Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, Punkt 28 – Be-
ratung des Antrags der Fraktion Die Linke mit dem Titel
„Für die unbeschränkte Geltung der Menschenrechte in
Deutschland“ – von der Tagesordnung abzusetzen. Sind
Sie mit dieser Vereinbarung einverstanden? – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Annahme einer Vereinbarung zwischen dem
Deutschen Bundestag und der Bundesregie-
rung über die Zusammenarbeit in Angelegen-
heiten der Europäischen Union
– Drucksache 16/2620 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Michael Roth, SPD-Fraktion, das Wort.
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Redet
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Man ist ja fast versucht, jeden der anwesenden Kollegen
per Handschlag und mit Namen zu begrüßen.
Das geht dann aber von Ihrer Redezeit ab.
Deswegen erspare ich mir das, Herr Präsident. – Ichglaube nicht, dass dies der Bedeutung der heutigen De-batte gerecht wird. Bundestag und Bundeschließen heute nämlich eine Vereinbarung übsammenarbeit in Angelegenheiten der EuUnion, wie es etwas nüchtern heißt. Es geht da
Wir alle, die sich mit Europa beschäftigen, spüren:ie Idee eines vereinigten Europas hat in den vergan-enen Jahren an Strahlkraft verloren, und zwar nicht nurei den Bürgerinnen und Bürgern, den Medien und vie-en Organisationen, sondern auch bei uns: In allen Frak-ionen ist das Unbehagen gegenüber der europäischenntegration gewachsen. Viele von uns schimpfen überen Bürokratiekoloss in Brüssel. Nicht wenige schüttelnen Kopf über die vermeintlich weltfremde europäischeesetzgebungsmaschinerie. Immer mehr Kolleginnennd Kollegen bedauern den sinkenden Einfluss nationa-en Handelns. Viele sehen keine Spielräume mehr für ei-ene Akzente und Ideen, wenn es gilt, Richtlinien in na-ionales Recht umzusetzen. In den Augen einiger vonns ist die EU nur noch ein Büttel der Globalisierungnd nicht mehr das Instrument, um Globalisierung de-extmokratisch und sozial zu gestalten.Das ist eine ziemlich deprimierende Zustandsbe-schreibung. Ich halte diese Beschreibung aber für falsch.Auch wir Abgeordnete des Deutschen Bundestages sindEuropa. Wir sind Teil der europäischen Gesetzgebung.Wir vertreten die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands,die auch Bürgerinnen und Bürger der EuropäischenUnion sind. Auch wir tragen in hohem Maße für diesesEuropa Verantwortung. Daher müssen wir Europa parla-mentarisieren. Wir müssen unser Parlament europäisie-ren.Auf diesem Weg sind wir mit der Vereinbarung ge-großen Schritt vorangekommen.ei der SPD, der CDU/CSU und derFDP)sregierunger die Zu-ropäischenbei jedochmeinsam einen
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Dank gilt aber auch unseren Mitarbeiterinnen und Mitar-beitern, die im Hintergrund engagiert und hoch kompe-tent zum Erfolg beitrugen.Der europäische Gesetzgebungsprozess ist bislangstark von der Exekutive geprägt; im Rat sitzen Ministe-rinnen und Minister. Unser Auftrag ist es, innerstaatlichderen Handeln zu kontrollieren und Einfluss auf die Ge-setzgebung zu nehmen. Zukünftig werden die Informa-tionsrechte des Bundestages erheblich ausgeweitet.Alle Bundestagsabgeordneten haben Zugang zu allenDokumenten und Berichten der EU-Kommission, desRates und der Bundesregierung. Endlich befinden wiruns mit dem Bundesrat auf einer Augenhöhe. Die imVerhältnis zum Bundestag bedenklich starke Position derLänderregierungen, zugrunde gelegt im Art. 23 Grund-gesetz, war, ist und bleibt für uns ein Ärgernis. Daran hatauch die Föderalismusreform substanziell nicht viel ge-ändert.
Im Bereich der originären Bundeszuständigkeiten– Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs- und Handelspoli-tik – verfügen wir zukünftig über mehr Informationsrechteals der Bundesrat. Stellungnahmen des Bundestages wer-den verbindliche Grundlage für die Verhandlungen derBundesregierung im Rat. Abweichen kann die Bundes-regierung nur dann, wenn sie es mit außen- oder integra-tionspolitischen Gründen zu rechtfertigen vermag. DieBundesregierung ist verpflichtet, Rechenschaft gegen-über dem Bundestag abzulegen. Bei grundlegenden eu-ropäischen Weichenstellungen – Eröffnung von Bei-trittsverhandlungen, Vertragsänderungsverfahren – musssich die Bundesregierung um ein Einvernehmen mit demBundestag bemühen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, das gefällt nicht al-len. Einige Kommentatoren sprechen von neuer Blo-ckade in der Europapolitik. Ein vermessener Vorwurf!Kann man von Blockaden sprechen, wenn der Bundes-tag zu einer besseren Gesetzgebung beizutragen ver-sucht? Kann man von Blockaden sprechen, wenn wirnicht erst bei der Umsetzung von Richtlinien in nationa-les Recht, sondern schon bei deren Erarbeitung EinflusszcakdgfRwlegtgdHMdkSBdbbBPdvadWcEwbdWrwkddshüddi
Wir übernehmen zukünftig verstärkt Verantwortung,iebe Kolleginnen und Kollegen. Die Schutzbehauptunginzelner von uns, man habe nichts gewusst und nichtsehört, gilt nicht länger. Diese Verantwortung verpflich-et uns zu größerem Einsatz, größerer Aufmerksamkeit,rößerer Sorgfalt und größerer Wertschätzung gegenüberen Europapolitikerinnen und -politikern im ganzenause.Europa darf auch nicht länger nur Angelegenheit deritglieder des Europaausschusses sein. Wir brauchenen Sachverstand aller Fachpolitikerinnen und -politi-er. Außerdem müssen dieser Vereinbarung weiterechritte folgen: mehr europapolitische Kompetenz in derundestagsverwaltung und in unseren Fraktionen, Än-erungen der Geschäftsordnung, die die Zusammenar-eit zwischen Fachausschüssen und EU-Ausschuss ver-indlicher regeln, sowie ein Verbindungsbüro desundestages in Brüssel, nicht in Konkurrenz, sondern inartnerschaft zu unserer ständigen Vertretung der Bun-esrepublik. Dies sollten wir selbstbewusst nach außenertreten; schließlich folgen wir damit dem Beispiel fastller nationalen Parlamente in der Europäischen Union.Wir brauchen eine noch engere Kooperation mitem Europäischen Parlament in der Gesetzgebung.ir alle wissen, wie schwierig es ist, einen kontinuierli-hen Kontakt zu unseren Kolleginnen und Kollegen imuropäischen Parlament zu halten. Dennoch ist dies not-endig, um die Rechtsetzung zu verbessern. Außerdemrauchen wir hier im Bundestag regelmäßigere Plenar-ebatten zu aktuellen europapolitischen Projekten.Wir brauchen schlussendlich eine EU-Verfassung.ir brauchen eine europäische Verfassung, weil sie Eu-opa handlungsfähiger und demokratischer macht undeil sie den nationalen Parlamenten weitere Mitwir-ungsrechte eröffnet.Niemand von uns sollte sich der Illusion hingeben,ass auf einen Schlag alles besser wird. Aber es gilt nunie großartige Chance zu nutzen, die uns die zur Diskus-ion stehende Vereinbarung eröffnet. Auch wenn eseute nicht danach aussehen mag – wir beraten ja inberschaubarer Runde –, könnte diese Vereinbarungurchaus einen bedeutenden Platz im Geschichtsbuches Parlamentarismus in Europa finden. Allein, es liegtn unserer Hand.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Michael Roth
Ich erteile das Wort Kollegen Markus Löning, FDP-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir als ersten Satz
aufgeschrieben – so ähnlich hat es auch der Kollege
Roth gerade formuliert –: Das wurde Zeit. Seit 1993
existiert eine solche Vereinbarung zwischen Bundesrat
und Bundesregierung. Zwar möchte ich mich dem be-
rechtigten Lob meiner Vorredner aus vollem Herzen an-
schließen und hinzufügen, dass wir, die Opposition, von
den Koalitionsfraktionen und den Mitgliedern der Bun-
desregierung, die das verhandelt haben, sehr fair behan-
delt wurden. Dafür gebührt ihnen unser Dank, insbeson-
dere den Herren mit den zwei Herzen in der Brust, Herrn
Gloser und Herrn Hintze.
Dennoch möchte ich kritisch fragen – diese Frage
stellt sich für mich leicht, weil ich dem Bundestag erst
seit 2002 angehöre –, was mit den Kollegen eigentlich
los gewesen ist, die seit 1993 dabei sind und die gewusst
haben, dass der Bundesrat und die Bundesregierung eine
solche Vereinbarung beschlossen haben. Welches Selbst-
verständnis hatte der Deutsche Bundestag in den letzten
Jahren? Wir, die Abgeordneten, sollten uns also nicht
nur lobend äußern, sondern auch deutlich machen, dass
so etwas nicht wieder passieren darf. Der Bundestag
braucht in Zukunft deutlich mehr Selbstbewusstsein.
Das ist auch das richtige Stichwort im Hinblick auf diese
Vereinbarung.
In der Substanz stimmen wir alle der Vereinbarung
zu. Nun muss diese Vereinbarung aber auch umgesetzt
werden. Dabei wird es verstärkt darauf ankommen, dass
nicht nur wir als Fachabgeordnete, die Europapolitiker,
uns damit beschäftigen, sondern dass auch in den Fach-
bereichen und den Fachausschüssen – egal ob es nun die
Bereiche Arbeit, Inneres, Justiz oder Finanzen sind; ich
begrüße es deshalb außerordentlich, dass die Bundesre-
gierung mit einer ganzen Reihe von Fachministern ver-
treten ist – an den europapolitischen Vorlagen zu einem
Zeitpunkt gearbeitet wird, zu dem wir noch Einfluss
nehmen können. Wir müssen unsere Arbeitsweise um-
strukturieren und früher in die Prozesse eingreifen. Ich
appelliere insbesondere an die Koalitionsabgeordneten:
Haben Sie die Traute, der Bundesregierung zu sagen, in
welche Richtung sie marschieren soll! Es wird darauf
ankommen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Koalitionsfraktionen, dass Sie der Bundesregierung ge-
gebenenfalls die Leviten lesen und sagen: Wir, die Parla-
mentarier, bestehen darauf, dass es behandelt wird und
dass ein bestimmter Beschluss gefasst wird. – Sie kön-
nen sich darauf verlassen, dass wir, die Opposition, das
auf jeden Fall machen werden.
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Ich erteile das Wort Kollegen Michael Stübgen, CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann mitlick auf die nicht übermäßige Präsenz vielleicht auchormulieren, dass unsere Kolleginnen und Kollegen, dieetzt nicht hier sind, ein derartig fundamentales Ver-rauen in uns haben, dass sie wissen, dass wir das ver-ünftig und richtig hinbekommen, und sie sich denichtigen tagespolitischen Aktivitäten widmen können.
Wenn wir diese Zusammenarbeitsvereinbarung, überie wir jetzt beraten und die Gegenstand unseres Antrags
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Michael Stübgenist, verabschieden und wenn sie in Kraft tritt, ist das eineentscheidende Wegmarke in einem ungefähr 15 Jahrewährenden Prozess. Wir haben in Deutschland und in Eu-ropa mit der Ratifizierung des Maastrichter Vertrages1992 endgültig die Wende von Außenpolitik in Europa zueuropäischer Innenpolitik eingeleitet. Während des Zeit-raums der Ratifizierung des Maastrichter Vertrages hatsich der Bundesrat richtigerweise – darauf ist schon hin-gewiesen worden – umfassende Informations- und Mit-wirkungsrechte bei der europäischen Rechtsetzunggesichert. Der Bundestag hat sich damals bei der Ratifi-zierung des Maastrichter Vertrages – ich war damals nichtnur dabei, sondern auch Berichterstatter – deutlich weni-ger Informationsrechte und faktisch keine Mitwirkungs-rechte gesichert.Man könnte lange darüber spekulieren, warum das soist und warum es fast 15 Jahre gedauert hat, bis wir eineZusammenarbeitsvereinbarung, die der des Bundesratesgleichwertig ist, abschließen konnten. Auf jeden Fallwar es so, dass dieses Thema in den Ausschüssen desBundestages immer wieder beraten worden ist. Das ge-schah aber nach dem klassischen Schnittmuster, das wirbei vielen wichtigen Themen kennen. So haben SPD-Fraktion und Grüne dieses Thema immer wieder aufge-griffen, aber sie haben 1999 gänzlich den Mut verloren,nachdrückliche Forderungen zu stellen. Ich muss zuge-ben, dass auch CDU/CSU und FDP diesen Mut, etwaszu fordern, erst 1999 gewonnen haben. Es ist nun einmaleinfacher, aus der Opposition heraus Forderungen zustellen, als wenn man Verantwortung in der Regierungs-koalition trägt. Ich sage das deshalb, weil ich unterstrei-chen möchte, von welch besonderer Bedeutung die Tat-sache ist, dass dieser Zusammenarbeitsvereinbarung, diewir heute beschließen, von allen Fraktionen dieses Hau-ses zugestimmt worden ist. Ich glaube, das ist ganz ent-scheidend für die Qualität dieser Vereinbarung.
Wir werden mit dieser Vereinbarung neue Wege inder Europapolitik und der Befassung mit Europapolitikin diesem Bundestag gehen. Wir werden in Zukunft einallumfassendes Informationsrecht für alle europäi-schen Belange haben. Wir werden alle Dokumente undBerichte der Gemeinschaftsorgane, der Kommission undihrer Dienststellen, des Rates und seiner Arbeitsgruppen,und auch die Dokumente der ständigen Vertretung inBrüssel zu allen europäischen Aktivitäten bekommen.Wir werden sie sehr frühzeitig bekommen, nämlich nachspätestens zehn Tagen. Sofern es sich um Rechtset-zungsakte handelt – das ist ein Punkt, der mir bei denVerhandlungen besonders wichtig war –, werden wir in-nerhalb dieser zehn Tage von der Bundesregierung eineumfassende Folgenabschätzung, eine Prüfung derRechtsgrundlage und eine Subsidiaritätsprüfung bekom-men. Das ist deshalb wichtig, weil wir im Gegensatzzum Bundesrat nicht die Expertise haben, das alles inunserem Haus mit unseren Referenten und Ausschuss-sekretariaten prüfen zu können. Wir werden in Zukunftdie Möglichkeit haben, auf die Expertise der Bundesre-gierung und ihrer Europaexperten zurückzugreifen. EsiidwsdlwKaRKAedbdbrhBilknvRhutehgktssdnwpegDZdddktpeV
Bei einem anderen Schwerpunkt geht es um, wie ichs nenne, politisch schwerwiegende Rechtsetzungsvor-aben der Europäischen Union. Ein Beispiel ist die soenannte Passerelle. Das heißt, der Europäische Ratann einstimmig beschließen, dass in bestimmten Poli-ikbereichen der Europäischen Union nicht mehr Ein-timmigkeit erforderlich ist, sondern die Mehrheitsent-cheidung genügt. Solche Entscheidungen sind politischeutlich brisanter, als auch ich mir das vor 15 Jahrenoch vorgestellt habe, als dieses Verfahren eingeführturde. Es geht dabei nämlich darum, dass die Bundesre-ublik Deutschland die Möglichkeit verliert, und zwarndgültig, in diesen Politikbereichen durch ein Veto ir-endeine europäische Rechtsetzung, die dann ja auch füreutschland verbindlich ist, aufzuhalten.Die Bundesregierung hatte auf der Grundlage der altenusammenarbeitsvereinbarung bisher die Auffassung,ass es für diese Vorhaben keine besondere Informationes Bundestages und auch kein Mitentscheidungsrechtes Bundestages gebe, weil nämlich alle diese Möglich-eiten schon bei der Ratifizierung von europäischen Ver-rägen ziemlich genau festgelegt worden seien, allerdingsauschal. Wir legen in dieser Vereinbarung nun fest, dasss sich dann, wenn solche Vorhaben beraten werden, umorhaben im Sinne dieser Vereinbarung handelt. Das
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Michael Stübgenheißt, wir werden allumfassende Informationsrechte unddie vollen Mitwirkungsrechte haben. Es wird eine öffent-liche Debatte dazu geben, sodass auch die Bürger vonsolch entscheidenden Vorhaben mehr erfahren.
In einem weiteren Bereich geht es darum, dass dieEuropäische Union bestimmte Beschlüsse fasst, der Eu-ropäische Rat zum Beispiel Beitrittsverhandlungen miteinem assoziierten Land oder Vertragsveränderungs-verhandlungen aufnimmt. Wir alle wissen, dass einesolche Entscheidung im Vorhinein viel wichtiger ist alsletztlich die Ratifizierung, bei der wir nur noch Ja oderNein sagen können und faktisch – jedenfalls in der Ko-alition – eigentlich gar nicht mehr Nein sagen können.Entscheidend ist, dass wir vor solchen Beschlüssen da-mit befasst werden.Hierzu wird geregelt, dass die Bundesregierung inZukunft vor Beginn von Beitritts- oder Vertragsverände-rungsverhandlungen versucht, Einvernehmen mit demBundestag herzustellen. Auch hierzu werden wir eineöffentliche Debatte haben. Hierüber können wir unsebenfalls eine Meinung bilden. Sowohl die Bundesregie-rung als auch wir werden der Öffentlichkeit gegenüberRechenschaft darüber ablegen müssen und können, wa-rum wir uns für oder gegen solche Entscheidungen aus-sprechen.Diese Zusammenarbeitsvereinbarung wird fundamen-tale Auswirkungen auf unsere tägliche Arbeit, auf dieArbeit eines jeden Kollegen haben. Es wird sich zumBeispiel die Menge an Informationen, die uns zur Ver-fügung stehen, sehr stark verändern. Wir werden in Zu-kunft eine Informationsflut bekommen, die mir manch-mal schon Angst macht. Vor allen Dingen wird für unswichtig sein, dass wir in der Lage sind, die wirklichwichtigen und entscheidenden Informationen rechtzeitigherauszufiltern und mit ihnen zu arbeiten, um Einflussauf die europäische Rechtsetzung nehmen zu können.Ich sage es unumwunden: Wir brauchen, und zwarmöglichst bald, eine Datenbank für diese Informatio-nen. Ich weiß, der Bundesrat hat viele Jahre an solch ei-ner Datenbank gearbeitet. Es handelt sich dabei auch umein sehr komplexes und kompliziertes Verfahren. Ichwill dazu nur sagen: Ich wünsche mir, dass wir es schaf-fen, gemeinsam mit dem Bundesrat kollegial solch eineDatenbank zu nutzen. Symbolisch ist das auch sehr ver-nünftig, weil wir beide ja die Verfassungsorgane sind,die über europäische Rechtsetzung mitentscheiden kön-nen.
Es wird aber auch etwas Positives passieren. Ichglaube, fast jeder von Ihnen hat schon das frustrierendeErlebnis gehabt, dass man Berichterstatter für einenRichtlinienvorschlag der Europäischen Union gewordenist, sich dann intensiv damit beschäftigte, aber dann,wenn man aufs Datum schaute, oft merkte, dass dieRichtlinie zwei bis drei Jahre alt war und in den europäi-sTtnrheRtWinusaPLdpLMAgedEsdawb–EVamgjdme
enn wir uns in Zukunft nicht bewegen, wird sich auchn der Art und Weise der Behandlung der Europapolitikichts ändern.Das heißt, diese Zusammenarbeitsvereinbarung gibtns die Möglichkeit, Europapolitik mitzugestalten. Un-ere Aufgabe ist es, dies dann auch zu tun. Wir werdenlso in Zukunft hoffentlich die Lust haben, europäischeolitik direkt mitzugestalten. Wir werden aber auch dieast haben, dass sich das Ausmaß des Aufwands von je-em Einzelnen von uns für die Beschäftigung mit euro-äischer Politik massiv ausweiten wird.Danke schön.
Nun hat Kollege Alexander Ulrich, Fraktion Die
inke, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eine Vorredner haben darauf hingewiesen, dass dienwesenheit der Abgeordneten bei diesem doch wichti-en Thema sehr bescheiden ist. Es steckt vielleicht auchine gewisse Symbolik dahinter, dass mehr Zuschauer,ie ich ganz herzlich begrüße, als Abgeordnete da sind.s zeigt nämlich, dass scheinbar die Menschen in die-em Land mehr Interesse an Europa haben, als der Bun-estag bisher an den Tag gelegt hat. Das zeigt mir aberuch – Herr Löning, auch Sie haben das ja kritisiert –,arum es so lange gedauert hat, bis es zu dieser Verein-arung gekommen ist.
Wir beide waren nicht dabei; da gebe ich Ihnen Recht. –s ist aber auch wichtig, festzuhalten, dass mit dieserereinbarung, die wir heute verabschieden, der Aufrufn uns alle ergeht, sie mit Leben zu erfüllen. Wir habenonatelang um diesen interfraktionellen Antrag gerun-en, über ihn verhandelt und auch gestritten. Es kommtetzt wirklich darauf an, wie die einzelnen Abgeordneteniese erweiterten Rechte des Bundestages wahrneh-en. Nur dann, wenn das geschieht, entfaltet diese Ver-inbarung eine langfristige Wirkung.
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Alexander UlrichWir von der Fraktion Die Linke begrüßen die vorlie-gende Vereinbarung zwischen Bundestag und Bundesre-gierung zur Verbesserung der Europatauglichkeit diesesHauses. Es gibt jedoch – das ist angemerkt worden – be-reits seit 1993 eine ähnliche Vereinbarung zwischen Bun-desregierung und Länderregierungen. Der 15. DeutscheBundestag hatte bereits ein verstärktes Mitwirkungsrechtin EU-Angelegenheiten angemahnt. Wahrscheinlichmusste jedoch erst die Linke in den Bundestag einziehen– das ist jetzt etwas scherzhaft gemeint –, um den not-wendigen Rückenwind für das Gelingen dieser Vereinba-rung zu geben.
Urin, b) die Gedanken!)Es ist gut, dass es in den Verhandlungen nicht um Par-tei- und Fraktionsinteressen ging, sondern uns dieRechte des Bundestages so wichtig waren, dass ein inter-fraktionelles Handeln möglich wurde.Die Vereinbarung zwischen Bundestag und Bundesre-gierung ist ein zentraler Baustein für eine stärkere Einbe-ziehung des Bundestages in Fragen der Europapolitik.Der Auftrag des Grundgesetzes, das gesetzgeberischeHandeln der Bundesregierung im Europäischen Rat zulegitimieren, soll damit weitaus besser als bisher abgesi-chert werden.Es geht nicht darum – darin sind sich alle Fraktioneneinig –, neue Blockaden in der Europapolitik zu errich-ten. Vielmehr geht es darum, die Europapolitik des Bun-des auf eine breitere Grundlage zu stellen und innerstaat-lich zu einer besseren Gesetzgebung der EuropäischenUnion beizutragen.Was ist das Neue an der Vereinbarung? Die Informa-tionsrechte des Bundestages werden erheblich ausge-weitet, das heißt, die bisherige Informationspraxis wirdum schriftliche Berichte, Bewertungen und Folgenab-schätzungen ergänzt. Darüber hinaus geht eine Initiativeder Europäischen Kommission in dieselbe Richtung. Dienationalen Parlamente sollen und müssen stärker in dieKonzipierung und Durchführung der EU-Politik einge-bunden werden.
