Protokoll:
16043

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 16

  • date_rangeSitzungsnummer: 43

  • date_rangeDatum: 29. Juni 2006

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  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 00:25 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 16/43 (Drucksachen 16/1545, 16/2012, 16/2028, 16/2013) . . . . . . . . . . . . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Steueränderungsgeset- zes 2007 (Drucksachen 16/1859, 16/1969, 16/2012, 16/2028, 16/2013) . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Christine Scheel, Kerstin Andreae, Dr. Gerhard Schick, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Steueränderungsgesetz 2007 zurück- ziehen Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Otto Bernhardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Frechen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . 3971 B 3971 C 3972 A 3974 A 3975 C 3977 A 3977 C 3980 A 3980 C 3981 B 3983 D 3986 A 3986 C Deutscher B Stenografisc 43. Sit Berlin, Donnerstag, I n h a Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung der Tagesordnungspunkte 16, 17, 34 und 38 i . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . Begrüßung des Parlamentspräsidenten der Republik Indien, Herrn Chatterjee . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 3: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Steueränderungsgesetzes 2007 3965 A 3966 D 3967A 4013 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Volker Wissing, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, weiterer undestag her Bericht zung den 29. Juni 2006 l t : Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Keine weiteren Steuererhöhun- gen (Drucksachen 16/1501, 16/1654, 16/2012, 16/2028) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) (zur Geschäftsordnung) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) (zur Geschäftsordnung) . . . . . . . . . . . . . . . Carl-Ludwig Thiele (FDP) (zur Geschäftsordnung) . . . . . . . . . . . . . . . Olaf Scholz (SPD) (zur Geschäftsordnung) . . . . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (zur Geschäftsordnung) 3971 C 3967 B 3967 D 3968 C 3969 D 3970 B Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 3987 B 3989 C 3989 D II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 Florian Pronold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) . . . . . . . . Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem An- trag der Abgeordneten Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Harald Terpe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Dem Solidarsystem eine stabile Grund- lage geben – für eine nachhaltige Finan- zierungsreform der Krankenversiche- rung (Drucksachen 16/950, 16/2002) . . . . . . . . b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der LINKEN eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Drucksachen 16/451, 16/1753) . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Birgitt Bender, Matthias Berninger, Dr. Thea Dückert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Stärkung der Solidarität und Ausbau des Wettbewerbs – Für eine leistungsfä- hige Krankenversicherung (Drucksache 16/1928) . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Daniel Bahr (Müns- ter), Heinz Lanfermann, Dr. Konrad Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für Nachhaltigkeit, Transparenz, Eigenverantwortung und Wettbewerb im Gesundheitswesen (Drucksache 16/1997) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Bahr (Münster) (FDP) . . . . . . . . . . . . . 3993 A 3990 C 3991 B 3991 D 3993 B 3994 B 3994 D 3997 B 3997 C 3997 C 3997 C 3997 D 3998 C 3999 D Wolfgang Zöller (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) . . . . . . . . . Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Bahr (Münster) (FDP) . . . . . . . . . . Dr. Carola Reimann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Heinz Lanfermann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU) . . . . . . Frank Spieth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Kleiminger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rolf Koschorrek (CDU/CSU) . . . . . . . . . Elke Ferner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 37: b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Zwei- ten Gesetzes zur Änderung des Be- triebsrentengesetzes (Drucksache 16/1936) . . . . . . . . . . . . . . . c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ach- ten Gesetzes zur Änderung des Ver- sicherungsaufsichtsgesetzes sowie zur Änderung des Finanzdienstleistungs- aufsichtsgesetzes und anderer Vor- schriften (Drucksache 16/1937) . . . . . . . . . . . . . . . d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Zwei- ten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Verbesserung der personellen Struktur beim Bundeseisenbahnvermö- gen und in den Unternehmen der Deut- schen Bundespost (Drucksache 16/1938) . . . . . . . . . . . . . . . e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 13. April 2005 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- land und dem Königreich der Nieder- lande über den Zusammenschluss der deutschen Bundesstraße B 56n und der niederländischen Regionalstraße N 297n an der gemeinsamen Staatsgrenze durch Errichtung einer Grenzbrücke (Drucksache 16/1939) . . . . . . . . . . . . . . . 4001 B 4003 C 4004 D 4005 C 4006 C 4008 B 4009 C 4011 D 4013 A 4014 D 4015 C 4017 C 4025 A 4025 C 4019 C 4019 D 4019 D 4020 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 III f) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des vorläufigen Tabakgesetzes (Drucksache 16/1940) . . . . . . . . . . . . . . . . g) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dagdelen, Dr. Hakki Keskin, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Die Welt zu Gast bei Freun- den – Für eine offenere Migrations- und Flüchtlingspolitik in Deutschland und in der Europäischen Union (Drucksache 16/1199) . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Menschenrechte in Usbekis- tan einfordern (Drucksache 16/1975) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Ute Koczy, Thilo Hoppe, Dr. Uschi Eid, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN: Eine Welt- bank-Energiepolitik der Zukunft – Ja zu mehr Effizienz und erneuerbaren Energien, Nein zur Atomkraft (Drucksache 16/1978) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Volker Beck (Köln), Monika Lazar und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Befragung von Gefolterten und Nutzung von Folter- erkenntnissen ausschließen (Drucksache 16/836) . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Indigene Völker – Ratifizierung des Übereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) Nr. 169 über Indigene und in Stämmen lebende Völ- ker in unabhängigen Staaten (Drucksache 16/1971) . . . . . . . . . . . . . . . . e) Antrag der Abgeordneten Burkhardt Müller-Sönksen, Florian Toncar, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: 7. Bericht der Bundes- regierung über ihre Menschenrechtspo- litik in den auswärtigen Beziehungen und in Politikbereichen (Drucksache 16/1999) . . . . . . . . . . . . . . . . f) Antrag der Abgeordneten Florian Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für die weltweite 4020 A 4020 A 4020 B 4020 B 4020 C 4020 C 4020 C Sicherstellung der Religionsfreiheit (Drucksache 16/1998) . . . . . . . . . . . . . . . g) Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Ulla Lötzer, Hans-Kurt Hill, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der LINKEN: Keine Weltbankkredite für Atomtech- nologie (Drucksache 16/1961) . . . . . . . . . . . . . . . h) Antrag der Abgeordneten Hüseyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, Dr. Diether Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Agrarbeihilfe- empfänger offen legen (Drucksache 16/1962) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 38: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. Juni 2005 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Schweizerischen Bundesrat, handelnd im Namen des Kantons Schaffhausen, über die Erhal- tung einer Straßenbrücke über die Wutach zwischen Stühlingen (Baden- Württemberg) und Oberwiesen (Schaff- hausen) (Drucksachen 16/1611, 16/1964) . . . . . . . b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 8. Juni 2005 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Schweizerischen Bundesrat, handelnd im Namen des Kantons Aargau, über Bau und Erhal- tung einer Rheinbrücke zwischen Lau- fenburg (Baden-Württemberg) und Laufenburg (Aargau) (Drucksachen 16/1612, 16/1965) . . . . . . . c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 28. Juni 2004 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Singapur zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksachen 16/1619, 16/1974) . . . . . . . d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Bereini- gung von Bundesrecht im Zuständig- keitsbereich des Bundesministeriums des Innern (Drucksachen 16/1620, 16/1979) . . . . . . . 4020 D 4020 D 4021 A 4021 A 4021 B 4021 C 4021 D IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes (Drucksachen 16/1107, 16/1173, 16/2019) f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Luft- qualität und saubere Luft für Europa KOM (2005) 447 endg.; Ratsdok. 14335/05 (Drucksachen 16/288 Nr. 2.20, 16/1814) g) Beratung der Zweiten Beschlussempfeh- lung des Wahlprüfungsausschusses zu 62 gegen die Gültigkeit der Wahl zum 16. Deutschen Bundestag eingegange- nen Wahleinsprüchen (Drucksache 16/1800) . . . . . . . . . . . . . . . . h) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- trag der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: EU-Kommission muss natio- nale Tierschutzbemühungen respektie- ren (Drucksachen 16/549, 16/2008) . . . . . . . . i) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- trag der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: BSE- Testpflichtaltersgrenze anheben (Drucksachen 16/1170, 16/2001). . . . . . . . k) Beschlussempfehlung des Rechtsaus- schusses: Übersicht 3 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfas- sungsgericht (Drucksache 16/1956) . . . . . . . . . . . . . . . . m)–u) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68 und 69 zu Petitionen (Drucksachen 16/1911, 16/1912, 16/1913, 16/1914, 16/1915, 16/1916, 16/1917, 16/1918, 16/1919) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Ökologischen Landbau 4022 A 4022 B 4022 C 4022 C 4022 D 4023 A 4023 B in Deutschland und Europa weiterent- wickeln (Drucksache 16/1972) . . . . . . . . . . . . . . . b)–k) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78 und 79 zu Peti- tionen (Drucksachen 16/1980, 16/1981, 16/1982, 16/1983, 16/1984, 16/1985, 16/1986, 16/1987, 16/1988, 16/1989) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Ver- wirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung (Drucksachen 16/1780, 16/1852, 16/2022, 16/2024) . . . . . . . . . . . . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Irmingard Schewe- Gerigk, Volker Beck (Köln) und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Umsetzung europäi- scher Antidiskriminierungsrichtli- nien (Drucksachen 16/297, 16/2022, 16/2024) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Karin Binder, Sevim Dagdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: EU-Anti- diskriminierungsrichtlinien durch einheitliches Antidiskriminierungs- gesetz wirksam und umfassend um- setzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln), Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Keine Ausgrenzung beim Antidis- kriminierungsgesetz – zu dem Antrag der Abgeordneten Mechthild Dyckmans, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Bürokratie schützt nicht vor Diskriminierung – Allge- meines Gleichbehandlungsgesetz ist der falsche Weg (Drucksachen 16/370, 16/957, 16/1861, 16/2022) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4024 A 4024 B 4027 B 4027 B 4028 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 V Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . Dr. Guido Westerwelle (FDP) . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Guido Westerwelle (FDP) . . . . . . . . . . . . Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Sevim Dagdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation (Drucksachen 16/1408, 16/2011) . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei- nes Verbraucherinformationsgeset- zes (VIG) (Drucksachen 16/199, 16/2011) . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz – zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Bleser, Ursula Heinen, Gitta Connemann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Ulrich Kelber, Volker Blumentritt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Lebensmit- telskandalen effektiv entgegenwir- ken – Verbraucher umfassend infor- mieren – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Konsequenzen aus den Fleischskandalen: Umfassende Ver- braucherinformation und bessere Kontrollen 4028 B 4029 D 4030 C 4032 A 4032 B 4032 B 4034 B 4035 B 4036 C 4037 D 4039 A 4042 B 4042 C 4040 C 4040 C – zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: Verbraucherschutz in der Marktwirtschaft durch mündige und aufgeklärte Verbraucher sicher- stellen (Drucksachen 16/195, 16/111, 16/825, 16/2009) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ursula Heinen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Julia Klöckner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktio- nen der CDU/CSU und der SPD: Lage am Ausbildungsmarkt – Ausbildungspakt als Chance für Unternehmen, junge Menschen und den Arbeitsmarkt Ernst Hinsken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Nicolette Kressl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Hirsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Kai Wegner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Grotthaus (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Michael Glos, Bundesminister BMWi . . . . . . Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Annette Schavan, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Willi Brase (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Uwe Schummer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, Joachim Günther (Plauen), Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Recht der Sportwetten neu ordnen und Finanzierung des Sports sowie anderer Gemeinwohlbelange sichern (Drucksache 16/1674) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Detlef Parr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4040 D 4041 A 4045 A 4046 B 4048 A 4049 A 4050 A 4052 B 4054 B 4055 C 4057 A 4058 A 4059 B 4060 D 4062 A 4063 A 4065 A 4066 C 4068 C 4070 A 4071 B 4071 C VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 Klaus Riegert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dagmar Freitag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Detlef Parr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Be- steuerung von Energieerzeugnissen und zur Änderung des Stromsteuergesetzes (Drucksachen 16/1172, 16/1347, 16/2007, 16/2061, 16/2023) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Hans-Josef Fell, Cornelia Behm, Dr. Reinhard Loske, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Biokraftstoffe intelligent fördern – Steuerbegünsti- gung erhalten (Drucksachen 16/583, 16/2007, 16/2061) c) Antrag der Abgeordneten Hans-Kurt Hill, Dr. Herbert Schui, Dr. Barbara Höll, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Biokraftstoffe nachhaltig för- dern (Drucksache 16/1895 (neu)) . . . . . . . . . . . Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD) . . . . . Dr. Hermann Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Schindler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion der LINKEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes 4073 A 4074 C 4075 C 4076 D 4077 C 4077 D 4078 D 4079 A 4079 A 4079 B 4081 B 4081 C 4082 A 4083 C 4084 B 4085 B 4086 A 4086 B zur Änderung des Dritten Buches Sozi- algesetzbuch (Drucksachen 16/856, 16/1208) . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Innere Sicherheit durch Regelungen zum Arbeitskampf- recht gewährleisten (Drucksachen 16/953, 16/1208) . . . . . . . . Anette Kramme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Oskar Lafontaine (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Laurenz Meyer (Hamm), Veronika Bellmann, Klaus Brähmig, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Dr. Rainer Wend, Doris Barnett, Klaus Barthel, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mit- telständischen Wirtschaft (Drucksachen 16/1407, 16/2017) . . . . – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Ersten Gesetzes zum Ab- bau bürokratischer Hemmnisse ins- besondere in der mittelständischen Wirtschaft (Drucksachen 16/1853, 16/1970, 16/2017) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Zeil, Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Statistikpflichten zu- rückführen – Bürokratiekosten senken (Drucksachen 16/1167, 16/2017) . . . . . . . Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU) . . . . . . Martin Zeil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4089 B 4089 C 4089 C 4091 A 4092 A 4093 D 4095 A 4098 A 4098 C 4096 B 4096 C 4096 C 4096 D 4100 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 VII Christian Lange (Backnang) (SPD) . . . . . . . . Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 36: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe – zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Irmingard Schewe-Gerigk, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN: Presse- und Meinungsfreiheit in Kuba einfordern – zu dem Antrag der Abgeordneten Marina Schuster, Florian Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Menschen- rechte in Kuba einfordern und die ku- banische Zivilgesellschaft fördern (Drucksachen 16/934, 16/945, 16/2006) Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtlinie (Drucksachen 16/1335, 16/2018, 16/2056) . . Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Georg Fahrenschon (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Michael Kauch, Dr. Max Stadler, Sabine Leutheusser- Schnarrenberger, weiterer Abgeordneter und 4101 D 4103 C 4104 B 4105 C 4105 D 4107 C 4108 B 4109 D 4111 A 4112 A 4116 A 4115 D 4112 D 4113 A 4114 A der Fraktion der FDP: Patientenverfügungen neu regeln – Selbstbestimmungsrecht und Autonomie von nichteinwilligungsfähigen Patienten stärken (Drucksache 16/397) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Rah- menbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Euro- päischen Union (Europäisches Haftbe- fehlsgesetz – EuHbG) (Drucksachen 16/1024, 16/2015) . . . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Europäisches Haftbefehlsgesetz – EuHbG) (Drucksachen 16/544, 16/2015) . . . . . . . . Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Carl-Christian Dressel (SPD) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Sevim Dagdelen, Ulla Jelpke, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Einbürge- rungen erleichtern – Ausgrenzungen aus- schließen (Drucksache 16/1770) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Rückgewin- nungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten (Drucksache 16/700, 16/2021) . . . . . . . . . . . . 4118 B 4118 D 4119 C 4119 C 4119 D 4120 C 4121 C 4122 D 4123 C 4124 D 4125 A VIII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Fraktionen der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Demo- kratiebewegung in Belarus unterstützen (Drucksache 16/1977) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD: UN-Überprüfungskonferenz als Chance zur wirksamen Kontrolle des Handels mit Kleinwaffen und leich- ten Waffen nutzen (Drucksache 16/1894) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Holger Haibach, Erika Steinbach, Carl-Eduard von Bismarck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- ordneten Dr. Herta Däubler-Gmelin, Christoph Strässer, Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Den neuen Menschenrechtsrat der Ver- einten Nationen zum Erfolg führen (Drucksache 16/1891) . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Alexander Bonde, Jürgen Trittin, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Waffen unter Kon- trolle – Für eine umfassende Begrenzung und Kontrolle des Handels mit Kleinwaf- fen und Munition (Drucksache 16/1967) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Den neuen Menschenrechtsrat der Verein- ten Nationen intensiv unterstützen (Drucksache 16/1968) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Carl-Ludwig Thiele, Frank Schäffler, Dr. Hermann Otto Solms, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: REITs – Real Estate Invest- ment Trusts in Deutschland einführen (Drucksache 16/1896) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4125 B 4125 C 4125 C 4125 D 4125 D 4126 B Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Leo Dautzenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Florian Pronold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 22: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwick- lung zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Götz, Dirk Fischer (Hamburg), Dr. Klaus W. Lippold, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Petra Weis, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Stadtentwicklung ist moderne Struk- tur- und Wirtschaftspolitik (Drucksachen 16/1890, 16/2004) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 21: Erste Beratung des von den Abgeordneten Cornelia Behm, Undine Kurth (Quedlin- burg), Hans-Josef Fell, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundes- naturschutzgesetzes (Urwaldschutzgesetz) (Drucksache 16/961) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 24: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Für ein Ende der Gewalt in Norduganda (Drucksache 16/1973) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Hüseyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, Dr. Diether Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Für ein Ende der Gewalt in Nord- uganda (Drucksache 16/1976) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) . . . Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE) . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4126 C 4127 D 4129 C 4130 B 4131 D 4132 C 4132 D 4133 A 4133 B 4133 B 4133 D 4134 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 IX Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Elke Hoff, Dr. Rainer Stinner, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Gleiche Besoldung für alle Soldaten (Drucksache 16/587) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 38: j) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung – zu dem Antrag der Abgeordneten Ingbert Liebing, Enak Ferlemann, Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel, Uwe Beckmeyer, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Notschleppkon- zept den veränderten Bedingungen der Seeschifffahrt anpassen – zu dem Antrag der Abgeordneten Rainder Steenblock, Winfried Hermann, Peter Hettlich, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Notschleppkonzept an gestiegene Herausforderungen anpassen – zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Patrick Döring, Horst Friedrich (Bayreuth), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: Sicherheitskonzept für Nord- und Ostsee optimieren (Drucksachen 16/1647, 16/685, 16/1164, 16/2005) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe- Gerigk, Volker Beck (Köln), Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Selbstbe- stimmtes Leben in Würde ermöglichen – Transsexuellenrecht umfassend reformie- ren (Drucksache 16/947) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von den Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Max Stadler, Jörg van Essen, weiteren Abgeordne- 4135 D 4136 A 4136 C ten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Passgesetzes (Drucksache 16/2016) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Unterhaltsrechts (Drucksache 16/1830) . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Unterhalts- vorschussgesetzes (Drucksache 16/1829) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 27: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft (Drucksache 16/1828) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Günter Krings (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Manzewski (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Versicherungsvermittler- rechts (Drucksache 16/1935) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 37: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Reform des Personenstands- rechts (Personenstandsrechtsreform- gesetz – PStRG) (Drucksache 16/1831) . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 4136 C 4136 D 4137 A 4137 A 4137 B 4138 B 4139 B 4141 C 4142 B 4143 C 4143 D 4144 C 4145 A X Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Steu- eränderungsgesetzes 2007 (Tagesordnungs- punkt 3 a) Ingrid Arndt-Brauer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Siegmund Ehrmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Frechen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Hinz (Essen) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) . . . . . . . . . . . Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) . . . . Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) . . . . . . . . . . . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus Hofbauer und Bartholomäus Kalb (beide CDU/CSU) zur namentlichen Abstim- mung über den Entwurf eines Steuerände- rungsgesetzes 2007 (Tagesordnungspunkt 3 a) Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg), Dr. Frank Schmidt und Gunter Weißgerber (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Steueränderungsgesetzes 2007 (Tagesordnungspunkt 3 a) . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gerd Bollmann, Dieter Grasedieck, Christoph Pries und Axel Schäfer (Bochum) (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Steueränderungsgesetzes 2007 (Tagesordnungspunkt 3 a) . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Michael Roth (Heringen), Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Joachim Poß, Ernst Kranz, Waltraud Lehn und Johannes Pflug (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Steueränderungsgesetzes 2007 (Tagesordnungspunkt 3 a) . . . . . . . . . . . . . . . 4145 B 4145 C 4146 A 4146 B 4146 D 4147 A 4147 C 4147 C 4147 D 4148 A 4148 A 4148 C 4149 A 4149 B Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Florian Pronold, Marco Bülow, Ulla Burchardt, Martin Burkert, Dr. Carl-Christian Dressel, Petra Ernstberger, Gabriele Fograscher, Peter Friedrich, Angelika Graf (Rosenheim), Gabriele Groneberg, Bettina Hagedorn, Reinhold Hemker, Frank Hofmann (Volkach), Lothar Ibrügger, Brunhilde Irber, Christian Kleiminger, Rolf Kramer, Anette Kramme, Jürgen Kucharczyk, Dirk Manzewski, Lothar Mark, Detlef Müller (Chemnitz), Heinz Paula, Maik Reichel, Gerold Reichenbach, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Renate Schmidt (Nürnberg), Heinz Schmitt (Landau), Ewald Schurer, Dr. Angelica Schwall-Düren, Christoph Strässer, Jella Teuchner, Rüdiger Veit und Dr. Wolfgang Wodarg (alle SPD) zur nament- lichen Abstimmung über den Entwurf eines Steueränderungsgesetzes 2007 (Tagesord- nungspunkt 3 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Erklärung der Abgeordneten Renate Blank (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Ände- rung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Tagesordnungspunkt 4 b) . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 9 Erklärung des Abgeordneten Jürgen Koppelin (FDP) zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung: Sammelübersicht 79 zu Peti- tionen (Zusatztagesordnungspunkt 4 k) . . . . . Anlage 10 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung (Tagesordnungspunkt 5 a) Klaus Brähmig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Veronika Bellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD) . . . . . . . . . Henry Nitzsche (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) . . . . . . . . . . Rolf Stöckel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4149 D 4150 B 4150 B 4150 C 4150 C 4151 A 4151 B 4151 B 4151 B 4151 D 5153 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 XI Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Michael Fuchs, Michaela Noll, Michael Hennrich, Karl-Georg Wellmann, Kai Wegner, Joachim Hörster, Ernst Hinsken, Norbert Königshofen, Andreas G. Lämmel, Gerhard Wächter, Stefan Müller (Erlangen), Maria Michalk, Dr. Karl Lamers (Heidel- berg), Bernward Müller (Gera), Volkmar Uwe Vogel, Dr. Rolf Koschorrek, Bernhard Schulte-Drüggelte, Andreas Schmidt (Mül- heim), Gunther Krichbaum, Georg Fahrenschon, Hans Michelbach, Georg Schirmbeck, Steffen Kampeter, Laurenz Meyer (Hamm), Anke Eymer (Lübeck), Albert Rupprecht (Weiden), Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Dr. Joachim Pfeiffer, Clemens Binninger, Daniela Raab, Dr. Günter Krings, Klaus-Peter Willsch, Carsten Müller (Braunschweig), Klaus-Peter Flosbach, Marco Wanderwitz, Kurt Segner, Markus Grübel, Jochen Borchert, Philipp Missfelder, Sibylle Pfeiffer, Gitta Connemann, Jens Koeppen, Patricia Lips, Stephan Mayer (Alt- ötting), Susanne Jaffke, Andrea Astrid Voßhoff, Bernd Heynemann, Olav Gutting, Bernd Schmidbauer, Rita Pawelski, Franz Obermeier, Erika Steinbach, Monika Grütters, Andreas Jung (Konstanz), Ingbert Liebing, Marie-Luise Dött, Julia Klöckner, Ute Granold, Michael Brand, Dr. Heinz Riesenhuber, Katharina Landgraf, Dr. Georg Nüßlein, Thomas Strobl (Heilbronn), Renate Blank und Dr. Ole Schröder (alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäi- scher Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung (Tages- ordnungspunkt 5 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 12 Erklärung nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zur Neuregelung der Besteuerung von Energieerzeugnissen und zur Änderung des Stromsteuergesetzes (Tagesordnungspunkt 8 a) Dr. Axel Berg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Groneberg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hermann Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Wodarg (SPD) . . . . . . . . . . . . . Anlage 13 Erklärung des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur 4153 C 4151 B 4151 D 4151 D 4155 A 4155 C Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Innere Sicherheit durch Rege- lungen zum Arbeitskampfrecht gewährleisten (Tagesordnungspunkt 9 a) . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 14 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Wolfgang Wodarg (SPD) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu den Anträ- gen: – Presse- und Meinungsfreiheit in Kuba ein- fordern – Menschenrechte in Kuba einfordern und die kubanische Zivilgesellschaft fördern (Tagesordnungspunkt 36) . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtlinie (Ta- gesordnungspunkt 12) Nina Hauer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Diller (Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen) . . . . . . . . . . Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Patientenverfügungen neu regeln – Selbstbestimmungsrecht und Autonomie von nichteinwilligungsfähigen Patienten stärken (Tagesordnungspunkt 13) Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Markus Grübel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Stünker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Entwürfe eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwi- schen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Europäisches Haftbefehlsgesetz – EuHbG) (Tagesordnungspunkt 14) Wolfgang Nešković (DIE LINKE) . . . . . . . . . 4156 A 4156 A 4156 B 4157 A 4157 C 4158 B 4159 A 4160 D 4161 B 4162 C 4163 A 4164 C 4165 A XII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Einbürgerungen erleichtern – Ausgrenzungen ausschließen (Tagesord- nungspunkt 15) Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Sevim Dagdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensab- schöpfung bei Straftaten (Tagesordnungs- punkt 18) Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Jörg van Essen (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sevim Dagdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär . . . . Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Demokratiebewegung in Belarus unterstützen (Zusatztagesordnungspunkt 6) Manfred Grund (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Uta Zapf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Leibrecht (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE). . . . . . . . . . . Marie-Luise Beck (BÜNDNIS/90 DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – UN-Überprüfungskonferenz als Chance zur wirksamen Kontrolle des Handels mit Kleinwaffen und leichten Waffen nutzen – Den neuen Menschenrechtsrat der Verein- ten Nationen zum Erfolg führen 4166 B 4167 B 4168 C 4169 C 4170 B 4171 A 4171 D 4172 C 4173 C 4174 C 4175 B 4176 A 4176 D 4177 C 4178 B 4178 C – Waffen unter Kontrolle – Für eine umfas- sende Begrenzung und Kontrolle des Han- dels mit Kleinwaffen und Munition – Den neuen Menschenrechtsrat der Verein- ten Nationen intensiv unterstützen (Tagesordnungspunkt 20 a und b und Zusatz- tagesordnungspunkte 7 und 8) Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Carl-Eduard von Bismarck (CDU/CSU) . . . . Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD) . . . . . . . . . Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Toncar (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: REITs – Real Estate Investment Trusts in Deutschland einführen (Tagesord- nungspunkt 19) Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Stadtentwicklung ist moderne Struktur- und Wirtschaftspolitik (Tagesordnungspunkt 22) Peter Götz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Weis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Ände- rung des Bundesnaturschutzgesetzes (Ur- waldschutzgesetz) (Tagesordnungspunkt 21) Bernward Müller (Gera) (CDU/CSU) . . . . . . Marko Mühlstein (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Angelika Brunkhorst (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4179 C 4180 C 4181 B 4182 D 4183 D 4185 A 4185 B 4186 B 4187 C 4188 D 4190 A 4190 D 4191 C 4192 C 4194 A 4195 C 4196 B 4197 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 XIII Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: Für ein Ende der Gewalt in Nord- uganda (Tagesordnungspunkt 24 und Zusatz- tagesordnungspunkt 9) Gabriele Groneberg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Karl Addicks (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 26 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Gleiche Besoldung für alle Sol- daten (Tagesordnungspunkt 23) Monika Brüning (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Susanne Jaffke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Petra Heß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gert Winkelmeier (fraktionslos) . . . . . . . . . . . Anlage 27 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Notschleppkonzept den veränderten Be- dingungen der Seeschifffahrt anpassen – Notschleppkonzept an gestiegene Heraus- forderungen anpassen – Sicherheitskonzept für Nord- und Ostsee optimieren (Tagesordnungspunkt 38 j) Enak Ferlemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Margrit Wetzel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Dorothee Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 28 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Antrag: Selbstbestimmtes Leben in Würde ermöglichen – Transsexuellenrecht umfas- send reformieren – Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Passgesetzes (Tagesordnungspunkt 25 und Zusatztagesord- nungspunkt 10) 4198 B 4199 B 4200 A 4200 D 4201 B 4202 A 4202 C 4203 B 4204 A 4204 C 4205 C 4207 A 4207 D 4208 B Helmut Brandt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Jörg van Essen (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 29 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Entwürfe: – Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts – Erstes Gesetz zur Änderung des Unter- haltsvorschussgesetzes (Tagesordnungspunkt 26 a und b) Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . Anlage 30 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Rege- lung des Urheberrechts in der Informationsge- sellschaft (Tagesordnungspunkt 27) Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . . Anlage 31 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts (Tagesord- nungspunkt 28) Kai Wegner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Lange (Backnang) (SPD) . . . . . . . . Martin Zeil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 32 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des 4208 D 4210 A 4210 D 4211 D 4212 D 4214 C 4215 C 4217 A 4218 A 4218 D 4219 C 4220 C 4221 D 4222 D 4224 B 4225 A XIV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 Personenstandsrechts (Personenstandsrechtsre- formgesetz – PStRG) (Tagesordnungspunkt 37 a) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4226 A 4227 B 4228 B 4229 C 4230 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 3965 (A) (C) (B) (D) 43. Sit Berlin, Donnerstag, Beginn: 9
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    1) Anlage 32 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4145 (A) (C) (B) (D) eränderungsgesetz 2007 aus folgenden Gründen nicht zu: Die Absenkung der Altersgrenze für die Gewährung bungskosten geltend machen könnte, hätte die in seinem Fall ungerechtfertigte Besserstellung in Höhe von Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Steueränderungsgesetzes 2007 (Ta- gesordnungspunkt 3 a) Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Ich stimme dem Steu- Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adam, Ulrich CDU/CSU 29.06.2006* Bär, Dorothee CDU/CSU 29.06.2006 Barnett, Doris SPD 29.06.2006* Bartsch, Dietmar DIE LINKE 29.06.2006 Bollen, Clemens SPD 29.06.2006 Deittert, Hubert CDU/CSU 29.06.2006* Fischbach, Ingrid CDU/CSU 29.06.2006 Fischer (Karlsruhe- Land), Axel E. CDU/CSU 29.06.2006* Hilsberg, Stephan SPD 29.06.2006 Dr. Jung, Franz Josef CDU/CSU 29.06.2006 Klug, Astrid SPD 29.06.2006 Kolbow, Walter SPD 29.06.2006 Link (Heilbronn), Michael FDP 29.06.2006 Lintner, Eduard CDU/CSU 29.06.2006* Lopez, Helga SPD 29.06.2006 Multhaupt, Gesine SPD 29.06.2006 Niebel, Dirk FDP 29.06.2006 Strothmann, Lena CDU/CSU 29.06.2006 Anlagen zum Stenografischen Bericht von Kindergeld bzw. kindbedingten Steuerfreibeträgen auf die Zeit vor Vollendung des 25. Lebensjahres halte ich zwar grundsätzlich für vertretbar. Unzureichend sind jedoch die Übergangsfristen bei der Absenkung der Al- tersgrenze, die zu kurz bemessen sind. Die Beschränkung der Entfernungspauschale auf Fernpendler, Ausschluss von 20 Entfernungskilometern, halte ich für falsch und ungerecht. Alternativ hätte die Werbekostenpauschale abgesenkt und die Entfernungs- pauschale vom ersten Kilometer an beibehalten werden müssen. Siegmund Ehrmann (SPD): Die Beratungen zum Steueränderungsgesetz 2007 haben gezeigt, dass es in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht eine Benachteili- gung der Berufsgruppe der Bergleute bedeutet, wenn die Bergmannsprämie mit der im Gesetzentwurf vorgesehen kurzen Übergangsfrist abgeschafft wird. Gerade diese Berufsgruppe, die in den vergangen Jahren erhebliche Einkommenseinbußen hat hinnehmen müssen und zu- dem noch infolge der Verlagerung der Arbeitsplätze an weiter entfernte Zechenstandorte zusätzliche Aufwen- dungen hat, wird durch den Wegfall der bisher steuerfrei entrichteten Bergmannsprämie benachteiligt. Aus diesem Grund hat die Arbeitsgruppe „Finanzen“ der SPD-Bundestagsfraktion die einhellige Empfehlung ausgesprochen, es bei der Bergmannsprämie bei dem ak- tuellen Zustand zu belassen. Hilfsweise hätte man zu- mindest eine stark verlängerte Auslauffrist vereinbaren können, um den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit einer Kompensation einzuräumen. Die für Finanzen zu- ständigen Fachpolitiker der CDU/CSU-Bundestagsfrak- tion haben sich aber mit dem Argument des „fehlenden Beratungsbedarfs“ kategorisch gegen eine Beibehaltung der Bergmannsprämie ausgesprochen und somit jedwede Änderung vereitelt. Entsprechendes gilt für die Regelung zur Abschaf- fung der Entfernungspauschale. Die SPD-Bundestags- fraktion – und somit auch der Unterzeichner – erkennt den zur Konsolidierung des Haushalts erforderlichen Mittelbedarf in Höhe von 2,5 Milliarden Euro an. Ge- genüber der Streichung der Entfernungspauschale und der Gewährung einer Härteausfallregelung ab dem 21. Kilometer hätte es jedoch sozialere und auch gerech- tere Modelle gegeben. Ein gerechteres Alternativmodell wäre gewesen, für die ersten 20 Kilometer einen Betrag von 0,20 Euro pro Kilometer und ab dem 21. Kilometer 0,25 Euro pro Ent- fernungskilometer anzusetzen bei gleichzeitiger Redu- zierung des Arbeitnehmerpauschbetrags von derzeit 920 Euro auf 500 Euro. Dieses Modell hätte das gleiche Einsparvolumen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro gehabt und wäre sozial gerechter gewesen. Derjenige, der viel abzusetzen hätte, hätte dies nach wie vor tun können. Derjenige, der keinerlei Absetzungsbeträge als Wer- 4146 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) 920 Euro gegen eine solche von 500 Euro eintauschen müssen. Dies wäre vertretbar gewesen und hätte zudem die verfassungsmäßigen Zweifel des jetzigen Modells ausräumen können. Auch hier haben aber die Fachpoliti- ker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ihre Mitwirkung versagt und daher eine Mehrheitsfindung im Sinne des Alternativmodells vereitelt. Gabriele Frechen (SPD): Das Steueränderungsge- setz 2007 verfolgt das Ziel, weitere Steuervergünstigun- gen und Ausnahmetatbestände abzubauen, den Finanzie- rungsbeitrag von Spitzenverdienern zumindest in geringem Umfang zu erhöhen und damit die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren. Diese Zielsetzung halte ich für richtig. Deshalb stimme ich dem vorliegenden Ge- setzentwurf der Regierungskoalition zu. Ich halte jedoch die Kürzung der Entfernungspauschale für falsch. Die Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Ar- beitsplatz sind berufsbedingte Kosten und müssen damit auch steuerlich als Werbungskosten anerkannt werden. Das nun zur Entscheidung stehende Modell, das die Wegekosten erst ab dem 21. Kilometer berücksichtigt, ist nicht sachgerecht. Es führt zu einer ungerechten Vertei- lung der zusätzlichen Belastungen. Im Lichte der Ergeb- nisse der Expertenanhörung haben wir deshalb versucht, diesen Punkt zu korrigieren und das vorgegebene Konso- lidierungsvolumen durch eine geringere lineare Kürzung der Pendlerpauschale sowie eine Absenkung des Arbeit- nehmerpauschbetrags zu erreichen. Diese Lösung hätte die Belastungen gerechter verteilt und die tatsächliche Subventionierung durch die Arbeitnehmerpauschale re- duziert. Obwohl Teile der Union außerhalb des Parla- ments vorgegeben haben, für eine sachgerechte Lösung offen zu sein, hat die CDU/CSU-Fraktion sich einer Ver- besserung des Gesetzentwurfs verweigert. Ich gehe auf Basis der juristischen Stellungnahme des Bundesfinanzministeriums davon aus, dass die Heraus- nahme der Pendlerpauschale aus den Werbungskosten keine negativen Auswirkungen für die Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmer im Sozial- und Arbeitsrecht ha- ben wird. Für problematisch halte ich die komplette Streichung der Bergmannsprämie ab 2008. Der Koalitionsvertrag sah nur die Abschaffung der Steuerfreiheit vor. Das wäre zumindest kurz- und mittelfristig die bessere Lösung ge- wesen. Auch hier konnte keine Veränderung erreicht werden. Außerdem habe ich mich für eine Verlängerung der Übergangszeit bei der Absenkung der Bezugsdauer des Kindergeldbezuges eingesetzt. Ich hielte eine wei- tere Übergangsfrist von zwei Jahren für sachgerechter. Da ich den Grundsatz und die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung für richtig halte, stimme ich trotz der gemachten Bedenken diesem Gesetzentwurf zu. Petra Hinz (Essen) (SPD): Die Beratungen zum Steueränderungsgesetz 2007 haben gezeigt, dass es in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht eine Benachteili- gung der Berufsgruppe der Bergleute bedeutet, wenn die Bergmannsprämie mit der im Gesetzentwurf vorgesehe- nen kurzen Übergangsfrist abgeschafft wird. Gerade diese Berufsgruppe, die in den vergangenen Jahren er- hebliche Einkommenseinbußen hat hinnehmen müssen und zudem noch infolge der Verlagerung der Arbeits- plätze an weiter entfernte Zechenstandort zusätzliche Aufwendungen hat, wird durch den Wegfall der bisher steuerfrei entrichteten Bergmannsprämie benachteiligt. Aus diesem Grund hat die Arbeitsgruppe „Finanzen“ der SPD-Bundestagsfraktion die einhellige Empfehlung ausgesprochen, es bei der Bergmannsprämie bei dem aktuellen Zustand zu belassen. Hilfsweise hätte man zu- mindest eine stark verlängerte Auslauffrist vereinbaren können, um den Tarifvertragsparteien die Möglich- keit einer Kompensation einzuräumen. Die für Finan- zen zuständigen Fachpolitiker der CDU/CSU-Bundes- tagsfraktion haben sich aber mit dem Argument des „fehlenden Beratungsbedarfs“ kategorisch gegen eine Beibehaltung der Bergmannsprämie ausgesprochen und somit jedwede Änderung vereitelt. Entsprechendes gilt für die Regelung zur Abschaf- fung der Entfernungspauschale. Die SPD-Bundestags- fraktion – und somit auch die Unterzeichnerin – erkennt den zur Konsolidierung des Haushalts erforderlichen Mittelbedarf in Höhe von 2,5 Milliarden Euro an. Ge- genüber der Streichung der Entfernungspauschale und der Gewährung einer Härteausfallregelung ab dem 21. Kilometer hätte es jedoch sozialere und auch gerech- tere Modelle gegeben. Ein gerechteres Alternativmodell wäre gewesen, für die ersten 20 Kilometer einen Betrag von 0,20 Euro pro Kilometer und ab dem 21. Kilometer 0,25 Euro pro Ent- fernungskilometer anzusetzen bei gleichzeitiger Redu- zierung des Arbeitnehmerpauschbetrags von derzeit 920 Euro auf 500 Euro. Dieses Modell hätte das gleiche Einsparvolumen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro gehabt und wäre sozial gerechter gewesen. Derjenige, der viel abzusetzen hätte, hätte dies nach wie vor tun können. Derjenige, der keinerlei Absetzungsbeträge als Wer- bungskosten geltend machen könnte, hätte die in seinem Fall ungerechtfertigte Besserstellung in Höhe von 920 Euro gegen eine solche von 500 Euro eintauschen müssen. Dies wäre vertretbar gewesen und hätte zudem die verfassungsmäßigen Zweifel des jetzigen Modells ausräumen können. Auch hier haben aber die Fachpoliti- ker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ihre Mitwirkung versagt und daher eine Mehrheitsfindung im Sinne des Alternativmodells vereitelt. Dr. Bärbel Kofler (SPD): Aufgrund der Änderungen im Bereich der Entfernungspauschale sehe ich mich au- ßer Stande, dem Steueränderungsgesetz zuzustimmen. Nicht nur, dass es Arbeitnehmern insbesondere in ländli- chen Regionen nicht zu vermitteln ist, dass ihre real ent- stehenden Kosten zur Erhaltung ihres Arbeitsplatzes steuerlich anders behandelt werden als vergleichbare Aufwendungen Selbstständiger. Ich halte es auch für nicht richtig, steuerliche Tatbestände zu schaffen, die ge- gebenenfalls versicherungsrechtlich negative Folgen für Arbeitnehmer nach sich ziehen. Darüber hinaus bin ich der Meinung, die vorliegende Regelung ist verfassungs- widrig. Entsprechende Klagen vor dem Bundesverfas- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4147 (A) (C) (B) (D) sungsgericht und daraus folgende Unsicherheiten für den Bundeshaushalt tragen meines Erachtens nicht in dem Maß zu der erhofften Konsolidierung des Haushaltes bei. Leider kann ich generell im Entwurf zum Steuerände- rungsgesetz 2007 keinen ausgewogenen und gerechten Beitrag aller Bevölkerungsteile zur Haushaltskonsolidie- rung erkennen. Das weitaus größte Einsparvolumen muss von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern er- bracht werden. Diese Tendenz der Steuergesetzgebung erfüllt mich mit großer Sorge. Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD): Die Beratungen zum Steueränderungsgesetz 2007 haben gezeigt, dass es in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht eine Benachtei- ligung der Berufsgruppe der Bergleute bedeutet, wenn die Bergmannsprämie mit der im Gesetzentwurf vorge- sehenen kurzen Übergangsfrist abgeschafft wird. Gerade diese Berufsgruppe, die in den vergangen Jahren erhebli- che Einkommenseinbußen hat hinnehmen müssen und zudem noch infolge der Verlagerung der Arbeitsplätze an weiter entfernte Zechenstandorte zusätzliche Auf- wendungen hat, wird durch den Wegfall der bisher steu- erfrei entrichteten Bergmannsprämie benachteiligt. Aus diesem Grund hat die Arbeitsgruppe „Finanzen“ der SPD-Bundestagsfraktion die einhellige Empfehlung ausgesprochen, es bei der Bergmannsprämie bei dem aktuellen Zustand zu belassen. Hilfsweise hätte man zu- mindest eine stark verlängerte Auslauffrist vereinbaren können, um den Tarifvertragsparteien die Mög- lichkeit einer Kompensation einzuräumen. Die für Fi- nanzen zuständigen Fachpolitiker der CDU/CSU-Bun- destagsfraktion haben sich aber mit dem Argument des „fehlenden Beratungsbedarfs“ kategorisch gegen eine Beibehaltung der Bergmannsprämie ausgesprochen und somit jedwede Änderung vereitelt. Entsprechendes gilt für die Regelung zur Abschaf- fung der Entfernungspauschale. Die SPD-Bundestags- fraktion – und somit auch den Unterzeichner – erkennt den zur Konsolidierung des Haushalts erforderlichen Mittelbedarf in Höhe von 2,5 Milliarden Euro an. Ge- genüber der Streichung der Entfernungspauschale und der Gewährung einer Härteausfallregelung ab dem 21. Kilometer hätte es jedoch sozialere und auch gerech- tere Modelle gegeben. Ein gerechteres Alternativmodell wäre gewesen, für die ersten 20 Kilometer einen Betrag von 0,20 Euro pro Kilometer und ab dem 21. Kilometer 0,25 Euro pro Ent- fernungskilometer anzusetzen bei gleichzeitiger Redu- zierung des Arbeitnehmerpauschbetrags von derzeit 920 Euro auf 500 Euro. Dieses Modell hätte das gleiche Einsparvolumen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro gehabt und wäre sozial gerechter gewesen. Derjenige, der viel abzusetzen hätte, hätte dies nach wie vor tun können. Derjenige, der keinerlei Absetzungsbeträge als Wer- bungskosten geltend machen könnte, hätte die in seinem Fall ungerechtfertigte Besserstellung in Höhe von 920 Euro gegen eine solche von 500 Euro eintauschen müssen. Dies wäre vertretbar gewesen und hätte zudem die verfassungsmäßigen Zweifel des jetzigen Modells ausräumen können. Auch hier haben aber die Fachpoliti- ker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ihre Mitwirkung versagt und daher eine Mehrheitsfindung im Sinne des Alternativmodells vereitelt. Hilde Mattheis (SPD): Heute wird über den Koali- tionsentwurf eines Steueränderungsgesetzes abgestimmt. Ich halte vor allem die vorgesehenen Kürzungen bei der Entfernungspauschale und die Absenkung der Alters- grenze beim Kindergeld für falsch. Gleichzeitig habe ich Verständnis für die Proteste der Lehrer und Lehrerinnen bezüglich der Streichung der steuerlichen Absetzbarkeit von häuslichen Arbeitszimmern. Daher werde ich gegen diesen Gesetzentwurf stimmen. Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): Trotz mei- ner erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ge- genüber der im Gesetzentwurf enthaltenen Regelung zur Pendlerpauschale stimme ich diesem Gesetzentwurf, 16/1545, zu. Ich vertraue hierbei den Aussagen des Bun- desfinanzministers, Herrn Peer Steinbrück, und den Fachleuten des Ministeriums für Finanzen, die wieder- holt und ausdrücklich auf die verfassungsmäßige Unbe- denklichkeit des Gesetzes hingewiesen haben. Auch bei der Notwendigkeit der Haushaltskonsolidie- rung und der dauerhaften Sanierung der öffentlichen Haushalte ist meine Zustimmung mit der Zusage des BMF verbunden, dass die Konsolidierungsmaßnahmen dem Grundsatz der Verteilungsgerechtigkeit entsprechen und diese nicht zulasten von ländlichen und struktur- schwachen Regionen erfolgen. Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU): Mit dem Steu- eränderungsgesetz 2007 werden insbesondere im Koali- tionsvertrag vorgesehene Maßnahmen umgesetzt. Geplant ist unter anderem die Beschränkung der Entfernungspau- schale auf Fernpendler, Ausschluss von 20 Entfernungski- lometern. Auch der Bundesrat hat um verfassungsrechtliche Überprüfung gebeten. Die Äußerung des Bundesfinanz- ministers zu diesem Sachverhalt überzeugt nicht. Man stellt Folgendes fest: Vor dem Hintergrund, dass von Beschäftigten heute eine erhöhte Mobilität und Flexibilität gefordert wird, hält die Bundesregierung Wahrung der sozia- len Ausgewogenheit der Regelung und im Hinblick auf Artikel 6 Abs. l des Grundgesetzes die vorge- schlagene Härtefallregelung für sachgerecht und im Hinblick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip für verfassungsrechtlich möglich. Die Feststellung, dass es „verfassungsrechtlich mög- lich“ ist, ist sehr vage. Deshalb ist zu befürchten, dass die Entscheidung des Parlaments einer verfassungsrecht- lichen Prüfung nicht standhält. Im Übrigen betrifft diese Entscheidung vor allem den ländlichen Raum. Da ausreichende ÖPNV-Angebote kaum vorhanden sind, werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hier besonders benachteiligt, obwohl die Politik eine immer größere Flexibilität von ihnen fordert. 4148 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Silvia Schmidt (SPD): Das Steueränderungsgesetz 2007 ist ein wichtiger Baustein zur notwendigen Konso- lidierung des Haushaltes und damit auch zur Wiederer- langung staatlicher Gestaltungsspielräume. Beispiels- weise werden durch die 3-prozentige Erhöhung des Spitzensteuersatzes für jährliche Einkommen ab 250 000/ 500 000 Euro, ledig/verheiratet, Spitzenverdiener zu ei- nem solidarischen Konsolidierungsbeitrag verpflichtet. Neben einer Reihe von weiteren notwendigen Maßnah- men sieht das Gesetz eine schrittweise Streichung der Bergmannsprämie vor. Wir lehnen dies ab. Die 1956 zur Anerkennung der besonderen Leistungen des unter Tage tätigen Bergmanns geschaffene Prämie hat auch heute ihre Berechtigung nicht verloren. Die Arbeit der Berg- leute hat sich zwar verändert, findet aber nach wie vor un- ter erschwerten Bedingungen statt. Im Übrigen haben die Betroffenen in den vergangenen Jahren durch massiven Arbeitsplatzabbau, Umstrukurierungen und Rationalisie- rungsmaßnahmen teilweise schmerzliche Einkommens- einbußen erlitten. Ebenso sind viele Bergleute als Fern- pendler von der Kürzung der Entfernungspauschale be- troffen. Die betroffenen Standorte des Steinkohle- und Kali- bergbaus liegen ausnahmslos in strukturschwächeren Regionen. Ihnen droht ein weiterer massiver Kaufkraftver- lust, der mittelfristig durch entsprechende Tarifsteigerun- gen nicht kompensiert werden kann. Selbstverständlich müssen alle Bevölkerungsgruppen zur Konsolidierung des Haushaltes herangezogen werden. Im Vergleich zu anderen Berufsgruppen trifft es die Bergleute mit rund 1 000 Euro netto jährlich in besonderer Härte. Vor dem Hintergrund des bescheidenen Einsparpoten- zials im Bundeshaushalt von rund 23 Millionen Euro missbilligen wir die Weigerung der CDU/CSU-Fraktion, auf dem Verhandlungsweg eine stärker an den Interessen der Bergleute orientierte Kompromisslösung zu erzielen. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus Hofbauer und Bartho- lomäus Kalb (beide CDU/CSU) zur namentli- chen Abstimmung über den Entwurf eines Steu- eränderungsgesetzes 2007 (Tagesordnungspunkt 3 a) Mit dem Steueränderungsgesetz 2007 werden insbe- sondere im Koalitionsvertrag vorgesehene Maßnahmen umgesetzt. Geplant ist unter anderem die Beschränkung der Entfernungspauschale auf Fernpendler, Ausschluss von 20 Entfernungskilometern. Auch der Bundesrat hat um verfassungsrechtliche Überprüfung gebeten. Die Äu- ßerung des Bundesfinanzministers zu diesem Sachver- halt überzeugt nicht. Man stellt Folgendes fest: Vor dem Hintergrund, dass von Beschäftigten heute eine erhöhte Mobilität und Flexibilität gefordert wird, hält die Bundesregierung zur Wahrung der so- zialen Ausgewogenheit der Regelung und im Hin- blick auf Artikel 6 Abs. l des Grundgesetzes die vorgeschlagene Härtefallregelung für sachgerecht und im Hinblick auf das Verhältnismäßigkeitsprin- zip für verfassungsrechtlich möglich. Die Feststellung, dass es „verfassungsrechtlich mög- lich“ ist, ist sehr vage. Deshalb ist zu befürchten, dass die Entscheidung des Parlaments einer verfassungsrecht- lichen Prüfung nicht standhält. Im Übrigen betrifft diese Entscheidung vor allem den ländlichen Raum. Da ausreichende ÖPNV-Angebote kaum vorhanden sind, werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hier besonders benachteiligt, obwohl auch die Politik eine immer größere Flexibilität von ihnen for- dert. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lothar Binding (Heidel- berg), Dr. Frank Schmidt und Gunter Weißger- ber (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Steueränderungsgeset- zes 2007 (Tagesordnungspunkt 3 a) Nach bisherigem Recht können für Fahrten zum Arbeitsplatz für jeden Entfernungskilometer 30 Cent als Werbungskosten von der Steuer abgesetzt werden, die so genannte Pendlerpauschale. Mit Wirkung zum 1. Januar 2007 soll das so genannte Werkstorprinzip eingeführt werden. Aufwendungen für den Weg zum Arbeitsplatz gehören dann zum Privatbereich und können nicht mehr steuerlich geltend gemacht werden. Lediglich als „Här- tefallausgleich“ sollen ab 1. Januar 2007 für Fernpendler die Fahrtkosten ab dem 21. Entfernungskilometer mit 30 Cent pro Kilometer von der Steuer als Werbungskos- ten anerkannt werden. Die Entfernungspauschale wird dabei mit der Werbungskostenpauschale von 920 Euro verrechnet. Durch diese Maßnahme werden Mehrein- nahmen von etwa 2,5 Milliarden Euro pro Jahr erwartet. In unserem Kulturkreis, anders als zum Beispiel in den USA, wohnt man zu Hause und fährt zum Zwecke der Einkommenserzielung an den Arbeitsplatz. Einem ähnlichen Denkansatz folgen auch die Regelungen bei der Wegeunfallversicherung. Die formalrechtliche Mög- lichkeit, hier zwischen Steuerecht und Versicherungs- recht zu unterscheiden, hebt den durch die Beschlussfas- sung erzeugten Widerspruch nicht auf. Gegen diese Veränderungen beim Werbungskostenabzug haben wir erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, denn mit der Unstetigkeitsstelle hinsichtlich der Behandlung der Pendlerpauschale bis 20 Kilometer und darüber besteht die Gefahr der Verfassungswidrigkeit. Hintergrund dieser vermuteten Verfassungswidrig- keit ist die Tatsache, dass es sich bei den Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz um klassi- sche Werbungskosten handelt. Da derartige Aufwendun- gen dem Steuerpflichtigen zum Lebensunterhalt nicht zur Verfügung stehen, müssen sie steuerlich als Wer- bungskosten berücksichtigt werden. Durch diese Neure- gelung werden wie bisher pauschal auch jene Arbeitneh- mer begünstigt, die keine Kosten haben. Belastet werden hingegen jene, die „echte“ Kosten, Fahrtkosten haben. Zur Vermeidung dieses Verfassungsrisikos haben wir vorgeschlagen, die Arbeitnehmerpauschale auf 500 Euro zu senken, sie gleichzeitig nicht auf die Entfernungspau- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4149 (A) (C) (B) (D) schale anzurechnen und die Entfernungspauschale auf 20 Cent pro Kilometer für die ersten 20 Kilometer und auf 25 Cent pro Kilometer für die weiteren Kilometer festzulegen. Damit wären die fiskalpolitisch notwendi- gen 2,5 Milliarden Euro pro Jahr ebenso erreichbar, die Belastungswirkung für alle Arbeitnehmer wäre aber ge- rechter. Wir stimmen dem Gesetzentwurf in der geänderten Fassung trotzdem zu, weil das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile und der Entwurf des Steuerände- rungsgesetzes ein Maßnahmenpaket ist, das unabdingbar zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes notwendig ist. Und Haushaltskonsolidierung ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg den Sozialstaat zukunftsfest zu gestalten. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gerd Bollmann, Dieter Gra- sedieck, Christoph Pries und Axel Schäfer (Bo- chum) (alle SPD) zur namentlichen Abstim- mung über den Entwurf eines Steueränderungsgesetzes 2007 (Tagesordnungs- punkt 3 a) Das vorliegende Steueränderungsgesetz dient der zü- gigen und dauerhaften Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Der Entwurf sieht Regelungen vor, die einer- seits auf eine dauerhafte Sanierung der öffentlichen Haushalte zielen, andererseits aber den Grundsätzen der individuellen Leistungsfähigkeit und der Verteilungsge- rechtigkeit sowie der Steuervereinfachung dienen. Diese Ziele unterstützen auch die Unterzeichner. Mit unserer grundsätzlichen Zustimmung erkennen wir an, dass die- ser Gesetzentwurf grundsätzlich die angestrebten Ziele erreicht. Wir müssen jedoch verdeutlichen, dass wir die Ab- schaffung der Bergmannsprämie und deren Begründung ablehnen. Die Abschaffung der Bergmannsprämie be- deutet für die unter Tage Beschäftigten eine Lohnein- buße bis zu 1 000 Euro jährlich. Angesichts der Lohn- entwicklung gerade im Bergbau sind wir der Meinung, dass diese Einbußen sozial ungerecht sind. Die unter Tage Beschäftigten haben in den letzten Jahren auf Lohnzuwächse verzichtet und auch im Vergleich mit an- deren Berufsgruppen stärkere Einkommensverluste ak- zeptiert. Der Wegfall der Bergmannsprämie bedeutet eine überproportionale finanzielle Belastung für eine Be- rufsgruppe. Das Ziel der Verteilungsgerechtigkeit wird hier verletzt. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Michael Roth (Heringen), Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Joachim Poß, Ernst Kranz, Waltraud Lehn und Johannes Pflug (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Steueränderungsgeset- zes 2007 (Tagesordnungspunkt 3 a) Das Steueränderungsgesetz 2007 ist ein wichtiger Baustein zur notwendigen Konsolidierung des Haushal- tes und damit auch zur Wiedererlangung staatlicher Ge- staltungsspielräume. Beispielsweise werden durch die 3-prozentige Erhöhung des Spitzensteuersatzes für jähr- liche Einkommen ab 250 000/500 000 Euro, ledig/ver- heiratet, Spitzenverdiener zu einem solidarischen Kon- solidierungsbeitrag verpflichtet. Neben einer Reihe von weiteren notwendigen Maßnahmen sieht das Gesetz eine schrittweise Streichung der Bergmannsprämie vor. Wir lehnen dies ab. Die 1956 zur Anerkennung der besonde- ren Leistungen des unter Tage tätigen Bergmanns ge- schaffene Prämie hat auch heute ihre Berechtigung nicht verloren. Die Arbeit der Bergleute hat sich zwar verän- dert, findet aber nach wie vor unter erschwerten Bedin- gungen statt. Im Übrigen haben die Betroffenen in den vergangenen Jahren durch massiven Arbeitsplatzabbau, Umstrukturierungen und Rationalisierungsmaßnahmen teilweise schmerzliche Einkommenseinbußen erlitten. Ebenso sind viele Bergleute als Fernpendler von der Kürzung der Entfernungspauschale betroffen. Die betroffenen Standorte des Steinkohle- und Kali- bergbaus liegen ausnahmslos in strukturschwächeren Regionen. Ihnen droht ein weiterer massiver Kaufkraftver- lust, der mittelfristig durch entsprechende Tarifsteigerun- gen nicht kompensiert werden kann. Selbstverständlich müssen alle Bevölkerungsgruppen zur Konsolidierung des Haushaltes herangezogen werden. Im Vergleich zu anderen Berufsgruppen trifft es die Bergleute mit rund 1 000 Euro netto jährlich in besonderer Härte. Vor dem Hintergrund des bescheidenen Einsparpoten- zials im Bundeshaushalt von rund 23 Millionen Euro missbilligen wir die Weigerung der CDU/CSU-Fraktion, auf dem Verhandlungsweg eine stärker an den Interessen der Bergleute orientierte Kompromisslösung zu erzielen. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Florian Pronold, Marco Bülow, Ulla Burchardt, Martin Burkert, Dr. Carl-Christian Dressel, Petra Ernstberger, Gabriele Fograscher, Peter Friedrich, Angelika Graf (Rosenheim), Gabriele Groneberg, Bettina Hagedorn, Reinhold Hemker, Frank Hofmann (Volkach), Lothar Ibrügger, Brunhilde Irber, Christian Kleiminger, Rolf Kramer, Anette Kramme, Jürgen Kucharczyk, Dirk Man- zewski, Lothar Mark, Detlef Müller (Chem- nitz), Heinz Paula, Maik Reichel, Gerold Rei- chenbach, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Renate Schmidt (Nürnberg), Heinz Schmitt (Landau), Ewald Schurer, Dr. Angelica Schwall-Düren, Christoph Strässer, Jella Teuchner, Rüdiger Veit und Dr. Wolfgang Wodarg (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Steueränderungsgesetzes 2007 (Tagesord- nungspunkt 3 a) Das Steueränderungsgesetz 2007 verfolgt das Ziel, weitere Steuervergünstigungen und Ausnahmetatbe- 4150 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) stände abzubauen, den Finanzierungsbeitrag von Spitzen- verdienern zumindest in geringem Umfang zu erhöhen und damit die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren. Diese Zielsetzung halten wir für richtig. Deshalb stim- men wir dem vorliegenden Gesetzentwurf der Regie- rungskoalition zu. Wir halten jedoch die Kürzung der Entfernungspau- schale für falsch. Die Aufwendungen für Fahrten zwi- schen Wohnung und Arbeitsplatz sind eindeutig berufs- bedingte Kosten und müssen damit auch steuerlich als Werbungskosten anerkannt werden. Die dabei vorge- nommene Pauschalierung darf nicht willkürlich vorge- nommen werden, sondern muss zumindest annähernd den realen Kosten entsprechen. Angesichts der steigen- den Mobilitätserwartungen an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der in ländlichen Regionen unvermeidbar weiteren Arbeitswege und der steigenden Kosten für den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsplatz ist eine Kür- zung nicht angemessen. Das nun zur Entscheidung stehende Modell, das die Wegekosten erst ab dem 21. Kilometer berücksichtigt, ist nicht sachgerecht. Es führt zu einer ungerechten Ver- teilung der zusätzlichen Belastungen und ist verfas- sungsrechtlich höchst bedenklich. Im Lichte der Ergeb- nisse der Expertenanhörung haben wir deshalb versucht, diesen Punkt zu korrigieren und das vorgegebene Kon- solidierungsvolumen durch eine geringere lineare Kür- zung der Pendlerpauschale sowie eine Absenkung des Arbeitnehmerpauschbetrags zu erreichen. Diese Lösung hätte zumindest die Belastungen gerechter verteilt, ver- fassungsrechtliche Bedenken ausgeräumt und die tat- sächliche Subventionierung durch die Arbeitnehmerpau- schale reduziert. Obwohl Teile der Union außerhalb des Parlaments vorgegeben haben, für eine sachgerechte Lö- sung offen zu sein, hat die CDU/CSU-Fraktion sich ei- ner Verbesserung des Regierungsentwurfs verweigert. Wir gehen auf Basis der juristischen Stellungnahme des Bundesfinanzministeriums davon aus, dass die He- rausnahme der Pendlerpauschale aus den Werbungskos- ten keine negativen Auswirkungen für die Arbeitnehme- rinnen und Arbeitnehmer im Sozial- und Arbeitsrecht haben wird. Anlage 8 Erkärung nach § 31 GO der Abgeordneten Renate Blank (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Fünften Bu- ches Sozialgesetzbuch (Tagesordnungspunkt 4 b) In der Ergebnisliste ist mein Name nicht aufgeführt. Mein Votum lautet „Nein“. Anlage 9 Erklärung des Abgeordneten Jürgen Koppelin (FDP) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung: Sammelübersichten 79 zu Petitionen (Zusatzta- gesordnungspunkt 4 k) Namens der Fraktion der FDP erkläre ich, dass das Votum „Ablehnung“ lautet. Anlage 10 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäi- scher Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung Klaus Brähmig (CDU/CSU): Aufgrund der Nach- verhandlungen zwischen den Koalitionsfraktionen und den daraus resultierenden Verbesserungen des AGG werde ich im Sinne der Fraktion heute zustimmen. Den- noch bleiben mir erhebliche Bedenken zum Gesetz über- haupt. Nach meiner Überzeugung ist dieses Gesetz über- flüssig und alle EU-Vorgaben sind bereits ausreichend in deutschen Gesetzen verankert, so zum Beispiel in Art. 1 des Grundgesetzes. Auch passt dieses Gesetz nicht in die Landschaft der beabsichtigten Entbürokratisierung. Daher fordere ich die Bundesregierung auf, solche und ähnliche Vorhaben aus Brüssel bereits im Vorfeld bei deren Entstehung zu verhindern und die deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2007 dazu zu nutzen, den Kampf gegen die Bürokratie zu forcieren. Veronika Bellmann (CDU/CSU): Ich kann dem Ge- setzentwurf der Bundesregierung aus folgenden Grün- den nicht zustimmen: Erstens. Zwar sind die Änderun- gen am ursprünglichen Entwurf zu begrüßen, sie reichen aber nicht aus. So gilt das Allgemeine Gleichbehand- lungsgesetz, AGG, nicht, wenn in Betrieben weniger als fünf Arbeitnehmer beschäftigt sind. Dies mag Hand- werksbetriebe entlasten, das Gros der kleinen und mittel- ständischen Unternehmen, die in der Regel mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigen, profitiert von dieser Entlas- tung nicht. Gleiches gilt für die Entlastung hinsichtlich Vermietungen. Dort gilt das AGG erst dann, wenn ein Vermieter mehr als 50 Wohnungen vermietet. Die Masse der Wohnungsbaugesellschaften insbesondere in Ost- deutschland vermietet mehr als 50 Wohnungen. Zweitens. Es bleibt das ungerechtfertigte Aufstocken auf die durch die ehemalige rot-grüne Bundesregierung maßgeblich beeinflusste Richtlinie der EU um vier bzw. fünf Diskriminierungsmerkmale. Mit dieser Erweiterung ist eine Ideologisierung des Zivilrechts durch eine Expansion von Schadenersatzansprüchen im Sinne des Übergangs von materiellen auf immaterielle Schäden zu befürchten. Drittens. Das Vertragsrecht im Sinne von Vertrags- freiheit wird in unangemessener Art und Weise beein- trächtigt. Viertens. Die Schaffung der Antidiskriminierungsbe- hörde mit einer lediglich vertraglichen Bindung an das Familienministerium, das heißt ohne jegliche Fach- oder Rechtsaufsicht, wird früher oder später zu einer Ver- selbstständigung dieser Behörde hin zu einer Art morali- scher Instanz führen. Abgesehen davon werden die er- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4151 (A) (C) (B) (D) weiterten Aufgabenbereiche zu weiterer Bürokratie auch bei den Behörden führen. Fünftens. Die Beweislast bleibt trotz des Versuches der redaktionellen Klärung in der Begrifflichkeit unklar. Insgesamt ist damit zu rechnen, dass das AGG den Grundstein für eine Prozessflut legen könnte, betriebli- che und privatrechtliche Abläufe erheblich stört oder zu- mindest zeitlich verzögert sowie mit entsprechenden Kosten und zusätzlichem Verwaltungsaufwand belastet. Dies alles widerspricht der Grundaussage der Union, insbesondere zum Thema Bürokratieabbau, sowie mei- ner in meinem Wahlkreis allgemein bekannten eigenen Grundüberzeugung, dass die Gleichheit vor dem Gesetz bzw. die Diskriminierungsverbote sowohl im Grundge- setz, Art. 3, den Verfassungen der Bundesländer und in entsprechenden Ausführungsgesetzen hinreichend gere- gelt sind. Deshalb kann ich dem Gesetz nicht zustim- men. Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Ich stimme die- sem Gesetzentwurf in der Fassung des Beschlusses des Rechtsausschusses, Drucksache 16/2022, zu. Zwar setzt die in der jetzt zur Abstimmung vorliegenden Fassung, insbesondere durch § 2 Abs. 4 – Herausnahme des Kün- digungsschutzes –, die verbindlich umzusetzenden vier EU-Richtlinien nicht oder nicht voll um. Da deren Inhalt zusammen mit dem EG-rechtlichen allgemeinen Diskri- minierungsverbot jedoch auch in Deutschland unmittel- bar geltendes Recht ist, haben die deutschen Gerichte, insbesondere die Arbeitsgerichte, entsprechend zu ver- fahren, also das deutsche Recht richtlinienkonform aus- zulegen bzw. außer Anwendung zu lassen. Henry Nitzsche (CDU/CSU): Mein Abstimmverhal- ten begründe ich wie folgt: Das Allgemeine Gleichbe- handlungsgesetz verletzt bisherige Rechtstraditionen, schafft zusätzliche Rechtsunsicherheit, greift in zentrale Freiheitsrechte ein und produziert ausufernde Bürokra- tie. Deswegen stimme ich in namentlicher Abstimmung gegen den Gesetzentwurf. Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Trotz erkennba- rer positiver Nachbesserungen bei dem von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, AGG, Drucksa- che 16/1780, sehe ich nach wie vor zu große Eingriffe in die Vertragsfreiheit, sodass ich diesem Gesetzent- wurf nicht zustimmen kann. Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): Ich stimme dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zu, da die Not- wendigkeit besteht, die zugrunde liegende EU-Richtlinie umgehend in nationales Recht umzusetzen, da eine zu- sätzliche Belastung des Haushalts vermieden werden muss. Trotzdem bleiben Bedenken gegen den vorliegen- den Entwurf. Das Gesetz enthält unnötige bürokratische und detaillierte Regelungen, die das Ziel des Bürokratie- abbaus konterkarieren. Zwar sind die Änderungen am ursprünglichen Entwurf zu begrüßen, sie reichen aber nicht aus. So werden durch die nicht ausreichende Rechtssicherheit Gerichte, öffentlicher Dienst und Be- triebe belastet. Diese Belastungen sind nicht vorherseh- bar und stellen deswegen ein Risiko für Betriebe dar. Diese müssen ihre Geschäftsplanungen verändern und geplante Investitionen können unter Umständen nicht durchgeführt werden. Es entstehen höhere Kosten für Betriebe, unabhängig ob sie einen Diskriminierungstat- bestand erfüllt haben oder nicht. Zudem habe ich Bedenken gegen die Ausweitung der EU-Richtlinie um weitere vier bzw. fünf Diskriminie- rungsmerkmale. Mit dieser Erweiterung werden die Pri- vatautonomie und die Vertragsfreiheit eingeschränkt. Es muss Arbeitgebern möglich sein, bei der Einstellung nicht nur objektive Kriterien wie die berufliche Qualifi- kation, sondern auch subjektive Kriterien wie Vertrau- enswürdigkeit, Sympathie und Kommunikationsverhal- ten auf Basis von Erfahrung und Menschenkenntnis für eine Einstellung bzw. Nichteinstellung anwenden zu dürfen. Die Beweislast bleibt unklar. Für Arbeitgeber, für die es eine riskante Investition darstellt, einen neuen Mitar- beiter einzustellen, setzt dieses Gesetz einen Anreiz, keine neuen Stellen auszuschreiben und Arbeitsplätze zu schaffen. Durch die zu erwartenden Prozesse wird in den Be- trieben, in den Gerichten und im öffentlichen Dienst Per- sonal gebunden, das seine eigentlichen Aufgaben dann nicht mehr im gleichen Maße ausführen kann. Dies hat zur Folge, dass Personal- und Geschäftsplanungen obso- let werden können. Die betrieblichen Prozesse können nicht in gleichem Maße fortgeführt werden, was die be- trieblichen Abläufe empfindlich stören kann. Dies alles sind meines Erachtens schwerwiegende Nachteile des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grund- satzes der Gleichbehandlung, die ich nur vor dem Hin- tergrund der staatlichen Verpflichtungen im Rahmen der EU zu tragen bereit bin. Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD): Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung stellt einen wichti- gen Schritt zur Verwirklichung der Rechte behinderter Menschen dar. Er ist aber noch nicht weitreichend ge- nug. Ich werde diesem Gesetzentwurf trotz der hier for- mulierten Bedenken im Interesse behinderter Menschen und ihrer Angehörigen zustimmen. Denn der Entwurf bleibt leider in einigen Punkten hinter den Bedürfnissen behinderter Menschen zurück. Immer noch wird das Recht zur freien Diskriminierung über das Recht zur Freiheit von Diskriminierung gestellt. Diskriminierung ist kein Kavaliersdelikt, vergleichbar mit Falschparken. Wer diskriminiert, verweigert dem Opfer grundlegende Menschenrechte. Deshalb hätte ich zum Beispiel einem ausdrücklichen Kontrahierungs- zwang bei Versicherungsunternehmen positiv gegen- übergestanden, obwohl ich der Ansicht bin, dass dieser implizit im Gesetzentwurf enthalten ist. 4152 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Der Entwurf des Allgemeinen Gleichbehandlungsge- setzes, AGG, ist erneut geändert worden. Wer diskrimi- niert wird, muss jetzt innerhalb von zwei Monaten schriftlich Ansprüche erheben, §§ 15 IV, 21 V l AGG. Ursprünglich waren sechs Monate vorgesehen. Im Ent- wurf vom Mai war die Frist auf drei Monate halbiert worden. Diese Änderung ist europarechtlich bedenklich, da sie die bisherige Regelung bei Diskriminierung we- gen des Geschlechts, § 611 a Abs. 4 BGB, verschlech- tert. Dies verstößt gegen das EU-Verbot, den bisherigen Schutz vor Behinderung durch die Neuregelung abzu- senken. Zudem verstößt es gegen die Forderung der EU Richtlinien, nach einem effektiven Schutz vor Diskrimi- nierung. Wahrscheinlich wird diese Regelung vom Euro- päischen Gerichtshof aufgehoben. Die Beweislast ist ebenfalls geändert worden. Der Diskriminierte muss Indizien beweisen, die eine Be- nachteiligung wegen eines Diskriminierungsgrundes vermuten lassen, § 22 AGG. Ursprünglich musste der Diskriminierte Tatsachen glaubhaft machen, die eine Be- nachteiligung wegen eines Diskriminierungsgrundes vermuten lassen. Allerdings stellt die Begründung des Entwurfs fest, diese Neuformulierung solle nur klarstel- len, dass eine eidesstattliche Versicherung des Diskrimi- nierten allein nicht ausreicht, um eine Benachteiligung glaubhaft zu machen. Im Arbeitsrecht sollen bei Kündigungen ausschließ- lich die Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes gel- ten, § 2 Abs. 4 AGG. Bislang sollten diese „vorrangig“ gelten. Allerdings können durch die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes nicht die zwingenden EU Vorgaben zum Diskriminierungsschutz ausgehebelt wer- den. Damit ändert diese Änderung an der Rechtslage nichts. Gewerkschaften und Betriebsräte dürfen weiter- hin Arbeitgeber verklagen, die grob gegen die Vorschrif- ten des AGG verstoßen, § 17 AGG. Diese Regelung ist bei der CDU/CSU besonders umstritten. Daher wurde das Klagerecht jetzt ausdrücklich auf grobe Verstöße be- schränkt. Ein Diskriminierungsverbot gilt bei Wohnungsver- mietung nur für Vermieter, die mehr als 50 Wohnungen vermieten, § 19 V AGG. Durch diese Regelung bleibt der größte Teil des Wohnungsmarktes offen für Diskri- minierung. Auch größere Wohnungsgesellschaften kön- nen sich durch passende Gesellschaftskonstrukte auf diese Ausnahmeregel berufen. Allerdings ändert diese Regelung wenig, da bereits nach dem bisherigen Ent- wurf nur bei „Massengeschäften“ Diskriminierung ver- boten ist. Ebenso ist der § 20 des Gesetzentwurfes meiner An- sicht nach änderungsbedürftig. Die bisherige Formulie- rung in § 20 Abs. l Satz l, „der Vermeidung von Gefah- ren, der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art dient ist viel zu unkonkret gefasst und öffnet weiteren Diskriminierungen Tür und Tor. Besser wäre gewesen: Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die unterschiedliche Behandlung notwendig ist, um eine erhebliche Gefährdung der Gesundheit oder des Lebens der Person oder Dritter zu vermeiden, gesetzli- che Unfallverhütungsvorschriften es erfordern oder nur so voraussichtliche Schäden vermieden werden können. Zudem schlage ich die Einfügung des folgenden Sat- zes in § 20 vor: Derjenige, der sich auf einen sachlichen Grund für eine unterschiedliche Behandlung beruft, hat die Nachweise hierfür auf Verlangen vorzulegen oder auf andere Weise glaubhaft zu machen. Aber dieser Gesetzesentwurf ist die Umsetzung meh- rerer EU-Richtlinien. Schließlich dient das AGG dem wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland. Gerade Länder, in denen seit Jahrzehnten Diskriminierungsver- bote bestehen, wie die USA und Großbritannien, sind wirtschaftlich wesentlich dynamischer als Deutschland. Die Vorteile werden besonders im Arbeitsleben deutlich: Weniger Diskriminierung heißt mehr sachliche Entschei- dung. Je sachlicher die Entscheidung, desto effizienter die Auswahl. Diskriminierungsfreie Auswahl heißt da- mit: Der Beste erhält die Stelle. Damit ist Diskriminie- rungsfreiheit wirtschaftlich effizienter. Zudem können wir es uns vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung nicht länger leisten, be- stimmte Gruppen weitgehend von Arbeit und berufli- chen Aufstieg auszuschließen. Derzeit sind zum Beispiel Ältere, Behinderte und Frauen im Arbeitsleben erheblich benachteiligt. Diesen Luxus, nur die Fähigkeiten deut- scher, nicht behinderter Männer bis 40 Jahre effizient zu nutzen, können wir uns heute nicht mehr leisten. Gerade die deutsche Wirtschaft müsste ein vitales Interesse da- ran haben, die vorhandenen Arbeitnehmer möglichst effizient und nicht möglichst vorurteilskonform einzu- setzen. Jede Untersuchung hat bestätigt: Antidiskrimi- nierung erhöht den wirtschaftlichen Erfolg eines Unter- nehmers. Beim Entwurf des AGG gibt es leider noch erhebliche Missverständnisse. Immer wieder wird behauptet, an- gebliche Diskriminierer müssten ihre „Unschuld“ bewei- sen. Tatsächlich muss das Opfer glaubhaft machen, dis- kriminiert zu werden. Dafür muss es Indizien vortragen, wie zum Beispiel diskriminierende Ausschreibungen, Statistiken, diskriminierende Äußerungen und Fragen. Ausreichend ist auch die Glaubhaftmachung einer dis- kriminierenden Grundeinstellung. Diese liegt vor, wenn der Täter durch sein allgemeines Verhalten klar macht, dass er bestimmte Gruppen ablehnt, zum Beispiel frau- enfeindliche Werbung oder behindertendiskriminie- rende Ausschreibungen für andere Stellen. Verfügt allein eine Seite über die erforderlichen Informationen, muss sie diese nach den Grundsätzen der angestellten Darle- gung – und Beweislast einbringen. Nur wenn auf diese Weise eine Diskriminierung glaubhaft gemacht ist, trägt der angebliche Diskriminierer die Beweislast. Diese Re- gelung entspricht in Wortlaut und Auslegung den zwin- genden Vorgaben der EU Richtlinien. Auch bei der Höhe des Schadens bestehen Missver- ständnisse. Es geht nicht darum, in Deutschland Scha- denersatzforderungen zu ermöglichen, wie sie in den USA üblich sind. Dort haben Großkonzerne mehrere Hundert Millionen Dollar wegen Diskriminierung zah- len müssen. Die EU verlangt zwar ein abschreckend ho- hes Schmerzensgeld, doch liegt dies nach allgemeiner Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4153 (A) (C) (B) (D) Ansicht in den europäischen Staaten im Arbeitsrecht bei einem Jahresgehalt, mindestens aber 30 000 Euro. Nur in schweren Fällen kann dieser Betrag überschritten wer- den. Im Zivilrecht liegt das Schmerzensgeld noch darun- ter. Das Schmerzensgeld beträgt das Doppelte des mate- riellen Schadenersatzes, wenigstens aber 10 000 Euro. Beim materiellen Schadensersatz bei Verlust des Ar- beitsplatzes hat sich in den EU-Staaten ebenfalls eine ge- genüber den USA zurückhaltendere Rechtsprechung he- rausgebildet. In Europa wird allgemein abgestellt, wie lange der Diskriminierte üblicherweise auf der Stelle verblieben wäre. So wurde dies zum Beispiel in der „Vento Entscheidung“ in England geregelt. Diese Grundsätze unterscheiden Europa deutlich von den USA und beschränken die Schadenersatzsummen. Sie orien- tieren sich an dem unteren Ende des durch die Richtli- nien vorgegebenen Abschreckungsgebotes bei der Scha- densersatzhöhe. Die Höhe des Schadenersatzes wird sich also an der europäischen Rechtsprechung orientieren. Abgesehen von der Höhe des Schadenersatzes sind die Rechtsprechung und Gesetzgebung der USA Vorbild der EU-Richtlinien und sind für die Auslegung des AGG heranzuziehen. Für eine erfreuliche Rechtssicherheit sorgt die Zertifizierung der Antidiskriminierungsvor- schriften durch den Europäischen Anti-Diskriminie- rungsrat, insbesondere im Arbeitsleben. Die Unterneh- men erhalten erhöhte Rechtssicherheit und die Effizienzvorteile eines diskriminierungsfreien Unterneh- mens. Gleichzeitig wird in Deutschland der Diskriminie- rungsschutz konsequent umgesetzt. Dies entspricht auch der allgemeinen Entwicklung auf EU-Ebene sowie den Vorstellungen der EU Kommission, Subventionen und öffentliche Aufträge nur an Unternehmen zu vergeben, die soziale Mindeststandards nachweisbar einhalten. Rolf Stöckel (SPD): Ich stimme dem Gesetzentwurf zu, weil ich die überfällige Umsetzung der europäischen Richtlinien zur „Antidiskriminierung“ in nationales Recht grundsätzlich begrüße und unterstützen will. Die im Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vorgenommene Streichung des Merkmals „Weltan- schauung“ im Bereich des zivilrechtlichen Diskriminie- rungsschutzes halte ich allerdings für verfassungswidrig. Ich kann nur zustimmen, weil ich überzeugt bin, dass diese Streichung keine Rechtswirksamkeit entfalten kann, weil sie nicht nur gegen das Ziel der Verwirkli- chung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, sondern auch gegen unveränderbare Verfassungsgrundsätze ver- stößt. Nach Art. 4 Abs. 1 des Grundgesetzes der Bundes- republik Deutschland sind „die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und welt- anschaulichen Bekenntnisses unverletzlich“. Da ich mich ausdrücklich zu einer nichtreligiösen Weltanschauung, nämlich dem weltlichen Humanismus, bekenne und Mitglied einer Weltanschauungsgemein- schaft bin, die als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt ist, lehne ich insbesondere die diskriminie- rende Begründung der Streichung durch den Rechtsaus- schuss des Deutschen Bundestages ab. Aus der Begrün- dung des Rechtsausschusses „Gleichwohl besteht die Gefahr, dass zum Beispiel Anhänger rechtsradikalen Ge- dankengutes aufgrund der Vorschrift versuchen, sich Zu- gang zu Geschäften zu verschaffen, die ihnen aus aner- kennenswerten Gründen verweigert wurden“ ließe sich meines Erachtesn fordern, das Merkmal „Religion“ sei zu streichen, weil zum Beispiel Terroristen und andere Straftäter ihre Taten religiös begründen. Anlage 11 Erklärungen nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Michael Fuchs, Michaela Noll, Michael Hennrich, Karl-Georg Wellmann, Kai Wegner, Joachim Hörster, Ernst Hinsken, Norbert Königshofen, Andreas G. Lämmel, Gerhard Wächter, Stefan Müller (Erlangen), Maria Michalk, Dr. Karl Lamers (Heidelberg), Bernward Müller (Gera), Volkmar Uwe Vogel, Dr. Rolf Koschorrek, Bernhard Schulte-Drüg- gelte, Andreas Schmidt (Mülheim), Gunther Krichbaum, Georg Fahrenschon, Hans Michel- bach, Georg Schirmbeck, Steffen Kampeter, Laurenz Meyer (Hamm), Anke Eymer (Lü- beck), Albert Rupprecht (Weiden), Karl-Theo- dor Freiherr zu Guttenberg, Dr. Joachim Pfeif- fer, Clemens Binninger, Daniela Raab, Dr. Günter Krings, Klaus-Peter Willsch, Carsten Müller (Braunschweig), Klaus-Peter Flosbach, Marco Wanderwitz, Kurt Segner, Markus Grü- bel, Jochen Borchert, Philipp Mißfelder, Sibylle Pfeiffer, Gitta Connemann, Jens Koeppen, Pa- tricia Lips, Stephan Mayer (Altötting), Susanne Jaffke, Andrea Astrid Voßhoff, Bernd Heyne- mann, Olav Gutting, Bernd Schmidbauer, Rita Pawelski, Franz Obermeier, Erika Steinbach, Monika Grütters, Andreas Jung (Konstanz), In- gbert Liebing, Marie-Luise Dött, Julia Klöck- ner, Ute Granold, Michael Brand, Dr. Heinz Riesenhuber, Katharina Landgraf, Dr. Georg Nüßlein, Thomas Strobl (Heilbronn), Renate Blank und Dr. Ole Schröder (alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäi- scher Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung (Tagesord- nungspunkt 5 a) Wir begrüßen alle geeigneten Initiativen gegen Dis- kriminierung aufgrund von Rasse, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion, Behinderung, Alter und sexueller Identität. Derartige Diskriminierungen haben in einer aufgeklärten und toleranten Gesellschaft keinen Platz. Dies ergibt sich aus dem christlichen Menschenbild, welches von der Unverletzbarkeit der Würde jedes Ein- zelnen ausgeht. Es ist daher selbstverständlich, dass sich eine Gesellschaft Regeln gibt, die deutlich machen, dass Diskriminierungen gegen die Würde eines jeden Men- schen verstoßen und geahndet werden müssen. Es ist be- dauerlich, dass die zugrunde liegenden EU-Richtlinien unnötige, zu detaillierte und bürokratische Regelungen enthalten. Gleichwohl ist die Umsetzung in deutsches Recht europarechtlich geboten. Jeder weitere Verzug 4154 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) hätte hohe Strafzahlungen für die Bundesrepublik Deutschland zur Folge gehabt. Der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag ist es gelungen, im Vorfeld und während der parlamentari- schen Beratungen deutliche Verbesserungen gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf zu erreichen. Dies ist ausdrücklich zu begrüßen. Damit konnte dem Ziel der Bundesregierung, auch für die innerstaatliche Umset- zung europäische Gesetzgebung auf das tatsächlich Not- wendige zu beschränken, ein bedeutendes Stück näher gekommen werden. Der vorliegende Gesetzentwurf greift dennoch unver- hältnismäßig in das hohe Gut der Vertragsautonomie von Bürgern und Unternehmen ein, die ein wichtiges Funda- ment einer freiheitlichen Rechts-, Wirtschafts- und Ge- sellschaftsordnung ist. Er ist mit Belastungen für das Wirtschafts- und Rechtsleben verbunden, die nicht zwin- gend durch die zugrunde liegenden europäischen Richt- linien vorgegeben wurden. Mit diesem Gesetz können trotz seiner richtigen Ziele und der erreichten Verbesse- rungen falsche Impulse in der Arbeitswelt gesetzt wer- den. Wir bedauern, dass die Fraktion der SPD nicht bereit war, sich während der parlamentarischen Beratungen ei- ner noch besseren Rechtssetzung zu öffnen. Umso wich- tiger bleibt es, mögliche negative Auswirkungen im Hin- blick auf bürokratische Belastungen, Rechtssicherheit und Privatautonomie sowie den Arbeitsmarkt nach In- Kraft-Treten dieses Gesetzes genau zu beobachten und erforderlichenfalls schnellstmöglich zu korrigieren. Nur unter Zurückstellung größter persönlicher Beden- ken stimmen wir deshalb heute diesem Gesetzentwurf zu. Anlage 12 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Be- steuerung von Energieerzeugnissen und zur Änderung des Stromsteueregesetzes (Tagesord- nungspunkt 8 a) Dr. Axel Berg (SPD): Ich habe dem Gesetz zur Neu- regelung der Besteuerung von Energieerzeugnissen und zur Änderung des Stromsteuergesetzes entgegen dem Votum meiner Fraktion meine Zustimmung verweigert und mit „Nein“ gestimmt. Mit diesem Gesetz wird der Reinbiokraftstoffmarkt für Biodiesel und Pflanzenöl von Grund auf gefährdet, spätestens wenn ab 2012 eine volle Besteuerung dieser Kraftstoffe analog zu den Diesel- kraftstoffen eintreten wird. Schon zuvor ist damit zu rechnen, dass diesbezügliche Investitionen dafür einge- stellt werden. Nur wenn die Rohölpreise für fossile Kraftstoffe bis dahin weiter stark ansteigen, kann diese Gefahr diesem Gesetz zufolge abgewendet werden. Damit wird eine Entwicklung politisch eingeleitet, in der die auf Pflanzenöl basierenden Biokraftstoffe über die geplante Beimischungspflicht dem Abnehmermono- pol der Mineralölkonzerne ausgeliefert werden. Diese Entwicklung halte ich für eine grundlegend falsche Wei- chenstellung. Sie führt dazu, dass die für Biokraftstoffe erforderliche ökologische Ausrichtung der Anbaukon- zepte wesentlich erschwert wird, die landwirtschaftli- chen Produzenten dieser Biokraftstoffe dem Preisdiktat der Mineralölkonzerne ausgesetzt werden und damit die neuen Chancen der Landwirtschaft – der Landwirt als Energiewirt – schwerwiegend beeinträchtigt werden, die Chancen des Aufbaus regionaler Biokraftstoffproduk- tionen durch mittelständische Betriebe und Stadtwerke und damit neue regionalwirtschaftliche Wachstums- und Beschäftigungsmöglichkeiten mit ihren binnenkonjunk- turellen Effekten unterminiert werden, zahlreiche Spedi- tionsunternehmen, die in jüngerer Zeit auf Biodiesel und Pflanzenöl umgestiegen sind, entweder gefährdet wer- den oder wieder jenseits unserer Grenzen tanken. Aus diesen Gründen muss auch damit gerechnet wer- den, dass nicht einmal die erwarteten zusätzlichen Steu- ereinnahmen tatsächlich eintreffen. Bei allen diesbezüg- lichen Berechnungen des BMF sind die Steuerrückflüsse aus dem durch die bisherigen Steuerbegünstigungen ent- standenen Wirtschaftssektor für Biodiesel und Pflanzen- öle nicht berücksichtigt worden. Hinzu kommt die Unverhältnismäßigkeit in der Besteuerung von Kraft- stoffen, die aufrechterhalten bleibt: Nicht nur bleibt das nicht mehr begründbare Steuerprivileg von Dieselkraft- stoffen gegenüber Benzin in Höhe von 18 Cent unange- tastet. Auch die Steuerprivilegierung von Erdgaskraft- stoffen bleibt bis 2018 und wird sogar auf Flüssiggas ausgeweitet. Es bleibt unerfindlich und ist nicht legiti- mierbar, dass ein neuer fossiler Kraftstoff politisch ge- genüber allen Biokraftstoffen privilegiert wird. Ich bin der Überzeugung, dass das vorliegende Gesetz keinen Bestand haben wird und noch vor Ende der Le- gislaturperiode ein weniger kurzsichtiges und wider- sprüchliches Gesetz erforderlich ist. Eine diesbezügliche Initiative kündige ich hiermit an. Gabriele Groneberg (SPD): Ich stimme dem vorlie- genden Gesetzentwurf in der heute zu verabschiedenden Fassung zu. Erhebliche Bedenken habe ich gegen den Teil des Gesetzes, der die Besteuerung von Reinbiokraft- stoffen regelt. Den nach langen Verhandlungen gefundenen Kom- promiss kritisiere ich insofern, weil davon auszugehen ist, dass die generelle Strategie der vollen Besteuerung dieser Kraftstoffe den Reinbiokraftstoffmarkt gefährden wird. Gleichzeitig werden die Investitionen in diesen Markt, welche vor allem von kleinen und mittelständi- schen Unternehmen aufgrund von steuerlichen Anreizen vorgenommen wurden, infrage gestellt. Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): Ich halte die im Gesetzentwurf enthaltene Regelung zur Besteue- rung von Biodiesel aus industriepolitischer Sicht für falsch. Das Ergebnis wird sein, dass die Produktion von Biodiesel in Deutschland keine Zukunftsperspektive hat. Die im Gesetz vorgesehen Vollbesteuerung ab 2012 hat Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4155 (A) (C) (B) (D) schon jetzt erhebliche negative Auswirkungen auf die Investitionstätigkeit in der Biodieselbranche. Investitio- nen etwa in Biodieselkraftanlagen amortisieren sich nach circa acht Jahren. Die Vollbesteuerung ab 2012 be- deutet, dass für in diesem Jahr gebaute Anlagen eine komplette Amortisierung nicht mehr möglich ist, was somit einer Fehlinvestition gleich käme. Neue Investitio- nen machen betriebswirtschaftlich keinen Sinn und es ist zu erwarten, dass sie schon dieses Jahr nicht mehr getä- tigt werden. Nach 2012 wird die Produktion von Biodie- sel sich in Deutschland nicht mehr rentieren. Dies wird eine Standortverlagerung der Produktion ins Ausland zur Folge haben. Zudem greift die nach wochenlanger Diskussion der Fachleute vom Bundesfinanzministerium erzwungene Lösung einer Vollbesteuerung industriepolitisch zu kurz und ist nicht konsistent durchdacht. Erst wird die Bio- branche mit Milliardenbeträgen gefördert, um ihr an- schließend mit der Vollbesteuerung jede Zukunftsper- spektive zu nehmen. Man hätte sich diese Steuerausfälle, für die nun der Bundesfinanzminister verantwortlich ist, gleich sparen können. Trotz meiner Einwände gegenüber der Besteuerung von Biodiesel stimme ich dem Gesamtpaket zu. Dr. Hermann Scheer (SPD): Ich stimme dem Ge- setz zur Neuregelung der Besteuerung von Energieer- zeugnissen und zur Änderung des Stromsteuergesetzes entgegen dem Votum meiner Fraktion nicht zu und werde mit Nein stimmen. Mit diesem Gesetz wird der Reinbiokraftstoffmarkt für Biodiesel und Pflanzenöl von Grund auf gefährdet, spätestens wenn ab 2012 eine volle Besteuerung dieser Kraftstoffe analog zu den Diesel- kraftstoffen eintreten wird. Schon zuvor ist damit zu rechnen, dass diesbezügliche Investitionen dafür einge- stellt werden. Nur wenn die Rohölpreise für fossile Kraftstoffe bis dahin weiter stark ansteigen, kann diese Gefahr diesem Gesetz zufolge abgewendet werden. Damit wird eine Entwicklung politisch eingeleitet, in der die auf Pflanzenöl basierenden Biokraftstoffe über die geplante Beimischungspflicht dem Abnehmermono- pol der Mineralölkonzerne ausgeliefert werden. Diese Entwicklung halte ich für eine grundlegend falsche Wei- chenstellung. Sie führt dazu, dass die für Biokraftstoffe erforderliche ökologische Ausrichtung der Anbaukon- zepte wesentlich erschwert wird, die landwirtschaftli- chen Produzenten dieser Biokraftstoffe dem Preisdiktat der Mineralölkonzerne ausgesetzt werden und damit die neuen Chancen der Landwirtschaft – der Landwirt als Energiewirt – schwerwiegend beeinträchtigt werden, die Chancen des Aufbaus regionaler Biokraftstoffproduktio- nen durch mittelständische Betriebe und Stadtwerke und damit neue regionalwirtschaftliche Wachstums- und Be- schäftigungsmöglichkeiten mit ihren binnenkonjunktu- rellen Effekten unterminiert werden, zahlreiche Spedi- tionsunternehmen, die in jüngerer Zeit auf Biodiesel und Pflanzenöl umgestiegen sind, entweder gefährdet wer- den oder wieder jenseits unserer Grenzen tanken. Aus diesen Gründen muss auch damit gerechnet wer- den, dass nicht einmal die erwarteten zusätzlichen Steu- ereinnahmen tatsächlich eintreffen. Bei allen diesbezüg- lichen Berechnungen des BMF sind die Steuerrückflüsse aus dem durch die bisherigen Steuerbegünstigungen ent- standenen Wirtschaftssektor für Biodiesel und Pflanzen- öle nicht berücksichtigt worden. Hinzu kommt die Unverhältnismäßigkeit in der Besteuerung von Kraft- stoffen, die aufrechterhalten bleibt: Nicht nur bleibt das nicht mehr begründbare Steuerprivileg von Dieselkraft- stoffen gegenüber Benzin in Höhe von 18 Cent unange- tastet. Auch die Steuerprivilegierung von Erdgaskraft- stoffen bleibt bis 2018 und wird sogar auf Flüssiggas ausgeweitet. Es bleibt unerfindlich und ist nicht legiti- mierbar, dass ein neuer fossiler Kraftstoff politisch ge- genüber allen Biokraftstoffen privilegiert wird. Ich bin der Überzeugung, dass das vorliegende Gesetz keinen Bestand haben wird und noch vor Ende der Le- gislaturperiode ein weniger kurzsichtiges und wider- sprüchliches Gesetz erforderlich ist. Eine diesbezügliche Initiative kündige ich hiermit an. Wolfgang Wodarg (SPD): Ich habe dem Gesetz zur Neuregelung der Besteuerung von Energieerzeugnissen und zur Änderung des Stromsteuergesetzes entgegen dem Votum meiner Fraktion meine Zustimmung verwei- gert und mit „Nein“ gestimmt. Mit diesem Gesetz wird der Reinbiokrafftstoffmarkt für Biodiesel und Pflanzöl von Grund auf gefährdet, spätestens wenn ab 2012 eine volle Besteuerung dieser Kraftstoffe analog zu den Die- selkraftstoffen eintreten wird. Schon zuvor ist damit zu rechnen, dass diesbezügliche Investitionen dafür einge- stellt werden. Nur wenn die Rapsölpreise für fossile Kraftstoffe bis dahin weiter stark ansteigen, kann diese Gefahr diesem Gesetz zufolge abgewendet werden. Damit wir eine Entwicklung politisch eingeleitet, in der die auf Pflanzöl basierenden Biokraftstoffe über die geplante Beimischungspflicht dem Abnehmermonopol der Mineralölkonzerne ausgeliefert werden. Diese Ent- wicklung halte ich für eine grundlegend falsche Wei- chenstellung. Sie führt dazu, dass die für Biokraftstoffe erforderliche ökologische Ausrichtung der Anbaukon- zepte wesentlich erschwert wird, die landwirtschaftli- chen Produzenten dieser Biokraftstoffe dem Preisdiktat der Mineralölkonzerne ausgesetzt werden und damit die neuen Chancen der Landwirtschaft – der Landwirt als Energiewirt – schwerwiegend beeinträchtigt werden; die Chancen des Aufbaus regionaler Biokraftstoffproduktio- nen durch mittelständische Betriebe und Stadtwerke, und damit neue regionalwirtschaftliche Wachstums- und Beschäftigungsmöglichkeiten mit ihren binnenkonjunk- turellen Effekten unterminiert werden, zahlreiche Spedi- tionsunternehmen, die in jüngerer Zeit auf Biodiesel und Pflanzöl umgestiegen sind, entweder gefährdet werden oder wieder jenseits unserer Grenzen tanken. Aus diesen Gründen muss auch damit gerechnet wer- den, dass nicht einmal die erwarteten zusätzlichen Steu- ereinnahmen tatsächlich eintreffen. Bei allen diesbezüg- lichen Berechnungen des BMF sind die Steuerrückflüsse aus dem durch die bisherigen Steuerbegünstigungen ent- standenen Wirtschaftssektor für Biodiesel und Pflanzen- öle nicht berücksichtigt worden. Hinzu kommt die 4156 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Unverhältnismäßigkeit in der Besteuerung von Kraft- stoffen, die aufrechterhalten bleibt: Nicht nur besteht das nicht mehr begründbare Steuerprivileg von Dieselkraft- stoffen gegenüber Benzin in Höhe von 18 Cent unange- tastet fort. Auch die Steuerprivilegierung von Erdgas- kraftstoffen bleibt bis 2018 und wird sogar auf Flüssiggas ausgeweitet. Es bleibt unerfindlich und es ist nicht legitimierbar, dass ein neuer fossiler Kraftstoff po- litisch gegenüber allen Biokraftstoffen privilegiert wird. Anlage 13 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: In- nere Sicherheit durch Regelungen zum Arbeits- kampfrecht gewährleisten (Tagesordnungs- punkt 9 b) Namens der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erkläre ich, dass das Votum „Ja“ lautet. Anlage 14 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Wolfgang Wodarg zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu den Anträgen: – Presse- und Meinungsfreiheit in Kuba ein- fordern – Menschenrechte in Kuba einfordern und die kubanische Zivilgesellschaft fördern (Tagesordnungspunkt 36) In Kuba und anderen Ländern des karibischen Rau- mes werden Menschenrechte verletzt; auf der Insel Kuba am heftigsten derzeit in Guantanamo. Ich halte es für richtig, diese alle anzuprangern und für die Durchset- zung der Menschenrechte zu kämpfen – wie überall in der Welt. Die Entschließung heute halte ich für politische Selbstbefriedigung! Sie ist angesichts politischer Alter- nativen möglicherweise kontraproduktiv. Ich werde mich deshalb der Stimme enthalten. Anlage 15 Zu Protokolle gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtli- nie (Tagesordnungspunkt 12) Nina Hauer (SPD): Die SPD-Fraktion hat sich bei der Umsetzung des Basel-II-Regelwerkes für die Inte- ressen des Mittelstandes eingesetzt. Zuletzt konnte noch eine weitere wichtige Änderung für mittelständische Kreditnehmer erreicht werden, indem die Kreditinstitute aufgefordert werden, Ratingentscheidungen gegenüber den Unternehmen offen zu legen. Jetzt steht fest: Basel II verbessert die Kreditversorgung des Mittelstandes. Der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht begann im Jahr 1999 mit der Überarbeitung des alten Regelwerkes Basel I, das einen pauschalen Anrechnungswert von 8 Prozent für Kreditrisiken in Eigenkapital vorsah. Als Folge dieser Regelung orientierten die Banken ihre Kre- ditkonditionen nicht an der Bonität des Kunden, sondern allein an der Kundengruppe, in die der Kunde eingeord- net wurde. Basel I führte zu der verheerenden Entwick- lung für Banken und Unternehmen, weil Unternehmen mit schlechter Bonität und daher höheren Kreditzinsen bevorzugt wurden. Das neue Basel II korrigiert die Defizite von Basel I, indem die Unterlegung von Krediten mit Eigenkapital an das Ausfallrisiko und damit an die Bonität des Kredit- nehmers gebunden wird. Diese neue Regelung wird sich positiv auf die Stabilität der Banken selbst und auf die des ganzen Finanzmarktes auswirken. Die neuen Regeln verpflichten die Banken dazu, Risiken bei der Kreditver- gabe stärker zu unterscheiden und zu bestimmen. Damit werden die Banken, besonders die kleinen Institute, von zu hohen Eigenkapitalanforderungen befreit. Wichtig ist aber, dass das Regelwerk nicht nur unse- rem Bankensystem gerecht wird, sondern auch die spe- zielle deutsche Situation der mittelständischen Wirt- schaft berücksichtigt. Unsere Wirtschaft ist in hohem Grade abhängig von Krediten und es muss vermieden werden, dass Unternehmen Schwierigkeiten haben, Ka- pital zu erhalten. Die Gefahr, dass Basel II zu einem Problem für die kleineren und mittelständischen Unternehmen bei der Kreditvergabe werden könnte, wurde von der alten Bun- desregierung und dem damaligen Verhandlungsführer Jochen Sanio frühzeitig erkannt und beseitigt. Die in den zwei Entschließungen des Bundestages geäußerten Bedenken und Wünsche konnten im internationalen Ba- seler Ausschuss erfolgreich durchgesetzt werden. Bei- spielsweise sieht Basel II vor, Kredite an kleine Unter- nehmen bis 1 Million Euro mit einem um 25 Prozent niedrigeren Risikogewicht zu belegen. Unter diese Be- günstigung fallen 90 Prozent aller Kredite an mittelstän- dische Unternehmen. Für den Mittelstand bedeuten diese Verhandlungserfolge bessere Kreditbedingungen als un- ter dem vorherigen Regelwerk Basel I. Das Verhandlungsergebnis des Baseler Ausschusses, Basel II, wurde zunächst in eine EU-Richtlinie gegossen. Diese wird nun in nationales Recht umgesetzt. Wichtig war für meine Fraktion bei dieser Umsetzung, dass die Banken zu einem verantwortungsvollen und transparen- ten Verhalten gegenüber ihren Kunden verpflichtet wer- den. Die Banken müssen die Bonität und die Risiken einer Kreditvergabe einschätzen und stehen hier vor gro- ßen Herausforderungen. Mehr als zuvor wird durch Basel II den Banken auch eine Beraterrolle gegenüber Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4157 (A) (C) (B) (D) mittelständischen Unternehmen zukommen, die ihre Kreditkonditionen verbessern möchten. Gerade kleine und mittlere Unternehmen ohne eigene Finanzabteilung oder Ressourcen für einen Unternehmensberater müssen von ihrer Bank Hilfestellungen bekommen, um ihre Bo- nität und ihr Ratingergebnis für Bankkredite zu verbes- sern. Die SPD-Fraktion hat sich daher dafür eingesetzt, dass der Deutsche Bundestag die Kreditwirtschaft auffordert, den Kreditnehmern die sie betreffenden Ratingergebnisse offen zu legen und die wesentlichen Parameter für ihr Zustandekommen zu erläutern. Die Kreditwirtschaft wird in der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses aufgefordert, eine Selbstverpflich- tung vorzulegen, die diese Transparenz sicherstellt. Es gibt also genügend gute Gründe, dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zuzustimmen. Die SPD-Fraktion wird dies tun. Abschließend möchte ich mich bei den Berichterstat- terkollegen der anderen Fraktionen und beim Bundes- ministerium der Finanzen für die konstruktive und gute Zusammenarbeit bedanken. Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Wir haben ja heute schon einige Stunden hier zusammen hinter uns; es ist jetzt eigentlich Zeit fürs Abendessen und ein kaltes Bier und etwas Fußball. Da lässt bei einigen die Konzentra- tion schon etwas nach. Deswegen will ich mit einem ganz einfachen Gedanken anfangen. Basel II soll die Finanzmärkte stabilisieren und Finanzcrashs verhindern. Und wenn wir Finanzcrashs verhindern wollen, müssen wir fragen: Was kann Finanzcrashs auslösen? Schauen wir in die Finanzpresse der letzten Wochen und Monate. Da wird durchaus über Finanzcrashs diskutiert. Da fin- den Sie Überschriften wie „Hedge-Fonds leiden unter Marktturbulenzen“ – „FTD“ vom 19. Juni –, „Bundes- bank geht Hedge-Fonds an – Warnung vor Risiken durch aggressive Investoren“ – „FTD“ vom 17. Mai –, „Noten- bank warnt vor Finanzcrash – EZB fürchtet Kollaps eines großen Hedge-Fonds“ – „FTD“ vom 18. Mai –, „Banken- verband warnt vor Hedge-Fonds“ – „FTD“ vom 13. Juni. Wenn sich die Finanzpresse da nicht gewaltig irrt, scheinen Hedgefonds – unregulierte, intransparente und hochriskante Hedgefonds – doch in einem gewissen Zu- sammenhang mit Finanzcrashs zu stehen. Und wenn dem so ist, muss man doch fragen: Wie geht Basel II das Problem Hedgefonds an? Und da muss ich sagen: mit Samthandschuhen. Wo ist ein Mindestkapitalzuschlag für Banken, die Kredite an hochriskante Hedgefonds vergeben, die mit hochriskanten Hedgefonds Geld ver- dienen? Und die oft gar nicht genau wissen – oder wis- sen wollen –, welche Risiken sie dabei eingehen? Selbst die Bundesbank schreibt doch mittlerweile, dass es ein Problem ist, dass Banken oft nicht genau wissen, welche Risiken sie bei ihren Geschäften mit Hedgefonds einge- hen. Basel II hätte grundsätzlich eine Möglichkeit geboten, dem Einhalt zu gebieten. Mit Basel II werden auch die Regeln geändert, nach denen ermittelt wird, wie viel Mindestkapital eine Bank vorzuhalten hat. Hier hätte eine indirekte Regulierung ansetzen können und für For- derungen von Banken gegenüber Hedgefonds einen deutlich erhöhten Mindestkapitalfaktor vorschreiben können. So würde dem besonderen Risikocharakter die- ser Forderungen Rechnung getragen und eine Krisen- übertragung von Hedgefonds auf das Bankensystem er- schwert. Zudem träte ein Lenkungseffekt zugunsten transpa- renter, weniger riskanter Anlagealternativen ein. Mit den Mindestkapitalanforderungen steigen die Kosten einer Bank, und die davon betroffenen Geschäfte werden für Banken und/oder Hedgefonds unattraktiver. Natürlich hätte man für eine wirksame internationale Kontrolle das alles in Basel vereinbaren müssen oder zu- mindest in Brüssel. Ich will mit alledem hauptsächlich auf eines hinweisen: Eine andere Politik ist grundsätz- lich möglich. Es ist möglich, internationale Finanz- märkte zu regulieren. Die Instrumente sind vorhanden, sie werden aber nicht genutzt. Und da müssen wir anset- zen. Wir müssen – zusammen mit Gewerkschaften, zu- sammen mit sozialen Bewegungen – den entsprechenden gesellschaftlichen Druck entwickeln. Wir müssen zei- gen: Eine andere Politik ist nicht nur möglich, wir wol- len eine andere Politik auch durchsetzen. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmt dem Ge- setzentwurf zur Umsetzung der Banken- und der Kapi- taladäquanzrichtlinie in deutsches Recht zu. Wir haben ja auch bereits in der letzten Legislaturperiode intensiv an seinem Entstehen mitgewirkt und die Verhandlungen auf internationaler und europäischer Ebene gemeinsam mit den anderen Fraktionen konstruktiv begleitet. Vor al- lem ging es uns Grünen darum, dass die neu gefasste Bankenrichtlinie kleinen und mittleren Unternehmen keine zusätzlichen Schwierigkeiten bei der Finanzierung aufbürdet. Das vorliegende Gesetz, eher bekannt unter dem Stichwort Basel II, weil es auf die Vereinbarung im Bas- ler Bankenausschuss zurückgeht, gibt Anreize zur Mo- dernisierung des Risikomanagements der Banken und sorgt dafür, dass die Eigenkapitalunterlegung sich künf- tig nach der Bonität des Kreditnehmers richtet. Notwen- dig sind dafür unter anderem Änderungen der internen Bankprozesse zu Forderungen, Sicherheiten und Ra- tings. Nicht alle Kreditinstitute haben diese Änderungen bereits vollständig vorgenommen. Da ist noch einiges zu tun. Ich möchte auf ein paar einzelne Aspekte dieser um- fangreichen neuen Regulierung eingehen. Erstens begrüßen wir ausdrücklich, dass die Bundes- regierung eine Reihe von Wahlrechten so genutzt hat, dass die Umsetzung der Bankenrichtlinie der deutschen Bankenstruktur angemessen ist. An erster Stelle ist hier das Thema Intragruppenforderungen zu nennen, also die Frage, wie Forderungen innerhalb der Haftungsverbünde von Sparkassen und Genossenschaftsbanken zu bewer- ten sind. Weil Sparkassen und Genossenschaftsbanken gerade bei der Kreditversorgung kleiner und mittlerer 4158 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Unternehmen eine besondere Rolle spielen, ist das für uns wirtschaftspolitisch von großer Bedeutung. Zweitens – das ist in der Anhörung deutlich gewor- den – muten wir den Marktteilnehmern mit diesem um- fangreichen Gesetzeswerk, zu dem dann auch noch die überarbeitete Solvabilitätsverordnung und die Groß- und Millionenkreditverordnung hinzukommen werden, eini- ges zu. Gerade für kleine Banken ist das eine große ad- ministrative Belastung. Zumindest den Vorschlag, mit einer Neufassung des Kreditwesengesetzes dazu beizu- tragen, dass dieses wieder lesbar wird, sollten wir nicht in den Anhörungsunterlagen verstauben lassen. Drittens ist uns wichtig – das ist einer der Gründe für unseren Entschließungsantrag, den wir zu diesem Gesetz einbringen –, dass bei den Fragen des Datenschutzes eine klare Abgrenzung zwischen dem Bundesdaten- schutzgesetz und dem Kreditwesengesetz als Spezial- norm vorgenommen wird. Diese Anregung aus der An- hörung hätte aufgegriffen werden sollen. Schließlich: Uns reicht der Entschließungsantrag der großen Koalition und der FDP, der die Wirtschaft zu ei- ner Selbstverpflichtungserklärung auffordert, nicht aus. Wir befürchten, dass wir mit dem Verfahren von Selbst- verpflichtungserklärung und Bericht für lange Zeit eine unbefriedigende Situation haben werden. Kreditsu- chende Unternehmen und Verbraucherinnen und Ver- braucher sollten das Recht dazu haben, dass ihnen die Ratingentscheidungen der Banken in nachvollziehbarer Weise schriftlich offen gelegt werden. Nur so kann si- chergestellt werden, dass offensichtliche Unrichtigkeiten im Ratingprozess entdeckt werden und die Kreditnehmer ihre Ratingfaktoren, soweit möglich, so beeinflussen können, dass sie ihr Risiko vermindern. Diese Rechte von Unternehmen und Verbraucherinnen und Verbrau- chern durchzusetzen und damit eine Abwägung zwi- schen den Rechten von Anbietern und Nachfragern auf dem Kreditmarkt vorzunehmen, ist Aufgabe des Gesetz- gebers. Dies bringen wir in unserem Entschließungsan- trag zum Ausdruck. Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtlinie liegt Ihnen heute zur abschlie- ßenden Beratung vor. Er ist Teil der Umsetzung der neuen bankaufsichtlichen Eigenkapitalvorschriften – Ih- nen sicher besser bekannt unter dem Stichwort „Basel II“. In der heutigen Sitzung wird eine der grundlegenden Modernisierungen unseres Bankenaufsichtsrechts ab- schließend beraten. Sowohl für die Kreditwirtschaft als auch für die Bankenaufsicht beinhaltet der Gesetzent- wurf ohne Zweifel die bedeutendsten Änderungen seit den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Hinter uns liegt ein langer, aber erfolgreicher inter- nationaler Verhandlungsprozess. Die Bundesregierung – unterstützt durch den Deutschen Bundestag – hat die- sen knapp siebenjährigen Prozess in enger Abstimmung mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und der Deutschen Bundesbank begleitet. So ist es uns gelungen, insbesondere eine faire Behandlung von Mit- telstandskrediten durchzusetzen. Die in den Baseler und Brüsseler Verhandlungen erzielten Erfolge sollen mit diesem Gesetzentwurf im deutschen Bankenaufsichts- recht verankert werden. Dieses moderne Regelwerk ist dadurch gekennzeich- net, dass sämtlichen Instituten wahlweise sowohl stan- dardisierte Verfahren als auch bankeigene Modelle zur Risikomessung und Berechnung der Eigenkapitalunter- legung zur Verfügung stehen. Alle Verfahren haben ei- nes gemeinsam: Sie knüpfen die Eigenkapitalunterle- gung stärker als bisher an das Risiko eines Kredites. Damit werden den Banken Anreize gegeben, die Risiken genauer zu bestimmen und die benötigten Systeme kon- tinuierlich fortzuentwickeln. Die Stabilität unseres Fi- nanzsystems wird davon profitieren. Die geplanten Änderungen des Kreditwesengesetzes basieren im Wesentlichen auf Vorgaben der beiden EU- Richtlinien. Der Gesetzentwurf ist strikt an den Min- destanforderungen der Richtlinien ausgerichtet. Aller- dings weisen allein die Vorgaben aus Brüssel einen be- trächtlichen Umfang auf. Nationale Wahlrechte, die die EU-Richtlinien bieten, haben wir zugunsten der Kredit gebenden und Kredit nehmenden Wirtschaft genutzt. Zu diesen Wahlrechten gehören auch sämtliche Regelungen zugunsten von Mit- telstandskrediten. Das so genannte Mittelstandspaket von Basel II beinhaltet eine niedrigere Eigenkapitalun- terlegung für kleinvolumige Kredite und eine stärkere Berücksichtigung von Kreditsicherheiten. Dadurch wer- den auch Kredite an Handwerker, Freiberufler und Land- wirte entlastet. Geringere Eigenkapitalanforderungen für Wohnimmobilienfinanzierungen werden privaten Haus- halten nützen. Zur Umsetzung der neuen Eigenkapitalregelungen in das deutsche Bankenaufsichtsrecht sind neben dem vor- liegenden Gesetzentwurf zwei Rechtsverordnungen mit eher technischen Bestimmungen vorgesehen. Die not- wendigen Ermächtigungsgrundlagen hierzu sind im Ge- setzentwurf enthalten. Die Sorge vor allem kleinerer Institute, die neuen Vorschriften könnten unverhältnismäßig hohe Hürden darstellen, wurde von der Bundesregierung sehr ernst genommen. Mittlerweile lässt sich aber sagen, dass das deutsche Bankensystem insgesamt von den neuen Vor- schriften profitieren wird. Eine aktuelle Studie zeigt, dass die Eigenkapitalanforderungen des deutschen Ban- kensektors um 6,7 Prozent sinken würden, wenn die neuen Regelungen bereits jetzt in Kraft wären. Beson- ders hervorzuheben ist, dass Banken mit einem höheren Anteil am Geschäft mit privaten Haushalten sowie klei- nen und mittleren Unternehmen noch stärker profitieren. Die notwendige Eigenkapitalunterlegung dieser Banken würde sogar um 8,4 Prozent sinken. Die neuen Vorschriften sollen erstmals ab dem 1. Ja- nuar 2007 gelten. Kreditwirtschaft und Bankenaufsicht bereiten sich seit Monaten intensiv auf dieses Datum vor. Die enormen Anstrengungen werden unternommen, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4159 (A) (C) (B) (D) weil die rechtzeitige und sachgerechte Umsetzung von Basel II zum Nutzen des Finanzplatzes Deutschland sein wird. Mit der heutigen abschließenden Beratung im Deut- schen Bundestag ist die Umsetzung von Basel II in Deutschland unaufhaltsam vorangeschritten. Länder, die mit der Umsetzung der Baseler Vereinbarung bisher noch zögern, werden sich von der erfolgreichen Umset- zung in Deutschland und ganz Europa überzeugen kön- nen. Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Patientenverfügun- gen neu regeln – Selbstbestimmungsrecht und Autonomie von nichteinwilligungsfähigen Pati- enten stärken (Tagesordnungspunkt 13) Ute Granold (CDU/CSU): Bereits in der vergange- nen Legislaturperiode haben wir in diesem Haus über die notwendige dritte Änderung des Betreuungsrechts debat- tiert, allerdings haben sich durch den Regierungswechsel die weiteren Beratungen in dieser Frage verzögert. Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD haben dann im Ko- alitionsvertrag festgeschrieben, die Diskussion über die gesetzliche Absicherung der Patientenverfügung fortzu- führen und abzuschließen. Schon damals, im März 2005, bestand bei den Frak- tionen Konsens, zügig den rechtlichen Rahmen der Pati- entenverfügung verbindlich festzulegen, um in dieser Frage die notwendige Rechtssicherheit bereitzustellen. Dies wird bereits seit Jahren auch von den verschiedens- ten Seiten angemahnt. So hat der BGH in seinem Urteil vom 12. März 2003 einige zentrale Kriterien der Patien- tenverfügung festgelegt und die Bedeutung der Patien- tenverfügung an sich deutlich aufgewertet. Die höchstrichterliche Entscheidung hat jedoch viele Fragen offen gelassen, auf die wir seitdem nach befriedi- genden Antworten suchen. In diese Diskussion sind mit- tlerweile auch die Ergebnisse des Zwischenberichts der Enquete-Kommission Ethik und Recht in der modernen Medizin und der interdisziplinären Arbeitsgruppe des BMJ eingeflossen. Die zahlreichen Eingaben von Bür- gern und Verbänden, von denen ich stellvertretend für viele die der Deutschen Hospizstiftung und der beiden Kirchen nenne, haben die Politik zusätzlich zum Han- deln gemahnt und weitere konstruktive Diskussionsbei- träge geleistet. Dabei waren wir uns einig, dass die Initiative zu einem Gesetzentwurf aus der Mitte des Parlaments kom- men sollte. Die diesbezüglichen Beratungen in den Frak- tionen sind noch nicht abgeschlossen. In der Unionsfrak- tion liegt bereits ein internes Diskussionspapier vor, das nach der Sommerpause abschließend beraten werden wird. Wir gehen davon aus, dass es dann aus der Mitte des Parlamentes durchaus mehrere konkurrierende über- und auch interfraktionelle Gruppenanträge geben wird. Da es bei der rechtlichen Ausgestaltung der Patien- tenverfügung um eine Frage geht, die unterschiedliche Überzeugungen berührt und deshalb unterschiedliche Konsequenzen zur Folge hat, wird die Abstimmung da- rüber letztendlich freizugegeben sein. Aufgrund der Be- deutung des Themas ist es unserer Meinung nach besser, in der beschriebenen Form aus der Mitte des Parlamen- tes aktiv zu werden, statt dass eine Fraktion die Regie- rung zum Handeln auffordert. Darüber hinaus können wir die von der FDP-Fraktion aufgestellten Forderungen an einen Gesetzentwurf auch inhaltlich nicht in allen Punkten mittragen, da diese in den zentralen Punkten des Lebensschutzes zu vage blei- ben und das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen ab- solut setzen. In den anstehenden Beratungen kann zu Recht von den Menschen erwartet werden, dass ihre Unsicherhei- ten und Ängste in die Beratungen in vollem Umfang mit aufgenommen werden müssen. Im Spannungsfeld zwi- schen dem grundgesetzlich verankerten Schutz des Le- bens und dem dort ebenso verankerten Recht auf Selbst- bestimmung müssen in diesem Haus auf breiter Basis tragbare Regelungen gefunden werden. Dabei geht es auch um die Frage nach dem weitgebundenen Maßstab von Politik, um die Frage nach dem Menschenbild. Aus dem Antragstext der FDP-Fraktion ist zu entneh- men, dass unseren Überlegungen gegensätzliche Vorstel- lungen zum Menschenbild zugrunde liegen. Ausgangs- punkt unserer Argumentation ist ein Menschenbild, das auch unserer Verfassung zugrunde liegt und antike, jüdi- sche und vor allem christliche Quellen hat. Dieses Men- schenbild bestimmt sich über dem Begriff der Würde, die absolut ist. Wer diesen Absolutheitsanspruch versagt, muss wissen, dass er damit Dritten eine Verfügungsvoll- macht zubilligt, die das Ende der Selbstbestimmung ei- nes Menschen bedeutet. Die Würde des Menschen ist vor jeder Einschränkung zu schützen, und zwar unabhängig von seiner augen- blicklichen Verfassung. Sie ist unantastbar. Damit sind auch der eigenen Gestaltungsmacht Grenzen gesetzt. In diesem Punkt unterscheiden sich unsere Vorstellungen also fundamental von denen, die in dem hier vorliegen- den Antrag zutage treten. Der Natur ihr Recht zu belassen, verlangt den Ver- zicht auf sterbebeschleunigende Maßnahmen und gebie- tet umgekehrt nicht den Einsatz einer lebensverlängern- den Maßnahme um jeden Preis. Wenn aus Lebensschutz Lebenspflicht wird, ist eine Radikalisierung der Forde- rungen hin zu einer Zulassung der aktiven Sterbehilfe Tür und Tor geöffnet. Die Schlussfolgerung hieraus ist unter einem christli- chen Menschenbild ein unmissverständliches Verbot der aktiven Sterbehilfe. Passive Sterbehilfe hingegen, die hinzielt auf ein menschenwürdiges Sterbenlassen, ist er- laubt und vielleicht sogar in einer größeren Zahl von Fäl- len geboten. Wenn nun die Frage gestellt wird, wer entscheidet, was zu tun oder zu lassen ist, dann steht sicherlich der Wille des Patienten im Vordergrund, begleitet von dem 4160 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Arzt. Gesetzgebung und Rechtssprechung haben hierbei einen Rahmen zu setzen, innerhalb dessen eine Entschei- dung zu treffen ist. Letztendlich fließen jedoch zahllose Einzelgesichtspunkte in die Entscheidungen ein, die ein kluges und bedachtes Urteil erfordern. Eine komplette Verrechtlichung dort vorzunehmen, wo der Mensch dem Gang der Natur folgend die Grenze zwischen Leben und Tod überschreitet, bringt uns keiner Lösung näher. Es ist nicht Aufgabe des Staates und der Politik, Antworten auf die letzten Fragen menschlicher Existenz zu geben. Krankheit, Sterben und Tod sind für jede menschliche Ordnung unverfügbar. Aufgabe des Staates ist es aber, die Bedingungen und Chancen für ein menschenwürdiges Leben und Sterben zu schaffen: für ein Gesundheitssystem, das alle Fortschritte der Medizin bis hin zur Minimierung des Schmerzes allen Mitglie- dern der Gesellschaft öffnet, sowie eine Ordnung, die den Schutz auch der hilflosen Mitglieder der Gesell- schaft bis zuletzt garantiert. Die Erfahrungen in der Palliativmedizin und der Hos- pizbewegung sind in dieser Situation gleich; kein Schwerkranker will sterben, wenn seine Schmerzen und andere Symptome kontrolliert sind und er als Mensch angenommen ist. Der elementare Lebenswunsch der Schwerkranken muss Wegweiser für die flächende- ckende Ausweitung der Palliativmedizin und Hospizbe- wegung wie auch der qualifizierten Aus- und Weiterbil- dung der dort tätigen Menschen sein. Wenn der Wille des Patienten – ich denke, darüber sind wir uns einig – Maßstab des Handelns sein soll, dann findet er in der so genannten Patientenverfügung in Fällen fehlender Entscheidungsfähigkeit seine Rechtfer- tigung in unserer Verfassung als Ausdruck der Selbstbe- stimmung. Da noch keine verbindlichen Fraktionsmeinungen vorliegen, erscheint es mir sinnvoll, im Folgenden noch einmal die Problemfelder zu umreißen und die noch of- fenen Fragen ansprechen, die grundsätzlich hinsichtlich der Verbindlichkeit, der Wirksamkeitsvoraussetzungen, der Umsetzung und der Beteiligung des Vormund- schaftsgerichts bestehen. Im Konsens, dass die Basisversorgung – Ernährung und Körperpflege – nicht zur Disposition stehen darf, findet die Verbindlichkeit der Patientenverfügung ihre Grenze im geltenden Recht, das durch das schon ange- sprochene BGH-Urteil präzisiert worden ist: Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 12. März 2003 deutlich gemacht, dass lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahmen bei einem Patienten unterbleiben müssen, wenn dieser einwilligungsunfähig ist, sein Grundleiden einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen hat und er zuvor seinen entsprechenden Willen – etwa in Form einer Patientenverfügung – deutlich geäußert hat. In diesem Zusammenhang ist genau zu prüfen, wie mit weiteren Krankheitsbildern wie zum Beispiel der fortge- schrittenen Demenz und mit Wachkomapatienten umzu- gehen ist. Möglichen Missbrauchsgefahren kann durch erhöhte Qualitätskriterien, also Schriftform der Patientenverfü- gung und Informationspflichten einerseits sowie entspre- chende Verfahrensvorschriften andererseits – obligatori- sche Beteiligung des Vormundschaftsgerichts und des Konsils – begegnet werden. Es ist erfreulich, dass bezüg- lich des Schriftformerfordernisses der Patientenverfü- gung inzwischen allgemeiner Konsens besteht. Wün- schenswert wäre auch, eine vorgeschaltete Beratungspflicht und eine regelmäßige Aktualisierung als zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung festzuschrei- ben. Ein Konsil sollte in allen Fällen verbindlich festge- schrieben werden, wobei in diesem Zusammenhang das Erfordernis der weiteren Einschaltung des Vormund- schaftsgerichts im Einzelnen geprüft werden sollte. Eine vormundschaftsgerichtliche Entscheidung sollte nur dann erforderlich sein, wenn eine verbindliche Patien- tenverfügung nicht vorliegt und ein Konsens im Konsil nicht erzielt werden kann. Diese Differenzierung ist ge- rechtfertigt, wenn für die Patientenverfügung ein hoher Qualitätsstandard gefordert wird, was zu begrüßen wäre. Es ist unsere Aufgabe – ebenso wie bei der Vorsorge- vollmacht –, bei den Menschen dafür zu werben, dass sie sich für eine qualifizierte Patientenverfügung entschei- den und damit selbst bestimmen, wie sie für sich die Phase ihres Lebensendes gestalten wollen. Die Tatsache, dass nach Schätzung der Deutschen Hospizstiftung schon 2003 circa 7 Millionen Menschen eine Patienten- verfügung verfasst hatten und die Diskussion der ver- gangenen Jahre die Menschen zusätzlich für dieses Thema sensibilisiert hat, unterstreicht, dass wir die dazu notwendigen rechtlichen Kriterien dringend verbindlich regeln müssen. Zum Leben gehört das Sterben in Würde im Kreis der Familie. Der fortschreitenden Entsozialisierung des Ster- bens muss entgegen getreten werden. Sterben ist nicht nur ein körperlicher Prozess, er hat auch eine seelische, soziale, familiäre und geschichtliche Dimension. Der Fortschritt der Medizin ist dankenswerterweise rasant, kann und darf aber nicht zu einem unwürdigen Sterben führen. Hoffen wir also, dass dieses Haus schon bald in einem breiten Konsens die Rechtsgrundlage hierfür schafft. Markus Grübel (CDU/CSU): Lassen sie mich zwei Gesichtspunkte zum Antrag der FDP „Patientenverfü- gungen neu regeln“ ansprechen: erstens eine formale Be- trachtung, zweitens eine inhaltliche Betrachtung. Zur formalen Seite: Der Antrag ist gestellt von einzel- nen Abgeordneten der FDP und der Fraktion der FDP. Bei ethisch-rechtlichen Fragestellungen kann man aus unterschiedlicher Überzeugung und unterschiedlichen Werteordnungen zu unterschiedlichen Ergebnissen kom- men. Für unterschiedliche Auffassungen gibt es auch bei der Frage der Patientenverfügung durchaus gute Gründe. Jeder Abgeordnete soll dann frei nach seinem Gewissen entscheiden. So haben wir es beim § 218 StGB, beim Transplantationsgesetz und beim Stammzellengesetz gemacht. So wollen wir es auch bei den Patientenverfü- gungen machen. Bei der FDP gibt es offensichtlich ein Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4161 (A) (C) (B) (D) kollektives Fraktionsgewissen. Das halte ich für bemer- kenswert und sehr bedenklich. Der Antrag der FDP ist darauf gerichtet, dass die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorlegt. Dies ist aber überhaupt nicht der Wunsch der Mehrheit des Hau- ses. Mit dem Entwurf für ein 3. Betreuungsrechtsände- rungsgesetz wurde vom BMJ ein solcher Gesetzentwurf erarbeitet und nach massiver Kritik wieder zurückgezo- gen. Eine Mehrheit in diesem Hause ist der Ansicht, dass es Gesetzentwürfe aus der Mitte des Parlaments geben sollte. Dies werden wohl fraktionsübergreifende Grup- penanträge sein. Und das ist auch richtig so. Im Herbst 2006 soll in den Fraktionen dazu der Abstimmungspro- zess erfolgen. Eine Neuregelung könnte dann im Som- mer 2007 in Kraft treten. Zur inhaltlichen Seite: Die FDP macht das Selbstbe- stimmungsrecht zum alleinigen Maßstab der Entschei- dung. Sie wägt dabei die verschiedenen Verfassungs- werte: – Selbstbestimmung, Lebensschutz und ein Tötungstabu und die Menschenwürde – nicht angemes- sen gegeneinander ab. Für den Widerstreit dieser ver- schiedenen Verfassungswerte ist vom Gesetzgeber ein möglichst schonender Ausgleich zu finden. Die FDP hat auch nicht richtig abgewogen, wie sich der aktuelle vom vorausverfügten Willen, der konkrete vom abstrakten Willen und die reale Entscheidung von einer theoreti- schen Entscheidung voneinander unterscheiden. Jedenfalls komme ich für meinen Teil zum Ergebnis, dass eine Abwägung zu einer Patientenverfügung führt, deren Reichweite begrenzt ist – wie von der Enquete- Kommission des Bundestages vorgeschlagen – und die möglicherweise eine besondere Regelung für das über sehr lange Zeit stabile Wachkoma, wenn trotz Ausschöp- fung aller medizinischen Möglichkeiten das Bewusstsein niemals wiedererlangt werden kann, vorsieht, und zwar wie in den Überlegungen der EKD unter dem Titel „Ster- ben hat seine Zeit“ dargestellt. Darüber werden wir noch ausführlich diskutieren. Es gibt auch große Übereinstimmung im Parlament: Wir wollen die bestehende Rechtsunsicherheit durch eine Änderung im Zivilrecht beenden, den Menschen die Sorge vor einer Übertherapie nehmen und Verbesserun- gen im Bereich der Hospizarbeit und palliativmedizini- schen Versorgung erreichen. Daran wollen wir gemein- sam arbeiten. Christoph Strässer (SPD): In diesem Monat ist bei unseren Nachbarn in Österreich das neue Gesetz zur Pa- tientenverfügung in Kraft getreten. Mit den Stimmen der Regierungskoalition sowie der Grünen beschloss der Na- tionalrat im März, dass Patienten schriftlich festlegen können, welche medizinischen Maßnahmen sie am Le- bensende wünschen. Lebensverkürzende Maßnahmen im Sinne dessen, was wir als aktive Sterbehilfe bezeich- nen, bleiben verboten. Die Sozialdemokraten dort stimmten gegen das Gesetz, weil es für sie zu strenge Formvorschriften enthalte. Das Gesetz verlangt nämlich zur Wirksamkeit der Pa- tientenverfügung unter anderem: eine medizinische Pflichtberatung, eine schriftliche Abfassung beim Notar oder Rechtsanwalt und eine Erneuerung der Willenser- klärung alle fünf Jahre. Auch in Deutschland findet bereits seit einiger Zeit eine breite gesellschaftliche Diskussion statt. Am Ende der letzten Legislaturperiode waren interfraktionelle Verhandlungen für einen Gesetzentwurf schon weit fort- geschritten, konnten aber aus den bekannten Gründen nicht mehr zum Abschluss gebracht werden. Vorberei- tungen für einen geordneten und verantwortungsbewuss- ten Diskussions- und Entscheidungsprozess sind, wie Sie wissen, im Gange. Das ist auch wichtig, denn das Thema bewegt die Menschen. Das habe ich nicht zuletzt in zahlreichen Veranstaltungen in meinem Wahlkreis Münster und darüber hinaus festgestellt. Diskussionen zur Patientenverfügung gehörten immer nicht nur zu den am besten besuchten Veranstaltungen, sie ergaben auch immer leidenschaftliche, aber auch sehr sachliche Ausei- nandersetzungen um dieses hochsensible Thema. In den letzten Jahren ist in diese Frage große Bewe- gung gekommen. Demografische und gesellschaftliche Veränderungen auf der einen sowie der medizinische Fortschritt auf der anderen Seite haben dazu geführt, dass viele ältere, aber zunehmend auch junge Menschen sich mit dem Thema beschäftigen. Man schätzt, dass be- reits mehrere Millionen Menschen eine Patientenverfü- gung abgeschlossen haben. Im Zuge dieser Entwicklung hat auch der BGH die Patientenrechte in den letzten Jahren immer wieder ge- stärkt. Im Jahr 2003 hat er die Bedeutung der Patienten- verfügung hervorgehoben und als unmittelbar rechtsver- bindliche Willenserklärung gewertet. Im Jahr 2005 gab es einen weiteren Beschluss, in dem sich das Gericht ge- gen Zwangsbehandlungen ausgesprochen hat. Letztlich sind aber auch in all diesen Entscheidungen wichtige Fragen offen geblieben, so die zentrale Frage nach der Reichweite einer Verfügung auch für den Fall, dass es sich nicht um einen Krankheitsverlauf handelt, der „in- faust“ ist, also irreversibel zum Tod führt. Es ist in der Gesellschaft ein Paradigmenwechsel zu beobachten: weg von einem medizinischen Paternalis- mus hin zu mehr Autonomie des Patienten. Es wächst das Bedürfnis der Menschen nach mehr Selbstbestim- mung – gerade auch nach Selbstbestimmung zum Ende des Lebens. Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten und Be- treuungsverfügungen können dabei wirksame Wege sein und – eine entsprechende rechtliche Absicherung vo- rausgesetzt – auch wertvolle Hilfestellung leisten. Das Interesse bei den Bürgerinnen und Bürgern da- nach ist groß. Die Unwissenheit und Unsicherheit aber auch. Viele Betroffene sind zu Recht verunsichert, weil sie nicht wissen, inwieweit ihre Verfügungen rechtsver- bindlich sind. Über 200 Leitfäden und Musterverfügun- gen tragen eher zur Verwirrung als zur Übersichtlichkeit und Klarheit bei. Viele haben die Befürchtung, dass sich Ärzte nicht an die Verfügung halten. Viele erliegen dem Glauben, Angehörige könnten ohne weiteres für sie ent- scheiden. 4162 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Im Hinblick auf die wachsende Zahl an Patientenver- fügungen besteht daher ein gesetzgeberischer Hand- lungsbedarf. Eine im Betreuungsrecht gesetzlich gere- gelte Patientenverfügung ist daher zu begrüßen. Sie stärkt die Rechte der Patienten und sorgt für ein größeres Maß an Rechtklarheit und Rechtssicherheit bei allen Be- teiligten. Ich denke, das ist das, was die Betroffenen von uns, dem Gesetzgeber, erwarten. Das sollten wir ihnen auch geben. Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, insofern bieten Ansätze aus Ihrem Antrag eine Diskussionsgrund- lage. Sie sind aber nicht neu und insbesondere meiner Meinung nach an den falschen Adressaten gerichtet. Wir haben uns in der letzten Legislaturperiode darauf ver- ständigt, dass nicht die Bundesregierung einen Gesetz- entwurf in das Gesetzgebungsverfahren einbringen wird, sondern aus den Fraktionen heraus eigene Gruppenan- träge in den Bundestag eingebracht werden sollten. Ich halte das für die richtige Vorgehensweise, richtig des- halb, weil sich die ethischen Grundlagen, um dies es geht, nicht an Partei- oder Fraktionsgrenzen festmachen lassen. Hier sind im wahrsten Sinne des Wortes „Gewis- sensentscheidungen“ erforderlich. Ansatzpunkte für der- artige Anträge bieten der Zwischenbericht der Enquete- kommission „Ethik und Recht in der modernen Medizin“ des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2004, die Stellungnahmen des Nationalen Ethikrates aus dem Jahr 2005 und die Vorarbeiten unserer Fraktionen, warum nicht auch die eine oder andere Entwicklung aus Österreich oder anderen Ländern die gesetzliche Rege- lungen gefunden haben. Inhaltlich möchte ich schon an dieser Stelle vorweg- nehmen, dass ich der Auffassung bin, dass die Patienten- verfügung erstens unbedingt schriftlich abgefasst sein muss. Der Schriftform kommt eine wichtige Beweis- und Schutzfunktion zu – für den Verfasser und für den behandelnden Arzt. Zweitens sollte auf weitere Wirksamkeitsvorausset- zungen verzichtet werden. Zahlreiche formale Hürden wie in Österreich schränken meiner Ansicht nach das Recht auf Selbstbestimmung des Einzelnen zu sehr ein, in jeder und für jede Phase des menschlichen Lebens steht das Prinzip der Menschenwürde und das Recht auf Selbstbestimmung, abgeleitet aus den Art. l und 2 unse- res Grundgesetzes, absolut im Vordergrund. Drittens. Die Reichweite der Verfügung sollte deshalb auch nicht beschränkt und damit dem Selbstbestim- mungsrecht aus Art. 2 GG keine Grenzen gesetzt wer- den. Viertens. Die Zuständigkeit des Vormundschaftsge- richtes sollte auf Konfliktfälle begrenzt werden. Fünftens. Neben diesen gesetzlich zu regelnden Punk- ten empfehle ich jedem Betroffenen gleichwohl, vor dem Aufsetzen einer Patientenverfügung, ein ärztliches Aufklärungsgespräch zu suchen sowie die Patientenver- fügung möglichst umfassend und konkret abzufassen und regelmäßig zu aktualisieren. Ich weise aber ausdrücklich daraufhin, dass dies mei- ner Meinung nach keine Wirksamkeitsvoraussetzungen sein sollten. Zum Abschluss ist es mir wichtig, darauf hinzuwei- sen, dass die Patientenverfugung aber nicht nur isoliert unter dem Aspekt der Lebensverkürzung betrachtet wer- den sollte. Das erlebe ich immer wieder. Wir wollen kei- nen Beitrag zu einer Gesellschaft leisten, die den Alten und Kranken suggeriert, auf Behandlung verzichten zu müssen. Selbstverständlich kann eine Patientenverfügung auch dazu genutzt werden, festzulegen, dass alles medi- zinisch Mögliche für einen Patienten getan werden soll. Ohnehin ist die Patientenverfügung nur ein – wenn auch wichtiger – Baustein zur Sicherung der Würde und Selbstbestimmung der Patienten. Sie muss als Rechtsin- stitut eingebunden werden in Maßnahmen zur Sterbebe- gleitung und in ein stärker ausgebautes Netz von pallia- tivmedizinischen und hospizlichen Maßnahmen. Vor allem müssen diese Möglichkeiten durch Aufklä- rungskampagnen einer breiten Öffentlichkeit näher ge- bracht werden. Nur so können die verschiedenen Bau- steine auch ihre gewünschte Wirkung entfalten. Das sollten wir bei unseren Beratungen in dem demnächst anstehenden Gesetzgebungsprozess nicht vergessen. Joachim Stünker (SPD): Die FDP will mit ihrem Antrag eine Diskussion anstoßen, die längst im Gange ist. Das Thema steht auf unserer Agenda weit oben. Schon in den Koalitionsverhandlungen haben wir uns hiermit befasst und vereinbart, die Diskussion über eine gesetzliche Absicherung der Patientenverfügung fortzu- führen und abzuschließen. In der SPD-Fraktion haben wir kürzlich verabredet, dass Thema Patientenverfügung auf der Klausursitzung im Sommer dieses Jahres inten- siv zu behandeln. Am Antrag der FDP missfällt mir die Aufforderung an die Bundesregierung, einen Gesetzentwurf vorzule- gen. Der Weg über einen Regierungsentwurf ist meiner Ansicht nach nicht der richtige. Die Thematik ist mit ei- ner Vielzahl von ethischen Fragen verbunden, die vertre- tenen Positionen orientieren sich nicht an parteipoliti- schen Linien. In solchen Fällen sollten Gesetzentwürfe aus der Mitte des Bundestags eingebracht werden. Bei den vergleichbaren Diskussionen um § 218 StGB oder den Import embryonaler Stammzellen haben wir hiermit sehr gute Erfahrungen gemacht. In der Sache gehen die Vorstellungen der FDP in die richtige Richtung. Der Antrag entspricht in weiten Tei- len der Position der Arbeitsgruppe Rechtspolitik der SPD-Bundestagfraktion. Auch wir sind der Ansicht, dass eine Patientenverfügung nur bindend sein kann, wenn sie schriftlich abgefasst und unterschrieben ist. Auch die formfreie Widerrufbarkeit ist zweifelsohne geboten. Besonders begrüße ich, dass sich auch die FDP in der zentralen und übergeordneten Frage dagegen ausspricht, Patientenverfügungen nur für bestimmte Erkrankungen und Krankheitsstadien zuzulassen. Eine solche Reich- weitenbegrenzung wäre mit dem in Art. 2 Abs. 2 GG ge- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4163 (A) (C) (B) (D) schützten Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und dem in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verankerten allgemeinen Persönlichkeitsrecht nicht ver- einbar. Die geforderte „infauste Prognose“ würde zum Beispiel bedeuten, dass für den Fall eines dauerhaften, stabilen Wachkomas nicht vorab wirksam erklärt werden kann, dass eine künstliche Ernährung oder Beatmung einzustellen ist. Dies widerspräche dem Selbstbestim- mungsrecht. Zudem habe ich große Zweifel, ob es überhaupt mög- lich ist, einen tödlichen, nicht aufhaltbaren Verlauf mit hinreichender Sicherheit zu prognostizieren. Michael Kauch (FDP): In der letzten Wahlperiode hat sich die Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ ebenso wie der Nationale Ethikrat intensiv mit der Frage beschäftigt, wie durch Patienten- verfügungen die Selbstbestimmung nicht mehr einwilli- gungsfähiger Patienten bei der Entscheidung über Ein- leitung oder Abbruch medizinischer Maßnahmen gestärkt werden kann. Es wurde deutlich, dass hier sehr unterschiedliche Auffassungen im Parlament bestehen. Die FDP-Bundestagsfraktion hatte bereits in der letz- ten Wahlperiode einen Antrag in den Deutschen Bundes- tag eingebracht, um mehr Rechtssicherheit bei Patien- tenverfügungen zu schaffen. Diesen Antrag bringen wir jetzt erneut ins Parlament ein. Unser Ziel ist es, mit dieser ersten Lesung den Dis- kussionsprozess in dieser Wahlperiode zu eröffnen, um ausgehend von unserem Antrag in Gespräche mit Kolle- ginnen und Kollegen der anderen Fraktionen einzutre- ten. Am Ende dieser Gespräche soll ein Gesetzentwurf stehen, der von einer fraktionsübergreifenden Gruppe eingebracht wird. Um eines vorweg klarzustellen: Wir reden bei Patien- tenverfügungen eben nicht über aktive Sterbehilfe oder assistierten Suizid, wir reden nicht über das gezielte Tö- ten eines Menschen. Es geht auch nicht um die Verwei- gerung indizierter und gewünschter Behandlungen. Es geht nicht um Töten, sondern um Sterbenlassen. Es geht darum, der Natur ihren Lauf zu lassen, wenn der Patient das wünscht. Leitbild unseres Antrages ist das Bild eines Men- schen, der über sein Leben auch in existenziellen Fragen so weit wie möglich selbst entscheiden kann und soll, ein Menschenbild, das der Selbstbestimmung Vorrang vor anderen Überlegungen Dritter gibt, und seien sie noch so fürsorglich motiviert. Das ist die eigentliche po- litische Trennlinie zwischen den Lagern in dieser Dis- kussion: die Trennlinie zwischen fürsorglichem Paterna- lismus, der Zwangsbehandlungen in Kauf nimmt, und dem Vertrauen auf die Kraft und die Urteilsfähigkeit des einzelnen Menschen. Um es klar zu sagen: Wir haben keine naive Vorstel- lung von einem autonomen Individuum. Natürlich ist der Mensch eingebunden in Beziehungen und auch in innere Zwänge. Gerade bei Patientenverfügungen kommt ein anderer Aspekt hinzu: Man trifft Entscheidungen für Szenarien in der Zukunft, die man nur bedingt abschät- zen kann. Der vorausverfügte Wille ist immer schwächer als der aktuell verfügte. Aber was ist die Alternative? Die Alternative ist Fremdbestimmung durch andere Menschen. Bei aller Relativierung des autonom handeln- den Menschen: Wir Liberale entscheiden uns dann – im Leben wie im Sterben – für die Selbstbestimmung. Die moderne Intensivmedizin hat bedeutende Mög- lichkeiten geschaffen, Leben zu retten und zu verlän- gern. Manche Menschen erleben das als Chance, andere lehnen bestimmte Behandlungen ab, weil sie diese als zu belastend erleben oder für unwürdig halten. Die Frage, ob eine lebensverlängernde Maßnahme als Geschenk oder als Qual empfunden wird, kann nur der einzelne Mensch für sich entscheiden. Jede medizinische Maßnahme – nicht der Verzicht darauf! – ist durch Einwilligung des Patienten zu recht- fertigen. Eine Zwangsbehandlung ist Körperverletzung, dem Arzt drohen strafrechtliche Konsequenzen. Dies gilt im Grundsatz auch für den nichteinwilligungsfähigen Patienten. Hier entscheidet der gesetzliche Vertreter. Eine Patientenverfügung kann ein Instrument sein, in ge- sunden Tagen zu formulieren, welche Therapien man in solchen Fällen wünscht oder ablehnt. Niemand muss eine Patientenverfügung abfassen. Jeder hat das Recht, auch existenzielle Entscheidungen seinem gesetzlichen Vertreter zu überlassen. Doch wer klar weiß, was er wann wünscht, ablehnt oder begrenzt sehen will, dessen Verfügung muss geachtet werden. Die FDP will deshalb die rechtliche Verbindlichkeit von Patientenverfügungen stärken. Patienten brauchen Rechtssicherheit darüber, dass sich Ärzte und Betreuer nicht über ihren im Voraus verfassten Willen hinwegset- zen können, wenn sie am schwächsten sind, weil sie kommunikationsunfähig sind und sich nicht mehr gegen nicht gewünschte Behandlungen wehren können. Das Recht zur Selbstbestimmung über den eigenen Körper gehört zum Kernbereich der durch das Grundge- setz geschützten Würde und Freiheit des Menschen. Für die FDP kommt daher eine Begrenzung der Reichweite von Patientenverfügungen nicht infrage. Eine strikte Be- grenzung der Reichweite auf einen „trotz Behandlung ir- reversibel tödlichen Verlauf“, wie sie die Mehrheit der Enquete-Kommission in der letzten Wahlperiode vorge- schlagen hatte, liefert Patientinnen und Patienten Zwangsbehandlungen gegen deren erklärten Willen aus. Denn diese Rechtsfigur macht Patientenrechte von einer ärztlichen Prognose abhängig, deren Verlässlichkeit nicht in allen Fällen garantiert werden kann. Vertreter einer strikten Reichweitenbegrenzung wie die Mehrheit der früheren Enquete-Kommission gehen für den Anwendungsfall des Wachkomas im Blick auf die Selbstbestimmung noch hinter die Rechtslage zu- rück. In den Behandlungsgrundsätzen der Bundesärzte- kammer wird erklärt, dass es sich nicht um Sterbende handelt und sie deshalb auch künstlich ernährt werden müssen. Allerdings schränkt die Bundesärztekammer ein: unter Beachtung ihres Willens. Diese Einschrän- kung ist wichtig. 4164 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Auch über religiös motivierte Behandlungsbeschrän- kungen setzen sich Vertreter einer strikten Reichweiten- begrenzung locker hinweg. Wenn ein Zeuge Jehovas verfügt, niemals eine Bluttransfusion zu wollen, auch wenn er deshalb sterben müsste, dann ist auch das zu achten. Man mag es persönlich für falsch oder tragisch halten, doch niemand hat das Recht, Menschenwürde, Selbstbestimmungsrecht und Religionsfreiheit durch Zwangsbehandlungen mit Füßen zu treten. Kernforderung der FDP ist es dagegen, dass Thera- piewünsche, Therapiebegrenzungen und Therapiever- bote durch eine Patientenverfügung für jeden Zeitpunkt eines Krankheitsverlaufes möglich sein müssen. Ledig- lich eine Basispflege darf aus Gründen der Menschen- würde nicht ausgeschlossen werden. Voraussetzung ist, dass die Patientenverfügung hinreichend klar formuliert und anwendbar ist, keine offenkundige, etwa nonverbale Willensänderung erkennbar ist und die Verfügung dem Patienten noch personal zurechenbar ist. Hieran wird man bei manchen Formen der Demenz Zweifel haben müssen. Hier ist dann – wie immer in Zweifelsfällen – pro vita zu entscheiden. Die FDP fordert darüber hinaus, dass eine Patienten- verfügung aus Gründen der Rechtssicherheit und Be- weiskraft schriftlich verfasst werden muss. Eine Ver- pflichtung zur regelmäßigen Aktualisierung der Patientenverfügung fordern wir nicht, da dabei die Ge- fahr besteht, dass Patienten infolge des Alters, fortge- schrittener Krankheit oder reiner Vergesslichkeit die Ak- tualisierung versäumen und ihr niedergelegter Wille unwirksam würde. Auch eine generelle Beratungspflicht würde unnötige Bürokratien und Hürden aufbauen. Dagegen setzen wir uns auch dafür ein, Angebote zur Beratung und Aufklärung über Heilungsmöglichkeiten und den Fortschritt der Leid mindernden Palliativmedi- zin flächendeckend auszubauen. Denn je aufgeklärter ein Mensch ist, desto selbstbestimmter kann er handeln. Darüber hinaus spricht sich die FDP dafür aus, die Zuständigkeit des Vormundschaftsgerichts einzuschrän- ken. Nur im Konfliktfall zwischen dem behandelnden Arzt und dem gesetzlichen Vertreter ist das Vormund- schaftsgericht einzuschalten, wenn zuvor das behan- delnde Pflegepersonal und die nächsten Angehörigen an- gehört wurden. Eine Zuständigkeit des Gerichts ist regelmäßig dann gegeben, wenn keine schriftliche Pa- tientenverfügung vorliegt. Die regelmäßige Anrufung des Vormundschaftsgerichtes schafft nur vordergründig Rechtssicherheit. In Wahrheit werden durch die regelmä- ßige Einschaltung der Gerichte wichtige Entscheidungen unnötig hinausgezögert und an für diese Fragen oft nicht qualifizierte Richter delegiert. Die Verbindlichkeit und der Anwendungsbereich von Patientenverfügungen müssen in dieser Wahlperiode endlich neu geregelt werden. Deshalb muss jetzt das Par- lament handeln. Die FDP hat als einzige Fraktion einen Antrag zur Patientenverfügung eingebracht. Auf dieser Grundlage werden wir uns nun aktiv daran beteiligen, mit gleich gesinnten Kolleginnen und Kollegen einen Gruppen-Gesetzentwurf einzubringen. Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Über die Notwendigkeit einer rechtlichen Absicherung von Patientenverfügungen haben wir be- reits im letzten Jahr anlässlich des Zwischenberichts der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ diskutiert. In der damaligen Debatte wurde klar, dass es in jeder Fraktion mindestens zwei unter- schiedliche Auffassungen bezüglich der rechtlichen Ausgestaltung gibt, einige sich sogar ganz gegen eine rechtliche Normierung aussprechen. Wenn ich also heute meine Auffassung vortrage, so spreche ich zwar für ei- nen großen Teil meiner Fraktion, nicht aber für alle. Ich bin der Meinung, dass es trotz des BGH-Urteils von 2003, wonach Patientenverfügungen eine Verbind- lichkeit besitzen, einen rechtlichen Regelungsbedarf gibt, weil es zum einen eine große Unwissenheit und Unsicherheit unter den Ärzten über die derzeitige Rechtslage gibt. So glaubt nach einer Umfrage die Hälfte der befragten Ärzte, es sei aktive Sterbehilfe, wenn sie aufgrund des geäußerten Willens des Patienten oder der Patientin die künstliche Beatmung einstellen. Ein weiterer Grund: Dieses sensible Gebiet sollte nicht allein einer Klärung durch die Rechtsprechung vor- behalten bleiben, zumal diese in den letzten Jahren kei- neswegs einheitlich war. Denn: Auf der Strecke bleibt dabei das Selbstbestimmungsrecht eines Menschen über den eigenen Körper. Dieses Selbstbestimmungsrecht ist jedoch der Kern der Menschenwürde. Es ist das höchste unverletzliche und unveräußerliche Menschenrecht im Grundrechtskatalog und findet seine Grenze ausschließ- lich in den Rechten anderer. Es ist die Aufgabe des Staates, die Selbstbestimmung jedes Bürgers und jeder Bürgerin vor den Eingriffen an- derer zu schützen. Ein staatlicher Paternalismus, der den Menschen vor sich selbst schützen will, ist nur dann ge- rechtfertigt, wenn der Einzelne zur Selbstbestimmung nicht in der Lage ist. Das heißt aber auch, dass das Selbstbestimmungsrecht des Menschen über seinen Kör- per höher steht als die – sicherlich oft gut gemeinte – Schutzpflicht anderer für sein Leben. Darum hat auch niemand das Recht, gegen den Willen eines Menschen eine Behandlung durchzusetzen. Dabei ist klar: Durch die moderne Medizintechnik ist der Zeitpunkt und die Art des Sterbens zunehmend von medizinischen Entscheidungen bestimmt. Häufig kön- nen Menschen nur sterben, wenn auf Maßnahmen ver- zichtet, wenn eine Behandlung abgebrochen wird, wie es in 50 Prozent aller Todesfälle passiert. Durch diese Ent- scheidung entstehen viele ethische Probleme. Patienten- verfügungen und Vorsorgevollmachten sind eine wich- tige Hilfe für alle Beteiligten, die Entscheidung zu treffen, die dem Willen der Patientin oder des Patienten entsprechen. So weit herrschte schon vor einem Jahr Ei- nigkeit. Alle einwilligungsfähigen Menschen müssen also eine Patientenverfügung abschließen können. Natürlich kann sie nur dann umgesetzt werden, wenn die beschrie- bene Situation mit der konkreten übereinstimmt, wenn es keine Anzeichen einer Willensänderung gibt, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie unter äu- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4165 (A) (C) (B) (D) ßerem Druck entstanden ist und wenn keine aktive Ster- behilfe verlangt wird. Von einigen Kolleginnen und Kolleginnen wird nun gefordert, dass die Bindungswirkung einer solchen Ver- fügung begrenzt werden müsse. Sie plädieren dafür, dass die Patientenverfügung nur im Falle eines irreversibel tödlichen Verlaufs des Grundleidens Gültigkeit habe. Die Begrenzung der Reichweite auf Personen mit einer irreversibel tödlichen Krankheit lässt sich jedoch meines Erachtens nicht rechtfertigen. Sie wäre medizinisch pro- blematisch, weil es diesen medizinischen Begriff nicht gibt. Man müsste ansonsten eine Lebenserwartung fest- legen. Diese Begrenzung wäre aber auch ethisch unbe- gründet und verfassungsrechtlich unhaltbar. Denn: Wenn ein aktuell einwilligungsfähiger Mensch lebensverlän- gernde Maßnahmen ablehnen kann, muss dieser Wille auch geachtet werden, wenn er im Voraus für eine be- stimmte Situation geäußert wurde, in der keine Äuße- rungsfähigkeit mehr gegeben ist. Würde der Wille nur im Falle eines tödlichen Verlaufs des Leidens geachtet, bedeutete das im Umkehrschluss eine Zwangsbehand- lung. Und die ist verboten. Wir werden in den nächsten Monaten diese Debatte intensiv zu führen haben. Der Antrag der FDP bietet hierzu eine gute Grundlage. Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Entwürfe eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabever- fahren zwischen den Mitgliedstaaten der Euro- päischen Union (Europäisches Haftbefehlsge- setz – EuHbG) (Tagesordnungspunkt 14) Wolfgang Nešković (Die LINKE): Als das Bundes- verfassungsgericht am 18. Juli des vergangenen Jahres feststellte, dass der Patient „Europäisches Haftbefehls- gesetz“ an schweren Verfassungsmängeln krankte, da hat man das Gesetz rasch in den Operationssaal gescho- ben, um sich seiner Krankheit anzunehmen. Seitdem wurde der Teint des Patienten aufgefrischt, es wurden Vitaminspritzen verabreicht und eine Sauerstoffkur durchgeführt. Jetzt hat der Patient wieder einigermaßen rosige Wangen, aber die Ursache des Leidens wurde nicht behoben. Die Ursache des Leidens war dem Pa- tienten nämlich bereits mitgegeben, als er auf die Welt kam. Bereits der dem Europäischen Haftbefehlsgesetz zu- grunde liegende Rahmenbeschluss des Rates ist eine ernste Bedrohung für die Prinzipien der Würde und der Freiheit des Menschen. Es ist hoch fraglich, ob dieser Rahmenbeschluss überhaupt auf einer rechtmäßigen Legitimationsgrundlage erlassen wurde. Anstelle eines Rahmenbeschlusses wäre nämlich ein europäisches Übereinkommen erforderlich gewesen. Es ist weiterhin äußerst fraglich, ob die mit dem Rah- menbeschluss geschaffenen Eingriffe in die Freiheits- rechte der Bürger mit dem Legalitätsprinzip in Strafsa- chen vereinbar sind. Hier wird ein europäisches Strafrecht durch die Hintertür des Prozessrechtes einge- führt. Wer ein europäisches Strafrecht will, muss es so nennen und dafür Mehrheiten gewinnen. Eben diese ernsten Bedenken hatten auch die Richter des belgischen Verfassungsgerichtes, als sie sich am 13. Juli 2005 entschlossen, den EuGH im Vorabentschei- dungsverfahren zu ersuchen, den Rahmenbeschluss auf seine Nichtigkeit hin zu überprüfen. Ich meine, wir dür- fen ziemlich sicher davon ausgehen, dass die Richter am belgischen Verfassungsgericht kein Stück weniger juris- tisch gebildet und begabt sind als die Juristenmannschaft im Ministerium von Frau Zypries. Es wäre daher ange- bracht gewesen, vor der Erstellung endgültiger Neufas- sungsentwürfe zunächst einmal die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes abzuwarten. So aber wird der Deutsche Bundestag mit der Beratung eines Gesetzes befasst, dem schon in kurzer Zeit die Grundlage abhan- den kommen wird. Erteilen Sie diesen Gesetzesentwür- fen eine Absage! Lassen Sie die Heilbemühungen am Patienten „Haftbefehlsgesetz“ nicht zum Totentanz gera- ten! Doch nicht nur durch die europäische Brille betrach- tet sind die Entwürfe hoch bedenklich. Sie sind es – auch in ihrer aufgefrischten Form – mit Blick auf das deutsche Grundgesetz. Die für den neuen § 80 vorgesehene Ab- grenzung von Taten mit maßgeblichem Auslandbezug, maßgeblichem Innlandsbezug und Mischfällen ist kaum mehr als eine Ansammlung von Unbestimmtheiten. Im deutschen Verfassungsrecht haben wir eine sehr klare Formel: Je intensiver eine Maßnahme des Gesetz- gebers in Grundrechte eingreift, umso strenger sind die Anforderungen an die Bestimmtheit der Norm. Diesem einfachen Grundsatz wird der Entwurf nicht gerecht. Vielleicht liegt das daran, dass man sich für die Neufassungen darauf beschränkt hatte, die Empfehlun- gen des Bundesverfassungsgerichts aus dem Urteil trot- zig abzuschreiben, anstatt für die inhaltliche Umsetzung dieser Empfehlungen Sorge zu tragen. Und wenn man sich schon aufs Abschreiben verlegt, sollte man es sorgfältig tun: Das Bundesverfassungsgericht hatte zum Problem der gesicherten Rücküberstellung ausgeführt: Die bloße Zusage einer Rücküberstellung ist inso- weit unzureichend, weil damit noch nichts über die Möglichkeit der Strafverbüßung in Deutschland ge- sagt ist. Dennoch findet sich in den Neufassungen dieselbe ungenügende Formulierung wie schon im gerügten ers- ten Gesetz. In der Begründung der Gesetzesentwürfe werden wir dazu auf einen in der Zukunft erwarteten Rahmenbeschluss zur Vollstreckungshilfe auf europäi- scher Ebene verwiesen. Der soll dann klären, was heute ungeklärt bleibt. Das ist befristeter Verfassungsbruch mit unsicherem Fristablauf und keine Behebung des vom Verfassungsgericht gerügten Misstandes. Des Weiteren 4166 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) verschlechtern die Neufassungen die Rechtslage der in Deutschland lebenden Ausländer, ohne dass es dafür überhaupt eine Aufforderung vom Verfassungsgericht gab. Während der alte § 80 Abs. 3 für alle Ausländer, die sich in Deutschland rechtmäßig aufhalten, dieselben Schutzkriterien wie für Deutsche bereithielt, beschränkte der neuere § 80 Abs. 4 diesen Schutz auf die sehr viel kleinere Gruppe der Ausländer, die in familiärer oder in Lebensgemeinschaft mit Deutschen leben. Im neuesten Änderungsvorschlag des Justizministeriums ist dann selbst dieser zwingende Schutz gestrichen und durch eine fakultative Regelung ersetzt worden. Ich finde es unerträglich, dass Menschen, die Sitte und Recht dieses Landes achten, die hier Steuern zahlen, nicht auch in den Genuss des üblichen Auslieferungsschutzes hinein ge- nommen werden sollen. Schließlich ist der vom Bundes- verfassungsgericht geforderte Rechtsschutz nicht verwirk- licht worden. Das Festhalten am zweistufigen Verfahren und die nur eingeschränkt übertragene Ermessenskon- trolle an die Oberlandesgerichte sind den Maßstäben ei- nes Rechtstaates schlicht unwürdig. Ich bin ohne Mitleid für den sprichwörtlichen Patien- ten „Haftbefehlsgesetz“, denn ich sorge mich um die wirklichen Menschen, die dieses Gesetz betreffen soll. Ich meine, dass die Menschen im Land sicher sein, müs- sen, dass die Prinzipien des Rechtsstaates auch auf euro- päischer Ebene gewahrt werden. Ich hoffe daher, dass der Europäische Gerichtshof den zugrunde liegenden Rahmenbeschluss samt seiner Ausführungsgesetze end- lich beerdigen wird. Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Einbürgerung er- leichtern – Ausgrenzungen ausschließen (Tages- ordnungspunkt 15) Hans-Werner Kammer (CDU/CSU): Die Linke for- dert in ihrem Antrag unter anderem: Menschen, die seit mindestens fünf Jahren in Deutschland sind, die deut- sche Staatsangehörigkeit zu verleihen; die doppelte Staatsbürgerschaft wieder einzuführen; auf das Bekennt- nis zu unserer Verfassung und ausreichende Sprach- kenntnisse als Voraussetzungen für den Erwerb der Staatsbürgerschaft zu verzichten; die Pflichtteilnahme an entsprechenden Kursen abzuschaffen. Dieser Antrag ist ein weiterer Beleg für den Realitäts- verlust der sozialistischen Linken in Deutschland. Allein schon einen Einbürgerungsanspruch nach fünfjährigem Aufenthalt in Deutschland, unabhängig vom Aufent- haltstitel, zu fordern, geht an der Realität vorbei. Sie ha- ben wohl das WM-Motto: „Die Welt zu Gast bei Freun- den“ fehlinterpretiert. Nach Ihrem Antrag soll es in Zukunft ausreichen, dass Menschen, die sich in Deutsch- land möglicherweise illegal aufhalten und damit auch den Lebensmittelpunkt hier haben, nur noch fünf Jahre aussitzen müssen, um Deutsche zu werden. Die An- nahme, dass jeder, dem wir einen deutschen Pass geben, sich automatisch integriert, ist ein Trugschluss. Die Ein- bürgerung eines ausländischen Mitbürgers kann nur das Ergebnis einer erfolgreichen Integration sein und nicht der Anstoß. Die Einbürgerungsurkunde muss doch die Perspektive, ja der Anreiz sein, auf die sich alle Integra- tionsbemühungen der hier lebenden Ausländer richten. Wenn wir diesen Anreiz wegnehmen, dann können wir keinen Integrationswillen mehr erwarten. Dies hat nichts mit Diskriminierung zu tun. Dieses sehen auch die deutschen Landkreise und Kommunen so, welche vor Ort mit der gesellschaftli- chen Aufgabe Integration zu tun haben. Und ich möchte Frau Pau sehen, wie sie ihren Kommunalpolitikern in Marzahn erklärt, dass in Zukunft nur noch Abwarten reicht, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen. Zumal doch gerade dort, wo die Linkspartei stark ist, die Äußerung des Kollegen Lafontaine „Deutscher ist nach meinem Verständnis nur, wer sich an der Gemeinschaft beteiligt“ auf großen Zuspruch gestoßen ist. Von jedem Bürger in unserem Land erwarten wir, dass er sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennt, deshalb ist es nur recht, dass wir dies auch von den Men- schen einfordern, die Deutsche werden wollen. Mir ist jedoch klar, dass eine Partei, welche in Teilen vom Ver- fassungsschutz beobachtet wird, natürlich ein grundsätz- liches Problem mit unserer Verfassung hat. Es muss gestattet sein, die Ernsthaftigkeit eines Be- kenntnisses zu unseren Werten und dem Grundgesetz zu prüfen. Auf die Einführung von Mehrfachstaatsbürger- schaften möchte ich in diesem Zusammenhang nicht nä- her eingehen. Die Linke fordert in ihrem Antrag die Ab- schaffung von verpflichtenden Integrationskursen und von Mindeststandards bei den sprachlichen Fähigkeiten. So erschweren sie es nicht nur unserer Gesellschaft, ihre Integrationsleistung gegenüber den Migranten zu er- bringen. Sie behindern auch die Anstrengungen der aus- ländischen Mitbürger, die sich redlich bemühen, sich in die Gesellschaft zu integrieren, indem Sie auf eine Stufe mit denen stellen, die sich der Integration bisher erfolg- reich verweigern. Wie in der Sozialpolitik muss auch in der Integra- tionspolitik „Fördern und fordern“ die Maxime sein. Es besteht kein Zweifel daran, dass ausländische Mitbürger in Deutschland willkommen sind, dazu gehört aber auch, dass jeder seinen Beitrag zu einer erfolgreichen Integra- tion leistet. Ziel muss es sein, zu einer Vereinbarung zwi- schen Gesellschaft und Migranten zu kommen: Die Mi- granten bemühen sich ihrerseits um eine Integration und halten sich an die Spielregeln, Politik und Gesellschaft setzen dafür die Rahmenbedingungen. Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, zu der alle Betei- ligten ihren Beitrag zu leisten haben. Mit Schaffung vernünftiger Rahmenbedingungen müssen wir den hier lebenden Ausländern vernünftige Wege in unsere Gesellschaft eröffnen. Dazu werden wir die bestehenden Angebote kontinuierlich erweitern und verbessern müssen. Voraussetzung für die Teilhabe an dem gesellschaftlichen Leben ist vor allem die Beherr- schung der deutschen Sprache, aber nicht, wie von der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4167 (A) (C) (B) (D) Linken gefordert, auf dem Niveau der einfachen mündli- chen Verständigung. Der Weg aus der sozialen Isolation in Deutschland erfordert mehr als nur ein paar Brocken Deutsch. Migranten dürfen sich den Integrationskursen in Deutschland nicht verschließen. Erfolgreiche Integra- tion ist auch der Schlüssel für den sozialen Erfolg der hier lebenden Ausländer. Dazu gehört eine umfassende Bildung und Ausbildung, die neben den notwendigen Sprachkenntnissen den Betroffenen auch Kenntnisse über unseren Wertekanon, welcher seine Wurzeln in Christentum, Aufklärung und Humanismus hat, vermit- teln. Einbürgerungskurse können das am besten leisten. Deshalb müssen sie Pflicht für jeden Integrationswilli- gen sein. Verweigerungshaltungen sind diesbezüglich ganz klar und konsequent zu sanktionieren. Die Unionsfraktion wird nach dem Integrationsgipfel bei der Bundeskanzlerin am 14. Juli 2006, welcher unter Beteiligung von Migrantenvertretern stattfindet, einen nationalen Aktionsplan „Integration“ vorlegen. Durch die Festlegung gemeinsamer Ziele und eines Zeitplanes sollen sich nach der Vorstellung meiner Fraktion Bund, Länder, Kommunen und die gesellschaftlich relevanten Gruppen über einheitliche Maßnahmen und Zuständig- keiten bei dieser gesellschaftlichen Mammutaufgabe verständigen. Die Grundlage dafür kann nur lauten: Deutschland setzt die Rahmenbedingungen und die Ein- bürgerungswilligen bemühen sich um die Integration. Wir brauchen eine Zuwanderungs- und Integrations- politik, welche auch an den Interessen unserer Bevölke- rung ausgerichtet ist und vor allem der Situation unserer sozialen Sicherungssysteme Rechnung trägt. Zuwande- rung in einem sozial verträglichen Maße schützt letzten Endes auch die Migrantinnen und Migranten, die sich er- folgreich in unsere Gesellschaft integrieren oder sich be- reits integriert haben. Die CDU/CSU-Fraktion stellt sich der Herausforderung Integration und wird die entspre- chenden Rahmenbedingungen dafür schaffen. Dies darf aber keine Einbahnstraße sein. Wenn wir keine Pariser Verhältnisse wollen, sind wir auf die Mithilfe und die Bereitschaft der hier lebenden Migrantinnen und Mi- granten, sich zu integrieren, angewiesen. Rüdiger Veit (SPD): Auch wenn in den zugrunde liegenden Feststellungen und in der Begründung des An- trags aus meiner Sicht einige durchaus richtige Elemente enthalten sind, kann ich für die SPD-Fraktion weder jetzt noch nach den zu erwartenden Beratungen im Innenaus- schuss die Zustimmung in Aussicht stellen. In der Tat ist es leider richtig, dass die Anzahl der Einbürgerungen – sicherlich aufgrund ganz unterschied- licher Ursachen – im Ergebnis in den letzten Jahren wie- der deutlich zurückgegangen ist auf einen Wert, wie wir ihn Anfang der 90er-Jahre, also vor In-Kraft-Treten der Staatsangehörigkeitsreform am 1. Januar 2000, verzeich- net haben. Völlig richtig hat der Bundestagspräsident Norbert Lammert ausweislich der „Frankfurter Allge- meinen Zeitung“ vom 28. Juni 2006 und damit ganz ak- tuell, am Tag zuvor bei der Verleihung des Nationalprei- ses 2006 an die Herbert-Hoover-Realschule in Berlin Folgendes festgestellt: ,,Deutschland hat nicht zu viel Einwanderung, sondern zu wenig Einbürgerung“. We- nige Länder seien so sehr auf Einwanderung angewiesen wie Deutschland, dessen vitales Interesse es sein müsse, dass die begabten türkischen Kinder von heute zur Elite von morgen heranwachsen könnten. In einer Zeit, in der wir das Ge- oder Misslingen von Integration bei uns intensiv diskutieren, setze ich aus meiner Sicht gerne hinzu: In aller Regel – die bekannt- lich natürlich auch Ausnahmen kennt – ist jede Einbür- gerung ein Erfolg der Integration in unsere Gesellschaft. Im Lichte dessen wird die SPD-Fraktion auch Koali- tionsverhandlungen zu den laufenden Gesetzgebungsver- fahren führen. Auch der Komplex des Staatsangehörig- keitsrechtes ist Teil der Beratungen zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union, auch wenn – wie die Antragssteller völlig richtig erkennen – eine etwaige Veränderung des Staatsbürgerschaftsrechtes mit der Um- setzung dieser Richtlinien nichts zu tun hat. So scheint es mir aber sachgerecht, die gesamte Materie des Auf- enthaltsgesetzes, des Staatsangehörigkeitsgesetzes und aller damit zusammenhängenden Gesetze zusammen mit der in der Koalitionsvereinbarung festgeschriebenen Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes vorzunehmen und – wie ebenfalls in der Koalitionsvereinbarung nieder- gelegt – hierbei auch drei weitere aus der Sicht der SPD- Fraktion notwendige Sachverhalte zu regeln: Ich meine eine Altfall-Bleiberechtsregelung für sich bereits lange Jahre in Deutschland aufhaltende ausländische Mitbür- gerinnen und Mitbürger, eine deutliche Verbesserung beim Übergang von Duldung, – insbesondere Kettendul- dung – hin zu Aufenthaltserlaubnissen, und den Kom- plex der Überprüfung einiger Rechtsvorschriften, die die rein humanitär motivierte Hilfe für in Deutschland ille- gal sich aufhaltende Menschen betreffen. Wir werden dabei auch die Anregungen und Vor- schläge der letzten Konferenz der Innenminister der Länder und des Bundes am 4. und 5. Mai dieses Jahres zum Thema der Einbürgerung in unsere Beratungen ein- beziehen; denn schließlich sind wir der Gesetzgeber und als solcher auch zu diesem Thema gefordert. Dabei muss allen klar sein, dass wir im Ergebnis einen tragfähigen Kompromiss zwischen den beiden die große Koalition tragenden Parteien finden müssen, und dies möglichst mit Wirkung auf die Länderseite, damit das entspre- chende Gesetz noch im Jahr 2006 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden kann, ohne dass auch noch ein langwieriges Vermittlungsverfahren mit dem Bundesrat benötigt wird. Sie sehen also, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch auf der Seite der Antragsteller: Der Ge- samtkomplex ist ebenso umfangreich wie vor dem Hintergrund manchmal durchaus unterschiedlicher Grundsatzvorstellungen zwischen den beiden Koalitions- parteien auch schwierig, aber wir wollen ihn gemeinsam bewältigen. Von daher versteht sich von selbst, dass wir – wie das auch schon bei anderen, auf das gleiche Thema abzielenden Anträgen der Oppositionsfraktionen der Fall war – nicht isolierte Regelungen hier im Parlament beschließen werden. Die Antragsteller sollten ihre 4168 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Überlegungen dann zum geeigneten Zeitpunkt in die Be- ratungen auch des Innenausschusses mit einfließen las- sen. Bestehen sie dagegen auf einer sofortigen Behand- lung und Abstimmung, werden wir vor dem Hintergrund der soeben angesprochenen Verhandlungen der Koali- tion zum Gesamtkomplex den Antrag ablehnen müssen. Lassen Sie mich aber abschließend in der Sache noch folgende Klarstellungen zu den Beschlüssen der letzten Innenministerkonferenz anbringen, zumal die Be- schlüsse nach ihrem Zustandekommen unterschiedlich interpretiert werden: Was die Frage der Sprachkenntnisse der Einbürge- rungsbewerber angeht, so sollen sie sich am Sprachni- veau B l lediglich orientieren, müssen aber nicht etwa in vollem Umfange, auch bis hin zum schriftlichen Test, nachgewiesen werden. Erreicht jemand allerdings dieses Sprachniveau B l in vollem Umfang, kann er nach den Vorstellungen auch der Innenminister bereits nach sechs Jahren – bisher zum Beispiel sieben statt acht Jahren – eingebürgert werden. Klar ist, dass zum Beispiel Einbür- gerungsbewerber, deren Behinderung, deren Alter oder auch deren Bildungsniveau einen derartigen Spracher- werb unmöglich machen, nicht allein deswegen an ei- nem Sprachtest in ihrem Einbürgerungsbegehren schei- tern dürfen. Mit dem Vorschlag der Innenministerkonferenz, Inte- grationskurse durch das BAMF ausarbeiten zu lassen und für Einbürgerungsbewerber anzubieten – mit der Notwendigkeit der Bestätigung erfolgreicher Teilnehmer durch die Kursträger – sind meines Erachtens die im Vorfeld der Konferenz nicht nur öffentlich, sondern auch schon im Parlament erörterten Tests wie der so genannte baden-württembergische Muslimtest oder der Wissens- und Wertetest aus Hessen – jedenfalls gegenwärtig – vom Tisch und bedürfen deswegen auch keiner weiteren Behandlung. Was die Grenze von Tagessätzen bzw. Freiheitsstrafe angeht – sind und bleiben Ausnahmen bei Überschrei- tungen im Einzelfall möglich –, ist zu beachten, dass diese Hürde nach den Vorstellungen der Innenminister auch für die so genannte Ermessenseinbürgerung gelten soll, wo bisher selbst die Verhängung einer wirklichen Bagatellstrafe oder eines Bußgeldes die Anwendung der Ermessensvorschrift zugunsten des Betroffenen hindert. Seien Sie der Tatsache versichert, dass wir gerade die- sem Punkt in den Koalitionsverhandlungen besondere Aufmerksamkeit schenken werden und dass es hier und heute nicht mein Anliegen ist, den Beschluss der Innen- ministerkonferenz in jedem Punkt zu verteidigen. Klar- heit über seinen möglichen Inhalt und seine Intension sollte damit aber trotzdem geschaffen sein. Was schließlich die Anregung bzw. das Begehren des Antrages der Fraktion Die Linke angeht, das gesamte Optionsmodell im Staatsbürgerschaftsrecht zu kippen, bevor es erstmals richtig angewandt wird, sind die Un- terschiede – hier brauchen wir gar nicht lange herumzu- reden – zwischen den Koalitionsfraktionen so erheblich, dass ich mir heute nicht vorstellen kann, wie dieser im Jahre 1999 schwer zustande gekommene Kompromiss unter Einbeziehung auch der Wünsche der FDP-beteilig- ten Landesregierungen heute schon wieder aufgekündigt werden könnte. Darum sollten wir hierauf auch nicht un- nötig Kraft verwenden, sondern uns auf die Dinge kon- zentrieren, die aktuell bewegt werden können. Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Die FDP unter- stützt die Forderung nach einem modernisierten Einbür- gerungsverfahren, aber nicht in der Art, die der Fraktion der Linken vorschwebt. Alle Menschen mit Lebensmit- telpunkt in Deutschland sollen nach Auffassung der Lin- ken alle sozialen und politischen Rechte in Anspruch nehmen können, einschließlich des Wahlrechts. Der Aufenthaltstitel ersetzt demnach das Einbürgerungsver- fahren. Selbstverständlich muss nach Auffassung der Linksfraktion keiner der so Eingebürgerten seinen Le- bensunterhalt selbst bestreiten; der Bezug von Sozial- leistungen soll die Einbürgerung nicht mehr behindern. Selbst Karl Marx wusste noch, dass ein Mehrwert, der verteilt werden soll, erst einmal verdient werden muss. Ich empfehle der Linkspartei diesbezüglich das Studium der Werke von Marx und Engels, die sicherlich mehr wirtschaftlichen Sachverstand besaßen als offenkundig die Vertreter der SED-Nachfolgepartei in diesem Hause. Ein darüber hinausgehender Blick in die Haushaltslage des Bundes, der Länder und Kommunen ist offensicht- lich ohnehin zu viel verlangt. Anspruch auf Sozialleistungen sollen nach Vorstel- lung der Linken alle Menschen erhalten, die einen Auf- enthalt in Deutschland erreichen können. Das soll aber nicht mehr so schwer sein, denn es muss nicht legal pas- sieren: der Linkspartei erscheint das Verweigern der deutschen Staatsangehörigkeit für Straftäter als unzu- mutbar. Nach dem Wunsch der Linken sollen auch Kri- minelle eingebürgert werden, die zu mehr als 180 Tages- sätzen verurteilt worden sind. Die Linke fordert die Einbürgerung jedes in Deutsch- land geborenen Menschen. Ich frage mich, ob damit jedes Kind von Eltern, die sich nur temporär in Deutsch- land aufhalten, automatisch eine von den Eltern viel- leicht gar nicht erwünschte Staatsangehörigkeit aufgenö- tigt werden soll. Die Linke scheint jedenfalls in der deutschen Staatsangehörigkeit kein wertvolles Gut zu sehen, wenn sie es möglichst ohne Hürden und Kosten zugänglich machen und sogar regelrecht aufnötigen will. Um den innergesellschaftlichen Zusammenhalt ma- chen sich die Linken keine Gedanken; deshalb reicht es ihnen, dass sich die Neubürger nur rudimentär mündlich verständigen können. Schon einigermaßen fließendes Deutsch oder gar schriftliches Sprachvermögen ist aus Sicht der Linken zu viel verlangt. Für eine sprachliche Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs, etwa durch die Lektüre von Zeitungen, ist eine solche Sprachkompetenz aber Voraussetzung. Die Demokratie lebt von solcher Teilhabe und damit vom Beherrschen der Landesspra- che. Es passt, dass die Linken den Einzubürgernden auch keine Teilnahme an Staatbürgerschaftskursen vorschrei- ben wollen. Die Frage nach der Einstellung zu unserer Verfas- sungsordnung erscheint den Linken konsequent als un- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4169 (A) (C) (B) (D) zumutbare Gesinnungsschnüffelei. Offenbar ist jeder Test und jede Frage für die Linken verknüpft mit einem Generalverdacht mangelnder Verfassungstreue. Warum fordern die Linken dann eigentlich nicht auch die Ab- schaffung aller auf die Vermittlung von Grundkenntnis- sen ausgerichteten Schul- und Universitätsprüfungen, weil dahinter der bösartige Generalverdacht stehe, jeder Prüfling sei dumm? Wir Liberalen haben uns gegenüber Fangfragen hinsichtlich der Gesinnung ausdrücklich ab- lehnend positioniert. Aber diese Logik der Linken kön- nen wir uns nicht zueigen machen. Die Linken legen in ihrer Antragsbegründung die Meinung dar, die gegenwärtige, dringend notwendige Integrationsdebatte in Deutschland sei „mit rassistischen Zügen“ behaftet, und unterstellen, der politisch grund- sätzlich legitimen Forderung nach Überprüfung des deutschen Ausländerrechts liege ein – Zitat Antragsbe- gründung – „völkisch“ fundiertes Staatsbürgerschafts- verständnis zugrunde. Das ist eine unglaubliche Wort- wahl. Der bei uns Liberalen nicht übermäßig beliebte CSU-Generalsekretär Söder wird mit dem Terminus „völkisch“ in den Verdacht von Rassismus gebracht. Diese Art der Verunglimpfung des politischen Gegners finde ich unerträglich. Die Linken zeigen mit ihrem Antrag deutlich, wes Geistes Kind sie sind. Seine Ziele sind klar: Sie wollen möglichst ungehemmte Einwanderung ohne Qualifizie- rung, sie wollen keinen gesellschaftlichen Diskurs, sie wollen möglichst massive gesellschaftliche Konflikte durch unbegrenzte Einbürgerung von Kriminellen. Die Linken wollen die komplette Aushöhlung des So- zialsystems durch uneingeschränkte Einbürgerung von Menschen, die nicht nur ihren eigenen Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten können, sondern auch nicht in der Lage sind, einen Beitrag zum solidarischen Sozialsystem zu leisten. Sie wollen, dass möglichst viele Menschen von staatlichen Alimenten abhängig sind. Sie wollen die Einbürgerung von Menschen, die in keiner Weise in dieser Gesellschaft Chancen haben kön- nen, nicht nur, weil sie mental, sprachlich und wirt- schaftlich auf diese Gesellschaft nicht vorbereitet sind, sondern weil sie möglichst auch nicht vorbereitet werden sollen. Das ist geradezu unmenschlich. Diesen Menschen wollen die Linken keine Jobs und keine Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs, wozu das Beherrschen der deutschen Sprache notwendig ist, ein- räumen. Dafür aber sollen sie das Wahlrecht erhalten: ein tolles Angebot! Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Linken tatsäch- lich so naiv sind, zu glauben, dass alle Probleme bei der Integration von Zuwanderern dadurch gelöst werden, dass man ihnen Wahlrecht und Staatsangehörigkeit ein- räumt und ansonsten so tut, als gäbe es keine Probleme. Ich bin sicher, dass ein Großteil der Menschen in die- sem Land etwas anderes will. Ich danke der Linken aus- drücklich, dass sie einen so offenherzigen Einblick in ihre Gesinnung gestattet hat, die im Hinblick auf ihre Verfassungstreue ganz offensichtlich problematisch ist. Sevim Dagdelan (DIE LINKE): In unserem Land le- ben heute über 15 Millionen Menschen, die einen Migra- tionshintergrund haben. Und ein Großteil von ihnen kann grundlegende Rechte nicht beanspruchen, weil sie keine Staatsbürger sind. Mit unserem Antrag wollen wir dieses Demokratiedefizit beseitigen. Wir wollen deutlich machen, dass der Schlüssel zur politischen Integration und Chancengleichheit in der rechtlichen Gleichstellung liegt. Diese Gleichberechtigung wiederum schaffen wir mit einem radikal vereinfachten und erleichterten Ein- bürgerungsverfahren. So gesehen ist die Einbürgerung nicht der krönende Abschluss des Integrationsprozesses, sondern gehört zu dessen Grundvoraussetzungen. Wir wissen, dass nicht alle diesen Leitgedanken fol- gen, sondern eher einer Abwehrhaltung. Stellvertretend dafür möchte ich Herrn Stoiber hinsichtlich der Kon- zepte von Einbürgerungstests zitieren: „Bayern will hier Druck machen, weil wir uns ge- nau anschauen und überprüfen sollten, wer dauer- haft zu uns kommt und Deutscher wird.“ Mit anderen Worten soll wieder unterschieden werden zwischen denen, die uns nützen, und denen, die uns aus- nützen. Ein Arbeiter, der nach 30 Jahren am Fließband arbeitslos wurde, wird samt seiner Familie nicht einge- bürgert. Aber wir diskutieren heute wieder über Neure- gelungen für die Zuwanderung von Hochqualifizierten, weil der Arbeitgeberverband den Bedarf anmeldet. Aus Afrika stammende Topstürmer sollen für die deutsche Nationalmannschaft die Tore schießen. Aber afrikani- sche Straßenfußballer bekommen nicht einmal das Vi- sum für ein Fußballturnier. Dieses Nützlichkeitsprinzip ist unmoralisch, verwerflich und inakzeptabel. Sind Sie nicht auch der Ansicht, dass wir im Jahre 2006, also im fünften Jahrzehnt der Migration in die Bundesrepublik, anders argumentieren sollten? Auch aus Ihren Reihen wird diese Frage nämlich bejaht. Der Inte- grationsminister in NRW, Herr Laschet, sagt zum Bei- spiel, dass wir mehr Einbürgerung brauchen, dass jede Einbürgerung ein Erfolg ist. Auch der Bundestagspräsi- dent, Herr Lammert, sagte noch vorgestern, dass wir zu wenige Einbürgerungen haben, und er hat dazu aufgeru- fen, verstärkt für Einbürgerungen zu werben. Doch Sie können so viel werben, wie Sie wollen. Mit der derzeitigen Einbürgerungsverhinderungspolitik wer- den Sie Einbürgerungen nicht fördern. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Einbürgerungsquote in Schweden oder den Niederlanden fast fünfmal höher ist als in Bay- ern oder Baden-Württemberg. Seit der Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes zum 1. Januar 2000 haben wir einen deutlichen Rückgang bei Einbürgerungen. Wenn wir die Voraussetzungen dafür weiter verschärfen, wie das auch von der IMK vor wenigen Wochen be- schlossen wurde, wird sich nichts daran ändern. Im Ge- genteil. Die soziale Situation wie zum Beispiel die Ar- beitsmarktlage, fehlende Angebote zum Spracherwerb werden in der Debatte ausgeblendet. Als wären ver- pflichtende Sprachkurse das Allheilmittel, werden fast alle Probleme auf Sprachdefizite verkürzt. Wer ange- sichts der stigmatisierenden Debatte heute noch den Mut aufbringt, die Einbürgerung zu beantragen, müsste nicht 4170 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) nur den deutschen Pass erhalten, sondern auch das Bun- desverdienstkreuz. Und der Integrationsgipfel lässt in dieser Hinsicht auch nichts Positives erwarten. Mit unserem Antrag wollen wir dagegensteuern und den Menschen in unserem Land signalisieren, dass Mi- grantinnen und Migranten gleichberechtigter Teil dieser Gesellschaft sind. Unsägliche Schuldzuweisungen von angeblicher Integrationsunwilligkeit oder fehlender Inte- grationsbereitschaft sind da nur Störsignale. Mit Ihren Generalverdächtigungen haben Sie in letzter Zeit großen Schaden angerichtet. Wir müssen wieder dafür sorgen, dass das Vertrauen in ein Zusammenleben in Frieden, Freundschaft und Solidarität stärker wird. Informations- kampagnen für Einbürgerungen, wie sie in Berlin bereits laufen und von der Landesregierung in Nordrhein-West- falen angekündigt wurden, sind unseres Erachtens Schritte in die richtige Richtung und deshalb Teil unse- res Antrages. Das ist der Weg, den wir gehen müssen, um die von Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, immer wieder beklagten Defi- zite bei der Integration wettzumachen. Abschließend ein paar Worte an Sie: Liebe Kollegin- nen und Kollegen von der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen, in Ihrem Fraktionsbeschluss vom 30. Mai, den ich in mancher Hinsicht kritisiere, fordern Sie im Rahmen des Integrations-Fahrplans die Weiterentwicklung der einbürgerungsrechtlichen Politik. Ich konnte mit Freude einige Übereinstimmungen in dieser Hinsicht feststellen. Sollten Sie unseren Antrag nicht unterstützen, könnte ich das jedenfalls nicht auf inhaltliche Bedenken zurückfüh- ren. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Eine demokratisch verfasste Gesellschaft kann auf Dauer nur funktionieren, wenn nicht große Bevölke- rungsteile von einer vollen Partizipation ausgeschlossen werden. Eine volle politische Teilhabe der Eingewander- ten bzw. hier geborenen Inländer mit ausländischem Pass ist aber nur über den Erwerb der deutschen Staats- angehörigkeit möglich. Einige Zahlen – nach Angaben des jüngsten Migra- tionsberichtes –, um die tatsächliche Größe des Pro- blems zu verdeutlichen: Erstens. In Deutschland leben rund 6,7 Millionen Ausländer. Zweitens. Ungefähr die Hälfte aller Migrantinnen und Migranten lebt seit mehr als zehn Jahren in Deutschland. 30 Prozent von diesen leben sogar schon 20 Jahre oder länger hier, 40 Prozent von ihnen seit mehr als 15 Jah- ren. Bei Ausländern aus den klassischen Anwerbestaa- ten, zum Beispiel Türkei, sind die Aufenthaltszeiten durchschnittlich noch länger. Drittens. Jährlich werden circa 100 000 ausländische Kinder geboren, bei deren Geburt in der Mehrzahl fest- steht, dass sie hier aufwachsen, zur Schule gehen, heira- ten und arbeiten werden. Dennoch sind sie rechtlich Ausländer. Diese Zahlen lassen nur einen Schluss zu: Der Erwerb der Staatsangehörigkeit muss weiter erleichtert werden. Zwar konnten wir 1999 ein neues Staatsangehörigkeits- recht verabschieden, dessen gefundener Kompromiss durch ein Vermittlungsausschussverfahren allerdings hinter den Zielen der grünen Bundestagsfraktion zurück- blieb. Insbesondere für die erste Einwanderergeneration hat- ten wir uns ein großzügigeres Angebot erhofft. Zumin- dest für diese Generation hätten wir uns die regelmäßige Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft gewünscht. Es blieb aber beim Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit. Wir konnten zwar die Ausnahmen er- weitern, aber ein wirklicher Brückenschlag zur ersten Generation ist das noch nicht. Dies ist damals an der FDP gescheitert. Die Bundestagsfraktion des Bündnisses 90/Die Grü- nen hat im Mai 2006 ein umfassendes Integrationskon- zept verabschiedet. Mit dem neuen Grundsatzpapier ent- wickeln wir unsere Integrationspolitik weiter. In diesem Papier plädieren wir für einen gesellschaftlichen Integra- tionsvertrag: Die aufnehmende Gesellschaft und die Mi- grantinnen und Migranten müssen sich unserer Überzeu- gung nach gemeinsam der großen Herausforderung der Integration stellen. Ein gesellschaftlicher Integrationsvertrag macht auch eine Weiterentwicklung in der Einbürgerungspolitik un- seres Landes notwendig. Erstens. Im Rahmen des Integrationsvertrages müssen die Fristen für Einbürgerungen verkürzt werden. Zweitens. Das Angebot an staatsbürgerlichen Kursen, in denen man sich auf eine Einbürgerung vorbereiten kann, muss ausgebaut werden. Diese Kurse sollten frei- willig sein. Sie sollten sowohl in die rechtliche und poli- tische Ordnung unserer Gesellschaft einführen, aber auch Hilfestellungen im täglichen Leben anbieten und auf Beratungsstellen verweisen, wie zum Beispiel für Frauen. Gesinnungsprüfungen bei Einbürgerungsverfah- ren sind nicht nur untauglich, sondern auch verfassungs- rechtlich unzulässig. Drittens. Einbürgerungsverfahren sollen zu einem re- präsentativen, dem Anlass angemessenen freudigen Er- eignis werden. Ein feierliches Gelöbnis oder ein Eid auf die Verfassung – wie von Teilen der Union gefordert – tragen aber dazu nichts bei. Ein solcher Akt könnte auch kaum rechtliche Folgen haben: Wann wäre ein solcher Eid gebrochen? Welche Konsequenzen sollten drohen, wenn – auch grundgesetzlich – niemand aufgrund eines staatlichen Akts durch Entzug der Staatsangehörigkeit in die Staatenlosigkeit geworfen werden darf? Auch wird Deutschen nicht abverlangt, einmal in ihrem Leben ei- nen Treueeid auf die Verfassung abzulegen. Viertens. Die Hinnahme von Mehrstaatigkeit wollen wir zumindest für Angehörige der ersten Generation der zugewanderten Migrantinnen und Migranten generell er- möglichen. Fünftens. Im Hinblick auf in Deutschland geborene deutsche Kinder, die neben ihrer deutschen Staatsange- hörigkeit eine zweite besitzen, widerspricht es dem An- satz des Integrationsvertrages, wenn sie später dazu ge- zwungen werden, gegebenenfalls ihren deutschen Pass Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4171 (A) (C) (B) (D) wieder abzugeben. Nach Ansicht von Bündnis 90/Die Grünen soll der Optionszwang für heranwachsende Mi- grantenkinder entfallen. Wir wollen, dass sich mehr Menschen für die Einbür- gerung entscheiden, weil sie sich mit dieser Gesellschaft und diesem Staat identifizieren. Wir wollen, dass der Tatsache Rechnung getragen wird, dass viele Migrantin- nen und Migranten hier seit Jahren leben und ihren Le- bensmittelpunkt haben. Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten (Tages- ordnungspunkt 18) Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/ CSU): Der Gesetzentwurf zur Stärkung der Rückgewin- nungshilfe und Vermögensabschöpfung bei Straftaten nimmt nicht für sich in Anspruch, ein großartiges Re- formwerk zu sein. Nein. Dieser Gesetzentwurf ist aber auch mehr als die Umsetzung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 14. Januar 2004. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass zwar beim einfachen Verfall § 73 StGB, nicht aber beim so genannten erweiterten Verfall § 73 d StGB Schaden- sersatzansprüche von Tatopfern Vorrang vor der straf- rechtlichen Gewinnabschöpfung haben. Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtes war, die strafprozessualen Vorschriften zur Rückgewinnungshilfe in §§ 111 b ff. StPO opferfreundlicher auszugestalten. Die Bundesre- gierung hätte sich somit mit einer geringfügigen Ergän- zung des § 73 d Abs. 1 StGB zufrieden geben können, um dem Prüfauftrag des Bundesverfassungsgerichtes ge- recht zu werden. Dabei darf man nicht verkennen, dass die Bundesregierung sich seit dem Jahr 1998 mit einer Änderung des Rechts der Vermögensabschöpfung und Rückgewinnungshilfe beschäftigt. Auch elegante Lösun- gen, die teilweise bei der Sachverständigenanhörung zur Änderung dieses Gesetzes angesprochen wurden, wur- den überlegt. Bis zu Ende gedacht wäre auch eine im materiellen Recht angesiedelte elegante Lösung in der gewünschten Kargheit kaum möglich gewesen. Dankenswerterweise hat das BMJ die für den Fach- mann schwer und für den Laien gar nicht verständlichen Vorschriften der StPO zur Rückgewinnungshilfe durch- forstet. So sind jetzt einige Verbesserungen für die Opfer von Straftaten vorgesehen. Zum Beispiel soll die Frist zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen für Opfer von drei Monaten auf drei Jahre verlängert werden (§ 111 i Abs. 3 StPO). Zusammen mit weiteren sinnvol- len Änderungen ist der § 111 i StPO allerdings zu einem juristischen Monstrum mit acht Absätzen mutiert. Und dennoch haben wir bei der Beratung des Gesetzentwur- fes weder die Geduld noch den Überblick verloren. In der Debatte wurden erwägenswerte Änderungs- wünsche vorgebracht. Kollege Dr. Danckert wollte die verlängerte Frist zur Geltendmachung von Schadener- satzansprüchen der Opfer an der Rechtskraft des Urteils festgemacht wissen. Das stieß bei Regierungsvertretern auf wenig Gegenliebe. Nicht anders war es bei meinem Ansinnen, für die Vermögenshaft die weitere Be- schwerde zuzulassen. Doch getreu dem Motto: „Wir sind der Gesetzgeber“ (Art. 77 Abs. 1 GG), haben Kollege Dr. Danckert und ich eine Phalanx gebildet und wir hat- ten Erfolg. Ihnen liegt ein überarbeiteter Entwurf vor: Fristbeginn ab Rechtskraft des Urteils! Weitere Be- schwerde gegen einen existenzbedrohenden Arrest in das Vermögen eines Beschuldigten! Insgesamt führt dieser Gesetzentwurf zu einer Stär- kung von Opferinteressen und einer Berücksichtigung von Belangen eines Beschuldigten, der nach Art. 6 Abs. 2 MRK als unschuldig zu gelten hat. Ein gutes Er- gebnis. Gern wären wir auch der Anregung der FDP nachge- kommen, beschlagnahmte Gelder, die Opfer nicht abrufen, statt im Wege des nachgelagerten Verfalls – Auffang- rechtserwerb – dem Staat zuzuweisen, opferschützenden Organisationen zur Verfügung zu stellen. Das stieß aber auf gesetzestechnische und fiskalische Bedenken. Hier haben wir uns – vorerst – auf einen Appell an die Länder beschränkt, einen angemessenen Teil der den Ländern aus dem Auffangrechtserwerb zufließenden Gelder Op- fer schützenden Organisationen zur Verfügung zu stel- len. Offen geblieben ist die ersatzlose Streichung der §§ 111 o und p StPO. Diese Vorschriften werden nicht mehr benötigt, seit das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 20. März 2002 die Vermögensstrafe nach § 43 a StGB für verfassungswidrig erklärt hat. Das soll- ten wir gelegentlich nachholen. Sie sehen also, alle Mitglieder des Rechtsausschusses haben sich redlich Mühe gegeben. Wir bitten diese Mühe mit Ihrer Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf zu ho- norieren. Dr. Peter Danckert (SPD): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verfolgt der Gesetzgeber zwei Ziele: Zum einen sollen finanziell geschädigte Opfer von Straftaten bei der Geltendmachung ihrer Ersatzansprüche im Ver- gleich zur bestehenden Rechtslage besser gestellt wer- den. Zum anderen soll das durch eine Straftat erlangte Vermögen dem Staat zufallen, wenn der durch eine Straftat Geschädigte seine Ansprüche nicht innerhalb ei- ner Dreijahresfrist verfolgt. Damit wollen wir das Signal geben: Straftaten lohnen sich nicht! Bereits die bisher einschlägigen Vorschriften des Strafgesetzbuches und der Strafprozessordnung sahen die Möglichkeit der Geltendmachung von Ansprüchen auf aus Straftaten erlangtes Vermögen durch die Geschä- digten vor. Es hat sich aber herausgestellt, dass noch ei- nige Regelungsdefizite bei der Umsetzung der Vorschrif- ten über die Rückgewinnungshilfe beim Verfall von Wertersatz bestehen. So kann nach geltendem Recht letztlich nicht ausgeschlossen werden, dass der durch eine Straftat erlangte Vermögensvorteil wieder an den Täter zurückfällt und Opfer bzw. der Staat leer ausgehen. 4172 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir dahin kommen, dass sich Straftaten nicht lohnen. Wir wollen die bestehenden Regelungslücken beseitigen und die strafrechtliche Vermögensabschöpfung verbessern – ohne das bisherige gesetzliche Regelungskonzept im Grundsatz zu verändern und bei möglichst geringem Aufwand für die Praxis. Dies erfordert punktuelle Ände- rungen bzw. Ergänzungen des geltenden Prozessrechts, die wir jetzt vorgenommen haben. Dies betrifft insbeson- dere § 73 Abs. l Satz 2 Strafgesetzbuch. Zur Diskussion stand hierbei eine materiell-rechtliche Lösung eines Auf- fangrechtserwerbs des Staates. Wir haben uns letztend- lich aber auf einen prozessualen Auffangrechtserwerb nach § 111 i StPO-E verständigt, die in unseren Augen die geeignetere Variante ist. Allenfalls kritisch anzumer- ken ist, dass die vorgeschlagenen Regelungen in § 111 i StPO-E ein wenig lang und umständlich geraten sind. Aber die komplexe Materie lässt leider keine andere Re- gelung zu. Als wir den Gesetzentwurf in erster Lesung am 10. März 2006 hier an dieser Stelle im Plenum beraten haben, habe ich mich bereits im Großen und Ganzen zu- frieden mit dem Entwurf gezeigt. Ich habe allerdings auf einen Punkt aufmerksam gemacht, den ich für verbesse- rungswürdig erachte, nämlich, dass der Beginn der Drei- jahresfrist an die Rechtskraft des Strafurteils anknüpft und nicht wie bisher an den Zeitpunkt der Verurteilung des Täters. Diese Notwendigkeit wurde auch von zahl- reichen Praktikern erkannt und gefordert. Ich freue mich daher, dass es uns im Laufe der Ausschussberatungen und in zahlreichen Gesprächen gelungen ist, in diesem Punkt eine Verbesserung herbeizuführen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, die Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen auf be- schlagnahmtes Vermögen auf drei Jahre auszudehnen. Das gibt den Geschädigten ausreichend Zeit, ihre An- sprüche geltend zu machen und Zwangsvollstreckungs- maßnahmen in das sichergestellte Vermögen zu betrei- ben. Allerdings habe ich mich von Anfang an dafür ausge- sprochen, dass die Rechtskraft der Zeitpunkt sein müsste, an dem für den Beginn der Frist angesetzt wird. Für den Geschädigten entstünde daraus kein Nachteil. Im Gegenteil: Es entsteht sogar ein Vorteil. Das Problem ist doch, dass es sehr häufig passiert, dass Urteile erster Instanz in Revision gehen, aufgehoben werden und wie- derverhandelt werden. Die Änderung trägt dem Aspekt Rechnung, dass erst mit der Rechtskraft des letzten tatrichterlichen Urteils das Erlangte verbindlich bezeichnet ist. Für den Geschä- digten ergibt sich daraus ein hohes Maß an Rechtssicher- heit. Ich bin sicher, dass wir mit dem vorliegenden Gesetz- entwurf jetzt das erreicht haben, was wir erreichen woll- ten, nämlich eine Verbesserung der Rechtslage der Ge- schädigten. Wir haben ferner sichergestellt, dass die Täter im Nachhinein nicht von ihren Straftaten profitie- ren. Auf einen Aspekt möchte ich an dieser Stelle aller- dings noch gerne hinweisen: auf das nach geltendem Recht bestehende Instrumentarium der vorläufigen Si- cherung von Vermögenswerten. In der Praxis führt dies häufig zu unbilligen und unangemessenen Folgen. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in zahlreichen Ent- scheidungen mit der Frage der vorläufigen Sicherungs- maßnahmen befasst, zuletzt am 29. Mai 2006. Denn im- mer wieder kommt es bei solchen Sicherstellungen zu Kontensperrungen oder Auszahlungsverboten, die die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Betroffenen stark einschränken und den Ruf des betroffenen Unterneh- mens schädigen. Bei Arbeitnehmern drohen sogar ar- beitsrechtliche Konsequenzen. Der Schaden, der daraus entsteht, ist kaum wiedergutzumachen, sollte sich später der Verdacht als unbegründet erweisen. In der Entscheidung vom 29. Mai 2006 folgert das Bundesverfassungsgericht daher, dass es einer besonders sorgfaltigen Prüfung und einer eingehenden Darlegung der dabei maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen in der Anordnung bedarf, wenn im Wege vorläufiger Sicherungsmaßnahmen das gesamte oder na- hezu das gesamte Vermögen dem Betroffenen entzogen wird. Vor dem Hintergrund dieser Entscheidung muss ver- schärft darauf geachtet werden, dass die Amts- und Landgerichte dieser Rechtsprechung Folge leisten. Im Falle einer Nichtbefolgung ist dann der Gesetzgeber auf- gefordert, hier nachzubessern. Jörg van Essen (FDP): Die FDP hat immer betont, dass sie die Grundrichtung des Gesetzentwurfs begrüßt. Der Auffangrechtserwerb des Staates ist richtig. Es ist ein unerträglicher Zustand, wenn das aus Straftaten er- langte Vermögen an den Täter zurückfällt, weil sich kein Geschädigter gefunden hat, der entsprechende Ansprü- che angemeldet hat. Es ist selbstverständlich, dass der Rechtsstaat hier einen anderen Weg finden muss. Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt daher die Regelung, dass das eingezogene Vermögen an den Staat zurück- fällt, wenn die Opfer ihre Ansprüche nicht binnen drei Jahren nach der Verurteilung des Täters geltend machen. Zu begrüßen ist auch, dass das Bundesjustizministe- rium kurzfristig noch einige Änderungen vorgelegt hat, die zur weiteren Verbesserung des Gesetzentwurfs füh- ren. Dies gilt insbesondere für die Möglichkeit, dass mit einer weiteren Beschwerde der Rechtsschutz für die An- ordnung des dinglichen Arrests erweitert wird. Auch die Klarstellung, dass der Beginn der Dreijahresfrist, inner- halb derer das Gericht die Beschlagnahme oder den Ar- rest aufrechterhält, an die Rechtskraft des Strafurteils an- knüpft, ist sachgerecht und entspricht einer Forderung der Anwaltschaft. Es gibt jedoch auch eine Reihe von kritikwürdigen Punkten, die im Ergebnis dazu führen, dass die FDP- Bundestagsfraktion dem Gesetzentwurf nicht zustimmen kann. Seit vielen Jahren gibt es Bestrebungen, das Sys- tem der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung zu re- formieren mit dem Ziel, es einheitlicher, übersichtlicher und damit für die Rechtspraxis handhabbarer zu machen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4173 (A) (C) (B) (D) Dies wird mit dem Gesetzentwurf leider nicht erreicht. Auf die Ansätze, die der Gesetzgeber in der 13. Wahl- periode begonnen hat, wurde nicht zurückgegriffen. Be- reits damals lag dem Bundestag ein Gesetz zur Beratung vor, mit dem eine Vereinfachung der Verfalls- und Ein- ziehungsregelungen angestrebt wurde. Es bleibt daher dabei, dass das gesetzliche System der Vermögensab- schöpfung, insbesondere das Verhältnis von Verfall und Einziehung, auch weiterhin kompliziert bleibt. Das be- daure ich außerordentlich. Der Gesetzentwurf verzichtet zudem darauf, einige Begrifflichkeiten im Gesetz klarzustellen. Eine gesetzli- che Harmonisierung und eine in sich stimmige Gesamt- lösung wäre insbesondere im Hinblick auf den interna- tionalen Rechtsverkehr dringend geboten. Das Gesetz hätte ein großer Wurf werden können. Das Ergebnis bleibt jedoch weit hinter diesen Erwartungen zurück. Problematisch ist aus Sicht der FDP-Bundestagsfrak- tion auch die Erweiterung der Frist für die Aufrechter- haltung der vorläufigen Sicherungsmaßnahmen. Ich er- kenne an, dass damit den Opfern von Straftaten die Durchsetzung ihrer Ansprüche erleichtert wird. Unbe- antwortet bleibt aber die Frage, wie mit den Rechten von Dritten verantwortlich umgegangen werden soll. Die Ausdehnung der Frist um weitere sechs Monate hat zur Folge, dass allein aufgrund eines einfachen Verdachts- grades Eingriffe in Rechte Beschuldigter und unbeteilig- ter Dritter für insgesamt zwölf Monate ermöglicht wer- den. Ein dringender Tatverdacht ist nicht erforderlich. Im Hinblick auf die Unschuldsvermutung bestehen hier große Bedenken. Diese Regelungen sind, auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungs- gerichts, nach wie vor problematisch. Das Bundesverfas- sungsgericht hat bereits in früheren Entscheidungen da- rauf hingewiesen, dass es sich bei den verfallssichernden Maßnahmen und dem damit verbundenen drohenden Wertverlust vorläufig sichergestellter Vermögenswerte um schwerwiegende Eingriffe in das Eigentumsrecht handelt. Die FDP hat im Gesetzgebungsverfahren vorgeschla- gen, eine neue Regelung in das Gesetz einzuführen, wo- nach die Gerichte im Rahmen des nachgelagerten Ver- falls einen von ihnen zu bestimmenden Teil der vom Staat erworbenen Vermögenswerte einer anerkannten gemeinnützigen Einrichtung der Opferhilfe zuweisen können. Diese Maßnahme wäre ein echter Gewinn für den Opferschutz. Sie würde auch im Wesentlichen dem Zweck der Wiedergutmachung dienen. Damit würde zu- dem eine verlässliche finanzielle Grundlage für den Op- ferschutz geschaffen. Die Offenheit, mit der die Koalitionsfraktionen den Änderungsantrag der FDP aufgenommen haben, hat mich zunächst gefreut. Es ist daher enttäuschend, dass unser Vorschlag letztlich keine Mehrheit gefunden hat. Die von der Koalition vorgetragenen Gründe sind mehr als vorgeschoben. In der letzten Wahlperiode hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems vorgelegt. Der Ent- wurf sah die Verpflichtung der Gerichte vor, einen Teil- betrag der gezahlten Geldstrafe Organisationen der Op- ferhilfe zuzuweisen. Diese Anregung haben wir mit unserem Änderungsantrag aufgegriffen. Im Gegensatz zu der Regelung aus der 15. Wahlperiode haben wir uns dafür ausgesprochen, die Entscheidung über die Zuwei- sung in das Ermessen der Gerichte zu stellen. Es ist be- dauerlich, dass die guten Vorsätze der Bundesregierung aus dem Jahr 2004 heute bereits vergessen sind. Damit wird leider deutlich, dass es immer wieder einer großen Kraftanstrengung bedarf, die Rechte von Opfern gesetz- lich zu verankern. Insgesamt bleiben für die FDP viele offene Fragen unbeantwortet und große Zweifel, ob das Gesetz wirk- lich praxistauglich sein wird. Die große Chance, eine Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung aus einem Guss anzugehen, wurde leider vertagt. Sevim Dagdelen (DIE LINKE): Wie bereits bei der esten Lesung deutlich gemacht: Wir stimmen der Ziel- richtung des Gesetzes zu. Wer Opfer eines Vermögens- oder Eigentumsdeliktes wurde, dem soll dabei geholfen werden, sein Geld oder sein Hab und Gut wiederzuerlan- gen. Insoweit ist der Entwurf ein Schritt in die richtige Richtung. Im Gegensatz zur allgemeinen Straßenkriminalität, auf die der Staat allzu oft mit dem scharfen Schwert der Vergeltung reagiert, obwohl gerade den Tätern dieser Ta- ten auf die Stirn geschrieben steht, warum sie sich gegen die Gesellschaft wendeten, von der sie sich ausgegrenzt und verlassen fühlen, lohnen sich die Verbrechen der Schlipsträger in diesem Land. Daran wird dieser Ent- wurf nichts ändern. Dennoch ist er insoweit zu begrüßen, als er die Selbstverständlichkeit fördert, dass die Beute nicht auch noch bei den Tätern verbleibt. Wir sind froh über die erfolgten Nachbesserungen, vor allem über die Gewährung eines weiteren Rechtsmit- tels zugunsten desjenigen, gegenüber dem vorläufige Si- cherungsmaßnahmen ergehen. Dies halten wir aus rechtsstaatlichen Gründen für unerlässlich, wie Sie auch unserem im Rechtsausschuss eingebrachten Änderungs- antrag hätten entnehmen können – wenn Sie ihn denn gelesen hätten. Diesbezügliche Zweifel hege ich nicht deshalb, weil unser Antrag ebenfalls die nun erfolgenden Änderungen enthielt und dennoch von Ihnen einstimmig abgelehnt wurde, sondern auch weil er über die Vor- schläge des BMJ hinaus lediglich Anregungen der Sach- verständigen aufnahm, die im Rechtsausschuss auch von Vertretern der großen Koalition als durchaus beachtlich angesehen wurden. Deshalb sehe ich mich gezwungen, hier zumindest auf einen Punkt des Vorschlags der Bun- desregierung einzugehen, bei dem wir in Übereinstim- mung mit den angehörten Fachleuten dringenden Nach- besserungsbedarf sehen. Die Bundestagsfraktion Die Linke hält es für unver- einbar mit unserer Verfassung, wenn nicht nur die wirt- schaftliche Existenz von Unternehmen, sondern auch diejenige von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und abhängigen Kleinbetrieben dadurch gefährdet wird, dass aufgrund eines bloßen Anfangsverdachts – der sich gerade in komplexen Bereichen der Vermögenskrimina- lität leicht als unbegründet erweist –, das gesamte Ver- 4174 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) mögen des Betroffenen ein Jahr lang sichergestellt wer- den kann. Daher schlagen wir vor, zumindest nach sechs Monaten die Aufrechterhaltung des Arrests oder der Be- schlagnahme von Voraussetzungen abhängig zu machen, die denjenigen der Anordnung der Untersuchungshaft entsprechen. Die Bundesregierung muss sich aber darüber hinaus auch fragen lassen, ob sie es mit den von ihr angeführten Zielen tatsächlich ernst meint. Wäre es denn nicht wirk- licher Opferschutz, dem Verletzten einen direkten An- spruch gegen den Staat zuzubilligen, wenn der Fiskus im Falle des § 111 i Abs. 3 StPO nach drei Jahren von dem Verfall profitiert? Wäre nicht eine große Reform – ich erinnere an den Entwurf aus dem Jahre 1998 –, die die Unterscheidung Einziehung/Verfall auflöst, auch im Hinblick auf die not- wendige europäische Harmonisierung der Vermögensab- schöpfung eine tatsächliche Erleichterung der Justizar- beit? Und verlangt der Kampf gegen die Wirtschaftskrimi- nalität in Wirklichkeit nicht etwas ganz anderes als Än- derungen im normativen Bereich? Der Bundesgerichtshof hat diese letzte Frage explizit beantwortet und in einer fast schon Verzweiflung aus- drückenden Form erklärt: Dem in § 56 Abs. 3 StGB zum Ausdruck gekom- menen Anliegen des Gesetzgebers, das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts vor einer Erschütterung durch unangemes- sen milde Sanktionen zu bewahren, kann im Be- reich des überwiegend tatsächlich und rechtlich schwierigen Wirtschafts- und Steuerstrafrechts nach Eindruck des Senats nur durch eine spürbare Stärkung der Justiz in diesem Bereich Rechnung getragen werden. Nur auf diese Weise – nicht durch bloße Gesetzesverschärfungen – wird es möglich sein, dem drohenden Ungleichgewicht zwischen der Strafpraxis bei der allgemeinen Kriminalität und der Strafpraxis in Steuer- und Wirtschaftsstraf- verfahren entgegenzutreten und dem berechtigten besonderen öffentlichen Interesse an einer effekti- ven Strafverfolgung schwerwiegender Wirtschafts- kriminalität gerecht zu werden. Es wird also deutlich: Die Bundesregierung hat gekle- ckert und nicht geklotzt – sie ist allerdings in dem letzten Punkt auch auf die Mithilfe der Länder angewiesen. Um dem Flehen unserer obersten Strafrichter, die zu- sammen mit dem Rest der dritten Gewalt mit einem Jus- tizhaushalt in Höhe von 0,13 Prozent der Gesamtausga- ben des Bundeshaushaltes und circa 3 Prozent der Länderhaushalte abgespeist werden, wenigstens ein biss- chen Gehör zu verschaffen, möchte ich zum Abschluss folgenden Vorschlag unterbreiten: Der gute – von Ihnen im Rechtsausschuss ebenfalls abgelehnte – Gedanke des Kollegen van Essen, Opferschutzorganisationen an den Gewinnen des Verfalls partizipieren zu lassen, sollte an- genommen und dahin gehend ergänzt werden, dass Schwerpunktstaatsanwaltschaften „Wirtschaftsstrafrecht“ und „Wirtschaftsstrafkammern“ durch die Gewinne aus der Vermögensabschöpfung mit dem nötigen Personal und Know-how ausgestattet werden. Nur so kann verhindert werden, dass sich die Neure- gelung, wegen des aus ihr erwachsenden Mehraufwan- des für die Justiz letztlich kontraproduktiv auswirkt. Zu- dem wäre ein ungleich größerer Gewinn für die Bekämpfung der volkswirtschaftlich verheerenden Wirt- schaftskriminalität und damit auch für die Strafgerech- tigkeit in diesem Lande erzielt als durch den jetzigen Entwurf. Diesbezüglich appelliere ich an die Länder: Stattet die Justiz im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts angemessen aus; denn der Verzicht auf Gerechtigkeit ist weder recht noch billig. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Be- reits aus den Beiträgen meiner Vorredner wurde deut- lich, dass wir uns in einem vollkommen einig sind: Ein überführter Täter soll nicht die Früchte seiner Tat behal- ten dürfen. Der heute zu debattierende Gesetzentwurf zielt des- halb darauf ab, die Abschöpfung krimineller Gewinne zu erleichtern und Lücken im Gesetz zu schließen. Der Ent- wurf hat aber ein strukturelles Problem: Er betrifft die Sicherstellung von Vermögen im laufenden Ermittlungs- verfahren. Das bedeutet, dass das Vermögen eines Beschuldigten beschlagnahmt wird, für den in vollem Umfang die Unschuldsvermutung gilt. Wie uns die Sachverständigen im Berichterstattergespräch bestätigt haben, kann der dingliche Arrest für den Betroffenen er- hebliche Folgen haben und bisweilen mit der Zerstörung seiner wirtschaftlichen Existenz einhergehen. In diesem Zusammenhang müssen wir uns deshalb fragen lassen: Was sind die Hürden für den Einsatz repressiver Maß- nahmen, wenn sie sich gegen einen noch nicht verurteil- ten Täter, also möglicherweise Unschuldigen richten? Deshalb ist die beschlossene Verlängerung des Zeit- raums von drei auf sechs Monate, in dem das Vermögen über die ersten sechs Monate hinaus sichergestellt wer- den darf, bei einfachem Anfangsverdacht auch bedenk- lich. Aus zwei Gründen können wir diesen Vorschlag aber im Ergebnis mittragen: Erstens gibt es Ermittlungsverfahren, die so langwie- rig sind, dass die Verlängerung um drei Monate hin- nehmbar ist. Zweitens hat das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung vom Mai diesen Jahres den Abwä- gungsmaßstab im Fall der vorläufigen Sicherstellung des gesamten oder nahezu gesamten Vermögens präzisiert: Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz fordert nicht ledig- lich eine Vermutung, dass es sich um strafrechtlich er- langtes Vermögen handelt; vielmehr bedürfe dies einer besonders sorgfältigen Prüfung und einer eingehenden Darlegung der dabei maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen in der Anordnung, damit der Betroffene Rechtsschutz suchen kann. Der Gesetzentwurf hat für den Beschuldigten auch Verbesserungen erfahren; denn dieser hat jetzt die Mög- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4175 (A) (C) (B) (D) lichkeit der weiteren Beschwerde gemäß § 310 StPO bei der Anordnung des dinglichen Arrestes. Es ist richtig und notwendig, dem Beschuldigten schon im Ermitt- lungsverfahren ein effektives Rechtsmittel an die Hand zu geben. Insoweit wird er mit einem Untersuchungs- häftling gleichgestellt, dem ebenfalls die weitere Be- schwerde zusteht. Wer noch als unschuldig gilt, der soll sich gegen weitreichende Eingriffe in sein Vermögen an- gemessen gerichtlich wehren können. Die Verbesserungen des Entwurfs für das Opfer be- stehen darin, dass der Zeitpunkt für den Beginn der Drei- jahresfrist präzisiert worden ist. Nun ist klar: Der Ver- letzte einer Straftat kann seine Ansprüche innerhalb von drei Jahren ab Beginn der Rechtskraft des Urteils geltend machen. Diese Präzisierung sorgt für mehr Rechtssicher- heit. Wir haben im Rechtsausschuss auch dem Änderungs- antrag der FDP zugestimmt, der vorsieht, eindeutig von Verletzten stammendes Vermögen Opferorganisationen zukommen zu lassen; also Fälle, in denen das Opfer der Straftat entweder unbekannt ist oder Ansprüche zur Rückerlangung des Vermögens nicht geltend gemacht hat. Dieser Vorschlag ist gut und vernünftig. Die Argumentation der Koalitionsfraktionen hat mich – gelinde gesagt – überrascht. In der ersten Plenardebatte zu diesem Gesetzentwurf wurde noch lauthals für die Stärkung des Opferschutzes geworben. Der Abgeordnete van Essen hatte ausdrücklich den „Weißen Ring“ als Op- fereinrichtung hierfür genannt. Kollege Kauder reagierte euphorisch, der Vorschlag habe bei ihm „leuchtende Au- gen“ entzündet. Offenbar nur ein Strohfeuer, das leider schon erlo- schen ist: Allen Ernstes haben CDU/CSU und SPD statt dessen an die Länder appelliert, einen angemessenen Teil der ihnen künftig zufallenden Vermögenswerte ge- meinnützigen Einrichtungen der Opferhilfe zukommen zu lassen. Man wolle nicht in deren Finanzhoheit ein- greifen. Ich bitte Sie – angesichts der klammen Kassen der Länder ist dieser Appell eine Farce und das wissen Sie genau. Wenn die Damen und Herren von der so ge- nannten großen Koalition die Arbeit von Opferorganisa- tionen tatsächlich fördern wollen, täten sie gut daran, dem FDP-Antrag zuzustimmen. Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister der Justiz: Das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und Vermögensabschöpfung bei Straftaten schließt eine Gesetzeslücke. Heute kann ein Straftäter trotz Verurteilung von sei- nen Straftaten profitieren. Diese unbefriedigende Situa- tion beruht auf einer Regelung im Strafgesetzbuch. Das geltende Recht erlaubt es den Gerichten nicht ohne wei- teres, Gewinne aus Straftaten für verfallen zu erklären, also dem Täter „wegzunehmen“ und das Eigentum hieran auf den Staat zu übertragen. Bislang können näm- lich nur dann Vermögenswerte aus Straftaten für verfal- len erklärt werden, wenn nicht zugleich die Geschädig- ten Ansprüche haben. Ein gutes Beispiel sind die Betrugsdelikte: Das mit Betrügereien erschwindelte Vermögen unter- liegt regelmäßig nicht dem Verfall: Denn hier haben die Geschädigten, also die Betrogenen, Ersatzansprüche ge- gen den Betrüger. Das ist grundsätzlich auch gut so, weil der Staat sich nicht auf Kosten der Opfer bereichern darf. Wenn die Geschädigten aber Ihre Ansprüche nicht geltend machen – etwa weil der Schaden ganz gering ist oder weil sie gar nicht wissen, dass der Täter gefasst worden ist –, dann gehen die sichergestellten Gewinne eben nicht an den Staat, sondern sie sind an den Täter zurückzugeben. Wie wir aus der Praxis wissen, ist das leider alles andere als ein Ausnahmefall. Die entsprechende Regelung im Strafgesetzbuch – konkret geht es um § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB – wird deswegen auch häufig als „Totengräber des Verfalls“ be- zeichnet. Der vorliegende Entwurf wird all diese Pro- bleme so weit wie möglich lösen. Er stellt sicher, dass der Täter solche Vermögenswerte in keinem Fall mehr zurückerhält. Künftig sollen die sichergestellten Vermögenswerte an den Staat fallen, wenn die Opfer ihre Ansprüche nicht geltend machen. Um den Geschädigten genügend Zeit zu geben, ihre Rückgabeansprüche auch durchzusetzen, verlängert der Entwurf außerdem die hierfür maßgebliche Frist. Derzeit haben die Opfer drei Monate Zeit, ihre Ansprüche gel- tend zu machen – gerechnet ab der Verurteilung des An- geklagten. Künftig soll diese Frist drei Jahre betragen – gerechnet ab der Rechtskraft der Verurteilung. Auf den Fristbeginn erst mit Rechtskraft und nicht schon mit Ver- urteilung haben wir uns in den Berichterstattergesprä- chen geeinigt. Damit haben die Opfer noch einmal mehr Zeit, ihre Ansprüche geltend zu machen, und sie können im Streitfall auf das bereits rechtskräftige Strafurteil ver- weisen. Auch bei längerer Verfahrensdauer vor den Zi- vilgerichten ermöglichen wir damit den Opfern, einen – notfalls vorläufigen – Titel gegen den Verurteilten zu erwirken. Verstreicht diese dreijährige Frist, ohne dass die Ge- schädigten ihre Ansprüche hinreichend geltend gemacht haben, dann fallen die gesicherten Vermögenswerte künftig an den Staat und müssen nicht wieder an den Verurteilten herausgegeben werden. Damit dient der Ge- setzentwurf sowohl den Interessen der Opfer als auch der Gerechtigkeit und damit dem Rechtsbewusstsein ins- gesamt. Der Gesetzentwurf ist das Ergebnis langer Beratun- gen, die wir auf Initiative der Länder mit den Fachleuten aus den Ländern, Verbänden und Ressorts geführt haben. Wir haben gemeinsam um eine ausgewogene Lösung ge- rungen und ich denke, wir können zufrieden sein. An dieser Stelle möchte ich allen für die konstruktive Zu- sammenarbeit danken. Ich hoffe, dass wir damit der Praxis das nötige Instru- mentarium an die Hand geben, um die volkswirtschaft- lich schädliche, gewinnorientierte Kriminalität wirksam zu bekämpfen und die Interessen der Opfer zu wahren. Dabei hoffe ich, dass die von dem engagierten Opferan- 4176 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) walt Kauder initiierte weitere Beschwerde – ein No- vum – nicht dazu führt, dass der Täter den Vorteil aus diesem Stück „zusätzliche Rechtsstaatlichkeit“ zieht, das Opfer aber leer ausgeht. Es ist nun an der Praxis, dieses Instrumeritarium zu nutzen und dem Gesetzentwurf zu dem gewünschten Erfolg zu verhelfen. Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Demokratiebewe- gung in Belarus unterstützen (Zusatztagesord- nungspunkt 6) Manfred Grund (CDU/CSU): Mit dem heute in ers- ter Lesung zu beratenden Antrag von Bündnis 90/Die Grünen und der FDP befasst sich der Deutsche Bundes- tag innerhalb kürzester Zeit zum dritten Mal mit der Ent- wicklung in Belarus. So war Belarus vor den Parla- mentswahlen vom 19. März 2006 und nochmals danach Gegenstand einer Bundestagsdebatte. Mir ist kein ande- res Land erinnerlich, welches in so kurzem Abstand de- battiert wird. Derart neugierig geworden, hofft man, im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen und der Freien De- mokraten neue und richtige Argumente für eine erneute Bundestagsdebatte zu finden. Doch bei aller fraktions- übergreifender Sympathie und freundlicher Zuneigung zu den Antragstellern: Die Argumente mögen neu und richtig sein, doch die richtigen Argumente sind nicht wirklich neu und die neuen Argumente nicht wirklich richtig. Richtig ist, dass die Parlamentswahlen am 19. März weder frei noch fair verlaufen sind und dass das Regime Lukaschenko unverkennbar diktatorische Züge aufweist und die demokratischen Rechte nicht akzeptiert. Neu ist diese Erkenntnis nicht. Neu ist die Forderung nach ei- nem Demokratiefonds, um die belarussische Zivilgesell- schaft zu stärken und die Einrichtung eines EU-Sonder- beauftragten für Belarus. Das sind neue Forderungen, die aber nur bedingt richtig und klug sind. Die Einrich- tung eines EU-Sonderbeauftragten und eines Demokra- tiefonds werfen mehr Fragen als Antworten auf. So gibt es bereits über Europa verteilt so viele Sonderbeauf- tragte, die nirgendwo richtig eingebunden sind, dass de- ren Aktivitäten bereits von einem eigenen EU-Sonderbe- auftragten koordiniert werden müssten. Und was wäre denn der Auftrag eines EU-Sonderbeauftragten? Mit wem soll er Kontakt haben, mit wem reden? Nur mit der Opposition, das würde Alexander Lukaschenko schnell zu verhindern wissen. Oder soll ein EU-Sonderbeauf- tragter auch mit dem Präsidenten, mit der Regierung, mit dem Parlament reden? Dies widerspräche den angelaufe- nen Isolationsbemühungen der westlichen Staaten ge- genüber der nicht legitimierten Belarusführung. Die Ein- richtung eines Demokratiefonds würde Lukaschenko Argumente liefern, dass die belarussische Opposition vom Westen ausgehalten wird. Niemand könnte an einer solchen Verleumdung gelegen sein. Sorge muss uns zweierlei machen: der Zustand der Opposition in Belarus und der wirtschaftliche Druck aus Russland. Die belarussische Opposition befindet sich seit den Wahlen in einer Phase der Neudefinierung; Ale- xander Milinkewitsch selbst spricht von einer Krise. So gibt es Forderungen nach einer Verbreiterung der Basis der Vereinigten Demokratischen Kräfte unter Einbezie- hung der Sozialdemokraten unter Alexander Kozulin. Die Führerschaft Milinkewitsch wird infrage gestellt und über einen Boykott der anstehenden Kommunalwahlen wird kontrovers debattiert. Russland hat für 2007 die Vervierfachung des Gas- preises von jetzt 47 Dollar auf 200 Dollar je 1 000 Ku- bikmeter und die Streichung der Subventionen für den Erdölexport angekündigt. Da der belarussische Landes- haushalt zu ungefähr einem Drittel auf russische Unter- stützung angewiesen ist, wäre die Kürzung der offenen und verdeckten russischen Subventionen das Ende von Lukaschenkos Staatssozialismus. Das müsste man nicht besonders bedauern, wenn nicht zweierlei damit verbun- den wäre: eine Massenverelendung der belarussischen Bevölkerung mit anschließendem Modernisierungs- schock und/oder die Einverleibung von Belarus in die Russische Föderation. Daran hat wohl nicht mal mehr Lukaschenko Interesse. Wie dem auch sei, auch wenn der vorliegende Antrag nicht so neu und ausschließlich richtig in seiner Argu- mentation und den Forderungen ist, gibt es gleichwohl gute Gelegenheit über die von mir aufgezeigten Ent- wicklungen im Auswärtigen Ausschuss zu debattieren. Darauf freue ich mich. Uta Zapf (SPD): Dieses Haus hat bisher alle Belarus- resolutionen mit großer Einstimmigkeit beschlossen. Unsere letzte Resolution haben wir kurz vor den Präsi- dentschaftswahlen in Belarus im März verabschiedet. Dieser hier von den Grünen vorgelegte Antrag hat sei- nen Ausgangspunkt in den Erlebnissen, die einige Parla- mentarier dieses Hauses als Wahlbeobachter der Präsi- dentschaftswahlen hatten. Erstens waren wir Zeugen, dass diese Wahlen in einem ungeheuren Ausmaß und ohne Scham manipuliert und gefälscht waren. Dies wer- den insbesondere diejenigen bezeugen können, die wie ich mehrfach an Wahlbeobachtungen in Belarus teilge- nommen haben. Die Repression gegen die Opposition war schikanös. Der Zugang zu den offiziellen Medien auf ein absolut unzureichendes Minimum beschränkt und die unabhängige Presse wurde extrem behindert. Die Wahlkämpfe der oppositionellen Kandidaten wur- den unzulässig behindert, immer wieder wurden Wahl- kampfteams kurzfristig eingesperrt, ihre Materialien konfisziert. Wähler und Wählerinnen gerieten unter Druck, ihre Stimme abzugeben. Drohungen mit beruflichen Konse- quenzen waren gängige Praxis. Kollektive wurden zu den Vorwahlen getrieben, die Urnen mit diesen Stimmen sind nicht kontrollierbar, sie stehen ohne Kontrolle tage- lang in den Wahllokalen. Hier ist das größte Einfallstor für Fälschungen. Die Endauszählung war auch von den internationalen Wahlbeobachtern nicht zu kontrollieren. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4177 (A) (C) (B) (D) Aber wir erhalten auch eine politisch gereifte Opposi- tion und fröhlich-furchtlose Sympathisanten. Auf den friedlichen Demonstrationen am Abend nach der Wahl, die stattfanden trotz massiver Drohungen gegen diese unerlaubten Versammlungen auf dem Moskauplatz, zeigten Bürger und Bürgerinnen, die keine Angst mehr hatten, ihr Bedürfnis nach Demokratie und Freiheit offen zu artikulieren. Bei eisigen Temperaturen und Schnee- sturm trotzten sie den Sicherheitskräften. Ich denke, wir alle teilen die Analyse, die dieser An- trag enthält. Über Jahre hat es eine eskalierende Repression gegen NGOs und die zivile Gesellschaft, gegen freie Gewerk- schaften und gegen Gegner Lukaschenkos gegeben. Dies hat sich nach den Wahlen fortgesetzt. Es ist vieles über Dialog und über Sanktionen gesagt worden. Bei allem Ärger und bei aller Wut, die uns angesichts dessen, was dort passiert ist, erfüllen, müssen wir dennoch den Dia- log weiterführen. Die Parlamentarische Versammlung der OSZE hat eine Arbeitsgruppe zu Belarus eingerichtet. Ich bin die Vorsitzende dieser Arbeitsgruppe. Deshalb bin ich häu- fig in Belarus und rede mit den Menschen, und zwar mit allen, auch mit Parlamentariern und Vertretern der Ad- ministration. Ich halte dies für eine wichtige Ebene des Dialoges. Ein wichtiger Bestandteil unserer Politik ist es, die Zivilgesellschaft zu schützen und zu unterstützen. Diese Zivilgesellschaft ist keine subversive Revolution, wie Herr Lukaschenko befürchtet und in ziemlich gro- ben Worten an die Wand malt. Diese Menschen klagen vielmehr ihre Rechte ein, zu denen sich Belarus gegen- über der OSZE verpflichtet hat, und wir unterstützen sie darin. Wir sind uns auch, glaube ich, weitgehend einig, dass wir die Demokratiebewegung in Belarus unterstützen wollen, ihre Rechte auf Vereinigungsfreiheit und politi- sche Arbeit wahrnehmen zu können. Dass es bisher zu keinem interfraktionellen Antrag gekommen ist, ist vor allem den Bedenken der CDU/CSU geschuldet, dass wir keine inflationäre Menge an Belarusanträgen im Bun- destag einbringen sollten. Wir werden in den Ausschüs- sen Gelegenheit haben, die Forderungen und Vorschläge dieses Antrages zu beraten und möglicherweise zu ge- meinsamen Beschlussempfehlungen zu kommen. Ei- nige der vorgeschlagenen Maßnahmen sind ohnehin schon eingeleitet oder umgesetzt, zum Beispiel Stipen- dien für exmatrikulierte Studenten, die an den Demon- strationen teilgenommen haben oder den Wahlkampf der oppositionellen Kandidaten unterstützt haben. Auch die Frage der Informationsmedien Radio/TV ist auf den Weg gebracht, aber natürlich muss über eine Erweite- rung dieser Informationsmedien nachgedacht werden. Auch sind zusätzliche Maßnahmen, die hier nicht aufge- griffen worden sind, zu diskutieren. Der Demokra- tiefonds, über den schon lange geredet wird sollte noch- mals intensiv betrachtet werden, um ihn handhabbar und flexibel genug zu gestalten. Gewisse Zweifel habe ich an der Frage eines nationa- len Belarusbeauftragten. Es gibt auf Ebene der UN, der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und im Europäischen Parlament beauftragte Berichterstatter und Ausschüsse, die OSZE hat eine „Working Group on Belarus“, deren Vorsitzende ich bin. Möglicherweise wäre es nützlich einen solchen Beauftragten bei der Eu- ropäischen Kommission zu benennen. Die Handlungs- und Wirkungsmöglichkeiten auf nationaler Ebene sind recht beschränkt. Die deutsch-belarussische Parlamen- tariergruppe war sich einig, dass Handlungsbedarf be- steht. Lassen Sie uns den Antrag sorgfältig in den Aus- schüssen beraten. Harald Leibrecht (FDP): Wir dürfen nicht nachlas- sen in unserer Unterstützung für die Demokratiebewe- gung in Weißrussland. Ich war auf den Demonstrationen anlässlich des 20. Jahrestages der Katastrophe von Tschernobyl in Minsk. Ich habe erlebt, wie Oppositio- nelle vor und nach der Demonstration verhaftet wurden, so auch Alexander Milinkewitsch. Diktator Lukaschenko und seine Staatsmacht zeigen unerbittliche Härte gegen- über den demokratischen Kräften. Letztendlich zeigen sie jedoch, in welch erbärmlichem Zustand sich ihr Re- gime befindet. Die Staatsmacht hat offensichtlich Angst vor dem eigenen Volk und setzt darum weiter auf Unter- drückung und Repression. Die Menschen wurden mit dem Wahlbetrug bei der Präsidentschaftswahl im März einmal mehr um ihre de- mokratischen Grundrechte betrogen. Die Kandidaten der Opposition hatten zu keinem Zeitpunkt die Chance auf einen fairen Wahlkampf – nicht zuletzt wegen der staat- lich kontrollierten Medien. Freie, unabhängige Zeitun- gen gibt es in Weißrussland nicht mehr. Aber nicht nur die wenigen couragierten, unabhängigen Journalisten werden bedroht oder verhaftet, sondern auch viele Stu- denten, die es wagen, sich öffentlich gegen das Regime auszusprechen. Der Fall von Artur Finkewitsch ist da nur einer von vielen. Dieser mutige junge Mann wurde zu 17 000 Dollar Strafe und einer mehrjährigen Umer- ziehungshaft verurteilt, nur weil er es wagte, auf eine Hauswand die Worte „Wir möchten einen anderen“ zu sprühen. Ich bin nichtsdestotrotz aus tiefstem Herzen davon überzeugt, dass das Streben der Menschen in Weißruss- land nach politischer und persönlicher Freiheit vom Sys- tem Lukaschenko nicht mehr lange aufgehalten und un- terdrückt werden kann. Bei ihrem Kampf gegen das Regime Lukaschenko bedürfen die couragierten Men- schen in Weißrussland jedoch dringend unserer Unter- stützung. Weißrussland ist direkter Nachbar der EU. Wir dürfen die Augen vor Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung in Weißrussland nicht verschließen. Mit diesem Antrag senden wir ein klares Signal der Solidarität und Unterstützung an die „Vereinigte Opposi- tion“ in Weißrussland. Gleichzeitig appelliere ich an die „Vereinigte Opposition“, wie bereits während des Präsi- dentschaftswahlkampfes, ihrem Namen gerecht zu wer- den und sich trotz zum Teil unterschiedlicher politischer Auffassungen nicht von der Staatsmacht provozieren, einschüchtern und auseinander dividieren zu lassen. Auch die Bundesregierung kann hierzu ihren Beitrag leisten, indem sie den weißrussischen Oppositionellen 4178 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) die öffentliche Bühne bietet, die sie brauchen. Es ist wichtig, dass sie bei allen Besuchen hier in Deutschland auf ihre wichtigen Anliegen aufmerksam machen kön- nen. Aber auch unsere politischen Stiftungen können ei- nen wichtigen Beitrag zur Unterstützung leisten, indem sie in dieser Sache eng zusammenarbeiten. Gerade weil die Arbeit der politischen Stiftungen in Weißrussland unter sehr erschwerten Umständen erfolgt, gilt es, die Kräfte zu bündeln. Zudem fordere ich die Bundeskanzlerin auf, auf dem anstehenden G-8-Gipfel auch das Thema Weißrussland anzusprechen und sich auf eine gemeinsame Vorgehens- weise, zum Beispiel in Fragen der Visumverweigerung, zu verständigen. Die bereits ausgesprochenen Einreise- verbote für führende weißrussische Politiker sollten auch auf andere Führungskader und zum Beispiel auf Univer- sitätsrektoren, die demonstrierende Studenten exmatri- kulieren, ausgedehnt werden. Ich danke allen, die sich hier in Deutschland für die Demokratiebewegung in Weißrussland engagieren. Dazu gehören auch die Jungen Liberalen in Baden-Württem- berg, die vor kurzer Zeit ein Benefizfußballturnier veran- staltet haben – einerseits um auf die Lage der couragier- ten Studenten, wie zum Beispiel Artur Finkewitsch aufmerksam zu machen und andererseits um ganz kon- kret Spenden für die Arbeit einer belarussischen Jugend- organisation zu sammeln, welche trotz aller Hindernisse weiter unermüdlich für die Demokratiebewegung in ih- rem Land kämpft. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Ich will zu Be- ginn einige Selbstverständlichkeiten festhalten, damit wir uns über diese nicht zu streiten brauchen. Das Demonstrationsrecht muss verteidigt werden. Die Verhaftung friedlicher Demonstranten kritisieren wir, in Belarus und anderswo. Die Entfernung kritischer Stu- denten von Universitäten und Schulen lehnen wir ab. Wer wegen seiner demokratischen Gesinnung verfolgt wird, braucht unsere Solidarität. Eine Auflösung und das Verbot demokratischer Organisationen – in Belarus ist zum Beispiel die Kommunistische Partei verboten – schadet der Demokratie. Medienfreiheit muss verteidigt werden, gegen Lukaschenko ebenso wie gegen Berlusconi. Darüber braucht man sich mit uns nicht zu streiten. Streiten allerdings muss man sich über den Weg und die Inhalte von Alternativen, wie man es in Belarus er- reichen will. Die Grünen und die FDP schlagen eine Ver- schärfung von Sanktionen vor. Das ist der Kern des hier vorliegenden Antrages. Meine Erfahrungen sprechen da- gegen: Nicht Sanktionen, sondern Dialoge wären ein Weg. Dialoge müssen alle Fragen umfassen. Ist der Weg der neoliberalen Umgestaltung, der Freiheit des Marktes wirklich ein Weg der Demokratisierung oder nicht viel- mehr ein Weg der Gesellschaftszerstörung? In zahlrei- chen europäischen Ländern zeigen sich die Spuren die- ser Zerstörung bereits heute. Darf man so einfach die enge Verbindung Beloruss- lands mit Russland „übersehen“, sowohl was die histori- schen Wurzeln angeht als auch die Gegenwart. Wenn man will, dass Russland im Sinne von Demokratisierung auf Belarus Einfluss nimmt, muss man die Interessen Russlands in Rechnung stellen – in Rechnung stellen, nicht mehr! Kein Argument und keine Überlegungen dazu im Antrag von Grünen und FDP! Die „Orangen“ in der Ukraine und die „Rosen“ in Ge- orgien haben für Russland aus seiner Sicht nur Dornen gebracht. Russland hat widerstrebend hinnehmen müs- sen, dass die NATO mit den baltischen Ländern direkt an seine Grenzen herangerückt ist. Eine NATO-Mitglied- schaft der Ukraine und Georgiens könnte jetzt „die rote Linie“ überschreiten. Das hat die russische Duma mit ih- rem Beschluss, der auch dem Bundestag zugeleitet wurde, deutlich gemacht. Es ist kaum anzunehmen, dass Russland das Risiko eingeht, diesen Weg mit Belarus unwidersprochen fortschreiten zu lassen. Die Interessen anderer in Rechnung zu stellen, heißt nicht, dass man diese teilen muss. Aber mitdenken muss man sie. All das geschieht nicht in dem uns vorgelegten Antrag. Dieser Antrag ist nichts anderes als die Erset- zung von Politik durch plakative Bekenntnisse. Und da- mit zu wenig, um dafür die Zustimmung der Linken zu erhalten. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS/90 DIE GRÜNEN): Anfang März, als die Präsidentschaftswah- len in Belarus bevorstanden, haben wir hier gemeinsam eine Aufforderung an den Minsker Diktator zur Gewähr- leistung freier und fairer Wahlen beschlossen. Schon da- mals wussten wir, dass die mit vielfachen staatlichen Be- hinderungen und Repressionen einhergehende Art der Wahlvorbereitung diese Forderung bereits unerfüllbar gemacht hatte. Aber wir wollten zeigen, dass wir von hier aus nach Belarus sehen. Wir wollten zeigen, dass dem Land und seinen Menschen unsere Aufmerksamkeit gilt. Ende März, als die Wahlfarce vorbei, die demokrati- sche Opposition chancenlos geblieben war und der Dik- tator trotzdem seinen Sieg noch zusätzlich in einen Tri- umph umgefälscht hatte, gingen Tausende in Minsk auf die Straße. Einige von uns waren dabei, um ihre und un- ser aller Solidarität mit den Demonstrierenden zu zeigen. Es folgten Verhaftungen, Verurteilungen und Verfolgun- gen. Damals beschlossen wir hier gemeinsam einen wei- teren Antrag, in dem wir den mutigen Menschen in Bela- rus unseren Respekt erwiesen, die Freilassung der Verhafteten forderten und Sanktionen gegen die ihre Macht missbrauchenden Funktionäre in Belarus verlang- ten. Wir wollten zeigen, dass wir uns für die Demokrati- sierung des Landes einsetzen, für seine Zugehörigkeit zur europäischen Wertegemeinschaft. Damals waren wir uns auch einig, dass Belarus ein langer Weg bevorsteht. Wir stimmten überein, dass wir uns auf eine langfristige Unterstützung einstellen müs- sen und auch einstellen wollen. Inzwischen ist, wie so oft in solchen Fällen, die Entwicklung in Belarus nahezu völlig aus der medialen Berichterstattung und damit aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Belarus ist aber nicht verschwunden. Die Situation dort hat sich Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4179 (A) (C) (B) (D) nicht verbessert, eher im Gegenteil. Nach wie vor sitzen zum Beispiel eine Reihe prominenter und vermutlich viele weniger prominente Oppositionelle in Haft. In ei- ner Woche soll der Prozess gegen einen der bekanntesten von ihnen, Alexander Kosulin, beginnen. Ein rechts- staatliches Verfahren nach unseren Maßstäben hat er wohl kaum zu erwarten. Unsere Aufgabe bleibt dieselbe, auch wenn es über das Thema keine Schlagzeilen mehr gibt. Einiges ist schon geschehen: Die EU hat ihre Sanktionen gegen Funktionsträger des Regimes erweitert und verschärft. Ähnliches wurde gerade in den USA beschlossen. Polen und andere Länder, darunter Deutschland, haben Stipen- dien für in Belarus wegen ihres demokratischen Engage- ments relegierte Studierende bereitgestellt. Das sind erste gute Anfänge, vieles aber bleibt zu tun. Wichtiger noch als Sanktionen ist die Unterstützung der demokratischen Opposition und der bedrängten Zi- vilgesellschaft in Belarus. Unsere, des Deutschen Bun- destages Aufgabe muss es sein, Vorschläge dafür aufzu- nehmen oder selbst in die Debatte zu bringen, vor allem aber, die politische Entscheidung zur Ermöglichung ih- rer Umsetzung herbeizuführen. Das ist das Ziel unseres Antrags, dem – das kann jetzt schon gesagt werden – weitere werden folgen müssen. Denn nicht nur die Repressionen in Belarus gehen weiter, auch die Diskussion in Europa über den Umgang mit dem Regime entwickelt sich. Sogar Russland verän- dert seine Haltung gegenüber Lukaschenkos Politik – si- cher weniger zur Unterstützung der Demokratisierung als zur Steigerung seines ökonomischen Einflusses. Aber die Ankündigung drastischer Energiepreiserhöhun- gen in den nächsten drei Jahren ist dennoch ein schwerer Schlag für Lukaschenko. Über einige weitere Forderungen und Vorhaben muss wohl nicht diskutiert werden. Natürlich müssen wir die Forderung nach Freilassung der gewaltlosen politischen Gefangenen aufrechterhalten. Ebenso müssen wir die Einstellung von Ermittlungen des belarussischen Gene- ralstaatsanwalts wegen Terrorakten im Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen fordern – es genügt we- nig Phantasie, sowohl die Abwegigkeit dieses Vorwurfs wie seine Bedrohlichkeit für die Betroffenen festzustel- len. Es gibt weitere Vorschlage, über die zu reden wäre. Ich nenne stichwortartig nur einige Beispiele: die Ein- richtung der Institution eines Belarus-Beauftragten der EU; die Koordination und Zusammenführung von Sti- pendien-Initiativen aus mehreren Ländern; Unterstüt- zung für geschlossene oder behinderte unabhängige Me- dien, für demokratische Parteien und Bewegungen und für mit Berufsverbot belegte Oppositionelle; finanzielle Unterstützung demokratiefördernder Stiftungen auf EU- Ebene, die in und für Belarus aktiv werden können. Entscheidend bleibt aus unserer Sicht die Entwick- lung einer breiten und aktiven Zivilgesellschaft. Die da- für vorhandenen Förderprogramme müssen aufrechter- halten und gestärkt werden, und ein dieser Entwicklung dienender kritischer Dialog verdient ebenfalls jede Un- terstützung. Solidaritätsbekundungen wie im März sind gut, dau- erhafte Aufmerksamkeit, kontinuierliche Unterstützung aber sind notwendig. Ich bin guter Hoffnung, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, sich dieser Erkenntnis nicht verschließen werden. Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – UN-Überprüfungskonferenz als Chance zur wirksamen Kontrolle des Handels mit Klein- waffen und leichten Waffen nutzen – Den neuen Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zum Erfolg führen – Waffen unter Kontrolle – Für eine umfas- sende Begrenzung und Kontrolle des Han- dels mit Kleinwaffen und Munition – Den neuen Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen intensiver unterstützen (Tagesordnungspunkt 20 a und b und Zusatz- tagesordnungspunkte 7 und 8) Holger Haibach (CDU/CSU): „Neuer Anlauf für die Menschenrechte“, „Chancen für die Menschenrechte“, „Zweifel am Menschenrechtsrat“, „Tendenz zur Selbst- zensur“, „Gedämpfte Erwartungen“, „Chance im Neube- ginn“: So weit auseinander gehen die ersten Bewertun- gen des neuen UN-Menschenrechtsrates, dessen erste Sitzungsperiode in dieser Woche zu Ende geht. Wie auch immer man die Aktionen des neuen Gremiums bewertet: Deutschland hat durch seine Mitgliedschaft die Möglich- keit und Verpflichtung, dabei mitzuhelfen, die Arbeit des Rates zum Erfolg zu führen. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass sich der Deutsche Bundestag mit der Ar- beit des Menschenrechtsrats beschäftigt. Es bietet sich auch eine gute Gelegenheit, noch einmal darauf hinzu- weisen, dass Deutschland mit der größten Stimmenzahl aller Länder der westlichen Ländergruppe in den neuen Rat gewählt worden ist. Das ist sicherlich ein Zeichen der Anerkennung deutscher Menschenrechtspolitik so- wie der konstruktiven Rolle, die Deutschland bei dem Zustandekommen der Resolution über den Menschen- rechtsrat übernommen hat. In diesem Zusammenhang gilt unser Dank der Bundesregierung, deren Anteil am letztendlichen Kompromiss sehr hoch war. Aus diesem Ergebnis und aus der Tatsache, dass Deutschland aufgrund eines Losentscheids dem Rat zu- mindest für die nächsten drei Jahre angehören wird, er- wächst aber ebenso sehr die Verpflichtung, alles dafür zu tun, dass die Arbeit des Rats erfolgreich verläuft und dass der Rat sich zu einem effektiven und glaubwürdi- gen Gremium beim weltweiten Menschenrechtsschutz entwickelt. 4180 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Bisher hat sich der Rat im Wesentlichen mit Verfah- rensfragen beschäftigt, unter anderem mit der Frage, welche der bisherigen Mechanismen der alten Men- schenrechtskommission beibehalten werden sollen, oder damit, wie die regelmäßige Überwachung der Men- schenrechtssituation in den UN-Mitgliedstaaten und ins- besondere den Mitgliedsländern des Rats überprüft wer- den soll. Diese prozeduralen Fragen sollten nicht unterschätzt werden, entscheiden sie doch nicht zuletzt darüber, wo- mit sich der Menschenrechtsrat beschäftigen soll und auf welche Art. Um nur ein Beispiel zu nennen: Es ist ein großer Unterschied, ob zur Beurteilung der Menschen- rechtslage in einem Land nur Regierungsdokumente he- rangezogen werden dürfen oder ob auch Dokumente von Nichtregierungsorganisationen Berücksichtigung finden. Im Übrigen zeigen sich bei der Entstehung des Rats Licht und Schatten: Es ist ein wirklicher Fortschritt, dass es zum ersten Mal tatsächlich zu einer wirklichen Wahl in der UN-Vollversammlung gekommen ist, dass es ei- nige Staaten, die zu Recht als menschenrechtliche Pro- blemfälle gelten, nicht in den Rat geschafft haben, weil sie entweder gar nicht erst angetreten sind oder nicht die notwendige Mehrheit erhalten haben. Es ist auch zu be- grüßen, dass die Bewerberländer eine eigene Einschät- zung ihrer Menschenrechtspolitik veröffentlicht haben. Ferner gibt es nun erstmals die Möglichkeit, auch Län- der mit einer Zweidrittelmehrheit wieder aus dem Rat zu entfernen. Zu beklagen bleibt allerdings, dass leider nicht alle Kompetenzen, die der Rat ursprünglich erhalten sollte, auch tatsächlich Eingang in die Resolution zur Einset- zung des Gremiums gefunden haben, ebenso die Tatsa- che, dass es auch Ländern mit erheblichen Menschen- rechtsdefiziten gelungen ist, in den Rat gewählt zu werden. Die tatsächliche Bewährungsprobe des Rates wird aber die alltägliche Arbeit sein. Hier wird sich zeigen, ob der Rat glaubwürdig ist, ob er nicht die alten Fehler der bisherigen Kommission wiederholt, ob nicht doch wieder gegenseitige Blockaden und Opportunitätsüber- legungen die wirkliche Aufgabenstellung des Rats kon- terkarieren. Günter Nooke, der neue Menschenrechtsbe- auftragte der Bundesregierung, hat dazu treffend formuliert, dass der Rat sich nicht von Anfang an selbst zensieren dürfe. Positiv ist in diesem Zusammenhang zu bewerten, dass die USA sich zwischenzeitlich bereit erklärt haben, die Arbeit des Rates nachhaltig zu unterstützen, obwohl sie derzeit dem Gremium nicht angehören. So wohnt diesem Neuanfang vielleicht kein Zauber, aber doch eine Chance auf einen tatsächlichen Neube- ginn inne. Wir als Koalition von CDU/CSU und SPD werden jedenfalls die Bundesregierung bei ihrer Arbeit in dem neuen Rat nach Kräften unterstützen und sind der Meinung, dass der von uns heute vorgelegte Antrag hierzu die richtige Grundlage bietet. Der von Bündnis 90/Die Grünen eingebrachte Antrag spricht einige wichtige Aspekte an, ist aber weniger um- fassend als der Koalitionsantrag und wird deshalb von uns abgelehnt. Insgesamt liegt bei dem neuen Menschenrechtsrat ein weiter Weg vor uns, den wir wahrscheinlich nur in klei- nen Schritten und manchmal auch in Umwegen gehen können. Doch wie heißt es so schön in einem chinesi- schen Sprichwort: Der längste Weg beginnt mit dem ers- ten Schritt. Carl-Eduard von Bismarck (CDU/CSU): Meine heutige Redezeit beträgt vier Minuten. In diesen vier Mi- nuten werden in aller Welt 60 neue Klein- und Leicht- waffen hergestellt. In der gleichen Zeit werden etwa vier Menschen durch ebensolche Kleinwaffen getötet, darun- ter mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Frauen und Kinder. Diese Zahlen verdeutlichen: Klein- waffen sind ein großes Problem. Seit den 90er-Jahren hat die internationale Kleinwaf- fenproduktion rapide zugenommen. Dadurch sind Ge- wehre, Pistolen, Granaten und Karabiner heute leichter und vor allem billiger denn je zu bekommen. Dass damit auch ihr Missbrauch stetig zunimmt, liegt auf der Hand. Die internationale Gemeinschaft hat diese Entwicklung erkannt und Konsequenzen daraus gezogen. Zahlreiche beachtenswerte Abkommen und Initiativen auf interna- tionaler, regionaler und nationaler Ebene sollen zur Ver- besserung der Rüstungskontrolle in Sachen Kleinwaffen führen. Um nur einige Beispiele zu nennen: In der EU gilt für ihre Mitglieder der so genannte Verhaltenskodex zu Waffenausfuhren. Demnach dürfen Waffen nur in Länder exportiert werden, die bestimmte Kriterien erfül- len. In diesen Ländern müssen beispielsweise Frieden, Sicherheit und Stabilität gewährleistet sein. Die Bundes- regierung ist dem EU-Verhaltenskodex nicht nur als EU- Mitglied verpflichtet, sondern hat ihn zudem zu einem ihrer „politischen Grundsätze für den Export von Kriegs- waffen und sonstigen Rüstungsgütern“ gemacht. In Afrika hat die Wirtschaftsgemeinschaft westafrika- nischer Staaten bereits 1998 das Malimoratorium verab- schiedet. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, den Im- und Export sowie die Produktion von Kleinwaffen ein- zustellen. Auch Nichtregierungsorganisationen aus aller Welt sind auf dem Gebiet der Kleinwaffen-Rüstungskontrolle bemerkenswert engagiert. Exemplarisch sei hier das In- ternational Network on Small Arms erwähnt. Dieses Netzwerk besteht aus 500 NGOs, die im Dialog mit Re- gierungen, Institutionen und Zivilgesellschaften Rüs- tungskontrolle forcieren und den Missbrauch von Klein- waffen bekämpfen. Auch die Vereinten Nationen haben ein Instrument entwickelt, das sich der Kleinwaffenproblematik an- nimmt. Sie haben 2001 das UN-Aktionsprogramm zur Bekämpfung des unerlaubten Handels mit Kleinwaffen und leichten Waffen in allen Aspekten verabschiedet. Es macht einen großen Schritt in die richtige Richtung. Es schreibt die detaillierte Kennzeichnung der Waffen vor, um deren Wege besser verfolgen zu können und gestattet Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4181 (A) (C) (B) (D) Waffenexporte nur, wenn diese im Einklang mit völker- rechtlichen Verpflichtungen geschehen. Besagtes Aktionsprogramm ist ein guter Ansatz und hat Potenzial, dem Problem Kleinwaffen wirksam entge- genzutreten. Wie zahlreiche andere Initiativen und Ab- kommen weist das Programm momentan jedoch noch einige Lücken auf. So halten sich aufgrund der mangeln- den Rechtsverbindlichkeit zu wenige Staaten an die Richtlinien. Zudem beschäftigt sich das Programm aus- schließlich mit staatlichen Akteuren im Kleinwaffenhan- del, obwohl sich 60 Prozent der 600 Millionen Klein- waffen, die weltweit im Umlauf sind, in privatem Besitz befinden. Die derzeit in New York tagende UN-Konferenz zur Überprüfung des Aktionsprogramms ist ein optimaler Zeitpunkt, das Programm zu überarbeiten und die Lü- cken zu schließen. Uns allen muss klar sein, dass eine wirksame Bekämpfung des Missbrauchs von Kleinwaf- fen Jahre dauern wird. Umso wichtiger ist es, das UN- Aktionsprogramm umgehend weiterzuentwickeln und die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Daher ermutigen wir die Bundesregierung, sich weiterhin für eine transpa- rente und vor allem wirksame Kontrolle des Handels mit Kleinwaffen und leichten Waffen einzusetzen und aktiv an der Umsetzung und Verbesserung des UN-Aktions- programms sowie der EU-Strategie mitzuarbeiten. Kleinwaffen sind – da stimme ich UN-Generalsekre- tär Kofi Annan vollkommen zu – die Massenvernich- tungswaffen des beginnenden 21. Jahrhunderts. Sie töten täglich Tausende von Menschen und versagen Millionen von Kindern eine unbeschwerte Kindheit, weil sie sie zu Mördern machen, die von skrupellosen Banden geför- dert und von den eigenen Familien geächtet werden. Kleinwaffen sind auch ein wesentlicher Grund dafür, dass Kriege und bewaffnete Konflikte zunehmend in der Zivilbevölkerung stattfinden. Ich denke, der erhöhte Handlungsbedarf in Sachen Kleinwaffen ist uns allen ersichtlich, und hoffe, dass Sie mir zustimmen, wenn ich sage, dass wir an einem Strang ziehen müssen, um den Teufelskreis von Gebrauch und Handel mit diesen Waffen wirksam und dauerhaft zu durchbrechen. Ich bitte Sie daher, den gemeinsamen An- trag von CDU/CSU-Fraktion und SPD-Fraktion zu un- terstützen, indem Sie Ihrem Gewissen Vorrang vor mög- lichen Fraktionszwängen geben. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Wir reden heute über den neuen Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, der nach langen und zum Teil sehr mühsamen Diskus- sionen im Zuge der UN-Reform beschlossen wurde. Er soll die in den letzten Jahren nicht immer zu Recht in ih- rer Arbeit sehr angegriffene Menschenrechtskommission ablösen und – als Unterorgan der Vollversammlung der Vereinten Nationen und mit Stärkung der UN-Hochkom- missarin für Menschenrechte und ihren Befugnissen – die unverzichtbare Bedeutung der Menschenrechte in al- len Ländern der Welt unterstreichen und in der Durch- führung voranbringen. Wir wollen seine Arbeit zum Er- folg machen – das will unser Antrag, für den ich Sie um Zustimmung bitte. Das will auch der Antrag einer Oppo- sitionsfraktion – auch ihr geht es darum zu bekräftigen, dass Bundesregierung und Europäische Union ihre be- sondere Verantwortung für die Durchsetzung und Stär- kung der Menschenrechte wahrnehmen und sie durch ihre Politik zum tragenden Pfeiler der globalen Rechts- ordnung machen. Der Deutsche Bundestag stellt mit großer Freude fest, dass die Bundesrepublik Deutschland mit einer beson- ders hohen Stimmenzahl zum Mitglied des neuen Men- schenrechtsrates gewählt worden ist. Das zeigt, dass uns viele Staaten der Völkergemeinschaft ein hohes Maß an Vertrauen entgegenbringen. Das neue Wahlverfahren in der Generalversammlung der Vereinten Nationen setzt die absolute Mehrheit aller Mitglieder für eine Wahl vo- raus. Deutschland Wahlstimmen liegen bei drei Viertel aller Mitglieder der General-Versammlung. Dieses groß- artige Ergebnis beruht sicherlich auf mehreren Faktoren. Zum einen auf der Anerkennung, dass die Menschen- rechtspolitik der Bundesrepublik Deutschland sich er- folgreich darum bemüht, im Inneren unseres Landes hohe Standards durchzusetzen. Das ist gut; daran hat auch der Deutsche Bundestag einen entscheidenden An- teil. Allerdings legen wir Politikerinnen und Politiker der SPD und, das darf ich wohl hinzufügen, auch der ande- ren Fraktionen des Deutschen Bundestages, die wir uns besonders um Menschenrechtsfragen kümmern, gerade deshalb großen Wert darauf, dass wir auch erkennen, wo wir im Innern noch große Defizite haben, die wir endlich durch vernünftige und angemessene Lösungen überwin- den müssen. Ich spreche jetzt von den Menschenrechten für die vielen ohne Aufenthaltsstatus in der Bundesrepu- blik lebenden Männer, Frauen und Kinder, also für die so genannten Illegalen. Wir können ihre Zahl nur schätzen; aber wir wissen, dass ihnen jede Garantie auch der mini- malen Menschenrechte fehlt: Der Zugang zu Gesund- heitsschutz, zu Schule und Bildung, zu Rechtsschutz vor Ausbeutung und Gewalt, kurz auf das, was unbedingt zu einem menschenwürdigen Leben ohne ständige, alltägli- che Angst gehört, alles das fehlt ihnen. Hier müssen wir endlich die Augen aufmachen und helfen. Das sind wir uns, das sind wir diesen Menschen schuldig. Außerdem hat es Signalwirkung, wie wir im eigenen Land mit Menschenrechten umgehen. Wie wollen wir denn in den wichtigen Menschenrechtsdialogen mit anderen Ländern reden, wenn wir diesen Balken im eigenen Auge nicht sehen? Ich bin ganz sicher, es wird auch unseren Ein- fluss im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen ver- stärken, wenn wir nachweisen, dass es uns mit den Men- schenrechten auch für diese Bevölkerungsgruppe Ernst ist. Das internationale Vertrauen in die Menschenrechts- politik der Bundesrepublik Deutschland ist aber auch be- rechtigt, weil diese eben, auch hier getragen von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages, nirgendwo zu Menschenrechtsverletzungen schweigt oder sie gar tak- tisch akzeptiert. Vielmehr greift sie Menschenrechtsver- letzungen auf und versucht, bei ihrer Überwindung zu helfen. Es geht uns darum, Menschenrechte als Grund- lage jeder freien und friedlichen Gesellschaft zu stärken und sie global durchzusetzen. Den anmaßend erhobenen 4182 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Zeigefinger halten wir dabei für wesentlich weniger ge- eignet als den Einsatz sehr erfolgreicher Instrumente wie beispielsweise Menschenrechts- und Rechtsstaatsdia- loge. Der Deutsche Bundestag hat bei der Schaffung des Römischen Statuts und der Bildung des Internationalen Strafgerichtshofs sehr gut zusammengearbeitet. Wir alle unterstützen seine wichtige Arbeit, verteidigen sie gegen Angriffe etwa der US-Administration und werben für die Unterstützung der Vereinigten Staaten für diesen Ge- richtshof, aber auch für den Menschenrechtsrat der Ver- einten Nationen. Der Deutsche Bundestag unterstützt mit ebenso großem Nachdruck die deutsche Unterstüt- zung für Wahrheits- und Versöhnungskommissionen und die Stärkung von Rechtsstaatlichkeit und Peace-building durch Aufbau von rechtsstaatlichen Institutionen in vie- len Ländern der Welt. Das alles hat nicht nur das Ver- trauen in die deutsche Menschenrechtspolitik gestärkt, sondern auch die Erwartungen an Deutschland wachsen lassen. Es ist deshalb gut, dass Deutschland für drei Jahre Mitglied des neuen Menschenrechtsrates sein wird, der am 19. Juni 2006 seine Arbeit in Genf aufgenommen hat. In diesen drei Jahren müssen viele schwierigen An- fangsprobleme bewältigt und klare Standards gesetzt werden. Deutschland wird 2007 die Präsidentschaft in der Europäischen Union und in der Organisation der G 7/G 8 übernehmen und dort mit der Autorität dieses Amtes für eine gute Menschenrechtspolitik werben können. Es wird dieses politische Gewicht auch in die Arbeit des Menschenrechtsrats einbringen. Da bisher die Politik für Menschenrechte längst nicht aller 47 Mitglieder des neuen Rates vorbildlich ist, weder im Hinblick auf die Garantie der Menschenrechte im eigenen Land noch im Umgang mit anderen Teilen der Welt oder im Bereich der internationalen Völkergemeinschaft, wird es zu- nächst einmal darum gehen müssen, die Länder mit menschenrechtsfreundlicher Politik im Menschenrechts- rat zusammenzuführen und ihr Votum im Rat durchset- zungsfähig zu machen. Unter den wichtigen Anfangsentscheidungen sind ei- nige besonders wichtig. Sie sind in unserem Antrag ent- halten; aber auch der Antrag der Oppositionsfraktion ist lesenswert. Beide müssen nicht nur in der Arbeit des Bundestages, sondern auch in der der Bundesregierung berücksichtigt werden. Wichtig ist, dass der neue Menschenrechtsrat die ho- hen Standards und erfolgreichen Instrumente aufnimmt und weiterführt, die die UN-Menschenrechtskommis- sion in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat. Diese Arbeit, diese Erfolge dürfen nicht verloren gehen. Dabei muss von vorneherein klargestellt werden, dass zwar die Art der Durchsetzung und Garantie der Men- schenrechte von regionalen, kulturellen, religiösen und traditionellen Prägungen beeinflusst sein kann und häu- fig auch beeinflusst sein wird; die Existenz eines Menschenrechts kann jedoch ebenso wenig von diesen Faktoren abhängig sein wie sein Inhalt und seine Reich- weite. Das klarzustellen gehört zur Anerkennung der Be- deutung der Menschenrechte. Wichtig ist auch, dass der Rat sicherstellt, dass seine Mitglieder sich in ihrer Menschenrechtspolitik überprü- fen und an den erreichten hohen Standards messen las- sen. Erst wenn die Mitglieder des Menschenrechtsrats die hohen Anforderungen erfüllen, können sie in der Ge- neralversammlung der Vereinten Nationen die Autorität beanspruchen, die den Menschenrechten und ihrer Durchsetzung zukommt und die dann die Überprüfung auch der Menschenrechtspolitik der übrigen Mitglieder der Vereinten Nationen zu einem Erfolg werden lässt. Wichtig ist des Weiteren, dass der Menschenrechtsrat gut mit der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte zusammenarbeitet und die Verbindungen zum UN-Gene- ralsekretär und zum UN-Sicherheitsrat zur Durchsetzung und Stärkung der Menschenrechtsgarantien nützt. Schließlich ist es wichtig, dass der Menschenrechtsrat die wichtige Rolle der Nichtregierungsorganisationen anerkennt: Diese Organisationen sind es ja, die über die Geltung und die Durchsetzung der Menschenrechte im Alltagsleben der Menschen eines Landes häufig viel bes- ser Bescheid wissen als Mitglieder von Ämtern oder Di- plomatische Korps. Die global arbeitenden Menschen- rechtsorganisationen können mit ihren aktualisierten Meldungen und Vergleichen die Arbeit des Rates ent- scheidend unterstützen. Sie müssen deshalb ihren Zu- gang, ihren Einfluss und ihre wichtige Rolle im Men- schenrechtsrat behalten. Ich bitte um Zustimmung für unseren Antrag. Es be- steht kein Zweifel daran, dass wir alle die Bundes- regierung und insbesondere den Bundesaußenminister in seiner Arbeit im Menschenrechtsrat und auch die Beauf- tragten der Bundesministerien für Menschenrechtsfragen in ihrer wichtigen Tätigkeit weiterhin aktiv unterstützen. Im kommenden September werden wir aus Anlass der zweiten Sitzungsperiode des UN-Menschenrechtsrates mit einer Delegation des Menschenrechtsausschusses des Deutschen Bundestages nach Genf fahren, um uns vor Ort über die Bewältigung der anstehenden Fragen und Probleme zu informieren. Wir alle wissen, dass mit unserem möglichst breit zustimmenden Beschluss heute ein wichtiger Schritt getan ist. Dem müssen noch viele weitere folgen. Christoph Strässer (SPD): Zurzeit findet eine zweiwöchige Konferenz zur Überprüfung des UN-Ak- tionsprogramms zum Kleinwaffenhandel bei den Verein- ten Nationen in New York statt. Es gilt im Zuge dessen vor allem mehr als deutlich hervorzuheben, wie katastro- phal die Folgen der massenhaften Verbreitung von Kleinwaffen und leichten Waffen tatsächlich sind. Denn fälschlicherweise ist die Gefahr von Kleinwaffen und leichter Rüstung auf nationaler, regionaler und globaler Ebene gesellschaftlich nicht präsent genug und wird un- terschätzt. Kleinwaffen und leichte Waffen sind eine be- stimmte Kategorie von Kampfmitteln, die von einer oder zwei Personen getragen, transportiert und ausgelöst wer- den können. Zu ihnen zählen laut UNO-Definition unter anderem Sturmgewehre, Revolver und Maschinenenge- wehre sowie die dazugehörige Munition, aber auch Handgranaten, tragbare Raketenwerfer, Mörser, Panzer- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4183 (A) (C) (B) (D) fäuste, Minen und schultergeschützte Flugabwehrrake- ten. Die meisten Kleinwaffen sind leicht zu transportie- ren und im wahrsten Sinne des Wortes kinderleicht zu bedienen. Das Töten mit dem Gewehr vom Typ Kalasch- nikow AK-47 kann man bereits einem Zehnjährigen bei- bringen. Die Folge ist unter anderem, dass Kinder vor al- lem in Afrika und Asien zu Tausenden zwangsweise als Soldaten rekrutiert werden. In rund 40 Staaten der Erde kämpfen nach Schätzungen von UNICEF immer noch über 300 000 mit Kleinwaffen ausgerüstete Jungen und Mädchen in Regierungsarmeen oder bewaffneten Grup- pen. In weiten Teilen der Welt sind Kleinwaffen preis- werter als zum Beispiel Nahrungsmittel oder Medizin. In Uganda kostet nach UNICEF Angaben ein AK-47-Ge- wehr soviel wie ein Huhn und in Angola soviel wie ein Sack Mais – etwa 15 Dollar. In vielen Krisengebieten sind sie daher auch außerhalb regulärer Streitkräfte weit verbreitet. Den Kleinwaffen sind in den letzten Jahrzehnten weit mehr Menschen zum Opfer gefallen als allen anderen Waffenarten zusammen. Mindestens eine halbe Million Menschen verlieren alljährlich ihr kostbares Leben durch Kleinwaffen, das heißt, jede Minute stirbt ein Mensch durch diese Waffengattung, unter ihnen auch viele Frauen und Kinder. Weltweit wird die Anzahl von Kleinwaffen, die jahrzehntelang benutzt werden können und immer wieder auf neuen Brandherden auftauchen, von ai auf 650 Millionen geschätzt. Damit verfügt jeder zehnte Mensch über eine Waffe. Jedes Jahr werden 14 Milliarden Schuss Munition produziert – das sind weltweit mehr als zwei Geschosse für jeden Mann, jede Frau und jedes Kind. Diese unvorstellbare Menge an Kleinwaffen macht sie zum meistverbreiteten Massenvernichtungsmittel un- serer Zeit. Wie Helmut Schmidt bereits richtig fest- stellte, handelt es sich im Fall der Kleinwaffenverbrei- tung ausdrücklich um einen globalen Notstand, der dringend der Abhilfe bedarf. Die massenhafte Streuung solcher Waffen führt zudem zur Destabilisierung ganzer Regionen und verhindert in Ländern wie Somalia, Sierra Leone, Sudan, Kongo oder Angola über Jahre jede fried- liche Entwicklung. Verschlimmernd kommt hinzu, dass die Gefahr durch Kleinwaffen und leichte Rüstung mit der Beilegung eines regionalen Konfliktes nicht zu Ende ist. Denn diese Waffen bleiben nach der Beilegung von Konflikten meist in den Händen der gewaltbereiten Menschen und unterminieren so die Friedenskonsolidie- rung und die angestrebte Stabilität in den betroffenen Regionen. Die Mehrzahl der Menschen fällt somit nicht den Kampfhandlungen selbst zum Opfer, sondern ver- liert ihr Leben in der „Nachkriegszeit“. Das bedeutet: Frieden, Sicherheit und die positive Entwicklung werden in wachsendem Maße durch die destabilisierende Wir- kung der Verbreitung von Kleinwaffen und leichten Waffen bedroht. Kleinwaffen und leichte Waffen tragen zudem zur Verschärfung des Terrorismus und der organisierten Kri- minalität bei. Wer den Terrorismus bekämpfen will, sollte insofern als einen der ersten Schritte die Verbrei- tung von Kleinwaffen und leichter Rüstung mit aller Macht eindämmen. Eine wirksame Kontrolle dieser Waffengattung ist für eine menschenrechtsorientierte, aber auch für eine wirtschaftsfördernde Politik und da- mit einhergehend für die Stärkung des humanitären Völ- kerrechtes zwingend notwendig. Es gibt bereits viele in- ternationale, regionale und nationale Vereinbarungen gegen die Verbreitung von leichten und Kleinwaffen, wie zum Beispiel das 2001 geschaffene „UN-Aktions- programm zur Bekämpfung des unerlaubten Handels mit Kleinwaffen und leichten Waffen in allen Aspekten“ und das 2005 von der UN-Generalversammlung verabschie- dete politisch verbindliche Abkommen über die Kenn- zeichnung und Nachverfolgbarkeit von Kleinwaffen. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen verabschie- dete insgesamt mehr als 30 Resolutionen zu Kleinwaffen und auch der Weltsicherheitsrat befasste sich auf Son- dersitzungen mehrfach mit diesem Thema. Es ist unumstritten, dass trotz dieser internationalen Verträge und nationalen Rechtsvorschriften und dem großen Engagement internationaler Nichtregierungsor- ganisationen die Gefahr durch Kleinwaffen und leichte Rüstung in den letzten Jahren nicht wirklich nachgelas- sen hat. Aus humanitärer wie menschenrechtlicher Sicht sollte die internationale Gemeinschaft deshalb die Chance nutzen, sich im Schlussdokument der Überprü- fungskonferenz mit klaren Kriterien und verbindlichen Regelungen zur Bekämpfung des Missbrauchs von Kleinwaffen und leichten Waffen zu verpflichten und Lücken im Aktionsprogramm zu schließen. Die SPD- Fraktion bekräftigt mit diesem Antrag insofern die un- eingeschränkte Notwendigkeit eines Übereinkommens aller Staaten zur Schaffung eines wirkungsvollen und eindeutigen internationalen Kontrollsystems, das Waf- fen- und Munitionstransfers in Gebiete unterbindet, in denen diese Güter wahrscheinlich zu schwerwiegenden Verletzungen der Menschenrechte oder des humanitären Völkerrechtes verwendet werden. Wir bekunden damit unseren grundsätzlichen Willen, alles dafür zu tun, dass die zweite UN-Durchführungskonferenz zum Kleinwaf- fen-Aktionsprogramm diesem Ziel eines internationalen rechtskräftigen Kontrollsystems entscheidend näher kommt. Wer das hehre Ziel verfolgt, Massenvernich- tungswaffen weltweit zu bekämpfen, der sollte ein sol- ches Kontrollsystem mit all seiner Kraft unterstützen. Florian Toncar (FDP): Die Bundesregierung ver- folgt eine Menschenrechtspolitik, die zwar sinnvolle An- sätze aufweist, in ihrer Umsetzung jedoch zu wenig Biss hat und keine echten Akzente setzt. Leider hat es die jet- zige Bundesregierung noch nicht vermocht, ein eigenes menschenrechtliches Profil herauszubilden. Dies wird auch in den heute von den Regierungsfraktionen zur Be- ratung vorgelegten Anträgen deutlich. Beiden Anträgen ist gemeinsam, dass die darin erhobenen Forderungen zwar an sich unterstützenswert sind. Jedoch lassen sie wirkliche Akzente vermissen, eine kreative Bereiche- rung sind sie nicht. Der erste Antrag befasst sich mit der künftigen Arbeit des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen. Die FDP hat die Verhandlungen zur Schaffung dieses neuen Gremiums genau verfolgt. Wir hatten den Eindruck, dass das Auswärtige Amt in seiner Verhandlungsführung 4184 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) umsichtig und geschickt agiert und die Koordination mit den EU-Staaten sehr gut funktioniert hat. Man muss den mit den Verhandlungen betrauten deutschen Diplomaten, insbesondere dem Arbeitsstab Menschenrechte im Aus- wärtigen Amt, an dieser Stelle Lob und Anerkennung aussprechen. Die Aufgabe, einen möglichst umfangrei- chen und effektiven Menschenrechtsschutz auszuhan- deln, war angesichts des Widerstandes einiger Bremser- staaten nicht leicht. Zeitweise schien es, dass es in den Verhandlungen nur noch darum ging, das Schlimmste zu verhindern. Das Ergebnis lässt viele Wünsche offen. Die FDP hätte es natürlich befürwortet, wenn eine Zweidrittel- mehrheit sowie strengere Menschenrechtskriterien für die Mitgliedschaft von Staaten im Menschenrechtsrat notwendig gewesen wären. Leider war dies nicht mehr- heitsfähig. Aber angesichts der schwierigen Verhandlun- gen war offenbar nicht mehr drin. Der Menschenrechtsrat hat sich nun konstituiert und wird sich in der Anfangsphase damit befassen, seine ei- gene Arbeitsweise zu definieren. Die Bundesregierung ist in der Pflicht, ihre Mitgliedschaft in dem neuen Gre- mium zu nutzen, um diese Methoden so effektiv wie möglich zu gestalten. Dabei ist wichtig, dass ausreichend Arbeitszeit für die Befassung mit aktuellen Krisensitua- tionen und groben Menschenrechtsverletzungen bleibt. Am Ende müssen Menschenrechtsverletzer damit rech- nen, beim Namen genannt und öffentlich vom Men- schenrechtsrat durch Länderresolutionen angeprangert zu werden. Ich verstehe den Antrag einerseits als eine Würdigung des diplomatischen Verhandlungsergebnisses, das neben vielen klaren Defiziten auch zahlreiche Chancen bein- haltet. Andererseits – und ich denke, das ist der Schwer- punkt – geben die Forderungen der Bundesregierung den Auftrag, die Ärmel hochzukrempeln und die Arbeit des neuen Menschenrechtsrates mit Inhalt zu füllen. Hier hätte der Antrag konkreter sein können. Auch wenn wir diesem Antrag der Regierungsfraktionen zustimmen werden, bleibt für uns entscheidend, wie die Bundesre- gierung im Menschenrechtsrat agiert. Wir werden genau beobachten, ob die Bundesregierung die an sie gerichte- ten Erwartungen erfüllt. Auch wenn die FDP den Kern des Antrages unter- stützt, ist die Schwammigkeit und die Vermeidung von klaren, akzentuierten Positionen zu bemängeln. Die Bundesregierung muss in Zukunft stärker Farbe beken- nen, wie ihre eigene Position zu konkreten Menschen- rechtsproblemen ist. Darum hat die FDP einen Antrag eingebracht mit dem Ziel, dass die Bundesregierung in künftigen Menschenrechtsberichten die eigene Bewer- tung klar getrennt von allgemeinen politischen Hinter- grundinformationen darlegt. Außerdem müssen mess- bare Zielvorgaben für die Zukunft formuliert werden. Wenn die Bundesregierung sich nicht traut, Position zu beziehen, soll sie das vor der Öffentlichkeit zeigen müs- sen, ohne die Möglichkeit zu haben, sich im Bericht hin- ter Allgemeinplätzen zu verstecken. Der zweite Antrag greift ein Thema auf, welches in den letzten Jahren große Bedeutung erlangt hat: die Be- kämpfung des Handels mit Kleinwaffen und leichten Waffen, mit denen die meisten Morde und Tötungen in Kriegen begangen werden. Da diese Waffen technisch sehr einfach und leider auch sehr robust und langlebig sind, kommt es vor, dass mit ein und derselben Waffe in mehreren Kriegen getötet wird. Der illegale Waffenhan- del bewirkt, dass diese Waffen von einem Bürgerkrieg zum nächsten verschoben werden. Es ist eine makabere „Tournée der Bürgerkriege“, die diese Waffen durch- wandern. Um dies zu erschweren, müssen die dunklen Kanäle der illegalen Waffenschieber durch verbindliche Regelungen sichtbar gemacht und unterbrochen werden. Die jetzt anstehende UN-Überprüfungskonferenz ist eine gute Gelegenheit, diesen internationalen Prozess voran- zutreiben. Dabei sollte die deutsche Diplomatie die Ge- legenheit nutzen, engagiert Akzente zu setzen. Es ist zu erwarten, dass einige Staaten – wie in den Verhandlungen vor fünf Jahren – versuchen werden, das Abschlussdokument möglichst stark zu verwässern. Die USA waren damals in die Kritik geraten, weil sie jegli- che Einmischung in ihr nationales Waffenrecht vermei- den wollten. Dies gab jedoch den größten Lieferanten von Kleinwaffen in Bürgerkriegsgebiete die Gelegen- heit, sich hinter den USA zu verstecken. So muss die Bundesregierung bei den anstehenden Verhandlungen auch Staaten wie China zu konkreten Zugeständnissen bei der Eindämmung der Zirkulation von Waffen drän- gen und klar Position beziehen. Ein wichtiges Ziel ist es, die Staaten, die Kleinwaffen in Konfliktherde liefern, dazu zu bringen, strengere Ex- portrichtlinien zu beachten. Dabei müssen Deutschland und die EU dafür sorgen, dass die Staaten in Ost- und Südosteuropa, in denen große Mengen von Kleinwaffen vorhanden sind und noch immer produziert werden, die Ausfuhr dieser Waffen begrenzen. So lagern etwa in der Ukraine, einem wichtigen Ausfuhrland, noch schät- zungsweise 9 Millionen Kleinwaffen. Es wäre fatal, wenn diese Waffen in den Umlauf des illegalen Waffen- handels gelangten, um das Feuer zahlreicher Bürger- kriege anzufachen. Staaten Ost- und Südosteuropas, die Mitglied der EU werden wollen oder ihre Beziehungen zur EU verbessern wollen, müssen hier ein klares Signal aus Brüssel erhalten. Auch wenn der Antrag diese For- derung erhebt, so hätte ich mir eine schärfere Formulie- rung in diesem Punkt gewünscht, um ein klares Signal an die ost- und südosteuropäischen Kleinwaffenprolife- rateure zu senden. Deutschland zählt trotz einer restriktiven Handhabe von Exportgenehmigungen weiterhin zu den größten Waffenexporteuren der Welt. In Zukunft sollten wir al- lerdings zum Hauptexporteur von Geräten zum Abrüsten und Zerschreddern von Kleinwaffen aufsteigen. Es stünde der Menschenrechtspolitik der Bundesregierung gut an, wenn deutsche Technik maßgeblich dazu beitra- gen könnte, diese unsäglichen Kleinwaffen wieder aus der Welt zu schaffen. Großbritannien stellt solche Geräte bereits als Teil seiner Entwicklungszusammenarbeit Staaten zur Verfügung. Leider ist der Inhalt des Antrages insgesamt so stark in Watte verpackt, dass er lediglich die allgemeinen Er- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4185 (A) (C) (B) (D) wartungen an die deutschen Diplomaten bei der anste- henden UNO-Konferenz wiedergibt. Notwendig ist er in dieser Form nicht. Wir sind gespannt, ob die Bundesregierung es schaf- fen wird, ein sichtbares Profil in der Menschenrechts- politik zu entwickeln. Bald ist das erste Regierungsjahr vorbei. Die Zeit läuft. Michael Leutert (DIE LINKE): Erstens. Wir unter- stützen den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD. Wir teilen mit den Antragstellern die Auffassung Kofi Annans, dass es sich bei den Kleinwaffen um die Massenvernichtungswaffen von heute handelt. Auch tei- len wir die Auffassung, dass eine wirksame Kontrolle dieser Waffengattung Konflikten vorbeugen, Frieden konsolidieren und Menschenrechtsverletzungen meiden helfen kann. Schließlich teilen wir die Auffassung, dass eine restriktive Rüstungsexportpolitik notwendig ist. So- weit stimmen wir mit den Antragstellern überein. Zweitens hat die Fraktion Die Linke aber auch erheb- liche Kritik an dem Antrag zu üben, eine Kritik aber, die uns nicht hindern soll, diesem Antrag zuzustimmen. Der Antragsteller ist nämlich der Auffassung, dass Kleinwaf- fen an ihre Einsatzorte in bewaffneten Konflikten oft- mals über illegale Vermittlungsgeschäfte gelangt sind. Wenn das stimmt – daran haben auch wir keinen Zwei- fel – dann fragen wir uns, warum der deutsche Beitrag zu einer Kontrolle dieser Waffengattung nicht etwas radikaler ausfallen könnte. Dazu drei Bemerkungen: Erstens. Dass es sichere Empfängerstaaten für Kleinwaf- fenexporte gibt, ist sehr zweifelhaft. Gerade der Waffen- export an verbündete Staaten ist der Anfang des Wegs der Weiterverbreitung der sehr langlebigen Kleinwaffen. Auch Staaten mit einer menschenrechtlich immer noch bedenklichen Lage wie etwa die Türkei und Indonesien wissen deutsche Waffen zu schätzen. Hier sind wesent- lich restriktivere Exportregelungen angesagt. Zweitens. Die Unterscheidung zwischen Sport-, Freizeit- und Kriegswaffen muss hinsichtlich der Exportbestimmun- gen aufgehoben werden. Drittens. Die Bundesregierung sollte sich dafür einsetzen, die bestehenden internationa- len Abkommen auch auf Waffen wie tragbare Flugab- wehrraketen und Mörser auszuweiten. Eine Ankündigung solcher Schritte wäre ein guter Beitrag für das Gelingen der UN-Kleinwaffenkonferenz. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem neuen Menschenrechtsrat hat eine neue und wichtige Phase des internationalen Menschenrechts- schutzes begonnen. Es besteht jetzt die historische Chance, Menschenrechte zu einer tragenden Säule im System der Vereinten Nationen werden zu lassen. Die neue Institution löst die bisherige Menschenrechtskom- mission ab, die aufgrund der Blockadehaltung zahlrei- cher Staaten mit mangelhafter Menschenrechtsbilanz zu Recht kritisiert worden war. Am 9. Mai diesen Jahres sind 47 Mitgliedstaaten für drei Jahre gewählt worden, darunter – mit überwältigender Mehrheit – auch Deutschland. Dies zeigt, wie positiv die konsequente Menschenrechtspolitik der Bundesrepublik der letzten Jahre auch international wahrgenommen wurde. Das muss und wird hoffentlich auch für die neue Regierung hinreichend Ansporn sein, hohe Standards einzuhalten und weiter zu verbessern, im Übrigen auch und gerade dort, wo Deutschland wie in der Flüchtlingspolitik noch Nachholbedarf hat! Der neue Rat ist unzweifelhaft ein positiver Neube- ginn für eine weltweit effektive Menschenrechtspolitik, obwohl auch im neuen Rat Länder Mitglieder sind, de- ren menschenrechtliche Standards alles andere als zu- frieden stellend sind. Aber: Alle Mitgliedstaaten werden auf ihre Menschenrechtslage überprüft und es soll die Möglichkeit einer Suspendierung der Mitgliedschaft für Staaten bestehen, die massive Menschenrechtsverletzun- gen begehen. Wir vertrauen darauf, dass dieser Mecha- nismus notfalls konsequent angewandt wird! Bündnis 90/Die Grünen sehen eine Reihe von Chan- cen, die der neue Menschenrechtsrat für eine tatsächli- che Verbesserung gegenüber der Arbeit der alten Menschenrechtskommission bietet. Der Rat wird im Vergleich zur MRK öfter und länger im Jahr tagen und sich aktueller mit Menschenrechtsfragen befassen kön- nen. Die Mitglieder des Rates müssen sich einer Prüfung ihrer eigenen Menschenrechtsstandards unterziehen, und es besteht die Möglichkeit der Aussetzung der Mitglied- schaft im Falle schwerwiegender Menschenrechtsverlet- zungen. Darüber hinaus wird es ein so genanntes Universal Periodic Review geben, das heißt ein Verfahren, mit dem die Menschenrechtssituation in allen Staaten der VN ge- prüft und Verletzungen von Menschenrechten öffentlich gemacht werden können. Allerdings: Es müssen auch noch eine Reihe von Herausforderungen zur effektiven Ausgestaltung des Menschenrechtsrates bewältigt wer- den: Wir fordern die Bundesregierung auf, sich mit Nach- druck für den Erhalt der wichtigen und bewährten Son- dermechanismen der MRK einzusetzen. Die Beteiligung der Nichtregierungsorganisationen muss gewährleistet bleiben! Und wir fordern die Bundesregierung auch auf, wichtige menschenrechtliche Initiativen, die in der Ver- gangenheit in der MRK nicht oder nicht umfassend durchgesetzt werden konnten, zum Beispiel Zusatzpro- tokoll zum VN-Sozialpakt, Resolution über die Men- schenrechte von Lesben und Schwulen, Resolutionen zu Guantanamo Bay und zu Darfur, zu unterstützen. Da- rüber hinaus erwarten wir von der Bundesregierung, dass sie im Rat darauf hinwirkt, dass die Informationen zur Menschenrechtslage in den zu überprüfenden Län- dern auch von opfernahen und staatsunabhängigen Insti- tutionen berücksichtigt werden. Ob sich die Erwartun- gen an den Menschenrechtsrat erfüllen, wird sich zeigen. Bündnis 90/Die Grünen jedenfalls werden die Entwick- lung dieser Institution mit größter Aufmerksamkeit und konstruktiver Kritik verfolgen. Lassen Sie mich zum Abschluss noch ein paar Worte zu unserem Antrag „Waffen unter Kontrolle“ und dem Problem der Kleinwaffen sagen. Schwerste Menschen- rechtsverletzungen gehen eng mit dem Vorhandensein und dem Einsatz von Kleinwaffen einher. Seit circa zehn 4186 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Jahren gibt es auf der internationalen Ebene Bemühun- gen, zu einer Begrenzung des Kleinwaffenproblems zu kommen. Die Bundesregierung hat sich hier mal mehr und mal weniger, insgesamt aber durchaus positiv und lobenswert engagiert. Dies gilt sowohl im Rahmen der UN, OSZE, EU und bilateral. Auch die nationalen Ex- portrichtlinien und Exportpolitik wurden ansatzweise verändert. Vor allem das UN-Aktionsprogramm von 2001 hat – bei allen Defiziten – dazu beigetragen, dass es auf der internationalen, regionalen und nationalen Ebene schritt- weise Fortschritte gegeben hat. Das reicht jedoch bei weitem nicht aus. Das Programm ist zu eng, zu unver- bindlich und in vielen Bereichen nicht entschlossen ge- nug umgesetzt worden. Wir erwarten, dass es bei der Überprüfungskonferenz in New York deutliche Fort- schritte gibt und sich Deutschland und die EU-Staaten vehement dafür einsetzen, dass es zu Verbesserungen und verbindlichen Weiterentwicklungen kommt. Dies gilt zum Beispiel für die Bereiche Munition, Waffenver- mittlungsgeschäfte und nichtstaatliche Endempfänger. Es müssen in New York auch Schritte in die Wege gelei- tet werden, um bald zu einem internationalen Waffen- handelsabkommen zu kommen, das möglichst hohe völkerrechtliche Mindeststandards festschreibt, um kon- ventionelle Waffenexporte unter Kontrolle zu bringen. Wir begrüßen, dass die Koalitionsfraktionen das Thema aufgreifen. Ihr Antrag bleibt jedoch leider in vie- len Bereichen ein Schönwetterantrag. Dort, wo es weh tut, also dort, wo auch die Bundesregierung und deut- sche Industrieinteressen betroffen sind, wagen Sie sich nicht ran! Wir dürfen uns nicht auf illegale und militärische Kleinwaffenexporte beschränken. Wir müssen auch die zivil genutzten und legalen Exporte in den Blick neh- men. Wir müssen vor allem auch unsere eigene Export- gesetzgebung und Exportpolitik kritisch unter die Lupe nehmen. Hier benennen wir entscheidende Lücken und Defizite. Bündnis 90/Die Grünen hat das als Regierungs- fraktion getan, und wir tun das auch heute. Vorausset- zung ist, dass sich die Transparenz in diesem Bereich weiter verbessert und die Fraktionen ihre Kontrollaufga- ben ernst nehmen. Deutschland gehört immer noch zu den weltweit führenden Exporteuren von zivilen und mi- litärischen Kleinwaffen, darunter sind auch Exporte, die mit den Rüstungsexportrichtlinien nicht vereinbar und nicht nachvollziehbar sind. Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: REITs – Real Estate Investment Trusts in Deutschland einführen (Tagesordnungspunkt 19) Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Die Fraktion der FDP fordert den Bundestag auf, einen Gesetzentwurf zur Ein- führung von REITs in Deutschland auf den Weg zu brin- gen. Auch die Union hat heute per Pressemitteilung ver- kündet, dass sie sich ebenfalls für die REITs-Einführung ausspricht, sofern – ich zitiere – „die verlässliche Be- steuerung beim Anleger sichergestellt ist und positive Auswirkungen auf Immobilienmarkt und Standortbedin- gungen zu erwarten sind“. Die SPD-Fraktion diskutiert das Problem intensiver. Die parlamentarische Linke kommt in einem interessan- ten Papier zu der Aussage, die Bedingungen für die Ein- führung von REITs seien nicht erfüllt, weil – Zitat – „die steuerpolitischen, haushälterischen und gesellschaftspo- litischen Schwierigkeiten und Gefahren nicht verlässlich ausgeräumt werden können“. Das BMF seinerseits führt in einem ausführlichen Papier lauter Argumente an, wa- rum REITs eine gute Sache sind. Eine interessante Konstellation: Für die FDP gibt es keine Probleme; die Union ist zwar dafür, weiß aber nicht, ob die Risiken unter Kontrolle sind und ob das Ganze überhaupt etwas bringt; das Bundesministerium der Finanzen gibt grünes Licht und die SPD ist sich nicht einig. Das sieht für mich danach aus, dass die Sache schon gelaufen ist, das heißt, dass die absolut berechtigten Ein- wände der SPD-Linken in den Wind geschlagen werden. Für die Fraktion Die Linke gibt es keinen Zweifel: Wir lehnen die REITs-Zulassung ab, sie schadet dem Finanz- platz Deutschland, sie schadet den Interessen der Miete- rinnen und Mietern und bietet ein weiteres Steuer- schlupfloch für Finanzinvestoren. Ich will dies begründen und Ihnen gleich zu Anfang unser zentrales Gegenargument nennen. Es geht um ei- nen Sachverhalt, der leider auch nicht in dem zitierten Argumentationspapier der SPD-Linken ausgeführt wird. Ich werde mich in der Auseinandersetzung auf dieses Papier beschränken, weil in dem FDP-Antrag nur Be- hauptungen zu lesen sind, während die Union nur das Prinzip Hoffnung zu vermelden hat. Worum geht es bei REITs? Es geht im Kern um die Mobilisierung von in Immobilien gebundenem Kapital von Unternehmen. Das sieht die FDP völlig richtig – Zi- tat aus dem Ihrem Antrag –: „REITs sind besonders für Versicherungen, Pen- sionsfonds und Stiftungen interessant … Unterneh- men aller Branchen ist es möglich, ihren Immobili- enbestand in REITS zu überführen. Somit können sie gebundenes Kapital heben.“ Ich bin der FDP-Fraktion dankbar für die Offenheit, mit der sie den Kernpunkt benennt, allerdings ohne sei- nen eigentlichen Hintergrund auszusprechen. Es geht im Wesentlichen um die Allianz, es geht um die großen Versicherungskonzerne. Bekanntlich haben Allianz und Co. riesige, nicht aufgedeckte stille Reser- ven in Form von Wohnungseigentum. Die Versicherun- gen haben mit REITs ein dreifaches Interesse: Sie möch- ten die Verwaltungskosten dieser Wohnungen loswerden, sie möchten zum Zweiten das zum Einheits- wert in den Bilanzen geführte Kapital zum Verkehrswert liquidieren und sie möchten zum Dritten diesen gewalti- gen Zugewinn auch noch steuerfrei realisieren. Bekannt- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4187 (A) (C) (B) (D) lich sind nämlich die REITs von der Körperschaft- und Gewerbe- und Grundsteuer befreit. Es geht also um nichts anderes als eine Neuauflage der berühmt-berüchtigten steuerfreien Veräußerung von Kapital. Sie von der großen Koalition sind dabei, den ge- radezu tragischen Fehler der rot-grünen Bundesregie- rung aus dem Jahr 2000 zu wiederholen, der zu gewalti- gen Ausfällen bei der Körperschaftsteuer geführt hat. Das ist der Kern das Ganzen. Die SPD-Linke hat völlig recht: REITs wären – Zitat – „eine Rolle rückwärts in der Steuerpolitik der Großen Koalition“. Die Rolle rückwärts ist nur viel dramati- scher. Ich finde es bedauerlich, dass dieser Punkt in der Diskussion leider auch in dem Papier der SPD-Linken, nur am Rande angesprochen wird. Für die FDP gibt es überhaupt keine Steuerausfallrisi- ken. Voraussetzung sei die Übernahme der Regelungen anderer Länder, heißt es im Antrag. Dass in Frankreich die mit der REITs-Einführung eingetretenen Steuermin- dereinahmen ein Problem waren, nehmen Sie einfach nicht zur Kenntnis. Die Union hofft einfach nur, dass es keine geben wird. Aber die SPD und der Bundesfinanzminister sollten eigentlich gebranntes Kind sein. Erinnern Sie sich nicht mehr an Ihre katastrophalen Fehlprognosen bezüglich zu erwartenden Steuermindereinnahmen aus dem Jahr 2000? Wollen Sie wirklich den Menschen im Lande klar machen, der Allianz erneut ein Steuergeschenk in Mil- liardenhöhe zu machen und zugleich den Menschen er- neut bei den Ausgaben für Gesundheit und bei den So- zialleistungen in die Tasche zu greifen? Ich kann es noch nicht glauben, dass nach all den bereits durchgesetzten Zumutungen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokra- ten so etwas noch mitmachen können! Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie bei diesem Problem etwas mehr Gehirnschmalz verwenden würden, damit wir im Ausschuss eine Diskussion mit hinreichen- dem Sachverstand führen können. Ich will zum Schluss nicht versäumen, ganz kurz wei- tere Risiken aufzählen: Erstens. Sie können und dürfen es nicht zulassen, dass mit REITS faktisch ein in meinen Augen nicht zulässi- ges Sonderrecht für Kapitalgesellschaften im Woh- nungssektor geschaffen wird. Der Grundsatz des BMF der rechtsformneutralen Unternehmensteuerreform wird mit REITs unterlaufen. Zweitens. Die Befreiung von Gewerbe- und Grund- steuer führt zu Mindereinnahmen bei den Kommunen. Drittens. Die SPD-Linke hat völlig recht: „Die Stand- ortbindung deutscher Unternehmen würde gelockert.“ Trotz aller Kniefälle der deutschen Steuergesetzgebung: REITs würden ihren Firmensitz – wie schon jetzt die Hedgefonds – natürlich vornehmlich in Steueroasen le- gen. Viertens. Die Steuerflucht schaffen Sie auch nicht mit der Höchstbeteiligungsgrenze von 10 Prozent nach dem britischen Muster aus der Welt, Sie begrenzen Sie nur. Fünftens. Ganz abgesehen von Auswirkungen auf den Mietwohnungssektor, der bekanntlich in Deutschland in- ternational betrachtet weit größeres Gewicht hat, ganz abgesehen von dem deutlich schwächeren Mietrecht bei Wegfall der Gemeinnützigkeit: Ich frage Sie: Wollen Sie tatsächlich mit Hilfe der REITS diesen Sektor den Pensionsfonds und insbesondere des US-Pensionsfonds übereignen? Ich zitierte Norbert Blüm: Von 112 000 Pensionskassen in den USA existieren heute noch 32 000! Sie kennen die Probleme mit den Pen- sionsfonds bei GM, Ford usw. Wir sollten uns in diesem Hause genauer mit den Risiken auf dem internationalen Finanzmärkten beschäftigten, denen die Wohnungs- märkte mit REITs ausgeliefert würden. Sechstens. Vergessen Sie bitte nicht die weltweit deutlich gestiegenen Gefahren von Immobilienblasen, deren Konsequenzen bei einer massiven Einführung von REITs überhaupt nicht geklärt sind. Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Stadtentwicklung ist moderne Struk- tur- und Wirtschaftspolitik (Tagesordnungs- punkt 22) Peter Götz (CDU/CSU): Stadtentwicklung ist ein dynamischer Prozess. Der wirtschaftliche und demogra- fische Wandel, aber auch Wanderungsbewegungen stell- ten die Städte schon immer vor neue Herausforderungen – in Ost und West, in Nord und Süd. Wie wir unsere Städte planen und organisieren, ist für die Lebensqualität vieler Menschen entscheidend. Innovation, Wachstum und Be- schäftigung sind der Motor für die Entwicklung unserer Städte und Ballungsräume. Mit ihrer Wirtschaftskraft – aber auch mit ihrem kulturellen Angebot – strahlen die Städte auf den sie umgebenden ländlichen Raum aus. Um diese für die Standortqualität und die Wettbewerbs- position Deutschlands wichtige Funktion zu stärken, hat sich das Leitbild einer nachhaltigen Stadt durchgesetzt. Es verfolgt das Ziel, innovative, flexible und ausgewo- gene Lösungen für die wirtschaftlichen, sozialen und umweltbezogenen Herausforderungen zu schaffen. Die- ser Dreiklang der lokalen Agenda 21, den die Vereinten Nationen global unterstützen, und die vor zehn Jahren auf dem Weltstädtegipfel der Vereinten Nationen verab- schiedete Habitat-Agenda helfen, einseitige negative Entwicklungen und Monostrukturen zu vermeiden. Um auf Dauer eine gute Infrastruktur und ein qualitati- ves Wohnumfeld vorhalten zu können, brauchen wir starke Kommunen. Wir brauchen Städte und Gemeinden, die eigenverantwortlich im Rahmen ihrer Planungshoheit und Finanzautonomie ihre Aufgaben wahrnehmen. Ich hoffe, dass es gelingt, im Rahmen der anstehenden Un- ternehmensteuerreform die davon betroffenen Kommu- nalfinanzen nachhaltig auf eine stabile und solide Basis zu stellen. 4188 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Auch die Föderalismusreform wird die kommunale Selbstverwaltung deutlich stärken. Die vielen kommuna- len Amts- und Mandatsträger erhalten durch diese Re- form eine noch größere Eigenverantwortung. Zusammen mit bürgerschaftlichen Initiativen und regionalen Unter- nehmen sind sie die wichtigen Akteure einer Stadt. Wenn Bundespräsident Köhler beim Festakt aus An- lass des hundertjährigen Bestehens des Deutschen Städ- tetages vor einem Jahr in Berlin unter anderem sagte, – ich zitiere –: „Und ich wünsche mir auch, dass in ihren Parteien die Kommunalpolitiker ihre Stimme noch viel stärker zur Geltung bringen“, so macht dies sehr deut- lich, dass Politik für und nicht gegen Kommunen ein starkes Glied in der Kette vieler notwendiger Entschei- dungen ist. Deshalb ist es auch richtig, dass Bund, Län- der und Gemeinden gemeinsam auf der Grundlage des Subsidiaritätsprinzips wichtige Stadtentwicklungspro- jekte fördern. Die Bund-Länder-Programme zur Städte- bauförderung helfen den Kommunen zurzeit, in über 1 700 Stadtquartieren dringende Investitionen in die In- frastruktur und die Modernisierung der Gebäude in Gang zu bringen. Städte, die in besonderem Maße von wirt- schaftlichem Strukturwandel, von Arbeitslosigkeit, Wohnungsleerstand, Zu- oder Abwanderung betroffen sind, können so stabilisiert und aktiviert werden. Auch die Europäische Union tritt für eine Entwick- lung integrierter Konzepte einer nachhaltigen Stadtent- wicklung ein, damit die Städte ihren Beitrag zu Wachs- tum und Beschäftigung leisten können. Deshalb greift unser Antrag die mit der neuen EU-Förderperiode 2007 bis 2013 geschaffene Möglichkeit der Städtebauförde- rung mit EU-Strukturfondsmittel ab 2007 auf. Die städti- sche Dimension zu stärken, ist der richtige Ansatz. Be- sonders wichtig ist uns dabei die Beachtung des Subsidiaritätsprinzips. Ziel muss sein, durch integrierte und partnerschaftli- che Prozesse die Attraktivität der Städte zu verbessern und dabei Innovationen, unternehmerische Initiativen und die Wirtschaft zu unterstützen, um so mehr und bes- sere Arbeitsplätze entstehen zu lassen. Die Länder soll- ten diese Ziele bei der Ausgestaltung ihrer Förderpro- gramme in breitem Umfang berücksichtigen. Die Stadtentwicklung als Querschnittsaufgabe zu profilieren bietet die Chance, bisher unabhängig voneinander ange- wandte Förderstrategien besser miteinander zu verzah- nen. Unabhängig vom Förderaspekt können wir die Innenentwicklung der Städte und Gemeinden auch da- durch stärken, dass wir das Bau- und Planungsrecht wei- ter vereinfachen und beschleunigen. Das hat sich die Ko- alition vorgenommen und das wird sie auch realisieren. Flächenpotenziale sind durch Wiedernutzung und Nach- verdichtung besser auszuschöpfen. Die Nutzung von Industrie-, Bahn- oder Konversionsbrachen ist anstren- gender als das Bauen auf der grünen Wiese. Aus ökolo- gischen und ökonomischen Gründen ist dies trotz der größeren Anstrengung langfristig der bessere Weg. Wir sollten alle verstärkt darauf hinwirken. Lassen Sie mich ein weiteres Thema ansprechen, das mit diesem Antrag verdeutlicht werden soll. Eine der wichtigsten Säulen der nachhaltigen Stadtentwicklung stellt zunehmend die soziale Integration dar, insbeson- dere dann, wenn sich soziale Problemlagen in einzelnen Stadtquartieren durch einen hohen Migrantenanteil oder einen hohen Anteil an Langzeitarbeitslose und jugendli- chen Arbeitslosen konzentrieren. Außerdem muss die soziale Eingliederung von benachteiligten Personen so- wie Schulabbrechern oder Schulverweigerern durch ge- zielte Maßnahmen gefördert werden, um deren Chancen auf Beschäftigung zu erhöhen. Das aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds, ESF, finanzierte Programm „Lokales Kapital für soziale Zwecke“ (LOS) hat sich da- bei besonders bewährt. Wir wollen, dass das künftige ESF-Bundesprogramm dort anknüpft und den Erforder- nissen einer nachhaltigen europäischen Stadtentwick- lung durch eine eigene Handlungspriorität im Programm Rechnung trägt. Damit realisieren wir auch das Vorha- ben der Koalition, den ressortübergreifenden Ansatz des Programms „Soziale Stadt“ zu stärken. Abschließend habe ich eine Bitte an die Bundesregie- rung. Ich bitte Sie, die deutsche Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union im nächsten Jahr zu nutzen, um das Thema Stadt als wichtiges Zukunftsthema national, aber auch international prioritär auf die politische Agenda zu setzen. Die in Deutschland entwickelten Lö- sungen für eine nachhaltige, integrierte Stadtentwick- lung können dazu ein guter Beitrag sein. Die Auseinan- dersetzung mit der Entwicklung unserer Städte, ihren großen Problemen, aber auch mit den dort liegenden Potenzialen lohnt sich: Deutschland mit seinen Städten und Regionen hat viel zu bieten. Die Erwartungshaltung vieler Länder an uns ist sehr hoch. Wir sollten unser Licht nicht unter den Scheffel stellen und dieser Erwar- tung gerecht werden. Petra Weis (SPD): Dass der Antrag „Stadtentwick- lung ist moderne Struktur- und Wirtschaftspolitik“ erst zu so später Stunde behandelt wird, hat hoffentlich nicht zur Folge, dass die Bedeutung des Themas für die wirt- schaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in unseren Städten in den kommenden Jahren – und Jahrzehnten – gering geschätzt wird. Das Gegenteil ist nämlich der Fall: Die Stadtentwicklungspolitik, die seit dem Ende der neunziger Jahre neu und zukunftsweisend zugleich ausgerichtet worden ist, erhält im Zeichen der wirt- schaftlichen, sozialen und technologischen Entwicklung – ich könnte statt Entwicklung auch Wettbewerb, besser noch Standortwettbewerb sagen – eine weitergehende Qualität. Mit dem Leitbild der nachhaltigen Stadtentwicklung und dem Ziel der Erarbeitung und Umsetzung innovati- ver und flexibler Lösungen für vielschichtige ökonomi- sche, soziale und ökologische Problemlagen erfüllt die deutsche Politik zur Stadtentwicklung einen herausra- genden Beitrag im Rahmen der Lissabonstrategie. Ob unsere Städte und Regionen für Investitionen und damit für Arbeitsplätze attraktiv sind, darüber entscheiden auch die Wachstumspotenziale in unseren Städten und der politische Wille, diese Potenziale zur Entfaltung zu bringen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4189 (A) (C) (B) (D) Mit diesem Profil liegt die Politik der Bundesregie- rung ganz auf der Linie der Europäischen Union, die in- tegrierte Konzepte nachhaltiger Stadtentwicklungspoli- tik unterstützt und einfordert. Sie liegt auch ganz auf der Linie der strategischen Ausrichtung der Europäischen Kommission, die die Stärkung der städtischen Dimen- sion im Rahmen der Kohäsionspolitik und der Struktur- fonds in der nächsten Förderperiode von 2007 bis 2013 auf ihrer Agenda ganz weit oben platziert hat. Die im Rahmen des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung vorgesehenen Fördermöglichkeiten sind dazu geeignet, von den Bundesländern im Zuge der Er- arbeitung ihrer operationellen Programme im Rahmen der Förderpolitik in den Städten offensiv und intensiv genutzt zu werden. Die deutsche Ratspräsidentschaft im kommenden Jahr muss und wird also auch dazu dienen, die Impulse nach und von Europa gegenseitig zu verstär- ken. Daneben müssen wir uns in der Fortentwicklung un- serer Politik auf die Bewältigung der Herausforderungen konzentrieren, denen sich die Städte im Zuge des demo- grafischen Wandels ausgesetzt sehen. Es hat nichts mit Schwarzmalerei zu tun, wenn wir zur Kenntnis nehmen, dass Strukturwandel und Veränderung der Bevölke- rungsstruktur in den Städten dazu führen, dass sich Pro- blemlagen der modernen Gesellschaft in den Städten und hier insbesondere in bestimmten Quartieren konzentrie- ren. Die wohlbekannten Stichworte lauten brachliegende Flächen, Wohnungsleerstand, wirtschaftliche und soziale Benachteiligung, unzureichende Integration von Mig- rantinnen und Migranten, um nur einige zu nennen. Die Städte müssen in diesem schwierigen und gewiss langwierigen, aber durchaus chancenreichen Prozess ge- zielt unterstützt werden, bei der Anpassung der techni- schen und sozialen Infrastruktur, bei der Attraktivierung von Quartieren für junge Familien und ältere Menschen gleichermaßen, beim Ansiedeln neuer Unternehmen, bei der Nutzung von Brachflächen – auch als Beitrag zur Reduzierung des Flächenverbrauchs – und bei vielem anderen mehr. Ein besonderes Augenmerk muss in den kommenden Jahren auf die soziale Integration auch von Migrantinnen und Migranten gelegt werden. Das sage ich nicht nur, aber auch im Vorfeld des für den 14. Juli geplanten Inte- grationsgipfels im Kanzleramt. Dass Stadtentwicklung einen wichtigen Beitrag zur Integration leistet, ist unbe- stritten. Ebenso unbestritten ist die Notwendigkeit der stärkeren interdisziplinären Zusammenarbeit auf diesem Feld. Deshalb ist es mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Aufstockung der Mittel für das Programm „Soziale Stadt“ um 40 Millionen auf 110 Millionen Euro ein ebenso bedeutendes Zeichen ist wie die Möglichkeit, die Mittel zukünftig auch für Zwecke verwenden zu können, die sich auf die Stärkung der Kompetenzen der Betroffe- nen in den Bereichen Bildung und Sprachförderung, aber natürlich auch in den Bereichen Ausbildung und Beschäftigung richten. Ein wesentliches Ziel der Politik der Bundesregierung ist es, Stadtentwicklungspolitik national wie europäisch als ressortübergreifende Querschnittsaufgabe zu be- schreiben und zu betreiben. In den Stadtquartieren mani- festieren sich die vielfältigen Problemlagen für die Be- troffenen zuerst, aber hier werden die Erfolge der Politik, die ohne ein entsprechendes bürgerschaftliches Engagement nicht denkbar und vor allem nicht nachhal- tig wären, auch zuerst erkennbar und erlebbar. Bund, Länder und Kommunen sind also gemeinsam aufgefordert, nachhaltige Konzepte zur Stadtentwick- lung zu entwickeln und engagiert und konsequent umzu- setzen. Das weist der städtebauliche Bericht der Bundes- regierung aus dem Jahr 2004 unübersehbar aus. Es war daher auch eine Motivation für diesen Antrag der Koali- tionsfraktionen, den Gemeinschaftscharakter, der ideal- wie realtypisch stets durch einen „gemeinschaftlichen Geist“ ergänzt werden sollte, gerade auch in seiner Struktur- und gesellschaftspolitischen Relevanz noch einmal deutlich herauszustellen. Die Städtebauförderung bleibt auch nach der Verab- schiedung der Föderalismusreform eine gesamtstaatliche Aufgabe. Das ist ausgesprochen gut so. Attraktive In- nenstädte als Anziehungspunkt für Menschen aus allen Generationen, eine stadtverträgliche Mobilität im Zei- chen notwendiger Ressourceneffizienz, Stärkung der zentralen Versorgungsbereiche, Stärkung neuer Formen der Selbstorganisation wie Business Improvement Dis- tricts, Housing Improvements Districts und Immobilien- und Standortgemeinschaften, Verbesserung von Be- schäftigungsmöglichkeiten auch durch Stärkung der lo- kalen Ökonomie – unter Einbeziehung der Migranten- ökonomie, deren Potenzial übrigens noch lange nicht ausgeschöpft ist: All das wird nur gelingen, wenn die be- teiligten Ebenen zielgerichtet und effizient zusammenar- beiten. Stadtentwicklung ist in diesem Sinne voraus- schauende und präventive Gesellschaftspolitik und nicht allein Reparaturbetrieb für ökonomische, soziale und kulturelle Verwerfungen. Die bisher erzielten Erfolge sind beispielgebend auch für vergleichbare Regionen in Europa. Daher gehen wir mit Gewissheit davon aus, dass die Bundesregierung die deutsche Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr des kommenden Jahres dazu nutzt, unter Einbeziehung der Habitat-Agenda die bei uns entwickelten Lösungsan- sätze für eine nachhaltige und integrative Stadtentwick- lung als Beitrag für die Lissabonstrategie in die Arbeit der Europäischen Union einzubringen. Im Mai des nächsten Jahres werden die zuständigen Ministerinnen und Minister im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft in Leipzig tagen. Geplant ist eine Leipzigcharta zur nachhaltigen europäischen Stadt als Beitrag zur Lissabonstrategie. Im Rahmen der zu erwar- tenden Beratungen werden die Forderungen unseres An- trags hoffentlich eine Rolle spielen, wenn nicht gar schon Früchte tragen. Das Thema wird uns also so oder so erhalten bleiben. Ich freue mich auf die kommenden Debatten im nationa- len und europäischen Rahmen und hoffe auf eine mög- lichst breite Zustimmung zu unserem Antrag. 4190 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Patrick Döring (FDP): In einem bin ich mit den Ab- geordneten der Koalition vollkommen einig: Die Ent- wicklung unserer Städte, vor allem die rechtzeitige Re- aktion auf die demografische Entwicklung, ist eine wichtige Zukunftsaufgabe. Vielleicht eine der wichtigs- ten. Denn Städte sind seit jeher Zentren der Entwicklung unserer Gesellschaft – wirtschaftlich, sozial, wissen- schaftlich und technologisch. Zugleich konzentrieren sich in Städten und Metropolregionen auch die Probleme unserer Gesellschaft. Arbeitslosigkeit, Migration, demo- grafischer Wandel – in unseren Städten sind das keine Schlagworte, das ist die Wirklichkeit. Hier entscheidet sich tagtäglich, in was für einer Gesellschaft wir in Zu- kunft leben werden. Eine liberale und demokratische Gesellschaft ist in Gefahr, wenn ich einmal kurz grundsätzlich werden darf, wenn zwischen gesellschaftlichen Gruppen Grenzen ge- zogen werden. Das gilt für die Entwicklung unserer Städte im wahrsten Sinne des Wortes: Die Meldungen dieser Tage aus Neukölln und Kreuzberg führen uns nur zu deutlich vor Augen, wohin Aus- und Abgrenzung führt. Wo die Hoffnung stirbt, da stirbt auch die demo- kratische Kultur – da fliegen bald nicht mehr die Worte in einer hitzigen Debatte, sondern Molotowcocktails. Schauen Sie nur nach Frankreich! Das Thema Stadtentwicklung gehört daher in seiner ganzen Breite auf die politische Agenda. Wirtschafts-, Verkehrs- und Infrastrukturpolitik, Bildung und For- schung, Raumplanung, soziale Einrichtungen – um nur einige zentrale Aspekte zu nennen. In dieser Hinsicht geht die Koalition mit diesem An- trag einen ersten Schritt eines langen Weges. Ich befür- worte viele der einzelnen Forderungen, die von den ge- schätzten Kollegen Götz und Weis erhoben werden. Doch ich vermisse den Mut und die Entschlossenheit, der Regierung mit einem integrierten und nachhaltigen Gesamtkonzept entschieden die richtige Richtung zu weisen. Zum Teil nehmen Sie hier bloß bekannte Vorha- ben des Ministers vorweg. Wo klare Vorgaben gefragt wären, etwa zur Bedeutung bereichsübergreifender Kon- zepte, da scheuen Sie die Festlegung. Um die Zukunft unserer Städte zu sichern, braucht es jedoch mehr als punktuelle Maßnahmen; es braucht ein integriertes Konzept, das die verschiedenen politischen und thematischen Ebenen verknüpft. Insbesondere darf Stadtentwicklung nicht isoliert, sondern muss auch im regionalen und überregionalen Zusammenhang betrach- tet werden. Um zu einer ausgewogenen Entwicklung zu kommen, braucht es strategische Allianzen von Stadt und Region und eine Vernetzung der Städte untereinan- der. So aktivieren wir die Potenziale der Städte und des Umlandes. Ohne die regionale Einbettung der Stadtent- wicklung ist diese Politik unvollständig, ja womöglich schädlich. Durch den Stadtumbau Ost konnte der ostdeutsche Wohnungsmarkt wieder stabilisiert werden. Aber Stabi- lisierung ist nur das eine: Um eine positive Dynamik in Gang zu setzen, müssen wir die Attraktivität der Zentren erhöhen. Dafür gilt es, die vorhandenen Ressourcen sinnvoll und kreativ einzusetzen. Aus dem Abrisspro- gramm Ost muss tatsächlich ein Umbauprogramm wer- den! Zum jetzigen Zeitpunkt aber werden über 60 Pro- zent der Mittel nur in den so genannten Rückbau investiert. Hier ist es an der Zeit, umzusteuern. Denn um unsere Städte auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten – eine alternde Bevölkerung, Integrations- herausforderungen und eine wachsende Vielfalt der Le- bensentwürfe – müssen wir jetzt handeln. Und auch in den westdeutschen Städten müssen wir wieder nachhaltig die Bedeutung einer gesunden Zentra- lität in den Fokus unserer politischen Instrumente rü- cken – einkaufen, arbeiten, wohnen und leben sollen die Bürger auch wieder im Zentrum der Städte. Die lebens- und liebenswerte Stadt werden wir ge- meinsam politisch nicht per Beschluss schaffen können. Aber die europäischen und bundespolitischen Instru- mente müssen den Kommunalpolitikern und Handeln- den in unseren Städten helfen, die bestehenden und auf- kommenden Probleme zu lösen. Die Entwicklung unserer Städte ist eben eine Heraus- forderung, die sich nicht mit ein paar kleinen Drehungen an zwei oder drei Stellschrauben bewältigen lässt. Das ganze System muss überprüft und neu gedacht werden. Vor diesem Hintergrund wird der Antrag der Regie- rungsfraktionen wohl wenig schaden – die Forderungen sind für sich genommen zumeist vollkommen richtig. Doch Neues bewirken wird man mit diesem Papier ohne Mut und Visionen ebenso wenig. Ich biete für die FDP-Fraktion an, dass wir gemein- sam die Schwerpunkte der weiteren Stadtentwicklungs- politik festlegen, wir rechtzeitig mit dem Bundesminis- ter die Schwerpunkte der Ratspräsidentschaft zu diesem wichtigen europäischen Thema definieren und überle- gen, unter welchen Bedingungen wir weitere und neue Fördermittel einsetzen. Der erste Bundespräsident Theodor Heuss hat einmal gesagt: „Ohne Städte ist kein Staat zu machen“. In die- sem Sinne können wir diesem Antrag unsere Unterstüt- zung gewähren. Heidrun Bluhm (Die LINKE): Stadtentwicklung ist ein permanenter Prozess. Städte befinden sich ständig im Wandel. Der demografische Wandel und der damit ein- hergehende Strukturwandel kamen nicht über Nacht. Dass der Koloss der großen Koalition in einem Akt der Selbstmotivation nunmehr der Stadtentwicklung als mo- derner Struktur- und Wirtschaftspolitik seine Aufmerk- samkeit schenkt, ist also längst überfällig. Die Forderun- gen an die Bundesregierung im Antrag enthalten dabei keine Neuigkeiten, sondern empfehlen lediglich, zur Kenntnis zu nehmen, was seit Jahren auf diesem Gebiet im Angebot ist. Die Politik der Bundesregierung wirft allerdings auch Fragen nach den Erfolgschancen der im vorliegenden Antrag formulierten Ziele auf. In ihrem Antrag fordern Sie die Bundesregierung auf, innovative Modellvorhaben für den familien- und alten- gerechten Umbau von Stadtquartieren und städtischer Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4191 (A) (C) (B) (D) Infrastruktur zu entwickeln, die zentralen Versorgungs- bereiche der Städte und Gemeinden im Interesse einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung zu stär- ken und die Träger der technischen und sozialen Infra- struktur in die Erstellung städtebaulicher Stadtentwick- lungskonzepte einzubinden. Alles richtig. Aber mit wem wollen Sie diese Aufgaben lösen? Eine Ihrer Kernaussagen im Antrag bezieht sich auf die Auf- gaben und die hohe Verantwortung der kommunalen Amts- und Mandatsträger. Diese Sicht teilen wir. Dann müssen allerdings auch die politischen Konsequenzen klar sein. Und dieser Ansatz fehlt sowohl im Antrag als auch in Ihrer bisherigen Politik. Die kommunalen Amts- und Mandatsträger brauchen eine finanzielle Grundlage, um die ihnen zugedachte Verantwortung wahrnehmen zu können. Tatsächlich sind aber heute viele Kommunen wegen fehlender Haushaltsmittel nicht mehr in der Lage, Fördermittel wegen des fehlenden Eigenanteils abzuru- fen oder integrierte Stadtentwicklungskonzepte zu finan- zieren. Auch deshalb fordern wir an dieser Stelle erneut die Einführung einer kommunalen Investitionspau- schale. Die kommunalen Amts- und Mandatsträger sollen den Prozess des Strukturwandels steuern. Mit der scheinbar zwanghaften Privatisierung kommunalen Ei- gentums entziehen sie sich dafür selbst die Handlungs- grundlage. Der Wandel der Eigentumsformen und die damit eng in Zusammenhang stehende Diskussion um die öffentliche Daseinsvorsorge geraten hier in einen schwer auflösbaren Widerspruch. Der Bund selbst geht in dieser Frage sogar mit schlechtem Beispiel voran und verkauft seine Wohnungsbestände meistbietend, egal an wen. Eine ehemals kommunale Wohnungsgesellschaft, die gerade an einen transatlantischen REIT verkauft wurde, wird mit Sicherheit nicht ernsthaft darüber nach- denken, die Bestände im Rahmen des Stadtumbaupro- gramms zurückzubauen, sondern wird nach reinen Kapi- talverwertungskriterien mit ihrem Bestand verfahren. Großen Handlungsbedarf gibt es nach wie vor in Ost- deutschland – als Beispiel nenne ich die Altschulden- hilfe. CDU, CSU und FDP, haben die ostdeutschen Woh- nungsunternehmen durch ihre Politik Anfang der 90er- Jahre mit fiktiven Altschulden belastet, um sie anschlie- ßend mit teuren Förderprogrammen wieder zu sanieren. Deshalb wiederholen wir regelmäßig unsere Forderung: Retten Sie die ostdeutschen Wohnungsunternehmen! Streichen Sie den Wohnungsunternehmen die Altschul- den! Mindestens diese Forderung gehört in Ihren Antrag. Meine Damen und Herren Großkoalitionäre, ich stimme Ihnen zu, dass die soziale Integration eine der wichtigsten Säulen einer nachhaltigen Stadtentwick- lungspolitik ist. Das Problem ist nur, dass soziale Inte- gration diesen Stellenwert in Ihrer Politik gar nicht hat. Wir sagen: Integration muss am Anfang stehen. In Deutschland steht sie am Ende der Handlungskette. In Deutschland begreift man Integration allzu oft als ein notweniges Übel, dem man sich erst widmen muss, wenn die Probleme in den Städten nicht mehr zu überse- hen und das Kind sprichwörtlich schon in den Brunnen gefallen ist. Das Bund-Länder-Programm Soziale Stadt konnte die schwierigen Verhältnisse in den sozialen Brennpunkten der Städte bisher nicht nachhaltig verändern. Die Förder- programme zur Linderung von Fehlentwicklungen Ihrer bisherigen Integrationspolitik wie zum Beispiel „Loka- les Kapital für soziale Zwecke“ aus dem Europäischen Sozialfond sind wichtig, eignen sich aber nur für Repa- raturmaßnahmen. Soziale Probleme haben ihre Ursache aber in den gesellschaftlichen Verhältnissen. Diese gilt es zu beleuchten! Einen dritten Punkt möchte ich benennen: Der Antrag ist in seiner Zielsetzung zu sehr auf die Stadt fixiert. Der ländliche Raum wird kaum tangiert. Die Städte als Zen- tren der Regionen werden zu wenig behandelt. Allein darauf zu setzen, dass die Städte mit ihrer Wirtschafts- kraft auf den sie umgebenden ländlichen Raum ausstrah- len werden, reicht nicht aus. Da in dieser Frage offenbar Clusterpolitik betrieben wird, müssen Sie sich fragen lassen, wann Sie sich dem ländlichen Raum mit einer ähnlichen Initiative widmen wollen. Wir sind sehr ge- spannt. Mit der Lissabon-Strategie will die EU im Rahmen des globalen Ziels der nachhaltigen Entwicklung ein Vorbild für den wirtschaftlichen, sozialen und ökologi- schen Fortschritt in der Welt sein. Wir stimmen dem An- trag zu, um sie genau daran zu messen. Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich freue mich durchaus, dass die Koalition und insbeson- dere die CDU/CSU einen Antrag vorgelegt hat, der sich für die Förderung der Städte ausspricht und nicht mehr nur für das Eigenheim auf der grünen Wiese! Nach jah- relangem Streit um die Eigenheimzulage, der ja glückli- cherweise der Vergangenheit angehört, hat die CDU/ CSU endlich akzeptiert, dass Finanzmittel für die Stadt- entwicklung sinnvolle Investitionen mit einem hohen Multiplikatoreffekt sind. Die Stadtentwicklung ist ein wichtiger Motor für die Standortentwicklung und damit für die Wirtschaft vor Ort. Bündnis 90/Die Grünen haben sich lange dafür ein- gesetzt, dass die frei werdenden Mittel aus der Eigen- heimzulage zu einem Teil in die Stadtentwicklung flie- ßen sollten. Diese Chance wurde zwar von der großen Koalition leider vertan, aber immerhin wurden die Städ- tebaufördermittel nicht reduziert. Bei der Stadtentwicklung gibt es eigentlich keinen be- deutenden Dissens zwischen der großen Koalition und Bündnis 90/Die Grünen. Der Antrag der großen Koali- tion zielt auf das Leitbild einer nachhaltigen Stadtent- wicklung. Dafür stehen wir selbstverständlich auch ein. Ich begrüße ausdrücklich den gelungenen Antragsteil bezüglich der Förderung der Städte. Er spricht ganz we- sentliche Punkte an und macht sinnvolle Vorschläge. Aber er geht uns insgesamt noch nicht weit genug. Wir unterstützen die Forderung, dass im Rahmen der deut- schen EU-Ratspräsidentschaft 2007 die in Deutschland entwickelten Lösungen für eine nachhaltige, integrative 4192 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Stadtentwicklung einzubringen seien. Ebenso unterstüt- zen wir die Erprobung von Modellen, in denen arbeits- marktpolitische Leistungen in Entwicklungsstrategien für Stadtquartiere integriert werden können. Wir fordern jedoch, dass neue Konzepte zur stadtver- träglichen Mobilität entwickelt werden müssen. Hier wird von Ihnen eines der urgrünen Themen aufgegriffen. Und es besteht ganz konkreter Handlungsbedarf, zum Beispiel was die Feinstaubproblematik in den Städten anbelangt. Hier bieten wir Ihnen unsere Zusammenarbeit gerne an. Das Ziel, die Lebensqualität in den großen Städten zu verbessern, kommt uns aber zu kurz. Es fehlen Konzepte für eine kinderfreundliche und gesunde und umweltbe- wusste Stadtentwicklung. Auch muss das Thema CO2-Reduzierung eine wichti- gere Rolle einnehmen. Deshalb möchte ich meinen Un- mut darüber kundtun, dass zu Beginn des Jahres zwar die Mittel für die KfW-CO2-Programme erheblich aufge- stockt wurden, aber seit dieser Zeit die Konditionen und Anforderungen erheblich verschlechtert wurden. Das ist nicht nur kurzatmige Politik, sondern beinahe schon un- seriös und zudem kurzsichtig. Die Umweltbelastungen in unseren Städten sind erheblich, die CO2-Reduzierung wäre ein wichtiger Schritt zur Verbesserung des Klimas. Die hohe Nachfrage nach den Programmen zeigt doch, dass dadurch eine positive Entwicklung in Gang gesetzt werden konnte, die es nachhaltig zu unterstützen gilt. In den nächsten Jahren muss ein großer Teil der Immmobi- lien modernisiert werden. Daher wäre es sinnvoll, dass dann gleichzeitig auch eine energetische Gebäudesanie- rung durchgeführt wird. Sie verlangt Fachkompetenz und sichert dadurch qualifizierte Arbeitsplätze gerade bei klein- und mittelständischen Unternehmen. Ich fordere daher die große Koalition auf, die Mittel für die CO2-Pro- gramme gegebenenfalls noch weiter aufzustocken. Und da wir schon beim Thema Energie sind, kann ich es mir nicht verkneifen, noch ein paar Worte über den Energieausweis zu verlieren. Ja, wann kommt er denn endlich, der große Entwurf zur EnEV 2006? Im April haben die Minister Tiefensee und Glos das Optionsrecht, also die freie Wahl zwischen Verbrauchs- und Bedarfs- ausweis, als ein tolles Ergebnis verkündet. Letzten Mo- nat hat sich jedoch Minister Gabriel mit einer Absage an den Verbrauchsausweis zu Wort gemeldet. Gerade vor dem Hintergrund der energetischen Gebäudesanierung ist die vorgeschlagene einseitige Empfehlung aus- schließlich auf der Grundlage des Verbauchsausweises nicht zu verantworten. Ich hoffe, dass der Entwurf zur EnEV 2006 bald vorgelegt wird und wir endlich in einen Diskussionsprozess eintreten können. Zu guter Letzt nochmals zurück zu dem vorliegenden Antrag. Auch in Bezug auf den demografischen Wandel geht uns der Antrag nicht weit genug. Es müssen neue Strategien zur nachhaltigen Raumentwicklung entwi- ckelt werden und die Stadtumbauprogramme müssen da- her schon jetzt weiterentwickelt werden. Dazu gehört, dass Konzepte zur besseren Integration in den Städten vorangetrieben werden. Auch das Thema „Reduzierung des Flächenverbrauchs“ – auch und gerade vor dem Hin- tergrund des demografischen Wandels – kommt zu kurz bzw. fehlt ganz. Und zu dem kürzlich vorgelegten Gesetzentwurf zur „Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenent- wicklung der Städte“ sei nur gesagt, dass damit ein wei- teres Instrument geschaffen werden soll, mit dem die Bürger aus der Planung herausgehalten und in ihren Mit- wirkungsrechten eingeschränkt werden sollen. Und dann schlägt der Gesetzentwurf auch noch eine Aussetzung der Umweltprüfung vor. Sie schwächen damit zwei der wichtigsten Punkte, mit denen die Innenstädte gestärkt werden können: erstens aktive Stadtbürger, die durch ihr Engagement die Potenziale der Städte steigern, zweitens ein gesundes Umfeld, das das Lebensumfeld der Stadt- bewohner nachhaltig verbessert. Ihr Antrag geht durchaus in die richtige Richtung, aber es fehlen jedoch noch wichtige Punkte. Darüber werden wir auch in Zukunft zu diskutieren haben. Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Ersten Geset- zes zur Änderung des Bundesnaturschutzgeset- zes (Urwaldschutzgesetz) (Tagesordnungs- punkt 21) Bernward Müller (Gera) (CDU/CSU): Ich freue mich über Ihren Gesetzentwurf. Dieser Entwurf des so genannten Urwaldschutzgesetzes ist ja – das dürfte hier im Plenum allgemein bekannt sein – nicht neu. Daher ist es nicht der Gesetzentwurf an sich, der mich freut – die CDU/CSU-Bundestagsfraktion lehnt ihn wie schon in der letzten Legislaturperiode ab. Ich bin froh, dass wir heute im Parlament Gelegenheit haben, uns mit einem sehr wichtigen Thema zu beschäftigen: dem Schutz der Wälder und Urwälder. Urwälder sind komplexe Ökosysteme und wertvolle Naturressourcen der Erde. Sie beeinflussen das Klima und den Wasserhaushalt und sind wesentliche Kohlen- stoffspeicher. Zwischen 50 und 90 Prozent aller weltweit existierenden Arten sind Schätzungen zufolge alleine in den Gebieten der tropischen Feucht- bzw. Regenwälder beheimatet. Jährlich werden allein in den Tropen 15 Mil- lionen Hektar Wald abgeholzt. Dies entspricht einer Flä- che von der Gesamtgröße Bayerns, Baden-Württem- bergs und Niedersachsens oder halb Italiens! Neben den verheerenden Auswirkungen der weltweiten Brandro- dungen gehen allein etwa 7,2 Millionen Hektar durch Holzeinschlag verloren. Wissenschaftliche Prognosen zeigen, dass ohne eine deutliche Trendwende sämtliche tropischen Feuchtwäl- der in den nächsten 50 bis 100 Jahren von der Erde ver- schwunden sein werden – und mit ihnen eine bislang un- erforschte Vielzahl an Tieren und Pflanzen. Aber auch für die Menschen, die in und mit den Urwäldern leben, sind die Folgen der Waldvernichtung verheerend. Trotz- dem setzt sich der Waldverlust nahezu ungebremst fort. Eine wesentliche Ursache ist der illegale Holzeinschlag. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4193 (A) (C) (B) (D) Ein wesentlicher Anteil der Einschläge und die an- schließende Veräußerung des Holzes erfolgen illegal. Insbesondere in armen Ländern sind Urwälder durch illegalen Holzeinschlag gefährdet. Die Armut und Kor- ruption in diesen Ländern leistet einer hohen Kriminali- tätsrate beim Holzeinschlag Vorschub. Nach verschiede- nen Schätzungen werden bei einem Zehntel des gesamten weltweiten Holzhandels Rechtsvorschriften verletzt. In vielen Ländern entspricht die Menge des ille- gal eingeschlagenen Holzes dem legalen oder über- schreitet sie sogar. Annahmen zufolge liegt der illegale Holzeinschlag in Brasilien bei 80 Prozent, in Indonesien bei 73 Prozent und in Russland bei 20 bis 30 Prozent. Angesichts der dramatischen Situation der Urwälder sind wirksame Maßnahmen auf internationaler, europäi- scher und nationaler Ebene dringend erforderlich. Die Bundesregierung setzt sich auf internationaler Ebene und in der Europäischen Union – EU – intensiv für Maßnahmen zum Schutz der Wälder und Urwälder ein. Die nun beschlossene Importregelung der FLEGT- Verordnung – Forest Law Enforcement, Governance and Trade – Rechtsdurchsetzung, Politikgestaltung und Han- del im Forstsektor – der EU ist ein wichtiges Instrument, auch wenn ein weitergehender Ansatz auf EU-Ebene wünschenswert gewesen wäre. Die Fortschritte bei der Aushandlung der Abkommen werden von der Bundesregierung aufmerksam verfolgt. Es ist ganz klar: Gibt es hier keine hinreichenden Fort- schritte, muss die FLEGT-Verordnung nachgebessert werden. Die Koalitionsfraktionen im Deutschen Bundes- tag werden sich weiterhin bei der Bundesregierung dafür einsetzen, dass auf EU-Ebene schon jetzt überlegt wird, welche weiteren Schritte in Frage kommen. Die Fortent- wicklung der FLEGT-Richtlinie ist gerade im Interesse der neuen Bundesregierung, die sich den planvollen und effizienten Einsatz der vorhandenen Mittel zum Ziel ge- setzt hat. Zu dem von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, erneut in die parlamentari- sche Diskussion eingebrachten so genannten Urwald- schutzgesetz, möchte ich Folgendes bemerken: Erstens. In der letzten Legislaturperiode – vor einem Jahr – hat es noch Sinn gemacht, diesen Entwurf zumin- dest zu diskutieren. Heute aber hat sich mit der Verab- schiedung der FLEGT-Verordnung die Lage grundlegend geändert. Unabhängig davon, wie man zum FLEGT-An- satz steht, gibt es durch die Regelung auf EU-Ebene kaum Spielraum für wirksame nationale Maßnahmen. Zweitens. Zudem wäre eine wirksame Kontrolle der Besitz- und Vermarktungsverbote mit einem sehr hohen bürokratischen Aufwand – Nachweissystem – für eine große Zahl von Betrieben in Deutschland verbunden. Drittens. Bei der Anwendung des Urwaldschutzgeset- zes hätten, um illegal in Urwäldern geschlagenes Holz zu sanktionieren, prinzipiell alle relevanten Holzpro- dukte in ein Nachweissystem einbezogen werden müs- sen, da den Produkten ja nicht anzusehen ist, ob das Holz illegal eingeschlagen wurde. Erforderlich wäre ein Nachweissystem über die gesamte Lieferkette. Dies hätte auch Holz aus Ländern erfassen müssen, in denen es gar keinen Urwald gibt, da sich sonst fast unbegrenzte Umgehungsmöglichkeiten ergeben würden. Zu erwarten wäre ein bürokratisches Monstrum. Dies aber steht unse- rem Ziel einer Vereinfachung und Entbürokratisierung von Verwaltung für Staat und Wirtschaft komplett entge- gen. Unbestritten ist: Wir müssen etwas für den Schutz der Urwälder tun. Ich sehe jedoch andere Ansätze für eine nachhaltige Politik als das Wiedereinbringen eines obso- leten Entwurfs aus der vergangenen Legislaturperiode: Neben dem schon angesprochenen Engagement bei der Begleitung des FLEGT-Prozesses in der EU sind drin- gend Fortschritte auf globaler Ebene notwendig. Zunächst als Umweltpolitiker, dann als Vertreter des Bereichs Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung begleite ich seit Jahren für Deutschland die Fort- schritte der Verhandlungen der Vertragsparteien zur Konvention über biologische Vielfalt – CBD-COP. Auf der letzten Konferenz in Curitiba in Brasilien im März dieses Jahres wurde vereinbart, dass die nächste Vertragsstaatenkonferenz 2008 in Deutschland stattfin- den wird. Dabei wird der Schutz der Wälder nicht ohne Grund als Schwerpunkt thematisiert. Für uns bedeutet dies eine großartige Chance, unsere Vorstellungen zum Schutz der bedrohten Urwälder einbringen zu können. Es liegt an uns, diese Konferenz sorgfältig vorzubreiten, um tatsächlich Fortschritte für den Urwaldschutz zu er- zielen. Darüber hinaus können wir den Urwaldschutz stärker als bisher bei den internationalen Klimaverhandlungen berücksichtigen. Da etwa 20 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen aus Entwaldung stammen, lassen sich durch die Bekämpfung der Abholzung positive Effekte für den Klimaschutz sowie die Biodiversität erzielen. Es gilt hier mehr als bisher, Synergien zu nutzen und der Komplexität der Erscheinungen Rechnung zu tragen. So ist die Entwicklungspolitik beispielsweise gefordert, im Rahmen einer strategischen Partnerschaft unsere Zusam- menarbeit mit Schwellenländern wie China und Indien zu intensivieren und innovative Lösungen für den Kli- maschutz zu entwickeln. Zu einer nachhaltigen Klima- schutzpolitik, die industrielle Schadstoffemissionen zu reduzierten sucht, gehört auch der Schutz der Tropen- wälder. Die Wälder dieser Erde sind der Schlüssel zu ei- ner wirkungsvollen Klimapolitik. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass Deutschland nach wie vor einer der größten Geldgeber für Wald- schutzprojekte in Entwicklungsländern ist. Jedes Jahr unterstützt Deutschland entsprechende Engagements mit mehr als 125 Millionen Euro. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, Sie haben es mit der Neuauflage des Gesetzent- wurfs zum Urwaldschutzgesetz (Drucksache 16/961) aus der letzten Legislaturperiode gut gemeint. Doch inzwi- schen hat sich durch die FLEGT-Verordnung die Lage verändert. Wir müssen unsere Strategie zum Urwald- schutz diesen Gegebenheiten anpassen und diese nicht ignorieren. Ich habe Ihnen Optionen aufgezeigt, die 4194 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) sowohl die Fraktionen der Regierungskoalition als auch die Bundesregierung engagiert verfolgen. Daher lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab. Es ist nicht an der Zeit, alten Initiativen nachzu- schauen. Wir entwickeln neue Ideen und – das habe ich Ihnen dargelegt – denken und handeln in neuen, globa- len Zusammenhängen zum Schutz von Urwäldern, Klima und biologischer Vielfalt auf unserer Erde. Marko Mühlstein (SPD): Wälder sind ein unver- zichtbarer Bestandteil der Lebensgrundlagen unserer Erde: Sie regulieren das globale Klima, sie speichern und reinigen Wasser, filtern die Luft, verhindern Erosion und sind Lebensraum einer Vielzahl von Tier- und Pflan- zenarten. Urwälder bedürfen unseres ganz besonderen Schutzes: Sie sind Wildnis, Lebensraum für indigene Völker und ihre Fläche verringert sich tagtäglich. Selten besteht über einen Sachverhalt so viel Einigkeit, selten ist die Dringlichkeit jedoch auch von so existenzieller Bedeutung: In den vergangenen Jahren ist die Fläche der so wich- tigen primären Wälder um jährlich rund 16 Millionen Hektar geschrumpft. Dies entspricht in etwa der einein- halbfachen Waldfläche der Bundesrepublik Deutsch- land! Die Umwandlung in landwirtschaftliche Nutzflächen, die Ausbeutung mineralischer Rohstoffvorkommen und Infrastrukturprojekte sind eine große Gefahr für den Fortbestand der Urwälder. Der illegale Holzeinschlag, der sich entlang der neu gebauten Straßen vollzieht, ist jedoch eine der Hauptursachen für den dramatischen Waldverlust und für die Zerstörung der letzten Urwälder zum Beispiel in Indonesien, Brasilien und Russland. In geschätzten Zahlen ausgedrückt beträgt der illegale Holzeinschlag in Brasilien 80 Prozent, in Indonesien rund 70 Prozent und in Russland circa 25 Prozent! Es ist daher richtig, sich hier und heute im Rahmen des Ge- setzentwurfs unserer Kolleginnen und Kollegen von den Bündnisgrünen über das weitere Vorgehen in dieser ent- scheidenden Frage zu beraten. Die Verantwortung für die Schädigung der Urwälder durch illegalen Holzeinschlag liegt bei den Staaten, die Holz und Holzprodukte exportieren, sowie bei den Staa- ten, die diese importieren. Auch die Bundesrepublik Deutschland ist ein wichtiger Importeur von Holzpro- dukten – vor allem aus den drei oben genannten Län- dern. Ungeachtet der Tatsache, dass Deutschland nach wie vor einer der größten Geldgeber für Waldschutzpro- jekte in Entwicklungsländern ist und jedes Jahr entspre- chende Projekte mit mehr als 125 Millionen Euro unter- stützt, werden wir uns angesichts der eingangs beschriebenen Tatsachen mit diesem Problem auseinan- der setzen müssen. Die Koalitionsfraktionen sind sich ihrer besonderen Verantwortung in dieser Frage selbst- verständlich bewusst. Ich möchte in aller Kürze auf die Vorgeschichte unse- rer heutigen Debatte eingehen, denn schon in der letzten Legislaturperiode haben wir uns mit diesem Thema be- fasst. Die vorgezogenen Bundestagswahlen, aber auch die geänderte Rechtslage auf europäischer Ebene haben die Situation jedoch ganz erheblich beeinflusst. Im Januar 2004 hatte Greenpeace den Entwurf eines Urwaldschutzgesetzes vorgelegt. Der Anstoß wurde von den damaligen Koalitionsfraktionen gegeben. Das Bun- desumweltministerium hatte daraufhin den Entwurf ei- nes Urwaldschutzgesetzes erarbeitet und in die Ressort- abstimmung gegeben. Das Ziel, das mit dem Gesetzentwurf verfolgt wurde, war, im Rahmen des Naturschutzgesetzes ein Verbot des Besitzes und der Vermarktung von illegal in Urwäldern eingeschlagenem Holz zu verankern. Dazu gehören auch die daraus hergestellten Holzprodukte. Als wesentlicher Bestandteil sollte für den gewerblichen Holzhandel so- wie bei gewerblicher Be- und Verarbeitung zum Zweck des Verkaufs eine Beweislastumkehr eingeführt werden – das heißt, die Beweislast, dass das Holz nicht illegal ein- geschlagen wurde, sollte auf den Verkäufer verlagert werden. Dies hatte seinerzeit innerhalb der Ressortabstim- mungen sowie bei einer Verbändeanhörung zu erhebli- cher Kritik seitens der Holzwirtschaft wie auch der Län- der geführt. Die vorgezogenen Bundestagswahlen in 2005 haben eine weitere Befassung mit dem Gesetzent- wurf obsolet gemacht. An der eingangs beschriebenen Situation hat sich in- dessen auch im Jahre 2006 nichts geändert. Der Anlass für ein Einschreiten gegen die Vermarktung von illegal geschlagenem Holz und daraus hergestellten Holzpro- dukten besteht unvermindert fort. Angesichts der drama- tischen Situation der Urwälder sind wirksame Maßnah- men auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene weiterhin dringend erforderlich. Ich möchte dennoch auf zwei Themenkomplexe nä- her eingehen, die aus meiner Sicht ein Verfahren, wie es die Kolleginnen und Kollegen der Bündnisgrünen for- dern wesentlich beeinträchtigen. Dies ist zum einen eine „systemimmanente“ Schwie- rigkeit, nämlich das Problem der Beweislast, welches ich bereits kurz angesprochen hatte. Zum Zweiten betrifft dies das übergeordnete europäische Recht: Eines der größten praktischen Probleme in der Anwendung des Gesetzes ist meines Erachtens die Beweislastumkehr: Um illegal in Urwäldern geschlagenes Holz und die da- raus hergestellten Holzprodukte wirkungsvoll zu sank- tionieren, müssten prinzipiell alle relevanten Holzpro- dukte in ein Nachweissystem einbezogen werden, da es den Produkten nicht anzusehen ist, ob das Holz illegal eingeschlagen wurde oder nicht. Erforderlich wäre hier ein Nachweissystem über die gesamte Lieferkette, das auch Holz aus Ländern erfasst, in denen es gar keinen Urwald gibt, da sonst fast unbegrenzte Umgehungsmög- lichkeiten geschaffen würden. Ein solches Verfahren wäre für die Durchsetzung unserer Ziele zwingend erfor- derlich. Andererseits ist eine wirksame Kontrolle der Besitz- und Vermarktungsverbote mit einem gewaltigen bürokratischen Aufwand für eine große Zahl von Betrie- ben in Deutschland verbunden. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4195 (A) (C) (B) (D) Wir müssen uns daher in der Tat fragen, ob der erfor- derliche Aufwand für ein wirksames Nachweissystem nicht dem wünschenswerten Ziel der Verwaltungsverein- fachung für Staat und Wirtschaft diametral entgegen- stünde. Die zweite Schwierigkeit, die ich im Rahmen dieser Debatte ganz klar sehe, ist die der mehr als unbefriedi- genden europäischen Gesetzgebung. Bei Vorlage des da- maligen Entwurfs gab es zwar noch kein einschlägiges EU-Recht, jedoch arbeitete die Europäische Union an ei- ner Importregelung, der so genannten Forrest Law Enforcement, Governance and Trade-Verordnung – kurz FLEGT. Anders als im Urwaldschutzgesetz wird in der FLEGT-Verordnung die Ein- und Ausfuhr in die EU ge- regelt und sie betrifft alle Wälder und nicht nur die Ur- wälder. Die FLEGT-Verordnung beschränkt sich zudem nur auf wenige Holzprodukte und gilt lediglich dann, wenn zuvor Partnerschaftsabkommen mit den Export- staaten abgeschlossen wurden. Inzwischen hat die Europäische Union die FLEGT- Verordnung beschlossen. Damit ist der rechtliche Spiel- raum für wirksame nationale Maßnahmen verschwin- dend gering. Ein erfolgreicher Abschluss des Gesetzge- bungsvorhabens wäre also sehr unwahrscheinlich. Daher ist es natürlich alles andere als zielführend, einen Ent- wurf weiterzuverfolgen, der mit hoher Wahrscheinlich- keit von der EU-Kommission blockiert werden würde und mit dem wir bezüglich unseres gemeinsamen Anlie- gens also nichts erreichen würden. Lassen Sie uns überlegen, wie wir in dieser Angele- genheit weiter vorgehen. Wir sollten die uns zu Gebote stehenden Maßnahmen optimal nutzen. Die jetzt be- schlossene FLEGT-Verordnung der EU ist dabei ein wichtiges Instrument, auch wenn ein weitergehender Ansatz auf EU-Ebene mit Sicherheit wünschenswert ge- wesen wäre. Die Fortschritte bei der Aushandlung der Abkommen müssen daher aufmerksam verfolgt und sorgfältig ausgewertet werden. Gibt es keine eindeutig spürbaren Fortschritte, muss die FLEGT-Verordnung nachgebessert werden. Die Koalitionsfraktionen werden sich weiterhin dafür einsetzen, dass auf EU-Ebene schon jetzt überlegt wird, welche weiteren Schritte in Frage kommen. Neben den Bemühungen auf europäischer Ebene sind darüber hinaus weitere Fortschritte auf globaler Ebene zwingend notwendig. Selbstverständlich nutzen wir bei- spielsweise in diesem Zusammenhang die internationa- len Klimaverhandlungen, um gegen die Zerstörung der Wälder vorzugehen. Da circa 20 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen aus Entwaldung stammen, lassen sich durch die Bekämpfung der Entwaldung positive Effekte für die Biodiversität und den Klimaschutz erzielen. Hier gilt es ganz klar, diese wichtigen Synergien zu nutzen. Die 2008 in Deutschland stattfindende Vertragsstaa- tenkonferenz der Konvention über die biologische Viel- falt wird das Thema „Schutz der Wälder“ schwerpunkt- mäßig behandeln. Auf der Konferenz wollen und müssen wir Fortschritte beim Schutz der Wälder und ins- besondere beim Schutz der bedrohten Urwälder errei- chen. Angelika Brunkhorst (FDP): Dass weitere Anstren- gungen zum Schutz der Urwälder vonnöten sind, wird von Wissenschaftlern, Politikern und Nichtregierungsor- ganisationen gleichermaßen beteuert. In regelmäßigen Abständen können wir von dem sich weiter verschlech- ternden Zustand der Wälder gerade in tropischen Regio- nen hören und lesen. Dass wir gemeinsam weitere Initia- tiven zum Schutz der Urwälder ergreifen müssen, liegt also nahe. Der vorliegende Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen wurde in gleicher Form bereits in der letzten Le- gislaturperiode als Regierungsentwurf eingebracht und ist somit ein Erbe der rot-grünen Regierungszeit. Den Grünen scheint dieser Gesetzentwurf sehr am Herzen zu liegen. Es wird für uns alle interessant sein zu sehen, wie sich der einstige Koalitionspartner, die SPD, jetzt zu die- sem Vorhaben positioniert. In einer Kleinen Anfrage (Drucksache 15/5386) zum damaligen Regierungsentwurf hat die FDP erneut darauf hingewiesen, dass bisher nicht einmal klar ist, was genau wir unter „Urwäldern“ zu verstehen haben bzw. verste- hen wollen. Der vorliegende Gesetzentwurf versucht, eine Antwort darauf zu geben, welche vonseiten der FDP kritisch betrachtet wird. Bei der facettenreichen Diskussion um den Urwald- schutz geht es um die Zerstörung von Ur- und Primär- wäldern, illegalen Holzeinschlag, die Auswirkungen auf die Menschen in den betroffenen Regionen, Verlust der biologischen Vielfalt und direkte und indirekte Beein- trächtigungen des regionalen und globalen Klimas. In den meisten tropischen Ländern werden Wälder zerstört, um landwirtschaftliche Nutzflächen zu gewinnen, die dann oft nur kurzfristig Erträge bringen. Diese Entwick- lung scheint weiterhin unaufhaltsam zu sein. Ein weite- rer Grund ist illegaler Holzeinschlag, Feuer, aber auch die Armut der Bevölkerung, die zu Übernutzungen führt. Die FDP hat aktuell zwei Kleine Anfragen an die Bundesregierung vorbereitet, die sich auch mit dem Ur- waldschutz und der nachhaltigen Nutzung von Holz befassen. Zum einen haben wir Fragen zur Nutzung bio- logischer Kohlenstoffsenken für den Klimaschutz for- muliert. Hier geht es um die Aufforstung und Schaffung neuer Werte zum Erhalt und zur Sicherung der Urwälder. Auch die Fragen zum „Stand der Umsetzung der Charta für Holz“ beschäftigen sich mit der nachhaltigen Nut- zung von Holz und Holzprodukten, wenn auch bezogen auf Deutschland. Allerdings sehen wir beim vorliegen- den Gesetzentwurf und der Definition des Urwaldschut- zes insgesamt auch Auswirkungen auf die Vermarktung einheimischer Hölzer. In Deutschland hat sich aufgrund der hohen Bedeu- tung, die die Wälder seit Jahrhunderten für die Siche- rung der Existenz der Menschen, die Entwicklung von Wohlstand hatten, ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Bedeutung von Wald und den Schutz der Wälder entwi- ckelt. Wir sind uns hier einig, dass die weitere Zerstö- rung der Wälder gestoppt werden muss. Der Schutz der letzten verbliebenen Urwälder ist eine wichtige globale Aufgabe, der sich alle Fraktionen verpflichtet fühlen. Die bisherigen Debatten haben gezeigt, dass alle 4196 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Fraktionen im Deutschen Bundestag den Erhalt der ver- bliebenen Urwälder als wichtige globale Aufgabe anse- hen. Die FDP unterstützt den Erhalt der Primär- und Ur- wälder. Wir wollen, dass die Waldnutzung in Entwick- lungsländern wesentlich der heimischen Bevölkerung zugute kommt. Deutschland ist nach den USA und Japan der weltweit drittgrößte Importeur von Holz und Holz- produkten. Unsere besondere Verantwortung ist damit deutlich genug ausgedrückt. In der Vergangenheit ist es den Tropenholz exportie- renden Ländern durchaus gelungen, die Wertschöp- fungspotenziale im eigenen Land stärker auszuschöpfen. Das heißt, Hilfe zur Selbsthilfe ist erfolgreich. Die ein- seitige Förderung des FSC-Zertifikats durch die Bundes- regierung, die immer auch mit der Eindämmung des ille- galen Holzeinschlags begründet wurde, hat für den Erhalt der Wälder nichts gebracht. Daher ist es folge- richtig, eine gegenseitige Anerkennung der Zertifikate umzusetzen. Bei dem im Gesetzesentwurf formulierten Besitz- und Vermarktungsverbot von Holz- und Holzprodukten haben wir deutliche Zweifel, was die realistische Umsetzung an- geht. Auch der Herkunfts- und Nachhaltigkeitsnachweis als Voraussetzung für entsprechende Zertifizierungen wird von der FDP hinterfragt. Die FDP fordert, dass der Waldschutz als eine zen- trale Aufgabe einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Politik angesehen wird. Die existenziellen Bedürfnisse der Menschen in den betroffenen Ländern haben einen höheren Stellenwert als Ansprüche der Wohlstandsge- sellschaft. Das heißt, wirkliche Fortschritte beim Schutz der Wälder können nur erzielt werden, wenn die Armut erfolgreich bekämpft wird, die Menschen Möglichkeiten erhalten, sich selbst zu versorgen. Wir brauchen den Er- halt der Wälder der Erde für das Leben der Menschen vor Ort, die biologische Vielfalt, die Sicherung der Was- serressourcen und den Klimaschutz. Wir sollten versuchen, den armen Ländern der Erde zu helfen, ihre Wälder in entsprechender Weise für die Bekämpfung der Armut zu nutzen und gleichzeitig ein Bewusstsein für die Bedeutung des Schutzes ihrer Wäl- der zu entwickeln. Statt weiterer internationaler Verord- nung ist Hilfe zur Selbsthilfe angesagt. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Dass die Ur- wälder dieser Erde akut von Zerstörung gefährdet sind, wurde heute schon mehrfach betont. Wir wissen auch schon seit langem, dass der illegale Holzeinschlag dafür einer der Hauptgründe ist. Den Herkunftsländern gelingt es bisher nicht, ihn zu verhindern; manche Staaten haben daran leider auch wenig Interesse. Fakt ist, dass relevante Mengen des illegal in Urwäl- dern eingeschlagenen Holzes sich in deutschen Bau- und Holzmärkten wiederfinden. Deutschland trägt somit zur Urwaldzerstörung bei. Völlig unverständlich ist, dass diese Tropenholzdeals hierzulande bisher weder unter- bunden noch geahndet werden können. Es ist erlaubt, Holz und Holzprodukte aus illegalem Einschlag in Ur- wäldern zu besitzen oder mit ihnen zu handeln. Dieser unhaltbare Zustand muss schnellstens beendet werden. Darum unterstützen wir das Grundanliegen des Gesetzentwurfes der Grünen ausdrücklich: In der Kette vom Holzeinschlag zum Händler muss lückenlos doku- mentiert und nachgewiesen werden, dass das Holz nicht aus illegalen Abholzungen stammt. Ein solches Gesetz ist lange überfällig. Leider ist es ja in der letzten Legisla- turperiode so lange auf die lange Bank geschoben wor- den, bis der BMU-Entwurf durch die Neuwahlen beer- digt wurde, und die CDU, die ja damals durch Herrn Julius Caesar geschworen hatte, im Falle eines Wahl- siegs ein Urwaldschutzgesetz einzubringen, leidet offen- bar an Alzheimer. Nun also der Vorschlag der Grünen. Er entspricht weitgehend dem BMU-Entwurf aus der letzten Wahlpe- riode. Vielleicht hätte man aber die eine oder andere Kri- tik aus der damaligen Verbändeanhörung aufnehmen sol- len; denn an einigen Stellen haben wir Zweifel an der Wirksamkeit. Das Gesetz verbietet die Vermarktung von Holz und Holzprodukten aus illegalem Einschlag in Urwäldern. Es muss ein Nachweis erbracht werden, dass nicht illegal abgeholzt wurde. Erfasst sind zwar Rohholz, Bretter, Sperrholz, Spanplatten, Holzkohle, Zellstoff, Papier und Pappe sowie Holzmöbel und Holzspielzeug. Nicht er- fasst aber werden Bücher, Zeitungen und andere Druck- schriften. Das wäre an sich kein Problem, wenn die Zei- tungen und Zeitschriften in Deutschland hergestellt würden, weil ja dann die Papierherstellung kontrolliert wäre. Doch viele deutsche Unternehmen lassen ihre Pu- blikationen aus Kostengründen längst im Ausland dru- cken, zum Beispiel in Tschechien, und manche „deut- sche“ Bücher kommen direkt aus Südostasien. Somit verschafft das Gesetz gerade osteuropäischen und asiati- schen Druckereien, die sich weiterhin mit billigem Pa- pier aus illegalem Einschlag bedienen können, einen zu- sätzlichen Wettbewerbsvorteil. Zweiter Kritikpunkt: Das Gesetz kontrolliert aus- schließlich die großen Unternehmen im Holzgeschäft. Privatpersonen sowie Händler und Holzverarbeiter mit einem Jahresumsatz von weniger als 100 000 Euro sind ausdrücklich von der Nachweispflicht für die Herkunft des Holzes befreit. Uns scheint diese Formulierung ge- fährlich. Schließlich eröffnet sie die Möglichkeit, dass Holzhändler kritische Sparten, also beispielsweise ihr Afrikageschäft, auslagern. Umgekehrt ist das vorgese- hene maximale Bußgeld von 50 000 Euro für die Groß- unternehmen im Holzgeschäft wenig abschreckend. Es kommt natürlich darauf an, wie oft es verhängt wird. Das Tropenwaldnetzwerk hat seinerzeit ausdrücklich bemängelt, dass das Gesetz nur die Urwälder schätzt, die auch in dem jeweiligen Herkunftsstaat unter Schutz ste- hen. Holz aus staatlich genehmigtem Urwaldkahlschlag darf also weiterhin in Deutschland in all seinen Formen vermarktet werden, selbst wenn dabei der Holzeinschlag in den betreffenden Staaten gegen Menschenrechte und traditionelle Besitzrechte der Waldvölker verstößt. Wir Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4197 (A) (C) (B) (D) wissen, dass dies juristisch anders kaum zu handhaben ist. Ein Problem bleibt es doch. Problematisch erscheint uns weiterhin das Verhältnis zur FLEGT-Verordnung der EU, worin es um die Rechts- durchsetzung, die Politikgestaltung und den Handel im Forstsektor geht. Die Nachweispflicht soll ja nicht für Länder gelten, die das FLEGT-Abkommen mit der EU geschlossen haben. Die FLEGT-Verordnung umfasst je- doch nur den Handel mit bestimmten Holzprodukten, nämlich derzeit Rohhölzer, Holzschwellen, Spanplatten, Furnier- und Sperrholz. Die Zellstoff-und Papierproduk- tion ist ausgenommen. Eine Erweiterung der Produkt- gruppe ist auf nicht absehbare Zeit verschoben. Somit schlägt der Passus im Urwaldschutzgesetz für die FLEGT-Länder eine unnötige Lücke. Insgesamt ist das Gesetz aber trotz seiner Schwach- stellen ein großer Schritt hin zu einem Importverbot für illegal geschlagene Hölzer. Im Gesetzgebungsverfahren und über die vorgesehenen Verordnungen kann auch ein Teil unser Kritikpunkte beseitigt werden. Wir hoffen da- rum, dass der Gesetzentwurf eine Mehrheit findet. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Be- reits seit Jahrzehnten diskutieren wir darüber, wie wir die Zerstörung der Urwälder dieser Welt stoppen kön- nen. Das Thema beschäftigt auch dieses Haus bereits seit langem. So hat die Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre” des 11. Deutschen Bundesta- ges 1990 einen Bericht vorgelegt, der sich umfassend mit dem Schutz der tropischen Wälder befasste, der Handlungsmöglichkeiten benannte und Handlungsemp- fehlungen gab. Immer wieder wird seitdem von allen Seiten darauf hingewiesen, dass es angesichts der Zer- störung der Urwälder fünf vor zwölf ist. Nichtsdestotrotz gehen laut FAO nach wie vor jähr- lich 15 Millionen Hektar Urwald verloren. Auch illega- ler Holzeinschlag trägt erheblich dazu bei. Schätzungen aus dem Jahr 2002 zufolge beträgt der Anteil des illega- len Einschlags am Gesamteinschlag in Brasilien 80 Pro- zent, in Indonesien 73 Prozent und in Russland 20 bis 30 Prozent. Ein Teil dieses Holzes landet auch in Deutschland: Deutschland importierte 2004 aus diesen drei Ländern jeweils Holz im Wert von etwa 300 Millio- nen Euro. Deutschland trägt so zur illegalen Urwaldzer- störung bei. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, beim Handel mit illegalem Holz anzusetzen und ihn so weit wie möglich zu unterbinden. Auch wenn das nur eine Maßnahme unter vielen ist. die erforderlich sind. Illegal hergestellte Ware zu handeln, ist bei vielen Produkten selbstverständlich verboten. Bei Holz aller- dings ist das anders: Illegal geschlagenes Holz darf in Deutschland ungestraft verkauft werden. Auch der Be- sitz ist erlaubt. Diesen unhaltbaren Zustand wollen Bündnis 90/Die Grünen ändern. Deshalb haben wir un- seren Entwurf für ein Urwaldschutzgesetz in den Bun- destag eingebracht. Dieses Gesetz soll den Besitz und den Handel von illegalem Holz verbieten. Um Kontrol- len zu ermöglichen, sollen Holzhändler und -verarbeiter zukünftig einen Legalitätsnachweis für Holz und Holz- produkte bereithalten. Von interessierter Seite ist behauptet worden, dieses Verbot würde nichts für den Urwaldschutz bringen. Aber da haben wir eine andere Einschätzung. Das Verbot brächte hierzulande den Durchbruch für die Holzzertifi- zierungssysteme bei allen Holzimporten und in der ge- samten Holzverarbeitungskette. Schließlich würde der geforderte Legalitätsnachweis in der Praxis vor allem durch die bestehenden Holzzertifizierungssysteme er- bracht werden. Von interessierter Seite ist außerdem eingewandt wor- den, die FLEGT-Verordnung der EU mache ein nationa- les Urwaldschutzgesetz überflüssig. Das ist leider nicht der Fall, denn FLEGT wird keine schnellen und durch- greifenden Erfolge zeitigen. Diese Verordnung sieht an- stelle eines Importverbots für illegales Holz Verhandlun- gen mit den Holzexportstaaten über den Abschluss freiwilliger Partnerschaftsabkommen vor. Nach Ab- schluss dieser Abkommen soll Holz in die EU nur noch eingeführt werden dürfen, wenn für sie eine FLEGT-Ge- nehmigung – im Wesentlichen ein Legalitätsnachweis – vorliegt. Verhandelt wird aber nur mit einem Teil der holzexportierenden Länder. Im Januar 2006 waren das Kamerun, Ghana, Malaysia, Indonesien und Russland. Abkommen werden voraussichtlich erst in einigen Jah- ren abgeschlossen und wirksam. Sollten die Verhandlun- gen aber scheitern, muss erst wieder in einem jahrelan- gen Verfahren festgelegt werden. zu welchen verschärften Maßnahmen die EU greift. Dies dauert an- gesichts des rasant fortschreitenden Urwaldverlustes auf jeden Fall zu lange. Deshalb ist die FLEGT-Verordnung zwar nicht überflüssig, aber unzureichend. Deshalb ist ein nationales Urwaldschutzgesetz nötig, das kurzfristig greift. Gegner eines Urwaldschutzgesetzes beklagen, die Re- gelungen brächten zuviel Bürokratie. Ein zusätzlicher Aufwand durch das Urwaldschutzgesetz für die Wirt- schaft lässt sich in der Tat nicht bestreiten. Er entsteht durch die Zertifizierung im Rahmen des Nachweissys- tems. Allerdings hält sich dieser Aufwand durchaus in einem vertretbaren Rahmen. Dies gilt, vor allem dann, wenn – wie im Gesetzentwurf vorgesehen – die etablier- ten Zertifikate als Legalitätsnachweise anerkannt wer- den. Denn über zwei Drittel der Wälder in Deutschland sind bereits nach FSC, PEFC oder durch Naturland zertifiziert – ohne dass die deutsche Forstwirtschaft un- ter dem Aufwand zusammengebrochen wäre. Nur bei den Holzimporten ist das anders. Wie bei der Holzverar- beitungskette gibt es bei Importen bisher nur in Ausnah- mefällen entsprechende Nachhaltigkeitszertifikate. In diesen Bereichen ist also mit zusätzlichem Zertifizie- rungsaufwand zu rechnen. Allerdings sind die Kosten der Holzkettenzertifizierung geringer als für die Zertifi- zierung der Forstwirtschaft. Dennoch: Es entstehen Kosten. Allerdings nicht mehr, als ohnehin auf die Branche zukommen. Denn es entspricht dem erklärten politischen Willen der meisten politischen Akteure der Waldpolitik, die Zertifizierung der nachhaltigen Produktionsweise in der Forst- und Holzwirtschaft weiter auszubauen. Auch die FLEGT- Verordnung fordert – wenn sie auf lange Sicht greift – 4198 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) die Vorlage eines Legalitätszertifikats bei der Einfuhr von Holz und Holzprodukten. Aus unserer Sicht treffen die Argumente der Gegner eines Urwaldschutzgesetzes nicht zu. Vielmehr wird die deutsche Forstwirtschaft vom Urwaldschutzgesetz profi- tieren. Warum? Der illegale Holzeinschlag führt zu Dumpingpreisen auf den globalen Holzmärkten. Nach Schätzung der Weltbank verlieren die Waldländer durch illegalen Holzeinschlag Einnahmen von etwa 15 Milliar- den Euro pro Jahr. Deshalb werden die Holzpreise stei- gen, wenn der illegale Holzeinschlag zurückgedrängt wird. Hiervon werden alle gesetzestreuen Holzprodu- zenten und damit selbstverständlich auch die einheimi- schen Forstwirte profitieren. Die Kosten für den zusätz- lichen Zertifizierungsaufwand für das restliche Drittel der deutschen Wälder dürften daher mehr als ausgegli- chen werden. Im Jahr 2004 brachten auch CDU und SPD Anträge in den Bundestag ein, in denen sie sich für ein Handels- und Besitzverbot mit und von illegalem Holz ausgesprochen haben. Das grüne Umweltministerium hatte daraufhin einen Urwaldschutzgesetz-Entwurf erar- beitet. Aufgrund der vorgezogenen Bundestagswahl konnte Rot-Grün ihn jedoch nicht mehr verabschieden. Mittlerweile regiert die große Koalition. Das Thema Urwaldzerstörung kommt im Koalitionsvertrag von Union und SPD nicht vor. Auch die Themen illegaler Holzeinschlag und Urwaldschutz kommen seither auf der Agenda dieser Koalition nicht mehr vor. Vor diesem Hintergrund war ich sehr gespannt darauf zu hören, wie sich die große Koalition heute zu unserem Urwald- schutzgesetz äußert. Wir wissen, dass es in diesem Haus unüblich ist, Gesetzentwürfen der Opposition zuzustim- men. Das wäre auch gar nicht schlimm, wenn Sie we- nigstens hier und heute erklärt hätten, dass Sie unsere Initiative aufgreifen und einen eigenen Gesetzentwurf für ein Verbot des Handels und des Besitzes mit illega- lem Holz vorlegen werden. Eigentlich müssten Union und SPD dies tun, wenn sie zu ihren früheren Aussagen stehen. Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: Für ein Ende der Gewalt in Norduganda (Tagesordnungspunkt 24 und Zusatztagesordnungspunkt 9) Gabriele Groneberg (SPD): Es ist wohl durchaus ungewöhnlich, dass ein Film zu einer Initiative mehrerer Fraktionen im Bundestag führt. Vor einigen Wochen ha- ben wir uns den international prämierten Film „Lost Children“ angesehen. Dieser Film über die Kinder, die zu Soldaten gemacht werden, hat uns alle tief berührt, ja entsetzt. Besonders beeindruckt hat uns außerdem der anschließende Besuch des Erzbischofs von Norduganda, John Baptist Odama, der uns über die schwierige huma- nitäre Situation der Flüchtlinge unterrichtet hat. Auch wenn wir uns bereits in der Vergangenheit mit diesem Thema befasst haben: Der Besuch von Erzbischof Odama bestärkte uns darin, wie notwendig es ist, uns noch intensiver mit Norduganda zu befassen. Was sind das für Kriminelle, die die Zivilbevölkerung terrorisie- ren, Dörfer und Felder niederbrennen, Menschen miss- handeln und töten, die Frauen und Mädchen vergewalti- gen? Kinder werden aus den Dörfern und Städten entführt, als Sexsklaven missbraucht und mit unmensch- lichen, brutalen Methoden dazu gezwungen, Soldaten und Soldatinnen zu werden und dann selbst Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung, gegen ihre Verwandten und Familien zu begehen. Diese Kriminellen, die sich „Lord’s Resistance Army“, LRA, nennen, befinden sich seit 20 Jahren auf einem gnadenlosen Weg der Vernich- tung einer ganzen Region. Und nicht nur in Norduganda, nein, auch der Osten des Kongo und der Süden des Su- dans werden von ihnen tyrannisiert. Die große Region Nordugandas ist praktisch entvöl- kert, die Menschen haben sich in die Städte geflüchtet, an ihrem Rand. In ihrer unmittelbaren Nähe haben sich große Flüchtlingslager gebildet. Eine ganze Region, fruchtbar und in der Lage ihre Menschen zu ernähren, liegt brach. Seit Jahren ist es zu gefährlich, die Felder zu bestellen, das wenigste zum Leben anzubauen. Was die- sen Kindern angetan wird, die von der LRA entführt werden, das kann ein normaler Menschenverstand gar nicht ermessen. Wir hatten Gelegenheit bei einem Auf- enthalt in Uganda in einer Einrichtung der Caritas in der Stadt Gulu, mit den Kindern und Jugendlichen zu reden, die sich aus den Händen der Rebellen befreien konnten. In dieser Einrichtung wird Hilfe angeboten, die ihnen den Weg in ein normales Leben zurück ermöglichen soll. Aber bei aller Hilfe, die wir leisten können – die schlim- men Erlebnisse werden sie ein Leben lang verfolgen, werden nie vergessen werden können. In die Gesichter, in die Augen dieser jungen Men- schen zu blicken und darin dieses unglaubliche Leid des Erlebten zu sehen, ich kann das, denke ich, nie verges- sen. Mit den Betroffenen zu reden, bestärkt in der Ab- sicht, unsererseits alles mögliche zu tun, mitzuhelfen, dass diese schlimmen Zustände beendet werden können. Aber was können wir tun – über unser bisheriges poli- tisches und finanzielles Engagement hinaus? Wir wollen zuallererst die ugandische Regierung nicht aus der Ver- antwortung entlassen. Sie muss entschieden mit allen Mitteln gegen die LRA vorgehen. Wir erwarten, dass sie mit aller Kraft und mit den zur Verfügung stehenden Mitteln der eigenen Armee die Bevölkerung Nordugan- das schützt. Wir erwarten, dass die Regierungen Ugan- das, der DR Kongo und des Sudans bei der Bewältigung der Situation zusammenarbeiten und die Verfolgung der fünf Rädelsführer der LRA, gegen die der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehle erlassen hat, intensiv zu be- treiben und für deren Verhaftung zu sorgen. Wir fordern die ugandische Regierung aber auch auf, ebenso ent- schieden die Verbrechen der eigenen Sicherheitskräfte gegen die Bevölkerung zu verfolgen und zu ahnden. Die kleinen sichtbaren Fortschritte, die darin beste- hen, dass ein Teil der Menschen in den Flüchtlingslagern ihre Felder im erreichbaren Umkreis bestellen und abends wieder in Lager zurückzukehren – das ist ein Hoffnungsschimmer und mehr nicht. Dass die Zahl der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4199 (A) (C) (B) (D) „nachtwandernden“ Kinder, die wir in Gulu besucht ha- ben und die jede Nacht aus den näher an der Stadt gele- genen Dörfern bis zu zwei Stunden laufen, um in die si- chere Stadt zu kommen, um den Entführungen zu entgehen und morgens ebenso die Strecke wieder zu- rücklegen, um in den Dörfern die Schulen aufzusuchen, dass die Zahl dieser Kinder stark rückläufig ist, auch das nur ein Hoffnungsschimmer. Die Hilfe, die von der euro- päischen und internationalen Gemeinschaft geleistet wird, um die Menschen in den Flüchtlingslagern wenigs- tens mit dem allernotwendigsten an Lebensmitteln zu versorgen, darf nicht eine Zementierung dieser Zustände bedeuten. Es muss darauf gedrängt werden, dass die Auflösung der Lager der ugandischen Flüchtlinge möglich wird, dass die Menschen wieder in ihre Dörfer zurückkehren können und ihnen dort auch ihr Land zurückgegeben wird. Wir können dabei helfen, dass die mit sieben weiteren Gebern, unter andern Weltbank und afrikanische Ent- wicklungsbank, vereinbarte Geberstrategie für Uganda, Uganda Joint Assistance Strategy, umgesetzt wird und klare Vorgaben für demokratische und rechtsstaatliche Strukturen, für die Wahrung der Menschenrechte, die Si- cherheit und die Reintegration der Flüchtlinge entwi- ckelt und eingehalten werden. Es bleibt die Pflicht der ugandischen Regierung, sich für einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen einzusetzen. Wir werden sie selbstverständlich gemeinsam mit den europäischen Partnern dabei unterstützen, eine Roadmap-for-Peace auszuarbeiten. Das heißt aber auch, dass wir an deren überprüfbarer Umsetzung den Friedenswillen der ugan- dischen Regierung festmachen werden. Wir können da- bei helfen, dass Projekte und Initiativen, die sich für die Demobilisierung von Soldaten, von Kindersoldaten, die Aufarbeitung ihrer Traumata und ihre Wiedereingliede- rung in die Gesellschaft einsetzen, unterstützt werden. Wir können helfen und wir tun es und wir werden es auch weiterhin tun. Dr. Karl Addicks (FDP): „Berüchtigter Rebellen- führer Kony bietet Uganda den Frieden an – LRA-Chef bestreitet Gräueltaten an Zivilisten.