aufzeigten. Zahlreiche
Möglichkeiten der Umsetzung konnten ermittelt werden.
Gesundheitsförderung als fester Bestandteil in der Stadt-
teilarbeit bietet große Chancen. Nur dort, in den Städten,
in den Stadtteilen, in den Quartieren, ist das Leben erleb-
bar. Dort kann man vieles vermitteln. Dort bringt man
viel von dem herüber, was man will.

Nicht nur Kindergärten, Schulen, Jugendeinrichtun-
gen, Sportvereine, Ärzte oder Städteplaner würden mit
Bezug zu ihrem Tätigkeitsumfeld angesprochen und zu
Kooperationen angeregt, sondern wir würden die Men-
schen und hier vor allem auch die Eltern innerhalb ihres
Wohnumfeldes erreichen. Niedrigschwellige Ansätze,
wie sie insbesondere in der Ansprache von sozial be-
nachteiligten Gruppen oder Migranten gefordert sind,
wären so relativ leicht umsetzbar.

Mit der Anknüpfung an das Bundesprogramm könn-
ten bereits vorhandene Synergieeffekte optimal genutzt
werden. Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf,
geeignete Partnerprogramme zu entwickeln, die den Be-
reich der Gesundheitsförderung aufgreifen und an das
Bundesprogramm „Soziale Stadt“ angebunden werden.

Wir müssen uns alle darüber klar werden, dass diese
Entwicklung zur übergewichtigen Gesellschaft keine
Frage der reinen Ästhetik mehr ist. Es ist auch längst
keine Frage des persönlichen Schicksals mehr. Die Zah-
len machen deutlich, dass wir hier von einem gesamtge-
sellschaftlichen Problem mit verheerenden Auswirkun-
gen, auch in ökonomischer Hinsicht, sprechen.

Gesundheit nimmt in einem hohen Maß Einfluss auf
den Lebenslauf und auf den Erfolg oder Misserfolg von
Biografien – insbesondere unserer Kinder. Übergewicht
hat gesundheitliche Folgen sowohl in körperlicher als
auch in seelischer Hinsicht.

Hinzu kommt häufig eine allgemeine Lern- und
Leistungsschwäche. Wenn Kinder schon in der dritten
Unterrichtsstunde keine Nährstoffe, keine Kohlenhy-
drate, keine Eiweißstoffe mehr haben, sind sie nicht in
der Lage, dem Unterricht in der fünften Stunde ordent-
lich zu folgen.


(Beifall bei der SPD)

Wir reden also vor allem über gerechte Startchancen für
unsere Kinder und Enkelkinder, der ersten Generation
des 21. Jahrhunderts.

Ich bedanke mich ganz herzlich für die Aufmerksam-
keit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609700500

Nächste Rednerin ist die Kollegin Karin Binder, Frak-

tion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609700600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! In den letzten 30 Jahren haben sich unsere Le-
bens- und Arbeitsbedingungen enorm verändert. Wir sit-
zen heute mehr als sieben Stunden täglich und gehen
kaum noch zu Fuß. Wir haben immer mehr Stress und
arbeiten unter enormem Termindruck. Wir haben nicht
mehr drei, sondern 30 Fernsehkanäle zur Auswahl und
konsumieren nebenbei Fertigpizzen, Chips, Süßigkeiten,
Softdrinks und andere Kalorienbomben. Viele Kinder
und Jugendliche bewegen ihre virtuellen PC-Helden
mehr als sich selbst.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass Überge-
wicht und Bewegungsmangel nicht nur im Fehlverhalten
Einzelner begründet, sondern ein strukturelles Problem
in Industriestaaten sind.


(Beifall bei der LINKEN)

Abspeckappelle und Bewegungstipps allein helfen

daher auch nicht weiter, solange die sozialen und ökono-
mischen Rahmenbedingungen so sind, wie sie sind: kon-
traproduktiv für gesunde Ernährung und ausreichende
Bewegung.

Wenn es Ihnen, Herr Minister Seehofer, wirklich ernst
ist mit dem „gesamtgesellschaftlichen Fettabbau“, dann
wird es Zeit, dass Sie in Ihren nationalen Aktionsplan
Bewegung hineinbringen und ihn um die eine oder an-
dere konkrete Initiative ergänzen.


(Beifall bei der LINKEN)

Bloße Appelle reichen nicht.






(A) (C)



(B) (D)


Karin Binder
Eine Möglichkeit wäre da zum Beispiel eine einheitli-
che gesetzliche Kennzeichnung von Lebensmitteln,
damit Verbraucherinnen und Verbraucher sich schnell,
einfach und verlässlich über Qualität und Nährwert ihrer
Lebensmittel informieren können. Dazu bringen Sie in
Ihrem Eckpunktepapier keinen konkreten Vorschlag. Da-
bei wäre es so einfach. Wir bräuchten nur einmal nach
Großbritannien zu schauen. Über die sogenannte Am-
pelkennzeichnung von Lebensmitteln kann man durch-
aus unterschiedlicher Auffassung sein. Aber es ist ein
einheitliches und vor allem leicht verständliches System,
das Verbraucherinnen und Verbraucher schnell und über-
sichtlich über den Gehalt an Zucker, Salz, Fett und unge-
sättigten Fettsäuren informiert. Die Ampelfarben Rot,
Gelb und Grün zeigen die Dickmacher in den Lebens-
mitteln schnell an.

Natürlich ist die englische Lebensmittelindustrie
nicht amüsiert über Absatzeinbußen bei ihren rot ge-
kennzeichneten Fertigprodukten. Aber bei den Verbrau-
cherinnen und Verbrauchern scheint die Kennzeichnung
ganz gut anzukommen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist nicht richtig, was Sie sagen! Sie wissen, dass das falsch ist!)


Obwohl die Regierung in Deutschland noch nicht einmal
im Traum daran denkt, laufen die Interessenvertreter der
Lebensmittelindustrie hier schon Sturm gegen solche
Modelle. Süßigkeiten, Limonaden und Softdrinks, Früh-
stücksflocken und auch Fertiggerichte bedeuten in unse-
rer Singlegesellschaft ein Milliardengeschäft.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was ist daran denn schlimm?)


Deshalb wird seit Jahren getrickst und verschleiert mit
Begriffen wie „kalorienarm“ oder „light“. Zuckerbom-
ben werden mit den Slogan „0 Prozent Fett“ angeprie-
sen. Zur Erhaltung ihres Profits will die Lebensmittel-
industrie unbedingt vermeiden, dass ihre Produkte
deutlich sichtbar in „gesund“ oder „ungesund“ unterteilt
werden.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Stimmt doch absolut nicht!)


Sie hat dafür die volle Rückendeckung vom Verbrau-
cherministerium.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist doch völlig daneben, was Sie sagen!)


Viele Vorschläge prallen bisher an der Bundesregie-
rung ab, zum Beispiel das Verbot von Süßigkeiten- oder
Cola-Automaten an Schulen,


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie waren doch vor kurzem bei Coca-Cola!)


die Einschränkung der an Kinder gerichteten Werbung
für Süßigkeiten und ein Verbot von Werbefilmen für sol-
che Produkte vor 21 Uhr. Herr Staatssekretär Lindemann
vom Verbraucherministerium hat sich dazu vor der Le-
bensmittellobby eindeutig positioniert. Er hat den Anwe-
senden beim letzten Neujahrsempfang versichert – ich
zitiere –:
Ich weiß, dass viele von Ihnen an diesem Punkt
sehr sensibel sind. Auch die Bundesregierung hält
nichts von rechtlichen Regelungen in derartigen
Fragen.

Wo er schon einmal dabei war, hat er auch gleich versi-
chert, dass die von der WHO in ihrer „Charta zur Be-
kämpfung von Übergewicht und Adipositas“ geforderten
fiskalpolitischen Maßnahmen abgelehnt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen nicht
alles umsetzen, was uns renommierte internationale Or-
ganisationen empfehlen, und wir müssen auch nicht alles
nachmachen, was uns andere Länder vormachen. Aber
dann sollten wir doch wenigstens selber aktiv werden
und nicht nur heiße Luft produzieren. Heiße Luft ist nur
in der Sauna gesund.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir alle wissen, dass Essstörungen in einkommens-
schwachen und bildungsfernen Bevölkerungsgruppen
überdurchschnittlich auftreten. Das ist aber nicht nur
eine Frage der Bildung und des Wissens um gesunde
Ernährung. Gesunde Ernährung ist nicht zuletzt eine
Frage des Geldbeutels, Herr Minister. Wer von einem
Niedriglohn oder von Hartz IV leben muss, hat kaum
5 Euro täglich für Lebensmittel zur Verfügung. Das
reicht nicht für Bioprodukte. Das reicht noch nicht ein-
mal für konventionelles gesundes Essen. Wer beim Ein-
kaufen mit dem Cent rechnen muss, schaut mehr auf die
Zahlen auf dem Kassenbon als auf die in der Nährwertta-
belle. Dann wird eben nicht frisches Obst und Gemüse
gekauft, sondern Konserven und billige Fertigprodukte –
die mit dem besonders hohen versteckten Fettgehalt. Der
direkte Produktvergleich belegt, dass billigere Produkte
meist mehr Fett, Salz oder Zucker enthalten als teurere.
Nach meiner Auffassung sollten jedoch alle Verbrauche-
rinnen und Verbraucher – unabhängig von ihrer Kauf-
kraft – die Möglichkeit haben, sich gesund und vitamin-
reich zu ernähren.


(Beifall bei der LINKEN)


Dazu gehört dann auch, dass die Gemeinschaftsver-
pflegung verbessert wird, insbesondere an Schulen und
in Kindertagesstätten, und dieses von der Gesellschaft
finanziert wird. Statt Milchschnitte und Schokoriegel
brauchen wir ein gesundes Frühstücksbuffet in Kitas und
Kindergärten – natürlich von Vater Staat finanziert.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Und wenn meine Kinder zu Hause essen? Bekomme ich das erstattet?)


Wir brauchen natürlich gemeinsames Kochen und Er-
nährungserziehung. Wir brauchen mehr Schulsport, zum
Beispiel eine dritte Sportstunde in der Woche.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen natürlich mehr Förderung für die Betreue-
rinnen und Betreuer sowie die Jugendleiterinnen und Ju-
gendleiter in Sportvereinen. Natürlich kostet das alles
Geld. Aber sind Ihnen das unsere Kinder nicht wert?






(A) (C)



(B) (D)


Karin Binder
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609700700

Ursula Heinen ist die nächste Rednerin für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ursula Heinen (CDU):
Rede ID: ID1609700800

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir, zu-
nächst einmal kurz auf meine Vorredner einzugehen und
das eine oder andere, was hier falsch behauptet worden
ist, richtigzustellen.

Wir beginnen einmal mit dem Thema Selbstver-
pflichtung, die angeblich in Form der Vereinbarung mit
der DEHOGA bezüglich des Rauchens hätte funktionie-
ren können, Michael Goldmann. Das ist genau das fal-
sche Beispiel. In dem Bereich hat die Selbstverpflich-
tung nämlich eben nicht funktioniert. Es gab freiwillige
Vereinbarungen,


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Die waren aber noch nicht abgelaufen!)


die aber in den Restaurants und Gaststätten nicht umge-
setzt worden sind, sodass rechtliche Rahmenregelungen
erforderlich wurden, die jetzt endlich sukzessive umge-
setzt werden. Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt richtet sich an die Kollegin, die von
der Ampelkennzeichnung gesprochen hat. Diese einfa-
che Kennzeichnung mit Rot, Gelb oder Grün hat aber
wenig beispielsweise mit der Ernährungspyramide der
Deutschen Gesellschaft für Ernährung zu tun, in der klar
zum Ausdruck kommt, wie ausgewogenes Essen tat-
sächlich aussieht und dass man Lebensmittel nicht ein-
fach mit Punkten versehen kann. In Großbritannien
nimmt man diese Ampelkennzeichnung jetzt wieder zu-
rück, weil sie bei den Verbraucherinnen und Verbrau-
chern nicht angekommen ist. Stattdessen soll ein anderes
System eingeführt werden, das die Fragen der gesunden
Ernährung deutlicher aufgreift. Großbritannien schlägt
die Richtung ein, in die auch wir gehen möchten, indem
es die Einheiten der sogenannten großen Vier – Energie,
Eiweiß, Fett, Kohlehydrate – auf der Verpackung kenn-
zeichnet, sodass man einen vernünftigen Überblick er-
hält, was gesund ist und was wie der Ernährung dient.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das steht aber in eurem Antrag nicht drin! So was müsst ihr in euren Antrag schreiben!)


Ich bin froh, dass es mittlerweile in Deutschland Le-
bensmittelhandelsbetriebe gibt, die diese Angaben von
sich aus auf die Vorderseiten der Verpackungen schrei-
ben, sodass man die verschiedenen Gehalte direkt, wenn
man die Packung aus dem Regal nimmt, erkennen kann.
Das ist meines Erachtens der richtige Weg.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Auch in Deutschland gibt es Selbstverpflichtungen,
die sehr gut funktionieren. Coca-Cola ist hier eben an-
gesprochen worden. Dort gibt es immerhin die Selbst-
verpflichtung, keine Getränkeautomaten in Schulen auf-
zustellen, in denen Kinder unter zwölf Jahren sind, und
auf Werbung in Sendungen zu verzichten, die vorzugs-
weise von kleinen Kindern gesehen werden. Ich finde,
das ist genau der richtige Weg; so müssen wir damit um-
gehen.

Damit komme ich zum eigentlichen Thema: dass wir
uns auf die Kinder konzentrieren müssen. Ein Erwach-
sener, der Übergewicht hat, ist letztendlich selbst dafür
verantwortlich. Ein übergewichtiges Kind aber kann
letztlich nichts dafür; es ist auch durch das Elternhaus
geprägt. Auch darauf muss deutlich hingewiesen wer-
den: Wer trägt denn die Verantwortung? Das sind nicht
nur der Staat und die gesamte Gesellschaft, sondern auch
das Elternhaus und die Familie, in der Ernährung usw.
gelebt werden. Also müssen wir uns um die Kinder und
die Familien kümmern und ihnen das Thema der gesun-
den Ernährung nahebringen.

Der Minister hat vorhin ausgeführt, dass er das Über-
gewicht bei Kindern bis zum Jahr 2020 stoppen bzw. den
Trend umdrehen möchte. In Deutschland sind heute
2 Millionen Kinder übergewichtig; sie sollten im Fokus
unserer Politik stehen.

Was sind die Ursachen? Eben wurden schon Compu-
ter und Fernsehen genannt. Ich war völlig überrascht, als
ich im Rahmen einer Sitzung der Plattform Ernährung
und Bewegung gelernt habe, dass die Primetime im Kin-
derfernsehen zwischen 7 und 8 Uhr morgens ist. Frau
Drobinski-Weiß war ebenfalls bei dieser Sitzung. Wir
wussten überhaupt nicht, wie uns geschah, als wir erfuh-
ren, dass Eltern ihre Kinder, um sie zu beschäftigen,
morgens, bevor der Kindergarten öffnet, vor den Fernse-
her setzen und dass die Werbezeiten im Kinderkanal zu
dieser Zeit am teuersten sind. Fernsehen, Computer-
spiele etc. spielen also sicherlich eine wichtige Rolle.

Auch die neue Organisation des Alltags von Kindern
ist sicherlich von Bedeutung. Wie sieht die organisierte
Freizeit aus? Wie wird in den Ganztagsschulen mit dem
Thema Bewegung umgegangen? Wie sind die Sportan-
gebote? In Nordrhein-Westfalen gibt es jetzt Offene
Ganztagsschulen. Wie läuft da die Kooperation mit den
Sportvereinen? Oder werden die Kinder nur verwahrt?
Wie also ist die Qualität dieses Ganztagsschulangebots?
Was wird dort an Sport und Bewegung geboten?

Schulsport ist sicherlich eine ganz entscheidende Sa-
che. Das haben wir auch in unserem Antrag erwähnt.


(Detlef Parr [FDP]: Vor wenigen Monaten haben Sie unseren Antrag noch abgelehnt! Ein Trauerspiel war das!)


In Baden-Württemberg beispielsweise gibt es eine
Schulsportoffensive für 200 Minuten Sportunterricht pro
Woche, an der sich über 300 Schulen im gesamten Land
beteiligen. In Marzahn gibt es eine Grundschule, die ihr
Sportangebot verdoppelt hat mit dem angenehmen Ne-
beneffekt, dass die Konzentrationsfähigkeit der Kinder
sich deutlich erhöht, weil sie sich durch die Bewegung






(A) (C)



(B) (D)


Ursula Heinen
austoben können. Kinder, die aus sozial schwierigen
Verhältnissen kommen und vielleicht viel vor dem Fern-
seher und Computer hängen, werden über die Schule zu
Bewegung geführt und können sich dort einmal aus-
powern. So wird – darum geht es ja schließlich auch –
die Konzentrationsfähigkeit dieser Kinder wesentlich
verbessert.

Deshalb lautet unser Appell an die Bundesländer:
Kümmert euch um das Schulsportangebot und darum,
tatsächlich auch mehr Schulsport anzubieten! Vielleicht
kann man die Lehrpläne auch einmal entsprechend
durchforsten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Willst du jetzt in die Länder gehen?)


Ein anderes Thema ist die Verpflegung in Schulen
und Kindertageseinrichtungen. Natürlich gibt es
schon in vielen Schulen ein gemeinsames Schulfrüh-
stück. Es ist ja nicht so, dass wir in Bezug auf das Schul-
frühstück in einem Niemandsland leben. An vielen
Grundschulen wird morgens gemeinsam gefrühstückt.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wie viele sind das in Köln?)


An vielen Grundschulen erklären die Lehrer ihren Kin-
dern auch, wie vernünftige Ernährung aussieht. Das
müssen wir auch einmal ehrlich sagen. Wir wollen aber,
dass das flächendeckend erreicht wird. Deshalb versu-
chen wir jetzt, in Nordrhein-Westfalen ein Schulmilch-
programm zu starten.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wer ist „wir“?)


Jedes Kind soll wieder – wie es in meiner Generation der
Fall gewesen ist – jeden Tag seine Schulmilch – und da-
mit immerhin einen wesentlichen Baustein für eine ge-
sunde Ernährung – in der Schule bekommen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Mit Mehrwertsteuer oder ohne?)


Jetzt möchte ich aber noch einmal etwas anderes,
nämlich die Mehrwertsteuergeschichte, ganz besonders
deutlich erwähnen. Ich halte es für eine Ungerechtigkeit
und Schwachsinn, dass in den Studentenwerken – in den
Mensen – der halbe Mehrwertsteuersatz auf die Ver-
pflegung fällig ist, in einer Ganztagsschule aber der
volle. Das ist Schwachsinn! – Wir können das nicht an-
ders nennen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben das in unserem Antrag auch ganz deutlich
formuliert. Mein Kollege Peter Bleser hat, Michael
Goldmann, mit den Finanzpolitikern intensive Verhand-
lungen geführt, damit auch sie das unterstützen und sa-
gen, dass wir zu einer Veränderung kommen müssen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das tun sie aber nicht!)

Es kann nicht sein, dass Studentenwerke Mahlzeiten zu
anderen Preisen anbieten können als Schulen. Die Ver-
pflegung von Kindern ist wichtiger als die von erwach-
senen Studierenden, die selbst entscheiden können, wie
sie sich ernähren!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ein ganz wichtiger Punkt ist in der Tat, wie wir hier in
Berlin mit dem Thema weiter umgehen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609700900

Frau Kollegin, Herr Kollege Goldmann möchte das

noch einmal in einer Zwischenfrage verdeutlichen.


Ursula Heinen (CDU):
Rede ID: ID1609701000

Ich unterhalte mich immer gerne mit ihm.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609701100

Auf Unterhaltung kommt es jetzt eigentlich nicht in

erster Linie an.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)



Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1609701200

Herr Präsident, Sie haben wie immer recht. – Frau

Heinen, Sie haben das eben so schön dargestellt. Aber
ich habe es nicht verstanden.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das liegt nicht an Frau Heinen!)


Ich habe da nämlich ein Problem: Mein Kollege Wissing
hat mir eben berichtet, dass gestern im Finanzausschuss
thematisiert worden ist, ob es eine abgesenkte oder gar
keine Mehrwertsteuer auf die Schulspeisung geben soll,
wie es der Minister angekündigt hat.

Meine Frage lautet: Gibt es eine Absprache zwischen
Herrn Minister Seehofer und dem Finanzminister – gibt
es also eine Absprache in der Großen Koalition –, die die
Chance bietet, dass der Mehrwertsteuersatz auf Pro-
dukte, die bei der Schulspeisung verwendet werden, so
abgesenkt wird, wie es der Minister in einer Pressemit-
teilung angekündigt hat?


Ursula Heinen (CDU):
Rede ID: ID1609701300

Lieber Herr Goldmann, wenn Sie unseren Antrag und

damit den Willen des Parlaments in dieser Frage lesen
würden, dann würden Sie klar erkennen, dass es nach
dem Willen von CDU/CSU und SPD – das sind diejeni-
gen, die hier die Gesetze beschließen – keine Unter-
schiede bei den Mehrwertsteuersätzen für die Studieren-
denverpflegung und bei den Mehrwertsteuersätzen für
die Schulverpflegung geben soll.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Aus dem Grund gibt es eine starke Übereinkunft hier
im Parlament, und auf diese stützt sich der Bundesminis-
ter, wenn er sagt, dass wir in Zukunft mit diesem Mehr-
wertsteuersatz entsprechend umgehen werden. Es freut
mich – das schließe ich aus Ihrer Frage –, dass die FDP
diesen Vorstoß von uns unterstützen wird. Wir können
also davon ausgehen, dass das Parlament diesen Vor-






(A) (C)



(B) (D)


Ursula Heinen
schlag mit breiter Mehrheit trägt und damit dem Finanz-
minister vielleicht noch einmal klar macht, um welch ein
wichtiges Thema es sich handelt. – Ich bedanke mich für
Ihre Frage, Herr Goldmann.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Gestatten Sie mir, noch ein letztes Thema anzuspre-
chen, das wir der Ehrlichkeit halber ebenfalls betrachten
müssen. Es gibt sehr viele Projekte, die zurzeit schon
laufen. Vier Bundesministerien sind im Bereich Ernäh-
rung aktiv: das Gesundheitsministerium, das Ministe-
rium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher-
schutz, das Bildungs- und Forschungsministerium und
das Familienministerium. Es werden Projekte mit über
200 Millionen Euro gefördert. Wir von der Koalition
wollen all diese Projekte evaluieren. Es ist nämlich drin-
gend notwendig, zu schauen, wie sie tatsächlich wirken.
Dann müssen wir uns überlegen, ob wir diese Projekte
nicht stärker bündeln und konzentrieren. Denn es darf
nicht passieren, dass wir uns angesichts dieser gut ge-
meinten Ideen, Projekte, Modellvorhaben verzetteln und
das große Ziel aus den Augen verlieren.

Deshalb stellen wir uns vor, dass die Plattform Ernäh-
rung und Bewegung, die vom Bund und von einigen
Bundesländern – leider, muss man sagen, noch nicht von
allen – getragen wird und von großen Organisationen so-
wie von den Kinder- und Jugendärzten unterstützt wird,
wesentlich gestärkt wird und eine koordinierende Funk-
tion im Hinblick auf diese Projekte erhalten soll. Denn
wir dürfen unser Ziel nicht aus den Augen verlieren, bis
zum Jahr 2010 zu einer Trendumkehr in Deutschland zu
kommen, unsere Kinder fit zu machen und ihnen viel
Freude an Bewegung und Sport zu vermitteln.

In diesem Sinne danke ich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609701400

Nächste Rednerin ist die Kollegin Renate Künast,

Bündnis 90/Die Grünen.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609701500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das

Thema Übergewicht und Fettleibigkeit ist kein so ein-
faches Thema. Ich glaube, dass es richtig ist, dass nicht
nur das Parlament versuchen sollte, mit diesem Thema
verantwortungsbewusst umzugehen und niemanden zu
diskriminieren. Auch die Medien sollten sich ihrer Ver-
antwortung hin und wieder bewusst werden.

Lassen Sie mich vorab auf eine Zeitungsmeldung
vom heutigen Tage eingehen. Die „Bild“-Zeitung fragt
bei einer Fotogalerie: „Ob diese Politiker auch mitma-
chen?“ Der Fraktionsvorsitzende der FDP philosophiert,
wenn auch im Spaß, darüber, ob es Auftrittsverbote ge-
ben sollte. Wir sollten der „Bild“-Zeitung sagen, dass
dieses Verhalten diskriminierend und falsch ist. Es rich-
tet sich nicht nur gegen Politiker, sondern diskriminiert
auch dicke Menschen. Diese Art der Behandlung des
Themas droht sich auszubreiten. So werden wir des Fetts
nicht Herr werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP – HansMichael Goldmann [FDP]: Wer hat „Fit statt fett“ erfunden? Woher kommt der Slogan?)


– Der stammt nicht von mir, sondern von der Nachfol-
gerregierung. Trotzdem redet niemand über Auftrittsver-
bote und Ähnliches. Wir wissen alle um die Probleme.

Wir wissen im Übrigen auch, dass es dabei nicht nur
um individuelles Verhalten geht. Herr Seehofer, ich habe
mich gefreut, dass Sie all die entsprechenden Maßnah-
men, die in den letzten Jahren begonnen worden sind,
fortgesetzt haben. Dazu gehört auch die Ernährungs-
plattform, die wir damals nach Europa gebracht haben.
Ich fand es aber schade, dass Sie am Ende doch wieder
Ihren Hang zum Populismus ein wenig ausgelebt haben.


(Detlef Parr [FDP]: Dieser Hang ist Ihnen wohl völlig fremd, Frau Künast?)


– Lassen Sie sich doch Redezeit geben! Dann können
Sie Ihre Ausführungen machen.

Angesichts dieses ernsten Themas – viele Menschen
leiden aufgrund ihres Übergewichts, die Anzahl der
Fälle von Diabetes Typ II steigt schon bei den 13-Jähri-
gen rapide an und nicht erst ab einem Alter von 40 bis
45 Jahren – finde ich es wirklich falsch, dass mit solchen
Begriffen wie „Olympiade der Verbote“ operiert wird.

Herr Seehofer, wir reden hier nicht nur über Erwach-
sene. Der informierte Verbraucher kann das Kleinge-
druckte und das Fachchinesisch auf der Packung lesen
und sich entsprechend verhalten. Ich glaube allerdings
auch nicht daran, dass das in den bildungsfernen Schich-
ten passiert; auch wir sehen dieses Problem. Nein, wir
reden über etwas anderes. Deshalb kann man hier nicht
den klassischen Verbotsdiskurs führen. Wir reden über
drei-, vier-, fünf- und sechsjährige Kinder. Bei diesen
können Sie nicht von mündigen, informierten Verbrau-
chern sprechen. Die kleinen Kinder brauchen den Schutz
dieser Gesellschaft


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Den Schutz der Eltern brauchen sie, aber nicht den Schutz der Gesellschaft!)


und auch den Schutz vor der Werbewirtschaft, vor Pro-
dukten, mit denen uns die Lebensmittelwirtschaft ver-
sucht einzulullen; so einfach ist das.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir müssen dafür Sorge tragen, Herr Seehofer, dass
nicht noch mehr Papier zu diesem Thema vorgelegt
wird. Seit Jahren wurde viel Papier hierzu produziert.
Wir müssen vielmehr die Kernpunkte identifizieren. Am
letzten Sonntag hatte die „Frankfurter Allgemeine Sonn-
tagszeitung“ auf dem Titelblatt folgende Klage der
Lehrer festgehalten: Wir werden mit Werbematerial
überschüttet. – Die Lebensmittelwirtschaft macht es
mittlerweile so: Hinten und auf der Seite dieses Mate-
rials steht: Dies ist von Kellogg’s, von Ferrero oder wem
auch immer gesponsert. Vorne steht dann: Dies ist eine






(A) (C)



(B) (D)


Renate Künast
anbieterunabhängige, eine – angeblich – ganz seriöse In-
formation.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das stimmt doch überhaupt nicht! Entschuldigen Sie mal: Wann waren Sie das letzte Mal in der Grundschule? Das ist doch dummes Zeug, was Sie erzählen!)


Was sollen denn die Schulen damit anfangen? Diese sa-
gen, sie hätten keine hinreichenden Curricula, keine
Lehrer für bestimmte Unterrichtsfächer, bekämen aber
Massen an Papier. Auch da muss man einschränken: Mit
der Werbung kann es so nicht mehr weitergehen, zumin-
dest nicht im Hinblick auf die Zielgruppe der Kinder und
Jugendlichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dann schmeißt der Lehrer das weg! So blöd ist er doch wohl nicht, dass er das nicht wegschmeißen könnte! – Zuruf des Abg. Jörg van Essen [FDP])


– Ich wusste schon immer, dass Sie es mit der Ökologie
nicht haben. Wegschmeißen von Material ist auch keine
Lösung.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wenn der Lehrer nicht in der Lage ist, das zu filtern, dann ist er an der falschen Stelle! Ich bitte Sie: Das ist doch wohl Kinderkram!)


– Das ist nun wieder typisch FDP. Vorne immer rein, und
dann sollen sie nachher filtern. – Noch besser wäre es,
wir würden die Lebensmittelwirtschaft dazu bewegen,
das zu bezahlen, was Sinn macht, und nicht das, was die
Lehrer nachher wegschmeißen. Das ist doch Unsinn.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hinsichtlich des Konzepts, das uns hier vorgelegt
wurde, muss ich Ihnen sagen: Mir ist es zu wenig, auch
weil es solche Konzepte schon gegeben hat. Im April
2005 wurde das Konzept der Gesundheitsministerin
„Gesund in die Zukunft – Auf dem Weg zu einem Ge-
samtkonzept zur gesundheitlichen Prävention“ vorge-
legt. Auch darin geht es um Ernährung und Bewegung.
Es wurde gefragt, was eigentlich in den letzten Jahren
passiert ist. Dieser Frage schließe ich mich an dieser
Stelle an.

Eines brauchen wir ganz klar – andere Länder ma-
chen dies schon, Großbritannien zum Beispiel –: Wir
brauchen, auf die Zielgruppe der Kinder ausgerichtet,
ein Werbeverbot


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Total gescheitert!)


in der Zeit vom Frühstücksfernsehen bis 21 Uhr, wenn
es um Lebensmittel geht. Denn Lebensmittel sind keine
Produkte, für die man, auf die Zielgruppe der Kinder
ausgerichtet, Werbung machen sollte. Wenn die Lebens-
mittelwirtschaft dies nicht von sich aus tut, dann müssen
wir dies regeln.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich sage Ihnen noch etwas: Wir können die Eltern
nicht alleinlassen. Ich gebe gerne zu: Die Eltern müssen
sich bewegen. Aber Sie können die Eltern angesichts der
Milliardeninvestitionen in neue Produktentwicklungen
und in Werbung – nicht nur im Fernsehen – nicht allein-
lassen.

Ich sage Ihnen auch: Wir müssen an das heran, was
im Internet passiert. Klicken Sie einmal eine Seite dieser
Kinderlebensmittelfirmen an. Ich habe es in den letzten
Tagen wieder einmal gemacht.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Welche war es denn?)


– Zum Beispiel Kellogg’s.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Und die machen etwas falsch?)


Sie glauben, Sie seien auf der Seite einer Hollywood-
filmwerbung. Alle möglichen Figuren tauchen da auf.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Frau Künast, das ist ja unterirdisch, was Sie da erzählen!)


Da geht es nicht um Information, sondern um Figuren.
Da geht es darum, die Kinder mit Puzzlespielen und Ge-
winnen zu binden. Da werden Entwicklungspsychologen
engagiert, um die Kinder entsprechend ihrer Entwick-
lung zu fangen. Ich sage Ihnen: An dieser Stelle ist der
Staat in seiner Schutzfunktion gefordert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Jörg van Essen [FDP]: Aha, also das Internet abschalten?)


– Gerade die FDP behauptet immer, sie sei eine Partei,
die für den Datenschutz sei und dies auch auf die moder-
nen Medien erstrecken wolle.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das hat doch überhaupt nichts mit Datenschutz zu tun, wenn man im Internet wirbt!)


Wenn Sie sagen, man solle das Internet abschalten, dann
sage ich dazu: Sie sollten sich lieber einmal einen Tag
Zeit für eine Klausur zu diesem Thema nehmen ange-
sichts dessen, dass Sie nicht sehen, was man im Rahmen
des Internet tun kann, um die Schwachen dieser Gesell-
schaft zu schützen. Aber diese waren noch nie Ihr Adres-
sat.


(Jörg van Essen [FDP]: Ein Glück, dass Sie nicht mehr Ministerin sind!)


Ich stelle fest: Wir brauchen eine Ampelkennzeich-
nung; ich habe Ihnen ein Produkt mitgebracht.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Eindeutig nein!)


– Ich weiß, Sie haben ein Problem mit der Ampel, aber
aus anderen Gründen.


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Renate Künast
Es geht dabei auch um bildungsferne Schichten, die
nicht das ganze Kleingedruckte auf Produkten lesen. Es
geht nicht nur um die Kennzeichnung von Eiweißen,
sondern auch um die von gesättigten Fetten und Zucker.
Genau dies können Sie mit einem einfachen Zeichen
ganz simpel tun.

Herr Seehofer, wenn Sie diese beiden Schritte anpa-
cken und den Mut haben, an dieser Stelle anzusetzen,
dann verändern Sie den gesellschaftlichen Diskurs,


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Schwarz-WeißDenken! Wir trauen den Menschen mehr zu als Sie!)


und dann werden auch die Landesminister ihrer Verant-
wortung stärker nachkommen, als sie es jetzt tun. Aber
als Erstes muss der Bund selber seine Hausaufgaben ma-
chen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg van Essen [FDP]: Das sagt die ehemalige Ernährungsministerin!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609701600

Die Kollegin Mechthild Rawert ist die nächste Red-

nerin für die SPD-Fraktion.


Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1609701700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kolle-

gen! Die bisherige Debatte hat gezeigt: Wir wissen viel
über gesunde Ernährung, nur am Verhalten hapert es. Es
hapert letztendlich auch – hier gehe ich als Mitglied ei-
ner Regierungspartei weiter –, weil klare Rahmenbedin-
gungen fehlen. Die Bundesregierung hat es gesagt: Prä-
vention ist eine Investition in die Zukunft. Das ist auch
im Memorandum, das in Badenweiler verabschiedet
wurde, ausgeführt worden. In unserem Antrag steht:


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Nix!)


Prävention fängt bei der Eigenverantwortung an,
bedarf aber auch der Unterstützung des Staates und
der gesellschaftlichen Akteure.

Weiter heißt es:

Das geplante Präventionsgesetz soll die Koopera-
tion und Koordination der Prävention sowie die
Qualität der Maßnahmen … verbessern.

Es geht hier nicht darum, ausschließlich über Ge- und
Verbote zu sprechen. Es geht auch um klare Zielsetzun-
gen und klare Rahmenbedingungen. Daher danke ich für
den nationalen Aktionsplan. Ich bin als Mitglied zweier
Ausschüsse, des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz und des Ausschusses für
Gesundheit, der Meinung, dass wir ein Präventionsge-
setz dringend brauchen. Denn damit schaffen wir die
Rahmenbedingungen dafür, dass wir in viele Lebenswel-
ten hineinkommen und der nationale Aktionsplan grei-
fen kann.


(Beifall bei der SPD)


Über Ernährung ist viel gesprochen worden. Einer der
Hauptfaktoren zur Entstehung von Übergewicht ist aller-
dings auch Bewegungsmangel. Es ist schon erwähnt
worden: Nicht jede Art der Ernährung an sich ist falsch.
Wir haben eine moderne Welt, ein Lebensumfeld für
Kinder geschaffen, das in vielen Bereichen mittlerweile
ungesund ist, vielleicht auch auf neue Art und Weise
krank macht. Wir tragen dafür die Verantwortung und
nicht die Kinder. Wir sind diejenigen, die dieses ändern
können.

Wir brauchen mehr Spiel- und Bewegungsräume.
Daher fordern wir in unserem Antrag, dass bei politi-
schen Entscheidungen, die das Wohn- und Bewegungs-
umfeld der Kinder betreffen, dem Bewegungsdrang
Raum zu verschaffen ist. Ich erhalte Bürgerbriefe von
Eltern, die ganz verzweifelt sind, weil sie ihre Kinder
nicht mehr auf der Straße spielen lassen können, weil
sich die Nachbarn dann über Ruhestörung beschweren.
Die Anrainer von Sportplätzen klagen ebenfalls über Ru-
hestörung. Ich frage mich: Wieso ziehen Menschen, die
früher schon dort gewohnt haben und die ihre eigenen
Kinder zum Spielen dorthin geschickt haben, jetzt vor
Gericht, wenn anderer Leute Kinder dort spielen? Das ist
doch ein Unding. Das kann doch wohl nicht sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir dürfen unsere Städte nicht zu Bewegungswüsten
verkommen lassen. Hier haben Sportvereine eine große
Verantwortung. Wir wissen, dass Sportvereine gehalten
sind, Mitgliedsbeiträge zu erheben. Dies berührt die so-
ziale Ungleichheit in unserer Gesellschaft: Denn nicht
jede Familie, die finanziell schwächer gestellt ist, kann
sich dies leisten. Wir fordern daher auch hier Unterstüt-
zung, damit das Gleichheitsgebot umgesetzt werden
kann.

Ich freue mich, dass die Kampagne des Gesundheits-
ministeriums vorhin schon erwähnt worden ist. Denn die
Kampagne unter dem Motto „Deutschland wird fit. Ge-
hen Sie mit.“ ist eines der positiven Zeichen, die zeigen,
wie wir versuchen, Bewegung in den Alltag zu integrie-
ren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Eines ist sicher: Wir alle haben mittlerweile einen re-
lativ zeitintensiven Alltag. Das fängt schon bei den klei-
nen Kindern an, deren Zeitplan sehr viele zusätzliche
Angebote umfasst. So haben sie nicht mehr genug Zeit
für Sport. Wir müssen versuchen, Bewegung in den All-
tag zu integrieren. Gehen Sie mit bei den vielen Aktio-
nen, die im Rahmen der Kampagne des Gesundheitsmi-
nisteriums angeboten werden!


(Beifall bei der SPD)


Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass sozial
benachteiligte Bevölkerungsgruppen durch Ernäh-
rungs- und Bewegungskampagnen bislang nicht zufrie-
denstellend erreicht worden sind. Das heißt, wir machen
unsere Angebote nicht zielgruppenorientiert genug,


(Detlef Parr [FDP]: Richtig!)







(A) (C)



(B) (D)


Mechthild Rawert
obgleich die Krankenkassen bereits seit 2000 gehalten
sind, ihre Angebote in diesem Bereich zu verbessern.
Vielfach kommen sie dieser Aufforderung auch sehr gut
und erfolgreich nach. Ich sage das, damit Sie nicht den
Eindruck gewinnen, ich würde die Krankenkassen kriti-
sieren wollen. Wir müssen das Angebot nichtsdestotrotz
ausbauen und systematisieren. Ich erinnere in diesem
Zusammenhang an das in dieser Legislaturperiode drin-
gend umzusetzende Präventionsgesetz.

Der Sozialraumbezug in der Gesundheitsförderung
wurde bereits erwähnt. Mein Kollege Volker Blumentritt
hat das Programm „Soziale Stadt“ angesprochen. Wir
stehen hierüber bereits mit dem Gesundheitsministerium
im Gespräch, um innerhalb der einzelnen Altersstruktu-
ren und Lebenswelten zu Verbesserungen zu kommen.

Ich will auf die Verantwortung der Wirtschaft zu spre-
chen kommen. Die Lebensmittelindustrie, die das Ver-
halten von Kindern und Familien durch Produktverkauf
und Werbung prägt, steht selbstverständlich mit in der
Verantwortung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Richtig ist auch, dass Internet und Handy neben der klas-
sischen Fernsehwerbung verstärkt für gezielte Produkt-
werbung genutzt werden. Es gibt mittlerweile kaum
noch eine Verpackung, auf der nicht extra auf Kinder-
websites der Hersteller verwiesen wird. Kinder und Ju-
gendliche sind eine sehr geschickt umworbene Ziel-
gruppe. Hier beginnt der Kreislauf, über den wir
sprechen: Wir können doch nicht einerseits über unge-
sunde Ernährung reden, über Kinder, die, egal zu wel-
cher Tages- oder Nachtzeit, vor dem PC oder dem Fern-
seher sitzen, und andererseits nichts tun, um sie vom
Fernseher oder vom PC wegzuholen. Wir brauchen auch
Werbeverbote.


(Abg. Miriam Gruß [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609701800

Frau Kollegin, ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn

Sie mir jetzt zustimmen würden, dass die Kollegin Gruß
Gelegenheit zu einer Zwischenfrage erhält, nachdem
vorhin aus objektiv unvermeidlichen Gründen dazu
keine Gelegenheit mehr war.


Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1609701900

Gerne.


Miriam Gruß (FDP):
Rede ID: ID1609702000

Vielen Dank. – Die ganze Zeit über ist hier die Rede

von Kindern und Jugendlichen, davon, wie wichtig es
ist, bei den Kleinsten anzufangen. Ich möchte dem Parla-
ment eine Institution in Erinnerung rufen, die sich schon
in den vergangenen Legislaturperioden ausführlich mit
dem Thema beschäftigt hat – in der vergangenen Legis-
laturperiode unter dem Vorsitz von Frau Noll und in die-
ser unter dem Vorsitz Ihrer Kollegin Frau Rupprecht –:
die Kinderkommission.
Ich möchte Sie fragen, inwiefern die Erkenntnisse der
Kinderkommission, die sich bereits seit Jahren – in den
letzten Monaten sehr intensiv – mit dem Thema beschäf-
tigt hat, Eingang in Ihre Pläne gefunden haben. Sie sagen
immer wieder: Wir müssen Aktionen starten. Die Kin-
derkommission hat konkrete Forderungen gestellt. Wir
haben alle Ministerien und Länder angeschrieben. He-
raus kam lediglich eine Auflistung der Projekte. Ich
frage Sie: Wie haben Sie die Arbeit der Kinderkommis-
sion integriert, oder wie planen Sie, diese Arbeit zu inte-
grieren?


Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1609702100

Wir erachten die Kinderkommission für so wichtig,

dass wir der Kinderkommission selbstverständlich einen
sachgerechten Bericht geben wollten. Daher die Auflis-
tung der Projekte. Das Gespräch wird fortgeführt.


(Jörg van Essen [FDP]: Das war ja keine wirkliche Antwort!)


Zurück zu den Werbebotschaften. Ich habe gesagt,
dass Kinder und Jugendliche bei den Firmen eine heiß
umworbene Zielgruppe sind; denn im Alter von drei bis
fünf Jahren wird heute schon das Markenbewusstsein
geprägt. Das heißt, die Werbung zielt auf die Neugierde
der Kinder, ihre Vorliebe für Buntes und Süßes, das Be-
dürfnis nach Zugehörigkeit und ihr Freizeitverhalten.
Um die Eltern zu überzeugen, das Produkt XY – ich will
keines benennen – zu kaufen, wird gesagt: Hier ist zum
Beispiel Milch drin. Suggeriert wird: Daher ist diese Sü-
ßigkeit gesund. – Das ist zum großen Teil Quatsch; denn
häufig ist nur wenig Milch oder gar nur Milchextrakt
enthalten. Das, was die Kinder zu sich nehmen, sind
viele leere Kalorien und nicht ein gesundes Lebensmit-
tel.

Aus diesem Grunde sind auch wir für die Kennzeich-
nungspflicht bei Lebensmitteln. Darüber müssen wir
uns unterhalten. Immerhin sind wir im Rahmen der
Umsetzung einer EU-Verordnung verpflichtet, eine
nährwert- und gesundheitsbezogene Lebensmittelkenn-
zeichnung vorzunehmen. Es geht um die Festlegung von
Nährwertprofilen. In diesem Zusammenhang wollen wir
die von Forschungsinstituten zusammengestellte Positiv-
liste vorantreiben, sodass wir als Verbraucherinnen und
Verbraucher die Möglichkeit haben, sachgerecht abzu-
gleichen: Glauben wir der Werbung, oder glauben wir
der Wirklichkeit, dem, was wissenschaftlich geprüft ist,
wenn wir unseren Kindern sagen, dass ein Lebensmittel
gesund ist? Ich hoffe, wir vertrauen dem Sein und nicht
dem Schein.

Ich möchte noch einmal zum Thema Prävention
kommen; denn Prävention ist wichtig. Wir brauchen eine
Präventionskultur. Prävention muss fest in Erziehung
und Bildung verankert werden. Wir brauchen hierfür
Strukturen, die Gesundheitsförderung und Prävention in
den Bildungskanon aufnehmen. Wir brauchen ein Ge-
gengewicht zu einer nicht in jedem Falle gesunden Um-
welt.

Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass die
Prävention zu einer eigenständigen Säule der gesund-






(A) (C)



(B) (D)


Mechthild Rawert
heitlichen Versorgung ausgebaut werden soll. Das ist ei-
gentlich eine logische Konsequenz des Memorandums
von Badenweiler und unserer Eckpunkte und Erklärun-
gen. Wir machen jetzt den nationalen Aktionsplan. Ich
wiederhole: Ich persönlich bin der Meinung, wir sollten
zeitgleich das Präventionsgesetz verabschieden. Denn es
ist wahr: Viele kleine Schritte ergeben auch ein Großes;
nichtsdestotrotz ist nach vielen kleinen Schritten natür-
lich auch ein großer gefragt.

Wir wollen auch die Präventionsforschung ausbauen.
Denn diese ist für Erkenntnisse über den Zustand und die
Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung der Be-
völkerung unerlässliche Voraussetzung. Wir müssen her-
ausfinden, warum es so ist, dass wir so viel über Ge-
sundheit und gesundheitsförderndes Verhalten wissen,
aber in vielen Bereichen nicht danach handeln.


(Detlef Parr [FDP]: Ein guter Satz!)


Da kann jede und jeder, so wie wir hier im Saale sind,
damit beginnen, sich an die eigene Nase zu fassen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609702200

Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Detlef Parr,

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1609702300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Offen-

sive der Regierung für Gesundheit – Kampf gegen Fett-
sucht“, hat die „Welt am Sonntag“ aufgemacht – aber
nicht am vergangenen Sonntag, sondern – man höre und
staune! – am 23. Januar 2005. Vor über zwei Jahren also
alarmierte die Bundesregierung die Öffentlichkeit mit
der Meldung, dass die Krankenkassen mehr als
70 Milliarden Euro für die Behandlung ernährungsbe-
dingter Erkrankungen aufbringen müssten; vor allem
Kinder und Jugendliche bewegten sich zu wenig und
äßen zu viel Fett und kohlenhydrathaltige Produkte; mit
einem Präventionsgesetz wolle Ulla Schmidt dazu bei-
tragen, den Lebensstil der Deutschen ihrem gesundheit-
lichen Wohl anzupassen.

In der Zwischenzeit hat das groß angekündigte Prä-
ventionsgesetz im Bundesrat Schiffbruch erlitten. Der
Bundesregierung ist es, wenn man den Worten des SPD-
Kollegen Blumentritt und der CDU-Kollegin Klöckner
Glauben schenken darf, wohl so gut ergangen, dass sie
all ihre Vorsätze vergessen hat und in Tiefschlaf verfal-
len ist; denn die beiden sprechen bezeichnenderweise
von einem Wachrütteln. Wohl wahr!

Wir haben bereits im Januar 2005 mit 13 Forderun-
gen, Prävention und Gesundheitsförderung als indivi-
duelle und gesamtgesellschaftliche Aufgabe voranzutrei-
ben, versucht, die Bundesregierung aufzurütteln.


(Beifall bei der FDP)


Sie haben das abgelehnt.
Zwei Monate später musste die Bundesregierung auf
unsere Kleine Anfrage zur Förderung von Ernährung
und Bewegung Farbe bekennen. Die Antwort war dürf-
tig.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Weil die Anfrage so dürftig war!)


Im Januar 2006 nahm die FDP-Fraktion die desaströ-
sen Ergebnisse einer Schulsportstudie des Deutschen
Sportbundes zum Anlass, bundesweit eine Wende an den
deutschen Schulen zu fordern. Es gab also Anstöße ge-
nug, zu handeln, liebe Kolleginnen und Kollegen. Doch
mehr als zwei Jahre lang Fehlanzeige; das ist ein Ar-
mutszeugnis.


(Beifall bei der FDP)


Plötzlich soll es ein nationaler Aktionsplan richten.
Doch in dem Antrag der Koalitionsfraktionen wimmelt
es nur so von Allgemeinplätzen. Nach den Erfahrungen
der letzten Monate befürchten wir: Diese Koalition
bleibt auch in diesen Fragen eine Koalition der Lippen-
bekenntnisse.


(Beifall bei der FDP – Jörg van Essen [FDP]: Sehr berechtigte Befürchtung!)


Herr Minister Seehofer, da hilft auch Ihr Plädoyer ge-
gen Bevormundung des Einzelnen und gegen den Zwang
des erhobenen Zeigefingers wenig. Solange Ihre Kolle-
gin Ulla Schmidt an ihren Vorstellungen eines Präven-
tionsgesetzes festhält und die Koalitionsfraktionen dies
in ihrem Antrag sogar noch bekräftigen, werden Sie Ihr
Ziel wieder nicht erreichen.


(Jörg van Essen [FDP]: Genau!)


Dabei haben Sie richtig erkannt: Aktive Gesundheits-
vorsorge ist primär eine individuelle Herausforderung,
und die Stärkung der Kompetenzen des Einzelnen in
Fragen seiner Ernährung und seiner Bewegung muss von
Kindesbeinen an im Mittelpunkt aller Bemühungen von
Bund, Ländern, Kommunen, Sozialversicherungen und
Heilberufen stehen.

Aufklärung statt Gesetze, Anreize statt bürokratische
Gängelung, Erziehung und Bildung statt Gebote und
Verbote – über diese Wege können wir uns schnell ver-
ständigen. Ich fürchte nur, die Regulierer und Volksbe-
glücker in Ihren Reihen behalten weiter die Oberhand.


(Beifall bei der FDP)


Sie sprechen zu Recht von der Notwendigkeit einer
Balance zwischen Ernährung und Bewegung. Schade,
dass die Bundesregierung auf unsere Frage nach einer
Fortsetzung der Beteiligung an der Kampagne „Sport tut
Deutschland gut“ keine konkrete Planung vorlegen
konnte. Schade auch, dass die Bundesregierung keine
Initiativen zur Verbesserung der kommunalen Infrastruk-
tur im Bereich der Sportanlagen im Köcher hat. Das
wäre eine Grundvoraussetzung für mehr Bewegung in
unserer Gesellschaft. Wer Bedarfe weckt, muss auch da-
für sorgen, dass diese Bedarfe gedeckt werden. Ein gol-
dener Plan für Gesamtdeutschland wäre die richtige Ant-
wort darauf.






(A) (C)



(B) (D)


Detlef Parr
An dieser Stelle ein Lob an den Deutschen Fußball-
Bund: Er steckt 12 Millionen Euro aus dem WM-Über-
schuss in den Bau von 1 000 Minispielfeldern gerade
auch an Schulen in sozialen Brennpunkten mit einer ho-
hen Zahl an Migranten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir alle sind uns ja darin einig, dass wir uns zielgerich-
teter um die sozial Benachteiligten kümmern müssen.
Sie sind durch bisherige Aufklärungskampagnen zu we-
nig oder gar nicht erreicht worden.

Wir kennen die spezifischen Risikogruppen, aber wir
wissen viel zu wenig über die Ursachen besonders von
kindlichem Übergewicht. Neben falscher Ernährung und
Bewegungsmangel bedingen sich Faktoren wie Medien-
konsum, niedriger sozioökonomischer Status oder
Migrationshintergrund gegenseitig. Auch genetische und
stoffwechselbedingte Faktoren sollten nicht außer Acht
gelassen werden. Ein offensichtlich multikausales Pro-
blem kann nicht durch Einzelmaßnahmen gelöst werden.


(Mechthild Rawert [SPD]: Aber durch ein Bündel!)


Es bedarf dringend weiterer Forschung und der sorgfälti-
gen Evaluierung bereits bestehender Angebote, um ein
schlüssiges Gesamtkonzept zu entwickeln und auf den
Einzelnen dann auch anwendbar zu machen.

Ein nationaler Aktionsplan – das ist ein großes Wort.
Herr Minister, es darf aber nicht wieder nur planmäßigen
Aktionismus geben, wie Sie es bezogen auf die vergan-
genen Initiativen im Gespräch mit der „Süddeutschen
Zeitung“ freimütig zugegeben haben. Die Probleme sind
zu ernst, als dass man sie zu einem kurzfristigen politi-
schen Spiel missbrauchen kann.

Der Deutsche Olympische Sportbund begrüßt die Ini-
tiative der Bundesregierung als klares Signal. Die FDP
erwartet aber, dass diesmal mehr als nur kräftige Trom-
petenstöße als Ergebnis herauskommen. Das wird Ihnen
gelingen, wenn Sie sich lieber spät als gar nicht an den
Vorschlägen der FDP-Fraktion orientieren.


(Beifall bei der FDP – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das wäre ja was Neues! Die müssen Sie uns noch bringen!)


Herr Präsident, lassen Sie mich noch einen Satz an die
Kollegin Heinen anfügen. Sie haben mit Vehemenz deut-
lich gemacht, dass die Mehrheit dieses Hauses, die Ko-
alitionsfraktionen, die Steuerbefreiung für die Schulspei-
sungen durchsetzen will. Kollegin Heinen, in Ihrem
Antrag ist lediglich von einem Prüfauftrag die Rede.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Aha!)


Es soll geprüft werden, ob das zu einem attraktiven Preis
realisiert werden kann.


(Jörg van Essen [FDP]: Das ist die Wirklichkeit!)


Bleiben Sie in der Diskussion also bitte bei den Tatsa-
chen, die Sie in Ihrem eigenen Antrag niedergeschrieben
haben!
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609702400

Das Wort hat nun die Kollegin Julia Klöckner, CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Julia Klöckner (CDU):
Rede ID: ID1609702500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Eines sollten wir hier an dieser Stelle auch
einmal festhalten: Es geht nicht um eine Stigmatisierung
oder um eine Hetzjagd auf dicke Menschen, auf Men-
schen, die übergewichtig und adipös sind. Es geht nicht
um ein Schönheitsideal, also nicht darum, dass der Staat
vorschreiben sollte, welchen Körperumfang und welche
Körpermaße wir brauchen. Es geht auch nicht darum, ir-
gendeinem Wahn hinterherzulaufen.

Uns geht es letztendlich um Hilfe. Dort, wo der Staat
Einfluss hat, muss er auch die Rahmenbedingungen da-
für schaffen, dass die Menschen die Hilfe bekommen,
um in höherer Lebensqualität leben zu können und wei-
terhin Spaß am Essen zu haben; denn Essen und Bewe-
gung können auch Freude bereiten.

Ich schaue mir die Opposition an


(Detlef Parr [FDP]: Voller Freude!)


– sie ist voller Freude – und stelle fest, dass das, was ge-
sagt wurde, nicht gerade von Freude getragen wurde.
Man bekommt fast Angst und Beklemmungen – dabei
schaue ich auch zu den Grünen –,


(Detlef Parr [FDP]: Da haben Sie Recht! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schon jahrelang so, dass Sie beklemmt sind, wenn Sie uns sehen!)


wenn man anspruchsvoll über Essen und Genuss redet,
was uns sehr wichtig ist.

Liebe Frau Künast, zum Thema Diskriminierung: Sie
haben davon gesprochen, dass wir Menschen diskrimi-
nieren würden, und haben uns die „Bild“-Zeitung ge-
zeigt.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht Sie! Nur die „Bild“-Zeitung!)


– Darin haben wir Ihnen auch zugestimmt.

Was die Diskriminierung angeht, erinnere ich mich
an ein Buch mit dem Titel „Die dicken Kinder“ aus Ihrer
Regierungszeit.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Der Titel lautet „Die Dickmacher“!)


– Ja, das war der Untertitel.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, der Haupttitel!)


Das Buch hieß „Die dicken Kinder“, und Ihr Konterfei
zierte das Titelblatt. Wie passt das zusammen? Das war






(A) (C)



(B) (D)


Julia Klöckner
eine Imagegeschichte Ihrerseits. Sie galten als Mutter
Teresa der dicken Kinder. Das war eindeutig eine Stig-
matisierung dicker Menschen bzw. Kinder.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Damals hat die Mutter einer magersüchtigen Tochter
wegen dieser Kampagne meine Sprechstunde besucht.
Wenn die Diskussion nur in die Richtung verläuft, gegen
Dicke vorzugehen, dann tun wir den Menschen nichts
Gutes. Es geht vielmehr um Einsicht, Wohlgefühl und
Gesundheit. Das ist für uns entscheidend.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Gesundheitsprobleme übergewichtiger Kinder sind
auch kein statistisches Problem. Ob wir bei 42 Prozent,
30 Prozent oder 20 Prozent liegen, ist nicht entschei-
dend; selbst 15 Prozent sind zu viel. Es geht letztlich da-
rum, wie wir Prävention betreiben können; das hat
Minister Seehofer zu Recht festgestellt. Wir sollten uns
nicht an irgendwelche Zahlen klammern; denn letztlich
erreicht die individuelle Betroffenheit ein riesiges Aus-
maß, und die ernährungsbedingten Krankheiten und Fol-
gekosten – auch das wurde bereits angesprochen – be-
treffen uns alle.

Eines gilt es zu verhindern – ich war sehr erschro-
cken, als ich davon erfahren habe –: In Großbritannien
haben die Ärztekammer und die Gesundheitsbehörde
erstmals den Ärzten geraten, bei übergewichtigen Kin-
dern – nicht bei Erwachsenen – eine Magenverkleine-
rung vorzunehmen. Das kann nicht die Antwort sein.
Unsere Antwort in Deutschland lautet nicht: Ampel-
kennzeichnung und, wenn diese nicht funktioniert, Ma-
genverkleinerung. Wir – der Minister wie auch die CDU/
CSU-Fraktion – setzen vielmehr auf Einsicht und auf
Orientierung statt Regulierung. Es geht darum, die Men-
schen dort abholen, wo sie sind, und letztlich auch um
ein Bekenntnis zu dem, was unsere Felder und Produkte
zu den Nahrungsmitteln beitragen. Sie sind nämlich
nicht per se schlecht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir möchten als CDU/CSU-Fraktion auf etwas hin-
weisen, was Sie in Ihrer Regierungszeit leider verpasst
haben, Frau Künast. Erstens ist Fehlernährung ein ge-
samtgesellschaftliches Problem, das nicht nur etwas mit
Kindern, sondern auch mit Erwachsenen zu tun hat. Kin-
der werden nämlich bei Erwachsenen groß und lernen in
diesem Umfeld.

Zweitens hat Fehlernährung nicht nur etwas mit
Übergewichtigen zu tun, sondern auch mit Mangel-
ernährten; denn ein Snickers und eine Cola sind auch
für diejenigen, die nicht übergewichtig sind, kein ausge-
wogenes Frühstück.

Drittens stellen Mädchen im Alter zwischen neun und
14 Jahren die Altersgruppe dar, in der Diäten am häu-
figsten sind. In diesem Alter haben Kinder ihre Entwick-
lung aber noch nicht abgeschlossen. Wir dürfen nicht un-
terschätzen, dass Hochglanzmagazine und Modelshows
das Verfolgen von Schönheitsidealen durch Heranwach-
sende, die selbst noch nicht richtig gefestigt sind, för-
dern. Die Schere zwischen den Übergewichtigen und
den Magersüchtigen öffnet sich. Wenn wir den Fehler
machen, uns nur auf dicke Kinder zu konzentrieren,
dann verlieren wir diejenigen aus den Augen, die auch
unter Problemen leiden und ein gestörtes Verhältnis zum
Essen haben. Wir aus der CDU/CSU-Fraktion streben
wieder einen ordentlichen Umgang mit Ernährung und
Lebensmitteln an, und zwar nicht nur in der Theorie,
sondern auch in der Praxis.

Frau Künast, Sie haben damals mit Ihrer Image-
kampagne sehr viel Wind gemacht.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Projekte führt Herr Seehofer weiter! Wussten Sie das?)


Respekt, das hat damals gut geklappt, auch wenn das
Buch – das ist nicht verwunderlich – kein Bestseller war.
Die Kinder wurden aber dadurch nicht dünner.

Ich möchte noch etwas festhalten. Liebe Frau Künast,
Sie haben eben ein Werbeverbot und eine Ampelkenn-
zeichnung gefordert; außerdem soll die Industrie mit ins
Boot genommen werden. Sie waren vor nicht allzu lan-
ger Zeit Ernährungsministerin – wir sind erleichtert, dass
sich das inzwischen geändert hat – und hätten in diesem
Amt all das tun können, was Sie heute gefordert haben.
Ich kann mich aber nicht daran erinnern, dass ein ent-
sprechender Gesetzentwurf zur Abstimmung vorgelegt
wurde. Jetzt stellen Sie diese Forderungen aus der Oppo-
sition heraus und führen das Argument an, dass der Bun-
desrat Ihnen seinerzeit nicht folgen wollte. Dabei haben
Sie es nicht einmal versucht.

Frau Künast möchte nachfragen und etwas klarstel-
len?


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609702600

Offenkundig wollen Sie das auch zulassen. Damit ha-

ben wir eine übersichtliche Gefechtslage. Bitte schön,
Frau Künast.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609702700

Frau Klöckner, da Sie mich immer wieder so liebevoll

angesprochen und darauf hingewiesen haben, was ich
Ihres Erachtens versäumt habe, muss ich eine Frage stel-
len. Wissen Sie, dass es Ihre Fraktion war, die gegen un-
sere Aktivitäten im Zusammenhang mit der Health-
Claims-Verordnung in Brüssel, bei der es um gesund-
heitsbezogene Werbung geht und die eine Ampelkenn-
zeichnung von Lebensmitteln vorsieht – das wäre auf na-
tionaler Ebene nicht zu machen –, massiv gekämpft hat?
Können Sie mir nachsehen, wenn ich sage, dass wir es,
wenn Sie es nicht bekämpft hätten, früher durchgesetzt
und in Europa eine Rechtsgrundlage gehabt hätten? So
wurde erst nach meiner Amtszeit die Rechtsgrundlage in
der Amtszeit des Bundesministers Seehofer geschaffen.
Frau Klöckner, Sie haben nun die Möglichkeit, zusam-
men mit Ihrem Minister Seehofer diese wunderbare Idee
umzusetzen. Ich muss Ihnen das sagen, da Sie sich of-
fensichtlich nicht mehr daran erinnern können, gegen
welche meiner Aktivitäten Sie damals mit Verve ge-
kämpft haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Julia Klöckner (CDU):
Rede ID: ID1609702800

Liebe Frau Künast, ich möchte die Gegenfrage stel-

len, ob Sie mitbekommen haben, dass wir, die CDU/
CSU-Fraktion, gegen eine Ampelkennzeichnung sind,
und zwar zu Recht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Denn dieses Schwarz-Weiß-Denken – Grün ist gut, Rot
ist schlecht; das meine ich nicht politisch – bedeutete,
dass der Bürger gar nicht mehr denken müsste. Wer
glaubt, dass er sich ausgewogen ernährt, wenn er nur
noch Produkte mit grünen Punkten, zum Beispiel Äpfel,
in seinem Warenkorb hat, liegt falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Eine solche Kennzeichnung ist doch total verwirrend.
Warum fährt denn die Lebensmittelkette Tesco in Groß-
britannien – Frau Heinen hat es vorhin angesprochen –
just dieses Prinzip wieder zurück? Sie hat erkannt, dass
es die Menschen verwirrt; denn Butter wird immer einen
roten Punkt haben. Verderben Sie den Menschen doch
nicht die Lust an der Vielfalt, sondern befähigen Sie sie
dazu, einen ordentlichen Lebensstil zu erlernen und aus-
zuprägen!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Liebe Frau Künast, wir sind nicht für Ernährungsdik-
tate, Gängeln und Verbieten, sondern setzen auf Ein-
sicht. Wir müssen die Eltern befähigen. Die Familien
sind wichtig. Es kann nicht sein, dass nun nach dem
Staat und Herrn Seehofer gerufen wird, wenn Eltern ih-
rer Verantwortung nicht nachkommen und ihre Kinder
ohne Frühstück oder mit einem Schokoriegel in die
Schule schicken. Wir brauchen hier als Unterstützung
Ernährungslehrer. Deshalb unterstützt die CDU/CSU-
Fraktion einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz, der auf
Einsicht, aber auch auf das spielerische Erlernen setzt. In
diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach den
Rahmenbedingungen an den Schulen. Wir sind uns mit
unserem Koalitionspartner absolut einig, dass die Rah-
menbedingungen an den Schulen, insbesondere die Qua-
lität der Mittagsverpflegung, verbessert werden müssen.
Was können denn die Kinder dafür, wenn ihnen in Kios-
ken nur Schokoriegel und süße Brause angeboten wer-
den? Hier müssen wir beginnen. Wir dürfen nicht mit
irgendwelchen Kennzeichnungen Menschen reglemen-
tieren, sondern müssen auf Einsicht setzen.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch wohl keine Reglementierung von Menschen!)


Zu einem Werbeverbot im Fernsehen. Nicht, dass
Sie mich falsch verstehen: Wenn wissenschaftlich erwie-
sen wäre, dass ein Werbeverbot im Fernsehen dazu
führte, dass die Kinder nicht dicker würden, sondern ab-
nähmen, dann wäre ich auf Ihrer Seite.


(Mechthild Rawert [SPD]: Das ist bewiesen!)


Aber in Schweden, wo die Werbung komplett verboten
ist, hat sich der Anteil übergewichtiger Kinder in den
letzten Jahren im Schnitt verdreifacht. In Kanada haben
wir das gleiche Phänomen. Die Kinder haben dort, wo es
Werbeverbote gibt, nicht abgenommen, sondern weiter
zugenommen. Es ist falsch, eine Placebopolitik zu be-
treiben. Uns ist es ein ernsthaftes Anliegen, das von uns
definierte Ziel zu erreichen, dass Menschen gesünder
und ausgewogener leben. Es wäre sicherlich eine
Schlagzeile wert, wenn wir heute auf Initiative von
Herrn Seehofer eine Ampelkennzeichnung und ein Wer-
beverbot beschließen würden. Aber wir stünden in vier
Jahren wieder hier und stellten fest: Wir haben die Men-
schen nicht erreicht, weil es nicht in den Köpfen ange-
kommen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist unsere verantwortungsvolle Aufgabe.

Die CDU/CSU-Fraktion hat einen ganz anderen An-
satz. Sie setzt auf eine Stärkung bestimmter gesellschaft-
licher Kräfte, seien es die Landfrauen oder seien es an-
dere Organisationen wie Elterninitiativen in meinem
Wahlkreis Bad Kreuznach. Sie bieten Kurse an, in denen
man spielerisch das Kochen erlernen kann. Herr Lafer,
ein Koch, der sicherlich allen bekannt ist, hat mir Fol-
gendes erzählt: Er kocht mittags an Schulen in meinem
Wahlkreis und bietet ein Essen an. Die Hälfte der Kinder
hat die Tomatensoße zurückgehen lassen, weil sie nicht
schmeckte und weil dort Stückchen drin seien. Es waren
Tomatenstückchen. Dass eine Tomatensoße aus Tomaten
gemacht wird, ist für uns sicherlich einsehbar und eine
ganz normale Erkenntnis.

Das Ernährungswissen in Deutschland, auch der
Bezug zu Nahrungsmitteln, den Mitteln, von denen wir
leben, ist sehr schlecht ausgeprägt. Es darf uns nicht
wundern, dass Menschen eher den Preis einer Musik-CD
kennen, aber nicht wissen, dass es Fleisch unter einem
Euro eigentlich gar nicht geben könnte.

Die Wertschätzung der Produktion in Deutschland,
der regionalen Produktion, auch der Landwirtinnen und
Landwirte gehört ebenfalls in diese Gesamtstrategie.

Wir fordern die Regierung auf, lieber Herr Seehofer
– auch Ihre Kolleginnen und Kollegen; Frau Schmidt ist
ebenfalls da –, hier tätig zu werden. Ich begrüße sehr,
dass Herr Seehofer – im Gegensatz zu Frau Künast –
Frau Schmidt mit ins Boot geholt hat und sie sich ab-
stimmen.

Ich wünsche mir auch, dass das Innenministerium,
das für Sport zuständig ist, und das Bildungsministe-
rium, das für die Bildung und die Ausbildung unserer
Menschen in Deutschland zuständig ist,


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Die Familie!)


sich zusammensetzen und die Projekte, für die wir Mittel
zur Verfügung stellen können, bündeln.

Eine weitere Aufgabe wird auch eine große Heraus-
forderung sein – dabei schaue ich auch zu den Kollegin-
nen und Kollegen der Opposition –: Wir haben uns auf
eine Anhörung demnächst in unserem Ausschuss geei-
nigt.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Du hast es permanent verhindert!)







(A) (C)



(B) (D)


Julia Klöckner
– Wir haben sie nicht verhindert. Wir haben zugestimmt.


(Weiterer Zuruf des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


– Lieber Herr Kollege Goldmann, für eine Anhörung zu
sein, ist das eine. Aber auch darüber reden zu wollen,
was der Inhalt ist und dass der Inhalt sinnvoll ist, ist das
andere. Ihr seid für das Formale zuständig. Wir sind für
das Inhaltliche zuständig. Das ist gut so.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bei dieser inhaltlichen Schwerpunktsetzung geht es
uns darum, die europäische Ebene, die Bundesebene, die
Landesebene und die kommunale Ebene trotz föderalis-
tischer Probleme so zusammenzubringen, dass wir wirk-
lich nachhaltig eine Volksbewegung für bessere Ernäh-
rung und mehr Bewegung bekommen, damit wir nach
Churchill sagen können: Man soll dem Leib etwas Gutes
bieten, damit die Seele Lust hat, darin zu wohnen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Churchill war doch dick!)


Wir möchten den Menschen helfen und ihnen die Rah-
menbedingungen geben, sie nicht gängeln, sondern ih-
nen Spaß und Freude am Leben vermitteln. Das ist das
Ziel der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609702900

Dr. Martina Bunge ist die nächste Rednerin für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609703000

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Ein na-

tionaler Aktionsplan steht an. Viele – wir haben es heute
gehört – sind euphorisch. Ich bin eher skeptisch. Wa-
rum? Was hier vorliegt, ist eher Aktionismus denn eine
Strategie; das sage ich klipp und klar.


(Beifall bei der LINKEN)


So richtig es ist, für die Beförderung einer gesunden Le-
bensweise alle einzubeziehen – alle Ministerien, Bund
und Länder, die Medien, die Wissenschaft, die Wirt-
schaft, das Gesundheitswesen, den Sport, die Sozialver-
sicherungen –: Der Knackpunkt ist, mit welcher Zielstel-
lung miteinander verhandelt und diskutiert wird.

An dem Ansatz der Regierung gibt es aus meiner
Sicht drei wesentliche Kritikpunkte. Erstens. Sie wollen
ein Bewusstsein für gesunde Ernährung und Bewegung
ausprägen. Frage: Wie ernst nehmen Sie eigentlich das,
was bisher geschah? Unzählige Experten und Akteure
haben seit dem Jahr 2000 über Gesundheitsziele für
Deutschland beraten. Eindeutig identifiziert ist, dass die
Ziele „gesunde Ernährung“, „mehr Bewegung“ und
„Stressabbau“ komplex angegangen werden müssen, um
chronische Krankheiten zu vermeiden und Wohlbefin-
den zu befördern.
Die WHO hat im letzten Jahr die seelische Gesund-
heit als die neue Herausforderung identifiziert. Sie
schätzt ein, dass die psychischen Erkrankungen im
Jahr 2020 die am häufigsten auftretende Krankheit sein
werden. Ja, die EU hat ein Grünbuch vorgelegt und
einen Beschluss zu gesunder Ernährung und mehr Bewe-
gung gefasst. Warum müssen wir immer hinterhertrap-
peln, statt eigene strategische Empfehlungen und Er-
kenntnisse der Weltgesundheitsorganisation für einen
Neuansatz abzuleiten, wenn es tatsächlich um einen na-
tionalen Aktionsplan gehen soll?


(Beifall bei der LINKEN)


Der zweite Kritikpunkt. Erfahrungen belegen – wir
fangen weiß Gott nicht bei null an –, und wissenschaftli-
che Erkenntnisse besagen: Aufklärung, Information und
Programme sind nicht ausreichend, um Verhalten dauer-
haft zu verändern, wenn gesellschaftliche Verhältnisse
nicht ebenfalls verändert, wenn nicht die Ursachen der
Gesundheitsrisiken angegangen werden. Ihre Papiere
strotzen nur so davon, die Eigenverantwortung in den
Mittelpunkt zu schieben und staatliche Verantwortung
allenfalls auf Aufklärung und die berühmt-berüchtigten
Rahmenbedingungen zu reduzieren. Ich sage: Der Wille
bei den Einzelnen, bei den Akteuren ist da; nur die Be-
dingungen sind nicht so, um ihn zu realisieren.

Beispiele: Kindern, die unter den Bedingungen von
Hartz IV leben, stehen pro Tag rund 98 Cent für die Er-
nährung am Mittag zur Verfügung. Wer kann da eine ge-
sunde Ernährung gewährleisten? In den Schulen werden
im Durchschnitt 2,40 Euro ausgegeben. Diese Forderung
gilt nicht nur in einem Bundesland, sondern überall: Hier
muss subventioniert werden, um eine unentgeltliche
Schulspeisung zu ermöglichen.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Bundesland, aus dem ich komme, Mecklenburg-
Vorpommern, setzt an, Ernährung für Gesundheit in
Reha- und Pflegeeinrichtungen zu organisieren, aber die
Pflegekostensätze lassen nur Masseneinkäufe zu.


(Mechthild Rawert [SPD]: Man kann das Catering auch anders ausschreiben!)


Mit der Novellierung der Pflegeversicherung hat die
Politik seit Jahren versagt, auch so etwas zu ermögli-
chen.

Sie fordern Konzepte und appellieren an die Sportver-
eine. Sie kennen die finanzielle Ausstattung. Wie soll
dort etwas Neues geschehen? Es sollen Fahrradwege
ausgebaut werden, aber wir kennen die finanzielle Aus-
stattung der Kommunen. Ich denke, hier wird viel zu
kurz gegriffen.

Die dritte Kritik. Es fehlt an Konkretheit. Um es auf
den Punkt zu bringen: Das Eckpunktepapier ist sehr un-
konkret. Das Memorandum der Konferenz von Februar
in Badenweiler, auf der ganz Konkretes vereinbart
wurde, wäre eine gute Grundlage gewesen. Darin steht,
bis 2010 sollten folgende Ziele erreicht werden:
10 Prozent mehr Menschen sollen eine halbe Stunde täg-
lich körperlich aktiv sein, 20 Prozent mehr Menschen
sollen täglich fünf Portionen Obst und Gemüse essen,






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Martina Bunge
30 Prozent mehr Einrichtungen mit Gemeinschaftsver-
pflegung sollen gesunde Mahlzeiten anbieten. Dann
könnte der Trend umgekehrt werden. Was findet sich im
Eckpunktepapier? Ich zitiere:

Zentrales Ziel ist es, bis 2020:
… das Ernährungs- und Bewegungsverhalten nach-
haltig zu verbessern, …

„Nachhaltig“, allgemeiner geht es nicht.

Die fehlende Konkretheit beziehe ich auch darauf,
dass jegliche Aussage zum Präventionsgesetz fehlt.


(Mechthild Rawert [SPD]: Das stimmt nicht!)


Ich hatte gehofft, dass die Ministerin hier heute etwas er-
gänzt.


(Mechthild Rawert [SPD]: Das ist in unserem Antrag!)


– Ihr Antrag ist eine löbliche Ausnahme. Aber man sieht,
wie die CDU/CSU applaudiert, nämlich gar nicht.

Welchen Platz soll das Präventionsgesetz in dem Ak-
tionsplan einnehmen? Ich hoffe, dass es nicht auf den
Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird. Oder soll der
Aktionsplan vielleicht eine Beerdigung erster Klasse für
das Präventionsgesetz werden? Fragen bleiben. Wir hö-
ren nichts von der zuständigen Ministerin. Wir müssen
von dem Aktionismus wegkommen. Wir müssen uns
darüber klar sein: Wenn Prävention wirklich Priorität ha-
ben soll, dann kostet das etliches an Geld. Aber wir spa-
ren Kosten und mindern Leid. Das ist wirklich zuguns-
ten des Wohlbefindens derer, für die wir hier eigentlich
Politik machen.

Ich danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609703100

Frau Drobinski-Weiß ist die nächste Rednerin für die

SPD-Fraktion.


Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1609703200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Die Dicken
sind längst als Thema in den Medien angekommen; das
ist uns heute Morgen in einem Blatt gezeigt worden.
Mehrfach wöchentlich flimmern sogenannte Dokusoaps
über den Bildschirm, bei denen man sich zu Hause vor
dem Fernseher bei Chips und Cola mit wohligem Gru-
seln anschauen kann, wie eine von Ernährungsnannys
und Kamerateams heimgesuchte Familie ihre überge-
wichtigen Kinder mit falschem Essen krankfüttert.

In einer Sendung namens „Liebling, wir bringen die
Kinder um!“ wird das Ganze gekrönt durch eine Compu-
tersimulation aus der Kriminalistik, mit der den Eltern
anhand einer Fotobearbeitung die Mutation ihrer Mop-
pelchen zu Monstern als Horrorszenario vorgeführt wird.
Eine weitere Simulation zeigt dann, dass aus denselben
Moppelchen auch Models werden können, wenn sie sich
an die Essenstipps der Ernährungsnannys halten.
Weitere Sendungen laufen unter Titeln wie „Du bist,
was du isst“, „Besser essen. Leben leicht gemacht“,
„Schwer in Ordnung! – Kinder specken ab“ oder „Dicke
Freundinnen. Kampf gegen Kilos“. Das sind nur ein paar
Beispiele. Einige dieser Sendungen geben sicherlich
wertvolle Tipps und setzen nicht auf den Sensations-
effekt. Aber nicht immer wird mit den Betroffenen ver-
antwortungsvoll umgegangen; denn: Je reißerischer auf-
gemacht, desto höher die Einschaltquoten.

„Die Zeit“ berichtete im letzten Jahr darüber, dass
Kinderärzte immer häufiger Medienanfragen erhalten,
ob sie aus ihrer Praxis nicht ein paar „extrafette Exemp-
lare“ zum Interview vermitteln könnten. Das zeigt die
zwei Seiten der Medaille: So hilfreich es sein kann,
wenn die Medien sich des Themas annehmen – und da-
mit auch Kreise erreichen, die auf anderen Wegen
schwer erreichbar sind –, so gefährlich ist es auch; denn
im Kampf um Einschaltquoten kann die Auseinanderset-
zung mit einem ernsthaften Problem zur Effekthascherei
auf Kosten der Betroffenen verkommen. Der Kampf ge-
gen Übergewicht und Bewegungsmangel ist eben keine
Dokusoap, sondern eine politische und eine gesamtge-
sellschaftliche Aufgabe.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Seit September 2006 liegt uns mit der vom
Robert-Koch-Insititut veröffentlichten Kinder- und Ju-
gendgesundheitsstudie, abgekürzt KiGGS, erstmals
eine bundesweit repräsentative umfassende Untersu-
chung vor. Das erschreckende Ergebnis: 15 Prozent der
Drei- bis 17-Jährigen sind übergewichtig, ein Drittel da-
von bereits krankhaft. Mit Übergewicht und Bewegungs-
mangel steigen die Gesundheitsrisiken. Jedes zweite
stark übergewichtige Kind hat bereits eine Folgeerkran-
kung wie Bluthochdruck, Gefäßerkrankungen, Vorstufen
des Diabetes oder orthopädische Erkrankungen. Ohne
Gegenmaßnahmen könnten aus dicken Kindern von
heute die Frührentner von morgen werden.

Neben den enormen Kosten, die diese Entwicklung
für ein Gesundheitssystem hat, dürfen wir auch nicht
vergessen, dass hinter solchen Zahlen Leidensgeschich-
ten einzelner Menschen stehen – verschiedene Kollegin-
nen und Kollegen haben dazu bereits Beispiele genannt –:
körperliche Beschwerden und Einschränkungen und ins-
besondere bei Kindern und Jugendlichen Hänselei und
Ausgrenzung. Neben den körperlichen sind auch die
psychosozialen Belastungen groß.

Hauptrisikofaktoren für Übergewicht sind unter ande-
rem ein niedriger sozialer Status und ein niedriges Bil-
dungsniveau. Dabei ist gesundes Essen nicht teurer als
ungesundes. Hier muss die Aufklärung einsetzen. Wir
dürfen nicht zulassen, dass Kinder aus sozial schwachen
Strukturen in dieser Gesellschaft als „arm, dumm und
dick“ keine Chance auf eine bessere Zukunft haben.

Die Deutschen sind die Dicksten in Europa. Wir legen
heute einen Maßnahmenkatalog vor, mit dem dieser Ent-
wicklung gegengesteuert werden soll. Wir begrüßen den
von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt und Verbrau-
cherschutzminister Horst Seehofer vorgelegten Aktions-
plan.






(A) (C)



(B) (D)


Elvira Drobinski-Weiß

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Diese im wahrsten Sinne des Wortes „schwerwie-
gende“ Aufgabe muss alle gesellschaftlichen Kräfte ein-
beziehen. Natürlich liegt die Verantwortung in erster
Linie bei den Eltern. Aber auch die Wirtschaft muss mit-
ziehen. Das Überangebot an Snacks, Fast Food, Süßig-
keiten und Getränken, die überall und zu jeder Tageszeit
verfügbar sind, häufig in XXL-Größen, verschärft die
Problematik. Ich appelliere an die Lebensmittelherstel-
ler, insbesondere bei Produkten, die häufig von Kindern
gegessen und getrunken werden, also bei Säften, bei
Keksen und bei Snacks, Zucker und Fett zu reduzieren
und auf Geschmacksverstärker, die den Appetit anregen
und Heißhungerattacken auslösen, zu verzichten.

Besondere Situationen erfordern besondere Maßnah-
men. Auch über ein Verbot von auf Kinder ausgerichte-
ter Werbung muss nachgedacht werden dürfen, ebenso
über eine Nährwertkennzeichnung, die Verbrauchern,
die sich ausgewogen ernähren wollen, die Auswahl der
Produkte erleichtert.

Nach meiner Meinung sollte ein ungesundes Essver-
halten auch in finanzieller Hinsicht unattraktiver gestal-
tet werden. Wie ist zu rechtfertigen, dass Süßwaren und
Knabberartikel mit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz
von 7 Prozent besteuert werden, während Mineralwasser
dem vollen Umsatzsteuersatz unterliegt? Der Gesetzge-
ber hat bei der Einführung der Umsatzsteuer nach dem
Mehrwertsteuersystem zum 1. Januar 1968 entschieden,
dass fast alle Nahrungsmittel – ausgenommen sind die
meisten Getränke – aus sozialpolitischen Erwägungen
mit dem ermäßigten Satz besteuert werden. Solche so-
zialpolitischen Erwägungen können heute gute Gründe
dafür sein, ungesunde Nahrungsmittel in finanzieller
Hinsicht unattraktiver und gesunde dafür attraktiver zu
machen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Aktions-
plan der Bundesregierung und mit unserem Maßnah-
menkatalog haben wir einen großen Schritt getan, wei-
tere werden folgen. Dafür bitte ich Sie um Ihre
Unterstützung.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609703300

Ich erteile das Wort nun der Kollegin Ulrike Höfken,

Bündnis 90/Die Grünen.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609703400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Ziele, die Sie formuliert haben, sind rich-
tig. Es ist auch schön, dass das, was Rot-Grün angefan-
gen hat, von Ihnen fortgesetzt wird. Frau Künast hat ei-
nige Punkte angesprochen: die Modellprojekte, die
Informations- und Aufklärungskampagne, die Health-
Claims-Verordnung der EU und die Plattform Ernährung
und Bewegung. Diese Bemühungen führen Sie fort.
Aber Ihr sogenannter Aktionsplan ist nichts anderes als
eine Absichtserklärung und ein Vertagungsprogramm.
Sie verhalten sich ähnlich wie beim Thema Ausbau der
Kinderkrippenplätze.


(Mechthild Rawert [SPD]: Das ist doch Quatsch!)


Das ist nach anderthalb Jahren erwartungsvollen War-
tens ein bisschen wenig. So können Sie sich nicht aus Ih-
rer Verantwortung ziehen. Immer, wenn es konkret wird,
sitzen die Regierung und die Koalitionsfraktionen unter
dem Tisch.


(Mechthild Rawert [SPD]: Das tun wir ja nicht!)


Ich finde, es ist nicht in Ordnung, wenn der Minister
nur darauf hinweist, dass es in dieser Frage keine Bevor-
mundung und keinen erhobenen Zeigefinger geben
dürfe. Es handelt sich nämlich um einen sogenannten
asymmetrischen Markt. Wir dürfen es nicht zulassen,
dass Eltern und Kinder mit Werbemitteln regelrecht be-
knallt werden und dass die Kinder in den Schulen vor
Automaten hängen, die mit Zuckergetränken und Süßig-
keiten gefüllt sind. Wir müssen gesetzliche Rahmenbe-
dingungen schaffen, um das zu ändern.

Die Situation ist für uns alle nicht neu: Es gibt Zehn-
jährige mit Altersdiabetes, Fünfjährige mit Herzinfarkt,
Kinder, die bei den Schuleingangsuntersuchungen nicht
mehr rückwärts gehen oder auf einem Bein stehen kön-
nen, 18-Jährige, deren Muskelskeletterkrankungen schon
so weit fortgeschritten sind, dass sie erwerbsunfähig
sind, bevor sie überhaupt ins Berufsleben starten könn-
ten. Hier müssen wir unsere Verantwortung wahrneh-
men. Dazu bedarf es konkreter Maßnahmen, die wir in
Ihrem sogenannten Aktionsprogramm allerdings vermis-
sen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Viel von dem, was die Wirtschaft bisher geleistet hat,
ist gut. Es gibt Unternehmen, die sich sehr stark engagie-
ren und sogar ihre Produktpalette und ihr Angebot ver-
ändert haben. Es gibt aber auch viele Unternehmen, die
genau das Gegenteil tun. Daher ist eine unterstützende
Rahmenpolitik des Gesetzgebers schlicht und ergreifend
notwendig. Wir sind schließlich keine Unternehmensbe-
ratung.


(Beifall des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie haben fünf Handlungsfelder dargestellt. Frau
Bunge hat dargelegt, dass die konkrete Ausgestaltung
fehlt. Wir wollen Folgendes: Erstens. Wir wollen ge-
meinsam mit den Ländern dafür sorgen – die Mehrheit
auf allen Ebenen haben Sie da –, dass die Schulverpfle-
gung verbindlich geregelt wird. Es kann doch wirklich
nicht sein, dass die meisten Kinder und Jugendlichen,
die nachmittags Unterricht haben, jeden Tag acht Stun-
den lang kein vernünftiges Ernährungsangebot bekom-
men. Das ist doch regelrecht ein Angriff auf die körperli-
che Unversehrtheit von Kindern und Jugendlichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens: verbindliche Standards. Der Minister hat
das erwähnt, sagt aber nicht, wie das gemacht werden






(A) (C)



(B) (D)


Ulrike Höfken
soll. Richtig ist auf jeden Fall: Wir brauchen Qualitäts-
standards, damit den Kindern nicht etwas angeboten
wird, was sich bloß als eingeschweißte Pappe heraus-
stellt.

Drittens: die Automaten. Es kann nicht sein, dass sich
Schutzbedürftige einem Angebot ausgesetzt sehen, das
ihnen nur Produkte liefert, die ihnen nicht zuträglich
sind. Es ist schon erwähnt worden: Gut ist zum Beispiel
Mineralwasser. Gesündere Produkte gibt es also durch-
aus. Es muss nur dafür gesorgt werden, dass sie auch an-
geboten werden.

Viertens: noch einmal zur Kennzeichnung. Sie sagen,
Sie wollten Orientierung geben. Das sagte auch Frau
Klöckner. Aber im Grunde machen Sie das Gegenteil.
Ein bisschen wie beim Verbraucherinformationsgesetz
betreiben Sie nämlich Informationsverschleierung. Das
geht nicht.

Sie haben Frau Künast wohl falsch verstanden. Ich
habe die Tüte von Frau Künast mitgebracht.


(Die Rednerin hält eine Süßigkeitentüte hoch)


Hierauf werden sehr differenziert fünf Kriterien darge-
stellt. Das ist eine Information, aber leicht verständlich.


(Mechthild Rawert [SPD]: Merchandising oder was?)


Man kann doch nicht immer den Taschenrechner mit-
schleppen, oder man muss doch nicht Ernährungswis-
senschaft studiert haben, um eine Orientierung zu erhal-
ten. Gerade für Leute, die keine Zeit haben, oder auch
für Leute aus bildungsferneren Schichten ist es wichtig,
ein solch einfaches Angebot zu haben.

Fünftens. Wir fordern in unserem Antrag ein 20-Mil-
lionen-Programm für sozial Schwache, für die Unterstüt-
zung derjenigen, die am meisten unter diesen Fehlent-
wicklungen leiden, die nun schon seit einigen Jahren
anhalten. Ich denke, das muss eine Zielgruppe sein. Wir
müssen die, die am unteren sozialen Rand sind, wirklich
unterstützen.

Sechstens: Prävention. Der Antrag von CDU/CSU
und SPD ist voll von dem Wort „Prävention“. Sie sagen
aber gar nichts zum Thema „Präventionsgesetz“.


(Mechthild Rawert [SPD]: Jawohl! Hier! – Die Abgeordnete hält den Antrag hoch)


Das ist doch wohl die Aufgabe des Gesetzgebers. Also,
bitte schön, dann nennen Sie auch wirklich die konkre-
ten Punkte.

Siebtens: der Sport. Wichtig ist es, Breitensport zu
verankern und dafür zu sorgen, dass er in den Unter-
richtsinhalten stärker zum Tragen kommt.

Achtens: die Landwirtschaft. Wir brauchen natürlich
Produkte, die eine gesunde Ernährung ermöglichen. Die
Lage, gerade was die Produktion von ökologischen Le-
bensmitteln betrifft, ist durch das Handeln der Bundes-
regierung traurig.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

Qualität und verbraucherorientierte Produktion: Da ha-
ben Sie den Landwirten massenweise Geld gestrichen.
Der Landwirtschaft ist noch nie so viel Geld für die Qua-
litätsproduktion weggenommen worden wie unter dieser
Regierung. Man muss wirklich sagen: Dann machen Sie
auch bei der Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte
die Qualitätsoffensive mit, zu der die Landwirtschaft sel-
ber in der Lage ist.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1609703500

Frau Höfken, kommen Sie bitte Schluss.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609703600

Noch kurz zum Geschenkpaket des Deutschen Bau-

ernverbandes: Darin war Müllermilch – ein Produkt mit
Orangen, massenhaft Zusatzstoffen, süß. Wenn das das
Beispiel für die deutsche Landwirtschaft sein soll, dann
muss man sich über die Vertretung Gedanken machen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1609703700

Das Wort hat die Kollegin Uda Heller, CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Uda Heller (CDU):
Rede ID: ID1609703800

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Sehr geehrter Herr Minister! Was, glauben Sie,
wünschen sich die Deutschen in Meinungsumfragen am
häufigsten? Richtig: Gesundheit steht immer an erster
Stelle. Wir beschäftigen uns heute nicht mit dem Kampf
gegen Fett, sondern mit dem Thema Gesundheit.

Leider legt die medizinische Wissenschaft den
Schwerpunkt auf die Behandlung der Krankheiten. Die
Erforschung der Krankheitsursachen tritt in den Hinter-
grund. Bei der Betrachtung aller Krankheitsauslöser
können wir die Krankheiten im Wesentlichen in drei
große Gruppen einteilen: in die ernährungsbedingten,
die durch Lebensumstände bedingten sowie die umwelt-
bedingten Krankheiten.

Moderne Ernährungsforschung hat nachgewiesen,
dass durch falsche Ernährung der größte Teil aller
Krankheiten hervorgerufen wird. Gebissverfall, Er-
krankungen des Bewegungsapparates, Stoffwechselstö-
rungen wie Fettsucht und Zuckerkrankheit, die meisten
Erkrankungen der Verdauungsorgane, Herz-Kreislauf-
Erkrankungen sowie die meisten Allergien und natürlich
auch die Entstehung von Krebs sind auf Fehlernährung
zurückzuführen. Atem- und Schlafstörungen werden
ebenfalls durch Übergewicht begünstigt.

Meine Damen und Herren, gesunde Ernährung und
ausreichende Bewegung sind nicht nur Dauerthemen in
Lifestyle-Magazinen wie „Fit For Fun“, sondern beherr-
schen mittlerweile die Titelserien der Nachrichtenmaga-
zine wie „Stern“ und „Focus“. Interessant ist die Fest-
stellung, dass mehr Zeitschriften verkauft werden, wenn






(A) (C)



(B) (D)


Uda Carmen Freia Heller
das Thema Diät auf der Titelseite steht. Frauenzeitschrif-
ten werben mit Wunderdiäten und -pillen, die über Nacht
das Gewicht reduzieren sollen.


(Detlef Parr [FDP]: Genau der falsche Weg!)


Minimaler Aufwand, maximaler Erfolg – das ist si-
cherlich der Wunsch von uns allen. Ich gebe zu, dass
auch ich schon diese Erfahrung gemacht habe und mei-
nen Kleiderschrank mit Kleidungsstücken der Größen 38
bis 42 bestücke. In der Theorie ist alles klar; während
meines Studiums war Lebensmittel- und Ernährungs-
lehre mein Lieblingsfach. Doch wie sieht es oft in der
Praxis aus? Gestern Abend sah ich einen Herrn von
Foodwatch im Fernsehen, der der Meinung war, die
Politik mache es sich sehr einfach, indem sie an die Ei-
genverantwortung der Bevölkerung appelliere, statt die
Schuldigen der Lebensmittelindustrie in Haftung zu neh-
men. Prima, meine lieben Kollegen! Wenn ich dem-
nächst einmal wieder zunehme, schimpfe ich auf die
Werbeindustrie, welche mich ständig verführt, und auf
die Zuckerindustrie, die Hunderte von leckeren Riegeln
anbietet.