Diese Einbeziehung des Bundestages ist wichtig und einFortschritt, gerade in Anbetracht der deutschen Ratsprä-sidentschaft, die auch eine Präsidentschaft des Bundes-tags sein sollte.Neu ist außerdem, dass die Stellungnahmen, die dasParlament gemäß Art. 23 Grundgesetz abgeben kann,verbindliche Grundlage für die Verhandlungen der Bun-desregierung im Europäischen Rat sein werden. DieBundesregierung darf nur aus wichtigen außen- oder in-tegrationspolitischen Gründen von den Stellungnahmenabweichen. Der Bundestag wird somit zu einem neuen,besseren politischen Akteur in der europäischen Gesetz-gdEtAnzteteezDtGrrDrgmgnFfkhvfnBdgDwmkBnzhwrez
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Von einer Nachvollziehbarkeit der Entscheidungenauf europäischer Ebene ist man, vom derzeitigen Standaus gesehen, sehr weit entfernt. Für die Bürgerinnen undBürger existiert sie praktisch nicht. Die EU braucht einedemokratische und handlungsfähige Struktur, das bedeu-tet, sie braucht nicht mehr undurchschaubare bürokrati-sche Prozesse, sondern transparente, für jeden Bürgernachvollziehbare Entscheidungen.Neben der verbesserten Beteiligung des Bundestagesmüssen wir bei wichtigen europäischen Fragen aberauch die Bevölkerung einbeziehen.
Wir müssen beim Thema Europa mehr direkte Demokra-tie wagen und die Bevölkerung zum Beispiel über eineveränderte EU-Verfassung in einer Volksabstimmungentscheiden lassen.
Ich begrüße ausdrücklich, dass heute in der „FinancialTimes Deutschland“ steht: Merkel offen für geändertenEU-Vertrag. Ich wünsche mir, dass auch die anderenFraktionen im Europaausschuss sagen: Dieser EU-Ver-trag muss geändert werden; er muss dem Volk in einerVolksabstimmung vorgelegt werden.
Wir, die Linke, fordern, die Politik der geschlossenenTüren zu beenden. Wer die europäische Krise beendenwill, muss die Angst vor den Bürgerinnen und Bürgernablegen. Wir brauchen ein europäisches Bewusstseinbei den Bürgerinnen und Bürgern.Einen ersten kleinen Schritt in diese Richtung gehtder Deutsche Bundestag mit der heute zu beschließendenVereinbarung. Dies ist übrigens die erste und bisher ein-zige interfraktionelle parlamentarische Initiative in die-ser Legislaturperiode. Wir begrüßen diese Vereinbarungausdrücklich und bedanken uns für die konstruktive Zu-sammenarbeit mit den beteiligten Kolleginnen und Kol-legen aus den Fraktionen, in der Bundesregierung undaus der Verwaltung.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegen Rainder Steenblock,Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Heute ist ein guter Tag für die Demokratie in Deutsch-land. Denn wann haben wir in diesem Hohen Hauseschon einmal die Gelegenheit, neue Rechte, die sich dasPD2nfEfkbPnsgzandmdupunwezAddvsddLwkBstAaVahDsgk
Nach meiner anderthalbjährigen Mitarbeit in der Fö-eralismuskommission und nach meiner Mitarbeit anieser Vereinbarung weiß ich, wie schwer es ist, Rechteon Volksvertretern zu verankern, und wie weit wirchon auf dem Weg in eine Exekutivrepublik sind, iner es Parlamentarier schwer haben, auf Augenhöhe miter Regierung zu sein.
assen Sie uns diesen Erfolg als Beispiel dafür nehmen,ie wir unsere Rechte als Parlamentarier einfordernönnen. Denn wir sind es, die vor den Bürgerinnen undürgern für die getroffenen Entscheidungen gerade zutehen haben.Eine Bemerkung zur Ausstattung der Abgeordne-en, über die wir in letzter Zeit häufig diskutiert haben.ngesichts unserer Arbeit, die wir zu leisten haben, undngesichts der Informationspflichten, die durch dieseereinbarung neu auf uns zukommen, müssen wir einendere Mitarbeiterstruktur haben, um entscheidungsfä-ig zu sein.eshalb finde ich es richtig, wenn sich ein Parlament auseiner Verantwortung heraus, begründete Entscheidun-en zu fällen, die aufgrund von Sachkompetenz zustandeommen, in der Öffentlichkeit auch in diesen Fragen
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Rainder Steenblockstark macht und sagt: Wir sind es, die hier die Entschei-dungen fällen und die Regierung kontrollieren. LassenSie uns da weitermachen!
Die Einzelheiten der von uns getroffenen Vereinba-rung will ich, da Sie diese schon von meinen vier Vor-rednern gehört haben, nicht ein fünftes Mal erwähnen.Ich möchte vielmehr an fünf Punkten deutlich machen,was wir jetzt tun müssen, um diese Vereinbarung mit Le-ben zu erfüllen.Der erste Punkt ist: Wir müssen die Debattenkultureuropäisieren. Die Europäische Union legt jedes Jahr imFrühjahr ein Strategieprogramm vor, in dem die langfris-tigen Strategien der Europäischen Union aufgezeigt wer-den. Ich bin sehr dafür, dass dieses Strategieprogrammeine Grundlage unserer europapolitischen Arbeit wirdund wir jedes Jahr im Frühjahr, wenn dieses Strate-gieprogramm der Europäischen Union veröffentlichtwird, im Deutschen Bundestag eine Debatte dazu führen,damit es nicht untergeht, sondern in den politischenRaum der nationalen Parlamente gehoben wird. Dashalte ich für ein wichtiges Moment, um handlungsfähigzu werden.
Der zweite Punkt betrifft das Legislativprogramm.Das Legislativprogramm, also die Gesetzgebungsvorha-ben der Europäischen Union, wird, ohne dass viele Fach-kollegen es merken – das ist kein Vorwurf; ich kenne dieArbeit in den Fachausschüssen gerade im Verkehrsbe-reich und im Finanzbereich aus eigener Erfahrung; ichweiß, wie man da mit Papier zugeschüttet wird –, immerim Spätherbst veröffentlicht. Ich bin sehr dafür, dass wirdieses Legislativprogramm ernsthaft durch alle Aus-schüsse jagen und sich die Fachleute aller Ausschüsse zudiesem Legislativprogramm der Europäischen Unionverhalten müssen, um dann nicht hinterher sagen zu kön-nen: Wir haben diese Vorlagen viel zu spät erhalten. Wirmüssen uns selber disziplinieren, diese Vorlagen ernstnehmen und rechtzeitig darüber diskutieren.
Der dritte Punkt, den ich vorschlagen möchte und derim Rahmen der Verhandlungen zwischen den Fraktionenschon zur Diskussion gestellt worden ist, ist die Einfüh-rung einer Europafragestunde. Das heißt, in bestimm-ten Abständen, zum Beispiel jedes Vierteljahr, soll dieRegierung der Bundesrepublik Deutschland ganz kon-zentriert zu europapolitischen Fragen befragt werden.Ich glaube, das wäre eine Möglichkeit, die europapoliti-schen Themen besser in unsere Arbeit zu integrieren undmit der Bundesregierung ad hoc in einen Dialog zu tre-ten. Der dritte Vorschlag, eine Europafragestunde einzu-führen, ist gut praktikabel. Diesen Vorschlag sollten wirzur Erhöhung unseres eigenen Informationsstandes ver-nünftigerweise rasch umsetzen.mkEm–zMdsTgnpaakwctatsipKsmdtLnndRvSesmVksKrhwlüDn
Der vierte Punkt ist ein technischer, den wir klärenüssen. Ziel ist – das begrüße ich sehr –, dass in deronkreten Arbeit in den Fachausschüssen mehr überuropa und europäische Vorhaben diskutiert wird. Wirüssen sehen, wie wir in den Fachausschüssen vorgehen in einigen Ausschüssen gibt es schon Unterausschüsseu europarechtlichen Fragen; ob das immer das besteedium ist, um diese Fragen im Ausschuss zu behan-eln, müssen die Fachausschüsse sicherlich selber ent-cheiden; es ist auch darüber nachzudenken, ob festeagesordnungspunkte zu europarechtlichen Fragen fest-elegt werden –, um das, was wir hier erreicht haben,icht versickern zu lassen. Denn das Schlimmste, wasassieren kann, ist – einige Kollegen haben das schonngesprochen –, dass wir zwar jetzt Rechte haben, wirber nach einem Jahr oder nach zwei Jahren, wenn einluger Journalist recherchiert haben wird, wie wir dieseahrgenommen haben, aufgrund dieser öffentlichen Re-herchen feststellen müssen, dass wir von unseren Rech-en zu wenig Gebrauch gemacht haben.Deshalb stehen wir in der Verpflichtung, die Europa-rbeit insbesondere in die Ausschussarbeit zu implemen-ieren. Wir müssen dabei die Arbeit des Europaausschus-es als Koordinationsgremium und die konkrete Arbeitn den Fachausschüssen neu justieren. Das ist ein ganzraktischer Ansatz. Ich glaube, wenn wir keine guteonstellation zwischen den Ausschüssen hinbekommen,ondern Hakeleien einbauen, dann werden wir es eherit Konkurrenzsituationen zu tun haben, als dass wir iner Sache vorankommen.Ein letzter Punkt; er ist vom Praktischen her der wich-igste. Wir müssen unsere Bundestagsverwaltung in dieage versetzen, dass sie uns in die Lage versetzt, ver-ünftige Arbeit zu machen.Es wurden bereits viele Vorarbeiten geleistet, an de-en auch die Fraktionen beteiligt waren. Herr Vizepräsi-ent, Sie haben in Ihrer Zeit als Bundestagspräsident imahmen der Strukturierung der neuen Europaabteilungiele Erfahrungen gemacht. Dieses Vorhaben begleitenie auch weiterhin.Ich möchte mich an dieser Stelle sehr deutlich fürine möglichst wenig ausdifferenzierte Verwaltungs-truktur aussprechen. Es sollte vermieden werden – dasöchte ich deutlich sagen –, dass einzelne Einheiten dererwaltung gegeneinander arbeiten können. Das ist zwarein großes, öffentliches Thema, aber eine Verwaltungs-truktur, die mit internen Abgrenzungsproblemen oderompetenzrangeleien beschäftigt ist, kann uns in unse-er Arbeit sehr stark behindern. In diesem Zusammen-ang ist auch die Integration des Brüsseler Büros einichtiger Punkt.Ich sage das zum Abschluss, weil ich den Verhand-ungsprozess mit Herzblut begleitet habe und davonberzeugt bin, dass wir hierbei vorankommen müssen.ieser Deutsche Bundestag hat diese Vereinbarung mei-er Ansicht nach verdient, weil hier hoch kompetente
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Rainder SteenblockLeute sitzen, die darauf warten, an die entscheidendenSchalthebel zu kommen, die inzwischen immer häufigerauf europäischer Ebene angesiedelt sind.Solange das Europäische Parlament nicht die Mög-lichkeit hat, die demokratische Kontrolle in Gänze zurealisieren – wir Grünen haben das immer gefordert –, solange müssen die nationalen Parlamente sehr viel mehrArbeit übernehmen. Ich hoffe, dass wir das zusammenhinbekommen.Diese Vereinbarung ist ein guter Ansatz zur Stärkungvon Parlamentsrechten und zur Stärkung der europäi-schen Arbeit. Dieser Deutsche Bundestag kann dadurchin Bezug auf die Lösung seiner Aufgaben zukunftsfähi-ger werden. Ich wünsche uns allen viel Erfolg dabei.
Als nächster Redner hat Staatsminister Günter Gloser
das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ungeachtet aller Erfolge in der Vergangenheitbefindet sich die Europäische Union – einige Redner ha-ben das bereits ausgeführt – in einer schwierigen Lage.An dieser Stelle wird immer an den Verfassungsprozessund an die in Frankreich und den Niederlanden geschei-terten Referenden erinnert. Niemand weiß genau, wiewir den ins Stocken gekommenen Prozess wieder inGang setzen können. Wir wissen aber, dass wir ihn wie-der in Gang setzen müssen. Die Akzeptanz der Europäi-schen Union in der Bevölkerung hat gelitten. Wenn mandiesen Zustand mit „Europaskepsis“ umschreibt, ist dasvielleicht nicht ganz treffend; es gibt verschiedenen Fa-cetten.Wenige Monate vor dem 50. Jahrestag der RömischenVerträge möchte ich aber – auch wenn ich einige kriti-sche Bemerkungen gemacht habe – betonen, dass dieEuropäische Union eine einmalige Erfolgsgeschichte istund andere uns darum beneiden, dass wir es geschaffthaben, eine solche Europäische Union auf friedlichemWege zu gründen.
Ich möchte – in einigen Reden klang es so, als wäreheute ein revolutionärer Tag – auf die Dinge eingehen,die angesprochen worden sind. Die Menschen in Europahaben gerade in den letzten Monaten verstanden, dass dieEuropäische Union und die von ihr erlassenen Regelun-gen sie unmittelbar betreffen. Das belegen die intensivenDiskussionen über die bereits genannte Dienstleistungs-richtlinie, die Gleichstellungsrichtlinie, die Hafenrichtli-nie oder über ein so großes Projekt wie die Erweiterungder Europäischen Union. Auch wenn die Debatten kon-trovers geführt wurden und an der EU Kritik geübt wurde– wer ist die EU? –, ist erfreulich, festzustellen, dass dieMenschen Europa wahrnehmen und über Europa disku-tieren. Wir müssen uns aber fragen – mit „wir“ meine ichdie Bundesregierung und uns Parlamentarier –, ob wirnoobwwdegrrswvUrdUmhvrdsg–FnmvlsVseüzasdwuddVBRvlBhVrWth
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Alle wichtigen Punkte sind hier bereits angesprochenorden. Ich will deshalb ein Beispiel nennen. Oft be-chworen wird ja das Demokratiedefizit in der Europäi-chen Union. Meine These ist: In keinem anderen Be-eich ist das Demokratiedefizit größer als beim EU-aushalt. In keinem anderen Bereich haben wir gegen-ärtig so wenig Mitwirkungsrechte der nationalen Parla-ente. Wir werden es nächstes Jahr erleben. Denn imaufe des nächsten Jahres soll uns die Ratifizierung deseuen Eigenmittelbeschlusses vorgelegt werden – einchwieriger Prozess –; der Beschluss soll aber bereits ab. Januar 2007 gelten. Über welches Recht haben wir dairklich noch substanziell mit zu entscheiden?Umso wichtiger wird sein, dass wir im Vorhinein, voren Ratsverhandlungen – das sage ich besonders mitlick auf die Kollegen im Haushaltsausschuss –, tätigerden. Wenn wir uns einmal vor Augen führen, um wieiel Geld es geht – jährlich über 22, 23 Milliarden Euroür Deutschland – und für wie lange wir uns mit dem Ei-enmittelbeschluss völkerrechtlich verbindlich binden –ür über sieben Jahre; das heißt, wir können danach nichtehr darüber entscheiden –, dann können wir feststellen,ass es umso wichtiger ist, dass wir in Zukunft ein kla-es, deutliches Mitspracherecht bei der Formulierung dererhandlungsposition der Bundesregierung haben,as dank dieser Vereinbarung der Fall ist.
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Michael Link
Gleiches gilt übrigens auch für die – ich sage es ein-mal salopp – Schattenhaushalte – Europäischer Ent-wicklungsfonds, Globalisierungsfonds –, die jetzt anste-hen. Dort ist das Demokratiedefizit vielleicht nochgrößer als bei dem Haupthaushalt der EU; denn der wirdzumindest in der Öffentlichkeit besprochen. Beim Euro-päischen Entwicklungsfonds mit einem immensen Be-trag – gerade für die Bundesrepublik Deutschland gehtes da um sehr viel Geld; wir sind, für diejenigen, die esnoch nicht wissen, jetzt der größte Zahler im Europäi-schen Entwicklungsfonds; wir haben die Franzosenüberholt, sie liegen jetzt etwas hinter uns – ist das Demo-kratiedefizit noch größer. Dank der Vereinbarung kön-nen wir aber genau bei diesem Punkt in Zukunft vonsei-ten des Haushaltsausschusses und des Ausschusses fürwirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ganzkonkret vor den Ratsverhandlungen eingreifen. Das istein echter Fortschritt und deshalb ist das heute ein guterTag.
Zeitgleich zu der Vereinbarung, die wir heute be-schließen, läuft in der Europäischen Union – Staatsminis-ter Gloser hat es angesprochen – der Prozess der Verstär-kung und Verbesserung der Informierung der nationalenParlamente seitens der Kommission, Stichwort: Subsi-diaritätsprüfung, Subsidiaritätskontrolle. Unser Peti-tum – ich vermute, ich spreche da auch für viele Kollegenaus anderen Fraktionen – ist, dass wir dann unverzüglichVorlagen bekommen. Wichtig ist aber auch, dass danngeltendes Recht eingehalten wird, sprich: dass uns dieVorlagen auch in deutscher Sprache, der dritten Ar-beitssprache der Europäischen Kommission, zugestelltwerden. Hier muss die Bundesregierung dringend Druckausüben, dass das in Zukunft regelmäßig geschieht.
Wenn die Subsidiaritätsprüfung tatsächlich erfolgt,wenn dieser Prozess einmal im Gange sein sollte, sei es– hoffentlich – mit einem Verfassungsvertrag, sei es miteinem gesonderten Protokoll, dann spätestens müssenwir hier im Hause beschließen, wer bei uns federführendfür diese Subsidiaritätsprüfung zuständig ist.Mein Petitum und das meiner Fraktion ist: Die Fach-ausschüsse sollen für die Stellungnahmen zu themati-schen EU-Vorlagen zuständig sein. Aber die Federfüh-rung im Hinblick auf die Subsidiaritätsprüfung solltenaturgemäß beim Europaausschuss liegen. Das ist einwichtiger Punkt. Hier muss der Europaausschuss einesehr wichtige Verantwortung für das Gesamtparlamentwahrnehmen.
Zu guter Letzt – Herr Präsident, ich komme langsamzum Schluss –: Es ist gut, dass wir neue Rechte bekom-men haben. Wir müssen von ihnen aber auch GebrauchmdAubdDgfHllVamsumdlrNprkmSDsDzndtctHT
In den ersten Jahren, in denen diese neue Vereinba-ung angewandt wird, entscheidet sich, was sie wert ist.un kommt es auf uns an. Heute ist der Bundestag euro-apolitisch erwachsen geworden. Machen wir etwas da-aus!
Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatsse-
retär Peter Hintze.
P
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!tell dir vor, es geht um Europa, und keiner geht hin.ann kommt Europa zu dir und du darfst dich nicht be-chweren, wenn dir eine Richtlinie nicht passt.
as gilt nicht für die Anwesenden. In der Kirche ist eswar immer so, dass die Anwesenden für diejenigen, dieicht kommen, kritisiert werden. Aber ich glaube, dassie Zahl der hier Anwesenden entgegengesetzt propor-ional zur Bedeutung dessen ist, worüber wir heute spre-hen und was wir mit unserem Votum ausdrücklich un-erstreichen werden.
eute ist ein guter Tag für die Demokratie und ein guterag für das Parlament.
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Parl. Staatssekretär Peter HintzeDie Bundesregierung, getragen von der großen Koali-tion, hat mit dem Bundestag eine große Kooperation inallen Europafragen vereinbart, und das ist gut so. Kol-lege Steenblock hat in seiner Rede, der ich mit Freudezugehört habe, ein gewisses Erstaunen darüber zumAusdruck gebracht, dass die Unionsfraktion das, was siein der Opposition gesagt hat, in der Regierung tatsäch-lich verwirklicht. Dieses Erstaunen dürfen Sie gerne insLand tragen. Das ist nämlich ein Grundsatz, der uns be-stimmt: In der Opposition wie in der Regierung redenwir gleich.
Es würde dem Parlament gut anstehen, wenn das gene-rell so wäre.
– Absolut, Kollege Löning. Da Sie vorhin selbst gesagthaben, dass Sie zwar noch jung, aber voller Freude dabeisind, weise ich Sie darauf hin: Die Bundeskanzlerin hatdie Initiative der Opposition zur Stärkung der Mitwir-kungsrechte des Parlaments vorangetrieben. Als Verant-wortliche auf Unionsseite hat sie darauf gedrungen, dassdieses Vorhaben in den Koalitionsvertrag aufgenommenwird. Das haben wir im Parlament umgesetzt. Daraufkönnen wir gemeinsam stolz sein.
In der Tat werden nicht zuletzt die Rechte der Oppo-sition gestärkt. Das war damals unser Anliegen. Das istauch richtig. Regierungsfraktionen haben immer mehrinformelle Kontakte. Da es um eine sehr wichtige Fragegeht, wollten wir allerdings, dass das gesamte Parla-ment, Regierung und Opposition, die Chance hat, an die-sem europäischen Prozess mitzuwirken, und wir wolltendafür sorgen, dass es über alle für seine Mitwirkung rele-vanten Informationen verfügt. Denn es ist unbefriedi-gend – das haben alle Redner gesagt –, wenn wir hierohnmächtig Richtlinien in nationales Recht umsetzenmüssen und nicht politisch beraten, wenn es in Brüsselum die Erstellung, um die Weichenstellung, um dieGrundsätze dieser Richtlinien geht. Das wollen wir ge-meinsam ändern.
Eben hat ein Redner von „Doppelherz“ gesprochen.Ich glaube, damit meinte er nicht Gloser im AuswärtigenAmt und Hintze im Wirtschaftsministerium, sondern da-hinter steckte etwas die Sorge, dass nach Karl Marx dasSein allzu sehr das Bewusstsein bestimmt – mit diesemVorwurf mussten wir ja die ganzen Verhandlungen überlbHImtpdnuhlebwhvmOudcgvdDdhcewras–OEnjdhBbihdT
er Auffassung ist, man hätte noch mehr realisieren kön-en, und auf andere Länder verweist.Deshalb will ich gleich vorwegnehmen: Wir haben innserer Vereinbarung die Grenzen, die das Grundgesetzier setzt, wirklich parlamentsfreundlich – der FDP-Kol-ge hat das eben in seinem Beitrag auch so ausgedrückt –,is zum äußersten Rand, ausgefüllt. Die Wünsche, dieir als Opposition geäußert haben, die über diesen Randinausgehen, hätten eine Änderung des Grundgesetzesorausgesetzt. Möglicherweise wird diese Debatte ein-al kommen; aber im Rahmen der verfassungsmäßigenrdnung, die wir jetzt haben und innerhalb derer sichnsere Vereinbarung zu bewegen hat, sind wir eng anen Rand gegangen und haben eine parlamentsfreundli-he, ja die parlamentsfreundlichste Regelung überhaupteschaffen.Ich will noch etwas Inhaltliches ansprechen. Mancheerweisen auf Skandinavien, dort sei es noch besser, weilas Parlament die Regierung fesseln, binden könne.och wir wollten eine Regelung, die die Europafähigkeites Bundestages stärkt und gleichzeitig die Handlungsfä-igkeit Deutschlands in Brüssel in vollem Umfange si-hert. Das unterscheidet uns vielleicht. Deutschland hatin großes Gewicht und eine große Verantwortung, dassir uns diese Handlungsfähigkeit erhalten. Es ist im eu-opäischen Rechtsetzungsprozess unmöglich, gefesseltm Tisch zu sitzen – so kann man keine Kompromissechließen, so kann man keine Lösungen finden.