“ So lautet der Titel einer Meldung, die ich erst gestern wieder in den Hän- den hielt. So wird wieder ein Hoffnungsschimmer, der Gewalt in Norduganda ein Ende zu setzen, im Keim er- stickt. Es handelt sich nämlich nicht um das erste Ange- bot dieses Rebellenführers, Frieden zu stiften und wird wahrscheinlich – bei der Betrachtung seiner zusätzlichen Bemerkung – auch nicht das letzte sein. Obwohl die Beendigung der Gewalt dringend nötig ist; denn die Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind verheerend. Schätzungen zufolge sind bereits min- destens 100 000 Menschen getötet worden und fast 2 Millionen Menschen vor der Gewalt geflohen. Die Lord’s Resistance Army kämpft gegen die ugandische Regierung nun schon seit 20 Jahren und ist bekannt für ihre Verbrechen an den Zivilisten und die Entführung von Kindern, die sie als Soldaten oder Sexsklaven miss- brauchen. Nicht ohne Grund wurden gegen Joseph Kony, den Anführer der Lord’s Resistance Army, 2004 die Ermittlungen beim internationalen Gerichtshof ein- geleitet. Der Haftbefehl gegen ihn nennt 33 Anklage- punkte, darunter alleine zwölf wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und 21 wegen Kriegsverbrechen. Herr Kony selber, wie ich eingangs gesagt habe, bestrei- tet diese Vorwürfe und ist sich keiner Schuld bewusst. Er töte nur die Soldaten Musevenis, denn er handele im Na- men der zehn Gebote, die zu ihm sprechen. Auf dieser Basis scheint der Frieden in Norduganda noch in weiter Ferne zu liegen. Aber das dürfen wir nicht zulassen! Erschwerend kommt hinzu, dass die ugandische Ar- mee, die Uganda People’s Defence Force, für die Zivil- bevölkerung in den leicht angreifbaren Lagern keinen ef- fektiven Schutz darstellt. Im Gegenteil, auch diese ist verantwortlich für schwerwiegende Menschenrechtsver- letzungen und von Korruption geprägt. Das wiederum führt dazu, dass es an aufrichtigem Interesse, den Kon- flikt zu beenden, mangelt. Das geht doch so nicht! Im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung haben wir uns eingehend mit diesem Konflikt in Norduganda beschäftigt: Wir haben uns den sehr eindrucksvollen Film „Lost Children“ angesehen, der uns doch tief erschüttert hat. In diesem Film wird die schwere Resozialisierung von Kindersoldaten, die von der Lord’s Resistance Army dazu gezwungen wurden, dokumentiert und die Kinder erzählen von ihren Erfah- rungen, die sie in der Rebellengruppe machen mussten. Der Ausschuss hat außerdem den Erzbischof John Baptist Odama zu einer der Sitzungen eingeladen. Die- ser hat uns eingehend über die Situation in Norduganda informiert, denn Herr Odama, Vorsitzender einer konfes- sionsübergreifenden ugandischen Friedensbewegung, konnte uns seine Erfahrungen vor Ort beeindruckend schildern. Aus unseren Beratungen kann nur ein Schluss gezo- gen werden: Der Gewalt in Norduganda muss ein Ende gesetzt werden! Hier sprechen wir die deutsche, aber vor allem die ugandische Regierung an. Sie werden in aller Form aufgefordert, aktiv – oder sollte man sagen: aktiver – zu werden. Wir begrüßen sehr, wie auch bereits im Antrag er- wähnt, dass Anfang April 2006 ein Joint Monitoring Committee for Northern Uganda eingesetzt worden ist, in dem vorerst die Vereinten Nationen, die USA, Groß- britannien, Norwegen, die Niederlande und Uganda an einer umfassenden Strategie für Norduganda arbeiten können. Sobald diese abschließend formuliert ist, muss sie aber auch verwirklicht werden. Uganda ist ein Schwerpunktpartnerland der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Dem Land wurden seit der Wiederaufnahme der EZ im Jahr 1986 bilateral ins- gesamt über 500 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Diese Beziehungen zwischen Deutschland und Uganda müssen wir nutzen, um durch politischen Einfluss zu ei- ner Beendigung der grausamen Auseinandersetzungen in Norduganda beizutragen. Das fordern wir mit diesem Antrag. Die Bundesregierung muss dies im Dialog mit der ugandischen Regierung eindeutig klarstellen und die 4200 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Ernsthaftigkeit in Bezug auf Waffenstillstands- und Frie- densverhandlungen anmahnen. Ein wirksamer Schutz der Zivilbevölkerung vor den Rebellen, aber auch vor den eigenen Sicherheitskräften muss wiederhergestellt werden. Wir können die dortigen Verhältnisse nicht län- ger tolerieren! Dazu gehört auch, dass die ugandische Regierung in ihren eigenen Reihen für Ordnung sorgt und Verbrechen der eigenen Sicherheitskräfte verfolgt. Es ist dringend erforderlich, dass die international vereinbarte Geberstrategie für Uganda umgesetzt wird. Darin werden klare Vorgaben für die Umsetzung von demokratischen und rechtsstaatlichen Strukturen, die Wahrung der Menschenrechte, die Sicherheit und Re- integration der Flüchtlinge und konstruktive Friedens- verhandlungen aufgestellt. Das ist die Grundlage für ein Ende der Gewalt und die zukünftige Entwicklung Ugan- das. Wir sind uns einig, dass unsere genannten Forderun- gen wichtig und richtig sind, und ich freue mich, dass wir zu diesem gemeinsamen Antrag kommen konnten. Es wird Zeit! Anlage 26 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Gleiche Besoldung für alle Soldaten (Tagesordnungspunkt 23) Monika Brüning (CDU/CSU): Verteidigungspoliti- ker aller Fraktionen sprechen sich seit längerem für die Angleichung der Besoldung in Ost und West aus. Die ungleiche Besoldung ist eine Belastung der inneren Ein- heit der Bundeswehr, die ansonsten hervorragend gelun- gen ist. Dass die unterschiedliche Besoldung unserer Solda- tinnen und Soldaten 15 Jahre nach der deutschen Einheit überwunden werden muss, ist eine Forderung, bei der ich Oberst Bernhard Gertz vom Deutschen Bundeswehrver- band sowie dem Bundesverteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung nachdrücklich beipflichte. Ich danke auch dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, der sich diesem Thema seit Jahren widmet. Die unterschiedliche Besoldung ist auch durch nichts gerechtfertigt, denn Soldatinnen und Soldaten leisten qualitativ Vergleichbares – ob in München oder Dres- den, ob in Mainz oder Neubrandenburg. Wie soll ich ei- nem Soldaten in Thüringen erklären, dass sein bayeri- scher Kamerad, der nur circa 20 Kilometer weiter westlich stationiert ist, statt seiner 92,5 Prozent die vol- len 100 Prozent Besoldung erhält, also 7,5 Prozent mehr Sold, was je nach Alter bis zu 200 Euro monatlich aus- machen kann. Wäre nur das Thema Besoldung im Verteidigungsetat zu bewältigen, könnte die Bundeswehr die Angleichung der Besoldung durchaus aus ihrem Etat bezahlen, auch wenn dies zweifellos einen Kraftakt bedeuten würde. Wir sollten jedoch langfristig darüber nachdenken, das gesamte Besoldungsgefüge, insbesondere im Hinblick auf die Attraktivität des Soldatenberufs und die Situation der Nachwuchsgewinnung weiterzuentwickeln. Wie dem Bundeswehrplan 2007 zu entnehmen ist, sind im Verteidigungshaushalt zudem umfangreiche Mittel für den ausreichenden Schutz und die Weiterentwicklung der notwendigen Ausrüstungs- und Einsatzkomponenten für unsere Soldaten bereitzustellen. Ein weiteres Problem liegt auf der Ebene der Länder und Kommunen im Osten Deutschlands. Bei einer Be- soldungsangleichung im Bereich der Bundeswehr könn- ten die Angehörigen des öffentlichen Dienstes mit Recht ähnliche Forderungen für sich reklamieren. Eine solche Welle der Belastungen wäre von den ohnehin bis zum Zerreißen angespannten Haushalten der Länder nicht zu schultern. Wir freuen uns darüber, dass wir uns mit den Ländern auf eine Besoldungsangleichung in zwei Schritten eini- gen konnten. Im Jahr 2007 werden die unteren Besol- dungsgruppen bis A 9, ab dem Jahr 2009 die höheren Besoldungsgruppen in Ost und West nach der gleichen Besoldungstabelle bezahlt. Diese Perspektive ist im Inte- resse unserer Soldatinnen und Soldaten erfreulich. Es ist der kleinste gemeinsame Nenner, auf den wir uns eini- gen konnten. Das kann uns nicht befriedigen, aber es ist eine absehbare Perspektive, die wir auch dem Behar- rungsvermögen der Verteidigungspolitiker zu verdanken haben. So sehr ich mir eine sofortige Besoldungsangleichung auch gewünscht hätte, unser Ziel, eine nachhaltige Kon- solidierung des Haushaltes, dürfen wir dabei nicht aus den Augen verlieren. Die Perspektive von 2007 bis 2009 ist absehbar und unter den bestehenden Gegebenheiten auch hinnehmbar. Deshalb stimmt die CDU/CSU dem Antrag der FDP nicht zu. Susanne Jaffke (CDU/CSU): Das Thema Besol- dungsangleichung für alle Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes in den neuen Bundesländern beschäftigt uns seit vielen Legislaturperioden. Bereits in der 13. Wahlperiode gab es erste Anträge. Bedingt durch finanzielle Engpässe, vor allem bei den neuen Bundesländern und noch nicht erreichte vergleichbare Verwaltungsstrukturen, konnte die Einkommens- und Besoldungsangleichung nicht rea- lisiert werden. Das Bundesbesoldungs- und versorgungsanpassungs- gesetz 2003/2004 vom 10. September 2003 sieht nun die stufenweise Angleichung der Besoldung vor. Das gilt nicht nur für die Bundeswehr. Allerdings, die Angleichung der Besoldung ist ein weiterer wesentlicher Bestandteil der inneren Einheit der Bundeswehr. Bundesminister Jung, der Bundeswehrver- band und auch der Wehrbeauftragte haben die Anglei- chung der Besoldung ebenfalls mehrfach gefordert, die tariflichen Einigungen sind weitestgehend erreicht – die FDP greift somit kein neues Thema auf. Die Sachlage stellt sich folgendermaßen dar: Für die unteren Besoldungsgruppen bis A 9 ist eine weitere An- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4201 (A) (C) (B) (D) gleichung des Bemessungssatzes auf 100 Prozent bis Ende 2007 festgeschrieben worden. Bis zum 31. Dezem- ber 2009 ist die Anhebung der übrigen Besoldungsgrup- pen zu realisieren. Der Kollege Koppelin ist im Rahmen der Haushalts- beratungen zum Einzelplan 14 bereits detailliert über die Berechnung der Kosten infolge der stufenweisen Anglei- chung der Ost- an die Westbesoldung informiert worden. Auch die Größenordnung der Mehrausgaben ist in die- sem Zusammenhang mitgeteilt worden. Sie beläuft sich auf circa 25 Millionen Euro ab 2008. Der Antrag der FDP, der hier zur Debatte steht, lässt Solidität vermissen. In den Etatberatungen hat diese Fraktion den Rotstift radikal an fast jedem Titel ange- setzt, um ihrem eigenen Anspruch als Ausgabenmini- mierungspartei gerecht zu werden. Nun fordern sie Mehrausgaben, die sie selbst im regulären Haushaltsver- fahren nicht eingebracht haben. Sie können nicht einer- seits das Trennungsgeld und die Aus- und Fortbildung für die Soldaten kürzen sowie die Nachwuchswerbung zusammenstreichen – andererseits die Ost-West-Anglei- chung einfordern; das passt nicht zusammen. Da bleibt für mich nur festzustellen, dass es sich hiermit um einen Schaufensterantrag handelt. Im Übrigen möchte ich darauf verweisen, dass 1996 und 1997 durch eine Verfahrenspraxis im Zusammen- hang mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr auf dem Balkan die Gleichbesoldung weitestgehend durch- gesetzt wurde. Der Rechnungshof hat diese Praxis in sei- nen Bemerkungen 1997 zur Haushalts- und Wirtschafts- führung kritisiert. Der Rechnungsprüfungsausschuss hat daraufhin im März 1998 das BMVg aufgefordert, die „geltenden Besoldungs- und Versorgungsvorschriften nicht weiterhin durch organisatorische Regelungen zu umgehen“. Diese Beschlüsse sind selbstverständlich durch das Verteidigungsministerium umgesetzt worden. Festzustellen bleibt, dass es in Auslandseinsätzen keine Besoldungsunterschiede gibt. Die Bundeswehr hat also keine Sonderstellung, sondern ist in ihren Besol- dungsstrukturen im öffentlichen Dienst eingebunden. Petra Heß (SPD): Die FDP fordert in ihrem Antrag, die Ungleichbehandlung bei den Angehörigen der Bun- deswehr unverzüglich zu beenden und sie ausschließlich nach der heute nur für die westlichen Bundesländer gül- tigen Besoldungsordnung zu besolden. Die Forderung der Soldaten ist sehr wohl berechtigt und nachvollziehbar. Als ostdeutsche Abgeordnete, der diese Problematik durch zahlreiche Truppenbesuche sehr gut vertraut ist, finde ich es jedoch bedauerlich, dass sich die FDP dieses Themas aus purer Effekthascherei bedient und nicht aus Sorge um die Soldaten. Der Ver- such, sich hiermit als Interessensvertreterin der Belange der in Ostdeutschland stationierten Soldatinnen und Sol- daten und darüber hinaus aller Ostdeutschen zu profilie- ren, ist auf den ersten Blick durchschaubar. Schließlich war die FDP nach der Wiedervereinigung viele Jahre lang in Regierungsverantwortung. Aus dieser Zeit sind mir keine Bemühungen hinsichtlich der Angleichung der Ost-West-Besoldung bekannt. Außerdem müsste auch die FDP wissen, dass es kein eigenes Besoldungsrecht für Soldatinnen und Soldaten gibt, wie ich es mir im Übrigen wünschen würde. Viel- mehr gilt das Besoldungsrecht für Beamte, Richter und Soldaten, also für alle drei Gruppen gleichermaßen. Eine Sonderlösung für Soldaten ist zurzeit nicht realisierbar. Mit sind auch keine Bemühungen der Bundesländer be- kannt, in denen die FDP in Regierungsverantwortung steht, den eingeschlagenen Weg der Anpassung zu ver- kürzen. Es war die rot-grüne Bundesregierung, die unter ihrer Federführung mit dem Bundesbesoldungs- und -versor- gungsanpassungsgesetz 2003/2004 einen Fahrplan für die Ost-West-Angleichung auf den Weg gebracht hat. Gegen Widerstände aus den Bundesländern wurde ver- einbart, dass die weitere Angleichung der Ostbesoldung an das Westniveau bis spätestens 31. Dezember 2007 für die Besoldungsgruppen bis A 9 und für die übrigen Be- soldungsgruppen bis zum 31. Dezember 2009 erfolgen soll. Ich hätte mir gewünscht, die Angleichung in einer kürzeren Phase zu realisieren. Aber dies war nun einmal der damals ausgehandelte Kompromiss mit den Ländern. Mit dieser Vereinbarung erhalten die Soldatinnen und Soldaten sowie die Beamtinnen und Beamten der Bun- deswehr in den östlichen Bundesländern eine verlässli- che Perspektive zur Anpassung ihrer Besoldung und Versorgung an das Westniveau. Ich bitte Minister Jung, in den Gesprächen mit den Ländern darauf hinzuwirken, die zeitlichen Fristen für die Angleichung nicht bis zum Ende auszuschöpfen, sondern zu versuchen, die Anpassung schon früher um- zusetzen. Es ist aus meiner Sicht nicht nachvollziehbar, dass im Jahr 16 der deutschen Einheit gerade die Bun- deswehr, die seit 1990 so erfolgreich wie kaum eine an- dere Institution den Prozess der inneren Einheit vollzo- gen hat, immer noch gezwungen ist, ihren Soldatinnen und Soldaten unterschiedliche Löhne nach Ost-/West- Zugehörigkeit zu zahlen. Meine Erfahrungen durch Truppenbesuche und Wehrübungen zeigen mir, dass in- nerhalb der Truppe die Ost-/West-Zugehörigkeit absolut keine Rolle mehr spielt. Gerade bei Auslandseinsätzen zeigt sich, dass es we- der im Leistungswillen noch in der Leistungsfähigkeit Unterschiede gibt. Die Soldaten und die zivilen Mitar- beiter aus den neuen Bundesländern erfüllen ihren Auf- trag genauso gut wie ihre Kameraden aus den alten Bun- desländern. Deshalb ist diese Differenz beim Sold nicht mehr gerechtfertigt. Dennoch wird den in Ostdeutsch- land stationierten Soldatinnen und Soldaten bei ihrer Rückkehr an ihre Standorte beim Blick auf ihren Lohn- zettel jeden Monat aufs Neue vor Augen geführt, dass ihre Leistung weniger wert ist, als die ihrer Kameraden in den alten Bundesländern. Diese Ungleichbehandlung muss endlich überwunden werden und zwar schnell. Das geht aber nur im gütlichen Einvernehmen mit den Ländern. Deshalb ist der FDP-Antrag schlicht und er- greifend unfair gegenüber unseren Soldatinnen und Sol- daten. Denn damit wird der – falsche – Eindruck 4202 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) erweckt, es gäbe die Möglichkeit, durch Bundestagsbe- schluss eine sofortige Angleichung hinzubekommen. Wenn es der FDP wirklich ernst mit diesem Antrag ist, sollte sie wirkungsvoll Druck auf die Länder aus- üben, in denen sie mitregiert. Denn ohne die Bundeslän- der im Boot zu haben, wird es keine schnellere Anglei- chung geben, als vereinbart. Birgit Homburger (FDP): Die Bundeswehr hat sich seit der Wiedervereinigung gewandelt. Sie musste sich auf vielfältige neue Aufgaben einstellen; denn mit der Vereinigung 1990 ist auch die internationale Verantwor- tung Deutschlands gewachsen. Deutschland braucht weiterhin eine leistungsfähige Bundeswehr, die für unser Land Frieden und Freiheit sichert. Darüber hinaus muss die Bundeswehr aber auch im Bündnisrahmen zur Kri- senreaktion im Ausland fähig sein und für die Völkerge- meinschaft zur Verfügung stehen, wenn das politisch so entschieden wird. Dies erfordert Anpassungen und Um- gliederungen, die mitunter sehr schwierig sind. Sie ver- langen von allen Beteiligten große Flexibilität und Op- ferbereitschaft. Die Angehörigen der Bundeswehr haben bisher alle ihnen gestellten Herausforderungen mit Er- folg und großem Engagement bewältigt. Seit dem 3. Oktober 1990 hat sich am Beispiel der Bundeswehr gezeigt, was erreichbar ist, wenn Deutsche aus Ost und West aufeinander zugehen und sich mit Tat- kraft einer gemeinsamen Aufgabe stellen. Alle Soldatin- nen und Soldaten und zivilen Mitarbeiter der Bundes- wehr haben eine großartige Leistung vollbracht, auch diejenigen, die vormals in der Nationalen Volksarmee ihren Dienst geleistet haben. In der Bundeswehr ist die innere Einheit seit langer Zeit tatsächlich vollzogen. Aus zwei Armeen ist eine Armee geworden. Es gibt nicht den geringsten Leistungsunterschied zwischen den Soldatinnen und Soldaten aus dem Westen und dem Osten Deutschlands. Sowohl im Inland als auch bei Auslandseinsätzen im Rahmen der Vereinten Natio- nen, der Organisation für Sicherheit und Zusammenar- beit in Europa, der NATO oder der EU erfüllen Soldatin- nen und Soldaten sowie zivile Mitarbeiter aus den neuen Bundesländern ihren Auftrag in gleicher Qualität wie die aus den alten Bundesländern. Trotzdem gibt es in der Bundeswehr aufgrund der gravierenden Unterschiede in der Besoldung eine Zwei-Klassen-Armee, unterteilt in „Ost- und Westsoldaten“. Stellen sie sich folgendes fiktive Beispiel vor: Zwil- lingsbrüder, geboren in Mecklenburg-Vorpommern, un- mittelbar an der Grenze zu Niedersachsen, beide ausge- bildet zum Kfz-Mechaniker, melden sich freiwillig zur Bundeswehr. Sie werden wunschgemäß berufsbezogen und heimatnah einberufen, einer zum Instandsetzungs- bataillon 3 nach Lüneburg in Niedersachsen, der andere zum Instandsetzungsbataillon 142 nach Hagenow in Mecklenburg-Vorpommern. Der Lüneburger Soldat er- hält Westgehalt, der Hagenower Soldat Ostgehalt. Beide werden zum Unteroffizier ausgebildet. Der Lüneburger Soldat wird danach nach Hagenow in das Bataillon sei- nes Zwillingsbruders versetzt. Er leistet jetzt auch im Osten Dienst, erhält jedoch weiterhin sein Westgehalt. Sein Zwillingsbruder muss sich jedoch unverändert mit Ostgehalt begnügen. Alles ist gleich: Alter, Ausbildung, Leistungsfähigkeit, Dienstort, Wohnort, etc. Nur das Ge- halt ist unterschiedlich. Innerhalb derselben Einheit kann die Vergütung also für die gleiche Arbeit unterschiedlich hoch sein, ohne dass man dies begründen könnte. Die Regelung, die solch unerträgliche Sachverhalte ermöglicht, ist zutiefst ungerecht und muss umgehend geändert werden. Die Ost-West-Besoldungsdifferenz bei den Angehörigen der Bundeswehr ist schon seit Jahren durch nichts mehr ge- rechtfertigt. Sie wirkt diskriminierend und demotivie- rend. Deshalb fordert die FDP mit dem Antrag „Gleiche Besoldung für alle Soldaten“ die Anhebung des Ostsol- des auf das Westniveau. Katrin Kunert (DIE LINKE): Für Die Linke steht fest, eine Demokratie braucht keine Interventionsarmee, sondern eine Berufsarmee mit 100 000 Soldatinnen und Soldaten zur Landesverteidigung! Sehr geehrte Frau Kollegin Homburger, Sie stellen in Ihrem Antrag fest, dass die innere Einheit in der Bundeswehr seit langem vollzogen ist. Wenn es denn so wäre, müssten wir heute nicht zum x-ten Mal über gleichen Sold reden. Allen Ex- perten ist klar, dass diese Unterschiede nicht mehr zu rechtfertigen sind. Aber die Koalition lässt auch die Lö- sung dieses Problems schleifen. Die Linke hat in der letzten Haushaltsdebatte Anträge zur sofortigen Anglei- chung gestellt, weil die vorgesehene Angleichung im Jahr 2009 nicht akzeptabel ist! Auch hier gilt das Sprichwort: Was Du heute kannst besorgen, das verschiebe nie auf morgen! Hier geht es um die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West. Die sofortige Angleichung würde für die Berufs- soldaten und Soldaten auf Zeit 33 Millionen Euro und für die zivilen Angestellten 36 Millionen Euro kosten, also die Summe, die der Kongo-Einsatz verschlingen wird. Frau Kollegin Schäfer, Sie haben in Ihrer Rede zum Bericht des Wehrbeauftragten 2004 gesagt: Die Be- soldungsstruktur muss auf den Prüfstand. Es ist eine längst überfällige Entscheidung, die Soldatengehälter in den neuen Bundesländern dem Westniveau anzupassen. Das haben Sie im letzten Jahr festgestellt! Warum haben Sie unseren Anträgen im Verteidigungsausschuss nicht zugestimmt? Frau Kollegin Heß, Sie kommen in der gleichen Debatte zu dem Schluss, dass eine Angleichung so schnell wie möglich erfolgen muss. 2009 ist bei Ihnen so schnell wie möglich? Schnell geht anders! Wir fordern eine sofortige Angleichung und unterstüt- zen den Antrag der FDP, weil wir grundsätzlich Anträge nach inhaltlichen Kriterien bewerten. Es kann doch nicht sein, dass Sie unseren vernünftigen Anträgen nicht zu- stimmen, nur weil die aus der Opposition kommen. Dann stellen Sie doch die Anträge zur sofortigen Anglei- chung und Sie können sich unserer Unterstützung sicher sein! Uns geht es um die Soldatinnen und Soldaten und nicht um das Herkunftsprinzip von Anträgen in diesem Haus! Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4203 (A) (C) (B) (D) Innere Einheit in der Bundeswehr heißt aber auch: Erstens: die Anerkennung von Vordienstzeiten in der NVA. Da nach wie vor die Dienstzeit in der NVA als „ge- dient in fremden Streitkräften“ eingestuft wird, ergeben sich daraus soziale Benachteiligungen für Angehörige der NVA. Während Bundeswehrsoldaten eine vollständige Pen- sion auf Grundlage ihrer Dienstzeit erhalten, bekommen Bundeswehr-NVA-Soldaten eine kleinere Pension auf- grund ihrer kürzeren Dienstzeit in der Bundeswehr. Die Dienstzeit in der NVA wird nicht anerkannt. Wir fordern hier sofortiges Handeln! Zweitens: die Unterschiede bei der Hinzuverdienst- grenze. Bundeswehrangehörige haben das Recht, nach Eintritt in den Ruhestand ihr Einkommen auf 120 Pro- zent ihres letzten Bezuges durch Zuverdienst zu steigern. Bundeswehr-NVA-Soldaten hingegen dürfen nur bis zu 320 Euro hinzuverdienen, ungeachtet der Höhe des letz- ten Bezuges. Wir fordern auch hier eine schnelle Lö- sung! Drittens: Endgültige Klärung der Statusfrage. Ange- hörige der NVA, die in die Bundeswehr übernommen wurden, wurden in ihrem Dienstrang herabgestuft. An- gehörige der NVA dürfen ihren erworbenen Dienstrang auch nicht mit dem Zusatz „außer Dienst“ führen, anders als Angehörige der Bundeswehr oder der Wehrmacht. Begründet wird dies durch den Einigungsvertrag, in den die Reservistenverordnung der DDR nicht übernommen wurde. Legitimiert wird dies im § 8 des Wehrpflichtge- setzes, demnach jeder Dienst in einer anderen Armee als der Bundeswehr als Wehrdienst in fremden Streitkräften angesehen wird. Nur die Bundesrepublik Deutschland hat die DDR nie als souveränen Staat anerkannt und den Alleinvertre- tungsanspruch für das ganze deutsche Volk erhoben. Wie ist es da möglich, dass der Dienst in der NVA als Dienst in fremden Streitkräften gewertet wird? Wir müssen schnellstens alle Ungleichbehandlungen zwischen ost- und westdeutschen Soldatinnen und Sol- daten klar benennen und beseitigen! Gleiche Besoldung in Ost und West ist ein unabdingbarer erster Schritt! Meine Damen und Herren der großen Koalition, wer es ernst meint, wenn er den Soldatinnen und Soldaten für ihre Arbeit dankt, sollte dabei immer im Hinterkopf ha- ben, dass Lob und Anerkennung sich in Gleichbehand- lung und angemessener Bezahlung ausdrücken muss! Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Angleichung der Besoldung von Bundeswehrange- hörigen in Ost- und Westdeutschland ist überfällig. Aus zwei Gründen halten wir jede Art der Differenzierung nach Ost-West für überholt. Zum einen haben sich die Lebenshaltungskosten in Ost- und Westdeutschland inzwischen nahezu angeglichen. Zum anderen ist eine Angleichung für die Menschen im Osten ein wichtiges Signal, dass es die Politik auch Ernst meint mit der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse. Die Be- soldung muss sich dabei am Allgemeinen Lebensstan- dard orientieren. Das ist auch für die Soldaten und Soldatinnen sowie für die Zivilbeschäftigten der Bundeswehr ein ganz wichtiger Punkt. Zu Recht wollen sie für gleiche Tätig- keiten und gleiche Leistungen auch gleiches Geld. In den vergangenen Jahren habe ich das Anliegen, eine gleiche Besoldung innerhalb der Bundeswehr zu ermög- lichen, stets unterstützt. Im Bereich der Bundeswehr sind wir dabei zwar langsam, aber doch ein gutes Stück vo- rangekommen. So erhalten alle im Auslandseinsatz be- findlichen Soldaten und Soldatinnen für die Dauer ihres Einsatzes die gleiche Besoldung. Um die Belastungen der Transformation abzumildern, haben in den letzten Jahren zudem fallspezifische Sonderregelungen dazu beigetragen, dass inzwischen mehr als die Hälfte der Be- rufs- und Zeitsoldaten nach Westniveau bezahlt werden. Wer – unabhängig von Wohn- oder Geburtsort – dauer- haft im Westen stationiert und verwendet wird, erhält au- ßerdem volle Westbezüge. Auch der Wehrsold der Wehr- pflichtigen ist bundesweit einheitlich. Dieser Weg muss konsequent weiter gegangen wer- den. Deshalb ist es richtig, wenn die Bezüge von Bun- deswehrangehörigen in Ostdeutschland stufenweise an das Westniveau angeglichen werden. Für alle Gehalts- stufen bis zum Leutnant ist die Anhebung bis zum Jahr 2007 geplant. Bis 2009 sollen die höheren Gehaltsstufen folgen. Sonderregelungen für die Bundeswehr müssen aber immer auch wohl begründet und vermittelbar sein. Eine einheitliche Lösung für den öffentlichen Dienst ist daher die bessere Variante. Gerade unter den Aspekten Motivation und Rekrutie- rung sind Besoldungsfragen besonders ernst zu nehmen. Durchschnittlich sind derzeit knapp 7 000 Soldaten und Soldatinnen weit außerhalb deutscher Grenzen mit Man- dat der Vereinten Nationen in internationalen Krisenein- sätzen eingesetzt. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur multilateralen Krisenbewältigung und Kriegsverhütung und schaffen in Krisengebieten die notwendigen Voraus- setzungen zur Friedenskonsolidierung – auf dem Balkan und in Afghanistan nimmt die Bundeswehr eine Schlüs- selrolle ein. Ich erlebe es immer wieder vor Ort: Die Bundeswehr erfüllt ihre Aufgaben professionell, klug und verlässlich. Zu Recht wird der Einsatz ihrer Solda- ten und Soldatinnen von der Bevölkerung in den Ein- satzgebieten und ihren Verbündeten geschätzt und aner- kannt. Trotz dieser positiven Gesamtbilanz darf jedoch nicht vergessen werden, dass die neuen Bundeswehraufgaben auch eine ganze Reihe zusätzlicher Anforderungen an die Soldaten und Soldatinnen stellen. In den internationalen Kriseneinsätzen sind heute neben militärisch-handwerk- lichen Fähigkeiten zusätzliche soziale und interkulturelle Kompetenzen gefragt. Wer für die Bundeswehr hoch qualifiziertes und motiviertes Personal gewinnen will, muss daher sowohl in Ausbildung und Bildung als auch in Ausrüstung, Ausstattung und in eine auf dem zivilen Arbeitsmarkt konkurrenzfähige Besoldung investieren. Alles andere würde Rekrutierungsschwierigkeiten, sin- kender Leistung und Demotivation zuarbeiten. 4204 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Gert Winkelmeier (fraktionslos): Gleiche Besol- dung der Soldatinnen und Soldaten in Ost und West sollte normal sein, so wie gleicher Lohn für gleichwer- tige Arbeit, die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West und gleicher Lohn für alle Beschäftigten in unserem Land, unabhängig davon, ob sie im Norden oder Süden, im Osten oder Westen arbeiten. Viele Politiker haben sich in den letzten 15 Jahren in Sonntagsreden darin gefallen, von der stärkeren interna- tionalen Verantwortung des zusammengewachsenen Deutschlands zu sprechen. Beim näheren Hinsehen er- schöpft sich diese Verantwortung bei der Bundeswehr in internationalen – so genannten – Friedenseinsätzen. Wer allerdings noch näher hinsieht, weiß, dass die Soldatin- nen und Soldaten auch im Jahr 16 nach der deutschen Einheit noch immer unterschiedlich besoldet werden. Es gibt zwei verschiedene Soldstaffelungen in der Bundeswehr; das ist durch nichts zu rechtfertigen. Es können keine vernünftig nachvollziehbaren Argumente beigebracht werden, warum die Besoldungsordnungen nach westlichen und östlichen Bundesländern eingeteilt sind. Danach erhalten die in den östlichen Bundeslän- dern eingesetzten Bundeswehrangehörigen nur 92,5 Pro- zent der Bezüge ihrer Kameraden im Westen. Das gilt auch für alle Familien- und Amtzuschläge und überhaupt für alle Stellenzulagen. Besonders beschämend finde ich, dass noch immer auch der einfache Wehrsold der Wehrpflichtigen so gering ist, dass ein normales Leben von diesen Beträgen nicht möglich ist. Die ursprüngliche und heute teilweise noch ver- wandte Begründung für ein geringeres Lohnniveau im Osten war bzw. ist die damals dort herrschende niedri- gere Produktivität. Diese Begründung ist seit Jahren un- haltbar. Trotzdem wird ständig versucht, im Osten ein Niedriglohngebiet aufrecht zu erhalten. Damit soll letzt- lich allen Menschen im Osten signalisiert werden, dass sie weniger gut arbeiten als Menschen im Westen. Es ist aber nicht einzusehen, dass Feuerwehrleute, Kranken- schwestern und Wachschutzleute im Osten weniger ver- dienen als im Westen. Sie alle haben das Recht auf glei- chen Lohn für gleiche Arbeit. Ein Niedriglohngebiet im Osten ist nicht hinnehmbar. Als vor Jahren die Debatte um die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West geführt wurde, die diese reiche Bundesrepublik noch immer nicht erreicht hat, da sprach die damalige Oppositionspolitikerin Merkel davon, dass die Löhne im Westen gesenkt und dem niedrigeren Niveau im Osten angeglichen werden müssen. Dieses Stichwort hatten ihr zuvor die Unterneh- merverbände geliefert. Seither wird versucht, nach die- sem Grundsatz zu verfahren. Was wir damals noch nicht wussten, ist, dass die Löhne im Osten immer künstlich auf Abstand zu denen im Westen gehalten werden. Dies ist einfach nicht hinnehmbar und unserer Gesellschafts- ordnung unwürdig. Die Bundeswehr ist zweifellos nicht nach Kriterien der Produktivität zu beurteilen. Ein Soldat, der in Mag- deburg stationiert ist, riskiert beim Auslandseinsatz ge- nauso sein Leben wie sein Kamerad in Koblenz. Deshalb kann ich die Bundesregierung nur auffordern, diese fi- nanziell unwürdige Behandlung zu beenden, ein Zeichen für gleiche Lebensverhältnisse in Ost und West auf Westniveau zu setzen und damit endlich auch bei der Bundeswehr anzufangen. Anlage 27 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Notschleppkonzept den veränderten Bedin- gungen der Seeschifffahrt anpassen – Notschleppkonzept an gestiegene Herausfor- derungen anpassen – Sicherheitskonzept für Nord- und Ostsee op- timieren (Tagesordnungspunkt 38 j) Enak Ferlemann (CDU/CSU): Nach jahrelanger Diskussion darüber, welche technischen Anforderungen an die Notschlepper in Nord- und Ostsee zu stellen sind, haben wir nun endlich ein gutes Ergebnis gefunden. Das sieht konkret so aus: Erstens. Für die Nordsee muss als Ersatz für den Hochseeschlepper „Oceanic“ ein Notschlepper vorge- halten werden, der bei einem auf 6 Meter reduzierbaren Tiefgang die Leistung von 200 Tonnen Pfahlzug und 19,5 Knoten Geschwindigkeit erbringt und gemäß den Richtlinien des Germanischen Lloyd für den Einsatz in gefährlicher Atmosphäre geeignet ist. Zweitens. Für die Ostsee muss ein Notschlepper vor- gehalten werden, der 100 Tonnen Pfahlzug Leistung bei einer Geschwindigkeit von 16,5 Knoten erbringt. Dieser Schlepper muss nach den Richtlinien des Germanischen Lloyd für den Einsatz in ölbedecktem Gewässer geeignet sein und zusätzlich eine Gasspür- und Warnanlage zum Aufspüren einer gefährlichen Atmosphäre haben. Als Abgeordneter, dessen Wahlkreis an der Nordsee- küste liegt, bin ich froh, wenn wir zukünftig Notschlep- per mit höheren Leistungskriterien haben. Denn der Not- schlepper muss gerade bei schlechtem Wetter innerhalb von zwei Stunden an jedem Punkt seines vorgesehenen Einsatzgebietes wirksam erste Hilfe leisten können. Dazu gehört auch die Feuerlöschleistung. Er muss aber auch schneller als ursprünglich geplant sein, weil heu- tige Großcontainerschiffe eine deutlich höhere Drift- geschwindigkeit haben. Die Kombination der Leistungs- kriterien aus Pfahlzug, Tiefgang und Geschwindigkeit ist notwendig, um so frühzeitig wie möglich, aber auch im flacheren Küstengebiet noch einen leistungsstarken Ein- satz zu gewährleisten. Die oftmals gefährliche Ladung von Containerschiffen und Gastankern erfordert Einsatz- fähigkeit in gefährlicher Atmosphäre. Das Notschleppkonzept des Bundes hatte genau an dieser Stelle seinen Schwachpunkt. Jetzt haben wir die- sen Schwachpunkt beseitigt und damit das Konzept an Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4205 (A) (C) (B) (D) das angepasst, was vor unseren Küsten in der Seeschiff- fahrt tatsächlich passiert. Das aktuelle Szenario sieht so aus: Erstens. Die Verkehrszahlen auf den Seeschifffahrts- straßen nehmen generell zu. Zweitens. Die Schiffe werden nicht nur größer, son- dern führen auch einen höheren Anteil an Gefahrgutla- dungen mit sich. Drittens. Die Häfen haben Zuwachsraten und beste Aussichten auf weiteres wirtschaftliches Wachstum. Wenn der Jade–Weser–Port in Wilhelmshaven fertig ist, werden dort Megacontainerschiffe ihre Fracht ebenso umschlagen wie Gas- und Chemikalientanker. Viertens. In der Ostsee werden vor allem die Tanker- verkehre erheblich zunehmen. Die Entwicklung ist also etwas anders zu beurteilen als an der Nordsee. Deshalb ist es dort besonders wichtig, dass die Ausrüstung nach den Richtlinien für den Einsatz in ölbedecktem Gewäs- ser ausgerichtet ist. Das heißt: Das Notschleppkonzept muss an die mit diesen Schiffsverkehren verbundenen Gefahrenlagen oh- nehin angepasst werden. Es muss sich an der Gegenwart und der Zukunft ausrichten. Wir dürfen aber auch die Vergangenheit nicht aus den Augen verlieren. Es ist wichtig, dass wir Lehren aus der Havarie der „Pallas“ 1998 und den zahlreichen anderen Unfällen ziehen. Schließlich ist das Notschleppkonzept eine Folge aus schmerzlichen Erfahrungen in den ver- gangenen Jahren. Was passieren kann, wenn wir für den Notfall unzureichend gerüstet sind, ist keine Versuchs- reihe am Modell, sondern erlebte Wirklichkeit. Deshalb ist es richtig und konsequent, die Sicherheit vor dem Hintergrund der Erfahrungen zu erhöhen. Ich möchte mich bei allen Beteiligten bedanken, die hartnäckig dafür gekämpft haben, die Leistung der Not- schlepper den tatsächlichen Erfordernissen anzupassen, auch wenn dies mit höheren Kosten verbunden ist. Mit all denen, die heute zufrieden sein können, bin ich der Meinung, dass die Sicherheit unserer Küsten Vorrang haben muss vor Haushaltserwägungen. Mein besonderer Dank gilt meinem Kollegen Ingbert Liebing, der mit mir gemeinsam in vielen Arbeitsgruppensitzungen für den heutigen Erfolg gestritten hat. Ich weiß, dass mehrere Schlepper mit der Leistungs- fähigkeit, wie wir sie für die Ausschreibungen jetzt vor- gegeben haben, schon im Bau sind. Die technischen An- forderungen zu erfüllen, ist also kein großes Problem. Nachdem die Haushaltsmittel aufgestockt worden sind, bin ich überzeugt, dass dieses Budget ausreichen wird, um die höheren Kosten auch finanzieren zu können. Ich bin den Haushältern dankbar, dass sie die notwendigen Mittel in den Haushalt eingestellt haben. Denn die Ent- scheidung kann nicht länger hinausgezögert werden. Wir müssen für die Bauzeit eines Notschleppers nach der Auftragserteilung mindestens 22 bis 24 Monate rechnen. Der Schiffbauboom der letzten Jahre führt zu langen Lieferzeiten für Motoren, Getriebe und Propeller. Man muss da mit 18 und mehr Monaten rechnen. Lassen Sie mich zum Schluss anmerken: Wer die Küste kennt, weiß, dass wir dort einmalige Landschaften wie zum Beispiel den Nationalpark Wattenmeer und viele andere Schutzgebiete haben. Für diese Gebiete müssen wir Vorsorge treffen. Havarien können aber auch den Tourismus und die Fischerei bedrohen. Davon lebt die Küste, davon leben viele Menschen dort. Ich bin des- halb außerordentlich froh, dass wir uns in diesem Hause auch wegen der Existenzen, die daran hängen, einig sind, mit einer Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Not- schlepper Gefahren sofort und wirkungsvoll abwenden zu wollen. Wollen wir hoffen, dass es trotz unserer Vorsorge nie zu einem schwerwiegenden Unfall vor unseren Küsten kommt. Dr. Margrit Wetzel (SPD): 1994: 852 Menschen ver- lieren ihr Leben, weil die Fähre „Estonia“ vor der finni- schen Küste sinkt. 1998: Die „Pallas“ fängt bei schwe- rem Sturm und hoher See südwestlich Esbjerg Feuer. Versuche, das Schiff auf die offene See zu schleppen, scheitern, die „Pallas“ verdriftet ins Wattenmeer und läuft vor Amrum auf Grund. 1999: Der Produktentanker „Erika“ bricht vor der bretonischen Küste auseinander. 2002: Der 26 Jahre alte Tanker „Prestige“ quert die Ost- see, passiert die Kadetrinne, gerät im Atlantik in Seenot, bricht auseinander und sinkt vor der Küste Spaniens. 2002: Wenige Wochen später sinkt der Autotransporter „Tricolor“ nach einer Kollision binnen einer halben Stunde im Ärmelkanal. Mehrere Schiffe kollidieren spä- ter mit dem Wrack, das erst fast ein Jahr, später in Sek- tionen zersägt, geborgen werden kann. Dezember 1999: Über der Nordsee tobt der Orkan „Anatol“ mit der Stärke drei auf der amerikanischen Hurrikanskala. Der Massengutfrachter „Lucky Fortune“ meldet Maschinenausfall, wirft den Anker und driftet trotzdem mit zeitweise über 5 Knoten auf Sylt zu. Welch ein Glück, dass wir den Notschlepper „Oceanic“ haben, der in 4,5 Stunden trotz des Orkans 52 Seemeilen bewäl- tigt, den Havaristen 12 Meilen vor Sylt erreicht, eine Schleppverbindung herstellen und die „Lucky Fortune“ kurz vor der Strandung stoppen kann! Der Nationalpark Wattenmeer ist das größte Küsten- feuchtgebiet Europas. Mehr als 100 000 Schiffe kreuzen jährlich die Deutsche Bucht. Hamburg ist der achtgrößte Hafen der Welt, Wilhelmshaven freut sich auf einen Tiefwasserhafen, in dem die größten Containerschiffe erwartet werden, die derzeit im Bau sind: Sie tragen bis zu 13 000 TEU, allein die Reederei Maersk hat zehn sol- cher Megaschiffe bestellt. Wilhelmshaven ist Deutsch- lands größter Ölhafen, Eon plant dort einen LNS-Im- port-Terminal. Die Zahl der LNS-Tanker ist von 1999 bis 2005 um 70 Prozent auf jetzt 191 gestiegen. Weitere 131 LNS-Tanker sind derzeit bei Werften in Auftrag ge- geben. Ein riesiges Chemiewerk wird ebenfalls dort ent- stehen. An der Unterelbe haben wir mit Brunsbüttel und Stade gleich zwei große Chemiestandorte. Keine Frage: Die Gefahrguttransporte nehmen zu, die Zahl der Schiffsbewegungen wächst mit den höchst erfreulichen 4206 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Umschlagsteigerungen, die die deutschen Häfen, allen voran Hamburg, vermelden. Der Zuwachs soll von heute über acht Millionen TEU im Hamburger Hafen bis 2015 auf über 18 Millionen gesteigert werden. Die Container- schiffe werden größer. Zugleich wird damit auch ihre Windangriffsfläche größer und das heißt, dass sie erheb- lich schneller verdriften. Das BSH hat in der Nordsee jetzt bereits elf Offshorewindparks genehmigt, auf die Havaristen gegebenenfalls zutreiben können. Was, wenn die „Lucky Fortune“ auf der Drift gen Sylt in einem Windpark gestrandet wäre? Sie mögen sich vielleicht fragen, warum wir Ver- kehrspolitiker mit unserem Antrag technische Details für die Notschlepper der Zukunft vorgeben? Ist das unsere Aufgabe? Ja, ja und noch einmal ja! Wer, wenn nicht wir, die Parlamentarier der Deutschen Bundestages, ha- ben die Verantwortung für die Qualität und Leistungsfä- higkeit der Notschlepper in Nord- und Ostsee, die aus Steuergeldern gechartert und zum effektiven Einsatz vorgehalten werden? Wir haben die Verantwortung da- für, dass die 50 Millionen Touristen, die jährlich in un- sere Wattenmeerregion kommen, sicher sind, dass Küs- tenbewohner und Wattenmeer wirksam geschützt werden vor Ölverschmutzungen oder giftigen Gasen und Chemikalien, die bei Havarien entstehen oder entwei- chen können. Das Notschleppkonzept der Bundesregierung, das nach der „Pallas“-Katastrophe erarbeitet wurde, war un- seren europäischen Nachbarn durchaus Vorbild. Es wurde 2001 verabschiedet und nimmt zu Recht für sich in Anspruch, wissenschaftlich korrekt erarbeitet worden zu sein. Aber: Was für Lärmschutzwände gut sein mag – nämlich von Durchschnittswerten auszugehen und sich nicht auf Spitzenbelastungen zu konzentrieren – taugt politisch nicht als Vorbild für große Schiffshavarien. Die Entwicklung geht mit Riesenschritten weiter, keine Pro- gnose konnte realistisch vorhersehen, dass in naher Zu- kunft bis zu 13 000 TEU-Containerschiffe bei uns gela- den und gelöscht werden. Der Umschlagzuwachs in den Häfen wurde drastisch unterschätzt, die Offshorewind- parks waren noch vage Utopien. In den letzten Jahren gab es zahlreiche öffentlich ge- führte Auseinandersetzungen um die Leistungskriterien der Notschlepper, bei denen Vertreter der Behörden in fachlichem Widerspruch zu Experten aus vielfältigster maritimer Praxis standen: Wenn Experten sich streiten, haben Politiker die Pflicht, zu zweifeln, zu prüfen und genau abzuwägen, ob sie eingreifen und politisch ent- scheiden, wie und mit welcher Leistung unsere Küsten geschützt werden sollen. Das haben wir getan, und zwar ganz bewusst und im Fachausschuss einvernehmlich über alle Fraktionen: Wir wollen für die Nordsee als Ersatz für den Schlepper „Oceanic“ einen Bergungsschlepper, der bei 6 Meter Tiefgang 19,5 Knoten Geschwindigkeit und einen Pfahl- zug von 200 Tonnen bringt und damit auch in flacheren Gewässern einen leistungsstarken Einsatz ermöglicht. Der Notschlepper sollte die Schleppverbindung zum Ha- varisten so früh wie möglich legen: Also muss er seinen Tiefgang erhöhen können. Damit verbessert sich seine Wirkleistung auch bei schwerem Wetter, er hat gewisse Leistungsreserven. Der neue Schlepper muss 19,5 Kno- ten Geschwindigkeit bringen, damit der deutlich höheren Windangriffsfläche und der größeren Driftgeschwindig- keit von Megacontainerschiffen wirksam begegnet wer- den kann. Ich betone ausdrücklich: Wir wollen einen richtigen Bergungsschlepper mit hoher Schlechtwettergeschwin- digkeit, keinen Ankerziehschlepper oder Bohrinselver- sorger! Unsere französischen Nachbarn haben gerade berich- tet, dass nur aufgrund der Rumpfform und der Ge- schwindigkeit von 19,5 Knoten der neue französische Notschlepper mit einer Anfahrtszeit von 1,5 Stunden ei- nen auf die bretonische Küste zutreibenden Frachter circa 30 Minuten vor der Strandung erfolgreich abfangen konnte. Der Nordseenotschlepper muss zusätzlich mit Gas- und Explosionsschutz nach den Richtlinien des GL für Chemikalienunfallbekämpfungsschiffe ausgerüstet sein. Die Besatzung braucht wirksamen Eigenschutz und optimale Zugriffsmöglichkeiten für jegliche Art von Ha- varie. Für die Ostsee unterstützen wir den Wunsch der Bun- desregierung, den neuen Schlepper, der die Kadetrinne absichern soll, nach den Leistungskriterien vorzuhalten, die auch in Schweden zum Einsatz kommen: 100 Ton- nen Pfahlzug bei 16,5 Knoten Geschwindigkeit und 6 Meter Tiefgang mit einer Ausrüstung nach den Bau- vorschriften des GL für Ölfangschiffe. Eine unserer wichtigen Forderungen ist, dass das Schiffsführungspersonal über gute Kenntnisse der engli- schen Sprache verfügen, die gesamte Besatzung aber deutsch in Wort und Schrift beherrschen muss. Eine gute Kommunikation der Einsatzkräfte sichert den Erfolg im Ernstfall. Die gecharterten Notschlepper und ihre Besat- zungen werden von der Wasser- und Schifffahrtsverwal- tung eingesetzt. Sie erstellt die Einsatzpläne, führt Übun- gen durch und erteilt der Besatzung Anweisungen, die verstanden werden müssen. Im Einsatz müssen die ge- charterten Notschlepper mit bundeseigenen Schiffen un- ter schwierigen Bedingungen zusammenarbeiten. Auch unsere Nachbarn England, Frankreich, Niederlande, Spanien, Italien fordern, dass ihre Notschlepperbesat- zungen die Nationalsprache in Wort und Schrift beherr- schen müssen. Dies ist also kein deutscher Alleingang, sondern ein wichtiger Baustein für ein erfolgreiches na- tionales Notschleppkonzept. Unsere parlamentarische Initiative, die Leistungsda- ten der neuen Notschlepper für Nord- und Ostsee vorzu- geben, erfolgt einstimmig über alle Fraktionen und in ausdrücklicher Übereinstimmung mit der politischen Leitung des BMVBS. Mit Befremden haben wir Versu- che der letzten Tage zur Kenntnis genommen, Stellung- nahmen von behördenexternen Fachleuten öffentlich zu diskreditieren. Wissenschaftliche Sorgfalt mag gut sein, aber die politische Verantwortung für Entscheidungen hat das Parlament: Wir übernehmen diese Verantwor- tung im Wissen um die Gefahren, vor denen wir unsere Küste, die Menschen hinter den Deichen und das Wat- tenmeer wirksam schützen wollen. Wir erwarten jetzt, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4207 (A) (C) (B) (D) dass die Ausschreibung schnellstmöglich erfolgt, weil die Lieferzeiten für Motoren, Propeller, Getriebe und an- dere Großkomponenten über 18 Monate betragen und aufgrund der erfreulichen Auslastung der Werften für den Bau der Notschlepper zwei Jahre kalkuliert werden müssen. Hans-Michael Goldmann (FDP): Die unendliche Geschichte Notfallschlepper für Nord- und Ostsee nähert sich endlich einem guten Ende, eine Geschichte, bei dem sich das Bundesverkehrsministerium nicht gerade mit Ruhm beklekkert hat. Nach dem Pallas-Unglück hatte die Regierung die Projektgruppe „Notschleppen“ einge- setzt und die FDP hat immer begrüßt, dass das flächen- deckende Vorhalten ausreichender Notschleppkapazität als staatliche Aufgabe zum Schutz der deutschen Küsten anerkannt wurde. Doch zunächst wurde jahrelang mit den Experten von der Küste darüber gestritten, ob der geplante neue Not- fallschlepper für die Nordsee eine Tiefgangsbeschrän- kung von 6 Meter haben sollte oder nicht. Alle Verbände an der Küste waren dagegen, doch das Ministerium war nicht davon abzubringen. Auch ein von der Schutzge- meinschaft Deutsche Nordseeküste, SDN, eingereichtes Gutachten führte zu keiner Reaktion der Verwaltung. Erst als die FDP 2003 eine Kleine Anfrage an die Bun- desregierung richtete, bequemte sich das Verkehrsminis- terium dazu, auf das Schreiben der SDN zu reagieren. Nachdem dieser Streit endlich mit dem Kompromiss eines variablen Tiefgangs beendet wurde und wir alle dachten, nun geht es voran, vergaß das Ministerium für den Haushalt 2005 die nötigen Haushaltsmittel zu bean- tragen. Nun verging wiederum mehr als ein Jahr, in dem wir uns über Geschwindigkeit, Pfahlzug und Gas- und Explosionsschutz auseinander setzten. Noch in der Ant- wort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der FDP von diesem Frühjahr hieß es kategorisch, dass eine Nachbesserung beim Notschleppkonzept nicht notwen- dig sei. All diese Auseinandersetzungen hätten wir uns erspa- ren können, wenn das Ministerium nicht so gemauert hätte, wenn das Ministerium sich einer offenen und ehr- lichen Diskussion mit den Fachleuten von der Küste ge- stellt hätte. Die Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste, die Insel- und Hallig-Konferenz und der Deutsche Nautische Verein haben sich beim Ringen um den bestmöglichen Schutz unserer Küstengewässer und unserer Küsten sehr verdient gemacht und das Gutachten der SDN und die Stellungnahme des Deutschen Nautischen Vereins zum Notschleppkonzept der Bundesregierung haben dann letztlich auch die Große Koalition überzeugt. Die FDP begrüßt dies und deshalb gab es keinen ver- nünftigen Grund mehr, unseren eigenen Antrag aufrecht- zuerhalten. Ich freue mich, dass wir nach so vielen Jah- ren endlich zu einer gemeinsamen Position gefunden haben. Ich schließe mich dem Dank der SDN an meine Kol- legen von der SPD und der CDU an, dass sie nicht locker gelassen und das Ministerium zur Einsicht bewegt ha- ben. Aber ich möchte hier auch betonen, dass die FDP seit Jahr und Tag immer wieder den Finger in die Wunde gelegt und den Druck auf das Ministerium aufrechterhal- ten. Wir haben diverse Kleine Anfragen und parlamenta- rische Fragen zu diesem Komplex auf den Weg gebracht, immer wieder auf die Widersprüche in der Haltung des Ministeriums und auf Versäumnisse hingewiesen. Allerdings wird die heutige Freude dadurch getrübt, dass die Einigung im Verkehrsausschuss sich noch nicht im Haushalt wiederfindet. Die erhöhten technischen An- forderungen an die Schlepper werden nicht zum Nullta- rif zu bekommen sein. Mehr Sicherheit kostet mehr Geld. Auch wurde versäumt, die bisherigen Verzögerun- gen bei der Ausschreibung durch eine längere Laufzeit der Verpflichtungsermächtigung zu kompensieren. Da- bei hat das PwC-Gutachten eindeutig festgestellt, dass der Bau und Betrieb eines Schleppers durch ein privates Unternehmen sich nur rechnet, wenn die Charterlaufzeit zehn Jahre beträgt. Deshalb müssen wir bei den bald be- ginnenden Beratungen zum Haushalt 2007 dafür sorgen, dass die Verpflichtungsermächtigung von 2016 auf 2018 verlängert wird und dass überprüft wird, ob die Anforde- rungen an die neuen Notfallschlepper mit dem alten Haushaltsansatz wirklich zu realisieren sind. Durch die entsprechende Mittelbereitstellung sollte auch deutlich werden, dass bei den geforderten hohen Ansprüchen an die neuen Notfallschlepper das überragende Know-how deutscher Schiffsingenieurkunst zum Einsatz und die Wertschöpfung der deutschen Küste zugute kommen kann. Mit einiger Verzögerung werden wir nun also leis- tungsstarke Notfallschlepper bekommen, die auch der Tatsache Rechnung tragen, dass der Schiffsverkehr mit immer größeren Schiffen zunimmt. Das ist ein gutes Sig- nal für die Küste. Dorothee Menzner (DIE LINKE): Das, worum es bei diesen Anträgen geht, ist ein Thema, bei dem wir lei- der immer wieder geneigt sind, es zu verdrängen oder auf die lange Bank zu schieben. Es geht um die Seenot- konzepte in der Nordsee und in der Ostsee, um die Si- cherheit von Menschen und um Lebensräume. Da freue ich mich, dass es dem Verkehrsausschuss des Bundes- tags in der letzten Sitzung gelungen ist, aus den Vorlagen der Fraktionen einen gemeinsamen Beschluss zu zau- bern. In Nord- und Ostsee brauchen wir die passenden Schiffe, um für alle Notfälle gewappnet zu sein, nicht ir- gendwelche, sondern die richtigen, die es im Notfall auch wirklich schaffen, Gefahren abzuwenden. In der Ostsee fehlt bislang ein kräftiges Schleppschiff, zumal es dort die Kadettrinne gibt, die nördlich der deut- schen Küste ihre Tücken hat. Dort nimmt bei größeren Schiffen die nutzbare Fahrrinne auf wenige hundert Me- ter ab. Da sollten wir handeln und für Schleppkraft sor- gen, bevor es zu spät sein könnte. Zwar hat die Parlamentarische Staatssekretärin in der Ausschusssitzung auf die Haushaltszwänge hingewie- sen. Wir sollten aber trotzdem aufpassen, dass der Pfahl- zug – die Zugkraft bei Notschleppschiffen – nicht zu 4208 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) sehr der Kassenlage angepasst wird. Wir sollten uns auch nicht Trugschlüssen hingeben und uns jetzt sicherer fühlen, nur weil die EU endlich Schritte in die Wege lei- tet, um für den Seetransport schwerer Öle den Einsatz von Schiffen mit doppelten Tankhüllen zu forcieren. Die neue Regelung ist nämlich beileibe nicht für alle Schiffe verbindlich. Sie lautet: Ölschiffe, die Schweröle beför- dern, dürfen nur dann eine Flagge der Gemeinschaft füh- ren, wenn es sich um Doppelhüllen-Öltankschiffe han- delt. Im Klartext heißt das: Öltanker, die nicht unter der Flagge eines EU-Staates fahren, dürfen nach wie vor Einhüllenschiffe sein und trotzdem schweres – hochgif- tiges – Öl transportieren. Dies bedeutet weiterhin erheb- liche Risiken und zwingt uns, weiterhin über mehr Si- cherheit nachzudenken. Sicherheit ist stets das Resultat technischer, organisatorischer und personeller Maßnah- men. Erinnern wir uns: Vor vier Jahren zerbrach der alters- schwache Einhüllentanker „Prestige“ vor der spanischen Küste. Er hatte von Estland aus die Ostsee durchfahren, gehörte einer griechischen Reederei, fuhr aber unter der Flagge der Bahamas. Spanische und portugiesische Be- hörden entschieden falsch: Statt das Schweröl beizeiten aus dem Schiff zu pumpen, begann eine folgenschwere Odyssee. Welche Konsequenzen sollten wir daraus ziehen? Egal ob EU oder Nicht-EU: Die personelle Qualifikation lässt sich an allen Küsten stets verbessern. Nur wenn es möglich ist, die Zeichen einer Gefahr zu erkennen, sind die zuständigen Stellen in der Lage, Havarien zu vermei- den. Nur dann können sie die passende technische Hilfe rechtzeitig organisieren. Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die Schiffsunfälle der letzten Jahre haben immer wieder deutlich gemacht, welchen Gefahren die Küsten ausgesetzt sind und wie wichtig Notschlepper zur unmit- telbaren Gefahrenabwehr sind. Ein aktuelles, an die Entwicklung des Seeverkehrs angepasstes Notschlepp- konzept ist ein zentrales Element der maritimen Notfall- vorsorge für die deutsche Nord- und Ostseeküste. Des- halb hat die grüne Fraktion als erste Bundestagsfraktion bereits im Februar dieses Jahres, die Bundesregierung dazu aufgefordert, das derzeitige Notschleppkonzept zu überprüfen und zu aktualisieren. Wir freuen uns sehr, dass mittlerweile auch die anderen Bundestagsfraktionen unserem Beispiel gefolgt sind und fast identische Forderungen an die Bundesregierung ge- stellt haben, die wir nun in einem interfraktionellen An- trag gemeinsam an die Bundesregierung richten können. Der Küstenschutz ist eine so wichtige Aufgabe, dass wir hier dringend an einem Strang ziehen müssen. Die deutschen Küsten liegen an den am stärksten fre- quentierten Seeverkehrswegen der Welt. Allein Russland will seine Ölexporte aus den Ostseehäfen bis 2010 ver- doppeln. Damit steigt die Anzahl der Tanker, die mit der in der Ostsee maximal möglichen Größe von 150 000 bis 160 000 tdw, tons deadweight, aus den baltischen Verla- dehäfen kommen. Für Tanker dieser Größe reicht der vom Bundesverkehrsministerium im Jahr 2001 empfoh- lene Mindest-Pfahlzug von 80 Tonnen für den in Rostock- Warnemünde stationierten Notschlepper nicht aus, er muss über eine Schleppleistung von mindestens 100 Tonnen verfügen. In Anbetracht der Entwicklung in der internationalen Containerschifffahrt mit Schiffsgrößen über 9 000 TEU, die die deutschen Nordseehäfen schon heute – 2001: 6 500 TEU – regelmäßig anlaufen, muss auch die Schleppleistung des vor Norderney stationierten Not- schleppers angepasst werden. Die Schleppleistung in der Nordsee muss auf mindestens 200 Tonnen erhöht wer- den. Ebenso erhöht werden muss die Geschwindigkeit in der Nordsee auf mindestens 19 Knoten. Denn die Not- schlepper müssen den dynamischen Auftrieb, den Con- tainerschiffe, die in der Regel mit hoher Deckladung fahren, erzeugen, zusätzlich noch überwinden und ihre Zugkraft in Abhängigkeit von der Windstärke noch er- heblich erhöhen. Ein weiteres Problem ist, dass auf Containerschiffen im umfangreichen Maße Gefahrengüter nach dem so ge- nannten IMDG-Code – „International Maritime Dange- rous Goods“ – transportiert werden. Im Falle einer Ha- varie muss die Notschlepper-Besatzung dringend vor gefährlichen Gasen geschützt werden. Deshalb müssen die Notschlepper in Nord- und Ostsee mit einem Schutz gegen gefährliche Gase nach der GL-Richtlinie für den Bau von Chemikalienunfall-Bekämpfungsschiffen aus- gerüstet werden. Gemeinsam fordern alle Fraktionen des Deutschen Bundestages die Bundesregierung dazu auf, künftige Notschlepper nach diesen Kriterien zu verbessern. Denn nur auf diese Weise können wir unsere Küsten ange- sichts des massiv zugenommenen Seeverkehrs und der Entwicklung zu immer größeren Schiffen schützen. Anlage 28 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Antrag: Selbstbestimmtes Leben in Würde ermöglichen – Transsexuellenrecht umfas- send reformieren – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Passgesetzes (Tagesordnungspunkt 25 und Zusatztagesord- nungspunkt 10) Helmut Brandt (CDU/CSU): Wir diskutieren heute über einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die eine umfassende Novellierung des Transsexuellen- rechtes fordern. Unterstützt wird die Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen in ihren Forderungen zum Teil durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 6. De- zember 2005. Das Bundesverfassungsgericht hat in die- sem Urteil eine Reform des Namensrechts für Transse- xuelle verlangt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4209 (A) (C) (B) (D) Das Transsexuellengesetz ermöglicht einem trans- sexuellen Menschen, seinen Vornamen zu ändern, ohne eine geschlechtsanpassende Operation durchführen zu müssen – so genannte kleine Lösung. Personenstands- rechtlich wird er dabei weiterhin seinem im Geburtenre- gister eingetragenen Geschlecht zugerechnet. § 7 Abs. 1 Satz 3 TSG entzieht ihm aber den gewählten Vornamen, wenn er heiratet, um den Eindruck zu vermeiden, dass gleichgeschlechtliche Partner eine Ehe eingegangen sein könnten. Das Gericht entschied, dass der durch § 7 Abs. 1 Satz 3 TSG erzwungene Verlust des geänderten Vornamens bei Heirat wissenschaftlich weitgehend über- holt sei und das von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Namensrecht eines homo- sexuell orientierten Transsexuellen verletze, solange die- sem eine rechtlich gesicherte Partnerschaft nicht ohne Verlust des geänderten, seinem empfundenen Geschlecht entsprechenden Vornamens eröffnet ist. Das Bundesver- fassungsgericht hat § 7 Abs. 1 Satz 3 TSG im Wege ei- ner Anordnung nach § 35 BVerfGG für nicht anwendbar erklärt und den Gesetzgeber aufgefordert, eine neue Lö- sung zu finden. Mit ihrem Antrag beabsichtigt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nunmehr die Beseitigung von Regelungen im Transsexuellengesetz, die transsexuelle Menschen daran hindert, ihrer Identität gemäß zu leben. Es handelt sich jedoch bei der Novellierung des Trans- sexuellengesetzes um eine juristisch äußerst komplexe Materie. Bereits im Jahre 2000 wurden deshalb zur Er- mittlung des tatsächlichen Änderungsbedarfs die Betrof- fenen, die Innenministerien und Senatsverwaltungen der Länder sowie verschiedene Verbände und Sachverstän- dige gebeten, ihre Erfahrungen mit dem TSG und den aus ihrer Sicht bestehenden Änderungsbedarf mitzutei- len. In Zusammenhang mit diesen Stellungnahmen sowie insbesondere in Zusammenhang mit dem Urteil des Bun- desverfassungsgerichts in dieser Sache halten auch wir es für erforderlich, verschiedene Regelungen des Trans- sexuellenrechts zu modifizieren. Gerade bei den im vor- liegenden Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angesprochenen Regelungen handelt es sich jedoch in der Mehrzahl um Fragen, zu denen sehr divergierende Expertenmeinungen vorliegen. Wir kommen deshalb nicht umhin, uns die einzelnen Forderungen in Hinblick auf ihre Realisierbarkeit sehr genau anzuschauen und uns mit ihnen im Einzelnen auseinander zu setzen. Als relativ unproblematisch eingeschätzt wird dabei die Forderung der Grünen nach Abschaffung der Beteili- gung eines Vertreters des öffentlichen Interesses. Da die Einwände des Vertreters des öffentlichen Interesses bis- lang in kaum einem Fall Bestand hatten, kann nach ziemlich einhelliger Expertenansicht auf seine Mitwir- kung im Verfahren der Vornamensänderung nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 TSG künftig verzichtet werden. Aufgrund der mit einer Operation immer verbunde- nen Risiken spricht – zumindest meiner Ansicht nach – sicher auch einiges dafür, auf das Erfordernis einer ope- rativen Annäherung an das Erscheinungsbild des ande- ren Geschlechts zum Zwecke einer Änderung des Perso- nenstands gemäß § 8 TSG zu verzichten. Es gibt sicherlich beachtliche Motive, aus denen heraus ein Transsexueller vor einer Operation zurückschreckt. Auch in der Fachwissenschaft wird deshalb ein operati- ver Eingriff als Voraussetzung für die Änderung der Ge- schlechtszugehörigkeit zunehmend als problematisch beziehungsweise für nicht mehr haltbar erachtet. Für problematisch halte ich jedoch die Forderung von Bündnis 90/Die Grünen, die Änderung des Vornamens statt wie bisher von einer prognostisch sicheren Dia- gnose künftig nur noch von der einfachen Feststellung abhängig zu machen, dass sich eine Person aufgrund ih- rer transsexuellen Prägung nicht mehr dem in ihrem Ge- burtseintrag angegebenen, sondern dem anderen Ge- schlecht als zugehörig empfindet. Dies ermöglicht einen sehr schnellen Wechsel zu einem Vornamen des anderen Geschlechts und ermöglicht meiner Meinung nach ein leichtfertiges und missbräuchliches Verhalten. Ebenfalls für juristisch sehr problematisch halte ich die Bemühung der Grünen, das Verfahren nach dem TSG hier lebenden Ausländern zu ermöglichen. Dies könnte im Heimatland, in dem die betreffende Person nur unter ihrem Geburtsnamen existiert, zu erheblichen Problemen führen. Komplikationen ergäben sich über- dies im internationalen Privatrecht. Keinesfalls verzichten werden wir auf das Ledigkeits- gebot des § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG als Voraussetzung für die Änderung des Personenstands. Mit dem Wegfall dieser Voraussetzung würde ermöglicht, dass zwei Menschen des gleichen Geschlechts miteinander verheiratet wären. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit mehrfach, zuletzt bei der Entscheidung zum Lebenspart- nerschaftsgesetz, festgestellt, dass die Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG die Verbindung von Mann und Frau zur grundsätzlich unauflösbaren Lebensgemeinschaft dar- stellt. Die Ehe von zwei Personen des gleichen Ge- schlechts kommt deshalb aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht in Betracht. Eine Änderung von § 8 TSG mit dem Ziel eines Verzichts auf die Ehelosigkeit als Voraus- setzung für die Feststellung der Geschlechtszugehörig- keit würde insoweit die Gefahr einer grundgesetzwidri- gen Regelung beinhalten. Ob der in diesem Zusammenhang geforderte so genannte „gleitende Über- gang von Ehe in die Lebenspartnerschaft“ möglich ist, bedarf aufgrund der unterschiedlichen Rechtsinstitute und der unterschiedlichen Rechtsfolgen bei Auflösung der Ehe oder Lebenspartnerschaft einer sehr genauen Prüfung. Meiner Meinung nach ist ein gleitender Über- gang jedoch nicht machbar. Den im Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beschriebenen faktischen Beschränkungen bei der Reise- freiheit von Transsexuellen im deutschen Passrecht wird durch eine Änderung des Passgesetzes begegnet werden. Der derzeitige Entwurf zur Novellierung des Passrechts sieht hierzu vor, dass Transsexuelle bereits bei vorlie- gender Vornamensänderung nach § 1 TSG eine von ihrer personenstandsrechtlichen Geschlechtszugehörigkeit ab- weichende Geschlechtsangabe auf Antrag im Pass erhal- ten können. 4210 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Angesichts der im Übrigen teilweise äußerst komple- xen rechtlichen Problematik wird ein Reformgesetz zum Transsexuellengesetz nicht mehr im Jahre 2006 vorge- legt werden können. Auch erscheint es sinnvoll, eine Be- arbeitung erst nach Abschluss der Personenstandsrechts- reform zu ermöglichen. Gabriele Fograscher (SPD): In der heutigen De- batte geht es um das Transsexuellenrecht. Damit greifen Bündnis 90/Die Grünen Forderungen des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland für eine Reform des Gesetzes auf. Auch wenn dieses Thema nur wenige betrifft, so ist eine Novellierung des Transsexuellenrechts von 1980 für die Betroffenen von erheblicher Bedeutung. Festzu- stellen ist, dass seit In-Kraft-Treten des Transsexuellen- rechts im Jahr 1980 neue wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen werden konnten. So wird zum Beispiel ein operativer Eingriff für die Änderung der Geschlechtszu- gehörigkeit in der Fachwissenschaft zunehmend als pro- blematisch beziehungsweise nicht mehr für haltbar er- achtet. Viele Transsexuelle wollen die Identität des anderen Geschlechts annehmen, scheuen aber die operative Ge- schlechtsangleichung und somit den Eingriff in ihre kör- perliche Unversehrtheit. Deshalb wählen sie die so ge- nannte „Kleine Lösung“, das heißt, sie lassen ihren Vornamen ändern und drücken damit die Zugehörigkeit zu dem Geschlecht aus, mit dem sie sich identifizieren. Damit beginnen die Probleme, denn eine Änderung des Vornamens beinhaltet nach geltendem Recht keine Personenstandsänderung. So findet sich zum Beispiel im Reisepass ein weiblicher Vorname zu einem männlichen Geschlecht. Das Problem ist deshalb akut, da zum Bei- spiel die USA keine vorläufigen Reisepässe, in denen das Geschlecht nicht angegeben war, nicht mehr aner- kennen. Hinzu kommt, dass vorläufige Reisepässe ohne Geschlechtsangabe seit dem 31. Dezember 2005 nicht mehr ausgestellt werden. Damit ist den Transsexuellen auch dieser Weg versperrt. Dieser Widerspruch in den Reisedokumenten kann bei der Grenzabfertigung zu Dis- kriminierungen und gegebenenfalls zu Einreiseverwei- gerungen des Betroffenen führen. Die Reisefreiheit der Transsexuellen, die die „Kleine Lösung“ für sich ge- wählt haben, wird in unzulässigerweise eingeschränkt. Aber auch in Hotels oder Banken, wo Ausweise vor- gelegt werden müssen, kann der Widerspruch zwischen Geschlecht, Vornamen und äußerem Erscheinungsbild zu großen Schwierigkeiten führen. Deshalb unterstützt die SPD-Bundestagsfraktion das Anliegen der Trans- sexuellen auf Ausstellung widerspruchsfreier Pässe bei der „Kleinen Lösung“. Da das Bundesinnenministerium bereits eine zeitnahe Änderung des Passgesetzes in Aussicht gestellt hat, in dem auch weitere Fragen behandelt werden sollen, greift der FDP-Gesetzentwurf zur Änderung des Passgesetzes einem umfassenden Gesetzgebungsverfahren vor und ist somit hinfällig. Aber auch in Deutschland gibt es Probleme: Heiratet ein Mann, der transsexuell ist und seinen Vornamen in ei- nem weiblichen geändert hat, eine Frau, so wird ihm der weibliche Vorname aberkannt, weil sonst eine gleichge- schlechtliche Ehe, nicht Lebenspartnerschaft, zugestanden würde. Damit werden seine Persönlichkeitsrechte verletzt. Dieses hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 6. Dezember 2005 als verfassungswidrig eingestuft. Deshalb besteht hier Handlungsbedarf. Die weiteren Forderungen des Schwulen- und Les- benverbandes Deutschlands und von Bündnis 90/Die Grünen in dem vorliegenden Antrag sind unter anderen die Absenkung der Anforderungen für die so genannte „Kleine Lösung“, der Wegfall der Bedingung eines ope- rativen Eingriffs als Voraussetzung für eine Personen- standsänderung, die Anwendung des Transsexuellen- rechts auch auf alle Ausländer, die ihren Wohnsitz oder regelmäßigen Aufenthalt in Deutschland haben und die Umwandlung einer Ehe in eine Lebenspartnerschaft auf Wunsch der Eheleute bei einer Geschlechtsumwandlung. Diese Anliegen der Transsexuellen sind in einem anste- henden Gesetzgebungsverfahren eingehend zu prüfen. Deshalb fordern meine Fraktion und ich die Bundes- regierung auf, den notwendigen Gesetzentwurf zur Überarbeitung des Transsexuellenrechts unverzüglich vorzulegen, damit das geltende Transsexuellenrecht, das in Teilen vom Bundesverfassungsgericht als verfas- sungswidrig eingestuft wurde, an die neuen Anforderun- gen angepasst wird. Des Weiteren fordern wir die Bun- desregierung auf, die Ausstellung widerspruchsfreier Reisedokumente für Transsexuelle sicherzustellen. Da der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen einem ge- ordneten und umfassenden Gesetzgebungsverfahren vor- greift, lehnen wir diesen Antrag ab. Jörg van Essen (FDP): Es ist lange her, dass sich der Deutsche Bundestag in einer Plenardebatte mit dem Transsexuellenrecht befasst hat. Es wäre der Sache sehr angemessen gewesen, wenn wir hierzu eine lebendige Debatte im Plenum gehabt hätten. Ich bedaure daher au- ßerordentlich, dass die Debatte an einem so ungünstigen und späten Termin stattfindet. Das Thema, mit dem wir uns heute zu befassen ha- ben, ist für die FDP keineswegs ein Randthema. Die In- teressen von transsexuellen Menschen sind für uns sehr wichtig. Es war daher auch die FDP, die zum Trans- sexuellenrecht in den vergangenen Jahren immer wieder parlamentarische Initiativen und Anfragen an die Bun- desregierung gestartet hat. Das Transsexuellengesetz ist seit dem In-Kraft-Treten am 1. Januar 1981 nicht mehr geändert worden. Es ist daher allgemeine Meinung, dass das Gesetz nun nach 26 Jahren dringend der Reform be- darf. In den vergangenen Jahren hat sich aufgrund von wis- senschaftlichen Untersuchungen und Erfahrungsberich- ten der Kenntnisstand über das Leben transsexueller Menschen wesentlich vergrößert. Das Transsexuellenge- setz ist daher in der Vergangenheit von den Verbänden, von Sachverständigen und Betroffenen oft kritisiert und Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4211 (A) (C) (B) (D) Reformbedarf angemahnt worden. Insbesondere die lange Verfahrensdauer, Anzahl und Qualität der zu er- stellenden Sachverständigengutachten, aber auch die ge- richtliche Feststellung der Zugehörigkeit zum anderen Geschlecht und das Fehlen einer begleitenden psycho- therapeutischen Behandlung werden von den Betroffe- nen wiederholt als vorrangig reformbedürftig dargestellt. Hoffnung kam auf, als das Bundesministerium des In- nern im Jahr 2000 die Verbände der Betroffenen und Sachverständige um Stellungnahme zu den Erfahrungen mit dem Transsexuellengesetz gebeten hat. Mit Span- nung wurde die Auswertung dieser Befragung erwartet. Bis zum heutigen Tage liegt sie jedoch nicht vor. Die FDP-Bundestagsfraktion hat es immer außeror- dentlich bedauert, dass die rot-grüne Bundesregierung in den vergangenen sieben Jahren ihrer Regierungszeit un- tätig geblieben ist und keinerlei Anstrengungen unter- nommen hat, das Transsexuellengesetz zu reformieren und damit die Situation der Betroffenen erträglicher zu machen. Die Antworten der rot-grünen Bundesregierung auf die Anfragen der FDP waren stets ernüchternd. Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt es daher, dass bei Bündnis 90/Die Grünen endlich ein Umdenken stattge- funden hat, und sie mit ihrem Antrag zum Transsexuel- lenrecht nun auch Reform- und Handlungsbedarf erken- nen. Die FDP-Bundestagsfraktion legt zur heutigen Debatte einen Gesetzentwurf zur Änderung des Passge- setzes vor. Damit wollen wir erreichen, dass künftig si- chergestellt wird, dass bei Transsexuellen die Ge- schlechtsangabe in Reisepässen dem Geschlecht des Vornamens angepasst wird. Wir nehmen damit eine For- derung auf, die von transsexuellen Männern und Frauen in den vergangenen Jahren immer wieder erhoben wurde und von den Betroffenen als prioritär bezeichnet wurde. Transsexuelle, die sich für die so genannte kleine Lö- sung entschieden und keine Veränderung ihrer äußeren Geschlechtsmerkmale vorgenommen haben, können eine personenstandsrechtliche Änderung ihres Ge- schlechts nicht beantragen. Sie haben aber die Möglich- keit, ihren Vornamen ändern zu lassen. Dies führt dazu, dass Name und Geschlecht in Widerspruch zueinander stehen. Eine Identität zwischen Name, Geschlecht und äußerem Erscheinungsbild ist nicht gegeben. Dies führt immer wieder dazu, dass insbesondere bei Auslandsrei- sen Transsexuelle vielfältigen Diskriminierungen ausge- setzt sind, da in ihrem Pass ein Geschlecht angegeben ist, das nicht ihrer empfundenen Geschlechtszugehörig- keit entspricht. Dieser Zustand muss umgehend beseitigt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem beach- tenswerten Beschluss vom Dezember letzten Jahres ent- scheidende Vorschriften des Transsexuellengesetzes für verfassungswidrig erklärt und eine Reform des Trans- sexuellengesetzes angemahnt. In dem Beschluss hat das Gericht in beeindruckender Klarheit ausgeführt, dass sich die in dem Transsexuellengesetz zugrunde liegen- den Annahmen über die Transsexualität inzwischen in wesentlichen Punkten als wissenschaftlich nicht mehr haltbar erwiesen haben. Das Gericht kommt insbesondere zu einer Neubewer- tung der Situation von Transsexuellen, die sich für die „kleine Lösung“ entschieden haben. Das Gericht erteilt der These, wonach die „kleine Lösung“ für einen Trans- sexuellen nur ein Durchgangsstadium zur „großen Lösung“ sei, eine klare Absage. Das Bundesverfassungs- gericht sieht daher für eine unterschiedliche personen- standsrechtliche Behandlung von Transsexuellen mit und ohne Geschlechtsumwandlung keine haltbaren Gründe mehr. Zur Lösung des Problems legt das Gericht dem Ge- setzgeber ausdrücklich nahe, das Personenstandsrecht dahin gehend zu ändern, dass ein bei einer nachgerichtli- chen Prüfung gemäß den §§ 1 ff. des Transsexuellenge- setzes anerkannter Transsexueller ohne Geschlechts- umwandlung rechtlich dem von ihm empfundenen Geschlecht zugeordnet wird. Dies wird mit der vorge- schlagenen Änderung im Passgesetz erreicht. Auch die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage erst kürzlich erklärt, dass Transsexuelle die gleichen Möglichkeiten zu Auslandsreisen ohne Diskri- minierungen erhalten müssen wie alle anderen Bürger auch. Erst vor wenigen Tagen hat sich auch der Peti- tionsausschuss des Deutschen Bundestages für eine ent- sprechende Änderung des Passgesetzes ausgesprochen. Wir möchten sicherstellen, dass Transsexuelle gesell- schaftlich und rechtlich entsprechend der neuen ge- schlechtlichen Identität behandelt werden. Die FDP weist ausdrücklich darauf hin, dass eine isolierte Ände- rung des Passgesetzes auf keinen Fall ausreichend ist. Pa- rallel hierzu brauchen wir eine Gesamtreform des Trans- sexuellengesetzes. Ich fordere die Bundesregierung auf, den Handlungsauftrag des Bundesverfassungsgerichts ernst zu nehmen und dem Deutschen Bundestag umge- hend einen Gesetzentwurf vorzulegen. Äußerungen aus dem Bundesinnenministerium aus jüngster Zeit geben wenig Anlass zur Hoffnung, dass dieses Problem dort ernst genommen wird. Die Bundesregierung war bisher nicht bereit, einen Zeitpunkt zu nennen, wann mit einem solchen Gesetzentwurf zu rechnen ist. Die FDP-Bundes- tagsfraktion wird daher nicht nachlassen in ihrer Forde- rung nach einer Reform des Transsexuellengesetzes. Ich würde mich sehr freuen, wenn endlich auch die Koalitionsfraktionen bereit wären, anzuerkennen, dass der Gesetzgeber in dieser wichtigen Frage der Gesell- schaftspolitik nicht weiter untätig bleiben darf. Ich ap- pelliere an die anderen Fraktionen, dieses Thema nicht zum Gegenstand von parteipolitischen Auseinanderset- zungen zu machen. Das Thema und die berechtigten In- teressen der Betroffenen sind dafür zu ernst. Es wäre der Sache dienlich, wenn wir gemeinsam zu einer vernünfti- gen, sachgerechten und vor allem zeitnahen Lösung kommen würden. Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Transsexuellenrecht muss grundlegend reformiert werden. Ziel der Reform muss sein, trans- sexuellen Menschen in Deutschland ein selbstbestimm- tes Leben in Würde zu ermöglichen. Es geht um eine kleine Gruppe von Menschen. Die Probleme, die ihnen das geltende Recht bereitet, sind dagegen ziemlich groß. 4212 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Bei seiner Einführung 1981 hatte das Transsexuellenge- setz große Fortschritte gebracht. Viele seiner Regelungen entsprechen aber nicht mehr dem heutigen sexualwissen- schaftlichen Kenntnisstand. Auch das Bundesverfassungs- gericht hat im Dezember 2005 festgestellt: Die dem Transsexuellengesetz zugrunde liegenden Annahmen über die Transsexualität haben sich in- zwischen in wesentlichen Punkten als wissenschaft- lich nicht mehr haltbar erwiesen. Was ist zu tun? Die Zugangsvoraussetzungen für das Transsexuellengesetz müssen deutlich liberalisiert wer- den. Das gilt sowohl für die Annahme eines Vornamens des anderen Geschlechts, die so genannte kleine Lösung, als auch für die personenstandsrechtliche Änderung des Geschlechts, die so genannte große Lösung. Das auf- wendige Gutachterwesen muss reformiert, bürokratische Hemmnisse müssen beseitigt werden. Der Gesetzgeber darf transsexuelle Menschen für eine Personenstandsän- derung nicht mehr auf den Operationstisch zwingen, wenn sie darin für sich keine Notwendigkeit sehen. Das Recht muss Menschen unterstützen, selbstbestimmt ihrer Identität gemäß zu leben, anstatt sie in bürokratische Raster zu pressen. Ein weiterer wichtiger Bereich: Transsexuellen muss es ermöglicht werden, eine rechtlich abgesicherte Part- nerschaft mit der Partnerin bzw. dem Partner ihrer Wahl zu führen. Das hat das Bundesverfassungsgericht klarge- stellt. Es kann auch nicht sein, dass verheiratete Trans- sexuelle, die sich für eine personenstandsrechtliche Än- derung des Geschlechts entscheiden, von Staats wegen zur Scheidung gezwungen werden, wenn die Partner zu- sammenbleiben wollen. Uns müssen doch die Persön- lichkeitsrechte, der Schutz des Privatlebens dieser Paare wichtiger sein als Prinzipienreiterei. Zudem müssen auch Transsexuelle mit der kleinen Lösung die gleichen Möglichkeiten zu Auslandsreisen ohne Diskriminierungsgefahr erhalten wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger. Das neuerdings geltende Pass- recht zwingt Transsexuelle, die ihren Vornamen nach dem Transsexuellengesetz geändert haben, mit einem Geschlechtseintrag im Reisepass zu reisen, der weder ih- rer Identität noch ihrem Erscheinungsbild entspricht. Damit sind entwürdigende Diskriminierungen bei Grenzkontrollen vorprogrammiert. Die Bundesregierung hat auf unsere Anfrage hin vage in Aussicht gestellt, hier irgendwann etwas im Passrecht zu tun. Übergangsrege- lungen hat sie aber abgelehnt. Aber was ist mit Menschen, die noch dieses Jahr eine Geschäftsreise unternehmen müssen? Was ist mit Men- schen, die in dringenden Familienangelegenheiten ins Ausland reisen müssen? Sollen sie warten, bis sich die Bundesregierung sich dazu bequemt, endlich die Hürden für Transsexuelle zu beseitigen? Oder sollen sie Gefahr laufen, bei der Einreise peinlich befragt oder gar am Flughafen zurückgewiesen zu werden? Hier muss sofort etwas geschehen. Es gibt mittlerweile eine ganze Sammlung von Ver- fassungsgerichtsurteilen, die für die Persönlichkeits- rechte der Betroffenen und gegen Restriktionen im Transsexuellengesetz Stellung bezogen haben. Eine wei- tere Entscheidung zum Scheidungszwang für verheira- tete Personen, die eine Personenstandsänderung vorneh- men wollen, steht an. Wir sollten als Gesetzgeber nicht immer auf das Verfassungsgericht warten, sondern nun selbst eine grundlegende Überarbeitung in Angriff zu nehmen. Der frühere Innenminister konnte sich für dieses Thema nie erwärmen und hat alle Reformvorstöße abge- wimmelt. Wir Grüne konnten bei der Einführung des Le- benspartnerschaftsgesetzes aber immerhin das Ansinnen des Bundesinnenministers abwehren, die vom Verfas- sungsgericht im Dezember 2005 hinsichtlich der Ehe für verfassungswidrig erklärte Regelung zum geänderten Vornamen auf das Lebenspartnerschaftsgesetz zu über- tragen. Das hat dann zumindest für heterosexuelle Trans- gender mit der kleinen Lösung einen gewissen Fort- schritt gebracht. Jetzt muss ein großer Wurf folgen, die umfassende Neugestaltung des Transsexuellenrechts. Die jetzige Bundesregierung sah sich auf unsere An- frage hin nicht in der Lage, einen Zeitpunkt für die Ein- bringung eines Gesetzentwurfes zur Änderung des Transsexuellengesetzes zu nennen. Begründet wurde dies mit der Belastung des zuständigen Referats im Bun- desministerium des Inneren mit der Reform des Perso- nenstandsrechts. Bei allem Verständnis für dessen Nöte: Es kann den transsexuellen Bürgerinnen und Bürgern doch nicht zu- gemutet werden, über die weitere Zukunft des Trans- sexuellengesetzes möglicherweise über Jahre hinweg im Unklaren gelassen zu werden. Es handelt sich hier schließlich für die betroffenen Menschen um lebensprä- gende Sachverhalte, die ihre Persönlichkeitsrechte im Kern berühren. Verzögerungen können für sie verlorene Lebensjahre bedeuten. Auch im Petitionsausschuss gibt es zahlreiche Einga- ben zum Transsexuellenrecht, die zeigen, wie notwendig eine Reform ist. Erst letzte Woche hat der Petitionsaus- schuss einstimmig zwei Eingaben von Transsexuellen zur Partnerschaftsregelung und zum Passrecht unter- stützt. Das ist ein wichtiges Signal. Ich hoffe sehr, dass wir im Parlament einvernehmlich zu einer raschen Re- form des Transsexuellengesetzes kommen. Mit unserem Antrag wollen wir hierzu den Anstoß geben. Anlage 29 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Entwürfe: – Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts – Erstes Gesetz zur Änderung des Unterhalts- vorschussgesetzes (Tagesordnungspunkt 26 a und b) Ute Granold (CDU/CSU): Wir haben bereits in der vergangenen Legislaturperiode über die Reform des Un- terhaltsrechts diskutiert. Wegen der vorgezogenen Neu- wahlen konnte aber der im Mai 2005 erstmals vorgelegte Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums nicht Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4213 (A) (C) (B) (D) weiter verfolgt werden. Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD haben sich im Koalitionsvertrag dazu ver- pflichtet, die Situation von Familien mit Kindern weiter zu verbessern. Kinder sollen beim Unterhalt an erster Stelle stehen. Die Eigenverantwortung nach der Ehe soll gestärkt und eine Harmonisierung der Steuer- und so- zialrechtlichen Bestimmungen angestrebt werden. Auf der Grundlage des Referentenentwurfs ist unter diesen Vorgaben der Entwurf für das Unterhaltsände- rungsgesetz erarbeitet worden. Die gesellschaftliche Re- alität von Ehe und Familie hat sich in den vergangenen Jahren, vor allem im großstädtischen Milieu, wesentlich verändert. Die Zahl der Scheidungen steigt von Jahr zu Jahr. Viele dieser Ehen werden schon nach relativ kurzer Dauer geschieden, etwa 50 Prozent davon sind kinder- los. Außerdem hat sich die Rollenverteilung in der Ehe mehr und mehr verändert. Immer häufiger bleiben beide Partner – auch nach der Geburt der Kinder – berufstätig oder nehmen ihren Job nach einer erziehungsbedingten Pause wieder auf. Doch neben dieser noch relativ „klassischen“ Famili- enstruktur haben sich zunehmend neue Familienformen herausgebildet. Immer mehr Kinder leben in nicht eheli- chen Lebensgemeinschaften oder bei einem allein erzie- henden Elternteil. So haben etwa ein Drittel der über zwei Millionen „ohne Trauschein“ zusammenlebender Paare Kinder. Da immer häufiger kurze Ehen geschieden werden, kommt es nach der Scheidung zur Gründung von „Zweitfamilien“, was durch die unzureichenden Re- gelungen des derzeitigen Unterhaltsrechts oft soziale Notlagen zur Folge hat. Mit diesem gesellschaftlichen Wandel ist auch ein Wertewandel verbunden: Der schon heute im Gesetz verankerte Grundsatz der Eigenverantwortung nach der Ehe stößt vor diesem Hintergrund auf eine immer grö- ßere Akzeptanz. Es besteht Konsens, dass die Kinder als „schwächstes Glied in der Kette“ eines besonderen Schutzes bedürfen, da sie, anders als Erwachsene, nicht selbst für ihren Unterhalt sorgen können. Vor diesem Hintergrund ergeben sich neue Herausfor- derungen und Zielsetzungen für den Gesetzgeber. Eine nachhaltige und verantwortungsvolle Familienrechtspo- litik muss sich sowohl den gesellschaftlichen Verände- rungen als auch den gewandelten Wertvorstellungen stellen. Leitlinien einer solchen Politik müssen zum ei- nen die verfassungsrechtlich gebotene Gleichberechti- gung von ehelichen und nicht ehelichen Kindern und zum anderen der durch unsere Verfassung garantierte be- sondere Schutz der Ehe sein. Zusätzlicher Handlungsdruck ergibt sich für den Ge- setzgeber aus der Tatsache, dass die Gerichte die Ge- setze bereits heute weit auslegen müssen, um in allen Fällen sachgerechte Lösungen zu finden. Die Rechtspre- chung, insbesondere auch die des Bundesverfassungsge- richtes, hat uns inzwischen eingeholt und eine Reihe wegweisender Urteile in Richtung der heute diskutierten Reform gefällt. So wird auch in Kürze damit gerechnet, dass das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber in der Frage der Benachteiligung von nicht ehelichen Kin- dern bei der Dauer des Betreuungsunterhalts zu Neure- gelungen verpflichten wird, da die bisherige Regelung in ihrer Reichweite wohl nicht verfassungskonform ist. Der jetzige Gesetzentwurf zur Neuregelung des Un- terhaltsrechts verfolgt im Wesentlichen drei Ziele: die Förderung des Kindeswohls, die Stärkung der Eigenver- antwortung nach der Ehe und die Vereinfachung des Un- terhaltsrechts. Das Kindeswohl steht im Mittelpunkt der Reform und ist der Grund für die rechtspolitisch wichtigste Änderung: die Neuregelung der Rangfolge im Mangelfall. Künftig konkurrieren im ersten Rang die minderjährigen und auch die ihnen gleichgestellten, noch in der allgemeinen Schulausbildung befindlichen volljährigen Kinder nicht mehr mit den Ehegatten. Vielmehr hat der Kindesunter- halt Vorrang vor allen anderen Unterhaltsansprüchen. Da Kinder, anders als Erwachsene, keine Möglichkeit haben, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen, ist ihnen am wenigs- ten zuzumuten, auf ergänzende Sozialleistungen ange- wiesen zu sein. Im zweiten Rang finden sich dann alle Kinder betreu- enden Elternteile – unabhängig davon, ob sie verheiratet sind oder waren und ob sie das Kind alleine oder ge- meinsam erziehen. Durch diese Neuregelung werden demnach jeder Ehegatte und auch nicht verheiratete El- tern hinsichtlich ihres Ranges gleichbehandelt, sofern sie ein Kind betreuen. Ebenso schutzbedürftig ist aber auch der Ehegatte bei längerer Ehedauer im Hinblick auf seine weiteren Unter- haltsansprüche. Auch er findet sich daher im zweiten Rang. Dabei wird das Kriterium „Ehe von langer Dauer“ bewusst nicht näher konkretisiert, um den Gerichten in kritischen Verteilungs- bzw. Konkurrenzfällen ein Kor- rektiv zur Verfügung zu stellen und damit eine Grund- lage für Einzelfallgerechtigkeit zu schaffen. Weniger So- lidarität kann dagegen der Ehegatte verlangen, der nur kurz verheiratet war und keine Kinder zu betreuen hat. Folglich steht dieser entsprechend im dritten Rang. Bei der weiteren Rangfolge ergeben sich gegenüber dem gel- tenden Recht im Wesentlichen keine Veränderungen. Im Übrigen geht es bei der Neufassung auch darum, die mit der geltenden Rechtslage verbundene Benachtei- ligung der nicht ehelichen Kinder ein Stück weit abzu- bauen. Das in diesem Zusammenhang in Kürze erwar- tete Urteil des Bundesverfassungsgerichtes habe ich bereits erwähnt. Bisher wird den nicht ehelichen Kin- dern zugemutet, dass ihre Mütter bereits nach dem drit- ten Lebensjahr wieder einer Erwerbstätigkeit nachgehen müssen, während geschiedene Mütter ihre Kinder deut- lich länger betreuen können. Unter dem Aspekt des Kin- deswohls klafft hier die „Schere“ zwischen geschiede- nen und nicht verheirateten Elternteilen zu weit auseinander. Diese Schere gilt es im Interesse der Kinder ein Stück weit zu schließen. Eine weitere wesentliche Neuerung zum Wohl des Kindes ist die gesetzliche Definition des Mindestunter- halts minderjähriger Kinder. Durch die Bezugnahme auf den Kinderfreibetrag aus dem Einkommensteuerrecht wird nicht nur die dringend notwendige weitgehende Harmonisierung mit dem Steuerrecht erreicht, sondern 4214 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) auch die von Bundestag und Bundesverfassungsgericht geforderte Normenklarheit geschaffen. In einem paralle- len Gesetzgebungsverfahren wird das Unterhaltsvor- schussgesetz entsprechend angepasst werden. Die geän- derte Rangfolge und die Normenklarheit beim Mindestunterhalt sind zusammengenommen ein wichti- ger Schritt, um die Akzeptanz von Unterhaltszahlungen an die Kinder zu erhöhen und somit das zentrale Ziel der Reform zu erreichen. Die nacheheliche Eigenverantwortung wird durch den Entwurf ebenfalls in mehrfacher Hinsicht gestärkt. Das Unterhaltsrecht darf kein bestimmtes Ehebild vorgeben. Die Ehegatten sind in der Ausgestaltung der Ehe und der Wahl der Rollenverteilung frei und durch Art. 6 GG um- fassend geschützt. Aus diesem Grundgesetzartikel ergibt sich aber auch eine fortwirkende nacheheliche Solidari- tät, die sich im Unterhaltsrecht des BGB widerspiegelt. Dieser verfassungsrechtliche Rahmen lässt dem Gesetz- geber durchaus Spielräume, um gesellschaftlichen Ver- änderungen Rechnung zu tragen. In diesem Punkt sieht der aktuelle Gesetzentwurf eine wichtige Neuerung vor, der für die allgemeine Akzeptanz des Unterhaltsrechts in der Bevölkerung von großer Bedeutung ist. So fasst der Gesetzentwurf den Grundsatz der Eigenverantwortung neu und eindeutiger. Dies wird sich insbesondere auf die nun engere Auslegung der Unterhaltstatbestände und das bisher pauschal angewendete „Altersphasenmodell“ beim Betreuungsunterhalt auswirken. Flankiert wird diese Maßnahme durch eine ver- schärfte Anforderung an die Wiederaufnahme einer Er- werbstätigkeit. Nach der geltenden Rechtslage kann es dem geschiedenen Ehegatten oft nicht zugemutet wer- den, in eine früher ausgeübte Erwerbstätigkeit zurückzu- kehren. Vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels ist dies gerade bei kürzeren Ehen für den Unter- haltspflichtigen nicht zumutbar. Trotzdem bleiben nach dem Gesetzentwurf die ehelichen Lebensverhältnisse als Korrektiv erhalten. Dem Richter bleibt also auch hier ein Spielraum, im Einzelfall die Zumutbarkeitskriterien für eine eigene Erwerbstätigkeit des geschiedenen Ehegat- ten höher zu setzen. Die nacheheliche Eigenverantwor- tung wird zusätzlich durch die Einführung einer neuen, alle Unterhaltsansprüche erfassenden Billigkeitsrege- lung gestärkt, nach der Unterhaltsansprüche in Bezug auf Höhe und Dauer beschränkt werden können. Um Härtefälle bei bereits geschiedenen Ehen zu vermeiden, sind entsprechende Übergangsregelungen vorgesehen. Der Grundsatz der Vereinfachung des Unterhalts- rechts ist bei der vorgesehenen Vereinfachung der Anre- chung des Kindergeldes besonders deutlich zu erkennen. Die neue Regelung der Kindergeldverrechnung weist das Kindergeld unterhaltsrechtlich dem Kind zu. Das Kindergeld wird also von vornherein bedarfsmindernd berücksichtigt. In der Folge erhöht sich dann durch das Kindergeld der Betrag, der zur Bedarfsdeckung zur Ver- fügung steht. Dies wird den künftig im zweiten Rang Berechtigten zugute kommen. Auf diesem Weg gelingt es uns, die negativen Auswirkungen auf das Realsplit- ting zum größten Teil zu kompensieren, die sich sonst aus der Neuordnung der Rangverhältnisse ergeben wür- den. Die weitere Harmonisierung des Unterhaltsrechts mit dem Steuer- und Sozialrecht, die auch vom Bundesver- fassungsgericht eingefordert worden ist, muss nun in den nächsten Schritten erfolgen. Wir sollten die jetzige Re- form nicht überfrachten und zunächst das Wichtigste auf den Weg bringen. Das ist mit diesem Gesetzentwurf ge- währleistet. Vor diesem Hintergrund hoffe ich auf konstruktive Beratungen und vertraue darauf, dass es uns gelingen wird, diese für die Betroffenen so wichtige Reform zü- gig zu verabschieden. Christine Lambrecht (SPD): Das Recht des nach- ehelichen Unterhalts gilt seit 1977 fast unverändert. Es steht nun vor einer grundlegenden Überarbeitung, die vor dem Hintergrund sich seitdem rasant gewandelter gesellschaftlicher Verhältnisse dringend notwendig ist; denn es regelt einen zentralen Aspekt familiärer Verant- wortung. Steigende Scheidungszahlen, die vermehrte Gründung von Zweitfamilien nach einer gescheiterten Ehe und die zunehmende Zahl von Kindern, deren Eltern in einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft leben oder allein erziehend sind, zeigen ein verändertes Bild fami- liärer Realität. Des Weiteren zeigen auch das geänderte Rollenver- ständnis und die steigende Zahl von Mangelfällen, in de- nen das Einkommen des Unterhaltspflichtigen nicht mehr für alle Unterhaltsberechtigten reicht, dass die Zeit für eine Überarbeitung des Unterhaltsrechts gekommen ist. Insbesondere ist dabei an die Situation der unter- haltsbedürftigen minderjährigen Kinder angesichts der alarmierenden Tatsache, dass heute fast 40 Prozent aller Sozialhilfeempfänger Kinder sind, zu denken. Eine Re- form des Unterhaltsrechts ist daher sehr zu begrüßen. Das Unterhaltsrecht muss aus den gesellschaftlichen Veränderungen Konsequenzen ziehen. Wir brauchen mehr Verteilungsgerechtigkeit im Mangelfall. Wir müs- sen die Abhängigkeit der Kinder von Sozialhilfe und an- deren staatlichen Transferleistungen verringern. Der Regierungsentwurf zur Änderung des Unterhalts- rechts sieht vor allem drei Ziele vor: Förderung des Kin- deswohls, Stärkung der nachehelichen Eigenverantwor- tung und Vereinfachung des Unterhaltsrechts. Zur Stärkung des Kindeswohls soll die unterhaltsrechtliche Rangfolge geändert werden. Dahinter steht zu Recht der Gedanke, dass die Akzeptanz der Unterhaltspflicht ge- genüber eigenen Kindern höher ist als die Akzeptanz von Zahlungen an den früheren Partner. So sieht das Ge- setz vor, dass der Kindesunterhalt zukünftig Vorrang vor allen anderen Unterhaltsansprüchen hat. Dies gilt für den Unterhalt von minderjährigen Kindern und von volljäh- rigen unverheirateten Kindern bis zu 21 Jahren, die im elterlichen Haushalt leben und noch zur Schule gehen. Im Interesse der Kinder stehen gleichfalls alle diejenigen Personen im zweiten Rang gleichberechtigt nebeneinan- der, die ein Kind betreuen und aus diesem Grunde unter- haltsbedürftig sind. Nur dann, wenn die Ehe von langer Dauer ist oder war, befindet sich auch der Ehegatte mit seinen sonstigen Unterhaltsansprüchen im zweiten Rang. Dies ist bedeutend, um Partner einer langjährigen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4215 (A) (C) (B) (D) Ehe einen entsprechenden Unterhalt zu gewährleisten. Der Gesetzentwurf trägt damit zugleich auch dem Schutz der Ehe Rechnung. Die Zahl der Kinder, die so- zialhilfebedürftig sind, weil Erwachsene vorrangig un- terhaltsberechtigt sind, wird durch diese Neuregelung künftig sinken. Darüber hinaus soll auch die Situation der unter be- sonderer Belastung stehenden allein erziehenden, nicht verheirateten Eltern verbessert werden. Diese sollen den Betreuungsunterhalt unter leichteren Voraussetzungen auch noch über das dritte Lebensjahr des betreuten Kin- des hinaus bekommen. Auch im Interesse der Kinder würden damit nicht verheiratete Mütter besser als bis- lang gestellt. Der Mindestunterhalt soll zudem in Anlehnung an den steuerlichen Freibetrag für das sächliche Existenz- minimum eines Kindes gesetzlich definiert werden. Dies bringt zum einen Klarheit für die betroffenen Familien und führt zum anderen zu einer Harmonisierung von Un- terhalts-, Steuer- und Sozialrecht bei der Bestimmung des Mindestbedarfs von Kindern. Zusätzlich wird end- lich die unterschiedliche Höhe der Unterhaltsansprüche von Kindern in Ost und West abgeschafft. Die Neurege- lung der Kindergeldverrechnung, wonach das Kinder- geld bereits bei der Ermittlung des Bedarfs des Kindes berücksichtigt wird, ordnet die Kindergeldleistung im Ergebnis zweckentsprechend den Kindern zu und führt ebenfalls zu einer wesentlichen Vereinfachung der Un- terhaltsberechnung. Die Regelbetrag-Verordnung ent- fällt völlig. Der Entwurf stärkt schließlich die nacheheliche Ei- genverantwortung und verankert diese im Gesetz durch die Schaffung einer neuen, alle Unterhaltstatbestände er- fassenden Möglichkeit, Unterhaltsansprüche in Bezug auf die Höhe oder den Unterhaltszeitraum zu beschrän- ken. Dies gilt etwa dann, wenn der Unterhaltsberechtigte mit einem neuen Partner in einer verfestigten Lebens- partnerschaft lebt. Zugleich werden die Anforderungen an die Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit nach der Scheidung verschärft. Für Geschiedene soll damit darauf hingewirkt werden, dass sich diese nach der Scheidung selbst wieder eine neue Perspektive verschaffen. Ge- richte werden zugleich zur Abkehr vom starren Alters- phasenmodell durch die stärkere Betonung der Eigenver- antwortung im Hinblick auf den Betreuungsunterhalt des geschiedenen Ehegatten angehalten. Hierbei ist jedoch auch die konkrete Situation wie Ausbildung, Alter und Möglichkeiten im Erwerbsleben zu berücksichtigen. Um zu vermeiden, dass die notwendige Anpassung des Unterhaltsvorschussgesetzes an die Unterhalts- rechtsreform zu einem Absinken der Vorschüsse führt, sieht der Gesetzentwurf Mindestbeträge auf dem Niveau des bisherigen Unterhaltsvorschusses in den alten Bun- desländen vor. Ungeachtet aller Änderungen gilt aber: Das Unter- haltsrecht muss in besonderem Maße dem Einzelfall ge- recht werden und ein über Jahre gewachsenes Vertrauen in die nacheheliche Solidarität schützen. In diesem Sinne freue ich mich auf konstruktive Beratungen. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): Nicht nur aus Sicht der FDP, sondern auch nach den ei- genen Worten der Bundesregierung und ihrer Vertreter stellt die Reform des Unterhaltsrechts eine der wichtigs- ten und dringendsten rechtspolitischen Reformen dieser Wahlperiode dar. Nicht ohne Grund hat die FDP sowohl in dieser, als auch bereits in der vergangenen Wahlperio- de immer wieder auf diese wichtige Baustelle der Rechts- und Gesellschaftspolitik aufmerksam gemacht. Ich begrüße es, dass diese überfällige Reform nun auch endlich dem Bundestag zu den Beratungen vorge- legt wird. Umso enttäuschender und unverständlich ist es jedoch, dass die Koalition dieser Reform so geringen Stellenwert beimisst – oder wie erklären Sie sich die Uhrzeit, zu der die erste Beratung angesetzt ist? Hat nicht Herr Staatssekretär Hartenbach erst in der Sitzung des Bundesrates am 19. Mai – also vor gut ei- nem Monat – zu diesem Gesetzentwurf gesagt, dass diese Reform nur akzeptiert werden kann, wenn das neue Unterhaltsrecht von einer breiten Mehrheit getra- gen wird? Wenn Ihnen die Reform und ihre gesellschaft- liche Akzeptanz wichtig ist – warum scheuen Sie für die erste Debatte der Unterhaltsreform das Tageslicht und suchen die nachtschlafene Dunkelheit? Die geplanten Änderungen im Unterhaltsrecht stellen eine gute Grundlage für die parlamentarischen Beratun- gen dar. Es hat jedoch lange gedauert, bis uns dieser Ent- wurf nun zur Beratung vorgelegt wurde. Nach vielfachen Ankündigungen und mehrfacher Vorlage von Eckpunk- tepapieren aus dem Justizministerium zeigt sich, dass die Bundesregierung immerhin einige der vielen Vorschläge aufgegriffen hat, die wir als FDP bereits in der vergange- nen und auch in dieser Legislaturperiode diesem Hohen Hause vorgelegt haben: Stärkung der Eigenverantwortung nach der Ehe und das Kindeswohl in den Mittelpunkt der unterhaltsrechtli- chen Reformüberlegungen zu stellen – dies hat die FDP neben anderen Änderungen bereits 2004 vorgeschlagen! Und erst ein halbes Jahr nach unserer Großen Anfrage stellte Frau Zypries das erste Mal „ihre“ Eckpunkte zur Reform vor. Teilweise Ähnlichkeiten der Vorlage von Bundesjustizministerin Zypries zu unseren Initiativen sind zu erkennen. Scheinbar hat die Regierung erkannt, dass liberale Gedanken und Ansätze diese Reform ein gutes Stück voranbringen. Leider fehlen noch einige Punkte; dazu komme ich aber später. Es geht bei dieser Reform aber nicht nur um Ände- rungen, die an einigen Paragraphen des BGB vorgenom- men werden. Es geht um sehr viel mehr. Es geht auch um die Frage, wie der Gesetzgeber künftig seine Bilder von Ehe und Familie, Solidarität und Eigenverantwor- tung und dem Wohl von Kindern den gesellschaftlichen Wandlungen anpassen und in familienrechtlichen und gesellschaftspolitischen Entscheidungen Ausdruck ver- leihen will. Nehmen wir die Frage nach dem Bild der Ehe: Die Gründe für die Eheschließung haben sich in den vergan- genen Jahrzehnten gewandelt. Anfang des 20. Jahrhun- derts musste kaum zwischen den verfassungsrechtlich 4216 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) geschützten Institutionen der Ehe und der Familie unter- schieden werden. Kinder wuchsen vornehmlich in der Ehe auf. Der familiäre Verbund verschmolz in dieser Zeit über die Beziehungen zwischen Vater, Mutter und Kindern hinaus zu einer Erziehungs- und Wirtschaftsge- meinschaft. Ehe und Familie standen im Zentrum der Gesellschaft. Aus dieser Perspektive resultierte auch das unter liberaler Hand Mitte der 90er-Jahre abgeschaffte Stigma der Unehelichkeit. Vorher gab es nur schwarz oder weiß, ehelich oder unehelich. Als bürgerlich ange- sehen wurde nur, wer ehelich geboren war. Den außere- helich Geborenen haftete die gesellschaftliche Missach- tung an. Eine entsprechende Konsequenz in der Anpassung der Rechtslage an die tatsächliche gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Entwicklung erwarte ich jetzt von der schwarz-roten Bundesregierung bei der Reform des Unterhaltsrechts! Denn es hat sich einiges getan: Die Ehe wird von vielen Bürgerinnen und Bürgern nur noch als eine der vielen möglichen Formen des Zu- sammenlebens angesehen. Andere Lebensformen wie ein Zusammenleben und Füreinander-Einstehen ohne Trauschein in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft oder in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft sind heute gesellschaftlich akzeptiert. Fernbeziehungen über mehrere hundert Kilometer gehören gerade in Zeiten der Flexibilität am Arbeitsplatz zum Alltag vieler junger Menschen. Die Häufigkeit von anderen Lebensgemeinschaften als der Ehe lässt sich auch mit Zahlen belegen: Seit 1996 ist die Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften um ein gutes Drittel angestiegen. In demselben Zeitraum hat sich in den alten Bundesländern die Zahl der nicht- ehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern um fast drei Viertel erhöht! Im März 2004 lebten in Deutschland 2,5 Millionen Alleinerziehende mit Kindern – und das ist bereits jede fünfte Eltern-Kind-Gemeinschaft. Auch Familien sind deutlich kleiner geworden; in der Mehr- heit der jungen Familien leben ein oder maximal zwei Kinder. Das althergebrachte bürgerliche Modell der Ehe, bei dem es primär um soziale und wirtschaftliche Faktoren bei der Partnerwahl ging, hat ausgedient. Heute sind emotionale Aspekte bei der Partnerwahl entscheidend. Diese neue Partnerschaftlichkeit hat inzwischen auch weitgehend das patriarchalische Ehe- und Familienbild beseitigt. In der gesellschaftlichen Wirklichkeit ist das Bild des bestimmenden männlichen Oberhauptes der Fa- milie überholt. Die vor allem von der Union häufig noch wiederholten und empfohlenen Rollenmuster und Auf- gabenverteilungen sind nicht mehr allgemeingültig! Die schwarz-rote Koalition wird sich mit diesen ge- sellschaftlichen Wandlungen auseinander setzen müs- sen! Es hilft niemandem, wenn an dem alten Bild der Ehe – wenn möglich auch noch der typischen Einverdie- nerehe – festgehalten wird. Nicht nur die gesellschaftli- che, sondern auch die Arbeitswelt ist mittlerweile eine andere. Nicht selten arbeiten beide Ehepartner, wenn auch zeitweise nur Teilzeit; Väter beginnen, sich um die Erziehung ihrer Kinder zu kümmern. Auch die Hausar- beit teilen sich bereits viele Paare – und das unabhängig davon, ob sie verheiratet sind oder in so genannter wil- der Ehe leben. Aus liberaler Sicht müssen die gesetzlichen Rahmen- bedingungen so ausgestaltet werden, dass jeder sein Le- ben in Gemeinschaft mit anderen so ausgestalten kann, wie er will. Kein Bürger darf in ein bestimmtes Modell gezwungen werden. Es ist zu begrüßen, dass sich in Parallelität zur Wand- lung der Institution der Ehe auch das Familienbild wan- delt. Denn Familie ist nicht nur in einer Ehe möglich. Familie ist vielmehr überall dort, wo Kinder sind. Dies muss auch der Schwerpunkt aller Überlegungen einer Unterhaltsreform sein. Wir Liberale haben dies bereits mit mehreren parlamentarischen Initiativen in der ver- gangenen und der jetzigen Legislaturperiode immer wie- der deutlich gemacht: Es darf in der anstehenden Reform nicht darum gehen, Erwachsene in und nach einer ein- mal „errungenen“ Ehe finanziell abzusichern. „Unterhalt bis ins Grab“ darf in der heutigen Zeit nicht mehr Folge des Jawortes bei der Eheschließung sein! In einer aufge- klärten und selbstständigen Gesellschaft trägt jeder Er- wachsene Verantwortung für sich und sein Tun. Dies be- deutet für jeden Ehepartner, die eigenen Ziele und Verantwortlichkeiten während einer Ehe nicht aus den Augen zu verlieren. Der Gesetzgeber ist nun gefordert, auf der einen Seite die Eigenverantwortung in und nach der Ehe zu stärken und auf der anderen Seite die Übernahme von Verant- wortung bei der Erziehung und Betreuung von Kindern zu fördern. Dies wird ein Schwerpunkt der Reform sein. Wichtig ist aber auch, die familiären Verantwortlichkei- ten von Alleinerziehenden, nicht miteinander verheirate- ten Eltern und der Sandwichgeneration zu prüfen und den geänderten gesellschaftlichen Bedingungen anzu- passen. Eltern muss es stets möglich sein, der Betreuung von Kindern im erforderlichen Umfang einen wichtigen Stellenwert beizumessen und trotzdem ihr eigenes Leben weiterzuverfolgen. Hier werden wir insbesondere über die Unterschiede bei den Unterhaltsansprüchen von be- treuenden Elternteilen reden müssen; denn noch wird sehr deutlich danach unterschieden, ob die Eltern verhei- ratet waren oder ob das Kind aus einer nichtehelichen Beziehung stammt. Aus unserer Sicht ist die vorgeschlagene Gesetzesän- derung ausgiebig zu diskutieren. Es ist in unser aller In- teresse, und wir befürworten es, dass das Kindeswohl und somit auch deren Anspruch auf Unterhalt, an erster Stelle rangiert. Aber schon im zweiten Rang, der den Unterhalt der betreuenden Mutter sicherstellen soll, wird es unüber- sichtlich. Zwar werden auch hier die Interessen des Kin- des im Interesse einer erleichterten Betreuungsmöglich- keit durch die Mutter in den Vordergrund gestellt. Diesen gleichgestellt werden jedoch auch nur langjährig verhei- ratete Ehefrauen. Mal abgesehen davon, dass der zu ver- teilende Kuchen im zweiten Rang damit schon recht dünn wird, wird der zu findende Ausgleich zwischen der sich in Abhängigkeit befindlichen Ehefrau und dem Inte- resse einer ausreichenden Kindererziehung an dieser Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4217 (A) (C) (B) (D) Stelle durch den Gesetzgeber nur unzureichend gefun- den. Denn auch der Gesetzesbegründung kann nicht hin- reichend konkret entnommen werden, was denn unter dem Gesetzeswortlaut einer „Ehe von langer Dauer“ zu verstehen ist. Die Leittragenden sind die Betroffenen, meistens Frauen, die zugunsten von Ehe und Familie oder im Hinblick auf die Rollenverteilung Karriereein- bußen hinnehmen mussten und deren Betreuungszeit vorüber oder deren Ehe nicht „lang genug“ bestand, aber auch die Rechtsprechung, welche diesen Konflikt jetzt wieder einmal alleine lösen darf. Auch wird es in der Praxis zu erheblichen Problemen bei der Ermittlung der jeweiligen Unterhaltsansprüche, vor allem im zweiten und dritten Rang kommen, da es kein entsprechendes Auskunftsrecht der beispielsweise unterhaltsberechtigten Exfrau gegen den neuen Ehepart- ner des in Anspruch genommenen Ehegatten gibt. Da der Unterhaltsverpflichtete jedoch daran interessiert sein wird, gegenüber der neuen Partnerin möglichst hoch ver- pflichtet zu sein, wäre ein Auskunftsanspruch des Be- rechtigten oder auch des jeweiligen Gerichts dringend notwendig. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Kinderarmut in Deutschland hat viele Seiten: Sie manifestiert sich als Mangel an Bildung, Gesundheit, Mobilität, Freizeitge- staltungsmöglichkeiten, Kultur, ja sogar an gesunder Er- nährung. Der entscheidende Faktor ist dabei das tatsäch- lich verfügbare Einkommen. Etwa 1,7 Millionen Kinder befinden sich im Bezug von Sozialgeld und leben damit auf einem Einkommens- niveau, das sie von einer angemessenen sozialen und ge- sellschaftlichen Teilhabe ausschließt. Das Kinderhilfs- werk der Vereinten Nationen UNICEF hat festgestellt, dass die Kinderarmut in Deutschland seit 1990 im Ver- gleich zu anderen Industrieländern überdurchschnittlich stark angestiegen ist. Die sozialstaatlichen Antworten darauf sind alles andere als ausreichend. Kindergeld, Kinderfreibetrag, Kinderzuschlag und Unterhaltsvorschuss sind in der gegenwärtigen Form als Leistungssystem zur Verhinderung von Kinderarmut völlig ungeeignet. Die Bedarfsgemeinschaft bleibt eine sozialpolitische Fehlkonstruktion, weil sie dem An- spruch, das Existenzminimum von Kindern eigenständig und unabhängig vom Familieneinkommen abzusichern, nicht gerecht wird. Darüber hinaus wird ignoriert, dass Kinder eine eigenständige Bevölkerungsgruppe mit ei- nem eigenständigen Anspruch auf einen Anteil an den gesellschaftlichen Ressourcen sind. Deshalb fordern wir eine Kindergrundsicherung als soziales Recht für jedes Kind, in Form eines individualisierten und existenzsi- chernden Anspruchs unabhängig vom sozialen Status der Eltern. Zur Existenzsicherung von Kindern Alleinerziehen- der gehören auch monatliche Unterhaltszahlungen. So- weit die Theorie. Wie viele Kinder ihren Unterhalt tat- sächlich erhalten, zeigen die Ergebnisse einer Studie zur Zahlungsmoral unterhaltspflichtiger Eltern. Danach er- halten etwa ein Drittel der Kinder den Unterhalt regel- mäßig und in voller Höhe. Ein weiteres Drittel erhält ihn unregelmäßig oder in zu geringer Höhe. Das letzte Drit- tel bekommt ihn selten oder nie. Wird der Unterhalt nicht gezahlt, geht der Staat aus der Unterhaltsvorschusskasse zunächst in Vorleistung. Hier wollen Sie Anpassungen vornehmen, vor allem durch die Anknüpfung der Unterhaltsvorschussleistun- gen an den gesetzlich definierten Mindestunterhalt. Wir begrüßen die Abkehr von der Ost-West-Differenzierung der Höhe des maximalen und minimalen Unterhaltsvor- schusses. Trotzdem kommt es – und nicht nur nach unse- ren Aussagen – zu keiner nennenswerten Erhöhung beim Unterhaltsvorschuss. Der Grund hierfür liegt in der vol- len Anrechung des Kindergeldes auf den Leistungsbe- zug, der bisher nur hälftig stattfand. Als Begründung stellen Sie fest, dass auch das Kindergeld eine Leistung ist, die der Existenzsicherung des Kindes dient. Eine Verbesserung für die Betroffenen bleibt damit jedenfalls aus, denn im Ergebnis bleiben die Leistungsbeträge auf dem gleichen niedrigen Niveau erhalten. Schade ist, dass gegenwärtig die Chance vertan wird, die zeitliche Befristung der Vorschussleistung auszudeh- nen. Zwar ist die überwiegende Zahl der Fälle von Un- terhaltsvorschussleistungen von kurzer Dauer, jedoch die Zahl der „Wiederholungsfälle“ eklatant. Im Hinblick auf die gegenwärtige Arbeitsmarktsituation darf nicht übersehen werden, dass die Kinder aufgrund entstehen- der Arbeitslosigkeit des Barunterhaltsverpflichteten und der zeitlichen Befristung, die Leidtragenden sind. Wieder sind es die Kinder, die im Ergebnis die Zeche für eine verfehlte Politik zahlen müssen. Das muss sich ändern! Deshalb fordern wir die Aufhebung der Befris- tung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Sie versprechen in der Öffentlichkeit, dass das Unter- haltsgesetz im Interesse des Kindes und zur Stärkung des Kindeswohls verändert wird. Tatsache ist: Sie zementie- ren auch in der Reform zum Unterhaltsrecht soziale Un- gerechtigkeiten und verfestigen das Armutsrisiko von Kindern und Alleinerziehenden. Und dies wird auch nicht durch die Änderung der Rangfolge im Unterhalts- recht geändert. Unter Zugrundelegung des existierenden Realsplittings, bei Berücksichtigung der steuerlichen Abzugsfähigkeit nach § 10 Abs. I Nr. 1 EStG für den Ehegattenunterhalt, wird nach dem Modell der Regie- rung das monatliche Einkommen bei den betreuenden Elternteil insgesamt geringer ausfallen, bei gleich blei- bendem Selbstbehalt des Verpflichteten. Die Kinder be- kommen vorrangig Unterhalt, die in der Regel betreu- ende Mutter fällt durch den Rost, wobei insgesamt wieder die Familie finanziell leidet. Die einzigen, wel- che Vorteile daraus ziehen, sind unter dem Strich die Fi- nanzämter. Hier wird wieder einmal den Familien in die Tasche gegriffen. Deshalb müssen Sie sich fragen lassen, wie ihre „Reförmchen“ zu einer nachhaltigen Bekämp- fung nicht nur von Kinderarmut in Deutschland beitra- gen können. Und wie ist die Reform gleichstellungspolitisch zu bewerten? Grundsätzlich ist der Aussage zuzustimmen, dass Erwachsene zunächst selbst für ihren Lebensunter- halt sorgen sollen, während Kinder dazu natürlich nicht in der Lage sind. Auf den ersten Blick ist daher eine 4218 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Veränderung der Rangfolge im Mangelfall – und nur da- rum geht es hier – zugunsten der Kinder überzeugend. Die Folge wird sein, dass geschiedene Frauen, die ihre Existenz nicht eigenständig sichern können, statt Unter- halt stärker auf Sozialleistungen angewiesen sein wer- den – wie der Gesetzentwurf auch einräumt. Wer aber nacheheliche Eigenverantwortung einfordert, muss sich allerdings fragen lassen, welchem Leitbild von ehelicher Arbeitsteilung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefolgt wird. Schlicht, Eigenverantwortung nach der Ehe zu fordern und die Möglichkeiten für Beschränkung der Unterhaltsansprüche zu schaffen, genügt unserer Ansicht nach nicht. Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt, schlechte Kinderbetreuungsinfrastruktur in vielen Bun- desländern, Entgeltdiskriminierungen und auch das Ehegattensplitting tragen nicht zu einem Leitbild der Ei- genverantwortung für Ehefrauen bei. Dies gilt es zu än- dern – aber nicht punktuell im Unterhaltsrecht! Wir fordern in diesem Zusammenhang: ein umfassen- des Konzept zur Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland; einen konsequenten Ausbau einer eltern- beitragsfreien flächendeckenden Kinderbetreuung, um lückenlose Erwerbsbiografien beider Elternteile zu ge- währleisten; eine Kindergrundsicherung in Form eines individualisierten Anspruchs unabhängig vom sozialen Status der Eltern. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zu nachtschlafender Zeit sollten wir nun eigentlich sehr auf- merksam sein: Die Änderung des Unterhaltsrechts be- trifft direkt oder indirekt alle: Schließlich sind wir alle Kinder auch wenn viele bereits erwachsen sind; ein Großteil der Bevölkerung sind Eltern – auch wenn die Zahl der Eltern zunehmend kleiner wird und viele Paare sind verheiratet. Was diese Rollen anbelangt, betrifft das Unterhaltsrecht jeden Einzelnen; denn es geht um das fi- nanzielle Einstehen füreinander. In der Diskussion über die notwendigen Änderungen im Unterhaltsrecht sind sich die meisten einig, dass die Förderung des Kindeswohls im Vordergrund stehen muss. Daran hat sich für mich auch nichts geändert. Was sich aber weiterhin ändert, sind die Familienverhältnisse in unserer Gesellschaft. Ich möchte nur einige Schlag- worte erwähnen: die hohe Scheidungsrate, die aufbre- chende Rollenverteilung, die neuen Familienformen und die Zunahme von „Zweitfamilien“. Vor diesem Hinter- grund muss man sich zu Recht die Frage stellen, ob das Familienrecht diesen Wandel reflektiert. Ich meine, das tut es in einem ganz wesentlichen Punkt, nämlich dem Unterhaltsrecht, nicht. Das Unterhaltsrecht geht davon aus, dass das Ein- kommen einer Familie in der Regel so hoch ist, dass im Fall einer Scheidung alle Familienmitglieder durch ei- gene Unterhaltsansprüche versorgt werden können. Die Realität ist aber leider eine andere. Immer mehr Unter- haltsprozesse drehen sich um den Mangelfall. In vielen Fällen werden die Zahlungen unregelmäßig oder gar nicht getätigt. Kinder sind häufig die Leidtragenden sol- cher Fälle, weil sie unter finanziellen Zwängen aufwach- sen, die ihrer Entwicklung nicht förderlich sind. Hier fin- den wir auch eine zentrale Ursache für die hohe Zahl der minderjährigen Sozialhilfeempfänger. Daher ist die Än- derung in der Rangstellung der Unterhaltsberechtigten ein richtiger Schritt, damit Kinder nicht leer ausgehen. Wenn Väter zudem das Gefühl haben, hauptsächlich für ihre Kinder zu zahlen, kann man vielleicht auf eine höhere Zahlungsmoral hoffen. Was diesen Punkt anbe- langt, bin ich gespannt, wie sich dies auf die Anwendung des Unterhaltsvorschussgesetzes auswirkt. Auch die An- näherung der Unterhaltsansprüche geschiedener und nichtehelicher Elternteile ist richtig. Besonders hart trifft es doch heute die unverheirateten Mütter oder Väter, die ihr Kind oder ihre Kinder betreuen. Nach geltender Rangfolge gehen sie häufig leer aus und erhalten keinen Betreuungsunterhalt. Die Schwelle für eine Verlänge- rung des Betreuungsunterhalts über die ersten drei Jahre hinaus sollte weiter abgesenkt werden, damit die Ge- richte zukünftig mehr Entscheidungsspielraum bekom- men, um dem Einzelfall gerecht werden zu können – im- mer davon ausgehend, wie sich die Situation für das Kind bzw. die Kinder darstellt. Auch die Stärkung des Grundsatzes nachehelicher Ei- genverantwortung finde ich grundsätzlich begrüßens- wert. Erfahrungsgemäß zahlen die Unterhaltspflichtigen „ohne Murren“ für ihre Kinder, mit dem Ehegattenunter- halt nach einer Scheidung ist dies aber tendenziell an- ders. Bei Ehen, die nur einige Jahre gehalten haben, ist dies auch irgendwie nachvollziehbar. Der oder die Ge- schiedene sollte dann irgendwann wieder für sich verant- wortlich sein. Allerdings sind in der heutigen Zeit der Eigenverantwortung von geschiedenen Müttern und Vä- tern Grenzen gesetzt. Ich möchte Sie nur daran erinnern, wie schwierig es in manchen Regionen ist, ein Kinderbe- treuungsangebot zu finden, das es einem ermöglicht, ar- beiten zu gehen. Auch und gerade bei Ehen, die lange gehalten haben, muss dem geschiedenen Partner ein Be- standsschutz gewährt werden. In seiner Grundrichtung entspricht der eingebrachte Entwurf dem grünen Prinzip, Kinder in den Mittelpunkt zu stellen. Dabei wissen wir sehr wohl, dass damit das Geld der betroffenen Familien nicht mehr wird, aber es wird transparenter, nach klareren Regeln und zeitgemä- ßer verteilt. Natürlich werden wir im weiteren Beratungsverlauf kritisch prüfen, ob es hier zu Folgewirkungen in anderen Rechtsgebieten kommt, die nicht in unserem Sinne sind. Gerade in Mangelfällen sollte es nicht dazu kommen, das der Mangel noch größer wird. Vor allem im Interesse der vielen betroffenen Kinder freue ich mich auf die weitere Beratung. Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz: Vor einer Woche wurde im Bundestag das Gesetz zur Ein- führung des Elterngeldes auf den Weg gebracht. Es wird dafür sorgen, dass junge Frauen und Männer ihren Wunsch nach Kindern und ihren Wunsch nach einem er- folgreichen Arbeitsleben künftig besser miteinander ver- binden können. Heute leiten wir ein weiteres wichtiges Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4219 (A) (C) (B) (D) Projekt unserer Familienpolitik ein: die Modernisierung des Unterhaltsrechts. Das Unterhaltsrecht entscheidet darüber, welches Maß an finanzieller Solidarität Familienangehörige von- einander erwarten können. Es regelt einen zentralen As- pekt familiärer Verantwortung. Mit unserer Reform sor- gen wir dafür, dass künftig das Wohl des Kindes im Mittelpunkt des Unterhaltsrechts steht. Unser Ziel ist es, die Situation der minderjährigen Kinder zu verbessern. Auf sie nimmt das geltende Recht zu wenig Rücksicht. 26 Prozent aller Familien bestehen heute aus Alleiner- ziehenden und nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit ihren Kindern. Dieser Tatsache müssen wir auch im Unterhaltsrecht besser Rechung tragen. Es ist schließlich ein erheblicher Unterschied, ob ein Kind in dem Be- wusstsein, von seinen Eltern versorgt zu werden oder aber von Sozialhilfe zu leben, aufwächst. Der Gesetzent- wurf stellt deshalb klar: In Mangelfällen hat der Kindes- unterhalt künftig Vorrang vor allen anderen Unterhalts- ansprüchen. Jeder weiß, dass die Kindererziehung häufig leidet, wenn die elterliche Betreuung zu kurz kommt. Wir wer- den deshalb auch die Unterhaltsansprüche von den El- ternteilen aufwerten, die ein Kind betreuen. Sie sollen künftig privilegiert im zweiten Rang stehen. Im Interesse der Kinder verbessern wir dabei auch die Stellung der Mutter, die nicht mit dem Vater verheiratet ist. Für die Kinder ist es egal, ob zwischen Mutter und Vater eine Ehe bestand oder nicht. Eine gute Betreuung brauchen sie in jedem Fall Ein dritter Aspekt des gesellschaftlichen Wandels auf den wir reagieren, ist die Scheidungsquote. Sie ist in den letzten Jahren beständig gestiegen. Andererseits gründen immer häufiger Menschen nach einer gescheiterten Be- ziehung eine neue Familie. Daraus entstehen die so ge- nannten Patchworkfamilien, die heute keine Seltenheit mehr sind. Auch diese neuen Familien brauchen finan- ziell eine Chance; deshalb können wir beim Unterhalt nach einer Scheidung nicht so weitermachen wie bisher. Wir müssen die finanzielle Eigenverantwortung nach ei- ner gescheiterten Ehe stärken und sie auch ausdrücklich im Gesetz verankern. Ich meine, das ist auch im Sinne der Betroffenen. Bei allen Schwierigkeiten, die es gibt: Eine klare Perspektive für die Zukunft bekommen die Betroffenen auch dadurch, dass sie so schnell wie mög- lich wieder auf eigenen Beinen stehen und nicht mehr von Unterhaltszahlungen abhängig sind. Durch eine Än- derung des Gesetzes wollen wir den Richterinnen und Richtern deshalb mehr Möglichkeiten geben, den Unter- haltsanspruch zu begrenzen – zeitlich und in seiner Höhe. Wir haben in der Vergangenheit häufig – oft einver- nehmlich – über die Notwendigkeit einer Reform des Unterhaltsrechts diskutiert. Viele Menschen warten da- rauf, dass der Gesetzgeber endlich handelt. Ich meine, mit dem Gesetzentwurf liegt jetzt eine solide Grundlage für die weiteren Beratungen vor. Ich würde mich freuen, wenn wir hier zu einer gemeinsamen Lösung kommen würden. Anlage 30 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Ge- setzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft (Tagesordnungspunkt 27) Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): Dass das Urheberrecht den veränderten Bedingungen der Infor- mationsgesellschaft weiter angepasst werden muss, ist unstrittig. Strittig aber ist, wie es dabei zu einem fairen Ausgleich der Interessen von Kreativen, Verwertern und Nutzern kommen kann. Der vorliegende Entwurf leistet dies unserer Auffassung nach nicht. Wir können ihm in der vorliegenden Fassung nicht zustimmen. Die Folgen für die verschiedenen Gruppen der Betroffenen müssen erneut bedacht und diskutiert werden. Darauf sind wir durch eine Flut von Stellungnahmen aufmerksam ge- macht worden. Besonders problematisch sind die Folgen für die Urheber. Wir halten deshalb eine Anhörung für dringend notwendig. Die Urheber müssen nun auch bei diesem Gesetzent- wurf, wie schon beim Folgerecht, gravierende Einbußen hinnehmen. Das ist nicht zu akzeptieren. Die vorgesehe- nen Neuregelungen zu den gesetzlichen Vergütungsan- sprüchen – §§ 54, 54 a RegE – und zu den unbekannten Nutzungsarten – § 31 Abs. 4 UrhG, §§ 31 a und 32 c RegE – führen zweifelsfrei zu einer Schlechterstellung der Kreativen. Wir erinnern daran, dass es ein Urheber- recht ist und auch bleiben sollte, um das es hier geht. Wir sehen in dem Entwurf einen enteignungsgleichen Eingriff in die Rechte der Urheber und ein Geschenk an die Geräteindustrie. Das Anliegen des Urheberrechtes, die Kreativen an der multimedialen Nutzungsmöglich- keit ihrer Werke zu beteiligen und ihnen eine angemes- sene Vergütung ihrer Leistungen zu gewährleisten, wird damit infrage gestellt. Mit diesen Regelungen wird unserer Auffassung nach ein „Systemwechsel“ im Urheberrecht eingeleitet. Das Urheberrecht, dass das Recht der Kreativen schützen soll, wird immer stärker den wirtschaftlichen Interessen der Kulturindustrie angepasst. Der Schutzgedanke des Urheberrechts wird aufgegeben und die Lösung des Inte- ressenkonflikts zwischen Urhebern, Verwertern und Ver- brauchern dem freien Spiel des Marktes überlassen. Dass die ökonomisch Schwächeren, die Kreativen, dabei verlieren müssen, liegt auf der Hand. Wir werden uns deshalb mit unserer Kritik und unseren Änderungsvor- schlägen insbesondere auf diese beiden Rechtskomplexe konzentrieren. Mit dieser Neuregelung zur Vergütungsabgabe wird das verfassungsrechtliche Gebot einer angemessenen Vergütung der Urheber und Leistungsberechtigten in sein Gegenteil verkehrt. Bei jedem Speichermedium muss zunächst nachgewiesen werden, dass zu mehr als 10 Prozent urheberrechtsrelevante Kopien angefertigt werden, bevor eine Vergütungsabgabe überhaupt greift. Außerdem sind jahrelange Rechtsstreitigkeiten program- miert. Die Vergütung für eine zunehmende Zahl von Vervielfältigungen wird an sinkende Gerätepreise 4220 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) gekoppelt und damit beschränkt. Die Deckelung der Pauschalvergütung auf fünf Prozent des Speichermedi- umspreises führt zu einer deutlichen Schlechterstellung der Urheber. Wir werden die Bundesregierung deshalb auffordern, diese Regelung grundsätzlich zu verändern. Ebenso wenig können wir akzeptieren, dass zukünftig Verwertungsverträge über „unbekannte Nutzungsarten“ geschlossen werden können und damit Urheber gezwun- gen sind, zu einer und derselben Vergütung auch neue Nutzungsmöglichkeiten abzutreten. Die Aufhebung des bislang in § 31 Abs. 4 UrhG geltenden generellen Ver- bots für die Einräumung „unbekannter Nutzungsrechte“ ist ein schwerwiegender Eingriff in die ökonomische Entscheidungsfreiheit des Urhebers. Wir lehnen sie des- halb ab. Bei der Festlegung der Vergütungshöhe sehen wir den Staat nach wie vor in der Verantwortung, ein schnelles und klares Verfahren vorzuschlagen, das Rechtssicher- heit für die Rechteinhaber und Nutzer gewährleistet. Wir plädieren dafür, die Vergütungshöhe durch Gesetz oder Rechtsverordnung festzulegen. Die Höhe sollte jeweils den veränderten Bedingungen angepasst werden. Im zweiten Vergütungsbericht der Bundesregierung vom 11. Juli 2000 wurde ausdrücklich auf die Notwendigkeit einer Anhebung der gesetzlichen Vergütungssätze hinge- wiesen. Zweifellos gibt es auch positive Punkte in diesem Entwurf. Die Privatkopie bleibt erhalten. Das ist uns wichtig. Allerdings nur bei nicht kopiergeschützten Wer- ken. Das Umgehen des Kopierschutzes bleibt verboten und strafbar. Wir werden uns als Fraktion in der nächsten Zeit auch intensiv mit den Folgen für die Nutzer und Nutzerinnen im privaten Bereich wie im Bereich der Bildung, Wis- senschaft und Kultur beschäftigen. Unser besonderes Anliegen ist es, einen sozial gleichen Zugang zu den mo- dernen Informations- und Kommunikationstechnolo- gien zu sichern. Gleicher Zugang und gleiche Teilhabe aller an Bildung und Informationen sind ein Menschen- recht. Sie sind auch Bedingung für Wissenschaftsent- wicklung. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme dazu eine Reihe von Empfehlungen gegeben, die wir in unsere Überlegungen einbeziehen werden. So hat er auf die Entfristung des § 52 a UrhG hingewiesen, die auch aus unserer Sicht dringend notwendig ist. Mit dem nun beschlossenen Folgerecht ist die Befristung bis 2008 verlängert worden. Dann wird neu zu diskutieren sein. Wir sprechen uns mit Blick auf die wachsende Bedeu- tung der neuen Informations- und Kommunikationstech- nologien in den Schulen und Hochschulen für einen Er- halt dieser Regelung aus – ohne Befristung. Erforderlich aber ist auch, dass die zur Zahlung einer angemessenen Vergütung Verpflichteten dieser Pflicht tatsächlich nach- kommen. Wir übersehen also die positiven Punkte des Entwurfs nicht, können ihm aber vor allem wegen der gravieren- den Schlechterstellung der Urheber in seiner Gesamtheit nicht zustimmen. Anlage 31 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts (Tagesordnungspunkt 28) Kai Wegner (CDU/CSU): Das Gesetz zur Neurege- lung des Versicherungsvermittlungsrechts dient der Um- setzung der entsprechenden Richtlinie des Europäischen Parlaments. Das ist ein Thema, das die Bundesregierung bereits seit geraumer Zeit beschäftigt. Ziel dieser Richtlinie ist es, die Qualität der Beratung zu verbessern und somit die Interessen der Verbraucher durch eine Registrierpflicht der Vermittler und eine ein- heitliche Normierung der Informations- und Dokumen- tationspflichten zu stärken. Dies muss aber mit dem not- wendigen Fingerspitzengefühl geschehen, da die Vermittler für die Versicherungsbranche den bei weitem größten Umsatz erzielen. Weit über 90 Prozent des Um- satzes wird auf diese Art und Weise erzielt und das soll auch in Zukunft so bleiben. Dennoch besteht Handlungs- bedarf. Zurzeit unterliegt die Versicherungsvermittlung kei- ner Berufszugangsschranke. Sie ist lediglich eine ge- werbliche Tätigkeit im Sinne der Gewerbeordnung. Dies bedeutet, dass ein Versicherungsvertreter seine Tätigkeit nur gegenüber der zuständigen Behörde vor Ort, dem Gewerbeaufsichtsamt, melden muss. Ob er allerdings die fachliche Qualifikation dazu besitzt, auch eine ordentli- che Beratung durchzuführen, spielt dabei bislang leider keine Rolle. Dies wird sich mit der Umsetzung der Richtlinie ändern. Um zum Versicherungsvermittler zu- gelassen zu werden, müssen zukünftig entsprechende Fähigkeiten hierzu nachgewiesen werden. Was beinhaltet dieses Gesetz eigentlich? Hier die wichtigsten Punkte in Kürze: Wie bereits angeklungen, wird die Versicherungsver- mittlung in ein erlaubnispflichtiges Gewerbe umgewan- delt. Es wird in Zukunft nicht mehr ausreichen, sich ein- fach bei der zuständigen Behörde anzumelden. Die Industrie- und Handelskammern sollen künftig über ent- sprechende Anträge entscheiden müssen. Wer in Zukunft Versicherungen vermitteln will, der muss eine entspre- chende Qualifikation nachweisen. Dies wird zu einer hö- heren Qualität der Beratungen und damit zu mehr Ver- braucherfreundlichkeit führen. Durch die Normierung der Informations- und Doku- mentationspflicht des Vermittlers gegenüber dem Kun- den sollen möglichst einheitliche Standards auf diesem Sektor erreicht werden. Auch das wird in vielen Fällen die Qualität der Beratung erhöhen. Entscheidend für die Zulassung sind weiter geordnete Vermögensverhältnisse und ein guter Leumund sowie eine Berufshaftpflichtversicherung; denn gerade bei der Vermittlung von Versicherungen, was ein sehr komple- xes Thema ist, bei dem die meisten Verbraucher auf eine gute Beratung angewiesen sind, kommt es darauf an, dass man demjenigen, der einen berät, auch wirklich ver- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4221 (A) (C) (B) (D) trauen kann. Wie schnell ist ein Vertrag abgeschlossen, den man hinterher bereut, da entweder der Preis zu hoch oder die Leistung zu schlecht ist. Das Gesetz sieht zudem vor, so genannte Schlich- tungsstellen einzuberufen. Diese Stellen können vom zu- ständigen Bundesministerium der Justiz bestellt werden und dienen dazu, eventuelle Streitfälle zwischen Versi- cherungsvermittlern und Versicherungsnehmern außer- gerichtlich zu lösen. Dies beschleunigt die Verfahren un- gemein und senkt gleichzeitig die Kosten eines solchen Verfahrens. Natürlich ist eine Normierung für die Berater mit ei- nem höheren Aufwand verbunden. Allerdings muss auf der anderen Seite auch berücksichtigt werden, dass zum einen die Qualität der Beratungen und damit die Ver- braucher- und Kundenfreundlichkeit steigt, zum anderen Rechtsstreitigkeiten aufgrund der gestiegenen Qualität tendenziell eher vermieden werden, was auch zur Kos- tensenkung beiträgt. Von beidem wird letztlich die Bran- che selbst profitieren und ihren, zumeist zu Unrecht, ramponierten Ruf aufpolieren können. Unser Ziel ist die Stärkung der beiden Seiten: der Ver- sicherten und der Versicherer. In diesem Sinne ist es nicht zielführend, die Versicherungsvermittlungsbranche undifferenziert mit einer Erlaubnispflicht zu überziehen. Deshalb werden die so genannten gebundenen Vertreter, die mit einem Versicherungsunternehmen einen Agen- turvertrag haben, von der Erlaubnispflicht befreit, sofern das Versicherungsunternehmen die uneingeschränkte Haftung für sie übernimmt. Dies betrifft mit immerhin circa 400 000 Vertretern die weitaus größte Zahl der Be- troffenen. Um die mit jeder Erlaubnispflicht verbundene Büro- kratie so gering wie möglich zu halten, wird für Vermitt- ler von Versicherungen, die an ein bestimmtes Produkt gebunden sind, ein vereinfachtes Zulassungsverfahren eingeführt. Dies gilt zum Beispiel für Kfz-Händler, die mit dem Auto gleich eine entsprechende Versicherung verkaufen. Hierdurch werden die Eingriffe in die beste- henden Vermittlungsstrukturen so gering wie möglich gehalten werden. Ich halte es für eine gute Entscheidung, den Industrie- und Handelskammern in Zukunft die Kompetenz über die Erlaubnisanträge zu übertragen. Zum einen können sie aufgrund ihrer dezentralen Struktur die Antragsstel- lung direkt vor Ort vornehmen. Zum anderen besteht eine erstklassige Vernetzung der einzelnen Stellen unter- einander, sodass sie zu einer zentralen Registrierung pro- blemlos in der Lage sind. Deshalb sind Überlegungen, die Berufszulassung könnte von einem branchenübli- chen Verein übernommen werden, verworfen worden. Aufgrund der Vielzahl der Interessen betroffener Ver- bände – Makler, Ausschließlichkeitsvertreter, Großban- ken etc. – erscheint es wenig aussichtsreich, die notwen- dige Neutralität einer solchen Fachaufsicht zu gewährleisten. Darüber hinaus sprechen ordnungspoliti- sche Bedenken dagegen. Das Ziel dieser EU-Richtlinie ist, eine möglichst ein- heitliche Reglung für die gesamte Europäische Union zu schaffen. Die Harmonisierung der Standards soll den grenzüberschreitenden Dienstleistungswettbewerb för- dern und das ist zu begrüßen. Ein Versicherungsvertreter, der in seinem Heimatland registriert ist, wird zukünftig problemlos seine Dienste in allen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union anbieten dürfen. Gleichzeitig wird zum Wohle des Kun- den die Qualität und Kundenfreundlichkeit in Europa auf einem hohen Niveau angeglichen. So wird ein Kunde in Athen eine ähnliche Beratung erhalten wie einer in Ber- lin oder Amsterdam. Zusammenfassend lässt sich sagen: Der vorliegende Gesetzentwurf bietet sowohl für Kunden als auch für Anbieter Vorteile. Der Schlüssel dazu ist ein Zugewinn an Verbraucher- und Kundenfreundlichkeit. Die stei- gende Qualität der Beratungen wird nicht nur dem Kun- den dienen, sondern auch dazu führen, teilweise verlore- nes Vertrauen in die Branche wieder aufzubauen. Es wird Zeit, dass sich die Versicherungsbranche von ih- rem, in den meisten Fällen unverdienten, schlechten Image erholt. Durch die weitestgehende Angleichung in allen Mit- gliedstaaten der Europäischen Union erhalten die Versi- cherungsvertreter die Möglichkeit, auch in anderen Staa- ten ihre Dienste anzubieten. Dabei liegt es nicht in unserem Interesse, die Branche durch Überregulierung zu lahmen. Vielmehr sollten wir dieses Thema mit der nötigen Sensibilität und mit Augenmaß behandeln. Da- her halte ich es für sinnvoll, nach der Sommerpause eine Expertenanhörung durchzuführen, um die Interessen der Betroffenen entsprechend berücksichtigen zu können. Christian Lange (Backnang) (SPD): Das vorgelegte Gesetz dient der Umsetzung der Richtlinie 2002/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. De- zember 2002 über Versicherungsvermittlung. Die Richt- linie, die den Verbraucherschutz und die Harmonisie- rung des Vermittlermarktes zum Ziel hat, hätte von Deutschland bis 15. Januar 2005 in nationales Recht um- gesetzt werden müssen, sodass nun Eile geboten ist. Zu der Verzögerung kam es vor allem durch den anhalten- den Widerstand der Länder gegen das vorgeschlagene Konzept zur Umsetzung der Richtlinie. Inzwischen zei- gen sich aber auch die Länder bereit, das vorgestellte Grundkonzept zu akzeptieren, sodass wir nun doch zu einer hoffentlich zügigen Verabschiedung der Neurege- lung kommen werden. Denn es geht nicht nur darum, der Pflicht zur Umset- zung der EU-Richtlinie zu genügen, sondern es geht um Verbraucherschutz – die Verbraucher sollen durch die Registrierungspflicht und die Normierung der Informa- tions- und Dokumentationspflichten des Vermittlers ge- schützt werden – und darum, die deutschen Versiche- rungsvermittler fit zu machen gegen die europäische Konkurrenz. Die Tätigkeit des Versicherungsvermittlers in einem zusammenwachsenden Europa wird harmoni- siert, und grenzüberschreitende Vermittlungen werden vereinfacht. 4222 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Vonseiten der Versicherungsvermittler wird die beruf- liche Aufwertung, die mit einer Erlaubnispflicht einher- geht, auch sehr geschätzt. Denn es geht auch darum „schwarze Schafe“ aus diesem Gewerbe herauszufiltern. Das dient den Verbrauchern, aber auch den vielen seriö- sen und kompetenten Vermittlern und Beratern in dieser Branche. Den Vorgaben der Richtlinie entsprechend wird der bislang frei zugängliche Beruf des Versicherungsver- mittlers einer Erlaubnis unterworfen. Es ist vorgesehen, dass die Industrie- und Handelskammern Erlaubnis- und Registrierungsstellen für die circa 500 000 einzutragen- den Versicherungsvermittler werden. Damit einher ge- hen Vorschriften über die Qualifikation von Vermittlern, eine Kundengeldsicherung, eine obligatorische Berufs- haftpflichtversicherung sowie Beratungs-, Informations- und Dokumentationspflichten gegenüber dem Kunden. Nach der Richtlinie waren auch die bisher im Rechtsbe- ratungsgesetz geregelten Versicherungsberater in das neu geschaffene System für Versicherungsvermittler zu integrieren. Das heißt, Versicherungsberater müssen sich ebenfalls registrieren lassen und bedürfen nun einer Er- laubnis der IHK, wobei die Anforderungen denen für Versicherungsvermittler entsprechen. Auch die für Ver- sicherungsmakler geltenden Berufsausübungsvorschrif- ten, insbesondere die Beratungs-, Dokumentations- und Informationspflichten, gelten entsprechend für Versiche- rungsberater. Bislang unterliegt die Versicherungsver- mittlung keinerlei Berufszugangsbeschränkungen. Er ist nur zur Anzeige seiner Tätigkeit gemäß § 14 Gewerbe- ordnung verpflichtet. Wichtig ist uns bei der Umsetzung der Richtlinie vor allem, dass das Gesetz zur Neuregelung des Versiche- rungsvermittlerrechts und die Verordnung über die Ver- sicherungsvermittlung den zwangsläufig entstehenden bürokratischen Aufwand auf ein Minimalmaß be- schränkt und dabei das Gleichgewicht zwischen den Ver- braucherschutzzielen und den Interessen der Wirtschaft wahrt. Ich bin zuversichtlich, dass dies gelungen ist. Die Regelungen im Einzelnen. Grundsätzlich bedür- fen alle Versicherungsvermittler nach dem neuen § 34 d der Gewerbeordnung, GewO, einer Erlaubnis der IHK und müssen sich dort registrieren lassen. Sie sind auch für den Widerruf und die Rücknahme der Genehmigung zuständig. Die IHKs bedienen sich für die Registerfüh- rung des DIHK als gemeinsamer Stelle. Versicherungsvermittler sind unter Bußgeldbeweh- rung verpflichtet, sich in das Vermittlerregister eintragen zu lassen. Außerdem werden die Versicherungsunterneh- men verpflichtet, nur mit Vermittlern zusammenzuarbei- ten, die in das Register für Versicherungsvermittler eingetragen sind. Erlaubnisvoraussetzungen sind Zuver- lässigkeit, Abschluss einer Berufshaftpflichtversiche- rung sowie Sachkundenachweis. Der Sachkundenachweis wird durch eine IHK-Prü- fung erbracht, die der bereits seit 1991 von der Branche etablierten Ausbildung zum Versicherungsfachmann/- frau des Berufsbildungswerks der Deutschen Versiche- rungswirtschaft, BWV, entspricht. Dazu haben DIHK und BWV bereits einen Rahmenvertrag abgeschlossen. Gleichwertige staatliche Abschlüsse werden anerkannt. Versicherungsvermittler, die schon seit dem 31. August 2000 tätig waren, genießen Bestandsschutz. Jeder Ver- mittler hat dafür zu sorgen, dass auch seine angestellten Vermittler angemessen qualifiziert und zuverlässig sind. Die circa 400 000 Vermittler, die ausschließlich an ein Versicherungsunternehmen gebunden sind – so ge- nannte Ausschließlichkeitsvertreter –, können von der Erlaubnis befreit werden, wenn sie über eine uneinge- schränkte Haftungsübernahme des Versicherers verfü- gen. Die Verantwortung für die Zuverlässigkeit und die Qualifikation übernimmt dann der jeweilige Versicherer. Für produktakzessorische Vermittler, wie zum Beispiel Autohändler, ist ein vereinfachtes Zulassungsverfahren vorgesehen. Grundsätzlich muss ein Makler als Sachwalter des Kunden seinen Rat auf eine hinreichende Zahl von auf dem Markt angebotenen Versicherungsverträgen und Versicherern stützen, die er im Wege einer objektiv aus- gewogenen Marktuntersuchung zu ermitteln hat. Ver- tragsspezifische anlassbezogene Beratungs-, Informa- tions- und Dokumentationspflichten sowie die Haftung für eine Falschberatung werden normiert. Alle Vermitt- ler, die nicht auf dieser Grundlage beraten, haben dem Kunden die Namen der ihrem Rat zugrunde gelegten Versicherer anzugeben. Der Vermittler muss dem Kunden noch vor Beginn des Beratungsgespräches mitteilen, ob er als Versiche- rungsmakler, als Versicherungsvertreter oder Versiche- rungsberater tätig ist. Durch Normierung dieser statusbe- zogenen Informationspflichten in der Verordnung über die Versicherungsvermittlung soll dem Kunden schon vor Beginn der Beratung größtmögliche Transparenz er- möglicht werden. Grundsätzlich müssen Versicherungs- vermittler, die Zahlungen der Kunden annehmen, ohne dazu bevollmächtigt zu sein, in Anlehnung an die Mak- ler- und Bauträgerverordnung eine Sicherheit stellen. Die Versicherungswirtschaft wird als Beschwerde- und Schlichtungsstelle privatrechtlich organisierte Ombuds- leute schaffen, was ich sehr begrüße. Ich bin zuversichtlich, dass die notwendige Umset- zung der europäischen Vermittler-Richtlinie in deutsches Recht mit geringstmöglichen bürokratischen Aufwand gelungen ist. Der Verbraucherschutz wird gestärkt, Ver- braucher erhalten mehr Transparenz in dem bislang eher unübersichtlichen Vermittlermarkt. Und nicht nur die Verbraucher haben etwas davon! Auch die Versiche- rungswirtschaft profitiert. Schwarze Schafen haben zu- künftig in dieser Branche keine Chance – das stärkt das Ansehen dieses Berufsbildes. Gleichzeitig vereinfachen wir grenzüberschreitende Vermittlungen und machen da- mit die Versicherungswirtschaft europafest. Martin Zeil (FDP): Bislang kann sich jeder, der sich dafür interessiert und sich dies zutraut, in Deutschland Versicherungsvermittler bzw. -makler werden. Die EU- Richtlinie über Versicherungsvermittlung zielt darauf ab, dies zu ändern. Sie will dadurch den Verbraucherschutz stärken und eine Harmonisierung des EU-Vermittler- marktes erreichen. So weit, so gut Die Umsetzung der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4223 (A) (C) (B) (D) Richtlinie durch die Bundesregierung bedarf jedoch noch einiger Nachbesserungen, Im Gesetzentwurf wird als Berufsvoraussetzung eine Sachkundeprüfung, der Abschluss einer Berufshaft- pflichtversicherung, eine Informations- und Dokumenta- tionspflicht für Beratungsgespräche sowie die Registrie- rung der Vermittler in einem zentralen Register gefordert. Das ist auf den ersten Blick alles vernünftig und einsehbar. Sieht man genauer hin, stellen sich aber einige grundsätzliche Fragen. Warum? Weil wichtige Vorschriften des Gesetzent- wurfs nur für die ungebundenen Vermittler und Makler gelten, die gebundenen aber aussparen. Das ist eine fak- tische Ungleichbehandlung, die so nicht akzeptabel ist. Dies würde den eigentlichen Zweck des Gesetzentwurfs, nämlich die Verbesserung des Verbraucherschutzes, kon- terkarieren. Es darf nicht sein, dass durch eine gesetzli- che Regelung, die erklärtermaßen den Verbraucher- schutz stärken will, gerade diejenigen benachteiligt und in ihrer Marktposition geschwächt werden, die objektiv sind bei der Versicherungsvermittlung, nämlich die Makler und ungebundenen Vermittler. Wenn der Bundesregierung tatsächlich an einer durchgreifenden Qualitätsverbesserung gelegen ist, dann sollte sie die geforderte Mindestqualifikation für alle Versicherungsvermittler verbindlich machen und nicht nur für die ungebundenen. Tut sie dies nicht, könnte sich zum Beispiel ein bislang ungebundener Vermittler einer Ausschließlichkeitsorganisation anschließen, um seine Kunden fortan ohne Sachkundenachweis zu beraten. Dieses Schlupfloch würde die angestrebte Qualitätssi- cherung ad absurdum führen. Ohne einheitliche Regeln kommt es darüber hinaus zu einer klaren Wettbewerbsverzerrung zulasten derjenigen, für die die Mindestqualität eine Markteintrittsbarriere darstellt. Das aber kann die Bundesregierung nicht wol- len! Zudem besteht die Gefahr, dass zahlreiche ungebun- dene Vermittler und Makler aufgeben müssen. In Groß- britannien sind nach der Umsetzung der Richtlinie rund zwei Drittel aller Vermittler vom Markt verschwunden. Eine derartige Ausdünnung des Angebots kann nicht im Sinne des Verbrauchers sein! Unverständlich ist zudem, dass sich die Inhalte der Sachkundeprüfung nahezu ausschließlich an der Qualifi- kation des Versicherungsfachmanns des Berufsbildungs- werks der Deutschen Versicherungswirtschaft, aber kaum an den Bedürfnissen der Makler orientieren, die ja von der Neuregelung besonders betroffen sind und deren Beratungsansatz zum Teil deutlich von dem der gebun- denen Versicherungsvertreter abweicht. Warum sich laut Gesetzentwurf die Prüfungskommis- sion ausschließlich aus Vertretern der Versicherungswirt- schaft zusammensetzt, bleibt ebenfalls ein Rätsel. Ange- messener und gerechter wäre es, sie paritätisch auch mit Versicherungsmaklern zu besetzen. Ohne eine Veränderung des Gesetzes in diesen beiden Punkten kommt es zu der absurden Situation, dass die Inhalte von nicht gebundenen Vermittlern sich am Be- rufsbild des gebundenen Versicherungsvertreters orien- tieren, der aber qua Gesetz von der Prüfung ausgeschlos- sen ist. Im Gesetz heißt es, dass ein erfolgreiches Studium an einer Hochschule oder Berufsakademie einer Sachkundeprüfung gleichkommt, wenn es von der IHK anerkannt wird. Praktikabler und daher sinnvoller wäre sicherlich eine bundesweit einheitliche Anerkennung al- ler akademischer Titel mit wirtschaftlichem und juristi- schem Hintergrund, weil eine Einzelfallentscheidung je- der IHK zu einem hohen bürokratischen Aufwand sowie zu großen regionalen Unterschieden führen würde. Überlegenswert ist auch, ob die Sachkundeprüfung statt über IHK bzw. DIHK nicht besser über ein unab- hängiges Gütesiegel geregelt werden sollte. Durch diese Art der Selbstverpflichtung, die sich im Immobilienbe- reich bereits bewährt hat, ist für den Verbraucher klar er- sichtlich, ob der Vermittler eine Sachkundeprüfung ab- solviert, eine Berufshaftpflicht abgeschlossen und im Auftrag des Kunden oder im Auftrag eines Versicherers als gebundener Vermittler tätig ist. Wichtig erscheint mir auch, eine flexible Regelung für die Anerkennung der teilweise hohen Standards der Sachkundeprüfung, die es heute schon gibt, zu finden. Systemfremd und daher kritikwürdig ist an dem Ge- setzentwurf die Einbeziehung des Berufs des Versiche- rungsberaters. Da seine Dienstleistung einzig und allein auf die Beratung und nicht, wie bei einem Vermittler, auf den Abschluss eines Vertrages ausgerichtet ist, hat er in einem Vermittlergesetz nichts zu suchen. Deshalb sollte die berufsrechtliche Verankerung des Versicherungsbe- raters auch künftig im Rechtsberatungsgesetz verblei- ben. Noch ein paar Worte zum Thema Registrierung, die zu begrüßen ist, weil sie den Markt vor schwarzen Scha- fen schützt. Nach den Plänen der Bundesregierung soll täglich eine Liste mit gelöschten Registrierungsnum- mern der Vermittler entstehen. Unverständlicherweise soll sie aber ausschließlich Versicherungsunternehmen zugänglich gemacht werden. Hier wird, wie bei der Sachkundeprüfung, ebenfalls mit zweierlei Maß gemes- sen und Makler sowie nicht gebundene Versicherungs- vertreter deutlich benachteiligt. Genauso wie die Versi- cherer können sie für die Qualität ihrer Vermittler nur dann garantieren, wenn sie Zugang zu den Daten des Re- gisters haben. Ich fordere daher die Bundesregierung nachdrücklich auf, dies durch das Gesetz sicher zu stel- len. Auch bezüglich der Haftpflichtversicherung ist der Gesetzentwurf nicht stimmig. So soll es gestattet sein, dass das Versicherungsunternehmen die Haftung für ei- nen Vertreter übernimmt. Kommt es tatsächlich zu einer Schadensersatzforderung, wird es für den Kunden aber unter Umständen schwierig, den Versicherer anstelle des einzelnen Vermittlers und dessen Berufshaftpflichtversi- cherung in Regress zu nehmen, zum Beispiel, wenn es sich um kleine Versicherer handelt, die sich in wirt- schaftlichen Schwierigkeiten befinden. Zudem stellt diese Regelung eine Wettbewerbsverzerrung dar, weil unabhängige Makler im Gegensatz zu einem Versicherer für jeden Vermittler die Prämie zur Berufshaftpflichtver- sicherung aufbringen müssen. Aus diesen Gründen wäre 4224 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) es angebracht, die Pflicht zum Abschluss einer Berufs- haftpflichtversicherung für jeden einzelnen Vermittler verbindlich vorzuschreiben. Zum Abschluss möchte ich noch auf das Thema Bera- tung eingehen. Laut Gesetzentwurf besteht die Möglich- keit, durch Vereinbarung auf die eigentlich vorgeschrie- bene Beratung und Dokumentation zu verzichten. In diesem Fall muss der Vermittler allerdings den Kunden ausdrücklich darauf aufmerksam machen, dass sich ein Verzicht nachteilig auf die Möglichkeit auswirken kann, Schadenersatz geltend zu machen. Die Intention des Gesetzgebers ist es, den Bürokratie- aufwand in Grenzen zu halten. Um dies zu erreichen, könnte die vorliegende gesetzliche Regelung noch etwas verschlankt werden. Damit der Beratungsverzicht effizi- ent und ohne großen Aufwand erfolgen kann, muss dies auch auf elektronischem Wege und als Bestandteil des Beratungsprotokolls möglich sein. Dass der Verzicht Ge- genstand einer gesonderten Vereinbarung in einem eige- nen Dokument sein muss, ist eindeutig überzogen. Der Regierungsentwurf sieht vor, dass gewisse Ver- mittlertätigkeiten aufgrund ihres unbeachtlichen Um- fangs, ihres geringen Risikos sowie der geringen Höhe der Versicherungsprämie, wie zum Beispiel durch Reise- kaufleute vermittelte Reiserücktrittsversicherungen, von der Berufszulassung ausgenommen sind. Nicht entbun- den sind sie laut Gesetz allerdings von der Pflicht zur Beratung und Dokumentation, also den zivilrechtlichen Pflichten des Gesetzes. Das ist ebenso unverhältnismä- ßig wie überflüssig und geht zudem auch klar über die Vorgaben der Richtlinie hinaus. Hier besteht im Gesetz- entwurf Änderungsbedarf. Da die praktische Umsetzung des Gesetzes nicht übers Knie gebrochen werden kann und viele bereits jetzt tätige Vermittler noch keine Sachkundeprüfung ab- gelegt haben und diese nachholen müssen, reicht die im Entwurf vorgesehene einjährige Übergangsfrist für das In-Kraft-Treten nicht aus und sollte auf zwei Jahre ver- längert werden. Insgesamt gesehen zielt der Gesetzent- wurf in die richtige Richtung, enthält aber eine ganze Menge Punkte, die überarbeitet und verbessert werden sollten. Ulla Lötzer (DIE LINKE): Das entscheidende Manko des durch die Bundesregierung vorgelegten Gesetzent- wurfs besteht darin, dass im Titel zwar von Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts die Rede ist, die Bun- desregierung offenbar im Wesentlichen aber bemüht ist, alles beim Alten zu lassen. An den bestehenden klein- gliedrigen Vertriebsstrukturen im Versicherungswesen soll im Kern nicht gerührt werden, obgleich diese Struk- turen sich in verschiedener Hinsicht als ineffizient und unwirtschaftlich darstellen. Sie sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass viele Menschen und viele Familien erhebliche Schwierigkeiten haben, den für sie passenden Versicherungsschutz zu finden und nicht angemessen versichert sind. Für die betroffenen Verbraucher entste- hen so Jahr für Jahr Verluste in Milliardenhöhe. Es ist symptomatisch für die Politik der Bundesregie- rung, dass sie einerseits oftmals mehr Markt dort fordert und fördert, wo es weder im Interesse der gesellschaftli- chen Mehrheit noch ein Gebot gesamtwirtschaftlicher Vernunft ist, wie in der Bildung, der Daseinsvorsorge oder im Gesundheitswesen, und andererseits dort, wo die Schaffung von marktlichen Bedingungen tatsächlich ge- boten wäre, um faire Verhältnisse zu schaffen, konse- quent versagt. Aufgrund der hohen Intransparenz des Marktes und der Informationsasymmetrien zwischen Versicherungsanbietern und -nachfragern bestimmt bis heute vor allem die Höhe der durch die Unternehmen an die Vermittler gezahlte Provision die Beratung und den Absatz von Versicherungen. Der tatsächliche Bedarf der Kunden oder gar der Vergleich von Qualitäts- und Preis- standards der Versicherungsprodukte spielen nur eine unmaßgebliche Rolle. Die Verbraucherzentrale schätzt, dass den rund 200 tatsächlich unabhängigen und auf Ho- norarbasis arbeitenden Versicherungsberatern in Deutschland rund eine halbe Million Versicherungsver- mittler gegenüberstehen. Deren fachliche Qualifikation ist oftmals gering, zumindest aber sehr uneinheitlich. Vor allem aber berät und vermittelt ein großer Teil von ihnen zu Bedingungen, die überwiegend durch die Versi- cherungsunternehmen vorgegeben sind. Es geht hier folglich um Geld, um viel Geld. Das Geld, das die Verbraucherinnen und Verbraucher auf- grund der falschen Anreizstruktur für überteuerte oder unsachgerechte Versicherungsprodukte ausgeben, lan- det schließlich in den Kassen der Versicherungskon- zerne. So ist es denn auch nicht verwunderlich, wenn diese Gesetzesvorlage vor allem Beifall vonseiten der Versicherungswirtschaft und ihrer offensichtlich ein- flussreichen Lobby bekommt. Verbraucherschutz ist aber durchaus auch eine Frage der Verlässlichkeit der Qualifikation derer, die als Makler bzw. als Anlaufstel- len für Kunden auf dem Markt agieren. Hier eine ange- messene Qualifizierung und vergleichbarer Standards zu gewährleisten, war eines der Kernziele der zugrunde lie- genden EU-Richtlinie. Mit dem vorliegenden Gesetzent- wurf wird dieses Ziel jedoch in keiner Weise eingelöst. Die Frage, was als angemessen gilt, wird weder wirklich beantwortet, noch werden Regelungen getroffen, durch die die Unternehmen, die Vermittler einsetzen oder sich ihrer bedienen, eine der Verantwortung der Berufspraxis gemäße Qualifikation sicherstellen müssen. Während für die Ausübung vieler Berufe in Deutsch- land aus guten Gründen eine mindestens dreijährige Aus- bildung vorgeschrieben ist, sollen für die verantwortungs- volle und mindestens für die Kunden unter Umständen folgenreiche Tätigkeit der Versicherungsvermittlung 222 Unterrichtsstunden à 45 Minuten ausreichend sein. Dies sind netto, auf einen Acht-Stunden-Tag gerechnet, knapp 21 Tage, die als ausreichender Qualifizierungszeit- raum gelten sollen. In die Hände einer solchen „Fach- kraft“ würde freiwillig wohl kaum jemand auch nur einen defekten Toaster legen. Die Chance, auf diesem Feld zu verbesserten Bedingungen zu kommen und sachgerechte Anforderungen an Qualifikation und entsprechende öko- nomische Anreize zu setzen, wird ebenso vertan wie die Chance zur Stärkung der anbieterunabhängigen Beratung. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4225 (A) (C) (B) (D) Hier ist die Marktgläubigkeit der Bundesregierung dann offenbar wieder grenzenlos. Stattdessen wäre sie jedoch gefordert, erst einmal klare Rahmenbedingungen und Vorgaben zu setzen, damit ein funktionierender Markt überhaupt entstehen kann. Da er die mit dieser Gesetzesvorlage nicht bekommt, bleibt also alles beim Alten, zugunsten und zur Freude einiger weniger großer Versicherungskonzerne, die davon profitieren und zulas- ten der Privatkunden und Verbraucher. Einmal mehr werden die Möglichkeiten nicht genutzt, Mindeststan- dards im europäischen Rahmen zum volkswirtschaftli- chen Nutzen und zum Wohle der Mehrheit der Men- schen nach oben zu korrigieren. Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit den vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der EG-Versicherungsvermittler-Richtlinie hat das Kabinett versucht, die Brüsseler Richtlinie in deutsches Recht zu gießen. Die Umsetzung war längst überfällig, scheiterte aber stets an den Abstimmungen mit den Ländern. Bisher mussten sich Verbraucherinnen und Verbrau- cher in Deutschland bei dem wichtigen Thema Versiche- rungen damit abfinden, dass viele Versicherungsvermitt- ler gar nicht ausreichend für eine Beratung qualifiziert waren; denn der Beruf des Versicherungsvermittlers war frei zugänglich und verlangte keine Qualifikationsnach- weise. Mit dem Gesetzentwurf soll nun der Beruf des Versi- cherungsvermittlers neu geregelt werden. Der Gesetz- entwurf sieht unter anderem vor, dass Versicherungsver- mittler zukünftig angemessene Qualifikationen nachweisen müssen, bevor sie den Verbraucherinnen und Verbrauchern Versicherungen empfehlen und ver- kaufen. Versicherungsvermittler müssen sich bei der In- dustrie- und Handelskammer registrieren lassen und über eine obligatorische Berufshaftpflichtversicherung verfügen. Außerdem haben sie bestimmte Beratungs-, Informations- und Dokumentationspflichten gegenüber ihren Kunden. Wir halten die Umsetzung der Versicherungsvermitt- ler-Richtlinie für dringend geboten, denn das bisherige Fehlen von Qualifikationsnachweisen, Beratungspflich- ten und Berufsausübungsschranken in diesem Berufsfeld hat dazu geführt, dass es unter den deutschen Versiche- rungsvermittlern schwarze Schafe gab, die ihre Versi- cherungskunden mangelhaft beraten und ihnen teure und oft überflüssige Versicherungen verkauft haben. Allerdings weist der deutsche Gesetzentwurf erhebli- che Mängel auf, die nach wie vor zulasten der Verbrau- cherinnen und Verbraucher gehen. Im Vergleich zur Brüsseler Vorgabe schränkt der deutsche Entwurf die Beratungspflicht dem Kunden gegenüber bedauerlicher- weise erheblich ein. Wichtige Fragen wie die Sachkun- deprüfung, die Haftpflichtversicherung und die Informa- tionspflichten werden gar nicht ausgeführt, sondern auf weitere Rechtsverordnungen vertagt. Insgesamt entsteht der Eindruck, hier wird eine EU-Richtlinie nur formal umgesetzt, die Verbesserung der Verbraucherrechte aber geschoben. Es kann nicht im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher sein, dass sich die Beratungspflichten nach einem angemessenen Verhältnis zwischen Beratungsauf- wand und der vom Kunden zu zahlenden Versicherungs- prämie richten. Denn für den Kunden bedeutet das letzt- lich: Je niedriger die Versicherungsprämie, desto weniger Beratung! Die Bundesregierung geht hier irr- tümlicherweise davon aus, dass die größeren Risiken in den höheren Prämien liegen und berücksichtigt das ab- gesicherte Risiko nicht. Eine Privathaftpflichtversiche- rung mit einer niedrigen Jahresprämie unter 100 Euro versichert Schäden in Millionenhöhe. Wer hier die fal- sche Wahl trifft, bleibt unter Umständen auf einem Rie- senschaden sitzen. Zu viele Bundesbürger sind fehl- bzw. unterversi- chert. Deshalb müsste bei einer sinnvollen Beratung zu- nächst der Versicherungsbedarf geklärt und festgehalten werden. Anzustreben ist eine individualisierte Risiko- analyse des Kunden. Auch diese allgemeine Regel sieht der Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht vor. Und im Gegensatz zur EU-Vorgabe soll es in Deutschland möglich sein, ganz auf den Schutzgedanken der Richtli- nie zu verzichten und die vorgesehenen Auskünfte nicht zu erteilen. Bei Falschberatungen hat der Kunde so nichts in der Hand und wird Schadenersatzansprüche kaum durchsetzen können. Bezüglich der Qualifikationsanforderungen an den Versicherungsvermittler gibt der Entwurf keine klare Definition vor. Er spricht hier lediglich von einer „ange- messenen“ Qualifikation, wie diese real auszusehen hat, bleibt aber einer weiteren Rechtsverordnung überlassen. Aus Verbrauchersicht besonders unerfreulich ist die feh- lende Erkennbarkeit und Zuverlässigkeit der Qualifika- tion. Je nachdem, ob der Vermittler angestellt, nebenbe- ruflich tätig oder selbstständig ist, werden unterschiedliche Anforderungen an seinen Sachkunde- nachweis gestellt. Die Sachkundeanforderungen sollten aber sowohl im Interesse der Vermittler als auch der Ver- braucher für jeden gleich sein. Auch die Haftpflichtschutzregelung der Versiche- rungsvermittler ist noch nicht geregeft. Die Versiche- rungsvermittler müssen zwar in Zukunft eine Berufshaft- pflichtversicherung abschließen, aber auch hier wird die genauere Ausgestaltung auf eine weitere Rechtsverord- nung verschoben. Angesichts der bereits in der Diskus- sion befindlichen und abzulehnenden marktüblichen Ri- sikoausschlüsse hätte die Bundesregierung hier für Klarheit sorgen müssen. Mit dem vorliegenden Gesetz- entwurf bleibt also weiterhin offen, ob eine Haftpflicht- versicherung bei vorsätzlicher Falschberatung überhaupt haftet. Abschließend bleibt zu sagen, dass wir von dem Ge- setzentwurf zur Neuregelung des Versicherungsver- mittlerrechts mehr erwarten: Nämlich, dass er einerseits die Verbraucherinteressen umfassend berücksichtigt und andererseits den Versicherungsvermittlern ein einfaches und verständliches Regelwerk an die Hand gibt. 4226 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Anlage 32 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Personenstandsrechts (Personen- standsrechtsreformgesetz – PStRG) (Tagesord- nungspunkt 37 a) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 12. August 2005 „Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Personen- standsrechts“ soll das geltende Personenstandsgesetz von 1937 in der Fassung vom 8. August 1957 grundlegend re- formiert werden. Obwohl das deutsche Personenstands- wesen seit der Einführung der staatlichen Personen- standsbuchführung vor etwa 130 Jahren seinen Zweck vollauf erfüllt, wurde nunmehr von unterschiedlicher Seite am geltenden Recht zunehmend Kritik hinsichtlich des Beurkundungssystems, der Beurkundungsmedien, des Beurkundungsinhalts und der Voraussetzungen für Registerbenutzung geübt. Gesichtspunkte wie Deregulierung, Verwaltungsver- einfachung und Kostenreduzierung finden in dem Re- formgesetz stärkere Berücksichtigung, ohne dass da- durch die Personenstandsbuchführung an sich und ihre Servicefunktion gegenüber dem Bürger beeinträchtigt wird. So sieht der Gesetzentwurf vor, ein sehr kosten- trächtiges Personenstandsbuch, das „Familienbuch“, ab- zuschaffen und durch ein erheblich kostengünstigeres Angebot inhaltsgleicher Leistungen, das zudem alle Bür- ger erreicht, zu ersetzen. Die Schwerpunkte des Perso- nenstandsreformgesetzes sind die Einführung elektroni- scher Personenstandsregister anstelle der bisherigen Personenstandsbücher, die Begrenzung der Fortführung der Personenstandsregister durch das Standesamt und die Abgabe der Register an die Archive, die Ersetzung des Familienbuches durch Beurkundungen in den Perso- nenstandsregistern, die Reduzierung der Beurkundungs- daten auf das für die Dokumentation des Personenstan- des erforderliche Maß sowie die Neuordnung der Benutzung der Personenstandsbücher. Alleine die Tatsache, dass jährlich etwa 400 000 Ehe- schließungen einen Berg von Familienbüchern – die nicht mit den so genannten Stammbüchern der Familie zu verwechseln sind – ansteigen lässt, der auf 20 Millio- nen geschätzt werden kann, und zudem die fortschrei- tende Mobilität der Bevölkerung zur Folge hat, dass sich ein großer Teil der Familienbücher ständig auf dem Post- weg zu einem anderen, durch Wohnungswechsel zustän- dig gewordenen Standesbeamten befindet, zeigt deut- lich, dass dieses umständliche und kostenaufwendige Verfahren nicht mehr den heutigen Anforderungen ge- recht wird. Mit moderner Technik könnten die Abläufe schneller und kostengünstiger bewerkstelligt werden. Die Möglichkeiten der elektronischen Kommunika- tion gestatten es, dass mit großem Verwaltungsaufwand geführte Familienbuch abzuschaffen. Durch die Abschaf- fung des Familienbuches, das im Wesentlichen Beurkun- dungen enthält, die primär bereits in den Geburten-, Hei- rats- und Sterbebüchern enthalten sind, wird zudem kein Datenverlust eintreten. Auch sind die Beurkundungsmediern seit der Einfüh- rung der staatlichen Personenstandsregistrierung unver- ändert geblieben und zwingend vorgeschrieben. Dies beinhaltet, dass nur bestimmte Papiersorten und Schreib- mittel für die Personenstandsbuchführung benutzt wer- den dürfen, damit der vorgegebenen dauernden Aufbe- wahrung und der damit verbundenen Haltbarkeit der Personenstandsbücher Rechnung getragen wird. Nach- dem die elektronische Datenverarbeitung Einzug in die Standesämter gehalten hat, sind die Arbeiten im Zusam- menhang mit der Beurkundung eines Personenstands- falls so organisiert, dass alle erforderlichen Daten elek- tronisch erfasst werden und der Datenbestand für den Ausdruck des Eintrags, etwaiger Personenstandsurkun- den und Folgearbeiten – wie beispielsweise Mitteilungen an Behörden – genutzt wird. Da das geltende Recht ein „drittes Personenstandsbuch“ nicht zulässt, muss der Da- tenbestand, der bei weiterer Bereithaltung und Nutzung einem solchen „Buch“ gleichkäme, unmittelbar nach der Beurkundung gelöscht werden. Zu Recht wird diesem Verfahren kritisch entgegengehalten, dass vorhandene Datenbestände unnötig verloren gehen, also nicht ge- pflegt und weiter genutzt werden können. Beim Beurkundungsinhalt wurde seit längerer Zeit bemängelt, dass die Eintragungen nicht auf das für die Beurkundung erforderliche Maß reduziert seien. So sind zum Beispiel Angaben zum Beruf und zur Religionszu- gehörigkeit als nicht personenstandsrelevante Angaben aus dem Angabenkatalog zu streichen. Der Gesetzent- wurf sieht nunmehr vor, die Beurkundungsdaten auf das für die Dokumentation des Personenstandes unbedingt erforderliche Maß zu reduzieren. So wird künftig in al- len Registern auf die Angabe des Berufs-, im Heirats- und Geburtenregister auf die Angabe des Wohnortes der Eheschließenden bzw. der Eltern und im Geburten- und Sterberegister auf die Angaben zum Anzeigenden ver- zichtet. Der Gesetzentwurf sieht ferner vor, anstelle der bishe- rigen Personenstandsbücher elektronische Personen- standsregister einzuführen. Es wird somit eine Grund- lage für die Einführung der IT-gestützten Beurkundung von Personenstandsfällen geschaffen und der Verwal- tungsaufwand wird in den deutschen Standesämtern dau- erhaft reduziert. Dadurch können Personenstandsurkun- den künftig schneller ausgestellt und Register leichter eingesehen werden, auch der Service gegenüber dem Bürger wird verbessert. Die Bürger sollen dadurch, dass Urkunden nicht mehr nur von dem registerführenden Standesamt ausgestellt werden können, schneller als bis- her an benötige Personenstandsurkunden gelangen. Besonders begrüße ich, dass die Bundesregierung zwischenzeitlich die Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzesentwurf beschlossen hat, der unter anderem noch davon ausging, dass die Zustän- digkeit für die Begründung und die Beurkundung von eingetragenen Lebenspartnerschaften einheitlich beim Standesbeamten bzw. beim Standesamt liegen und die bisher unterschiedlichen landesrechtlichen Zuständig- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4227 (A) (C) (B) (D) keiten entfallen sollen. Diese Regelung wurde zugunsten der landesrechtlichen Zuständigkeiten zurückgestellt, da sich die landesrechtlichen Regelungen zum Beispiel in Baden-Württemberg und in Bayern bewährt haben. In Bayern beispielsweise, wo durch das Gesetz zur Ausführung des Lebenspartnerschaftsgesetz die Zustän- digkeit für die Mitwirkung bei der Begründung und die Beurkundung von Lebenspartnerschaften auf die Notare übertragen wurde, unterstreichen rund 1 500 im Lebens- partnerschaftsbuch registrierte Lebenspartnerschaften und die durchweg positive Resonanz der Beteiligten die Akzeptanz und die Qualifikation der Notare. Die Kom- petenz der Notare bei der Beratung über Möglichkeiten und Folgen des Rechtsinstituts der Lebenspartnerschaft, insbesondere im Familien- und Erbrecht, werden von den künftigen Lebenspartnern besonders geschätzt, was sich nicht zuletzt an den Paaren aus anderen Ländern und auch aus dem Ausland zeigt, die die Begründung ih- rer Partnerschaft vor einem bayerischen Notar wün- schen. Viele Paare schätzen überdies die Diskretion der Notarlösung. Hinsichtlich der Kosten wird nach überschlägiger Be- rechnung die Einführung der Informationstechnik nach Abschluss der Umstellungsphase zu jährlichen Mehraus- gaben von rund 14 Millionen Euro führen. Dem stehen Einsparungen von ca. 18 Millionen Euro gegenüber, so- dass sich per Saldo ein jährliches Einsparvolumen von rund 4 Millionen Euro ergibt. Bei den Standesämtern ist langfristig mit einem jährlichen Einsparvolumen von rund 46 Millionen Euro zu rechnen. Das Personenstandsreformgesetz ist somit eine längst überfällige Maßnahme und ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zum Bürokratieabbau und zum modernen Staat. Christian Lange (Backnang) (SPD): Das vorgelegte Gesetz dient der Umsetzung der Richtlinie 2002/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. De- zember 2002 über Versicherungsvermittlung. Die Richt- linie, die den Verbraucherschutz und die Harmonisie- rung des Vermittlermarktes zum Ziel hat, hätte von Deutschland bis 15. Januar 2005 in nationales Recht um- gesetzt werden müssen, sodass nun Eile geboten ist. Zu der Verzögerung kam es vor allem durch den anhalten- den Widerstand der Länder gegen das vorgeschlagene Konzept zur Umsetzung der Richtlinie. Inzwischen zei- gen sich aber auch die Länder bereit, das vorgestellte Grundkonzept zu akzeptieren, sodass wir nun doch zu einer hoffentlich zügigen Verabschiedung der Neurege- lung kommen werden. Denn es geht nicht nur darum, der Pflicht zur Umset- zung der EU-Richtlinie zu genügen, sondern es geht um Verbraucherschutz – die Verbraucher sollen durch die Registrierungspflicht und die Normierung der Informa- tions- und Dokumentationspflichten des Vermittlers ge- schützt werden – und darum, die deutschen Versiche- rungsvermittler fit zu machen gegen die europäische Konkurrenz. Die Tätigkeit des Versicherungsvermittlers in einem zusammenwachsenden Europa wird harmoni- siert, und grenzüberschreitende Vermittlungen werden vereinfacht. Vonseiten der Versicherungsvermittler wird die beruf- liche Aufwertung, die mit einer Erlaubnispflicht einher- geht, auch sehr geschätzt. Denn es geht auch darum „schwarze Schafe“ aus diesem Gewerbe herauszufiltern. Das dient den Verbrauchern, aber auch den vielen seriö- sen und kompetenten Vermittlern und Beratern in dieser Branche. Den Vorgaben der Richtlinie entsprechend wird der bislang frei zugängliche Beruf des Versicherungsver- mittlers einer Erlaubnis unterworfen. Es ist vorgesehen, dass die Industrie- und Handelskammern Erlaubnis- und Registrierungsstellen für die circa 500 000 einzutragen- den Versicherungsvermittler werden. Damit einher ge- hen Vorschriften über die Qualifikation von Vermittlern, eine Kundengeldsicherung, eine obligatorische Berufs- haftpflichtversicherung sowie Beratungs-, Informations- und Dokumentationspflichten gegenüber dem Kunden. Nach der Richtlinie waren auch die bisher im Rechtsbe- ratungsgesetz geregelten Versicherungsberater in das neu geschaffene System für Versicherungsvermittler zu integrieren. Das heißt, Versicherungsberater müssen sich ebenfalls registrieren lassen und bedürfen nun einer Er- laubnis der IHK, wobei die Anforderungen denen für Versicherungsvermittler entsprechen. Auch die für Ver- sicherungsmakler geltenden Berufsausübungsvorschrif- ten, insbesondere die Beratungs-, Dokumentations- und Informationspflichten, gelten entsprechend für Versiche- rungsberater. Bislang unterliegt die Versicherungsver- mittlung keinerlei Berufszugangsbeschränkungen. Er ist nur zur Anzeige seiner Tätigkeit gemäß § 14 Gewerbe- ordnung verpflichtet. Wichtig ist uns bei der Umsetzung der Richtlinie vor allem, dass das Gesetz zur Neuregelung des Versiche- rungsvermittlerrechts und die Verordnung über die Ver- sicherungsvermittlung den zwangsläufig entstehenden bürokratischen Aufwand auf ein Minimalmaß be- schränkt und dabei das Gleichgewicht zwischen den Ver- braucherschutzzielen und den Interessen der Wirtschaft wahrt. Ich bin zuversichtlich, dass dies gelungen ist. Die Regelungen im Einzelnen. Grundsätzlich bedür- fen alle Versicherungsvermittler nach dem neuen § 34 d der Gewerbeordnung, GewO, einer Erlaubnis der IHK und müssen sich dort registrieren lassen. Sie sind auch für den Widerruf und die Rücknahme der Genehmigung zuständig. Die IHKs bedienen sich für die Registerfüh- rung des DIHK als gemeinsamer Stelle. Versicherungsvermittler sind unter Bußgeldbeweh- rung verpflichtet, sich in das Vermittlerregister eintragen zu lassen. Außerdem werden die Versicherungsunterneh- men verpflichtet, nur mit Vermittlern zusammenzuarbei- ten, die in das Register für Versicherungsvermittler eingetragen sind. Erlaubnisvoraussetzungen sind Zuver- lässigkeit, Abschluss einer Berufshaftpflichtversiche- rung sowie Sachkundenachweis. Der Sachkundenachweis wird durch eine IHK-Prü- fung erbracht, die der bereits seit 1991 von der Branche etablierten Ausbildung zum Versicherungsfachmann/- 4228 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) frau des Berufsbildungswerks der Deutschen Versiche- rungswirtschaft, BWV, entspricht. Dazu haben DIHK und BWV bereits einen Rahmenvertrag abgeschlossen. Gleichwertige staatliche Abschlüsse werden anerkannt. Versicherungsvermittler, die schon seit dem 31. August 2000 tätig waren, genießen Bestandsschutz. Jeder Ver- mittler hat dafür zu sorgen, dass auch seine angestellten Vermittler angemessen qualifiziert und zuverlässig sind. Die circa 400 000 Vermittler, die ausschließlich an ein Versicherungsunternehmen gebunden sind – so ge- nannte Ausschließlichkeitsvertreter –, können von der Erlaubnis befreit werden, wenn sie über eine uneinge- schränkte Haftungsübernahme des Versicherers verfü- gen. Die Verantwortung für die Zuverlässigkeit und die Qualifikation übernimmt dann der jeweilige Versicherer. Für produktakzessorische Vermittler, wie zum Beispiel Autohändler, ist ein vereinfachtes Zulassungsverfahren vorgesehen. Grundsätzlich muss ein Makler als Sachwalter des Kunden seinen Rat auf eine hinreichende Zahl von auf dem Markt angebotenen Versicherungsverträgen und Versicherern stützen, die er im Wege einer objektiv aus- gewogenen Marktuntersuchung zu ermitteln hat. Ver- tragsspezifische anlassbezogene Beratungs-, Informa- tions- und Dokumentationspflichten sowie die Haftung für eine Falschberatung werden normiert. Alle Vermitt- ler, die nicht auf dieser Grundlage beraten, haben dem Kunden die Namen der ihrem Rat zugrunde gelegten Versicherer anzugeben. Der Vermittler muss dem Kunden noch vor Beginn des Beratungsgespräches mitteilen, ob er als Versiche- rungsmakler, als Versicherungsvertreter oder Versiche- rungsberater tätig ist. Durch Normierung dieser statusbe- zogenen Informationspflichten in der Verordnung über die Versicherungsvermittlung soll dem Kunden schon vor Beginn der Beratung größtmögliche Transparenz er- möglicht werden. Grundsätzlich müssen Versicherungs- vermittler, die Zahlungen der Kunden annehmen, ohne dazu bevollmächtigt zu sein, in Anlehnung an die Mak- ler- und Bauträgerverordnung eine Sicherheit stellen. Die Versicherungswirtschaft wird als Beschwerde- und Schlichtungsstelle privatrechtlich organisierte Ombuds- leute schaffen, was ich sehr begrüße. Ich bin zuversichtlich, dass die notwendige Umset- zung der europäischen Vermittler-Richtlinie in deutsches Recht mit geringstmöglichen bürokratischen Aufwand gelungen ist. Der Verbraucherschutz wird gestärkt, Ver- braucher erhalten mehr Transparenz in dem bislang eher unübersichtlichen Vermittlermarkt. Und nicht nur die Verbraucher haben etwas davon! Auch die Versiche- rungswirtschaft profitiert. Schwarze Schafen haben zu- künftig in dieser Branche keine Chance – das stärkt das Ansehen dieses Berufsbildes. Gleichzeitig vereinfachen wir grenzüberschreitende Vermittlungen und machen da- mit die Versicherungswirtschaft europafest. Gisela Piltz (FDP): Die Reform des Personenstands- rechts ist ein Vorhaben, das schon seit langem in Angriff genommen werden sollte. Bereits im Jahre 1996 bat das Bundesministerium des Innern die obersten Landesbe- hörden um eine Stellungnahme zu einem Vorentwurf. Leider wurde das Vorhaben nach dem Regierungswech- sel 1998 erst einmal auf Eis gelegt. Seit vorgestern wis- sen wir nun, dass wir über einen Gesetzentwurf von über 250 Seiten Umfang in der Nacht von Donnerstag auf Freitag debattieren dürfen. Leider zeigt diese kurzfristige Terminierung der ers- ten Lesung in der Nacht nur allzu deutlich, dass die große Koalition der Reform entweder keine große Be- deutung zumisst oder aber an einer breiten Diskussion nicht interessiert ist. Darüber hinaus ist es auch eine Missachtung der parlamentarischen Gepflogenheiten, ein so umfangreiches Gesetz mit einer derart umfassen- den Reform im Personenstandswesen erst zwei Tage vor der Sitzung auf die Tagesordnung des Parlaments setzen zu lassen. Selbst bei Hausdurchsuchungen und Vollstreckungs- handlungen wird dem Betroffenen eine Nachtzeit zuge- billigt, in der keine Handlungen ohne weiteres vorge- nommen werden dürfen. Dagegen soll der Deutschen Bundestag zur Nachtzeit und damit letztlich zur Unzeit wichtige Reformgesetze auf den Weg bringen. Wie passt das zusammen? Jedenfalls dürfte die Änderung vorkon- stitutionellen Rechts über Nacht – das Gesetz stammt im Kern aus dem Jahre 1937 – ein Novum in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus sein. Frei nach dem Motto: Nachts werden die Faulen fleißig. Die Reform des Personenstandsrechts hätte wesent- lich mehr Aufmerksamkeit verdient. Denn mit dem vor- liegenden Gesetzentwurfsoll das Personenstandswesen nach über 50 Jahren bzw., bezogen auf den Zeitpunkt der ersten Verkündung, nach fast 70 Jahren grundlegend überarbeitet werden. Die FDP-Bundestagsfraktion be- grüßt grundsätzlich eine Vereinfachung und Modernisie- rung des Personenstandsrechts. Die technischen Mög- lichkeiten haben sich grundlegend verändert und die Anforderungen an die Aufbewahrung wichtiger Doku- mente unterliegen anderen Maßstäben. Allerdings ist fraglich, ob durch den vorliegenden Gesetzentwurf eine grundsätzliche Modernisierung geschaffen werden kann. Der Einzug der elektronischen Datenverarbeitung im Personenstandswesen hat bereits heute die Arbeiten im Zusammenhang mit der Beurkundung eines Personen- standsfalls deutlich verändert. Für den weiterer Einsatz und den Ausbau dieser Technik muss aber gelten: Der Einsatz von technischen Systemen muss transparent und unter Wahrung des Selbstbestimmungsrechts der Betrof- fenen erfolgen. Gerade das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darf nicht durch technisch schnellere und vereinfachte Verfahren unverhältnismäßig einge- schränkt werden. Maßstab für die Liberalen ist es des- halb, Vereinfachungen und Verbesserungen für die Be- hörden und den Bürger zu schaffen, die sich an den Bürgerrechten orientieren und nicht umgekehrt. Der vorliegende Gesetzentwurf geht davon aus, dass die personenstandsrechtlichen Grundbeurkunden wie Geburt, Eheschließungen und Tod sowie die damit zu- sammenhängenden öffentlichen Beurkundungen und Beglaubigungen von einer Behörde befasst werden sol- len. Es muss aber auch sichergestellt werden, dass sen- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4229 (A) (C) (B) (D) sible Personendaten nicht an andere Behörden ohne wei- teres weitergegeben werden dürfen. Mit der Erweiterung im Rahmen des Personenstandsregisters um das Gebur- tenregister sollen die technischen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass später einmal persönliche Iden- tifikationsmerkmale an Neugeborene vergeben und ge- speichert werden können. Die FDP hat immer deutlich gemacht, dass sie dies ablehnt. Am Schalter einer Behörde ist die Sicherheit persönli- cher Informationen für den Bürger schnell feststellbar. Durch einen Blick nach rechts und links ist einfach er- kennbar, ob eine unberechtigte Person etwas hören oder sehen kann. Bei der Kommunikation über das Internet ist das nicht so. Gerade beim Umgang mit sensiblen Daten ist daher der umfassende Schutz, beispielsweise durch bestimmte Verschlüsselungstechniken, das A und O. Hier sehe ich im vorliegenden Gesetzentwurf nur den Hinweis, dass mit einer „dauerhaften überprüfbaren qua- lifizierten elektronischen Signatur“ die Beurkundung beispielsweise gesichert werden soll. Deshalb ist für mich nicht einsichtig, warum Einzelheiten über den Ein- satz und die Beschaffenheit der elektronischen Verfahren zur Führung der Personenstandsregister in einer Rechts- verordnung am Parlament vorbei geregelt werden sollen. Darüber hinaus möchte ich die Frage stellen, ob durch die Ermächtigungsgrundlage an die Landesregierungen, ein zentrales elektronisches Personenstandsregister und dessen Führung einzurichten, nicht die Gefahr besteht, dass diese sensiblen Daten schneller und einfacher miss- braucht werden können. Auch bei der dezentralen Ein- richtung eines elektronischen Personenstandsregisters können Daten in kürzester Zeit verschlüsselt übermittelt werden, ohne dass ein Direktzugriff anderer Behörden erforderlich ist. Bei einem zentralen Register ist auch der Druck zur Einrichtung automatisierter Abrufverfahren wesentlich größer als bei dezentralen Registern mit ei- nem entsprechend geringerem Datenbestand. Wir Libe- rale lehnen zentrale Auskunfteien ab. Auch die Diskus- sion um den elektronischen Pass hat deutlich gemacht, dass viele Fachleute ein zentrales Erfassen von Daten nicht wollen. Deshalb ist die Einführung eines zentralen Personenstandregisters durch die Hintertür für uns nicht hinnehmbar. Auch die Frage der einheitlichen Zuständigkeit der Standesämter bei den Lebenspartnerschaften ist ein wei- terer wichtiger Bereich, den die Bundesregierung offen- bar jetzt wieder kippen will. Die Bundesjustizministerin hat auf dem Verbandstag des Lesben- und Schwulenver- bandes in diesem Jahr noch angekündigt, die Vereinheit- lichung beibehalten zu wollen. Allerdings ist in der Gegenäußerung der Bundesregierung von dieser Verein- heitlichung nichts mehr zu lesen. Vielmehr soll einer Länderöffnungsklausel zugestimmt werden, die diesem widerspricht. Damit zeigt sich, dass es offenbar über- haupt keine grundlegende Abstimmung gegeben hat. Die FDP-Bundestagsfraktion hat eine Vereinheitlichung mehrfach angemahnt und wird dieses auch im weiteren Gesetzgebungsverfahren tun. Die Neuordnung des Personenstandswesens wird für die Standesämter der Kommunen einen großen organisa- torischen und finanziellen Aufwand bedeuten. In dem Gesetzentwurf sind diesbezüglich Angaben zu der Höhe der Kosten gemacht worden. Nach mehreren Jahren sol- len diese Kosten allerdings durch den Umbau des Sys- tems eingespart werden können. Die dargelegten Be- rechnungen bleiben aber das Geheimnis der Verfasser. Das kritisieren die Kommunalvertreter und dieser Kritik schließen wir uns an. Eine Berechung, die wir als Parla- mentarier nicht nachvollziehen können ist nichts wert und meistens wird es hinterher doch teurer. Alleine die elektronische Führung der Personenstandsregister und Personenstandszweitregister führt zu einem Kostenauf- wand für die Einrichtung, Pflege und Sicherung der Re- gister, der die kommunalen Haushalte in jedem Fall sehr stark belasten wird. Nach Expertenschätzungen sind die angegebenen Einsparungen in den kommenden 20 bis 25 Jahren nicht zu erwarten. Politik sollte zwar in län- gerfristigen Zeiträumen denken, aber ob das in diesem konkreten Fall der Kommunen hilft, wage ich zu be- zweifeln. Die FDP-Bundestagsfraktion wird die Debatte über die Reform des Personenstandswesens kritisch in den Ausschüssen und im Plenum des Deutschen Bundesta- ges begleiten und ich hoffe, dass das weitere parlamenta- rische Verfahren so nicht weitergeführt wird, wie es ge- rade begonnen hat. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Linke im Bundestag begrüßt die Reform des derzeit geltenden Personen- standsgesetzes. Auch die – wenigstens angedeutete – all- gemeine Richtung der Reform – weg von einer Vor- schrift für bürokratische Datensammelwut hin zu einem bürgernahen und bürgerfreundlichen Gesetz – ist positiv zu bewerten. Leider folgt das Gesetz in der konkreten Ausgestaltung aber einer geradezu zur Mode geworde- nen Tendenz, das Recht auf informationelle Selbstbe- stimmung in ganz kleinen Münzen auszuzahlen. Zum Beispiel werden das problematische Melderechtsrah- mengesetz und das Justizmitteilungsgesetz zum Maßstab für zwischenbehördliche Datenübermittlung genom- men. Abzulehnen ist das Gesetz also, weil es unter dem Strich den gläsernen Bürger zur Folge hat. Es eröffnet die Möglichkeit der unkontrollierten Datenübermittlung zwischen den Behörden. Das bisherige Regelungswerk ist angefüllt mit Vor- schriften und Regelungen, die der heutigen Zeit und den heutigen Gegebenheiten schlicht und ergreifend nicht mehr gerecht werden. Ich möchte das an einigen Bei- spielen zeigen: Zum einen gibt es die Konstruktion des Familienbuches. Der Öffentlichkeit ist das weitgehend unbekannt. Nachfragen nach Urkunden aus diesem Fa- milienbuch sind selten. Dennoch führt gerade dieses Buch zu einem enormen Arbeitsaufwand in deutschen Standesämtern denn, das Familienbuch ist ein „wandern- des“ Buch. Das bedeutet, dass es bei einem Wohnort- wechsel an den neuen, zuständigen Standesbeamten wei- tergeleitet werden muss. Deshalb müssen, auch aufgrund der zunehmenden Mobilität der Bevölkerung, ständig neue Verschickungen erfolgen. Eine Abschaffung dieses aufwendigen Buches wäre wünschenswert. 4230 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Ein weiters Beispiel ist der Zwang, die Beurkundung auf Papier durchzuführen. Gleichzeitig darf nach gelten- dem Recht kein „drittes Personenstandsbuch“ geführt werden. Wenn bei der Bearbeitung eines Personen- standsfalls nun alle Daten elektronisch erfasst werden, so müssen diese nach Beendigung der Bearbeitung wie- der gelöscht werden, da eine Aufbewahrung einem drit- ten Buche entspräche. Das ist einfach nicht mehr zeitge- mäß. Eine ganze Reihe von Angaben in den Personenstandsbüchern ist schlicht und ergreifend nicht personenstandsbezogen, wie etwa Angaben über Beruf und Religionszugehörigkeit. Sie haben deshalb darin auch nichts zu suchen. Änderungen in diesen Punkten könnten wir durchaus zustimmen. Die Umstellung der Personenstandsregister vom papierenen auf das elektro- nische Medium ist ein sinnvoller Ansatz. Positive Erfah- rungen in benachbarten Staaten zeigen das. Auch die Minimierung des Registrierungsaufwandes durch Erset- zung des heutigen papiernen Zweitregisters durch ein elektronisches, nur zu Sicherungszwecken extra aufzu- bewahrendes, unterstreicht diesen Weg. Der künftige Verzicht auf das wenig genutzte Fami- lienbuch reduziert den Arbeitsaufwand genauso wie die vorgesehene Beurkundungsmöglichkeit bei im Ausland geschlossenen Ehen und die Beurkundung von Sterbe- fällen im Ausland. Die Reduzierung der Personen- standsurkunden um solche, die in Deutschland kaum notwendig sind, keinen Nutzen bringen und im Ausland zum größten Teil unbekannt sind, wird von uns ebenfalls positiv gesehen. Die wissenschaftsfreundliche Regelung eines erleich- terten Zugangs zu nicht mehr geführten Personenstands- registern ist zu begrüßen, sofern grundsätzliche daten- schutzrechtliche Vorschriften und Verfahrensweisen und die Rechte der Betroffenen eingehalten, angewendet und geschützt werden. Die Erweiterung der Möglichkeit zur elektronischen Kommunikation zwischen Bürgerinnen und Bürgern ei- nerseits, Behörden und Gerichten andererseits ist eben- falls ein Fortschritt, wenn technische und rechtliche Si- cherungen vor unerlaubtem Zugriff gewährleistet werden. Auf die Sicherheit der Übermittlung derartiger sensibler Daten ist allerdings fortlaufend zu achten. Da es sich hier um sehr sensible Informationen handelt, ist ein hoher Schutz gegen unbefugten Eingriff ständig zu gewährleisten und dieser regelmäßig zu überprüfen. Die Datenübermittlung zwischen Behörden auf der Grundlage einer schlichten Ermächtigungsformel wie „soweit es zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendig“ zu- zulassen, wird dem Recht auf informationelle Selbstbe- stimmung nicht gerecht. Im Zusammenhang mit der Vor- bereitung auf eine neue Volkszählung wird schon diskutiert, wie durch „Ertüchtigung“ der bei Behörden vorhandenen Registerdaten die schon existierende ein- heitliche Steuernummer erneut zu einer Personenkenn- nummer ausgebaut werden könnte. Eine solche Perso- nenkennziffer hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Volkszählung eindeutig verboten. Zusammenfassend: Maßstab für alle Gesetze müssen die Standards des Rechts auf informationelle Selbstbe- stimmung sein. Dazu gehören die Regelung von Aus- kunftspflichten, Einwilligungsregeln, Widerspruchs- rechte und ein Antragsrecht auf Löschung. Solche einschlägigen datenschutzrechtlichen Forderungen se- hen wir nicht eingelöst. Das Gesetz lehnen wir deshalb ab. Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Warum heute zur Geisterstunde dieser Ge- setzentwurf von der Großen Koalition eingebracht wird, erschließt sich mir aufgrund des Vorlaufes nicht. Es geht hier um die grundlegende Reform des aus dem Jahre 1937 stammenden Personenstandsgesetzes in der Fas- sung vom 8. August 1957. Seit 2003 verhandelt eine Bund/Länder-Arbeitsgruppe über die Reform des Perso- nenstandsrechts. Der bereits von der rot-grünen Bundes- regierung in den Bundesrat eingebrachte Gesetzentwurf wurde über Monate beraten; an die 50 Änderungsanträge kamen aus den Ländern. Das Gesetzgebungsverfahren finde ich außerordent- lich interessant. Als Gesetzestext wird hier offensichtlich die rot-grüne Fassung eingebracht. Als Anlage erhalten wir die Änderungswünsche des Bundesrates und die Stellungnahme der jetzigen Bundesregierung, die in ei- nem entscheidenden Punkt das Gegenteil von dem for- dert, was vernünftigerweise im Gesetz steht. Der eingebrachte Entwurf eines Gesetzes der Bundes- regierung zur Reform des Personenstandsrechts sieht für eingetragene Lebenspartnerschaften bundeseinheitlich das Standesamt als zuständige Behörde vor. Das begrü- ßen wir; das ist eine sachgerechte und vernünftige Lö- sung. Eine einheitliche Behördenzuständigkeit schafft Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. In der Stellung- nahme der Bundesregierung zu den Änderungswünschen des Bundesrates stimmt die große Koalition einer Län- deröffnungsklausel zu. Das ist Unsinn. Damit würde die Zersplitterung der Zuständigkeit für die eingetragene Le- benspartnerschaft weiter zementiert. Fünf Jahre nach In-Kraft-Treten des Lebenspartner- schaftsgesetzes ist es Zeit, endlich zu einer Vereinheitli- chung zu kommen. Von der Standesamtslösung abwei- chende Länderregelungen werden von den Betroffenen zu Recht als Diskriminierung empfunden. Der Hinter- grund ist klar: Ihnen soll signalisiert werden, dass ihre Beziehung weniger wert ist als eine Ehe. Eine solche Haltung ist einer weltoffenen Gesellschaft nicht würdig. Die Zersplitterung hat sich, wie abzusehen war, auch verwaltungstechnisch nicht bewährt. Es gibt keine zu- verlässige Dokumentation der Lebenspartnerschaften in den Personenstandsregistern. Zuständigkeitsregelungen sind nicht aufeinander abgestimmt. Menschen, die sich eintragen lassen wollen, treffen mitunter auf Kommunal- beamte, die im Personenstandsrecht alles andere als sachkundig sind. Nur weil einige Länderregierungen weiter ideologische Vorbehalte gegen gleichgeschlecht- liche Paare haben, soll verwaltungstechnischer Wirrwarr fortgeschrieben werden. Dem viel beschworenen Büro- kratieabbau läuft das diametral entgegen. Die große Koalition veranstaltet hier ein nächtliches Gesetzesmarathon. Zwischen 20 Uhr und 3 Uhr sollen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4231 (A) (C) (B) (D) nach ihrem Zeitplan zwölf Regierungsgesetze vom Bun- destag behandelt werden. Offensichtlich scheuen Sie mit Ihrer widersprüchlichen Politik das Tageslicht. Wenn die Ziele der Gesetze im Dunkeln bleiben, kann man sie ja auch im Dunkeln beraten. Ich fordere die Regierungsfraktionen auf, dem vorlie- genden Gesetzentwurf zuzustimmen und nicht dem An- sinnen der Bundesregierung zu folgen, die Länderöff- nungsklausel im Nachhinein durch Änderungsanträge aufzunehmen. Dies wäre eine unsinnige Verschlechte- rung des Gesetzes und stünde den Zielen der Moderni- sierung und des Bürokratieabbaus diametral entgegen. Es kann doch nicht ernsthaft am Ende des Gesetzesver- fahrens ein elektronisches Personenstandsregister für die Ehe geben und einen Rückfall in das Wirrwarr der Kleinstaaterei für die eingetragene Lebenspartnerschaft. Das Parlament ist der Gesetzgeber und ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass die Schmerz- grenze der Regierungsfraktionen gegenüber dem Murks der Bundesregierung irgendwann erreicht ist. In diesem Sinne wünsche ich uns eine vernunftgeleitete Debatte in den Fachausschüssen. 43. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13 Anlage 14 Anlage 15 Anlage 16 Anlage 17 Anlage 18 Anlage 19 Anlage 20 Anlage 21 Anlage 22 Anlage 23 Anlage 24 Anlage 25 Anlage 26 Anlage 27 Anlage 28 Anlage 29 Anlage 30 Anlage 31 Anlage 32
Gesamtes Protokol
Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1604300000