Diese überspitzte Darstellung soll uns natürlich nicht
von der Tatsache ablenken, dass in unserem Land nur
etwa 30 Prozent der Bevölkerung normalgewichtig sind.
Nach den neuesten medizinischen Studien ist der
Bauchumfang ein zuverlässigerer Risikoindikator für
Herz-Kreislauf-Probleme als der bisher angewandte
Body-Mass-Index, der sich am Gesamtgewicht orien-
tiert. Je höher die Ansammlung von Körperfett in der
Leibesmitte ist, umso höher ist das Gesundheitsrisiko.
Ich möchte Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die
von den Medizinern ermittelten Grenzwerte nicht vor-
enthalten, aber bitte erschrecken Sie nicht: Bei den Da-
men sollte der Bauchumfang etwa 80 Zentimeter nicht
übersteigen, und die „grenzwertige Schwabbelmasse“
der Männer – ein schöner Ausdruck aus dem „Focus“
18/2007 – liegt bei 74 Zentimetern.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: „Hüftgold“ nennt man das!)


Ich empfehle Ihnen, meine lieben männlichen Kollegen,
bei Gelegenheit den hochinteressanten „Focus“-Leitarti-
kel „Verflixter Bauch“ zu lesen.


(Zuruf von der SPD: Männer brauchen eine extra Diät!)


Aber wie immer überreagieren wir in Deutschland. Zum
Menschen gehören nicht nur der Körper, sondern insbe-
sondere auch der Geist und die Seele. Auch das sollten
wir nicht vergessen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Detlef Parr [FDP]: Mens sana in corpore sano!)


Die Meinung unserer Großeltern, dass runde Kinder
auch gesunde Kinder sind, ist medizinisch längst wieder-
legt. Auch das übertriebene Schlankheitsbild unserer
Zeit entspricht keiner gesunden Lebensweise. So sind
bereits 20 Prozent der Kleinkinder übergewichtig und
über 10 Prozent untergewichtig. Bei Schulkindern ver-
stärkt sich diese Tendenz, wie meine Kollegin Frau
Klöckner bereits ausführte. Wer als Kind dick war, bleibt
es meistens ein Leben lang. Fettzellen erinnern sich im-
mer an diesen Start. Von den psychischen Schäden durch
Hänseleien ganz zu schweigen. Ernährungs- und Bewe-
gungsverhalten werden bereits im Kindesalter erlernt.
Allerdings ändern sich gerade im Kinder- und Jugend-
alter die Geschmacksvorlieben. Somit sind sie noch gut
zu beeinflussen.

Verbote sind keine Lösung; auch das wurde heute
schon oft gesagt. Der richtige Umgang mit Lebens- und
Genussmitteln muss erlernt werden. Essen braucht Zeit
– auch das gehört heute dazu –, und Genießen muss ge-
konnt sein. Ein aktiver Lebensstil muss deshalb vom
ersten Tag an gefördert werden, damit Übergewicht gar
nicht erst entsteht. Dazu gehört auch, dass nicht Zahn-
pastaprodukte für Kinder schon mit Zucker versehen
werden, um den Geschmacksnerv anzuregen.

Der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für
Gynäkologie und Geburtshilfe, Professor Klaus Vetter,
berichtete, dass schon die Neugeborenen heute sehr viel
größer und schwerer sind. Als vor 34 Jahren mein erster
Sohn geboren wurde, waren Kinder mit 2,5 Kilogramm
normalgewichtig. Schaue ich heute in die Lokalpresse,
in der Neugeborene meiner Heimat vorgestellt werden,
stelle ich fest, dass das Durchschnittsgewicht zwischen
3,5 und 4 Kilogramm liegt. Auch größer sind die Babys
geworden. Verantwortlich dafür sind angeblich das hohe
Geburtsalter der Mütter und hierdurch hervorgerufene
Stoffwechselstörungen, die sich häufig in Übergewicht
der Babys niederschlagen.

Das spätere Gewicht eines Menschen wird bereits vor
der Geburt durch das Gesundheitsverhalten der Mutter
und die Gewichtsentwicklung in den ersten Lebensjah-
ren maßgeblich mitgeprägt. Deshalb erwarte ich von den
Müttern eine bewusste Ernährung während der Schwan-
gerschaft – natürlich ohne zu rauchen; auch dieses
Thema darf man hier nicht aussparen – sowie die Bereit-
schaft, das Neugeborene zu stillen.

Für eine erfolgreiche Prävention gegen Übergewicht
im Kindes- und Jugendalter müssen die Maßnahmen auf
den sozialen Status und die geschlechtsspezifischen Un-
terschiede ausgerichtet sein. Prävention muss bedürfnis-
gerecht sein, sonst ist sie wirkungslos. Im Vordergrund
muss das spielerische Erlernen von Handlungskompe-
tenzen statt der alleinigen Vermittlung von Wissen ste-
hen.

Im Geiseltal im Süden von Sachsen-Anhalt gibt es die
Kneipp- und Naturkindertagesstätte „Gänseblüm-
chen“, die seit 1990 genau diesen Denkansatz in absolut
vorbildlicher Weise umsetzt. In dieser Naturkindertages-
stätte, umgeben von Wald, Wiesen und Feldern, haben
die Kinder die optimale Voraussetzung, die Vielfalt von
Naturerlebnissen zu entdecken, die Wirkprinzipien der
kneippschen Lehre am eigenen Körper zu spüren, die
Wirkung von Heilkräutern auf die Gesundheit zu erfah-
ren und gemeinsam zu kochen. Die Naturkindertages-
stätte hat 2002 im Rahmen der Kampagne „Fit Kid“
erfolgreich mit dem Beitrag „Unsere kunterbunte Kin-
derküche“ teilgenommen. Bei meinem Besuch dort war
ich beeindruckt von der spielerischen und mit der Natur
in Einklang stehenden Art, den Kindern ganzheitliche






(A) (C)



(B) (D)


Uda Carmen Freia Heller
Bildung nahezubringen und kindliche Kompetenz zu
stärken. In der vergangenen Woche überraschten die
Kneipp-Kinder die benachbarten Grundschüler mit ge-
sunden und leckeren Pausenbroten – ich denke, eine
tolle Aktion.

Ich bin der festen Überzeugung, dass ein solcher
ganzheitlicher und gleichzeitig kreativer und individuel-
ler Ansatz langfristig auch der Schlüssel zur Lösung ei-
niger unserer Probleme ist – Ernährungserziehung in
spielerischer Weise. Sachsen-Anhalt gehört zu den we-
nigen Ländern, die im Schulgesetz verankert haben, dass
Schulträger eine warme Vollwertmahlzeit für alle Schü-
lerinnen und Schüler anbieten müssen. Das gibt es also
schon. Diese wird überwiegend durch Fernversorger ge-
währleistet. Hilfreiche Broschüren werden den Verant-
wortlichen an die Hand gegeben. Ich habe einmal zwei
mitgebracht: „Schulspeisung – gesund und lecker!
Handlungsanleitung für Caterer“ und „Schulessen – Wie
wählen wir den richtigen Anbieter? Eine Entscheidungs-
hilfe für Eltern und Lehrer“.

Unsere Landesregierung, die übrigens die einzige in
Deutschland ist, die einen Anspruch auf Kinderbetreu-
ung ab dem Tag der Geburt im Gesetz festgeschrieben
hat, ist bemüht, diese Betreuungsphase mit vielfältigen
Arbeitsprogrammen in den Kitas zu begleiten, basierend
auf der Erkenntnis, dass gesunde Ernährung und ausrei-
chend Bewegung bereits im frühen Kindesalter erlernt
werden können. Auf Grundlage der Bildungspro-
gramme wird das Modellprojekt „Bildung durch Bewe-
gung in Kindertagesstätten“ durchgeführt und mit Lan-
desmitteln gefördert. Wissenschaftler am Institut für
Sportwissenschaften der Otto-von-Guericke-Universität
Magdeburg haben gemeinsam mit sechs Kindertages-
stätten ein Förderprogramm entwickelt, das die Praxis in
den Kitas mit zahlreichen Beispielen und methodischen
Hinweisen unterstützt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1609703900

Frau Kollegin Heller, kommen Sie bitte zum Schluss.


Uda Heller (CDU):
Rede ID: ID1609704000

Ja. – Bewusst wurde hier ein fachpolitischer Schwer-

punkt gesetzt.

Ich begrüße sehr die Pläne der Bundesregierung, Er-
nährung und Gesundheit als Pflichtfach in die Lehr-
pläne der Schulen aufzunehmen.


(Ute Kumpf [SPD]: Sie scheint den Präsidenten nicht gehört zu haben!)


Flankierend dazu sollte der Sportunterricht wieder deut-
lich aufgewertet werden; denn durch Stundenreduzie-
rung wurden die vorschulkindlichen Aktivitäten zurück-
geführt. Zu den Schulzeiten meiner beiden Söhne gab es
das Grundfach „Schulgarten“, welches mit praktischer
Tätigkeit den Anbau von Obst und Gemüse auf eigens
dafür vorgesehenen Flächen ermöglichte.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1609704100

Frau Kollegin Heller, Ihre Redezeit ist längst abgelau-

fen.

Uda Heller (CDU):
Rede ID: ID1609704200

Ja. – Wer miterlebt, wie viel Mühe


(Heiterkeit – Detlef Parr [FDP]: Keine Reaktion!)


die Aufzucht eines Pflänzchens macht, der weiß auch
den Genuss eines frischen Salatkopfes mehr zu schätzen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1609704300

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt

hat die Kollegin Waltraud Wolff von der SPD-Fraktion
das Wort.


Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1609704400

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist uns doch al-
len klar, dass falschem Ernährungsverhalten und Bewe-
gungsmangel gesetzlich nicht entgegengewirkt werden
kann.


(Detlef Parr [FDP]: Dann lassen Sie es auch!)


Wir müssen auf Freiwilligkeit setzen und die Menschen
in ihrem Alltag abholen. Genau aus diesem Grund ist
dieser Aktionsplan von Herrn Bundesminister Seehofer
gut und richtig!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Und Ulla Schmidt!)


Liebe Kollegin Ulrike Höfken, Sie sprechen von einer
Absichtserklärung und leeren Worten. Wenn wir aber auf
ein Mitmachen setzen, den Föderalismus als Chance be-
greifen und genau diese Programme von unten her be-
gleiten, dann haben wir auch eine Chance, die Menschen
zu erreichen. In Ihrem Vortrag war die Rede von acht
Stunden Schulunterricht ohne Mittagessen. Da kann ich
den Kindern aus Rheinland-Pfalz nur empfehlen:
Kommt nach Sachsen-Anhalt. Da gibt es Mittagessen,
und zwar ein gesundes. – Das hat meine Kollegin Uda
Heller eben gesagt.


(Widerspruch bei der FDP – Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


In den wenigsten Familien ist es heute so, dass noch
regelmäßig gemeinsam gegessen wird. Dafür nimmt der
Konsum von Fertiggerichten zu; das wissen wir alle. Wir
haben in dieser Debatte auch festgestellt, dass veränderte
Lebensstile zu verändertem Bewegungsverhalten und
fehlendes Wissen um gesunde Ernährung zu Fehlernäh-
rung führen. An dieser Stelle müssen wir gegensteuern.
Die Debatte zeigt, dass wir das – auch wenn wir unter-
schiedliche Wege suchen – alle wollen.

Diese Debatte zeigt auch deutlich, dass sich gesundes
Verhalten und die Prävention von Fehlernährung und
Bewegungsmangel nur durch ein Bündel von Maßnah-
men umsetzen lassen. Wir haben uns in unserem Antrag
auf das Essverhalten von Kindern und Jugendlichen
konzentriert, und wir planen ein solches Bündel gemein-






(A) (C)



(B) (D)


Waltraud Wolff (Wolmirstedt)

sam mit dem Aktionsplan der Bundesregierung. Die
Maßnahmen sind notwendig, sinnvoll und ein Baustein
einer vorsorgenden Politik, der – das bitte ich Sie zu be-
denken – nicht allein steht. Dass es zum Gesundheits-
ministerium und zum Familienministerium Kontakte
gibt und eine gemeinsame Aktion läuft, ist deutlich ge-
worden.

Das Öko-Institut hat gestern gemeinsam mit anderen
Organisationen gefordert, dass in einen Aktionsplan Er-
nährung auch ökologische und ethische Werte und As-
pekte aufgenommen werden müssen. Das stimmt! Es ist
wichtig, bei der Produktion und dem Konsum von Le-
bensmitteln die Umwelt und die fairen Handelsbezie-
hungen im Auge zu behalten. Umgekehrt gilt natürlich,
dass Lebensmittel, wenn sie nur als Sonderangebot
wahrgenommen werden, an Wertschätzung verlieren.
Das sage ich ganz bewusst auch als Landwirtschaftspoli-
tikerin. Das darf nicht sein!

Wir sollten aber eines nicht tun: Wir sollten diese De-
batte zum Thema der Fehlernährung hier und heute nicht
überladen. Wir haben in unserem Antrag den Schwer-
punkt auf das Ernährungs- und Bewegungsverhalten von
Kindern und Jugendlichen gelegt, und zwar aus gutem
Grund. Gesundes Verhalten muss möglichst früh gelernt
werden. Wir müssen deshalb bei Kindern und Jugendli-
chen das Bewusstsein dafür wecken, dass gutes Essen
wirklich schmeckt, dass gesundes Verhalten die Lebens-
qualität verbessert und dass Spaß und Freude einziehen.

In der letzten Wahlperiode haben wir die Plattform
Ernährung und Bewegung gegründet. Damit haben wir
angefangen, alle gesellschaftlichen Gruppierungen zu
vernetzen. Darauf bauen wir jetzt auf. Wir wollen die Ju-
gendlichen in ihrem Lebensumfeld erreichen.

Es gab in der letzten Legislaturperiode einen Wettbe-
werb, von dem ich ganz kurz berichten möchte. Es gab
nämlich in meinem Wahlkreis, in Barleben, einen Wett-
bewerbsgewinner. Die NABU-Ortsgruppe hat mit der
Einrichtung einer Vollwertküche gepunktet. Die Kinder
in einer Sekundarschule bieten selber eine Pausenversor-
gung an, die sie aus gesunden Nahrungsmitteln herstel-
len. Sie bieten ihren Mitschülerinnen und Mitschülern
Getränke an, die auch angenommen werden. Das ist ein
Beispiel dafür, dass man auf Freiwilligkeit setzen kann
und setzen soll.

Wir behandeln diesen Tagesordnungspunkt in der
Kernzeit, weil es sich um ein ganz wichtiges gesell-
schaftspolitisches Thema handelt. Wir werden in der Zu-
kunft mit Problemen im Gesundheitssystem zu rechnen
haben,


(Detlef Parr [FDP]: In der Zukunft? Jetzt schon!)


wenn wir die Fehlernährung nicht als wichtiges Thema
begreifen. Wir nehmen diese Verantwortung mit dem
heute vorgestellten Gesetzentwurf genauso wie mit den
anderen Bausteinen unserer Politik an.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Für uns als
Abgeordnete des Deutschen Bundestages hätte ich zum
Schluss eine kleine Idee. Wir sollten vielleicht einmal
über eine Mittagspause nachdenken


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


und möglicherweise auch über Duschen in den Büroräu-
men, damit man zwischendurch einmal Joggen gehen
kann.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1609704500

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/5258 und 16/5271 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weite-
ren Stärkung des bürgerschaftlichen Engage-
ments

– Drucksache 16/5200 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Katrin Kunert,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
LINKEN

Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements

– Drucksache 16/5245 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Kultur und Medien

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es
dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so
beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Kollegin Petra Hinz von der SPD-Fraktion das
Wort.


Petra Hinz (SPD):
Rede ID: ID1609704600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! In der Tat hat dieser Gesetzentwurf eine lange
Geschichte. Auf die Verbesserung des Gemeinnützig-






(A) (C)



(B) (D)


Petra Hinz (Essen)

keitsrechts arbeitet die SPD-Bundestagsfraktion seit vie-
len Jahren hin. Mit der Einsetzung der Enquete-Kom-
mission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“
im Dezember 1999 wurde der Grundstein gelegt. Im Juni
2002 wurde der Unterausschuss „Bürgerschaftliches
Engagement“ ins Leben gerufen.

Jetzt reden wir über den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung, der vor der Sommerpause verabschiedet werden
soll. Bereits jetzt möchte ich darauf hinweisen, dass die
Vertreterinnen und Vertreter im Bereich des bürger-
schaftlichen Engagements sehr großen Einfluss auf das
gehabt haben, was heute vorliegt. Wir reden über eine
Entlastung in der Größenordnung von 440 Millionen
Euro. Damit kommen wir den Menschen entgegen, die
sich ehrenamtlich für unsere Gesellschaft engagieren.


(Beifall bei der SPD)


Ich möchte hier insbesondere diejenigen erwähnen,
die vom ersten Tag an dabei waren. Für meine Fraktion
sind das Michael Bürsch und Ute Kumpf. Wir haben in
den vergangenen Monaten die Diskussion über die Über-
arbeitung der rechtlichen Rahmenbedingungen intensiv
geführt und für eine weitere Stärkung des Gemeinnützig-
keits- und Spendenrechts geworben.

Ehrenamtliches Engagement muss gefördert werden
und darf nicht erschwert werden. Mit diesem Gesetzent-
wurf, den wir in den nächsten Wochen beraten werden,
werden Belastungen für die Ehrenamtlichen vermieden
und Anreize geschaffen.

Die entscheidenden Regelungen für die Bestimmung
des Gemeinnützigkeits- und Spendenrechts finden sich
in verschiedenen Gesetzen wieder. Ich erwähne hier nur
einige, um deutlich zu machen, wie schwierig es ist, sich
in unserer Gesellschaft ehrenamtlich zu engagieren.

Das Einkommensteuergesetz gibt die steuerliche Be-
handlung von Zuwendungen an gemeinnützige Organi-
sationen vor. Die Einkommensteuer-Durchführungsver-
ordnung enthält eine Aufzählung gemeinnütziger
Zwecke, nach denen Zuwendungen einkommensteuer-
lich geltend gemacht werden können. Schließlich defi-
niert die Abgabenordnung gemeinnützige, mildtätige
und kirchliche Zwecke, für die eine steuerliche Begüns-
tigung vorgesehen ist.

Diese Vielzahl von gesetzlichen Regelungen führt im-
mer wieder zu Intransparenz und erhöhtem Aufwand für
die Finanzbehörden, aber auch – das ist entscheidend –
zu einer unterschiedlichen Behandlung gleicher Tatbe-
stände, weil die Finanzämter je nach Bundesland unter-
schiedlich bewerten. Die steuerliche Begünstigung von
gemeinnützigen Organisationen ist sehr wichtig und
wird auch in Zukunft eine herausragende Rolle spielen.
Ziel der anstehenden Ausschussberatungen muss es sein,
die gesetzliche Grundlage zu vereinfachen und gleich-
zeitig mögliche Fehlinterpretationen von vornherein zu
vermeiden.

Die Koalition ist sich einig – das kann ich, glaube ich,
auch für die CDU/CSU sagen; denn ich beziehe mich auf
den Koalitionsvertrag –, dass bürgerschaftliches Engage-
ment in Deutschland unverzichtbar geworden ist. Wir
benötigen eine gute Förderung des bürgerschaftlichen
Engagements auch deshalb, weil es den Staat von Auf-
gaben in vielen gesellschaftlichen und sozialen Berei-
chen entlastet,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


zu deren Erfüllung der Staat aufgrund seiner finanziellen
Ausstattung nicht mehr in der Lage ist.

Jetzt möchte ich einige Fakten nennen. Die Zahlen,
die ich nennen werde, stammen nicht vom BMF. Viel-
mehr habe ich gestern eine Ehrenamtsagentur in Essen
angerufen, die mir folgende Zahlen nannte: Es gibt in
Deutschland 23 Millionen ehrenamtlich tätige Men-
schen. Das sind rund 36 Prozent der Gesamtbevölke-
rung. Nahezu jeder dritte Bundesbürger über 14 Jahre
engagiert sich ehrenamtlich. Von der Sozialstruktur her
sind es Schüler, Studenten, Auszubildende sowie Rent-
ner und Arbeitslose oder Angehörige besonderer Berufs-
gruppen, die sich ehrenamtlichem Engagement und der
Erfüllung gesellschaftlicher Aufgaben kostenlos stellen.

Wir reden hier über Steuervergünstigungen. Ich
habe am Montag ein Gespräch mit einer Kollegin aus
dem ehrenamtlichen Bereich, aus dem Sportbereich, ge-
führt. Sie sagte – dies hat mich sehr beeindruckt –, wir
dürften mit dem, was wir hier zu Recht beschließen
wollten, nicht zwei Klassen von Ehrenamtlichen schaf-
fen, nämlich diejenigen, die keine Möglichkeit hätten,
etwas steuerlich abzusetzen, und diejenigen, die wir jetzt
zu Recht fördern wollten.

Was bedeutet ehrenamtliches Engagement für den
Staat in Geldleistung und Arbeitsstunden? Ehrenamtli-
che leisten durchschnittlich zwei Arbeitsstunden pro
Woche. Dies sind somit 46 Millionen Arbeitsstunden in
der Woche. Man sollte sich einmal vorstellen, wie viel
gemeinnützige Arbeit durch Ehrenamtliche in den Kom-
munen übernommen wird. Für ganz Deutschland erge-
ben sich somit rund 2,4 Milliarden Arbeitsstunden pro
Jahr.

Setzt man nun den angestrebten Mindestlohn von
7 Euro an – hierbei geht es um eine zukunftsgerichtete
Diskussion –, dann lässt sich aus der Tätigkeit der Eh-
renamtlichen ein geldwerter Vorteil in einer Größenord-
nung von – ich erlaube mir, diesen Betrag zu runden –
17 Milliarden Euro pro Jahr errechnen. An dieser Stelle
sollte man all denjenigen ein Dankeschön sagen, die sich
in diesem Bereich engagieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Um welche Bereiche geht es? Das sind die Bereiche
Sport und Bewegung; wir haben gerade eine sehr aus-
führliche Diskussion zu diesem Thema geführt. Es geht
um die Bereiche Schule und Kindergärten, um soziale
Bereiche, um die Kultur und die Feuerwehr bzw. Ret-
tungsdienste. Alle in diesen Bereichen Tätigen engagie-
ren sich für den Staat, ohne zu fragen: Was bringt mir
das?

Bürgerschaftliches Engagement muss mit Nachdruck
gefördert werden – darum geht es –, sodass die Freiwilli-






(A) (C)



(D)


Petra Hinz (Essen)

gen bei ihrer Leistung für unsere Gesellschaft weder
finanzielle Nachteile haben noch ohne Schutz des Staa-
tes sind. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage
der Haftung anzusprechen.

Vor dem Hintergrund der Entwicklung unserer Ge-
sellschaft muss auch gesagt werden, dass es nicht aus-
reicht, Anreize für freiwilliges Engagement nur in der
Jugend zu schaffen. Mit diesem Entwurf wollen wir viel-
mehr generationsübergreifend Anreize schaffen – auch
das ist ein ganz wichtiger Aspekt –, um alle Alters- und
Berufsschichten sowie Generationsgruppen zu motivie-
ren, einen Dienst für die Gesellschaft zu leisten.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass die
Entbürokratisierung Einzug hält. Ich habe gerade über
die verschiedenen Steuerrechtstatbestände gesprochen,
die unterschiedlichst greifen. Meine Fraktion steht dafür,
in den Fachausschussberatungen das Gemeinnützigkeits-
und Spendenrecht so zu verbessern und zu vereinfachen,
dass die gewünschten größeren Anreize, sich ehrenamt-
lich zu engagieren, auch tatsächlich entstehen.

Was steht jetzt im Einzelnen im Entwurf? Ich will
ganz kurz die Überschriften nennen. Es geht um die An-
hebung der Übungsleiterpauschale. Der Freibetrag soll
von 1 848 Euro auf 2 100 Euro angehoben werden. Es
geht um die Einführung einer Steuerermäßigung für die
ehrenamtliche Tätigkeit zur Förderung mildtätiger Zwe-
cke. Dies betrifft all diejenigen Menschen, die stille
Arbeit leisten, wenn sie sich um ältere, kranke und be-
hinderte Menschen kümmern und dies in einem Zeitauf-
wand von mindestens 20 Stunden im Monat tun. Hier ist
die Einführung einer Steuerermäßigung in Höhe von
300 Euro vorgesehen.

Die Anhebung der Zweckbetriebsgrenze: All diejeni-
gen, die in Vereinen aktiv sind, kennen die Thematik. Es
geht um die Vereinsgaststätte. Der Verein lebt von der
Vereinsgaststätte. Hier wird darüber diskutiert, die Be-
steuerungsgrenzen anzuheben.

Sonderausgabenabzug von Mitgliedsbeiträgen in Kul-
turfördervereinen: Hier geht es um die sogenannten
Freikarten und alles, was damit zusammenhängt. Ei-
gentlich wäre das steuerrechtlich als geldwerter Vorteil
zu sehen. Aber in diesem Fall soll es nicht angerechnet
werden.

Absenkung des Haftungssatzes: Er soll von 40 auf
30 Prozent gesenkt werden. Das darf man nicht unter-
schätzen. Denn gerade die gemeinnützig und ehrenamt-
lich Tätigen müssen sich darauf verlassen können, dass
die Zuwendungen, die sie in Form von Spenden erhalten,
rechtlich abzusetzen sind und das einer rechtlichen Prü-
fung standhält.

Ein anderer Bereich ist der der Stiftungen. Wir haben
gestern in der Beilage einer Zeitung vieles über Stiftun-
gen lesen können. Was wären wir ohne unsere ehrenamt-
lich Tätigen und auch ohne unsere Stiftungen? Alle die,
die im kommunalen Bereich aktiv sind, wissen, dass sehr
viele Angebote im Freizeitbereich, im Jugendbereich
und im Sportbereich durch Stiftungen gefördert werden.
Auch hier sind weitere Verbesserungen möglich.
Zusammengefasst sage ich: Ich wünsche uns eine in-
tensive und faire Beratung. Wir sollten hervorheben,
dass wir auf Grundlage dieses Gesetzentwurfs – Herr
Präsident, ich sehe, dass meine Redezeit abgelaufen ist;
ich komme zum Schluss – den Ehrenamtlichen über
440 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Wir sollten
aber auch immer im Hinterkopf behalten, dass wir keine
zwei Klassen der ehrenamtlich Aktiven schaffen.

Ich freue mich auf die Beratung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1609704700

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Volker Wissing

von der FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Eduard Oswald [CDU/CSU])



Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1609704800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

brauche hier nicht lange zu betonen, wie wichtig uns das
Ehrenamt ist. Es gibt keinen hier im Raum, dem das
Thema nicht besonders am Herzen liegt. In dieser Frage
unterscheiden wir uns nicht.

Ich komme deshalb gleich auf das zu sprechen, was
uns unterscheidet. Das ist die Beurteilung der Qualität
dieses Gesetzentwurfs. Der Entwurf ist unter dem Strich
gesehen schwach. Sie, Frau Kollegin Hinz, haben darauf
hingewiesen, dass der Entwurf jetzt im Rahmen der Be-
ratung verbessert werden muss.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Haben Sie ihn wirklich gelesen?)


Angeblich wollen Sie mit diesem Entwurf das bürger-
schaftliche Engagement stärken. In nahezu allen Berei-
chen, die strukturelle Fragen betreffen, ist der Entwurf
aber die Fortschreibung des Status quo. So stärken Sie
das Ehrenamt letztlich nicht. Sie nennen sich Große Ko-
alition, bringen aber nichts Großes zustande.


(Ute Kumpf [SPD]: Sie sind wohl nicht in der Community unterwegs, Herr Kollege Wissing!)


Schauen wir uns einmal an, was Sie uns hier präsen-
tieren. Sie satteln bei einigen Steuervergünstigungen
drauf und lassen sämtliche Strukturfragen offen.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Welche denn zum Beispiel?)


– Ich komme noch darauf zu sprechen, Herr Kollege.

Man fragt sich, ob Sie sich ein einziges Mal Gedan-
ken über das Verhältnis des Ehrenamts zu Staat und
Markt gemacht haben.


(Ute Kumpf [SPD]: Das tun wir ständig! – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Lesen Sie den Enquete-Bericht! 800 Seiten!)


Der Entwurf ist derart obrigkeitsgeprägt, dass man nur
mit dem Kopf schütteln kann. Im Mittelpunkt steht bei

(B)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Volker Wissing
Ihnen nicht eine selbstbewusste Zivilgesellschaft, die
selbstständig über Art und Umfang ihres Engagements
entscheidet,


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Doch!)


nein,


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Natürlich! Die wird vorausgesetzt!)


bei Ihnen steht der Staat, der über das bürgerschaftliche
Engagement urteilt, im Zentrum des Geschehens.


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Eine Würdigung des Engagements! – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Wir reden anscheinend nicht über denselben Entwurf!!)


Sie haben das sehr schön gesagt: Es gibt Gruppen, die
Ihnen mehr wert sind, und Gruppen, die Ihnen weniger
wert sind.


(Ute Kumpf [SPD]: Ich empfehle die EnqueteKommission! Reden Sie mit Ihrem Vertreter in der Enquete-Kommission!)


Was dem Staat gefällt, wird finanziell unterstützt, und
die restliche Zivilgesellschaft wird bestenfalls ignoriert.
Es wäre ein Fortschritt, wenn Sie es geschafft hätten, den
Staat zurückzunehmen.


(Beifall bei der FDP)


Es ist doch in erster Linie Sache der Bürgerinnen und
Bürger, zu entscheiden, wofür sie sich in welchem Um-
fang engagieren möchten.


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Für den Staat! Freiwillig!)


– Ja, sie tun das freiwillig in ihrer Freizeit. Deswegen
wäre es schön, wenn wir nicht einzelne Aufgaben bevor-
zugen und andere ausschließen würden, wie Sie es tun.


(Beifall bei der FDP)


Richtig wäre es gewesen, wenn man für alle Formen
des bürgerschaftlichen Engagements klare und gerechte
Rahmenbedingungen geschaffen hätte. Genau das ist
mit dem Entwurf bisher nicht gelungen und muss verän-
dert werden. Die Zivilgesellschaft braucht einen Wech-
sel vom gewährenden hin zum ermöglichenden Staat.
Genau das schaffen Sie nicht. Wir brauchen vor allen
Dingen auch eine deutlich erkennbare Abgrenzung zwi-
schen den drei Akteuren Markt, Staat und Zivilgesell-
schaft.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Dazu findet man in Ihrem Entwurf kein Wort.

Im Zusammenspiel von Zivilgesellschaft und privaten
Dienstleistungsunternehmen sind eine ganze Reihe von
Wettbewerbsfragen zu klären, die Sie nicht ansatz-
weise beantworten. Auch was die Vereinfachung angeht,
kommen wir mit Ihrem Entwurf nicht weiter. Sie haben
es nicht geschafft, die steuerrechtliche Behandlung
gemeinnütziger Organisationen grundlegend einfacher
zu gestalten. Sie haben es nicht geschafft, die für Ehren-
amtliche besonders wichtigen Vorschriften in einem
Gesetzbuch zusammenzufassen. Sie haben es nicht
geschafft, das Akkreditierungsverfahren zu vereinfa-
chen.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Darüber kann man streiten!)


Das wäre gerade für kleinere zivilgesellschaftliche Orga-
nisationen, die oft keine steuerliche Relevanz haben,
ohne Kostenaufwand möglich gewesen. Von all dem fin-
det sich in diesem Gesetzentwurf nichts.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Sie haben ihn trotzdem nicht gelesen! Sie wissen nicht, was drinsteht! Blindflug! Absoluter Blindflug!)


– Herr Bürsch, ich kann die Reihe der Mängel fortsetzen.
Wir bräuchten auch dringend mehr Transparenz im Be-
reich der Zivilgesellschaft. In Ihrem Gesetzentwurf steht
darüber null.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Mit so wenig Ahnung hat noch niemand über dieses Thema geredet! Nicht zu fassen!)


Die Frage der Transparenz ist eine ganz wesentliche
Frage;


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Lassen Sie doch Frau Laurischk reden! Sie weiß wenigstens, worüber sie redet!)


denn wenn Sie zivilgesellschaftliche Organisationen pri-
vilegieren, dann schulden diese der Öffentlichkeit auch
Informationen. Das übergehen Sie in Ihrem Entwurf ein-
fach.

Wie Sie mit dem Stiftungswesen umgehen,


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Sehr großzügig!)


das haben Sie ja hervorgehoben:


(Ute Kumpf [SPD]: Das haben wir ausgebaut!)


Sie haben eine Grenze von 750 000 Euro eingeführt, und
lassen sich jetzt als großzügige Stiftungskulturförderer
feiern.


(Ute Kumpf [SPD]: Reden Sie mit den Stifterverbänden!)


Das ist aber kein Aufbruchssignal; das ist schwach. Das,
was Sie uns hier präsentieren, sind kleine Schritte.


(Beifall bei der FDP)


Dabei wäre es dringend nötig, die Stiftungskultur in
Deutschland zu fördern.


(Ute Kumpf [SPD]: Wir sind gerade dabei! – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Es hat seit 2002 einen Boom gegeben!)


Wir brauchen Stiftungen. Schauen Sie sich an, was sich
in anderen Ländern vollzieht. Gerade im kulturellen Be-
reich haben wir viel zu erwarten. Hier liegen enorme
Chancen. Diese Chancen kann man in unserem Land
aber nicht wecken, wenn man es so macht wie Sie und
sich auf einen Höchstbetrag von 750 000 Euro be-
schränkt. Sie starten angeblich durch, verwechseln aber
leider das Gaspedal mit der Bremse.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Volker Wissing

(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Da bin ich ja auf die Alternative der FDP gespannt!)


Wenn man bedenkt, dass diese halbherzige Politik
auch noch Millionen an Steuergeldern verschlingt, bleibt
am Ende eine nüchterne Bilanz dessen, was Sie uns bis-
her vorgelegt haben.


(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Wir machen nichts, aber es kostet viel! Seltsam!)


Zwar wird keiner, für den Sie mit diesem Gesetzentwurf
Verbesserungen schaffen, Ihr Vorhaben kritisieren, es
gibt aber viele, die sich ehrenamtlich engagieren, an die
Sie nicht gedacht haben, die nicht profitieren. Alle, die
in einer Zivilgesellschaft aktiv sind, werden spüren, dass
Ihnen hier kein großer Wurf gelungen ist. Ich denke, Sie
hören selbst die Kritik aus den Verbänden.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Da war die große Abteilung Lob dabei! Selektive Wahrnehmung, Herr Kollege!)


Deswegen muss nachgearbeitet werden. Der vorlie-
gende Entwurf ist unterm Strich armselig, nicht offen-
herzig und stärkt die Zivilgesellschaft in keiner Weise.
Deswegen muss dieser Gesetzentwurf, der nichts ande-
res als eine in Gesetzesform gegossene Anspruchslosig-
keit der Großen Koalition darstellt, verändert werden.
Wir brauchen eine selbstständige, selbstbewusste und
von Markt und Staat klar abgegrenzte Zivilgesellschaft.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Die haben wir schon, Herr Kollege!)


Die wollen Sie offensichtlich nicht.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Doch!)


Zumindest sind Sie auf dem falschen Weg.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Der hat keine Ahnung, wovon er redet! Das ist eine Zumutung!)


Wir werden uns an den Beratungen aktiv beteiligen, da-
mit wir einen Schritt weiterkommen.

Was Sie bisher zum Ehrenamt vorgelegt haben, ist
wenig, sehr wenig. Da ist mehr drin. Die Menschen, die
sich in ihrer Freizeit für die Gesellschaft engagieren, ha-
ben mehr verdient. Lassen Sie uns in den Beratungen
mehr daraus machen als das, was die Bundesregierung
vorgelegt hat!


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Nicht mit dem Sachverstand, den Sie einbringen, wirklich nicht!)


Das ist für die deutsche Zivilgesellschaft zu wenig.


(Beifall bei der FDP – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das war das Wort zum Sonntag!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1609704900

Das Wort hat der Kollege Eduard Oswald von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1609705000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Kollege Volker Wissing, ich bedauere, dass Sie den Ge-
setzentwurf in dieser pauschalen Form ablehnen, ohne
sich mit den Details überhaupt beschäftigt zu haben. Das
ist sicher der falsche Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir alle wissen: Ohne Ehrenamt ist kein Staat zu ma-
chen. Jede Gemeinschaft lebt von den Menschen, die
mehr tun, als es ihre unmittelbare Pflicht ist. Deshalb ist
es unsere Verpflichtung und unsere Aufgabe, all diejeni-
gen zu unterstützen, die sich in Familie, Nachbarschaft
und Ehrenamt einbringen. Unser Ziel als CDU/CSU ist
es, die Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches En-
gagement zu verbessern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wollen die Mitwirkung und Beteiligung der Bürger
ermöglichen. Dieses bürgerschaftliche Engagement
muss der Staat nach Kräften unterstützen, und zwar so-
wohl in organisatorischer als auch in finanzieller Hin-
sicht. Dazu gehört die Schaffung günstiger steuerlicher
Rahmenbedingungen. Dieses Vorhaben der Großen
Koalition, dieser Bundesregierung, ist ein Ausdruck der
gestaltenden Finanzpolitik und ist eine Investition in den
Zusammenhalt unserer Gesellschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die anstehenden Probleme können und dürfen aber
nicht vom Staat allein gelöst werden. Es ist gesell-
schaftspolitisch wünschenswert, dass Bürger in Ergän-
zung zum Staat Gemeinwohlaufgaben übernehmen –
ohne dadurch zum Lückenbüßer staatlicher Politik zu
werden. Wir müssen also eigenbestimmte Handlungsfor-
men und die Übernahme von Verantwortung fördern und
unterstützen. Die Förderung des Gemeinwohls kann da-
bei nicht allein dem notwendigerweise gewinnorientier-
ten Markt überlassen werden.

Eine Gesellschaft ist nur so gut, wie die Menschen be-
reit sind, sich in ihr zu engagieren. Die Gemeinschaft
lebt von denen, die mitspielen, nicht von denen, die zu-
schauen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir brauchen in der Gesellschaft nicht nur Zuschauer
und Schiedsrichter, sondern auch aktive Mitspieler. So
gehört es zur Erziehung zu Werten, zu Bildung für das
Leben, dass schon junge Menschen zu Jugendarbeit, zu
ehrenamtlichem Einsatz, zu Teilnahme am Vereinsleben
ermutigt und unterstützt werden.

Der Staat darf den, der sich für die Gemeinschaft ein-
setzt, nicht alleinlassen. Wenn sich jemand ins Private
zurückzieht, ist dies seine Freiheit. Wer aber bereit ist,
im Ehrenamt einen Beitrag für Staat und Gesellschaft zu
leisten, dem muss die Gemeinschaft mit den notwendi-
gen Rahmenbedingungen helfen. Bürger, die sich enga-
gieren, benötigen einen rechtlichen Handlungsrah-
men, der einfach und deswegen verständlich ist und sie
nicht – etwa durch strenge Haftungsregeln – überfordert.






(A) (C)



(B) (D)


Eduard Oswald
Darüber müssen wir in den Ausschussberatungen inten-
siv reden.

Insgesamt sind wir mit diesem Gesetzeswerk auf dem
richtigen Weg. Es ist gut, dass der Finanzminister das
Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates nicht zur
Grundlage seiner Vorschläge gemacht hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Finanzminister hat mit diesem Entwurf vielmehr die
in der Koalitionsvereinbarung festgelegten und von der
Union immer als Leitlinien geforderten Positionen um-
gesetzt.

Dies ist heute die erste Lesung. Wir werden in den
Ausschüssen und bei einer Anhörung intensiv zu überle-
gen haben, wie wir das, was vorliegt, qualitativ weiter-
entwickeln können. Für uns ist es enorm wichtig, das
Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht zu entbürokra-
tisieren. Vergessen wir nicht, dass auch und gerade breite
Bereiche des kulturellen Lebens auf bürgerschaftlichem
Engagement beruhen. Sowohl die geplante verbesserte
steuerliche Absetzbarkeit dieses Engagements als auch
die Erhöhung der Spendenabzugsfähigkeit auf 20 Pro-
zent sind ein wichtiges Signal der Ermutigung an die
Bürgerinnen und Bürger, sich zugunsten des Allgemein-
wohls zu engagieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Zusammenführung von spendenbegünstigten und
gemeinnützigen Zwecken aus der Abgabenordnung und
der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung in die-
sem Katalog ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu
weniger Bürokratie und hat unsere volle Unterstützung.

Natürlich haben wir noch Diskussionsbedarf, vor al-
len Dingen im Hinblick darauf, dass die Zwecke ab-
schließend aufgezählt werden sollten. Wir möchten die
Kreativität der engagierten Bürgerinnen und Bürger
nicht durch abschließende Regelungen bremsen. Sehr
wertvoll und wohltuend war die bayerische Initiative
„10 plus 10“. Auch die Beratungen des Bundesrates
müssen wir mit heranziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Ein bisschen viel! Wenn Bayern das finanziert, können wir darüber reden!)


Das Gemeinnützigkeitsrecht in unser aller Sinne soll
eine Einladung zum Mitmachen aussprechen und offen
für neue Impulse aus der Mitte der Gesellschaft sein.
Dieser Gesetzentwurf ist eine Investition in den Zusam-
menhalt unserer Gesellschaft. Dies geht nur, indem wir
– Frau Kollegin Hinz hat schon darauf hingewiesen –
auch finanzielle Mittel einsetzen. Natürlich steht für uns
Haushaltskonsolidierung an erster Stelle des politi-
schen Handelns. Die vorgesehenen rund 400 Millionen
Euro sind für uns Leitlinie. Angesichts der allgemeinen
Finanzsituation ist klar, dass wir nicht jeden Wunsch er-
füllen können; denn natürlich gibt es viele Wünsche. Es
ist unsere Aufgabe, die Verteilung dieser Summe von
400 Millionen Euro zu optimieren. Hierfür werden in
dem Gesetzentwurf zahlreiche Ansatzpunkte gegeben.

Wir als CDU/CSU werben für einen breiten gesell-
schaftlichen Konsens. Kollege Wissing, vielleicht
können Sie sich das auch in den weiteren Beratungen
grundsätzlich noch einmal überlegen. Als ein gutes und
richtiges Signal für die Menschen im Ehrenamt wollen
wir auch hier in diesem Haus einen breiten Konsens. Im
Ehrenamt der Bürger sehen wir einen tragenden Pfeiler
des zukunftsfähigen Sozialstaates.

Das kraftvolle kulturelle Leben und das ehrenamtli-
che Engagement vieler Menschen für Kultur, Tradition
und Brauchtum dürfen natürlich genauso wenig fehlen
wie der große umfassende Bereich des Ehrenamtes im
Sport. Kollege Klaus Riegert wird für unsere Fraktion
darauf eingehen.

Auch die aktuellen Debatten über den Zusammenhalt
der Gesellschaft und über das soziale Miteinander kom-
men hier zum Tragen. Viele Migranten bringen ihre Fä-
higkeiten in die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Kultur,
die Dienstleistungen, das Ehrenamt und den Sport ein.
Auch dies sollten wir hier würdigen.

Wir wollen das Stiftungsrecht weiterentwickeln, um
die Errichtung von Stiftungen zu erleichtern und zusätz-
liche Anreize für Zuwendungen zu schaffen. Kollege
von Stetten wird dazu etwas sagen.

Wir müssen auch darüber reden, wie wir beim Ge-
setzgebungsverfahren die besonderen Belange der Kul-
tur, der Medien, der Künstler und der Kulturschaffenden
berücksichtigen können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen generell
verdeutlichen, dass ehrenamtliches Engagement weniger
eine Belastung bedeutet, als vielmehr auch eine große
Chance für jeden Einzelnen ist, Fähigkeiten zu entwi-
ckeln, Qualifikationen und soziale Kompetenz zu erwer-
ben, Erfahrungen zu sammeln und damit Sinn und Le-
bensqualität zu gewinnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Man gibt also nicht nur etwas für die Gemeinschaft, son-
dern man bekommt von der Gemeinschaft auch etwas
zurück.

Unser Ziel ist es also, in den anstehenden Beratungen
alles zu tun, um die aktive Bürgergesellschaft, die wir ja
haben – das breite Miteinander der Menschen in diesem
Land –, weiter zu stärken. Das sollten wir insgesamt in
geschlossener Form tun.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1609705100

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Barbara Höll von

der Fraktion Die LINKE.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609705200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bürgerschaftliches Engagement ist die vielfältige Ge-
staltung der Zivilgesellschaft. Es umfasst auch die kriti-
sche Begleitung staatlichen Handelns. Ob im Mieterver-
ein, bei der Stiftung Warentest oder in der politischen
Meinungsfindung: Zur aktiven Bürgergesellschaft, wie
Herr Oswald eben sagte, gehört auch die kritische
Begleitung von Gesetzgebungsverfahren und politi-
schen Großereignissen.

Eine Überschrift in den Zeitungen heute lautet: Poli-
zei schreckt G-8-Gegner mit Großrazzia. Ich glaube, das
bedeutet alles andere als die Förderung bürgerschaftli-
chen Engagements.


(Beifall bei der LINKEN – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Was hat das mit dem Thema zu tun?)


Der Sprecher der Bundesstaatsanwaltschaft erklärte ges-
tern im „heute-journal“ – ich zitiere sinngemäß –: Es
ging nicht darum, terroristische Aktionen aufzudecken.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Frau Kollegin, es ist völlig daneben!)


Dafür gab es keine Anhaltspunkte. Es ging darum, Über-
blick über die Strukturen der G-8-Gegner zu erhalten.

Es ging also darum, das gesamte Spektrum der G-8-
Gegner zu kriminalisieren. Das lehnen wir ab. Der Staat
muss die kritische Begleitung seines Handelns aushal-
ten. Auch das ist Sinn und Zweck bürgerschaftlichen
Engagements.


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist zu begrüßen, dass sich gerade junge Leute aufma-
chen und Gerechtigkeit nicht nur im eigenen Lande, son-
dern weltweit wollen.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Brandsätze sind doch kein bürgerschaftliches Engagement! – Klaus Riegert [CDU/CSU]: Aber doch nicht mit Gewalt!)


Wir unterstützen und begrüßen die Initiative, die zeit-
gleich in Mecklenburg-Vorpommern läuft, nämlich eine
Werbekampagne für friedliche Proteste, die von promi-
nenten Persönlichkeiten in Zusammenarbeit mit der
Polizei in Mecklenburg-Vorpommern unterstützt wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist ein Versuch, zu deeskalieren. Was Sie gestern ge-
tan haben, bedeutet aber pure Eskalation. Das lehnen wir
ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Der gestrige Vorgang zeigt sehr drastisch, dass zwi-
schen dem in Worten geäußerten Willen, was man an
bürgerschaftlichem Engagement möchte, und dem Han-
deln vonseiten des Staates eine Kluft besteht. Engage-
ment der Bürgerinnen und Bürger ist gut, solange es dem
Staat nützt, am besten als Ersatz für fehlendes staatliches
Engagement. Daran krankt auch Ihr Gesetzentwurf.
Auch wenn wir einiges in Ihrem Gesetzentwurf unter-
stützen, ist festzustellen, dass vieles fehlt. Deshalb haben
wir einen eigenen Antrag vorgelegt.


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Ein Kessel Buntes!)


Ihr Gesetzentwurf soll zwar laut seiner Überschrift zur
weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements
führen, ein Blick in den Gesetzentwurf zeigt aber, dass
es darin de facto nur um die Verbesserung der steuer-
lichen Rahmenbedingungen geht.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das ist der Ausschnitt, den wir heute bearbeiten!)


Das ist eindeutig zu wenig. Bereits im Abschlussbericht
der Enquete-Kommission des Bundestages wird die wei-
tere Schaffung von steuerlichen Anreizen als nicht sinn-
voll bezeichnet – das können Sie auf Seite 10 nach-
lesen –: „weil die Schaffung weiterer steuerlicher An-
reize keine angemessene und wirkungsvolle Förderung
des bürgerschaftlichen Engagements darstellt.“

Ich verdeutliche Ihnen das gerne am Beispiel einiger
Zahlen. 23 Millionen Bürgerinnen und Bürger der Bun-
desrepublik engagieren sich ehrenamtlich, 43 Prozent in
Vereinen – vor allem Sportvereine –, Schulen, Kirchen,
Freizeiteinrichtungen oder bei der Feuerwehr. 40 Pro-
zent der Ehrenamtlichen sind erwerbstätig. 27 Prozent
der Arbeitslosen, 37 Prozent der Menschen, die zu
Hause sind, und 28 Prozent der Seniorinnen und Senio-
ren engagieren sich ehrenamtlich.

Es gibt 14 000 Stiftungen und – das ist besonders er-
freulich – inzwischen 147 Bürgerstiftungen. Trotzdem
liegen wir mit diesen Zahlen im europäischen Ver-
gleich gerade noch im Mittelfeld. Norwegen, Schweden,
Finnland und Dänemark – die Staaten, in denen ein star-
ker Sozialstaat existiert und wirkt – weisen ein viel hö-
heres bürgerschaftliches Engagement auf,


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Woher kommen die Zahlen? Die kennen wir nicht! – Ute Kumpf [SPD]: Ich glaube, damit liegen Sie ein bisschen daneben! weil die Bürgerinnen und Bürger dort wissen, dass sie nicht als Lückenbüßerinnen und Lückenbüßer für fehlendes staatliches Agieren missbraucht werden. Bürgerschaftliches Engagement ist nicht nur eine individuelle Entscheidung. Es wird auch stimuliert durch Tradition, Werte, die Art und Weise der Organisation der Gesellschaft, Verteilung von Verantwortung und wirtschaftliche Entwicklungen. Die Motive des Einzelnen sind sehr verschieden. Man möchte die Gesellschaft im Kleinen mitgestalten, mit anderen Menschen zusammenkommen, Verantwortung übernehmen oder die eigene Kompetenz entwickeln. Finanzielle Gründe sind nicht vorrangig. Wir müssen aber auch feststellen, dass es keine Chancengleichheit mehr beim Zugang zum bürgerschaftlichen Engagement gibt. Viele Bürgerinnen und Bürger können sich nicht mehr ehrenamtlich engagieren, Dr. Barbara Höll (Ute Kumpf [SPD]: Das stimmt nicht! Das bürgerschaftliche Engagement ist von 1999 bis 2002 gewachsen!)





(A) (C)


(B) (D)


unter anderem deshalb, weil ihnen die finanzielle Aus-
stattung fehlt. Für viele ist vielleicht schon der Fahr-
schein für die Straßenbahn unerschwinglich, um zu einer
Veranstaltung zu fahren.


(Beifall bei der LINKEN – Petra Hinz [Essen] [SPD]: Belegen Sie einmal, was Sie hier behaupten!)


Insofern muss man das Thema wesentlich breiter an-
gehen. Bei einer vorrangig steuerlichen Förderung bür-
gerschaftlichen Engagements tauchen verteilungspoliti-
sche Risiken auf. Durch steuerliche Vergünstigungen für
Stiftungen können öffentliche Güter unter den Einfluss
von Individual- und Partikularinteressen geraten.

Ich möchte Ihnen die Probleme auch am Beispiel der
Stiftungen deutlich machen. Stiftungen werden jetzt we-
sentlich besser steuerlich gefördert. Das ist gut. In Leip-
zig gibt es ein wunderschönes Bildermuseum, und es
gibt auch eine inzwischen weltbekannte Leipziger
Malerschule. Ein Bild von Neo Rauch kostet derzeit
etwa 350 000 Euro. Raten Sie mal, wie hoch der Etat des
Bildermuseums zu Leipzig für den Neuerwerb ist! Es
sind weder 50 000 noch 100 000 Euro, sondern
7 000 Euro. Davon kann man allenfalls ein gutes Farb-
bild kaufen. Dass der Etat so niedrig ist, liegt daran, dass
die öffentlichen Einnahmen zurückgehen.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Jetzt sind die Stiftungen daran schuld!)


Die schon erwähnte Beilage der „Financial Times
Deutschland“ bietet einen wunderbaren Ansatz: Viele
Stifter lösen mit der Gründung einer Stiftung ihr ganz
besonderes Finanzproblem. Wer nach einem erfolgrei-
chen Berufs- oder Unternehmerleben so viel Geld hat,
dass weder er selbst noch seine Erben es jemals ausge-
ben können, bringt einfach einen Teil seines Vermögens
in eine Stiftung ein.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das ist doch üblich!)


Ich finde es gut, wenn sich Menschen engagieren und
auch im Kulturbereich sozusagen immer den Sahne-
klecks bieten.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Auch das ist üblich!)


Aber es kann nicht sein, dass das ehrenamtliche, unent-
geltliche Engagement Einzelner staatliches Handeln er-
setzt. Wir haben große Möglichkeiten, zum Beispiel die
Erbschaftsteuer so zu gestalten, dass vielleicht auch
das Bildermuseum zu Leipzig wieder mehr Geld hat, um
selber Bilder zu kaufen.

Wir sind dafür, bei der Übungsleiterpauschale noch
einmal nachzubessern. Wir halten es zudem für überle-
genswert, die Abgabenordnung zu vereinfachen – das
würden wir sehr begrüßen – und einen absoluten Höchst-
betrag für die Abzugsfähigkeit von Spenden einzufüh-
ren. Es gibt also Beratungsbedarf. Ihr Gesetzentwurf ist
insgesamt zu einseitig und erfasst die vielfältigen Pro-
bleme nicht.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1609705300

Das Wort hat jetzt die Kollegin Christine Scheel von

Bündnis 90/Die Grünen.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609705400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

möchte vorab zu den Eingangsworten von Frau Dr. Höll
sagen: Auch wir machen uns Sorgen darüber, was alles
im Vorfeld des G-8-Gipfels geschieht. Aber ich halte es
für falsch, im Zusammenhang mit dem vorliegenden Ge-
setzentwurf über die Verhältnismäßigkeit der Maßnah-
men zu diskutieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Unsere Zivilgesellschaft lebt wesentlich vom bürger-
schaftlichen Engagement. Man muss klar sagen, dass je-
dem und jeder, der bzw. die sich in unserer Gesellschaft
für unsere Gesellschaft engagiert, großer Dank gebührt.
Bürgerschaftliches Engagement ist – das wissen wir alle –
die Hefe für zivilgesellschaftliches Handeln. Bürger-
schaftliches Engagement ist ein aktiver Beitrag zu einem
friedlichen Zusammenleben in der Gesellschaft. Es ist
nicht zu unterschätzen und unbezahlbar. Frau Kollegin
Petra Hinz hat bereits auf die 2,4 Milliarden Arbeitsstun-
den jährlich im Rahmen des bürgerschaftlichen Engage-
ments hingewiesen. Die Bürger sind vermehrt unentgelt-
lich aktiv. Das ist sehr gut und muss eine verstärkte
Anerkennung durch unsere Gesellschaft erfahren, auch
unter steuerlichen Gesichtspunkten und nicht nur durch
das Anstecken einer Ehrennadel ans Revers.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Alle neuen steuerlichen Regelungen sind verstärkte
Anreize, kontinuierlich bürgerschaftliches Engagement
für gemeinnützige Zwecke zu leisten. Sie können den
menschlichen Impuls natürlich nicht ersetzen, sondern
nur unterstützen. Aber wir müssen mit denjenigen ge-
recht und fair umgehen, die dieses Engagement leisten.
Die Bundesregierung hat nun zehn steuerliche Maßnah-
men vorgeschlagen. Die entscheidenden Fragen sind:
Sind die Maßnahmen gut begründet? Sind sie in der Ab-
grenzung wirklich richtig? Bringen sie eine Stärkung des
Engagements in allen Zweigen der Zivilgesellschaft?
Wenn wir uns die Briefe, die wir alle von ehrenamtlich
tätigen Menschen bekommen, genau anschauen, dann
stellen wir fest, dass es viele gibt, die sich durch den Ge-
setzentwurf nicht berücksichtigt fühlen. Wenn ich mir
die Anträge, die vonseiten der Bundesländer im Bundes-
rat kommen, und den Beschluss des Bundesrates
anschaue, sehe ich, dass der heute diskutierte Gesetzent-
wurf von Finanzminister Steinbrück und der Bundes-
regierung und der Beschluss des Bundesrates noch weit
auseinanderliegen. Ich hoffe, dass der Gesetzentwurf der
Bundesregierung das Parlament mit erheblichen Ände-
rungen verlassen wird.






(A) (C)



(B) (D)


Christine Scheel
Wir, die Grünen, wollen ebenso wie der Bundesrat,
dass der Katalog der förderungswürdigen Zwecke für
bürgerschaftliches Engagement im Gesetz nicht ab-
schließend geregelt wird, sondern dass neue, zukünftige
Aufgaben ausdrücklich zugelassen werden. Es ist begrü-
ßenswert, dass als gesonderter Zweck die Förderung des
bürgerschaftlichen Engagements im Gesetzentwurf auf-
geführt wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist aber falsch, dass in der Begründung eine Erweite-
rung gemeinnütziger Zwecke für bürgerschaftliches
Engagement ausgeschlossen wird. Was soll eine solche
Kosmetik im Gesetz? Placebos verhelfen nicht zu einem
verstärkten Einsatz. Darüber müssen wir im Ausschuss
noch diskutieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen einen offenen Katalog. Wir wollen kein
starres Korsett. Welchen Grund gibt es für die Bundesre-
gierung eigentlich, dass die Übungsleiterpauschale nicht
auf Aktivitäten der Umwelt- und Naturschutzverbände
ausgeweitet wird? Aktivitäten im Bereich des Vogelschut-
zes, beispielsweise Brutplätze sichern, und vieles andere,
was von der Umweltschutzbewegung, dem BUND und
anderen, geleistet wird, sind Aktivitäten, die gemeinnüt-
zig sind, aber nicht pädagogisch im Sinne der Übungs-
leiterpauschale. Wir meinen schon, dass aktiver Um-
weltschutz nicht ausgeschlossen werden sollte. Wie wir
damit umgehen, darüber werden wir auch noch zu disku-
tieren haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ute Kumpf [SPD]: Das gilt schon heute!)


Vergleichbares gilt auch für Helfer in der Gefahrenab-
wehr, etwa Sanitäter und Rettungsschwimmer. Auch in
diesem Fall ist zu fragen, warum bestimmte Tätigkeiten
nicht einbezogen und berücksichtigt werden. Ich denke,
wir schulden der Gesellschaft hierauf eine Antwort, und
hoffe, dass es auch hier zu Veränderungen kommt.

Zur Stiftungskultur in Deutschland muss ich an die
FDP gewandt einmal sagen: Es war die rot-grüne Bundes-
regierung – mit starker Unterstützung der grünen Vizeprä-
sidentin Antje Vollmer –, die dafür gesorgt hat, dass wir
bei der Stiftungskultur einen Riesenschritt vorangekom-
men sind. Es war nicht die FDP während ihrer 29-jährigen
Regierungszeit hier im Haus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Selbstverständlich muss über den Höchstbetrag des
Stiftungskapitals diskutiert werden. Wir würden uns ei-
nen Höchstbetrag von 1 Million Euro für die Ausstat-
tung von Stiftungen mit Kapital wünschen, wie es auch
der Bundesrat fordert.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Wir sind dabei! Da können wir uns einigen!)


Wir sehen schon, dass die Stiftungskultur in Bewe-
gung ist. Wir wollen sie gesellschaftspolitisch insgesamt
stärken. Dafür brauchen wir klare Signale, die in dem
Gesetzentwurf verankert werden sollten.

Wir wollen, dass bestimmte Ansätze im Zusammen-
hang mit dem angehobenen pauschalen Spendenabzug
noch einmal angesprochen werden. Denn es ist nicht ein-
zusehen, dass wir unentgeltlich ehrenamtlich Tätige im
Bereich der Betreuung alter, kranker und behinderter
Menschen unterstützen – was völlig richtig ist –, aber
andere unentgeltliche ehrenamtliche Tätigkeiten im Be-
reich der Jugendhilfe und des Sports – den Naturschutz
habe ich angesprochen – oder der Kultur nicht unter-
stützt werden. Es muss noch einmal überlegt werden,
wie wir hier weiterkommen.

Ich denke, es ist eine ganz vernünftige Vorlage. Sie ist
ausbaufähig. Aber sie muss verbessert werden und sie
muss auch stärker den Realitäten und den Notwendigkei-
ten dieser Gesellschaft angepasst werden.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1609705500

Das Wort hat der Bundesminister Peer Steinbrück.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1609705600

Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, meine

sehr geehrten Damen und Herren!


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Es ist Highnoon! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Mahlzeit! – Es ist Mittag!)


– Dann sind Sie alle offenbar etwas früher aufgestanden
als ich.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Jeden Tag ist es so!)


Als ich ein bisschen zugehört habe, habe ich mir die
Frage gestellt: Warum ist es eigentlich so schwer, zu ei-
nem Thema wie der Förderung des Ehrenamtes eine Op-
positionsrede zu halten, die nicht so verkrampft und so
ritualisiert ist wie die, die wir von Herrn Wissing gehört
haben?


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Hier stellt sich jemand hin und sagt, es sei ein armse-
liger Gesetzentwurf. Man muss sich einmal vorstellen,
was das für eine absolute Verzeichnung dessen ist, was
wir hier vorgelegt haben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich will jetzt nicht so weit gehen, zu sagen, dass Ihre
Rede armselig gewesen ist. Das ist aber das Adjektiv,
das Sie dafür verwendet haben. Man kann hinsichtlich
Ihrer Bewertung allerdings schlicht und einfach sagen:
Ich konfrontiere Sie mit dem Echo, das ich von den eh-
renamtlich Tätigen und den Verbänden selbst bekommen
habe. Dann ist diese Oppositionsrede schlicht und ein-
fach irrelevant.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Peer Steinbrück

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Natürlich sagen die meisten, mit denen ich spreche
– glauben Sie mir, es sind sehr viele –, und auch die
einschlägigen Verbände, dass es eine ganz bemerkens-
werte Initiative ist, um das Ehrenamt in Deutschland zu
stärken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn es Ihr erster Satz gewesen wäre, dass Sie als
Oppositionspolitiker diese Einschätzung der Verbände
teilen – was durchaus ein ziemliches Ausmaß an Souve-
ränität zum Ausdruck gebracht hätte –, und Sie wären
dann auf Detailpunkte gekommen, dann wäre das eine
Oppositionsrede gewesen, die mich hätte neugierig ma-
chen können.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das hat Frau Scheel zum Beispiel gemacht!)


– Ja, Frau Scheel hat das schon sehr viel besser gemacht.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Benotungen!)


Aber dass Frau Höll es schafft, in sieben Minuten die
Erbschaftsteuer, das G-8-Treffen, das deutsche Demon-
strationsrecht und die öffentliche Einnahmesituation
zum Thema Ehrenamt zusammenzufassen, ist schon eine
bemerkenswerte Leistung.


(Beifall bei der LINKEN)


Worum geht es? Ich bin mir ziemlich sicher, dass Ihre
Erfahrung mit der fantastischen Bandbreite des Ehren-
amtes in Deutschland identisch ist mit meiner. Das be-
ginnt bei den Kirchen, geht über große Stiftungen, über
kleine Bürgerstiftungen, über Wohlfahrtsverbände, über
Ehrenamtsbörsen, über Seniorencomputerklubs – die
besten Hacker dieser Republik habe ich unter Senioren
gefunden, die sich gegenseitig Computerunterricht ge-
ben –, Elternvereine, Schulen, Kindergärten, Feuerweh-
ren, Heimatvereine, Hospizbewegungen – auch die will
ich nicht außen vor lassen –, Obdachlosen- und Stadtteil-
initiativen bis hin zu Tafelvereinen und Eine-Welt-Grup-
pen. Das ist eine Vielfalt, die wirklich fantastisch ist.

Richtig ist, dass sich viele Menschen in diesem Eh-
renamt engagieren. Es sind 23 Millionen Menschen.
Frau Hinz hat darauf hingewiesen. Ich vermute, dass es
dabei eine Reihe von Doppelzählungen gibt; aber das än-
dert nichts daran, dass das Ehrenamt eine Erscheinung in
unserer Gesellschaft ist, die wir dringend brauchen und
die große Anerkennung verdient.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


So verschieden die Ehrenämter auch sind – ich selber
habe unmittelbare Erfahrung sammeln dürfen, als ich in
einer früheren Funktion regelmäßig über zwei, manch-
mal drei Tage solche Ehrenamtstouren gemacht habe –,
so verschieden sind diejenigen in Bezug auf das Alter,
den Beruf und die soziale Herkunft, die sie ausüben. Ich
warne davor, sich das Vorurteil zu eigen zu machen, dass
es vornehmlich ältere Menschen sind, die sich ehrenamt-
lich engagieren. Es sind auch sehr viele jüngere darunter,
die nur auf eine andere Art und Weise, manchmal zeit-
lich begrenzt, ehrenamtlich arbeiten. Das Ziel, das diese
Mensche alle gemeinsam haben, ist, sich für unsere Ge-
sellschaft einzusetzen, und zwar sehr häufig an den Stel-
len, wo diese Gesellschaft schwach ist. Sie handeln be-
wusst oder auch unbewusst ganz nach einem alten Satz
von Hermann Gmeiner, der lautet: „Alles Gute auf dieser
Welt geschieht nur, wenn einer mehr tut, als er tun
muss.“


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Der Zusammenhalt der Gesellschaft ist von diesem
Engagement wesentlich abhängig. Will sagen: Würden
diese Menschen nicht mehr tun, als sie tun müssen, wür-
den sie nur, wenn man so will, ihr persönliches Pflich-
tenheft abarbeiten oder ihren legitimen materiellen Inte-
ressen nachgehen, würden sie nicht Zeit, Kraft und
manchmal auch Nerven in diese ehrenamtliche Tätigkeit
investieren, wäre unsere Gesellschaft nach meiner Auf-
fassung nicht nur ärmer, sondern sie würde nicht funktio-
nieren.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Der Zusammenhalt dieser Gesellschaft wäre dann mas-
siv gefährdet. In meinen Augen sind es insbesondere
diese Menschen, die erwähnt werden müssen.

Mir ist an dem Hinweis sehr gelegen, dass es nicht
zum Beispiel fremdbestimmte junge Leute in Fernseh-
castingshows sind, die als die Superstars – wie mein
Sohn sagen würde – „hochsterilisiert“ werden,


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von Dieter Bohlen hochgepusht!)


wobei man sich wundert, welche Eintagsfliegen in den
Medien zu solchen Superstars und teilweise absolut ver-
zogenen Vorbildern hochstilisiert werden. Das bleibt ein
Geheimnis medialer Inszenierung. Die wahren Helden
des Alltags sind – ohne Pathos – die sich in Deutschland
ehrenamtlich engagierenden Bürgerinnen und Bürger.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP])


Ich will nicht missverstanden werden. Es geht mir
nicht darum, dieses Engagement in irgendeiner Form zu
idealisieren oder mich gar über einen billigen Reparatur-
betrieb für einen in Teilen nicht mehr handlungsfähigen
Staat zu freuen. Eine solche Sichtweise auf das ehren-
amtliche Engagement in Deutschland wäre grundfalsch.
Denn zum einen ist eine vitale Bürgergesellschaft viel
mehr: Sie ist auch ein Ausdruck von Freiheit und auch
einer von staatlichen Fürsorgeorganisationen unabhängi-
gen Solidarität, was von einer erheblichen Bedeutung ist.
Zum anderen müssen wir gerade in der heutigen Zeit
auch für einen, wie ich glaube, handlungsfähigen Staat
sorgen, der nicht die Hand dafür reicht, dass das Haupt-
amt durch das Ehrenamt ersetzt wird, was sich die ehren-
amtlich engagierten Bürger auch verbitten würden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Peer Steinbrück
Ich bin bei der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfs in
der glücklichen Lage gewesen, dass wir hinsichtlich der
Förderung des bürgerschaftlichen Engagements auf sehr
weitreichende Vorarbeiten und einige wichtige Erfolge
engagierter Mitglieder insbesondere aus den beiden Re-
gierungsfraktionen aufbauen konnten. Bei Ihrer Rede,
Herr Wissing, hatte ich manchmal den Eindruck, dass
Sie sich insbesondere so über diesen Gesetzentwurf aus-
gelassen haben, wie Sie es getan haben, weil Sie ihn
nicht mit erfunden haben und auch nie eine richtige Zu-
arbeit dazu geleistet haben.


(Beifall bei der SPD)


Denjenigen, die bei dieser Entwicklung sehr behilf-
lich waren, möchte ich herzlich danken. Ich möchte nie-
manden zurücksetzen, aber ich will insbesondere
Michael Bürsch, Klaus Riegert und Ute Kumpf für ihren
unermüdlichen Einsatz danken, auch für den kritischen
Dialog, den wir gehabt haben,


(Beifall bei der SPD)


der es mir relativ leicht gemacht hat – das Stichwort ist
schon gefallen –, seinerzeit Empfehlungen des Wissen-
schaftlichen Beirates beim Bundesfinanzministerium – Sie
erinnern sich an die Aufregung im August letzten Jahres –
sehr schnell abzuwehren. Ich weiß, dass es das eine oder
andere Missverständnis gegeben hat; aber ein Bundesfi-
nanzminister ist gelegentlich auch in der Lage, sich wis-
senschaftliche Empfehlungen nicht zu eigen zu machen.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das ist gut so!)


Mit diesem Gesetz zur weiteren Stärkung des bürger-
schaftlichen Engagements löst die Koalitionsfraktion üb-
rigens eine wichtige Zusage aus dem Koalitionsvertrag
ein; Herr Riegert, Sie wissen das. Mit unseren Hilfen un-
terstützen und fördern wir in großem Ausmaß das bür-
gerschaftliche Engagement auf Bundes- und auf Landes-
ebene entweder über Steuernachlässe oder durch andere
Vorzüge, und das in einem Umfang von 440 Millionen
Euro. Außerdem wollen wir dafür sorgen, dass sich jene,
die sich ehrenamtlich engagieren, voll darauf konzen-
trieren können und sich nicht mit einer unnötigen Büro-
kratie abplagen müssen. Ihre Hinweise, Herr Wissing,
auf all das, was in diesem Gesetzentwurf steht, sind von
Ignoranz gekennzeichnet. Ich wäre für eine faire Bewer-
tung dankbar.

Gleichzeitig wollen wir das Stiftungswesen in
Deutschland stärken. Ich selbst empfinde es ebenfalls als
einen Glücksfall, dass wir in Deutschland ziemlich ge-
nau seit der Reform des Stiftungsrechts unter der rot-
grünen Koalition, seit 2002, einen wahren Boom bei den
Stiftungsgründungen haben. Auch das darf Anerkennung
finden.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Im Vergleich zu den 80er-Jahren hat sich 2006 die
Zahl der jährlich neu gegründeten Stiftungen um rund
900 erhöht. Insgesamt gibt es in Deutschland inzwischen
– ich glaube, Frau Scheel hat darauf hingewiesen –


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Das war ich!)

14 400 Stiftungen des bürgerlichen Rechts plus die sehr
zahlreichen, unselbstständigen Stiftungen, Stiftungsver-
eine und Stiftungsgesellschaften, die ich bei dieser Gele-
genheit nicht ungewürdigt lassen möchte.

Wir haben es also zunehmend mit einer gewissen Stif-
tungskultur in Deutschland zu tun. Dies wird durch das,
was wir hier tun, weiter unterstützt. Von mir aus mag das
aus mancher Perspektive unzureichend sein; aber es wird
unterstützt. Es mag erstrebenswert sein, einen Standard
an Stiftungsaktivitäten wie im angloamerikanischen Be-
reich, insbesondere in den USA, zu erreichen. Die Situa-
tion bei uns hat sich jedenfalls deutlich verbessert.

Es ist kein Geheimnis – ich weiß das –: Zwischen den
Fraktionen gibt es in einigen Punkten noch unterschied-
liche Meinungen, auch über die wichtigen Initiativen im
Rahmen dieses Gesetzentwurfs.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Wir arbeiten daran!)


Ich nenne beispielhaft nur die sogenannte 300-Euro-Re-
gelung, die wir auf das ehrenamtliche Engagement für
ältere und behinderte Menschen begrenzen wollen. Es
geht also um den Begriff der Mildtätigkeit im engeren
Sinne; auch Sie haben das indirekt angesprochen. Der
Grund für diese Begrenzung ist ganz einfach – das sage
ich an Frau Scheel und andere gerichtet –: Eine Auswei-
tung ist schlicht und einfach nicht mehr bezahlbar.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Nicht jeder Wunsch ist erfüllbar! Leider!)


Wenn wir eine solche Begrenzung nicht einführen, dann
wird das Ganze absolut uferlos und man landet bei Mil-
liardenbeträgen.

Wenn Sie zu dem Ergebnis kommen, dass eine solche
Exklusion mancher – sie werden auf anderen Wegen doch
mit gefördert, insbesondere im Bereich des Sports – nicht
zu rechtfertigen ist, dann sollte man nach meinem Ein-
druck eher auf das ganze Vorhaben verzichten. Das wäre
besser, als diese Regelung in unbestimmtem Maße aus-
zuweiten, was von den Ländern und vom Bund in der
Tat nicht mehr bezahlt werden könnte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich will sagen: Ich habe Verständnis für entspre-
chende Änderungswünsche aus den Regierungsfraktio-
nen, die im parlamentarischen Verfahren behandelt wer-
den.

Mir selber ist an zwei Punkten gelegen – ich bitte um
Verständnis –:

Erstens. Die festgelegte Obergrenze von 440 Millio-
nen Euro – diese Mittel werden von Bund und Ländern
paritätisch aufgebracht – wird nicht überschritten.

Zweitens. Dieser Gesetzentwurf wird ohne schuldhaf-
tes Zögern noch vor der Sommerpause verabschiedet.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Wollen wir machen!)







(A) (C)



(D)


Bundesminister Peer Steinbrück
Dies wäre ein wichtiges Signal für die ehrenamtlich en-
gagierten Menschen.

Es ist vielleicht etwas merkwürdig, dass das Bundes-
finanzministerium eine solche Initiative startet. Dass
mein Ministerium so vorgeht, hängt damit zusammen,
dass ich gerne auch auf diesem Wege mein Verständnis
einer gestaltenden Finanzpolitik unterstreichen möchte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der Finanzminister ist nicht nur für eine solide Haus-
haltspolitik verantwortlich – das ist er auch, gerade in
diesen Zeiten mit wachsenden Begehrlichkeiten –, son-
dern auch dafür – das war immer mein Verständnis –,
dass das Finanzministerium in der Lage ist, Impulse für
Wachstum und Beschäftigung und darüber hinaus zur
Förderung der Zivilgesellschaft, die eine erhebliche Be-
deutung hat, zu geben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist
eine sehr gute Verfassung. Auch unsere Landesverfas-
sungen sind sehr gut. Aber die nicht geschriebene Ver-
fassung dieses Landes, der Zustand dieser Gesellschaft,
wird maßgeblich von Menschen geprägt, die sich ehren-
amtlich engagieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)


Aus diesem Grunde wollen wir sie mit unserer Initiative
stärken.

Unser Gesetzentwurf ist vielleicht nicht perfekt, aber
er ist ein sehr wichtiger Schritt, der von allen Beteiligten
begrüßt wird und der es ermöglicht, dieser Wertschät-
zung und diesem Dank konkrete Taten folgen zu lassen.
Das ist der Kern dieses Gesetzentwurfes.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Weiter so!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1609705700

Das Wort hat die Kollegin Sibylle Laurischk von der

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1609705800

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Herr Minister Steinbrück, Ihren Guten-Morgen-
Gruß kann ich so nicht erwidern,


(Jörg Tauss [SPD]: Was? Wieso denn das nicht?)


auch wenn Sie sich ausführlich mit der FDP-Fraktion be-
fasst haben. Mittlerweile ist es nämlich Highnoon, und
ich meine, es ist höchste Zeit für die Stärkung des bür-
gerschaftlichen Engagements.


(Beifall bei der FDP – Zurufe von der SPD: Oh! – Ute Kumpf [SPD]: Das muss gerade die FDP sagen!)

Für die FDP ist die Stärkung der Zivilgesellschaft
eine zentrale Aufgabe.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig! – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das ist eine klassische FDP-Rede! Wunderbar!)


– Ich danke für Ihre Zustimmung. – Unser Ziel ist, Frei-
räume für Bürger zu schaffen, die ohne staatliche Bevor-
mundung handeln und sich frei entfalten wollen. Staat,
Markt und Zivilgesellschaft sollen als gleichrangige
Akteure nebeneinanderstehen. Die rund 1 Million Orga-
nisationen, in denen sich mehr als 20 Millionen Bürge-
rinnen und Bürger freiwillig engagieren, braucht klare
Rahmenbedingungen. Es genügt nicht, nur neue Steuer-
vorteile zu schaffen. Erforderlich ist eine grundlegende
und systematische Bearbeitung des Gemeinnützigkeits-
rechts.

Die FDP will weg vom gewährenden und hin zum er-
möglichenden Staat.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Ja! Das steht auch in unserem Gesetzentwurf!)


Für die FDP ist die lebendige Zivilgesellschaft die
Klammer unseres Gemeinwesens.


(Beifall bei der FDP)


Die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements
durch Finanz- oder Sachmittel ist im Handlungsradius
von Ländern und Kommunen verankert und muss daher
vor Ort diskutiert und festgelegt werden.

In den Zuständigkeitsbereich des Bundes fallen ne-
ben der Schaffung der steuerlichen Rahmenbedingungen
vor allem die Durchführung von Projekten und Modell-
programmen sowie die Freiwilligendienste, die ein gutes
Beispiel für ausbaufähiges, freiwilliges Engagement dar-
stellen. Wenn sich die verschiedenen Ministerien einig
wären, wer Freiwilligenprogramme auflegt und Freiwil-
ligendienste entwickelt, dann wären wir auch unter sys-
tematischen Gesichtspunkten bereits ein gutes Stück
weiter.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Ich erinnere nur an die Differenz zwischen dem Bundes-
familienministerium und dem Bundesministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Unsere Aufgabe als Bundespolitiker ist es, die öffent-
liche Diskussion und damit das Ansehen der bürger-
schaftlich Engagierten und ihrer wichtigen Arbeit zu er-
höhen. Bürgerschaftliches Engagement fördert nicht nur
das soziale Kapital unserer Gesellschaft, sondern es ist
auch ein Weg zur Selbstverwirklichung und Mitgestal-
tung, allerdings nicht – wie im Antrag der Linken formu-
liert – als Lückenbüßer für den Sozialstaat, sondern als
ein Bereich mit eigener Qualität.


(Beifall bei der FDP – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Richtig!)


Die Förderung des Bürgerengagements lässt sich be-
sonders gut in den Niederlanden beobachten. Die Frei-
willigenarbeit gehört dort zum Alltag. Auf ein Jahr
hochgerechnet schaffen die, die in ihrer Freizeit für an-

(B)







(A) (C)



(B) (D)


Sibylle Laurischk
dere da sind, einen Wert in Höhe von 14 Milliarden
Euro. Ohne die Erfahrung der wirtschaftlichen Krise in
den 80er-Jahren wäre dieses Engagement in den Nieder-
landen, was sein Ausmaß und die professionalisierte
Vermittlung angeht, kaum denkbar. Damals haben Staat,
Wirtschaft und Gesellschaft vereinbart, die Staatsausga-
ben zu verringern und das Eigenengagement zu stärken.
Ich meine, das ist eine Entwicklung, die wir auch in
Deutschland brauchen.


(Beifall bei der FDP)


Die Niederlande halten am Ziel fest, Geld investiv und
damit gesellschaftlich nutzbringend zur Stärkung der Zi-
vilgesellschaft auszugeben.

Ein quantitativer und qualitativer Ausbau der Infra-
struktur des bürgerschaftlichen Engagements in den
Ländern und Kommunen ist auch in Deutschland nötig.
Ich erinnere an ein Beispiel, das in meiner Heimatstadt
Schule gemacht hat. Dort wurde die Seniorenarbeit auf
kommunaler Ebene bürgerschaftlich organisiert und in-
nerhalb der Stadt gestaltet. So könnte die Seniorenarbeit
in ganz Deutschland organisiert werden. Das gilt auch
für die Integrationsarbeit, ein Thema, das uns gegenwär-
tig an anderer Stelle intensiv beschäftigt.

Das grundlegend positive Vorhaben der Bundesregie-
rung wird allerdings noch in vielen Detailfragen zu
klären sein. Ich hoffe und wünsche mir sehr, dass die
Bundesregierung Erkenntnisse, welche durch die Exper-
tenanhörung erbracht werden, noch in das Gesetz ein-
fließen lässt. Die FDP nimmt beispielsweise die Hin-
weise des Deutschen Kulturrates zum vorliegenden
Entwurf sehr ernst. Als sehr problematisch erachtet der
Kulturrat, Spitzenverband der Bundeskulturverbände,
dass die Bundesregierung dem Vorschlag des Bundesra-
tes folgen will, die gemeinnützigen Zwecke im Bereich
Kunst und Kultur enger zu führen. Sollte die Defini-
tion des Bundesrats Gesetzeskraft erlangen, könnten ge-
meinwohl- und nicht gewinnorientierte Kulturvereine,
die nicht unter diese Definition fallen, nicht mehr als ge-
meinnützig anerkannt werden.


(Birgit Homburger [FDP]: So ist es! – Zuruf von der SPD: Reden Sie mal mit den Ländern!)


Dies ist im weiteren Verfahren sehr genau zu hinterfra-
gen, Herr Minister, und gegebenenfalls auch zu ändern.


(Beifall bei der FDP)


Für sehr problematisch halte ich die neue abschlie-
ßende Aufzählung der gemeinnützigen Zwecke. Die
FDP fordert die Prüfung eines Bestandsschutzes für Ver-
eine, die bei Verabschiedung des Gesetzes als gemein-
nützig anerkannt sind.


(Beifall bei der FDP)


Lassen Sie mich zum Schluss den Stifterverband für
die Deutsche Wissenschaft zitieren, der anschaulich be-
schreibt, warum es sich lohnt, das Steuer- und Spenden-
recht zu überarbeiten:

Stiften und Spenden wirken wie eine freiwillige
Selbstbesteuerung. Der Staat mobilisiert durch
Steueranreize mehr privates Kapital für gemeinnüt-
zige Zwecke, als er selbst durch Steuern erheben
könnte. Was dem Staat an Steuern entgeht, fließt
nach unseren Berechnungen in drei- bis sechsfacher
Höhe in den gemeinnützigen Sektor und kommt der
Gesellschaft ohne Umwege zugute.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1609705900

Das Wort hat jetzt der Kollege Christian von Stetten

von der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Frhr. Christian von Stetten (CDU):
Rede ID: ID1609706000

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Bei allen Sparmaßnahmen, die die Große Koalition
aufgrund der notwendigen Haushaltssanierung in die
Wege geleitet hat, haben wir immer betont, dass es ne-
ben den Familien eine Bevölkerungsgruppe gibt, die wir
in Zukunft nicht nur weiter fördern wollen, sondern zu
deren Unterstützung wir in Zukunft noch weiteres Geld
in die Hand nehmen wollen. Das ist die große Gruppe
der ehrenamtlich engagierten Bürgerinnen und Bürger,
der mildtätigen, sozialen und gemeinnützigen Vereine
und Stiftungen.

Dass eine Anpassung der Freibeträge im Steuerrecht
dringend notwendig ist, das merken Sie auch daran, dass
bei den gemeinnützigen Vereinen die Buchführungs-
pflichtgrenze in Höhe von 30 678 Euro letztmalig am
9. November 1989 angepasst worden ist.


(Ute Kumpf [SPD]: Warum hat zwischendurch niemand was gemacht?)


Das ist, wie Sie wissen, aus einem anderen Grund ein
bedeutsames Datum für unser Vaterland. Nach der Ab-
stimmung zum Vereinsförderungsgesetz wurde die Ple-
narsitzung im Deutschen Bundestag in Bonn – damals
im Wasserwerk – unterbrochen, weil sich in Berlin die
Mauer öffnete. Sie sehen also, es ist höchste Zeit, dass
wir uns mit dem Thema wieder beschäftigen.

Die kulturelle und die soziale Bedeutung der Vereine
ist in den letzten Jahren noch einmal stark gestiegen.
Wer sich in funktionierenden Vereinen aufhält, der spürt
die Wärme, ja fast schon familiäre Atmosphäre, die in
unseren Vereinen herrscht. Wir merken immer mehr: Die
Vereine sind in vielen Fällen schon fast eine Art Fami-
lienersatz geworden und leisten einen enormen Beitrag
insbesondere zur Integration ausländischer Jugendlicher.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Übungsleiter in unseren Sportvereinen sind längst
mehr als nur „Vorturner“. Sie kümmern sich immer mehr
auch um die persönlichen Probleme der ihnen anvertrau-
ten Jugendlichen. Viele Kinder erfahren im Verein erst-
malig, wie wichtig Pünktlichkeit, Fairness und Kame-
radschaft sind. Deshalb werden wir, wie angekündigt,
die Übungsleiterpauschale anheben. Wir werden auch
schauen, inwieweit wir andere Personenkreise einbezie-






(A) (C)



(B) (D)


Christian Freiherr von Stetten
hen können. Zusätzlich erhalten die Vereine bessere
Rahmenbedingungen.

So haben wir es übrigens auch bei den Stiftungen
vor. Wir brauchen in Deutschland eine neue Stifterkultur.
Sie ist vorhin schon für die USA und andere angelsächsi-
sche Länder angesprochen worden. Wir unterstützen Un-
ternehmen und Privatpersonen, wenn sie mit gemeinnüt-
zigen Stiftungen unser soziales und kulturelles Leben
bereichern wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist übrigens der Unterschied, Frau Dr. Höll, zur
Linksfraktion. Wer Ihre Rede genau verfolgt hat und wer
vor allem Ihren Antrag genau gelesen hat, in dem Sie
sich zu den Stiftungen äußern, der merkt: Das Gesell-
schaftsbild der Linken ist völlig verklärt. Sie verweigern
sich ja nicht nur einer Besserstellung der Stiftungen
heute, sondern Sie kritisieren in Ihrem Antrag – Sie gu-
cken so ungläubig; lesen Sie Ihren Antrag! – sogar das
heute gängige Verfahren der Unterstützung kultureller
und sozialer Stifter in unserem Land. Sie haben ein Ge-
sellschaftsbild, gemäß dem der Staat seinen Bürgern so
viele Steuern wie möglich abnimmt und dann selbst ent-
scheidet, was gut ist und was mit dem Geld gemacht
wird.

Wir dagegen wollen, dass nur die Rahmenbedingun-
gen für die Stiftungen definiert werden, also nur festge-
legt wird, was grundsätzlich förderungswürdig ist. Da-
mit haben die Bürger die Freiheit, selber zu entscheiden,
für welche Projekte sie ihr Vermögen einsetzen wollen.
Das ist der Unterschied zwischen Ihrem und unserem
Modell.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1609706100

Herr Kollege von Stetten, erlauben Sie eine Zwi-

schenfrage der Kollegin Barbara Höll?


Frhr. Christian von Stetten (CDU):
Rede ID: ID1609706200

Das mache ich gerne, auch wenn die Linksfraktion

gleich als nächste das Wort hat. Bitte schön.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609706300

Sehr geehrter Herr Kollege, ich freue mich natürlich,

dass Sie unseren Antrag sehr gründlich gelesen haben.
Wir haben ihn ja geschrieben, um ihn in die Debatte ein-
zubringen. Ich glaube aber, Sie haben ihn nicht ganz
richtig gelesen. Wir kritisieren nicht die Stiftungen an
sich, sondern wir machen auf das verteilungspolitische
Problem aufmerksam, dass durch die steuerliche Be-
günstigung von Stiftungen dem Gemeinwesen Steuer-
geld verloren geht. Das heißt, es findet auf dieser Seite
eine Schwächung statt. Andererseits wird die Position
des Stifters gestärkt, der als Individuum entscheiden
kann, was er finanziert.


(Zurufe von der SPD: Frage!)

Ich glaube, wir dürfen keine Schieflage zulassen. Wir
müssen für ein ausgewogenes Verhältnis sorgen.

Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie, noch einmal
richtig nachzulesen. Wir sind nicht gegen Stiftungen und
Stifter. Wir sind dafür – –


(Zurufe von der CDU/CSU: Frage!)


– Können Sie die Auffassung teilen – eine Frage –, dass
mit den Stiftungen sowohl der Zweck verfolgt wird,
Steuern zu sparen, als auch der Zweck verfolgt wird, Gu-
tes zu tun –


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1609706400

Frau Kollegin Höll, Sie sollen eine kurze Frage stel-

len.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609706500

– das ist mein letzter Satz –, und der Zweck verfolgt

wird, auf Kosten der Steuerzahler das Auskommen von
Nachkommen sicherzustellen?


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1609706600

Die Gelegenheit kann ich nutzen, um auf die Ge-

schäftsordnung hinzuweisen: Die Fragen sollen kurz und
präzise sein, die Antworten ebenfalls.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Jetzt einmal den ganzen Absatz vorlesen!)



Frhr. Christian von Stetten (CDU):
Rede ID: ID1609706700

Herr Präsident, ich habe zwar die Frage nicht ganz

verstanden,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


aber damit alle wissen, was in Ihrem Antrag steht,
möchte ich nur zwei Sätze vorlesen. Nachdem Sie im
Vorspann erklären, dass Stiftungen besonders unterstützt
werden und auch in der Vergangenheit schon unterstützt
wurden, schreiben Sie weiter:

gerade vor dem Hintergrund … öffentlicher Mittel –
Verteilungsrisiken – –


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Der Kürzung der öffentlichen Mittel!)


– Sie erzählen uns, dass öffentliche Mittel gekürzt wer-
den, weil wir Stiftungen fördern.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1609706800

Hier kann kein Zwiegespräch stattfinden.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Dann können wir ja hinausgehen, wenn die zwei sich unterhalten!)


Sie haben eine Frage gestellt.


Frhr. Christian von Stetten (CDU):
Rede ID: ID1609706900

Herr Präsident, nur ein Satz:

Diese liegen vor allem darin, – –






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1609707000

Herr von Stetten, ich leite hier die Versammlung.

Richten Sie sich bitte danach.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Eine Frage ist gestellt worden. Ich bitte jetzt um eine
kurze, präzise Antwort. Dann ist das Zwiegespräch be-
endet.


(Mechthild Rawert [SPD]: Das war aber keine Frage!)



Frhr. Christian von Stetten (CDU):
Rede ID: ID1609707100


Gleichzeitig liegt die Verwendung der auf diese
Weise bereitgestellten Mittel im Ermessen des Stif-
ters bzw. der Stiftungsgemeinschaft. Damit sind
diese Mittel einem demokratischen und parlamenta-
rischen Entscheidungsprozess entzogen. Öffentli-
che Güter gelangen damit unter den Einfluss von
Individualinteressen.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Ja!)


Das ist Ihre Bemerkung zu dem Thema, dass wir die
Stifter in Zukunft besser fördern wollen. Daran wird der
große gesellschaftliche Unterschied zwischen Ihrer Ideo-
logie, gemäß der mehr Staat gefordert wird, und unserem
Anliegen, die Stifter zu fördern, deutlich. – Ich bin mit
meiner Beantwortung fertig, Herr Präsident.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Sie können nicht einmal richtig zitieren!)


Meine Damen und Herren, wir halten an unserer For-
derung fest, bei der Kapitalausstattung der Stiftungen die
steuerfreie Höchstgrenze von heute 307 000 Euro nicht
nur, wie vom Bundesfinanzminister vorgesehen, auf
750 000 Euro, sondern auf 1 Million Euro heraufzuset-
zen. Dass dies im Einklang mit einer Forderung der Grü-
nen steht, ist besonders erfreulich, weil wir so gemein-
sam bei einer wichtigen Thematik an einem Strang
ziehen. Gleichzeitig ist uns noch wichtig, den Zusatz-
höchstbetrag von 20 450 Euro beizubehalten. Wir halten
dies trotz der Kritik der Linken für eine sehr wichtige
Maßnahme.

Wie Sie aus den Ausführungen meines Kollegen
Oswald entnehmen konnten, haben wir zu verschiedenen
anderen Punkten weiteren Änderungsbedarf beim Minis-
ter angemeldet. Für die nun anstehenden Beratungen in
den Ausschüssen sollten wir uns ausreichend Zeit neh-
men, um mit den Betroffenen über die vorgeschlagenen
Gesetzesänderungen diskutieren zu können. Denn wir
wollen nicht nur steuerlich etwas verbessern, sondern
bei dieser Gelegenheit auch gleich die Haftung der eh-
renamtlich Tätigen ansprechen und beim Bürokratieab-
bau weiter vorankommen.

Wichtig ist für die Betroffenen, dass das Gesetz rück-
wirkend zum 1. Januar 2007 in Kraft treten soll. Da aber
die Steuererklärungen für das Jahr 2007 in der Regel erst
im Jahr 2008 erstellt werden, dürfte das kein Problem
sein.

(Ute Kumpf [SPD]: Na, na, na! Das ist ein Hinauszögern!)


Hier sollte uns Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehen.
Wir wollen einen ausführlichen Dialog mit dem Perso-
nenkreis, der von diesem Gesetz betroffen ist, und dann
hier im Bundestag endgültig ein vernünftiges Gesetz be-
schließen, das den Betroffenen hilft.


(Zuruf von der SPD: Das tun wir in der Großen Koalition immer!)


Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1609707200

Das Wort hat jetzt die Kollegin Elke Reinke von der

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Elke Reinke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609707300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Werte Gäste! Bürgerschaftliches Engagement ist derzeit
in aller Munde und hochgeschätzt. In der Tat: Es beför-
dert, richtig verstanden, den Zusammenhalt des Gemein-
wesens und dient der sozialen Integration. Die Men-
schen in unserem Land wollen das öffentliche Leben
aktiv mitgestalten, sei es beim Bau von Kinderspielplät-
zen, bei der Betreuung von Kindern und Jugendlichen, in
Erwerbsloseninitiativen oder durch die Unterstützung
von Sportstrukturen.

Allerdings möchte ich auch auf eine gravierende
Fehlentwicklung aufmerksam machen, durch die der ei-
gentliche Sinn des bürgerschaftlichen Engagements ver-
wässert zu werden droht: Das Engagement Freiwilliger
ist heute immer stärker Ersatz öffentlicher Leistungen
und dient somit der finanziellen Entlastung von Bund,
Ländern und Gemeinden.


(Ute Kumpf [SPD]: Oje!)