Ehemalige Minister nicken aus der ersten Reihe derpposition. Ich freue mich, Herr Trittin, dass Sie dieserkenntnis aus der Regierung in die Opposition mitge-ommen haben; das ist sehr schön. Wir haben das Ganzea auch gemeinsam vereinbart. Deswegen glaube ich,ass wir insgesamt eine sehr kluge Regelung gefundenaben.
Ausgangspunkt des heutigen Tages war das Ja desundestages zur europäischen Verfassung. Damals ha-en wir mit breiter Mehrheit – alle Fraktionen, die hierm Parlament vertreten waren – Ja zu ihr gesagt. Ich darferzlich bitten, sich nicht von einer Falschüberschrift iner „Financial Times Deutschland“, die schon durch denext unmittelbar darunter nicht gedeckt ist, einreden zu
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Parl. Staatssekretär Peter Hintzelassen, wir hätten hier einen Kurswechsel vorgenom-men. Der Deutsche Bundestag hat klar Ja zum europäi-schen Verfassungsvertrag gesagt. Ich glaube, es steht unsgut an, auch heute klar Ja zu diesem gemeinsamen Pro-jekt zu sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Denn diese europäische Verfassung bringt, was so vieleMenschen sich wünschen: mehr Transparenz, mehr Effi-zienz und auch mehr Demokratie in Europa.Es stimmt: Die Skepsis ist auch gestiegen; eine Lang-zeitstudie der Stiftung „Wissenschaft und Politik“ zeigtdas. Interessant ist: Die Zahl derer, die Ja zu Europa sa-gen, ist gleich geblieben. Die Zahl derer, die Nein sagen,ist gestiegen. Wo kommt das her? Es kommt aus demgroßen Bereich der Bürger, die sich bisher in permissiverEnthaltung geübt haben, sich also wohlwollend nicht da-rum gekümmert haben, weil sie meinten: Es wird schonrichtig sein, wie es läuft. – Bei ihnen besteht heute grö-ßere Skepsis. Diese können wir nur überwinden, wennwir die europäischen Entscheidungsprozesse transparen-ter machen. Denn wir brauchen eher mehr als wenigerEuropa. Die Bürger wissen in ihrem Herzen auch, dassdie Europäische Union die einzig tragfähige Antwort aufdie Herausforderungen der Globalisierung ist.Mit der Vereinbarung, die wir heute getroffen haben,schreiben wir einen ganz kleinen Abschnitt im Buch dereuropäischen Geschichte fort, nämlich den Abschnittüber die Parlamentarisierung der Entscheidungspro-zesse in der Europäischen Union. Das steht dem Bundes-tag gut an. Ich bedanke mich bei allen, die daran mitge-wirkt haben. Den Politikern ist gedankt worden. Ich willnun auch den Mitarbeitern danken
und pars pro toto Christoph Thum von der SPD nennen,der Mitarbeiter der ersten Stunde war, damals, als schonböse Schatten über der rot-grünen Regierung hingen, imMai des Jahres 2005.
Die SPD hat damals gedacht: Wer weiß, wofür das gutist, wir sollten uns jetzt schon einmal ein bisschen vorbe-reiten. – Es sah damals ja so aus, dass Sie vielleicht inder Opposition landen würden. Wir dachten: Wer weiß,wofür das gut ist, wir wissen ja auch nicht, ob wir in dieRegierung kommen. – Wir haben dann gemeinsam etwasGutes daraus gemacht.Das schöne griechische Wort Krise bedeutet ja imGrunde Frage bzw. Anfrage. Wir haben die Frage positivbeantwortet und etwas Gutes aus der Krise gemacht.Lassen Sie uns das gemeinsam nutzen!Schönen Dank.
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Es bleibt unsere Aufgabe, das Parlament gemeinsamu europäisieren; denn eines ist auch wahr: Diese Ver-inbarung ist nicht das Ergebnis der bereits vollzogenenuropäisierung des Parlaments und der großen Fort-chritte, die über 600 Abgeordnete und alle Ausschüsserreicht haben, sondern ein Stück weit das Ergebnis des-en, dass der Europaausschuss als Leitwolf bzw. -wöl-in vorangegangen ist. Auch das gehört dazu. Jetzt wirds darauf ankommen, dass die anderen nicht nur ein Ru-el sind, sondern dass es zu einer gemeinsamen Kraftan-trengung all derjenigen kommt, die hier Verantwortungragen. Deshalb sollten wir das an dieser Stelle noch ein-al ganz deutlich unterstreichen.
Das ist in der Praxis ja auch schon ein Stück weit ge-ungen. Wir haben in einer wichtigen Frage gesagt, wasir wollen, was wir also von der Regierung im Rat er-arten. Um die Positionierung des Deutschen Bundesta-es in Europafragen vor allen Dingen gegenüber derundesregierung geht es ja. Ich erinnere hier an dierundrechteagentur, die neu eingerichtet werden soll.urch eine gemeinsame Position ist es uns gelungen, dieanzlerin und den Außenminister im Rat darauf festzu-egen, dass diese Agentur nicht einfach durchgewunkenird – mit einer Struktur, von der wir nicht sicher wis-en, ob sie etwas bringt –, sondern dass an dieser Stelleeiterhin kritisch gearbeitet wird, bevor die Umsetzungrfolgt. Das ist ein Erfolg des Bundestages, zu dem esufgrund eines gewandelten Bewusstseins und einer ver-esserten Handlungsfähigkeit gekommen ist.
Kolleginnen und Kollegen, es gehört auch zu denahrheiten dieser geschlossenen Vereinbarung, dassier eine Reihe von lang gedienten Kolleginnen und
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Axel Schäfer
Kollegen am Ende gesagt haben, dass sie sich eigentlichmehr hätten vorstellen können. Na ja, denen muss mansagen, dass sie jetzt seit 25 oder 30 Jahren dabei sindund wissen müssten, dass man es sich nicht so leicht ma-chen kann. Andere haben – ebenfalls parteiübergreifend;manche davon in großer Verantwortung – gesagt: Wennich hier hätte entscheiden können, dann hätte ich euch,dem Europaausschuss bzw. dem Parlament, bezüglichder Europäisierung nicht so starke Rechte zugestanden. –Auch dies zeigt, woran wir noch ein Stück mehr arbeitenmüssen. Das sollte uns eine zusätzliche Motivation fürdie Überzeugungsarbeit sein; denn die Arbeit leisten wirweiterhin hier. Auch wenn wir uns deutlicher in Rich-tung Brüssel positionieren: Wir positionieren und kon-trollieren vor allen Dingen die Bundesregierung und wirwollen sie auch zu einer Reihe von Dingen verpflichten.Ich glaube, das ist auch richtig so.Was wir voranbringen wollen, ist eine Europäisie-rung. Europäisierung bedeutet immer auch Parlamentari-sierung und Parlamentarisierung geht nur mit Demokra-tisierung. Die Kollegen von der Linksfraktion habenangesprochen, dass zur Demokratisierung auch die di-rekte Demokratie gehört. Ich bin sehr dafür und ichglaube, es gibt auch hier in diesem Hause eine Mehrheitdafür, dass wir in Konsequenz dieser Diskussion wiederdie Debatte darüber aufgreifen, wie wir über das Instru-ment der Volksinitiative, des Volksbegehrens und desVolksentscheids mehr direkte Demokratie in Ergänzungder repräsentativen Demokratie einführen können.
– Gerade weil ich jetzt Beifall von der ganz linken Seitedes Hauses bekomme, möchte ich deutlich machen, dassein wichtiger Impuls, dies umzusetzen, die europäischeVerfassung ist. Sie nimmt Elemente der direkten Demo-kratie in ganz Europa auf. Man kann aber nicht mehr di-rekte Demokratie in Deutschland fordern, wenn mangleichzeitig eine europäische Verfassung mit mehr direk-ter Demokratie ablehnt. Das passt nicht zusammen, liebeKolleginnen und Kollegen.
Das Wichtigste aber ist: Lasst uns bei all den Diskus-sionen über die Instrumente, die wir in Zukunft habenwerden und die wir verbessert nutzen wollen, immerauch über die Inhalte reden. Unser Ziel ist es, in diesemgemeinsamen Europa besser und erfolgreicher für denFrieden einzutreten und mehr für soziale Gerechtigkeitund die Schaffung von Arbeitsplätzen zu tun. Wir wollenBildung und Forschung voranbringen –
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Dehm?
– wenn ich den Satz beendet habe – und den Nationa-
lismus bekämpfen.
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Erstens. Es gibt in der europäischen Verfassung, dieir gemeinsam wollen, überhaupt keine Festlegung aufufrüstung. Das muss man einfach einmal feststellen.
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Axel Schäfer
Zweitens. Wir sind für eine soziale Marktwirtschaftund eine Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Ich bin auchsehr dafür, dass man den Kapitalismus kritisiert, wo erbestimmte Auswüchse angenommen hat. Das allerdingshat mit den Festlegungen in der europäischen Verfassungnichts zu tun, lieber Kollege.
Ein Letztes: Wir wollen Europa weiter verbessern,weil wir in allen Ländern gegen einen zum Teil wachsen-den Nationalismus kämpfen. Das gehört zur gemeinsa-men europäischen Identität. Unsere gemeinsame Identitätist das Gegenbild zum Nationalismus. Das wichtigsteInteresse, das wir als Nationalstaaten haben – in Deutsch-land wie in Frankreich, in Polen wie in Großbritannienund allen anderen Ländern –, ist die europäische Eini-gung. Mit dieser gemeinsamen Vereinbarung kommenwir diesem Ziel einen großen Schritt näher. Ich danke al-len, die daran mitgewirkt haben.
Ich erteile Kollegen Thomas Silberhorn, CDU/CSU-
Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich reihemich heute gerne ein in den fraktionsübergreifendenKonsens in diesem Hause. Die Vereinbarung zwischenBundestag und Bundesregierung über die Zusammenar-beit in EU-Angelegenheiten ist ein erkennbarer Fort-schritt auf unserem Weg, europäischen Angelegenheitenin Deutschland mehr Gewicht zu verleihen. Dieser Wegführt über die Beteiligung des Deutschen Bundestageszu unserem Ziel, mehr Verständnis und Akzeptanz füreuropäische Politik zu gewinnen, aber auch dazu, die Le-gitimationsbasis europäischer Entscheidungen zu stär-ken, indem in jedem Mitgliedstaat die nationalen Parla-mente intensiv damit befasst werden.
Die Vereinbarung, die wir heute beschließen, bringteine erhebliche Ausweitung der Unterrichtungspflich-ten der Bundesregierung mit sich. Dass es mehr als fünf-zig Jahre europäischer Integration bedurfte, um so weitzu kommen, ist nicht unbedingt ein Ruhmesblatt. Aberumso mehr freut es mich, dass wir es sind, die diesenFortschritt erreicht haben.
Wir ziehen damit in Bezug auf die Unterrichtung desParlamentes mit dem Bundesrat gleich und können zu-versichtlich sein, dass die Zeit der Vergangenheit ange-hrBFdrdRlmdrnddsrdwfzdvlsAsdsdÜsgdiDmsPBsbsatotnid
Es bleibt also das Problem, dass Art. 23 des Grundge-etzes unsere Handlungsmöglichkeiten etwas beschränkt.uch nach der Föderalismusreform ist das die mit Ab-tand unübersichtlichste Vorschrift des Grundgesetzes,ie noch dazu in ihren praktischen Konsequenzen be-cheidene Auswirkungen zeitigt. Ob und wann wir erneutarüber diskutieren müssen, hängt nach meiner festenberzeugung vom Verhalten der Bundesregierung ab.Wir werden die Bundesregierung daran messen müs-en, wie sie künftig mit unseren Stellungnahmen um-eht, und müssen erwarten können, dass sich die Bun-esregierung ernsthaft darum bemüht, unsere Positionenn den europäischen Gremien tatsächlich umzusetzen.azu ist es – dieser Hinweis sei mir gestattet – nicht im-er erforderlich, im Ministerrat Mehrheiten zu organi-ieren. Es gibt auch Gelegenheiten, wo es genügt, seineosition zu markieren.Ich darf daran erinnern, dass der Europaausschuss desundestages eine einvernehmliche Haltung zur europäi-chen Grundrechteagentur kommuniziert hat. Wir ha-en das höflich – nicht in Form einer Stellungnahme,ondern eines Briefwechsels – getan. Ich möchte aberuch darum bitten, dass die Bundesregierung dieses Vo-um sehr ernst nimmt. Wir werden genau darauf achten,b sich die Bundesregierung unserer ablehnenden Hal-ung anschließt, und zwar nicht, weil wir etwas gegen ei-en effektiven Grundrechtsschutz hätten, sondern weilch persönlich davon überzeugt bin, dass es besser wäre,en europäischen Menschenrechtsgerichtshof zu stärken,
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Thomas Silberhornals eine neue Behörde zu gründen, in der Beamte schöneBerichte schreiben.
Ich wünsche mir, dass die Bundesregierung künftigauch bei europäischen Vorlagen den Bundestag in einerForm beteiligt, wie wir es von den nationalen Gesetzge-bungsvorhaben gewohnt sind. Niemand hindert die Bun-desregierung daran – zum Teil wird es schon praktiziert –,Berichterstattergespräche zu organisieren. Es sollten allezuständigen Kollegen aus den Ausschüssen die Gelegen-heit erhalten, mit den Beamten, die für die Bundesregie-rung in Brüssel verhandeln, eine europäische Initiativezu erörtern. Ich glaube, dass wir es mit einem solchenModell versuchen sollten. Ich sehe darin auch eine Gele-genheit, den Parlamentarischen Staatssekretären dieseAufgabe mit zu übertragen. Es gibt hin und wieder Dis-kussionen über den Aufgabenbereich der Parlamentari-schen Staatssekretäre. Es wäre für sie eine vornehmeAufgabe, Berichterstattergespräche zu europäischenVorlagen zwischen Regierung und Ministerialbeamtenauf der einen Seite und den Mitgliedern dieses Hausesauf der anderen Seite zu organisieren.
Auch der Deutsche Bundestag wird seine Arbeits-weise ändern müssen. Wir müssen uns bei europäischenVorhaben auch am Fahrplan der Europäischen Unionorientieren. Wir müssen viel stärker als bisher Netz-werke in die europäischen Institutionen hinein knüpfen,aber auch zu unseren Kollegen aus den anderen Mit-gliedstaaten. Außerdem wird es künftig viel stärker Auf-gabe jedes einzelnen Abgeordneten sein – dies war esauch bisher schon –, die europäischen Implikationen sei-nes Fachbereiches zu berücksichtigen und tatsächlichmit zu bearbeiten.Durch die Vereinbarung, die wir heute beschließen,werden wir auch ein Stück weit in Mitverantwortung fürdas genommen, was die Bundesregierung in Brüssel mitberät und mit beschließt. Ich plädiere dafür, dass wir unsbei EU-Vorhaben auf die vorbereitenden Akte konzen-trieren – auf Weißbücher, auf Grünbücher, auf das Jah-resarbeitsprogramm der Kommission, auf die Legislativ-pläne –, damit wir schon im Vorfeld über das orientiertsind, was auf europäischer Ebene geplant ist, und recht-zeitig eingreifen können. Allerdings werden wir, liebeKolleginnen und Kollegen, selbst wenn wir das tun, im-mer dann, wenn es um eine förmliche Stellungnahmedes Bundestages geht, vor dem Problem stehen, dass dieBundesregierung schon zwei, drei Jahre in Expertenrun-den verhandelt und man uns dann vonseiten der Ministe-rialbeamten vorhält: Jetzt kommt Ihr Abgeordneten? Wirsitzen doch schon zwei Jahre daran!Dazu gehört meines Erachtens auch die Bereitschaftdes Parlaments einschließlich der Regierungsfraktionen,die Kontrollfunktion des Bundestages gegenüber derBundesregierung sehr ernsthaft wahrzunehmen und sichbei Bedarf einzuschalten.
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enn ich möchte doch, dass ein nationales Parlament,as einen förmlichen Beschluss fasst, nicht wie ein x-be-iebiger Lobbyverband behandelt wird.
ch glaube, dass wir die konkrete Chance haben, imuge der Diskussion über den europäischen Verfas-ungsvertrag auch noch einmal über den Frühwarnme-hanismus zu diskutieren und ihn vielleicht zu vereinfa-hen, aber auch, ihn um den Punkt zu ergänzen, dass dieommission uns Antwort geben muss, wenn wir uns alsarlament an sie wenden.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache. – Wir kommen zur Ab-timmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU,er SPD, der FDP, der Linken und des Bündnisses 90/ie Grünen eingebrachten Antrag zur Annahme einerereinbarung zwischen dem Deutschen Bundestag under Bundesregierung über die Zusammenarbeit in Ange-egenheiten der Europäischen Union. Wer stimmt für denntrag auf Drucksache 16/2620? – Wer stimmt dage-en? – Enthaltungen? – Der Antrag ist einstimmig ange-ommen.
Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 23 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Kurt Hill, Eva Bulling-Schröter, Lutz Heilmann,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LIN-KENEnergiepreiskontrolle sicherstellen– Drucksache 16/2505 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürie Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ichöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Meine Herren, ich würde Sie gerne veranlassen, demommenden Redner die Chance zu geben, zum Pult zuommen und dann Gehör zu finden. – Ich eröffne die
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Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang ThierseAussprache und erteile Kollegen Oskar Lafontaine,Fraktion Die Linke, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Die Entwicklung der Energiepreise ist ein für dieBevölkerung erstrangiges Thema. Die Energiepreise ha-ben sich in den letzten Jahren enorm nach oben bewegt;dabei denke ich natürlich auch an die Veränderungennach unten, die wir derzeit in einem Segment sehen.Aber insgesamt kann gesagt werden, dass sich die Ener-giepreise in den letzten Jahren sehr stark erhöht haben.Es gibt den Satz, dass die Energiepreise für die Bevöl-kerung eine ähnliche Bedeutung haben wie die Brot-preise. Man muss diesen Vergleich nicht unbedingt über-nehmen. Aber dass die Energiepreise für die sozialeSituation vieler Menschen in Deutschland eine großeBedeutung haben, ist, glaube ich, in diesem Hause völligunstreitig.
In diesem Zusammenhang erinnere ich insbesonderean die Entwicklung der Löhne der großen Mehrheit derBevölkerung sowie an die Situation vieler Rentnerinnenund Rentner. Die Reallöhne sind seit zehn Jahren prak-tisch nicht mehr gestiegen. Auch in letzter Zeit hat sichkaum etwas entscheidend verbessert. Ich erinnere desWeiteren an die Situation derjenigen, die soziale Leis-tungen empfangen, beispielsweise ALG-II-Empfänge-rinnen und -Empfänger, der Alleinerziehenden sowie derRentnerinnen und Rentner mit geringem Einkommen,die der Entwicklung der Energiepreise, insbesondere derStrom- und Gaspreise, vielleicht noch viel hilfloser aus-geliefert sind als der Durchschnittshaushalt. Wenn mansich die Zahlen vor Augen führt, dann stellt man fest,dass die Energiepreissteigerungen im letzten Jahr diePrivathaushalte mit 8 Milliarden Euro zusätzlich belastethaben. Alles, was man bislang abschätzen kann, deutetdarauf hin, dass sich diese Entwicklung fortsetzen wird.Mittlerweile geht es nicht mehr in erster Linie umökologische Belange. Vielmehr verschiebt sich der Ak-zent zunehmend auf das Soziale.Ich möchte darauf hinweisen, dass wir vor fast zehnJahren – deshalb habe ich meine Fraktion gebeten, heutedas Wort ergreifen zu dürfen – einen anderen Ansatz hat-ten. Wir wollten über die Energiepreise den Energiever-brauch steuern. Diese ökologische Abgaben- und Steu-erreform wurde 1998 auf den Weg gebracht. Damals wardie Situation aber völlig anders. Die Energiepreise stag-nierten eine gewisse Zeit und waren auf einem niedrige-ren Niveau. Bereits 1998 – damals regierte Rot-Grün –,als wir über den Ansatz beraten haben, über die Energie-preise den Energieverbrauch zu steuern, habe ich interndarauf hingewiesen, dass es wünschenswert wäre, Vor-sorge für den Fall zu treffen, dass die Energiepreiseenorm steigen und in sozialer Hinsicht für eine ganzeReihe von Haushalten zum Problem werden könnten.Ich konnte mich damals mit diesem Anliegen nichtdurchsetzen. Es ging vor allen Dingen darum, den Ge-sgdEsAwdgefAwtddsDwglgGWmwgnserwrdeswmm–hvLdnanSssriudpwe
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Bei allen Diskussionen um die Beibehaltung vonreiskontrollen oder sogar die Einführung neuer Preis-ontrollen sollten wir eines nicht aus dem Blick verlie-
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die effektivste Form der Preiskontrolle ist immer
noch ein funktionierender Wettbewerb.
Die Frage für uns ist: Wie schaffen wir es, im Strom-
und auch im Gasbereich zu einer höheren Wettbe-
werbsintensität zu kommen? Druck auf die Preise wird
am besten dadurch gewährleistet, dass neue Anbieter in
den Markt eintreten.
Die Bürger sind mündig. Die Bürger werden durch ihr
Verhalten entscheiden. Sie haben zukünftig mehr Wahl-
freiheit. Danach wird sich die Preisobergrenze bestim-
men. Schon jetzt besteht die Möglichkeit, den Lieferan-
ten zu wechseln. Leider nehmen die Bürger sie noch
nicht so wahr. Es muss in diesem Zusammenhang viel-
leicht noch mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden.
Heute Nachmittag liegen im Bundesrat Verordnungen
auf dem Tisch, in denen es noch einmal um Vereinbarun-
gen zum Lieferantenwechsel geht. Wir brauchen auch
für die Haushaltskunden vor Ort ein größeres Angebot
an Lieferanten. Das heißt, wir brauchen neue Erzeuger,
mehr Erzeuger, unabhängige Erzeuger.
– Wenn Sie mich weiterreden lassen, gebe ich Ihnen die
Antwort darauf.
Wir haben ein Problem, die Marktzugangsbarrie-
ren. Die Frage ist: Wie erreichen wir es, für neue Anbie-
ter einen diskriminierungsfreien Zugang zu schaffen, so-
dass auch investiert wird? Ein Investor, der ein
Kraftwerk baut, muss nachher auch die Möglichkeit ha-
ben, sich an das Netz anzuschließen. Hier sind wir als
Gesetzgeber gefordert. Wir werden die Rechtsverord-
nung noch in diesem Jahr auf den Weg bringen, um mehr
Rechtssicherheit für einen solchen Kraftwerksbauer zu
schaffen. Wir brauchen in diesem Bereich grünes Licht
für neue Kraftwerksinvestitionen.