Die Sitzung ist eröffnet.

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie sehr herzlich zu unseren heutigen sehr um-
fangreichen Beratungen.

Bevor wir in die Tagesordnung einsteigen, darf ich
Sie um Aufmerksamkeit für einige amtliche Mitteilun-
gen bitten.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der vorliegenden Zusatzpunkt-
liste aufgeführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
zu den Antworten der Bundesregierung auf die dring-
lichen Fragen Nr. 5 und 6 auf Drucksache 16/1959

(siehe 42. Sitzung)



(Münster)

ordneter und der Fraktion der FDP
Für Nachhaltigkeit, Transparenz, Eigenverantwortung
und Wettbewerb im Gesundheitswesen
– Drucksache 16/1997 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)


Rede
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren


(Ergänzung zu TOP 37)

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise Beck


(Bremen), Volker Beck (Köln), Birgitt Bender, weiterer Abge-

ordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN
Menschenrechte in Usbekistan einfordern
– Drucksache 16/1975 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ute Koczy, Thilo
Hoppe, Dr. Uschi Eid, weiterer Abgeordnete
tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Eine Weltbank-Energiepolitik der Zukunf
Effizienz und erneuerbaren Energien, Nein
– Drucksache 16/1978 –
zung

den 29. Juni 2006

.00 Uhr

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Christian Strö-
bele, Volker Beck (Köln), Monika Lazar und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Befragung von Gefolterten und Nutzung von Folter-
erkenntnissen ausschließen
– Drucksache 16/836 –

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans-
Christian Ströbele und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN

Indigene Völker – Ratifizierung des Übereinkommens der
Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) Nr. 169 über
Indigene und in Stämmen lebende Völker in unabhängi-
gen Staaten
– Drucksache 16/1971 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss

text
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Burkhardt Müller-
Sönksen, Florian Toncar, Dr. Karl Addicks, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der FDP

7 Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik
in den auswärtigen Beziehungen und in anderen Politikberei-
chen

– Drucksache 16/1999 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Florian Toncar, Bur-
khardt Müller-Sönksen, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der FDP

weltweite Sicherstellung der Religionsfreiheit

sache 16/1998 –

isungsvorschlag:
r und der Frak-

t – Ja zu mehr
zur Atomkraft

Für die

– Druck

Überwe

Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Ulla
Lötzer, Hans-Kurt Hill, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der LINKEN
Keine Weltbankkredite für Atomtechnologie
– Drucksache 16/1961 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hüseyin-Kenan Ay-
din, Monika Knoche, Dr. Diether Dehm, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der LINKEN
Agrarbeihilfeempfänger offen legen
– Drucksache 16/1962 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz

ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache

(Ergänzung zu TOP 38)


a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD,
der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Ökologischen Landbau in Deutschland und Europa wei-
terentwickeln
– Drucksache 16/1972 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses

(2. Ausschuss)

Sammelübersicht 70 zu Petitionen
– Drucksache 16/1980 –

c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses

(2. Ausschuss)

Sammelübersicht 71 zu Petitionen
– Drucksache 16/1981 –

d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses

(2. Ausschuss)

Sammelübersicht 72 zu Petitionen
– Drucksache 16/1982 –

e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses

(2. Ausschuss)

Sammelübersicht 73 zu Petitionen
– Drucksache 16/1983 –

f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses

(2. Ausschuss)

Sammelübersicht 74 zu Petitionen
– Drucksache 16/1984 –

g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses

(2. Ausschuss)

Sammelübersicht 75 zu Petitionen
– Drucksache 16/1985 –

h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses

(2. Ausschuss)

Sammelübersicht 76 zu Petitionen
– Drucksache 16/1986 –

i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses

(2. Ausschuss)

Sammelübersicht 77 zu Petitionen
– Drucksache 16/1987 –

j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses

(2. Ausschuss)

Sammelübersicht 78 zu Petitionen
– Drucksache 16/1988 –
k) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses

(2. Ausschuss)

Sammelübersicht 79 zu Petitionen
– Drucksache 16/1989 –

ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD:
Lage am Ausbildungsmarkt – Ausbildungspakt als
Chance für Unternehmen, junge Menschen und den
Arbeitsmarkt

ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktionen der FDP und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Demokratiebewegung in Belarus unterstützen
– Drucksache 16/1977 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Nachtwei,
Alexander Bonde, Jürgen Trittin, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Waffen unter Kontrolle – Für eine umfassende Begren-
zung und Kontrolle des Handels mit Kleinwaffen und
Munition
– Drucksache 16/1967 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck (Köln),
Marieluise Beck (Bremen), Alexander Bonde, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN
Den neuen Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen
intensiv unterstützen
– Drucksache 16/1968 –

ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hüseyin-Kenan Ay-
din, Monika Knoche, Dr. Diether Dehm, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der LINKEN
Für ein Ende der Gewalt in Norduganda
– Drucksache 16/1976 –

ZP 10 Erste Beratung des von den Abgeordneten Sabine Leutheus-
ser-Schnarrenberger, Dr. Max Stadler, Jörg van Essen, weite-
ren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Passgesetzes
– Drucksache 16/2016 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss

Die Tagesordnungspunkte 16, 17, 34 und 38 i sollen
abgesetzt werden.