Weil sich Bund und Länder aus der Verantwortung steh-
len, sind viele Kommunen kaum noch in der Lage, ihre
laufenden Ausgaben aus den Einnahmen zu bestreiten.
Das führt nun dazu, dass Bürgerinnen und Bürger zuneh-
mend zu ehrenamtlichen Tätigkeiten in der Kommune
angehalten werden. Viele tun dies grundsätzlich auch
gern. Aber hierbei wird oftmals übersehen, dass sich
bürgerschaftliches Engagement nach und nach zum Not-
behelf im Zuge des Sozialstaatabbaus entwickelt. Der
Staat zieht sich aus Kostengründen immer weiter zurück.
Die Privatwirtschaft folgt unmittelbar. Immer mehr re-
guläre, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze fal-
len weg. Die Ehrenamtlichen sollen nun diese Lücke
schließen. Hier fordert die Linke von der Regierung, in
Richtung öffentlich geförderter Beschäftigung aktiv
zu werden. Lassen Sie Ihren Worten endlich Taten fol-
gen!


(Beifall bei der LINKEN)


Bürgerschaftliches Engagement darf nicht ein Ersatz für
Leistungen sein, die Kommunen, Länder und Staat nicht






(A) (C)



(B) (D)


Elke Reinke
mehr erbringen können oder teilweise nicht erbringen
wollen. Wir wollen kein dienendes und ersetzendes
Engagement, sondern Partizipation und Verantwor-
tung aller Bürgerinnen und Bürger in ihrem alltäglichen
Lebensumfeld.

Unterdessen werden die durch Sozialabbau freige-
wordenen Stellen kostensparend mit freiwillig Engagier-
ten besetzt. Dazu ein Beispiel aus meiner Region: In Ju-
gendklubs wird sozialpädagogisches Fachpersonal durch
Ehrenamtliche und 1-Euro-Beschäftigte ersetzt – oder
die Klubs werden gleich ganz geschlossen.


(Zuruf von der LINKEN: Oder von den Nazis übernommen!)


Ehrenamtlichkeit ist gerade im sozialen Bereich un-
verzichtbar; das ist keine Frage. Wenn die momentane
Entwicklung jedoch weiter so verläuft, werden immer
mehr qualifizierte Arbeitskräfte durch engagierte, aber
unentgeltlich und nicht sozialversichert arbeitende, mög-
licherweise unzureichend qualifizierte Bürgerinnen und
Bürger ersetzt. Ähnliches ist auch schon in der Alten-
pflege und Altenbetreuung zu beobachten.


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Das ist schlimm!)


Ich möchte noch kurz auf einen anderen Bereich ein-
gehen: die Tafeln. Das Ziel der Tafeln ist es, qualitativ
einwandfreie Nahrungsmittel, die sich nicht mehr ver-
wenden lassen, an Bedürftige zu verteilen. Die Tafeln
bemühen sich hier um sozialen Ausgleich. Vor allem seit
der Einführung von Hartz IV ist die Zahl der Tafelneu-
gründungen stark gestiegen. Das Projekt wird haupt-
sächlich von Ehrenamtlichen bewerkstelligt. Im Dezem-
ber 2006 war zu vernehmen, dass Familienministerin
von der Leyen die Schirmherrschaft für Die Tafeln über-
nommen hat. Der Einsatz der mehr als 25 000 Helferin-
nen und Helfer ist wirklich bemerkenswert und nicht
hoch genug zu loben. Aber stellt sich nicht gleichzeitig
die Frage, wie es erst so weit kommen konnte, dass die
Zahl der Tafeln so gewachsen ist?

Die unsoziale, armutsverschärfende Politik dieser
Koalition hat ihren Anteil daran. Es ist zugleich auffällig,
dass die Anerkennung für die Freiwilligen in erster Linie
von denen kommt, die den Rückbau des Sozialstaates
und die Zunahme von Armut politisch zu verantworten
haben. Es ist der Hohn, dass sich Frau von der Leyen auf
der einen Seite als Schirmherrin der Tafeln zur Verfü-
gung stellt und andererseits eine Politik mitverantwortet,
die immer mehr Bedürftige schafft. Freiwillige Arbeit
benötigt alles in allem umfangreiche materielle, finanzi-
elle und soziale Infrastruktur, personelle Ressourcen so-
wie eine ausgeprägte Kultur der öffentlichen Anerken-
nung.

Doch weiteren Sozialabbau – nun auch unter dem
Deckmantel des bürgerschaftlichen Engagements – wird
es mit der Fraktion Die Linke nicht geben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der SPD: Äußerst schwach!)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1609707400

Das Wort hat die Kollegin Britta Haßelmann von der

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609707500

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Sehr geehrter Herr Finanzminister! Lassen Sie mich
bitte kurz drei Dinge vorwegschicken, wenn wir über
bürgerschaftliches Engagement sprechen.

Wir sprechen über bürgerschaftliches Engagement
selbstverständlich in Bezug auf die vielen Menschen, die
sich im Sinne einer lebendigen Zivilgesellschaft
engagieren, die etwas Emanzipatorisches, Lebendiges,
Kreatives und Zusätzliches ist und selbstverständlich
nicht professionelle Infrastrukturen ersetzt.


(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)


Vielmehr braucht man als unverzichtbares Element
hauptamtliche Strukturen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das will ich einfach vorwegschicken, denn man kann
mit einer Debatte, die hier über mehr als sechs Jahre ge-
führt worden ist – ich selbst bin neu im Bundestag –,
nicht immer wieder bei null anfangen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das ist ein kreativer, emanzipatorischer Ansatz. Dafür
brauchen wir hauptamtliche Strukturen. So definieren
wir Grüne bürgerschaftliches Engagement.


(Zuruf von der SPD: Wir auch!)


Punkt zwei. Bürgerschaftliches Engagement – das
sage ich auch in Abgrenzung zur FDP – bedeutet gerade
nicht den Rückzug des Staates aus der Verantwortung.
Es bedeutet eine Neudefinition des Verhältnisses von
staatlicher Verantwortung, Markt und lebendiger Zivil-
gesellschaft, aber gerade nicht den Rückzug des Staates
aus der Verantwortung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der FDP: Das will doch keiner! Die Grünen kritisieren immer etwas, was keiner vorgeschlagen hat! Am Thema vorbei!)


Drittens. Es wurde hier eben beklagt, dass die Chan-
cen und Möglichkeiten für Engagement immer geringer
werden. Das ist nicht so! Alle Berichte, Erhebungen,
Statistiken und Umfragen, die uns vorliegen, zeigen
deutlich, dass es eine massiv erhöhte Bereitschaft zum
Engagement und auch verstärktes Engagement, und
zwar bei vielen Menschen, gibt.


(Zuruf von der SPD: Richtig!)


Das gilt sowohl für junge als auch für alte Menschen. Es
gilt auch für Migrantinnen und Migranten, um die wir
uns auch zu kümmern haben, indem wir fragen, welche
Bedingungen wir dafür zugrunde legen, dass Menschen






(A) (C)



(B) (D)


Britta Haßelmann
sich engagieren können, die Deutschland vielleicht nicht
als Herkunftsland haben. Schließlich gilt es auch für
Menschen, die arbeitslos sind und Interesse haben, sich
auf diese Art und Weise zu engagieren und ihre Kreativi-
tät einzubringen. Das sollten wir, wenn wir darüber dis-
kutieren, auch einmal zur Kenntnis nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Nun zum Gesetzentwurf: Herr Finanzminister, ich
freue mich sehr, dass Sie zu Weihnachten doch noch die
Kurve gekriegt haben.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Er hat ja auch Geschenke gekriegt, nicht bloß die Kurve!)


Ich hatte am Anfang den Eindruck, dass der Wissen-
schaftliche Beirat und die Empfehlungen des Wissen-
schaftlichen Beirats auch – um das einmal so deutlich zu
sagen – im Finanzministerium auf offene Ohren stoßen.
Ich war irritiert über auf die eine oder andere Stellung-
nahme. Sowohl meine Kollegen und Kolleginnen aus
der SPD als auch die aus der CDU/CSU und anderen
Fraktionen wissen, über welche Stellungnahmen ich
rede.


(Zuruf von der SPD: Das war nicht der Finanzminister!)


Daher bin ich umso positiver überrascht, dass diese Bei-
ratsempfehlungen zum Zeitpunkt der Gesetzeseinbrin-
gung vom Tisch sind.


(Zuruf von der SPD: Der Finanzminister hat immer offene Ohren! In dem Fall sind sie aber zu!)


Denn es war dringend notwendig, mit dem Tenor aufzu-
räumen, lebendige Zivilgesellschaft, Vereinsengagement
und Initiativenarbeit bedeuteten Wettbewerbsverzerrun-
gen und Missbrauch. Ich glaube, da waren wir uns in Be-
zug auf die Arbeit im bürgerschaftlichen Engagement
sehr einig.

Meine Kollegin Christine Scheel ist auf viele der ein-
zelnen Punkte aus den zehn Vorschlägen aus grüner
Sicht eingegangen. Ich glaube, dass es in der Anhörung
und in den Fachausschüssen noch eine sehr intensive
Diskussion geben wird. Denn die eine oder andere Ein-
lassung des Finanzministeriums, Herr Minister, hat nicht
gerade für Klarheit gesorgt. Ich denke zum Beispiel an
die Äußerung, man müsse durch die Neuregelung viel-
leicht bestimmten Vereinen die Gemeinnützigkeit aber-
kennen. Wenn ich an solche Bespiele denke, glaube ich,
dass wir da noch über einige Fragen ganz intensiv disku-
tieren müssen.

Meine Kollegin Christine Scheel hat vorhin, wie ge-
sagt, die Punkte schon angesprochen, die aus grüner
Sicht notwendig sind. Ich will an dieser Stelle betonen,
dass wir zwar jetzt über den Gesetzentwurf zur weiteren
Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements und über
die Fragen im Zusammenhang mit der Gemeinnützigkeit
und der steuerrechtlichen Förderung diskutieren. Im
Grunde genommen muss aber das gesamte Thema der
Förderung des bürgerschaftlichen Engagements überall
und nicht nur in dieser parlamentarischen Debatte be-
handelt werden.

Die Fragen sind: Was tun wir eigentlich, um eine le-
bendige Zivilgesellschaft zu fördern? Welche Bedingun-
gen können wir schaffen, damit sich noch mehr Men-
schen engagieren? Es gibt im Moment fast 23 Millionen
Menschen, die sich in irgendeiner Weise bürgerschaft-
lich engagieren, und zwar nicht nur in großen Verbän-
den, sondern auch in sehr vielen kleinen Initiativen vor
Ort. Was tun wir eigentlich, um dieses Thema als Quer-
schnittsaufgabe zu behandeln und entsprechende Unter-
stützung in allen Politikfeldern und in allen Ressorts zu
leisten?

Wir dürfen nicht die Tatsache überbewerten, dass wir
uns nun mit diesem Gesetzentwurf beschäftigen. Dass
wir jetzt etwas tun, sollte uns nicht dazu veranlassen, uns
gegenseitig auf die Schulter zu klopfen. Es gibt noch
jede Menge konkreten Handlungsbedarf. Ich wünsche
mir eine viel stärkere Debatte in allen Politikfeldern.
Warum sollten nicht auch der Verbraucherschutzminis-
ter, der Umweltminister und die Ministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend viel mehr über die Bedeu-
tung des bürgerschaftliche Engagements in dieser Ge-
sellschaft reden und Initiativen begleiten?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hier besteht noch Handlungsbedarf. Wir müssen stärker
dafür eintreten, Bedingungen zu schaffen, mit denen das
bürgerschaftliche Engagement wirklich gefördert wird.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1609707600

Das Wort hat der Kollege Klaus Riegert von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1609707700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die seit

Mitte der 90er-Jahre geführte Diskussion über Wert und
Bedeutung des ehrenamtlichen Engagements scheint
sich nun endlich auszuzahlen. Zumindest ist ein Wandel
in der Wahrnehmung des Engagements und seiner Be-
deutung für unser Gemeinwesen festzustellen. Die CDU/
CSU begrüßt den vom zuständigen Bundesfinanzminis-
ter vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur weiteren
Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements als ersten
großen Schritt in die richtige Richtung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dies gilt umso mehr, als der Gesetzentwurf im Wesentli-
chen auf Vorschlägen basiert, die auf die Enquete-Kom-
mission und auf Handlungsempfehlungen der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion zurückgehen.






(A) (C)



(B) (D)


Klaus Riegert

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: So ist es! – Zuruf von der SPD: Und der SPD!)


Zur Erinnerung: Die CDU/CSU hat durch eine Große
Anfrage im Jahr 1996 dafür gesorgt, dass wir am
5. Dezember 1997 zum ersten Mal überhaupt eine De-
batte über bürgerschaftliches Engagement im Deutschen
Bundestag hatten.


(Zuruf von der SPD: Das stimmt! – Eduard Oswald [CDU/CSU]: So weit liegt das schon zurück!)


Dies führte zur Einsetzung der Enquete-Kommission im
Jahre 1999. Das Ziel war es, politische Strategien und
Maßnahmen zur Förderung des bürgerschaftlichen
Engagements zu erarbeiten. Ich empfehle jedem, unse-
ren vorliegenden Abschlussbericht, der sehr aktuell ist,
zu lesen.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Es lohnt sich! – Dr. Michael Bürsch [SPD]: 851 Seiten! Wunderbare Lektüre!)


Lassen Sie mich nun konkret auf einige Punkte einge-
hen.

Erstens. Der Gesetzentwurf sieht eine Erhöhung der
Besteuerungs- bzw. Zwecksbetriebsgrenze bei gemein-
nützigen Körperschaften und sportlichen Veranstaltun-
gen auf 35 000 Euro vor. Wir wie auch der Bundesrat
sind der Meinung, dass wir die Besteuerungsgrenze auf
40 000 Euro anheben sollten. Wir möchten mit dieser
Erhöhung eine Flexibilisierung auf drei Jahre verbinden,
um zum Beispiel den Vereinen eine größere Planungs-
freiheit bei der Ausrichtung von Vereinsjubiläen oder be-
sonderen Anlässen zu ermöglichen.

Zweitens. Der Gesetzentwurf sieht eine Anhebung
der sogenannten Übungsleiterpauschale bei unverän-
dertem Anwendungsbereich auf 2 100 Euro vor. Über
die Anhebung des Übungsleiterfreibetrages hinaus halte
ich eine Erweiterung des Bezugskreises auf Verantwor-
tungsträger – zum Beispiel Vereinsvorsitzende, Schatz-
meister und ehrenamtliche Geschäftsführer – für erfor-
derlich.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Wer finanziert das?)


Ferner sollten wir die 2 000 lizenzierten Organisations-
leiter im Sport und die Helfer in der Gefahrenabwehr mit
aufnehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Im Übrigen profitieren die Feuerwehrleute von dieser
Anhebung bisher nicht. Auch hier müssen wir eine ent-
sprechende Anpassung vornehmen. Sie ist notwendig
und sachgerecht. Dies sollte Ausdruck der Anerkennung
für die gefährliche und wertvolle Arbeit der Feuerwehr
sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Drittens. Wir unterstützen die Anhebung des
Höchstbetrages für die Ausstattung von Stiftungen,
sind aber wie der Bundesrat der Meinung, dass wir hier
ein klares Zeichen setzen sollten, diesen auf 1 Million
Euro anheben zu wollen. Das wäre für mich ein wichti-
ges Signal für die Gründung von Stiftungen. Dies würde
den Bürgern die Möglichkeit geben, dauerhaft gemein-
nützige Zwecke zu finanzieren.

Viertens. Im Entwurf ist die Einführung eines Abzugs
von der Steuerschuld in Höhe von 300 Euro jährlich für
ehrenamtliche Tätigkeiten im mildtätigen Bereich im
Umfang von 20 Stunden vorgesehen. Wir sind wie der
Finanzminister der Meinung, dass diese Begrenzung auf
den mildtätigen Bereich ein Ranking innerhalb des eh-
renamtlichen Engagements schafft und damit Unter-
schiede zeitigt. Darin sehen wir ein Problem. Das kann
nicht unser Ziel sein.

Die Konsequenz kann nur sein, dass wir diese Ab-
zugsfähigkeit sachgerecht auf den Naturschutz, die
Hilfs- und Rettungsdienste, die Feuerwehr, kirchliches
Engagement und Bereiche des Sports ausweiten. Falls
dies nicht zu finanzieren ist, sollte dieser Punkt zur Dis-
position stehen. Eine Rangfolge des Ehrenamtes streben
wir nicht an. Aus meiner Sicht sollten wir eher darüber
nachdenken, ob wir nicht eine Freigrenze von
1 200 Euro für alle Ehrenamtlichen schaffen. Damit er-
zielen wir einen konkreten Bürokratieabbau, da die
Einzelnen nicht mehr die Kosten für Porto, Telefon und
gefahrene Kilometer sowie andere Aufwendungen de-
tailliert nachweisen müssen, sondern dies pauschal über
eine Freigrenze abgedeckt ist.

Fünftens. Die Beiträge für Kultur sind in Zukunft von
der Steuer absetzbar. Aber was, Herr Finanzminister, ge-
schieht mit Mitgliedsbeiträgen an Sportvereine? Ihr
Ministerium hat einen entsprechenden Vorschlag lapidar
mit der Formulierung abgelehnt – ich zitiere –: Die Mit-
glieder von Sportvereinen fördern mit ihren Beiträgen in
erster Linie die eigene Freizeitgestaltung. – Lieber Herr
Steinbrück, Sie haben mich zwar gelobt. Aber an dieser
Stelle muss ich Sie natürlich fragen: Was ist mit den Be-
griffen der Sozialisation, der Integration, der Gesund-
heitsförderung und der Lebensschule für Kinder? Dies
alles sind Leistungen der Sportvereine. In Ihren Reden
zu entsprechenden Anlässen findet sich das alles. Ist es
jetzt vergessen?

Lassen Sie uns deshalb gemeinsam darüber nachden-
ken, ob wir die Mitgliedsbeiträge für Kinder und Ju-
gendliche an Sportvereine als Zuwendungen zur Förde-
rung steuerbegünstigter Zwecke anerkennen können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Dies wäre ein erheblicher Beitrag, Eltern zu motivieren,
ihre Kinder regelmäßig zum Sport anzuhalten.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird im Gesetz-
gebungsverfahren die im Gesetzentwurf vorhandenen
Unebenheiten und Ungleichheiten zum Wohle aller eh-
renamtlich Tätigen beseitigen. Wir stehen weiter an der
Seite des Ehrenamtes.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1609707800

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ute Kumpf von der

SPD-Fraktion.


Ute Kumpf (SPD):
Rede ID: ID1609707900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist rich-
tig, Frau Dr. Höll: Viele tun es. Der Brite macht es; der
Franzose macht es. Auch der Pole, der Ire, der Belgier
und der Deutsche tun es. Ganz viele sind in Europa bür-
gerschaftlich, freiwillig, unentgeltlich, eigensinnig un-
terwegs. Sie sind das soziale Kapital, über das unsere
Gesellschaft verfügt. Sie sind ein Kapital, das sich, wenn
man es benutzt, sogar vermehrt. Dies ist auch gut so.

Wir haben also im europäischen Umfeld vieles; eini-
ges haben Sie zitiert. Wir haben aber etwas, was andere
nicht haben: Die 23 Millionen Menschen in Deutsch-
land, die sich bürgerschaftlich engagieren, und die
14 000 Stiftungen haben in Peer Steinbrück einen Fi-
nanzminister, der genau dieses Engagement wertschätzt,
der mit seinem Gesetz hier unterlegt, dass Ehrenamt kein
Ausfallbürge für den Sozialstaat sein soll,


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Richtig!)


der den Ehrenamtlichen nicht als potenziellen Steuerhin-
terzieher betrachtet,


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


sondern davon ausgeht, dass der Ehrenamtliche, wenn er
unterwegs ist, nicht nur an sich denkt, sondern auch an
die Gesellschaft und Gemeinschaft. Alle in diesem
Hause sprechen hier oder in ihrem Wahlkreis zum Tag
des Ehrenamtes am 5. Dezember immer von der Seele
der Demokratie und vom Wärmestrom der Gesellschaft,
der unsere Gesellschaft zusammenhält.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: So ist es!)


Vielleicht wäre es für die Kollegen und Kolleginnen
von der Opposition einmal ganz hilfreich, Folgendes zur
Kenntnis zu nehmen – Kollege Riegert hat es schon ge-
sagt –: In der rot-grünen Koalition haben wir die En-
quete-Kommission und den Ausschuss ins Leben geru-
fen. Wir haben seit 2002 eine ganze Reihe von
Maßnahmen auf den Weg gebracht. Wir haben die finan-
zielle Förderung der Freiwilligendienste, Unfallschutz
und Haftungsfragen geregelt. Wir haben die Hospizbe-
wegung und die Selbsthilfe unterstützt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Versicherungsschutz!)


Wir haben über alle Elemente aus der Enquete-Kommis-
sion in diesem Hohen Hause beraten.

Heute sprechen wir über das Finanzielle; das ist auch
gut so. Nach dem Gutachten des Wissenschaftlichen
Beirates haben viele gefragt: Oh Gott, was werden wir
aus dem Finanzministerium womöglich hören? Mit dem
Gesetzesentwurf mit der Überschrift „Hilfen für Helfer“
– da war die grüne Seite vielleicht nicht mehr so ganz
auf der Höhe der Zeit – hat sich der Finanzminister nicht
auf die Seite des Beirates gestellt, sondern auf die Seite
der Engagierten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat aber eine Zeit lang gedauert!)


– Es hat nicht gedauert.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, doch! Wir haben Zeitung gelesen!)


Vielleicht sind Sie auch da nicht auf der Höhe der Zeit.
Schon lange vorher – auch das ist eine Neuheit – wurde
aus dem Finanzministerium der Kontakt zur Zivilgesell-
schaft und zu den Verbänden gesucht, um das Gesetzes-
werk tatsächlich Stück für Stück zu entwickeln und ge-
meinsam auf den Weg zu bringen.

Deswegen ist das Gesetz zur weiteren Stärkung des
bürgerschaftlichen Engagements ein Zeichen der Aner-
kennung und der Unterstützung bürgerschaftlich Enga-
gierter. Das Gesetz soll mehr Menschen motivieren, sich
zu engagieren. Für uns als Sozialdemokraten ist beides
wichtig – das sage ich vor allem an die Adresse der Lin-
ken –: Sowohl die Zivilgesellschaft als auch der Sozial-
staat müssen gestärkt werden.


(Beifall bei der SPD)


Nur wenn beides gestärkt wird, kann es funktionieren.

Herr Kollege Riegert und andere haben es schon an-
geführt: Mit dem Gesetz „Hilfen für Helfer“ werden un-
sere Forderungen – es sind nicht nur Forderungen der
CDU/CSU; da muss man etwas genauer sein –, die For-
derungen der Enquete-Kommission – Kollege Riegert
und Kollege Bürsch waren dabei; auch ich durfte mitar-
beiten – jetzt aufgegriffen und gesetzgeberisch umge-
setzt.

Nach der Schrecksekunde, die im Sommer durch den
Wissenschaftlichen Beirat ausgelöst wurde, war der Ju-
bel groß, nachdem die Eckpunkte kurz vor dem Tag des
Ehrenamtes am 5. Dezember vorgelegt worden sind.
Jetzt seien Sie doch alle einmal ehrlich – das sage ich
vor allem an die Seite der Linken gerichtet; ich glaube,
in diesen Kreisen bewegen Sie sich nicht –: Es gab viel
Wertschätzung und viele positive Reaktionen aus den
Verbänden, weil sie dem Finanzminister dies nicht zuge-
traut hatten. Es gab ja früher immer die Debatte, dass es
Milliarden kostet, wenn man Steuervergünstigungen für
die jeweiligen Verbände gewährt.

Das Finanzministerium hat mit diesem Gesetzentwurf
richtig gehandelt. Lob und Anerkennung können nicht
nur die Verbände, sondern auch wir an das Ministerium
richten. Ich will hier einmal die Kulturseite zitieren, die
gesagt hat: Hier wird nicht gekleckert, sondern geklotzt.
Das hört man selten über ein Vorhaben des Finanzminis-
teriums; das überrascht. In diesem Fall kommt das, was
mobilisiert werden kann, der Kultur zugute.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese Neuregelungen, die jetzt auf den Weg gebracht
werden sollen, stehen für Bürokratieabbau und für mehr
Anreize zum Stiften von Zeit und von Geld. Wir sind gut
beraten, wenn wir die engagierten Bürgerinnen und Bür-
ger nicht benutzen. Wir alle wissen: Bürgerschaftliches






(A) (C)



(B) (D)


Ute Kumpf
Engagement lässt sich nicht verordnen. Es muss eigen-
sinnig, freiwillig und unentgeltlich sein. Die Menschen
müssen die Möglichkeit haben, innovativ zu sein.

Ich finde es gut und schön, dass dieser Gesetzentwurf
nicht hinter der Wirklichkeit zurückbleibt, sondern mit-
ten im Leben steht. Uns ist besonders wichtig, dass die
Förderung des bürgerschaftlichen Engagements in den
Katalog der gemeinnützigen Zwecke des § 52 der Ab-
gabenordnung – dieser Passus ist auf den ersten Blick un-
scheinbar – aufgenommen wurde. Das geschah zu Recht,
das finden wir gut, und daran wollen wir festhalten.


(Beifall bei der SPD)


Ich finde es immer wieder putzig, wenn die FDP dazu
auffordert, zu stiften und auf andere Weise fürs Gemein-
wohl tätig zu werden. Ich frage mich nur, warum Sie
sich dafür nicht in der Zeit eingesetzt haben, als Sie an
der Regierung waren. Wir sind seit 1998 an der Regie-
rung, und seitdem ist die Stiftungskultur bei uns am
Werden und am Wachsen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der FDP: Das war doch mit angezogener Handbremse! Das wissen Sie doch auch, Frau Kollegin!)


Ich glaube, viele Kolleginnen und Kollegen aus unserer
Runde waren bei vielen Bürgerstiftungen dabei. Auch
ich habe meinen Beitrag geleistet. Wir werden auch in
Zukunft für Verbesserungen der Rahmenbedingungen
für Stiftungen sorgen. Wir werden wahrscheinlich auch
den Stiftungsrahmen anheben. Wir haben schon viel ge-
tan, und wir werden auch in Zukunft noch viel tun.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Volker Wissing [FDP]: Wenn auch mit angezogener Handbremse! – Abg. Jörg Tauss [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1609708000

Frau Kollegin Kumpf, erlauben Sie eine Zwischen-

frage?


Ute Kumpf (SPD):
Rede ID: ID1609708100

Lieber Kollege Tauss, ich würde jetzt gern bei diesem

Thema bleiben, weil es mir wichtig ist. Es ist ein heiß
umkämpftes Thema und ein Lieblingskind von mir. Die
einen stiften Geld, und die andern stiften Zeit. Ich
glaube, auch diejenigen, die Zeit spenden, die ehrenamt-
lich und unentgeltlich für ältere und behinderte Men-
schen tätig sind, werden dadurch ermutigt, dass sie
300 Euro von ihrer Steuerschuld abziehen können. Wir
tun gut daran, dieses Engagement zu unterstützen. Ich
weiß, dass das sehr umstritten ist. Ich denke, dass wir
hiermit einen Paradigmenwechsel vornehmen. Wir ent-
sprechen damit auch einer Forderung der Enquete-Kom-
mission.

Es wird immer wieder behauptet, dass für die
Übungsleiter nichts getan wurde. In dem Gesetzeswerk
steckt auch eine Erhöhung der Übungsleiterpau-
schale. Mit dieser Erhöhung befindet sich Peer
Steinbrück in guter Gesellschaft: In Zeiten von Willy
Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder wurde
die Übungsleiterpauschale erhöht. Von dieser Übungslei-
terpauschale profitieren im Übrigen nicht nur Kollegin-
nen und Kollegen, die sich im Bereich des Sports um die
Jugend kümmern, sondern auch diejenigen, die sich im
Bereich der Kultur und in anderen Bereichen für die Ju-
gend engagieren.

Ich sehe, dass die Lampe leuchtet. Der Präsident sagt
gleich etwas.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1609708200

Frau Kollegin, sind Sie so weit?


Ute Kumpf (SPD):
Rede ID: ID1609708300

Ich komme gleich zum Schluss.

Ich habe noch ein Anliegen.


(Zurufe von der CDU/CSU)


– Ich habe zwar mehrere, ich konzentriere mich jetzt
aber auf eines, Kollege Fischer. – Ich hoffe, dass die
CDU/CSU, was den Terminplan anbelangt, ein wenig
schwächelt. Ich finde, dass diejenigen, die sich bürger-
schaftlich engagieren, es verdient haben, dass bis zur
Sommerpause Klarheit über das steuerrechtliche Verfah-
ren herrscht.


(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Wir können uns morgen einigen!)


Nachdem wir alle steuerrechtlichen Fragen abgehandelt
haben, wird noch genügend Zeit bleiben, um andere Fra-
gen zu klären, zum Beispiel Haftungsfragen.


(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Wir sind einigungsfähig!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1609708400

Frau Kollegin Kumpf, Sie bringen jetzt unseren Ter-

minplan durcheinander.


Ute Kumpf (SPD):
Rede ID: ID1609708500

Deswegen bitte ich, dass wir unsere Beratungen zügig

fortsetzen,


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Aber wir wollen natürlich auf der sicheren Seite sein!)


damit wir die Menschen Mitte des Sommers auf unserer
„Ehrenamtstour“ in ihrem Wirken bestärken können.

Danke.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1609708600

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

erteile ich das Wort dem Kollegen Otto Bernhardt von
der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Otto Bernhardt (CDU):
Rede ID: ID1609708700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir sind uns sicher alle darin einig, dass gesell-
schaftliches Leben ohne die Bereitschaft von Millionen
von Menschen in Deutschland, sich neben Familie und
Beruf ehrenamtlich zu betätigen, in vielen Bereichen
überhaupt nicht möglich wäre. Insofern muss man im
Rahmen dieser Debatte all denen, die – oftmals ganz im
Verborgenen – aktiv arbeiten, von dieser Stelle ein herz-
liches Dankeschön sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist schon erstaunlich, dass, wie neueste Untersu-
chungen zeigen, jeder dritte Deutsche ehrenamtlich tätig
ist. Was mich besonders erfreut, ist, dass sich diese Zahl
in den letzten Jahren erhöht hat. Das Ehrenamt ist ein
Thema – das hat die Debatte gezeigt –, das für alle Par-
teien bzw. Fraktionen von großer Bedeutung ist. Für uns
geht es hierbei nicht nur um materielle Fragen. Für uns
gehört eine Stärkung des ehrenamtlichen Engagements
zu den Grundsätzen der Politik: Solidarität, Subsidiari-
tät.

Vor diesem Hintergrund haben wir mit dafür gesorgt,
dass bereits im Koalitionsvertrag das Ziel der Verbesse-
rung der Rahmenbedingungen festgehalten wurde.
Heute nun diskutieren wir in erster Lesung über einen
Gesetzentwurf der Bundesregierung, der die Stärkung
des bürgerschaftlichen Engagements zum Ziel hat. Ich
kann nur sagen: Herr Minister, Sie haben einen guten
Entwurf vorgelegt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir stimmen dem Inhalt mit Ausnahme eines Punktes
uneingeschränkt zu. Bei diesem einen Punkt wollen Sie,
um das klar zu sagen, etwas Gutes. Es geht dabei um die
Möglichkeit, bis zu 300 Euro pro Jahr, also 25 Euro pro
Monat, von der Steuerschuld abzuziehen, wenn be-
stimmte Voraussetzungen erfüllt sind. So mancher Eh-
renamtler fühlt sich da fast in seiner Ehre gekränkt. Viel
problematischer ist für uns jedoch die in diesem Zusam-
menhang entstehende Bürokratie. Es heißt, man kann
diese 25 Euro abziehen, wenn man im Monat mehr als
20 Stunden ehrenamtlich arbeitet. Dies muss dann natür-
lich irgendwo dokumentiert werden. Dabei leiden die ar-
men Vereinsvorsitzenden schon heute unter zu viel Bü-
rokratie.

Ein weiterer Punkt ist, dass Sie diese Steuerermäßi-
gung laut Ihrem Entwurf auf diejenigen begrenzen wol-
len, die mit Älteren, Behinderten und Kranken arbeiten.
Das sind ganz wichtige Bereiche. In der bei mir einge-
henden Post wird allerdings – mehrere Redner haben es
angesprochen – von vielen, die in anderen Bereichen tä-
tig sind, gefragt: Sind wir weniger wichtig? Diese
– jede! – Abgrenzung ist problematisch.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist genau das Problem!)

Ihr Vorschlag werde, so sagen Sie, zu Steuerausfällen
von 400 Millionen Euro im Jahr führen. Das ist ein gro-
ßer Schluck aus der Pulle für den ehrenamtlichen Be-
reich, den wir mittragen. Wir stimmen Ihnen darüber hi-
naus zu, dass diese 400 Millionen Euro die Grenze sein
müssen. Im Grunde geht es jetzt darum, ob man den
Kreis der Begünstigten erweitern sollte. Die Kollegin
Scheel hat eine Reihe von Punkten genannt; dem könnte
ich zustimmen. Doch ich habe mir sagen lassen, dass
wir, wenn wir das umfassend gestalten, bei 1 Milliarde
Euro landen. Deshalb sage ich ganz deutlich: Ich
schließe nicht aus, dass wir im Rahmen der Beratungen
zu dem Ergebnis kommen, dass wir uns diesen Punkt
einfach nicht leisten können. Wir haben für die dann frei
werdenden Mittel eine ganze Reihe guter Vorschläge;
hier ist vieles gesagt worden. Von Bayern sind gute Vor-
schläge gekommen, ja ich kann generell sagen: vom
Bundesrat. Auch wir haben einzelne Vorschläge ge-
macht. Hier kann man sicher noch etwas verbessern.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Katrin GöringEckardt)


Die heutige Debatte hat gezeigt, dass alle Fraktionen
bestrebt sind – wenn auch mit unterschiedlichen Schwer-
punkten –, das Ehrenamt in Deutschland zu stärken. Das
ist die richtige Botschaft an die Ehrenamtlichen in
Deutschland: Der Bundestag steht geschlossen hinter ih-
rer Arbeit


(Beifall des Abg. Dr. Volker Wissing [FDP] sowie der Abg. Dr. Barbara Höll [DIE LINKE])


und ist bereit, die Rahmenbedingungen weiter zu verbes-
sern. Ich stimme dem Ausschussvorsitzenden zu, der ge-
sagt hat: Wir sollten versuchen, für diesen Gesetzent-
wurf eine möglichst breite Zustimmung zu bekommen.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist wahr!)

Ich glaube, die FDP holen wir noch rein.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Bis auf einen!)

Bei den Grünen sehe ich auch noch gewisse Chancen.
Die Vermögensteuer will ich nicht hereinbringen, aber
ich kann mir vorstellen, dass wir eine sehr breite Zustim-
mung bekommen. Das wäre ein weiteres gutes Signal für
die Ehrenamtlichen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Deshalb kann ich abschließend nur sagen: Dieser Ge-
setzentwurf ist ein Kompliment für das Ehrenamt. Wir
alle stehen zu dem Ehrenamt. Dies ist eine gute Stunde
für das ehrenamtliche Engagement in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609708800

Ich schließe die Aussprache.
Zwischen den Fraktionen ist verabredet, die Vorlagen

auf den Drucksachen 16/5200 und 16/5245 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überwei-
sen. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 h
sowie die Zusatzpunkte 4 a bis 4 f auf:

29 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Wolfgang Bosbach, Dr. Hans-Peter Uhl, Kristina
Köhler (Wiesbaden), weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeord-
neten Fritz Rudolf Körper, Maik Reichel, Klaus
Uwe Benneter, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Mikrozensusgeset-
zes 2005 und des Bevölkerungsstatistikgesetzes

– Drucksache 16/5239 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Beratung des Antrags des Bundesministeriums
der Finanzen

Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2006 – Vorlage der Haushalts-

(Jahresrechnung 2006)


– Drucksache 16/4995 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marina
Schuster, Dr. Karl Addicks, Florian Toncar, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Für eine Neuausrichtung der deutschen Afri-
kapolitik

– Drucksache 16/5130 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss

d) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN

Fortschritte für Zypern – Eine Aufgabe für die
deutsche EU-Ratspräsidentschaft

– Drucksache 16/5259 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun
Bluhm, Katrin Kunert, Katja Kipping, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN

Rechtsanspruch auf Mieterberatung für Men-
schen mit geringem Einkommen

– Drucksache 16/5247 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

f) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung

Bericht der Bundesregierung über die deutsche
humanitäre Hilfe im Ausland 2002 bis 2005

– Drucksache 16/3777 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

g) Beratung der Unterrichtung durch die deutsche
Delegation in der Interparlamentarischen Union

115. Interparlamentarische Versammlung vom
16. bis 18. Oktober 2006 in Genf, Schweiz

– Drucksache 16/4121 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

h) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung

Siebzehnter Bericht nach § 35 des Bundesaus-
bildungsförderungsgesetzes zur Überprüfung
der Bedarfssätze, Freibeträge sowie Vomhun-
dertsätze und Höchstbeträge nach § 21 Abs. 2

– Drucksache 16/4123 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

ZP 4 a)Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiundzwanzigsten
Gesetzes zur Änderung des Bundesausbil-
dungsförderungsgesetzes (22. BAföGÄndG)


– Drucksache 16/5172 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela
Piltz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Dr. Max Stadler, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP

Beitritt des Bundes zum Rechtsstreit des Lan-
des Schleswig-Holstein gegen die EU-Kommis-
sion

– Drucksache 16/4607 –






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Petra Pau, Sevim Dağdelen, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der LINKEN

Irakische Flüchtlinge in die EU aufnehmen –
In Deutschland lebende Iraker und Irakerin-
nen vor Abschiebung schützen
– Drucksache 16/5248 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Werner
Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der LINKEN

Unternehmen leistungsgerecht besteuern –
Einnahmen der öffentlichen Hand stärken
– Drucksache 16/5249 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Hermann, Fritz Kuhn, Peter Hettlich, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN

Schieneninfrastruktur ist öffentliche Auf-
gabe – Moratorium für die Privatisierung der
Deutsche Bahn AG
– Drucksache 16/5270 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Krista
Sager, Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn) und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN

Einrichtung des Europäischen Technologie-
instituts abwenden – Bestehende europäische
Förderstrukturen stärken und weiterentwi-
ckeln
– Drucksache 16/5254 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Es handelt sich dabei um Überweisungen im verein-
fachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. – Damit sind Sie ebenfalls einverstanden.
Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 k
sowie den Zusatzpunkt 5 auf. Es handelt sich um die Be-
schlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Ausspra-
che vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 30 a:

Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Gesetzes über die Wahl des Bundespräsiden-
ten durch die Bundesversammlung

– Drucksache 16/3303 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung (1. Ausschuss)


– Drucksache 16/5096 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Ole Schröder
Christine Lambrecht
Jörg van Essen
Dr. Dagmar Enkelmann
Volker Beck (Köln)


Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/5096, den Gesetzentwurf auf
Drucksache 16/3303 anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Hand-
zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist
der Gesetzentwurf in zweiter Beratung ohne Gegenstim-
men und ohne Enthaltung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetz-
entwurf mit dem gleichen Ergebnis wie vorher ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 30 b:

Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes

– Drucksache 16/4198 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

(15. Ausschuss)


– Drucksache 16/5274 –

Berichterstattung:
Abg. Enak Ferlemann

Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/5274, den Gesetzentwurf des Bundes-






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
rates auf Drucksache 16/4198 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit
den Stimmen der Koalition und der FDP gegen die Stim-
men des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf mit dem
gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen.

Tagesordnungspunkt 30 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Rechts-
ausschusses (6. Ausschuss)


Übersicht 6
über die dem Deutschen Bundestag zugeleite-
ten Streitsachen vor dem Bundesverfassungs-
gericht

– Drucksache 16/5138 –

Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussemp-
fehlung einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkte 30 d bis k sowie Zusatz-
punkt 4. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen
des Petitionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 30 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 210 zu Petitionen

– Drucksache 16/5120 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Damit ist die Sammelübersicht 210 einstim-
mig angenommen.

Tagesordnungspunkt 30 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 211 zu Petitionen

– Drucksache 16/5121 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Damit ist die Sammelübersicht 211 durch Zu-
stimmung der Fraktionen der Koalition und der FDP bei
Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung
der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 30 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 212 zu Petitionen

– Drucksache 16/5122 –
Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Damit ist die Sammelübersicht 212 einstimmig
angenommen.

Tagesordnungspunkt 30 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 213 zu Petitionen

– Drucksache 16/5123 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Diese Sammelübersicht ist angenommen mit den
Stimmen der Fraktionen der Koalition und des
Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP
und der Linken ohne Enthaltungen.

Tagesordnungspunkt 30 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 214 zu Petitionen
– Drucksache 16/5124 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Damit ist die Sammelübersicht angenommen mit
den Stimmen von CDU/CSU, SPD, FDP und vom Bünd-
nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke.

Tagesordnungspunkt 30 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 215 zu Petitionen

– Drucksache 16/5125 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Diese Sammelübersicht ist angenommen mit den
Stimmen der Koalition und der FDP gegen die Stimmen
der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen.

Tagesordnungspunkt 30 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 216 zu Petitionen

– Drucksache 16/5126 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Diese Sammelübersicht ist angenommen mit den
Stimmen der Koalition und der Linken gegen die Stim-
men der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen.

Tagesordnungspunkt 30 k:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 217 zu Petitionen
– Drucksache 16/5127 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht ist angenommen mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposi-
tion.






(A) (C)



(B)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Zusatzpunkt 5:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Grünbuch
Die Überprüfung des gemeinschaftlichen
Besitzstands im Verbraucherschutz
KOM (2006) 744 endg.; Ratsdok. 6307/07

– Drucksachen 16/4635 Nr. 2.20, 16/5272 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Julia Klöckner
Marianne Schieder
Hans-Michael Goldmann
Karin Binder
Ulrike Höfken

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung, die Unterrichtung zur Kenntnis
zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen
der Koalition, der FDP und der Linken gegen die Stim-
men des Bündnisses 90/Die Grünen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/5272 empfiehlt der Ausschuss, eine Ent-
schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann
ist die Beschlussempfehlung angenommen mit den Stim-
men der Koalition und der FDP gegen die Stimmen des
Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung der Linken.

Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD

Aktuelle wirtschaftliche Entwicklung und Lage
auf dem Arbeitsmarkt

Ich eröffne die Rednerliste und erteile das Wort dem
Bundesminister Franz Müntefering.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und
Soziales:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gestatten Sie mir in der in einer Aktuellen Stunde gebo-
tenen Kürze einige Anmerkungen zu dem genannten
Thema. Das Wachstum im letzten Jahr war gut; es war
besser, als wir es Anfang des Jahres vermutet haben.
Auch die Wirtschaftsweisen waren am Ende des Jahres
überrascht über die gute Entwicklung.

Besonders gut war die Entwicklung des Binnenmark-
tes. Der Binnenmarkt war im Jahr 2004 mit 0,0 Prozent,
im Jahr 2005 mit 0,5 Prozent und im Jahr 2006 mit
1,6 Prozent am Wachstum beteiligt.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was eine Fußballweltmeisterschaft ausmacht, Herr Müntefering!)


Für dieses Jahr wird mit einem Wachstum des Binnen-
marktes von 1,5 Prozent bis 1,6 Prozent gerechnet.

Vor diesem Hintergrund kann ich uns bei allem, was
wir in den nächsten Wochen zu entscheiden haben, nur
empfehlen, weiterzumachen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir müssen nicht nur sanieren, sondern auch investie-
ren, damit der Binnenmarkt in Bewegung bleibt. Damit
verbindet sich ein Absinken der Beschäftigungs-
schwelle. Alle Ökonomen haben uns immer wieder er-
zählt, dass der Arbeitsmarkt erst bei einem Wachstum
von 2 Prozent bis 2,5 Prozent in Bewegung geraten
würde. Nach neuen Erkenntnissen ist das bei einem
Wachstum zwischen 1 Prozent und 1,5 Prozent der Fall.
Das ist gut und hängt mit dem Dienstleistungssektor zu-
sammen, der schneller in Bewegung gerät als andere Be-
reiche. Das heißt, wir können auch für dieses Jahr eine
positive Entwicklung erwarten. 1,1 Millionen Arbeits-
lose weniger als vor zwei Jahren bzw. 824 000 weniger
als vor einem Jahr – darunter fast 180 000 Arbeitslose
über 50 Jahren und 153 000 unter 25-jährige – sind eine
gute Bilanz für die Koalition und für die Regierung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Punkt zwei. Es heißt immer, die Zahl der Langzeit-
arbeitslosen, der Arbeitslosengeld-II-Empfänger, sei
doch unverändert geblieben. Das ist falsch. Wir hatten
vor einem Jahr 2,978 Millionen Arbeitslosengeld-II-
Empfänger, heute nur noch 2,613 Millionen. Das sind
365 000 Arbeitslosengeld-II-Empfänger weniger. Das
entspricht einem Minus von 12,3 Prozent. Das heißt,
dass wir etwa 3 Milliarden bis 4 Milliarden Euro in die-
sem Bereich weniger ausgeben, genauso wie wir es im
Haushalt sehr ehrgeizig angesetzt hatten. Wir haben al-
lerdings ein Problem: Die Zahl derjenigen, die
Arbeitslosengeld II bekommen, aber nicht arbeitslos
sind, steigt, und zwar seit zwei Jahren um 800 000. Wir
haben fast so viele, die nicht arbeitslos sind, also mehr
als 15 Stunden arbeiten, und ergänzend Arbeitslosen-
geld II bekommen, wie Arbeitslose, die Arbeitslosen-
geld II bekommen. Es gibt dagegen ein Mittel. Das heißt
Mindestlohn. Darüber werden wir bei anderer Gelegen-
heit sprechen. Aber hier liegt das Problem.


(Beifall bei der SPD)


Punkt drei. Nun geht es um die Bekämpfung der So-
ckelarbeitslosigkeit. Wir haben gestern im Kabinett be-
schlossen, einen Qualifizierungskombi für junge Men-
schen unter 25 aufzulegen, die schwer vermittelbar sind,
weil sie keine Ausbildung haben. Diesen wollen wir eine
Chance geben. Wir haben des Weiteren beschlossen,
etwa 100 000 Menschen im Bereich des sozialen Ar-
beitsmarktes eine Chance zu geben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen denjenigen, die sehr schwer vermittelbar
sind, eine Chance geben, in Arbeit zu kommen; denn

(D)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Franz Müntefering
diese Menschen haben auch bei einem hohen Beschäfti-
gungsstand kaum eine Chance. Wir haben in Deutsch-
land eine Definition gewählt, die sehr anspruchsvoll ist:
Wer in absehbarer Zeit drei Stunden am Tag arbeiten
kann, gilt als beschäftigungsfähig. In Großbritannien
sind das ganz andere Zahlen. Wir haben mit unserer De-
finition dazu beigetragen, dass 3,1 Prozent der Men-
schen im Erwerbsalter als nicht erwerbsfähig gelten. Das
sind in Großbritannien 6,5 Prozent und in den Niederlan-
den 8 Prozent. Wenn wir das anders definierten, stiege
die Zahl der Arbeitslosen sofort. Das wollen wir nicht.
Aber wir wollen denjenigen, die Beschäftigungshemm-
nisse aufweisen, helfen, ins Erwerbsleben zu kommen.
Hierzu hat die Bundesregierung gestern wichtige Ent-
scheidungen getroffen. Wir werden sie so schnell wie
möglich umsetzen.

Wir werden prüfen, was wir in den Bereichen tun
können, in denen die Arbeitslosigkeit besonders hoch ist.
Das betrifft nicht nur, aber in hohem Maße Ostdeutsch-
land. In Westdeutschland liegt die Arbeitslosenquote bei
7,8 Prozent, während sie in Ostdeutschland bei
15,9 Prozent liegt. Nun bin ich gegen eine saubere Tren-
nung zwischen Ost und West, sage aber: Wir müssen in
den Bereichen, in denen es eine hohe Langzeitarbeitslo-
sigkeit gibt, die selbst in einer so guten Konjunkturphase
wie der jetzigen nicht verringert werden kann, noch
mehr tun. Wir müssen dort helfen, wo die Arbeitslosig-
keit dramatisch hoch ist, ganz gleich, ob die Gebiete im
Westen oder im Osten Deutschlands liegen. Wir müssen
versuchen, hier neuen Schwung hineinzubringen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Punkt vier. Ich bin mit einem Punkt in der Entwick-
lung nicht einverstanden. Darüber ist jetzt nicht zu dis-
kutieren, aber ich will ihn nennen: Das ist der Ausbil-
dungsbereich. Hier müssen wir in Deutschland besser
werden. Es hat im letzten Jahr Erweiterungen und Ver-
besserungen gegeben. Diese waren aber nicht ausrei-
chend. Der Ehrgeiz der Koalition ist: Wir müssen in die-
ser Legislaturperiode hinbekommen – das ist angesichts
der Lage auf dem Arbeitsmarkt möglich –, dass wirklich
und wahrhaftig kein junger Mann und keine junge Frau
mehr von der Schulbank in die Arbeitslosigkeit kommt.
Wir müssen es zusammen mit den Unternehmen und der
Wirtschaft schaffen; das ist möglich. Wir müssen neuen
Druck entwickeln, damit wir an dieser Stelle wirklich
befriedigende Ergebnisse erzielen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Punkt fünf. Das ist durch die Entwicklung auf dem
Arbeitsmarkt regelrecht aufgerissen worden: Wir stehen
in hohem Maße vor einem Qualifizierungsproblem. Uns
fehlen 20 000 bis 25 000 Ingenieure. Aber auch andere
Bereiche haben große Schwierigkeiten. Das ist eine pa-
radoxe Situation: Die Zahl der offenen Stellen ist von
420 000 im vergangenen Jahr auf 920 000 Stellen in die-
sem Jahr gestiegen. Nun kann man meinen, dass schnel-
ler vermittelt wird. Aber die Lebenswirklichkeit ist: Die
Vermittlungszeiten werden länger, weil die Fachleute,
die man sucht, nicht mehr so schnell gefunden werden,
wie man es sich eigentlich wünscht. Daraus erklärt sich
übrigens der große Boom der Zeit- und Leiharbeit; denn
dort gibt es quasi eine Vororganisation und wird eine
Vorentscheidung getroffen, die sich viele Firmen zu-
nutze machen. Das ist zwar heute nicht Thema. Aber die
Frage nach der hinreichenden Qualifizierung wird uns in
den nächsten Jahren zunehmend beschäftigen. Wir müs-
sen nicht nur darauf achten, dass es auf dem Arbeits-
markt insgesamt Bewegung gibt. Vielmehr muss die nö-
tige Qualifikation gesichert bleiben.

Die deutsche Wirtschaft muss wissen: Wir müssen die
Arbeit, die wir haben, mit den Menschen erledigen, die
in unserem Land leben. Es geht nicht, zu sagen: Uns feh-
len qualifizierte Leute. Macht das Tor auf! Holt Men-
schen aus aller Welt zusammen! – Die Arbeit, die wir in
Deutschland haben, muss zuerst mit dem Potenzial, das
wir hier haben, erledigt werden. Dafür werden wir jeden-
falls streiten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir werden die Instrumente im zweiten Halbjahr zu
überprüfen haben. Das ist so vereinbart worden, und das
werden wir zusammen mit der Agentur, mit den Argen
und mit den optierenden Gemeinden auch tun.

Ich will einmal ausdrücklich ein Dankeschön in diese
Richtung sagen. Diese haben in den beiden letzten Jah-
ren von vielen, auch von uns, mächtig etwas auf das
Haupt bekommen. Wir haben sie ziemlich alleingelas-
sen, als wir damals das Ganze geschaffen haben. Ich
sage – auch weil ich mir das vor Ort angesehen habe –:
Großen Respekt vor denen, die in der Bundesagentur, in
den Argen und in den optierenden Gemeinden jeden Tag
ihr Bestes tun, um die Probleme zu lösen, die es objektiv
gibt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das kann noch besser werden. Dabei müssen wir helfen;
aber an dieser Stelle großen Respekt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir, die Bundesre-
gierung, haben in Europa in der Zeit unserer Präsident-
schaft das Thema „Gute Arbeit“ gesetzt. Ich finde, das
ist etwas, was wir auch in Deutschland als Messlatte für
das gut gebrauchen können, was in den kommenden Jah-
ren zu tun ist.

„Gute Arbeit“ heißt, das Ziel der Vollbeschäftigung
nicht aus den Augen zu verlieren. Ich weiß, viele sagen,
das schafft ihr nicht, nicht schnell. Das weiß ich. Trotz-
dem dürfen wir es nicht aus den Augen verlieren. Alle
Menschen müssen eine Chance haben. Arbeit ist sinn-
stiftend für die Menschen, und sie ist wohlstandssi-
chernd.

Zu „Guter Arbeit“ gehört ein fairer, ehrlicher, Exis-
tenz sichernder Lohn. Zu „Guter Arbeit“ gehört Arbeits-
schutz, auch präventiv. Zu „Guter Arbeit“ gehört
familiengerechte und familienfreundliche Gestaltung der
Arbeitswelt. Dass es so viele junge Mütter unter den
Langzeitarbeitslosen gibt, hängt damit zusammen, dass
wir an der Stelle nicht so gut sind, wie wir es sein müss-
ten. Die Debatte über die Betreuung der unter Dreijähri-
gen hat auch darin eine gute Begründung. Wir müssen an






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Franz Müntefering
der Stelle drauflegen. Wir müssen sehen, dass es besser
vorangeht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zur „Guten Arbeit“ gehört auch eine hinreichend gute
Vertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
damit ihre Rechte auch in Zukunft gesichert bleiben.

Dieses sind im Stakkato vorgetragene wichtige Eck-
punkte zu der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Man
muss sich ja ab und zu auch einmal selbst zensieren. Ich
würde sagen: Zwei minus. Wir können auf „Eins“ kom-
men, wenn wir uns in den nächsten beiden Jahren an-
strengen. Ich sage dies vorbeugend, weil ich vermute,
Herr Brüderle wird dazu wieder nicht bereit sein. Er ist
nicht objektiv in seiner Darstellung der Probleme.


(Beifall bei der SPD – Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Genau!)


Deshalb muss ich selbst die Zensur für uns ausstellen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609708900

Kollege Rainer Brüderle hat das Wort für die FDP-

Fraktion.


(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Jetzt wird es sozial-liberal! – Heiterkeit)



Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1609709000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es war

vorhersehbar, dass die Große Koalition diese Aktuelle
Stunde anberaumt, um sich selbst zu feiern und zu be-
weihräuchern. Das ist ja völlig klar.


(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Zu Recht! – Andrea Nahles [SPD]: Freuen Sie sich mit!)


Wenn wir heute etwas zu feiern haben, dann müssen
wir feiern, dass die Unternehmen in Deutschland, die
Arbeitnehmer, eine gewaltige Restrukturierungsleistung
erbracht haben, dass wir vernünftige Tarifabschlüsse
hatten und vor allen Dingen, dass der Boom in der Welt-
wirtschaft in Deutschland angekommen ist


(Beifall bei der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nur die Bundesregierung hat damit nichts zu tun!)


und alle darin bestätigt worden sind, die für offene Gren-
zen, nicht für Abschottung, waren.


(Zuruf)


– Ja, wir haben auch Osteuropäer, die hier arbeiten; aber
wir verkaufen außerordentlich viel nach Osteuropa. Da-
her kommt auch der Schwung. Ohne den dynamischen
Export wäre die Entwicklung in Deutschland relativ saft-
und kraftlos.

Das sind die Leute, die es gemacht haben, die man
feiern muss,


(Beifall bei der FDP)

und nicht die Trittbrettfahrer, die jetzt Etikettenschwin-
del betreiben und sagen, wir waren es. – Darum geht es
nicht.

Entscheidend ist jetzt aber, dass sich die Regierung
nach dem heißen April nicht wirtschaftspolitisch Hitze-
frei nimmt. Vielmehr muss sie die gute Entwicklung,
über die wir uns alle freuen – wir freuen uns darüber,
dass wir Wachstum haben, und zwar weit mehr, als es
vorausgesagt worden ist; wir freuen uns darüber, dass es
mehr Arbeitsplätze gibt –, fortsetzen.


(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Die Freude ist Ihnen anzusehen!)


Aber sie muss jetzt die richtigen Hausaufgaben anpa-
cken, Strukturreformen durchziehen, damit daraus ein
langfristiger Trend wird. Dabei ist sie bei weitem noch
nicht. Sie müssen den Haushalt konsolidieren, die Neu-
verschuldung auf null zurückführen, aber auch Steuern
senken, damit Sie den Wachstumstrend verstärken.


(Beifall bei der FDP)


Wir hätten weniger Arbeitslose, Herr Müntefering, wenn
Sie nicht mit der Mehrwertsteuererhöhung die größte
Steuererhöhung aller Zeiten zum 1. Januar in Deutsch-
land durchgeführt hätten. Das hat Arbeitsplätze gekostet.


(Beifall bei der FDP)


Wir erleben jetzt Vorzieheffekte wegen der Abschaf-
fung der degressiven Abschreibung, aber von Vorzieh-
effekten kann man auf Dauer nicht leben. Sie müssen
endlich an die Pflegeversicherung herangehen und diese
in Ordnung bringen und den Haushalt umstrukturieren.
Sie haben überhaupt nicht gespart. Sie haben die Ausga-
ben erhöht, und Sie haben die Steuern erhöht. Das ist
kein Umstrukturierungs-, kein Modernisierungspro-
gramm.


(Beifall bei der FDP)


Sie haben sich vor allen harten Aufgaben gedrückt. Sie
sind Hans im Glück, weil die Wirtschaft aus anderen
Gründen gut läuft.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Franz im Glück!)


Das hat aber nichts mit der Regierung zu tun. Sie haben
die Wirtschaft eher behindert. Jetzt verfolgen Sie noch
die falsche Strategie.

Herr Müntefering ist Arbeitsminister; aber ein Ar-
beitsminister, der Mindestlöhne einführen will, ist ein
Arbeitsplatzverhinderungsminister; denn Mindestlöhne
werden keine Arbeitsplätze bringen.


(Beifall bei der FDP)


Die Wirtschaftsforscher rechnen es Ihnen vor: Ein Min-
destlohn von 7,50 Euro, den der DGB will, kostet
620 000 Arbeitsplätze, ein Mindestlohn von 6,50 Euro,
den Herr Müntefering will, kostet 465 000 Arbeitsplätze.
Ich sehe schon, dass wieder ein fauler Kompromiss he-
rauskommt. Die CDU wird wieder umfallen. Es wird
keinen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn ge-
ben, sondern branchenbezogene Mindestlöhne. Das ist






(A) (C)



(B) (D)


Rainer Brüderle
noch schlimmer als flächendeckende Mindestlöhne, weil
sie zusätzlich Strukturen verzerren. Sie machen es noch
schlimmer.


(Beifall bei der FDP)


Das wird wie bei der Gesundheitsreform werden. Sie ha-
ben nicht den Mut, etwas Vernünftiges zu tun. Sie treffen
wieder eine Fehlentscheidung nach der anderen, nur um
etwas gemeinsam hinzukriegen. Wenn ich mir den Pro-
grammentwurf der Union ansehe, dann finde ich nichts
mehr von den Ideen der alten Union, die sie vor der Bun-
destagswahl hatte, nämlich betriebliche Bündnisse für
Arbeit, modernes Kündigungsrecht, mehr Flexibilisie-
rung. Da zeigt sich der Umgang der beiden sozialdemo-
kratischen Parteien – eine rot, eine schwarz – miteinan-
der. Die färben gegenseitig ab, und es kommt dieser
undefinierbare Gulasch heraus. Das ist nicht die Strate-
gie, die nach vorne führt.

Eines haben Sie nicht angesprochen, Herr
Müntefering: Gut ein Drittel der neu entstandenen Ar-
beitsplätze kommt durch Zeitarbeitsfirmen. Das ist der
Beleg dafür, dass die fehlende Flexibilität eine der Kern-
ursachen dafür ist, dass wir nicht mehr Arbeitsplätze ha-
ben.


(Beifall bei der FDP)


Sie müssen den Umweg über Zeitarbeitsfirmen gehen,
weil dort der Kündigungsschutz nicht wirkt und dort
mehr Flexibilität herrscht. Machen Sie es doch gleich
richtig, nicht immer nur indirekt! Haben Sie den Mut,
den Arbeitnehmern und den Selbstständigen durch steu-
erliche Entlastung und eine Steuerreform, die den Na-
men verdient – einfach, niedrig und gerecht, das ist das
Modell von Hermann Otto Solms –, die Chance zu ge-
ben, dass das verfügbare Einkommen steigt. Das wird
Wachstum bringen. Haushaltskonsolidierung und Steu-
erreform sind zwei Seiten derselben Medaille. Sie gehö-
ren geistig und instrumentell zusammen.


(Beifall bei der FDP)


Sie werden leider wieder nicht die Kraft haben, das zu
tun. Sie sonnen sich jetzt im Licht der guten wirtschaftli-
chen Entwicklung. Aber wenn Sie zu lange in der Sonne
liegen, haben Sie nicht mehr die Kraft zum Denken. Ge-
hen Sie aus der Sonne, krempeln Sie die Ärmel hoch,
und machen Sie etwas Vernünftiges! Die Menschen in
Deutschland hätten es verdient.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP – Dirk Niebel [FDP]: Das kann er jetzt Kurt Beck sagen!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609709100

Jetzt spricht die Kollegin Dagmar Wöhrl für die Bun-

desregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


D
Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1609709200


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-
gen! Lieber Kollege Brüderle, es heißt: Tue Gutes, und
rede darüber! – Ich glaube, deswegen ist es richtig, dass
wir diese Aktuelle Stunde heute angesetzt haben.


(Rainer Brüderle [FDP]: Reden allein ist zu wenig!)


Wir haben einen Wirtschaftsaufschwung, unser Wirt-
schaftsmotor läuft auf vollen Touren. Wir haben den
stärksten Aufschwung seit sieben Jahren. Die Auftrags-
bücher sind voll, die Bilanzen vieler Konzerne sind glän-
zend. Die Industrie- und Handelskammern haben gestern
mitgeteilt – das freut uns sehr –, dass die Anzahl der
Ausbildungsplätze inzwischen um 13 Prozent höher ist
als im letzten Jahr. Ich glaube, das gibt uns, was diesen
Bereich angeht, noch größere Zuversicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Für uns ist unwahrscheinlich wichtig, dass das kein
Strohfeuer ist. Alle Experten hier sind sich inzwischen
einig – das ist selten –: Dieser Aufschwung ist robust, er
steht auf einem stabilen Fundament und er wird noch an
Breite gewinnen. Gestern ist das Gutachten des Schwei-
zer Managerinstituts IMD herausgegeben worden. Die-
ses Institut untersucht jedes Jahr 55 Staaten im Hinblick
auf ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit. Aus die-
sem Gutachten geht ganz klar hervor, dass sich Deutsch-
lands internationale Wettbewerbsfähigkeit enorm ver-
bessert hat. Während wir letztes Jahr noch auf Platz 25
waren, so sind wir dieses Jahr auf Platz 16. Frankreich
ist zwölf und Großbritannien ist sechs Plätze hinter uns.
Es heißt: Es ist die stärkste positive Veränderung, die es
auf der Welt je gegeben hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich glaube, das spricht für sich. Unsere Wachstumspro-
gnose für dieses Jahr mit 2,3 Prozent ist sehr verhalten.
Die Europäische Kommission und auch andere Institute
gehen von weit höheren Wachstumszahlen aus.

Wichtig für uns ist: Die Menschen haben wieder Zu-
versicht. Die Menschen haben nicht mehr so große
Angst vor einem Verlust des Arbeitsplatzes. Sie konsu-
mieren wieder mehr. Deswegen ist es wichtig, dass die
Konjunktur wieder auf zwei Beinen stehen kann: Wir
sind nicht mehr so exportlastig, wie wir es vorher gewe-
sen sind; vielmehr hat die Binnenkonjunktur angezogen.
Ich glaube, dass wir in der Zukunft bei außenwirtschaft-
lichen Störungen weniger schockanfällig sein werden.
Das ist für uns ein ganz wichtiger Faktor. Wir profitieren
endlich wieder von der Weltwirtschaft. Wir sind endlich
wieder Lokomotive. Anders als in den vergangenen Jah-
ren sind wir eine der treibenden Kräfte. Zu verdanken ist
das unserer technologischen Kompetenz, die internatio-
nal anerkannt und international wettbewerbsfähig ist.

Wir müssen aufpassen – der Herr Minister hat es vor-
hin angesprochen –: Unser Konjunkturaufschwung kann
durch unseren momentanen Fachkräftemangel gebremst
werden; dieser könnte wie eine Zeitbombe wirken.
50 000 Ingenieurarbeitsplätze konnten letztes Jahr nicht
besetzt werden. Ich wiederhole: 50 000 Ingenieurar-
beitsplätze. Das heißt: Wir verlieren Aufträge. Produkte
und Dienstleistungen im Wert von 3,5 Milliarden Euro






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretärin Dagmar Wöhrl
konnten nicht angeboten werden. Sie wurden höchst-
wahrscheinlich im Ausland angeboten.

Wir müssen noch mehr für die Nachwuchsförderung
tun. Wir sind inzwischen Weltmeister beim Nutzen von
iPods, von Handys und von Computern. Was unseren
jungen Leuten fehlt, ist die Neugierde darauf, welche
Technologie in diesen Geräten steckt. Hier müssen wir
ansetzen. Wir müssen versuchen, diese Neugierde zu
wecken. Deswegen müssen wir auch dafür sorgen, dass
das Thema Technologie an den Schulen in Zukunft ver-
mehrt behandelt wird.

Das Wichtigste für uns ist, dass die Beschäftigungssi-
tuation hier so gut wie seit langem nicht mehr ist. Nicht
nur die Anzahl der Minijobs wird größer, sondern auch
die der Vollzeitarbeitsplätze.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bin froh, dass wir im Vergleich zum letzten Jahr über
600 000 neue sozialversicherungspflichtige Beschäfti-
gungsverhältnisse haben.

Das kommt aber nicht von ungefähr; das ist klar. Wir
wissen, dass es eine ganze Reihe von Faktoren gibt, die
zu dieser Entwicklung beigetragen haben. Die weltwirt-
schaftliche Lage hilft uns natürlich: Wir sind ein Export-
land und daher von der Weltwirtschaft stark abhängig.
Die Wettbewerbsfähigkeit unserer Exporteure ist aber
kein Zufall. Wer auf den wachsenden Weltmärkten, also
global, unterwegs ist, der ist nur wettbewerbsfähig,
wenn er seine Hausaufgaben gemacht hat und wenn die
Bedingungen zu Hause stimmen. Ich glaube, dass alle
Beteiligten ihre Hausaufgaben gemacht haben: Die Ta-
rifparteien haben eine moderate Lohnpolitik betrieben;
die Unternehmen, vor allem die kleineren und mittleren,
haben sich für den Wettbewerb fit gemacht, und das un-
ter manchmal nicht ganz einfachen Bedingungen. Sie
sind kostengünstiger und schneller geworden. Neueste
Studien zeigen, dass die Familienunternehmen, auf die
wir in unserem Land sehr stolz sind, den DAX-Konzer-
nen inzwischen den Rang als Konjunkturmotor abgelau-
fen haben.

Auch die Bundesregierung hat ihre Hausaufgaben ge-
macht – deswegen habe ich gesagt: „Tue Gutes, und rede
darüber“ –: Wir haben ein Wachstums- und Impulspro-
gramm aufgelegt und die Lohnzusatzkosten gesenkt. Da-
mit haben wir die zur Verbesserung der konjunkturellen
Entwicklung notwendigen Schritte eingeleitet.

Wir haben es geschafft – das ist wichtig –, dass die
Menschen und die Investoren wieder Vertrauen in den
Standort Deutschland haben. Wir haben all das gemacht,
ohne ein wichtiges Ziel aus den Augen zu verlieren: die
Haushaltskonsolidierung. Dieses Ziel werden wir auch
weiterhin verfolgen. Wir sind sehr zuversichtlich, dass
wir in diesem Jahr ein Haushaltsdefizit in Höhe von
1,2 Prozent verzeichnen können, sodass wir das Maas-
trichtkriterium einhalten werden.

Das beste Beispiel dafür, welch guten Weg wir einge-
schlagen haben, ist die gegenwärtige Situation in Berlin.
Es ist zu lesen, dass es der dortige Finanzsenator Sarrazin
sogar für möglich hält, im Jahre 2008 einen ausgegliche-
nen Haushalt vorzulegen. Das ist eine kleine finanzpoli-
tische Sensation, die nicht von ungefähr kommt.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wann machen Sie das auf Bundesebene? Nicht immer nur ablenken und auf die Länder verweisen!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sind aber auch
Stimmen zu hören, die sagen: Alles ist wunderbar. Es
sind genug Reformen durchgeführt worden. Jetzt müs-
sen wir nichts mehr tun. – Vor dieser Einstellung warne
ich. Sie ist nämlich höchst gefährlich. Denn wir dürfen
eines nicht vergessen: Nur wer gute Zeiten für Reformen
nutzt, wird auch in Zukunft international wettbewerbsfä-
hig sein und Arbeitsplätze schaffen.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es müssen aber die richtigen Reformen sein! Nicht nur Steuersenkungen für die großen Konzerne!)


Wir konnten feststellen, welch großes Potenzial in
Deutschland steckt und welche Kräfte hierzulande frei-
gesetzt werden können. Aber wir haben noch viele Auf-
gaben vor uns. Wir müssen die Haushaltskonsolidierung
fortsetzen. Wir müssen Teil II der Föderalismusreform
auf den Weg bringen. Wir müssen die Flexibilisierung
des Arbeitsmarktes angehen. Es stimmt, dass ein großer
Teil der neu geschaffenen Arbeitsplätze Zeitarbeitsplätze
sind. Das hängt damit zusammen, dass unser Arbeits-
markt unflexibel ist. Wir müssen den Wettbewerb stär-
ken. Unser Wirtschaftsminister legt sehr großen Wert
darauf, vor allem den Wettbewerb auf den Energiemärk-
ten zu stärken.

Ich bin zuversichtlich: Wenn wir alle – die Regierung,
die Tarifparteien und die Unternehmen – zusammenar-
beiten, klug handeln und die nötigen Reformen durch-
führen, dann werden wir den Aufschwung nicht nur ver-
stetigen, sondern auch dafür sorgen, dass er sich weiter
fortsetzt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609709300

Jetzt spricht Kornelia Möller für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Kornelia Möller (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609709400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die

Große Koalition jubelt. Die Wirtschaft boomt. Die Leute
kaufen wieder. Das ist das gern gesehene öffentliche
Bild. Doch die Realität sieht anders aus.


(Dr. Rainer Wend [SPD]: Jetzt kommt die traurige Wirklichkeit! Die Menschen verhungern!)


Bei den meisten Menschen ist der Aufschwung über-
haupt nicht angekommen, schon gar nicht in ihren Brief-
taschen. Die Reallöhne sind im Jahre 2004 um
1,1 Prozent gesunken, im Jahre 2005 um 1,5 Prozent und
im Jahre 2006 um 0,7 Prozent. Von einer deutlichen






(A) (C)



(B) (D)


Kornelia Möller
Aufwärtsentwicklung am Arbeitsmarkt kann ebenfalls
keine Rede sein.


(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Was ist los? – Franz Obermeier [CDU/CSU]: Lesen Sie denn keine Zeitung? Oder lesen Sie nur das „Neue Deutschland“?)


Lassen wir, damit diese von den Koalitionsfraktionen
beantragte Aktuelle Stunde nicht zur Vernebelungs- und
Schönrednerveranstaltung verkommt, ein paar Fakten
sprechen.


(Dr. Rainer Wend [SPD]: Jetzt aber!)


Wie sieht die Lage am Arbeitsmarkt wirklich aus?

Erstens. Unbestritten ist, dass die Zahl der Arbeitslo-
sen zurückgegangen ist. Aber es sind nicht überall
gleichzeitig sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze
entstanden.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Es waren ja „nur“ 650 000!)


Der viel beschworene Aufschwung am Arbeitsmarkt ist
vor allem ein weiterer Aufschwung prekärer Beschäfti-
gungsverhältnisse.


(Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Blödsinn! )


Bereits zu Beginn dieses Jahres waren 30 Prozent aller
Beschäftigungsverhältnisse sogenannte atypische Be-
schäftigungsverhältnisse. Auch der Bundestag zahlt Hun-
gerlöhne. Die Gebäudereiniger arbeiten hier zu Löhnen
unterhalb des gerade beschlossenen Mindestlohns für Ge-
bäudereiniger. Das gilt ebenso für die Fensterputzer.

Vorwürfe gab es auch beim Wachdienst, schreibt
heute der „Berliner Kurier“ unter der Überschrift:

Die Lohn-Sklaven vom Bundestag.

Von Herrn Müntefering höre ich dazu: Ja, da gibt es
ein anderes Mittel, das heißt Mindestlohn, darüber wer-
den wir aber an anderer Stelle reden. Dazu sage ich: Es
wäre sinnvoll, wenn wir endlich einmal darüber reden
und nicht so wie Ende April hier im Parlament das
Ganze verschieben würden, statt sofort abzustimmen,
und auch nicht so wie gestern im Ausschuss unseren An-
trag qua Mehrheit ablehnen würden. Das Thema wäre
wirklich dran.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens. Die Misere auf dem Ausbildungsstellen-
markt hat sich trotz Wirtschaftsaufschwungs nicht geän-
dert. Die Zahl der betrieblich gemeldeten Ausbildungs-
plätze ging gegenüber dem Vorjahr sogar um 3,1 Prozent
zurück. Auf einen einzigen Ausbildungsplatz kommen
derzeit durchschnittlich vier Bewerberinnen und Bewer-
ber. In Ostdeutschland sind es sogar 13. Hartz-IV-Karrie-
ren sind damit vorprogrammiert.

Drittens. Trotz wirtschaftlicher Belebung ist das Ar-
beitsvolumen annähernd konstant geblieben. Der bishe-
rige Konjunkturaufschwung brachte also kaum mehr
Arbeit. Dass die offiziellen Erwerbslosenzahlen trotz-
dem zurückgingen, liegt vielleicht auch an jeder Menge
statistischer Ungereimtheiten. Nachdem der Arbeitsmi-
nister die Arbeitsmarktzahlen am 1. Mai stolz selbst
verkündete, rechnete ihm und uns die Stiftung Markt-
wirtschaft vor, welche Menschengruppen bei seinem
Zahlenspiel nicht berücksichtigt wurden: rund 300 000
Menschen in Ein-Euro-Jobs, 206 000 Menschen in Wei-
terbildungsmaßnahmen, 332 000 Menschen, die Förder-
mittel für Eingliederungsmaßnahmen sowie Existenz-
gründerzuschüsse erhalten, 485 000 Vorruheständler. Zu
diesen circa 1,4 Millionen kommen weitere 800 000
Menschen, die sogenannte stille Reserve. Real fehlen
also weit über 6 Millionen Arbeitsplätze.

Viertens. Dass der Arbeitsmarkt trotz Gesundbeterei
nicht gesund ist, zeigt sich am Zustand der beruflichen
Weiterbildung und Qualifizierung. Nicht nur die Zahl of-
fener Stellen ist gewachsen – wie Sie ja selber ange-
merkt haben –, gerade weil geeignete Fachkräfte fehlen,
sondern auch das erschreckend hohe Niveau der Lang-
zeitarbeitslosigkeit ist skandalös. Die hier seit 2002 vor-
handenen Defizite haben zwar in erster Linie die Damen
und Herren von der Sozialdemokratie zusammen mit den
Grünen zu verantworten. Allerdings haben sie die Hartz-
Gesetze natürlich mit dem Segen von CDU/CSU und
FDP beschlossen.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber auch die Große Koalition hat bisher nichts ge-
tan, um diese Situation positiv zu verändern. Um die
Langzeiterwerbslosen macht nämlich nicht nur die Kon-
junktur einen Bogen; auch die Regierung und die hofbe-
richterstattenden Medien tun das.

Fünftens. Dank Hartz I bis Hartz IV nehmen wir bei
der Langzeiterwerbslosenquote einen Spitzenplatz in
Europa ein. Das hat natürlich seine Gründe. Einen haben
Sie gerade angesprochen, als Sie den Fachkräftemangel
beklagt haben. Aber wenn man zeitgleich die Förderung
der beruflichen Weiterbildung herunterfährt und Weiter-
bildungsträger kaputtmacht, muss man sich nicht wun-
dern, wenn man irgendwann einen Fachkräftemangel
hat.


(Beifall bei der LINKEN)


Andere Gründe sind die einseitige betriebswirtschaftli-
che Ausrichtung der Bundesagentur, die verstärkte
Privatisierung von Vermittlungsaufgaben, der Aussteue-
rungsbetrag und die Senkung der Beiträge zur Arbeitslo-
senversicherung. Dort, wo Sie als Große Koalition schon
längst etwas gegen Langzeitarbeitslosigkeit hätten tun
können, haben Sie bis jetzt versagt. Das betrifft beson-
ders die Ausweitung öffentlich geförderter Beschäfti-
gung. Da haben Sie gestern nach neun Monaten – so
lange liegen unsere Anträge mittlerweile im Parlament –
endlich etwas beschlossen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609709500

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kom-

men.






(A) (C)



(B) (D)


Kornelia Möller (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609709600

Ich komme zum Schluss, überspringe eine ganze

Menge, und sage Ihnen nur eines: Arbeitslosigkeit zer-
stört Selbstbewusstsein und Kreativität. Und sie macht
krank. Ich verzichte heute auf Ihren Lieblingssatz, zitiere
einfach nur Viviane Forrester. Die bringt es nämlich auf
den Punkt, wenn sie schreibt, Arbeitslosigkeit sei die
Brutalität der Ruhe. Also tun Sie jetzt endlich was!

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609709700

Jetzt hat Dr. Rainer Wend für die SPD-Fraktion das

Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Rainer Wend (SPD):
Rede ID: ID1609709800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Minister Müntefering hat die beeindruckenden
Zahlen zum Wirtschaftswachstum und zur erfreulichen
Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt vorgetragen. Ich
finde, es lohnt sich, im Bundestag über die Ursachen für
diese Entwicklung zu sprechen. Schlau ist man, wenn
man dabei als Erstes nicht sich selbst, sondern andere
lobt. Deshalb will ich das aufgreifen, was einige schon
gesagt haben.

Eine erste Ursache für die gute Entwicklung liegt bei
den Unternehmen in unserem Land selbst. Sie haben
sich nämlich wettbewerbsfähig gemacht, indem sie sel-
ber Strukturen geschaffen haben, mit deren Hilfe sie im
internationalen Wettbewerb gut bestehen können. Die
Familienunternehmen waren dabei besonders gut; das
sieht man daran, dass sie im Durchschnitt mehr Personen
eingestellt haben als die DAX-Unternehmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen sagen wir als Sozialdemokraten ganz deut-
lich: Es bewährt sich eben, wenn Unternehmen ihre Be-
schäftigten noch im Auge haben. Es bewährt sich, wenn
sie die Familien der Beschäftigten, den regionalen
Standort und den Standort Deutschland im Auge haben.
Wer das tut, hat mittel- und langfristig im Wirtschaftsle-
ben Erfolg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Als Zweites sind die Gewerkschaften zu nennen. Es
ist wahr: Durch acht bis zehn Jahre Lohnzurückhaltung
haben wir inzwischen die niedrigsten Lohnstückkosten
aller vergleichbaren Länder in Europa. Damit sind wir
wettbewerbsfähig. Deswegen darf man auch mit Fug
und Recht hinzufügen: Wenn es jetzt mit der wirtschaft-
lichen Entwicklung aufwärts geht, dann ist der Zeitpunkt
gekommen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer wieder an dem partizipieren, was in unserem Land
erwirtschaftet wird. Auch das muss im Auge behalten
werden.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gerald Weiß [Groß-Gerau] [CDU/CSU])


Eine Frage ist: Hat auch die Politik etwas mit der Ent-
wicklung zu tun? Herr Brüderle und Teile der Wirtschaft
sagen, die Politik habe damit gar nichts zu tun. Für mich
stellt es schon intellektuell ein Problem dar, nachzuvoll-
ziehen, wenn man mir in den Zeiten, in denen die Wirt-
schaft in Deutschland schlecht läuft, sagt, die einzige Ur-
sache dafür sei die bescheidene Politik, die jetzt in
Berlin oder damals in Bonn gemacht wurde, aber jetzt,
wo die Wirtschaft gut läuft, sagt, dafür kann nur einer
die Verantwortung tragen, nämlich nicht die Politik, son-
dern die Wirtschaft. Eine solche Argumentation zeugt
also zum einen von intellektuell begrenztem Niveau. Ich
halte sie aber zum anderen auch politisch für gefährlich.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir sagen damit doch den Bürgerinnen und Bürgern
durch die Blume,


(Zuruf von der FDP: Der Sachverständigenrat der Bundesregierung!)


ob wir gute oder schlechte Politik im Bundestag machen,
ist völlig unerheblich für die wirtschaftliche Entwick-
lung. Dann könnte man ja auch ganz davon absehen,
politisch tätig zu werden. Das wäre ein Angriff auf die
demokratischen Grundlagen unserer Gesellschaft. Den
wehre ich ab und halte dagegen: Jawohl, Politik hat et-
was mit dieser wirtschaftlichen Entwicklung zu tun.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Was sind also die politischen Ursachen für diese Ent-
wicklung? Ich möchte dabei, ohne vordergründig partei-
politisch zu denken, auf Folgendes hinweisen: Spä-
testens seit Mitte der 80er-Jahre sind uns doch drei
Grundprobleme unserer Gesellschaft bekannt: die Glo-
balisierung mit ihren großen Auswirkungen auf die
Wirtschaft, aber auch auf die soziale Dimension unserer
Marktwirtschaft, die demografische Entwicklung mit ih-
ren Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme
und die technologische Entwicklung, die beispielsweise
Auswirkungen auf das Qualifikationsniveau von Be-
schäftigten hat. Die Wahrheit ist: Wir alle, von der FDP
über die Union und die Grünen bis zur SPD, müssen uns
vorhalten lassen, dass wir es in den 90er-Jahren – wir in
der Opposition, Sie an der Regierung – im Grunde ver-
säumt haben, durch grundlegende Reformen auf diese
drei großen Herausforderungen unserer Gesellschaft ein-
zugehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das Ende vom Lied war: Seit 1993 – egal, ob Sie oder,
wie ab 1998, wir regiert haben – stand Deutschland im-
mer auf dem letzten oder vorletzten Platz bei der wirt-
schaftlichen Entwicklung bzw. dem Wirtschaftswachs-
tum der EU-Länder.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Richtig!)


Dann hat es – auch das bitte ich jetzt nicht nur partei-
politisch motiviert zu verstehen – eine Bundesregierung
gegeben, die zum ersten Mal bewusst gesagt hat: Wir
wissen, dass ein Weiter-so unserem Land nicht mehr hel-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Rainer Wend
fen kann und grundlegende Reformen eingeleitet werden
müssen, damit soziale Sicherungssysteme in unserem
Land eine Zukunft haben und die wirtschaftliche Prospe-
rität gewährleistet werden kann. Die damalige Bundes-
regierung hat dank der politischen Kräfteverhältnisse
– im Bundesrat wurde das ja teilweise auch von den an-
deren Parteien unterstützt – entsprechende Maßnahmen
durchgesetzt. Ich erinnere nur einmal an die erste Steuer-
senkung, bei der die Körperschaftsteuer von 45 auf
25 Prozent und der Eingangssteuersatz bei der Einkom-
mensteuer um gut 10 Prozent gesenkt wurden, an die
Verkürzung des Bezugszeitraums für das Arbeitslosen-
geld, an die 4 Milliarden Euro für Ganztagsbetreuung
– das hat es in der letzten Legislaturperiode schon ein-
mal gegeben, meine Damen und Herren –, an die Zusam-
menlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, an das
Prinzip Fordern und Fördern von Arbeitslosen. Das war
ein Gesamtpaket, das aus der politischen Erkenntnis,
dass wir Reformen brauchen, um die Zukunft unserer
Gesellschaft zu sichern, angestoßen wurde.

Die Große Koalition hat jetzt die Aufgabe, die Umset-
zung dieser Erkenntnis fortzusetzen. Damit begonnen
hat sie mit dem Regierungsprogramm zur Verbesserung
von Abschreibungsmöglichkeiten bei der Gebäudesanie-
rung. Dadurch wurden mehr Aufträge vergeben. Auch
die Rente mit 67, die vor uns liegende Unternehmensteu-
erreform und die Haushaltskonsolidierung gehören dazu.
Was wäre es für ein Erfolg, wenn am Ende dieser Legis-
laturperiode das erste Mal seit 40 Jahren der Staat wie-
der feststellen kann, dass er nicht mehr Geld ausgibt, als
er einnimmt, und einen ausgeglichenen Haushalt
schafft? Diese Botschaft wäre für die wirtschaftliche
Entwicklung unseres Landes großartig.

Die Große Koalition steht in den nächsten Jahren vor
diesen Aufgaben. Sie darf und wird sich nicht in klein-
teiligem politischem Streit verzetteln,


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist ja ganz was Neues, was Sie jetzt erzählen!)


sondern sich der großen Aufgabe der Kontinuität der Re-
formpolitik stellen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609709900

Jetzt spricht die Kollegin Dr. Thea Dückert für Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609710000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Seien Sie gegrüßt zu dieser Feierstunde der Regierung.


(Beifall der Abg. Andrea Nahles [SPD] – Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Niemand von Ihren eigenen Leuten hat über Ihren Witz gelacht!)


Es ist schon so: Der Aufschwung ist solide, und ich
hoffe, dass er solide bleibt. Wir können zu Recht feststel-
len – Herr Wend hat darauf hingewiesen –, dass das sehr
viel mit der Vergangenheit zu tun hat: mit der Lohnzu-
rückhaltung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
mit der mühsamen Strukturreform in den Unternehmen
selbst und mit sehr mühsamen Strukturreformen im Zu-
sammenhang mit der Agenda 2010 – das heißt auch mit
dem, was die rot-grüne Regierung gemacht hat. Frau
Wöhrl, ich erwähne das an dieser Stelle, weil Sie immer
sagen, man müsse auch feiern, wenn man Gutes geleistet
habe.

Aber, meine Damen und Herren, Ihre Reaktion, sich
sozusagen aufs Sonnendeck zu setzen und dort vor sich
hinzudösen,


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Machen wir doch gar nicht!)


statt gemeinsam in den Maschinenraum zu gehen und
aus dieser Situation etwas zu machen, ist nicht die rich-
tige. Denn es geht im Kern nicht darum, wem dieser
Aufschwung zu verdanken ist, sondern darum, wer da-
von profitiert und wer nicht und was wir für die Zukunft
daraus machen. Das sind die zentralen Fragen, auf die
ich ein wenig eingehen möchte.

Wer profitiert vom Aufschwung? Die Unternehmen;
das ist auch gut so. Aber was machen Sie daraus? Sie be-
schließen – dazu hätte ich gerne etwas gehört, Herr
Wend – eine Unternehmensteuerreform, durch die die
großen Konzerne um etwa 10 Milliarden Euro entlastet
werden sollen, und das in der Phase eines konjunkturel-
len Aufschwungs, von dem sie ohnehin profitieren. Aber
nicht nur das: Diese Steuerreform wird zulasten der mit-
telständischen und kleinen Unternehmen gestaltet. Herr
Müntefering, Sie feiern hier den Arbeitsmarkt; aber wir
wissen, dass eine zukünftige positive Beschäftigungsent-
wicklung in Deutschland zum großen Teil nur von den
kleinen und mittleren Unternehmen ausgehen kann.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Das ist richtig!)


Genau diese werden Sie aber belasten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das, meine Damen und Herren, ist die falsche Entschei-
dung.

Herr Wend, Sie fordern eine Haushaltskonsolidierung
ein. Richtig so! Wann, wenn nicht jetzt? Im konjunktu-
rellen Aufschwung müsste das möglich sein. Aber Sie
machen das Gegenteil. Die Unternehmensteuerreform ist
ein Beispiel dafür; aber es ist noch viel mehr in der Aus-
gaben-Wundertüte, wie wir in den letzten Tagen in der
Zeitung lesen konnten. Sie machen keine ambitionierte
Haushaltspolitik, die die zukünftigen Generationen ent-
lasten würde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wer profitiert noch vom Aufschwung? Ich hoffe, dass
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die heute Be-
schäftigung haben, über die Tarifverhandlungen davon
profitieren werden, weil ihnen in der Vergangenheit zu-
gesetzt worden ist. Die bereits abgeschlossenen Tarifver-
träge weisen darauf hin, dass sie profitieren werden. Ich
glaube aber auch – das sage ich in Richtung der Tarif-
parteien –: Jetzt ist der Zeitpunkt, in den Tarifverhand-
lungen den positiven Faden der Vergangenheit wieder






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Thea Dückert
aufzunehmen und in den Tarifverträgen mehr Qualifizie-
rung und lebenslanges Lernen in den Betrieben vorzuse-
hen. Auch in Bezug auf mehr Gewinnbeteiligung in den
Unternehmen muss man jetzt den Worten Taten folgen
lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das war die Seite, die von dem Aufschwung profi-
tiert. Es gibt andere, an denen dieser Aufschwung vor-
beigeht, und zwar diejenigen – Herr Müntefering hat
darauf hingewiesen – im Niedriglohnbereich. Ungefähr
eine halbe Million Menschen bekommt trotz Vollzeitar-
beit zusätzlich Arbeitslosengeld II, und die Zahl ist ge-
stiegen.

Jetzt ist der Zeitpunkt, um über einen Mindestlohn zu
reden, und nicht, wie Herr Müntefering es will, irgend-
wann. Jetzt ist der Zeitpunkt, weil wir hier im Hause
eine Mehrheit dafür haben. Wir Grüne haben dazu übri-
gens einen Antrag vorgelegt. Es ist auch aus konjunktu-
reller Sicht der richtige Zeitpunkt. Wenn man nach Eng-
land schaut, sieht man, dass so etwas am Anfang einer
positiven konjunkturellen Entwicklung ökonomisch gut
eingefädelt werden kann.

Deshalb, finde ich, ist es ein Armutszeugnis für die
SPD, darauf hinzuweisen, dass die Wahl in Bremen eine
Testwahl für den Mindestlohn sei. Nein, die Bremerin-
nen und Bremer haben damit nichts zu tun. Wir unter-
stützen Sie gern hier im Bundestag bei diesem Projekt.
Voran damit! Das ist die Zeit dafür!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte auch noch kurz etwas zu den Langzeitar-
beitslosen sagen. Die Zahl der Langzeitarbeitlosen sinkt
langsamer als die Zahl der anderen Arbeitslosen. An ih-
nen geht der Aufschwung vorbei. Wir sehen nicht, dass
im Bereich der Qualifizierung etwas getan wird. Wir se-
hen nicht, dass die Regierung zum Beispiel im Niedrig-
lohnbereich die Lohnnebenkosten konzentriert absenkt,
um mehr Beschäftigungsmöglichkeiten für Geringquali-
fizierte zu schaffen. Wir haben mit dem Progressivmo-
dell ja einen Vorschlag gemacht.

Ganz zum Schluss möchte ich Ihnen sagen, was mir
in dieser doch so positiven Situation, die Chancen für
eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung in
Deutschland liefert, am meisten Sorgen macht. Sorgen
macht mir, dass unser Wirtschaftsminister nicht sieht,
dass aus dem Klimabericht deutlich wird, dass wir nur
ein kleines Zeitfenster für eine nachhaltige Wirtschafts-
politik haben, die einen Transformationsprozess in der
Wirtschaft auf den Weg bringen muss. Sorgen macht mir


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609710100

Frau Kollegin!


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609710200

– und damit komme ich zum Schluss –, dass wir am

Anfang einer konjunkturellen Aufschwungphase nichts
für eine ernsthafte Umsteuerung tun, sondern in Europa
im Bremserhäuschen sitzen. Unser Wirtschaftsminister
tut das gerade in Bezug auf den Klimaschutz.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609710300

Frau Kollegin!


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609710400

Das wird der Wirtschaft und den Beschäftigten in die-

sem Land in Zukunft schaden. Sie vertun Ihre Chancen!
Schade!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609710500

Jetzt spricht der Kollege Laurenz Meyer für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Laurenz Meyer (CDU):
Rede ID: ID1609710600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr

Brüderle, bei Ihnen habe ich irgendwie immer den Ein-
druck, dass Sie eine Rede im PC haben, bei der vor je-
dem Auftritt hier eine Zufallsvariable eingegeben wird,
die die Sätze ein bisschen neu mixt. Dann kommt wieder
dasselbe, was Sie beim letzten Mal gesagt haben – nur in
ein bisschen veränderter Reihenfolge –, heraus.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Rainer Brüderle [FDP]: Das ist nur so, weil Sie nicht zuhören! – Jürgen Koppelin [FDP]: Dann warten Sie mal ab! Frau Nahles spricht gleich!)


Ich finde, Sie sollten in den Redetexten wirklich ein biss-
chen nachrüsten.

Zu den Linken möchte ich vorweg noch einen Satz
sagen: Sie haben nur zum Besten gegeben, dass die
Wahrheit stört und dass Sie sich noch nicht einmal mit
den 500 000 Menschen freuen können, die innerhalb ei-
nes Jahres einen neuen sozialversicherungspflichtigen
Job erhalten haben, und mit den Hunderttausenden, die
nicht mehr arbeitslos sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Was Ihre Beispiele betrifft, müssten Sie nur einmal
die Protokolle des Bundestages der letzten Monate nach-
prüfen. Sie führen die Situation der Gebäudereiniger als
besonderen Missstand an. Die Gebäudereiniger haben
wir gemeinsam in das Entsendegesetz aufgenommen.
Solche Grundkenntnisse sollten vorhanden sein.


(Kornelia Möller [DIE LINKE]: Und trotzdem arbeiten die hier unter diesem Lohn! Sie sind nicht auf der Höhe der Zeit!)


– Dass Sie dabei nervös werden, kann ich mir vorstellen.


(Kornelia Möller [DIE LINKE]: Da brauche ich nicht nervös zu werden! Sie lesen einfach nicht die Tagespresse!)