Wir wissen, dass die meisten Maßnahmen, die schon
auf den Weg gebracht worden sind oder die im Ministe-
rium erst noch angedacht werden, nicht von heute auf
morgen wirken können. Es gibt zu wenig Anbieter. Auf
dem Gasmarkt erscheinen zurzeit überhaupt keine neuen
Anbieter. Wenn man sich auf der einen Seite die Groß-
handelspreise und auf der anderen Seite die Stromerzeu-
gungspreise anschaut, wird natürlich augenfällig – da
sind wir wieder einer Meinung –, dass es dazwischen ei-
nen sehr großen Abstand gibt. Die Frage ist also: Wie
verhindern wir, dass die wenigen Anbieter ihre dominie-
rende Marktstellung, die unstrittig vorhanden ist, ausnut-
zen?
Wir wollen dem Kartellamt befristet ein Instrumen-
tarium an die Hand geben – Sie haben es schon ange-
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it der Erleichterung beim Nachweis von Preismiss-
rauch und mit der Beweislastumkehr zuungunsten der
nergieversorgungsunternehmen geben wir dem Kartell-
mt ein gutes Instrumentarium an die Hand. Dieses
ollte nicht als staatliche Kontrolle angesehen werden,
ondern als effektives Instrumentarium.
Ich will noch einen weiteren Punkt ansprechen: Wir
rauchen dringend – das wird auch ein wichtiges Anlie-
en während unserer Ratspräsidentschaft sein – einen
erbesserten grenzüberschreitenden Stromaustausch.
ie EU-Kommission hat schon die ersten Maßnahmen
ingeleitet; allerdings muss die Integration des Energie-
ektors in den Binnenmarkt noch viel schneller vorange-
en. Zugleich sind wir selber gefordert, hier die gesetzli-
hen Möglichkeiten zu schaffen, damit die geplanten
nfrastrukturmaßnahmen in Zukunft schneller umgesetzt
erden können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
ich zum Schluss zusammenfassend sagen: Wir haben
ine Reihe von Maßnahmen eingeleitet, von denen die
ndustrie – ich nenne als ein Beispiel die Härtefallrege-
ungen –, aber auch die privaten Verbraucher vor Ort
rofitieren werden. Wir prüfen darüber hinaus, ob in Zu-
unft gewisse Anlaufstellen für die Verbraucher geschaf-
en werden sollen. Die Engländer haben dafür ein schö-
es Wort: Consumer Watchdogs. Es handelt sich um
nlaufstellen für die Menschen vor Ort, wohin die Bür-
er mit ihren Sorgen und Beschwerden hinsichtlich ihrer
nergierechnung gehen können und sich Rat holen kön-
en.
All diese Maßnahmen, die wir planen, verfolgen ein
bergeordnetes Ziel, nämlich das Ziel der Schaffung ei-
er größeren Wettbewerbslandschaft, die uns allen eine
ichere und günstige Energieversorgung garantiert.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegin Gudrun Kopp, FDP-
raktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Herren und Damen! Derntrag der Linken fordert eine Preiskontrolle, und zwarine dauerhafte. Ich glaube, dabei geht es insbesonderem die Frage, ob und wie viele Interventionsmechanis-en der Staat in einer freien Marktwirtschaft etablierenarf. Es stimmt nicht, dass wir zügellosen Wettbewerbropagieren. Nein, Herr Lafontaine, Sie wissen sehr ge-au, dass wir einen durch Gesetze und Regeln geordneten
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5072 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. September 2006
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Gudrun KoppWettbewerb in Deutschland und keinen zügellosen wün-schen. Im Kern geht es bei Ihrem Antrag um die Frage:Wettbewerb oder Sozialismus? Ich glaube, dass die Ant-wort sehr leicht ist.
Ich werde Ihnen ein Beispiel nennen: Herr Lafontainehat davon gesprochen, dass es im Energiebereich einedauerhafte Preiskontrolle geben solle und das Verfü-gungsrecht über Energie so ähnlich wie das Recht aufBrötchen anzusehen sei. Das ist genau der Punkt: WennSie wollen, dass im Energiebereich dauerhaft vom StaatPreise vorgegeben werden sollen, dann müsste das auchfür das Grundnahrungsmittel Brot bzw. für Brötchen gel-ten. Aber auch die Grundnahrungsmittel unterliegen beiuns dem freien Wettbewerb.
– Ja, und auch wir wollen, dass sich alle Menschen Ener-gie leisten können. Das ist gar keine Frage. Dafür möch-ten wir aber den Wettbewerb fördern.Der Wettbewerb ist im Moment eingeschränkt; das istgar keine Frage. Es gibt eine Marktkonzentration undwir sind hier nicht auf dem richtigen Weg. Deshalb ha-ben wir auch Ja zu einer Regulierungsphase gesagt.Diese musste sein und sie läuft ja im Augenblick. Sie istallerdings bis zum Sommer des kommenden Jahres be-fristet. Bis dahin, wenn dieser Phase der nächste Schrittfolgt, nämlich die Anreizregulierung, ist unser An-spruch, dafür zu sorgen, dass Markt und Wettbewerbgreifen und Kostensenkungen möglich werden.
Wir sind gegen staatliche Dauerinterventionen und füreinen freiheitlichen Ansatz.
Bundeswirtschaftsminister Glos hat gesagt: Wir müs-sen uns die gesamte Kostenstruktur anschauen und müs-sen überprüfen, an welcher Stelle Kosten- und Preis-senkungen realisierbar sind. Das ist richtig. Allerdingsmuss man an diesem Punkt sehen, dass 75 Prozent derTarifkundenpreise bereits festgelegt sind. Der eine Teildieser Kosten ist staatlich verursacht, wie Steuern undAbgaben. Hinzu kommt staatlicherseits die Mehrwert-steuererhöhung. Sie ist politisch gewollt, nämlich vonder Mehrheit dieses Hauses. Der andere Teil dieser Kos-ten – etwa 30 Prozent der Tarifkundenpreise – ist regu-liert: die Netzkosten. Es bleibt eine Marge von25 Prozent. Einige meinen, wir müssten weiter an dieserSchraube drehen.Natürlich gibt es in diesem Bereich Oligopolgewinne.Aber es ist wichtig, dass wir gerade dort Wettbewerb er-möglichen, damit neue Anbieter überhaupt die Chanceh–DEM–GNdeInsKwwsAAddlsnW–POknrgddlFAzgdlwwt
Keine Frage; das ist völlig richtig. Wir müssen diesesrundproblem lösen und einen diskriminierungsfreienetzzugang gewährleisten. Wir sind im Moment aufem Weg, dies zu tun.
Wir müssen uns die selbst verursachten Kosten, Steu-rn und Abgaben anschauen. Da müssen wir ansetzen.ch sage Ihnen eins, Frau Wöhrl: Wir als Liberale kön-en zum Beispiel nicht verstehen, dass Sie nicht das ent-prechende Instrument nutzen, um staatlich verursachteosten zu senken. Warum befürworten Sie nicht, dassenigstens 10 Prozent der CO2-Zertifikate versteigerterden können, damit man mit den Erlösen zum Bei-piel die Stromsteuer senken kann? Das wäre ein guternsatz.
n diesem Punkt bewegen Sie sich aber leider nicht undas finde ich sehr bedauerlich.Minister Glos hat gesagt, er wolle das Kartellrechtahin gehend ändern, dass die Missbrauchsaufsicht er-eichtert wird. Auch das scheint ein richtiger Weg zuein – auch wir möchten keinen Missbrauch –; wir ken-en die genaue Ausformulierung noch nicht. Frauöhrl, Teil zwei einer solchen MissbrauchsaufsichtTeil eins betrifft das Recht – sollte eine entsprechendeersonalausstattung des Bundeskartellamtes regeln.hne sie wird es nicht möglich sein, die Missbrauchs-ontrolle tatsächlich so durchzuführen, wie es eigentlichötig wäre. Daher möchte ich hier an die Bundesregie-ung appellieren, das Personal zu verstärken. Im Übri-en, es rechnet sich, weil das Bundeskartellamt Bußgel-er einnimmt, wodurch Kosten gesenkt werden können.Wichtig ist – das ist eben schon angesprochen wor-en –, bei der strikten Regulierung die Grenzkuppelstel-en in Europa zu bedenken. Diese Stellen sind eine Artlaschenhals. Wenn wir auf dem deutschen Markt neuenbieter haben möchten – daran arbeiten wir sehr ver-weifelt –, dann müssen wir Anreize für eine Beseiti-ung dieser Engpässe schaffen.Ich habe Ihnen eben gesagt, dass es wichtig ist, dasser Staat die Stromkosten, für die er selbst verantwort-ich ist – über 40 Prozent –, senkt. Ich möchte noch et-as hinzufügen. Wir müssen uns natürlich fragen, wieir dafür sorgen können, dass Energie auch künftig kos-engünstig ist. Ich kann Ihnen nicht vorenthalten, kritisch
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. September 2006 5073
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Gudrun Koppanzumerken, dass eine Entscheidung über den künftigenEnergiemix dringend erforderlich ist. Die kostengünstigeund klimaschonende Stromproduktion aus Kernkraftdarf nicht einfach beendet werden.
Wir müssen die Laufzeiten der Kernkraftwerke vielmehrverlängern. Über diese Frage schwelt ein dauerhafterStreit in der Koalition; das wissen wir. Dieser Streitmuss, wie meine Fraktion hofft, zugunsten eines breitaufgestellten Energiemixes beendet werden.Wir wollen, dass zukünftig in neueste Technologienfür Kohle- und Gaskraftwerke investiert wird. Dabeimuss auch der Klimaschutz berücksichtigt werden. Da-für müssen wir Investitionsanreize schaffen. Das setztaber voraus, dass die Politik den notwendigen Rahmensetzt. Ich sage es noch einmal, Frau Wöhrl: Es ist kata-strophal, dass die Bundesregierung bis heute kein Ener-gieprogramm vorgelegt hat.
Der gesamte Rahmen muss abgesteckt werden: Wo-hin wollen Sie? Welche Ziele haben Sie? Das Ener-gieprogramm sollte nicht erst Ende 2007, also nach Endeder deutschen EU-Ratspräsidentschaft vorgelegt werden,sondern schon jetzt. Für den deutschen Energiemarkt isteine solche Orientierung absolut notwendig.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Bulling-Schröter von der Linksfraktion?
Ja, gerne.
Danke schön, Frau Kollegin Kopp. – Sie haben über
eine zukünftige Verlängerung der Laufzeiten für AKWs
gesprochen. Ihre Fraktion wünscht sich das. Sie haben in
diesem Zusammenhang über Möglichkeiten gesprochen,
Energie günstiger zu produzieren. Ich denke, darin liegt
ein großer Widerspruch. Denn nach wie vor sind die
AKWs nicht oder nur zu einem kleinen Teil haftpflicht-
versichert. Sie wissen das sicher. Eine Enquete-Kommis-
sion hat die tatsächlichen Kosten berechnet. Diese liegen
sehr viel höher als der Anteil, der in den Strompreisen
für AKW-Strom enthalten ist.
Ich denke – auch Sie fordern das –, dass die Kosten in
die Preise einfließen müssen. Es sollte nicht so sein, dass
Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden. Ir-
gendwann müssen – das sagt auch Ihr umweltpolitischer
Sprecher Herr Kauch – diese Kosten in die Preise ein-
fließen. Wie stehen Sie dazu?
Frau Kollegin, es ist richtig, dass anfallende Kosten
einkalkuliert werden müssen. Das werden sie auch.
Denn die Kosten für die Versicherung werden von den
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– Das ist auch in Ordnung. Das ist die Situation.Es gibt ein gutes Beispiel dafür, wie der Weg vomMonopol hin zu einem Wettbewerbsmarkt erfolgreichbeschritten werden kann: Das ist der Telekommunika-tionsmarkt. Bereits kurz nach Einführung des Wettbe-werbs sind die Preise auf diesem Markt drastisch gefal-len. Die Verbraucherinnen und Verbraucher zahlen heutefür ein inländisches Ferngespräch nur noch 5 Prozentdes Betrages, den man vor Jahren dafür zahlen musste.Ich weiß, dass der Telekommunikationsmarkt und derGas- und Strommarkt nicht das Gleiche sind. Die Situa-tion auf diesen Märkten ist unterschiedlich. Aber diesesBeispiel zeigt: Durch eine gute Regulierung und mit zu-nehmendem Wettbewerb werden auch die Verbrauche-rrBsctDkkndlEVbsdlaNzdunKSHlWNDnKdmwLwEc–Ddcns
Es bleibt richtig, die Regulierung der Energienetzeurch die Bundesnetzagentur durchführen zu lassen. Al-ein die Regulierungsentscheidungen der Bundesnetz-gentur aus den letzten Tagen führten dazu, dass dieetzentgelte bei der EnBW Regional AG in Stuttgartum 1. September um 14 Prozent gekürzt wurden undie Netzentgelte bei der Vattenfall Europe AG in Berlinnd Hamburg um 15 Prozent gesenkt werden. Nach ei-er Modellrechnung der Bundesnetzagentur können dieürzungen einen durchschnittlichen Haushaltskunden intuttgart um rund 37 Euro entlasten. Für Berlin undamburg werden die durchschnittlichen Einsparmög-ichkeiten mit circa 31 Euro bzw. 47 Euro angegeben.ichtig bleibt, dass die Unternehmen die Senkung deretznutzungsgebühren an die Haushalte weitergeben.as ist ein ganz entscheidender Punkt.
Aber auch bei der Netzregulierung darf die Bundes-etzagentur das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.leine Stadtwerke, deren Kosten schon heute unterhalber durchschnittlichen Kosten vergleichbarer Unterneh-en liegen, dürfen nicht weiter geknebelt werden. Icheiß, wovon ich spreche.
angfristig würden nur die großen Anbieter profitieren,enn viele kleine Stadtwerke in ihrer ökonomischenxistenz bedroht wären und am Markt nicht weiterma-hen könnten.
Keine Sorge, wir kümmern uns um diese Problematik.a können Sie sicher sein. Dieser Hinweis macht eineseutlich: In diesem Zusammenhang gibt es keine einfa-hen Lösungen. Das, was Sie mit Ihrem Antrag fordern,ämlich eine Verlängerung der Preisgenehmigung, istchon gar keine einfache Lösung.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. September 2006 5075
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Manfred Zöllmer
Die nordrhein-westfälische WirtschaftsministerinThoben hat die gleiche Forderung erhoben. Am Mitt-woch, den 30. August, hat die „Financial TimesDeutschland“ unter der Überschrift „Stromriesen begrü-ßen Preisaufsicht“ Folgendes geschrieben:Die Forderung der nordrhein-westfälischen Wirt-schaftsministerin Christa Thoben nach einerVerlängerung der staatlichen Aufsicht über denStrompreis ist bei den Stromkonzernen inoffiziellauf große Zustimmung gestoßen.„Preisaufsicht ist klasse“, hieß es am Dienstag beiden Versorgern hinter vorgehaltener Hand. „Sie istein staatlich beglaubigtes Gütesiegel und schütztuns vor Vorwürfen, dass wir unsere Preise unge-bührlich anheben“, so ein Energie-Manager, dernicht namentlich genannt werden wollte.
Sie sehen also: Sie sind mit Ihrer Forderung auf demHolzweg. Eine Wiederbelebung der BundestarifordnungElektrizität über das Auslaufen im nächsten Jahr hinausist der falsche Weg.Lieber Kollege Lafontaine, Sie haben eben ausge-führt, dass man mit einer Verlängerung der Bundestarif-ordnung Elektrizität in der Lage sei, die – so haben Siedas genannt – „Abzocke“ wie in der Vergangenheit zuverhindern. Diese Aussage ist Folge eines Trugschlus-ses: Bisher gilt diese Genehmigungspflicht; die Pro-bleme, über die wir sprechen, haben wir aber jetzt. Siemachen einen Denkfehler. Sie sollten über Ihre Forde-rung einmal nachdenken. Sie gaukeln den Verbrauche-rinnen und Verbrauchern etwas vor, was Sie nicht errei-chen können. Sinkende Preise erreichen wir nur durcheinen funktionierenden Wettbewerb. Dafür müssen wirdie Rahmenbedingungen verbessern.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Lafontaine?
Aber ja.
Bitte.
Ich wollte Sie nur fragen, ob Sie zur Kenntnis genom-
men haben, dass ich vorgetragen habe, dass die bisherige
Praxis nicht funktioniert. Das weiß ich, weil ich sie jah-
relang verantwortet habe. Daher habe ich vorgeschlagen,
eine parlamentarische Kontrolle vorzusehen. Haben Sie
ferner zur Kenntnis genommen, dass ich auf die erfolg-
reiche Praxis in Großbritannien verwiesen habe? Wenn
wir schon diskutieren, bitte ich darum, die Argumente,
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azu gilt das, was ich gesagt habe.
Das ist, denke ich, völlig klar.
Im Zweifel hilft ein genauer Blick in den Antrag, den
ie selbst gestellt haben.
Kollege Zöllmer, der Kollege Maurer möchte Ihnen
it einer Zwischenfrage eine Verlängerung Ihrer Rede-
eit ermöglichen. Lassen Sie das zu?
So viel Großzügigkeit bin ich gar nicht gewohnt.
ber er darf natürlich eine Zwischenfrage stellen.
Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Ich habe die
chlichte Frage an Sie, wie Sie die von Ihnen angekün-
igte Absenkung der Preise um 37 Euro für den durch-
chnittlichen Haushaltskunden im Gebiet der EnBW
urchsetzen werden.
Die geltenden Gesetze versetzen die Bundesnetzagen-ur in die Lage, die Netzentgelte entsprechend festzuset-en.
as ist das eine. Auf der anderen Seite gibt es eine öffent-iche Diskussion und einen sehr starken und sehr massi-en Druck der Verbraucherinnen und Verbraucher inichtung Stromkonzerne. Ich kann das nur begrüßen. Eineispiel ist der Gassektor. Dort gab es viele tausend Kla-en von Verbraucherinnen und Verbrauchern unter Bezuguf die Billigkeitsklausel. Es kam zu sehr interessantenerichtsurteilen, in denen vielen Verbraucherinnen und
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5076 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. September 2006
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Manfred ZöllmerVerbrauchern Recht gegeben wurde. Das heißt, auch inder jetzigen Situation gibt es für die Verbraucherinnenund Verbraucher durchaus Möglichkeiten, sich gegeneine unverschämte Abzocke – wenn es sie gibt – zu weh-ren.Zusätzlich – das ist ganz wichtig – brauchen wir eineStärkung des Wettbewerbs bei Erzeugung und Vertriebund damit einen diskriminierungsfreien Netzzugangfür neue Kraftwerke. Wir brauchen Investitionen inneue Kraftwerke. Das ist aus Verbrauchersicht völlig un-verzichtbar. Es gibt eine Reihe von Neubauprojekten.Diese müssen vorangetrieben werden. Wir brauchen eineNetzanschlussverordnung, die es möglich macht, zu ver-besserten Angeboten zu kommen. Wir diskutieren imMoment über ein Infrastrukturplanungsbeschleuni-gungsgesetz. Auch hier müssen die Weichen so gestelltwerden, dass die Angebotsseite ihr Angebot erhöhenkann.Ich begrüße, was der Bundeswirtschaftsminister imZusammenhang mit der GWB-Novelle angekündigt hat.Ich glaube, das ist der richtige Weg, um die Miss-brauchsaufsicht zu verschärfen. Das ist die Alternativezur Kontrolle. Sie muss verschärft werden. Wir braucheneine Beweislastumkehr und müssen das Wettbewerbs-recht zeitgemäß mit dem notwendigen Biss versehen.Das Ministerium ist hier auf einem sehr guten Weg.Sie fordern im Übrigen in Ihrem Antrag einen Strom-sozialtarif. Ich fand das sehr interessant. Warum fordernSie eigentlich Sozialpreise nur für Strom, warum nichtauch für Benzin, Brötchen oder Jeans?
Überlegen Sie doch einfach einmal, was Sie uns hier mitIhrem Antrag vorlegen. Das, was Sie hier dargestellt ha-ben, ist nicht der richtige Weg. Wir müssen den Weg desWettbewerbs beschreiten. Er wird den Verbraucherinnenund Verbrauchern auf Dauer sinkende Preise bescheren.Das ist der richtige Weg.Herzlichen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-
legin Höhn das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir sprechen heute über ein reales Problem. Viele Haus-halte sind in der Tat total erschrocken, wenn sie ihreStrom- oder Gasrechnung bekommen. Es gibt vieleHaushalte, für die das eine enorme soziale Belastung ist.Das betrifft übrigens nicht nur Privathaushalte, sondernauch Gewerbebetriebe.Wcsi–wdhussWedppdPamagwpdcMcWSdirmVAlehE
Da Sie die Mehrwertsteuer erhöhen wollen, müssenir über Schuld nicht mehr reden. Durch die Erhöhunger Mehrwertsteuer kommt auf einen Vierpersonenhaus-alt eine Belastung von 100 Euro pro Jahr zu,
nd zwar ohne dass Sie das Geld in die Sozialsystemetecken, wie wir es gemacht haben. An dieser Stelleeien Sie also ganz still und tun Sie Buße.Wir müssen, meine Damen und Herren, klar sehen:as sind die Gründe dafür, dass die Preise steigen? Derrste Grund ist in der Tat, dass Gas und Öl knapper wer-en. Vor zwei Tagen hat die Börse gejubelt, dass der Öl-reis etwas gesunken ist und das Öl nur noch 60 Dollarro Barrel gekostet hat. Aber man muss auch sehen, dassas Barrel Ende 2001 20 Dollar gekostet hat, dass derreis sich also mittlerweile verdreifacht hat. Das hängtuch mit den knapper werdenden Ressourcen zusam-en. Darauf kann man nur reagieren, indem man mehruf erneuerbare Energien, Energieeinsparung und Ener-ieeffizienz setzt. Das ist ein ganz notwendiger undichtiger Schritt.
Der zweite Grund für die enorm gestiegenen Energie-reise ist – das hat auch die Linke aufgegriffen –, dassie Energiekonzerne ihre Macht am Markt missbrau-hen.
omentan werden die Verbraucherinnen und Verbrau-her mit den hohen Energiepreisen wirklich abgezockt.ir können es nicht mehr akzeptieren, dass auf der eineneite die Energiepreise ins Unendliche steigen und aufer anderen Seite die Gewinne der Energieunternehmenn Milliardenhöhe steigen. Das darf man nicht akzeptie-en, meine Damen und Herren; denn diese Unternehmenachen Gewinne auf Kosten der Verbraucherinnen underbraucher.
Es ist richtig, auf Wettbewerb zu setzen; keine Frage.ber genauso muss gefragt werden: Was machen wir, so-ange es keinen Wettbewerb gibt? Da müssen wir uns dieinzelnen Punkte genau vornehmen. Einen dieser Punkteaben Sie, Frau Kopp, doch angesprochen, nämlich diemissionszertifikate. Ich halte es für eine absolute Un-
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. September 2006 5077
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Bärbel Höhnverschämtheit, dass Unternehmen Emissionszertifikate,die sie umsonst von der Bundesregierung bekommen, inihre Bilanzen und damit den Verbrauchern und Kundenin Rechnung stellen.