In diesem Zusammenhang ist auch der Mindestlohn
gerade noch einmal angesprochen worden, auch von Ih-
nen, Frau Dückert. Die Gutachten der letzten Tage, die
sich damit beschäftigen, sollten uns doch vor Augen hal-
ten, worauf es eigentlich ankommt. Uns kommt es da-
rauf an, dass die Menschen ein ausreichend hohes Ein-






(A) (C)



(B) (D)


Laurenz Meyer (Hamm)

kommen haben, um davon leben zu können. Wenn die
Folge eines flächendeckenden Mindestlohnes ist, dass
man zwar – so sagen es die Gutachten – vielen Men-
schen hilft, weil sie mehr verdienen und deshalb weniger
auf Arbeitslosengeld II angewiesen sind, dies aber
gleichzeitig Hunderttausende den Job kostet, dann sage
ich: Lasst uns nach Möglichkeiten suchen, die nicht sol-
che Kollateralschäden nach sich ziehen wie ein flächen-
deckender Mindestlohn.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Aus unserer Sicht gibt es bisher keine Alternative zu
dem, was wir das Mindesteinkommen nennen. Wir müs-
sen uns auch mit den „Aufstockern“ beschäftigen, dem
harten Kern der Arbeitslosen. Das sind die weniger Qua-
lifizierten, bei denen sich noch zu wenig getan hat.

Die Binnenkonjunktur springt jetzt an. Sie springt
nicht deswegen an, weil die Menschen am wirtschaftli-
chen Aufschwung über höhere Löhne beteiligt werden;
das kommt ja erst noch. Die Binnenkonjunktur springt
vielmehr an, weil das Angstsparen abgenommen hat. Im-
mer weniger Menschen haben Angst um ihren Arbeits-
platz. Diese hatten bisher jeden Euro auf die Seite gelegt
– das ist doch völlig natürlich –, weil sie nicht wussten,
was auf sie zukommt. Die zusätzliche Sicherheit, hervor-
gerufen durch die positive Arbeitsmarktentwicklung und
durch die Wachstumsraten, lässt erstmalig seit langer
Zeit bei uns die Binnenkonjunktur anspringen. Deshalb
sind Aktuelle Stunden über dieses Thema so wichtig.
Damit verbreiten wir eine Aufbruchstimmung in ganz
Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Der Kollege Wend hat in seiner Rede – in vielen
Punkten stimme ich mit ihm überein – Reformen ange-
sprochen, die zu einem großen Teil von uns gemeinsam
beschlossen worden sind. Deswegen sollten wir uns ge-
genseitig keine Noten geben. Herr Müntefering hat da-
rauf hingewiesen, dass bei uns die Beschäftigungs-
schwelle von über 2 Prozent auf 1 bis 1,5 Prozent gesun-
ken ist.

Ein Punkt kam in der Rede des Kollegen Wend nicht
vor, dem ich aber eine sehr große Bedeutung zumesse:
Nicht nur die Bedingungen für die Unterstützung – ich
nenne das Arbeitslosengeld II und die Hartz-IV-Gesetze –
wurden neu geregelt, sondern auch die Bedingungen für
die Zeitarbeit. Diese geänderten Rahmenbedingungen
für die Zeitarbeit haben zu mehr Flexibilität im Markt
geführt.

Es zeigt sich doch – lasst uns darüber ohne Schaum
vor dem Mund reden! –, dass mehr Flexibilität am Ar-
beitsmarkt für die Menschen positive Auswirkungen hat.
Dass über die Hälfte der Arbeitsplatzzuwächse im Be-
reich der Zeitarbeit erfolgt, ist doch ein Zeichen dafür,
dass die Unternehmen angesichts eines stark reglemen-
tierten Arbeitsmarktes die beiden einzigen ihnen zur
Verfügung stehenden Ventile, nämlich Zeitarbeit und
Minijobs, nutzen.

(Martin Zeil [FDP]: Dann müsst auch ihr mal was tun!)


Wir müssen deshalb darüber nachdenken, wie man
Lockerungen auf dem Arbeitsmarkt, die sich auf Neu-
einstellungen positiv auswirken, sozialverträglich durch-
führen kann.


(Martin Zeil [FDP]: Nicht denken! Handeln!)


Die Bevölkerung ist bereit für Veränderungen; denn sie
sieht, dass Reformen etwas bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich will noch auf Folgendes hinweisen: 900 000 of-
fene Stellen sind eine Aufforderung an uns, schnell zu
handeln. Dazu gehören auch Maßnahmen im Ausbil-
dungsbereich, die Sie, Herr Müntefering, angesprochen
haben. Es will mir nicht in den Kopf, dass sich einige
von Ihnen – gegen ihre eigenen vernünftigen Einsichten –
dagegen wehren, jungen Leuten unter 18 Jahren zu ge-
statten, bis 23 Uhr im Gaststättenbereich im Rahmen ei-
ner Lehre zu arbeiten. Diese jungen Leute warten dann,
bis die 18-Jährigen mit ihrer Arbeit fertig sind, um da-
nach gemeinsam in die Disco zu gehen. Hier könnten
2 000 zusätzliche Ausbildungsplätze auf einen Schlag
entstehen. Warum kann man solche kleinen Dinge nicht
sofort regeln?

Wir brauchen mehr Flexibilität. Der Arbeitsminister
braucht Mut für weitere Veränderungen. Die Bevölke-
rung hat verstanden. Sie hat erkannt, dass Veränderun-
gen auch etwas für den Einzelnen bringen. Deshalb müs-
sen wir hier weitermachen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Gabriele Frechen [SPD])



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609710700

Es spricht nun Andrea Nahles für die SPD-Fraktion.


Andrea Nahles (SPD):
Rede ID: ID1609710800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Brüderle, wir als Rheinland-Pfälzer müssen das
Freuen doch nicht lernen. Wir können es doch am bes-
ten.

Die Opposition hat es immer schwer. Wenn es dann
aber noch gut läuft, wird es wirklich hart.


(Beifall der Abg. Gabriele Frechen [SPD])


Herr Brüderle, Ihnen ist es wohl nicht möglich,
anzuerkennen, dass es in diesem Land 20 Prozent zu-
sätzliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigungs-
verhältnisse gibt,


(Beifall des Abg. Gerald Weiß [Groß-Gerau] [CDU/CSU])


seitdem diese Große Koalition regiert. Wir werden es in
dieser Legislaturperiode schaffen, die Neuverschuldung
gegen null zu führen. Die Zahl der Arbeitslosen wird un-
ter 4 Millionen bleiben. Wenn das kein Grund zum
Freuen ist, dann lade ich Sie, Herr Brüderle, in die Eifel
ein: Dann üben wir das einmal.






(A) (C)



(B) (D)


Andrea Nahles

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Rainer Wend [SPD], an Abg. Rainer Brüderle [FDP] gewandt: Und dann freust du dich, Rainer!)


Jetzt wird oft gefragt: Wer ist denn verantwortlich da-
für, dass wir uns freuen dürfen? Es ist tatsächlich so,
dass wir das größte Investitionswachstum seit der Wie-
dervereinigung haben. Insbesondere im Gewerbebau, in
der Industrie und in den unternehmensbezogenen
Dienstleistungsbereichen ist das die Marke, die sich
auch auf die Beschäftigung auswirkt. In allen Bundes-
ländern und in allen Branchen gibt es mehr Beschäfti-
gung. Wesentlich mehr Beschäftigung gibt es in Ost-
deutschland, insbesondere in Brandenburg und Sachsen.

Das sind die Früchte von zwei großen Entscheidun-
gen: Das ist zum Ersten die Frucht der Strukturreformen,
die unter Rot-Grün richtigerweise eingeleitet wurden.
Das ist zum Zweiten die Frucht eines Impulsprogramms,
das wir am Anfang dieser Legislaturperiode initiiert ha-
ben. Wir haben gesagt: Wir müssen erst einmal einen
Schub geben, damit es tatsächlich ein selbsttragendes
Wachstum gibt. Wir haben die degressive AfA verbes-
sert. Wir haben ein Programm zur energetischen Gebäu-
desanierung aufgelegt, das gerade in der Bauwirtschaft
entsprechend gewirkt hat. Genau an dieser Stelle haben
wir, anknüpfend an die Strukturreformen von Rot-Grün,
zu Anfang dieser Legislaturperiode in der Großen Koali-
tion die richtigen Weichen gestellt. Das darf man doch
selbstbewusst hier sagen. Warum sollte man das ver-
schweigen? Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der SPD – Zustimmung des Abg. Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU])


Insoweit sage ich ehrlich Dank denjenigen – auch da
sollte man einmal mit einigen Vorurteilen aufräumen –,
die das zuwege gebracht haben. Wir haben mit unserer
Gesetzgebung zu Hartz IV erhebliche Stolpersteine für
die Leute vor Ort, in den BAs, in den Argen, den Op-
tionskommunen usw., produziert. Diese Stolpersteine,
zum Beispiel was das Softwareprogramm anging, haben
diese Menschen mit Überstunden und mehr gemeistert.

Wir können jetzt wirklich sagen, dass es im letzten
Jahr im Bereich des SGB III 25 Prozent weniger Arbeits-
losigkeit und – das erscheint mir noch wichtiger – im Be-
reich des SGB II 12 Prozent weniger Arbeitslosigkeit
gab. Das liegt auch an der professionelleren und effizien-
teren Vermittlung, die wir durch unsere Reformen einge-
leitet haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch dazu von meiner Seite danke schön!

Den Aufschwung muss es für alle geben. Bei all der
Freude vor allem derjenigen aus dem Bereich des
SGB III, die gut vermittelt wurden, muss man auch an
diejenigen denken, die in einer solchen Aufschwung-
phase aufgrund verschiedenster Vermittlungshemmnisse
zurückbleiben. Aber auch hier, liebe Kollegen, ist die
Große Koalition nicht tatenlos. Im Gegenteil: Wir haben
für die Jungen – Franz Müntefering hat es gerade ausge-
führt – ein spezielles Förderprogramm in Form einer
Kombination aus Qualifizierung und Kombilohn aufge-
legt. Dies werden wir jetzt anpacken, um gerade diejeni-
gen, die keine Berufsausbildung haben, in dieser guten
Situation in den ersten Arbeitsmarkt hineinzubekom-
men.

Wir legen zudem ein Programm für 100 000 Lang-
zeitarbeitslose auf. Denn wir wissen: Nicht alle schaffen
es, durch bloße Aktivierung auf den ersten Arbeitsmarkt
zu gelangen. Wir nehmen dies ernst. Wir schaffen des-
wegen einen geförderten Arbeitsmarkt in Deutschland,
der den Betroffenen auch wirklich eine Brücke baut.

Herr Brüderle, Zeitarbeit ist doch kein Problem. Zeit-
arbeit an sich ist keine prekäre Arbeit. Wenn es in der
Zeitarbeit einen Mindestlohn gibt – im Tarif ist dies
schon vorgesehen; die Arbeitgeber und die Arbeitneh-
mer wollen dies –, dann ist Zeitarbeit für mich, soweit es
in diesem Bereich vernünftig läuft – die Branche hat in
den letzten Jahren Gutes geleistet –, keine prekäre, son-
dern eine sinnvolle Arbeit. Sie sollte aber bitte mit Min-
destlöhnen und sozialen Standards einhergehen, und es
sollte kein Wildwuchs und keine Schmutzkonkurrenz
untereinander bestehen, wie das jetzt noch der Fall ist.


(Beifall bei der SPD)


Deswegen klipp und klar unsere Aussage: Die Ein-
führung eines Mindestlohns wird diesen Aufschwung
nicht blockieren. Sie wird auch keine Arbeitsplätze kos-
ten, Herr Meyer. Das ist Propaganda; dafür gibt es gute
Gegenbeispiele. Ein Mindestlohn kann den Auf-
schwung, den wir jetzt haben, so gestalten, dass alle da-
von profitieren.


(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Sie wollen die Gutachten nicht zur Kenntnis nehmen!)


Das ist das erklärte Ziel der Sozialdemokratie und, wie
ich hoffe, auch der Großen Koalition. Die CDU/CSU
wirft ihr Herz über die Hürde; da bin ich mir ganz sicher.
Am Montag werden wir nämlich über Mindestlöhne re-
den. Dann werden Sie Ihr Herz über die Hürde werfen.
Ich würde mich freuen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609710900

Jetzt spricht der Kollege Franz Obermeier für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Franz Obermeier (CSU):
Rede ID: ID1609711000

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! In einer

sozialen Marktwirtschaft ist ein wirtschaftlicher Auf-
schwung immer das Produkt der Arbeitnehmer, der Un-
ternehmer und auch der Politik. Ich möchte diese Aktu-
elle Stunde dazu nutzen, das Thema von einer etwas
anderen Seite zu beleuchten: Welche schwierigen Auf-
gaben liegen vor uns? Wir stehen tatsächlich vor schwie-
rigen Aufgaben. Wir sollten die Zeit und die Ereignisse,






(A) (C)



(B) (D)


Franz Obermeier
die wir jetzt feiern, nutzen, um folgende Fragen zu be-
antworten: Wie ist ein solcher Aufschwung in der Bun-
desrepublik Deutschland nachhaltig zu gestalten? Wie
können wir seitens der Politik die Rahmenbedingungen
so setzen, dass sich die Phase des Aufschwungs, des
wirtschaftlichen Wachstums so entwickelt, dass wir
möglichst viele Jahre von einem gesunden wirtschaftli-
chen Wachstum ausgehen können?

Das Wachstum in der Bundesrepublik Deutschland
steht auf zwei Füßen – die Frau Staatssekretärin hat es
schon betont –: Zum einen ist es die Binnennachfrage,
zum anderen ist es das Auslandsgeschäft. Bei der Bin-
nennachfrage müssen wir klar erkennen, dass nicht die
Stärkung der Massenkaufkraft an sich die Ursache ist.
Die Ursache ist nach meinen Erkenntnissen vielmehr,
dass weite Teile unserer Bevölkerung aufgrund der wirt-
schaftlichen und politischen Geschehnisse in der Bun-
desrepublik Deutschland insgesamt wieder mehr Ver-
trauen in ihre eigene wirtschaftliche Situation setzen.
Durch diese mentale Einstellung sitzt das Geld wieder
etwas lockerer. Bei der Exportwirtschaft müssen wir klar
sehen, dass man im Ausland erkannt hat, dass deutsche
Produkte nicht nur teurer, sondern in weiten Bereichen
auch qualitativ besser und damit ihr Geld wert sind.

Um die Frage der Nachhaltigkeit weiter zu beantwor-
ten, komme ich auf Herrn Brüderle zu sprechen.


(Rainer Brüderle [FDP]: Das ist gut!)


Herr Brüderle, es ist ja ganz toll, was Sie Mal für Mal
verkünden.


(Rainer Brüderle [FDP]: Da sind Sie einmal ehrlich!)


Ich sage Ihnen eines: Wenn es noch einen Fanatiker für
Steuersenkungen in diesem Haus gibt, dann bin ich es.


(Dr. Rainer Wend [SPD]: Ihr beide? Oh, oh!)


Aber ist es in einer Situation, in der wir bei einem Bun-
deshaushaltsvolumen in Höhe von 260 Milliarden Euro
rund 40 Milliarden Euro allein für Zinsen ausgeben, zu
verantworten, den Menschen zu suggerieren, wir wären
in der Lage, die Steuern nennenswert zu senken? Ist das
wirklich seriös?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Otto Fricke [FDP]: Wenn man nicht sparen kann! – Zuruf des Abg. Rainer Brüderle [FDP])


Ich bin in dieser Frage ganz bestimmt nicht nur ein
Haushälter oder Buchhalter, sondern wirklich auch ein
Kaufmann. Aber die Nettoneuverschuldung zum jetzi-
gen Zeitpunkt wieder anzuheben, indem man bei den
Einnahmen kürzt, ist für meine Begriffe unredlich. Das
muss man der Bevölkerung sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Otto Fricke [FDP]: Sie müssen bei den Ausgaben kürzen!)


Es ist ganz sicher nicht mit dem zu vereinbaren, was wir
der Bevölkerung mitteilen wollen: dass sie Vertrauen in
diese Politik setzen soll. Wenn wir solche Sprüche los-
lassen, dann trifft auch – das ist Ihr Spruch, Herr
Brüderle – zu:


(Rainer Brüderle [FDP]: Jetzt kommt es!)


Er liegt in der Sonne und denkt nicht.

Wir haben noch eine ganze Reihe von Aufgaben vor
uns. Das ist wahr. Die Pflegeversicherung bedarf einer
vernünftigen Lösung. Der Haushalt ist Jahr für Jahr ein
schwieriges Thema. Wir werden auch das Erbschaftsteu-
errecht auf eine vernünftige Schiene setzen.


(Rainer Brüderle [FDP]: Was immer das heißt!)


– Ja, was immer das heißt. – Heute ist so viel Positives
über die deutschen Familienunternehmen gesagt wor-
den. Durch die Erbschaftsteuerreform werden wir insbe-
sondere die deutschen Familienunternehmen entlasten.


(Otto Fricke [FDP]: Steuersenkung!)


Wir werden keine Steuersenkung, sondern eine Erb-
schaftsteuerbefreiung vornehmen.


(Otto Fricke [FDP]: Aha!)


Sie müssten eigentlich mitfeiern, wenn wir solche Dinge
machen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben noch viel vor, um den Aufschwung nach-
haltig zu gestalten. Wir haben auch die Risiken im Auge
– die dürfen wir nämlich nicht übersehen –, zum Bei-
spiel die Entwicklung der US-Konjunktur und den an-
haltenden Aufwertungsdruck auf den Euro. Auch der
Anstieg der Energie- und Rohstoffpreise ist gefährlich.
Ferner müssen wir mit den Risiken, die zu hohe Lohnab-
schlüsse oder zu lange Arbeitskämpfe mit sich bringen,
leben. Wir müssen sie immer im Auge haben. Ich meine
aber: Deutschland hat eine gute Perspektive. Deutsch-
land hat eine gute Regierung. Wir werden den Auf-
schwung nachhaltig gestalten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609711100

Jetzt spricht Katja Mast für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Katja Mast (SPD):
Rede ID: ID1609711200

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Können Sie sich noch an den 23. Mai 2005 er-
innern, den Tag der Landtagswahlen in Nordrhein-West-
falen? Das war der Tag, an dem Gerhard Schröder im
Kampf um die Fortsetzung sozialdemokratischer Re-
formpolitik vorgezogene Neuwahlen forderte. Können
Sie sich erinnern, was Sie damals über Konjunktur und
Arbeitsmarkt dachten?

Und heute? Die Wirtschaft brummt. Das Wirtschafts-
wachstum lag 2006 bei 2,7 Prozent. Die Lohnnebenkos-
ten liegen bei 40 Prozent. Die Arbeitslosigkeit sinkt unter






(A) (C)



(B) (D)


Katja Mast
4 Millionen, und wir haben 650 000 sozialversicherungs-
pflichtig Beschäftigte mehr. Die Renten steigen wieder.
Wenn alle Gewerkschaften ähnliche Tarifverträge wie
die IG Metall in Baden-Württemberg abschließen, kön-
nen wir die Renten wieder deutlicher erhöhen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gerald Weiß [Groß-Gerau] [CDU/CSU])


Die Nettoneuverschuldung liegt bei unter 20 Milliarden
Euro und ist damit die niedrigste seit der Wiedervereini-
gung. Die Defizitkriterien der Europäischen Union wer-
den eingehalten.

Können Sie sich daran erinnern, mit welchen Umfra-
gewerten die SPD in den kurzen, aber harten Wahlkampf
startete, welche Argumente uns Sozialdemokraten am
Infostand begegnet sind?


(Jürgen Koppelin [FDP]: Welche denn?)


Wisst ihr noch, wie schwer es war, die Entscheidungen
trotz schlechter Umfragewerte durchzuhalten? Wir ha-
ben durchgehalten, gemeinsam mit den Grünen; die wur-
den dafür aber ein bisschen weniger kritisiert. Der jet-
zige Aufschwung, die sinkenden Arbeitslosenzahlen und
die verbesserte Haushaltssituation sind Früchte der rot-
grünen Regierung und der Kontinuität in der Großen Ko-
alition.


(Rainer Brüderle [FDP]: Sieht das Herr Meyer auch so?)


Mutige Handlungen wie die Reformen am Arbeits-
markt, das 3-Prozent-Investitionsziel im Bereich For-
schung und Bildung, das Ganztagsschulprogramm, die
Reform des Betriebsverfassungsgesetzes, unsere Steuer-
reform, die kleine Einkommen, Familien und mittelstän-
dische Unternehmen entlastet hat – diejenigen, die Ar-
beitsplätze in Deutschland schaffen –, und nicht zuletzt
der Atomausstieg,


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Der Atomausstieg trägt zum Aufschwung bei?)


der mit der Förderung regenerativer Energien gekoppelt
wurde – das sind nur einige der Maßnahmen, die zum
jetzigen Aufschwung beigetragen haben und von der vo-
rangegangenen Regierung veranlasst wurden.

Wir führen diese Arbeit kontinuierlich fort: Das El-
terngeld, die steuerliche Begünstigung privater Sanie-
rungen, das CO2-Gebäudesanierungsprogramm, die
Weiterentwicklung des Ausbildungspaktes und die För-
derung des Ehrenamtes sind nur einige Beispiele für die
Kontinuität in der heutigen Koalition.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Wie wäre es einmal mit Schuldenabbau?)


Bei der Debatte um den Mindestlohn steht die SPD
felsenfest.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der LINKEN)


Wir wollen tarifliche Vereinbarungen. Dort, wo das nicht
geht, wollen wir eine gesetzliche Lösung.


(Beifall bei der SPD)

Wir wollen keine Armutslöhne, die vom Staat und damit
von den Steuerzahlern, also jedem Einzelnen von uns,
bezahlt werden. Für die Lohnzahlung sind in Deutsch-
land die Unternehmen verantwortlich. Wir Sozialdemo-
kraten sind übrigens diejenigen gewesen, die über das
Entsendegesetz Mindestlöhne für das Baugewerbe gesi-
chert haben. Erst jüngst haben wir mit den Stimmen der
Koalition das Gebäudereinigerhandwerk, in dem
850 000 Menschen arbeiten, in dieses Gesetz aufgenom-
men.


(Beifall bei der SPD – Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Wie war das? Ich fürchte, da haben Sie nicht richtig nachgelesen! Das war Herr Blüm, junge Frau! Ist der jetzt übergetreten? – Gegenruf des Abg. Dr. Rainer Wend [SPD]: Man könnte es manchmal glauben!)


Aber auch für die, die vom Aufschwung noch nicht
erreicht werden, bleiben wir nicht still, nicht nur beim
Thema Mindestlohn. Wir wollen Jobperspektiven für
Langzeitarbeitslose. Diejenigen, die arbeiten wollen,
sollen das dort tun, wo Arbeit heute brachliegt, ob im so-
zialen Bereich, im öffentlichen Bereich oder in der Wirt-
schaft. Sie sollen statt Arbeitslosengeld eigene Ansprü-
che erwerben und voll sozialversicherungspflichtig
beschäftigt sein.

Ja, wir sind stolz auf die Arbeit unserer Regierung,
und wir sind stolz, dass sich diese Leistungen im Auf-
schwung widerspiegeln. Aber für uns von der SPD ist
der Aufschwung kein Selbstzweck: Die Wirtschaft hat
dem Menschen zu dienen und nicht der Mensch der
Wirtschaft. Deshalb gibt die SPD so lange keine Ruhe,
bis dieser Aufschwung bei jedem Einzelnen ankommt.
Wir wollen Aufschwung für alle.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gerald Weiß [Groß-Gerau] [CDU/CSU])



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609711300

Jetzt spricht der Kollege Wolfgang Meckelburg.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Wolfgang Meckelburg (CDU):
Rede ID: ID1609711400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die bemerkenswerteste Ausführung heute war, wie ich
finde, der Satz von Frau Nahles über die große Große
Koalition. Es hat mich beeindruckt, dass selbst Frau
Nahles gesagt hat, die Große Koalition kriegt etwas Gro-
ßes hin – manche von Ihnen bestreiten das ja. Wie ge-
sagt, ich finde das großartig; denn das ist eine Basis, um
in den strittigen Fragen ein Stückchen weiterzukommen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie haben zugegeben, dass Sie zu Ihrer Regierungs-
zeit ein paar Stolpersteine gebaut haben; dem widerspre-
che ich nicht. Doch wenn Sie, Frau Nahles, hier so ein-
fach sagen: „Beim Mindestlohn wird am Montag
gesprungen“, dann vertun Sie sich. Mit den Mindestlöh-
nen ist das nicht so einfach. Jeder, der eine Zahl nennt,
bekommt Schwierigkeiten. Die Leute überbieten sich






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Meckelburg
mit Forderungen: Der eine will einen Mindestlohn von
6,50 Euro, der Nächste von 7 Euro, dann kommt einer
und fordert 7,50 Euro, die KAB, habe ich gehört, fordert
sogar 8,50 Euro. Da kann ich nur sagen: Wer so etwas
gesetzlich festlegt, der macht Arbeitsplätze kaputt. An
dieser Erkenntnis führt kein Weg vorbei.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Von anderer Seite heißt es, man müsse ja nur festle-
gen, sittenwidrige Löhne beginnen unterhalb von zwei
Dritteln von dem, was in der Branche durchschnittlich
vereinbart ist. Das hilft der berühmten Friseurin in Thü-
ringen auch nicht. Zwei Drittel von 3,18 Euro ist nicht
viel. Für diese Festlegung würde ich mich also auch
nicht unbedingt einsetzen.

Wir brauchen irgendeine Auffanglinie, die sich an den
Daten, die wir haben, orientiert.


(Andrea Nahles [SPD]: In welcher Höhe?)


– Darüber sollte man sich hinter verschlossenen Türen
langsam einigen.


(Andrea Nahles [SPD]: Ah! Am Montag!)


– Nein, nein. Das können nur die Tarifpartner vereinba-
ren.

Überall, wo es in Europa Mindestlöhne gibt, sind die
Rahmenbedingungen völlig anders als bei uns in der
Bundesrepublik: Dort ist die Tarifautonomie nicht wich-
tig, spielen die Gewerkschaften eine völlig andere Rolle,
gibt es andere Systeme. In unserem System sind die Ta-
rifparteien diejenigen, die in den Regionen und für ihre
Branchen am besten aushandeln können, was machbar
ist und was nicht. Auf diesen Weg sollten wir uns end-
lich begeben!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Andrea Nahles [SPD])


Wovon ich gar nichts halte – damit auch das klar ist –,
ist, wenn Gewerkschaften – ich nenne sie jetzt nicht na-
mentlich –, die an Tarifabschlüssen beteiligt waren, bei
denen unwahrscheinlich niedrige Löhne vereinbart wor-
den sind, jetzt auf die Straße gehen und von uns verlan-
gen, dass wir, die Politik, das mit Mindestlöhnen korri-
gieren. Von solchen Gewerkschaften halte ich nichts; die
manchen ihren Job nicht.


(Martin Burkert [SPD]: Das sind christliche!)


– Nein, das sind nicht die christlichen. Ich meine Verdi;
damit Sie es wissen.

Lassen Sie mich zum Thema der Aktuellen Stunde et-
was sagen: Der Aufschwung geht weiter. Deutschland
hat den kräftigsten Aufschwung seit der Wiedervereini-
gung. Die Gewinne der Unternehmen steigen, die Auf-
tragsbücher der Firmen sind voll. Fachkräfte werden
dringend gesucht; wir werden uns in allernächster Zeit
über Fachkräftemangel unterhalten müssen. Die Arbeits-
losigkeit sinkt merklich; die Zahlen sind genannt worden.
Das Wichtigste ist: Die Zahl der sozialversicherungs-
pflichtigen Beschäftigungsverhältnisse steigt wieder.
Frau Dückert, Sie haben vorhin gesagt, wir stünden auf
dem Sonnendeck, wir sollten uns mal in den Maschinen-
raum begeben. Dieses Bild ist alt; das haben wir schon ge-
braucht, als Sie noch mit Rot zusammen regiert haben.
Heute stelle ich fest, dass wir im Maschinenraum sitzen.

Während Ihrer Regierungszeit sind 65 Monate lang
Monat für Monat sozialversicherungspflichtige Beschäf-
tigungsverhältnisse abgebaut worden. Insgesamt waren
es 1,5 Millionen.


(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Da haben wir es!)


Seit Mai letzten Jahres steigt die Zahl wieder. Wir haben
650 000 neue sozialversicherungspflichtig Beschäftigte.
Das ist die größte Leistung des letzten Jahres auf dem
Arbeitsmarkt. Nehmen Sie das einfach zur Kenntnis.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So etwas ist doch peinlich! – Gegenruf des Abg. Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Für Sie ist das peinlich! Sie haben versagt! Das ist peinlich!)


– Nein, das ist nicht peinlich. Die Zahl stimmt. Sie kön-
nen daran drehen, wie Sie wollen.

Ich will auch in Richtung von Herrn Brüderle noch et-
was sagen. Wir sind und bleiben in der Politik freund-
schaftlich miteinander verbunden, aber es kann nicht
sein, dass Sie uns hier vorwerfen, wir würden heute eine
Feierstunde abhalten und uns sonnen, während Sie als
Schattenwerfer auftreten und wirklich jedes Stichwort
aus der Kiste holen, um den Schatten möglichst so groß
zu machen, dass von dem Erfolg der Bundesregierung
nichts mehr übrig bleibt.


(Rainer Brüderle [FDP]: Einer muss euch doch die Wahrheit sagen! Ihr seid doch schon besoffen!)


Herr Brüderle, wären Sie mit uns zusammen in der Ko-
alition, dann würden Sie Seite an Seite bei uns stehen
und Feste feiern, bis es nicht mehr geht.


(Dr. Rainer Wend [SPD]: Dann hätte es nur andere Ergebnisse gegeben!)


Wir feiern diese Feste heute nicht, sondern wir stellen
fest, dass wir in diesem einen Jahr auf dem Arbeits-
markt, beim Wirtschaftswachstum und bei den Steuer-
einnahmen wesentlich weiter vorangekommen und auf
einem guten Weg sind.

Wenn das gilt, was Frau Nahles hinsichtlich der gro-
ßen Großen Koalition gesagt hat, dann liegen noch große
Jahre vor uns.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609711500

Jetzt hat Gabriele Frechen für die SPD-Fraktion das

Wort.


(Beifall bei der SPD – Rainer Brüderle [FDP]: Ihr müsst nüchtern bleiben!)







(A) (C)



(B) (D)


Gabriele Frechen (SPD):
Rede ID: ID1609711600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Nicht, dass jetzt jemand das Gerücht streut, in
der Großen Koalition würden nur schlagende Argumente
zählen. Es ist nur mein Zahn. Wir schlagen uns also noch
nicht, sondern wir tauschen die Meinungen so aus.

„Spiegel Online“ meldete am 30. April 2007, dass der
Aufschwung am Arbeitsmarkt angekommen ist. Es ist
für mich in der Tat die wichtigste Aussage zu der wirt-
schaftlichen Entwicklung in Deutschland, dass der Auf-
schwung endlich am Arbeitsmarkt angekommen ist.
650 000 neue sozialversicherungspflichtige Beschäfti-
gungsverhältnisse sind nämlich zumindest für die Men-
schen, die sie bekommen haben, weiß Gott mehr als nur
650 000 neue Jobs.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die positiven Zahlen sind für uns Ansporn und Bestä-
tigung zugleich. Sie sind Bestätigung, weil die sozialde-
mokratische Agendapolitik endlich wirkt, und sie sind
Ansporn, diesen Weg in der Großen Koalition natürlich
auch weiterzugehen. Wir werden ihn so lange gehen, bis
der Aufschwung bei allen Menschen angekommen ist;
denn schließlich haben die Millionen Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer in den Fabrikhallen, den Büros
und den Handwerksbetrieben diesen Aufschwung miter-
arbeitet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Reformen brauchen
Zeit. Dieser Satz ist so lapidar wie richtig. Dies gilt auch
und besonders für Steuerreformen und für die Haushalts-
politik, durch die der Aufschwung in den vergangenen
Jahren mitbewirkt wurde. Anfang 2006 haben wir ein
25-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm auf den Weg
gebracht. Das war die Initialzündung für Wachstum und
Beschäftigung. Dazu werden wir auch mit der Unterneh-
mensteuerreform einen Beitrag leisten.

Frau Dückert, hier muss ich Ihnen widersprechen. Es
ist toll und plakativ, zu sagen: Ihr gebt den Großen und
nehmt den Kleinen. – Es stimmt nicht. Der „Focus“ hat
die Studie des ZEW ausgewertet. Dort steht:

Allerdings seien in erster Linie mittelständische
Unternehmen auf der Gewinnerseite, da sie von den
geplanten Gegenfinanzierungsmaßnahmen weitge-
hend verschont bleiben würden …

Es sind nicht die Großkonzerne; vielmehr wird der Mit-
telstand durch uns gestärkt, genau der Mittelstand, der
hier eben gelobt wurde, weil er für den Beschäftigungs-
aufschwung gesorgt hat.


(Beifall bei der SPD – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre eigenen Leute sagen Ihnen das! Gucken Sie sich mal Ihre eigenen Kritiken an!)


Wir haben die Kommunen in den vergangenen Jahren
gestärkt, und wir werden sie auch weiter stärken. Die
Kommunen erleben seit 2004 ein Rekordjahr nach dem
anderen. Warum ist das so wichtig? Die Kommunen sind
die größten öffentlichen Auftraggeber, und – das ist min-
destens genauso wichtig – das Geld, das die Kommunen
ausgeben, bleibt in der Regel in der Region. Wenn Rie-
senprojekte des Bundes europaweit ausgeschrieben wer-
den, dann ist nicht gesagt, dass der Auftrag in Deutsch-
land bleibt. Bei den Kommunen ist das anders. Jeder
Euro, den die Kommunen mehr haben, entspricht einem
Förderprogramm für die lokale Wirtschaft.


(Beifall der Abg. Andrea Nahles [SPD])


Erst wenn sich die Menschen in ihrer Kommune wohl-
fühlen, weil die dringend notwendigen Investitionen
– ob in Straßen, Gebäude, soziale Einrichtungen, Schu-
len oder Kinderbetreuung – getätigt werden, sind sie
wieder selber bereit, zu investieren. Dies ist notwendig,
weil es den Binnenmarkt stärkt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das kommunale Investitionsprogramm, das noch auf
die Regierung Schröder zurückgeht, ist nicht umsonst
wieder aufgelegt worden. Im Jahr 2006 sind rund
3,2 Milliarden Euro ausgegeben worden. Damit sind
rund 1 450 Vorhaben mitfinanziert worden. Ich darf in
diesem Zusammenhang an das Ganztagsschulprogramm
erinnern, mit dem den Kommunen 4 Milliarden Euro für
Baukosten zur Verfügung gestellt wurden. Auch dieses
Geld geht an regionale Unternehmen und stärkt das
Handwerk und die heimische Wirtschaft, weil es vor Ort
ausgegeben wird.

Auch die privaten Haushalte – lange Zeit ein vernach-
lässigter Sektor, was die Beschäftigung anbelangt – stär-
ken wir durch steuerliche Maßnahmen. Die Sanierung
und die Modernisierung von Wohnraum werden ebenso
steuerlich gefördert wie Kinderbetreuung, Pflege oder
die Reinigung der Wohnung. Damit holen wir diesen
Wirtschaftssektor aus dem grauen oder schwarzen Be-
reich und fördern legale Beschäftigung.

Ich denke, wir haben allen Grund, uns zu freuen, und
glaube, dass die Handvoll Beispiele, die ich genannt
habe, deutlich machen, dass der Aufschwung zwar nicht
nur, aber auch etwas mit der Regierung und der Koali-
tion zu tun hat.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609711700

Als letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde erhält

der Kollege Gerald Weiß für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Kollege Brüderle ist schuld daran, dass ich an-
ders anfangen muss, als geplant. Sie haben eine Zeit lang
geleugnet, dass es einen Aufschwung gibt. Jetzt können
Sie das nicht mehr tun; denn es gibt unverkennbar mehr
Wachstum und mehr Arbeitsplätze in Deutschland. Das
können Sie nicht mehr leugnen. Jetzt darf es Ihrer Mei-






(A) (C)



(B) (D)


Gerald Weiß (Groß-Gerau)

nung nach aber nicht der Regierung zugute gehalten
werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Aufschwung ist zwar nicht nur der Regierung zu
verdanken – auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer, die Unternehmer, die Weltwirtschaft, die Wissen-
schaft und andere haben ihren Beitrag dazu geleistet –,
sie hat aber mit der positiven Änderung der wirtschaftli-
chen Rahmendaten, die für die Menschen wichtig sind,
ihren Anteil daran.


(Ute Kumpf [SPD]: Sie haben die Fußballweltmeisterschaft vergessen!)


Als Spezialservice für den ehemaligen Studienkolle-
gen aus Mainz greife ich aus dem oft erwähnten 25-Mil-
liarden-Euro-Programm der Bundesregierung nur einen
Baustein heraus, um die Wirkung abzuleiten. Das er-
wähnte CO2-Gebäudesanierungsprogramm hat im Jahr
2006 Investitionen im Umfang von 11 Milliarden Euro
ausgelöst. Das können Sie anhand der Wachstumsrate
nachprüfen. Mit einem Anteil von 0,5 Prozent am So-
zialprodukt bedeutet das einen Wachstumsschub, der zu
den verbesserten Wachstumsraten in Deutschland ge-
führt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn man berücksichtigt, dass Investitionen in Höhe
von 1 Milliarde Euro 25 000 neue Arbeitsplätze erschlie-
ßen, dann ist der Zusammenhang zwischen Investitionen
und Beschäftigung hergestellt.


(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Herr Brüderle hat sich im Studium nicht weitergebildet!)


Frau Möller, Sie haben in düsteren Farben beschrie-
ben, dass der Aufschwung nicht die Menschen erreicht.
Wir haben aber 823 000 Arbeitslose weniger,
650 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr,
27 Prozent weniger arbeitslose Jugendliche, 14 Prozent
weniger ältere Arbeitslose über 50 und 80 000 mehr Be-
schäftigte über 55 Jahre als im Vorjahr. All diese Men-
schen hat der Aufschwung konkret und glücklich er-
reicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Widerspruch bei der LINKEN)


Wie können Sie das leugnen?


(Zuruf des Abg. Rainer Brüderle [FDP])


– Ich könnte auch von der Absenkung des Beitrags zur
Arbeitslosenversicherung reden, Kollege Brüderle. Das
will ich an dieser Stelle aber nicht tun.

Es ist vor allem ein Vertrauensaufschwung. Am An-
fang gibt es mehr Vertrauen und Zutrauen. Es ist demos-
kopisch belegbar, dass es seit Antritt der Großen Koali-
tion eine Zunahme bei den Investitionsplänen gibt. Die
Investitionspläne von gestern sind die Aufträge von
heute. Herr Brüderle, wir haben mit einem Plus von
10 Prozent bei den Auftragserteilungen in der Industrie
den größten Zuwachs zu verzeichnen, der jemals statis-
tisch erfasst wurde. Die Aufträge von heute sind die Ar-
beitsplätze von morgen, Herr Brüderle. Das ist der Zu-
sammenhang mit der Beschäftigung. Es handelt sich um
einen Vertrauensaufschwung. Ich lade Sie zu folgendem
Gedankenmodell ein: Wenn Genossen à la Gysi und
Lafontaine heute die Regierungsverantwortung hätten,
gäbe es kein Zukunftsvertrauen. Aber die Große Koali-
tion hat es trotz vieler Mühseligkeiten – die Rente mit 67
ist sicherlich nicht populär, aber langfristig notwendig –
geschafft, das Vertrauen und das Zutrauen der Menschen
in die Zukunft wieder zu festigen. Das setzt sich um:
gestern in verbesserte Investitionspläne, heute in verbes-
serte Investitionsmaßnahmen und – erkennbar – im Kon-
sumverhalten. Die Menschen trauen sich mehr. Da die
Menschen keine Angst mehr haben, beispielsweise den
Arbeitsplatz zu verlieren, trauen sie sich, hochwertige
Gebrauchsgüter anzuschaffen. Auch im Konsumbereich
zeigt sich also das gestiegene Zukunftsvertrauen.

Wir sind noch lange nicht am Ziel. Das sind wir erst,
wenn der Aufschwung alle Menschen erfasst, wenn es al-
len besser geht. Deshalb kümmern wir uns um die Pro-
blemgruppen. Mit dem, was es jetzt beschlossen hat,
verfolgt das Kabinett die Absicht, den Menschen zielge-
richtet zu helfen, die nicht ohne Weiteres durch mehr
Wachstum in die Wirtschaft integriert werden können.
Wenn wir die sozialen Sicherungssysteme zielgenauer
machen, wie es beim Sozialgesetzbuch II in mehreren
Schritten geschehen ist, dann erfüllen wir das zweite
Kernanliegen unseres Koalitionsvertrages, die sozialen
Sicherungssysteme zu festigen. Die sozialen Sicherungs-
systeme spiegeln ebenfalls schon den Aufschwung wider.

Wirtschaftswachstum ist sicherlich nicht alles. Aber
ohne es ist alles andere nichts. Die geringeren Ausgaben
und die verbesserten Einnahmen des Sozialstaates – das
gilt vor allem in der Arbeitslosenversicherung – zeigen,
dass wir auf einem guten Weg sind. Den sollten wir wei-
tergehen.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609711800

Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:

Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Jerzy Montag, Hans-Christian Ströbele,
Wolfgang Wieland, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zum Schutz von Journalisten und der Presse-
freiheit in Straf- und Strafprozessrecht

– Drucksache 16/576 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/5283 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder

(Villingen-Schwenningen)







(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Joachim Stünker
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag

Zwischen den Fraktionen ist verabredet worden,
hierüber eine Dreiviertelstunde zu debattieren. – Dazu
höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Parlamentarischen Staatssekretär Alfred
Hartenbach für die Bundesregierung.

A
Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1609711900


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Wenn man den Titel des heute vorlie-
genden Gesetzentwurfes wörtlich auslegte, dann müsste
man zu dem Schluss kommen, dass es um die Pressefrei-
heit in unserem Land schlecht bestellt ist.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tut es auch!)


Kollege Montag, richtig ist jedoch: Die Pressefreiheit
genießt nach unserer Verfassungsordnung besonderen
Schutz, auch im Straf- und Strafverfahrensrecht. Sie ge-
nießt aber keinen uneingeschränkten Schutz. Es geht
deshalb immer um einen sachgerechten Ausgleich zwi-
schen Pressefreiheit und Strafverfolgung. Nicht nur die
Pressefreiheit, sondern auch die Aufgabe des Staates,
Straftaten aufzuklären und Straftäter zur Rechenschaft
zu ziehen, hat Verfassungsrang.

Dabei müssen zwei Aspekte auseinander gehalten
werden. Da ist zum einen die Bewertung der gesetzlichen
Regelungen – darauf werde ich mich konzentrieren –,
und da ist zum anderen die von mir nicht zu behandelnde
Frage, ob die geltenden Vorschriften im Einzelfall von
Gerichten und Staatsanwaltschaften mit dem nötigen
Augenmaß angewandt worden sind.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Genau! Das ist die Frage!)


Der geltende § 353 b Strafgesetzbuch, also die Straf-
vorschrift über die Verletzung von Dienstgeheimnis-
sen, sorgt für einen angemessen Ausgleich zwischen
dem Geheimhaltungsinteresse des Staates und dem Inte-
resse der Bürger und Medien an einer öffentlichen Kon-
trolle staatlichen Handelns, wie es in einem Rechtsstaat
unverzichtbar ist. Ihr Gesetzentwurf würde an dieser
Stelle eine Schieflage verursachen, weil er den Interes-
sen der Medien einen generellen Vorrang einräumt.

Dass Anstiftung und Beihilfe strafbar sind, ist fester
Bestandteil unseres Strafrechtssystems


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


und gilt grundsätzlich für alle Deliktsbereiche, auch für
den Verrat von Dienstgeheimnissen, weil auch hier An-
stiftung und Beihilfe einen eigenen Unwertgehalt haben.

Man kann deshalb nicht, wie Sie es wollen, den
Amtsträger als Haupttäter bestrafen, weil sein Geheim-
nisverrat wichtige öffentliche Interessen gefährdet, wäh-
rend der Medienmitarbeiter, der genau dazu angestiftet
hat, generell straflos bleiben soll.

Damit würde die Grenze zwischen noch erlaubter
journalistischer Grundrechtsausübung und der aktiven
Begehung von Straftaten insgesamt ins Rutschen gera-
ten. Wenn Sie das Prinzip von Täterschaft und Teil-
nahme an dieser Stelle durchbrechen – für eine Berufs-
gruppe, für die es übrigens keine klare Definition gibt –,


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Definition ist in der Strafprozessordnung!)


dann wird das nicht ohne Folgewirkungen für andere
Straftaten bleiben. Darin sehe ich mich auch durch das
Ergebnis der Sachverständigenanhörung im Rechtsaus-
schuss bestätigt.

Für Ihren Gesetzentwurf gibt es auch keine verfas-
sungsrechtliche Notwendigkeit, auch nicht nach der
„Cicero“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Erst recht nicht!)


Diese Entscheidung hat die Strafbarkeit von Anstiftung
und Beihilfe zum Geheimnisverrat gerade nicht in Zwei-
fel gezogen. Zugleich hat das Bundesverfassungsgericht
in wichtigen Punkten die Rechtslage klargestellt. Ob die
Voraussetzungen für eine Beihilfe zum Geheimnisverrat
bei Medienmitarbeitern vorliegen, müssen unter Beach-
tung dieser Vorgaben Staatsanwaltschaften und Gerichte
von Fall zu Fall sorgfältig prüfen.

Auch die vorgeschlagenen Änderungen des Strafver-
fahrensrechts sind allesamt verfassungsrechtlich nicht
geboten und zum Teil unpraktikabel.


(Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] [CDU/CSU]: So ist es!)


Ich greife wegen der Kürze der Zeit nur zwei Beispiele
heraus.

Erstens. Der absolute Richtervorbehalt bei Be-
schlagnahmen in Journalistenwohnungen geht an der
Realität vorbei. Staatsanwälte und Polizeibeamte dürfen
eine Beschlagnahme schon nach geltendem Recht nur
bei Gefahr im Verzug selbst anordnen. Im Eilfall muss
dies weiterhin möglich sein.

Zweitens. Ein absolutes Verbot, Verbindungsdaten
von Medienmitarbeitern zu erheben, ist ebenfalls nicht
zu rechtfertigen. Das Bundesverfassungsgericht hat wie-
derholt – zuletzt in seiner „Cicero“-Entscheidung – be-
tont, dass ein genereller Vorrang der Pressefreiheit vor
dem öffentlichen Interesse an einer effektiven Strafver-
folgung nicht anzuerkennen ist. Es ist vielmehr in jedem
Einzelfall der Stellenwert der Pressefreiheit mit dem
konkreten Strafverfolgungsinteresse abzuwägen.

Noch eines, meine lieben Kolleginnen und Kollegen
von den Grünen:


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ja mal nett!)


Wie wollen Sie eigentlich erkennen, ob ein Verbindungs-
datum gerade im Zuge einer Kommunikation verarbeitet






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach
wurde, die vom Zeugnisverweigerungsrecht geschützt
ist? Das steht nämlich nicht drauf.


(Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Richtig!)


Ihr heute zur Abstimmung stehender Entwurf greift
durch seinen nur punktuellen Ansatz zu kurz. Geboten
ist vielmehr ein stimmiges Gesamtkonzept, wie es die
Bundesregierung Mitte April beschlossen hat. Danach
bleiben die bestehenden Presseschutzregelungen unein-
geschränkt erhalten. Das betrifft sowohl das Zeugnisver-
weigerungsrecht als auch den Beschlagnahmeschutz und
das Verbot von Wohnraumüberwachungen. Worin vor
diesem Hintergrund ein Angriff auf die Pressefreiheit
liegen soll, wie er in der letzten Zeit der Bundesregie-
rung unterstellt wurde – ich habe nicht gesagt, dass Sie
das unterstellt haben –, bleibt mir unergründlich.

Der von der Bundesregierung beschlossene Entwurf
schreibt fest, dass sowohl offene als auch verdeckte Er-
mittlungsmaßnahmen gegen zeugnisverweigerungsbe-
rechtigte Medienmitarbeiter nur nach einer vorherigen
sorgfältigen Verhältnismäßigkeitsprüfung zulässig sind.
Kommt diese Abwägung zu dem Ergebnis, die geplante
Ermittlungsmaßnahme wäre unverhältnismäßig, etwa
weil es nur um die Aufklärung einer eher geringfügigen
Straftat geht, dann ist die Maßnahme zu unterlassen oder
zu beschränken. Wenn allerdings, lieber Kollege Montag
– ich vermisse Herrn Ströbele ein bisschen –,


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reiche ich Ihnen nicht?)


ein Journalist in eine Straftat selbst verstrickt ist oder
wenn der Journalist sogar selbst Beschuldigter in einem
Strafverfahren ist, müssen die dargestellten Schutzrege-
lungen hinter das Strafverfolgungsinteresse zurücktre-
ten. Denn nach unserer Verfassung gilt eben auch: Es
steht dem Gesetzgeber nicht frei, bestimmte Berufsfel-
der von jeglicher Strafverfolgung einfach auszunehmen.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun wir auch nicht!)


– Doch, das tut ihr, Freunde.

Mit unserem Konzept stehen wir in Einklang mit der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und
stellen sowohl eine freiheitliche Presse als auch eine ef-
fektive Strafverfolgung sicher.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Beides ist mir gleichermaßen ein großes Anliegen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609712000

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat jetzt das

Wort für die FDP-Fraktion.


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1609712100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Herr Hartenbach, es geht bei dem
vorliegenden Gesetzentwurf nicht darum, dass jetzt die
Pressefreiheit über alles gestellt wird und jedes Augen-
maß verloren geht,


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


sondern es geht um Korrekturen im Strafgesetzbuch und
in der Strafprozessordnung, und zwar an einigen Stellen.


(Beifall bei der FDP)


Deshalb teilen wir von der FDP-Bundestagsfraktion den
Grundansatz, der mit diesem Gesetzentwurf verfolgt
wird.

Wir haben einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht,
der ebenfalls Gegenstand der Anhörung im letzten Jahr
gewesen ist. Wir wollen die Vorschläge, die in unserem
Gesetzentwurf zum Strafgesetzbuch, aber auch zur Straf-
prozessordnung enthalten sind, dann in die Beratungen
einbringen, wenn wir uns hier mit den Änderungen der
Telekommunikationsüberwachung beschäftigen wer-
den; denn das ist der Moment, um konkret zu prüfen, ob
es Änderungen zum Beispiel des § 97 StPO bedarf und
wie wir mit den Telekommunikationsverbindungsdaten
von Zeugnisverweigerungsberechtigten umgehen. Dann
können wir auch Ihren Vorschlag diskutieren, der eine
generelle Verhältnismäßigkeitsprüfung bei einigen Zeug-
nisverweigerungsberechtigten enthält.

Ich kann an dieser Stelle schon sagen, dass ich da er-
hebliche Bedenken habe.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es! Die teilen wir!)


Im Gesetz steht, dass erst die Verhältnismäßigkeitsprü-
fung stattfinden muss. Wir kennen die Verfahren der
letzten Jahre, bei denen schon jetzt unter Achtung des
Art. 5 Grundgesetz Staatsanwaltschaften und Richter
hätten abwägen müssen, was aber letztlich in der Form
nicht erfolgt ist; denn sonst wäre es nicht zur Entschei-
dung des Bundesverfassungsgerichts zu „Cicero“ ge-
kommen.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Genau dort ist nicht richtig in der Praxis geprüft worden.

Nun könnte man sagen, Herr Hartenbach, das sei in
Ordnung, mit dieser Klarstellung – das ist ja nicht die
einzige Entscheidung; es hat schon immer entsprechende
Entscheidungen gegeben – seien alle Probleme beseitigt.
Nein, auch wir als FDP-Fraktion sind der Meinung, dass
man auch § 353 b – Verletzung eines Dienstgeheimnis-
ses und die Strafbarkeit von Beihilfehandlungen – auf
den Prüfstand stellen muss; denn er ist zu einem Ein-
fallstor staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen gewor-
den. Es hat in der Vergangenheit in keinem einzigen Fall
eine Verurteilung eines Journalisten gegeben, dem vor-
geworfen wurde, er sei der Beihilfe verdächtig. Man hat
die Regelung vielmehr benutzt, um Ermittlungen anzu-
stellen und Erkenntnisse zu gewinnen, die auf undichte
Stellen und Lücken in Behörden hinweisen, weil man
selbst anders nicht zum Erfolg gekommen ist. Das kann
nicht Sinn und Zweck einer solchen Regelung sein. Ich
meine, es ist nur richtig und notwendig, dass das gerade






(A) (C)



(B) (D)


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
angesichts der Verfahren hier im Bundestag auf den
Prüfstand gehört.

Unser Gesetzentwurf geht allerdings nicht so weit wie
der des Bündnisses 90/Die Grünen. Wir halten eine An-
stiftungshandlung für eine Handlung mit einem anderen
Unrechtsgehalt als eine Beihilfehandlung nach Vollen-
dung eines Delikts. Hier geht es ja um ein Institut der
sukzessiven Beihilfe, zu dem das Bundesverfassungsge-
richt im „Cicero“-Urteil keine abschließende Bewertung
abgeben musste. Wenn es darum geht, jemanden dazu
anzustiften, das Dienstgeheimnis zu verletzen, dann ist
das in den Augen der FDP-Fraktion ein Vorgang, der mit
einem anderen Unrechtsgehalt versehen ist. Deshalb se-
hen wir hier eine sehr viel differenziertere Regelung vor.
In diesem Punkt unterscheidet sich unser Entwurf von
dem heute zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf
des Bündnisses 90/Die Grünen.

Dass sich die Arbeitswelt von Journalisten in den
letzten Jahren verändert hat, ist bekannt. Üblich ist nicht
mehr, dass man allein in einer Redaktion sitzt und dort
seine Texte schreibt. Aufgrund moderner Kommunika-
tionsmöglichkeiten ist das Schreiben von Beiträgen
auch an anderen Orten möglich, zunehmend in privaten
Räumen. Wir wollen, dass ein Richter entscheidet; der-
zeit ist das nicht der Fall. Das Umsetzen unserer Forde-
rung wäre eine vorsichtige Korrektur der Strafprozess-
ordnung. Dies unterläge auch nicht dem Übermaßverbot.
Es würde also nicht über die Stränge geschlagen. Ich
hoffe, dass wir im Rahmen der Beratungen über eine
grundlegende Neuregelung der Telekommunikations-
überwachung darüber noch im Einzelnen werden reden
können. Bei der ersten Lesung dieser Gesetzentwürfe im
letzten Jahr wurde hier im Bundestag, zum Teil aus den
Koalitionsfraktionen, die Bereitschaft geäußert, sich bei
diesen Punkten zu öffnen. Ich würde mich freuen, wenn
diese Bereitschaft auch bei den Beratungen über Ände-
rungen der StPO vorhanden wäre.

Auch das Beweiserhebungsverbot für Telekommuni-
kationsverbindungsdaten, § 100 h StPO, sieht den abso-
luten Schutz von Zeugnisverweigerungsberechtigten
vor. Es ist doch nicht so, als würde jetzt erfunden, dass
Zeugnisverweigerungsberechtigte nicht hinsichtlich ih-
rer Telekommunikationsverbindungsdaten ausgeforscht
werden sollen. Aber man hat hier differenziert; in mei-
nen Augen hat man hier falsch differenziert. Die Journa-
listen, bei denen der Informantenschutz entscheidend ist
– das hat das Bundesverfassungsgericht noch einmal
ausdrücklich festgestellt –, hat man von dieser Regelung
nicht ausgenommen. Vielmehr sagt man: Nach gelten-
dem Recht kann man die Telekommunikationsverbin-
dungsdaten ausforschen. Bei anderen Zeugnisverweige-
rungsberechtigten, bei Anwälten, bei Geistlichen, gilt
dies nicht. Wenn man das abwägt, dann kann man sehr
wohl zu dem Ergebnis kommen, dass es sinnvoll ist, eine
entsprechende Einbeziehung vorzunehmen.

Da sich unser Entwurf von dem Gesetzentwurf der
Grünen in einigen Punkten unterscheidet, werden wir
uns bei der heutigen Abstimmung enthalten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609712200

Jetzt hat für die CDU/CSU der Kollege Reinhard

Grindel das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1609712300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Pressefreiheit ist nicht irgendein Grundrecht, son-
dern für unsere Demokratie schlechthin konstituierend.
Das ist in einzelnen Ermittlungsverfahren, etwa im Fall
„Cicero“, nicht hinreichend beachtet worden. Wir haben
das fraktionsübergreifend kritisiert. Aber es geht hier um
fehlerhafte Rechtsanwendungen, nicht um fehlerhafte
Rechtsgrundlagen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Peter Danckert [SPD])


Mein Kollege Siegfried Kauder wird gleich eine
Reihe wichtiger rechtspolitischer Anmerkungen ma-
chen. Meine Fraktion hat mir hier sozusagen ein gewis-
ses Journalistenprivileg eingeräumt. Ich will auf Grund-
lage meiner beruflichen Erfahrungen sagen: Ich finde
schon, Herr Kollege Montag, wir sollten festhalten, dass
wir uns in Deutschland im Vergleich zu westeuropäi-
schen Ländern, von anderen Ländern der Welt ganz ab-
gesehen, sowohl bezüglich der Print- als auch der elek-
tronischen Medien, was die Qualität, die Vielfalt und die
Unabhängigkeit unserer Presselandschaft angeht, nicht
zu verstecken brauchen. Mit dem Gesetzentwurf der
Grünen sollte nicht der Eindruck erweckt werden, dass
die Freiheit der Presse durch staatliche Einrichtungen
– womöglich mit wachsender Tendenz – beeinträchtigt
wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Fakten sprechen gegen Sie! Da sprechen Sie nicht für Ihre Kollegen!)


Herr Kollege Montag, lassen Sie mich, ohne aller-
dings abzuschweifen, im Hinblick auf die Qualität und
Freiheit unserer Presse einen weiteren Gedanken äußern:
Vielleicht ist das Problem nicht in erster Linie, dass der
investigative Journalismus ständig von Staatsanwalt-
schaften eingeschränkt wird, sondern, dass investigativer
Journalismus gar nicht mehr stattfindet, weil manche In-
vestoren bei Zeitungen oder Fernsehsendern – ich muss
leider sagen: vor allem ausländische Investoren – nicht
so sehr an den publizistischen, sondern eher an den wirt-
schaftlichen Erfolg des Mediums denken. Das hat zur
Folge, dass man sich keinen investigativen Journalismus
mehr leistet.


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Das stimmt!)


Vielleicht ist das in Zukunft sogar das größte Problem,
mit dem wir uns beschäftigen müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Sabine LeutheusserSchnarrenberger [FDP]: Nicht nur, aber auch!)







(A) (C)



(B) (D)


Reinhard Grindel
Der Fall „Cicero“ hat deutlich gemacht, dass unser frei-
heitlicher Rechtsstaat funktioniert. Das Bundesverfas-
sungsgericht hat völlig zu Recht entschieden, dass
Durchsuchungen und Beschlagnahmen in einem Ermitt-
lungsverfahren gegen Presseangehörige verfassungsrecht-
lich unzulässig sind, wenn sie ausschließlich oder vorwie-
gend dem Zweck dienen, die Person des Informanten zu
ermitteln. Die Durchsuchungen der „Cicero“-Redak-
tion und des Hauses des Journalisten Bruno Schirra hat-
ten das Ziel, beim BKA und beim BND undichte Stellen
zu finden. Darauf kam es an.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das war verfassungswidrig!)


Wir waren uns damals in einer Sondersitzung des Innen-
ausschusses einig, dass unter dem Deckmantel der Ver-
folgung einer angeblichen Beihilfehandlung eines Jour-
nalisten zum Geheimnisverrat in Wahrheit in die
Pressefreiheit eingegriffen wurde, indem man in großem
Stil Akten beschlagnahmt hat. Dadurch wurde der
Schutz der Vertraulichkeit und der Informationsquellen
gefährdet, der für die Arbeit der Presse unentbehrlich ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe übrigens
nicht vergessen, dass der frühere Bundesinnenminister
Otto Schily diese Kritik in seinem bekannten Stil abge-
tan


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Ich sage nur: „Hanseln“! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


und einzelne Kritiker als „Hanseln“ bezeichnet hat.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])


Jetzt hat sich herausgestellt, dass zumindest sieben die-
ser „Hanseln“ Richter am Bundesverfassungsgericht
sind. Das „Cicero“-Urteil ist nicht nur eine Ohrfeige für
diejenigen, die in Brandenburg für das Ermittlungsver-
fahren verantwortlich waren, sondern auch – das muss
man ganz klar sagen – für den früheren Bundesinnenmi-
nister.


(Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD])


– Lieber Herr Kollege Tauss, Sie wissen ganz genau,
dass das ein unpassender Zuruf ist;


(Jörg Tauss [SPD]: Schäuble ist eine Steigerung von Schily! – Dr. Peter Danckert [SPD]: Was erzählen Sie denn da?)


denn der Kollege Körper hat sowohl gestern als auch
heute erklärt, dass man, was die Onlinedurchsuchungen
anbetrifft, auf einem sehr guten Weg ist.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hört sich aber sehr schlecht an!)


Vielleicht fragen Sie einmal bei ihm nach. Wir werden in
der Koalition zu sachgerechten Ergebnissen kommen.

Ich kann mir angesichts des Urteils des Bundesverfas-
sungsgerichts nicht vorstellen, dass in Zukunft noch ein-
mal in dieser Weise eine Durchsuchung bei einem Jour-
nalisten wegen des Verdachts der Beihilfe zum
Geheimnisverrat vorgenommen wird. Ich meine, man
sollte die Wirkungen des „Cicero“-Urteils abwarten.
Entscheidend ist: Das Bundesverfassungsgericht hat in
diesem Fall offensichtlich keinen gesetzgeberischen
Nachbesserungsbedarf gesehen.

Ich habe übrigens den Eindruck, dass die Bundes-
regierung den Schutz von Journalisten im Zusammen-
hang mit dem Gesetzentwurf zur Regelung der Telekom-
munikationsüberwachung verbessert. Das betrifft auch
das Problem der Zufallsfunde.

Kollege Montag, ich finde, dass die Grünen mit ihrem
Gesetzentwurf, der Straffreiheit für die Anstiftung zum
Geheimnisverrat vorsieht, weit über das Ziel des Schut-
zes der Pressefreiheit hinausschießen. Für mich ist das
nicht nur, wie es in der Anhörung des Rechtsausschusses
hieß, in rechtsethischer Hinsicht ein Problem, sondern es
ist auch mit dem journalistischen Ethos kaum vereinbar.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss ja keiner machen!)


Da wir angesichts des wachsenden Wettbewerbs auf dem
Medienmarkt und angesichts eines immer problemati-
scheren Kampfes um tatsächliche oder angebliche Exklu-
sivstorys ohnehin einen gewissen Sittenverfall im Journa-
lismus beklagen, frage ich mich, ob es die Pressefreiheit
wirklich gebietet, den Instrumentenkasten mit der Anstif-
tung zum Geheimnisverrat – sozusagen unter ausdrückli-
cher Billigung des Gesetzgebers – noch weiter zu öffnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich sage: Wir sollten das nicht tun. Ein Journalist, der
zum Geheimnisverrat anstiftet, darf sich nicht auf den
Schutz durch die Pressefreiheit berufen können.

Das Bundesverfassungsgericht hat schon im „Spie-
gel“-Urteil, aber auch in der „Frontal“-Entscheidung be-
tont, dass es eine Mitverantwortung der Presse für die
Sicherheit des Staates gibt. Hierbei geht es um die Ab-
wägung der Pressefreiheit gegen das Recht des Bürgers
auf Sicherheit. Die journalistische Ethik verlangt, dass
man die Folgen seines Tuns selbstkritisch prüft. Ein Bei-
spiel: In dem entsprechenden „Cicero“-Artikel hat der
Autor Handynummern von al-Qaida-Führern veröffent-
licht. Das war für die Geschichte unter journalistischen
Gesichtspunkten nicht zwingend. Aber dadurch wurden
Operationen und womöglich auch Quellen des BND
massiv gefährdet. – Daran wird deutlich: Wir brauchen
im Journalismus eine Kultur der Selbstverantwortung
und in besonderen Fällen – wenn die Grundrechte Dritter
auf dem Spiel stehen – auch eine Kultur der Selbstbe-
schränkung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dagegen haben wir gar nichts!)


Durch die „Cicero“-Entscheidung wurde die Freiheit für
Journalisten gestärkt. Aber das zwingt die Journalisten,
sorgfältig mit dieser Freiheit umzugehen. Verantwortli-
cher Journalismus kann eben auch darin bestehen, dass
man nicht alles veröffentlicht, was man weiß.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse)







(A) (C)



(B) (D)


Reinhard Grindel
Wir werden den Gesetzentwurf ablehnen, weil die
vorgeschlagenen Regelungen nicht sinnvoll sind. Aber
festhalten will ich gleichwohl – um deutlich zu machen,
dass wir an dieser Stelle nicht unterschiedlicher Mei-
nung sind –: Das eigentliche Problem der undichten Stel-
len in Sicherheitsbehörden sind nicht die Journalisten,


(Beifall bei der FDP)


sondern Mitarbeiter, die mit Indiskretionen unserem
Staat und der Sicherheit seiner Bürger schweren Scha-
den zufügen. Das sind keine Kavaliersdelikte.

Um diese undichten Stellen aufzuspüren, stehen unse-
ren Sicherheitsbehörden vielfältige Maßnahmen zur Ei-
gensicherung zur Verfügung. Aber Zielobjekt muss da-
bei immer der untreue Beamte sein. Der Umweg über
den Journalisten, um an undichte Stellen zu kommen, ist
ein Holzweg. Wer glaubt, so unseren Rechtsstaat schüt-
zen zu müssen, wird ihn in Wahrheit schwächen. Das
wollen wir nicht. Die Pressefreiheit hat einen ganz ho-
hen Rang, den wir bei der Gesetzgebung mit beachten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609712400

Ich erteile das Wort Kollegin Petra Pau, Fraktion Die

Linke.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609712500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Pressefreiheit ist für die Demokratie unverzichtbar. Das
ist ein Schulsatz. Der Umkehrschluss heißt: Eingriffe in
die Pressefreiheit und Angriffe auf den besonderen
Schutz von Journalistinnen und Journalisten sind Ein-
griffe in die Demokratie. Es gibt sie dennoch – nicht als
Novum, sondern wiederkehrend. Deshalb befassen wir
uns heute hier mit diesem Thema.

Aktuell geht es um den Fall „Cicero“, ein Magazin,
dessen Redaktionsräume durchsucht wurden. Außerdem
kam es in den Privaträumen zweier Journalisten zu um-
fangreichen Beschlagnahmen – angeblich, weil sie sich
strafbar gemacht hätten, indem sie aus einer geheimen
Akte zitiert hätten. Tatsächlich wollte man – das wurde
hier schon angesprochen – das Sicherheitsleck, also den
Informanten, finden. So weit die Rechtfertigung für
diese Maßnahmen!

Der Fall „Cicero“ hat mediale Wellen geschlagen. Er
ließ bei allen, denen die Pressefreiheit wichtig ist, die
Glocken läuten. Er wird auch im Parlamentarischen Un-
tersuchungsausschuss noch eine Rolle spielen; denn
auch hier stellt sich die Frage: Wurden im sogenannten
Antiterrorkampf Grund- und Bürgerrechte suspendiert
und wenn ja, durch wen?

Es geht um Geheimnisverrat. Geheimnisverrat kön-
nen nur Geheimnisträger begehen, die zur Geheimhal-
tung verpflichtet sind. Journalisten sind das nicht. Sie
sind vielmehr der Öffentlichkeit verpflichtet; das ist ihr
Part.

(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb will Die Linke, dass Journalistinnen und Jour-
nalisten auch nicht mehr wegen Beihilfe zum Geheim-
nisverrat belangt werden können.


(Beifall bei der LINKEN – Joachim Stünker [SPD]: Denn sie wissen nicht, was sie tun!)


Aktuell kursieren hier im Parlament drei Anträge –
alle von der Opposition, also ein Antrag der FDP, einer
von den Linken und einer von Bündnis 90/Die Grünen.
Alle drei sind auf die Stärkung der Pressefreiheit gerich-
tet und auf den Schutz von Journalistinnen und Journa-
listen vor staatlichen Eingriffen. Dies sage ich auch mit
Blick auf die Gelüste des Bundesinnenministers, Kom-
munikationsdaten zu horten und Computerdaten online
beschlagnahmen zu lassen. Die Linke lehnt das ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Stattdessen schlägt Die Linke zur Stärkung der Pres-
sefreiheit Änderungen im Strafgesetzbuch vor. Wir
wollen damit ausschließen, dass die Veröffentlichung
von Informationen durch Journalistinnen und Journalis-
ten gegen diese gewendet und als Beihilfe zum Geheim-
nisverrat geahndet werden kann. Wir wollen also mehr
Rechtsklarheit.

Dabei gehen wir einen Schritt weiter als Bündnis 90/
Die Grünen mit ihrem Antrag. Wir wollen alle, die Me-
dien machen, vor dem Vorwurf der Beihilfe zum Ge-
heimnisverrat schützen und nicht nur diejenigen, die
hauptberuflich als Journalisten tätig sind. Wir meinen
nämlich, das Grundrecht auf Pressefreiheit ist nicht an
einen besonderen journalistischen Status gebunden, son-
dern gilt generell.


(Beifall bei der LINKEN)


Es gibt einen weiteren Punkt, den wir in unserem Ent-
wurf klarer gefasst haben; er betrifft die Strafprozess-
ordnung. Die Beschlagnahme in Redaktionsräumen darf
nur durch eine Richterin oder einen Richter angeordnet
werden. Bei Beschlagnahmen in Privaträumen von Jour-
nalistinnen und Journalisten reicht zumeist eine Anord-
nung der Staatsanwaltschaft oder einer von ihr befugten
Person. Auch das ist widersinnig. So entsteht Pressefrei-
heit und Informantenschutz erster und zweiter Ordnung.

Wir wollen, dass möglichst keine Razzien und Be-
schlagnahmungen stattfinden. Wenn dennoch eine gut
begründete Ausnahme greift, dann generell nur auf An-
ordnung einer Richterin oder eines Richters. Auch da-
rauf zielen unsere Vorschläge ab.

Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch
eine Bemerkung. Es gibt Vertrauensberufe, die einen
besonderen Schutz genießen und deshalb privilegiert
werden: Ärzte, Anwälte, Geistliche, auch Journalistin-
nen und Journalisten. Sie besitzen diese Privilegien nicht
um ihrer selbst willen, sondern zum Schutz der Bürge-
rinnen und Bürger und der Demokratie. Wir dürfen
schon aus Eigennutz nicht zulassen, dass diese Rechte
beschnitten werden.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609712600

Ich erteile das Wort nun Kollegen Jerzy Montag,

Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609712700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor genau

einer Woche, am 3. Mai, fand weltweit der Tag der Pres-
sefreiheit statt. Deswegen finde ich es angemessen, dass
wir das Hohelied auf den angeblich so guten Zustand der
Pressefreiheit, wie es die Bundesregierung hier gesun-
gen hat, einmal mit der Realität konfrontieren.


(Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär: Ich habe nicht gesungen! – Dr. Peter Danckert [SPD]: Die Realität des Jerzy Montag! Er weiß, was die Realität ist!)


Die Realität zeigt eine durchaus schlechte Situation
für die Pressefreiheit in Deutschland. Die Verfolgung
von Journalisten geht auch im Jahr 2007 unvermindert
weiter. Im Januar hat die Staatsanwaltschaft in Hamburg
gegen Journalisten des „Stern“ und von „Financial
Times Deutschland“ neue Verfahren, wieder wegen Bei-
hilfe zur Verletzung des Dienstgeheimnisses, eingeleitet.
Der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger hat deswe-
gen im Februar dieses Jahres über einen eklatanten Ein-
griff in die Pressefreiheit geschrieben und – damit geht
er sogar weiter als die Forderungen der Grünen – die Ab-
schaffung des Straftatbestands des Geheimnisverrats ge-
fordert.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Das wäre schön! Das kann ich mir vorstellen!)


Als Anfang dieses Jahres, Herr Kollege Danckert, die
Pläne der Großen Koalition, die Vorratsdatenspeiche-
rung einzuführen, bekannt geworden sind, hat es eine Er-
klärung von 27 gesellschaftlichen Verbänden der Bun-
desrepublik Deutschland gegeben, unter ihnen der
Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, der Ver-
band Deutscher Zeitschriftenverleger, die Deutsche
Journalisten-Union und der Deutsche Journalisten-Ver-
band. Alle diese Organisationen haben wörtlich von ei-
ner Untergrabung journalistischer Quellen und einer Be-
schädigung der Pressefreiheit im Kern in Deutschland
gesprochen.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Das wird deshalb nicht richtiger!)


Im Mai hat sich der Bundesverband der Freien Berufe
– in ihm sind die Dachverbände der Anwaltschaft, der
Ärzteschaft und der Journalisten zusammengefasst – zu
Wort gemeldet; er sieht in seiner Erklärung vom 3. Mai
die Pressefreiheit in Deutschland ernsthaft durch fol-
gende Maßnahmen der Großen Koalition bedroht: Tele-
fonüberwachung, Vorratsdatenspeicherung, Reform des
Zollfahndungsdienstgesetzes, Überlegungen zur Online-
durchsuchung. Der Bundesverband der Freien Berufe
spricht davon, dass der Informantenschutz und das
Zeugnisverweigerungsrecht der Journalisten in Deutsch-
land ernsthaft in Gefahr sind.


(Joachim Stünker [SPD]: Das wissen Sie doch besser!)

Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ veröffent-
licht jedes Jahr eine Rangliste der Pressefreiheit. Im vor-
letzten Jahr rutschte die Bundesrepublik Deutschland
von Platz 11 auf Platz 18. Letztes Jahr rutschte die Bun-
desrepublik Deutschland von Platz 18 auf Platz 23 dieser
Rangliste. Dabei wurde die Bundesrepublik Deutschland
wegen der Maßnahmen gegen einzelne Journalisten und
wegen Redaktionsdurchsuchungen ausdrücklich negativ
erwähnt.

Zum Schluss: Die OSZE hat ebenfalls im Mai einen
Zustandsbericht über die Pressefreiheit in den Mitglied-
staaten veröffentlicht. Von den 56 Mitgliedstaaten der
OSZE wurde 20 Staaten eine befriedigende Situation bei
der Pressefreiheit bescheinigt. Leider gehörte die Bun-
desrepublik Deutschland nicht zu diesen 20, sondern zu
denjenigen, die von der OSZE gerügt worden sind. Ein
ausdrücklich erwähntes negatives Beispiel waren die
Hausdurchsuchungen in Redaktionen in Deutschland.

Deswegen sagen wir Grünen auch heute: Es besteht
dringender Handlungsbedarf. Unser Gesetzentwurf ist
jetzt über ein Jahr in der Beratung. Vor über einem Jahr,
am 16. März 2006, hat es hier eine Debatte gegeben. Da
hat der Kollege Stünker für die SPD ebenfalls erklärt,
dass es Handlungsbedarf gibt. Er hat unsere materielle
Lösung abgelehnt und – im Gegensatz zum Kollegen
Kauder von der eigenen Koalition –


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Was? Das glaube ich nicht!)


gesagt, dass im Strafprozess Reformen notwendig sind.
Zu mir, mit Verlaub, Herr Kollege Stünker, haben Sie ge-
sagt: Gemach, Gemach, Herr Montag, bis zum Sommer
wird es einen Entwurf mit einer Novellierung geben.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Es ist doch noch gar nicht Sommer!)


– Es war aber das Jahr 2006, das gemeint war. Jetzt sind
wir im Jahr 2007 und haben immer noch keinen Entwurf
von Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Es gibt doch jedes Jahr einen Sommer, Herr Montag!)


Nun, lieber Herr Kollege Kauder, zu dem, was Sie vor
über einem Jahr gesagt haben. Meiner Meinung nach ha-
ben Sie sich damit in einer unglaublichen Weise diskre-
ditiert. Sie haben uns Grünen vor über einem Jahr vorge-
worfen, wir würden Kriminelle unterstützen,


(Jörg Tauss [SPD]: Was?)


weil unser Gesetzentwurf sich ausdrücklich nur auf den
Schutz der „Cicero“-Journalisten richten würde, und
haben wortwörtlich gesagt, unser Vorgehen sei „eine Un-
verschämtheit gegenüber den Ermittlungsbehörden“.
Wenn Sie die Zitatstelle wissen wollen, nenne ich sie Ih-
nen: Protokoll vom 16. März 2006, Seite 1 993. Auf Zi-
tate sind Sie ja scharf. Nun hat sich herausgestellt, lieber
Kollege, dass das Bundesverfassungsgericht genau das,
gegen das wir vorgegangen sind, als eine Unverschämt-
heit bezeichnet hat, nämlich die verfassungswidrigen






(A) (C)



(B) (D)


Jerzy Montag
Angriffe gegen die Journalisten durch die Ermittlungs-
behörden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609712800

Herr Kollege Montag, Ihre Redezeit ist zwar zu Ende,

aber Sie haben die Chance, sie zu verlängern, wenn Sie
eine Zwischenfrage zulassen.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609712900

Mit einer großen Freude.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Das kann ich mir vorstellen! – Heiterkeit)


Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/
CSU):

Herr Kollege Montag, würden Sie bitte exakt zitieren,
wo in meiner Rede ich Ihnen vorgehalten habe, Sie wür-
den Kriminelle unterstützen. Ich verwahre mich gegen
diese Behauptung.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609713000

Herr Kollege, ich werde Ihnen die Fundstelle sofort

nachliefern. Sie liegt auf meinem Tisch. Es ist auf jeden
Fall die Seite 1 993 des Bundestagsprotokolls vom
16. März 2006. Dort können Sie das, wenn Sie wollen,
nachlesen.


(Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] [CDU/CSU]: Wenn Sie solche Vorwürfe machen, bitte ich Sie, die zu belegen!)


Ich muss jetzt, weil der Präsident mich schon auf die
Zeit hingewiesen hat, zu meinem letzten Satz kommen. –
Ich weiß, dass die Große Koalition unseren Gesetzent-
wurf heute ablehnen wird. Aber wir werden auch nach
dieser Abstimmung dranbleiben; denn das sind wir der
Pressefreiheit und den Journalisten in Deutschland
schuldig. Wir werden die Debatte fortführen und unsere
Ideen weiter in den Bundestag einbringen, um die Situa-
tion für die Presse und die Journalisten in Deutschland
zu verbessern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Gute Sache!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609713100

Ich erteile das Wort Kollegen Peter Danckert, SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Peter Danckert (SPD):
Rede ID: ID1609713200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn man den Kollegen Montag hier so reden hört,
dann hat man den Eindruck, dass in Deutschland jeden
Tag die Pressefreiheit von den staatlichen Organen Poli-
zei und Staatsanwaltschaft kujoniert und verfolgt wird.
Das ist ein geradezu absurdes Bild, das Sie hier zeich-
nen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Belege haben Sie selbst geliefert!)


Ich bitte Sie, Herr Kollege Montag, dass wir die Debatte
– dazu bin ich bereit – sachlich führen und uns über Ein-
zelheiten Ihres Gesetzentwurfs, den Sie hier fast ver-
schwiegen und in den letzten 30 Sekunden Ihrer Rede-
zeit gerade noch erwähnt haben, unterhalten, statt zu
polemisieren und alle möglichen Stimmungen zu erzeu-
gen. Ihre Argumentation ist schlicht absurd.

Wenn Sie wollen, dass wir, wie es, glaube ich, Frau
Pau angedeutet hat, auf Geheimnisse verzichten und al-
les der Öffentlichkeit zugänglich machen, ist das eine
andere Debatte.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich doch gar nicht gesagt!)


Ich meine, dass unser Staat ein Recht darauf hat, be-
stimmte Dinge als Geheimnis zu deklarieren und den
Verrat dieser Geheimnisse in jedem Fall unter Strafe zu
stellen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das haben wir doch gar nicht infrage gestellt!)


Dem Kollegen Grindel muss ich allerdings sagen:
Wenn Sie unseren ehemaligen Innenminister Otto Schily
für das, was vor dem Hintergrund des Falls „Cicero“ ge-
schehen ist, verantwortlich machen, dann kann ich Ihre
Auffassung überhaupt nicht teilen und weise sie zurück.


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Gefeiert hat er das Ganze! Lesen Sie doch einmal nach!)


Ich bin sehr wohl der Meinung – insofern nähern wir uns
vielleicht an –, dass man sich politisch darüber streiten
kann, ob die Ermächtigung zur Strafverfolgung vom
August 2005 der richtige Weg war. Darüber kann man so
oder so entscheiden; der Innenminister hat sich für die
Ermächtigung entschieden. Aber was danach gelaufen
ist, liegt nicht im Verantwortungsbereich des damaligen
Innenministers,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat doch selber mit den Zeitungsverlegern geredet!)


der ja nicht den Antrag auf Durchsuchung und Beschlag-
nahme gestellt hat und auch nicht für die Entscheidung
des Landgerichts Potsdam zuständig war.


(Beifall bei der SPD)


Da sollten wir die Kirche im Dorf lassen, damit wir
vernünftig miteinander diskutieren können. Der Fall
„Cicero“ ist in der Tat der Ausgangspunkt gewesen; da-
rüber gibt es gar keine Debatte.

Dass das Bundesverfassungsgericht in den letzten
50 Jahren immer wieder einmal Grund hatte – das kann
man ja nachlesen –, korrigierend einzugreifen, liegt in
der Natur unserer grundgesetzlichen Regelung. Wir ha-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Peter Danckert
ben in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz die Pressefrei-
heit, die aber – um das einmal verkürzt auszudrücken –
in keiner Weise schrankenlos ist, sondern nach Art. 5
Abs. 2 Grundgesetz durch allgemeine Gesetze durchaus
eingeschränkt werden kann.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Glück, dass Sie das noch erwähnen!)


Dass das wiederum nicht heißen kann, dass mit den
allgemeinen Gesetzen die Pressefreiheit generell desa-
vouiert und eingeschränkt werden kann, liegt auch in der
Natur dieser verfassungsrechtlichen Vorschriften, die
dann im Lichte des gesamten Grundgesetzes ausgelegt
werden. Das ist gang und gäbe und nichts Besonderes.
So kommt es immer wieder zu einem solchen Konflikt
zwischen den allgemeinen Gesetzen und unseren grund-
rechtlichen Bestimmungen, insbesondere im Bereich des
Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz. Das ist die Ausgangs-
lage.

Ich verhehle nicht – das habe ich an anderer Stelle
auch schon gesagt –, dass mir diese Entscheidungen vom
Potsdamer Amtsgericht, Landgericht und in der Folge
dann übrigens auch vom Brandenburger Justizministe-
rium, das das alles noch gutgeheißen hat, in keiner Weise
gefallen haben.


(Beifall bei der SPD)


Wenn aber hier die Debatte so geführt wird, als seien die
Journalisten die weißen Schafe, die zu schwarzen ge-
macht werden – nämlich zu Straftätern –, dann ist das
jenseits der Realität.

Wir haben auf der einen Seite den Geheimnisträger,
der das Gespräch mit dem Journalisten sucht oder ange-
sprochen wird. Das ist doch die Realität, die wir viel-
leicht nicht immer in allen Details so belegen können.
Aber es ist ja nicht so, dass sie sich zufällig in der Bahn
treffen und dann miteinander über Geheimnisse – Staats-
geheimnisse – reden. Vielmehr spricht der eine den an-
deren ganz bewusst an, und zwar nicht in dem Sinne,
dass da nur ein feines Hintergrundgespräch geführt wird,
sondern mit der Absicht, etwas in die Öffentlichkeit
dringen zu lassen oder – auf der anderen Seite – etwas zu
veröffentlichen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Endlich einmal eine lebensnahe Darstellung der Vorgänge!)


An dieser Nahtstelle befinden wir uns in der Tat. Das
Bundesverfassungsgericht hat, wie ich meine, sehr fein-
sinnig entschieden, dass, soweit es keinen belegbaren
Verdacht gibt, dass der Journalist den Geheimnisträger
angestiftet oder ihm Beihilfe zugesagt hat, man mit
Durchsuchungen sehr vorsichtig sein muss. Das ist eine
gute, positive und notwendige Entscheidung, über die
wir uns, glaube ich, an dieser Stelle nicht unterhalten
müssen. Es ist ein Segen, dass wir das Verfassungsge-
richt haben! Ich würde vielleicht sogar sagen, dass es in-
sofern – insofern! Nur, dass wir uns an dieser Stelle nicht
missverstehen – gut ist, dass es diese beiden Entschei-
dungen aus Potsdam gab, damit das Bundesverfassungs-
gericht die Verfassungsbeschwerde, die ein kluger An-
walt, der mein Schüler war, eingereicht hat – –


(Heiterkeit bei der SPD – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Da kann man einmal sehen, wie sich Lehrer und Schüler unterscheiden! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So kommt es heraus!)


– Jetzt kommt es heraus. Da können Sie einmal sehen,
aus welchem Hause ich und meine Mitarbeiter stammen.
Aber jetzt lassen wir das einmal beiseite.

Das ist der Ausgangspunkt. Aber das, was Sie popu-
listisch mit Ihrem Antrag daraus gemacht haben, geht
weit über das Ziel hinaus. Es ist in meinen Augen – das
trifft auch auf andere zu, die sich dazu geäußert haben –
geradezu absurd, die Anstiftung herauszunehmen. Wel-
ches rechtsstaatliche Verständnis haben Sie eigentlich,


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


wenn der Journalist, der den Geheimnisträger zum Ge-
heimnisverrat anstiftet, in Zukunft straflos bleiben soll,
weil das nach Ihrer Meinung keine rechtswidrige Tat ist?
Da stellen Sie unser ganzes Rechtssystem – jedenfalls
das Strafrechtssystem – auf den Kopf. Sie hätten lieber
noch ein paar Minuten länger nachdenken sollen, bevor
Sie das vorschnell in eine Richtung lenken, die unser
materielles Strafrecht auf den Kopf stellt.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt übertreiben Sie doch wieder!)


Dasselbe gilt im Grunde genommen für die Beihilfe.
Ich kann wirklich nicht ernsthaft erkennen, warum Jour-
nalisten ein Privileg haben sollen, das andere Menschen,
die durchaus wegen Anstiftung und Beihilfe bestraft
werden sollen, nicht haben. Wenn sie sich korrekt ver-
halten, dann haben sie an dieser Stelle nichts zu befürch-
ten.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ein solches Privileg wäre absurd.

Sie wollen den § 353 d Nr. 3 des Strafgesetzbuches
streichen, weil er angeblich keine praktische Relevanz
hat. Nach diesem Kriterium könnte man noch ganz an-
dere Strafnormen abschaffen.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen wir das doch! Es wäre nicht schlecht, wenn man etwas abschaffen würde!)


Wir lassen aus guten Gründen alles so, wie es ist. Jour-
nalisten haben kein Recht darauf, besonders privilegiert
zu sein. Sie hingegen wollen an dieser Stelle eine Neure-
gelung.

Ich lasse mit mir darüber reden – wir werden sehen,
wie die Diskussion läuft –, im Bereich des Verfahrens-
rechts einige Punkte – ich sage ganz vorsichtig: mögli-
cherweise – zu verändern und zu verbessern. Ich meine
schon, dass nicht nur die Redaktionsräume einen beson-
deren Schutz genießen, sondern – ich sage wieder ganz






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Peter Danckert
vorsichtig: möglicherweise – auch der Arbeitsplatz zu
Hause.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Denn immer mehr Menschen arbeiten zu Hause, sie ar-
beiten unter anderen Bedingungen, als das noch vor Jah-
ren der Fall war. Darüber kann man reden.

In § 98 der Strafprozessordnung wollen Sie ganz neue
Begriffe einführen.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben die Begrifflichkeit der Strafprozessordnung
sozusagen beiseite gelegt und erfinden neue Begriffe.
Das ist an dieser Stelle nicht hilfreich.

Der entscheidende Punkt ist, dass die Staatsanwälte
darauf hingewiesen werden, dass sie präzise Anträge zu
stellen haben, wenn es um Durchsuchungs- und Be-
schlagnahmeanordnungen geht. Das sollten sie eigent-
lich nach dem zweiten Staatsexamen gelernt haben.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609713300

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.


Dr. Peter Danckert (SPD):
Rede ID: ID1609713400

Ich komme zum Ende. – Dass das nicht immer der

Fall ist, kennen wir auch aus anderen Gebieten. Wie Ab-
geordnete bei der Erarbeitung von Gesetzentwürfen fehl-
bar sind, so können auch Richter und Staatsanwälte fehl-
bar sein. Aber ich halte es nicht für richtig, übertrieben
zu reagieren. Wir werden mit dem Telekommunikations-
überwachungsgesetz eine Neuregelung auf den Weg
bringen und gemeinsam darüber diskutieren: Ich finde es
richtig, was Frau Leutheusser-Schnarrenberger an dieser
Stelle dazu gesagt hat.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609713500

Herr Kollege, Sie müssen jetzt wirklich zum Ende

kommen. Sie haben Ihre Redezeit deutlich überzogen.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Aber es war gar nicht schlecht!)



Dr. Peter Danckert (SPD):
Rede ID: ID1609713600

Ich bedanke mich, Herr Präsident, dass Sie mich so

lange haben reden lassen. Mit dem Kollegen Montag
werde ich außerhalb dieser Debatte sprechen.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609713700

Ich erteile das Wort Kollegen Siegfried Kauder, CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/
CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Wir haben heute in den Reden viel über Pressefreiheit
gehört. Das ist auch gut so. Denn Pressefreiheit gehört
zu einem demokratischen Staat und ist zu Recht grund-
rechtlich geschützt.

Wir haben aber, so glaube ich, zu wenig über innere
Sicherheit gesprochen. Denn die Pressefreiheit steht in
einem natürlichen Spannungsverhältnis zur inneren
Sicherheit. Nicht nur die Presse braucht Informationen
und geschützte Informanten, auch die Ermittlungsbehör-
den brauchen Informationen und geschützte Informan-
ten. Wer sich für dieses Spannungsverhältnis im Detail
interessiert, dem kann ich nur das Nachlesen der Ent-
scheidung des Bundesverfassungsgerichts im 107. Band,
Seite 299 ff. empfehlen, in der es um die Frage der Erhe-
bung von Telekommunikationsdaten gegangen ist.

In diesem Fall wurde ein Terrorist gesucht, dem drei
Morde zur Last gelegt wurden und der irgendwo in Eu-
ropa abgetaucht war. Durch die Erhebung der Telekom-
munikationsdaten bei einer „Stern“-Reporterin ist es ge-
lungen, den Aufenthaltsort dieses Terroristen ausfindig
und ihn dingfest zu machen. Weil er sich für die Kron-
zeugenregelung entschieden hat, wurde er nicht zu einer
lebenslangen Freiheitsstrafe, sondern zu einer Freiheits-
strafe von neun Jahren verurteilt.

Das Bundesverfassungsgericht hat in der von mir be-
reits zitierten Entscheidung die Erhebung von Telekom-
munikationsdaten für verfassungsrechtlich unbedenklich
angesehen.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Darüber müssen wir auch einmal reden. Sowohl in die-
ser Entscheidung als auch in der „Cicero“-Entscheidung
wurde verfassungsrechtlich nicht vorgegeben, dass im
Bereich der Telekommunikationsüberwachung und im
Bereich der Pressefreiheit irgendetwas geändert werden
müsse.

Meine Damen und Herren von Rot-Grün, es ist ja
nicht das erste Mal, dass Sie sich mit Pressefreiheit be-
fassen.


(Dirk Manzewski [SPD]: Rot-Grün?)


– Entschuldigung, ich meine die Kollegen vom Bünd-
nis 90/Die Grünen.


(Heiterkeit bei der SPD)


Aber auch die andere Variante stimmt. – Es ist, wie ge-
sagt, nicht das erste Mal, dass Sie sich mit Pressefreiheit
befassen. Im Jahr 2001 – da war Rot-Grün an der Regie-
rung – gab es einen Regierungsentwurf, in dem sehr be-
hutsam vorgegangen wurde. Er nannte sich nämlich:
„Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozess-
ordnung“. Dahinter war das Anliegen der Pressefreiheit
versteckt.


(Joachim Stünker [SPD]: Was?)







(A) (C)



(B) (D)


Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)

Dem Kollegen Montag kann ich dies nicht vorhalten,
weil er damals noch nicht im Bundestag saß, aber ande-
ren Abgeordneten vom Bündnis 90/Die Grünen.

Ich kann Ihnen sagen, was in diesem Gesetzentwurf
zugunsten der Pressefreiheit gemacht worden ist. Man
hat § 53 der Strafprozessordnung, also das Zeugnisver-
weigerungsrecht, im sachlichen Bereich etwas geöffnet.
Man hat in § 97 Abs. 5 der Strafprozessordnung, wo es
um die Beschlagnahme und Durchsuchung geht, auf
Art. 5 des Grundgesetzes und den Verhältnismäßigkeits-
grundsatz hingewiesen. Und, Herr Kollege Montag,
mehr war nicht.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mehr war nicht drin!)


Dieser Gesetzentwurf, der auch angenommen wurde,
war seriös.

Nun kam aus aktuellem Anlass das Bündnis 90/Die
Grünen auf einmal auf die Idee, das Thema Pressefrei-
heit populistisch auszuschlachten. Am 12. September
2005 fand die Durchsuchung der Redaktionsräume
von „Cicero“ statt. Im Oktober des Jahres 2005 gab es
einen Aufschrei in vielen Pressepublikationen, und we-
nige Monate später präsentierte Bündnis 90/Die Grünen
einen Gesetzentwurf, in dem exakt auf dieses Vorgehen
gegen „Cicero“ Bezug genommen worden ist.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben drei Monate gebraucht!)


„Cicero“ war also Anlass für eine Gesetzesänderung, die
man im Jahre 2001 so nicht für notwendig gehalten
hatte, obwohl sich die Sach- und Rechtslage überhaupt
nicht geändert hat.

Nun hätte ich eigentlich erwartet, dass Kollege
Montag hier seinen ach so guten Gesetzentwurf präsen-
tiert. Denkste wohl! Davon war nicht die Rede. Stattdes-
sen ergeht er sich in Zitaten, die er mir noch belegen
muss und die so nicht stimmen; denn Kollege Montag
glaubt, mir vorhalten zu müssen, ich hätte in der ersten
Lesung des Gesetzentwurfs vom Bündnis 90/Die Grü-
nen erklärt, die Grünen würden Kriminelle unterstützen.
Zeigen Sie mir, wo ich das gesagt habe! Für den Fall,
dass Sie das nicht können, erwarte ich von Ihnen, dass
Sie sich für diese unwahre Behauptung angemessen ent-
schuldigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Bündnis 90/Die Grünen glaubt, populistisch einen
Diener vor der Presse machen zu müssen, indem man
meint, das materielle Recht auf den Kopf stellen zu kön-
nen: ein Sonderrecht für Journalisten zu schaffen, indem
man die Beihilfe und die Handlung der Anstiftung
zum Geheimnisverrat von Journalisten straffrei ausge-
stalten will.

Ich hätte eigentlich erwartet, dass Bündnis 90/Die
Grünen spätestens nach der „Cicero“-Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts den Gesetzentwurf wieder
einrollt oder zurückzieht; denn in der „Cicero“-Entschei-
dung wurde selbst in diesem Fall gesagt, dass es nicht
um das Problem gegangen ist, dass die Ermittlungsbe-
hörden das Abwägungsgebot nicht beachtet hätten. Die
Bundesverfassungsgerichtsentscheidung besagt, dass
das Recht in Ordnung ist, das Recht aber deshalb nicht
ordnungsgemäß angewendet worden ist, weil keine tat-
sächlichen Anhaltspunkte für eine Haupttat gegeben wa-
ren. Drei Beispiele wurden genannt: Es kann ja sein,
dass eine Information versehentlich an die Presse
gekommen ist, dass ein Nichtgeheimnisträger die Infor-
mation weitergegeben hat oder dass es nur um eine Hin-
tergrundinformation ging, sodass kein Veröffentli-
chungswille vorlag. Die Argumente, die Bündnis 90/Die
Grünen für diesen Gesetzentwurf ins Felde führt, ste-
chen also nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wie populistisch dieser Gesetzentwurf gestrickt ist,
zeigt der Umstand – das habe ich dem Kollegen Montag
im Rechtsausschuss vorgehalten –, dass man auch
§ 353 d Nr. 3 des Strafgesetzbuches abschaffen will.
Diese Vorschrift verbietet, dass ein Nebenkläger den
Haftbefehl, der gegen den Beschuldigten ergangen ist,
im Internet veröffentlicht.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nur wortwörtlich!)


Das ist eine Schutzvorschrift für Beschuldigte. Ist es
nicht das Bündnis 90/Die Grünen, das sich immer zum
Vorreiter der Schutzvorschriften für Beschuldigte auf-
spielt? In diesem Fall aber wirft man auf einmal alles
über den Haufen. Die materiell-rechtliche Lösung ist si-
cherlich nicht der richtige Ansatzpunkt. Der richtige An-
satzpunkt wäre allenfalls, sich Gedanken zu machen, wie
man im Prozessrecht etwas ändern kann.

Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, was die
Telekommunikationsüberwachung anbelangt, der Hin-
weis: Auch das ist in trockenen Tüchern und verfas-
sungsrechtlich ordnungsgemäß ausgestaltet. Das ergibt
sich sehr schön aus der bereits zitierten Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts im 107. Band, Seite 299 ff.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: So ist jeder von der Opposition bedient worden!)


Über eines wird man sich unterhalten müssen: über
die Beschlagnahme von Zufallsfunden bei Journalis-
ten. Bezeichnenderweise war all das, was man im Fall
„Cicero“ gefunden hat, ein Zufallsfund.

Ich kann dem Kollegen Stünker nur beipflichten: Wir
sind auf einem richtigen Weg. Sie werden den Entwurf
eines Gesetzes zur Telekommunikationsüberwachung
sehen. Lenken Sie Ihr Augenmerk besonders auf § 53 b
der Strafprozessordnung.

Da wird es eine Regelung geben, die die Erhebung
von Zufallsfunden bei Journalisten deutlich erschweren
wird. Das, was Kollege Stünker in der ersten Lesung
versprochen hat, werden wir in einem gemeinsamen Ent-
wurf umsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)

Populistisch gestrickte Gesetzentwürfe werden wir al-
lerdings nicht unterstützen. Deswegen kann man den
Entwurf von Bündnis 90/Die Grünen nur ablehnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609713800

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf
eines Gesetzes der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum
Schutz von Journalisten und der Pressefreiheit in Straf-
und Strafprozessrecht. Der Rechtsausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5283,
den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 16/576 abzulehnen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD bei Enthaltung von FDP und
Linkspartei gegen die Stimmen der Grünen abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei-
tere Beratung.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b so-
wie Zusatzpunkt 6 auf:

6 Entwicklungspolitische Afrikadebatte

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartwig
Fischer (Göttingen), Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf
Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gabriele
Groneberg, Dr. Sascha Raabe, Dr. Bärbel Kofler,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Für eine intensive wirtschaftliche und ent-
wicklungspolitische Zusammenarbeit mit dem
afrikanischen Kontinent auf Augenhöhe

– Drucksache 16/5257 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Karl
Addicks, Hellmut Königshaus, Dr. Werner
Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP

Die Entwicklungszusammenarbeit mit Kenia
auf den Prüfstand stellen

– Drucksachen 16/965, 16/2363 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Hartwig Fischer (Göttingen)

Gabriele Groneberg
Dr. Karl Addicks
Hüseyin-Kenan Aydin
Ute Koczy

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl
Addicks, Hellmut Königshaus, Jens Ackermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Neue Strategien für die deutsche Entwick-
lungszusammenarbeit mit Afrika erarbeiten
und durchsetzen

– Drucksache 16/5243 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Bundes-
ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul das Wort.


(Beifall bei der SPD)


Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Af-
rika ist in Bewegung. Wir können helfen, Gutes zu be-
wirken. Die Menschen in Afrika wollen ihr eigenes
Schicksal selbst voranbringen. Wir waren in den letzten
Tagen zusammen mit einer Delegation der Parlamenta-
rier in der Demokratischen Republik Kongo. Dort gibt
es – Sie wissen das – seit letztem Jahr eine gewählte Re-
gierung. Wir, Deutschland, haben mitgeholfen, dass die
Wahlen dort stattfinden konnten und dass heute eine
Regierung existiert. Wir haben dazu beigetragen, die
Wahlen zu sichern. Alle Menschen, die uns im Kongo
begegnet sind, haben gesagt: Wir danken Ihnen, den
Deutschen, wir danken der EUFOR und auch der Bun-
deswehr, dass sie diesen Einsatz geleistet haben. Sonst
wäre der Kongo heute wieder im Bürgerkrieg.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Aber der Kongo ist längst nicht über den Berg. Die
Menschen müssen in ihren positiven und zukunftswei-
senden Anstrengungen unterstützt werden. Das ist einer
der Gründe, warum wir als Zeichen einer Dividende des
Friedens einen Friedensfonds für die Demokratische






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
Republik Kongo in Höhe von rund 50 Millionen Euro
für mehrjährige Maßnahmen in Aussicht gestellt haben.
Wir wollen dazu beizutragen, dass junge Menschen un-
mittelbar Beschäftigung finden, dass die Infrastruktur
wiederhergestellt wird und dass damit auch die Wirt-
schaft und die demokratische Entwicklung vorankom-
men. Das ist eine Hilfe zur Selbsthilfe, die – wie wir hof-
fen – dazu beitragen wird, dass der Kongo über den Berg
kommen kann.

Es geht für die Menschen auf dem ganzen Kontinent
um sichtbare Erfolge. Es geht um politischen, ökonomi-
schen und sozialen Fortschritt. Herzstück der politischen
Bewegung Afrikas ist zum einen NEPAD, die Partner-
schaft der Reformstaaten, und zum anderen die Afrika-
nische Union. Sie ist der entscheidende Ansatz, die ent-
scheidende Institution, die politische Lösungen auf dem
Kontinent voranbringt.

Wir haben auf der Reise deutliche Beispiele der neuen
politischen Selbstständigkeit erlebt. Dazu zähle ich übri-
gens auch, dass das Vorgehen Chinas keineswegs unkri-
tisiert hingenommen wird – das ist ein gutes Zeichen für
die afrikanischen Staaten – und dass der Dialog zwi-
schen Regierung, Opposition und Zivilgesellschaft als
notwendig betrachtet wird.

Gleichzeitig geht es um ökonomische Fortschritte.
Weil das immer wieder hinterfragt wird, will ich an die-
ser Stelle sagen: Wir halten die Zusage, die Mittel für die
Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika bis zum Jahr
2010 zu verdoppeln, ein. Das gilt gleichfalls für den in
Gleneagles beschlossenen Schuldenerlass.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das sind wir den Menschen in den afrikanischen Län-
dern und unserer eigenen Glaubwürdigkeit schuldig.

Natürlich geht es aber auch darum, dass die Ressour-
cen der Partnerländer gestärkt werden. In diesem Zu-
sammenhang will ich die Demokratische Republik
Kongo nennen. Die Steuern, die dort erwirtschaftet wer-
den, gehören den Menschen in den betroffenen Ländern
und sollten nicht als Finanzpaket auf Nummernkonten
im Ausland aufbewahrt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb müssen wir alles tun, damit die Einnahmen, die
mit der Rohstofferzeugung erwirtschaftet werden, tat-
sächlich in den Landeshaushalt, zum Beispiel des
Kongo, fließen und für den Wiederaufbau eingesetzt
werden können.

Ich will daran erinnern, dass die potenziellen Steuer-
einnahmen im Kongo allein im Rohstoffsektor
400 Millionen US-Dollar jährlich betragen, bisher aber
noch nicht einmal ein Zehntel dieser Summe tatsächlich
in den Haushalt einfließt. Wir haben uns vorgenommen,
auf dem G-8-Gipfel in Heiligendamm dazu beizutragen,
dass die Transparenzinitiativen im Bereich Rohstoffer-
zeugung von allen G-8-Ländern unterstützt werden, und
zwar sowohl finanziell als auch politisch. Das ist ein ak-
tiver Beitrag zur Förderung der Transparenz der
Finanzströme.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Es geht aber auch darum, das System der Mikro-
kredite voranzubringen. Die Kollegen, die mit in Afrika
waren, werden dieses Thema bestimmt aufgreifen. In
Kinshasa haben wir mit dem Team der Pro-Credit-Bank
gesprochen. Die deutsche Entwicklungszusammenar-
beit hat mit 1,4 Millionen Euro – das ist, verglichen mit
der Gesamtsumme, ein sehr geringer Anteil – dazu bei-
getragen, dass diese Bank zur größten Bank im Kongo
wurde. Diese Bank führt mittlerweile 22 000 Sparkonten
und hat seit 2005 3 000 neue Kleinkreditkunden. Dahin-
ter stehen Tausende von Existenzen, Menschen, die eine
Zukunft haben. Wir haben dazu beigetragen, diese Hilfe
zur Selbsthilfe in Gang zu setzen. Das ist wunderbar.
Wir wünschen den Menschen den Erfolg, den sie ver-
dient haben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Und das in anderthalb Jahren!)


– Und das in anderthalb Jahren. Danke, Herr Fischer. –
Auf dem G-8-Gipfel wollen wir diesen Weg mit einer
zusätzlichen Initiative zur Stärkung der Mikrofinanzin-
stitutionen in Afrika fortsetzen.

Es geht aber auch um soziale Fortschritte. Wir sollten
die Erfolge nicht kleinmachen, sondern klarmachen. Ich
will an dieser Stelle noch einmal daran erinnern: Auf-
grund des Schuldenerlasses, der im Jahr 1999 für die
ärmsten Entwicklungsländer beschlossen worden ist, ge-
hen heute 20 Millionen Kinder zusätzlich in die Schule.
Das sind 20 Millionen Perspektiven, Hoffnungen und
Chancen mehr. Das ist ein wunderbares Ergebnis. Diese
Menschen haben nun Hoffnung und eine Zukunftsper-
spektive.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben uns vorgenommen, auf dem G-8-Gipfel
diesmal die Entwicklung der Gesundheitssysteme in den
Mittelpunkt zu rücken, insbesondere zusätzliche Finanz-
mittel für HIV/Aids vorzusehen.

Zum Schluss: Es gibt viele Vorurteile über Afrika, die
überhaupt nichts mehr mit der Lebenswirklichkeit zu tun
haben. Für Afrikas Zukunft stehen nicht Diktatoren,
auch nicht Diktatoren im Endstadium, sondern viele krea-
tive Menschen und Persönlichkeiten wie Desmond
Tutu, Nelson Mandela und Kofi Annan sowie eine neue
Generation von Politikerinnen und Politikern wie der
ghanaische Präsident Kufuor oder die liberianische Prä-
sidentin Ellen Johnson-Sirleaf oder Donald Kaberuka,
Chef der Afrikanischen Entwicklungsbank.

Das Afrika der Vergangenheit hat Kolonialismus und
den Kalten Krieg erlitten. Das Afrika der Zukunft steht
für globale Partnerschaft. Wir wollen dazu beitragen,
dass diese Partnerschaft geschlossen wird. Ich möchte
auch da mit Kofi Annan enden, der, als er hier in Berlin
der Kanzlerin die Bewertungen der Umsetzung der Ziele
von Gleneagles übergeben hat, gesagt hat:

Ich glaube, dass Krieg in Europa heute undenkbar
ist, und das, obwohl dies ein Kontinent ist, der zwei






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
Weltkriege gesehen hat. Ich hoffe, dass meine Kin-
der oder ihre Enkelkinder morgen sagen werden,
dass Krieg in Afrika undenkbar ist.

Ich denke, wir sollten gemeinsam in diese Richtung ar-
beiten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609713900

Ich erteile das Wort Kollegen Karl Addicks, FDP-

Fraktion.


(Beifall des Abg. Hellmut Königshaus [FDP])



Dr. Karl Addicks (FDP):
Rede ID: ID1609714000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Afrika steht
derzeit tatsächlich sehr hoch im Kurs, die Präsenz von
Afrikathemen ist beachtlich: In Talkshows wird über
Afrika debattiert – da geht es um Malaria –, in den Print-
medien werden ganze Serien zu Afrika gebracht, und
auch im Deutschen Bundestag haben wir in der Vergan-
genheit verstärkt über Afrika gesprochen.

Heute sprechen wir wieder einmal aus entwicklungs-
politischer Sicht über Afrika. Wir messen damit dem
Thema den Stellenwert bei, der ihm zukommt.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Walter Riester [SPD])


Denn Afrika ist gerade für die deutsche, aber auch für
die europäische Entwicklungspolitik von größter Bedeu-
tung. Das heißt nicht, dass wir andere Entwicklungslän-
der, in Lateinamerika oder in Südostasien, vergessen.
Aber Afrika ist die größte Herausforderung, und Afrika
liegt nun einmal direkt vor unserer Haustür.

Subsahara-Afrika ist dabei der Teil des Kontinents,
auf den wir unser Augenmerk richten müssen; ich denke,
darüber sind wir uns einig. Die nordafrikanischen Staa-
ten sind größtenteils auf einem ganz guten Weg.


(Beifall der Abg. Gabriele Groneberg [SPD])


Viele der 45 Staaten in Subsahara-Afrika sind ebenfalls
auf einem hoffnungsvollen Weg. Doch manche erleben
finstere Zeiten.

Aber, Frau Ministerin, ich gebe Ihnen recht: Afrika
macht Mut, wir haben Anlass zur Hoffnung. Die Zahl
derjenigen, die finstere Zeiten durchleben, wird immer
kleiner. Die Zahl derjenigen, die positive Geschichte ma-
chen, ist viel größer als die Zahl der Simbabwes und Su-
dans. Côte d’Ivoire kann man eigentlich schon nicht
mehr dazuzählen; dort hat man sich ja geeinigt. Die ge-
samte Region weist Staaten in sehr unterschiedlichen
Stadien der Entwicklung auf. Dem müssen wir Rech-
nung tragen. Deshalb brauchen wir für jeden Staat eine
maßgeschneiderte deutsche Entwicklungszusammen-
arbeit.


(Beifall bei der FDP)

Wir Liberale machen mit den heute von uns einge-
brachten Anträgen deutlich, dass die deutsche Afrika-
entwicklungspolitik von Taten und nicht von Worten ge-
prägt sein sollte, dass wir die neuen reformerischen
Kräfte in Afrika, die sichtbar sind, unterstützen müssen
und dass wir uns in der Diskussion über eine verbesserte
entwicklungspolitische Strategie nicht in der Forderung
nach mehr Geld festfahren dürfen. Mehr Geld ist gut;
aber besser ist es, wenn das verfügbare Geld erst einmal
effizient eingesetzt wird.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Frau Ministerin, es ist erfreulich, dass Sie in den
Kongo fahren und dort 50 Millionen Euro für einen
Friedensfonds zusagen. Es ist richtig, dass der Kongo
dieses Geld dringend braucht, und 50 Millionen Euro
sind auch kein Pappenstiel. Aber noch besser wäre es ge-
wesen, wenn direkt oder sehr bald nach der Wahl im
Kongo, die, von EUFOR unterstützt, erfolgreich durch-
geführt worden ist, Konzepte für eine EZ verfügbar ge-
wesen wären.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Waren doch!)


Denn wir glauben, dass, bevor dieses Geld fließen kann,
im Kongo die zuverlässigen Strukturen entstehen müs-
sen, die nötig sind, damit es sinnvoll verwendet werden
kann. Das sehe ich im Kongo derzeit noch nicht.


(Beifall bei der FDP)


Es ist nach unserer Auffassung wenig förderlich,
wenn wir unser Geld per Budgethilfe weiter in korrupte
Strukturen hineinbuttern. Frau Ministerin, Sie haben das
heute auch angesprochen. Ich denke, wir müssen das
noch viel häufiger und viel deutlicher ansprechen. Das
Wort „versickern“ ist mittlerweile zu einem halbwegs
politisch korrekten Terminus technicus für das Abhan-
denkommen, für das „Verdunsten“, für das Verschwin-
den von Geld geworden. Frau Kollegin Koczy hat uns
nach ihrer Rückkehr aus dem Tschad berichtet, dass dort
mal eben 500 Millionen Euro versickert sind. Das sind
erhebliche Summen, die für die Entwicklung von Afrika
gebraucht werden. Sie dürfen nicht auf irgendwelchen
Nummernkonten in anderen Ländern verschwinden. Das
müssen wir langsam wirklich entschieden angehen.


(Beifall bei der FDP – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Bankgeheimnis lüften!)


Die Entwicklungszusammenarbeit muss als Instru-
ment zur Durchsetzung von guter Regierungsführung ef-
fektiver genutzt werden. Good Governance darf nicht
zu einem Schlagwort verkommen, sondern Bad Gover-
nance muss offen und deutlich angeprangert werden.
Wir tun das heute mit unserem Keniaantrag.


(Beifall bei der FDP)


Er ist mittlerweile zwar nicht mehr ganz aktuell, aber zu
der Zeit, als wir ihn gestellt haben, passierten in Kenia
Dinge, zu denen sich die Bundesregierung nicht so geäu-
ßert hat, wie wir uns das gewünscht hätten.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Karl Addicks
In Fällen unzuverlässiger Regierungsführung macht
das Instrument der Budgethilfe keinen Sinn. Wir müssen
uns genau überlegen und wir müssen genau hinschauen,
in welchen Ländern – bei welcher Regierung – wir eine
Budgethilfe leisten können. Das müssen zuverlässige
und verantwortungsvolle Regierungen sein, und das darf
nicht einfach nach dem Motto geschehen: Die Budget-
hilfe mit der Gießkanne einfach drübergießen. Das wol-
len wir nicht.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU])


Leider wird die Budgethilfe in der bilateralen deut-
schen und auch in der europäischen Zusammenarbeit zu-
nehmend ausgeweitet. Ich befürchte, dass die Steigerung
der ODA-Quoten bis 2015 dazu führen wird, dass sie so
weit aufgeblasen wird, dass es den Ländern in Afrika
nicht mehr gut tut. Wie ich gerade gesagt habe, kann die
Budgethilfe nur in Ländern mit verantwortlichen Eliten
eingesetzt werden. Diese gibt es mehr und mehr. Wir
müssen sie aber genau aussuchen und von Hand verle-
sen.

Dabei muss sich die deutsche Entwicklungszusam-
menarbeit auf die schwächsten und ärmsten Länder kon-
zentrieren. Schwellenländer wie China, Brasilien, Me-
xiko und Südafrika müssen früher oder später aus der
Entwicklungszusammenarbeit herausfallen. China müsste
im Prinzip sofort herausfallen, weil es selbst Entwick-
lungshilfe leistet. Wir haben das schon oft genug gesagt.
Lassen Sie uns das Geld also lieber woanders sinnvoller
verwenden.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU])


Es gibt in Afrika wahrlich Länder, die dieses Geld dring-
licher brauchen.

Wir brauchen dann natürlich auch Anschlusskon-
zepte für die Länder, die irgendwann aus der Entwick-
lungszusammenarbeit herausfallen. Wir haben das ge-
rade gesehen: Die Republik Kap Verde hat tolle
Entwicklungsfortschritte gemacht. Auf einmal hörte die
deutsche EZ auf. Das wünschen wir uns auch nicht. Wir
müssen dann Anschlusskonzepte für die Außenwirt-
schaft haben. Hier sind die Außenwirtschaftler gefragt.

Wir werden heute im weiteren Verlauf der Tagesord-
nung noch über das Thema Ressourcen sprechen. Das
werde ich dann zu diesem Zeitpunkt ansprechen.

Ich danke Ihnen jetzt für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609714100

Ich erteile das Wort Kollegen Christian Ruck, CDU/

CSU-Fraktion.


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1609714200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

G-8-Gipfel in Heiligendamm rückt in greifbare Nähe.
Überall werden fieberhaft Entscheidungen vorbereitet
und wird um Dokumente gerungen.

Mit dem vorliegenden Antrag der Koalitionsfraktio-
nen wollen natürlich auch wir den Gang der Dinge ein
bisschen beeinflussen. Dies wollen wir auch bei einem
Thema, das für uns ein besonderer Schwerpunkt ist,
nämlich der Politik gegenüber Afrika. Wir beide, die Af-
rikaner und die Europäer, brauchen diesen Erfolg; denn
die Entwicklung in Afrika – das wurde schon gesagt –
hat Licht und Schatten. Gott sei Dank gibt es immer
mehr Hoffnungsträger, nämlich nicht nur Südafrika,
Ghana und Mosambik, sondern es gibt auch neue Hoff-
nung im Kongo, in Liberia und anderswo.

16 Länder in Afrika hatten während der letzten zehn
Jahre stabile Wachstumsraten von über 4,5 Prozent.
Auch im Gesundheitsbereich, im Bildungsbereich sowie
im Bereich der Demokratie und anderswo gibt es, wie
schon erwähnt, große Fortschritte. Wir müssen aber na-
türlich auch sehen, dass 50 Prozent der Afrikaner nach
wie vor in absoluter Armut leben und dass Afrika eine
Region ist, in der die Armut in den letzten zwei Dekaden
zugenommen hat. Auch die fortschreitende Islamisie-
rung macht uns Sorge.

Daneben müssen wir eine groteske Fehlentwicklung
im Bereich der Wirtschaft erkennen. Trotz Rohstoff-
hausse, trotz Rohstoffgewinnung auf Rekordhöhe, hat der
Anteil Afrikas am Welthandel abgenommen. Er ist auf
unter 2 Prozent gesunken. Auch die privaten Investoren
– von einigen Ausnahmen abgesehen – machen nach wie
vor einen großen Bogen um Afrika.

Natürlich ist es für uns Europäer wichtig – das hat
sich in den letzten Jahren herausgestellt –, zu erkennen,
dass der Erfolg oder Misserfolg der Entwicklung Afrikas
auch ökonomische, ökologische und sicherheitspoliti-
sche Auswirkungen auf uns hat.

Wir haben selbst – das müssen wir auch nach außen
betonen – ein vitales Interesse an der Stabilisierung des
Kontinents. Wir haben Interesse an einer ausgewogenen
Entwicklung zugunsten der breiten Bevölkerung in
Afrika. Wir haben ein Interesse daran, fundamentalisti-
sche und radikalistische Strömungen in Afrika zu dämp-
fen und dass die Menschen in Afrika auch in ihren Hei-
matländern eine Perspektive finden.

Deswegen ist es wichtig, dass wir nach all den voran-
gegangenen G-8-Gipfeln mit vielen Papieren und Erklä-
rungen in Heiligendamm einen entscheidenden Schritt
vorankommen werden. Das heißt für mich vor allem,
dass die Frage im Mittelpunkt steht, wie wir die Selbst-
hilfekräfte der Afrikaner zur Lösung ihrer Probleme
stärken können, statt sie zu blockieren. Es ist in unserem
ureigenen Interesse, dass die Handelspolitik, die wir als
Europäer gegenüber Afrika betreiben, nicht dazu führt,
dass zarte Pflänzchen afrikanischer Märkte und Produk-
tion abgewürgt werden.


(Dr. Karl Addicks [FDP]: Das ist ein guter Punkt!)


Wir haben auch ein ureigenes Interesse daran, eine in-
ternationale und europäische Entwicklungspolitik zu be-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Christian Ruck
treiben, die – auch mit Blick auf die Hilfe zur Selbsthilfe –
koordinierter, gezielter und effizienter wird. Wir sollten
in unserer Politik von der Fata Morgana Abstand neh-
men, man könnte Afrika von außen sozusagen schlüssel-
fertig aufbereiten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir sollten vielmehr versuchen, die afrikanischen Ka-
pazitäten für Problemlösungen zu stärken. Dazu gehört
neben Bildung und Ausbildung, Wissenschaftstransfer
und ländlicher Entwicklung, dass wir – das haben wir
neulich in einem Hearing der Konrad-Adenauer-Stiftung
gelernt – als Parlamentarier die demokratischen Parteien
und die Demokratien in Afrika und auch die Zivilgesell-
schaft stärken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Gabriele Groneberg [SPD] Das bedeutet auch Hilfe zur Selbsthilfe beim Aufbau von Sicherheitsstrukturen. Darauf wird Hartwig Fischer noch eingehen. Dazu gehört für mich auch, worauf Sie, Frau Ministerin, schon hingewiesen haben, nämlich dass man bei der Demobilisierung nach Beendigung von Konflikten und Unruhen sehr schnell und auch unbürokratisch auf Instrumentarien zurückgreifen kann, um den Kindersoldaten und den Armeeangehörigen die Chance zu geben, sich wieder in ein normales Privatleben einzugliedern. Dazu gehört auch – das wurde ebenfalls bereits angesprochen –, dass die großartigen Reichtümer Afrikas professioneller erschlossen und zum Wohle der eigenen Entwicklung der Länder Afrikas verwandt werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Von dem G-8-Gipfel muss auch ein Signal von unserer
Seite als wichtigste und reiche Rohstoffbezieher ausge-
sandt werden, dass auch wir viel stärker als bisher dazu
beitragen werden, dass die Reichtümer Afrikas nicht in
Wildwestmanier und auch nicht zum Schaden einer ge-
sunden Entwicklung Afrikas ausgebeutet werden.

China wurde bereits angesprochen. Es muss auch ein
Signal an China ausgehen, dass mit neuer Macht auch
neue Verantwortung verbunden ist und dass mit dem
massiven Auftreten Chinas in anderen Kontinenten eine
größere Verantwortung für die friedliche Entwicklung
dieser Länder verbunden ist. Das müssen wir von der
Volksrepublik China einfordern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Spiegelbildlich zu unserer Verantwortung gibt es auch
eine Verantwortung der Afrikaner. In unserem Antrag ist
von einer Partnerschaft auf Augenhöhe die Rede. Der
Schlüssel für die Entwicklung Afrikas liegt vor allem in
den Händen der Afrikaner selbst. Aus dieser Verantwor-
tung können wir niemanden in Afrika entlassen. Das
heißt auch, dass es eine zutiefst afrikanische Aufgabe ist,
afrikanische Diktaturen und Massenmörder zu ächten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist auch eine zutiefst afrikanische Aufgabe, mit den
eigenen natürlichen Reichtümern nicht die eigenen Ta-
schen zu füllen, sondern sie für die eigene Bevölkerung
und deren Entwicklung zu nutzen. Das heißt, dass der
Aufbau von Rechts- und Investitionssicherheit, einer
funktionierenden Verwaltung und regionaler Märkte so-
wie von Sozialsystemen eine zutiefst afrikanische Auf-
gabe ist. Hier müssen die Weichen von afrikanischen Po-
litikern gestellt werden. Partnerschaft auf Augenhöhe
bedeutet nicht nur, dass wir unsere Hausaufgaben ma-
chen, sondern auch, dass wir von unseren afrikanischen
Partnern einfordern müssen, ihre Hausaufgaben zu erle-
digen.

Das ist eine große Aufgabe für den G-8-Gipfel in Hei-
ligendamm. Hier müssen wir einen Schritt vorankom-
men. Wir Entwicklungspolitiker haben unsere Hausauf-
gaben zumindest mit dem fraktionsübergreifenden
Antrag erfüllt. Wir hoffen, dass man auf dem Gipfel in
Heiligendamm zu einem guten Ergebnis für Afrika
kommt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609714300

Ich erteile das Wort Kollegen Hüseyin-Kenan Aydin,

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609714400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zuerst

eine Anmerkung zu der gegenwärtigen Situation bezüg-
lich der Kriminalisierung der G-8-Gegner, die in Heili-
gendamm demonstrieren wollen: Wir lehnen diese Kri-
minalisierung mit aller Schärfe ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir erwarten von allen anderen Fraktionen, sich diesbe-
züglich zu positionieren.

Wir leben in einer Welt der Extreme. Die 1 000
reichsten Menschen der Welt verfügen über 3 500 Mil-
liarden Dollar. Die Hälfte davon reichte aus, um alle
Schulden der Entwicklungsländer zu tilgen. Auf der an-
deren Seite gibt es extreme Armut. In Afrika haben
40 Prozent der Menschen – darauf wurde bereits hinge-
wiesen – weniger als 1 Dollar am Tag zum Leben zur
Verfügung. Die Zahl der Hungernden dort ist in den letz-
ten Jahren auf über 200 Millionen gestiegen und steigt
weiter an. Sie von der Regierung finden sich damit ab.
Deshalb demonstrieren auch wir in Heiligendamm gegen
diese Politik.


(Beifall bei der LINKEN)


Zugegeben, die Entwicklungszusammenarbeit in
Deutschland will dieses Elend beseitigen. Aber die Re-
gierung tut es nur halbherzig. Alle Bemühungen werden
durch die Außenwirtschaftspolitik der EU und der USA,
aber auch Chinas systematisch hintertrieben. Nehmen
wir als Beispiel die Fischerei. Mit Millionenbeträgen
hat die EU-Kommission umfangreiche Fanglizenzen vor
Westafrika erworben. Die Folge ist: Heute stehen dort
70 Prozent der Fischbestände vor dem Kollaps. Die ar-






(A) (C)



(D)


Hüseyin-Kenan Aydin
men Fischer in Senegal stehen vor dem Aus; denn die
schwimmenden Fabriken aus Europa und China lassen
kaum noch etwas für sie übrig. Ich sage: Die deutsche
Politik hat Mitschuld, dass die Menschen Westafrikas
hungern müssen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit
bleiben stumpf, wenn der IWF Konzerninteressen durch-
drückt. So wurden vor Jahren den Tomatenbauern in
Senegal Traktoren, finanziert mit Entwicklungsgeldern,
geschenkt, was schön war. Doch 2001 erzwang der IWF
die Privatisierung der Tomatenverarbeitung in Senegal.
Damit beseitigte er die Abnahmegarantie, die die staatli-
che Verarbeitungsindustrie den einheimischen Gemüse-
bauern gewährte. Der IWF erzwang auch die Absenkung
der Agrarzölle. Damit machte er den Weg für subventio-
niertes Tomatenmark aus Italien und China frei. Welcher
Irrsinn! So werden die Gemüsebauern des Senegals rui-
niert.

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft beschleunigt
solche verheerenden Entwicklungen noch. Kernstück ih-
rer Afrikapolitik ist der Abschluss sogenannter Wirt-
schaftspartnerschaftsabkommen, die ab 2008 eine wei-
tere Marktöffnung in den armen Ländern vorsehen. Die
Folgen werden mehr Arbeitslosigkeit und mehr Hunger
sein und nicht weniger. Ist das das Zusammenspiel von
Entwicklungs- und Außenwirtschaftspolitik, von der die
Bundesregierung immer spricht? Das ist es nicht. Die eu-
ropäischen Wirtschaftsminister hauen den afrikanischen
Bauern die Beine weg. Hinterher verteilen die Entwick-
lungsminister großzügig Almosen. Das reicht nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Entwicklungspolitik in Deutschland und in Eu-
ropa hat keinen Einfluss auf die Handelsvereinbarungen.
Wir fordern, dass die Entwicklungspolitik die Ursachen
der Armut bekämpft. Sie muss nachhaltig helfen, Armut
zu vermeiden.

Die Linke will die konsequente Ausrichtung der Ent-
wicklungszusammenarbeit auf folgende Kernbereiche.
Erstens: Hungerbekämpfung und Wasserversorgung.
Zweitens: Bildung, Gesundheit und Beschäftigung; Bil-
dung nicht nur im quantitativen Sinn, damit man statis-
tisch 20 Millionen Kinder ausweisen kann, sondern im
qualitativen Sinn.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen drittens Infrastrukturmaßnahmen und Um-
weltschutz. Tatsächlich gibt es viele gute Projekte, die in
Afrika die fehlende sozialstaatliche Struktur auffangen.
Dazu gehört auch ein Projekt des Entwicklungsministe-
riums, mit dem Deutschland in Kenia den Aufbau einer
Krankenversicherung unterstützt, die auch für die Ar-
men offen ist.

Leider sind solche Projekte in eine widersprüchliche
Gesamtstrategie eingebettet. Die Bekämpfung der Ar-
mut in Afrika ist keineswegs der Schwerpunkt. Stattdes-
sen hält das Ministerium weiterhin am sogenannten An-
kerländerkonzept fest.

In diesem Punkt stimme ich mit der FDP überein.
Wir müssen uns überlegen, ob China Mittel in Höhe
von 57 Millionen Euro aus dem Entwicklungstopf be-
kommen soll. Wenn es außen- und wirtschaftspolitisch
sinnvoll ist, sollte die Finanzierung über das Wirtschafts-
ministerium, nicht aber aus dem Topf des Entwicklungs-
ministeriums erfolgen.


(Beifall bei der LINKEN)


Das muss aufhören. Die Gelder müssen auf Länder
konzentriert werden, denen keine ausreichenden eige-
nen Mittel zur Verfügung stehen. Ohne ausreichende
Mittel ist keine Entwicklung möglich. Statt Tornados
nach Afghanistan zu schicken, geben Sie dieses Geld
für die Bekämpfung der Armut aus, meine Damen und
Herren!


(Beifall bei der LINKEN)


Der vorliegende Antrag der Regierungsparteien spie-
gelt die ganze Widersprüchlichkeit der deutschen Afri-
kapolitik wider. Sie fordern zwar die Verfolgung euro-
päischer Firmen, die sich durch Bestechung in Afrika
Vorteile verschaffen, aber es bleibt dennoch folgenlos.

Frau Merkel stellt ihren Kampfgeist gegen die Kor-
ruption in diesen Tagen mit ihrem lauten Schweigen zur
Affäre Wolfowitz knallhart unter Beweis.


(Beifall bei der LINKEN)


Zu solch einer Politik der leeren Worte sagen wir
Nein. Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen, meine
Damen und Herren.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Sascha Raabe [SPD]: So ein Unsinn! Sie werden doch noch Zeitung lesen können, wenn Sie sonst schon keine Ahnung haben!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609714500

Ich erteile das Wort Kollegen Thilo Hoppe, Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609714600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

würde diese Rede am liebsten mit einem Zwillingsbru-
der halten und sie in verteilten Rollen vortragen.

Der eine übernimmt die Rolle des Optimisten. Er be-
richtet von erfreulichem Wirtschaftswachstum im Durch-
schnitt von 5,5 Prozent in den afrikanischen Ländern,
von beachtlichen Reformanstrengungen und auch von
Erfolgen im NEPAD-Prozess, von den Signalen des Auf-
bruchs und der Hoffnung.

Der andere Zwillingsbruder übernimmt nicht die
Rolle des Pessimisten, aber die eines doch sehr besorg-
ten und bedrückten Menschen, der auf all das Elend hin-
weist, das es gerade in Afrika südlich der Sahara nach
wie vor gibt und das in einigen Sektoren sogar noch grö-
ßer geworden ist. Insbesondere die Zahl der Hungernden
steigt. Man muss sich das vor Augen halten: Ein Drittel
aller Menschen in Afrika, in der Subsahara, sind in be-
drohlicher Weise chronisch unterernährt.

(B)







(A) (C)



(B) (D)


Thilo Hoppe
Nach so einer doppelten Rede, vorgetragen von Zwil-
lingsbrüdern, könnten wir darüber streiten, wer von bei-
den nun recht hat oder mehr recht hat. Die Antwort ist
einfach: natürlich beide.

Kontraproduktiv würde es werden, wenn der eine
Bruder auf die Idee käme, dem anderen Bruder den
Mund zu verbieten, wenn wir nur noch auf das Leid der
Aidswaisen, der Bürgerkriegsflüchtlinge, auf fortschrei-
tende Wüstenbildung, auf die Rohstoffplünderung, auf
den Sumpf der Korruption und auf unfähige Regierun-
gen hinweisen würden. Dann würden sich die Menschen
hier in Deutschland mit Grausen abwenden und sagen,
das ist ein verlorener Kontinent, man raubt den Men-
schen in Afrika die Würde, man degradiert sie zu reinen
Almosenempfängern. Aber auch die andere Einseitig-
keit, mit der die wirtschaftlichen Erfolge, die Signale des
Aufbruchs überbetont werden, ist unmenschlich, weil sie
die Vergessenen, die Opfer ignoriert oder gar verhöhnt.
Sowohl auf Wirtschaftskongressen als auch auf Wohltä-
tigkeitsveranstaltungen und -konzerten kann man die
eine oder andere Einseitigkeit erleben.

Unser Antrag ist von beiden Zwillingsbrüdern ge-
schrieben worden. Wir würdigen die Stärken, wir würdi-
gen die Reformbemühungen, aber wir decken auch scho-
nungslos die Missstände auf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Beides macht auch die Koalition in ihrem Antrag,
aber es fehlt die Selbstkritik bei der Frage nach den
Ursachen der Missstände. Es werden vor allem die
Fehler benannt, die die afrikanischen Regierungen selber
produzieren. Die Folgen der Kolonialgeschichte, die ver-
heerenden Zwangstherapien des IWF, ein gescheiterter
Liberalisierungskurs, illegitime Schulden oder schädli-
che Megaprojekte werden ausgeblendet. Lediglich die
negativen Auswirkungen der Agrarexportsubventionen
werden etwas kleinlaut zugegeben.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Kleinlaut?)


Da könnte man sehr viel drastischer argumentieren.
Gerade die Afrikapolitik der Europäischen Union ist
nach wie vor von großen Widersprüchen geprägt. Was
die eine Hand aufbaut, zerstört die andere Hand.


(Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Genau!)


Wir haben das Beispiel der Tomaten aus dem Senegal
gehört. Ich hätte noch ein Beispiel aus Ghana. Dort hat
man einerseits den Anbau von Tomaten mithilfe der Ent-
wicklungszusammenarbeit erfolgreich gefördert, ande-
rerseits ist aber alles wieder durch immense Einfuhren
von hochsubventioniertem Tomatenmark „kaputtge-
dumpt“ worden. Bei meiner letzten Reise – ich konnte
mit Horst Köhler fahren – haben mir Politiker aus Ghana
bestätigt, dass die Europäische Union indirekt damit ge-
droht hat, die Entwicklungshilfe einzustellen, sollte
Ghana auf die Idee kommen, den Außenschutz zu erhö-
hen, um sich gegen diese Dumpingeinfuhren zu wehren.
Das ist wirklich irrsinnig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das ist nur ein Beispiel dafür, dass es, obwohl viele
Probleme in Afrika verursacht werden und wir tatsäch-
lich in vielen Fällen bei der Problemlösung helfen, auch
Sektoren gibt, auf denen die Europäische Union selber
ein Teil des Problems ist.

Wenn ich alle Anträge, die vorliegen und in der Dis-
kussion sind, miteinander vergleiche, dann stelle ich
fest, dass es in der Tat viele Gemeinsamkeiten gibt. Aber
aufgrund der knappen Redezeit möchte ich jetzt nicht
diese beleuchten, sondern mich auf die Unterschiede
konzentrieren. Gerade wenn ich unseren Antrag mit al-
ten Afrikaanträgen vergleiche, die noch unter der rot-
grünen Regierung gestellt wurden, dann stelle ich fest,
dass Bereiche fehlen, für die sich besonders die Grünen
stark eingesetzt haben. Die ökologischen Fragen werden
unterbelichtet, und das große Problem, dass die ländliche
Entwicklung vernachlässigt wurde und noch vernachläs-
sigt wird, besteht nach wie vor. Es werden Strategien be-
schrieben, die auf die Metropolen zielen, es wird eine
Wirtschaftsstrategie beschrieben, wonach Wirtschafts-
kerne weiter gestärkt werden sollen, aber die abgehäng-
ten Menschen in der Peripherie, in den ländlichen Ge-
genden kommen nur in wenigen Zeilen vor.

Diese Politik, nämlich die Vernachlässigung der
ländlichen Entwicklung, ist in einer Studie von Oxfam
und der Welthungerhilfe kritisiert worden. In der Studie
wird deutlich gesagt, dass die G-8-Staaten immer mit
vollmundigen Versprechen und mit großen Verlautba-
rungen daherkommen. Wenn man aber genau rechnet,
dann sind die Leistungen der G-8-Staaten seit Glen-
eagles sogar um 5 Prozent zurückgegangen. Wenn die Ver-
sprechungen, die die Ministerin heute gemacht hat und
die ich unterstütze, wirklich mit Leben erfüllt werden,
dann müssen wir noch einen riesigen Schritt nach vorne
gehen. Ich sehe das aber noch nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte mich nicht in jeder Debatte wiederholen
– das wird irgendwann langweilig –, aber wo sind die in-
novativen Finanzierungsinstrumente, die schon seit Mo-
naten und Jahren angekündigt werden? Ohne diese Fi-
nanzierungsinstrumente werden wir es nicht schaffen,
den Worten Taten folgen zu lassen.

Im Antrag der Linken findet sich berechtigte Kritik an
den wirtschaftlichen Zusammenhängen, aber einen Be-
reich blenden Sie völlig aus: die sicherheitspolitische Di-
mension. Sie fordern, dass die Menschenrechte unbe-
dingt eingehalten werden müssen – d’accord –, aber sie
verschließen die Augen davor, dass dies beispielsweise
in Darfur ohne ein robustes Mandat einer UN-Friedens-
truppe einfach nicht möglich ist. Ich hoffe, dass Sie dies-
bezüglich intern noch eine Debatte führen. Ich weiß,
dass es dafür Anzeichen gibt. Ich hoffe, dass Sie in der
Frage, wie der schleichende Völkermord in Darfur ein-
gedämmt werden kann, zu neuen Erkenntnissen kom-
men.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609714700

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.


Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609714800

Wie gesagt, es liegen viele Anträge vor. Ich glaube,

dass unser Antrag im Vergleich vorne liegt; denn unser
Ansatz ist wirklich kohärent und ganzheitlich. Er zielt
darauf ab, den Menschen in Afrika ein Leben in Würde
zu ermöglichen.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609714900

Ich erteile das Wort Kollegin Gabriele Groneberg,

SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Gabriele Groneberg (SPD):
Rede ID: ID1609715000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Gäste! Wenn wir im Bundestag über den
afrikanischen Kontinent reden, dann geht es tatsächlich
oft um Krisen, um Kriege, um korrupte Regime, um
Hungersnöte oder um HIV/Aids. Diejenigen, die einen
intensiveren Kontakt zum afrikanischen Kontinent ha-
ben, nehmen Afrika aber auch ganz anders wahr. Sie se-
hen, es gibt dort Staaten mit Regierungen, die sich inten-
siv um demokratische Strukturen und um die Einhaltung
von Menschenrechten kümmern. Dort gibt es eine mu-
tige Zivilgesellschaft. Es gibt dort Staaten, die auf den
Gebieten Gesundheitsversorgung und Bildung gute Er-
gebnisse vorweisen können. In der allgemeinen Wahr-
nehmung Afrikas sind diese Inseln des Fortschritts aller-
dings nicht zu finden, und das zu Unrecht.

Wir sind uns natürlich bewusst, dass unsere Bemü-
hungen – wie die der anderen wichtigen Geber – zu gu-
ten und zu schlechten, das heißt zu sehr unterschiedli-
chen Ergebnissen in der Entwicklung Afrikas geführt
haben. Insgesamt ist das nicht zufriedenstellend – das ist
richtig –; sonst würden wir hier nicht darüber reden.

Man fragt sich natürlich, warum wir unzufrieden sind.
Die Antworten darauf sind nicht einfach. Es gibt nicht
nur eine schlüssige Antwort, sondern mehrere, ganz dif-
ferenzierte Antworten. Einige will ich geben. Vor allem
sind die vielen bewaffneten Auseinandersetzungen zu
nennen. Viele positive Ansätze und Entwicklungen in
der Vergangenheit sind durch die verheerenden Kon-
flikte, die irgendwann wieder stattgefunden haben, zer-
stört worden. Erst seit der jüngsten Vergangenheit sind
wir uns alle – damit meine ich die Afrikaner genauso
wie den Rest der Welt – einig darüber, dass es nötig ist,
in der Bewältigung von Konflikten gemeinsam aktiv zu
werden, und dies mithilfe militärischer Einsätze, um Si-
cherheit in Konfliktregionen zu organisieren. Die Minis-
terin hat das Beispiel Kongo gerade genannt.
Die Afrikanische Union – kurz AU – bemüht sich seit
ihrer Gründung im Jahre 2002 aktiv um die Gestaltung
multilateraler Konfliktlösungsmechanismen in Afrika.
Elf afrikanische Staaten haben Ende 2006 zum Beispiel
ein Abkommen über Sicherheit, Stabilität und Entwick-
lung in der Region der Großen Seen mit einer Laufzeit
von 20 Jahren unterzeichnet. Es ist mittlerweile also ge-
rade einmal fünf Jahre her, dass die AU diesbezüglich
aktiv ist. Wir, Deutschland, und weitere internationale
Geber unterstützen die AU und andere Staaten natürlich
in ihren Bemühungen. Aber auch wir in Europa haben
lange gebraucht, bis wir zu dieser Sicherheit und Stabili-
tät gekommen sind. Wir sollten uns einmal daran erin-
nern, dass wir Afrika nicht mit unseren Maßstäben mes-
sen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


In diesem Zusammenhang darf ich Herrn Nooke nach
seinen heutigen Bemerkungen einmal sanft daran erin-
nern, dass es bis zum Wegfall des Ost-West-Konflikts in
Europa doch eigentlich so gewesen ist, dass wir unsere
Konflikte stellvertretend auf dem afrikanischen
Kontinent ausgetragen haben. Wie viele gegenseitige
Blockaden hat es gegeben, und zwar zum Schaden einer
wirksamen Entwicklungspolitik! Das war manchmal
doch eher eine Entwicklungspolitik des gegenseitigen
Behinderns. Das sollten wir einmal ehrlich zugeben.
Auch das gehört zu einer ehrlichen Analyse. Über das
Stadium des gegenseitigen Behinderns sind wir Gott sei
Dank hinweg.

Selbstkritisch sollten wir feststellen, dass der Bereich
der Agrarpolitik mit ganz vielen eigenen Interessen ver-
bunden ist. Thilo Hoppe, wir werden im Ausschuss noch
intensiv darüber reden.

Offensichtlich hat sich Herr Nooke wenig mit Ent-
wicklungshilfe beschäftigt; sonst wüsste er nämlich,
dass wir unsere Hilfe seit Jahren vor allen Dingen an
guter Regierungsführung ausrichten. Eine gemein-
same internationale Strategie dazu ist eigentlich erst mit
der Millenniumserklärung entwickelt worden. Ich erin-
nere an die Millenniumsentwicklungsziele, die wir ge-
meinsam definiert haben. Diese Erklärung und die
MDGs haben eine neue globale Partnerschaft für Ent-
wicklung eingeleitet, und das erst im Jahre 2000. Das ist
gerade einmal sieben Jahre her. Gute Regierungsfüh-
rung, Good Governance, der Aufbau einer wehrhaften
und mutigen Zivilgesellschaft zur Kontrolle von Regie-
rungen, der Aufbau demokratischer Strukturen sind ganz
wichtige Elemente und Kriterien unserer Entwicklungs-
politik.

Zugegebenermaßen gibt es immer wieder Fälle, wo
wir nachbessern müssen, weil wir festgestellt haben,
dass Entwicklungshilfegelder nicht dorthin kommen,
wohin sie gehören. Aber das kann man eben nicht verall-
gemeinern, Herr Addicks. In diesen Fällen haben wir
entsprechend reagiert bzw. – siehe Kenia – sind wir da-
bei, zu reagieren. Deshalb ist Ihr Antrag überflüssig ge-
worden. Im Übrigen habe ich das Gefühl, dass wir in
diesem Zusammenhang auch einmal kritischer auf uns
selbst schauen sollten. Man muss ehrlich zugeben: Be-






(A) (C)



(B) (D)


Gabriele Groneberg
kannte Beispiele zeigen, dass Korruption auch bei uns
vorkommt. Insofern sollten wir uns an die eigene Nase
fassen und mit vernünftigem Maß messen.


(Dr. Karl Addicks [FDP]: Das ist doch kein Grund, zur afrikanischen Korruption zu schweigen!)


Unabhängig davon leisten wir humanitäre und Not-
hilfe in Staaten, die sich durch Menschenrechtsverlet-
zungen und Korruption auszeichnen, und das in negati-
vem Sinne. Gerade ein Menschenrechtsbeauftragter
sollte sich überlegen, ob er das bestreiten möchte. Aber
sollte man deshalb tatsächlich darüber nachdenken, gar
keine Hilfe mehr zu leisten? Ich glaube nicht, dass das
im Sinne der Menschenrechte wäre und dass wir uns das
im Namen der Menschlichkeit erlauben könnten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass sich
seit der Gründung von NEPAD im Jahre 2001 26 afrika-
nische Staaten verpflichtet haben, im Rahmen des Afri-
can Peer Review Mechanism die notwendigen Reformen
und die Grundsätze des Good Governance in Afrika
massiv voranzutreiben, und zwar im Erfahrungsaus-
tausch zwischen den afrikanischen Staaten. Nun muss
darauf geachtet werden, dass die gegebenen Zusagen
eingehalten werden. Der eigentliche Fortschritt ist, dass
sich die Afrikaner jetzt dazu bekannt haben, die entspre-
chenden Maßnahmen durchführen zu wollen.

Sicherlich haben wir in der Vergangenheit einen gro-
ßen Fehler gemacht: Wir haben versucht, die Probleme
Afrikas nach unserem europäischen Verständnis zu lö-
sen. Wenn man ehrlich ist, muss man sagen: Das kann
nur begrenzt funktionieren. In den letzten Jahren wurde
es daher zum zentralen Bestandteil unserer Programme
und unserer Entwicklungshilfe, zum einen die Eigenver-
antwortlichkeit der afrikanischen Staaten einzufordern
und zum anderen gemeinsam mit ihnen nach Lösungen
zu suchen, die der afrikanischen Kultur gerecht werden
und die Bevölkerung einbeziehen. Nur so kann man
nachhaltige Prozesse einleiten.

Herr Addicks, das gilt auch für den Kongo und die ge-
plante Einrichtung des Fonds. Dieser Fonds wird nicht
über die Regierung organisiert. Wir speisen diesen
Fonds, die KfW baut ihn auf, und die Abwicklung er-
folgt über die NGOs im Land. Genau das wollen wir.
Deshalb verstehe ich Ihre Kritik an dem geplanten Fonds
nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Karl Addicks [FDP]: Ich habe nicht den Fonds kritisiert, sondern die Tatsache, dass kein Konzept vorhanden ist! Auch nach einem halben Jahr immer noch nicht!)


– Es gibt ein Konzept; sonst würden wir diesen Fonds
nicht in Zusammenarbeit mit den NGOs aufbauen. Da-
rüber werden wir im Ausschuss noch intensiv reden.


(Dr. Karl Addicks [FDP]: Es wird auch langsam Zeit!)

Nun komme ich auf die demokratischen Strukturen
und auf die Beteiligung der Bevölkerung zu sprechen.
Freie und fair gewählte Parlamente sind eine wichtige
Grundlage für den Entwicklungsprozess. Das Ziel von
uns Parlamentariern ist, den Austausch mit den dortigen
Parlamenten zu vertiefen und durch Kontakte ihr Selbst-
bewusstsein zu stärken. Wir wollen, dass die Parlamente
über die Entwicklungshilfeleistungen und deren Höhe
informiert werden. Sie müssen in die Lage versetzt wer-
den, vor Ort die notwendige Kontrolle ausüben zu kön-
nen. Wir wollen die Kooperation mit den Parlamenten
auf allen Ebenen, bis hin zur kommunalen Ebene, ver-
bessern.

Meine letzte Bemerkung: Der Bundestag wird prüfen,
ob es möglich ist, ein Parlamentarisches Patenschaftspro-
gramm für afrikanische Jugendliche einzurichten. Wir
sollten uns darum bemühen. Jugendliche sind unsere Zu-
kunft. Das gilt vor allen Dingen für Afrika. Durch einen
solchen Austausch könnten wir die afrikanische Jugend
gezielt unterstützen. Deutschland hat ein sehr großes In-
teresse daran, die Kooperation mit Afrika insbesondere
in diesem Bereich fortzusetzen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609715100

Ich erteile das Wort Kollegen Hartwig Fischer, CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Hartwig Fischer (CDU):
Rede ID: ID1609715200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

danke Ihnen, Frau Dr. Merkel und Frau Wieczorek-Zeul,
dafür, dass es Ihnen in den letzten Monaten gelungen ist,
Afrika im Rahmen der EU-Präsidentschaft und der G-8-
Präsidentschaft Deutschlands in den Mittelpunkt der
Politik zu rücken.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es ist selten genug der Fall, dass dieses Thema im Parla-
ment zur Sprache kommt. Ich bedanke mich insbeson-
dere deshalb, weil im Vorfeld der beiden Gipfel offene
Dialoge geführt worden sind – auf Ministerkonferenzen
und in Workshops der Ministerien, der Fraktionen, der
Stiftungen, der Kirchen, aber auch der NGOs. Es hat
also ein breit angelegter Begleitprozess stattgefunden.

Herr Aydin, Ihnen sage ich ganz offen: Nehmen Sie
an der Demonstration teil, aber leisten auch Sie Ihren
Beitrag, dass sie friedlich bleibt! Diesen Anspruch sollte
man haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Das wird auch so sein, Herr Fischer! Diskriminieren Sie nicht die Demonstranten!)


Deutschland gilt in Afrika aufgrund seiner zielgerich-
teten Entwicklungspolitik als glaubwürdiger und vor-






(A) (C)



(B) (D)


Hartwig Fischer (Göttingen)

bildlicher Partner. Zu der Art und Weise, in der Sie, Herr
Aydin, das dargestellt haben, muss ich Ihnen allerdings
sagen: So können Sie, wenn Ihnen das gefällt, mit der
Ministerin sprechen. Aber so, wie Sie es vorgetragen ha-
ben, ist das ein Schlag ins Gesicht für diejenigen, die für
die Technische Zusammenarbeit, die Finanzielle Zusam-
menarbeit, die Durchführungsorganisation verantwort-
lich sind und die für ihre Professionalität und Effektivität
bekannt sind.


(Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Dann haben Sie mir nicht zugehört!)


Es ist gleichzeitig ein Schlag ins Gesicht der NGOs, der
Kirchen und der Stiftungen, die sich dort humanitär
engagieren, Capacity Building leisten und Hilfestellung
in Sachen Demokratie geben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur sagen:
Das, was sich in den letzten Monaten an Entwicklungs-
prozessen gezeigt hat, macht mir deutlich, dass Heiligen-
damm nicht nur eine Fortschreibung von Gleneagles sein
wird, sondern dass diese Präsidentschaft genutzt wird,
um Schwerpunkte zu setzen.

Man kann Schwerpunkte setzen, weil Deutschland
gute Regierungsführung unterstützt hat, weil Deutsch-
land in der Vergangenheit Schwerpunkte bei der Be-
kämpfung der Korruption gesetzt hat, weil man mit der
EITI-Initiative und der Stärkung von Good Governance
richtige Schwerpunkte gesetzt hat, weil wir in der Frage
Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Friedensför-
derung Schwerpunkte gesetzt haben. Ein Fünftel der bi-
lateralen EZ-Mittel in Afrika fließen in diesen Bereich.
2 Milliarden Euro unserer Mittel für Entwicklungszu-
sammenarbeit sind bi- und multilateral in die Subsahara
geflossen, zurzeit jährlich 386 Millionen Euro allein in
den Energiesektor. Das sind vorbildliche Beispiele, die
man bei den Verhandlungen vorzeigen kann.

Es gibt einen weiteren wichtigen Punkt, den die Präsi-
dentschaft über Frau Dr. Merkel und unsere Ministerin
für Entwicklungszusammenarbeit angedeutet hat: Das ist
die Frage des Verhaltenskodexes, wenn medizinisches
Personal abgeworben wird. Wir haben das gerade wieder
bei Besuchen in Afrika erlebt. Beispiel Malawi: Es gibt
in England mehr Fachärzte aus Malawi als in Malawi
selbst. Das ist ein Trend, der umgekehrt werden muss.

Meine Damen und Herren, es müssen aber auch
Schwerpunkte und Akzente insbesondere im Rahmen
der Kooperation und Partnerschaft zwischen EU und AU
und den afrikanischen Regionalorganisationen gesetzt
werden. Das kann man noch verstärken.

Herr Hoppe, Sie haben gesagt, wir konzentrierten uns
so sehr auf die großen Städte. Wir müssen uns auch auf
die großen Städte konzentrieren. Bei einer Stadt wie La-
gos mit 16 Millionen bis 18 Millionen Einwohnern kann
man nicht daran vorbeisehen, was dort an Umweltver-
schmutzung, an Wasserverschmutzung, an Krankheiten
und Ähnlichem entsteht.


(Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das eine tun, das andere lassen!)

Aber wenn Sie sich die Programme ansehen, dann wer-
den Sie merken, dass wir in den letzten Jahren im Auf-
wuchs gerade bei der Dezentralisierung stark geworden
sind. Wir haben die Mittel in die Dezentralisierung ge-
steckt, um die Menschen selbst in die Lage zu versetzen,
zu handeln. Ich komme darauf gleich noch zurück.

Wir haben bei der Rechtstaatlichkeit geholfen, beim
Aufbau von Justiz und Polizei. HIV und Aids will ich
heute nicht noch einmal ausdrücklich erwähnen, weil
wir dazu Extraerklärungen gehabt haben. Aber wir brau-
chen – da unterstütze ich Gabi Groneberg ausdrücklich –
Partnerschaft mit den Parlamentarierinnen und Parla-
mentariern, gerade auch über AWEPA.

Ich stelle drei Schwerpunkte heraus und knüpfe zu-
nächst an das an, was die Ministerin vorgetragen hat: an
Mikrofinanzen und das, was wir im Kongo erlebt haben,
was einige auch woanders erlebt haben. Wenn wir
Mikrofinanzprojekte vorantreiben, dann helfen wir da-
mit Kleinstunternehmen und Kleinunternehmen aus al-
len Sektoren, Selbstständigkeit zu entwickeln, eigenver-
antwortlich zu handeln. Die Konsequenzen sehen wir
dort, wo es Mikrofinanzprojekte gibt. Sie bedeuten nicht
nur eigenes Einkommen, ein vermehrtes Einkommen
über dem Durchschnitt der Bevölkerung, was dann
breite Bevölkerungsschichten erreicht, sondern sie be-
deuten gleichzeitig, dass die Familien – es sind vor allen
Dingen Frauen, die diese Kredite in Anspruch nehmen –
ihre Kinder zur Schule schicken können. Bildung bedeu-
tet wiederum einen Rückgang von Aidsraten und Ähnli-
chem. Das heißt, wir müssen in diesem Bereich noch
stärker werden und einen zusätzlichen Schwerpunkt set-
zen.

Ich sage trotzdem: Wir müssen die Wirtschaft mit ein-
bauen. Unsere Wirtschaft darf den afrikanischen Konti-
nent nicht anderen überlassen; denn wenn die ihre Stan-
dards setzen, werden wir in Zukunft außen vor sein. Wir
setzen damit gleichzeitig Wertemaßstäbe, für die es sich
lohnt, dort zu kämpfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Der zweite wichtige Schwerpunkt, den ich mir wün-
sche – und von dem ich den Eindruck habe, dass er ein-
fließen wird –, betrifft die Frage von Rohstofftranspa-
renz und Rohstoffökonomie, damit die Wertschöpfung
in den entsprechenden Ländern bleibt. Ich habe das im
Zusammenhang mit EITI angesprochen. Ich bin sehr
froh, dass auch wir uns des Themas fossile Brennstoffe
annehmen. Im Zusammenhang mit dem Klimawandel ist
es ja wichtig, dass wir dafür sorgen, dass regenerative
Energien gefördert werden.

Der dritte Schwerpunkt ist die Krisenprävention.
Das ist natürlich mein großes Wunschthema, nachdem
ich die Krisenherde gesehen und mitbekommen habe,
wie viele Tausend Menschen gestorben sind. Wir als Eu-
ropäer müssen die African Standby Force bei Logis-
tikausbildung sowie Technik und Ausbildung stärker
unterstützen, um Afrika das Wahrnehmen von Eigenver-
antwortung zu ermöglichen.

Meine Damen und Herren, Partnerschaft mit den afri-
kanischen Ländern und den Partnern dort heißt, unsere






(A) (C)



(B) (D)


Hartwig Fischer (Göttingen)

Interessen und die Beweggründe für unsere Politik deut-
lich zu machen. Vier davon will ich ganz kurz aufzählen.

Erstens: ethische und humanitäre Beweggründe.
Beide Bereiche hängen ganz eng mit unseren Grundwer-
ten zusammen. Wir wissen, dass auf dieser Erde täglich
30 000 Kinder sterben und davon unglaublich viele in
Afrika. Deshalb müssen wir diese Partnerschaftspolitik
machen.

Zweitens: Rohstoffökonomie. Das heißt, dass wir
Rohstoffe zu Weltmarktpreisen kaufen und die Wert-
schöpfung aus der Förderung dieser Rohstoffe in den Ur-
sprungsländern verbleibt.

Drittens: ein fairer Import und Export, bei dem dafür
gesorgt wird, dass nicht durch Subvention Märkte kaputt
gemacht werden. Da stimme ich mit den Kollegen, die
das angesprochen haben, überein.

Viertens: Die Migrationsbewegung aus Afrika – je-
der Migrant hat ja ein besonders furchtbares Schicksal –
muss durch die Ermöglichung von eigenverantwortli-
chem Leben in diesen Ländern gestoppt werden.

Ergebnisse in diesem Sinne erhoffe ich mir auch von
dem Gipfel in Heiligendamm. Ich bin davon überzeugt,
dass unsere Kanzlerin mit unserer Entwicklungsministe-
rin dafür kämpft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609715300

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/5257 und 16/5243 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem
Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Die Ent-
wicklungszusammenarbeit mit Kenia auf den Prüfstand
stellen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/2363, den Antrag der
FDP auf Drucksache 16/965 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der FDP-Frak-
tion angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung kraftfahrzeugsteuerlicher und
autobahnmautrechtlicher Vorschriften

– Drucksachen 16/2718, 16/2935 (neu)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

(15. Ausschuss)


– Drucksache 16/5234 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Friedrich (Bayreuth)


– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 16/5244 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb
Klaas Hübner
Dr. Claudia Winterstein
Michael Leutert
Anna Lührmann

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamen-
tarischen Staatssekretär Achim Großmann das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


A
Achim Großmann (SPD):
Rede ID: ID1609715400


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
Zusammenhang mit der Einführung der Lkw-Maut ha-
ben sich im Mai 2003 Bundesrat, Bundestag und Bun-
desregierung darauf verständigt, dem Straßengüterver-
kehrsgewerbe wegen der Wettbewerbsbedingungen im
europäischen Güterverkehr ein sogenanntes Harmonisie-
rungsvolumen von 600 Millionen Euro jährlich zu ge-
währen. Die Bundesregierung steht zu dieser Vereinba-
rung und setzt sich, wie bisher, auch weiterhin für die
Realisierung geeigneter Maßnahmen ein.

Dem nach dem Mautkompromiss vom Mai 2003 vor-
rangig zu verfolgenden sogenannten Mautermäßigungs-
verfahren, das zusammen mit dem Gewerbe erarbeitet
worden war, hat die Europäische Kommission im Beihil-
feprüfverfahren Ende Januar 2006 wegen einer De-facto-
Diskriminierung von Ausländern nicht zugestimmt. Eine
Anrechnung bereits gezahlter Mineralölsteuern auf die
Maut ist damit nicht möglich.

Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf soll nunmehr die
ebenfalls im Mai 2003 verabredete Änderung der Kraft-
fahrzeugsteuer umgesetzt werden. Das deutsche Güter-
kraftverkehrsgewerbe wird entlastet, indem die Höchst-
steuer für schwere Nutzfahrzeuge auf das europarechtlich
zulässige Mindestniveau abgesenkt wird. Die Absenkung
hat ein Gesamtvolumen von 150 Millionen Euro jährlich.
Die den Ländern entgehenden Einnahmen aus der Kraft-
fahrzeugsteuer werden aus dem Mautaufkommen ausge-
glichen. Das Autobahnmautgesetz für schwere Nutzfahr-
zeuge wird entsprechend angepasst.

Die Gegenfinanzierung der Steuersenkung erfolgt
aus Mehreinnahmen bei der Lkw-Maut. Die Mautsätze
werden entsprechend angehoben. In den Kategorien A
und B wird der Mautsatz um 1 Cent je Kilometer und in
der Kategorie C um 1,5 Cent je Kilometer angehoben.

Bei der Erhöhung der Mautsätze wurde auch die Fi-
nanzierung des sogenannten Innovationsprogramms,






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Achim Großmann
das ebenfalls im Mai 2003 verabredet wurde, berück-
sichtigt. Das Programm sieht die Förderung der Anschaf-
fung besonders emissionsarmer schwerer Nutzfahrzeuge
vor. Unternehmen sollen zwischen einem zinsgünstigen
Kredit und einem einmaligen Direktzuschuss wählen
können. Das Innovationsprogramm selbst bedarf als För-
derprogramm keiner gesetzlichen Regelung und ist somit
nicht Inhalt dieses Gesetzentwurfs.

Die Europäische Kommission hat das Innovations-
programm Ende Januar 2007 beihilferechtlich geneh-
migt. Entsprechend der Beschlussempfehlung des Ver-
kehrsausschusses des Bundestages soll die Anhebung
der Mautsätze, soweit sie das Innovationsprogramm be-
trifft, auf den 30. September 2008 befristet werden.
Diese Forderung ist vor dem Hintergrund der Auflage
der Europäischen Kommission zu verstehen, Fahrzeuge
mit Schadstoffnorm Euro 5 nur bis zum 30. September
2008 zu fördern. Die Bundesregierung beabsichtigt, die
Förderung von Euro-6-Fahrzeugen aufzunehmen, wenn
diese technologisch zur Verfügung stehen, sobald diese
Schadstoffnorm definiert ist. Das ist ja die Vorausset-
zung. Bis dahin wird die Förderung von sogenannten
EEV-Fahrzeugen – Enhanced Environmentally Friendly
Vehicle; überwiegend gasbetriebene Fahrzeuge – mög-
lich sein.

Da die Einnahmen aus der Lkw-Maut gemäß § 11 Au-
tobahnmautgesetz zweckgebunden zu verwenden sind,
bedarf es der Erweiterung der Zweckbindung, um das
Innovationsprogramm aus Mauteinnahmen finanzieren
zu können.

Mit der Absenkung der Kfz-Steuer und dem Innova-
tionsprogramm wird also nur ein Teil des im Mai 2003 ver-
einbarten Harmonisierungsvolumens von 600 Millionen
Euro umgesetzt. Aus dem parlamentarischen Raum so-
wie von den Verbänden, also dem Gewerbe, wurden
jüngst verschiedene Maßnahmen steuerlicher Art vorge-
schlagen, um die bestehende Harmonisierungslücke
von 350 bis 450 Millionen Euro – je nachdem, ob man
das Innovationsprogramm hinzuzählt oder nicht – zu
schließen. Die Bundesregierung prüft derzeit, ob diese
Maßnahmen geeignet und inwieweit sie mit den Be-
schlüssen der Bundesregierung zur Neuausrichtung der
Subventionspolitik vereinbar sind.

Allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehe ich
auch die EU in der Verantwortung. Auf europäischer
Ebene muss eine Harmonisierung der Besteuerung der
Kraftstoffe erreicht werden. Die Europäische Kommis-
sion hat am 13. März 2007, also vor wenigen Wochen,
einen Richtlinienvorschlag für die Besteuerung von ge-
werblich genutztem Diesel vorgelegt. Mit der darin vor-
geschlagenen Änderung würde für Deutschland die
Möglichkeit zur Absenkung des Steuersatzes für ge-
werblichen Diesel und damit die Möglichkeit einer Steu-
erspreizung zwischen gewerblich und privat verwende-
tem Diesel entstehen.

Das BMVBS begrüßt die Initiative der Kommission
ausdrücklich, die einen wichtigen Schritt zur Harmoni-
sierung der Besteuerung der Kraftstoffe auf europäischer
Ebene darstellt. Damit würden wir die Möglichkeit er-
halten, das deutsche Transportgewerbe, das sowohl
Maut als auch Mineralölsteuer zahlt, zu entlasten. Auch
könnte die Möglichkeit der Angleichung der Steuern auf
gewerblichen Diesel an das Steuerniveau der Nachbar-
länder einen wirkungsvollen Beitrag zur Eindämmung
des Tanktourismus in Deutschland leisten.

Das BMVBS wird die Kommission bei ihrem Richtli-
nienvorschlag unterstützen. Dieser kann – das wissen
Sie – allerdings nur dann wirksam werden, wenn alle
Mitgliedstaaten ihn akzeptieren. Es gilt also noch dicke
Bretter zu bohren.

Ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg. Wir kön-
nen noch nicht zufrieden sein, weil ein Teil – ich habe es
geschildert – fehlt. Ich bitte Sie, heute in zweiter und
dritter Lesung diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609715500

Ich erteile das Wort Kollegen Horst Friedrich, FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1609715600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ei-

gentlich komme ich heute mit zwiespältigen Gefühlen
hierher; denn ich weiß nicht, ob ich es begrüßen soll,


(Jörg Vogelsänger [SPD]: Doch!)


dass man wenigstens angefangen hat, das umzusetzen,
was man dem Gewerbe im Jahre 2003 versprochen hat,
nämlich dass mit Einführung der Maut ein Harmonisie-
rungsbeitrag von 600 Millionen Euro zur Verfügung
steht.

Die Maut funktioniert in Deutschland seit zwei Jah-
ren. Aber erst jetzt fängt man ein bisschen mit einer Lö-
sung an.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist es!)


Das ist das Positive. Das Negative ist: Sie sind nach wie
vor – das hat Ihre Rede, Herr Staatssekretär, deutlich ge-
macht – nicht in der Lage, dem Gewerbe belastbar und
planbar nachzuweisen, wie man die 350 oder 450 Millio-
nen Euro, die noch ausstehen, aufbringen will.

Ich finde es schon bemerkenswert, dass Sie jetzt mit
dem Finger auf die EU zeigen und sagen, diese könnte
uns ja erlauben, die Mineralölsteuer für den Diesel für
die gewerbliche Nutzung zu senken. Wenn ich recht in-
formiert bin, hat die Bundesregierung, die Sie schon mit-
getragen haben – nämlich die rot-grüne –, mit der Öko-
steuer begonnen, die bei uns schon immer vorhandene
Spreizung bei Mineralölsteuererhöhungen zwischen Ot-
tokraftstoff und Dieselkraftstoff ganz bewusst aufzuhe-
ben.


(Zuruf von der FDP: Richtig!)


Wir sind eines der wenigen Länder in der EU, das be-
reits jetzt über den Mindeststeuersätzen für Mineralöl
liegt, die die EU für das Jahr 2012 vorsieht. Was hindert






(A) (C)



(B) (D)


Horst Friedrich (Bayreuth)

Sie denn jetzt daran – Sie haben doch die Mehrheit! –,
als Abrundung des ganzen Programms die Mineralöl-
steuer für das Gewerbe zu reduzieren und damit den
Harmonisierungsbeitrag zu erfüllen?


(Beifall bei der FDP)


Nein, Sie retten sich seit langer Zeit mit der famosen
Aussage, die Absenkung der Maut bei deren Einführung
um 600 Millionen Euro gegenüber dem Durchschnitts-
satz, den die EU uns für Autobahnen genehmigt hat, sei
ein Harmonisierungsbeitrag gewesen. Das hat Herr
Stolpe schon erzählt, Herr Tiefensee setzt das fort, und
Sie bringen es auch regelmäßig. Das gleichmäßige Ab-
senken der Maut für alle ist doch kein Harmonisierungs-
beitrag für das deutsche Gewerbe! Das war nie richtig
und wird auch nicht durch ständiges Wiederholen richti-
ger.


(Beifall bei der FDP)


Deswegen setzen Sie jetzt etwas um, was die Op-
position damals schon als Plan B rechtzeitig für den Fall
aufsetzen wollte, dass sich andeutet, dass die EU das Mi-
neralölsteueranrechnungsverfahren, das Sie so hoch ge-
halten haben, nicht genehmigt. Nein, Sie haben es erst
einmal in Brüssel scheitern lassen müssen. Sie haben
dann einen zweiten Anlauf genommen, der wieder ge-
scheitert ist. Die Begründung war, man könne doch nicht
einen Plan B aus der Schublade holen, weil man damit
seine Position in Brüssel beim Mautanrechnungsverfah-
ren schwäche. Entschuldigen Sie, aber das ist doch Un-
sinn!

Das Problem ist, dass man dem Gewerbe mit Einfüh-
rung der Maut eine Harmonisierungsleistung zugesagt
hat, die sich aus ganz anderen Kriterien ergibt. Ich habe
noch die Worte des ehemaligen Verkehrsministers
Bodewig bei einer Versammlung des Bundesverbandes
für Güterverkehr und Logistik, als es um die Harmoni-
sierung ging, im Ohr. Er hat damals gesagt, dass wir in
Deutschland dann, wenn die anderen Länder in Europa
die Vorteile nicht umsetzen, die Harmonisierung einfüh-
ren werden. Auf die Umsetzung dieser Zusage warte ich
eigentlich heute noch.


(Beifall bei der FDP)


Als Antwort von Rot-Grün kam dann: Wir beteiligen
uns doch nicht an einem Wettlauf nach unten bei der Be-
steuerung; Europa ist gefordert. – Es bleibt also zwie-
spältig. Deswegen kann ich in Bezug auf das Gewerbe
sagen, dass es bei der Kfz-Steuer ein kleines Licht am
Ende des Tunnels gibt. Das Interessante an dem Gesetz-
entwurf mit den Investitionsanreizen ist Folgendes: Sie
erhöhen die Maut. Wenn sich aber bis zum 30. Septem-
ber 2008, wenn die Förderung auslaufen muss, weil die
EU für diesen Zeitpunkt den Euro-5-Motor gesetzlich
vorgeschrieben hat, nichts Neues in der Anschlussförde-
rung ergibt, soll die Maut wieder reduziert werden. Das
kann man glauben – oder auch nicht!

Dem Gewerbe wurden per Handschlag im Kanzler-
amt 600 Millionen Euro Harmonisierungsbeitrag ver-
sprochen, wenn die Maut kommt. Das dauert nun vier
Jahre und ist zu 20 Prozent erfüllt. Wenn jetzt jemand,
der schon das versprochen hat, sagt, es stehe ja im Ge-
setz, dass, wenn das im Anschluss nicht kommt, die
Mautsätze wieder reduziert werden, dann kann ich nur
sagen: Das ist ein Zukunftsversprechen, an das ich erst
dann glaube, wenn es tatsächlich erfüllt worden ist.


(Beifall bei der FDP)


Vor dem Hintergrund werden Sie Verständnis dafür
haben, dass wir Investitionsbeihilfen, die zeitlich immer
befristet sein werden, grundsätzlich nicht gegen eine un-
begrenzt geltende Mautanhebung eintauschen werden.
Dieses Instrument ist untauglich; es gibt andere. Deswe-
gen werden wir diesen Gesetzentwurf ablehnen. Wir
wollen uns nicht in Haft nehmen lassen, wenn die Bun-
desregierung gegenüber dem deutschen Transportge-
werbe wieder wortbrüchig wird.

Danke sehr.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609715700

Ich erteile der Kollegin Dorothée Menzner von der

Fraktion Die Linke das Wort.


Dorothee Menzner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609715800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Lkw-Maut in diesem Land ist kein Ruh-
mesblatt: weder für die jetzige Bundesregierung noch für
die vorherige.


(Zurufe von der SPD: Doch! – Ein Erfolgsmodell!)


Es ist schon angesprochen worden: Mehr als zwei
Jahre ist es her, dass die Lkw-Maut eingeführt wurde.
Doch unsere Spediteure können erst jetzt mit einer teil-
weisen Mautkompensation rechnen, die ihnen vor lan-
ger, langer Zeit – auch das wurde schon angesprochen –
in Aussicht gestellt wurde.

Im Mai 2003, also vor genau vier Jahren, haben Bun-
destag, Bundesrat und Bundesregierung den legendären
Mautkompromiss getroffen. Damals wurde vereinbart,
600 Millionen Euro aus den Mauteinnahmen zugunsten
des hiesigen Speditionsgewerbes als Ausgleich für die
Kfz- und die Mineralölsteuer zu verwenden, die auslän-
dische Lkw hierzulande nicht entrichten.

Die Linke meint: Da sollte jetzt schnellstens Klarheit
geschaffen werden. Einerseits hat das Speditionsge-
werbe Anspruch auf einen korrekten Ausgleich. Ande-
rerseits muss die Lkw-Maut schnellstens auf das EU-
rechtlich mögliche Maß erhöht werden. Das beträgt be-
kanntlich 15 Cent je gefahrenen Kilometer. Aber dem
steht dieser Mautkompromiss jetzt entgegen.

Die Koalition und die Regierung kneifen. Sie geben
den inländischen Spediteuren durch die Senkung der
Kfz-Steuer, wie eben angesprochen, nur 150 Millionen
Euro zurück. Da fehlen noch 350 Millionen bis 450 Mil-
lionen Euro. Statt Zusagen einzuhalten, wurschtelt die
Regierung weiter. Die Maut soll von zurzeit 12,4 Cent
um etwa einen Cent auf 13,5 Cent erhöht werden. Es ist
in Aussicht gestellt, dass sie ab Oktober 2008 um






(A) (C)



(B) (D)


Dorothée Menzner
0,45 Cent je Kilometer gesenkt wird. Wenn unserem
Verkehrsminister zwischenzeitlich noch eine andere Re-
gelungsmöglichkeit einfällt, dann gibt es 2009 vielleicht
wieder eine Erhöhung. Das würde bedeuten, dass es in-
nerhalb von 18 Monaten vier verschiedene Mautsätze
gibt.

Man muss wissen, dass Fachleute sagen – auch das ist
kein Geheimnis –, dass eine grundlegende Reform der
Maut anstehen würde. Nicht irgendwann in ferner Zu-
kunft, sondern relativ zeitnah müssten unterschiedliche
Mautsätze je nach Abgasausstoß der Fahrzeuge einge-
führt werden.

Wir könnten uns jetzt damit trösten, dass die im Ge-
setz ab Oktober 2008 festgelegten Mautsätze nach dem
Zeitplan der Bundesregierung vielleicht nie zur Anwen-
dung kommen. Aber ich nehme diesen Gesetzentwurf
der Bundesregierung zum Anlass, einmal sehr ernsthaft
zu fragen, was wir hier eigentlich tun. Wir reden perma-
nent vom Bürokratieabbau, aber gleichzeitig schaffen
wir mit solch unzulänglichen Gesetzen mehr Undurch-
sichtigkeit.


(Beifall bei der LINKEN)


Dieses Gesetz – das muss man Ihnen lassen – ist
durchaus ein Meisterwerk, ein Meisterwerk getreu dem
Motto „Wasch mich, aber mach mir den Pelz nicht
nass!“. Es hält allen Akteuren die Türen weiter offen, um
munter an den Stellschrauben zu drehen. Dass mit dieser
Pfennigfuchserei über die Notwendigkeiten hinwegge-
täuscht wird, finde ich wahrlich meisterlich.

Uns als Linke ist das zu wenig. Genau aus diesem
Grund können wir diesem Gesetzentwurf nicht zustim-
men. Mit einer Senkung der Maut ab Oktober 2008 wür-
den wir dazu beitragen, einen minimalen Anreiz – er ist
wirklich nur minimal – für eine bessere ökologische Bi-
lanz des Lkw-Verkehrs wieder zu kassieren. Gerade
nach den Debatten und nach dem, was wir in den letzten
Tagen in den Zeitungen lesen konnten, entspricht dies
nicht den Zeichen der Zeit.


(Beifall bei der LINKEN)


Angesichts des Klimawandels ist ein großer Wurf nö-
tig – er ist nach EU-Recht auch möglich –, aber nicht
diese Flickschusterei, die uns hier vorgelegt wird.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609715900

Nun erteile ich dem Kollegen Dirk Fischer, CDU/

CSU-Fraktion, das Wort.


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1609716000

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Die Verkehrsleistung des Straßengüterver-
kehrsgewerbes betrug 2006 434 Milliarden Tonnenkilo-
meter. Der Anteil des Gewerbes am Modal Split in
Deutschland beträgt rund 70 Prozent. Selbst die DB AG
mischt über ihre Lkw-Sparte Schenker, den größten
Lkw-Carrier in Deutschland und Europa, in diesem
Markt mit. Nebenbei gesagt: Bedauerlich ist nur, dass
dies in der Ökobilanz der DB AG, die gerade den Tages-
zeitungen beigelegt worden ist, keinen Niederschlag ge-
funden hat. Ein Schelm, der Böses dabei denkt!

In Deutschland hat das überwiegend mittelständisch
geprägte Straßengüterverkehrsgewerbe rund 600 000 Be-
schäftigte und erwirtschaftet einen Jahresumsatz von
30 Milliarden Euro. Die Branche gehört nicht nur zu den
zentralen Wirtschaftszweigen am Standort Deutschland,
sondern leistet auch einen hohen Beitrag zur Bruttowert-
schöpfung in unserem Land und ist Garant für den Fort-
bestand der arbeitsteiligen Volkswirtschaften Europas.

Auch 14 Jahre nach Beginn des EU-Binnenmarktes
für Dienstleistungen gibt es immer noch keine vollstän-
dige Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen. Das
deutsche Straßengüterverkehrsgewerbe leidet besonders
stark unter den fortbestehenden Wettbewerbsverzer-
rungen. Nach der EU-Erweiterung haben die Kostenun-
terschiede zwischen den alten und den neuen EU-Staaten
den ohnehin schon hohen Preisdruck deutlich verschärft.
Faire Wettbewerbsbedingungen für die deutschen Be-
triebe sind eigentlich nur durch eine schnelle Harmoni-
sierung innerhalb der EU zu erreichen.

Mit der Einführung der streckenbezogenen Lkw-
Maut in unserem Lande ist eine gerechtere Wegekosten-
anlastung für das europäische Straßengüterverkehrsge-
werbe in Deutschland erreicht worden. Die Union hat
stets die Auffassung vertreten, dass weitere Harmoni-
sierungsmaßnahmen dringend erforderlich sind, damit
das deutsche Güterverkehrsgewerbe den Wettbewerb in
Europa erfolgreich bestehen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deswegen hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion 2003
im Vermittlungsverfahren zum Autobahnmautgesetz da-
rauf gedrängt, das deutsche Straßengüterverkehrsgewerbe
mit einem Harmonisierungsvolumen von 600 Millionen
Euro zu entlasten. Das war in der Tat ein Faustpfand,
Herr Kollege Friedrich, und keine Harmonisierung. Im-
merhin war es aber eine Kostenentlastung. Als Faust-
pfand haben wir damals vereinbart, dass der geplante
durchschnittliche Mautsatz nicht 15 Cent pro Kilometer
beträgt, sondern auf 12,4 Cent pro Kilometer gesenkt
wird, bis er dann mit der Durchsetzung einzelner Harmo-
nisierungsschritte für das Gewerbe jeweils sukzessive er-
höht werden kann. Damit haben wir damals eine richtige
Entscheidung getroffen.

Im Koalitionsvertrag hat sich die Große Koalition zu
dieser Zusage bekannt und das Ziel der Schaffung fairer
Wettbewerbsbedingungen für das deutsche Güterkraft-
verkehrsgewerbe festgeschrieben. Das zunächst prioritär
verfolgte Mautermäßigungsverfahren in Verbindung
mit in Deutschland gezahlter Mineralölsteuer wurde von
der EU-Kommission im Beihilfeprüfverfahren abge-
lehnt. – Herr Kollege Friedrich, an dieser Stelle muss
deutlich gesagt werden: Es war der Wunsch des Gewer-
bes, zunächst dieses Verfahren zu betreiben, wodurch
natürlich, da es gescheitert ist, ein Zeitverlust eingetreten
ist. – Nach Auffassung der Kommission hätte dieses






(A) (C)



(B) (D)


Dirk Fischer (Hamburg)

Verfahren ausländische Spediteure benachteiligt, die sel-
tener in Deutschland tanken.

Unabhängig von den Erfolgsaussichten einer Klage
gegen die Entscheidung der Europäischen Kommission
hat sich die Bundesregierung angesichts eines Zeitbe-
darfs von geschätzten sechs bis zehn Jahren bis zu einem
Endurteil in Abstimmung mit dem Gewerbe dafür ent-
schieden, dieses Mautermäßigungsverfahren nicht wei-
ter zu verfolgen.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden jetzt al-
ternative Harmonisierungsmaßnahmen angegangen. Die
Kfz-Steuer für schwere Nutzfahrzeuge wird auf das eu-
roparechtlich zulässige Mindestniveau gesenkt. Das führt
zu einem Entlastungsvolumen von 150 Millionen Euro
gegenüber den ausländischen Wettbewerbern. Ferner
wird bis zum 30. September 2008 – länger ist es nicht ge-
nehmigt – ein Innovationsprogramm von 100 Millio-
nen Euro aufgelegt, um die Anschaffung besonders emis-
sionsarmer Lkws der Euro-5-Klasse zu fördern. Beide
Harmonisierungsmaßnahmen werden durch die Anhe-
bung der Maut auf durchschnittlich 13,5 Cent pro Kilo-
meter gegenfinanziert.

Gleichzeitig haben wir geregelt, dass die Mautsätze
mit dem Auslaufen des befristeten Innovationsprogramms
zum 1. Oktober 2008 wieder automatisch um 0,44 Cent
pro Kilometer gesenkt werden. Ob im Anschluss daran
ein Euro-6-Förderprogramm aufgelegt werden sollte,
was gemäß EU-Genehmigung innerhalb eines Zeitraums
von insgesamt bis zu sechs Jahren möglich wäre, hängt
nach unserer Auffassung natürlich zunächst einmal von
der Markteinführung solcher Fahrzeuge ab, aber auch
von der aktuellen Beurteilung der Investitionskraft des
Gewerbes. Man kann dem mittelständischen Gewerbe
nicht einen permanenten Investitionsstress aufoktroyie-
ren, den es mangels Investitionsfähigkeit gar nicht beste-
hen kann. Dann würde gerade bei den mittelständischen
Betrieben eine Förderung völlig ins Leere laufen. Des-
wegen müssen wir das hinterher prüfen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das heute beschlossene Harmonisierungsvolumen in
der Höhe von 250 Millionen Euro, von denen nur
150 Millionen Euro nachhaltig sind, ist also nur ein ers-
ter Schritt zur Beseitigung von diskriminierenden Wett-
bewerbsverzerrungen. Der Bund bleibt gegenüber dem
Straßengüterverkehrsgewerbe in der Pflicht, weitere
Harmonisierungsschritte bis zum zugesagten Gesamtvo-
lumen von 600 Millionen Euro zu erbringen. Er muss
daher alle Möglichkeiten prüfen, um die fortbestehende
Harmonisierungslücke zu schließen. Dazu gehört auch
die fachliche Prüfung und politische Beurteilung der
vom Gewerbe vorgeschlagenen steuerlichen Erleichte-
rungen, zum Beispiel der Verkürzung der Abschrei-
bungsfrist und der Einführung eines Steuerfreibetrages
für Fahrzeugveräußerungsgewinne.

Dazu gehört auch, dass wir wahrnehmen müssen,
dass die EU-Kommission es nicht untersagt hat, dass
Frankreich für seine Transportunternehmen die Gewer-
besteuer abgesenkt hat. Das Gewerbe weist auch darauf
hin, dass Doppelbelastungen vermieden würden, wenn
die Kfz-Steuer und ein Teil der gezahlten Lkw-Maut
künftig nicht mehr aufwandsmindernd abgerechnet, son-
dern direkt von den Gewinnsteuern abgesetzt werden
könnten und damit teilweise zu durchlaufenden Posten
würden.

Dazu gehört auch – der Parlamentarische Staatssekre-
tär Achim Großmann hat es angesprochen; ich begrüße,
was Sie dazu gesagt haben –, dass Art. 4 der geänderten
EU-Energiesteuerrichtlinie die Möglichkeit vorsieht, den
Steuersatz für Gewerbediesel im Zusammenhang mit
der Maut zu senken, sofern der Mindeststeuersatz nicht
unterschritten wird, was bisher schon möglich ist, wenn
der Steuersatz nicht unter das Niveau vom 1. Januar
2003 abgesenkt wird.

Unter dem Strich: Für die CDU/CSU-Fraktion ist das
Thema Harmonisierung im Bereich des Straßengüterver-
kehrsgewerbes nicht erledigt. Wir sind und bleiben ver-
pflichtet, die mit der Einführung der Lkw-Maut zuge-
sagte Harmonisierung Zug um Zug zu erfüllen.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609716100

Nun hat Kollege Winfried Hermann, Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen, das Wort.


Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609716200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Wir haben es heute mit einem richtig gro-
ßen Gesetz der Großen Koalition zu tun. Man könnte es
auch den dritten Versuch einer Harmonisierung im
Bereich des Güterverkehrs nennen. Zweimal ist man
gescheitert, zweimal hat man einen Vorstoß gemacht, der
nicht EU-kompatibel, der nicht mit dem Beihilferecht
der EU vereinbar war. Jetzt macht man einen dritten An-
lauf. Meine Vorrednerinnen und Vorredner haben deut-
lich gemacht, dass es nur der Versuch einer Harmonisie-
rung ist. Er ist nicht gelungen. Denn er ist, wie ich finde,
zu kurz gegriffen, weil nur die Perspektiven des Gewer-
bes und zu wenig andere Aspekte berücksichtigt werden;
so haben auch manche Kollegen argumentiert.

Es handelt sich um den mutigen Schritt, die Kfz-
Steuer abzusenken und gleichzeitig die Maut um
1,1 Cent zu erhöhen. So weit, so gut. Dies ist ein kleines
Schrittchen, das in einem Jahr wieder zurückgenommen
wird, wenn die Lkw-Maut um 0,45 Cent gesenkt wird.
Am Ende bleiben von dem ganz großen Schritt
0,65 Cent an Erhöhung übrig. Dies wird als mutige Er-
höhung dargestellt, obwohl wir die Chance hätten, im
Güterverkehr durch die Maut als Steuerungsinstru-
ment tatsächlich lenkend in die Beförderungsleistung
von Straße und Schiene einzuwirken. Diese Möglichkeit
der Politik ist hier glatt verspielt worden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In anderen Ländern geht man deutlich mutiger voran.
Die Schweiz ist inzwischen längst beim fünffachen Satz
der deutschen Maut. So schnell und so mutig müssen wir
nicht sein. Aber auch die Österreicher sind inzwischen






(A) (C)



(B) (D)


Winfried Hermann
bei mehr als dem doppelten Satz. Deswegen meinen wir
Grüne, dass eine maßvolle Erhöhung der deutschen
Maut aus Klimaschutzgründen angemessen und an der
Zeit ist. Wir könnten ohne weiteres auf 15 Cent pro Ki-
lometer erhöhen. Das wäre nicht mehr als billig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind der Meinung, dass die Ausweitung auf die
kleinen Lkws bis 3,5 Tonnen, die bisher von der Maut
ausgenommen sind, ansteht. Wir glauben auch, dass die
überregionalen Bundesstraßen, die Autobahnen ähn-
lich sind, endlich in das Mautsystem einbezogen werden
müssen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


All das ist mehr als angemessen und notwendig. Das
Umweltbundesamt hat ebenso wie die Europäische
Union mehrfach die externen Kosten ausgerechnet. In
diesen Tagen hat die „Allianz pro Schiene“ eine neue
Untersuchung vorgelegt. All diese Untersuchungen bele-
gen nicht nur eindeutig, dass die Belastung durch den
Schwerverkehr auf den Straßen für die Straßen groß ist,
sondern auch, dass die Folgen für Umwelt und Klima
gewaltig sind. Man kann die Belastung ausrechnen: Ihr
Volumen umfasst mehrere Milliarden Euro. Wenn man
das in Cent umrechnet – so sagt es zum Beispiel das
UBA –, wäre es angemessen, die Maut um 17 Cent zu
erhöhen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wir dürfen doch nur 15! Das wisst ihr doch, Mensch! Ihr wart doch auch ein paar Jahre an der Regierung!)


– Ich sage, dass das aus ökologischen Gründen angemes-
sen wäre; so argumentiert das UBA. Auch ich weiß, dass
das nicht möglich ist. Das deutet aber an, was ökologisch
zu rechtfertigen ist, was zwingend zu tun wäre und wie
klein der Schritt ist, der mit dieser Maßnahme gemacht
wurde.

Sie sehen: Mit diesem kleinen Gesetz werden kleine
Schritte unternommen. Es wirkt fast ein bisschen pein-
lich: einen Cent hoch und dann wieder runter. Das ist
aber typisch für diese Koalition: Sie ist groß und macht
ganz kleine Schritte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Na, na!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609716300

Ich erteile das Wort Kollegen Jörg Vogelsänger, SPD-

Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Jörg Vogelsänger (SPD):
Rede ID: ID1609716400

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Die Lkw-Maut hat im Bundestag
schon für viel Diskussionsstoff gesorgt. Jetzt kann insge-
samt eine positive Bilanz gezogen werden: Die Maut
sorgt für mehr Gerechtigkeit. Das sage ich auch an die
Adresse der Grünen.