Wir reden hierbei über keine Kleinigkeit, sondern über5 Milliarden Euro pro Jahr. Rechnen Sie einmal aus, wasdas pro Kopf der Bevölkerung bedeutet: Jeder Mensch inder Bundesrepublik Deutschland muss durchschnittlich60 Euro pro Jahr bezahlen, nur weil die UnternehmenKosten in ihre Bilanzen stellen, die sie gar nicht haben.Das ist eine absolute Unverschämtheit, mit der wir end-lich Schluss machen müssen.
Bei einem Vierpersonenhaushalt reden wir hier immer-hin über 240 Euro pro Jahr. Wenn er um diese Kostenentlastet werden könnte, wäre das eine Menge für jedenHaushalt.Es gibt in diesem Land mittlerweile eine Menge Ver-braucherinnen und Verbraucher, die sich wehren. Einehalbe Million Menschen klagt inzwischen dagegen, dieGaspreiserhöhung, die ihnen ins Haus geschickt wordenist, zahlen zu müssen. Das finde ich richtig, meine Da-men und Herren. Wir sollten sie unterstützen.
Diese halbe Million Menschen gewinnt übrigens jedenProzess. Warum? Weil die Richter anerkennen, dass wirmomentan keinen Wettbewerb haben und dass eine An-gemessenheit dieser Preiserhöhungen, solange die Un-ternehmen nicht darlegen, wie die Mehrkosten entstan-den sind, nicht gegeben ist.Deshalb müssen wir alles tun, um hier zu einer Ände-rung zu kommen. Ich habe eben die Emissionszertifikateangesprochen. Ich finde es gut, was die Bundesregierungjetzt erwägt, nämlich die Missbrauchsaufsicht, die Ände-rung des Kartellrechts. Es ist richtig, dahin zu kommen.Genauso richtig ist aber, den Verbrauchern über das Ver-bandsklagerecht mehr Möglichkeiten zu geben, für ihreRechte einzutreten und ihren Strom zu angemessenenPreisen beziehen zu können.
Der entscheidende Punkt ist aber, dass wir endlich dieTrennung von Netz und Betrieb erreichen müssen.
Was wir im Energiebereich haben, ist eine absolute Un-verschämtheit. Vergleichbar wäre es, wenn ein Teil derAutobahnen VW, ein Teil Opel und ein Teil Ford gehörteund Daimler – vielleicht auch umgekehrt – hohe Kostenzahlen müsste, wenn dessen Fahrzeuge auf diesen Auto-bahnen fahren wollten. Das darf nicht sein.WkddDHbbtJrhroi–IiHlVwl2DKa
ir müssen die Trennung von Netz und Betrieb hinbe-ommen. Das gilt übrigens auch bei der Bahn. Wer will,ass die Preise im Gleichgewicht bleiben, der muss fürie Trennung von Netz und Betrieb sorgen.Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege
r. Joachim Pfeiffer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
erren! Ich glaube, es wäre ganz sinnvoll, in dieser De-
atte mit Fakten zu argumentieren und die Historie zu
eleuchten, bevor man das Kind mit dem Bade ausschüt-
et. Der Wettbewerb und die Liberalisierung, die im
ahre 1998 von der damaligen unionsgeführten Bundes-
egierung zusammen mit der FDP eingeleitet wurden,
aben dazu geführt, dass es bis heute zu Liberalisie-
ungs- und Rationalisierungseffekten in einer Größen-
rdnung von ungefähr 8,5 Milliarden Euro gekommen
st.
Im Erzeugungsbereich, in dem Überkapazitäten und
neffizienzen beseitigt wurden. – Im Gegenzug wurden
m selben Zeitraum zusätzliche staatliche Belastungen in
öhe von 12 Milliarden Euro induziert.
Liebe Frau Höhn, ich muss schon sagen: Es ist ziem-
ich populistisch und dummdreist, wenn Sie sich hier als
orkämpferin gegen hohe Strompreise darstellen, ob-
ohl Sie selbst zu verantworten haben, dass diese staat-
ich administrierte Belastung von 1998 bis 2005 von
Milliarden Euro auf 12 Milliarden Euro gestiegen ist.
as ist die Faktenlage.
Kollege Pfeiffer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
ollegin Höhn?
Sie hatte gerade Zeit für ihre Ausführungen. Nein.
Was ist passiert? Die Staatsquote ist von 25 Prozentuf derzeit über 40 Prozent gestiegen.
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Dr. Joachim PfeifferIm Hinblick auf die Strompreise, die die Haushalte zuzahlen haben – davon haben Sie gesprochen –, beträgtdie Staatsquote weit mehr als 40 Prozent. Das ist der do-minierende Faktor.
Das kann man nicht nur auf die Monopole oder Oli-gopole, auf die ich gleich eingehe, schieben. Wir solltenuns vielmehr an die eigene Nase fassen und überlegen,welche Ursachen die hohen Strompreise wirklich haben.An dieser Stelle können Sie sich nicht exkulpieren.
Ich nenne nur folgende Stichworte: Ökosteuer aufStrom, Erneuerbare-Energien-Gesetz, Kraft-Wärme-Kopplung, Konzessionsabgabe und Emissionshandel;auch beim Emissionshandel zeigen sich inzwischen dieAuswirkungen der Regelungen, die Ihr Kollege Trittineingeführt hat.
Die aktuelle Lage sieht also wie folgt aus: Über40 Prozent sind staatlich induziert, weitere 35 Prozentsind Netznutzungsentgelte.Es besteht in der Tat ein natürliches Monopol. DieVerbändevereinbarung hat nicht funktioniert. Der Son-derweg, den wir auf europäischer Ebene beschritten ha-ben, wurde nicht goutiert. Deshalb haben wir im letztenJahr mit der Novellierung des Energiewirtschaftsgeset-zes die Grundlage geschaffen, dass durch eine Regulie-rung dieses Monopolmarktes Wettbewerb initiiert undsimuliert wird, zunächst durch eine direkte Kostenregu-lierung und ab dem Jahre 2008 durch eine Anreizregu-lierung, die dazu führen wird, dass die Monopolrenditenin diesem Bereich nicht mehr so stark wie bisher zumTragen kommen. Preisdämpfend sind in diesem Zusam-menhang auch die Entscheidungen der Bundesnetzagen-tur, die aus meiner Sicht einen wirklich guten Job macht.Ihre Entscheidungen gehen in die richtige Richtung.
Zum Thema Wettbewerb. Es ist völlig richtig, dass esnicht gelungen ist, die Stromerzeugungskapazitäten von1998 bis heute im nötigen Umfang zu diversifizieren undden Wettbewerb zu beleben. Gegenwärtig befinden sichin diesem Wettbewerbsbereich immer noch, entweder di-rekt oder indirekt, 80 bis 90 Prozent der Stromerzeugungin der Hand der vier großen Unternehmen. Das kannselbstverständlich zu Marktmissbrauch führen. DieseDeterminante macht weniger als 20 Prozent aus; beimRest handelt es sich zum Beispiel um Bereiche wie denVertrieb, in denen der Wettbewerb nicht funktioniert hat.lrasdwffIkktndddGRlagDdsewISlwnwHnfGtaaz–bwL
ie dann das Gegenteil dessen, was wir wollen, bewirkenürden. Wir wollen dafür sorgen, dass der Wettbewerbunktioniert.
Wie können wir es schaffen, dass der Wettbewerbunktioniert? Die Frau Staatssekretärin hat es ausgeführt:n der Tat besteht sofortiger Handlungsbedarf. Wir den-en, dass eine marktkonforme, verbesserte Missbrauchs-ontrolle – die Instrumente wurden genannt – der rich-ige Ansatz ist,
icht etwa die Verlängerung der Tarifpreisgenehmigung,urch die wir im Erzeugungsbereich reglementierend inie Preisbildung eingreifen würden.Damit aber nicht genug, es gibt noch andere Dinge,ie wir tun können. Ich sage ganz klar: Für uns ist dierenze der Belastbarkeit erreicht, was die staatlicheeglementierung und die staatlichen Abgaben anbe-angt. Daran müssen wir denken, wenn wir nächstes Jahrn die Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzesehen.
aran müssen wir denken, wenn wir an die Novellierunges Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes gehen, daran müs-en wir denken, wenn wir das Stromsteuergesetz weiter-ntwickeln. Deshalb müssen wir darüber nachdenken, obir beim Emissionshandel, beim NAP II, die richtigennstrumente zum Einsatz bringen; dort haben wir dietellgrößen in der Hand. Der Staat hat seinen Beitrag zueisten, damit es bei den Energiepreisen mehr Wettbe-erb gibt.Wir müssen des Weiteren dafür sorgen – das kannicht nur die Bundesnetzagentur machen, da sind auchir entsprechend gefordert –, dass der Markt bezüglichandel und Liberalisierung funktioniert, und zwar nichtur auf Deutschland beschränkt. Wir brauchen einenunktionierenden europäischen Markt für Strom und füras. Für Strom haben wir eine Börse; sie muss mit wei-erer Liquidität versorgt werden. Wir brauchen so etwasuch für Gas. Im Oktober wird die Strombörse EEXuch den Handel mit Gas aufnehmen, was mit Sicherheitu höherer Transparenz führen wird.Wir brauchen eine Verbesserung der Interkonnektoren der Übergangsstellen, der Kuppelstellen – für Stromzw. Gas ins europäische Ausland, damit der Wettbe-erb auf dem Markt besser funktioniert und wir mehriquidität bekommen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. September 2006 5079
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Dr. Joachim PfeifferDie Bundesnetzagentur hat diese Woche in der Um-setzung des Energiewirtschaftsgesetzes den wichtigenSchritt getan, die Ausschreibungsbedingungen für dieRegelenergie in Form der Minutenreserve festzulegen.Andere werden entsprechend folgen. Wir müssen hierdie Effizienzen stärken; auch das wird preisdämpfendwirken.Wir müssen vor allem darauf hinwirken, dass derNetzzugang für neue Anbieter verbessert wird; da sindwir im Erzeugungsbereich an der richtigen Stelle. Wirmüssen dafür sorgen, dass neue Anbieter in den Markteintreten. Das können dezentrale sein wie Stadtwerke,die im Übrigen auch Angst haben um die Monopolren-diten, die sie für die Nutzung ihrer Netze einstreichen.Mir ist es egal, ob es ein privates oder ein öffentlichesUnternehmen ist, das die Monopolrendite verdient – eineMonopolrendite ist nie der richtige Weg. Deshalb müs-sen auch durch die Regulierung der Netznutzungsent-gelte entsprechende Effizienzreserven gehoben werden.Die Stadtwerke haben aber auch Chancen: durch die de-zentrale Erzeugung von Strom, sei es durch erneuerbareEnergien oder durch konventionelle, sowie durch denAusbau der Kraft-Wärme-Kopplung. Auch ausländi-sche Anbieter sind herzlich eingeladen, als Wettbewer-ber einzusteigen. Das führt zu einer Intensivierung desWettbewerbs. Wir müssen sicherstellen, dass diesenneuen Anbietern der Netzzugang ermöglicht wird.
Kollege Pfeiffer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Bulling-Schröter?
Nein. – Wir müssen den Netzzugang verbessern. Es
ist nicht akzeptabel, dass neue Anbieter über Jahre hin-
weg mit fragwürdigen Argumenten am Netzzugang ge-
hindert werden.
Insofern will ich zusammenfassen: Es nützt nichts,
das Kind mit dem Bade auszuschütten und in blinden
Aktionismus zu verfallen, vielmehr brauchen wir ein dif-
ferenziertes Vorgehen. Wir müssen dort, wo wir handeln
können als Staat, das heißt, bei den Steuern und Abga-
ben und bei der Missbrauchsaufsicht, im Erzeugungsbe-
reich, unsere Hausaufgaben machen. Wir müssen die
Bedingungen des Marktes so gestalten, dass Wettbewer-
ber in den Markt eintreten können. Hinzu kommen muss
aber, dass die Kunden die Souveränität zeigen, den An-
bieter zu wechseln. Viel zu wenige wechseln ihren Gas-
oder Stromanbieter. Auch das führt zu einer Verschlep-
pung des Wettbewerbes.
Wenn diese Dinge auf die Schiene gebracht sind, wer-
den wir im Ergebnis nicht nur die Strom- und Gaspreise
stabilisieren können, sondern zudem Effizienzgewinne
erzielen. Wir werden für den Verbraucher etwas tun und
wir werden für die Wirtschaft etwas tun, indem wir die
Wettbewerbsfähigkeit erhöhen, aber bitte mit marktwirt-
schaftlichen Instrumenten und nicht mit staatlichem Di-
rigismus.
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Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege
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Herr Dr. Pfeiffer, gestatten Sie mir kurz folgende An-
erkung: Sie haben eben ganz klar und deutlich gesagt,
ass Sie dagegen sind, die Staatsquote beim Strom-
reis weiter zu erhöhen. Sie erhöhen die Staatsquote al-
erdings dadurch, dass Sie die Mehrwertsteuer erhöhen.
as ist doch wohl richtig.
Da Sie eben die erneuerbaren Energien angesprochen
aben, möchte ich hiermit festhalten: Die Kosten für die
rneuerbaren Energien machen gerade einmal 5 Prozent
es Strompreises aus. Sie erhöhen die Mehrwertsteuer
ber um 3 Prozentpunkte. Ich finde, das muss hier in der
ffentlichkeit einmal ganz klar gesagt werden. Es wird
er Eindruck erweckt, als ob die erneuerbaren Energien
chuld daran tragen, dass die Strompreise so hoch sind.
as ist schlichtweg falsch. Das ist das falsche Signal.
ir brauchen die erneuerbaren Energien,
amit wir in Zukunft günstig Strom produzieren und uns
on Uran, Erdöl und Gas unabhängig machen können.
Danke.
Kollege Pfeiffer, möchten Sie reagieren?
Herr Kollege Hill, ich habe doch überhaupt nicht ge-en die erneuerbaren Energien gesprochen. Hätten Sieir zugehört,
ann wüssten Sie, dass ich gesagt habe, dass über0 Prozent staatlich induziert sind. Hier sind die Öko-teuer auf Strom, die im Wesentlichen unseren grünenreunden zu verdanken ist,
ie KWK, die erneuerbaren Energien, die Konzessions-bgabe und die Mehrwertsteuer zu nennen. Dies führtazu, dass heute über 40 Prozent des Strompreises staat-ich induziert sind. Das ist der Sachverhalt und das kön-en wir auch nicht auf andere abwälzen.Ich habe gesagt, dass für mich das Ende der Belast-arkeit erreicht ist. Im Hinblick auf die vorhandenentellgrößen müssen wir darüber nachdenken, wie wirier zu Entlastungen kommen können und wie wir es auf
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Dr. Joachim Pfeifferjeden Fall schaffen, die Kosten nicht weiter zu erhöhen.Das habe ich gesagt und das ist überhaupt kein Wider-spruch.
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Rolf
Hempelmann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Man sieht, dass diese Debatte die Gemüter bewegt.Es ist ja auch ein wichtiges Thema und das Problem, dasdem Antrag und dieser Debatte zugrunde liegt, ist auchnicht zu leugnen. Das ist übrigens ähnlich wie bei dergestrigen Debatte zum FDP-Antrag, mit dem sie sich aufdas Bundeskartellamt bezog.Wir befinden uns in der Tat in einer Situation ständigsteigender Energiepreise. Frau Höhn hat eben daraufhingewiesen: Es ist nicht nur der Strompreis, sondern essind die Energiepreise. Offenbar ist es für uns leichter,eine Kostensteigerung beim Benzin, Heizöl oder Gas zuakzeptieren, weil hier die Entwicklung der Kosten fürdie Primärenergie natürlich sehr viel stärker nachvoll-ziehbar ist als beim Strom, wo dies nur indirekt der Fallist und es lediglich um einen Kostenbestandteil geht.Ich will das jetzt aber nicht relativieren. Auch die Stei-gerung der Strompreise um 30 Prozent seit 1998 – beimHeizöl waren es zum Beispiel 200 Prozent – ist eine Be-lastung für die privaten Haushalte und für das Gewerbe.Es ist selbstverständlich, dass wir uns Gedanken darübermachen müssen, wie wir auf diesem Gebiet erfolgreicherwerden, als wir es in der Vergangenheit waren.Ich sage gleich vorweg: Nach meiner Auffassungkann es nicht der richtige Weg sein, die staatliche Preis-kontrolle auf Dauer beizubehalten, sondern der richtigeWeg kann nur sein, bei der Schaffung von mehr Wettbe-werb zügig voranzuschreiten.Wir sollten in diesem Zusammenhang übrigens nichtso tun, als würden wir hier bei null anfangen. Das kannweder im Interesse der FDP, die gestern einen Antrag ge-stellt hat, noch der Grünen, die sich in dieser Debattedurchaus unterstützend in Richtung des Antrages geäu-ßert haben, noch im Interesse der Fraktionen der Regie-rungskoalition sein; denn mit dem Energiewirtschaftsge-setz haben wir im letzten Jahr gemeinsam einen ganzwichtigen Schritt getan.Ich glaube, man muss einmal festhalten, dass damitletztlich alle vier im Vermittlungsausschuss die Basis da-für geschaffen haben, dass wir zumindest in einem wich-tigen Teilbereich, den wir nicht geringreden sollten,nämlich im Bereich der Netze, Wettbewerb oder zu-mindest wettbewerbsähnliche Situationen in einem na-türlichen Monopol schaffen. Wir sind auf diesem WegvawNwSgzBwpgSFgEkdddkmmdrtteswDwdtAmwmtZBIiDIsmKatds
nsofern ist es wichtig, die Rahmenbedingungen so zuetzen, dass wir ein möglichst großes Angebot bekom-en, also möglichst viele neue Kraftwerke.Ein Instrument in diesem Zusammenhang ist dieraftwerksanschlussverordnung. Sie kann kurzfristigber nur sicherstellen, dass die vorhandenen Netzkapazi-äten so auf die Anbieter, die mit neuen Kraftwerken aufiesen Markt wollen, verteilt werden, dass dem Ge-ichtspunkt der Nichtdiskriminierung Rechnung getra-
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Rolf Hempelmanngen wird, dass also zum Beispiel ein Unternehmen, des-sen Schwestergesellschaft das örtliche Netz betreibt,keinen entsprechenden Vorzug hat. Ich denke, dass wiralle daran interessiert sind, diese Verordnung möglichstschnell auf den Tisch zu bekommen, um hier vorwärts zukommen.Ich glaube, dass mit dieser Verordnung noch etwasgeleistet werden muss: Die Bundesnetzagentur mussmit einem zusätzlichen Instrumentarium ausgestattetwerden. Es muss sichergestellt sein – zum Teil ist das inden Instrumenten enthalten –, dass sie da, wo sie Eng-pässe feststellt, die ein Hindernis dafür sind, dass Anbie-ter mit neuen Kraftwerken auf den Markt kommen, auchdie Möglichkeit hat, über eine Engpassbewirtschaftungentsprechende Vorgaben zu machen. Aus den Erkennt-nissen dieser Engpassbewirtschaftung muss sie dann Lö-sungen zur Beseitigung der Engpässe herauskristallisie-ren, und zwar in einer möglichst marktgerechten Form,die keinen Investitionsdirigismus bedeutet. Wenn wirdas erreichen – wenn also das Netz sukzessive mit demKraftwerkspark wächst –, dann haben wir die großeChance, dass jede Kilowattstunde aus neu gebauten An-lagen das Angebot nachhaltig vergrößert.Wir haben nichts davon, wenn neue Kraftwerke ge-baut werden, aber nur ein Teil davon ans Netz kommtoder, falls sie alle ans Netz kommen, nicht in voller Ka-pazität laufen können, weil Netzbarrieren – möglicher-weise nicht nur im unmittelbaren Umfeld des Kraftwer-kes, sondern insgesamt im deutschen oder europäischenNetz – den Stromfluss behindern.
– Ich spreche in der Tat auch von der Windkraft. Auchihr sollte ein diskriminierungsfreier Zugang gewährtwerden. Das gilt insgesamt für die erneuerbaren Ener-gien genauso wie für alle anderen Komponenten imKraftwerksmix.Wir waren beim Thema Kraftwerksanschlussverord-nung. Wir müssen in diesem Zusammenhang auch se-hen, dass sich die Welt verändert hat. Wir müssen dieneue Situation im Blick behalten, das heißt die Verände-rungen, die sich durch das Unbundling – also die Ent-flechtung bzw. die Trennung zwischen Netzbetreiberund Kraftwerk – ergeben haben.Wie war es früher? Früher waren innerhalb eines Ge-bietsmonopols Netz und Kraftwerke in einer Hand. DerBetreiber hat selbst geplant, wie er seinen Kraftwerk-spark weiterentwickelt und was am Netz verändert wer-den muss.Diese Situation gibt es heute nicht mehr, zum einenaufgrund der Entflechtung, zum anderen aus einemzweiten Grund: Strom wird nicht mehr nur innerhalb ei-ner bestimmten Region um das jeweilige Kraftwerk ge-liefert, sondern auch deutschland- oder möglicherweisesogar europaweit. Der Strom wird zudem an der Börsegehandelt. Vor diesem Hintergrund müssen alle Instru-mente, die wir entwickeln, letztlich zum einen börsen-tauglich und zum anderen europatauglich sein. Auch indiesem Zusammenhang muss man bezweifeln, ob eineFfsadedsstnrwkMtdhzssakdwrMgsPnlrsmasWzBkdsfhPdddlIama
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Hans-Josef Fell das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Antragder Linken und die heutige Debatte um die Energiepreis-kontrolle kreisen um einen sehr wichtigen Teilaspekt fürStrom- und Gaspreise. Zu Recht wird auf das Missver-hältnis zwischen explodierenden Gewinnen der vier gro-ßen Konzerne und ihren zunehmenden Tarifsteigerungs-wünschen hingewiesen.Kollegin Höhn hat bereits auf viele Wettbewerbsmaß-nahmen hingewiesen; ich will sie nicht wiederholen.Auch im Antrag der Linken steht sicherlich viel Wichti-ges. Aber ich weise auch darauf hin, dass derjenige, derniedrigere Verbraucherpreise will und die Gewinne vonGroßen schröpfen will, aufpassen muss, dass mit diesenMaßnahmen nicht auch Stadtwerke und neue Energiean-bieter getroffen werden. Hierauf müssen wir vorsorglichachten.Auch andere Vorschläge, beispielsweise die Tarifauf-sicht der Länder zu verlängern, wie sie von Bundes-mzidnndstazdrvnWPvainhKtmEgSMfdpkbMsbD2dsNzwvdSEzm
Herr Pfeiffer, Sie haben gesagt, die beantragtentrompreiserhöhungen seien korrekt, weil ökologischeaßnahmen zu einem zunehmend höheren Strompreisührten. Darüber kann ich nur den Kopf schütteln. Wennie Verbraucherinnen und Verbraucher endlich die vielenersönlichen Energieeinsparmöglichkeiten nutzten,önnten sie ihre Stromrechnung drastisch senken.
Natürlich kommen durch die Förderung der erneuer-aren Energien über die im EEG festgelegte Umlageehrkosten auf die Stromkunden zu. Aber zum einenind diese Mehrkosten sehr gering. Zum anderen sind sieereits gesunken, und zwar – hören Sie gut zu, Herrr. Pfeiffer – von 0,54 Cent pro Kilowattstunde im Jahr005 auf hochgerechnet 0,50 Cent in diesem Jahr, undas trotz gestiegener Mengen eingespeisten Stroms. Wirehen allerdings – genauso wie die große Koalition – dieotwendigkeit, der Bundesnetzagentur die Möglichkeitur Kontrolle zu geben, damit keine überhöhten Ge-inne mit der Umlage erzielt werden. Das ist in der No-elle des EEG, die wir nächste Woche beschließen wer-en, gut geregelt.Die Behauptung der Konzerne in ihren Anträgen auftrompreiserhöhung, dass Mehrkosten für erneuerbarenergien aufgebracht werden müssten – hören Sie gutu, Herr Dr. Pfeiffer –, fallen wie ein Kartenhaus zusam-en. Das Hamburgische Welt-Wirtschafts-Archiv hat in
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Hans-Josef Felleiner Studie nachgewiesen, dass die Einspeisung vonWindstrom bereits die Stromkosten senkt.
Nach Berechnungen des BWE auf der Basis dieser Stu-die gibt es durch die Einspeisung von Windstrom Strom-kosteneinsparungen in Höhe von 1 Milliarde Euro imJahr. In einer Eon-Studie wird sogar von dreimal so ho-hen Einsparungen ausgegangen. Damit sind die Spar-effekte, die sich insbesondere für die energieintensivenIndustriebetriebe positiv auswirken, höher als die Aus-gaben für die Windenergieförderung nach dem EEG. Dasganze Gerede von teueren erneuerbaren Energien ist alsofalsch und entbehrt jeder Grundlage.
Übrigens beginnen solche Effekte bereits bei anderenerneuerbaren Energien zu wirken. In diesem Sommerwar der angeblich so sündhaft teure Fotovoltaikstrom ander Börse kurzzeitig billiger als der Strom aus Kernener-gie.
Kollege Fell, die Auswertung dieser Studie müssen
wir leider auf später verschieben.
Ich komme zum Schluss.
Frau Kopp, Sie haben Recht: Wir müssen alles tun,
um die Strompreise zu senken. Helfen Sie mit, dass wir
vollständig auf erneuerbare Energien umsteigen und die
Energieeinsparpotenziale nutzen! Das ist in Zukunft die
entscheidende Möglichkeit, bezahlbare Energiepreise
– auch für die sozial Schwachen – herbeizuführen.
Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege
Dr. Georg Nüßlein für die Unionsfraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen!Meine Herren! Wir wollen mehr Wettbewerb im Strom-bereich. Dem stehen die natürlichen Monopole im Netz-bereich entgegen. Deshalb müssen wir eine Netzentgelt-regulierung praktizieren, was wir momentan tun. Dasist aber nicht, wie heute manchmal der Eindruck erwecktwurde, das Ende eines Prozesses, sondern der Anfang,die Voraussetzung für einen chancengleichen Zugang zuden Netzen und damit für den von uns angestrebtenWettbewerb.Herr Kollege Fell, Sie haben in einem Punkt Recht:Wir müssen bei diesem Prozess sehr genau darauf ach-tbnbWegpeWdhSSvHdTEfgshwdaaEsdsphLüsldbstLDDWs
Ich bin dankbar für das, was Frau Staatssekretärinöhrl in der heutigen Debatte gesagt hat. Weil sie denben beschriebenen Zusammenhang sieht, hat sie davorewarnt, zu erwarten, dass eine Netzentgeltregulierunger se eine Strompreisverbilligung bringt. Vielmehr istine solche Regulierung erst die Voraussetzung für mehrettbewerb und eine marktwirtschaftliche Entwicklung.Wenn wir dabei sind, der Ehrlichkeit und Offenheitie Ehre zu geben, dann muss man das wiederholen, wasier verschiedentlich angeklungen ist. Die Politik destaates hat in entscheidender Weise zur Verteuerung dertrompreise beigetragen. Seit 1998 hat sich die Staatslasterfünffacht. 40 Prozent der Stromrechnung unsereraushalte sind staatliche Abgaben. Übrigens – auchas räumen wir von der Union ein – entfällt der kleinsteeil davon auf die Förderung der erneuerbaren Energien.s sind 2 Prozent, nicht 5 Prozent. Wenn Sie sich schonür das Thema einsetzen, dann bleiben Sie bei den richti-en Zahlen. Dann wird manche Diskussion einfacher.
An der Stelle – da lassen wir uns nichts in die Schuhechieben – ist der Koalitionsvertrag völlig klar. Wir ste-en zu den erneuerbaren Energien und wir werden,ie es im EEG steht, im Herbst 2007 überprüfen, wieas im Detail aussieht. Vorher darüber zu diskutieren, istus meiner Sicht nicht richtig bzw. nicht angemessen,uch nicht im Sinne der Investoren.Sie fragen, was mit dem Rest geschieht. Ich sage derhrlichkeit halber, dass der Rest im Staatshaushalt ver-chwindet. Das mag der eine oder andere bedauern, aberie Realität ist so, wie sie ist. Der Staatshaushalt istchwierig. Wir sind noch nicht am Ende des Sanierungs-rozesses. Wir haben zwar die Nettoneuverschuldungalbiert, aber wir sind noch nicht in der komfortablenage, dass wir jetzt schon über neue Subventionen oderber Steuersenkungen reden können. Ich sage das denelbst ernannten Verbraucherschützern – Frau Höhn isteider nicht mehr da –, die früher für die ideologisch be-ingte Verteuerung eingetreten sind und jetzt in der De-atte „Haltet den Dieb!“ rufen.
Die Problematik für die Haushalte und für die Wirt-chaft wurde aus meiner Sicht heute ausreichend erläu-ert. Auf die Frage, was zu tun ist, erleben wir bei deninken – aber nicht nur links, sondern insgesamt ineutschland – einen beliebten Reflex, nämlich den Ruf:er Staat muss das jetzt richten. Ich stelle eine Frage.ir haben derzeit und noch bis zum 1. Juli 2007 einetaatliche Kontrolle der Preise.
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Dr. Georg NüßleinWas hat sich denn getan? Wir beklagen auf der einenSeite den Anstieg der Strompreise und die staatlicheKontrolle und Sie sagen, ein Mittel dagegen sei die Fort-führung der staatlichen Kontrolle. Das kann doch nichtsein. Das ist vollkommen unlogisch.
Wenn wir die Preiskontrolle aufrechterhalten, dann ge-hen auch die sonstigen Maßnahmen, über die wir heutediskutiert haben, zum Beispiel die, die das Kartellrechtund die von Ihnen angesprochene Billigkeitskontrollenach dem BGB betreffen, in weiten Teilen ins Leere,weil die Preise staatlich genehmigt sind. Wo soll derMissbrauch herkommen? Es gibt doch ein staatlichesZertifikat für diese Preise.
Kollege Nüßlein, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Hill?
Ja.
Vielen Dank, Herr Kollege Nüßlein. – Es ist doch
festzustellen, dass sich der staatliche Anteil am Strom-
preis in den letzten zwei Jahren nicht erhöht hat. Das be-
deutet, dass der Wunsch nach Regulierung vonseiten der
Länder nicht daraus resultiert, dass sich die Staatsquote
erhöht hat, sondern daraus, dass die Gewinne der Kon-
zerne ins Unermessliche gestiegen sind und die Kunden
– sprich: die Haushalte – nicht mehr in der Lage sind, die
momentanen Preise zu bezahlen. Ich frage Sie: Wenn die
Staatsquote nicht gesunken ist, dann hat das doch bisher
funktioniert und wird vielleicht auch in der Zukunft
funktionieren?
Wenn Sie sich anschauen, dass sich insbesondere im
Emissionshandel Gewinne der Stromversorger durch die
Einrechnung von Opportunitätskosten ergeben, dann ha-
ben Sie in dem Punkt zwar Recht, aber die Maßnahme
ist die falsche. Wir müssen uns dann überlegen, wie wir
mit dem Emissionshandel umgehen. Ich sage Ihnen auch
ehrlich: Wer für das Instrument des Emissionshandels
eintritt, nämlich die Internalisierung externer Kosten, der
muss mit einem Preisanstieg rechnen. Darum geht es
letztendlich. Es wird gesagt: Die haben die Zertifikate
kostenlos bekommen. – Das ist richtig. Aber die Einprei-
sung gelingt nur auf Märkten, auf denen entsprechende
Preise letztlich auch durchsetzbar sind. In einem Markt,
in dem der Wettbewerb funktioniert, sähe die Situation
anders aus. Deshalb wollen wir Wettbewerb erreichen
und auf diese Art und Weise das Thema angehen. Wir
wollen nicht staatlich genehmigte Preise oder gar noch
staatlich genehmigte Gewinne einführen.
Wir wollen natürlich nicht so weit gehen, wie der
Kollege Lafontaine heute angeregt hat, und auch noch
die Netze verstaatlichen. Es wäre viel gewonnen, wenn
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ie müssen doch sehen, dass der Sozialismus gescheitert
st. Wenn Sie mal so weit wären, könnten wir miteinan-
er vielleicht einen sinnvolleren Dialog führen.
Betrachten wir das Problem abschließend noch ein-
al von einer anderen Seite. Wenden wir uns der Rolle
es Staates zu. 40 Prozent des Preises sind staatlich be-
ingt. Das setzen ohnehin wir hier fest – übrigens zum
achteil der Verbraucherinnen und Verbraucher.
2 Prozent entfallen auf die Netzentgelte. Das läuft über
ie Regulierungsbehörde. Also sind schon gut 70 Pro-
ent staatlich festgelegt. Für den Rest, die Erzeugung,
aben wir eine Börse. Im Hinblick darauf kann man na-
ürlich sagen: Dort spielen die großen vier eine entspre-
hende Rolle; sie können sich parallel verhalten.
Nein! – Die Realität sieht aber anders aus. Die Realität
ieht doch so aus: Es gibt 150 Marktteilnehmer dort. An
er Börse gibt es eine hohe Liquidität. Der Preis an die-
er Börse liegt im europäischen Mittel. Sie haben halt
eine Ahnung von Börse und Markt, Herr Kollege.
Es wäre völlig falsch, auf der einen Seite für Wettbe-
erb zu sorgen und auf der anderen Seite dann das, was
irklich Markt ausmacht, nämlich eine Börse, wieder
taatlich zu kontrollieren und die Ergebnisse zu revidie-
en. Das ist der falsche Ansatz.
Zum Vertrieb sage ich Ihnen: Man wird am Schluss
ine gewisse Marge brauchen, weil man sonst keine
ettbewerber findet. Wer soll denn in einen Markt ein-
reten, auf dem Preis und Kosten gleich hoch sind?
elche Motivation soll da vorhanden sein? Auch das ist
arktwirtschaft. Sie werden das nie lernen.
Kollege Nüßlein, Sie haben offensichtlich eine sehrnregende Wirkung in Bezug auf Zwischenfragen. Las-en Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Hill zu?
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. September 2006 5085
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Vizepräsidentin Petra Pau
– Das entscheidet der Redner.
Ich hätte es gern getan. Wir klären das anschließend.
Was wir statt Regulierung über das ohnehin gebotene
Maß hinaus brauchen, ist: Effizienzsteigerung, moderne
Technik, um den Verbrauch zu reduzieren, standortver-
trägliche Ausgestaltung des Emissionshandels. Darüber
müssen wir uns unterhalten. Auch über das Thema Ver-
steigerung kann man aus meiner Sicht diskutieren. Wir
brauchen einen wohl ausgewogenen Energiemix, bei
dem es von der Wirtschaftlichkeit auf der einen Seite bis
hin zur Umweltverträglichkeit auf der anderen Seite
geht, bei dem es von den erneuerbaren Energien auf der
einen Seite bis hin zur Kernkraft auf der anderen Seite
geht. Wir brauchen vor allem mehr Wettbewerb, euro-
päisch, national und getragen von den Verbraucherinnen
und Verbrauchern, die leider noch nicht in dem Maß be-
reit sind, ihre Anbieter zu wechseln. Nur 2 Prozent ha-
ben bisher von der Möglichkeit Gebrauch gemacht. Ich
würde mir wünschen, dass da Bewegung ins Spiel
kommt.
Abschließend: Der Kompromiss in Bayern, der über
den 1. Juli 2007 hinausreicht, hat deutlich gezeigt, dass
man einiges bewegen kann, und zwar nicht nur auf einer
gesetzlichen Basis, sondern auch in einem vernünftigen
Dialog. Den wünsche ich uns energiepolitisch intern ge-
nauso wie draußen mit den Anbietern.
Vielen herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/2505 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Vertragsarztrechts und anderer Ge-
– Drucksache 16/2474 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
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Wir haben heute in Deutschland keine generelle Un-erversorgung mit ärztlichen Leistungen, sondern wir ha-en gleichzeitig Überversorgung und Unterversorgung.o steht beispielsweise in Berlin ein Vertragsarzt für dieehandlung von 531 Einwohnern zur Verfügung, inrandenburg dagegen muss ein Vertragsarzt 825 Patien-innen und Patienten betreuen. Konkret heißt das: Einenterversorgung haben wir in den ostdeutschen Ländernowie in den ländlichen Gebieten, mittlerweile im Wes-en wie im Osten. Eine Überversorgung haben wir in fastllen Universitätsstädten und in den Ballungszentren;ier ist eine Maximalversorgung gegeben. Verantwort-ich dafür ist zum einen das ärztliche Berufsrecht, daslexible Lösungen eher verhindert hat, zum anderenangelt es aber auch an finanziellen Anreizen. Diesesroblem werden wir nach Verabschiedung des Vertrags-rztrechtsänderungsgesetzes sehr beherzt angehen.Wir werden nun das ärztliche Berufsrecht deutlichntschlacken. Wir wollen einen Internisten aus Schöne-erg nicht zwingen, nach Rathenow umzuziehen.
ber dieses Gesetz ermöglicht es ihm künftig, beispiels-eise in Rathenow eine Zweitpraxis zu gründen. Es wirdafür sorgen, dass künftig Kooperationen möglich wer-en, und es macht es für Ärzte leichter, andere Ärzte an-ustellen.
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Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-MerkWir brauchen Berufsausübungsgemeinschaften zwi-schen allen zur vertragsärztlichen Versorgung zugelasse-nen Leistungserbringern. Dazu ist es Ärztinnen und Ärz-ten in Zukunft gestattet, auch über die bisherigeAltersgrenze hinaus in von Unterversorgung bedrohtenRegionen zu praktizieren.In einem weiteren Schritt wird die Koalition die ärzt-liche Gebührenordnung reformieren. Danach wird eskünftig möglich sein, regionale Zu- und Abschläge zugewähren. Auch dies wird dazu beitragen, dass sich fürÄrztinnen und Ärzte in Zukunft die Niederlassung inländlichen Räumen wieder mehr lohnt.
Ein weiterer Aspekt ist mir besonders wichtig: DasGesetz beseitigt auch die bestehenden Einkommensun-terschiede zwischen Ost und West, insbesondere in dreiBereichen: bei den privatärztlichen und zahnärztlichenLeistungen sowie bei freiberuflichen Hebammen.
Es trägt somit ein Stück zu einem einheitlichen Einkom-mensniveau in Deutschland bei und sorgt so für mehrGerechtigkeit. Angesichts der Herausforderungen derZukunft, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es nämlichnotwendig, diese Unterschiede in der gesundheitli-chen Versorgung zu beseitigen. Es kann nämlich, wennwir ein hohes Niveau bei der Versorgung haben wollen,nicht angehen, dass wir solche sehr großen Unterschiedeweiterhin tolerieren.
Sie nicht zu tolerieren, ist, glaube ich, ein Stück Solidari-tät, aber auch ein Stück Qualität. Es wird dazu führen,dass wir ärztliche Leistungen für diejenigen Menschen,die sie brauchen, auf jeden Fall wieder zugänglich ma-chen.Mit diesem Gesetz gehen wir in die richtige Richtung.Ich wünsche mir sehr, dass bei allem Dissens und trotzaller Diskussionen auch zur Kenntnis genommen wird,dass diese Koalition handelt. Sie hat es in Bezug auf dasVertragsarztrecht bereits getan. Vielleicht wird auch ein-mal mehr über positive Aspekte im Gesundheitswesenberichtet, auch wenn die Medien natürlich eher an derSkandalisierung anderer Dinge interessiert sind. LassenSie uns zu unserer eigentlichen Aufgabe zurückfinden:Gesundheit für alle in der Bundesrepublik Deutschland.
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege
Dr. Konrad Schily.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, dass dieser Gesetzentwurf ein Schritt in die rich-
tige Richtung ist; aber ich habe meine Zweifel daran,
dass die darin enthaltenen zahlreichen Regelungen ziel-
führend sind.
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icht alles ist für jemanden, der nur Arzt und kein Jurist
st, ganz verständlich. Wir sollten in der Ausschussarbeit
arauf hinwirken, möglichst viel Verantwortung vor Ort
nzusiedeln.
Ein Arzt kann mit 58 Jahren befähigt sein; er muss es
icht. Er kann auch mit 68 Jahren ausgesprochen befä-
igt sein; er muss es nicht. Ich kann eine solche Angele-
enheit nicht generell regeln. Das kann nur eine Verant-
ortungsgemeinschaft vor Ort. Deswegen muss man
on einer Regelung von oben Abstand nehmen, großzü-
ig sein und ein bisschen Freiheit wagen: Die Verant-
ortung sollte vor Ort getragen werden; dort sollte die
ualitätskontrolle stattfinden. Wir haben – noch – Kas-
enärztliche Vereinigungen. Die dort Beschäftigten müs-
en die Verantwortung übernehmen.
Ich denke, es ist etwas Richtiges und Wichtiges ange-
toßen worden. Ich hoffe, dass dieses Gesetzeswerk ver-
chlankt wird, dass wir mit weniger Paragrafen und mit
eniger Verweisen auskommen, dass es so formuliert
ird, dass man es auch vor Ort verstehen kann und dass
an nicht in langen Auslegungsdebatten verharrt.
Ich weiß, dass die Kompetenten nicht immer begierig
ach der Verantwortung sind. Man delegiert gern zurück,
ässt es die anderen entscheiden und freut sich, wenn der
esetzgeber entschieden hat; schließlich war man es
ann nicht selbst, also die Personen vor Ort oder die ei-
ene Gruppe, sondern der Gesetzgeber. Der Gesetzgeber
ollte die Personen vor Ort darauf aufmerksam machen,
ass sie die Kompetenten sind und daher geeigneter
ind, die Verantwortung zu tragen. Insofern hoffe ich,
ass die Beratungen dieses Gesetzes eine Verschlankung
ewirken, die Subsidiarität fördern und daher die ärztli-
he Versorgung sichern und verbessern helfen. Ich freue
ich auf die Beratungen.
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kolleger. Hans Georg Faust.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Vertragsarztrechtsänderungsgesetz – das klingt kompli-ziert und trocken, es wird am Freitagnachmittag behan-delt, dieses Thema ist nur etwas für Spezialisten.Weit gefehlt! Dass sich heute in Berlin erneut Tau-sende von Ärzten zum Protest versammeln, hat auch vielmit dem zu tun, was wir endlich mit diesem Gesetz ver-ändern. Wir sollten und wir werden die Sorgen und Nöteder Ärzte ernst nehmen, genauso wie wir uns um eineflächendeckende Versorgung durch Krankenhäuser undum die Arbeits- und Rahmenbedingungen für die Kran-kenkassen kümmern. Aber im Mittelpunkt unserer Be-mühungen steht der Patient, der kranke Mensch.
Dieser wird in der gesundheitspolitischen Diskussionnur allzu leicht vergessen.Im Vertragsarztrechtsänderungsgesetz geht es ganzentscheidend um den Patienten. In seiner Not wendet ersich nicht an die Politik, nicht an die Krankenkasse undauch nicht an die Verbraucherberatung. Nein, er wendetsich in seiner Not an seinen Arzt. Die Arzt-Patienten-Be-ziehung ist die wichtigste Beziehung in unserem Ge-sundheitssystem und diese müssen wir schützen: schüt-zen vor allzu starker Reglementierung durch die Politik,schützen auch vor bürokratischen Eingriffen durch dieKrankenkassen, schützen aber auch dann, wenn dieseenge Beziehung materiell ausgenutzt wird.Die Rahmenbedingungen für diese enge, sensible Be-ziehung sind in Deutschland nach wie vor gut. Wir las-sen sie uns auch nicht schlechtreden.
Insbesondere die Erreichbarkeit und der Zugang zu denLeistungen des Gesundheitssystems werden in der Wis-senschaft übereinstimmend gelobt. Wer über Wartezei-ten in deutschen Arztpraxen klagt, sollte sich einmal dieWartelisten im europäischen Ausland, insbesondere imsozialen Skandinavien, anschauen.Die medizinische, die ärztliche Versorgung ist auf ho-hem Niveau. Zunehmend sind die Leistungen der Haus-und Fachärzte qualitätsgesichert, und das Tag und Nacht.Flächendeckend sind Vertragsärzte auch zu ungünstigenZeiten im Einsatz. Das Notarztsystem in Deutschlandsucht international seinesgleichen.Wie steht es um den anderen Partner in der Arzt-Patienten-Beziehung, den Arzt? Über 12 000 deutscheÄrzte arbeiten nach teurer staatlicher Ausbildung imAusland; immer mehr ausscheidende Hausärzte, diekeine Praxisnachfolger finden; immer mehr junge Medi-zinerinnen und Mediziner, die nicht in den eigentlichenArztberuf gehen: Das muss uns zum Nachdenken brin-gen und zum Handeln zwingen.Die Fragen der Vergütung sollen im Rahmen der an-stehenden Gesundheitsreform gelöst werden. Hier müs-sen wir von den Budgets weg und hin zu vereinbartenLMSndsRÄcrdkhSpfstshnPddpkUdmdawsIbGEaaazDsed
nter den Ärzten, die heute in Berlin demonstrieren, fin-en sich sicher alle Gruppen, am wenigsten aber die vonir zuerst genannte.Mit dem Vertragsarztrechtsänderungsgesetz lösen wirie Finanzprobleme der Ärzteschaft nicht. Wir gehenber – das ist bei Gesetzgebungsverfahren sicher unge-öhnlich – Hand in Hand mit der Ärzteschaft eine ent-cheidende Verbesserung der Rahmenbedingungen an.nsbesondere der 107. Deutsche Ärztetag in Bremen haterufsrechtliche Grundlagen geliefert, die wir nun inesetzesform gießen.
ndlich können Ärzte ohne Begrenzung andere Ärztenstellen, endlich können Ärzte neben ihrer Vertrags-rzttätigkeit auch als angestellte Ärzte im Krankenhausrbeiten und endlich dürfen sie auch außerhalb ihres Sit-es an weiteren Orten vertragsärztlich tätig sein.
iese Möglichkeiten sind gar nicht hoch genug einzu-chätzen.Die von mir angesprochenen Versorgungsdefizite ininzelnen Regionen Deutschlands sollen zum einenurch zusätzliche Vergütungsanreize und zum anderen
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Dr. Hans Georg Faustdurch die Aufhebung der Altersgrenze für Ärzte in un-terversorgten Gebieten beseitigt werden.