(Beifall bei der SPD)


Das gilt sowohl für den Wettbewerb der Verkehrsträ-
ger als auch für die notwendige Beteiligung deutscher
und ausländischer Spediteure an den Kosten der Infra-
struktur in Deutschland. Das sollte man in diesem Zu-
sammenhang nicht vergessen. Diese Beteiligung ist nach
Auffassung der SPD-Fraktion genauso gerechtfertigt wie
das Harmonisierungsvolumen von 600 Millionen Euro
jährlich.

Ohne EU-Kommission geht aber nichts. Dem Vorha-
ben der Bundesregierung vom Mai 2003 – damals war
übrigens Rot-Grün an der Regierung; die Grünen waren
also mit dabei – wurde, wie allgemein bekannt ist, von
der EU-Kommission im Januar 2006 nicht zugestimmt.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben immer davor gewarnt!)


Deshalb erfolgt eine Absenkung des Kfz-Steuersatzes
für schwere Lkw auf das europarechtlich zulässige Min-
destniveau. Mehr geht nicht. Das ist aber kein Grund,
nicht neue Wege zu suchen. Diese Absenkung hat im-
merhin ein Volumen von 150 Millionen Euro. Nach un-
serer Auffassung ist das ein richtiger Schritt. Ich gehe
fest davon aus, dass der Bundesrat den Weg dafür in sei-
ner nächsten Sitzung endgültig freimacht.

Damit sind wir bei der gemeinsamen Verantwortung
für die Infrastruktur in Deutschland. Die Koalition hat
bei den Haushaltsberatungen 2007 für eine Nachbesse-
rung im dreistelligen Millionenbetrag gesorgt. Es heißt
immer: Jeder kann seinen Beitrag leisten. Mitunter ist
der Beitrag der Länder in diesem Bereich aber etwas
dürftig. Das gilt übrigens für jede Farbenlehre, auch für
die FDP, die in Niedersachsen an der Regierung beteiligt
ist, was den Anteil an Investitionen in Landesstraßen be-
trifft.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Stets über jeden Zweifel erhaben!)


Güterverkehr gibt es auch auf Landesstraßen. Das ist
übrigens ein Grund, der allgemeinen Ausweitung der
Lkw-Maut auf Bundesstraßen nicht zuzustimmen. Eine
Möglichkeit der Umfahrung mautpflichtiger Straßen
würde sich dann nämlich an jeder Straßenkreuzung bie-
ten. Das sollte man sich auch im Interesse des nachge-
ordneten Netzes gut überlegen.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Petra Pau)


Es ist immer richtig, einen Beitrag zur Reduzierung
der Emissionen zu leisten. Dazu dient das 100-Millio-
nen-Euro-Programm zur Anschaffung emissionsar-
mer Nutzfahrzeuge. Es ist zwar zeitlich begrenzt, ich
gehe aber davon aus, dass es nicht das letzte Programm
dieser Art ist. Im Interesse der Umwelt müssen und wer-
den wir diesbezüglich am Ball bleiben.


(Beifall bei der SPD)


Das Transportgewerbe ist einer der größten Arbeitgeber
in unserem Land; der Kollege Fischer hat darauf hinge-
wiesen. Wir sollten deshalb verdeutlichen: Die wirt-
schaftliche Entwicklung, der Aufschwung wäre ohne das
Transportgewerbe nicht möglich. Der Transport muss si-






(A) (C)



(B) (D)


Jörg Vogelsänger
chergestellt werden. Es sind Menschen, die dafür sorgen,
dass die Transporte zu den Unternehmen und zu den
Menschen kommen. Ich bin dagegen, dass, wie es immer
wieder geschieht, ihnen der Schwarze Peter zugescho-
ben wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Deutschland ist und bleibt die wichtigste Verkehrs-
drehscheibe in Europa. Das Netz der Bundesautobahnen
hat die beeindruckende Länge von mehr als
12 000 Kilometern. Wir sollten das als Standortvorteil
begreifen. Gerade wir Verkehrspolitiker haben die Auf-
gabe, mit diesem Standortvorteil für Deutschland Wer-
bung zu machen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609716500

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
kraftfahrzeugsteuerlicher und autobahnmautrechtlicher
Vorschriften. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadt-
entwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/5234, den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung auf Drucksachen 16/2718 und 16/2935 (neu)

in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung mit den Stimmen der Unionsfraktion
und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Frak-
tion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Frak-
tion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist damit angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Zeil,
Gudrun Kopp, Christian Ahrendt, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP

Keine Verlängerung des Briefmonopols –
Wettbewerb auf dem deutschen und euro-
päischen Postmarkt ermöglichen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer,
Sabine Zimmermann, Dr. Barbara Höll, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der LIN-
KEN

Vollständige Öffnung der Postmärkte stop-
pen – Universaldienstverpflichtung absi-
chern

– Drucksachen 16/3623, 16/4044, 16/4600 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Barthel

b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Sabine Zimmermann, Werner Dreibus, Ulla
Lötzer, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der LINKEN eingebrachten Entwurfs eines
… Gesetzes zur Änderung des Postgesetzes
– Drucksache 16/4908 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(9. Ausschuss)


– Drucksache 16/5276 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Alexander Dobrindt

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Kollege Alexander Dobrindt für die
Unionsfraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Alexander Dobrindt (CSU):
Rede ID: ID1609716600

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute über
die Postdienstleistungen reden, müssen wir uns bewusst
machen, dass in Deutschland in diesem Bereich mehr als
200 000 Menschen beschäftigt sind. Nebenbei bemerkt:
Für viele kann es eine berufliche Chance bedeuten, zu-
künftig einen liberalisierten Postmarkt zu haben. Es gibt
Millionen Menschen in Deutschland, die sich täglich der
Postdienstleistungen bedienen, sie nutzen, Briefe ver-
schicken und sonstige Dienstleistungen in Anspruch
nehmen.


(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Große Chance!)


Die Menschen beschäftigt letztlich die Frage: Hat der
Wettbewerb, hat der freie Markt, der kommen soll, für
mich positive oder negative Auswirkungen? Selbstver-
ständlich müssen wir auf diese Frage eine Antwort ge-
ben. Genauso müssen wir klären, wann, wo und unter
welchen Bedingungen Wettbewerb bei den Postdienst-
leistungen entstehen soll. Darauf gebe ich die klare Ant-
wort: Für mich ist der 1. Januar 2008 das Datum, zu dem
wir eine Liberalisierung des Postmarkts haben wollen.


(Beifall bei der FDP)


Diese Öffnung soll natürlich in bestimmten Rahmen-
bedingungen passieren.






(A) (C)



(B) (D)


Alexander Dobrindt

(Beifall bei der SPD)


Es geht dabei um die Rahmenbedingungen für die Kun-
den, um die Rahmenbedingungen für die betroffenen
Arbeitnehmer und um die Rahmenbedingungen für die
betroffenen Unternehmen. Wir wollen Rahmenbedin-
gungen, die so sind, dass wir in der Summe eine positive
Weiterentwicklung des Postdienstmarktes bekommen.
Meine Damen und Herren, es klingt immer ein bisschen
leicht dahergesagt: Betreiben wir einen freien Wettbe-
werb bei Postdienstleistungen. – In Wirklichkeit steckt
natürlich ein riesiger Markt in Europa dahinter. 90 Mil-
liarden Euro werden in diesem Markt jährlich umgesetzt.

Eines der größten Projekte der Europäischen Union in
der nahen Zukunft ist es, hier einen echten Binnen-
markt zu forcieren. Wir erwarten uns von diesem Bin-
nenmarkt und diesem verstärktem Wettbewerb letztlich
natürlich sinkende Preise für die Verbraucher, neue Pro-
dukte, in der Summe einen besseren Service und natür-
lich auch mehr Kundenzufriedenheit. Also noch einmal:
Es stellt sich die entscheidende Frage, ob diese Post-
dienstleistungen für die Menschen besser oder schlechter
werden.

Man kann darüber diskutieren, ob ein Markt einfach
besser ist. Ein Markt ist aus meiner Sicht nur dann bes-
ser, wenn er ein europäisch funktionierender Markt ist.
Wir erleben auch Märkte, bei denen wir große Hoffnun-
gen hatten und wo inzwischen Bedenken eingetreten
sind. Ich erinnere einmal an den Strommarkt. Wir hätten
es gerne, dass er besser funktioniert, als er es heute tut.

Ich erinnere auch gerne daran, dass wir schon in den
vergangenen Wahlperioden darüber diskutiert haben,
wie wir mit dem Thema Post umgehen können. Jeder
von Ihnen kann sich heute sicherlich noch an die Situa-
tion erinnern, als es um den Abbau von Briefkästen, die
Schließung von Postfilialen und Postämtern in Deutsch-
land und vieles mehr ging. Wir hatten große Bedenken,
ob der Dienstleistungsmarkt für den Kunden so aufrecht-
erhalten werden kann, wie er bisher war.

Wir müssen heute auch feststellen: Es gibt positive
Entwicklungen. Postpoint ist eine, die ich hier nennen
will. Durch dieses Format der Post werden heute in der
breiten Fläche – auch im ländlichen Raum; sicherlich in
reduzierter Form – postalische Dienstleistungen angebo-
ten. Ich glaube, dass hier schon erkennbar ist, dass es
auch im Wettbewerb neue Formen geben wird, die letzt-
lich dazu führen, dass die Menschen, die diese Post-
dienstleistungen in Anspruch nehmen, einen größeren
Nutzen haben.

Wir haben in den letzten Wochen die in den Medien
inzwischen sehr deutlich werdende Diskussion über die
Frage hören können – allerdings durchaus mit Sorge –,
ob es im alternativen Postbereich Lohndumping gibt.
Dies ist ein Thema, das wir heute mitdiskutieren müssen.
Ich sage Ihnen, dass wir das, was hier teilweise erkenn-
bar ist, natürlich mit großem Unbehagen und großer
Sorge betrachten.

Es gibt eine Antwort der Bundesregierung auf eine
Anfrage der Grünen. In ihr steht, dass 1,4 Prozent der
600 000 Aufstocker, die es in Deutschland gibt – also
der Menschen, die zusätzlich zu ihrem Lohn weiteres
Geld vom Arbeitsamt erhalten –, im Rahmen von Post-
dienstleistungen beschäftigt sind. Wenn man rechnen
kann – Sie haben uns das in dieser Woche im Ausschuss
ja vorgerechnet –, dann kommt man auf eine Zahl von
circa 8 000 Menschen. Ich will jetzt nicht sagen, dass sie
nur im Rahmen von alternativen Postdienstleistungen
oder sonst wo beschäftigt sind, aber selbstverständlich
muss man sich die Frage stellen, ob es in Ordnung ist,
dass es Unternehmen gibt, die durch sehr, sehr niedrige
Löhne für einen erheblichen Teil ihrer Mitarbeiter versu-
chen, hier ein Geschäft zu machen.


(Gustav Herzog [SPD]: Oder geringerer Arbeitszeit!)


Wir müssen ganz klar sagen: Wir haben den Auftrag
an alle erteilt, dafür zu sorgen, dass in den nächsten Mo-
naten hier Abhilfe geschaffen wird und dass sicherge-
stellt wird, dass diese Leute durch ihre Beschäftigung
eine ordentliche Entlohnung erzielen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich selber habe in den Gesprächen mit den Wettbewer-
bern festgestellt, dass sie sich bemühen, diese Arbeitssi-
tuationen zu schaffen. In Gesprächen mit den entspre-
chenden Sozialpartnern wollen sie dafür sorgen, dass es
hier zu einer deutlichen Besserung kommt. Ich möchte
erleben, dass es irgendwann in Deutschland nicht nur
fair gehandelten Kaffee, sondern auch eine fair gehan-
delte Briefmarke gibt. Wir wollen, dass auch in Zukunft
die Postdienstleistungen in ihrer bisherigen Güte mög-
lich sind. Ich glaube daran, dass wir das auch innerhalb
Europas schaffen.

In diesem Zusammenhang möchte ich mich auch bei
der Bundesregierung für ihr Bemühen bedanken, alle eu-
ropäischen Länder in dieses Vorhaben mit einzubeziehen
und einen europäischen Gleichklang zu erreichen.
Nach dem bisherigen Stand – das sieht die europäische
Postrichtlinie vor – soll die Liberalisierung der Post-
märkte bis zum 1. Januar 2009 erreicht werden. Es ist
aber auch davon die Rede, dass sie zu einem späteren
Zeitpunkt erfolgen kann. Entscheidend ist aber nicht, ob
es 2008, 2009 oder 2010 sein wird. Für uns ist die ent-
scheidende Frage, ob möglichst viele Märkte in Europa
beteiligt sein werden, wenn es zur Liberalisierung des
Postmarktes in Europa kommt, und ob es zu einem euro-
päischen Wettbewerb kommen wird, den wir gerne wol-
len.

Wir treten auch weiterhin dafür ein, die Märkte zu
öffnen. Wir wollen aber auch, dass sich alle anderen mit
uns gemeinsam bemühen, diesen europäischen Markt zu
schaffen. Ich glaube, dass wir dann die Chance haben,
für die Kunden, die Mitarbeiter und die Unternehmen
eine Marktsituation zu schaffen, die letztlich für alle pro-
fitabel ist, und einen neuen Postmarkt zu ermöglichen,
der neue Produkte, Anreize und Möglichkeiten für alle
Kunden bietet.

Ich glaube, dass wir insgesamt auf einem guten Weg
sind. Auch wenn es zurzeit noch Probleme gibt, bleibt es






(A) (C)



(B) (D)


Alexander Dobrindt
dabei, dass wir die Liberalisierung des Postmarktes zum
1. Januar 2008 wollen.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609716700

Das Wort hat der Kollege Martin Zeil für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Martin Zeil (FDP):
Rede ID: ID1609716800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Auseinandersetzung um das Postmonopol ist fast so
alt wie das Postwesen selbst. Der Exklusivauftrag Kaiser
Friedrichs III. an den ersten Thurn und Taxis im Jahre
1451 war noch relativ unumstritten, da es außer den rei-
tenden Boten noch keine Wettbewerber gab. Aber schon
bald wollten auch andere im Deutschen Reich – Fürsten-
tümer, Reichsstände, Städte und Kaufmannschaften – am
einträglichen Postgeschäft mit verdienen. Sie gründeten
ihre eigene Post, die in Konkurrenz zu der Reichspost
trat.

Daraufhin erklärte Kaiser Rudolf II. die Reichspost
im Jahre 1597 zum kaiserlichen Privileg. Damit erlangte
die Post zum ersten Mal eine Monopolstellung. Doch
wieder regten sich die ersten Geister des Wettbewerbs.
So hat das Herzogtum Württemberg 1622 eine landesei-
gene „Post- und Metzgerordnung“ erlassen. Erst mit der
Gründung des Deutschen Reichs 1871 unter Bismarck
wurde das deutsche Postwesen endgültig unter einem
Dach zusammengefasst und war dann über 100 Jahre
lang verstaatlicht.

Wenn wir nun 18 bzw. 13 Jahre nach den von der FDP
mit durchgesetzten Postreformen – die Sie übrigens mit-
getragen haben – heute zum wiederholten Male über die
Beseitigung der letzten Reste dieses staatlichen Mono-
pols diskutieren, dann zeigt sich, wer in welcher Tradi-
tion steht.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


SPD und Linke verteidigen das Staatsdenken zu Kaisers
Zeiten. Die liberale Fraktion steht in der Tradition derje-
nigen, die der staatlichen Wirtschaftsbetätigung schon
immer kritisch gegenüberstanden und für die der frei-
heitsstiftende Gedanke des Wettbewerbs seit jeher als
richtig galt.


(Beifall bei der FDP – Klaus Barthel [SPD]: Zurück in den Feudalismus!)


Im Übrigen ist Ihre Politik auch völlig widersprüch-
lich. Erst haben Sie die Reformen mitgetragen. Jetzt
– kurz vor der Liberalisierung – glauben Sie, endlich ein
Thema für den Wettbewerb mit der Linkspartei gefunden
zu haben. Das Briefmonopol eignet sich aber nicht als
weitere Spielwiese für die Diskussion über Mindest-
löhne.

Aber auch der Entscheidungsprozess ist für diese Ko-
alition bezeichnend. Da verkündet der Wirtschaftsminis-
ter mannhaft: „Ich halte am Ende des Briefmonopols
fest“, während der Finanzminister gleichzeitig über eine
Verlängerung spekuliert.

Nach einem Gipfeltreffen von Frau Merkel und Herrn
Beck zu diesem Thema hieß es: Wir haben uns endgültig
geeinigt; das Briefmonopol fällt. – Wenige Tage später
nutzte dann der Vizekanzler die Gunst der Stunde, um
Herrn Beck wieder einmal vorzuführen. Gegen dieses
ewige Hin und Her ist ein Slalom eine gerade Linie.


(Beifall bei der FDP)


Diese Debatte muss nun dringend beendet werden;
denn sie gibt nicht nur die Bundesregierung der Lächer-
lichkeit preis. Vielmehr verunsichert sie auch die Markt-
teilnehmer. Die Argumente sind weitgehend ausge-
tauscht. Ich möchte nur ganz kurz auf die wesentlichen
eingehen.

Erstens. Wir haben durch eine Liberalisierung die
Chance, eher zu einem Aufbau als zu einem Abbau von
Arbeitsplätzen zu kommen. Es gibt Schätzungen, die
bis zu 53 000 neuen Arbeitsplätzen reichen. Auch die
Furcht vor den ausländischen Anbietern ist unberechtigt.
Postunternehmen handeln global. Arbeitsplätze werden
aber vor Ort geschaffen. Die Wettbewerber der Post sind
weitgehend inländische Unternehmer. Deswegen liegt
eine Marktöffnung auch im deutschen Interesse. Selbst
wenn andere EU-Länder noch länger brauchen, werden
die Widerstände langsam zusammenbrechen. Zudem hat
bislang kein einziges Unternehmen aus einem Land, das
einer Marktöffnung skeptisch gegenübersteht, eine
Lizenz in Deutschland beantragt.

Zweitens. Der Vorwurf des Lohndumpings ist nicht
zutreffend. Das Postgesetz sieht vor, dass die von priva-
ten Postunternehmen gezahlten Löhne das ortsübliche
Lohnniveau für vergleichbare Tätigkeiten nicht erheb-
lich unterschreiten dürfen. Ich darf zu Ihrem Antrag sa-
gen, meine Damen und Herren von der Linken: Es ist
erstaunlich, dass Sie sich auf Bundesebene so starkma-
chen, während Berlin, das letzte Land, in dem Sie Mit-
verantwortung tragen, seine Verwaltungspost durch ei-
nen Wettbewerber der Deutschen Post AG austragen
lässt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das zeigt doch, wie scheinheilig Ihre Politik und Posi-
tion ist. Auf der einen Seite verfluchen Sie den Kapita-
lismus. Auf der anderen Seite nutzen Sie seine Vorzüge.

Ich kann abschließend die wenigen verbliebenen
marktwirtschaftlichen Ordnungspolitiker innerhalb der
Koalition deshalb nur bitten: Knicken Sie nicht schon
wieder ein! Die Widerstände innerhalb der EU gegen das
Ende des Briefmonopols brechen zusammen. Sie sind
zusammen mit der FDP von Verbündeten umgeben. Nut-
zen Sie wenigstens diesen Punkt, um dem Motto Ihrer
Regierung „mehr Freiheit wagen“ zumindest in einem
kleinen, aber nicht unwichtigen Punkt zum Durchbruch
zu verhelfen!


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609716900

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Klaus

Barthel das Wort.


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1609717000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Post-

politik erleben wir heute wieder in allen Facetten: den
reservierten Bereich aufheben oder ihn für alle Ewigkeit
aufrechterhalten, Portodiskussion, Arbeitsbedingungen.
Alles kommt vor. Tatsächlich hängt alles miteinander
zusammen. Aber, Herr Zeil, so einfach, wie es sich die
FDP macht – alles wird gut, wenn man liberalisiert –, ist
die Welt nicht. Mein Kollege Dobrindt hat zu Recht da-
rauf hingewiesen, dass das wirkliche Leben gerade in
diesem Bereich anders ist.

In Europa ist die Situation – anders als Sie es be-
hauptet haben – keineswegs geklärt. Die Mehrheiten
sind nach wie vor offen. Ich glaube nicht, dass sich zum
Beispiel die französische Haltung nach den Wahlen ge-
ändert hat. Das niederländische Parlament hat erst in die-
sen Tagen die Entscheidung über eine Liberalisierung
vertagt, und zwar aus denselben Gründen, über die wir
hier diskutieren. Wir sind von einem Konsens weit ent-
fernt. Es bleibt dabei, dass wir die Bundesregierung bei
der zeitnahen Umsetzung des verbindlichen Zeitplans
unterstützen, wie wir ihn im Wirtschaftsausschuss be-
schlossen haben. Das wäre meiner Meinung nach der ei-
gentliche Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums:
Anstatt innenpolitische Debatten gegen den Koalitions-
partner zu führen, sollte es sich darum kümmern, dass
wir uns in der EU mit unserer Linie durchsetzen.

Zum reservierten Bereich in Deutschland. Auch dies-
bezüglich ist – anders, als es berichtet wurde – noch
keine Entscheidung in der Koalition gefallen. Wir sind
uns noch nicht einig geworden. Wir weisen einfach noch
einmal darauf hin – das hat Herr Dobrindt auch schon
getan –, dass dieser reservierte Bereich kein Selbstzweck
ist.

Es geht vielmehr – erstens – um die Wettbewerbs-
situation in Europa. Deutschland ist der zentrale Markt –
von der Bevölkerung her, von der Kaufkraft her und von
der geografischen Lage her. Deshalb kann man uns nicht
mit Vergleichen mit dem offenen Markt in Schweden, in
Finnland und in Großbritannien kommen. Diese liegen
abseits. Das Entscheidende ist, was in Deutschland pas-
siert, wo sich dann der Wettbewerb abspielen wird. Da-
raus resultiert ein enormer Druck in diesem Wettbewerb
auf alle.

Im Übrigen – auch an die FDP gerichtet –: Der Wett-
bewerbsdruck, wenn er sich auf Deutschland konzen-
triert, betrifft doch nicht nur die Deutsche Post AG, son-
dern alle Wettbewerber in Deutschland; die müssen dann
diesen Druck aushalten.

Der Druck kommt aus Konzernen, Herr Zeil, da hilft
alles nichts. Der Wettbewerb wird nicht auf die Hartz-IV-
Boten in Ostdeutschland beschränkt bleiben oder auf ein
paar Verlage, die sich jetzt dort tummeln, sondern es
wird sehr schnell dazu kommen, dass vielleicht nicht die
französische Post selbst hier tätig wird, aber über Toch-
terunternehmen, Beteiligungen und Verflechtungen in-
ternationalisiert. Das ist eben der Charakter des europäi-
schen Binnenmarktes. Das sind nicht die Hartz-IV-
Beschäftigten in den neuen Bundesländern.

Der Druck kommt – zweitens – über die Arbeitsbe-
dingungen. Die Postboten in Deutschland sind, wie wir
alle wissen, nicht auf Rosen gebettet, auch nicht die bei
der Deutschen Post AG. Aber jetzt gibt es Wettbewerber,
die höchstens die Hälfte der Löhne bezahlen, die bei der
Deutschen Post AG üblich sind. Das heißt, es droht kein
Wettbewerb über mehr Dienstleistungen, höhere Quali-
tät, mehr Volumen, sondern es droht eine Kannibalisie-
rung der Unternehmen gegeneinander über die Arbeits-
bedingungen.


(Beifall bei der LINKEN)


Es wäre besser gewesen, man hätte damals auf uns
gehört und das Postgesetz wirklich umgesetzt, nämlich
dass Lizenzen zu versagen sind, wenn die wesentlichen
branchenüblichen Arbeitsbedingungen nicht eingehal-
ten werden.

Anders, als es die FDP behauptet, weist das Säcker-
Gutachten, das die Bundesnetzagentur in Auftrag gege-
ben hat, zwei Dinge nach: erstens, dass die sozialen
Lizenzbedingungen EU- und verfassungskonform sind
– das wurde immer bestritten –, und zweitens, dass die
Bundesnetzagentur ihren Pflichten leider nicht nachge-
kommen ist, weil es eben nicht darum ging, wie es im-
mer behauptet wurde, dass das Gesetz auf Arbeitsver-
hältnisse abhebt, also auf die Frage, ob es sich um
geringfügige Beschäftigungen handelt, sondern darum,
dass es im umfassenden Sinn auf Arbeitsbedingungen
abhebt, nämlich im Wesentlichen, wie es auch der
Rechtsprechung entspricht, auf Lohn, Arbeitszeit und
Urlaub.

Diese Arbeitsbedingungen hätten festgestellt und
durchgesetzt werden müssen. Das heißt, die Rechtslage
ist völlig klar. Deshalb ist auch der Antrag der Fraktion
Die Linke, der uns zu diesem Thema heute vorliegt,
schlichtweg überflüssig.

Stattdessen weiß die Bundesnetzagentur von Amts
wegen bis heute nicht, was in der Branche tatsächlich los
ist. Die Öffentlichkeit weiß es. Wir wissen es aus Gut-
achten, die von anderer Seite in Auftrag gegeben worden
sind.

Das Tragische ist, dass die neuen Anbieter nicht dort-
hin gehen, wo die große Kaufkraft ist, wo im Postbereich
ein Geschäft mit höherwertigen Diensten, wie es im Ge-
setz steht, zu machen wäre, sondern dass sie dort sind,
wo die Arbeitslosenquote am höchsten ist, nämlich im
Wesentlichen in den neuen Bundesländern.

Sehen wir uns nur einmal die Lizenzdichte an. Diese
ist in den neuen Bundesländern dreimal so hoch wie zum
Beispiel in Bundesländern wie Bayern und Baden-
Württemberg. Das heißt, sie korreliert unmittelbar mit
der Arbeitslosigkeit.

Dann macht aber Herr Professor Säcker – das macht
uns große Sorge – einen halsbrecherischen Salto rück-






(A) (C)



(B) (D)


Klaus Barthel
wärts. Er behauptet – das muss ich hier schon einmal zi-
tieren –:

Für die Feststellung der üblichen Arbeitsbedingun-
gen sind daher auch die Tarifverträge im Subunter-
nehmerbereich und im Bereich von Personallea-
singfirmen, die zur Briefbeförderung in der Lage
sind und als Verrichtungs- und Erfüllungsgehilfen
des Lizenznehmers eingesetzt werden können …
als Bezugspunkt der Üblichkeit heranzuziehen.
Auch die Arbeitsentgelte geringfügig Beschäftigter
… sind als übliche Arbeitsbedingungen zu berück-
sichtigen …

Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen
lassen – von lebenslang bezahlten und versorgten Pro-
fessoren. Diese wollen die Minijobs zum Maßstab des
Postsektors und anderer Sektoren machen. Das wird mit
uns nicht zu machen sein.


(Beifall bei der SPD)


Abgesehen davon, dass hier von Tarifverträgen die
Rede ist, die es gar nicht gibt, ist diese Logik pervers;
denn erst sagt der Herr Professor sinngemäß, eigentlich
dürfte es die Hungerlöhne von 5 Euro und die Hartz-IV-
Aufstocker gar nicht geben; weil es sie aber jetzt gibt,
sind sie plötzlich der Branchenmaßstab. Das heißt,
8 000 Vollzeitbeschäftigte bei den privaten Wettbewer-
bern im 5-Euro-Bereich sind plötzlich der Maßstab für
90 000 Vollzeitbeschäftigte der Deutschen Post AG. Da
stimmt doch etwas nicht. Zwei Drittel von den
46 000 Beschäftigten der Lizenznehmer sind Minijobber
– 30 000 Leute –, und die sollen der Maßstab – Herr
Dobrindt hat es gesagt – für eine Branche mit 200 000
Menschen werden?

Üblich ist also, was schlecht und billig ist. Wenn der
Markt erst einmal ganz geöffnet ist, zahlen der Arbeitge-
ber und die Arbeitnehmer der Deutschen Post AG die
Steuern und die Sozialversicherungsbeiträge dafür, dass
die in- und ausländischen Wettbewerber der Deutschen
Post AG ungestraft Lohn- und Sozialdumping betreiben
dürfen. Das kann doch nicht die Zukunft des Postmark-
tes in Deutschland sein.


(Beifall bei der SPD)


Deswegen sagen wir ganz klar: Marktöffnung erst dann
und nur dann, wenn der Universaldienst gesichert ist,
wenn die Arbeitsbedingungen klar geregelt sind, näm-
lich durch Mindestlöhne und dadurch, dass Arbeitsbe-
dingungen definiert, gesichert und kontrolliert werden,


(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Ohne Mindestlöhne! Darüber reden wir noch! – Martin Zeil [FDP]: Also doch Mindestlöhne!)


und wenn der faire Wettbewerb innerhalb der Europäi-
schen Union möglich ist. All dieses ist bis heute nicht
absehbar. Deswegen möchte ich Sie als Berichterstatter
zu dem Thema bitten, der Ausschussempfehlung zu fol-
gen, die vorliegenden Anträge alle aus den Gründen, die
ich genannt habe, abzulehnen und es der Koalition zuzu-
trauen, dass sie eine gute Lösung in diesem Bereich fin-
det. Wenn ich mir vergegenwärtige, was Herr Dobrindt
heute gesagt hat, dann kann ich feststellen, dass wir auf
einem sehr guten Weg sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609717100

Das Wort hat die Kollegin Sabine Zimmermann für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609717200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Ich muss erst einmal Herrn
Dobrindt korrigieren: Die Anfrage war von uns, und die
Zahlen habe ich Ihnen gestern schon genannt. Sie kön-
nen sie heute offiziell im Netz nachlesen.


(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Die Anfrage der Grünen war besser!)


Über die 8 000 haben wir gestern schon diskutiert. Ich
musste Sie gestern korrigieren, als Sie von Einzelfällen
sprachen. Es sind 8 000.


(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Ich habe gestern schon widersprochen!)


Herr Zeil, Ihre Geschichtserklärung war sehr interes-
sant.


(Martin Zeil [FDP]: Reden sollen ja auch bilden!)


Ich will Ihnen zur PIN AG nur sagen, dass Tarifverhand-
lungen geführt werden. Ich finde es richtig, dass man
dort eingegriffen hat. Rot-Rot hat im Koalitionsvertrag
eindeutig gesagt, dass öffentliche Aufträge nur dann ver-
geben werden, wenn Tarifverträge abgeschlossen wer-
den.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich muss schon sagen: Es ist ein fürchterliches Schau-
spiel, das die Große Koalition seit Wochen rund um die
gelbe Post bietet.


(Martin Zeil [FDP]: Das stimmt! Da haben Sie wiederum recht!)


Der Briefdienst gehört zu einer Branche – ich freue
mich, dass Sie, Herr Zeil, mir zustimmen –, in der Hun-
gerlöhne voll auf dem Vormarsch sind. Manchmal erin-
nert das wirklich an frühkapitalistische Verhältnisse.
Briefträgerinnen und Briefträger arbeiten sogar teilweise
für Stundenlöhne von unter 1 Euro. Hinzu kommt – Herr
Barthel, ich bitte Sie, zuzuhören, damit Sie darauf ant-
worten können –, dass es in dieser Branche bereits Tau-
sende sind, deren Monatslohn so niedrig ist, dass sie er-
gänzend Arbeitslosengeld II beantragen müssen. Da geht
es nur um die sozialversicherungspflichtigen Beschäfti-
gungsverhältnisse, es geht noch nicht einmal um die Mi-
nijobs.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Sabine Zimmermann
Das lassen Sie zu mit Ihrer Politik gegen die Beschäftig-
ten der Post AG, meine Damen und Herren der Großen
Koalition.


(Klaus Barthel [SPD]: Haben Sie schon mal was von der Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde gehört?)


Was tun Sie? Sie reden und reden und reden. Da gebe
ich meinem Kollegen Zeil recht, der gesagt hat: Hin und
her, rein in die Kartoffeln und raus aus den Kartoffeln. –


(Dr. Rainer Wend [SPD]: 16. Jahrhundert! – Klaus Barthel [SPD]: Von Kartoffeln habe ich gar nichts gesagt!)


Noch schlimmer, Sie wollen den Postmarkt im kommen-
den Jahr vollständig öffnen und nehmen einen Erdrutsch
von Billigjobs in Kauf. Sie sehen zu, dass hier Zehntau-
sende von regulären Arbeitsplätzen in Gefahr sind. Des-
halb fordert auch die Linke, dass das Briefmonopol über
2007 verlängert wird.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Martin Zeil [FDP])


– Das ist richtig. Ich weiß das, Kollege Zeil.

Eine Studie der Gewerkschaft Verdi zeigt, dass der
durchschnittliche Stundenlohn neuer Briefdienstleister
in Ostdeutschland bei etwa 6 Euro und in Westdeutsch-
land bei 7 Euro liegt. Die Deutsche Post AG zahlt noch
einen Stundenlohn von etwa 12 Euro. Aber auch sie be-
teiligt sich inzwischen durch Tausende Minijobs an dem
Lohn- und Sozialdumping im Briefdienst.

Wie ist es eigentlich zu dem Wettlauf um die billigs-
ten Löhne gekommen? Die SPD hat das Thema Mindest-
lohn wiederentdeckt. Das ist vielleicht deshalb gesche-
hen, weil sie einmal wieder mit den Gewerkschaften
reden will. Auf einem Flugblatt von Ihnen heißt es:
Lohndumping und prekäre Beschäftigungsverhältnisse
hängen mit der Öffnung des deutschen Postmarktes zu-
sammen. Was ich von Ihnen höre, ist ein bisschen wider-
sprüchlich. Sie wissen es also.


(Beifall bei der LINKEN)


Es steht auf diesem Flugblatt, und Sie sehen es offen-
sichtlich. Die Linke stimmt Ihnen da völlig zu. Wir fra-
gen uns bloß – darauf habe ich von Ihnen, Herr Barthel,
keine Antwort bekommen –: Warum zieht die SPD da-
raus keine Konsequenzen?


(Klaus Barthel [SPD]: Das tun wir doch!)


– Nein, eben nicht. Sie haben noch keine Antwort gege-
ben. – Gegenwärtig sind 20 Prozent des Briefmonopols
liberalisiert. Bereits das hat zu einem beispiellosen So-
zialdumping geführt. Die entsprechenden Zahlen liegen
auf dem Tisch. Wie können Sie angesichts dessen die
restlichen 80 Prozent dem freien Wettbewerb überge-
ben? Meine Damen und Herren in diesem Hohen Haus,
niedrige Löhne müssen bekämpft und dürfen nicht ge-
fördert werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie dagegen fördern sie.
Um dem Sozialdumping im Briefdienst einen Riegel
vorzuschieben, schlägt die Linke vor, das Postgesetz zu
ändern. Sie müssen verbindliche Standards wie Lohn,
Arbeitszeit und Urlaub festlegen. Briefdienstleistern, die
diese unterlaufen, muss die Beförderung von Briefen un-
tersagt werden.


(Klaus Barthel [SPD]: Bestehende Rechtslage ist das!)


Dafür muss nur ein Satz geändert werden. Das kann gar
nicht so schwer sein. Es kostet nichts. Sie müssen nur
Ihre Hand heben für die Beschäftigten der Post AG. Ich
hoffe, die SPD wird dies, entsprechend ihrem Flugblatt,
auch tun.

Handeln werden dagegen Zehntausende Beschäftigte
aus dem Postdienst am kommenden Montag, wenn sie
hier in Berlin gegen die geplante Liberalisierung auf die
Straße gehen. Die Linke wird dabei sein und die Be-
schäftigten unterstützen. Herr Barthel, sicher werden
auch Sie dabei sein und die Wahrheit sagen.


(Klaus Barthel [SPD]: Können Sie mir noch einmal zuhören?)


– Ja, das werde ich tun.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609717300

Diese Verabredung müssen Sie außerhalb Ihrer Rede-

zeit treffen.


Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609717400

Genau. – In diesem Sinne werden wir uns sicherlich

sehen.

Danke schön für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609717500

Das Wort hat die Kollegin Kerstin Andreae für die

Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.


Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609717600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir diskutieren hier über zwei Anträge. Letzt-
lich diskutieren wir über die Aufhebung des Briefmono-
pols Ende 2007. Ich will für die Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen ganz klar sagen, dass wir für die
Aufhebung des Briefmonopols zum Ende dieses Jahres
sind. Wir halten das für richtig. Hier sind Versprechun-
gen gemacht und Investitionen seitens der Wettbewer-
ber, der Anbieter getätigt worden. Es ist daher richtig,
das Briefmonopol aufzuheben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Formulierungen von SPD und CDU/CSU, die wir
hier hören, lassen zumindest auf einen heißen Herbst in
dieser Sache schließen. Ich habe noch nicht den Ein-
druck gehabt, dass Sie sich absolut einig sind.


(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Es ist doch alles beschlossen!)







(A) (C)



(B) (D)


Kerstin Andreae
– Ja, es ist alles beschlossen. Aber wir kennen ja durch-
aus die Möglichkeit, dass beschlossene Dinge noch ein-
mal verhandelt werden.


(Klaus Barthel [SPD]: Das haben wir mit den Grünen damals auch gemacht!)


Ich will Folgendes sagen: Wettbewerb – ja, Liberali-
sierung – ja; aber wir brauchen einen Wettbewerb unter
ganz klaren Rahmenbedingungen. Wir sind absolut der
Meinung, dass es wichtig ist, über die Lohnstruktur im
Postgewerbe zu sprechen. Herr Zeil, Sie haben behaup-
tet, das sei kein richtiges Problem und die Lohnstruktur
bei den privaten Anbietern sei letztlich nicht so drama-
tisch, wie es uns teilweise dargestellt werde. Diese Auf-
fassung teile ich nicht. Tatsächlich ist das Lohngefüge
bei privaten Anbietern davon geprägt, dass es Aufsto-
cker gibt und dass man mit aggressivem Lohndumping
in den Wettbewerb eintritt.


(Martin Zeil [FDP]: Bei der Post auch!)


Das heißt für uns:

Erstens. Es ist ganz wichtig, dass die Gewerkschaften
mit den alternativen Postanbietern verhandeln. Das ist
jetzt angekündigt worden, und das ist auch richtig so.

Zweitens. Wir brauchen aber auch branchenabhän-
gige Mindestlöhne, und wir brauchen eine Ausweitung
des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes.

Herr Dobrindt, Sie haben unsere Anfrage angespro-
chen: In dieser Anfrage steht – das ist der entscheidende
Satz –, dass die Bundesregierung derzeit prüft, ob und
gegebenenfalls welche Maßnahmen im Niedriglohnsek-
tor eventuell auch branchenbezogen ergriffen werden
sollen.


(Klaus Barthel [SPD]: Jetzt hört die Frau Zimmermann wieder nicht zu!)


– Sie kennt das. – Das war eine Anfrage, in der es tat-
sächlich um die Mindestlöhne im Bereich des Postsek-
tors geht. Ich finde es richtig, dass sich die Bundesregie-
rung für Liberalisierung und Wettbewerb einsetzt, dass
sie sich aber auch mit der Lohnstruktur bei den Anbie-
tern auseinandersetzt. Denn Wettbewerb zu unfairen Be-
dingungen und Wettbewerb über Lohndumping, das ist
nicht korrekt.


(Martin Zeil [FDP]: Das steht ja schon im Gesetz!)


Daher müssen wir die richtigen Rahmenbedingungen für
den Wettbewerb schaffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Große Koalition ist allerdings völlig tatenlos.
Herr Müntefering hat angekündigt, die Frage existenz-
sichernder Löhne gesetzgeberisch zu klären. Aber das
macht man nicht, indem man Briefe an sich selber
schreibt. Die CDU/CSU blockiert und macht aus unserer
Sicht untaugliche Vorschläge wie die Festschreibung der
Aussage, dass sittenwidrige Löhne sittenwidrig sind; das
wissen wir schon. Wir sagen: Gehen Sie dieses Problem
an, und lösen Sie es. Sie haben noch ein halbes Jahr Zeit.
Dieser Schritt ist dringend erforderlich, um faire Rah-
menbedingungen und fairen Wettbewerb gewährleisten
zu können.

Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die
flächendeckende Versorgung. Natürlich muss es so
sein, dass ein Brief aus dem südbadischen St. Peter ge-
nauso schnell ins norddeutsche St. Peter-Ording ge-
bracht wird wie von München nach Berlin. Wir müssen
uns über die Frage unterhalten, wie dieser Universal-
dienst aufrechterhalten und die Regelung zur Entschädi-
gung der Anbieter ausgestaltet werden kann. Der Uni-
versaldienst muss gewährleistet sein.

Wir sagen: Die Liberalisierung wird nur dann ein Er-
folg, wenn es die Regierung schafft, die Rahmenbedin-
gungen für faire Löhne und flächendeckende Versorgung
zu schaffen. Unserer Meinung nach ist es falsch, zu sa-
gen: Dafür brauchen wir noch ein Jahr mehr Zeit. – Sie
haben noch ein halbes Jahr Zeit. Gehen Sie dieses
Thema an. Dann können wir den Investoren im Mittel-
stand, die sich darauf eingestellt haben, dass das Brief-
monopol im Jahre 2008 fällt, den versprochenen Markt
bieten.

Mein letzter Punkt. Eines sehe ich überhaupt nicht ein
– Herr Barthel, ich finde, in diesem Punkt war Ihre Dar-
stellung nicht richtig –: Die Deutsche Post agiert als glo-
bales Unternehmen im europäischen Ausland. Sie aber
wollen nicht – das haben Sie geschildert –, dass die fran-
zösische Post oder ein anderer europäischer Anbieter auf
dem deutschen Markt agiert. Das ist nicht mein Ver-
ständnis des europäischen Binnenmarktes.


(Martin Zeil [FDP]: Ganz genau!)


Ich sehe überhaupt nicht ein, dass wir einem Unterneh-
men Wettbewerbsvorteile gewähren und sich dieses Un-
ternehmen mit seinen Monopolgewinnen dann als globa-
les Unternehmen etablieren kann.


(Martin Zeil [FDP]: So ist es!)


Wir müssen weg von der Strategie der nationalen Cham-
pions und hin zu einer dezentralen und wettbewerbsori-
entierten Politik mit fairen Rahmenbedingungen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609717700

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag
der Fraktion der FDP mit dem Titel „Keine Verlänge-
rung des Briefmonopols – Wettbewerb auf dem deut-
schen und europäischen Postmarkt ermöglichen“. Der
Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/4600, den Antrag der Frak-
tion der FDP auf Drucksache 16/3623 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-
Fraktion und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen
der FDP-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion des Bünd-
nisses 90/Die Grünen angenommen.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/4600 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4044
mit dem Titel „Vollständige Öffnung der Postmärkte
stoppen – Universaldienstverpflichtung absichern“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der
Fall. Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stim-
men der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der FDP-
Fraktion und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grü-
nen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke ange-
nommen.

Wir kommen damit zur Abstimmung über den Ge-
setzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des
Postgesetzes. Der Ausschuss für Wirtschaft und Techno-
logie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/5276, den Gesetzentwurf der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/4908 abzulehnen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Gibt es Ent-
haltungen? – Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf
ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Unionsfrak-
tion, der SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Frak-
tion des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke abgelehnt. Damit entfällt nach
unserer Geschäftsordnung eine weitere Beratung.

Ich rufe den Tagessordnungspunkt 9 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Ingbert
Liebing, Marie-Luise Dött, Katherina Reiche

(Potsdam), weiterer Abgeordneter und Fraktion

der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Christoph Pries, Marco Bülow, Dirk Becker,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD

Schutz der Wale sicherstellen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia
Behm, Undine Kurth (Quedlinburg), Ulrike
Höfken, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Am Walfangmoratorium festhalten und Wal-
schutz auf der IWC stärken

– Drucksachen 16/4843, 16/5105, 16/5284 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ingbert Liebing
Christoph Pries
Angelika Brunkhorst
Eva Bulling-Schröter
Markus Kurth

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parla-
mentarische Staatssekretärin Astrid Klug.
A
Astrid Klug (SPD):
Rede ID: ID1609717800


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! In gut zwei Wochen
findet die 59. Jahrestagung der Internationalen Walfang-
kommission in Alaska statt. Sie wird sich auch in diesem
Jahr wieder mit der Gefährdung, mit der Nutzung und
vor allem auch mit dem Schutz der großen Wale be-
schäftigen.

Deutschland hat in der Vergangenheit immer auf der
Seite der Walfanggegner, der Walschützer gestanden und
wird diese Position auch in Zukunft mit großem Nach-
druck vertreten.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Bei der letzten Jahrestagung gab es zum ersten Mal
eine knappe Mehrheit für die Walfangbefürworter. Die
hat zwar nicht gereicht, um das Walfangmoratorium
aufzuheben, weil dafür eine Dreiviertelmehrheit notwen-
dig ist. Aber diese knappe Mehrheit hat deutlich ge-
macht, dass wir uns noch viel stärker engagieren müs-
sen, um weitere Bündnispartner der Walschützer zu
finden.

Deshalb hat sich auch die Bundesregierung gemein-
sam mit den Regierungen anderer Staaten in den letzten
Monaten intensiv dafür eingesetzt, weitere Mitglieds-
länder für die Internationale Walfangkommission zu fin-
den, Walschützer zu finden, die unsere Position unter-
stützen und damit auch bei Entscheidungen auf künftigen
Jahrestagungen der Internationalen Walfangkommission
stärken.

Diese Bemühungen waren erfolgreich. In diesem Jahr
werden voraussichtlich 74 stimmberechtigte Mitglied-
staaten an der Tagung teilnehmen. Trotzdem wird es al-
ler Voraussicht nach nur eine knappe Mehrheit für den
Walschutz geben. Aber immerhin: Wir rechnen mit einer
knappen Mehrheit. Das zeigt jedoch ebenso deutlich,
dass wir auch in Zukunft in den Bemühungen nicht
nachlassen dürfen, dass wir uns weiter einsetzen müs-
sen; denn zu dem absoluten Walschutz gibt es aus unse-
rer Sicht keine Alternative.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deshalb freuen wir uns sehr über das deutliche Votum
gestern im Umweltausschuss für diese deutsche Posi-
tion, für den Walschutz. Ich bin sehr dankbar, dass hier
über alle Fraktionen hinweg eine Position gefunden wer-
den konnte, die unsere Verhandlungsposition bei den an-
stehenden Konferenzen deutlich stärkt. Dafür will ich
ganz ausdrücklich danken.

Wir werden auch dem tödlichen sogenannten wissen-
schaftlichen Walfang eine klare Absage erteilen; denn
das ist nichts anderes als ein Unterlaufen der Walschutz-
bemühungen. Wir werden die Inuit und die Eskimos
nicht schwächen und ihnen den Walfang nicht untersa-
gen; denn er gehört zur Erhaltung ihrer Kultur, er gehört






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretärin Astrid Klug
zu ihrer Erhaltung überhaupt. Das wollen wir weiter zu-
lassen; dort werden wir nicht aktiv werden. Aber wir
werden sehr genau darauf achten, dass die Bemühungen
nicht über die Definition, wer Ureinwohner ist, unterlau-
fen werden, und dass wir keine Ausweitung der Defini-
tion bekommen, die sich nach Ansicht von manchen
Walfangbefürwortern auf alle Bewohner von Küsten-
staaten erstrecken soll. Das kann aber nicht in unserem
Interesse sein; denn dadurch würden die Walschutzbe-
mühungen deutlich unterlaufen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir werden die anstehende Vertragsstaatenkonfe-
renz des Washingtoner Artenschutzübereinkommens,
CITES, nutzen, um auch dort unsere Position deutlich zu
machen und um den Antrag von Japan abzulehnen, das
den Schutzstatus der Wale überprüfen will. Auch diese
Konferenz Anfang Juni wird ein wichtiger weiterer Mei-
lenstein in unseren Bemühungen sein. Wir werden unsere
Rolle im Rahmen der Präsidentschaft nutzen, um Europa
dort mit einer starken Position in diesem Sinne zu vertre-
ten.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)


Die Bundesregierung wird auch weiterhin jegliche
Initiativen ablehnen, die gerade im Nachgang zu der Er-
klärung von St. Kitts und der von Japan ausgerichteten
Normalisierungskonferenz auf eine Normalisierung – das
bedeutet in dem Fall eine Wiederzulassung des kommer-
ziellen Walfangs nach IWC-Regeln – zielen. Wir werden
dort jegliche Initiativen in dieser Richtung ablehnen und
all jene Initiativen aktiv unterstützen und an diesen mit-
wirken, die auf den Walschutz gerichtet sind, und Reso-
lutionen weiter voranbringen.

Wir brauchen diese Allianzen für den Walschutz. Da-
mit verbinden wir die Zielsetzung, das Moratorium auf-
rechtzuerhalten und den sogenannten wissenschaftlichen
Walfang zu beenden.

In diesem Sinne wollen wir die Zusammenarbeit in
der IWC noch weiter ausbauen. Wir wollen auf die Ver-
ringerung von Konfrontationen unter den Mitgliedstaa-
ten hinwirken; das heißt auch, den Schutz der Wale
durch mehr Meeresschutz, also nicht nur durch Be-
schlüsse für den Walschutz, sondern auch durch aktiven
Meeresschutz, zum Beispiel durch Anstrengungen zur
Vermeidung von Beifängen in der Fischerei, und die
Ausweisung von Walschutzgebieten im Verbund mit an-
deren Staaten voranzubringen. Dafür brauchen wir eine
politische Mehrheit. Dabei hilft uns das klare Votum des
Deutschen Bundestages. Dafür ein herzliches Danke-
schön.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609717900

Für die FDP-Fraktion spricht nun die Kollegin

Angelika Brunkhorst.


(Beifall bei der FDP)



Angelika Brunkhorst (FDP):
Rede ID: ID1609718000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wale

haben einen besonderen Symbolwert für den Schutz der
Meere und können als Indikator für den Gesamtzustand
der Ozeane angesehen werden. Darüber hinaus spielen
beim Walfang natürlich auch große Emotionen eine
Rolle.

Wir von der FDP haben zwar jetzt zu diesem Punkt
keinen gesonderten Antrag vorgelegt, aber wir haben
uns in einem aktuellen maritimen Antrag auch mit dem
Gesamtzustand der Meere, den äußeren Einflüssen und
den notwendigen Schutzmaßnahmen befasst. Trotz eini-
ger Erfolge ist der Schutz der Meere nach wie vor eine
große Herausforderung. Die Erhaltung der Ökosysteme
und der biologischen Vielfalt der Meere dient dem
Schutz der gemeinsamen natürlichen Ressourcen. Davon
wollen letztendlich auch wir immer wieder profitieren.
Ich denke, das ist ein Ziel, das nur durch internationale
Vereinbarungen erreicht werden kann.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Neben dem kommerziellen Walfang sind die Meeres-
säuger unterschiedlichsten Umwelteinflüssen ausge-
setzt. Das wissen wir alle. Die Gleichgewichte in der
Nahrungskette verschieben sich, der CO2-Anstieg führt
zur Versauerung der Meere, und durch die Klimaerwär-
mung steigen auch die Wassertemperaturen, was die
Wale gar nicht mögen. Die Bedrohung der Wale durch
äußere Einflüsse ist nicht geringer geworden. Die schäd-
lichen Einflüsse durch Eintrag von Schadstoffen und
durch Zunahme des Unterwasserlärms – das wird ein im-
mer drängenderes Problem werden – bestehen fort. Auch
die Folgen der Überfischung sind nicht zu unterschätzen,
weil das zunehmend zur Nahrungsknappheit für die
Wale führt. Kleinwale und Delfine – wir haben im Deut-
schen Bundestag ja schon über einzelne diesbezügliche
Anträge debattiert – finden als Beifang aufgrund der
Fangmethoden häufig den Tod.

Der Schutz der Wale ist ein Anliegen aller Fraktionen;
das hat Frau Klug eben schon festgestellt. Es gab dazu
bereits im Jahre 2003 einen interfraktionellen Antrag,
nämlich von den Fraktionen der damaligen rot-grünen
Koalition zusammen mit der FDP. Ich denke, die Positio-
nen, die dort vertreten wurden, haben heute noch Gültig-
keit. Wir von der FDP freuen uns natürlich, dass sich
jetzt die CDU/CSU im Gegensatz zu damals dem Schutz
der Wale in gleicher Weise widmet.

Ich denke einmal, die Forderungen nach einem strik-
ten Walfangverbot, nach Beschränkung des wissen-
schaftlichen Walfangs und nach Einschränkung des Han-
dels mit Walprodukten sind Anliegen aller Initiativen.
Wir werden beiden vorliegenden Anträgen zustimmen.
Die FDP stimmt darüber hinaus in vollem Umfang der






(A) (C)



(B) (D)


Angelika Brunkhorst
Forderung zu, weitere Schutzgebiete auszuweisen bzw.
bestehende zu erweitern.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Das Walfangmoratorium zeigt erste Erfolge. Die
Walbestände erholen sich aber sehr langsam; das ist ganz
klar, denn die Reproduktionszyklen der großen Walarten
erstrecken sich über lange Zeiträume. Die Bestände kön-
nen sich nicht in einigen Jahren, sondern nur im Laufe
von Jahrzehnten regenerieren. Deshalb ist die Einführung
eines funktionierenden internationalen Inspektions- und
Überwachungssystems notwendig, um sicherzustellen,
dass die Schutzgebiete auch wirklich beachtet werden. Es
besteht – Frau Klug hat es angesprochen – derzeit tatsäch-
lich die Gefahr, dass das Walschutzmoratorium ins Wan-
ken gerät, und zwar deswegen, weil es verschiedenste Ini-
tiativen der Pro-Walfang-Staaten Japan, Island, Norwegen
und Dänemark gibt, um eine Lockerung des Walfangver-
botes zu erwirken.

Es ist zu befürchten, dass sich bei der schon angespro-
chenen IWC-Tagung und den Verhandlungen zum Was-
hingtoner Artenschutzabkommen die Mehrheiten ver-
schieben. Wir hoffen natürlich, dass sie sich nicht in die
falsche Richtung verschieben. Aber deswegen ist es
heute besonders wichtig, dass aus dem Deutschen Bun-
destag ein klares Signal kommt und dass die Fraktionen
sich einig sind.

In dem Sinne hätte ich mir gewünscht, dass ein inter-
fraktioneller Antrag auf den Weg hätte gebracht werden
können. Ein kleiner Wermutstropfen bei der Geschichte
ist, dass die Koalitionsfraktionen den Antrag von den
Grünen vielleicht nicht befürworten. Aber möglicher-
weise haben Sie sich ja noch eines Besseren besonnen.


(Mechthild Rawert [SPD]: Im Ausschuss hat sich auch die FDP enthalten!)


Ebenso wichtig ist, dass auch die Europäische Union
jetzt eine klare Linie vertritt und auf das Mitgliedsland
Dänemark einwirkt. Das ist sehr wichtig, und das müsste
auch zu schaffen sein.

Der Fortbestand des Moratoriums ist uns ein Anlie-
gen. Wir werden uns gleichzeitig dafür einsetzen, dass
die indigenen Völker weiterhin nachhaltigen Walfang
für den eigenen Bedarf betreiben dürfen.

Zum Schluss möchte ich einen Appell an uns selbst
richten. Auch wir sind ja ein Land mit weiten Küstenab-
schnitten. Ich bin sehr dafür, dass die maritime Wirt-
schaft ihren Platz findet. Aber wir müssen natürlich bei
allen unseren Bestrebungen im Küstenbereich – Hafen-
ausbau, Hafenerweiterung, Ausbau von Offshoreanla-
gen, Pipelineausbau – darauf achten, die sensiblen Le-
bensräume der Wale zu schützen, sie nicht zu
verkleinern, damit sie ihre Kinderstuben behalten kön-
nen.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609718100

Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege

Ingbert Liebing.


(Beifall bei der CDU/CSU – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Guter Mann!)



Ingbert Liebing (CDU):
Rede ID: ID1609718200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ende dieses Monats finden sich in Anchorage in Alaska
die Mitglieder der Internationalen Walfangkommission,
IWC, wieder zu ihrem jährlichen Treffen zusammen. Ich
bin sicher, dass diese Konferenz ein ungleich höheres in-
ternationales öffentliches Interesse hervorrufen wird als
die vorangegangenen Konferenzen. Schließlich ist das
Treffen im letzten Jahr besonders durch die unrühmliche
St.-Kitts-Deklaration aufgefallen, mit der sich erstmals
eine Mehrheit der Mitgliedstaaten der IWC für die Wie-
deraufnahme des kommerziellen Walfangs ausgespro-
chen hat. Zwar haben sie die notwendige Dreiviertel-
mehrheit verfehlt, um das seit 1982 bestehende
Moratorium gegen den kommerziellen Walfang aufzuhe-
ben; aber es war schon ein Alarmsignal.

Im Februar hat die japanische Regierung, die seit
Jahren unter zweifelhaftem Deckmantel sogenannten
wissenschaftlichen Walfang betreibt, ein ebenso faden-
scheiniges Treffen der Walfangbefürworter in Tokio or-
ganisiert. Man sprach von einem Normalisierungstref-
fen, dem Deutschland sowie die anderen erklärten
Walschutzstaaten demonstrativ ferngeblieben sind. Die
Intention dieses Treffens bestand offenkundig nicht da-
rin, den IWC-internen Konflikt zu lösen. Vielmehr sollte
der Konflikt in diplomatischer Rhetorik erstickt und der
Wiederaufnahme des kommerziellen Walfangs der Weg
bereitet werden. Deswegen ist es gut, dass sich unsere
Bundesregierung auf dieses Possenspiel nicht eingelas-
sen hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Aber die Fronten sind klar, und es besteht weiterhin
die Gefahr, dass sich in Zukunft die notwendige Drei-
viertelmehrheit findet, um das Walfangmoratorium auf-
zuheben. Gerade Japan wirbt sehr offensiv um neue
IWC-Mitglieder, deren unabhängiges Stimmverhalten
angezweifelt werden darf. Es heißt, dass hier Entwick-
lungshilfegelder an Stimmverhalten gekoppelt worden
seien. Wenn dem tatsächlich so sein sollte, dann wäre
das ein absolut inakzeptables politisches Gebaren Ja-
pans.

In dieser Situation ist es besonders bedeutungsvoll,
dass ein klares Signal für den Schutz der Wale, der „Gi-
ganten der Meere“, aus Deutschland kommt. Wir können
bei weitem noch nicht von einer Erholung der Bestände
ausgehen, sodass eine Aufhebung des Walfangmoratori-
ums gerechtfertigt wäre. Die Bestände liegen teilweise
noch unter 20 Prozent des Ausgangsbestandes. Deshalb
müssen wir alle Möglichkeiten nutzen, um dem Schutz
der Wale gerecht zu werden.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Ingbert Liebing
Das gilt für die Beschlüsse der IWC im Mai in An-
chorage, es gilt genauso für die Vertragsstaatenkonfe-
renz des Washingtoner Artenschutzabkommens, CITES,
im Juni in Den Haag, und es wird auch im kommenden
Jahr in Bonn gelten, wenn die 9. Vertragsstaatenkonfe-
renz zum Übereinkommen zum Schutz der biologi-
schen Vielfalt hier bei uns in Deutschland stattfindet.
Denn diese Konferenz legt Deutschland eine besondere
Verantwortung auf, insbesondere wenn es um den
Schutz der marinen Arten geht. Deswegen haben wir als
CDU/CSU-Fraktion die Initiative für einen Bundestags-
beschluss ergriffen, der Ihnen jetzt als Antrag der Koali-
tionsfraktionen vorliegt. Ich freue mich, dass diesem An-
trag gestern im Umweltausschuss alle Fraktionen
zugestimmt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Weil eine fraktionsübergreifende Beschlussfassung
ein gutes Signal ist, waren wir als Koalitionsfraktionen
gerne bereit, zwei Änderungsvorschläge von Bündnis 90/
Die Grünen zu übernehmen, um auch Ihnen die Zustim-
mung zu unserem Antrag zu ermöglichen. Ein solches
einstimmiges Votum ist ein ganz wichtiger Schritt und
ein deutliches Plädoyer für den Walschutz, der von
Deutschland ausgeht.

Unser Antrag enthält die Ablehnung jeglicher Vor-
schläge, die zur Wiederaufnahme des kommerziellen
Walfangs führen. Die Europäische Union müsste unse-
rer Auffassung nach aber mit einer einheitlichen Position
vertreten sein. Wir wissen, dass es dabei noch ein Pro-
blem mit unserem Nachbarn Dänemark gibt. Aber das
lösen wir nicht, indem wir die Dänen an den Pranger
stellen. Die Sensibilität der Dänen habe ich gerade in der
vergangenen Woche erneut erlebt, als ich mit der Gruppe
der schleswig-holsteinischen CDU-Abgeordneten in Ko-
penhagen war. Hierbei ist diplomatisches Gespür nötig,
und ich vertraue darauf, dass die Bundesregierung in
diesem Sinne wirksam vorgeht. Das ist auch der ent-
scheidende Grund, weshalb wir dem Antrag der Grünen
nicht zustimmen können.

Ansonsten sind wir uns in der Sache ja sehr einig
– das ist gut –, auch in der Ablehnung des sogenannten
wissenschaftlichen Walfangs, wie er von Japan prakti-
ziert wird. Unter diesem Vorwand sind seit 1986 etwa
26 000 Wale getötet worden. Für die daraus gewonnenen
Produkte gibt es nicht einmal in den walfangbetreiben-
den Staaten Absatzmärkte. Wesentliche wissenschaftli-
che Erkenntnis daraus gibt es genauso wenig.

Etwas ganz anderes ist unserer Auffassung nach der
Subsistenzwalfang, also jener traditionell betriebene
Walfang der Inuit-Gemeinschaften Alaskas und Russ-
lands. Dafür sind zu Recht die entsprechenden Fangquo-
ten freigegeben worden. Dabei handelt es sich – wenn
man es vernünftig definiert – um eine nachhaltige, den
Walbestand nicht gefährdende Art der Bejagung. Diese
Völker wissen, wie sie mit ihren natürlichen Lebens-
grundlagen umzugehen haben. Sie sägen gerade nicht
den Ast ab, auf dem sie sitzen.
Wir dürfen aber auch nicht aus den Augen verlieren,
dass es noch weitere Gefährdungen für die Wale gibt.
Über die Bedrohung der Meeresökologie durch Klima-
wandel, zunehmende Versauerung und Verschmutzung
der Gewässer, Unterwasserlärm sowie Überfischung und
Fischereipraktiken, die die marinen Ökosysteme dauer-
haft schädigen, haben wir in der Vergangenheit bereits
mehrfach diskutiert. Dadurch werden die Wale in beson-
derem Maße in Mitleidenschaft gezogen.

Vor ein paar Tagen konnten wir in den Zeitungen le-
sen: Kanadische Grauwale vom Hungertod bedroht. Es
ist eine akute Hungersnot ausgebrochen, die sich zu-
nächst selbst Walforscher nicht erklären konnten. Im
schlimmsten Fall könne diese für die betroffene Grau-
walpopulation genau das einleiten, was wir mit dem
Walfangmoratorium eigentlich verhindern wollen, näm-
lich das Aussterben dieser Art. Mittlerweile ist geklärt,
dass diese Unterernährung auf ein Fehlen kleiner Krus-
tentiere zurückzuführen ist, die den Walen als Nahrungs-
grundlage dienen. Diese wiederum wurden aufgrund des
deutlich erwärmten Pazifikwassers stark dezimiert. Die
natürliche Nahrungskette ist unterbrochen worden.


(Vorsitz: Präsident Dr. Norbert Lammert)


Dieses Beispiel zeigt einmal mehr, welche gravierenden
Auswirkungen der Klimawandel gerade auf die Meere
und die marinen Ökosysteme hat. Es zeigt, wie nötig der
Schutz der Meere ist.

Der Walfang ist eine Bedrohung für diese schützens-
werten Arten. Wir wollen dieser Bedrohung kraftvoll
entgegentreten. Lassen Sie uns deshalb ein deutliches Si-
gnal nach Anchorage senden! Stärken wir unserer Bun-
desregierung den Rücken für den Schutz der Wale!

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609718300

Ich erteile das Wort der Kollegin Eva Bulling-

Schröter, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609718400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

85 Millionen Tonnen Fisch werden jährlich gefangen.
Mit in die Netze gehen 30 Millionen Tonnen Mee-
restiere, Jungfische, Seesterne, Muscheln, Krebse, Haie
und 60 000 Wale, die keiner will – Beifang, behandelt
wie Müll. Zu diesem Müll gehört auch der Grauwal, ein
Nomade der Meere. Im Laufe seines Lebens schwimmt
er eine Strecke bis zum Mond und wieder zurück. Natio-
nalstaatliche Rechtsklüngeleien sind ihm wurscht; er
kennt keine Grenzen. Deshalb sind internationale Regeln
so wichtig, auch und gerade im Meer.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Eva Bulling-Schröter
Nur sie können diesen gigantischen Säuger vor Fisch-
und Walfang schützen, wie das Walfangmoratorium
von 1982.

Jetzt beginnt es zu bröckeln. Die Japaner wünschen
sich eine „Normalisierung“ der Internationalen Walfang-
kommission, das heißt die Wiedereinführung des kom-
merziellen Walfangs. Bei der letzten IWC-Tagung waren
30 Mitgliedstaaten dafür. Ich halte das für eine Tragödie.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber noch lebt das Moratorium. Es muss weiterleben,
ohne Wenn und Aber.

Deshalb fordern wir:

Erstens. Keine als Wissenschaft getarnten Walfänge.

Zweitens. Keine Quotenfänge und deshalb kein Re-
vised Management Scheme. Dieser geschwollene Be-
griff steht für Bewirtschaftungsverfahren und bedeutet
Quotenfang durch die Hintertür.

Drittens. Ein nationales Verbot für den Verkauf jegli-
cher Walprodukte – wo kein Absatzmarkt, da keine Ge-
winnaussichten.


(Beifall bei der LINKEN)


Viertens. Kein internationaler Handel mit Walproduk-
ten. Entsprechende Resolutionsvorschläge sind abzuleh-
nen.

Fünftens. Kein Small-Type Coastal Whaling. Wer
hier so putzig von traditionellem oder subsistenzwirt-
schaftlichem Küstenwalfang spricht, der lügt. Küsten-
walfang ist kommerzieller, gnadenloser Walfang. Des-
halb stimmen wir beiden Anträgen zu.

Sechstens. Wale und Delfine sollen nicht nur vor dem
Fang geschützt werden. Dreck aus der Chemie- und Öl-
industrie, Lärm, zerstörerische Fischfangflotten, Militär
und Munitionssprengungen gefährden die Säuger eben-
falls.

Meine Damen und Herren, alle weltweit bekannten
Walarten sind gefährdet, auch die vor der eigenen Haus-
tür. Frau Staatssekretärin Klug, im April hat das Landes-
amt für Bergbau, Energie und Geologie in Clausthal-Zel-
lerfeld eine Untersuchung der Erdgasvorkommen mit
seismischen Tests in der Nordsee genehmigt. Dass es in
der Nordsee Schweinswale gibt, ist bekannt. Seit weni-
gen Tagen weiß man auch, dass es am Testort sogar
Zwergwale gibt. Vielleicht nicht mehr lange: Schallim-
pulse mit 260 Dezibel donnern alle acht Sekunden und
24 Stunden täglich bis zum Herbst durch das Wasser – in
einem Naturschutzgebiet! Das ist qualvoller Lärm für
die Wale. Zum Vergleich: Wenn auf Ihrer Schulter ein
Feuerwerkskörper explodiert, dann ist das nur halb so
laut wie das, was den Walen angetan wird.

Ich frage mich schon, warum das Bergbauamt nicht
den Empfehlungen des Bundesamts für Naturschutz
folgt. Wir müssen auch hier die Wale schützen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb fordert die Linke für die einheimischen Wal-
arten erstens einen sofortigen Stopp der seismischen
Tests in der Nordsee, zweitens keine Genehmigung von
Munitionssprengungen in der Ostsee, drittens die Auf-
nahme von Großwalen in das ASCOBANS-Abkommen,
viertens die Ausdehnung und Erforschung weiterer Mee-
resschutzgebiete und fünftens Regeln, wie und wann
seismische Tests gemacht werden dürfen. Das, denke
ich, müssen wir jetzt angehen.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609718500

Cornelia Behm ist die nächste Rednerin für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.


Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609718600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wie Staatssekretärin Klug eingangs festge-
stellt hat, ist es in diesem Jahr ganz besonders wichtig,
dass Deutschland weiterhin für einen strikten Walschutz
eintritt und deutlich macht, wie wichtig das Walfangmo-
ratorium ist. Es gilt, die Mehrheit für das Moratorium
durch inhaltliche Überzeugungsarbeit und Anwerbung
neuer im Walschutz engagierter Mitgliedstaaten zurück-
zugewinnen. Daher fordert das Bündnis 90/Die Grünen
vor der diesjährigen Jahrestagung vom 28. bis 31. Mai in
Anchorage ein klares Signal der Bundesregierung zu-
gunsten der Wale und gegen den Walfang.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir haben einen Antrag vorgelegt, in dem die Bun-
desregierung aufgefordert wird, ihre Aktivitäten im
Walschutz zu verstärken. Wir Grüne begrüßen sehr,
dass auch die schwarz-rote Bundesregierung an der Ab-
lehnung des Walfangs festhält. Dies war im Übrigen kei-
neswegs selbstverständlich, wenn man erlebt hat, wie
walfangfreundlich die Union – Herr Liebing, ich muss es
leider sagen – in der letzten Legislaturperiode im Bun-
destag agiert hat. Zur Anhörung „Schutz der Walbe-
stände“ hatte die Union – und im Übrigen auch die FDP –
Sachverständige unter anderem aus Norwegen und
Island bestellt, die versuchten, den Walfang als notwen-
dig und sinnvoll hinzustellen und die Gefahren für das
Ökosystem Meer herunterzuspielen. Auch die gesamte
Fragestrategie der Union war darauf ausgerichtet, die
Argumente der Walschützer infrage zu stellen und die
der Walfänger zu stützen.

Offensichtlich hat der öffentliche Druck von Umwelt-
und Tierschutzverbänden und der Druck von uns Grünen
die Union zu einer Kehrtwende bewegt. Dies begrüßen
wir, da uns, wie gesagt, sehr viel daran liegt, dass
Deutschland weiter zu den Walschutzländern gehört.
Deshalb und weil wir diesem Anliegen möglichst großen
Nachdruck verleihen wollen und da in Ihrem Antrag
keine Aussagen stehen, die wir Grüne ablehnen, stim-
men wir dem Koalitionsantrag zu.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609718700

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Liebing?


Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609718800

Ja, gerne.


Ingbert Liebing (CDU):
Rede ID: ID1609718900

Frau Kollegin Behm, ich will zwar die traute Gemein-

samkeit heute Nachmittag bei diesem Thema nicht stö-
ren. Aber da Sie in die Historie zurückgegangen sind,
möchte ich Sie fragen, ob Sie von mir noch einmal hören
möchten, was die CDU-Kollegin Gitta Connemann sei-
nerzeit in der Debatte, als es um das Thema Walschutz
ging, wirklich gesagt hat. Damals hat unsere Kollegin
Connemann ausgeführt – –


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609719000

Jetzt müsste aber eigentlich erst die Kollegin Behm

Gelegenheit haben, Ihre Frage, ob sie das wirklich hören
möchte, zu beantworten.


Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609719100

Ich würde Ihre Frage gerne beantworten. Ich möchte

nämlich das, was Sie jetzt zitieren wollen, nicht hören.
Das würde nur einen kurzen Ausschnitt der gesamten
Anhörungsdebatte wiedergeben und damit den Sinn mit
Sicherheit verfälschen. Deswegen verzichte ich auf Ihr
Angebot.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)


Zurück zu den Anträgen. Unser Antrag – so muss ich
Ihnen sagen – erledigt sich mit dem Koalitionsantrag
nicht; denn in unserem Antrag erheben wir Grüne meh-
rere Forderungen, die im Koalitionsantrag fehlen. Dazu
gehört die Aufforderung, einem Walfangmanagement-
system nicht zuzustimmen. Auch soll die Bundesregie-
rung etwaigen Anträgen auf die Vergabe von Küstenwal-
fangquoten die Zustimmung verweigern. Es muss klar
sein, dass beides der Einstieg in die Wiederaufnahme des
kommerziellen Walfangs wäre.

Außerdem soll die Bundesregierung für den Widerruf
der St.-Kitts-&-Nevis-Deklaration eintreten. In unserem
Antrag wird konkret Dänemark als dasjenige EU-Land
benannt, das es zu überzeugen gilt, seine walfangfreund-
liche Haltung zu überdenken. Weiterhin hat es Schwarz-
Rot versäumt, der Bundesregierung einen Auftrag zu ge-
ben, sich im Zusammenhang mit CITES dafür einzuset-
zen, dass sämtliche in Anhang I – dort sind die beson-
ders zu schützenden Arten gelistet – aufgeführten
Walarten dort auch weiterhin verbleiben, damit mit die-
sen auch zukünftig nicht gehandelt werden darf. Wegen
dieser notwendigen Forderungen wäre es gut, wenn auch
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
unserem Antrag zustimmen würden. Wir empfehlen im
Übrigen, nicht mit der Keule nach Dänemark zu gehen.

Zum Schluss nur noch dies: In einem Nebensatz for-
dert die Koalition die Bundesregierung auf, für konkrete
Maßnahmen zum verbesserten Schutz aller Walarten vor
Lärm einzutreten. Zu diesem Problem hat Bündnis 90/
Die Grünen bereits einen weitergehenden Antrag einge-
bracht. Den werden wir, denke ich, bei anderer Gelegen-
heit hier gesondert beraten.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609719200

Nun erhält der Kollege Liebing das Wort zu einer

Kurzintervention, vermutlich auch, um uns nun das Zitat
vorzutragen. Bitte schön.


(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird nicht helfen! – Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann gibt es eine kleine Lesestunde! Also, was hat die Kollegin gesagt im Jahre 2004? Oder wann war das?)



Ingbert Liebing (CDU):
Rede ID: ID1609719300

Jeder mag selber bewerten, warum Sie das Zitat nicht

hören möchten. Aber da Sie mit Ihrer Darstellung der
Vergangenheit den Eindruck erweckt haben, als ob die
CDU/CSU-Fraktion seinerzeit in der Anhörung und im
Plenum die Position von Island und Norwegen quasi un-
kritisch übernommen hätte, möchte ich gerne zitieren,
was seinerzeit die Position der CDU/CSU-Fraktion ge-
wesen ist. Damals hat Gitta Connemann für unsere Frak-
tion ausgeführt:

Deutschland ist 1982 der Internationalen Walfang-
Kommission IWC beigetreten und hat sich seit
1986 für das Verbot des kommerziellen Walfangs
eingesetzt sowie die Schaffung von Walschutzge-
bieten unterstützt. Wir waren uns darin alle einig.
Uns verbindet die Erkenntnis, dass wir die Wale
schützen und sie vor der Ausrottung bewahren müs-
sen.

Sie nimmt damit Bezug darauf, dass alle Bundesre-
gierungen seit der Bundesregierung von Helmut Kohl
das Verbot des kommerziellen Walfangs aktiv unterstützt
haben.

Sie hat weiter ausgeführt:

Für mich gibt es keinen Zweifel daran, dass Wale
auch ohne Legalisierung des Walfangs durch Um-
weltveränderung bedroht sind wie nie zuvor. Dazu
gehören die Klimaerwärmung, die Verschmutzung
der Meere, aber auch die Bedrohung durch Lärm.
Wale leben in einer akustischen Welt, ihr Gehör ist
ihr wichtigstes Organ. Wir brauchen deshalb auch
das Einvernehmen der Nationen für einen besseren
Klima- und Umweltschutz. Wir brauchen gemein-
same Strategien gegen die Lärmverschmutzung.
Wir brauchen Einigkeit, um das seit 1994 beste-
hende Schutzgebiet Antarktis nicht zu verlieren,
sondern mehr zu gewinnen.

Dies sind deutliche Belege dafür, dass die CDU/CSU-
Fraktion auch seinerzeit deutlich für den Walschutz ein-
getreten ist.






(A) (C)



(B) (D)


Ingbert Liebing
Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609719400

Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist

die Kollegin Mechthild Rawert, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1609719500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Wir alle wün-
schen ausdrücklich nur den Mitgliedern der IWC in An-
chorage Erfolg, die sich für den Walschutz einsetzen. In
diesem Fall, denke ich, ist es gut, nur einen Teil einer
Konferenz zu begrüßen.

Es wurde hier darauf hingewiesen, dass der Antrag im
Umweltausschuss beraten wurde, und es wurde gerade
die Frage gestellt, wie ein Mitglied des Ausschusses für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz für
Großwale zuständig sein kann. Auch im Ausschuss für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz be-
schäftigen wir uns mit diesen Themen. Hier hat es eben-
falls eine einmütige Zustimmung zu unserem Koalitions-
antrag gegeben.

Das, was Kollege Liebing bereits gesagt hat, ist rich-
tig: Die Bestandszahlen der meisten Walarten nehmen
ab, und das trotz des Moratoriums. Es freut mich, dass
wir hier und heute einen so klaren Auftrag zum Schutz
der Wale ergehen lassen und damit unsere Bundesregie-
rung bei der Tagung in Anchorage unterstützen.

Ich freue mich auch, dass es uns gelungen ist, die
Mehrheiten für den Walschutz auszubauen. Wir begrü-
ßen Kroatien, Slowenien und auch Zypern auf der Seite
der Walschützer. Wir fordern unsere Bundesregierung
auf, weiterhin aktiv bei anderen Staaten für den Wal-
schutz zu werben.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ingbert Liebing [CDU/CSU])


Wale – das wurde schon gesagt – werden nicht nur
durch den Walfang gefährdet. Ihre Lebenswelt und damit
sie selber werden immer stärker durch die Begleiter-
scheinungen unserer modernen Welt gefährdet: Meeres-
und Umweltverschmutzung, Klimawandel, Beifänge in
der Fischerei, Schiffsverkehr, Unterwasserlärm und
Offshoreaktivitäten.

Wir fordern die Bundesregierung auf, diesen soge-
nannten negativen anthropogenen Einflüssen – so nennt
man den Schaden, den wir Menschen erzeugen – konse-
quent entgegenzutreten.

Im September letzten Jahres haben wir hier den An-
trag „Die weltweit letzten 100 westpazifischen Grauwale
schützen“ einstimmig beschlossen und klargestellt, dass
wir eine Ausbeutung der Öl- und Gasvorkommen im
Ochotskischen Meer vor Sachalin – das ist eine Insel in
der Nähe von Japan, die zu Russland gehört – zulasten
dieser letzten Population – das kann auch zum Tod der
Tiere führen – nicht zulassen wollen. Das war konkreter,
praktizierter Walschutz.

Wir wollen aber – eine Kollegin hat das bereits er-
wähnt – nicht nur in die Ferne schweifen. Mit dem Ab-
kommen zum Schutz der Kleinwale in Nord- und Ost-
see haben wir auch den Schutz unserer heimischen Wale,
Schweinswale, Zwergwale, vorangetrieben. In der Dog-
gerbank werden seit einigen Wochen seismische Mes-
sungen vorgenommen, ausgerechnet jetzt, wo viele
Schweinswale trächtig sind. Das ist eine massive Ge-
fährdung. In diesem Zusammenhang kann ich nur sagen:
Es ist erstaunlich, dass wir auf Bundesebene konsequent
Walschutz betreiben und uns in internationalen Gremien
für den Walschutz einsetzen, die Regierung in Nieder-
sachsen es aber versäumt, Walschutz zu betreiben. In
diesem Zusammenhang könnte man fast von einer Wolf-
im-schwarzen-Schafspelz-Regierung sprechen. Es kann
nicht angehen, dass wir zwar global denken, aber lokal
nicht handeln.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch! – Zuruf von der CDU/CSU: Hat in Niedersachsen jemand schon jemals Wale gesehen?)


Auch ich unterstütze ausdrücklich die Forderung des
Bundesamtes für Naturschutz nach begleitenden For-
schungsarbeiten, mit der Option, diese seismischen Un-
tersuchungen im Bedarfsfall einzustellen.

Hinzu kommt, dass die Doggerbank ein Flora-Fauna-
Habitat-Schutzgebiet ist und als solches an die Europäi-
sche Kommission gemeldet wurde. Mit der Ausweisung
dieser Gebiete wollen wir einen aktiven Beitrag zur För-
derung der biologischen Vielfalt leisten; denn wir wollen
nicht, dass wir Wale bald nur noch in ausgestopfter Form
im Naturkundemuseum betrachten können. Daher freue
ich mich über die Aktivitäten der Bundesregierung und
über unsere internationalen Bemühungen. Ich hoffe, dass
wir in unserem föderalen System die Kraft haben, auch
in Niedersachsen aktiv Walschutz zu betreiben.

Dazu lade ich uns alle ein.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609719600

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu
dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
mit dem Titel „Schutz der Wale sicherstellen“. Der Aus-
schuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/5284, den Antrag der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/4843 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich der Stimme? – Die Beschlussempfehlung ist
einstimmig angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/5284 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrages der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grü-






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
nen auf Drucksache 16/5105 mit dem Titel „Am Wal-
fangmoratorium festhalten und Walschutz auf der IWC
stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Das ist nicht mehr ganz so einmütig. Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich der Stimme? – Diese Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen. Der gegenteilige
Antrag ist damit nicht zum Zuge gekommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten Werner
Dreibus, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der LINKEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Gesetzes zur Regelung der erwerbsmäßigen

(Arbeitnehmerüberlassungsgesetzänderungsgesetz – AÜGÄndG)


– Drucksache 16/4805 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so vereinbart.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Kollege Werner Dreibus, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Werner Dreibus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609719700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der
Bundesagentur für Arbeit, IAB, stellte im vergangenen
Jahr in einer Untersuchung zum Thema Leiharbeit fest,
dass Leiharbeit Lohndumping begünstigt und bei den
Beschäftigten zu erheblichen Einkommenseinbußen
führt. Leiharbeiter verdienen deutlich weniger als die
Kolleginnen und Kollegen im Betrieb, die die gleiche
Arbeit verrichten, aber fest angestellt sind. Insbesondere,
so die IAB-Studie, bieten die Einstiegsentgelte in den
unteren Lohngruppen mit 5 bis 6 Euro pro Stunde für
Vollzeitarbeit kein existenzsicherndes Einkommen.


(Unruhe)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609719800

Einen Augenblick! – Darf ich bitten, die offenkundig

nicht alle diesem Thema gewidmeten Gespräche für ei-
nen Augenblick zurückzustellen und für das Maß an
Aufmerksamkeit zu sorgen, auf das der Redner An-
spruch hat? – Danke schön.


Werner Dreibus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609719900

Danke schön, Herr Präsident. Nicht nur ich, sondern

auch die Leiharbeiter haben Anspruch auf Aufmerksam-
keit.


(Beifall bei der LINKEN)

Was tut die Bundesregierung? Einerseits preist die
Bundesregierung in den verschiedensten Veröffentli-
chungen Leiharbeit als Beschäftigungsform der Zu-
kunft. In der Tat hat Leiharbeit in den letzten Jahren
drastisch zugenommen, allein von 2005 auf 2006 um
mehr als 20 Prozent. Andererseits – das finde ich hoch-
interessant – gibt es eine ganze Reihe von offiziellen Äu-
ßerungen, auch von der Bundesregierung, in denen – ich
sage es einmal mit meinen Worten – die miserable Qua-
lität von vielen Leiharbeiten und Leiharbeitsverhältnis-
sen anhand von eigenen Untersuchungen bestätigt wird.
Beispielsweise steht im „Bericht der Bundesregierung
über den Stand von Sicherheit und Gesundheit bei der
Arbeit … im Jahre 2005“:

Die Zeitarbeit ist in weiten Bereichen gekennzeich-
net durch schlechte Arbeitsbedingungen, gering
qualifizierte Tätigkeiten, fehlende Partizipation und
im Durchschnitt schlechte Entlohnung …

Im Zehnten Bericht der Bundesregierung über Erfahrun-
gen bei der Anwendung des AÜG heißt es:

Besonders bei Großbetrieben sind Tendenzen er-
kennbar, Stammpersonal durch Leiharbeitnehmer
zu substituieren. Zum Teil werden Mitarbeiter ent-
lassen, um sie über hauseigene Verleihfirmen zu-
meist zu ungünstigeren Tarifbedingungen in den al-
ten Betrieb zurück zu entleihen.

Ich habe in den letzten Tagen und auch heute eine
Reihe von Gesprächen geführt mit Betriebsräten sowohl
von Leiharbeitsunternehmen als auch von Unternehmen,
die solche Praktiken, Leiharbeit zum Lohndumping zu
benutzen, einsetzen. Die Meinung der Betriebsräte ist
einhellig: Hier ist dringender gesetzlicher Handlungsbe-
darf vorhanden.


(Beifall bei der LINKEN)


Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir das Prinzip
„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ wieder einführen.
Mit den Hartz-Gesetzen ist dieses Prinzip in einem ganz
zentralen Bereich durchlöchert worden, und zwar mit
den Ausnahmeregelungen, die 2005 eingeführt wurden.
Wir wollen mit unserem Gesetzentwurf erreichen, dass
diese Ausnahmeregelungen zurückgenommen werden
und das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ wie-
der für alle gilt.


(Beifall bei der LINKEN)


Die unmittelbaren Vorteile der gleichen Entlohnung
von Leiharbeit liegen auf der Hand: Eine Regelung wie
die, die wir vor 2005 im Prinzip hatten und die wir mit
unserem Gesetzentwurf im Interesse sowohl der Leih-
arbeitsunternehmen als auch der Entleiher, vor allen
Dingen aber der Betroffenen wieder einführen wollen,
begrenzt Lohndumping und schützt reguläre Beschäfti-
gungsverhältnisse.


(Beifall bei der LINKEN)


Beim Thema „Lohndumping“ und „reguläre Beschäf-
tigungsverhältnisse“ will ich noch auf einen Punkt hin-
weisen, der gleichzeitig mit weiteren Initiativen geregelt
werden muss: Offensichtlich nimmt das Bestreben zu,






(A) (C)



(B) (D)


Werner Dreibus
dass Unternehmen eigene AÜG-Gesellschaften gründen
mit dem ausschließlichen Ziel, sichere Arbeitsplätze
– Stammarbeitsplätze – abzubauen und Lohndumping
zu betreiben. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf
einen Artikel im „Betriebs-Berater“ vom November
2004, in dem zwei Rechtsanwälte unter der Überschrift

Absenkung des Tarifniveaus durch die Gründung
von AÜG-Gesellschaften als alternative oder flan-
kierende Maßnahme zum Personalabbau

auf der Basis der Rechtsregelungen, die 2005 eingeführt
worden sind, einen ganzen Katalog von Maßnahmen
entfalten, wie man unmittelbar Lohndumping betreiben
kann.

Mit diesen Regelungen, mit diesen Möglichkeiten des
Unterlaufens muss Schluss gemacht werden. Deshalb
bitten wir darum, in den Ausschüssen und in der zweiten
und dritten Lesung für unseren Gesetzentwurf zu stim-
men.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609720000

Nächster Redner ist der Kollege Paul Lehrieder für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1609720100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Lieber Herr Dreibus, seit eineinhalb
Jahren kennen wir uns hier in diesem Hohen Hause. Seit
eineinhalb Jahren warte ich auf eine vernünftige Rede
von Ihnen. Seit eineinhalb Jahren werde ich enttäuscht.


(Werner Dreibus [DIE LINKE]: Oh!)


Auch heute wieder, lieber Herr Dreibus, würde ich,
wenn ich Lehrer in einer Schule wäre, sagen: Sechs,
Thema verfehlt, setzen!


(Werner Dreibus [DIE LINKE]: Was für ein Glück, dass Sie kein Lehrer geworden sind!)


– Ja, das ist aber wahr.

Liebe Freunde von der Linksfraktion, mit Ihrem An-
trag geben Sie den sozial Schwachen, den Arbeitslosen
und den Geringqualifizierten abermals Steine statt Brot.
Sie streuen ihnen Sand in die Augen. Sie wollen ver-
meintliche Wohltaten verkünden, die sich gerade eben
nicht als solche entpuppen.

Auch, wenn Sie es sich noch so wünschen, dass die
beiden Ausnahmen in § 3 und § 9 des Arbeitnehmer-
überlassungsgesetzes abgeschafft werden: Sie sind vor
wenigen Jahren bewusst und mit Intention eingeführt
worden. Eine Abschaffung dieser beiden Regelungen
würde zunächst bedingen, dass sie entbehrlich sind. Dies
sind sie gerade nicht. Sie hatten und haben ihre Berechti-
gung.

Zunächst zur Sechswochenfrist. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 3
des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in derzeit gülti-
ger Fassung ist vorgesehen, dass sich der Verleiher und
der Leiharbeitnehmer – der vorher arbeitslose Arbeitneh-
mer; das möchte ich ausdrücklich betonen – einmalig für
insgesamt sechs Wochen der Überlassung darauf einigen
können, dass der Leiharbeitnehmer lediglich ein Nettoar-
beitsgeld in Höhe des zuletzt bezogenen Arbeitslosengel-
des erhält. Damit soll dem Verleihunternehmen ein An-
reiz gegeben werden, vormals Arbeitslose einzustellen.
Zugleich soll die Bereitschaft der Arbeitgeber erhöht
werden, ein Arbeitsverhältnis mit einem ursprünglich ar-
beitslosen Arbeitnehmer zu versuchen. Es geht darum,
dass die Leute – insbesondere die Langzeitarbeitslosen –
überhaupt erst einmal wieder einen Arbeitsplatz bekom-
men.

Ab dem ersten Tag der gleiche Lohn: Das klingt na-
türlich erst einmal gut, Herr Dreibus. Sie müssen aber
bedenken, dass es sich hier um eine Arbeitsförderungs-
maßnahme handelt. Diejenigen, die hier vermittelt wer-
den, sind zudem zu einem großen Anteil Hilfskräfte und
Geringqualifizierte.

Wozu würde Ihr Vorschlag führen? Geringqualifi-
zierte und Langzeitarbeitslose hätten künftig nicht mehr
die Chance, über diese Arbeitnehmerüberlassung einen
festen Job zu bekommen. Sie verkennen in Ihrem Ge-
setzentwurf auch, dass jährlich etwa 30 Prozent aller
Mitarbeiter in Leiharbeitsfirmen – das sind etwa 200 000
Mitarbeiter – aus einem Zeitarbeitsvertrag heraus in ein
festes Arbeitsverhältnis übernommen werden.


(Werner Dreibus [DIE LINKE]: Das ist ein ganz anderes Thema!)


Das verschweigen Sie den Leuten. Sie sollten das ehrli-
cherweise auch sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie haben hier gerade an diesem Pult gesagt, die Leih-
arbeitnehmer würden weniger als Festangestellte verdie-
nen. Das ist für die ersten sechs Wochen durchaus mög-
lich und zumutbar. Allerdings muss man auch die
Chancen der Leiharbeitnehmer auf einen Übergang in
ein festes Arbeitsverhältnis sehen. Dafür ist diese Ar-
beitsvermittlungsmaßnahme durchaus sinnvoll.

Herr Dreibus, Sie selbst haben gerade die beiden
Rechtsanwälte mit ihrem Artikel aus dem „Betriebs-Be-
rater“ zitiert, in dem sie gesagt haben: Die rechtlich zu-
lässige Gestaltung des Arbeitnehmerüberlassungsgeset-
zes ist als Alternative zum Personalabbau auch in
Erwägung zu ziehen. – Wollen Sie denn lieber Gekün-
digte und Arbeitslose haben, oder wollen Sie die Mög-
lichkeit, dass jemand über diese Regelung in ein Zeitar-
beitsverhältnis und über dieses Zeitarbeitsverhältnis in
ein festes Arbeitsverhältnis kommen kann?


(Beifall bei der CDU/CSU – Werner Dreibus [DIE LINKE]: Für die Hälfte des Geldes!)


– Für sechs Wochen.


(Werner Dreibus [DIE LINKE]: Unbefristet!)


Zur anderen Alternative komme ich gleich. Ich komme
gleich zu den Tarifverträgen. Gedulden Sie sich, Herr
Dreibus! Wir kommen schon noch dazu.






(A) (C)



(B) (D)


Paul Lehrieder
Geringqualifizierte würden kaum mehr in die Zeitar-
beit vermittelt werden, sondern nur noch die Hochquali-
fizierten und die Facharbeitskräfte. Viele andere fielen
aus dem Markt heraus. Ihre Forderung würde zu
Hartz IV statt einer Festanstellung führen. Das wäre in
vielen Fällen die Folge, die Sie mit der von Ihnen ge-
wollten Änderung erreichen würden. Das kann nicht Ihr
Ernst sein, lieber Herr Dreibus. Ich habe Ihre polemi-
schen Reden hier zumindest immer so verstanden, dass
Sie sich gerade für die gesellschaftlich Schwachen ein-
setzen wollen. Das tun Sie mit diesem heute eingebrach-
ten Gesetzentwurf gerade nicht.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der Linken: Doch, das tun wir!)


Sie fordern, vom ersten Tag an Equal Pay anzuwen-
den. Das ist in vielen Fällen schlicht unpraktikabel. Wie
soll zum Beispiel jemand bezahlt werden, der im ersten
Monat an die Firma A, im zweiten Monat an die Firma B
und anschließend vielleicht noch an die Firma C entlie-
hen wird, in denen unter Umständen ganz unterschiedli-
che Lohnstrukturen existieren? Auch dazu geben Sie in
Ihrem Antrag keine Aufklärung.

Zum Tarifvorbehalt. Diesbezüglich wollen Sie § 9 des
Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes ändern. Hiernach kön-
nen in einem Tarifvertrag vom Gleichbehandlungsgrund-
satz abweichende Regelungen grundsätzlich zugelassen
werden. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages
können auch nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Ar-
beitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelung in-
dividualrechtlich vereinbaren.

Sehr geehrte Kollegen von der Linkspartei – ich ver-
misse übrigens den Kollegen Lafontaine und auch etli-
che von Ihren Gewerkschaftern; sie werden schon wis-
sen, warum sie nicht anwesend sind –, mit diesem
Gesetzentwurf zeigen Sie Ihren Frust bzw. Ihr fehlendes
Vertrauen in die Gewerkschaften, sich nach unseren ta-
rifrechtlichen Bestimmungen auf einen Tarif einigen zu
können. Sie meinen, die Tarifvertragsparteien können
das nicht mehr, die Gewerkschaften seien ohnmächtig.
Mit diesem Vorschlag attestieren Sie ihnen die Ohn-
macht. Deshalb muss der Bundesgesetzgeber jetzt alle
Regelungen, die früher die Tarifvertragsparteien ausge-
handelt haben, schaffen. Das zeigt Ihr Verständnis der
Gewerkschaften. Ich nehme das erstaunt zur Kenntnis,
weil viele aus Ihrer Partei – ich glaube, es sind 50 Pro-
zent – aus diesem Bereich kommen.