Wenn in einem eng umgrenzten Gebiet örtlich Versor-gungsprobleme bestehen, obwohl regional eine ausrei-chende Versorgung gegeben ist, dann kann in Zukunftauch hierauf flexibel reagiert werden.
Zwei wichtige Punkte des Vertragsarztrechtsände-rungsgesetzes möchte ich noch ansprechen. Der einePunkt ist die Verbesserung der Rechte der Patientenver-treter in den Selbstverwaltungsgremien auf Bundes- undLandesebene, wobei hier zusätzlich die Finanzierung derPatientenbeteiligung verbessert wird. Der andere wich-tige Punkt ist die Erleichterung bei der Einziehung derPraxisgebühr. Das bisher aufwendige und teure Rechts-verfahren wird so vereinfacht, wie es auch in anderenLebensbereichen bei säumigen Zahlern üblich ist.Gerade die Erleichterung bei der Einziehung der Pra-xisgebühr zeigt die Probleme auf, die Ärzte neben Hono-rarsorgen und verkrusteten Strukturen noch haben: Dassind die Probleme mit der Bürokratie. Da hilft das Ver-tragsarztrechtsänderungsgesetz ein wenig weiter. Ich er-hoffe mir aber vieles vom anstehenden Gesundheitsre-formgesetz.Nun kann man den Wert von Disease-Management-Programmen sicher nicht am Dokumentationsaufwandfestmachen. Wenn aber nach der Statistik einer von fünfausgefüllten Bögen von den Krankenkassen wegen Do-kumentationsmängeln zurückgewiesen wird, dann er-höht sich der bürokratische Aufwand für die Ärzteenorm. Weniger Bögen von weniger Krankenkassen, Zu-rücksendungen nur bei Inplausibilitäten, mehr gesunderMenschenverstand und weniger Behördenmentalitätwürden aus meiner Sicht entscheidend weiterhelfen.
Alles in allem wird mit dem Vertragsarztrechtsände-rungsgesetz berechtigten Forderungen der ÄrzteschaftRechnung getragen. Mit der anstehenden Gesundheitsre-form gehen wir die Ablösung der Budgets und die Erfül-lung der Forderungen nach einer angemessenen Hono-rierung in Euro und Cent an und verlieren die Sorgenüber eine überbordende Bürokratie nicht aus dem Blick.Den in Berlin demonstrierenden ärztlichen Kollegenmöchte ich sagen: Wir haben Verständnis für ihre be-rechtigten Anliegen. Das Verhältnis Arzt – Patient ist einhohes Gut und verdient jeden Schutz. Aber Gesundheits-politik ist mehr als das Durchsetzen von Einzelinteres-sen.
Neben dem Recht auf Demonstration auf dem Gendar-menmarkt sehe ich als ärztlicher Kollege die deutschenÄlFDmsrDzluhhasmtDÄssdgssddssndtsil–cwtgdMw
Auch im Ostseeraum. Das Problem ist überall das glei-he. Ich könnte Ihnen Beispiele aus Thüringen nennen,o wir über Jahre hinweg mit ganz extremen Anreizsys-emen versucht haben, Ärzte anzusiedeln, es aber nichteschafft haben.
Deshalb muss tatsächlich darüber nachgedacht wer-en, ob wir neben den Anreiz- und Bonussystemen auchalussysteme einführen. Ganz konkret heißt das, dassir in der Debatte über dieses Gesetz darüber nachden-
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Frank Spiethken müssen, ob wir Abschläge erheben, wenn Ärzte inGebieten zugelassen werden, in denen Überversorgungherrscht. Diese Mittel könnten in einem Fonds gesam-melt werden, sodass wir mit diesen Geldern in den Ge-bieten, in denen ein Mangel an Ärzten herrscht, einewirksame, zusätzliche Unterstützung leisten könnten.Ein weiterer Punkt wird meine Kollegen von der FDP,insbesondere Herrn Dr. Schily, nicht begeistern: Wirmüssen darüber nachdenken, ob wir Ärzten abverlangen,sich zunächst in unterversorgten Gebieten für fünf Jahreniederzulassen. Vielleicht müssen wir ein solches neuesSteuerungsinstrument einführen. Ich glaube, eine De-batte darüber wäre des Schweißes der Edlen wert. VieleExperten sagen, dass dies sehr vernünftig wäre.Wir dürfen nicht nur liberalisieren, sondern müssenauch regulierend in den Prozess eingreifen. Dadurchwollen wir nicht zwangsläufig mehr Bürokratie auf-bauen, sondern wir wollen im Sinne der Menschen han-deln, die einen Anspruch auf ärztliche Versorgung ha-ben.Ich komme zum Schluss. Im Gesetzgebungsverfahrenwerden wir darüber diskutieren, wie wir den Menschen,die in den unterversorgten Gebieten tage- oder sogar wo-chenlang auf eine hausärztliche Leistung warten, helfenkönnen. Im Namen meiner Fraktion biete ich dabei jedeUnterstützung an.
Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat
der Kollege Dr. Harald Terpe das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte zu Beginn die Pauschalpolemik nach dem Motto
„Mehr Ethik statt Monetik“ zurückweisen. Das bin ich
meinen ärztlichen Kolleginnen und Kollegen einfach
schuldig.
Dem sperrigen Wort „Vertragsarztrechtsänderungsge-
setz“ ist nicht auf Anhieb anzumerken, dass es dabei um
Liberalisierung und Flexibilisierung geht. Wer wünschte
sich nicht eine Zunahme von Freiheit? Ich jedenfalls
kenne in meinem Bundesland Mecklenburg-Vorpom-
mern und in Brandenburg eine Reihe von Vertragsärzten,
die sich gerne von zunehmend erforderlicher Mehrarbeit
und existenzgefährdender Unterfinanzierung befreien
würden.
Ich denke – das ist schon gesagt worden –, dass der
Gesetzentwurf eine Reihe sinnvoller Regelungen ent-
hält. An einer entscheidenden Stelle versagt der Gesetz-
entwurf aber: Er geht nicht mit der Einführung einer leis-
tungsgerechten Vergütung einher; die ist leider auf
2009 verschoben worden. Ich denke, es wäre besser,
wenn das Hand in Hand ginge mit den gesetzlichen Re-
gelungen, die jetzt in Bezug auf die Liberalisierung ge-
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Sie sehen, es gibt bei diesem Gesetzentwurf reichlich
iskussionsbedarf.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollegeike Hovermann für die SPD-Fraktion das Wort.
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Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Als Erstes eine Replik auf Herrn Dr. Terpe und Herrn
Spieth. Ich glaube, wir sollten die unselige Diskussion
„Ethik statt Monetik“ fallen lassen. Es geht um ein aus-
gewogenes Verhältnis zwischen Ethik und Monetik.
Ethik ohne Monetik ist überhaupt nicht vorstellbar. Diese
unselige Debatte führen wir schon seit Jahrzehnten.
Herr Dr. Faust hat als Hintergrund dieses Gesetzes
den 107. Ärztetag erwähnt. Die bisherigen berufsrecht-
lichen Regelungen zu verändern, ist völlig richtig. Sehr
wesentlich war auf diesem Ärztekongress natürlich auch
die Debatte über den § 140, die integrierte Versorgung,
um die elendige Versäulung zwischen den Versorgungs-
ebenen endgültig zu überwinden. Darin liegen nämlich
erhebliche strukturelle Probleme. Wir werden sehen, ob
das gelingt.
Wir werden mit dem Gesetz sicherlich vieles errei-
chen. Das Gesetz ist uneingeschränkt zu begrüßen und in
seinem Vollzug natürlich immer wieder zu begleiten, weil
es sich, Herr Dr. Terpe, wie bei den DRGs um ein lernen-
des System handelt. Man muss einmal schauen, wenn das
Gesetz in die Realität umgesetzt worden ist, wie sich die
Realität entlang des Gesetzes entwickeln wird.
Sie haben mit Recht den KBV-Vorschlag aufgenom-
men, das Missverhältnis zwischen Unterversorgung und
Überversorgung durch Zu- und Abschläge zu regulie-
ren. Doch dafür, Herr Spieth, muss auch die Monetik
stimmen. Das heißt, wenn Sie ein Verhältnis zwischen
Abschlägen und Zuschlägen schaffen, muss man genü-
gend Spielräume haben, um das so zu gestalten, dass es
nicht zu einem Kampf zwischen denen, die einen Zu-
schlag erhalten, und denen, die einen Abschlag erhalten,
kommt.
Natürlich vereinfacht das Gesetz die Gründung von
Medizinischen Versorgungszentren. Laut Kassenärzt-
licher Bundesvereinigung – es liegt eine gute Sammlung
von Charts vor – hat es da erhebliches Wachstum gege-
ben. Noch ist das Verhältnis zwischen Gründungen im
ländlichen Bereich und denen in den Ballungszentren re-
lativ ausgewogen. Es wird allerdings auf die Fragen an-
kommen – hier komme ich auf Ethik und Monetik zu-
rück –, wo es in Zukunft Steigerungsraten geben wird, in
welcher Rechtsform dies stattfindet und wer Geld zur
Verfügung stellt. Denn das wird sehr teuer.
Herr Schily, um offen auf einen Punkt einzugehen,
der mich sehr interessiert hat: Man kann als Arzt sowohl
mit 58 als auch mit 68 Jahren befähigt sein; wahrschein-
lich gilt das für Politiker, Klempner und Tankstellenwär-
ter ebenso. Nur, wenn das Gesetz keine Rahmenrege-
lungen vorgibt, wer entscheidet dann eigentlich über die
Frage der Befähigung? Sonst heißt es möglicherweise:
Du musst jetzt raus aus deiner Praxis, du bist nicht befä-
higt. – Dazu muss es Klarstellungen geben, die, vermute
ich, von der KV nicht so gerne gegeben würden; deshalb
muss der Gesetzgeber sie liefern. Dergleichen muss in
das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz, kurz VÄG ge-
nannt, in Zukunft eingeflochten werden.
Vieles ist schon angesprochen worden; ich will das
nicht alles wiederholen. Ich weiß nicht, ob die Verlänge-
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All diese Schritte, die mit diesem Gesetzentwurf in-
endiert sind, sind uneingeschränkt begrüßenswert.
leichwohl gilt zu bedenken, was der Jurist einen Ver-
assungswunsch nennt, der oft in einem Missverhältnis
ur Verfassungsrealität steht. – Die Präsidentin mahnt
chon. – Wir werden sehen, wie die Umsetzung, die von
er Finanzierung abhängt, vonstatten geht. Beim Fonds
ibt es, jenseits des heroischen und evidenzbasierten
ampfes um den Einbezug des „s“, noch viele wichtige
ragen, zum Beispiel bezüglich der 1-Prozent-Ober-
renze. Ich bin dennoch guten Mutes, dass wir im Laufe
er Diskussion über dieses Gesetz diese und andere Fra-
en beantworten werden. Ich bitte Sie zuzustimmen.
Vielen Dank fürs Zuhören und einen schönen Tag
och.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-urfs auf Drucksache 16/2474 an die in der Tagesord-ung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt esazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.ann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:Beratung des Berichts des Ausschusses für Bil-dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
gemäß § 56 a der Geschäftsord-
nungTechnikfolgenabschätzung
TA-Projekt: Zukunftstrends im Tourismus– Drucksache 16/478 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionAusschuss für Kultur und Medien
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Vizepräsidentin Petra PauNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist fürdiese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt esdazu Widerspruch? – Ich höre keinen. Dann ist das sobeschlossen.Die Kollegin Marlene Mortler hat für die Unionsfrak-tion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Dass es Tourismus gibt, dass wir in Urlaub fah-ren, dass wir auf Geschäftsreisen unterwegs sind, ist fürviele Menschen in unserem Land selbstverständlich.Welche Bedeutung der Tourismus hat, was wirklich da-hintersteckt, ist allerdings den wenigsten Menschen be-wusst. Deshalb bin ich froh und dankbar, dass wir alsKoalitionsfraktionen uns entschieden haben, diese De-batte, auch wenn es Freitagnachmittag ist, zu führen undüber den Tourismus und die TAB-Studie, um die esheute geht, zu sprechen.Meine Damen und Herren, kein Geringerer als Zu-kunftsforscher Opaschowski hat es auf den Punkt ge-bracht. Er sagt: Die Freizeitwirtschaft ist so wichtig,dass ich sie in der Rolle einer Leitökonomie sehe. – Inder Tat, die Wachstumsraten in der Freizeitwirtschaftliegen weit über denen der Gesamtwirtschaft. Damitwird die Freizeitwirtschaft die Lokomotive sein, die dieWirtschaft des 21. Jahrhunderts antreibt.
Der Tourismus hat sich in den letzten zehn Jahrenweltweit rasant entwickelt. Während noch vor zehn Jah-ren 540 Millionen Menschen unterwegs waren, sind esheute bereits über 808 Millionen Menschen. Dieser Auf-wärtstrend scheint ungebrochen. Der World Travel andTourism Council hat von einem Umsatz in der Reise-branche von über 1,5 Billionen US-Dollar gesprochen.Das heißt, jeder zehnte US-Dollar wird im Bereich Rei-sen ausgegeben. Diese Zahlen machen die volkswirt-schaftliche Bedeutung des Tourismus deutlich. Ich sehees als unsere Aufgabe der Zukunft an, da nicht nur mit-zuspielen, sondern weiterhin in der Spitze zu sein undden Stürmer zu spielen.
Der Tourismusmarkt ist ein Wachstumsmarkt. Fastalle europäischen Volkswirtschaften profitieren von ihm.Allein in Europa gibt es in diesem Bereich 25 MillionenArbeitsplätze. Auf Deutschland heruntergebrochen ent-spricht das 2,8 Millionen Menschen, die in diesem Be-reich arbeiten. Das klingt nicht gerade weltbewegend.Aber für mich ist die Tatsache entscheidend, dass Ar-beitsplätze im Tourismus nicht exportierbar sind.Lassen Sie mich im Zusammenhang mit der Situationin Deutschland einen Blick in die Gegenwart bzw. in diejüngste Vergangenheit werfen: Womit haben wir uns inden letzten drei Monaten beschäftigt? Wir hatten eintraumhaftes Incoming. Das heißt, es sind sehr viele Men-schen aus dem Ausland zur Fußballweltmeisterschaftnach Deutschland gekommen. Unser Ziel war, Deutsch-lpiTnnsnkJntSdFEhlnt9wZLgbhdwEtucTeaEankssga
Allen voran danke ich der Deutschen Zentrale fürourismus, die eine sehr bedeutende Rolle spielte. Ge-auso wichtig ist mir, darauf hinzuweisen, dass wir er-eut 25 Millionen Euro in den Bundeshaushalt einge-tellt haben, um im Ausland und im Inland weiterhinachhaltig für unseren Tourismusstandort werben zuönnen.
Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass wir in diesemahr zum ersten Mal die Grenze von 52 Millionen Über-achtungen überschreiten werden, allein was die interna-ionalen Übernachtungen betrifft. Es ist auch keineelbstverständlichkeit, dass das so bleibt. Deshalb waras Motto der Fußball-WM „Die Welt zu Gast beireunden“ sehr wichtig.Welche Schlussfolgerungen können wir heute ziehen?s wurde professionell vorgegangen. Die DZT – ichabe sie erwähnt – und viele andere waren daran betei-igt. Die Fußball-WM hat dem Image unseres Landes ei-en zusätzlichen Schub gegeben. Das hat, was die touris-ische Nachfrage betrifft, eine Langzeitwirkung.
Im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft haben über0 Prozent der Menschen gesagt, dass sie Deutschlandeiterempfehlen wollen. Das ist, wie ich finde, eine tolleahl. Aber ich betone: Wir dürfen uns nicht auf diesenorbeeren ausruhen. Wir müssen immer wieder überle-en: Wo stehen wir und wo stehen die anderen? Gibt esei uns Defizite? Wo müssen wir hin und wo wollen wirin? Denn der internationale Markt schläft nicht.Es waren aber nicht nur die sportlichen Ereignisse,ie unser Land vorangebracht haben. In der TAB-Studieird auch darauf hingewiesen, welche Vorteile dieU-Osterweiterung unserem Land bringt. Ich finde esoll und bemerkenswert, dass die TAB-Studie, die DZTnd eine Studie der Fachhochschule Worms zum glei-hen Ergebnis kommen: Wenn wir unsere Chancen imourismus nutzen, wird Deutschland Reiseland Nummerins für die osteuropäischen Länder. Wir werden vonein-nder profitieren.
s ist sicherlich die räumliche Nähe, die für uns spricht,ber auch das gute Image, das wir uns in den letzten Mo-aten aufgebaut haben. Nutzen wir also diese Möglich-eiten!Ein Manko besteht sicherlich bei der Verkehrsinfra-truktur; hier gibt es Defizite. Wir müssen dringend un-ere Hausaufgaben machen bei den Verkehrsverbindun-en nach Osten, die wir in den Bundesverkehrswegeplanufgenommen haben. Aber auch die osteuropäischen
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Marlene MortlerStaaten müssen beherzt ihre Infrastruktur modernisierenund erweitern. Ich bin persönlich fest überzeugt davon,dass wir den stärkeren Tourismus, der sich hier entwi-ckeln soll und auch wird, nicht alleine den Billigfliegernüberlassen können und überlassen sollten.
Die Tourismusbranche befindet sich im Umbruch.Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass sich bewährteGeschäftsmodelle nicht mehr bewähren. Sie müssen aufden Prüfstand, weil sich das Kundenverhalten geänderthat. Wir müssen auch feststellen, dass die Nachfrage er-heblich von der Qualität abhängt. Die Kundenzufrieden-heit lässt sich dabei nicht einfach mit den vergebenenSternen gleichsetzen.Ich habe vom Umbruch gesprochen, von der Entwick-lung unserer Gesellschaft. Hier spielt die Demografieeine wichtige Rolle. Den großen Einfluss des demogra-fischen Wandels auf den Tourismus wollen wir am25. Oktober in einer Anhörung näher beleuchten. Denalten Menschen, meine Damen und Herren, gibt es nicht:Die alten Menschen sind materiell, gesundheitlich, geis-tig ganz unterschiedlich aufgestellt. Der eine hat einengroßen Geldbeutel, der andere einen kleinen. Aber alleverbindet eines: die nach wie vor ungebrochene Reise-lust. Für all diese unterschiedlichen Menschen brauchenwir Antworten, innovative Ideen und Angebote.Ich komme zum Schluss. Als dritten Komplex möchteich ganz eindringlich die Risiken und Krisen an-sprechen. Risiken und Krisen sind von ungebrochenerAktualität. Ich denke an die in Heathrow vereitelten An-schläge, ich denke aber auch an neue Krankheiten, anEpidemien, an die Zunahme von Naturkatastrophen undextremen Wetterereignissen. Entscheidend ist, dass wirdie Menschen in unserem Lande ernst nehmen, wenn esum die Sicherheit geht.
Kollegin Mortler, das war eigentlich ein sehr schöner
Schlusssatz. Ich bin ein geduldiger Mensch, aber – –
Eine Befragung hat nämlich deutlich gemacht, dass
die Sicherheit für die Menschen inzwischen an erster
Stelle steht, sie kommt vor einem guten Preis-Leistungs-
Verhältnis.
Deshalb darf die Sicherheit nicht länger ein Tabuthema
sein. Wir müssen verstärkt auf die Möglichkeiten hin-
weisen, die das Auswärtige Amt mit seinen Reisewar-
nungen und Reisehinweisen bietet.
Kollegin Mortler, das ist jetzt wirklich absolut unkol-
legial.
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Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Jens
ckermann das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-en! Mit dem Bericht „TA-Projekt: Zukunftstrends imourismus“ werden die vielfältigen Chancen und He-ausforderungen gezeigt, denen sich Deutschland im Be-eich des Tourismus stellen muss. In dem Bericht wer-en Trends genannt, die erfreulicherweise stark mit derU-Erweiterung in Verbindung gebracht werden. DieDP-Fraktion begrüßt diesen Fokus auf unsere östlichenachbarn und die Chancen, die sich daraus ergeben.
Seit dem Beitritt der neuen Mitgliedstaaten werdenie Möglichkeiten für die deutsche Tourismusbranchemmer offensichtlicher.
um einen können die deutschen Reiseunternehmenurch das steigende Interesse deutscher Touristen amstlichen Europa stark profitieren, zum anderen bergenie neuen EU-Mitgliedsländer insbesondere im Bereicher Geschäftsreisen und als Messestandort ein hohesourismuspotenzial für Deutschland selber. Das ist eineispiel für eine gute Entwicklung in Europa und einrgument gegen die nach wie vor vorhandene Skepsisinsichtlich der EU-Erweiterung.
Der Bericht ist vom Januar 2006. Vieles, was in derorausschau geschrieben wurde, ist nach wie vor aktu-ll. Doch seitdem hat sich enorm viel getan – unter ande-em seit der Fußballweltmeisterschaft, die der Touris-usbranche viele neue Impulse geliefert hat.
ir müssen aber darauf achten, dass diese Impulse, dieie WM gebracht hat, auch nachhaltig sind, sodass wiruch später noch davon profitieren können. Die WM warin großer Erfolg und hat allen gezeigt, zu welchen Leis-ungen unser Land nicht nur im Sport fähig ist,
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Jens Ackermanndass Deutschland ohne falsche Bescheidenheit Welt-meister der Herzen genannt werden kann und dass derSlogan „Zu Gast bei Freunden“ die Atmosphäre im Landgegenüber den Gästen und Touristen treffend auf denPunkt gebracht hat.
An dieser Stelle möchte ich im Namen der FDP-Frak-tion der Gastronomie und der Hotellerie in Deutsch-land für ihr Engagement und ihr beachtliches Ar-beitspensum in den heißen Tagen des Juni danken; dennjeder noch so kleine Schankbetrieb wurde zu einer ver-längerten Fankurve in den unterschiedlichsten nationa-len Farben und zu einer Visitenkarte Deutschlands.Um die Stärkung des Tourismusstandorts Deutsch-land, die durch die WM 2006 erreicht werden konnte,dauerhaft zu sichern, müssen die Rahmenbedingungenfür den Tourismussektor verbessert werden.
Damit investieren wir in die wichtigste Dienstleistungs-und Wachstumsbranche, die wir haben. Doch welcheRahmenbedingungen meine ich? Insbesondere für dieTourismusbranche sind Freiräume, in denen sich Unter-nehmen entwickeln können, ganz wichtig; denn es sindvor allem mittelständische Unternehmen, die vom Tou-rismus leben.Den Projektbericht vor Augen appelliere ich deshalban die Bundesregierung, es den Nachbarn in Europagleichzutun und einen reduzierten Mehrwertsteuer-satz für die Bereiche Hotellerie und Gastronomie einzu-führen.
Es ist doch nur fair, den deutschen Gastronomen dengleichen Satz anzubieten, der auch für die Mitbewerberzehn, 20 Kilometer weiter hinter der Grenze gilt.
Ohnehin ist es für die gesamte Wirtschaft nicht von Vor-teil, die Mehrwertsteuer im nächsten Jahr anzuheben.
Durch jede Erhöhung der Mehrwertsteuer wird der Kon-sum gehemmt. Dies schadet letztlich vor allem der Gas-tronomie.Ich möchte aber auch noch einen anderen Punkt an-sprechen – Kollegin Mortler hat es schon zum Ausdruckgebracht –: Es geht um die Beschäftigungszahl. MeinerMeinung nach könnten wir im Bereich des Tourismusnoch mehr Beschäftigung und Ausbildungsplätze alsbisher haben. Hier müssen wir uns aber auch um dieRahmenbedingungen kümmern. Wenn wir vom Touris-mus als wichtigem Zukunftstrend sprechen, dann mussdies auch an den Beschäftigungszahlen deutlich werden.Durch Mindestlöhne – egal, in welcher Form sie festge-legt sind – werden die Arbeitsmarktprobleme nicht ge-lfzeDJsWcbvDb–Gmuz–uanbsbwEu
as nutzt erst recht niemandem.
Außerdem sollten die Ausbildungsmöglichkeiten fürugendliche unter 18 Jahren verbessert werden, statttändig eine Ausbildungsplatzabgabe zu fordern.
ie viel attraktiver wäre die Einstellung eines Jugendli-hen unter 18 Jahren, wenn im Bereich des Jugendar-eitsschutzes die zulässige Arbeitszeit für Jugendlicheon 22 Uhr auf 23 Uhr ausgedehnt werden würde!
ie Chancen für Haupt- und Realschüler auf einen Aus-ildungsplatz im Tourismussektor würden steigen.
Frau Kollegin Gradistanac, ein junger Mensch, der vonesetzes wegen um 22 Uhr mit der Arbeit aufhörenuss, wartet doch auch auf einen Arbeitskollegen, derm 23 Uhr Feierabend hat, um mit ihm dann in die Discou gehen und bis 4 Uhr morgens zu feiern.
Natürlich ist das seine Privatsache. Aber es ist dochnfair – –
Herr Kollege Ackermann, diese Debatte müssten Sie
ußerhalb des Plenarsaals fortsetzen.
Das mache ich. – Es geht mir um diejenigen, die ei-en Ausbildungsplatz haben könnten, diesen aber nichtekommen, weil die Politik die Hürden so hoch ansetzt.
Ein letzter Satz, Frau Präsidentin: Die Ausschussvor-itzende hat bereits angesprochen, dass die Tourismus-ranche sehr stark durch höhere Gewalten beeinflusstird, durch Klima und Wetter. Wir sollten nicht weitereinflüsse durch staatliche Gewalt hinzukommen lassen,nd zwar in unser aller Interesse.Herzlichen Dank.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe hier nicht
nur einen Knopf, um das Signal „Präsident“ einzuschal-
ten, das normalerweise anzeigt, dass die Redezeit abge-
laufen ist. Ich habe noch einen Knopf, den ich noch nie
benutzt habe. Ich hoffe immer noch, dass ich ihn auch
nie benutzen muss. Ich gebe aber zu: Heute strapazieren
Sie meine Geduld sehr.
Das Wort hat die Kollegin Renate Gradistanac für die
SPD-Fraktion.
Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr ver-ehrten Damen und Herren! Ich freue mich sehr, dass wirheute über das Thema „Zukunftstrends im Tourismus“sprechen. Ich habe den Eindruck, manche haben über-haupt nicht gewusst, was heute auf der Tagesordnungsteht.
Der TA-Bericht geht auf eine Initiative unseres Tou-rismusausschusses zurück. Ich danke dem Büro fürTechnikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestagfür die hervorragende Arbeit, insbesondere Frau Scherz,Herrn Petermann und Herrn Revermann.
Der Bericht ist in drei Schwerpunkte gegliedert: ers-tens der demografische Wandel in Deutschland, zweitensdie EU-Osterweiterung und die Auswirkungen auf denTourismus und drittens Reisen angesichts von Krisenund Risiken.Die Tourismuswirtschaft gilt weltweit als Leitökono-mie der Zukunft; das haben Sie richtig schön herausge-stellt, Frau Mortler. Gerade deshalb ist es wichtig, dasswir in Deutschland, in den Ländern und in den Touris-musregionen relevante Entwicklungen rechtzeitig erken-nen und uns darauf einstellen.
Die Ergebnisse des Berichts liegen seit einiger Zeitvor und wurden auch bei verschiedenen Gelegenheitendiskutiert. Bei meinen Veranstaltungen im Schwarzwald,in Bad Wildbad, und in Munderkingen, am Rande derSchwäbischen Alb, stießen die Ergebnisse auf großes In-teresse.
Das hat mich besonders gefreut, zeigt es doch, dassdie Mehrheit der Branche interessiert ist, sich auf dieHerausforderungen, aber auch auf die Chancen der Zu-kunft vorzubereiten.
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Um bis ins höchste Alter fit zu bleiben, gewinnt dierävention immer mehr an Bedeutung. Urlaub für dieesundheit und kombinierte Fitness- und Wellnessange-
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Renate Gradistanacbote sind zunehmend gefragt. Besonders medizinischeWellnessangebote sind ein Wachstumsmarkt. Allerdingsmuss das Fachpersonal hierfür hervorragend qualifiziertsein.Das Wandern, das lange Zeit als verstaubte Sportartgalt, erlangt eine ungeahnte Renaissance. Bei mir imSchwarzwald gibt es den „Wanderhimmel Baiersbronn“.Vielleicht haben Sie Lust, einmal zu kommen. Es ist eingelungenes Beispiel, wie das Wandern zu einem ganz-heitlichen Erlebnis aus Fitness, Entspannung, Naturerle-ben und Geselligkeit werden kann.Lassen Sie mich ein zweites Beispiel aus demSchwarzwald nennen – ich bin aber überzeugt, dass Sieebenfalls unzählige Beispiele anführen könnten, liebeKolleginnen und Kollegen –: Ein Viersternehotel mit an-geschlossener Landwirtschaft hat zum SchwarzwälderFuchsfest eingeladen. Die regionale Identität wird dortbewusst gestärkt und herausgestellt. Auffallend war,dass dort viele Großeltern mit ihren Enkelkindern waren.Diese haben dort einen besonders schönen Tag erlebt.Der zweite Schwerpunkt des Berichts bezieht sich aufdie EU-Osterweiterung, die die deutsche Tourismus-wirtschaft vor Herausforderungen stellt. Davon war be-reits die Rede. Sie bringt aber auch Chancen. Prognosenkommen zu dem Ergebnis, dass die deutsche Tourismus-wirtschaft aller Voraussicht nach mittelfristig zu den Ge-winnern der EU-Osterweiterung zählen wird.Reisen im Angesicht von Risiken und Krisen sind diedritte Säule des Berichts. Darunter versteht man Gewalt,Kriminalität, Terror, Gesundheitsrisiken, Naturkatastro-phen und den Klimawandel. Der globale Klimawandelwird weitere ernsthafte Folgen für Wetter und Natur ha-ben. In dem Projekt „Klimawandel – Auswirkungen, Ri-siken, Anpassung“ – kurz KLARA – sind die Folgen desKlimawandels für Baden-Württemberg erforscht wor-den.Es ist im ureigenen Interesse der Tourismusbranche,sich mit den Ergebnissen, auf die ich aus Zeitgründennicht näher eingehen kann, auseinander zu setzen. Wirhaben die Möglichkeit, in der von uns geplanten Anhö-rung die einzelnen Punkte zu behandeln.Klar ist: Bund, Länder und Tourismusbranche sindgefordert. Der Bericht ist eine hervorragende Grundlage,die durch die Anhörung ergänzt wird. Ich verbinde damitdie Erwartung, dass die Bundesregierung ein touristi-sches Leitbild für Deutschland entwickelt.Ich habe eine Minute meiner Redezeit eingespart.
Vielen Dank.
Herzlichen Dank. – Das Wort hat der Kollege Dr. Ilja
Seifert für die Fraktion Die Linke.
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lso müssen wir dafür sorgen, dass es entsprechendeöglichkeiten gibt und dass bei Ihnen, liebe Kollegin-en und Kollegen von der CDU/CSU, nicht darüber phi-osophiert wird, ob sie überhaupt Urlaub machen dürfen.Ich halte es für sehr gut, dass für diese Menschen zumeispiel in der Oberlausitz aufgrund der Zusammenar-eit von DRK und der Tafel die Möglichkeit besteht,0 Kilometer entfernt von ihrem Heimatort, zumindestür fünf Tage mit ihren Kindern für sehr wenig Geld Ur-aub machen zu können. Solche Beispiele sind zu favori-ieren und weiterzuentwickeln.
Zweitens geht es um den regionalen Gestaltungsfak-or, den Tourismus bietet. Wenn wir alle darin überein-timmen, dass Tourismus einer der Wirtschaftsfaktorener Zukunft ist, dann haben wir doch die Möglichkeit,ier etwas zu gestalten. Niemand wird sich wundern,enn ich an dieser Stelle auf die Barrierefreiheit zuprechen komme. Es reicht eben nicht aus, immer mehrnsellösungen zu haben. Wir brauchen Lösungen, dierundsätzlich Barrierefreiheit bieten, und zwar nicht nurür Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer, sondernelbstverständlich auch für blinde und gehörlose Men-chen. Es bringt Nutzen für alle, zum Beispiel auch fürie, die nicht so gut zu Fuß sind oder – wie Kinder –urze Beine haben, wenn wir dies zu einem in der gan-en Region durchgängigen gestalterischen Prinzip ma-hen. Das heißt nicht, dass ich die Alpen planieren will,ondern nur, dass ich möchte, dass sie dort, wo es geht,ür möglichst alle begehbar, berollbar und benutzbarind. Das Gleiche trifft natürlich für mein Zittauer Ge-irge wie für jede andere Urlaubsregion in diesem Landu.
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Dr. Ilja SeifertDrittens komme ich auf den Wirtschaftsfaktor Tou-rismus und sein Potenzial zu sprechen, Arbeitsplätze zuschaffen. Hier ist schon mehrfach angesprochen worden,dass diese Arbeitsplätze erstens nicht exportiert werdenkönnen und sie zweitens mehr werden.Wenn wir das schon registrieren, dann bitte ich da-rum, an dieser Stelle auch einmal den Menschen eineChance zu geben, die es ohnehin schwerer haben. Hiertreffen also Wirtschaftsfaktor und sozialer Faktor zusam-men. Es gibt in der Gastronomie und in der Hotellerie in-zwischen mehrere sehr gute Ausbildungsmöglichkeitenfür Menschen mit so genannten Lernschwierigkeiten.Ich bitte darum, dass diesen Menschen anschließenddie Chance gegeben wird, in diesem Bereich auch wirk-lich zu arbeiten. Sie können es, sie können es gut; manmuss ihnen nur die Möglichkeit dazu geben. Dazu müs-sen sie nicht einsteinverdächtig sein und sich mit Atom-physik beschäftigen; vielmehr reicht es aus, wenn sieTeller ordentlich hin- und wieder wegtragen können,wenn sie Betten ordentlich machen und die Zimmer or-dentlich reinigen können. Das ist der Beruf, den sie er-lernt haben, den sie gern ausüben möchten und in demsie Selbstbestätigung und dadurch Befriedigung findenkönnen.Das sind Wirkungen des Tourismus, die wir brauchen.Tourismus hat eine Zukunft. Lasst uns auf die sozialenAspekte besonders Rücksicht nehmen!Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Undine Kurth für die Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen.Undine Kurth (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Gäste auf der Zuschauertribüne, Sie alle haben si-cherlich mitbekommen, dass wir hier über die Studie„Zukunftstrends im Tourismus“, erstellt vom Büro fürTechnikfolgenabschätzung, vom Januar dieses Jahres re-den. Wir haben damit eine hervorragende wissenschaftli-che Zuarbeit erhalten. Es gibt allen Grund, den Kollegin-nen und Kollegen herzlich zu danken. Wir, dieParlamentarier, können sehr stolz sein, über ein solchesBüro zu verfügen. Es ist übrigens weltweit einmalig.Herzlichen Dank.
Wir haben mehrfach gehört, wie gut und interessantdie Daten dieser Studie sind, dass es um verschiedeneBereiche geht und dass es wichtig ist, sich auf die sichabzeichnenden Entwicklungen einzustellen, weil Pla-nung, insbesondere Infrastrukturplanungen, in jedemWirtschaftszweig Zeit benötigen und vorausschauendsein müssen.Ein wichtiges Thema ist – darauf wurde mehrfachhingewiesen – der demografische Wandel. Überall undallenthalben hören wir, dass wir alle zunehmend älterwlwwiuJwgGWatdkfru2JNfbfwKdsinvwGnnabwn–sjwwzNdKmt
Im Einzelplan des Bundesministeriums für Bildungnd Forschung ist eine Kürzung in Höhe von über,2 Millionen Euro vorgenommen worden. Im letztenahr belief sich der Etat noch auf 2,5 Millionen Euro.un stehen nur noch 328 000 Euro für Vorhaben betref-end den barrierefreien Tourismus zur Verfügung. Dasedeutet, dass von ehemals 30 Vorhaben nur noch achtinanziert werden können. Da die Studie aber belegt, wieichtig der barrierefreie Tourismus ist, ist eine solcheürzung unverständlich, zumal die Studie vom Januarieses Jahres ist. Die Bundesregierung hatte also Zeit,ich darauf einzustellen.
Sie haben zum Beispiel den Ansatz für die Innovations-itiative „Barrierefreie Modellregion für den integrati-en Tourismus“ – genau diese Art des Tourismus gilt alsichtig – auf null zurückgefahren. Dafür ist also gar keineld mehr da. Im letzten Jahr waren es noch 1,8 Millio-en Euro. Viele Projekte wurden abgeschlossen. Es gibtun Forschungsergebnisse aus 26 Projekten, die nichtusgewertet werden. Es ist zwar schön, dass wir sie ha-en. Wir können uns immer darauf berufen und betonen,ie wichtig diese Ergebnisse sind. Aber wir machenicht weiter.
Wenn der Bund solche Ergebnisse generiert, dann müs-en wir sie doch auswerten und die entsprechenden Pro-ekte weiter unterstützen. Was haben wir denn davon,enn wir das nicht tun?Im Etat für das Bundesministerium für Gesundheiturden zum Beispiel die Zuschüsse für das Reisemaga-in „Grenzenlos“ komplett gestrichen. Die Mittel für dieationale Koordinationsstelle Tourismus für Alle wur-en von 120 000 Euro – das ist sowieso nicht viel; jedeürzung tut hier doppelt weh – auf 100 000 Euro zusam-engestrichen. Ich habe mir die Mühe gemacht, die Be-roffenen anzurufen, und habe festgestellt, dass sie vor-
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. September 2006 5097
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Undine Kurth
her gar nicht gefragt wurden, welche Auswirkungen dieKürzungen haben werden.Die Studie wird zu Recht hoch gelobt; denn sie istwichtig. Wir können dafür dankbar sein. Aber sie nutztuns nur etwas, wenn wir uns mit ihren Ergebnissen aus-einander setzen und unsere Entscheidungen danach fäl-len.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/478 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christine Scheel, Birgitt Bender, Ekin Deligöz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Eckpunkte für eine gerechte Reform der Erb-
schaft- und Schenkungsteuer
– Drucksache 16/2076 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für
die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen fünf Minuten
erhalten sollte.
Diese Aussprache werden die Zuschauer und Zuhörer
auf der Tribüne nun nachlesen müssen, weil wir die
Rede des Kollegen von Stetten für die Unionsfraktion zu
Protokoll nehmen, ebenso die Rede von Florian Pronold
für die SPD-Fraktion, die Rede des Kollegen Carl-
Ludwig Thiele für die FDP-Fraktion, den Beitrag der
Kollegin Dr. Barbara Höll für die Fraktion Die Linke
und die Rede von Christine Scheel für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.1)
Damit ist die Aussprache geschlossen.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/2076 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
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1) Anlage 2 2)
Die Debatte eröffnet der Kollege Dr. Max Stadler für
ie FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren! Am Ende der heutigen Tagesordnung geht es umin Thema, das auf der kommunalen Ebene viele Bürge-innen und Bürger sehr stark bewegt, das aber bisheroch nicht so recht die Aufmerksamkeit des Deutschenundestages gefunden hat, obwohl wir für die Lösunges Problems zuständig sind. Deswegen möchte ich trotzer fortgeschrittenen Stunde am Freitagnachmittag dieelegenheit nutzen, Sie mit der Thematik vertraut zuachen, und vor allem die Kolleginnen und Kollegenon der SPD und der CDU/CSU einladen, mit den Op-ositionsfraktionen gemeinsam nach einer Lösung zu su-hen.Es geht, kurz gesagt, um Folgendes: Nach demmbH-Gesetz und nach dem Aktiengesetz tagen dieufsichtsgremien, also die Aufsichtsräte, prinzipiellicht öffentlich. Die Mitglieder der Aufsichtsräte sindur Verschwiegenheit über das, was in diesen Sitzungeneschieht, verpflichtet. Das ist auch richtig, soweit es umchte private Gesellschaften geht. Dafür sind diese Ge-etze auch geschaffen. Nun hat sich in letzter Zeit dieendenz entwickelt, dass immer mehr kommunale Ein-ichtungen, Dienststellen und Verwaltungsstellen eben-alls in die Rechtsform der GmbH und in größeren Städ-en sogar in die der Aktiengesellschaft überführt wordenind. Dabei handelt es sich aber nicht etwa um eine echterivatisierung, sondern nur um eine Organisationsände-ung, weil die Kommunen zugleich meistens zu 100 Pro-ent Inhaber dieser Gesellschaften geworden sind.Damit ändert sich in den Sitzungen der Aufsichtsgre-ien scheinbar wenig. Es geht um kommunalpolitischehemen, um Busfahrpläne, um Stromtarife, um dierage, ob eine Stadt ein Hallenbad baut, und ähnlichesehr, also um ganz normale kommunalpolitische Dis-ussionen und Entscheidungen. Aber eines ändert sich Anlage 3
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Dr. Max Stadlerdurch diese Organisationsform: Während das Kommu-nalrecht die Öffentlichkeit solcher Sitzungen vorsieht,schreibt, wie schon dargestellt, das Gesellschaftsrechtgerade die Nichtöffentlichkeit vor. Damit fehlt ein StückTransparenz, es fehlt ein Stück demokratischer Diskus-sionskultur und demokratischer Kontrolle. Das zeigt uns,dass die Vorschriften, die für private Gesellschaften ge-dacht sind, auf die kommunalen Gesellschaften nichtpassen.Nun gibt es zwei höchstrichterliche Entscheidun-gen aus diesem Jahr, die uns deutlich vorgeben, dass derGrundsatz der Öffentlichkeit und Transparenz stärker zubeachten ist. Die erste Entscheidung des BayerischenVerwaltungsgerichtshofs vom 8. Mai 2006 geht auf ei-nen Rechtsstreit zurück, den eine Bürgerinitiative in Pas-sau ausgelöst hat. Die Bürgerinitiative ist nämlich aufdie Idee gekommen, zu verlangen, dass wenigstens dieTagesordnungen solcher Gremiensitzungen bekannt ge-geben werden, damit die Bürgerinnen und Bürger zu-mindest wissen, worum es geht. Der Bayerische Verwal-tungsgerichtshof hat entschieden, dass diesem Begehrenaufgrund der überragenden Bedeutung des Grundsatzesder Öffentlichkeit und Transparenz stattzugeben ist.Aber der Verwaltungsgerichtshof konnte sich natür-lich nicht über die bundesgesetzliche Regelung hinweg-setzen, nach der die Sitzungen selbst nicht öffentlichbleiben müssen. Damit fehlt das Kernstück der öffentli-chen Debatte, nämlich die Teilhabe der Bürgerinnen undBürger an dem, was in diesen Sitzungen gesprochen undentschieden wird. Dieses Problem müssen wir lösen.Eine weitere Entscheidung, nämlich die des Bayeri-schen Verfassungsgerichtshofs vom 26. Juli 2006, gibtuns ebenfalls eine Richtschnur. Da ging es um das Pro-blem, dass der Freistaat Bayern auf parlamentarischeAnfragen hin erklärt hat, er gebe keine Auskunft, unddies damit begründet hat, dass die Anfragen wiederumsolche Gesellschaften betreffen, die in privater Rechts-form betrieben werden, aber zu 100 Prozent staatlichsind. Hierzu hat der Bayerische Verfassungsgerichtshofgesagt: Egal wie die öffentliche Hand tätig wird, in wel-cher Form, ob in den hergebrachten öffentlich-rechtli-chen Formen oder in der Form privater Gesellschaften –die demokratische Kontrolle muss sichergestellt sein.Die FDP schlägt daher vor, dass wir diese Grundsätzejetzt auf die Lösung unseres Problems übertragen. Ichkönnte mir beispielsweise vorstellen, dass wir imGmbH-Gesetz und im Aktiengesetz eine Öffnungsklau-sel einbauen, die es den Städten, Landkreisen und Ge-meinden ermöglicht, diese Gremiensitzungen künftiggenauso öffentlich abzuhalten wie zum Beispiel einenormale Stadtratsitzung. Natürlich wird es Teile geben,bei denen es um Interna geht, die nicht öffentlich bleibenmüssen, aber im Grundsatz brauchen wir mehr Transpa-renz.Gleichzeitig müssen dann natürlich die Vorschriftenüber die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsräte ge-lockert werden; das passt sonst nicht zusammen.dcEmPgZtbvsslegDdgtDfvsSdew1)
Ich darf mit dem Hinweis darauf schließen, dass dieraktiker auf ein Tätigwerden des Deutschen Bundesta-es warten. Der Passauer Oberbürgermeister Albertankl, der übrigens der CSU angehört, hat am 20. Sep-ember der Bundesjustizministerin einen Brief geschrie-en und darin den Gleichklang von Kommunalrecht, dason der Öffentlichkeit von Sitzungen ausgeht, und Ge-ellschaftsrecht für kommunale GmbHs angemahnt. Erchreibt wörtlich – ich zitiere –:Ich würde mich sehr freuen, wenn mein Schreiben,das die Meinung vieler Kommunen widerspiegelt,eine entsprechende Gesetzesänderung anstoßenwürde.
Ich bitte Sie, unseren Antrag nicht reflexartig abzu-ehnen, weil er von der Opposition kommt, und lade Siein, sich mit uns zu bemühen, dieses Problem, das, wieesagt, viele Menschen in den Kommunen bewegt, imeutschen Bundestag zu lösen.Vielen Dank.
Wir haben die Rede der Kollegin Katrin Kunert für
ie Fraktion Die Linke und ebenso die Rede des Kolle-
en Jerzy Montag vom Bündnis 90/Die Grünen zu Pro-
okoll genommen.1)
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 16/395 an die in der Tagesordnung aufge-
ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
o beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
chluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf Mittwoch, den 27. September 2006, 13 Uhr,
in.
Ich wünsche Ihnen eine gute Heimreise – soweit not-
endig – und ein schönes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.