Die pauschale Unterstellung, dass die Tariföffnungs-
klausel im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz von den Ar-
beitgebern zum Lohndumping missbraucht wird, ent-
behrt jeder Grundlage.


(Werner Dreibus [DIE LINKE]: Das steht in dem Bericht der Bundesregierung!)


Entsprechend schwammig ist in Ihrer Vorlage auch nur
von praktischen Erfahrungen die Rede, ohne dass dem
irgendwelche konkreten Zahlen und Fakten zugrunde
gelegt werden.

(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Es gibt eine ganze Reihe von Untersuchungen, Herr Lehrieder!)


– Melden Sie sich zu einer Zwischenfrage, oder beantra-
gen Sie Redezeit, Frau Pothmer!

Mit Blick auf die Tarifabschlüsse der drei großen Ver-
bände der Zeitarbeit wird schnell klar, dass diese Unter-
stellung unhaltbar ist. Wenn Ungelernte und Geringqua-
lifizierte im Westen an die 7 Euro Stundenlohn und im
Osten an die 6 Euro pro Stunde erhalten, kann eine sol-
che Bezahlung wohl kaum als Lohndumping bezeichnet
werden, erst recht nicht, wenn man die Bezahlung von
anderen Berufsgruppen mit abgeschlossener Ausbildung
berücksichtigt, die in einigen Branchen bei bestehenden
Tarifverträgen, an denen die Gewerkschafter in Ihren
Reihen zum Teil mitgewirkt haben, zwischen 4 und
5 Euro liegt.

Dagegen sprechen auch Statistiken der Bundesagen-
tur für Arbeit über die Zeitarbeitsbranche. Als aufsicht-
führende Behörde fragt die Bundesagentur für Arbeit
halbjährlich bei den Zeitarbeitsunternehmern die Zahlen
über die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ab. Diese Zah-
len belegen, dass Zeitarbeit auch für Höherqualifizierte
immer mehr zu einer Alternative wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das wäre wohl kaum der Fall, wenn in dieser Branche
Dumpinglöhne bezahlt würden.

Sie tun sich mit der Zeitarbeitsbranche etwas schwer,
weil es ein neues Instrument ist, Herr Dreibus. Aber mir
ist jemand in Zeitarbeit lieber als ein Hartz-IV-Empfän-
ger oder ein ALG I beziehender Mitbürger.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Richtig! Sehr gut!)


Der Tarifvorbehalt soll Fehlentwicklungen vorbeu-
gen. Auch das sollten Sie anerkennen, Herr Dreibus. So
wurde gegen das Diskriminierungsverbot bei der Leih-
arbeit immer wieder vorgebracht, dass ein positiver
Beschäftigungseffekt nicht zu erwarten sei – ich habe
eingangs darauf hingewiesen, dass 70 Prozent der Leih-
arbeitnehmer in ein festes Arbeitsverhältnis überführt
werden –; denn durch die Pflicht zur Gleichbehandlung
verteuere sich die Leiharbeit derart, dass sie für Entleih-
und Verleihunternehmen wirtschaftlich nicht mehr renta-
bel sei. Die Möglichkeit, Personalkosten zu reduzieren,
ist jedoch zentraler Beweggrund, Leiharbeitnehmer im
eigenen Betrieb zu beschäftigen, insbesondere wenn ein
Unternehmen durch einen Nachfrageüberhang kurzfris-
tig mehr Personal braucht und eine Festanstellung aus
diesen Gründen nicht vornehmen will. Darüber hinaus
verursacht die Regelung einen administrativen Mehrauf-
wand, wenn Leiharbeitnehmer zu einer Vielzahl von Ar-
beitseinsätzen in verschiedenen Betrieben überlassen
werden.

Diesen Bedenken begegnet die am 1. April 2004 ein-
geführte Neuregelung im Arbeitnehmerüberlassungsge-
setz mit der Möglichkeit des Abschlusses abweichender
Tarifverträge. Die sich hieraus ergebenden Chancen, die
Rahmenbedingungen der Leiharbeit im Spannungsver-






(A) (C)



(B) (D)


Paul Lehrieder
hältnis zwischen Arbeitnehmerschutz und wirtschaftli-
cher Notwendigkeit sozial ausgewogen zu bestimmen,
sind nicht zu unterschätzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dies zeigen die bislang erfolgten Tarifabschlüsse, die
hinsichtlich des Arbeitsentgelts sowohl dem Entleiher
als auch dem Verleiher hinreichenden finanziellen Spiel-
raum und dem Arbeitgeber Flexibilität bei kurzfristigen
Auftragsüberhängen einräumen.

Ich sehe aus diesen Gründen keine Veranlassung, im
Sinne der Linkspartei Änderungen am Arbeitnehmerü-
berlassungsgesetz vorzunehmen.


(Zuruf von der LINKEN: Das ist enttäuschend!)


– Das ist nicht enttäuschend; es war vielmehr zu erwar-
ten. – Sie können sicher sein, dass die Interessen der Ar-
beitnehmer ebenso wie die Interessen der Arbeitslosen in
den Händen der CDU/CSU und der SPD besser aufgeho-
ben sind als bei den Populisten der Linkspartei.


(Lachen bei der LINKEN – Werner Dreibus [DIE LINKE]: Das ist übrigens wirklich überraschend!)


Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609720200

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Heinrich Kolb,

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1609720300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Deutschland erlebt derzeit einen Aufschwung, über den
wir uns freuen, zu dem allerdings die amtierende Bun-
desregierung und die sie tragende Koalition nichts, aber
auch gar nichts beigetragen haben.


(Beifall bei der FDP)


Zu den Branchen, die besonders vom Aufschwung profi-
tieren, gehört auch die Zeitarbeitsbranche. Sie hat sich
geradezu rasant entwickelt und zeichnet sich seit Jahren
durch hohe Wachstumsraten aus. Im Jahr 2006 hat die
Zahl der Leiharbeiter erstmals die Grenze von 500 000
überschritten.

So erfreulich der Aufschwung dieser Branche ist,
Herr Kollege Dreibus, so nötig ist es, auf folgenden Zu-
sammenhang hinzuweisen: Die Zeitarbeitsbranche profi-
tiert in hohem Maße davon, dass wir in Deutschland
einen noch immer viel zu reglementierten Arbeits-
markt haben. Trotz der guten Konjunkturlage trauen
sich die Unternehmen nicht, selbst Beschäftigte einzu-
stellen; denn feste Beschäftigungsverhältnisse bedeuten
relativ starre Kapazitäten. Unternehmen müssen aber im
globalen Wettbewerb oft flexibel reagieren. Sie tun dies
durch die Beschäftigung von Zeitarbeitern. Ich finde die
Einstellung von Zeitarbeitern gut; denn im Ergebnis
werden durch die Zeitarbeit Beschäftigungspotenziale
nutzbar gemacht, die ansonsten ungenutzt blieben. Die
Zeitarbeitsplätze verdrängen nicht, wie von der Fraktion
Die Linke oft angeprangert, reguläre Arbeitsplätze, son-
dern sie gehen diesen regelmäßig voraus.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit dem Boom der Zeitarbeitsbranche ist auch ein Ima-
gewandel einhergegangen. Zeitarbeitsunternehmen wer-
den nicht mehr – wie in der Vergangenheit oft der Fall –
in die Ecke der Schmuddelkinder gestellt oder als Ar-
beitgeber zweiter Klasse angesehen. Dadurch, dass sie
ihren Kunden die notwendige Flexibilität geben, die
diese bei der Personalplanung brauchen, haben Zeit-
arbeitsunternehmen gerade bei einem wirtschaftlichen
Aufschwung die Rolle eines Jobmotors inne, den es auf
Touren zu halten gilt.

Die Bundesregierung sollte die relativ gute konjunk-
turelle Ausgangslage, die wir derzeit haben, nutzen, die
dringend notwendigen Maßnahmen zur weiteren Flexi-
bilisierung des Arbeitsmarktes in Deutschland zu ergrei-
fen.


(Beifall bei der FDP)


Es gibt gute Gründe, im Sektor Zeitarbeit weitere Refor-
men durchzuführen. Gerade für Arbeitslose und Berufs-
einsteiger ist die Zeitarbeit eine sehr gute Möglichkeit,
den Einstieg in eine Beschäftigung zu finden. Zeitarbeit
ist eine Brücke zurück in den ersten Arbeitsmarkt, die
sich für viele Arbeitslose als tragfähig erwiesen hat.


(Beifall bei der FDP)


Ich will zwei Vorschläge zur weiteren Deregulierung
im Bereich der Zeitarbeit machen. Erstens. Zu überlegen
ist, ob das Verbot gewerbsmäßiger Arbeitnehmerüber-
lassung in Betrieben des Baugewerbes für Arbeiten, die
üblicherweise von Arbeitern verrichtet werden, nicht
aufgehoben werden kann. Ich sehe aktuell keinen Grund
mehr, warum Zeitarbeit im Baugewerbe in Deutschland
nicht zugelassen ist bzw. nicht zugelassen sein soll. Die-
ses Verbot ist ein Wettbewerbsnachteil für die Baubran-
che und die Personaldienstleister in Deutschland, denen
damit ein Zugang zu einem wichtigen Kundenmarkt ver-
wehrt wird.


(Beifall bei der FDP)


Zweitens. Weil sich die Zeitarbeitsverhältnisse zu ei-
nem wichtigen und gleichrangigen Bestandteil des Ar-
beitsmarktes entwickelt haben, gibt es nach unserem
Dafürhalten ein besonderes Schutzbedürfnis von Arbeit-
nehmern in der Zeitarbeit gegenüber der Beschäftigung
bei anderen Arbeitgebern nicht mehr.


(Beifall bei der FDP)


Es ist daher zu überprüfen, ob das Arbeitnehmerüberlas-
sungsgesetz mittelfristig nicht ganz abgeschafft werden
sollte.


(Beifall bei der FDP)


Das wäre der richtige Weg der Deregulierung. Fatal wäre
es aus Sicht der FDP-Bundestagsfraktion hingegen, die






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Heinrich L. Kolb
Zeitarbeitsbranche unter das Dach des Arbeitnehmer-
Entsendegesetzes zu ziehen und damit für mehr Regu-
lierung zu sorgen sowie einen Mindestlohn durch die
Hintertür einzuführen. Die Begehbarkeit der Brücke
würde eingeschränkt. Gerade Problemgruppen unter den
Arbeitslosen wären von einer solchen Maßnahme betrof-
fen.

Mit dem Gesetz, über dessen Entwurf wir heute in
erster Lesung beraten, will die Linksfraktion die im Be-
reich der Arbeitnehmerüberlassung vorgesehenen beiden
Ausnahmen von dem sonst geltenden Grundsatz „glei-
cher Lohn für gleiche Arbeit“ aufheben. Die FDP-Frak-
tion hatte schon im Gesetzgebungsverfahren 2001 die
Aufnahme dieses Grundsatzes abgelehnt. Das halte ich
heute noch für richtig, da die Zeitarbeitsunternehmen,
müssten sie ihren Leiharbeitnehmern tatsächlich diesel-
ben Arbeitsbedingungen gewähren, die der Entleiher
vergleichbaren Arbeitnehmern bietet, mit einer erhebli-
chen Verteuerung ihres Angebotes und verschlechterten
Marktchancen konfrontiert wären, von der zusätzlichen
Bürokratie ganz abgesehen. In der Praxis haben die Ver-
leiher das Problem dadurch gelöst, dass sie von der
Tariföffnungsklausel im Gesetz Gebrauch machen und
dass die Tarifparteien in der Zeitarbeitsbranche eigene
Tarifverträge abgeschlossen haben. Die Linksfraktion
bewirkte vor diesem Hintergrund mit ihrem Gesetz im
Ergebnis, dass, würde diese legale Ausweichmöglichkeit
beendet, zwangsläufig zahlreiche Arbeitsplätze in der
Zeitarbeitsbranche verloren gingen. Herr Dreibus, ich
wundere mich, wie es die Fraktion Die Linke in ihren
Vorlagen immer wieder schafft, solche einfachen und
zwingenden Zusammenhänge schlichtweg auszublen-
den.


(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Das ist Dialektik!)


Zum Schluss: Die bisherigen Flexibilisierungen der
Arbeitnehmerüberlassung haben – wie eingangs erwähnt
– einen wichtigen Beitrag zur Schaffung von Arbeits-
plätzen in diesem Bereich geleistet. Statt das Rad zu-
rückzudrehen, wie es die Linksfraktion anstrebt, sollten
wir dort, wo noch Hemmnisse für Beschäftigung beste-
hen, über weitere Liberalisierungen im Arbeitnehmer-
überlassungsgesetz nachdenken. Die Ansatzpunkte dafür
habe ich genannt.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609720400

Nächste Rednerin ist die Kollegin Anette Kramme,

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Frau Kramme, jetzt gibt es die Generalabrechnung!)



Anette Kramme (SPD):
Rede ID: ID1609720500

Ich habe keine gescheiten Vorlagen gefunden. – Sehr

geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Wir haben hier das Wort des Tages der FDP zum
Neoliberalismus gehört. Ich sage ganz klar: Grundsätz-
lich und generell ist gegen Zeitarbeit nichts einzuwen-
den. Zeitarbeit ermöglicht es, Spitzenauslastungen der
Unternehmen abzudecken. Zeitarbeit bietet Unterneh-
men Flexibilität. Immerhin 30 Prozent der Leiharbeit-
nehmer erreichen eine Festeinstellung beim Entleiher.
Ich sage aber genauso klar: Sozialdumping muss ein
Riegel vorgeschoben werden. Wir wollen keine Zeitar-
beit in der Schmuddelecke. Wir wollen, dass Zeitarbeit
zu fairen und zu annehmbaren Bedingungen durchge-
führt wird.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz fest-
geschrieben, dass einem Leiharbeitnehmer für die Zeit
der Überlassung an einen Entleiher die im Betrieb dieses
Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des
Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen
einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren sind. Das
heißt, wenn ein Leiharbeitnehmer in einem Betrieb der
Metall- und Elektroindustrie arbeitet, dann hat er auch
Rechte wie nach dem Metalltarifvertrag, und das ist rich-
tig so. Lediglich ein Tarifvertrag kann abweichende Re-
gelungen zulassen. Das ist dem Grunde nach ebenfalls
richtig. Tarifautonomie ist ein hohes Gut. Das ist Kon-
sens in dieser Gesellschaft.

Wir haben als Gesetzgeber klar zum Ausdruck ge-
bracht, dass wir die Gleichbehandlung der Zeitarbeitneh-
mer mit den Beschäftigten im Entleiherbetrieb wün-
schen. Auf dieser Basis haben alle Gewerkschaften
verhandelt; sie hatten den Gleichbehandlungsgrundsatz
als Unterstützung im Rücken.

Die christlichen Gewerkschaften für Zeitarbeit haben
dann in Nordbayern einen Tarifvertrag abgeschlossen,
der nur ein extrem niedriges Arbeitsentgelt vorsieht. Die
DGB-Gewerkschaften verhandelten zu diesem Zeitpunkt
noch. Sie hatten sich mit den Arbeitgeberverbänden in
einem Eckpunktepapier auf 11 Euro verständigt. Das
Vorgehen der christlichen Gewerkschaften war wirklich
sehr hilfreich! Nach diesem Tarifabschluss machten die
Arbeitgeberverbände iGZ und BZA natürlich nicht mehr
mit. Die christlichen Gewerkschaften haben die Ver-
handlungsposition des DGB kaputt gemacht.

Ich sage ganz klar: Die Tarifpolitik der Tarifgemein-
schaft Christliche Gewerkschaften Zeitarbeit gefällt
uns nicht.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist das mit der Tarifautonomie, Frau Kramme! Das muss nicht Ihnen gefallen, sondern den Beschäftigten!)


Es ist nicht in Ordnung, dass die christlichen Gewerk-
schaften beispielsweise mit Allbecon Personaldienstleis-
tungen einen Stundenlohn um die 5 Euro vereinbaren.
Dasselbe gilt beispielsweise für die AES, die Arbeits
Entlastungs Service GmbH in Düsseldorf. Wir haben
nicht den Eindruck, dass bei Tarifvertragsverhandlungen
durch die christlichen Gewerkschaften jemals Arbeitneh-
merinnen- und Arbeitnehmerinteressen vertreten worden
sind.






(A) (C)



(B) (D)


Anette Kramme

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wie können Sie das sagen?)


Die Tarifgemeinschaft Christliche Gewerkschaften Zeit-
arbeit betreibt Lohndumping, sie macht Gefälligkeits-
tarifverträge. Das ist ein Skandal.


(Beifall bei der SPD)


Ich bedauere sehr, dass das Bundesarbeitsgericht bei der
Christlichen Gewerkschaft Metall von deren Tariffähig-
keit ausgeht.

Die Sprücheklopferei des neu gegründeten Arbeitge-
berverbandes AMP „Wir sind noch billiger“ stellt nur
eine Abwandlung der Geiz-ist-geil-Mentalität dar. Das
hat auf dem Arbeitsmarkt nichts zu suchen.

Lassen Sie uns in der Zeitarbeit zunächst das machen,
was zeitnah möglich ist. Es ist gut, dass sich die DGB-
Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände iGZ und
BZA zusammengesetzt und einen gemeinsamen bundes-
weiten Tarifvertrag mit Mindestbedingungen für die
Zeitarbeit vereinbart haben. Es wird Zeit, dass unser
Koalitionspartner mit uns die entsprechende Änderung
des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes beschließt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aha!)


Meine Damen und Herren der Union, ich befürworte
ausdrücklich, dass auch für die Leiharbeitsbranche die
Möglichkeit geschaffen wird, die Tarifverträge per
Rechtsverordnung – und nicht über das Tarifvertragsge-
setz – für allgemeinverbindlich zu erklären. Es ist fast
unmöglich geworden, außerhalb des Arbeitnehmer-Ent-
sendegesetzes Tarifverträge über den Tarifausschuss,
also über das Tarifvertragsgesetz, für allgemeinverbind-
lich erklärt zu bekommen. Die Arbeitgeberseite geriert
sich in unerträglicher Weise.

Bei dieser Gelegenheit: Die FDP hat als Regierungs-
partei ursprünglich dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz
und dem ihm zugrunde liegenden Gedanken zuge-
stimmt. Sehr vernünftig.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich kann mich noch gut daran erinnern!)


Mir fällt da nur eines ein: Die größten Kritiker der Elche
waren früher selber welche.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dazu könnte ich Ihnen einiges erzählen!)


Mit dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz werden wir
inländische und ausländische Leiharbeitnehmer und
Leiharbeitnehmerinnen vor Lohndumping schützen. Wir
müssen uns auch auf die Zeit einstellen, wenn das
2+3+2-Abkommen abläuft.

Die Gewerkschaften berichten uns von Skandalen in
der Leiharbeitsbranche. Der Deutsche Journalisten-
Verband beispielsweise schreibt uns, dass Medienunter-
nehmen, insbesondere Zeitungsverlage, eigene Leihar-
beitsfirmen als Tochterfirmen gründen. Redakteurinnen
und Redakteure würden seit geraumer Zeit von den Zei-
tungsverlagen generell nur noch befristet eingestellt, und
zwar mit Verträgen mit einem oder nur zwei Jahren
Laufzeit. Nach Ablauf der Frist würden sie vor die Alter-
native gestellt, entweder den Verlag zu verlassen oder
am bisherigen Schreibtisch zu bleiben, allerdings als
Leiharbeitnehmer und selbstverständlich zu deutlich
schlechteren Konditionen. Immerhin für neun Zeitungs-
verlage sind solche Leiharbeitskonstruktionen bekannt
geworden.

Ich kann aber auch ein Beispiel aus meinem Wahl-
kreis nennen. Bayreuth hat ein Klinikum in öffentlich-
rechtlicher Trägerschaft mit ungefähr 2 000 Beschäftig-
ten. Die Geschäftsleitung intendierte zunächst, alle Mit-
arbeiter bis auf die Ärzte und die leitenden Kräfte in eine
Leiharbeitsfirma zu überführen. Ziemlich offen wurde
erklärt, das sei eine Maßnahme zur Reduzierung von
Lohnkosten. Der Betriebsrat hat errechnet, dass eine
Krankenschwester in der Arbeitnehmerüberlassungs-
firma 40 Prozent weniger als nach dem ansonsten anzu-
wendenden TVöD verdient. Die Entscheidung ist dann
aufgrund politischen Drucks anders ausgefallen. Das
Klinikum hat sich entschieden, die befristeten Arbeits-
verhältnisse bei sich auslaufen zu lassen und Neueinstel-
lungen grundsätzlich nur noch über die Leiharbeitsfirma
zu tätigen und hierüber 10 Prozent der Belegschaft abzu-
decken. Die Gewerkschaft geht davon aus, dass in der
Leiharbeitsfirma mittlerweile mehr als 200 Arbeitneh-
mer beschäftigt sind.

Leider gilt auch, dass Firmen zunehmend nicht nur
Tochterunternehmen als Leiharbeitsfirmen einsetzen,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Leider ist die Welt nicht so, wie Frau Kramme sie sich vorstellt! Gott sei Dank wird sie auch nie so sein!)


sondern auch sonstige Leiharbeitsunternehmen zur Um-
gehung des eigenen Tarifvertrages einschalten. Da wer-
den Stammarbeitskräfte durch Leiharbeitskräfte ersetzt.

In der Zeitarbeitsbranche sind derzeit circa 2 Prozent
der Arbeitnehmer beschäftigt. Bei der Gelegenheit sei
erwähnt, in den Niederlanden sind es circa 4,5 Prozent
und in Großbritannien sogar 4,7 Prozent der Beschäftig-
ten. Im Jahr 2005 griffen circa 2,5 Prozent der deutschen
Betriebe auf Leiharbeit zurück. Im Durchschnitt wurden
in jedem dieser Betriebe circa 6,7 Zeitarbeitnehmer ein-
gesetzt. Wir brauchen dringend empirisches Zahlenma-
terial über die Substitution von Stammarbeitern durch
Leiharbeitnehmer. Wir als SPD beobachten mit äußerster
Aufmerksamkeit diese skandalösen Prozesse, und wir
diskutieren intensiv über die verschiedenen Handlungs-
varianten. Kurt Beck hat sich zur Thematik geäußert.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sagen Sie etwas zu den Vorschlägen der FDP! Machen Sie da mit?)


Meine sehr geehrten Damen und Herren der Linken,
als ich Ihren Gesetzentwurf das erste Mal gelesen habe,
fiel mir spontan ein: Willkommen in der fabelhaften
Welt. Sie formulieren Forderungen und gucken wie ein
Pferd mit Scheuklappen nicht nach rechts oder links. Sie
fordern eine Streichung der Ausnahmeregelungen bei
dem gesetzlich fixierten Grundsatz von Equal Pay und
Equal Treatment. Sie zeichnen sich immer durch eine
Arbeitshaltung aus, die da lautet: Hoppla hopp! Machen
wir doch mal eben etwas! – Es ist Ihnen schlicht egal, ob






(A) (C)



(B) (D)


Anette Kramme
und wie Ihre Regelungen umsetzbar sind. Es ist so wie
früher: Da muss nur einmal schnell der Rat beschließen,
und dann wird der Mehrjahresplan schon von den Kom-
binaten erfüllt werden.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Es ist fast wie bei der Bundesregierung!)


Ich finde bei Ihnen keine Auseinandersetzung mit der
verfassungsrechtlichen Problematik, die in der rechts-
wissenschaftlichen Literatur ziemlich intensiv diskutiert
wird. Ich sage nicht, dass eine solche Regelung verfas-
sungswidrig ist, aber Überlegungen sind schon erforder-
lich. Ich finde bei Ihnen keine Abwägung von Alternati-
ven. Die romanischen Staaten wie Frankreich und
Belgien lassen Leiharbeit beispielsweise nur bei einem
Sachgrund zu, ähnlich unseren Regelungen im Teilzeit-
und Befristungsrecht. Es wird nicht darüber nachge-
dacht, dass die Ablösung von vorhandenen Belegschaf-
ten durch eine gesetzliche Regelung unter Umständen
ausgeschlossen wird.

Wir akzeptieren kein Lohndumping in der Leihar-
beitsbranche.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir brauchen dringend die Ausdehnung des Arbeitneh-
mer-Entsendegesetzes. Wir akzeptieren nicht, dass durch
Leiharbeitsfirmen Tarifflucht begangen wird.

In diesem Sinne herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609720600

Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes erhält die

Kollegin Brigitte Pothmer, Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen, das Wort.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609720700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist

richtig, was hier beschrieben worden ist: Die Leiharbeit
nimmt tatsächlich eine immer größere Bedeutung an.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Und das ist auch gut so!)


1 Million Menschen war im Laufe des Jahres 2006 im
Bereich der Zeitarbeit tätig. 70 Prozent dieser Menschen
waren vorher arbeitslos oder nicht erwerbstätig, Herr
Dreibus. Ein erheblicher Teil von ihnen hat es tatsäch-
lich geschafft, über Leiharbeit eine Festanstellung zu er-
reichen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das könnten noch mehr sein, wenn man auch den Baubereich öffnen würde!)


– Das sind nicht allzu viele; ich gebe Ihnen recht. – Das
ist die eine Seite der Leiharbeit. Sie ist ein Instrument
zur Integration von Menschen in den Arbeitsmarkt. Es
bietet zudem den Unternehmen mehr Flexibilität. Das
wollen wir durchaus. Auf der anderen Seite, Herr
Lehrrieder – –

(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Jawohl, Frau Pothmer! Ich heiße Lehrieder!)


– Herr Lehrieder! Sie kommen für mich immer so als
Lehrer daher. –


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Manche bedürfen der Belehrung!)


Andererseits wird dieses Instrument zur gezielten Ver-
schlechterung der Arbeitsbedingungen genutzt. Das
müssen Sie auch einmal zur Kenntnis nehmen.

Wenn Sie sich konstant weigern, Untersuchungen zu
diesem Thema zu lesen, dann sollten Sie sich nicht hier-
hin stellen und der Bundesregierung unterstellen, dass
sie keine wahrheitsgemäßen Aussagen macht. Das Pro-
blem, dass Leiharbeit zu Lohndumping führt und zur
Verschlechterung von Arbeitsbedingungen genutzt wird,
existiert. Das hat die Bundesregierung in ihrer Antwort
auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion sehr deutlich
festgestellt. Sie werden doch Ihrer eigenen Bundesregie-
rung nicht widersprechen wollen. Das gehört sich nicht,
Herr Lehrieder, jedenfalls nicht in Ihren Reihen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Jawohl, Frau Pothmer, das gehört sich nicht!)


Herr Dreibus, Sie sehen: Ich leugne dieses Problem
nicht. Aber ich finde, dass Sie es sich in Ihrer Vorlage zu
einfach machen. Wenn wir diesem Gesetzentwurf zu-
stimmten, liefen wir Gefahr, dafür zu sorgen, dass die
Leiharbeit die Funktion einer Brücke in den ersten Ar-
beitsmarkt zukünftig nicht mehr ausfüllen könnte. Ich
meine, dass wir darauf nicht verzichten sollen.

Wir wollen doch den Missbrauch bekämpfen. Der
Missbrauch entsteht in erster Linie dadurch, dass die
derzeitigen Leiharbeitsregelungen Lohndumping zulas-
sen.


(Werner Dreibus [DIE LINKE]: So ist es! Deshalb gesetzliche Änderungen!)


– Aber dann lassen Sie uns doch einen anderen Weg ge-
hen. – Frau Kramme hat hier doch auf die unmöglichen
Zustände in der Leiharbeit hingewiesen. Wir könnten
das Lohngefälle dadurch mildern, dass wir die Leih-
arbeit in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufnehmen.
Diese Möglichkeit hat diese Branche inzwischen längst
geschaffen.

Frau Kramme, Sie stellen sich hierhin und weinen
Krokodilstränen.


(Anette Kramme [SPD]: Ich weine nicht! Sehen Sie was? – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Heute kriegt jeder sein Fett weg von Frau Pothmer!)


Sie sagen: Wir wollen diese Situation nicht länger hin-
nehmen. Sie gehen auf die Straße und sammeln Unter-
schriften für Mindestlöhne. Sie haben hier im Hause
eine Mehrheit dafür, Mindestlöhne einzuführen. Wir
würden sehr gerne einen Antrag von Ihnen mittragen,
der fordert, das Arbeitnehmer-Entsendegesetz entspre-
chend zu ändern.






(A) (C)



(B) (D)


Brigitte Pothmer

(Anette Kramme [SPD]: Sie können demnächst mit abstimmen! – Gegenruf des Abg. Werner Dreibus [DIE LINKE]: Wann?)


Tun Sie mir einen Gefallen: Geben Sie mir ein Mal die
Möglichkeit, einer Initiative von Ihnen zuzustimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das wäre schön für mich. Das wäre gut für die Leihar-
beit. Ich glaube, das täte auch der sozialdemokratischen
Seele gut.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Werner Dreibus [DIE LINKE]: Da werden wir lange warten können!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609720800

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/4805 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe unseren Tagesordnungspunkt 11 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Fahrpersonalge-
setzes

– Drucksache 16/4691 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

(15. Ausschuss)


– Drucksache 16/5238 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Patrick Döring

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der FDP vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Parlamentarische Staatssekretär Achim Großmann.

A
Achim Großmann (SPD):
Rede ID: ID1609720900


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
heute zu behandelnde Entwurf eines Dritten Gesetzes
zur Änderung des Fahrpersonalgesetzes soll die Voraus-
setzungen für die Ergänzung der Verordnung der Euro-
päischen Gemeinschaft über die Lenk- und Ruhezeiten
im Straßenverkehr schaffen.

Hierzu ist Folgendes erforderlich: erstens die Ergän-
zung einer Verordnungsermächtigung, zweitens die Re-
gelungen zum Datenschutz im Zusammenhang mit der
Einführung eines digitalen Kontrollgeräts, drittens eine
einjährige Aufbewahrungsfrist für Tachografenscheiben
und Daten über die Lenk- und Ruhezeiten, danach Lö-
schung der Daten und Vernichtung der Scheiben, es sei
denn, sie sind nach den Vorschriften des Arbeitszeitge-
setzes oder der Abgabenordnung weiterhin aufzubewah-
ren, viertens die Bußgeldbewehrung für die Verantwor-
tung der Beförderungskette für Verstöße gegen die Lenk-
und Ruhezeiten, fünftens die Ahndung von im Ausland
begangenen Verstößen und sechstens die Übergangs-
regelung zu den Bußgeldverfahren.

Der vorliegende Gesetzentwurf enthält die entspre-
chenden Regelungen. So wird eine ausdrückliche Er-
mächtigung für Auskünfte aus dem Kontrollgerätkarten-
register an die zuständigen Behörden und Stellen
geschaffen. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass
festgestellt werden kann, ob und wie viele Fahrerkarten
zur Bedienung des digitalen Kontrollgerätes einer Per-
son bereits ausgestellt wurden. Es geht also, obwohl sich
die ersten Sätze meiner Rede sehr bürokratisch anhörten,
um ein zentrales Thema: die Verkehrssicherheit.

Die Anpassung der Fristen zur Aufbewahrung der
Daten aus dem Massespeicher des digitalen Kontrollge-
rätes an die europäische Grundregelung – ein Jahr – be-
deutet eine Eins-zu-eins-Umsetzung. Um dem Unterneh-
mer die Möglichkeit zu geben, diese Daten auch für
andere vom Gesetzgeber im Arbeitszeitgesetz bzw. in
der Abgabenordnung vorgeschriebenen Zwecke zu ver-
wenden, wird ihm nun ermöglicht, die Daten erst dann
zu löschen, wenn er sie für die vorgenannten – rechtli-
chen – Zwecke nicht mehr braucht. Gleiches gilt in Zu-
kunft auch für die aufzubewahrenden Tachografenschei-
ben des mechanischen Kontrollgerätes und deren
Vernichtung.

Der Gesetzentwurf enthält weiterhin eine Bußgeld-
bewehrung der Verantwortung in der Beförderungs-
kette. Die dort Beteiligten müssen die Beförderungszeit-
pläne so vereinbaren, dass für die Fahrer die Einhaltung
der Lenk- und Ruhezeiten möglich ist. Daneben wird in
Ergänzung der Verordnung klargestellt, dass Ordnungs-
widrigkeiten künftig auch dann geahndet werden kön-
nen, wenn sie nicht im Geltungsbereich des Fahrperso-
nalgesetzes begangen wurden.

Letztendlich enthält der Gesetzentwurf eine punktu-
elle Aufhebung der Meistbegünstigungsklausel im
Hinblick auf Verstöße gegen die Lenk- und Ruhezeiten
bis zum 10. April 2007. Bis zu diesem Zeitpunkt waren
die Lenk- und Ruhezeiten in der Verordnung Nr. 3820/85
geregelt, also in einer anderen Verordnung der Europäi-
schen Gemeinschaft. Diese wurde dann am 11. April
2006 ersetzt. Nach § 4 Abs. 3 des Ordnungswidrigkei-
tengesetzes ist bei einer Gesetzesänderung, die zwischen
der Begehung der Handlung und der Entscheidung in
Kraft tritt, zugunsten des Betroffenen das mildere Gesetz
anzuwenden. Danach ist die Ahndung einer Ordnungs-
widrigkeit unzulässig, wenn die Tat in der Zeit zwischen
ihrer Begehung und der gerichtlichen Entscheidung ein-
mal nicht mit einer Geldbuße bedroht war.

Da das geänderte Fahrpersonalgesetz am 11. April
2007 noch nicht in Kraft getreten war, hätten in der Zwi-
schenzeit bis zum Inkrafttreten alle vor dem 10. April
2007 noch nicht geahndeten Verstöße nicht weiterver-






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Achim Großmann
folgt werden können. Dieses Prinzip der Meistbegünsti-
gung hat einfachgesetzlichen Charakter und kann daher,
wie im vorliegenden Fall, durch ein anderes Gesetz
punktuell aufgehoben werden. Es werden dadurch keine
Handlungen rückwirkend unter Strafe gestellt, sondern
es wird lediglich das Prinzip der Meistbegünstigung auf-
gehoben. Dies stellt, auch unter Aspekten des Vertrau-
ensschutzes, keine unzumutbare Beeinträchtigung dar;
denn die Fahrer, die bis zu diesem Zeitpunkt Verstöße
gegen die Lenk- und Ruhezeitenvorschriften begangen
haben, mussten mit einer Bestrafung rechnen.

Der Bundesrat hat am 16. Februar 2007 keine grund-
sätzlichen Einwände gegen den Regierungsentwurf erho-
ben, allerdings manche Änderungen bzw. Ergänzungen
gewünscht. Einige dieser Vorschläge sind annehmbar.
Die Bundesregierung konnte ihnen in ihrer Gegenäuße-
rung zustimmen. Im Ergebnis wird dieses Gesetz einen
Beitrag zur Erhöhung der Verkehrssicherheit und zur
Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Fahrer leisten.

Noch ein Wort zu den Zahlen, die immer wieder ge-
handelt werden, was dem Staat an Einnahmen durch die
leider eingetretene Verzögerung angeblich entgangen ist:
Das Bundesamt für Güterverkehr hat im gesamten
Jahr 2006 11 Millionen Euro an Bußgeldern und Ver-
warnungen vereinnahmt. In diesem Fall geht es um acht
Wochen. Ich weiß also nicht, wie man auf dreistellige
Millionensummen kommt, von denen man in der Presse
immer wieder lesen konnte.

Wir sind mit der Vorlage rechtzeitig im Dezember im
Kabinett gewesen. Aber es hat einer langen Abstimmung
bedurft, weil es eine sehr komplizierte Gesetzgebung
war. Ich hoffe, dass wir jetzt in der Lage sind, das, was
die Europäische Gemeinschaft als Richtlinie beschlossen
hat, mit entsprechenden Bußgeldern zu bewehren. Des-
halb bitte ich um Ihre Zustimmung.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609721000

Der Kollege Patrick Döring für die FDP-Fraktion ist

der nächste Redner in dieser Debatte.


(Beifall bei der FDP)



Patrick Döring (FDP):
Rede ID: ID1609721100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Erste Bemerkung. Am Ende Ihrer Rede, Herr Staatsse-
kretär Großmann, haben Sie darauf hingewiesen, dass
der Gesetzentwurf, nachdem die Frist verstrichen und
die Verordnung in Kraft ist und es ein amtsgerichtliches
Urteil aus Schleswig-Holstein gibt, auf einmal ganz
schnell in der letzten Sitzungswoche im Ausschuss war
und die Bundesregierung sich mehrfach dafür entschul-
digt hat, dass die Ressortabstimmung so furchtbar lange
gedauert hat; aber nun müsste man ja ganz schnell zu
Potte kommen. Natürlich gab es dann ganz schnell Än-
derungsvorschläge aus der Koalition. Mit einem Mal
ging’s.
In Wahrheit war diese Misere, die zu dem Urteil ge-
führt hat, und die nicht mehr gegebene Möglichkeit der
Verfolgung solcher Verstöße gegen Lenk- und Ruhezei-
ten das Produkt – ich sage es einmal vorsichtig – unpro-
fessioneller Regierungsarbeit.


(Beifall bei der FDP)


Damit haben Sie jedenfalls dem Gewerbe, auch wenn
das Ganze vielleicht in einem anderen Haus verschuldet
wurde, keinen Gefallen getan.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Katrin GöringEckardt)


Zweite Bemerkung. Egal, ob die Zahlen, die dort ge-
nannt werden, überzogen sind oder nicht, wahr ist, dass
das Signal fatal ist, dass es gerade die Bundesrepublik
Deutschland in Europa nicht schafft, diese Verordnung
rechtzeitig in deutsches Recht zu überführen, dass ge-
rade wir während unserer Ratspräsidentschaft Schwie-
rigkeiten bekommen, europäische Regelungen für dieses
Gewerbe in Kraft zu setzen. Auch das möge man beden-
ken.


(Beifall bei der FDP)


Zum Inhalt selbst. Ich habe in der Ausschussberatung
für meine Fraktion beim Thema Meistbegünstigungs-
klausel nachgefragt, ob das Ganze hinsichtlich der sei-
nerzeit am OLG Stuttgart entschiedenen Frage, ob man
diese Klausel einfachgesetzlich außer Kraft setzen dürfe,
inzwischen mit dem BMJ abgeklärt ist. Es war übrigens
1998 beim Bundesnaturschutzgesetz unter der Umwelt-
ministerin Dr. Angela Merkel das erste Mal der Fall,
dass die Meistbegünstigungsklausel einfachgesetzlich
außer Kraft gesetzt worden ist. Das hat das OLG Stutt-
gart damals für verfassungskonform gehalten. Seitdem
ist relativ viel Zeit ins Land gegangen. In der heutigen
Ausgabe der „Deutschen Verkehrszeitung“ wird uns auf
einer ganzen Seite von einer Kanzlei für Verkehrsrecht
dargelegt, dass diese Aufhebung wahrscheinlich verfas-
sungswidrig ist.


(Der Redner hält eine Zeitungsseite hoch)


Ich hatte in der Ausschusssitzung darum gebeten, das zu
klären, damit uns das nicht noch einmal passiert. Sie,
Herr Staatssekretär, haben das in Ihrer Rede bestätigt.
„Wir werden sehen“, sage ich einmal. Aber sollte das
passieren, wäre das das zweite Gesetz aus Ihrem Haus
– neben einem großen Gesetzentwurf –, das wahrschein-
lich verfassungswidrig ist. Damit führen Sie die Rang-
liste vermutlich an.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Zu unserem Entschließungsantrag, liebe Kolleginnen
und Kollegen: Wir hätten uns gewünscht – wenn das
ganze Verfahren so gelaufen wäre, wie es hätte laufen
sollen –, als Verkehrspolitiker in der Diskussion klären
zu können, ob die eine oder andere Regelung, die mit der
EU-Verordnung unmittelbar nichts zu tun hat, für das
Gewerbe tatsächlich noch Sinn macht. Da geht es insbe-
sondere um die seit 1971 gültige Regelung für Fahr-
zeuge zwischen 2,8 und 3,5 Tonnen. Wir hören von den






(A) (C)



(B) (D)


Patrick Döring
Handwerkskammern vor Ort – sicher auch in Ihrem Wahl-
kreis –, dass die seit 1971 gültige 50-Kilometer-Rege-
lung, für die wir eine gesetzliche Sonderregelung haben
– das hat nichts mit Europa zu tun –, nicht mehr prakti-
kabel ist.

Deshalb hätten wir mit einer längeren und ruhigeren
Beratung für mittelständische Betriebe das tun können,
was hier in der Kernzeit in Sonntagsreden von anderen
Ministern immer wieder vorgetragen wird, nämlich un-
praktikable und bürokratische Regelungen abzuschaffen
bzw. auf den Prüfstand zu stellen und den Grenzwert zu
übernehmen, der nach der europäischen Verordnung
möglich ist, nämlich die 100-Kilometer-Grenze.

Ich finde es bemerkenswert, dass ein anderer Staats-
sekretär aus Ihrem Hause, der geschätzte Kollege
Kasparick, wenige Tage bevor die europäische Verord-
nung beschlossen wurde, in der Fragestunde des Deut-
schen Bundestages noch sagt: Wahrscheinlich wird eine
Ausweitung der 50-Kilometer-Regelung in Europa nicht
beschlossen. Tatsächlich ist es europarechtlich nun mög-
lich, Fahrten im Umkreis von 100 Kilometern zu erlau-
ben. Diese sind mit Fahrzeugen zwischen 2,8 und
3,5 Tonnen europarechtlich ohnehin möglich.

Wir hätten uns gewünscht, dass der Verkehrsaus-
schuss ein Signal für Bürokratieabbau gegeben und eine
mittelstandsfreundliche Regelung umgesetzt hätte. Dazu
waren Sie in diesem Verfahren nicht bereit. Ich kann das
zwar zum Teil nachvollziehen, glaube aber zugleich,
dass man hier eine Chance hat verstreichen lassen. Des-
halb werden wir dieser Gesetzesänderung nicht zustim-
men, sondern uns enthalten. Wir hoffen, dass wir an an-
derer Stelle Gelegenheit erhalten, die Fehler, die im
jetzigen Gesetzgebungsverfahren entstanden sind, aus-
zubügeln. Ich bin sicher, wir werden damit noch befasst,
wenn das Verfassungsgericht entschieden hat.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609721200

Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege

Wilhelm Josef Sebastian.


Wilhelm Josef Sebastian (CDU):
Rede ID: ID1609721300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Die Europäische Union hat die Lenk- und Ruhezei-
ten in einer Verordnung neu geregelt. Damit hat sie für
alle Mitgliedstaaten verbindlich festgelegt, wie lange
Fahrer am Steuer sitzen dürfen. Mit dem heute zu be-
schließenden Gesetz werden wir die Dinge so regeln,
dass für alle möglichst schnell wieder Rechtssicherheit
gegeben ist.

Durch die neue Verordnung sind eine Reihe von Än-
derungen notwendig. Das Fahrpersonalgesetz müssen
wir deswegen ändern, weil es auf einer alten EU-Verord-
nung basiert, die am 10. April außer Kraft gesetzt wurde.
Darüber hinaus wurden zwei weitere europäische Ver-
ordnungen geändert, auf die es ebenso aufbaut.
Bevor ich zum Inhalt des Fahrpersonalgesetzes
komme, lassen Sie mich etwas zu den neuen Lenk- und
Ruhezeiten sagen. Wozu erlässt die EU jetzt neue
Grenzwerte für Lenk- und Ruhezeiten? Dahinter steht
das Bestreben der EU nach mehr Sicherheit im Straßen-
verkehr. Im Weißbuch Verkehr von 2001 hat sie sich
zum Ziel gesetzt, die Zahl der Verkehrstoten im Straßen-
verkehr zwischen 2001 und 2010 zu halbieren. Von 2001
bis 2005 ging die Zahl der tödlichen Unfälle im Durch-
schnitt um mehr als 17 Prozent zurück. Das ist sicherlich
sehr erfreulich, aber dieser Rückgang ist immer noch zu
gering. Es bleibt für uns alle noch viel zu tun.

Meine Damen und Herren, Lenk- und Ruhezeiten
sind natürlich nicht der alleinige Faktor. Wir lesen im-
mer wieder von großen Unfällen. Es gibt manchmal
auch Fehlverhalten von Menschen: Sei es, dass der
Druck oder die Vorgabe zu groß ist, oder aus welchem
Grunde auch immer. Ich komme darauf aber gleich noch
einmal zurück.

Neben einer ausgefeilten Fahrzeugtechnologie und ei-
ner guten Straßenverkehrsinfrastruktur ist, wie ich eben
sagte, das Verhalten der Menschen entscheidend. Die
neue Lenk- und Ruhezeitverordnung setzt hier an und
wird einen großen Beitrag zu mehr Sicherheit leisten.
Seit dem 11. April gelten diese neuen Lenk- und Ruhe-
zeiten unmittelbar auch für Deutschland.

Im Wesentlichen beinhaltet der Gesetzentwurf fol-
gende Punkte: Die Verordnungsermächtigung wird er-
gänzt; der Datenschutz wird im Zusammenhang mit der
Einführung des digitalen Kontrollgerätes verbessert; die
einjährige Aufbewahrungsfrist für Tachografenscheiben
und Daten über die Lenk- und Ruhezeiten wird neu gere-
gelt; die Bußgeldbewehrung für Verstöße gegen die
Lenk- und Ruhezeiten in der Beförderungskette wird
ausgedehnt – das ist ein sehr wichtiger Punkt –; die Ahn-
dung von im Ausland begangenen Verstößen wird er-
leichtert.

Im Detail bedeutet dies, dass der Verweis auf die alte
Verordnung aus dem Fahrpersonalgesetz durch den Ver-
weis auf die nun aktuelle Lenk- und Ruhezeitverordnung
ersetzt wird. So wird die Verordnungsermächtigung er-
gänzt und die Ahndung von Verstößen gegen die Lenk-
und Ruhezeiten erst legitim.

Für einen verbesserten Datenschutz werden die von
der Kontrollbehörde abgerufenen Daten gleich nach der
Überprüfung der Fahrerkarten gelöscht. Außerdem wird
sichergestellt, dass die Daten nur zu Kontrollzwecken
abgerufen werden dürfen.

Die Aufbewahrungsfristen werden neu geregelt, und
zwar folgendermaßen: Ein Unternehmer hat die von der
Fahrerkarte und den Massenspeichern kopierten Daten
und die Schaublätter im Regelfall ein Jahr lang aufzube-
wahren, es sei denn, sie sind nach Vorschriften des Ar-
beitszeitgesetzes oder der Abgabenordnung länger auf-
zubewahren. Danach sind die Daten unverzüglich zu
löschen bzw. die Schaublätter unverzüglich zu vernich-
ten.

„Unverzüglich“ ist – das hat sich in den Beratungen
herausgestellt und ist im Ausschuss fraktionsübergrei-






(A) (C)



(B) (D)


Wilhelm Josef Sebastian
fend als richtig angesehen worden – realitätsfremd. Es
würde bedeuten, dass der Unternehmer ständig den ge-
nauen Zeitpunkt überwachen müsste, zu dem die Jahres-
frist abläuft, um dann die Daten zu löschen und die
Schaublätter zu vernichten. Dies kann man nicht verlan-
gen, weil es viel zu bürokratisch und aufwendig wäre.
Deswegen schlagen wir in unserem Änderungsantrag
vor, dass dieser Vorgang bis zu einem gewissen Stichtag
im Jahr erledigt sein muss. Dies soll der 31. März des
Kalenderjahres sein, das auf das Kalenderjahr folgt, in
dem die Aufbewahrungsfrist endet.

Nebenbei bemerkt bietet die Umstellung auf das digi-
tale Kontrollgerät auch für das Transportunternehmen
viele Vorteile. Zusammen mit entsprechenden Soft-
warelösungen lassen sich die Lenk- und Ruhezeiten auch
für betriebliche Dinge durchaus sinnvoll nutzen. Bewe-
gungsprofile, Geschwindigkeiten und Bremsverhalten
lassen sich auch in anderen Unternehmensbereichen ein-
setzen, bis hin zur Lohnbuchhaltung. Nicht zuletzt warnt
die Elektronik schon die Disponenten, die eine Fahrt pla-
nen, vor Überschreitung der Lenkzeiten.

Ich habe schon eben angesprochen, dass mancher
Fahrer durch Vorgaben unter Druck gerät, weshalb er die
eine oder andere Pause auslässt. Deshalb ist auch gere-
gelt, dass die Haftung zukünftig auf die gesamte Kette
ausgedehnt wird. Fahrer, Verlader, Speditionen, Subun-
ternehmer und Fahrervermittlungsagenturen werden für
Verstöße gegen die Lenk- und Ruhezeitenverordnung in
die Pflicht genommen, also nicht nur das letzte Glied in
der Kette, der Fahrer.

Zudem können die Kontrollbehörden ab Inkrafttreten
dieses Gesetzes auch alle im Ausland begangenen Ver-
stöße ahnden. Bisher konnte das Bundesamt für Güter-
verkehr nur ermitteln, wenn ihm entsprechende Hin-
weise aus dem Ausland zugingen. Die Neuregelung ist
bei dem mittlerweile zum Alltag gehörenden grenzüber-
schreitenden Güterkraftverkehr längst überfällig. Je-
doch kann sie empfindliche Mehrkosten nach sich zie-
hen. Was bei uns 100 Euro kostet, kann woanders ein
Vielfaches kosten.

Bei der Beratung des Gesetzentwurfs haben wir fest-
gestellt, dass dieser in einem weiteren wichtigen Punkt
ergänzungsbedürftig war. Zusammen mit dem Ministe-
rium haben wir Abhilfe geschaffen, indem wir eine trag-
bare Übergangsregelung für die vor dem 11. April be-
gangenen, aber noch schwebenden Bußgeldverfahren
geschaffen haben. Der Kollege Döring sprach eben an,
ob das Gesetz verfassungskonform sei. – Nach meinem
Kenntnisstand ist es übrigens ein Urteil des OLG Stutt-
gart gewesen, das bezüglich der Umweltfragen geurteilt
hat. – Wir sind davon überzeugt, dass ansonsten eine
nicht hinnehmbare Besserstellung der Fahrer die Folge
gewesen wäre. Wir mussten davon ausgehen, dass nach
dem Prinzip der Meistbegünstigung aufgrund der weg-
fallenden Verordnungen sämtliche nicht rechtskräftig ab-
geschlossenen Verfahren nicht mehr hätten geahndet
werden können. Dies wären alle Verfahren, die vor dem
10. April zwar eingeleitet wurden, aber noch nicht abge-
schlossen sind.
Die in den Medien dargestellte Summe der ausfallen-
den Bußgelder erscheint mir zu hoch. Auch Staatssekre-
tär Großmann hat das schon angesprochen. Er hat auch
dargelegt, in welchem Zeitabschnitt welche Einnahmen
zu verbuchen sind. Aber ob die Staatskasse unbedingt
darunter leidet, wenn es einmal eine straffreie Zeit gibt,
ist an anderer Stelle zu beurteilen.

Ich will zum Schluss noch auf etwas aufmerksam ma-
chen, das nach meinem Ermessen von uns nicht außer
Acht gelassen werden kann. Wir verlangen verlängerte
Ruhezeiten, damit die Sicherheit erhöht wird, aber oft-
mals haben die Fahrer große Schwierigkeiten, an unse-
ren Autobahnen entsprechende Parkplätze zu finden,
um die Ruhezeiten einzuhalten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir als Gesetzgeber können über diese Schwierigkeiten
nicht einfach hinwegsehen. Wir sind aufgefordert, Vor-
sorge zu treffen, damit es zu Verbesserungen kommt, so-
dass die geforderten Ruhezeiten auch eingehalten wer-
den können.

Zum Schluss will ich ein Zitat aus einer Veröffentli-
chung in einer Verkehrszeitung aufgreifen. Ich zitiere:

Am 11. April haben Unternehmen die Reise in ein
neues Zeitalter angetreten. Seitdem gelten in der
Europäischen Union neue Lenk- und Ruhezeiten.
Die Fahrt führt allerdings ins Ungewisse.

Mit der heutigen Beschlussfassung hat das ein Ende.
Durch die Zustimmung des Bundesrats in wenigen Wo-
chen ist diese Fahrt ins Ungewisse beendet.

Vielen Dank


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das glaube ich nicht!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609721400

Es spricht jetzt die Kollegin Dorothée Menzner für

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dorothee Menzner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609721500

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Liebe Zuhörer! Die neuen Regelungen zum Fahr-
personalgesetz dienen der weiteren Humanisierung des
Arbeitsplatzes hinter dem Lenkrad. Nur ausgeruhte und
fitte Fahrer sorgen für mehr Sicherheit auf unseren Stra-
ßen.

Verbesserungen sind zum Beispiel die Erhöhung der
Ruhezeiten sowie die Pflicht zu einer Pause von min-
destens 45 Stunden alle 14 Tage. Jeder wird einsehen,
dass Verstöße gegen diese Vorschriften mit Bußgeldern
geahndet werden müssen. Dies betrifft Unternehmen,
Reiseveranstalter und Disponenten. Doch auch der Fah-
rer ist und bleibt in der Verantwortung, die vorgesehenen
Lenk- und Ruhezeiten einzuhalten.

Trotzdem ist Kritik angebracht. Nach dem Gesetzent-
wurf, der jetzt vorliegt, darf die tägliche Lenkzeit zwei-






(A) (C)



(B) (D)


Dorothée Menzner
mal in der Woche auf zehn Stunden angehoben werden.
Die Begründung dafür ist, dass kein Wettbewerbsnach-
teil gegenüber ausländischen Fuhrunternehmen entste-
hen dürfe. Eine generelle Begrenzung der täglichen
Lenkzeit auf acht – als Ausnahme höchstens neun Stun-
den, wie ursprünglich geplant – wäre durchaus sinnvol-
ler gewesen.

Wie kann es aber sein – das wurde schon angespro-
chen –, dass eine neue EU-Regelung in Kraft tritt, es
aber vom Bundesverkehrsministerium versäumt wird,
das Bundesrecht rechtzeitig anzupassen, sodass Ver-
stöße gegen das Fahrpersonalgesetz nicht weiter geahn-
det werden konnten? Inzwischen werden Lkw-Fahrer
vom Vorwurf der Überschreitung der Lenkzeiten freige-
sprochen, weil es an einer gesetzlichen Grundlage fehlt.
Ich verweise nur auf das Urteil des Amtsgerichts Itze-
hoe.

Deshalb darf ich hier die Fraktionen der Koalition,
vor allem den verehrten Kollegen Dirk Fischer, dafür lo-
ben, dass sie schnell nachgebessert haben. Dies war nö-
tig, um diese Verstöße wieder ahnden zu können.


(Lachen bei der CDU/CSU und der SPD – Zuruf von der FDP: Neue Verbündete!)


Wir müssen einmal beleuchten, was der Grund dafür
ist, dass auf einmal ein rechtsfreier Raum entstand. Hat
das vielleicht etwas damit zu tun, dass wir uns langsam
daran gewöhnen, dass Änderungsanträge und Vorlagen
den Fachpolitikern häufig erst am Abend vor den Aus-
schusssitzungen zugeleitet werden und damit eine
gründliche Analyse nicht mehr möglich ist? Diese Art
und Weise, Abgeordnete zu unterrichten und eine De-
batte zu organisieren, hatte durchaus ernste Folgen. Die
weicheren alten Vorschriften des Fahrpersonalgesetzes
gelten ein halbes Jahr länger. Bescheide sind anfechtbar,
nur weil im Ministerium geschlafen wurde. Einige Mil-
lionen Euro – über die Höhe mag ich mich gar nicht
streiten – an Verlusten von Einnahmen sind dem Fiskus
dabei entstanden.

Das ist keine solide Regierungsarbeit. Wenn mein
Sohn – er geht in die dritte Klasse – Hausaufgaben
schlampig anfertigt, dann gibt es einen sogenannten
Hausaufgabenstrich und ich als Mutter bekomme eine
Mitteilung.


(Zuruf von der FDP: Kriegt er das?)


Was das Ministerium hier abgeliefert hat, ist schlampig
und, um im Bild zu bleiben, einen Hausaufgabenstrich
wert. Ich finde, der Wähler sollte das wissen.

Es liegt – darauf möchte ich noch kurz eingehen – ein
Änderungsantrag der FDP vor, der Lkw unter 3,5 Tonnen
von der Fahrtschreiberpflicht ausnehmen will. Damit
würden Tür und Tor geöffnet, dass im Güterverkehr bei
kleinen Lastern jegliche Dokumentationspflicht entfällt.
Unter dem Deckmantel der Entbürokratisierung wollen
die Liberalen Gesetzesverstöße legalisieren


(Zuruf von der SPD: So ist es!)


und ermöglichen, dass der ohnehin sehr wenig ge-
schützte Fahrer unter Druck gesetzt wird, die Lenkzeiten
zu überschreiten. Der geringe Schutz der Fahrer soll also
weiter minimiert werden. Das ist in unseren Augen
Steinzeitliberalismus. Den FDP-Antrag lehnen wir des-
wegen allemal ab.


(Zuruf von der FDP: Überraschend!)


Ich danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609721600

Es spricht jetzt Toni Hofreiter für Bündnis 90/Die

Grünen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wenn wir ehrlich sein wollen, müssen wir zu-
geben, dass die wichtigsten Punkte in diesem Bereich
nicht in dem vorliegenden Gesetz, sondern in der entspre-
chenden EU-Verordnung geregelt werden. Letztendlich
steht das, worauf es ankommt, in der EU-Verordnung.
Was müssen wir letztendlich umsetzen? Wir müssen um-
setzen, dass die EU-Verordnung vor Ort durchgesetzt
wird, das heißt, dass die Polizei kontrollieren kann, Buß-
gelder verhängen kann usw.

Man muss sagen, dass es eigentlich nicht kompliziert
war, diese Verordnung umzusetzen. Komischerweise ist
es dieser ach so Großen Koalition nicht einmal gelun-
gen, eine relativ einfache EU-Verordnung fristgerecht in
nationales Recht umzusetzen. Da fragt man sich natür-
lich: Was würde diese Große Koalition machen, wenn es
um komplizierte und komplexe Sachen geht? Man weiß
es, man befürchtet es: Es würde noch mehr schiefgehen.
Das ist das eigentlich Tragische an dieser Geschichte,
nicht dass Sie wieder einmal einen Monat vertrödelt ha-
ben. Das kann man ja verstehen; so etwas passiert in Mi-
nisterien. Das Schlimme ist aber: Sie trödeln sogar bei
simpelsten Sachen. Das ist es, was hier anzuprangern ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)


Wir freuen uns darüber, dass die Aufbewahrungsfris-
ten jetzt unbürokratischer geregelt worden sind. Wir hat-
ten diesbezüglich einen Änderungsantrag eingebracht,
der von den beiden Koalitionsfraktionen dankenswerter-
weise flott übernommen wurde. Es ist schön, dass zumin-
dest die Fraktionen noch lernfähig sind; beim Ministe-
rium haben wir da aufgrund der Erfahrungen aus anderen
Gesetzgebungsverfahren unsere Zweifel.

Letztendlich muss man sagen: Die EU-Verordnung ist
ein Fortschritt. Es ist gut, dass das Gesetz jetzt umge-
setzt wird. Dem Änderungsantrag der FDP können wir
wirklich nicht zustimmen, auch wenn wir der FDP im
Verkehrsbereich manchmal wohlgesonnen sind –


(Zuruf von der SPD: Oh!)


allerdings eher, wenn es um die Bahn geht. Das, was die
FDP hier vorlegt, ist die übliche Klientelpolitik. So ken-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Anton Hofreiter
nen wir die FDP; sie ist eine nette Lobbyistenpartei. Wir
sind in diesem Fall aber nett und enthalten uns einfach,
weil wir euch in anderen Fällen ab und zu mal brauchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich ziehe das Resümee: Dieses Gesetz ist ein Beitrag
zu mehr Verkehrssicherheit. Die Hauptarbeit hat aller-
dings die EU geleistet. Immerhin, mit einem guten Mo-
nat Verzögerung hat unser Ministerium die Umsetzung
geschafft. Darüber freuen wir uns einfach.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609721700

Als Nächste hat die Kollegin Rita Schwarzelühr-

Sutter für die SPD das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Rede ID: ID1609721800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe ge-
dacht, jetzt freuen sich einige, dass wir die Bußgeldver-
ordnung endlich auf den Weg bringen und vor allem,
dass wir dabei die ganze Kette in die Pflicht nehmen.
Wenn ein Auftrag erteilt wird, den die Fahrer nur unter
Missachtung der Lenk- und Ruhezeiten erfüllen könn-
ten, so sind jetzt auch die Spediteure, die Reiseveranstal-
ter und die Fahrvermittlungsagenturen haftbar. Das ist
doch ein wirklicher Fortschritt.

Die Regelarbeitszeit – ich rede jetzt von allen Bran-
chen – beträgt heute acht Stunden am Tag. Das war frü-
her einmal anders. Zu Zeiten der Industrialisierung wa-
ren es im Durchschnitt zwölf Stunden und länger. Es
hatte handfeste wirtschaftliche Gründe, dass man dies
geändert hat: Die Leistungsfähigkeit nimmt ab, wenn
man zu lange arbeiten muss. Die Menschen können sich
nicht mehr regenerieren. Die Qualität der Arbeit ver-
schlechtert sich. Dies führt zu Sicherheitsrisiken. Mit
den Verordnungen zur Verlängerung der Ruhezeiten und
zur Verkürzung der Lenkzeiten wird dies aufgegriffen
und umgesetzt.

Sicherheitsaspekte sind insbesondere dort von Bedeu-
tung, wo Menschen mit Maschinen arbeiten, zum Bei-
spiel im Straßenverkehr, wo durch eine unaufmerksame
Sekunde das Leben Dutzender gefährdet werden kann.
Es muss sichergestellt sein, dass das nicht passiert und
die Fahrer in der Lage sind, sich zu regenerieren und die
geforderte Leistung tatsächlich zu erbringen.


(Beifall bei der SPD)


Sie wissen genau, dass diese Zeiten in dieser Branche,
die einem starken Wettbewerb ausgesetzt ist, oftmals
nicht eingehalten wurden. Dem wollen wir mit der Än-
derung des entsprechenden Gesetzes begegnen.

Einige Busunternehmen haben gegen die EU-Vorla-
gen protestiert. Sie sehen sich in ihrer Wirtschaftlichkeit
bedroht. Sie sagen – damit haben Sie recht –, dass Bus-
fahren bereits heute eine sehr sichere und klimafreundli-
che Art, zu reisen, ist. Aber ich erinnere an die schlim-
men Busunfälle in den Jahren 2002 und 2003. Damals
haben wir uns alle vorgenommen, die Sicherheit zu ver-
bessern. Dazu gehört eine entsprechende Begrenzung
der Lenkzeiten. Ich kann die Sorgen der Unternehmen
zwar nachvollziehen. Aber ich sage auch ganz klar: Si-
cherheit muss oberste Priorität haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die neuen Regelungen zu Lenk- und Ruhezeiten kön-
nen von den Reiseunternehmen auch positiv genutzt
werden. Es gibt einen Anbieter von Studienreisen, der
schon vor Inkrafttreten der EU-Verordnungen diese um-
gesetzt und nur Verträge mit Unternehmen geschlossen
hat, die diese Lenk- und Ruhezeiten auch einhielten. Si-
cherheit kann man auch als Gütesiegel begreifen; mit
ihm kann man auch werben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wenn wir den Gesetzentwurf gleich beschließen,
kann das Änderungsgesetz im Juli in Kraft treten. Ab
dann werden dann tatsächlich Verstöße gegen die neuen
Lenk- und Ruhezeiten geahndet.

Herr Döring, wir haben eine Demokratie. In einer De-
mokratie gibt es parlamentarische Verfahren. In diesem
Fall war es nicht das Ministerium, sondern der Bundes-
rat, der Änderungen gewünscht hat.


(Patrick Döring [FDP]: Darauf nehmt ihr ja sonst auch keine Rücksicht! – Sören Bartol [SPD]: Das war bestimmt Niedersachsen!)


Darüber haben wir diskutiert. Deswegen hat das Verfah-
ren etwas länger gedauert. Ich denke, das sind wir unse-
rer Demokratie schuldig.

Der Gesetzentwurf, über den wir jetzt entscheiden,
findet eine breite Zustimmung; darüber bin ich froh. We-
niger Zustimmung findet der Antrag der FDP. Auch bei
Handwerkern hat Sicherheit oberste Priorität. Wenn ein
Handwerker mehr als acht Stunden auf einer Baustelle
war und noch drei Stunden hin- und drei Stunden zu-
rückfahren muss, dann gefährdet auch das die Straßensi-
cherheit. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.

Danke.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609721900

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Fahrpersonalgesetzes. Der Ausschuss für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5238, den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/4691
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalition und des Bündnisses 90/Die Grü-






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
nen ohne Gegenstimmen und bei Enthaltung der Fraktion
der FDP und der Linken angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzent-
wurf mit dem gleichen Stimmenergebnis wie vorher an-
genommen.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5281. Wer stimmt
für den Entschließungsantrag? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Damit ist der Entschließungsantrag bei Zu-
stimmung der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der
Koalition und der Linken und bei Enthaltung des
Bündnisses 90/Die Grünen abgelehnt.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 12 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Ute Koczy,
Thilo Hoppe, Marieluise Beck (Bremen), weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN

Rohstoffeinnahmen für nachhaltige Entwick-
lung nutzen

– Drucksachen 16/4054, 16/5273 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Christian Ruck
Gabriele Groneberg
Dr. Karl Addicks
Heike Hänsel
Ute Koczy

Hierzu ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattie-
ren. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so
beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Kollegen Walter Riester für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Walter Riester (SPD):
Rede ID: ID1609722000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich glaube, es gibt in diesem Parlament kaum ein Mit-
glied, das dem Antrag von der Überschrift her gesehen
nicht sofort zustimmen würde. Viele Inhalte haben wir
– Gott sei Dank! – in dieser Legislaturperiode schon be-
schlossen, und viele sind bereits umgesetzt.

Es gibt in dem Antrag ein paar Positionen, denen ich
persönlich besonders zustimme. Das ist zum Beispiel die
auch an mich herangetragene Kritik hinsichtlich der
Koordinierungsstelle für die Umsetzung der OECD-
Leitlinien; das muss ein Thema sein. Nun mögen Sie fra-
gen: Warum kann man dem Ganzen dann nicht zustim-
men?
Es gibt zumindest zwei Punkte, die ich dafür anführen
möchte. Herr Hoppe, Sie haben heute früh hinsichtlich
des Afrikaantrages, wie ich finde, nicht ganz zu Unrecht
kritisiert, dass die historische Belastung, unter der die
jetzigen Regierungen Afrikas zu leiden haben, zu wenig
angeführt ist. Diese Frage wird in diesem Antrag über-
haupt nicht thematisiert. Aber im Antrag steht im Kern
nicht zu Unrecht, dass korrupte Eliten in demokratische
Prozesse eingebunden werden müssen als Voraussetzung
dafür, dass Rohstoffgewinne in nachhaltige Entwicklung
umgesetzt werden.

Im letzten Absatz ist aufgeführt – auch dem stimme
ich zu, aber es trifft das Problem nicht –, dass die Verant-
wortung nicht nur bei den korrupten Machteliten liegt,
sondern auch bei den Abnehmern. Wie die korrupten
Machteliten entstanden sind, müssen wir der Ehrlichkeit
halber aufzeigen. Ich weiß ja, wie man solche Anträge
formuliert und wie die Diskussionen ablaufen. Sie for-
dern von unserer Kanzlerin, dieses Thema beim G-8-
Treffen einzubringen. Mindestens vier große Länder bei
diesem G-8-Treffen haben historisch viel Schuld bei der
Entwicklung Afrikas auf sich genommen. In vielen Be-
reichen ist die Schuld mit großen materiellen Interes-
sen an Rohstoffen verbunden gewesen. Der Prozess hat
nicht nur eine Vergangenheit, sondern auch eine Gegen-
wart. Das macht mich etwas nachdenklich.

Der zweite Punkt. Sie führen die Demokratische Re-
publik Kongo und Angola an. Zur Demokratischen Re-
publik Kongo kann ich wenig sagen, außer dass ich als
junger Mensch erlebt habe, dass der erste Versuch, nach
der Überwindung der Kolonialherrschaft demokratische
Wahlen durchzuführen, damit geendet hat, dass Patrice
Lumumba von gekauften Söldnern europäischer Unter-
nehmen umgebracht wurde. Der zweite Anlauf, demo-
kratische Wahlen durchzuführen, liegt nur wenige Wo-
chen zurück.

Über Angola kann ich ein bisschen mehr sagen. Ich
will Ihnen gerade in Bezug auf die Rohstofffrage schil-
dern, welche Erfahrungen ich gemacht habe und wo ich
mich auch korrigiert habe. Ich bin mit einem ähnlichen
Bild, wie es im Antrag formuliert ist, nach Angola ge-
fahren, also vor dem Hintergrund der Informationen, die
ich hier aus der Presse hatte, und eines mich sehr beein-
druckenden Films mit dem Titel „Reiches Land, armes
Volk – Angola und das Öl“, den ich auf Arte gesehen
habe und in dem genau diese Rohstofffrage angespro-
chen wurde.

Wir kamen in ein Land, das durch 32 Jahre Bürger-
krieg zerstört ist. Die ganze Infrastruktur ist kaputt.
Wir hatten dort ein Gespräch mit dem Außenminister. Er
sagte uns: Wir haben versucht, über eine Geberkonfe-
renz Europa zu bewegen, uns zu helfen, die Infrastruktur
aufzubauen, weil ohne die Entwicklung der Infrastruktur
Armutsminderung überhaupt nicht möglich ist. Unsere
Bitte war umsonst. Wir haben uns jetzt auf Abkommen
mit der chinesischen Regierung eingelassen, die uns in
vielen Punkten nicht gefallen. Die einzige Möglichkeit
für uns war, die kaputte Infrastruktur wieder aufzubauen.

Der nahezu einzige Rohstoff, den sie dafür einsetzen
können, ist Erdöl. Das hat mich dazu gebracht, über






(A) (C)



(B) (D)


Walter Riester
meine Meinung, die ich mir hier vorschnell gebildet
habe, bevor ich die Bedingungen vor Ort kannte, nach-
zudenken.

Ich habe eine zweite Erfahrung gemacht. Jetzt gehe
ich über den Antrag hinaus. Was heißt Nachhaltigkeit?
In den Gesprächen, die wir in Angola geführt haben, ist
uns geschildert worden, dass das Land nie die Chance
hatte – das ist gut nachvollziehbar –, die in den Rohstof-
fen liegenden Werte über Veredelungsprozesse in Wert-
schöpfung umzusetzen. Sie haben immer den Rohstoff
verkauft. Die Wertschöpfung liegt aber, wie wir alle wis-
sen, nicht im Rohstoff, der im Boden liegt, sondern in
der Weiterverarbeitung.

Wenn ich unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit
einen progressiven Ansatz wählen müsste, würde ich sa-
gen: Versuchen wir, wirtschaftliche Unterstützung so zu
gestalten, dass nachhaltige Wirtschaftsprozesse aufge-
baut werden können, dass der Reichtum des Landes zu-
mindest über einige Etappen des Wertschöpfungsprozes-
ses im Land bleibt.

Die Kollegen, die an dieser Reise teilgenommen ha-
ben – ich sehe den Herrn Fischer –, und ich hatten die
Möglichkeit, ein Gespräch mit einer Delegation des Vor-
standes der Commerzbank zu führen, die gleichzeitig in
Angola war. Das war eine sehr beeindruckende Erfah-
rung. Diese Delegation verhandelte mit der Regierung
über einen ungebundenen 1-Milliarde-Euro-Kredit der
Commerzbank, der also nicht über Hermesbürgschaften
abgesichert ist. Auf unsere Frage, wie er wirtschaftlich
abgesichert sei, sagten uns die Herren: Über 20 Jahre
Erdgaslieferungen aus Angola.

Meine Position dazu: Ich bin dafür, dass sich
Deutschland engagiert. Ich bin dafür, diesen Aufbaupro-
zess in Angola zu unterstützen. Wir haben dann aber die
Frage diskutiert: Wie können wir uns mit anderen, nach-
haltigeren Projekten in diesen Prozess einbringen, mit
Projekten, die über das hinausgehen, was von China kri-
tisiert wird? Ein nachhaltiger Ansatz wäre in diesem Zu-
sammenhang die Unterstützung der industriellen Ent-
wicklung und die Förderung der Qualifikation der
Menschen. Diese Punkte fehlen mir in Ihrem Antrag.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die stehen da aber drin!)


– Das steht nicht drin. Ich habe den Antrag sehr genau
gelesen, Frau Koczy. Er enthält viele Punkte, die ich so-
fort unterstreichen würde. Das, was ich Ihnen gerade ge-
sagt habe, ist ja auch nicht Teil der alltäglichen Diskus-
sion über diese Fragen. Ich möchte aber dazu ermuntern,
dass wir uns mit diesen Fragen ein bisschen eingehender
beschäftigen, dass wir die Diskussion nicht nur unter
dem Motto „korrupte Machteliten verkaufen an gierige
Entnahmeländer“ führen.

Welche Chance zur Entwicklung hat Angola im Mo-
ment, abgesehen von dem Weg, den es jetzt wählen
muss, weil Europa den anderen Weg nicht mitgegangen
ist? Welche nachhaltigen Angebote, so frage ich mich,
können wir tatsächlich bieten? Wir können welche bie-
ten; davon bin ich fest überzeugt. Hier müssen wir, so
denke ich, ansetzen.

Wir sollten nicht nur einen moralischen Appell aus-
sprechen – auch wenn das richtig ist –: Ihr Industriena-
tionen, die ihr nicht zuletzt für die Entwicklung Afrikas
eine große historische Schuld auf euch geladen habt
– das wird in dem Antrag gar nicht gesagt –, solltet euch
fragen, was ihr einbringen könnt, um die Entwicklung
nachhaltig positiv zu gestalten! Mir ist der Appell zu we-
nig, wenn der Kauf von Rohstoffen oder sogar die Gabe
von Entwicklungshilfe von dem Aufbau demokratischer
oder demokratieähnlicher Strukturen abhängig gemacht
werden soll. Ich bin sehr dafür, dass wir eine Entwick-
lung in Richtung Demokratie anstreben, ich bin aber da-
gegen, dass wir holzschnittartig vorgehen. Aus diesem
Grunde kann ich nicht empfehlen, diesen Antrag anzu-
nehmen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609722100

Jetzt spricht für die FDP-Fraktion der Kollege

Hellmut Königshaus.


Hellmut Königshaus (FDP):
Rede ID: ID1609722200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist, so glaube ich, ein deutliches Signal, dass wir in
diesen Bereichen weitgehend übereinstimmende Analy-
sen und wahrscheinlich auch weitestgehend gemeinsame
Forderungen haben. Vorhin war die Rede davon – ich
glaube, Frau Pothmer hat das gesagt –, dass man endlich
einmal einem Antrag der anderen Seite zustimmen will.
Dieser Antrag kommt dem ganz nahe – auch wenn wir
ihm nicht ganz folgen können.

Wir wissen alle um die Probleme, die der Hunger
nach Energie, insbesondere nach den entsprechenden
Rohstoffen, mit sich bringt, und wir kennen die damit
verbundenen Ausbeutungstendenzen. Wir wissen aber
auch, dass letzten Endes nicht die Nachfrage allein das
Problem ist, sondern das, was mit den Gewinnen aus
dem Verkauf dieser Rohstoffe passiert. Die nachhaltige
Entwicklung im Land selbst, für die wir uns einsetzen,
und der Aufbau entsprechender Strukturen werden mit
diesen Gewinnen häufig nicht gefördert. Die Einnah-
men aus dem Verkauf von Rohstoffen sind für den
afrikanischen Kontinent – Sie haben das angesprochen –
oftmals eher Fluch als Segen, sie führen zu Zerstörung,
weil sie zur Finanzierung kriegerischer Auseinanderset-
zungen verwendet werden, die in diesem Umfang sonst
nicht möglich wären.

Sie von den Grünen nennen in Ihrem Antrag als Bei-
spiel Nigeria. Zu Recht: Nirgendwo sonst gibt es so
viele Ölfelder, nirgendwo sonst wird die Entwicklung
der Förderung in Zukunft so stürmisch sein. Nigeria ist
also im Grunde genommen von der Natur verwöhnt, die-
ses Land könnte sich selbst entwickeln. Wir sehen aber,
dass dieses bedauerlicherweise nicht passiert. Die politi-
sche Elite ruiniert das Land, sie versteht es nicht, diesen
natürlichen Reichtum zu nutzen. Sie verscherbelt die






(A) (C)



(B) (D)


Hellmut Königshaus
Ressourcen, und das erlangte Geld wird der Versicke-
rung überlassen.

Das Beispiel Angola, das Sie angesprochen haben,
zeigt den gleichen unseligen Mechanismus. Auch wenn
dort andere Verantwortlichkeiten mit hineinkommen,
muss man natürlich darüber reden, dass diese Länder,
statt ihre Rohstoffe nur zu exportieren, Wertschöpfung
vor Ort aufbauen sollten. Dafür haben wir eine Verant-
wortung.

Wofür ich nicht bin, ist, dass wir Entwicklungshilfe
oder Entwicklungszusammenarbeit koppeln mit einer
historischen Verantwortung für die Ausbeutung des
Kontinents, die im Übrigen mehr durch andere und we-
niger durch Deutschland stattgefunden hat. Unsere Ent-
wicklungszusammenarbeit muss nach vorne gerichtet
sein, sie muss sich am Bedarf orientieren und nicht an
historischer oder politischer Verantwortlichkeit.


(Beifall bei der FDP)


Afrika ist also noch immer auf unsere Unterstützung
angewiesen – andere Länder der Dritten Welt sind es
auch –, und zwar deshalb, weil die Bodenschätze ver-
kauft werden, die Einnahmen aber durch die gierigen
Eliten veruntreut werden. Nigeria, Angola, Sudan sind
nur einige Beispiele, dass trotz hoher Exporteinnahmen
keine nennenswerten Entwicklungserfolge vorgewiesen
werden können. Korruption – das zeigt sich auch hier –
ist ein zentrales Problem; nur so kann dieses Versicke-
rungssyndrom ermöglicht werden. Deshalb dürfen wir
Good Governance nicht bloß propagieren, sondern müs-
sen sie zur Voraussetzung der Entwicklungszusammen-
arbeit machen. Wir sind schließlich den Steuerzahlern
gegenüber verantwortlich für das, was wir für Entwick-
lungszusammenarbeit ausgeben. Deshalb müssen wir si-
cherstellen, dass Good Governance die Grundlage der
Zusammenarbeit ist. Andernfalls nehmen wir billigend
in Kauf, dass die Mittel versickern, anstatt dass sie dafür
verwendet werden, wofür sie gebraucht werden.


(Beifall bei der FDP)


Die Grünen haben – für uns in diesem Zusammen-
hang überraschend – eine unseren eigenen Einschätzun-
gen weitgehend entsprechende Analyse vorgenommen;
die unsrige haben wir in zahlreichen Anträgen, wenn-
gleich breiter gefächert, formuliert. Sie stellen völlig zu
Recht fest, dass die Ölexporte der Entwicklungsländer
nicht zu mehr Demokratie und Transparenz geführt ha-
ben, dass Korruption und fehlende staatliche Strukturen
entscheidende Merkmale dieser erdölexportierenden
Länder sind. Die daraus hergeleiteten Forderungen grei-
fen unsere Positionen auf. Deshalb würden wir gerne zu-
stimmen. Doch wir können Ihnen nicht zustimmen, weil
in manchen Bereichen wieder das Kind mit dem Bade
ausgeschüttet wird.

Weil mir die Zeit wegläuft – Frau Präsidentin, ich
habe es gesehen, und ich beeile mich auch, zum Ende zu
kommen –, möchte ich hier als Beispiel einfach nur an-
führen, dass Sie auch fordern, dass die Weltbank und die
Entwicklungsbanken überhaupt keine Kredite mehr für
die Erdöl- und Erdgasprojekte vergeben. Das geht zu
weit.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609722300

Herr Kollege, möglicherweise geht es jetzt auch bei

Ihnen zu weit.


Hellmut Königshaus (FDP):
Rede ID: ID1609722400

Ich bin sofort fertig. – Heute Morgen haben wir be-

klagt, dass beispielsweise Länder wie China im eigenen
Interesse Projekte entwickeln. Dann dürfen wir sie ihnen
eben nicht vor ihren Rachen werfen, sondern dann müs-
sen wir natürlich eine entsprechende Finanzierung er-
möglichen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609722500

Herr Kollege!


Hellmut Königshaus (FDP):
Rede ID: ID1609722600

Deshalb können wir diesem Antrag nicht zustimmen.

Wir werden uns enthalten.

Danke schön.


(Beifall bei der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609722700

Jetzt hat der Kollege Dr. Georg Nüßlein für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1609722800

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Das

Erfreuliche an dem Politikfeld, das wir hier gemeinsam
beackern, ist, dass es jenseits aller Wurzeln und Details
im Kern einen Konsens darüber gibt, was wir wollen.

Hier geht es um die entwicklungsorientierte Verwen-
dung der Einnahmen der Entwicklungsländer aus den
Rohstoffquellen. Das ist ein zentrales Anliegen zur För-
derung der Stabilität in diesen Ländern. Weil es diesen
Konsens gibt, erlaube ich mir an dieser Stelle, dieses
Thema auch einmal aus einer anderen Perspektive zu be-
leuchten, nämlich aus der Perspektive der nationalen
deutschen Interessen.

Ich glaube, dass es auch den Entwicklungspolitikern
gut ansteht, diese nationalen Interessen ab und zu in den
Vordergrund zu stellen; denn es geht natürlich auch um
die Akzeptanz der Entwicklungshilfe bei unseren
Wählerinnen und Wählern in der Bundesrepublik
Deutschland. Ich glaube auch, dass es uns deshalb gut
ansteht, das zu tun, weil diese Interessen gar nicht ge-
genläufig sein müssen. Ein Interesse unserer Seite an
Good Governance in den Entwicklungsländern ent-
spricht natürlich auch dem Interesse der Bevölkerung
vor Ort. Insofern wird es auch hier aus meiner Sicht kei-
nen Dissens, sondern einen Konsens geben.

Wenn ich mir die Situation in Deutschland anschaue,
dann stelle ich fest, dass wir hinsichtlich der Rohstoffe
ein hohes Maß an Importabhängigkeit haben und dass
deshalb die Themen Entwicklung und Außenpolitik im
Zusammenhang mit Rohstoffen und Energie jetzt plötz-
lich einen neuen und, wie ich meine, auch besonders
positiven und wichtigen Stellenwert bekommen. Ich






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Georg Nüßlein
meine auch, dass wir mit unserem Verhalten und beim
Umgang mit den Ressourcen ein Vorbild sein müssen.
Wir müssen zeigen, dass wir auf der einen Seite Wohl-
stand schaffen und vergrößern und auf der anderen Seite
im Interesse der Umwelt und des Klimas Ressourcen
schonen können.

Nur dann, wenn es uns gelingt, zu zeigen, dass Ökolo-
gie und Ökonomie miteinander vereinbar sind, haben
wir auch eine Chance, dass uns die Entwicklungs- und
die Schwellenländer bei diesem Prozess unterstützen
und dass sie mitmachen und mit in dieses Boot kommen,
in das sie unbedingt müssen, wenn wir zum Beispiel im
Interesse des Klimaschutzes wirklich etwas bewegen
wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Nun sehe ich auch die Probleme, die wir haben: Roh-
stoffverknappung wegen neuer Wettbewerber – Indien
und China – und ein Großteil der Ressourcen in politisch
instabilen Ländern sowie der Versuch, dies machtpoli-
tisch zu missbrauchen. Deshalb müssen wir hier in unse-
rem Land folgenden Weg gehen: Diversifizierung der
Rohstoffquellen und Rohstoffarten, Sicherung der Roh-
stoffversorgung durch den Einsatz erneuerbarer Ener-
gien und Sicherung der Ressourcenversorgung durch
Pflege der Beziehungen zu Anbieter und Konkurrenten
sowie durch Unterstützung stabiler Verhältnisse auf der
Anbieterseite. Allerdings darf sich das eigene Interesse
nicht darauf richten, wer am schnellsten und billigsten
an Ressourcen aus Entwicklungsländern kommt. Horst
Köhler hat in diesem Zusammenhang gesagt, es wäre
eine Tragödie für die Menschheit, wenn nach der Skla-
verei, dem Kolonialismus und dem Kalten Krieg jetzt
ein neuer Megatrend – nämlich die Nachfrage nach Roh-
stoffen und Öl – afrikanische Bemühungen um Demo-
kratie, gute Regierungsführung und Armutsbekämpfung
unterlaufen würde.

Ob diese Tragödie letztendlich eintritt, hängt in wei-
ten Teilen nicht nur von den afrikanischen Ländern ab,
sondern auch davon, wie wir uns verhalten und ob wir es
schaffen, in diesem Bereich für Transparenz zu sorgen
und verschiedene Fragen zu beantworten. Subsahara-
Afrika zum Beispiel hat im Jahr 2006 Erdöleinnahmen
in Höhe von 64 Milliarden US-Dollar erzielt. In diesem
Zusammenhang stellt sich die Frage, wo dieses Geld ge-
blieben ist. Das meine ich mit Transparenz. Das muss
auf beiden Seiten beobachtet werden. Dazu sind Kon-
trollmechanismen und ein Verhaltenskodex notwendig.
Es ist sicherlich positiv, dass Deutschland als Mitinitia-
tor an vorderster Front steht. Ich denke zum Beispiel an
den Kimberleyprozess zur Zertifizierung von Rohdia-
manten, den „Forest Law Enforcement and Governance
Process“ zum Schutz des Waldes und die „Extractives
Industries Transparency Initiative“ im Zusammenhang
mit Öl, Gas und Bergbau. Mit all diesen Maßnahmen ha-
ben wir einen Weg eingeschlagen, der in die richtige
Richtung führt.

Doch auch wenn wir durchaus auf dem richtigen Weg
sind, kommt es entscheidend darauf an, dass sich insbe-
sondere die Schwellenländer China, Brasilien, Indien
und beispielsweise auch Russland endlich beteiligen
und vermehrt als Investoren auftreten. Insofern ist es
positiv, dass mit dem G-8-Gipfel in Heiligendamm ein
entsprechender Dialog in Gang kommt und dass Roh-
stoffe und Good Governance zentrale Themen dieses
Gipfels sein werden.

Im Zusammenhang mit der Transparenz möchte ich
noch einen Randaspekt ansprechen, nämlich die Zertifi-
zierungssysteme. Ich bin der festen Überzeugung, dass
wir die Entwicklung im Bereich der Biomasse bei uns
nur dann verteidigen und ausbauen können, wenn es uns
gelingt, die Rohstoffe, die aus dem Ausland kommen
bzw. kommen müssen, zu zertifizieren und zu belegen,
dass sie aus nachhaltigem Anbau kommen und nicht bei-
spielsweise zulasten der Regenwälder angebaut werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Lassen Sie mich noch einen letzten Aspekt anspre-
chen. Nicht alle Entwicklungsländer verfügen über Roh-
stoffvorkommen. Deshalb sollte man auch deren Situa-
tion beleuchten. Wie Sie alle wissen, stellen steigende
Rohstoffpreise ein entscheidendes Problem für die Ent-
wicklungsländer dar. Sie haben gravierende Folgen für
deren Devisenausgaben. Kenia zum Beispiel hatte durch
den Anstieg des Ölpreises von 2002 bis 2006 zusätzliche
Devisenausgaben in Höhe von 800 Millionen US-Dollar
zu verzeichnen. Das ist sehr viel Geld. Wir laufen
Gefahr, wieder in die Verschuldungsproblematik der
70er-Jahre zurückzufallen. Das darf nicht passieren. Ich
meine, das ist ein entscheidender Punkt, den man be-
rücksichtigen sollte.

Deshalb sollte Deutschland Energieversorgung nicht
als Einbahnstraße betrachten, um sich mit Rohstoffen zu
versorgen; vielmehr sollten wir auch die Chance sehen,
durch deutsche Technologie Impulse zu geben, damit
auch in den Ländern, die nicht über Rohstoffvorkommen
verfügen, energieeffizient gewirtschaftet wird und die
erneuerbaren Energien eine größere Rolle spielen. Das
ist, glaube ich, entwicklungspolitisch von entscheiden-
der Bedeutung.

Den Antrag, den wir heute beraten, finde ich zwar in-
haltlich gut, aber er ist insofern überflüssig, als dieses
Thema bereits Bestandteil des Regierungshandelns der
Großen Koalition ist.


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glaube ich nicht!)


– Das glauben Sie nicht? Ich behaupte es einfach. Sie ha-
ben anschließend die Chance, das zu widerlegen.

Außerdem gibt es von den Koalitionsfraktionen einen
weitergehenden Antrag, der sich zwar in der Überschrift
sehr stark auf das Thema Energie bezieht, der aber das
ganze Rohstoffthema beinhaltet. Deshalb brauchen wir
Ihren Antrag nicht. Aber wir nehmen zur Kenntnis, dass
Sie unserer Meinung sind.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609722900

Heike Hänsel hat jetzt das Wort für Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609723000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Gäste! Wir sehen, dass Ihr Antrag, liebe Kolleginnen
und Kollegen der Grünen, einige gute Forderungen ent-
hält. Allerdings halten wir sie für nicht ausreichend. Wir
sprechen heute über die entwicklungspolitische Verwen-
dung von Rohstoffeinnahmen. Sie beziehen sich in Ih-
rem Antrag unter anderem auf die Initiative EITI, eine
Initiative zur Verbesserung der Transparenz in der
Rohstoffindustrie. Diese will die Bundesregierung beim
G-8-Gipfel in Heiligendamm voranbringen. Es geht vor
allem darum, Schwellenländer wie China in diese Initia-
tive einzubinden. Der chinesischen Regierung wird fast
täglich vorgeworfen, unlauteren Wettbewerb beim
Kampf um Rohstoffe zu betreiben. Die deutsche Wirt-
schaft erhofft sich von dieser Transparenzinitiative einen
Vorteil für die eigenen Unternehmen. Deshalb muss ich
die grundsätzliche Frage stellen: Was steht bei dieser
Transparenzinitiative eigentlich im Vordergrund? Geht
es um Entwicklung und Armutsbekämpfung, oder geht
es unter anderem darum, unbequeme Wettbewerber zu
bremsen? Wenn es um ernsthafte Armutsbekämpfung
geht, dann reicht diese Transparenzinitiative überhaupt
nicht aus.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie ist eine rein freiwillige Initiative ohne Sanktions-
möglichkeiten. Sie sagt auch nichts über die Verwen-
dung der Rohstoffeinnahmen, geschweige denn über die
Verteilung der Gewinne aus. Das Mindeste wäre – das
fordern wir –, eine international bindende Konvention
daraus zu machen.


(Beifall bei der LINKEN)


Davon hält aber unter anderem der BDI, der Bundes-
verband der Deutschen Industrie, nicht viel, der nach wie
vor auf die Freiwilligkeit dieser Initiative pocht. Er hat
vor ein paar Wochen seinen zweiten Rohstoffkongress
mit hohem Besuch durchgeführt. Kanzlerin Angela
Merkel hat dort eine „enge und koordinierte Zusammen-
arbeit bei der deutschen Rohstoffsicherung“ zugesagt
und gleich die Einrichtung eines vom BDI gewünschten
interministeriellen Ausschusses für Rohstoffpolitik an-
gekündigt, an dem auch das BMZ beteiligt sein wird.
Der BDI formuliert seine Ansprüche an die deutsche
Entwicklungspolitik so:

Die Entwicklungspolitik bietet viel mehr Möglich-
keiten, zur Sicherheit unserer Rohstoffversorgung
beizutragen, als gemeinhin angenommen wird, sie
kann in Entwicklungsländern hinwirken auf Rechts-
sicherheit, Investitionsschutz, Abbau von Exportbe-
schränkungen oder Unterbindung des illegalen Ex-
ports von Rohstoffen …

Und jetzt zur Verwendung und Verarbeitung der Roh-
stoffe in den betreffenden Ländern. Sämtliche Freihan-
delsabkommen der EU enthalten mittlerweile die Forde-
rung nach Abbau von Exportbeschränkungen, Herr
Riester. Das verhindert die inländische Verarbeitung der
Rohstoffe. Der BDI schließt zudem nicht aus, dass die
Sicherheit der Rohstoffversorgungswege im Extremfall
auch die Sicherheitspolitik betreffen kann. Das heißt im
Klartext: Ein militärischer Einsatz zur Sicherung der
Rohstoffversorgung wird nicht ausgeschlossen. Ähnli-
che Sätze finden wir auch im neuen Weißbuch der Bun-
deswehr. Wir lehnen diese Politik ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn wir über Rohstoffe reden, dann dürfen wir nicht
nur über Bedingungen von Erschließung, Handel und
Verbrauch reden, sondern müssen auch über Macht-
und Besitzstrukturen im globalen Energie- und Roh-
stoffsystem sprechen. Die Gewinne landen meistens
noch immer bei den multinationalen Konzernen. Wir
wollen ganz andere Ansätze, die dazu führen, dass die
Rohstoffeinnahmen in den betreffenden Ländern ver-
bleiben und für eine nachhaltige Entwicklung eingesetzt
werden. Solche Ansätze gibt es in Lateinamerika, zum
Beispiel in Bolivien oder Venezuela. Bolivien hat durch
die Verstaatlichung der Erdgas- und Erdölvorräte im
letzten Jahr seine Einnahmen verdoppelt und verwendet
diese Gelder nun für soziale Programme. Das ist für
mich eine entwicklungspolitisch sinnvolle Verwendung.


(Beifall bei der LINKEN)


Ecuador hat vorgeschlagen, Rohstoffe wie Erdöl erst
gar nicht zu fördern und dafür Kompensationszahlungen
zu bekommen. Das wären aus meiner Sicht Ansätze, die
man auch bei den Vereinten Nationen ins Auge fassen
könnte, zum Beispiel Kompensationszahlungen für nicht
gefördertes Erdöl vorzunehmen. Das sind langfristige,
richtig gute Ansätze, die wir fördern müssen, anstatt uns
ausschließlich auf freiwillige Initiativen zu begrenzen.

Abschließend noch einmal: Der Antrag der Grünen ist
gut gemeint, aber die herrschenden Machtstrukturen
werden überhaupt nicht infrage gestellt. Im Gegenteil:
Sie wenden sich sogar noch an die G 8 und fordern, dass
ausgerechnet die G-8-Staaten, die größten Klimakiller
und rohstoffhungrigsten Länder, einen Aktionsplan zum
Umgang der Entwicklungsländer


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609723100

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kom-

men.


Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609723200

mit ihren Rohstoffeinnahmen entwickeln sollen. Das

lehnen wir absolut ab.

Ich kann nur sagen: Wir unterstützen soziale Bewe-
gungen, die gegen diese Ausbeutung der Rohstoffländer
kämpfen. Diese kommen nämlich nach Heiligendamm
zum G-8-Gipfel. Dort können sie viel lernen. Wir wer-
den auch dort sein.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Sie lernen nichts mehr!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609723300

Jetzt hat die Kollegin Ute Koczy für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609723400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Gäste! Ich bin Herrn Riester sehr dankbar, dass er
diesen nachdenklichen Ton in die Debatte eingebracht
hat, weil dadurch die Debatte eine ganz andere Richtung
genommen hat als das, was wir das letzte Mal, als wir
über diesen Rohstoffantrag zusammen mit dem Antrag
der Koalition diskutiert haben, besprochen haben.

Sie haben ein Thema angesprochen – historische
Schuld und Gegenwart – und haben gesagt, der grüne An-
trag sei holzschnittartig. Ich möchte darauf reagieren und
sagen, dass wir uns aus ganz bestimmten Gründen auf be-
stimmte Punkte konzentrieren wollten, weil wir der Mei-
nung sind, dass wir in die Zukunft blicken müssen, dass
sich Entwicklungen abzeichnen, die wir jetzt mit be-
stimmten Rahmensetzungen, mit dem Einrammen von
Pflöcken begrenzen müssen, und dass wir darauf reagie-
ren müssen.

Das, was Sie, Herr Riester, gefordert haben, ist offen-
kundig nicht konsensfähig. Ein Teil davon ist im Koali-
tionsantrag enthalten, aber eben nicht alles. Deshalb
müssten Sie Ihren Antrag einer Nacharbeit unterziehen.

Ich möchte das an einem Punkt festmachen. Sie haben
gesagt, wir hätten das Thema Bildung nicht angespro-
chen. Wir haben es ganz kurz erwähnt, nämlich mit dem
Satz:

Aufgrund von Windfall Profits durch die hohen
Rohstoffpreise auf den Weltmärkten existieren
überdies kaum Anreize für Investitionen in Bildung
und Forschung.

Das haben wir sehr wohl deswegen hineingeschrieben,
weil es so ist und weil dieser Punkt angesprochen wer-
den muss.

Wir haben vier konkrete Forderungen, die uns wichtig
sind und die wir in den 13 Punkten unseres Antrages
ausführlich erläutert haben. Was sind das für vier
Punkte? Es geht einmal um die OECD-Leitlinien, die
hier niemand kennt, die aber sehr wichtig sind. Sie wür-
den das ja unterstützen. Ich würde mich freuen, wenn
das das nächste Mal in Ihrem Antrag stehen würde.

Wir haben gefordert: keine Kredite der Weltbank oder
der Entwicklungsbanken an Erdöl-, Gas- und – wenn
man so will; wenn man dem Salim-Bericht folgt – an Ex-
tractive-Industries-Projekte. Diese Forderung wurde
schon im Salim-Report aufgestellt; darüber wurde auch
im Bundestag öffentlich diskutiert. Was erleben wir? Die
Weltbank erhöhte 2005, 2006 massiv die Investitionen in
diese Bereiche. Das ist nicht nachhaltig. Das wollten wir
in unserem Antrag klipp und klar festhalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der nächste Punkt. Wir haben in unserem Antrag ge-
fordert: Wir wollen mehr Transparenz hinsichtlich der
Bürgschaftsentscheidungen der Bundesregierung. Auch
darüber müssen wir hier diskutieren. Das wird im Bun-
destag normalerweise nicht eingefordert. Deswegen ist
es in dem Antrag ebenfalls enthalten.
Der aus meiner Sicht wichtigste Punkt betrifft die
Konfliktrohstoffe. Die Konfliktrohstoffe sind auch des-
wegen ein Anliegen der Nichtregierungsorganisationen,
weil wir, in die Zukunft gerichtet, feststellen müssen,
dass wir durch die Verknappung der Rohstoffe vor der
Situation stehen, durch die Förderung von weiteren Roh-
stoffen Konflikte zu schaffen.

Ich möchte einmal kurz zitieren, was die Große Ko-
alition in ihrem Antrag geschrieben hat. Ich meine, Sie
müssten über die Konfliktrohstoffe intensiver diskutie-
ren. Sie wollen zwei Regionen in das engere Blickfeld
nehmen, die Länder Zentralasiens und die Staaten Nord-
afrikas und der Subsahara. Sie schreiben:

Deutschland hat ein vitales Interesse daran, die
wirtschaftliche, politische und soziale Entwicklung
dieser rohstofffördernden Staaten und Regionen all-
gemein zu unterstützen und damit letztlich die ei-
gene Energieversorgung und -preisentwicklung zu
stabilisieren.

Wir wissen, dazu gehört das Land Turkmenistan.
Welche Bank verwaltet die Gelder von Turkmenistan?
Es ist die Deutsche Bank. Damit schließt sich der Kreis,
und damit kommen wir zu dem, was wir in unseren An-
trag geschrieben haben.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Was sagt uns das, Frau Kollegin?)


Es geht darum, zu verhindern, dass solche Gelder bei
der Deutschen Bank, bei unseren Investitionsinstitutio-
nen angelegt werden und damit unmöglich gemacht
wird, dass Gerechtigkeit in diesem Land Einzug hält.
Wir wissen, wie der Diktator dort geherrscht hat. Deswe-
gen ist es so wichtig, dass die Gelder, die aus den Ver-
käufen von Rohstoffen, die dem Volk geraubt werden,
stammen, auf internationaler Ebene geächtet werden und
darauf hingewirkt wird, dass so etwas nicht mehr ge-
schieht.

Unser Antrag ist in die Zukunft gerichtet. Deswegen
haben wir nicht die ganze Vergangenheit aufgearbeitet.
Wir haben uns nicht so sehr auf die Gegenwart bezogen,
sondern wir haben deutlich gemacht, was wir tun müs-
sen. Wir müssen jetzt handeln. Dafür ist der Antrag das
geeignete Mittel. Sie können eigentlich nur zustimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609723500

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung zu dem Antrag der Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen mit dem Titel „Rohstoffeinnahmen
für nachhaltige Entwicklung nutzen“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/5273, den Antrag der Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4054 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschluss-
empfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
der Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke ange-
nommen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 13 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU,
der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN

Für die Verurteilung des Systems der La-
ogai-Lager in China

– zu dem Antrag der Abgeordneten Florian
Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. Werner
Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP

Für die Verurteilung des Systems der La-
ogai-Lager in China

– Drucksachen 16/4559, 16/855, 16/5146 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Holger Haibach
Christoph Strässer
Florian Toncar
Michael Leutert
Volker Beck (Köln)


Es ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. –
Dazu höre ich keinen Widerspruch.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Christoph Strässer für die SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Christoph Strässer (SPD):
Rede ID: ID1609723600

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Die wirtschaftliche und politische Entwicklung in
China vollzieht sich in einer beeindruckenden Ge-
schwindigkeit. China ist in jeder Hinsicht zu einem Glo-
bal Player geworden. Die Volksrepublik ist heute ein
wichtiger Akteur und Partner mit Verantwortung in der
internationalen Politik und in unserer globalisierten
Wirtschaft. Ein Land mit dieser Bedeutung steht natür-
lich auch im besonderen Fokus der Weltöffentlichkeit
und hat auch besondere Aufmerksamkeit verdient. Dies
meine ich zunächst durchaus in positivem und anerken-
nendem Sinne. Doch diese Aufmerksamkeit muss alle
Bereiche in der gesellschaftlichen Entwicklung in die-
sem großen Land gleichermaßen betreffen. Wir wollen
mit diesem Antrag die Bereiche, in denen diese Entwick-
lung noch nicht das Tempo erreicht hat, das erforderlich
wäre, konkret beleuchten. Wir wollen dabei keine Berei-
che aussparen. Ich denke, China ist sich dessen bewusst
und sollte dies auch akzeptieren.

Die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland
und der Volksrepublik China sind in ihrer Geschichte
selten besser gewesen als heute. Wir haben ein Interesse
daran, das Verhältnis so zu gestalten, dass es stark und
belastbar genug ist, dass auch kritische Fragen themati-
siert werden können. Es geht uns dabei um eine kon-
struktive bilaterale Zusammenarbeit, auch und gerade in
Fragen der Menschenrechte. Wir wollen diese Diskus-
sion rational führen. Es geht uns nicht um eine pauschale
Verurteilung, und wir tun dies auch nicht mit dem erho-
benen Zeigefinger. Es geht um ganz konkrete Miss-
stände, die wir in unserem Antrag benennen und die zum
Wohl der Menschen einer Veränderung bedürfen.

Lassen Sie mich Folgendes an dieser Stelle mit der ge-
botenen Nüchternheit sagen: Die Auseinandersetzung mit
gravierendsten Menschenrechtsverletzungen, wo auch
immer auf dieser Welt sie geschehen, ist eine Notwendig-
keit in allen nationalen Parlamenten. Sie ist eine Erfüllung
völkerrechtlicher Verpflichtungen, und sie ist – darüber
sind wir schon lange hinweg – keine Einmischung in die
inneren Angelegenheiten eines Landes, sondern eine Er-
füllung international geltender Normen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Das Europäische Parlament hat vor zwei Wochen in
Straßburg den Jahresbericht 2006 zur Menschenrechts-
lage in der Welt und zur Menschenrechtspolitik in der
Europäischen Union verabschiedet. Darin heißt es – dem
stimme ich uneingeschränkt zu –, dass der Menschen-
rechtsdialog auf dieser Ebene mit der Volksrepublik
China fortgesetzt werden muss; Themen wie „Zwangsar-
beit, Meinungs- und Religionsfreiheit, die Rechte religi-
öser und ethnischer Minderheiten und das Lagersystem
Laogai sollten im Vorfeld der Olympischen Spiele 2008
in Peking verstärkt ins öffentliche Bewusstsein gerückt
werden“.

In der kommenden Woche findet der nächste
EU-China-Menschenrechtsdialog in Berlin unter der
deutschen Ratspräsidentschaft statt. Deshalb war das
Ansinnen der chinesischen Botschaft, das zu überdenken
und eine Beschlussfassung auszusetzen, nicht wirklich
zielführend. Wir wollen, dass diese Position des Deut-
schen Bundestages bei der Führung des nächsten Men-
schenrechtsdialoges Bestandteil der Verhandlungen ist.
Ich glaube, das ist die richtige Antwort auf all das, was
uns hier in diesen Tagen vorgehalten wird.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In den letzten Jahren – das verkennt keiner bei uns –
ist in China durchaus ein Fortschritt bei wirtschaftlichen
und kulturellen Rechten zu beobachten. Bei der Umset-
zung der individuellen Freiheits- und Menschenrechte ist
aber noch ein ganz großer Rückstand aufzuholen. Ge-
rade bei Reformen im Justizwesen, vor allem im Bereich
des Strafrechts, herrscht akuter Nachholbedarf.

Trotz wiederholter Forderungen aus dem In- und Aus-
land, das System der Laogai-Lager abzuschaffen, wird
diese Form der Straf- und Arbeitslager weiter im großen
Maßstab genutzt. Dieses Straflagersystem wurde erst-
mals 1957 flächendeckend eingesetzt. Seit Jahrzehnten
und noch heute wird das System harter Arbeit als Umer-
ziehungsmethode für Systemabweichler jeder Art, für
Kleinkriminelle, für Angehörige von Religionsgemein-
schaften, für Homosexuelle und für politische Kritiker
genutzt. Es kam zu willkürlichen Verhaftungen von






(A) (C)



(B) (D)


Christoph Strässer
Wanderarbeitern, Obdachlosen und unterprivilegierten
Bevölkerungsgruppen.

Ohne rechtsstaatliche Verfahren werden die Betroffe-
nen inhaftiert und „politisch umerzogen“. Umerziehung
durch Arbeit – Lao Jiao – heißt eine Form der Administra-
tivhaft, durch die politische Dissidenten als „antisozialisti-
sche“ und „parteifeindliche Elemente“ ohne gerichtliche
Überprüfung bis zu vier Jahren in solche Arbeitslager
verbracht werden können. Die Entscheidungen werden
von Komitees aus Vertretern der lokalen Verwaltung und
der Büros für öffentliche Sicherheit getroffen.

Die Haft- und Arbeitsbedingungen sind katastrophal.
Körperliche und psychische Demütigung und Folter sind
nicht selten. Die Vorschriften zur Verhängung der Haft
sind nur teilweise öffentlich einsehbar, und ihre Formu-
lierungen sind oftmals derart vage und vieldeutig, dass
sie einer eigenmächtigen Auslegung Tür und Tor öffnen.

Nach offiziellen Angaben der chinesischen Behörden
sitzen circa 220 000 Menschen in solchen Umerzie-
hungslagern ein. Schätzungen von Amnesty Internatio-
nal und anderen Menschenrechtsorganisationen gehen
allerdings von einer vielfach höheren Zahl inhaftierter
Menschen aus. Wegen der restriktiven Informationspoli-
tik der Regierung ist es schwierig, zu sagen, wie viele
Umerziehungslager es tatsächlich in jeder Provinz gibt.
Eine, wie ich finde, legitime Forderung in unserem An-
trag ist deshalb, die Regierung der Volksrepublik China
aufzufordern, die genaue Zahl und die genaue Lage die-
ser Lager anzugeben und Besuche internationaler Be-
obachter zu gestatten. Der Kollege Haibach wird eine
Delegation unseres Ausschusses im Herbst in die Volks-
republik China anführen. Wir werden darauf bestehen,
dass wir Zugang zu einem solchen Lager haben. Ich
glaube, auch das gehört zur Vertrauensbildung in der in-
ternationalen Gemeinschaft.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist an der Zeit, diesem menschenrechtswidrigen
System ein Ende zu setzen. Ein solches Unrechtsregime
verhindert die weitere Entwicklung Chinas zu einem
freiheitlichen, toleranten und demokratischen Rechts-
staat. Das System der Arbeitslager muss deshalb mittel-
fristig abgeschafft werden, und kurzfristig müssen die
Lebens- und Arbeitsbedingungen in diesen Lagern spür-
bar verbessert werden.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen – wie wir es auch
in den Dialogen tun –, an China zu appellieren, den In-
ternationalen Pakt über bürgerliche und politische
Rechte, der von China bereits 1998 gezeichnet wurde,
endlich zu ratifizieren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich möchte auch daran erinnern, dass die Volksrepu-
blik als Mitgliedstaat der ILO, der Internationalen Ar-
beitsorganisation der UNO, Konventionen über die
Rechte von Arbeitern und Arbeitsbedingungen unter-
zeichnet hat. Die chinesischen Behörden haben den Wil-
len bekundet, das System der Administrativhaft umzu-
gestalten. Wir spüren auch in den Dialogen, die wir
führen, dass eine entsprechende Bereitschaft zur Verän-
derung des Strafrechts- und des Verwaltungsrechtssys-
tems durchaus besteht. Wir sind sehr gespannt darauf, ob
die Ankündigungen auf der jüngsten Tagung des Natio-
nalen Volkskongresses, dass in China eine Reform der
Administrativhaft eingeführt wird und im Jahr 2008 Gel-
tung erlangt, Wirklichkeit werden. Angesichts der bishe-
rigen Ankündigungen und ihrer Folgen muss ich aller-
dings sagen: Ich habe meine Zweifel. Aber ich denke,
wir sollten an dieser Stelle weiterarbeiten.

Meine Damen und Herren, die Theorie ist die eine
Seite der Medaille, die Praxis die andere. Neben den Be-
kundungen der Regierung bleibt das Problem der Imple-
mentierung und bleiben die Schwierigkeiten bei der
Kontrolle der Umsetzung bestehen. Insbesondere die
Menschen auf dem Land haben unter der Willkür der lo-
kalen Bürokratien und der Parteisekretäre zu leiden, die
es zu kontrollieren gilt. Daneben berichten Amnesty In-
ternational und Human Rights Watch, dass im Vorfeld
der Olympischen Spiele im Sommer 2008 die Anwen-
dung der Administrativhaft, des Systems der Umerzie-
hung durch Arbeit durch Behörden genehmigt wird, um
Peking einerseits von Landstreichern, Kleinkriminellen
und politisch Andersdenkenden „zu befreien“ und ande-
rerseits öffentliche gerichtliche Verfahren zu umgehen.

Wir alle freuen uns auf die Olympischen Spiele. Sie
mögen ein beeindruckendes Fest des Friedens und der
Völkerverständigung werden. Aber oft genug sind große
Sportveranstaltungen schon zu Propagandazwecken
missbraucht worden. Deshalb ist es im Vorfeld dieses
Events die Verpflichtung aller, insbesondere von Politik
und Sport, nicht die Augen vor den Geschehnissen in
diesem Land zu verschließen, sondern dieses Ereignis
und die damit verbundene Aufmerksamkeit zu nutzen,
um auf eine deutliche Verbesserung der Menschen-
rechtssituation in der Volksrepublik China hinzuwirken.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609723700

Florian Toncar spricht jetzt für die FDP.


Dr. Florian Toncar (FDP):
Rede ID: ID1609723800

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Das, was hier gerade stattfindet, ist eine men-
schenrechtliche Sensation. So hat es jedenfalls die Inter-
nationale Gesellschaft für Menschenrechte in einer Mel-
dung vom Dienstag dieser Woche bezeichnet. Auch ich
möchte meiner Freude darüber Ausdruck verleihen, dass
es möglich war, den Antrag, den die FDP im letzten Jahr
eingebracht hat, als Grundlage zur Erarbeitung eines
fraktionsübergreifenden gemeinsamen Antrages zu ver-
wenden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Im Wesentlichen sind es drei Punkte, die wir an den
sogenannten Laogai-Lagern zu kritisieren haben. Der
erste Aspekt betrifft das Prinzip der Administrativhaft:






(A) (C)



(B) (D)


Florian Toncar
dass eine lokale Behörde und nicht etwa ein Richter an-
ordnen darf, dass ein Mensch bis zu vier Jahre lang fest-
gehalten wird. Das ist ein klarer Verstoß gegen Art. 9 des
Internationalen Pakts über bürgerliche und politische
Rechte. Wie berechtigt die Kritik, die in Europa an der
Administrativhaft geäußert wird, ist, zeigt sich daran,
dass die Administrativhaft für die chinesische Legisla-
tive eines der zentralen Reformprojekte der nächsten
Jahre darstellt. Wir können davon, wie ich glaube, keine
Abschaffung dieser Lager erwarten. Aber das macht
deutlich, dass die Notwendigkeit einer Reform bzw. die
Notwendigkeit, dieses System zu überprüfen, selbst in
China erkannt wird. Daher glaube ich, dass unsere Kritik
gar nicht so falsch sein kann.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Zweiter Punkt. Die Arbeitsbedingungen in den Laogai-
Lagern sind menschenunwürdig. Zwangsarbeit darf es
nicht geben. Das gilt auch für Gefangene. Überall auf
der Welt haben Menschen ein Anrecht darauf, dass ihre
Arbeitskraft nicht ausgebeutet wird, indem sie gezwun-
gen werden, bis zu 16 Stunden am Tag zu arbeiten, ohne
auch nur einen freien Tag im Jahr zu haben. So etwas
dürfen wir nicht akzeptieren.

Dritter Punkt. Die Laogai-Lager werden im Gegen-
satz zu manch anderen Gefängnissen als Instrument des
politischen Kampfes genutzt. Dieses System richtet
sich nicht nur gegen Kleinkriminelle, sondern auch ge-
gen sogenannte asoziale Elemente. Dazu gehören aus-
drücklich auch die Gruppe der politischen Dissidenten,
der sogenannten antisozialistischen oder parteifernen
Elemente, und religiöse Minderheiten wie Falun Gong.

Von den Häftlingen, die in diesen Lagern unterge-
bracht sind, ging keine Gefahr für das chinesische Recht
aus. Diese Menschen haben keine Straftaten wie Dieb-
stahl oder Körperverletzung begangen. Sie sollen
schlicht und ergreifend aufgrund ihrer Weltanschauung
oder Religion unterdrückt oder umerzogen werden. Die-
ser Aspekt macht deutlich, warum die Laogai-Lager ein
ganz besonders berüchtigtes und schlimmes System dar-
stellen, das abgeschafft werden muss.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist keine Frage der Zeit, bis die Laogai-Lager der
Vergangenheit angehören, sondern es ist eine Frage des
politischen Willens. Es stimmt, dass sich im Zuge einer
zunehmend positiven Entwicklung eines Landes auch
die Situation im Bereich der Menschenrechte von allein
verbessert. Aber es gibt Menschenrechte, die so elemen-
tar sind, dass wir sie nicht einfach der Entwicklung des
Landes überlassen und sie zehn Jahre lang ignorieren
können. Wenn es um die Einhaltung elementarer Men-
schenrechte geht, muss eine Verbesserung sofort eintre-
ten. Daher müssen wir sie heute einfordern. Das tun wir
mit unserer heutigen Initiative.

Ein Punkt, der mir noch besonders wichtig ist: Wir
sollten alles dafür tun, zu vermeiden, dass in den Laogai-
Lagern hergestellte Produkte auch auf den deutschen
Markt kommen. Ich bin mir sicher, dass unsere heimi-
schen Verbraucher selber solche Produkte nicht wollen.
Kontrollen von Zollbehörden können die Herkunft eines
solchen Produktes zwar manchmal, aber oft eben auch
nicht aufdecken, zumal wenn es sich nur um Komponen-
ten, um einzelne kleine Teile von importierten Produkten
handelt. Wer soll das herausfinden? Wie soll man das er-
kennen? Deswegen ist es wichtig, dass wir auf die Her-
steller und die Importeure zugehen, dass wir sie motivie-
ren, sich genau darüber zu informieren, wo sie ihre
Komponenten beziehen, mit wem sie auf chinesischer
Seite zusammenarbeiten und ob sich nicht vielleicht
doch auch eine Laogai-Einrichtung hinter einer gewöhn-
lichen Fabrik verbirgt.

Beispielhaft möchte ich – weil es wirklich ein gutes
Beispiel ist – eine Initiative der deutschen Spielwarenin-
dustrie nennen. Die hat in den letzten Monaten über den
Branchenverband eine Liste von 125 deutschen Spielwa-
renherstellern erstellt. Da fehlt praktisch keiner von de-
nen, die man kennt. Diese Hersteller haben sich ver-
pflichtet – es sind viele, die auch in China produzieren –,
sich darüber zu informieren, ob alle Spielwaren unter
menschrechtskonformen Bedingungen hergestellt wor-
den sind. Ich glaube, was die deutsche Spielwarenindus-
trie geschafft hat, das können auch andere Branchen. Ich
halte diese Initiative ausdrücklich für vorbildlich und
nachahmenswert.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich halte es für nö-
tig, dass wir uns auch mit der chinesischen Seite über
dieses Thema auseinandersetzen, und zwar auch außer-
halb der institutionalisierten Menschenrechtsdialoge, die
stattfinden. Deswegen finde ich es zunächst einmal rich-
tig, dass wir auf unsere Initiative auch von chinesischer
Seite eine Reaktion bekommen. Die Frage ist nur, ob
man mit einer „Kaltfront“ oder mit einer sehr pauscha-
len, schnellen Drohung hinsichtlich der Qualität der Be-
ziehungen in der Sache unbedingt weiterkommt.

Die Chinesen haben jedes Recht der Welt, ihre Mei-
nung zu unserem Antrag zu äußern. Aber sie täten auch
gut daran, uns zu ermöglichen, beispielsweise diese La-
ger zu sehen. Es ist doch bezeichnend, dass es entgegen
aller internationalen Übung, entgegen sämtlichen Stan-
dards nicht gelingt, die UN-Sonderberichterstatter in
diese Lager zu lassen, dass es nicht gelingt, das Rote
Kreuz in diese Lager zu lassen. Ein allererster Beitrag
dafür, dass man sich auch mit der chinesischen Seite
sachlich über dieses Thema auseinandersetzen könnte,
wäre die Schaffung von Transparenz. Lassen Sie uns
diese Lager besichtigen! Lassen Sie uns ein Urteil vor
Ort fällen! Dann können wir mit der chinesischen Seite
objektiver über die Situation in diesen Lagern diskutie-
ren. Die pauschale Drohung hinsichtlich der Qualität der
Beziehungen hilft mit Sicherheit nicht weiter.

Einen Erfolg – ich komme zum Schluss, Frau Präsi-
dentin – hat unsere Initiative mit Sicherheit schon jetzt
gehabt: Sie hat dafür gesorgt, dass ein in Europa bisher
kaum bekanntes Thema auf die Tagesordnung gekom-
men ist und dass es im öffentlichen Bewusstsein ist.
Vielleicht ist das ein Beitrag – neben dem, was wir im






(A) (C)



(B) (D)


Florian Toncar
Antrag verlangen –, dass die Laogai-Lager schon bald
der Vergangenheit angehören werden.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609723900

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin

Erika Steinbach.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Erika Steinbach-Hermann (Plos):
Rede ID: ID1609724000

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „China
droht dem Bundestag mit Kaltfront“ titelt heute die „Ta-
geszeitung“. Der Deutsche Bundestag lässt sich nicht
drohen, von niemandem. Wir sind auch Anwalt von
Menschen, die in ihren Ländern keinen Anwalt haben.
Menschenrechte bedürfen des Anwaltes. Der Deutsche
Bundestag nimmt diese Themen auf, ob sie China oder
andere Länder betreffen. Das mag letzten Endes auch
China akzeptieren.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Genauso wie die russischen Gulags längst zum In-
begriff für … systematische Menschenverachtung
geworden sind, sollte auch das chinesische Wort
Laogai in jedes Wörterbuch aufgenommen werden.

Das ist ein Zitat von Harry Wu, dem Vorsitzenden der
Laogai-Stiftung und vielen von Ihnen als sehr engagier-
ter Kämpfer gegen das chinesische Laogai-Zwangsarbei-
tersystem bekannt. Von ihm wissen wir sehr viel.

Sein Wunsch hat sich inzwischen erfüllt. Der Duden
hat den Begriff Laogai mittlerweile in seinen Wortschatz
aufgenommen. Ich wünsche mir allerdings, dass dieses
Wort eines Tages wieder daraus verschwinden kann,
nämlich dann, wenn der Schrecken, den es bezeichnet,
auf dem Schutthaufen der Geschichte gelandet sein wird,
wo er hingehört.

19 Jahre hat der Katholik Harry Wu als sogenannter
rechter Abweichler in einem der chinesischen Laogai-
Lager eingesessen. Er selbst bezeichnet diese Lager als
ein „ausgeklügeltes System für die physische, geistige
und psychische Vernichtung eines Menschen“. In der Tat
handelt es sich derzeit um das weltweit größte System
von Umerziehungs- und Arbeitslagern – eine moderne
Form der Sklaverei. Bis zu 50 Millionen Menschen, so
schätzt man, haben seit der Einführung des Laogai-Sys-
tems unter Mao Zedong ihr Leben in diesen Lagern ge-
fristet.

Unabhängige Schätzungen gehen davon aus, dass ge-
genwärtig 4 bis 6 Millionen Chinesen – die Zahl ist nicht
genau bekannt, aber wir wollen das irgendwann auch
einmal wissen – in bis zu 1 000 Lagern einsitzen. Dazu
gehören politisch Inhaftierte genauso wie Angehörige
von ethnischen oder religiösen Minderheiten wie Tibe-
ter, Mongolen, Uiguren und Falun-Gong-Praktizierende;
aber auch Drogensüchtige und Homosexuelle werden oft
jahrelang in Lagerhaft genommen.
Das chinesische Strafgesetzbuch sieht vor, dass jeder
arbeitsfähige, rechtskräftig verurteilte Verbrecher eine
– wie es da heißt – Reform durch Arbeit durchlaufen
soll. Nicht alle Laogai-Insassen sind jedoch nach rechts-
staatlichen Verfahren – selbst nach chinesischen Maßstä-
ben von Rechtsstaatlichkeit, die der unseren durchaus
nicht entspricht – bzw. Verfahren, die in China für
rechtsstaatlich gehalten werden, verurteilt worden. Die
sogenannte Administrativhaft macht es möglich, dass
missliebige Personen einfach so per Polizeiverfügung
bis zu drei Jahre eingesperrt werden können. Davon wird
in der Praxis sehr rege Gebrauch gemacht. Die Betroffe-
nen haben dann überhaupt kein Recht auf Verteidigung
oder Berufung. Nicht selten werden Aussagen, die durch
Folter erpresst wurden, als Geständnis deklariert.

Die Lager – das wurde auch schon deutlich – sind an
Fabriken, Minen oder Farmen angeschlossen. Hier wer-
den die Häftlinge bis zu 18 Stunden täglich zur unent-
geltlichen Arbeit gezwungen. Wer das Arbeitspensum
nicht schafft, dem droht dann auch noch Nahrungsent-
zug mit der Folge, dass er noch schlechter arbeiten kann.

Die Lebensbedingungen in diesen Lagern sind men-
schenverachtend. Misshandlungen, Mangelernährung,
auch sexueller Missbrauch sind dort trauriger Alltag.
Angewandte Foltermethoden sind seit jeher aus kommu-
nistischen und anderen Lagersystemen bekannt, nämlich
Hiebe, Schlafentzug, Stromschläge oder psychische Fol-
ter. All das kennen wir aus anderen Lagersystemen.

Neben Zwangsarbeit ist Gehirnwäsche, die soge-
nannte Gedankenreform – man muss sich das Wort Ge-
dankenreform einmal vorstellen –, eine zweite Kompo-
nente des Laogai-Systems. Die Lagerinsassen müssen
ihre realen oder auch vermeintlichen Missetaten geste-
hen, Selbstkritik üben und schließlich Reue zeigen. Ziel
ist es, ihren Willen zu brechen und ihre Selbstachtung zu
untergraben, um sie so zu treuen Anhängern des Sozia-
lismus chinesischer Prägung umzuerziehen.

Ein besonders schockierender Auswuchs dieses Sys-
tems hat uns in den letzten Monaten immer wieder be-
schäftigt, nämlich ein blühender Organhandel. Es ist
längst kein Geheimnis mehr, dass toten Häftlingen Or-
gane entnommen und diese gewinnbringend für Trans-
plantationszwecke weiterverkauft werden. Dies alles ge-
schieht laut offizieller chinesischer Lesart mit der
angeblich freiwilligen Zustimmung der Gefangenen
bzw. deren Familienangehörigen. In einem solchen La-
gersystem muss allerdings jede angeblich freiwillig ab-
gegebene Erklärung als höchst fragwürdig betrachtet
werden. Ich traue dem Ganzen nicht über den Weg. Be-
sonders erschütternd sind Berichte, die man immer wie-
der einmal hört, über Tötungen ausschließlich zum Zwe-
cke der Organentnahme. Dabei sollen durch zuvor
stattfindende Reihenuntersuchungen geeignete Perso-
nen identifiziert werden, die dann erst bei Bedarf getötet
werden.

Die chinesische Regierung hat inzwischen angekün-
digt – das ist immerhin ein Fortschritt –, den illegalen
Handel mit Organen gesetzlich zu unterbinden. Die Ge-
setzesänderung ist offensichtlich eine Reaktion auf den
anhaltenden internationalen Druck von Politikern und






(A) (C)



(B) (D)


Erika Steinbach
Menschenrechtsorganisationen. Das macht auch deut-
lich, wie wichtig es ist, dass wir im Bundestag über diese
Themen sprechen. Organentnahme ohne Einwilligung
des Spenders soll nunmehr strafrechtlich verfolgt wer-
den. Das wäre schon ein Schritt in die richtige Richtung.
Ob jetzt nur Papier beschrieben wurde oder sich die Pra-
xis tatsächlich ändert, wird sich zeigen.

Geschäfte werden jedoch nicht nur mit den Organen
der Häftlinge gemacht, sondern auch mit ihrer kostenlo-
sen Arbeitskraft. Was die Aufklärungsarbeit erschwert,
ist ein mangelnder Überblick unsererseits über Produk-
tionsstätten und Produktionsmethoden. Daher ist es nicht
ganz einfach, nachzuvollziehen, welche Produkte tat-
sächlich aus Zwangsarbeiterlagern kommen. China ver-
weigert – mit ganz wenigen Ausnahmen – internationa-
len Delegationen regelmäßig einen Besuch in den
Lagern. Unsere Ausschussvorsitzende musste das kürz-
lich selbst erfahren, als sie China besuchte. Vielleicht ha-
ben die Kollegen beim nächsten Besuch mehr Erfolg; ich
hoffe es sehr.


(Holger Haibach [CDU/CSU]: Das hoffen wir auch!)


– Ich drücke die Daumen.

Nur der Aufklärungsarbeit von Menschen wie Harry
Wu ist es zu verdanken, dass wir etwas Licht in das Dun-
kel bekommen haben und dass wir immer wieder auf die
Menschenrechtsverletzungen hingewiesen worden sind.

Die chinesische Regierung bestreitet offiziell den Ex-
port von Laogai-Produkten. De facto werden sie aber in
alle Welt exportiert. So werden beispielsweise 20 Pro-
zent der chinesischen Kohleproduktion durch Laogai-
Häftlinge gefördert, und es ist zu vermuten, dass ein
Drittel des chinesischen Weltmarkttees aus diesen La-
gerproduktionen stammt.

Mit dem Laogai-System stehen dem chinesischen
Regime Millionen von kostenlosen Arbeitskräften für
zahllose Produkte zur Verfügung. Damit bekommt die
Aussage „Made in China“ einen besonders bitteren Bei-
geschmack.

Allen internationalen Protesten zum Trotz hat China
Anfang dieses Jahres angekündigt, die Laogai-Lager und
die Administrativhaft nicht abzuschaffen, sondern ledig-
lich zu verbessern. Berichten zufolge wird über eine
Umwandlung der Laogai-Lager in ein System von
Erziehungsanstalten nachgedacht. Ich halte es für
wichtig, dass man sie nicht umbenennt, sondern ganz
einfach abschafft, um die Lebensbedingungen der Men-
schen zu verbessern.

China hat kürzlich angekündigt, dass es auch in Zu-
kunft keine unabhängige Justiz geben wird. Das lässt für
die Bekämpfung von Folter nichts Gutes erahnen, da
China zwar Fortschritte bei der Gesetzgebung macht,
aber bei der Durchsetzung von Recht nach wie vor die
Kommunistische Partei die Entscheidung über Urteile
fällt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der große
Chinese Konfuzius sagte: „Einen Fehler begangen haben
und ihn nicht korrigieren: Erst das ist ein Fehler.“ – Der
chinesische Drache ist ein Symbol für Weisheit. So kön-
nen wir vielleicht gemeinsam hoffen, dass China seine
menschenverachtende Politik in Weisheit endlich korri-
giert.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609724100

Michael Leutert hat jetzt das Wort für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Michael Leutert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609724200

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin!

Auch für uns besteht kein Zweifel, dass dieses Laogai-
Lagersystem keiner menschenrechtlichen Betrachtung
standhält, dass es verurteilt und abgeschafft gehört.


(Beifall bei der LINKEN)


Trotzdem möchte ich auf zwei Punkte des Antrags kri-
tisch eingehen.

Der erste Punkt ist, wie ich vermute, ein Lapsus, aber
doch etwas zynisch: Den US-Kongress als Kronzeugen
der Menschenrechte heranzuziehen, wenn es um ein La-
gersystem geht, das wir verurteilen wollen, halte ich nun
wirklich für verfehlt und zynisch.


(Beifall bei der LINKEN – Peter Bleser [CDU/ CSU]: Das ist eine Unverschämtheit!)


Gerade die USA, die mit Guantánamo ein Lagersystem
– das ist ja bekannt – aufgebaut haben! Von den Ameri-
kanern habe ich bis heute noch kein Zeichen, ob ich
meine Reise nach Guantánamo antreten darf. Der Bot-
schaftsrat hat uns in Vorbereitung auf unsere Delega-
tionsreise nach China immerhin angekündigt, unser Vor-
haben zu unterstützen, dieses Lager zu besuchen.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Da vergleichen Sie Äpfel mit Birnen!)


– Diesen Vergleich muss man sich schon gefallen lassen,
wenn man die USA im Antrag erwähnt.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich bin der Meinung, man sollte das Angebot des Bot-
schaftsrats annehmen und entsprechend handeln.

Punkt zwei; das ist der inhaltlich stärkere Kritikpunkt.
Uns geht der Antrag bezüglich der Kritik an der Zwangs-
arbeit einfach nicht weit genug. In diesem Antrag wird
Zwangsarbeit nur mit Blick auf die Laogai-Lager verur-
teilt. Die Zwangsarbeit bei den „Normalarbeitsverhält-
nissen“ wird nicht angesprochen. Das führt meines
Erachtens zu einer Verharmlosung der Situation in der
übrigen Arbeitswelt in China.

Ich möchte ein Beispiel nennen. Ich bin erstaunt, dass
niemand sonst dieses Beispiel genannt hat. Wir reden im
Forderungskatalog von einer Selbstverpflichtung der
deutschen Wirtschaft. Kollege Toncar, Sie hatten die
Spielwarenindustrie angesprochen.

Ich nenne einmal ein anderes Beispiel. Die „taz“ ti-
telte am 8. Mai 2007 – es ist also kein alter Bericht –:






(A) (C)



(B) (D)


Michael Leutert
Teuer bezahlte Aldi-Schnäppchen

Darunter heißt es:

Aldi ist der achtgrößte Textilhändler der Republik.
Viele Hemden und Hosen kommen aus China, wo
die Näherinnen oft sieben Tage die Woche schuften,
neben den Fabrikhallen schlafen und weniger als
den gesetzlichen Mindestlohn verdienen.

Weiter heißt es:

Morgens um acht haben sie an der Maschine zu sit-
zen, abends um neun endet ihr Werktag …

Das ist also ein Dreizehnstundentag.

In manchen Fabriken gilt die 7-Tage-Woche …

Um noch eins draufzusetzen:

Wer kündigen will, braucht dafür die Erlaubnis des
Arbeitgebers …

Nichts anderes schreiben wir zu dem Laogai-Lager-
system. Es gibt dort eine Siebentagewoche, einen Sech-
zehnstundentag; die Leute sind eingesperrt und Repres-
salien ausgesetzt. Wenn man seinen Arbeitgeber fragen
muss, ob man kündigen darf, ist man natürlich ebenso
eingesperrt. Wenn dazu kein Satz in diesem Antrag steht,
ist das für mich natürlich ein Problem. Das zeigt uns
doch zumindest eines: Mit reiner Selbstverpflichtung
der deutschen Wirtschaft ist es nicht getan. Es muss hier
eine Verpflichtung her und nicht nur eine Selbstver-
pflichtung.


(Beifall bei der LINKEN)


Letzter Punkt. Ich freue mich, dass es bei der CDU/
CSU einen Erkenntnisgewinn gibt. Denn Sie können den
Antrag nur dann mit einreichen, wenn Sie Ihr Motto
„Sozial ist, was Arbeit schafft“, das Sie einmal aufge-
stellt haben, korrigieren.


(Unruhe bei der CDU/CSU)


Denn dieses Beispiel dürfte uns zeigen – die Internatio-
nale Arbeitsorganisation und die entsprechenden Nor-
men sind angesprochen worden –: Sozial ist Arbeit nur,
wenn sie unter humanen Bedingungen und für einen ge-
rechten Lohn geleistet wird.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN – Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Einfach nur peinlich!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609724300

Jetzt spricht Thilo Hoppe für das Bündnis 90/

Die Grünen.


Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609724400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Kollege Leutert, Sie vermischen da ganz ver-
schiedene Themen, die alle gesondert diskutiert werden
müssten. Natürlich müssen wir Debatten über notwen-
dige ökologische und soziale Mindeststandards sowie
über Freihandels- und Sonderwirtschaftszonen führen.
Aber dies mit der jetzigen Debatte zu vermengen, halte
ich für völlig unangebracht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Denn das, was in den Laogai-Lagern geschieht, ist noch
einmal zehn Nummern schärfer und kann mit prekären
Arbeitsverhältnissen in anderen Bereichen nicht vergli-
chen werden.

Auch zu Guantánamo gab es kritische Worte aus vie-
len Fraktionen. Aber es geht heute um die Laogai-Lager.
Darauf sollten wir uns konzentrieren und gemeinschaft-
lich und fraktionsübergreifend einen scharfen Protest
zum Ausdruck bringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Die chinesische Wirtschaft boomt. Fast 20 Prozent
des Außenhandels der Volksrepublik werden mit den
EU-Ländern getätigt, und Deutschland ist auf Platz fünf
im Außenhandelsranking. Ministerpräsident Jürgen
Rüttgers forderte kurz nach seiner Chinareise, den Han-
del mit China kräftig zu erweitern. Das ist legitim. Aber
wir müssen viel stärker der Frage nachgehen, was denn
der Hintergrund von den vielen Billigimporten aus
China ist und unter welchen Bedingungen sie produziert
wurden. Das ist die Kehrseite der verlockenden Geiz-ist-
geil-Angebote.

Leider ist es noch immer so, dass die Boomwirtschaft
China sich sehr wenig um soziale Mindeststandards und
Menschenrechte kümmert. Billigprodukte sind oft des-
halb so billig, weil sie aus den Laogai-Arbeitslagern
kommen. Der geringe Preis kommt dadurch zustande,
dass der Faktor Arbeit in diesen Lagern nichts kostet.
Die Menschen – es sind mindestens zwei Millionen –
werden unter unsäglichen Bedingungen ausgebeutet; das
ist schon von vielen Rednerinnen und Rednern vor mir
gesagt worden, und ich muss es nicht wiederholen. Es
gibt Demütigungen – vereinzelt auch Folter –, und Men-
schen werden auf eine unmenschliche Art und Weise
ausgebeutet.

Die Laogai Research Foundation schätzt, dass seit der
Regierungszeit von Mao Zedong 40 Millionen bis
50 Millionen Menschen in diesen Arbeitslagern umge-
kommen sind. Kein Wunder also, dass die chinesische
Botschaft viel unternommen hat, um die Debatte, die wir
heute führen, zu unterbinden. Die Aussage der chinesi-
schen Botschaft, die Umerziehung durch Arbeit sei ein
legitimes Mittel, um die innere Sicherheit zu gewährleis-
ten, klingt zynisch und muss nicht weiter kommentiert
werden. Ein chinesisches Sprichwort sagt, frei übersetzt:
„Wenn Du nicht willst, dass Dein Handeln jemand er-
fährt, dann handele einfach nicht so.“

Wir erkennen an, dass es im Menschenrechtsdialog
mit China in einzelnen Sektoren Fortschritte gibt. Die
chinesische Regierung muss aber aushalten, dass hier
auch über die Schattenseiten, über die prekären Verhält-
nisse offen und schonungslos debattiert wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Thilo Hoppe
Sie muss aushalten, dass wir Menschenrechte und Wirt-
schaftsfragen nicht miteinander aufwiegen. Die Drohun-
gen, die im Vorfeld dieser Debatte ausgestoßen wurden,
haben mich doch mehr als irritiert.

Frau Kollegin Steinbach hat darauf hingewiesen, dass
uns sehr erschreckende Meldungen über illegale Organ-
entnahmen bei Menschen, die hingerichtet wurden oder
hingerichtet werden sollen, erreicht haben. Es gibt auch
Berichte von einem ehemaligen kanadischen Staatssek-
retär und von einem Menschenrechtsanwalt, dass auch
Falun-Gong-Anhänger Opfer dieser illegalen Organent-
nahmen geworden sind. Die Berichte, die wir gehört ha-
ben, klingen schier unglaublich. Der Wahrheitsgehalt
dieser Berichte kann so schnell nicht verifiziert werden,
aber wir bitten die Bundesregierung, diesen Vorwürfen,
diesen Anschuldigungen sehr sorgsam und gründlich
nachzugehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Wir müssen auch bei der Ausbildung von Medizinern
aufpassen – es gibt ja eine deutsch-chinesische Koopera-
tion auf diesem Gebiet –, dass wir nicht unbewusst zu
Komplizen bei der illegalen Organentnahme werden.
Das wäre gar nicht auszuhalten.

Ich bin sehr froh, dass wir hier weitgehend fraktions-
übergreifend die unmenschlichen Bedingungen in den
Laogai-Arbeitslagern scharf verurteilen. Wir erwarten
jetzt von der Bundesregierung, dass dieser gemeinsame
Protest der chinesischen Regierung gegenüber klar und
deutlich zum Ausdruck gebracht wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Die Initiative der Spielwarenindustrie wurde von Ih-
nen, Herr Toncar, schon angesprochen. Wir fordern, dass
sich auch andere Sektoren der deutschen Wirtschaft stär-
ker für Transparenz einsetzen und dass sich die Verbrau-
cherschutzverbände dieses Themas annehmen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609724500

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.


Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609724600

Die Konsumentinnen und Konsumenten müssen die

Möglichkeit erhalten, die Augen aufzumachen und Pro-
dukte aus diesen Arbeitslagern zu boykottieren.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609724700

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu
dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der
FDP und von Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Für
die Verurteilung des Systems der Laogai-Lager in
China“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5146, den
Antrag auf Drucksache 16/4559 anzunehmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfeh-
lung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktionen
der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die
Stimmen der Linken angenommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/5146 empfiehlt der Ausschuss, den An-
trag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/855 mit
dem Titel „Für die Verurteilung des Systems der Laogai-
Lager in China“ für erledigt zu erklären. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Damit ist diese Beschlussempfehlung ein-
stimmig angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a bis 14 c auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christel
Happach-Kasan, Cornelia Pieper, Hans-Michael
Goldmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP

Eigentumsrechte und Forschungsfreiheit
schützen – Entschiedenes Vorgehen gegen Zer-
störungen von Wertprüfungs- und Sortenver-
suchen sowie von Feldern mit gentechnisch
veränderten Pflanzen

– Drucksachen 16/2835, 16/4474 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Max Lehmer
Elvira Drobinski-Weiß
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Ulrike Höfken

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Bärbel Höhn, Cornelia Behm, Undine
Kurth (Quedlinburg) und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Keine Freisetzung von gentechnisch veränder-
ten Pflanzen auf dem Gelände des Instituts für
Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung
in Gatersleben

– Drucksache 16/4904 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Bärbel Höhn, Cornelia Behm und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Einfuhrverbot für Produkte aus dem gentech-
nisch veränderten Mais MON863 anordnen

– Drucksache 16/4905 –






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Es ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. –
Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Max Lehmer für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Max Lehmer (CSU):
Rede ID: ID1609724800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrte Gäste! In meinem kurzen Vortrag möchte
ich Stellung nehmen zum Antrag der FDP und zu den
Anträgen des Bündnisses 90/Die Grünen, die teilweise
schon im Ausschuss thematisch besprochen und vorbe-
handelt wurden.

Zunächst einmal zum Antrag der FDP-Fraktion
„Eigentumsrechte und Forschungsfreiheit schützen“.
Die Feldzerstörungen sind in jedem Falle auf das
Schärfste zu verurteilen und strafrechtlich zu verfolgen.
Darüber, glaube ich, sollten wir uns alle einig sein.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Hierin stimmen wir auch mit Ihnen von der FDP über-
ein; daran gibt es keine Zweifel.

Eine Entscheidung über die Zukunft von Wissen-
schaftsdisziplinen – hierbei geht es um eine wichtige
Wissenschaftsdisziplin – kann nur auf der Basis transpa-
renter und reproduzierbarer Versuchsergebnisse gefun-
den werden.


(Beifall der Abg. Dr. Christel Happach-Kasan [FDP])


Zerstörung kann keinesfalls ein Mittel der Auseinander-
setzung über strittige Wissenschaftsdisziplinen sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Im Rahmen der notwendigen Forschungen zur Grü-
nen Gentechnik sind Freilandversuche unverzichtbar,
auch wenn teilweise das Gegenteil behauptet wird.
CDU/CSU und SPD haben bereits bei ihren Koalitions-
verhandlungen die Bedeutung der Forschung für diese
innovative Technologie erkannt und deshalb in den Ko-
alitionsvertrag die Absicht aufgenommen, die For-
schung in der Grünen Gentechnik zu fördern.

Freilandversuche sind die Voraussetzung dafür, ver-
lässliche, wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zu fol-
genden Fragen, die durchaus noch nicht alle geklärt sind,
zu erlangen: erstens Erkenntnisse zur Koexistenz, also
zu Anbauabständen, Nachbarkulturen, Mantelsaaten,
zweitens Erkenntnisse zu den Auswirkungen auf das Bo-
denleben, drittens Basisdaten und Fakten für die gute
landwirtschaftliche Praxis und letztlich viertens eine bio-
logische Datengrundlage für praktikable Haftungsre-
geln.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass
ein Hauptargument der Gentechnikgegner immer war,
die Gentechnik sei nicht genug erforscht und es gebe zu
wenig Versuchsergebnisse, um die ökologischen Aus-
wirkungen durch den Anbau von GVO-Pflanzen umfas-
send beurteilen zu können. Genau dem wollen wir abhel-
fen. Wir tun also etwas zur Beruhigung unserer Gegner.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Eine wichtige Frage dabei ist: Wie kann man wirksam
gegen Feldzerstörungen vorgehen? Das Eckpunktepa-
pier sieht vor, dass im öffentlichen Teil des Standortre-
gisters zukünftig nur noch die Gemarkung angegeben
wird. Das ist sicher eine Möglichkeit, aber keine umfas-
sende, um in jedem Fall zu vermeiden, dass das Stand-
ortregister als Wegweiser für Genfeldzerstörer ver-
wendet wird. Dies geschieht deswegen, um dem
Informationsinteresse der Öffentlichkeit zu entsprechen
und dabei gleichzeitig – das ist sehr wichtig – weitere
Feldzerstörungen zu verhindern. Aber jedem, der ein be-
rechtigtes Interesse an der genauen Lage eines entspre-
chenden Grundstücks darlegt, wird diese mitgeteilt. Das
gilt insbesondere für Nachbarn und Imker in der umlie-
genden Region.

In diesem Zusammenhang kurz einige Sätze zum Pro-
blemkreis „Akzeptanz und Kommunikation“. Die
Ängste in der Bevölkerung gegenüber modernen Tech-
nologien müssen wir auf jeden Fall ernst nehmen.
Ängste basieren meist auf fehlenden verständlichen In-
formationen. Das ist gerade bei der Grünen Gentechnik
der Fall. Die Bürger unseres Landes müssen endlich
sachlich aufgeklärt werden und wissenschaftlich fun-
dierte Fakten über die Grüne Gentechnik und die Zielset-
zungen gerade der Freilandversuche erhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Viele Ängste wurden und werden immer noch durch
sehr einseitige und überzogene Risikodarstellungen von
Organisationen verursacht, die bewusst und absichtlich
die Grüne Gentechnik ablehnen, ja diese sogar bekämp-
fen. Eine Abwägung zwischen Chancen und Risiken
kann aber nur in einem angst- und ideologiefreien Klima
stattfinden. Ich denke, das ist unbestritten.

Ich muss also feststellen: Wir stimmen in vielen
Punkten mit dem Antrag der FDP überein. Wesentliche
Punkte wurden aber schon erfüllt oder werden, wie im
Eckpunktepapier vorgesehen, noch erfüllt. Deshalb hal-
ten wir den Antrag in der vorgelegten Form für überflüs-
sig. Außerdem ist für die öffentliche Sicherheit und Ord-
nung in Deutschland und damit für die Unversehrtheit
der Versuchsfelder nicht der Bund, sondern sind die Län-
derbehörden zuständig.

Nun zum Antrag des Bündnisses 90/Die Grünen zum
Problemkreis „Keine GVO-Freisetzungen in Gatersle-
ben“. Konkret geht es bei diesem Antrag um zwei ver-
schiedene Freisetzungsversuche: zum einen um einen






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Max Lehmer
Versuch mit Weizen und zum anderen um einen mit Erb-
sen. Beide sind durch das BVL genehmigt. Entscheiden-
der Punkt dabei ist: Der Leiter der angeblich betroffenen
Genbank, Herr Professor Dr. Andreas Graner, sieht sei-
nerseits als Experte keinerlei Risiko für die pflanzenge-
netischen Ressourcen der Genbank. Ein besseres Argu-
ment ist nicht vorstellbar. Ich sage ausdrücklich: Auch
uns sind der Erhalt und die Sicherheit der Genbank ein
ausgesprochen großes Anliegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Auch das BVL kam in seiner der Genehmigung vo-
rausgegangenen Sicherheitsbewertung zu dem Schluss,
dass von dem Freisetzungsversuch keine schädlichen
Einflüsse auf Menschen und Tiere sowie auf die Umwelt
zu erwarten sind. Es hat aber trotzdem vorsorglich zu-
sätzliche Sicherheitsmaßnahmen verfügt. Das Leibniz-
Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenfor-
schung wird während der Freisetzung keine zum Sorti-
ment der Genbank gehörenden Erbsen im Freiland kulti-
vieren, sodass Auskreuzungen in das Erbmaterial der
Genbank vermieden werden. Zu Flächen außerhalb des
Institutsgeländes, auf denen konventionelle Erbsen an-
gebaut werden, wird ein Abstand von mindestens
1 000 Metern eingehalten. Bei den Weizenpflanzen ist es
ein Abstand von 500 Metern. Da sowohl bei den Wei-
zen- als auch bei den Erbsenpflanzen überwiegend
Selbstbestäubung stattfindet, ist die Wahrscheinlichkeit
einer Auskreuzung ohnehin äußerst gering.

Für die Entscheidung des BVL wurden Stellungnah-
men des Bundesamtes für Naturschutz, des Bundesinsti-
tuts für Risikobewertung und des Robert Koch-Institutes
eingeholt. Gleichzeitig wurden Stellungnahmen des un-
abhängigen Wissenschaftler- und Sachverständigengre-
miums, der Zentralen Kommission für die Biologische
Sicherheit und der Biologischen Bundesanstalt für Land-
und Forstwirtschaft in die Entscheidung einbezogen.
Darüber hinaus wurde das BVL durch die fachliche Stel-
lungnahme des Landes Sachsen-Anhalt unterstützt.

Ich halte als Fazit fest: Von der Freisetzung gehen
nach Erkenntnissen aller Wissenschaftler und Experten
keine Risiken aus,


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


weder für die Genbank noch sonst für Mensch, Tier oder
Umwelt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Folglich lehnen wir diesen Antrag ab.

Nun zum zweiten Antrag des Bündnisses 90/Die Grü-
nen zum Einfuhrverbot für Produkte aus Mais
MON 863. Über dieses Thema haben wir schon mehr-
fach diskutiert. Dieser Antrag bezieht sich auf eine
Gruppe französischer Wissenschaftler, die neue Zweifel
an der gesundheitlichen Unbedenklichkeit des gentech-
nisch veränderten Maises MON 863 geäußert hat. Zur
Erläuterung: MON-863-Mais besitzt eine Resistenz ge-
gen den Maiswurzelbohrer und wird in Nordamerika an-
gebaut. Er ist in der EU als Lebens- und Futtermittel zu-
gelassen.

Die französischen Wissenschaftler stützten sich auf
eine erneute Auswertung aller Unterlagen aus den Fütte-
rungsversuchen, die im Vorfeld der Zulassung von dem
Unternehmen Monsanto durchgeführt wurden. Die
Gruppe sieht Anzeichen dafür, dass Leber und Nieren
der mit MON 863 gefütterten Versuchstiere geschädigt
wurden. Nach der von Greenpeace finanzierten erneuten
Analyse der Monsanto-Unterlagen – ich denke, das al-
lein ist schon ein sehr bemerkenswerter Vorgang –
kommt Professor Séralini zu dem Ergebnis, dass neue
Fütterungsversuche über einen längeren Zeitraum erfor-
derlich seien, bevor die gesundheitliche Unbedenklich-
keit beurteilt werden könne.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Genau!)


Laut EFSA wurde die von Monsanto durchgeführte
Fütterungsstudie an Ratten entsprechend dem Qualitäts-
sicherungsstandard und den OECD-Richtlinien durchge-
führt, und sie umfasst wissenschaftlich profunde toxiko-
logische Untersuchungen, Frau Tackmann,


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glaubt doch kein Mensch!)


sowie korrekte statistische Auswertungen der Versuchs-
ergebnisse. Darüber können Sie sich als wissenschaftlich
geschulte Kollegin informieren.

Schon vor der Zulassung von MON 863 in Europa
wurde über die Interpretation der Daten aus der Fütte-
rungsstudie diskutiert. Es hat im Blutbild der mit
MON 863 gefütterten Tiere statistisch auffällige Abwei-
chungen gegeben. Die Experten der Europäischen Be-
hörde für Lebensmittelsicherheit hatten diese Auffällig-
keiten aber als biologisch nicht relevant eingestuft, da
sie sich im Rahmen normaler biologischer Streuung be-
wegten.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Woher wissen Sie das?)


Auch bei weiteren Untersuchungen haben die Behörden
keine Hinweise auf mögliche gesundheitliche Gefähr-
dungen gefunden.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609724900

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.


Dr. Max Lehmer (CSU):
Rede ID: ID1609725000

Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin.

Nach Ansicht des BfR liefert die französische Ana-
lyse der Daten ebenfalls keine Belege, welche die frühe-
ren Bewertungen der 90-tägigen Rattenstudie infrage
stellen. Deshalb lehnen wir auch diesen Antrag ab, eben-
falls das beantragte Moratorium, das jeglicher EU-recht-
lichen Grundlage entbehrt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609725100

Die Kollegin Happach-Kasan spricht jetzt für die

FDP-Fraktion.


Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1609725200

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich au-

ßerordentlich darüber, dass sich die SPD, die Grünen
und auch Die Linke nun entschlossen haben, an dieser
Debatte aktiv teilzunehmen.


(Zurufe von der SPD: Oh!)


Ich bedanke mich vor allem beim Kollegen Lehmer, dass
er mir die Stange gehalten hat und von Anfang an gesagt
hat, dass er reden wird. Das finde ich ausgesprochen
nett.


(Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: So billig! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Billig! – René Röspel [SPD]: Ich war auch immer fürs Reden!)


– Frau Präsidentin, habe ich das Wort?


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist billig!)


– Frau Präsidentin, habe ich das Wort, oder habe ich es
nicht?


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609725300

Sie haben das Wort.


Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1609725400

Ich habe in einer der letzten Ausgaben des „Stern“

dieses wunderschöne Foto von Tomaten gefunden. Es
hat mir ausgesprochen gut gefallen. Es waren transgene,
allergenfreie Tomaten abgebildet. Wer im Internet
forscht, findet auch transgene, allergenfreie Apfelsorten.
Diese Zuchtlinien gibt es inzwischen. Sie sind in Europa
erforscht worden, zum Beispiel in Wien, in Deutschland
oder den Niederlanden.

Den Allergikern müssen wir aber leider sagen: Sie
werden diese Sorten nicht essen können; denn sie wer-
den bei uns nicht angebaut werden. Somit wird diese
Forschung, da bin ich mir sicher, in die USA gehen.
75 Prozent der Allergiker in den USA freuen sich bereits
auf solche Sorten. Ich hoffe sehr, dass sie sie auch erhal-
ten werden; denn Äpfel und Tomaten schmecken richtig
gut, auch den Allergikern.

Die Hightechstrategie der Bundesregierung ist mit
sehr vielen Worten angekündigt worden. Sie wurde zwar
hoch gelobt, aber es fehlt ihr etwas: Es fehlt die Novelle
des Gentechnikgesetzes. Kollege Lehmer, auch Sie
mussten heute leider wieder nur von den Eckpunkten
sprechen. Sie konnten keine Novelle des Gentechnikge-
setzes vorlegen, mit der der Anbau und die Forschung
tatsächlich gefördert würden. Bundesminister Seehofer,
der Ankündigungsminister, steht mit leeren Händen da.


(Beifall bei der FDP)


Die FDP-Bundestagsfraktion hat dagegen bereits eine
Novelle des Gentechnikgesetzes vorgelegt und dafür
Lob und Anerkennung derer erfahren, die sich mit die-
sem Thema intensiv beschäftigt haben.


(Beifall bei der FDP)


Wir beraten heute über einen Antrag der FDP, der sich
mit der Zerstörung von Feldern befasst. Kollege Lehmer
hat einiges dazu gesagt. Kollege Lehmer, ich stimme Ih-
nen nicht zu: Dieser Antrag ist nicht überflüssig.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)


Wer sich im Internet informiert, stellt fest, dass sich
Gentechnikgegner wieder einmal sammeln, um weitere
Zerstörungsaktionen durchzuführen. Wer das sieht,
weiß, dass dieser Antrag nicht überflüssig ist. Es ist
wichtig, dass wir darüber beraten. Damit machen wir
deutlich, dass die Zerstörung von Feldern ein krimineller
Akt ist, der bestraft werden muss. Im Übrigen sind die
Täter auch bestraft worden.


(Beifall bei der FDP)


Die Zerstörung von Feldern ist zum einen Ausdruck
von Dummheit. Das muss man angesichts der Tatsache
sagen, dass in Bayern Mineralöl auf einen Acker gekippt
wurde. Zum anderen ist die Zerstörung Ausdruck eines
Demonstrationstourismus. Wer einmal bei einem sol-
chen Happening dabei gewesen ist, weiß, dass das Frei-
zeitgestaltung ist und mit Engagement überhaupt nichts
zu tun hat.


(Ulrich Kelber [SPD]: Waren Sie dabei?)


– Kollege Kelber, sagen Sie doch bitte, dass Sie eine
Zwischenfrage stellen möchten, anstatt dazwischenzuru-
fen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Waren Sie dabei oder nicht?)


– Wenn Sie eine Frage stellen möchten, tun Sie das.
Oder lassen Sie sich Redezeit geben! Das wäre viel bes-
ser.

Ich habe mir die Rede einer Demonstrantin durchge-
lesen. Ich bin betroffen davon, dass diese Frau ohne je-
den Grund Angst hat. All diejenigen, die den Menschen
Angst einjagen, ob von den Grünen, der SPD oder der
Linken,


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder das Bundesministerium!)


machen sich schuldig. Sie vermiesen dieser Frau das Le-
ben durch Ängste, die völlig überflüssig sind.


(Beifall bei der FDP)


Die FDP lehnt den Antrag der Grünen zum Thema
Gatersleben ab. Ich finde ihn absolut überflüssig. Dass
die Grünen gegen die Gentechnik sind, wissen wir. Ich
glaube, dass das, was der Leiter der Genbank gesagt hat,
viel aussagekräftiger ist, dass nämlich von den Freiset-
zungsversuchen keinerlei Gefährdung für die Gendaten-
bank ausgeht. Das ist das Entscheidende, und er ist der
Fachmann, nicht die Grünen.






(A) (C)



(D)


Dr. Christel Happach-Kasan

(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit der freien Wissenschaft haben wir unsere Erfahrungen!)


Im Übrigen möchte ich einmal daran erinnern, dass
Auskreuzungen bei allen Pflanzen passieren, ob sie gen-
technisch verändert sind oder nicht. Das heißt, die Gen-
datenbank wäre, wenn Ihre Annahme zuträfe, von jedem
Anbau, ob es Weizen ist oder ob es Erbsen sind, betrof-
fen. Sie liegen daher mit Ihrem Antrag total falsch.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Richtig!)


In der letzten Ausschusssitzung haben wir das Vorge-
hen des BVL beraten. Man sollte sich noch einmal ganz
klar vor Augen führen, was da passiert ist. Nach dem
Gentechnikgesetz muss der Anbau von gentechnisch
verändertem Mais angekündigt werden. Das ist irgend-
wann im Januar geschehen. Was ist daraufhin passiert?
Nichts. Es wurde veröffentlicht. Was ist daraufhin pas-
siert? Nichts. Der Mais ist ausgesät worden. Was ist da-
raufhin passiert? Auch nichts. Aber eine Woche nach der
Aussaat erließ das BVL eine Anordnung, nach der die
weitere Aussaat verboten wurde. Das ist doch komisch.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht hatten die neue Erkenntnisse!)


Das ist so, als ob man das Angeln in Teichen verbieten
würde, aus denen das Wasser gerade abgelassen wurde.
Das ist eine Symbolhandlung. Damit hat Bundesminister
Seehofer wieder einmal seine Möglichkeiten verstärkt,
CSU-Vorsitzender in Bayern zu werden. Er handelt ver-
antwortungslos gegenüber den Menschen in diesem
Lande. Er sollte sich einmal durchlesen, was die DFG
über die Abwanderung von Wissenschaftlern schreibt!
Er sollte sich einmal durchlesen, welche Beschäfti-
gungspotenziale der Ausbau der Biotechnologie in
Deutschland hat: 600 000 Arbeitsplätze! Er sollte sich
einmal anschauen, was er mit seinem Handeln an Verun-
sicherung der Menschen in diesem Lande verursacht! Er
wird seiner Aufgabe als Minister nicht gerecht.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609725500

Nächste Rednerin ist die Kollegin Elvira Drobinski-

Weiß, SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1609725600

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Genehmi-
gung der Freisetzungsversuche in Gatersleben auf dem
Gelände des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und
Kulturpflanzenforschung, IPK, hat schon im letzten Jahr
hohe Wellen geschlagen. Tausende uralter Sorten wer-
den in der dortigen Genbank bewahrt und zur Erhaltung
immer wieder im Freiland angebaut.
Seit durch die Presse ein Schreiben der zuständigen
Genehmigungsbehörde, des Bundesamtes für Verbrau-
cherschutz und Lebensmittelsicherheit, BVL, bekannt
wurde, in welchem dem IPK nahegelegt wird, die Ver-
mehrungsflächen der Genbank zu verlagern, ist die Auf-
regung groß. Das lässt sich zum Teil auf eine Fehlinter-
pretation des BVL-Schreibens zurückführen: Anders als
im Antrag der Grünen behauptet geht das BVL nicht da-
von aus, dass die Freisetzungsversuche eine Gefährdung
für die Genbank darstellen. Vielmehr ging es darum,
durch eine räumliche Trennung der Erhaltungsflächen
und der Versuchsflächen die öffentliche Diskussion zu
entschärfen und den vielen Einwendungen Rechnung zu
tragen. Ob der Weg, die neuen, relativ kleinen Versuchs-
flächen am Standort zu belassen und die wesentlich grö-
ßeren Erhaltungsflächen, die sich dort seit langem befin-
den, zu verlagern, richtig ist, darüber werden wir im
Ausschuss sicherlich ausführlich diskutieren. Mir ist bis-
her nicht bekannt, wie sich das IPK zu den Empfehlun-
gen des BVL verhält.

Mich persönlich haben die Einwendungen nachdenk-
lich gemacht. Auskreuzungen von den Versuchsfeldern
mit gentechnisch verändertem Weizen lassen sich nicht
zu hundert Prozent ausschließen. Wenn es aber zu sol-
chen Auskreuzungen kommt, dann kann hier ein Stück
biologische Vielfalt verloren gehen. Dabei sollte der
Schutz der biologischen Vielfalt angesichts des Klima-
wandels Priorität haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch für die Gentechnologie ist der Schutz der biologi-
schen Vielfalt von grundlegender Bedeutung; denn sie
ist das Reservoir, aus dem die Gentechnik schöpft. Wer
den Verlust von Arten riskiert, beschneidet auch die
Möglichkeiten der Gentechnik.

Hinzu kommt, dass sich in Bezug auf die Weizenver-
suche die Frage stellt, ob dieses Weizenkonstrukt noch
zeitgemäß ist, finden sich hier doch alle Eigenschaften
versammelt, die die Grüne Gentechnik in Verruf ge-
bracht haben: zwei Antibiotikaresistenzgene – nach EU-
Vorgaben soll darauf verzichtet werden, um Resistenzen
zu vermeiden – sowie eine Resistenz gegen das Totalher-
bizid Basta. Insgesamt soll sich dieser gentechnisch ver-
änderte Weizen durch einen erhöhten Proteingehalt aus-
zeichnen, alles in allem eine Entwicklung, deren Vorteile
zweifelhaft, zumindest aber schwer vermittelbar sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Weizen als Nahrungsmittelpflanze Nummer eins ist
besonders emotional besetzt. Gentechnisch veränderter
Weizen ist darüber hinaus ein großes wirtschaftliches Ri-
siko für die Landwirte und die Lebensmittelproduzenten.
In einem Beitrag des Mitteldeutschen Rundfunks vom
27. Oktober 2006 zu diesem Thema äußerte ein konven-
tionell arbeitender Müller, dass er beim Einkauf ein Ge-
biet, von dem er wisse, dass dort GVO-Weizen angebaut
werde, meiden würde – und er wisse, dass seine Kolle-
gen ebenso verfahren würden.

Wir werden dieses Thema, wie ich bereits sagte, im
Ausschuss ausführlich diskutieren. In diesem Zusam-

(B)







(A) (C)



(B) (D)


Elvira Drobinski-Weiß
menhang liegt uns darüber hinaus ein Antrag auf ein
Einfuhrverbot für Produkte aus dem gentechnisch verän-
derten Mais MON 863 vor.

Auch wir haben uns mehrfach für Transparenz bei
den Sicherheitsprüfungen, eine Veröffentlichung der
Studien und die stärkere Ausrichtung auf Langzeit-
beobachtungen eingesetzt; denn nur mit Transparenz
kann man Vertrauen schaffen. Nachher spricht ja noch
der Kollege Röspel, der dazu auch noch etwas sagen
wird.

Des Weiteren liegt uns die Beschlussempfehlung un-
seres Ausschusses zum FDP-Antrag zu den Feldzerstö-
rungen vor, mit dem wir uns auch an dieser Stelle mehr-
fach ausführlich befasst haben.


(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: An dieser Stelle einmal!)


Solche Zerstörungen sind Straftaten – das wurde heute
Abend auch von meinen Vorrednern und Vorrednerinnen
gesagt –, die auch wir ganz entschieden verurteilen.

Den Antrag der FDP lehnen wir ab,


(Ernst Burgbacher [FDP]: Weil er von der FDP kommt!)


da sich ein Zusammenhang – wie immer wieder gerne
behauptet wird – zwischen Feldzerstörungen und dem
öffentlichen Standortregister nicht herleiten lässt.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609725700

Ich gebe das Wort der Kollegin Dr. Kirsten

Tackmann, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609725800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Gäste! Die Skepsis gegenüber und die
Ablehnung der Agro-Gentechnik sind nach wie vor
groß – nicht hier im Bundestag, aber draußen in der rich-
tigen Welt.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ist der Bundestag nicht in der richtigen Welt?)


Dies wurde durch eine Studie der GfK Marktfor-
schung vom Dezember 2006 erneut belegt. 74,9 Prozent
von 1 023 Befragten lehnen die Entwicklung und Ein-
führung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln ab.
Nur 6,7 Prozent befürworten sie, und 18,3 Prozent ist
das Thema egal. Dieses Votum können wir nicht ignorie-
ren. Möglicherweise ist das ja auch ein Votum gegen
Zwangsbeglückung.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Zwangsbeglückung?)


Zunächst zu den Anträgen der FDP. Wir halten die so-
genannten Feldbefreiungen für keine geeignete Protest-
form. Sie erreichen damit auch gar nicht das angestrebte
Ziel. Es lohnt sich aber, darüber nachzudenken, warum
Menschen zu solchen Protestformen greifen. Das sage
ich ausdrücklich vor dem Hintergrund meiner ostdeut-
schen Biografie.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Na, also!)


Ich habe gelernt, nicht nur über Protestformen nachzu-
denken, sondern auch über Protestgründe. Die FDP setzt
mit ihrer Definition von Forschungsfreiheit die Existen-
zen Dritter aufs Spiel.

Wer fordert, dass Verschleppungen aus Genfeldern
bis zu einem Grenzwert von 0,9 Prozent toleriert werden
müssen, der steht eben nicht auf der Seite der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


und auch nicht an der Seite der Landwirte, die keine
Agro-Gentechnik anwenden wollen. Uns ist der Schutz
ihrer Rechte deutlich wichtiger als Monsanto, Pioneer
und Co.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Auch der angebliche Zusammenhang zwischen der
Feldbefreiung und dem öffentlichen Standortregister ist
nicht belegbar. Die Linke lehnt Zugangsbeschränkungen
zum Standortregister ab, weil der von der FDP völlig zu
Recht geforderte öffentliche Dialog zu der Problematik
nur dann stattfinden kann, wenn es Transparenz gibt.
Aus unserer Sicht geht die FDP mit ihrem Antrag daher
in die falsche Richtung. Deshalb wird er abgelehnt.


(Beifall bei der LINKEN)


Zum zweiten Antrag. Über 30 000 Menschen haben
gegen die Freisetzung von genverändertem Weizen in
Gatersleben Einspruch erhoben. Wer schon einmal Un-
terschriften gesammelt hat, der weiß, wie gigantisch
diese Zahl an Unterschriften ist. Gebracht hat es bis jetzt
allerdings nichts. Die nicht auszuschließende Gefähr-
dung der 150 000 alten Kultursorten in der dortigen
Genbank wird ignoriert. Der Gipfel der Absurdität ist:
Das BVL untersagt nicht den Freisetzungsversuch mit
gentechnisch verändertem Weizen und gentechnisch ver-
änderten Erbsen, sondern es empfiehlt die Verlagerung
der Genbank.

Ich habe der Gaterslebener Institutsleitung letzte Wo-
che einen Brief geschrieben und eindringlich die Frage
gestellt: Was ist, wenn Sie das Verschleppungsrisiko un-
terschätzen? Die Antwort lautete: Das kann nicht passie-
ren. – Es gibt aber kein Null-Risiko. Es gibt keine Null-
Irrtumswahrscheinlichkeit. Warum sollten wir also un-
nötige Sicherheitsrisiken für diese Genbank eingehen?
Ich bleibe dabei: Die Vernunft gebietet die sofortige Be-
endigung und Aussetzung dieser Freisetzungsversuche.
Null-Risiko für die Genbank!


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Kirsten Tackmann
Antrag drei. Die Schlagzeile „Rattengift im Popcorn“
ist sicherlich daneben. Worum geht es aber? Französi-
sche Wissenschaftler – das wurde schon genannt – haben
bei einer Neuauswertung der Daten festgestellt – den Zu-
gang zu diesen Daten mussten sie sich übrigens gericht-
lich erstreiten –, dass durch den gentechnisch veränder-
ten Mais MON 863 bei Versuchstieren Schädigungen
von Leber und Nieren verursacht wurden. Die Verände-
rungen blieben zwar innerhalb der biologischen Variabi-
lität, aber vielleicht lag das ja auch daran, dass nur drei
Monate lang getestet wurde. Es ist jedoch ein statistisch
signifikanter, also nicht zufälliger Unterschied zwischen
den Versuchs- und den Kontrollgruppen. Beim Zulas-
sungsverfahren für MON 863 wurde dieser Befund igno-
riert. Man kann nun trefflich darüber diskutieren, ob das
Ergebnis biologisch relevant ist, aber ignorieren darf
man es nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Was auch immer man von dieser Studie hält: Die
Bundesregierung muss aus unserer Sicht nach dem Vor-
sorgegrundsatz handeln und die neuen Hinweise prü-
fen. Bis zur Neubewertung muss aus unserer Sicht nach
Art. 23 der Freisetzungsrichtlinie – der sogenannten
Schutzklausel – die Inverkehrbringung ruhen. MON 863
darf bis zur Klärung der Fragen nicht mehr als Futter-
oder Lebensmittel genutzt werden. Das ist das Mindeste,
was die Verbraucherinnen und Verbraucher von uns er-
warten können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609725900

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Höfken,

Bündnis 90/Die Grünen.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609726000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Was die Vorwürfe des Kollegen Lehmer und
der Kollegin Happach-Kasan angeht, frage ich mich, wo
sie eigentlich leben. In den Anweisungen des Bundes-
ministers Seehofer und des in seinen Zuständigkeitsbe-
reich fallenden Bundesamtes für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit zu MON 810, dem Bt-Mais,
heißt es: Da berechtigter Grund zu der Annahme besteht,
dass der gentechnisch veränderte Mais eine Gefahr für
die menschliche Gesundheit oder Umwelt darstellt, wird
die sofortige Vollziehung des Bescheides angeordnet. –
Dabei geht es um das Verbot des Verkaufs. Heißt das,
dass Sie Herrn Seehofer, der Ihrer Fraktion angehört, der
Ideologie beschuldigen oder gar Schlimmeres? Das
Gleiche gilt dann vielleicht auch für das Verwaltungsge-
richt Augsburg.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609726100

Frau Kollegin, entschuldigen Sie, dass ich Sie unter-

breche. Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Happach-Kasan?

Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609726200

Ja.


Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1609726300

Liebe Kollegin Höfken, wir haben in der letzten Aus-

schusssitzung am Mittwoch das Thema „Bescheid des
BVL“ beraten, und wir haben beide unseren Unmut da-
rüber geäußert, dass der Bescheid erst Ende April ergan-
gen ist, obwohl dem Bundesministerium bereits seit Ja-
nuar bekannt war, auf welchen Feldern gentechnisch
veränderter Mais ausgesät werden würde. Gleichwohl
hat das Ministerium bis Ende April damit gewartet, den
Bescheid zu erlassen.

Sie haben sicherlich auch gehört, dass ich dem Staats-
sekretär Dr. Müller die Frage gestellt habe, welche
neuen Erkenntnisse diesen Bescheid rechtfertigen.
Dr. Müller konnte die Frage aber nicht beantworten. Er
hat uns nicht bestätigt, dass es neue Erkenntnisse gibt.
Es gibt offenbar keine neuen Erkenntnisse. Haben Sie
das nicht gehört, oder wie muss ich Ihre Einlassung zu
diesem Thema verstehen?


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609726400

Ich danke Ihnen für die Frage. Wir sind uns durchaus

einig darin, dass die Anweisung und das Verbot des wei-
teren Verkaufs viel zu spät erfolgt sind. Ich habe einen
ganzen Ordner mit Argumenten gegen MON 810 gefüllt,
den ich auch in den Ausschuss mitgebracht hatte, und
darauf hingewiesen, dass wir als Grüne drei Gutachten
erstellt haben, die die gesundheitlichen, ökologischen
und rechtlichen Bedenken gegen diese Zulassung noch
einmal begründet haben. Das heißt, der Minister hätte
ebenso wie die Landesbehörden, die ich alle einzeln an-
geschrieben habe, sehr viel früher handeln müssen. Da
das Ganze aber inzwischen auch im Amtsblatt veröffent-
licht wurde, kann ich es Ihnen noch weiter vorlesen.

In der Begründung heißt es: Erst mit jüngeren Unter-
suchungen wurde deutlich, dass und in welchem
Ausmaß das Bt-Toxin über die Pflanze in höhere Nah-
rungskettenglieder gelangt. Die Exposition von Nicht-
zielorganismen höherer Nahrungskettenglieder usw. mit
dem Bt-Toxin ist damit belegt.

Weiter heißt es zu den Risiken für den Boden: Bei Bt-
Pflanzen sind die Wirkung und die Verweildauer des in
Pflanzen gebildeten Toxins im Boden derzeit ungeklärt,
sie bergen jedoch ein relativ hohes Potenzial für ökologi-
sche Folgen.

Es werden also in vielerlei Hinsicht auf die Wirkun-
gen des verwendeten Bt-Toxins als Pestizid hingewiesen
sowie eine Reihe von Gefahren aufgezeigt. Das hat dazu
geführt, dass mit sofortiger Wirkung der weitere Verkauf
dieses Maises verboten wurde. – Jetzt bin ich mit der Be-
antwortung Ihrer Zwischenfrage fertig, Frau Happach-
Kasan.


(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Ich habe die Nachfrage, aus welchen Jahren diese neuen Untersuchungen stammen!)


– Das stand nicht im Amtsblatt.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609726500

Frau Kollegin, Nachfragen lässt nach wie vor die Prä-

sidentin zu oder nicht zu. Es tut mir leid.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609726600

Ich werde gerne nachfragen, Frau Happach-Kasan,

wie das zu bewerten ist.

Auf jeden Fall ist eines klar geworden: Der Minister
selbst hat mit Verweis auf Art. 23 der Freisetzungsricht-
linie eine nationale Schutzmaßnahme ergriffen, ich
denke: aus gutem Grund, wie Sie sicherlich bestätigen
werden. Das ist eine Erkenntnis, die zu Konsequenzen
führen muss; denn es kann von uns nicht im Ernst erwar-
tet werden, dass wir das angebaute Zeug tatsächlich in
unsere Nahrungskette gelangen lassen. Nicht nur der
Verkauf muss verboten werden. Vielmehr brauchen wir
ein Moratorium für die weitere Verwendung von sol-
chen gentechnisch veränderten Maisprodukten oder gen-
technisch veränderten Pflanzen insgesamt. Genauso ist
es nötig, den weiteren Anbau und die Verwendung der
daraus entstehenden Produkte sofort zu stoppen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie glauben doch nicht wirklich, dass man das noch an
Tiere verfüttern kann oder in die Nahrungskette gelan-
gen lassen darf!

Das Augsburger Verwaltungsgericht hat gesagt – es
ist Ihrer Meinung nach vielleicht ebenfalls von ideologi-
schen Sichtweisen umschattet –, es könne nicht sein,
dass die Produkte der Landwirtschaft kontaminiert wer-
den, und hat auf Antrag eines Imkers per Eilentscheid
effektive Schutzmaßnahmen verlangt und sehr strenge
Auflagen gemacht; das ist richtig. Das ist eine wichtige
Entscheidung im Hinblick auf den Schutz der gentech-
nikfreien Erzeugung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Minister Seehofer hätte sich also eine Menge Ärger er-
sparen können, wenn er vorausschauend gehandelt hätte
und unseren Forderungen frühzeitig nachgekommen
wäre.

Diese Erkenntnisse müssen dreimal mehr gelten,
wenn es um MON 863 geht, wozu wir einen Antrag vor-
gelegt haben; denn MON 863 ist nicht nur im Hinblick
auf die ökologischen und die gesundheitlichen Risiken
ähnlich wie MON 810 zu bewerten. Darüber hinaus ent-
hält MON 863 die bereits erwähnten Antibiotika, die
laut EU-Beschlüssen gar nicht mehr verwendet werden
sollen. Deswegen verlangen wir einen sofortigen Stopp
des Importes dieses Maises, um zu verhindern, dass er in
unsere Futter- und Lebensmittelkette gelangt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein letztes Wort zu Gatersleben: Ich kann meinen
Vorrednern von SPD und Linken nur zustimmen. Es
kann nicht sein, dass wir ein Kulturgut wie die Genbank
in Gatersleben gefährden, die ihre Sorten weiter vermeh-
ren muss. Angesichts der Erkenntnisse über den Bt-Mais
MON 810 ist es das Gebot der Stunde, zu handeln und
einen sofortigen Stopp der Freisetzungen in der Nähe
dieser Genbank zu erlassen.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609726700

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege René

Röspel, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1609726800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Frau Happach-Kasan, ich bin froh – darum habe
ich ausdrücklich gebeten –, heute reden zu dürfen; denn
sonst hätte ich mein Gekrakel ordentlich aufschreiben
und dann zu Protokoll geben müssen. Das wäre viel
mehr Aufwand gewesen und hätte sich im Hinblick auf
den vorliegenden FDP-Antrag, über den wir hier min-
destens zum fünften Mal zu diskutieren haben, nicht
gelohnt. Ich gebe gern wieder zu Protokoll, dass die
SPD-Bundestagsfraktion natürlich die Beteiligung an
Straftaten ablehnt. Das ist für uns aber eine Selbstver-
ständlichkeit.

Der eine Antrag der Grünen bezieht sich auf das Insti-
tut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung.
Das ist unter anderem eine Genbank, in der über
120 000 oder 130 000 Saatgutarten und -varietäten auf-
bewahrt werden. Die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß
aus meiner Fraktion hat zu Recht gesagt: Es ist ein kultu-
relles und landwirtschaftliches Gedächtnis und Ver-
mächtnis. Es ist ein Erbe alter Arten und Sorten. Es ist
von großer Bedeutung, diese Gen- bzw. Saatgutbank zu
erhalten, weil sie noch heute ein Lieferant für Saatgut ist.
Das ist vor allen Dingen eine Zukunftschance.

Wenn wir irgendwann, vielleicht in einigen Jahren,
eine alte Art, die wir schon längst vergessen haben – ein-
geräumt in die Schublade dieser Genbank, dieser Saat-
gutbank –, doch wieder entdecken, weil sie Eigenschaf-
ten hat, die wir vorher nicht gekannt oder nicht genutzt
haben, dann ziehen wir die Schublade auf und wir kön-
nen dieses Saatgut wieder verwenden.

Voraussetzung für eine funktionierende Genbank, für
dieses Gedächtnis und Vermächtnis, ist eben, dass die
Saatgutarten rein vermehrt werden können. Wenn gen-
technisch veränderte Pflanzen, sogar gleicher Sorten und
Arten, in unmittelbarer Nähe und auf den Flächen des
IPK angepflanzt werden, halte ich das ausdrücklich für
falsch. Das werden wir im Ausschuss noch einmal inte-
ressiert diskutieren.

Bei dem zweiten Antrag der Grünen geht es um einen
gentechnisch veränderten Mais, MON 863, der ein
Insektengift produziert. Er ist im Jahr 2002 in das Zulas-
sungsverfahren gegangen, und zwar mit einer 1 000-sei-
tigen Stellungnahme des Herstellers über Fütterungs-
studien an Ratten. Er ist mittlerweile als Futter und
Lebensmittel zugelassen.

Im Jahr 2003 gab es die erste Kritik an dieser Zulas-
sung. Im Jahr 2004 hat Greenpeace – man kann dazu ste-






(A) (C)



(B) (D)


René Röspel
hen, wie man will – die Herausgabe dieser Studie ver-
langt. Monsanto als Hersteller hat dagegen geklagt und
verloren.

Im Jahr 2007 kam dann eine weitere Studie. Séralini
und andere haben sich diese 1 000 Seiten mit Daten zu
Gemüte geführt und sie anders ausgewertet.

Wenn man in diese Studie hineinschaut – veröffent-
licht in einem wissenschaftlichen Organ über Gutachter-
systeme –, dann stellt man Differenzen fest. Es sind gen-
technisch veränderte und gentechnisch nicht veränderte
Maiskörner an Ratten verfüttert worden, die sogenannte
Kontrolle. Es gibt Veränderungen: bei den Leberwerten,
bei den Triglyceriden, um die 40 Prozent, bei den Nie-
renwerten um 35 Prozent, bei Eosinophilen und Retiko-
lozyten, bestimmten Zellarten des Knochenmarks, um
50 Prozent.

Wenn Ihr Arzt so eine Abweichung von den Norm-
werten feststellen würde, würde er Sie ganz schnell zu
sich rufen. Nun sind das Tierversuche. Nun sind das
zweifelsohne ganz bestimmte Versuche. Dennoch wird
man sie interpretieren können. Das Bundesinstitut für
Risikobewertung bleibt ja bei seiner Einschätzung, dass
es eben nicht aus der Reihe schlagen würde. Trotzdem
sage ich: So einfach vom Tisch wischen – es gibt Indi-
zien darüber, dass man sich wenigstens Gedanken ma-
chen muss, ob wir den richtigen Weg gehen –, das kann
man auch nicht machen.

Je länger ich mich damit beschäftigt habe – auch mit
den Möglichkeiten und den Verfahrensweisen, wie die
Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen geprüft
wird –, desto größer sind meine Zweifel geworden. Ich
stelle nämlich fest, dass nicht wie üblich wissenschaft-
lich standardisierte Methoden angewandt werden, son-
dern dass die Kontrollverfahren durchaus zweifelhaft
sind, dass die Auswertungsmöglichkeiten sehr breit sind
– das zeigt die Studie – und dass eine ganze Reihe von
Parametern und Kriterien in diesem Zusammenhang im-
mer wieder auftauchen, die ich wissenschaftlich nicht
für haltbar halte.


(Zuruf von der FDP)


Morgen wird Greenpeace eine Studie über eine an-
dere gentechnisch veränderte Pflanze, MON 810, veröf-
fentlichen, bei der auf sehr interessante Weise die unter-
schiedliche Konzentration dieses Insektengiftes und die
teilweise mangelhafte Beurteilung dieser Pflanzen deut-
lich werden wird oder zumindest interpretiert werden
kann.

Ich habe in meiner letzten Rede – damit komme ich
zum Schluss, weil die Zeit drängt – dargestellt, dass es
sehr viele Gutachten mit Pro und Kontra zur Gentechnik
gibt und dass ich die Lösung noch nicht gefunden habe.
Aus meiner Sicht sind aber die Zweifel größer gewor-
den. Wenn es diese Zweifel gibt, dann ist es – es sind
eben sehr wichtige Entscheidungen – richtig, dass man
ihnen nachgeht und versucht, sie auszuräumen oder zu
bestätigen und Konsequenzen zu ziehen.

Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, werden das in den
Antragsberatungen und darüber hinaus genau prüfen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609726900

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem
Titel „Eigentumsrechte und Forschungsfreiheit schützen –
Entschiedenes Vorgehen gegen Zerstörungen von Wert-
prüfungs- und Sortenversuchen sowie von Feldern mit
gentechnisch veränderten Pflanzen“.

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/4474, den Antrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/2835 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschluss-
empfehlung mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke,
der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen, der CDU/CSU
gegen die Stimmen der FDP angenommen worden.

Tagesordnungspunkte 14 b und c: Interfraktionell wird
die Überweisung der Vorlagen auf Drucksache 16/4904
und 16/4905 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Achten
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die
Deutsche Bundesbank

– Drucksache 16/4971 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 16/5286 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Leo Dautzenberg

Die Kollegen Leo Dautzenberg, Jörg-Otto Spiller,
Frank Scheffler, Dr. Herbert Schui, Dr. Gerhard Schick
sowie die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara
Hendricks haben ihre Reden zu Protokoll gegeben. Ich
weise vor der Abstimmung darauf hin, dass der Kollege
Hans Eichel eine persönliche Erklärung gemäß § 31 der
Geschäftsordnung abgegeben hat.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank. Der
Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/5286, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 16/4971 anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, der
SPD, der CDU/CSU und der FDP bei Enthaltungen der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Stim-
menergebnis wie in zweiter Beratung angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a bis 16 c auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Kipping, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN

Bildungszugang von Kindern und Jugend-
lichen stärken – Finanzierung von Schüler-
und Schülerinnenbeförderung im SGB II er-
möglichen

– Drucksache 16/4486 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Hirsch, Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Sitte,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LIN-
KEN

Kommerzialisierungstendenzen im Schul-
wesen stoppen – Bildungsteilhabe für alle Kin-
der und Jugendlichen sichern

– Drucksache 16/5139 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Kurth, Dr. Thea Dückert, Irmingard Schewe-
Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Teilhabechancen für Kinder und Jugendliche
aus armen Haushalten fördern

– Drucksache 16/5253 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Die Kollegen Karl Schiewerling, Wolfgang Grotthaus,
Markus Kurth sowie die Kolleginnen Gesine Multhaupt,
Miriam Gruß und Cornelia Hirsch haben ihre Reden zu
Protokoll gegeben.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/4486 und 16/5139 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Die Vorlage auf Drucksache 16/5253 zu Tagesordnungs-
punkt 16 c soll an dieselben Ausschüsse wie die Vorlage
auf Drucksache 16/4486 überwiesen werden. Sind Sie
damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung medizinprodukterechtlicher
und anderer Vorschriften

– Drucksache 16/4455 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14. Ausschuss)


– Drucksache 16/5280 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Marlies Volkmer

Die Kollegen Jens Spahn, Daniel Bahr, Frank Spieth
und die Kolleginnen Dr. Marlies Volkmer, Elisabeth
Scharfenberg sowie der Parlamentarische Staatssekretär
Rolf Schwanitz haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
medizinprodukterechtlicher und anderer Vorschriften.
Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/5280, den Gesetz-
entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/4455 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung mit den Stimmen der SPD, der CDU/
CSU und der FDP bei Gegenstimmen der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke
angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit mit demselben Stimmenergebnis wie in
der zweiten Beratung auch in dritter Beratung angenom-
men.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Peter Hettlich, Winfried
Hermann, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN

Energieeinsparverordnung zügig verabschie-
den – Energieausweis als Bedarfsausweis ein-
führen

– Drucksachen 16/4787, 16/5235 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Rainer Fornahl

Die Kollegen Volkmar Vogel, Rainer Fornahl,
Joachim Günther, Hans-Kurt Hill, Peter Hettlich sowie
die Parlamentarische Staatssekretärin Karin Roth haben
ihre Reden zu Protokoll gegeben.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem
Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit
dem Titel „Energieeinsparverordnung zügig verabschie-
den – Energieausweis als Bedarfsausweis einführen“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/5235, den Antrag der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4787 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der SPD, der CDU/

Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

Die Kollegen Norbert Geis, Dr. Carl-Christian
Dressel, Jörg van Essen, Jan Korte und Volker Beck

(Köln) haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.


Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/3139 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die
CSU und der FDP bei Gegenstimmen der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke
angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Begrenzung der
Aufwendungen für die Prozesskostenhilfe

(Prozesskostenhilfebegrenzungsgesetz – PKHBegrenzG)


– Drucksache 16/1994 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Die Kollegen Dirk Manzewski, Wolfgang Nešković,
Jerzy Montag sowie der Parlamentarische Staatssekretär
Alfred Hartenbach und die Kollegin Mechthild
Dyckmans sowie die Justizministerin Niedersachsens,
Elisabeth Heister-Neumann, haben ihre Reden zu Proto-
koll gegeben.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/1994 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten Jan Korte,
Petra Pau, Ulla Jelpke, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der LINKEN eingebrachten Ent-
wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des
Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialisti-
scher Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege

(2. NS-AufhGÄndG)


– Drucksache 16/3139 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN

Weg vom Öl im Kunststoffbereich – Chance
der Novelle der Verpackungsverordnung nut-
zen und mit Biokunststoffen echte Kreisläufe
schließen

– Drucksache 16/3140 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz

Die Kollegen Michael Brand, Gerd Bollmann, Horst
Meierhofer sowie die Kolleginnen Eva Bulling-Schröter
und Sylvia Kotting-Uhl haben ihre Reden zu Protokoll
gegeben.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/3140 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, allen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Zuschau-
ern auf der Tribüne noch einen schönen Abend.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 11. Mai 2007, 9 Uhr,
ein.

Die Sitzung ist geschlossen.