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden.

Außerdem ist beabsichtigt, die Tagesordnungspunkte 11
und 36, 19 und 20, 21 und 22 sowie 23 und 24 zu tau-
schen. Zu den bisher ohne Debatte vorgesehenen Tages-
ordnungspunkten 37 a – das ist die erste Lesung des Per-
sonenstandsrechtsreformgesetzes – und 38 j – dabei
handelt es sich um eine Beschlussempfehlung zu Anträ-
gen zum Notschleppkonzept für die Nord- und Ostsee –
wird eine Aussprache gewünscht. Der Tagesordnungs-
punkt 38 j soll nach dem Tagesordnungspunkt 23 und






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
der Tagesordnungspunkt 37 a als letzter Punkt der heuti-
gen Sitzung aufgerufen werden.

Schließlich mache ich auf zwei nachträgliche Aus-
schussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste
aufmerksam:

Der in der 40. Sitzung des Deutschen Bundestages überwie-
sene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für

(18. Ausschuss)


Antrag der Abgeordneten Monika Lazar, Irmingard Schewe-
Gerigk, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Rechtsextremismus ernst nehmen – Bundesprogramme
Civitas und entimon erhalten, Initiativen und Maßnah-
men gegen Fremdenfeindlichkeit langfristig absichern

– Drucksache 16/1498 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

Der in der 40. Sitzung des Deutschen Bundestages überwie-
sene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für

(18. Ausschuss)


Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Diana Golze, Petra
Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN

Fortführung und Verstetigung der Programme gegen
Rechtsextremismus

– Drucksache 16/1542 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre dazu keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe dann die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b
auf.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ich habe der Tagesordnung widersprochen!)


– Davon weiß ich nichts.

Soeben erfahre ich, dass ein Antrag zur Geschäfts-
ordnung der Fraktion Die Linke vorliegt. Das Wort hat
Frau Dr. Enkelmann.


Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604300100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die

Fraktion Die Linke widerspricht der Tagesordnung. Wir
widersprechen insbesondere der Aufsetzung des Tages-
ordnungspunktes „Beschlussempfehlung zum Steuer-
änderungsgesetz“. Abgesehen davon, dass man dieser
deutlichen Mehrbelastung der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer nicht zustimmen kann, geht es hier um das
Verfahren.
Wir haben im kollegialen Miteinander in der vergan-
genen Woche Fristverzicht erklärt. Am gestrigen Tag
fand eine Sitzung des Finanzausschusses statt. Es gab
eine Beschlussempfehlung mit den Unterschriften der
Berichterstatter aller Fraktionen. Weil einer Landes-
regierung offenkundig ein Änderungsantrag nicht passte,
wurde gestern zu etwas sehr später Stunde


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mitternacht!)


erneut eine Sitzung des Finanzausschusses für heute früh
um 7 Uhr einberufen und diese Änderung kraft Mehrheit
durchgesetzt. Die Berichterstatter der Oppositionsfrak-
tionen haben dem widersprochen.

Wir protestieren gegen dieses Verfahren. Ihr Parla-
mentsverständnis, meine Damen und Herren von der
Koalition, hat mit Demokratie nichts mehr zu tun.


(Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das, was hier passiert, ist Arroganz der Macht einer gro-
ßen Koalition. Aber die Opposition lässt sich nicht zum
Hampelmann machen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir beantragen deswegen die Absetzung der Be-
schlussempfehlung zum Steueränderungsgesetz von der
Tagesordnung.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1604300200

Das Wort in der Geschäftsordnungsdebatte hat nun

der Kollege Dr. Röttgen.


Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1604300300

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Durch nichts wurde Ihre Alternativlosigkeit und
Fantasielosigkeit in der Sache


(Widerspruch bei der LINKEN – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, na!)


bislang so deutlich wie heute Morgen. Sie wollen der
Sachdebatte offensichtlich ausweichen, indem Sie lä-
cherliche Verfahrenskritik üben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das nenne ich Arroganz der Macht! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wir wollen Demokratie!)


Wir müssen den Bürgern zeigen, dass wir über die
Sachprobleme reden und nicht darüber, dass morgens
um 7 Uhr ein Ausschuss tagt.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn Ihre Beschlussempfehlung? Ich habe sie ja noch nicht einmal!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norbert Röttgen
Es gibt Bürgerinnen und Bürger in diesem Land, die
morgens um 7 Uhr arbeiten müssen.


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Hoffentlich macht ihr das beim BDI anders!)


Das ist, glaube ich, gelegentlich auch Parlamentariern
zuzumuten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Regierungsfähigkeit fängt damit an, dass man morgens
früh aufstehen kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Bodo Ramelow [DIE LINKE]: Damit man beim BDI arbeiten kann, oder wie?)


Die Bürger haben doch Erwartungen in der Sache an
uns.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Oh ja! Erst recht bei diesen Beratungen!)


Bei diesem Gesetz geht es darum, dass Bund und
Länder wieder auf eine solide finanzielle Grundlage ge-
stellt werden, dass wir die Verschuldungspolitik beenden
und dass unser Staat, unser Gemeinwesen, unser Land
handlungs- und gestaltungsfähig wird, damit wir wieder
Politik machen können. Dafür sind Maßnahmen notwen-
dig, die es erfordern, dass die Menschen einen Beitrag
leisten. Wir können nicht die moralisch, politisch und
ökonomisch nicht mehr vertretbare Verschuldung been-
den wollen


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das ist doch eine Farce, Herr Kollege! Reden Sie endlich zum Verfahren! – Gegenruf des Abg. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Schreien Sie nicht so! – Gegenruf des Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ich schreie hier, soviel ich will!)


und gleichzeitig alle bestehenden Steuerbegünsti-
gungstatbestände erhalten. Darum geht es heute Morgen.
Ich bitte Sie bzw. fordere Sie auf, der Sachdebatte nicht
auszuweichen. Legen Sie Alternativen vor! Darüber
kann geredet werden. Aber üben Sie keine lächerliche
Verfahrenskritik.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das sind vielleicht Parlamentarier! Meine Güte!)


In der Sache geht es ja nicht darum, dass einem Ge-
setz ein Punkt hinzugefügt worden ist. Dann könnten Sie
sagen: Damit konnten wir uns noch nicht beschäftigen.
Es fehlte die Zeit, sich damit auseinander zu setzen. –
Wenn dem so wäre, wäre Ihre Kritik berechtigt. Nein, es
geht lediglich darum, dass aus einem Gesetz eine iso-
lierte Regelung zur Behördenzuständigkeit herausge-
nommen wurde, wodurch sich an der Sache nichts än-
dert.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Na, na, na! Sie haben sich wohl nicht mit der Sache beschäftigt!)

Damit kann eigentlich kein Kollege oder keine Kollegin
intellektuell überfordert sein. Darum ist es richtig, heute
darüber zu debattieren und eine Entscheidung zu treffen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1604300400

Das Wort hat nun der Kollege Carl-Ludwig Thiele für

die FDP-Fraktion.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1604300500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Kolleginnen und Kollegen! Heute soll in erster Lesung
das Steueränderungsgesetz 2007 beraten werden. Dazu
möchte ich etwas erklären, weil das nicht jeder wissen
kann: Es handelt sich hierbei um ein Artikelgesetz.
Wenn es um ein solches Artikelgesetz geht, können im
Laufe des Verfahrens Teile des Gesetzes herausgenom-
men oder Teile hinzugefügt werden. In diesem Fall ist
seitens der Mehrheit dieses Hauses bzw. des Finanzaus-
schusses ein Passus über die Steuerstatistik in das Gesetz
aufgenommen worden. Das ist der Punkt, der die techni-
schen Probleme, auf die ich zu sprechen kommen werde,
auslöst.

Über dieses Gesetz wurde gestern im Finanzaus-
schuss abschließend abgestimmt; es ist eine Bericht-
erstattung erfolgt. Aufgrund der Vorteile, die Handys
bieten, erhielt ich um 23 Uhr in der letzten Nacht die
Nachricht, dass heute Morgen um 7 Uhr eine Sitzung des
Finanzausschusses stattfinden soll. Herr Kollege Rött-
gen, die Opposition war anwesend.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ja, natürlich! Das ist doch selbstverständlich! – Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Wir haben an der Beratung teilgenommen, weil wir uns
selbst einem unüblichen Verfahren nicht automatisch
entziehen.


(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben in der Sache beraten.

Bei diesem Gesetz gibt es aber nicht nur ein Mitei-
nander, sondern es ist auch ein förmliches Gesetzge-
bungsverfahren zu beachten. Der Deutsche Bundestag
hat sich selbst eine Geschäftsordnung gegeben. In dieser
Geschäftsordnung sind gewisse Regeln enthalten. Eine
dieser Regeln lautet, dass jeder Abgeordnete – auch
wenn er Mitglied eines nicht mit dem Gesetzgebungs-
verfahren befassten Ausschusses ist – die Möglichkeit
haben muss, den Inhalt eines Gesetzes vor der Abstim-
mung zur Kenntnis zu nehmen.


(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb sieht diese Regel vor – das ist in der Geschäfts-
ordnung verankert –, dass die entsprechenden Unterla-
gen jedem Abgeordneten 24 Stunden vor der Debatte zur
Verfügung gestellt werden müssen.

Wir als Opposition haben erklärt, dass wir angesichts
des Zeitdrucks aufgrund der morgigen Abstimmung über






(A) (C)



(B) (D)


Carl-Ludwig Thiele
die Föderalismusreform auf Fristeinrede verzichten.
Aber das kann nicht dazu führen, dass gesagt wird, dass
für das, was heute im Finanzausschuss behandelt wurde,
keine Berichterstatter der Opposition gebraucht würden,
sie würden nur stören. Denn es gab Berichterstatter und
der alte Beschluss des Finanzausschusses musste aufge-
hoben werden, um hier eine neue Beschlussgrundlage zu
bekommen.

Nach meinen Informationen hat die Steuerstatistik ein
Bundesland gestört. Die übrigen 15 Bundesländer haben
gesagt, sie störe sie auch. Da bin ich schon etwas über-
rascht, dass in einem geordneten Gesetzgebungsverfah-
ren die Koalition wie in einem Studentenparlament
agiert


(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


und sagt, sie habe gar keine andere Möglichkeit, sie
müsse das jetzt durchziehen und wenn die Opposition
störe, müsse sie raus. So kann es nicht laufen; denn auch
die Opposition ist gewählt.


(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Opposition trägt dazu bei, auch mit Kritik und An-
merkungen – die Mehrheit ist ja gesichert –, dass das
Verfahren vernünftig stattfindet. Dieses heute prakti-
zierte Verfahren ist abenteuerlich. Ich habe so etwas in
meiner Parlamentszeit, die immerhin seit 1990 währt,
noch nicht erlebt.

Es gäbe zwei andere Möglichkeiten: Die Koalition
hat zum Beispiel die Möglichkeit, heute in zweiter Le-
sung einen entsprechenden Änderungsantrag zu stellen;
dann wäre das Formelle überhaupt kein Problem. Ich
verstehe nicht, warum die Koalition diese Möglichkeit
nicht nutzt.

Ich habe im Finanzausschuss ein weiteres Verfahren
vorgeschlagen: Das Gesetz könnte so verabschiedet wer-
den, wie es gestern vom Finanzausschuss beschlossen
wurde. Ich möchte dann doch mal sehen, ob die Herren
Ministerpräsidenten es wagen, dieses Gesetz, welches
Mehreinnahmen für die öffentliche Hand bringen soll,
indem die Bürger bei der Entfernungspauschale schlech-
ter gestellt werden und der Sparerfreibetrag gekürzt
wird, im Bundesrat wegen einer technischen Frage zu
stoppen. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich glaube das
nicht. Andernfalls: Wenn sie es stoppen, ginge es in den
Vermittlungsausschuss. Über dessen Ergebnis könnte
dann wieder abgestimmt werden. So könnte dieses Ge-
setz in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren ver-
abschiedet werden.

Wir als Opposition haben somit mögliche Wege auf-
gezeigt. Wir haben auch an den Beratungen im Finanz-
ausschuss teilgenommen. An der Abstimmung haben
wir aber bewusst nicht teilgenommen, weil wir sie nach
wie vor für unzulässig halten.

Ich habe eine Bitte an die große Koalition: Herr Kol-
lege Kauder, Sie können die Sitzung auch unterbrechen.
Denn diese Verfahrensfrage entzieht sich aus meiner
Sicht in wesentlichen Teilen einer Mehrheitsentschei-
dung des Bundestages.


(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Damit wäre das Gesetz als solches „infiziert“. Ange-
sichts der verfassungsrechtlichen Probleme dieses Ge-
setzes – um es einmal sehr vorsichtig auszudrücken; in-
haltlich werden wir noch darüber debattieren – steht es
durchaus zu erwarten, dass der eine oder andere Bürger
gegen dieses Gesetz vor Gericht ziehen wird.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1604300600

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1604300700

Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin.

Weil es zu einem ordnungsgemäßen Gesetzgebungs-
verfahren gehört, bestimmte Regeln einzuhalten, bitte
ich Sie, Ihr Vorgehen zu überprüfen. Ansonsten laufen
Sie Gefahr, auch unter rechtsförmlichen Gesichtspunk-
ten, ein Gesetz zu beschließen, welches richterlich keine
Anerkennung finden wird.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb stimmen wir als FDP dem Antrag der Linkspar-
tei zu.


(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1604300800

Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Olaf

Scholz.


Olaf Scholz (SPD):
Rede ID: ID1604300900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will

es ganz kurz machen: Die Aufregung, die wir hier ver-
mittelt bekommen, hat mit dem Inhalt, um den es geht,
nichts zu tun.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich glaube, das ist eine bemerkenswerte Erkenntnis.

Es geht um eine Veränderung von Steuerstatistiken;
das kann man machen, man kann es auch lassen. Ich
glaube wie der Kollege Röttgen, dass man sich schnell
überlegen kann, wie man sich in der Abstimmung dazu
verhalten will. Ich glaube, große Reden zu halten über
Demokratie, Parlamentarismus und Bruch von Rechten,


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Genau darum geht es! – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Olaf, Olaf! – Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um die Zeiten!)


ist im Verhältnis dazu, worum es eigentlich geht, völlig
unangemessen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Olaf Scholz
Es kann sein, dass Bürgerinnen und Bürger diese De-
batte verfolgen


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie reden, schalten die Bürger wieder ab! Das ist sicher!)


und, gerade weil hier große Reden gehalten werden,
überlegen: Was ist denn das wichtige Thema? Sie müs-
sen dann ganz enttäuscht feststellen, dass hier völlig un-
angemessene Reden gehalten werden.

Was man hier aber noch einmal mitteilen muss: Alles
ist ordnungsgemäß. Deshalb hat auch niemand etwas an-
deres vorgetragen. Das waren alles nur Erwägungen zum
Thema.

Selbstverständlich kann im Finanzausschuss etwas
Neues beschlossen werden. Das ist heute Morgen um
7 Uhr in der Sitzung geschehen. Es kann eine Änderung
vorgenommen werden, bevor die Vorlagen endgültig an
die Abgeordneten verteilt werden. Etwas anderes ist
nicht erfolgt. Insofern entspricht das Verfahren, das wir
hier miteinander gewählt haben, der Geschäftsordnung
des Deutschen Bundestages und all unseren Regeln voll-
ständig. Darum muss man auch nicht die Sorge haben,
dass es deswegen Prozesse geben wird; jedenfalls wer-
den sie nicht erfolgreich sein.

Weil wir das Gesetz wirksam werden lassen wollen
und deshalb auch nur angemessen kurze Reden zu dem
halten, worum es hier eigentlich geht, beende ich hiermit
meinen Beitrag.

Wir lehnen diesen Antrag jedenfalls ab.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1604301000

Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat

nun der Kollege Volker Beck das Wort.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604301100

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der großen Ko-

alition! Auch die lieben Kolleginnen und Kollegen der
anderen Fraktionen seien gegrüßt! Das, was Sie vonsei-
ten der Koalition hier vorgeführt haben, geht so nicht.
Das ist nur noch Arroganz der Macht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)


Sie sagen für alle, dass parlamentarische Beratungsver-
fahren nicht mehr respektiert werden müssen. Sie kön-
nen sich nicht damit herausreden, dass es sich hier um
keine wichtige Sache handele. Wenn es nicht um eine
wichtige Sache gehen würde, würden wir Ihrem Verfah-
ren in der Sache nicht widersprechen.

In § 81 Abs. 1 der Geschäftsordnung ist vorgesehen,
dass von der Verteilung der Vorlagen bis zur Beratung
normalerweise zwei Tage vergehen müssen. Das hat ei-
nen guten Grund, nämlich den, dass sich alle Kollegin-
nen und Kollegen hier im Hause eine Meinung bilden
können müssen, weil sie als Abgeordnete – und nicht als
Fraktionsmitglieder – verpflichtet sind, ihr Abstim-
mungsverhalten vor dem Volk, vor dem Wähler zu ver-
antworten. Diese Verantwortung treten Sie mit Ihrem
Verfahren mit Füßen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)


Wir als Opposition haben gesagt – das ist guter
Brauch unter den Geschäftsführern –: Wenn die Vorlage
am Vortag, am Mittwoch, im Ausschuss fertig ist und
abends verteilt wird, dann hat jeder am Abend noch die
Möglichkeit, nachzulesen und Fragen, die sein Abstim-
mungsverhalten berühren, bis zum nächsten Morgen zu
klären. Als ich vorhin um 8.30 Uhr ins Haus kam, lagen
die Vorlagen beim Dienst noch nicht vor. Wie soll man
aber wissen, was man hier tut, wenn man die Vorlagen
nicht hat, über die man reden und entscheiden soll?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)


Mit Ihrer Vorgehensweise stellen Sie auch den Kolle-
ginnen und Kollegen der großen Koalition, die überwie-
gend gar nichts für ein solches Verfahren können, ein su-
perschlechtes Zeugnis aus. Sie sagen nämlich: Egal, was
in der Vorlage steht, unsere Leute stimmen dem ungele-
sen auf jeden Fall zu.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)


Ich finde, als Mitglieder dieses Hauses sollten wir ein
solches Verhalten der Fraktionsführungen der großen
Koalition gemeinsam zurückweisen. Die Bürgerinnen
und Bürger draußen im Lande glauben doch nicht mehr,
dass wir hier ernsthaft um Lösungen ringen und dass wir
wissen und verantworten, was wir hier tun, wenn wir
noch nicht einmal lesen können, was wir hier beschlie-
ßen und worüber wir abstimmen.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wenn Sie nicht lesen können, dann können wir Ihnen auch nicht helfen!)


Wir widersprechen nach § 20 Abs. 2 der Geschäfts-
ordnung der Aufsetzung dieses Tagesordnungspunktes,
da die Voraussetzungen nicht gegeben sind, und wir er-
klären, dass der Fristverzicht, den wir für eine andere
Vorlage erklärt haben, zurückgezogen ist.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Nein, das kann man nicht!)


Ich komme nun noch zu dem, was Sie im Ausschuss
getan haben. Mit Ihrer Zweidrittelmehrheit können Sie
hier ja alles tun. Sie können uns auch gleich nach Hause
schicken.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Nicht so wehleidig und selbstgerecht! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Bleiben Sie noch ein bisschen!)


Dann treffen wir uns einmal im Jahr und führen die Ge-
setzgebung durch, wobei Sie die Opposition aber nicht
mehr mitreden lassen. – Sie haben die Berichterstatter
der Opposition im Finanzausschuss, weil sie Ihnen nicht
passten, nach Abschluss der Beratungen ihrer Ämter ent-
hoben, sie vor die Tür gesetzt und ihnen gesagt, dass sie
keine Berichterstatterrechte mehr haben, dass nur noch






(A) (C)



(B) (D)


Volker Beck (Köln)

die Herren und Damen von der großen Koalition das Sa-
gen haben. Das ist eine Ungeheuerlichkeit.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: So ein Unsinn! Das war doch überhaupt nicht so! – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sie waren doch überhaupt nicht dabei! So etwas Lügenhaftes!)


Das ist unkollegial und unparlamentarisch. Deshalb ist
das eine Schande für die große Koalition und für dieses
Haus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1604301200

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben nun fol-

genden Sachverhalt:

Die Fraktion Die Linke hat einen Geschäftsordnungs-
antrag auf Absetzung der Punkte 3 a und b von der
Tagesordnung gestellt. Herr Beck von den Grünen hat
soeben Fristeinrede geltend gemacht. – Ich bitte die Ge-
schäftsführer, zu mir zu kommen, um kurz über das wei-
tere Abstimmungsverfahren zu beraten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Sachverhalt
konnte nicht endgültig geklärt werden. Die FDP-Frak-
tion hat soeben den Antrag gestellt, die Beratungen da-
rüber im Ältestenrat fortzusetzen. Darüber hinaus wurde
mir mitgeteilt, dass die FDP eine Fraktionssitzung
durchführt.

Ich unterbreche die Sitzung. Sie werden über die Fort-
setzung der Plenarsitzung informiert. Im Moment kann
ich nicht sagen, wie lange es dauern wird.


(Unterbrechung von 9.23 bis 10.30 Uhr)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1604301300

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.


(Unruhe)


– Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Platz zu
nehmen und die Gespräche einzustellen.

Der Ältestenrat hat sich darauf verständigt, dass nun
über den Geschäftsordnungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Absetzung dieses Tagesordnungspunkts abge-
stimmt wird. Ich bitte um Handzeichen von denjenigen,
die dem Antrag zustimmen wollen. – Wer ist dagegen? –
Enthaltungen? – Dann ist der Antrag abgelehnt mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der FDP-Fraktion, der Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen und der Fraktion Die Linke.

Damit rufe ich die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b
auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Steueränderungsgesetzes 2007

– Drucksache 16/1545 –
– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Steuerän-
derungsgesetzes 2007

– Drucksachen 16/1859, 16/1969 –

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi-
nanzausschusses (7. Ausschuss)


– Drucksachen 16/2012, 16/2028 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Olav Gutting
Gabriele Frechen
Kerstin Andreae
Dr. Volker Wissing


(8. Ausschuss)


– Drucksache 16/2013 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk
Jochen-Konrad Fromme
Carsten Schneider (Erfurt)


b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Christine
Scheel, Kerstin Andreae, Dr. Gerhard Schick,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Steueränderungsgesetz 2007 zurückziehen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Volker Wis-
sing, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig
Thiele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP

Keine weiteren Steuererhöhungen

– Drucksachen 16/1501, 16/1654, 16/2012, 16/2028 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Olav Gutting
Gabriele Frechen
Kerstin Andreae
Dr. Volker Wissing

Zum Entwurf des Steueränderungsgesetzes liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
sen.


(Anhaltende Unruhe)


Ich eröffne die Aussprache und bitte Sie um Auf-
merksamkeit für den ersten Redner in dieser Debatte,
den Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1604301400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Es ist knapp eine Woche her, dass
dieses Hohe Haus den Bundeshaushalt 2006 angenom-
men hat.


(Anhaltende Unruhe)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1604301500

Herr Minister, einen Moment bitte. – Kolleginnen und

Kollegen, ich bitte Sie, wenn Sie der Debatte folgen wol-
len, Platz zu nehmen und sich darauf zu konzentrieren,
und diejenigen, die etwas anderes zu tun haben, den Saal
zu verlassen. – So, Herr Minister, Sie haben das Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1604301600

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich habe meine

Rede mit dem Hinweis begonnen, dass es knapp eine
Woche her, dass – –


(Zurufe: Lauter!)


– Können Sie mich nicht verstehen? Soll ich das Mikro-
fon in die Hand nehmen?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja! – Jürgen Koppelin [FDP]: Die Bürger verstehen Sie auch so nicht! – Beifall bei Abgeordneten der FDP)


– Die Bürgerinnen und Bürger verstehen mich eher als
Ihre Fraktion!

Können Sie mich jetzt verstehen?


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Nicht wirklich! Weder akustisch noch inhaltlich!)


Was mache ich mit der Technik?


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1604301700

Es wird schon geregelt, Herr Minister; wir sind dabei.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1604301800

Meine Damen und Herren! Es ist eine knappe Woche

her, dass dieses Hohe Haus den Bundeshaushalt 2006
angenommen hat. Denjenigen, die die Gelegenheit hat-
ten, meinen Ausführungen zu folgen, ist in Erinnerung,
dass ich den Hinweis gegeben habe, dass dieser
Bundeshaushalt 2006 lediglich der Beginn eines langen,
durchaus steinigen Weges ist. Er leitet einen Weg ein,
der uns wieder zu dauerhaft tragfähigen öffentlichen Fi-
nanzen führen soll, einen Weg, der die finanziellen
Spielräume des Bundes, aber auch der anderen Gebiets-
körperschaften wieder erweitern soll und uns Spielräume
geben soll, mehr Zukunftsfinanzierung zu betreiben als
bisher.

Es ist deshalb Ausdruck der Zielstrebigkeit der gro-
ßen Koalition, wenn wir jetzt, eine Woche später, das
Steueränderungsgesetz 2007 einbringen. Das ist eine
weitere, wichtige Etappe auf diesem Weg. Vor allem ist
es der Beleg dafür, dass diese große Koalition konse-
quent und entschlossen die finanzpolitische Agenda ab-
arbeitet, die wir uns vorgenommen haben. Wir haben
Transparenz gezeigt und das, was im Koalitionsvertrag
steht, mit den späteren Beschlüssen – insbesondere de-
nen von Genshagen – bestätigt. Das halte ich für wichtig
und das halte ich auch für gut so; denn damit wissen die
Bürgerinnen und Bürger genau, dass die steuerpoliti-
schen Entscheidungen der Bundesregierung berechenbar
und verlässlich sind,


(Lachen bei Abgeordneten der FDP)


selbst dort, wo wir unpopuläre Maßnahmen zu treffen
haben, um die sich zumindest ein Teil der Mitglieder der
Oppositionsfraktionen drückt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit dem vorliegenden Entwurf des Steueränderungs-
gesetzes 2007 setzt die Bundesregierung die auf allen
staatlichen Ebenen notwendige Konsolidierung der öf-
fentlichen Haushalte fort. Dies bedeutet eben, auch eine
Reihe von Maßnahmen zu verabschieden, die keine La-
Ola-Wellen bei den Bürgerinnen und Bürgern auslösen.
Dabei war und bleibt es unrealistisch, anzunehmen, dass
wir unseren ehrgeizigen, aber notwendigen Konsolidie-
rungskurs ohne Einschnitte in sicher geglaubte Besitz-
stände vollziehen können. Zu dem von der Bundesregie-
rung eingeschlagenen strikten Sparkurs sehe ich deshalb
keine überzeugende Alternative.

Die Bundesregierung verkennt nicht, dass diese not-
wendige Haushaltskonsolidierung in Einzelfällen auch
mit spürbaren Einschnitten, mit Härten und mit Zumu-
tungen verbunden ist. Umso mehr sind wir darum be-
müht, belastende Maßnahmen auch unter dem Gesichts-
punkt der individuellen Leistungsfähigkeit und im
Ergebnis zumutbar auszugestalten. Dies gilt auch und
gerade für den vorliegenden Gesetzentwurf. Ich möchte
dies zum Beispiel an der Pendlerpauschale noch einmal
deutlich machen.

Ohne Einsparungen auch bei der Pendlerpauschale
und bei anderen Maßnahmen werden wir nicht zu soli-
den Finanzen zurückkommen. Auch im Trommelfeuer
mancher Kritik ist gänzlich untergegangen, dass wir uns
auch bei den Regelungen zur Pendlerpauschale von ei-
ner, wie wir glauben, möglichst fairen Verteilung der Be-
lastung leiten lassen. Fernpendler, also genau die Berufs-
tätigen mit dem höchsten Aufwand, das heißt, mit dem
weitesten Weg zur Arbeit, werden im Rahmen der vorge-
sehenen Härtefallregelung in Zukunft immer noch einen
erheblichen Teil ihrer Fahrtkosten in Ansatz bringen
können.

Derselbe Gesichtspunkt gilt auch mit Blick auf den
Balkon derjenigen, die sich in den oberen Einkommens-
etagen bewegen, also für die Reichensteuer. Auch hier
geht es nicht um Symbolpolitik, wie es uns viele unter-
stellen, sondern es geht darum, dass dem Grundsatz ei-
ner fairen Lastenverteilung Rechnung getragen wird;
denn der Einkommensteuerzuschlag für Spitzenverdie-
ner ist auch ein Beitrag zur verteilungspolitischen Ba-
lance, unabhängig davon, welche Beträge dahinter ste-
hen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Peer Steinbrück
– An dieser Stelle habe ich mich offenbar verständlich
ausgedrückt.


(Jörg van Essen [FDP]: Aber nur da, Herr Minister!)


Ich bin überzeugt: Wenn sich die Schwaden der Ne-
belkerzen, die jetzt gelegentlich geworfen werden, ver-
zogen haben, dann werden auch die Bürgerinnen und
Bürger die Vorzüge einer Steuer- und Finanzpolitik er-
kennen, die versucht, für nachfolgende Generationen
finanzielle Spielräume zu erhalten, anstatt ihren Kindern
und Enkelkindern einfach nur einen Schuldenberg vor
die Füße zu kippen, und die Anstrengungen der Bundes-
regierung, einen solchen Pfad einzuschlagen, vielleicht
etwas fairer würdigen, als dies in manchen begleitenden
Kommentaren bisher der Fall ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich glaube, dass viele Bürgerinnen und Bürger bereit
sind, einen solchen Kurs der Bundesregierung zu unter-
stützen. Er wird als das akzeptiert, was er ist, nämlich
ein notwendiger Beitrag, um langfristig zu tragfähigen
öffentlichen Finanzen und damit auch wieder zum Ver-
trauen in die Verlässlichkeit der Haushalts- und Finanz-
politik zu kommen.

Jeder Einzelne weiß doch, dass es ein privater Haus-
halt auf Dauer nicht aushält, wenn seine Ausgaben nur
zu 80 Prozent durch Einnahmen gedeckt sind.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Und was tut er dann?)


Das werden sie, die privaten Haushalte, sich nicht leisten
können und die öffentlichen Haushalte können dies auf
Dauer ebenfalls nicht aushalten.

Der heute vorliegende Gesetzentwurf darf nicht iso-
liert betrachtet werden. Er ist ein weiterer wichtiger Be-
standteil des ausgewogenen steuerpolitischen Maßnah-
menbündels der großen Koalition, mit dem wir auch
steuerliche Ausnahmetatbestände und Subventionen
konsequent abbauen. Das haben wir bereits in einem er-
heblichen Umfang getan.

Ich möchte daran erinnern, dass die Bundesregierung
mit dem Gesetz zur Beschränkung der Verlustverrech-
nung im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen,
mit dem Gesetz zum Einstieg in ein steuerliches Sofort-
programm, mit dem Gesetz zur Abschaffung der Eigen-
heimzulage und mit dem Gesetz zur Eindämmung miss-
bräuchlicher Steuergestaltungen bereits ein ganzes Stück
Weg zurückgelegt hat, um Steuersubventionen abzu-
bauen.

Anknüpfend an diese Ausführungen möchte ich des-
halb darauf hinweisen und an all diejenigen, die, wie ich
glaube, wenig schlüssige Vorschläge vorlegen, appellie-
ren, dass dieser Weg des Abbaus von Steuersubventio-
nen nicht diskreditiert werden sollte. Es darf nicht pas-
sieren, dass zahlreiche Experten und fast alle Parteien
– auch die, die in diesem Hohen Hause vertreten sind –
den Abbau von Steuersubventionen verlangen, aber in
helle Aufregung verfallen und mir nichts, dir nichts aus
dem Abbau einer Steuersubvention eine Steuererhöhung
machen, um mit diesem Begriff auch im Publikum Re-
flexe auszulösen, wenn wir sehr konkret an diese Arbeit
herangehen. Dies ist nicht sehr konsequent und schlüs-
sig.

Eine solche Politik ist eher Klientelpolitik und das
krasse Gegenteil von dem, was die Bundesregierung an-
strebt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Jörg van Essen [FDP]: Zu Recht ein sehr dünner Beifall! – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Zwei stimmen Ihnen jeweils zu!)


– Herr Westerwelle, ich bin mir ziemlich sicher, dass
mehr zustimmen. Im Grunde stimmen Sie doch auch zu.


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Nein, wirklich nicht!)


– Sie stimmen doch dem notwendigen Abbau von
Steuersubventionen zu oder nicht?


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Aber doch nicht zum Stopfen Ihrer Haushaltslöcher!)


– Wozu denn dann?


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Um Steuersätze zu senken, Herr Minister!)


– Das ist doch völlig unmöglich. Dieser Dreizack funk-
tioniert nicht. Die FDP verspricht Ihnen, meine Damen
und Herren, die Nettokreditaufnahme zu senken, Investi-
tionen zu erhöhen und gleichzeitig die Steuern zu sen-
ken. Das ist völlig irreal.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das, was Sie in Ihrem Antrag fordern, nämlich die
Steuersätze weiter zu senken, also eine weitere Steuer-
entlastung, ist irreal. Man sollte Ihnen nicht von hier bis
zum nächsten Briefkasten glauben, weil Sie genau wis-
sen, dass Sie in einer Regierungsverantwortung diesen
Kurs nicht realisieren könnten.

Ich halte daran fest: Wir brauchen einen Abbau von
Steuersubventionen. Die Vorstellung, man könne darauf
verzichten, ist das Gegenteil von dem, was die Bundes-
regierung anstrebt. Wir wollen zur Haushaltskonsolidie-
rung beitragen und diese vorantreiben. Wir wissen, dass
die damit verbundenen Einschnitte alles andere als popu-
lär sind, aber sie sind im Ergebnis zumutbar. Wir brau-
chen sie, wenn wir langfristig wieder auf einen soliden
Haushaltskurs zurückfinden wollen, was insbesondere
unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtig-
keit von erheblicher Bedeutung ist, wenn wir unseren
Kindern und Enkelkindern nicht eine immense Steuerlast
buchstäblich aufbürden und einen Haushalt hinterlassen
wollen, den sie eines Tages nur noch auf dem Weg von
Steuererhöhungen oder erheblichen Leistungskürzungen
tragen können. Ich bitte deshalb um Unterstützung für
diesen Entwurf des Steueränderungsgesetzes 2007.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1604301900

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Volker

Wissing das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1604302000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Angela Merkel zufolge hat Gerhard Schröder Deutsch-
land zu einem Sanierungsfall gemacht. Dafür hält der
Fraktionschef der SPD ihn aber trotzdem für den besse-
ren Kanzler, weil Schröder mehr gehandelt und weniger
ausgelotet habe als Sie, Frau Bundeskanzlerin. Ich kann
nur sagen: Herzlich willkommen im Tollhaus der großen
Koalition!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Den Menschen in unserem Land wird erzählt, dass die
Erhöhung der Mehrwertsteuer für die bevorstehenden
Reformen unabdingbar sei. Kurze Zeit später teilt uns
der Vorsitzende der SPD-Fraktion in einem Interview
mit, dass man auf die größte Steuererhöhung in der Ge-
schichte unseres Landes auch hätte verzichten können,
wenn man bereit gewesen wäre, zu sparen.


(Beifall bei der FDP)


Meine Damen und Herren, dass die große Koalition
von Sparen nichts versteht und dass diese Bundesregie-
rung vom Schuldenmachen viel versteht, haben Sie mit
der Vorlage des Bundeshaushaltes wahrlich bewiesen,


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


so nach dem Motto: Warum sollen wir sparen? Schulden
machen ist viel einfacher und Steuererhöhungen sind
noch leichter. – Die Politik der Steuererhöhungen ist
inzwischen das Markenzeichen dieser großen Koalition.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Frau Bundeskanzlerin, Sie sind die Kanzlerin der klei-
nen Schritte, aber bei den Steuererhöhungen geben Sie
Vollgas.


(Beifall bei der FDP)


Egal, was CDU/CSU und SPD anpacken, ohne Steuer-
erhöhungen geht nichts: Haushaltskonsolidierung – via
Steuererhöhungen; Auflage eines Wachstums- und Be-
schäftigungsprogramms, was nur Mitnahmeeffekte mit
sich bringt – finanziert über Steuererhöhungen; Senkung
von Lohnnebenkosten – selbstverständlich über Steuer-
erhöhungen; Reform des Gesundheitswesens – ebenfalls
über Steuererhöhungen finanziert. Die große Koalition
steht für große Steuererhöhungen in unserem Land und
– hier können Sie, Frau Merkel, sogar einen Superlativ
vorweisen – die größte Steuererhöhung in der Ge-
schichte der Republik.


(Beifall bei der FDP)


Sie erhöhen Steuern ohne Rücksicht auf die Men-
schen in unserem Land, ohne Rücksicht auf die Unter-
nehmen und ohne Rücksicht auf die Verfassung. Die
Reichensteuer, die Sie heute zum Beschluss vorlegen, ist
ebenso verfassungswidrig wie die willkürliche Kürzung
der Pendlerpauschale. Es ist ungeheuerlich, wie CDU/
CSU und SPD mit dem Grundgesetz umgehen.


(Beifall bei der FDP)


Für Sie ist der Bruch der Verfassung die Fortsetzung der
Politik mit anderen Mitteln. Wir haben heute Morgen in
der Geschäftsordnungsdebatte erlebt, mit welcher Arro-
ganz der Macht Sie der Opposition begegnen. Ich kann
Ihnen nur zurufen: Das wird Sie noch einholen.


(Beifall bei der FDP)


Mit der Reichensteuer beschränken Sie die Steuerbe-
lastungen ausschließlich auf Erwerbseinkommen. Das
ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Trotzdem wol-
len Sie den Gesetzentwurf heute beschließen.

Die Kürzung der Pendlerpauschale ist willkürlich von
Ihnen festgesetzt worden. Alle Experten haben Ihnen das
in der Anhörung des Finanzausschusses unisono be-
scheinigt. Wie ich mir aber von meinen Kolleginnen und
Kollegen im Finanzausschuss habe erklären lassen müs-
sen, sei das ein bisschen weniger verfassungswidrig als
eine andere Lösung. „Ein bisschen verfassungswidrig“
gibt es aber ebenso wenig wie „ein bisschen schwanger“.
Wo leben wir denn, dass solche Abwägungen getroffen
werden? Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass die
Erkenntnis „verfassungswidrig ist verfassungswidrig“
bei Ihnen angekommen ist.

Dieser hemdsärmelige Umgang mit dem Grundgesetz
ist unverantwortlich und im Grunde genommen nichts
anderes als ein Beleg für Ihre hilflose Finanzpolitik,
Herr Steinbrück. Sie haben kein finanzpolitisches Kon-
zept und picken wie ein blindes Huhn in unserem Steuer-
system herum. Das ist keine nachhaltige Finanzpolitik.
So kommen wir in Deutschland nicht weiter.


(Beifall bei der FDP)


Man kann ja über den Abbau von Steuervergünstigun-
gen reden, Herr Steinbrück, aber dann muss man die
Menschen in Deutschland auch durch Tarifsenkungen
entlasten. Sie, meine Damen und Herren von der Union,
haben das unisono im Wahlkampf gefordert und bleiben
den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland die Entlas-
tungen schuldig.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/CSU])


Sie reden von Reformen und meinen Steuererhöhun-
gen. Sie reden von Haushaltskonsolidierung und meinen
Steuererhöhungen. Sie reden von Wachstum und Be-
schäftigung, Frau Kanzlerin, und meinen immer nur
Steuererhöhungen. Glauben Sie denn im Ernst, die Men-
schen in Deutschland hätten nicht langsam gemerkt, dass
Sie sie hinter die Fichte führen? Ihre Politik ist doch eine
Beleidigung für jeden denkenden Menschen in Deutsch-
land.


(Florian Pronold [SPD]: Ihre Rede ist eine Beleidigung für jeden denkenden Menschen!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Volker Wissing
Sie wollen nicht sparen, erwarten aber genau das von
den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland. Die Men-
schen in Deutschland müssen Ihre Politik des kleinsten
gemeinsamen Nenners künftig bei jedem Einkauf mit ei-
nem Zuschlag in Höhe der 3 Prozentpunkte finanzieren.
Sie sollten übrigens bei dem Begriff „Merkel-Steuer“
bleiben. Das erspart der SPD das Umdenken und ist
überaus zutreffend.


(Beifall bei der FDP)


Wissen Sie eigentlich, was Sie mit dieser Politik an-
richten? Wir haben eine desolate Binnennachfrage. Sie
aber entziehen den Menschen unentwegt Kaufkraft in
Milliardenhöhe und gefährden Arbeitsplätze in diesem
Land. Das ist in hohem Maße unsozial, meine lieben
Kolleginnen und Kollegen von der SPD.


(Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Mit dem Begriff „sozial“ kennt ihr euch nicht aus!)


Sie beschließen mit der Mehrwertsteuererhöhung die
höchste Steuererhöhung in der Geschichte unseres Lan-
des. Sie legen uns heute einen Gesetzentwurf vor, der zu
weiteren Belastungen der Bürgerinnen und Bürger in
Milliardenhöhe führt, und planen bei der Gesundheitsre-
form – ja, was denn wohl? – weitere Steuererhöhungen.

Kürzlich habe ich Sie gefragt, Herr Steinbrück, ob Sie
ausschließen können, dass es bei der Gesundheits-
reform zu weiteren Steuererhöhungen kommt. Die Ant-
wort lautete: Ich werde den Teufel tun. – Wie vom Teu-
fel geritten kommt dann die SPD mit der Forderung nach
zusätzlichen Steuerbelastungen in Höhe von 40 Milliar-
den Euro für die Bürgerinnen und Bürger daher. Das
kann in Deutschland nicht so weitergehen.


(Beifall bei der FDP)


Große Steuererhöhungen, kleine Reförmchen, bei den
Steuererhöhungen klotzen, beim Sparen kleckern und
beim Schuldenmachen kräftig zugreifen: Das ist Ihre
Finanzpolitik. Dabei sind die Einnahmen gar nicht das
Problem, Herr Steinbrück. Das wissen Sie auch. Wir er-
zielen Steuereinnahmen in Rekordhöhe. Sie sprudeln
geradezu. Die Äußerung Ihres Fraktionsvorsitzenden
– er ist gerade nicht anwesend; er entzieht sich offenbar
dieser Debatte –,


(Jörg Tauss [SPD]: Es lohnt sich ja nicht, zuzuhören!)


die Mehrwertsteuererhöhung sei überflüssig gewesen,
kann man anhand der hohen Steuereinnahmen in
Deutschland sehr gut begründen. Aber Sie tun nicht das,
was nötig ist. Sie erkennen die Realität nicht an. Deswe-
gen kommen Sie mit einer solchen Politik nicht weiter.

Unsere Haushaltspolitiker haben es Ihnen vorge-
macht. Mit dem liberalen Sparbuch haben sie Ihnen kon-
krete Einsparvorschläge vorgelegt, die Sie alle abgelehnt
haben. Damit haben Sie unter Beweis gestellt, dass Sie
nicht zu Einsparungen bereit sind. So leicht kann man es
sich machen: dem Bürger in die Tasche greifen und vom
Sparen sprechen, aber selbst keinen einzigen Beitrag
dazu leisten.


(Beifall bei der FDP)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der
Union, was Sie im Wahlkampf bekämpft haben, setzen
Sie jetzt, da Sie in der Regierungsverantwortung sind,
um. Das gilt für die Reichensteuer genauso wie für das
Antidiskriminierungsgesetz, das Sie jetzt nicht mehr als
rot-grünes, sondern als schwarz-rotes Gesetz mit einem
neuen Etikett verabschieden. Man könnte die Aufzäh-
lung beliebig fortsetzen. Die versprochenen Entlastun-
gen sind alle ausgeblieben. Nur die Belastungen stehen
bei Ihnen schnell im Gesetz. Sie küssen die rote Kröte
bis zum Gehtnichtmehr


(Florian Pronold [SPD]: Kröten sind schwarz und nicht rot!)


und wundern sich, dass am Ende kein edler Prinz vor Ih-
nen steht. Ich kann Ihnen nur sagen: Alles Lieben und
Herzen wird Ihnen nicht weiterhelfen. Aus dieser roten
Kröte wird kein Prinz.


(Beifall bei der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1604302100

Das Wort hat nun der Kollege Otto Bernhardt für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Otto Bernhardt (CDU):
Rede ID: ID1604302200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die große Koalition hat die Ziele ihrer Finanz-
politik ganz klar im Koalitionsvertrag formuliert. Wir
wollen und müssen gleichzeitig zwei Ziele verfolgen:
nachhaltige Sanierung der öffentlichen Finanzen und
Stärkung der Beschäftigung. Alle Maßnahmen, die wir
bisher in den Bundestag eingebracht haben und die auch
heute zur Diskussion stehen, dienen diesen beiden Zie-
len.

Ich will das Problem aufzeigen, weil die Rede meines
Vorredners von der FDP den Eindruck erweckt hat, hier
gebe es keine Probleme. In diesem Jahr – wir haben den
Haushalt verabschiedet – werden wir neue Schulden in
Höhe von 38 Milliarden Euro machen. Diesen Schulden
stehen Neuinvestitionen in der Größenordnung von
23 Milliarden Euro gegenüber. Es ist unser Ziel, im
nächsten Jahr nicht nur einen Haushalt vorzulegen, der
den Maastrichtkriterien entspricht – das ist eine nicht
ganz so schwierige Aufgabe –, sondern wir sind ent-
schlossen und haben das im Koalitionsvertrag niederge-
legt, im nächsten Jahr einen Haushalt vorzulegen, der
dem Art. 115 des Grundgesetzes gerecht wird. Das heißt,
dass die Neuverschuldung etwa 15 Milliarden Euro we-
niger betragen muss.

Das ist unser Ziel. Die hier wieder zitierte Erhöhung
der Mehrwertsteuer macht bezogen auf dieses Ziel
7 Milliarden Euro aus. Sie wissen, dass von den 3 Pro-
zentpunkten der Mehrwertsteuererhöhung 1 Prozent-
punkt für den Abbau der Lohnnebenkosten verwendet
wird, 1 Prozentpunkt für die Sanierung der Länderfinan-
zen und 1 Prozentpunkt für die Sanierung der Bundes-
finanzen. Das bedeutet, dass wir außer dieser Summe
noch Einsparungen in Höhe von 8 Milliarden Euro oder






(A) (C)



(B) (D)


Otto Bernhardt
höhere Einnahmen brauchen. Wir konzentrieren uns auf
Einsparungen.


(Lachen des Abg. Hellmut Königshaus [FDP])


Das Gesetz, um das es heute geht, umfasst neun Maß-
nahmen. Diese Maßnahmen werden bereits im nächsten
Jahr ein Volumen von gut 2 Milliarden Euro ausmachen
– davon je etwa die Hälfte für den Bund und für die Län-
der – und in den folgenden Jahren etwa 4 Milliarden
Euro. Wir diskutieren also heute über einen Abbau der
Neuverschuldung, Herr Kollege von der FDP, der in die-
ser Legislaturperiode eine Größenordnung von etwa
10 Milliarden Euro hat. Es spricht für den Mut der gro-
ßen Koalition, dass wir zum Teil sehr unpopuläre Maß-
nahmen – ich werde gleich zwei Punkte besonders er-
wähnen – ergreifen; denn wir meinen es wirklich ernst
mit der nachhaltigen Sanierung der öffentlichen Finan-
zen. Ich stimme dem Minister zu: Zu dieser Politik gibt
es keine Alternative.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich will die beiden Punkte herausgreifen, die auch
mein Vorredner angesprochen hat. Der eine ist der Zu-
schlag von 3 Prozent auf das Einkommen so genannter
Besserverdienender. Bei Alleinveranlagung greift diese
Maßnahme ab einem Einkommen von 250 000 Euro, bei
gemeinsamer Veranlagung ab einem Einkommen von
500 000 Euro. Wenn jemand 300 000 Euro verdient und
allein veranlagt wird, dann zahlt er für die Differenz zu
250 000 Euro, also 50 000 Euro, eine in der Presse so
genannte Reichensteuer in Höhe von 1 500 Euro. Bezo-
gen auf sein gesamtes Einkommen ist das 0,5 Prozent.
Das kann natürlich jeder leisten, der ein solches Einkom-
men hat. Die Frage ist nur – darüber haben wir uns inten-
siv unterhalten –: Ist das das richtige Signal? Teile der
Koalition sagen: Das ist das richtige Signal; denn der
Normalbürger muss manches ertragen und unter dem
Gesichtspunkt der Solidarität sollten die, die besonders
viel verdienen, einen besonderen Beitrag leisten. Das ist
die eine Argumentation.

Die andere Argumentation lautet: Dies könnte dazu
führen, dass noch mehr gut Verdienende in Deutschland
gar keine Steuern mehr zahlen. Dann wäre es sicher ein
falsches Signal. Ich sage an dieser Stelle sehr deutlich:
Große Koalition heißt, dass man aufeinander zugehen
und Kompromisse schließen muss. Diese Maßnahme ha-
ben wir im Koalitionsvertrag nun einmal vereinbart. Für
einige Sozialdemokraten handelt es sich hierbei um Ka-
viar. Für mich handelt es sich eher um eine Kröte. Ich
stelle aber klar: Wir stehen zu diesem Punkt und wir tra-
gen ihn mit.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch Kröten legen Eier!)


Die Änderung der Pendlerpauschale – der zweite
Punkt, den ich ansprechen will – hat natürlich erhebliche
Auswirkungen auf Millionen von Arbeitnehmern. Damit
die Größenordnung klar ist – unser Ziel ist die Haus-
haltssanierung –: Es geht um 2,5 Milliarden Euro im
Jahr. Natürlich haben wir unterschiedliche Modelle dis-
kutiert. Einige haben 15 Cent für jeden Kilometer emp-
fohlen. Andere haben empfohlen, die Arbeitnehmerpau-
schale anzutasten. Das hätte allerdings indirekte
Steuererhöhungen für jeden und höheren Bürokratieauf-
wand bedeutet.

Wir haben uns in der großen Koalition letztlich zu fol-
gender Haltung durchgerungen: Die höchsten Belastun-
gen haben diejenigen zu tragen, die von ihrem Arbeits-
platz besonders weit entfernt wohnen. Deshalb sollen die
knappen Mittel den Fernpendlern zugute kommen; sie
erhalten weiterhin 30 Cent pro Kilometer. Ich glaube,
dies ist eine vernünftige Lösung. Wir haben im Aus-
schuss über die Verfassungsrechtlichkeit lange disku-
tiert. Wie Sie wissen, hat die Regierung klar gesagt: Ver-
fassungsrechtlich ist das in Ordnung.

Hier wird der Eindruck erweckt, die große Koalition
sei sozusagen ein Bündnis für mehr Steuern.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Sehr wahr!)


Diese Aussage ist so nicht richtig. Sie müssen alle Mosa-
iksteine sehen; Sie dürfen sich nicht einen heraussuchen.
Um die Beschäftigung zu stärken, werden wir an zwei
ganz wichtigen Punkten umfangreiche Steuersenkungen
vornehmen.

Die große Koalition wird sicherstellen, dass ab dem
1. Januar kommenden Jahres beim Übergang einer
Firma an die nächste Generation unter bestimmten Vo-
raussetzungen überhaupt keine Steuern anfallen. Das ist
ein wichtiger Beitrag zur Sicherung von Arbeitsplätzen,
insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir befinden uns zudem mitten in der Diskussion um
eine Neuordnung der Unternehmensbesteuerung. Wir
haben hier Diskussionsbedarf. Das kann bei einem sol-
chen Thema nicht überraschen. Aber an einem Punkt
sind wir uns – das können Sie allen Äußerungen entneh-
men – im Grundsatz einig: Wir müssen die steuerliche
Belastung deutscher Firmen deutlich reduzieren, damit
wir im internationalen Wettbewerb, insbesondere inner-
halb der EU, konkurrieren können. Sie alle wissen, dass
wir mit knapp 39 Prozent Gesamtbelastung – Körper-
schaftsteuer, Solidaritätszuschlag und Gewerbesteuer –
die Spitzenposition in Europa haben, und zwar nicht,
weil wir die Steuern erhöht haben, sondern weil die an-
deren sie schneller gesenkt haben. Hinzu kommt, dass
die EU Länder mit sehr niedrigen Steuersätzen aufge-
nommen hat.

Jetzt diskutieren wir darüber, dass diese Steuerbelas-
tung von bisher circa 39 Prozent in Richtung 29 Prozent
gesenkt werden soll. Das, was selbst einige Journalisten
als eine Senkung um 10 Prozent bezeichnen,


(Florian Pronold [SPD]: Nominal!)


ist in Wirklichkeit eine Senkung um rund 25 Prozent.
Das heißt, diese Koalition hat die Absicht – die FDP
sollte einmal sehr aufmerksam zuhören –, die größte
Steuersenkung für Betriebe vorzunehmen, die es nach
dem Kriege gegeben hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Hier geht es uns um die Sicherung von Arbeitsplätzen.






(A) (C)



(B) (D)


Otto Bernhardt
Vor diesem Hintergrund zeigt auch dieses Gesetz, das
wir heute verabschieden werden, dass die große Koali-
tion den Mut hat, unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen,
dass sie ein ausgewogenes Konzept hat: Steuersenkung
dort, wo dringend erforderlich, Abbau von Subventio-
nen, auch wenn unpopulär. Mit diesem Konzept werden
wir das erreichen, was wir uns vorgenommen haben,
nämlich endlich wieder einen Haushalt vorzulegen, der
sowohl den EU-Kriterien als auch dem Grundgesetz ent-
spricht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


An diesem Problem arbeiten wir. Das ist gut und wich-
tig.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1604302300

Herr Kollege, gestatten Sie – Sie hätten noch Zeit –

eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?


Otto Bernhardt (CDU):
Rede ID: ID1604302400

Immer.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1604302500

Kollege Bernhardt, da man bei Ihrer Rede merkte,

wie schwer Sie sich bei dem tun, was wir heute diskutie-
ren, folgende Frage: Gibt es nicht Alternativen? Sie
kommen aus Schleswig-Holstein und waren Mitglied
des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Ich will Ihnen
ein Zitat vortragen. Es stammt vom früheren schleswig-
holsteinischen Wirtschaftsminister Peer Steinbrück. Er
erklärte damals:

Die Steuer- und Abgabenquote ist eindeutig zu
hoch.


(Beifall bei der SPD, der CDU und der F.D.P.)


Sie ist aus der Perspektive der Arbeitgeber zu hoch …
Sie ist zu hoch aus Sicht der Arbeitnehmer …

Ich füge hinzu – ganz deutlich! –: Die Staatsquote
ist auch zu hoch. Sie ist zu hoch.


(Beifall bei der SPD, der CDU und der F.D.P.)


Vor diesem Hintergrund ein konsensorientiertes Er-
gebnis hinzukriegen, wie man Jahr für Jahr, nicht
bruchartig, sondern schrittweise, davon wieder run-
terkommt, halte ich des Schweißes der Edlen wert.

Wäre das nicht der richtige Weg?


Otto Bernhardt (CDU):
Rede ID: ID1604302600

Herr Kollege Koppelin, Sie wissen, dass die Staats-

quote in Deutschland Gott sei Dank rückläufig ist. Sie
kennen die Zahlen des Statistischen Bundesamts. Sie
wissen, dass wir durch die Senkung der Lohnnebenkos-
ten oder Lohnzusatzkosten – was immer der bessere
Begriff ist – erstmalig die Chance haben, da unter
40 Prozent zu kommen. Das zeigt: Die große Koalition
ist auch auf diesem Gebiet auf dem richtigen Weg. Dort
werden wir weiterarbeiten. Ich sage noch einmal: Die
Sanierung der Staatsfinanzen ist ein grundlegendes Ziel.
Es gibt keine gesunde Volkswirtschaft in Europa, die
diesem Ziel nicht eine große Bedeutung gegeben hat.
Das werden wir tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1604302700

Das Wort hat der Kollege Dr. Gregor Gysi für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604302800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie wol-

len heute leider wieder ein Steuergesetz beschließen, das
mit sozialer Gerechtigkeit und mit wirtschaftlichem Auf-
schwung nichts zu tun haben wird; ganz im Gegenteil.
Ich werde versuchen, das zu begründen. Ich habe mir
dazu vier Punkte herausgesucht.

Sie wollen die steuerliche Absetzbarkeit der Aufwen-
dungen für Arbeitszimmer stark reduzieren. Sie ver-
sprechen sich dadurch Mehreinnahmen von 300 Millio-
nen Euro. Das trifft in erster Linie Lehrerinnen und Leh-
rer, aber auch andere Berufsgruppen. Das bedeutet für
sie natürlich eine Nettolohnkürzung und nichts anderes.
Sie haben kein einziges Argument genannt, das die Net-
tolohnkürzung rechtfertigen würde, zumal die Betroffe-
nen seit Jahren kaum Lohnsteigerungen erlebt haben.

Sie haben außerdem vor, beim Kindergeld und Kin-
derfreibetrag zu sparen, und zwar dergestalt, dass man
das nur noch bis zum 25. Lebensjahr und nicht mehr bis
zum 27. Lebensjahr erhält. Es ist interessant, das mit ei-
ner anderen Zahl zu vergleichen. Das durchschnittliche
Alter der Studierenden zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ih-
ren Abschluss machen, liegt bei 28 Jahren. Das heißt,
drei Jahre lang stellen Sie die Leute ohne Einnahme.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Übergangsregelung!)


Was heißt das konkret? Das heißt, dass Sie die Aus-
bildungszeit nicht verkürzen, sondern verlängern,


(Beifall bei der LINKEN)


weil die Betroffenen nebenbei arbeiten müssen, um ihr
Studium überhaupt noch absolvieren zu können.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Haben Sie den Gesetzentwurf überhaupt gelesen?)


Jetzt sollen noch Studiengebühren der Universitäten da-
zukommen. Jeder kann sich ausrechnen, wohin das
führt. Das wird eine ganz elitäre Geschichte.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Kinder von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
haben kaum noch Chancen, zu studieren. Das ist damit
verbunden!

Davon versprechen Sie sich Mehreinnahmen von
534 Millionen Euro – schon eine ganze Menge.

Dann reduzieren Sie den Sparerfreibetrag. Jemand,
der allein stehend ist, hat bisher einen Sparerfreibetrag
von 1 370 Euro, Verheiratete haben einen solchen von






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gregor Gysi
2 740 Euro. Das reduzieren Sie auf 750 Euro bzw.
1 500 Euro. Das machen Sie in einer Zeit, in der Sie
selbst beschließen, dass man die gesetzliche Rente später
erst mit 67 Jahren bekommt, in der Sie selbst sagen, dass
die Rente verringert werden wird. In dieser Situation re-
duzieren Sie den Sparerfreibetrag. In einer Zeit, in der
Sie den Leuten jeden Tag erklären, sie müssten privat
vorsorgen, greifen Sie gleichzeitig mit der Steuer zu. Sie
haben nicht einmal die Fähigkeit zu einer gewissen Lo-
gik. Man kann nicht beides miteinander verbinden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Nehmen wir es konkret: Bei einer Verzinsung von
5 Prozent bedeutet das, dass jemand schon bei einem
Sparguthaben von 16 020 Euro Steuern bezahlen muss;
bisher waren es 32 040 Euro.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wo bekommen Sie das denn?)


– Es kommen auch wieder bessere Zeiten. Sie wollen sie
doch schaffen. Also glauben Sie doch wenigstens an
eine Verzinsung von 5 Prozent, auch wenn wir im Au-
genblick davon weit entfernt sind.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wolkenkuckucksheim!)


Das heißt, schon bei der Hälfte des bisherigen Betrages,
der auch schon ein lächerliches Sparguthaben für eine
Altersvorsorge darstellte, müssten Steuern gezahlt wer-
den.

Dann kommt der dickste Brocken: die Entfernungs-
pauschale. Da erhoffen Sie sich Mehreinnahmen von
2,5 Milliarden Euro. Das heißt, dieses Geld nehmen Sie
den Leuten weg, sonst könnten Sie nicht mit solchen
Mehreinnahmen rechnen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


15 Millionen Steuerpflichtige machen derzeit die Entfer-
nungspauschale geltend. Die Hälfte davon erhält sie
nach Ihrer Neuregelung nicht mehr, weil sie Entfernun-
gen von bis zu 20 km bisher geltend gemacht hat, die
dann nicht mehr geltend gemacht werden dürfen. Aber
auch die andere Hälfte bekommt deutlich weniger: Je-
mand, dessen Entfernung zur Arbeitsstätte 50 Kilometer
beträgt, erhält nicht mehr einen Ersatz für diese 50 Kilo-
meter, sondern nur noch für 30 Kilometer.

Das kostet die Steuerzahler richtig Geld; wir haben
das ausgerechnet. Nehmen wir einmal ein Ehepaar mit
einem Kind, das heute täglich 20 Kilometer hin und zu-
rück zur Arbeitsstätte fährt: Bei einem Jahreseinkommen
von 48 000 Euro hieße das, dass es zusätzlich 516 Euro
aufwenden muss, bei einem Jahreseinkommen von
60 000 Euro wären es sogar 565 Euro.


(Florian Pronold [SPD]: Weil Sie den Arbeitnehmerpauschbetrag mit einrechnen!)


Das ist die Wahrheit. Das müssen die Leute hergeben
bzw. es fällt weg, weil sie es nicht mehr geltend machen
können. Auf diese Weise erzielen Sie Ihre Mehrein-
nahme in Höhe von 2,5 Milliarden Euro. Übrigens be-
trifft das auch diejenigen, die den öffentlichen Nahver-
kehr benutzen. Auch diese dürfen Entfernungen bis zu
20 Kilometer nicht mehr geltend machen. So müssen sie
auch die Preissteigerungen im öffentlichen Nahverkehr,
die es in fast jeder Kommune gibt, künftig alleine tragen.
All das wollen Sie hier beschließen.

Selbst die Union will sich so entscheiden, obwohl sie
doch sonst immer vom flexiblen Arbeitsmarkt redet und
sagt, man kann sich nicht mehr aussuchen, in welcher
Stadt man arbeitet, sondern muss auch größere Entfer-
nungen in Kauf nehmen. Zugleich sagen Sie aber, bei
Entfernungen von bis zu 20 Kilometern erstatten wir
nichts mehr.

Ich halte das auch für grundgesetzwidrig, und zwar
unter anderem deshalb, weil wir das Nettolohnprinzip
haben und weil das Bundesverfassungsgericht schon
entschieden hat, dass die Aufwendungen, die man hat,
um ein Arbeitsentgelt zu erzielen, abzugsfähig sein müs-
sen. Sie sagen aber, sie sollen nicht mehr abzugsfähig
sein. Ich denke, dazu werden wir eines Tages eine Ent-
scheidung des Bundesverfassungsgerichts erleben, die
Ihnen möglicherweise nicht gefällt.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn ich das Ganze zusammennehme, komme ich
auf eine Kaufkraftreduzierung um über 4 Milliarden
Euro nächstes Jahr. Das müssen die Lehrerinnen und
Lehrer, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und
die Kleinsparer aufbringen. Das würde auch wirtschaftli-
che Folgen haben: Das Ergebnis wird sein, dass kleine
und mittlere Unternehmen Insolvenz anmelden müssen,
weil sie weniger Waren bzw. Dienstleistungen verkau-
fen. Dann werden wir mehr Arbeitslose haben. Ich sehe
schon, wie dann von Ihnen Anträge kommen, auf welche
Weise man Arbeitslose stärker drangsalieren und ihnen
Mittel kürzen kann. Das wird die Folge sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Zum Schluss gibt es dann noch ein Tröpfchen, die
Reichensteuer. Sie haben Recht, Herr Bundesminister
Steinbrück, mit symbolischer Handlung hat das nichts zu
tun. Das ist weniger als ein Witz.


(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)


Ich muss das wirklich einmal erklären: Unter Helmut
Kohl gab es einen Einkommensteuerspitzensatz von
53 Prozent. Union und FDP haben sich tapfer bemüht,
diesen zu senken, aber damals standen die SPD und auch
andere dagegen;


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Herr Lafontaine!)


deshalb fiel es Ihnen schwer. Bis zu Kohls Abgang
wurde ein Steuersatz von 53 Prozent auf Einkommen
über 60 000 Euro bei Alleinstehenden bzw. über
120 000 Euro bei Verheirateten erhoben. Dann kam Ger-
hard Schröder; die Welt änderte sich. Der Spitzensteuer-
satz bei der Einkommensteuer wurde um 11 Prozent auf
42 Prozent für all diejenigen gesenkt, die mehr als
60 000 Euro bzw. 120 000 Euro verdienten.


(Otto Fricke [FDP]: 11 Prozentpunkte!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gregor Gysi
– Okay. – Das haben Sie ja wahnsinnig gefeiert. Was ha-
ben die Haushalte dadurch an Geld verloren – diese Zahl
ist ja auch einmal interessant –: 7,2 Milliarden Euro we-
niger Einnahmen aufgrund der Senkung des Spitzensteu-
ersatzes der Einkommensteuer! Jetzt stellen Sie sich hin
und verlangen von Lehrerinnen und Lehrern, von Klein-
sparern und von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
über 4 Milliarden Euro zurück, weil Sie damals den Bes-
ser- und Bestverdienenden reichlich darüber hinaus,
nämlich über 7 Milliarden Euro, gegeben haben. Diesen
Zusammenhang muss man einmal herstellen.


(Beifall bei der LINKEN)


Nun sagen Sie zwar, jetzt müssen auch diese irgend-
wie zur Kasse gebeten werden. Da fällt Ihnen aber nur
eine Zusatzsteuer in Höhe von 3 Prozent ein, und zwar
für Leute, die als Alleinstehende mehr als 250 000 Euro
bzw. als Verheiratete mehr als 500 000 Euro verdienen.

Sie dürfen das aber nicht aus Gewinnen erwirtschaf-
ten, also nicht als Unternehmerin oder Unternehmer,
auch nicht aus der Forst- und Landwirtschaft, auch nicht
aus einem Gewerbebetrieb: Es bleiben praktisch nur die
Festangestellten übrig. Deshalb ist Ihr Argument, dass
sie alle weggehen könnten, ziemlicher Blödsinn. Selbst
wenn sie weggingen, würden andere eingestellt. Diese
würden das Geld dann verdienen. Das Argument zieht
hier also gar nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Zusatzsteuer dieser kleinen Gruppe liegt bei
3 Prozent. Jetzt muss ich einmal erklären, was das heißt.
Es geht ja um das steuerpflichtige Einkommen. Das be-
deutet, ein Ehepaar muss viel mehr als 500 000 Euro
verdienen, damit es auf ein steuerpflichtiges Einkommen
von 500 000 Euro kommt – da gibt es ja Freibeträge und
alles Mögliche. Wenn dann alles abgezogen ist, dann ha-
ben sie zum Beispiel noch 505 000 Euro. Dann sagen
Sie im Ernst, Herr Steinbrück: Als wichtiges Signal
müssen sie für die letzten 5 000 Euro 3 Prozent mehr
Steuern zahlen. Das ist weniger als ein Witz; sie werden
darüber lachen. Ich weiß nicht, ob sich überhaupt je-
mand bereitfindet, deswegen zum Bundesverfassungsge-
richt zu gehen.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)


Hier hat die FDP leider nicht Unrecht; denn es gibt
ein verfassungsrechtliches Argument. Es hat einen Zug
von Willkür, wenn man sagt: ab 500 000 Euro. Wieso
nicht vorher? Wieso verlassen Sie plötzlich die Geradli-
nigkeit in der Steuergesetzgebung und machen einen
Riesensprung, der überhaupt nicht nachvollziehbar ist?

Was versprechen Sie sich für eine Mehreinnahme?
250 Millionen Euro. Ich möchte das einer anderen Zahl
gegenüberstellen. Sie sagen, die Reichen – zumindest
ein ganz kleiner Teil der Reichen – sollen 250 Millionen
Euro und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Klein-
sparer, Lehrerinnen und Lehrer 4,084 Milliarden Euro
zahlen. Das ist Ihre Art von Gerechtigkeit, die Sie orga-
nisiert haben, nachdem Sie den Best- und Besserverdie-
nenden, wie ich es vorhin begründet habe, über
7 Milliarden Euro durch die Senkung des Spitzensteuer-
satzes bei der Einkommensteuer geschenkt haben.


(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der SPD)


Wenn man das Ganze dann noch in Verbindung mit
der Mehrwertsteuererhöhung in Höhe von 3 Prozent-
punkten im nächsten Jahr setzt – sie trifft doch auch die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und alle ande-
ren – und wenn man dann noch hört, dass Sie jetzt am
Wochenende beschließen, dass die Gesundheitsreform
aus Steuermitteln bezahlt werden muss, dann bekommt
man wieder den Eindruck, dass 250 Millionen Euro an
Belastungen für die Reichen kommen und viele, viele
Milliarden Euro für die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer und die anderen. Dadurch machen Sie diese Ge-
sellschaft nicht nur grob sozial ungerechter, sondern das
wird auch verheerende wirtschaftliche Folgen haben.

Der Kaufrausch, von dem jetzt in den Zeitungen zu
lesen ist, wenn man ihn überhaupt so bezeichnen kann
– er hat übrigens nichts mit der Fußballweltmeisterschaft
zu tun; das ist Blödsinn! –, hat damit zu tun, dass die
Leute Angst vor den Steuererhöhungen im nächsten Jahr
haben. 3 Prozentpunkte Mehrwertsteuererhöhung ist na-
türlich eine Menge. Da entscheiden sich viele, lieber
jetzt zu kaufen. Im nächsten Jahr wird es dann den Rein-
fall und wieder eine höhere Arbeitslosenzahl geben.
Dann stehen Sie wieder hier und machen Gesetzent-
würfe – leider nicht gegen die Arbeitslosigkeit, sondern
gegen Arbeitslose. Das Ganze ist nicht hinnehmbar. Es
ist auch nicht vertretbar.

Ich sage Ihnen noch einmal: Wir haben keine Illusio-
nen und sind nicht einfach nur dagegen. Wir machen Ih-
nen auch Vorschläge. Wir haben gesagt: Wir brauchen
eine gerechte Körperschaftsteuer. Wir haben über eine
internationale Börsensteuer geredet. Wir haben darüber
geredet, wie eine gerechte Einkommensteuer aussehen
kann. Aber zu all diesen Wegen sind Sie nicht bereit.

Die Deutsche Bank macht ihre Pressekonferenz und
berichtet von wunderbaren, tollen Gewinnen. Danke
schön, Gerhard Schröder! Wir entlassen gleich einmal
wieder 8 000 Leute.

Der nächste Konzern macht seine Pressekonferenz,
bedankt sich auch für den größten Gewinn seiner Ge-
schichte und entlässt 10 000 Leute. Allianz macht jetzt
eine Pressekonferenz, hatte den größten Gewinn im letz-
ten Jahr und sagt: 7 500 Leute werden wir jetzt entlas-
sen. – Das Versprechen, dass die Steuergeschenke an
Konzerne zu mehr Arbeitsplätzen führen, ist widerlegt.
Das gilt ebenso für die Geschenke an die Reichen und
die Bestverdienenden.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie müssten den Mut haben, auch einmal von den
Konzernen, Reichen und Bestverdienenden mehr Steu-
ern zu fordern. Sie wollen das nicht. Ihnen fehlt der Mut.
Das ist das Problem der Koalition. Deshalb geht Ihr He-
rumeiern immer zulasten derselben Gruppen: der Rent-
nerinnen und Rentner, der Arbeitslosen und der Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1604302900

Zur unmittelbaren Erwiderung auf diese Rede erteile

ich das Wort dem Bundesminister Peer Steinbrück.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1604303000

Ich mache es kurz, meine sehr geehrten Damen und

Herren. Aber man darf die Demagogie und auch manche
Aussage auf Klippschulenniveau so nicht stehen lassen;


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Parlamentarismus in einem freien Land! Warum liegen denn die Nerven bei Ihnen so blank?)


denn sonst könnte sich, auch bei denjenigen, die uns zu-
hören, der Eindruck verfestigen, wir hätten plötzlich eine
verkehrte Welt.

Herr Gysi, Sie wären noch beeindruckender, wenn Sie,
insbesondere im Zusammenhang mit den Einkommen-
steuerreformen in der Vergangenheit, berücksichtigen
würden, dass nicht nur der Spitzensteuersatz abgesenkt
worden ist, sondern vor allen Dingen der Eingangsteuer-
satz, nämlich von 26 Prozent auf 15 Prozent.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Die Freibeträge für die Geringst- und Geringverdiener
sind deutlich erhöht worden, mit dem Effekt, dass je-
mand, der verheiratet ist und zwei Kinder hat, unter An-
rechnung des Kindergeldes bis zu einem Verdienst von
37 000 Euro in Deutschland keine Steuern zahlt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Das heißt, was Sie mit Blick auf die Effekte der Steuer-
reformschritte der letzten Jahre dargestellt haben, korres-
pondiert überhaupt nicht mit den Fakten. Es ist reine De-
magogie, die Sie da verbreiten.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dasselbe gilt, wenn Sie sich populär geben – mein
Sohn würde sagen: sich ranwanzen – und zum Beispiel
beim Thema Arbeitszimmer auf die Lehrer abheben.
Das maßgebliche Steuerkriterium bezieht sich auf den
Ort der hauptberuflichen Tätigkeit. Ich habe den Ein-
druck, der Ort, wo die Lehrer tätig sein sollten, ist nicht
ihr häusliches Arbeitszimmer, sondern die Schule.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/ CSU – Widerspruch bei der LINKEN)


Das ist ein Abgrenzungskriterium. Um das ganz deutlich
zu machen: Die Steuergelder der Bürgerinnen und Bür-
ger sollen nicht dazu dienen, jedwede Entscheidung be-
züglich einer teilweise beruflichen Tätigkeit zu Hause zu
subventionieren. Dieses Abgrenzungskriterium ist von
uns eingeführt worden.

Dasselbe gilt mit Blick auf die Pendlerpauschale. In
allen anderen europäischen Steuersystemen ist der Weg
vom Wohnort zum Arbeitsort nicht Bestandteil der Ar-
beitswelt. Warum soll es in Deutschland anders sein?
Warum ist es in Deutschland unter den obwaltenden
schwierigen haushaltspolitischen Bedingungen nicht
möglich, eine Regelung zu finden, nach der wir Fern-
pendler weiter unterstützen –


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fangen Sie doch bei Ihrem eigenen Job und Ihrem Weg zum Arbeitsplatz an! Gehen Sie mit gutem Beispiel voran!)


– ja, ich komme mit dem Fahrrad, wenn es sein muss –,
aber die, die im Nahbereich tätig sind, an den notwendi-
gen Konsolidierungsschritten, die wir unternehmen müs-
sen, teilhaben lassen?

Fazit – um die Intervention nicht zu sehr in die Länge
zu ziehen –: Ihre Reden zeichnen sich immer dadurch
aus, dass Sie sich punktuell etwas herausgreifen, was
aber mit der Bandbreite der Wirklichkeit in unserer Ge-
sellschaft und unserer Wirtschaft nichts zu tun hat. Ich
finde, das muss gelegentlich korrigiert werden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1604303100

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege

Dr. Gregor Gysi.


Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604303200

Herr Bundesminister, lassen Sie mich als Erstes einen

Satz zu den Lehrern sagen. Natürlich unterrichten Lehre-
rinnen und Lehrer an der Schule; aber die ganze Vorbe-
reitung, die Korrektur von Klassenarbeiten etc. müssen
sie zu Hause erledigen, da sie in der Schule alle kein
Büro haben. Deshalb ist das häusliche Arbeitszimmer
immer anerkannt worden.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens. Der Weg von der Wohnung zur Arbeit
und von der Arbeit zur Wohnung gehörte in Deutsch-
land, im Unterschied zu anderen Ländern, immer zur Ar-
beitswelt. Das hat eine jahrzehntelange Tradition und ist
vom Bundesverfassungsgericht das letzte Mal 2002 aus-
drücklich dahin gehend bestätigt worden, dass der Auf-
wand, um ein Einkommen erzielen zu können, in Bezug
auf die Steuer absetzungsfähig sein muss. Wenn Sie das
heute anders regeln, dann kürzen Sie damit nichts ande-
res als die Nettolöhne, reduzieren die Kaufkraft, schaf-
fen soziale Ungerechtigkeit und schädigen die Wirt-
schaft.


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens zur Einkommensteuer; das war ja Ihr wich-
tigster Einwand. Es stimmt, auch die Eingangsteuersätze
sind gesenkt worden. Aber die Steuerausfälle sind ganz
überwiegend durch die Senkung des Spitzensteuersatzes
um 11 Prozentpunkte entstanden. Das hat zu dieser
wahnsinnigen Einbuße geführt.

Dazu noch ein Hinweis. Wir können das gerechter
machen. Ich kenne die Beispiele. Jemand von der CDU/
CSU hat wieder gesagt, dann würden die Leute das Land
verlassen. Wie gesagt, bei Festangestellten ist das gar
kein Argument, aber bei anderen. Machen wir das doch
nach amerikanischem Recht! Wissen Sie, wie das dort






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gregor Gysi
geregelt ist? Übertragen auf Deutschland hieße das, dass
ein deutscher Staatsangehöriger, wenn er in einem ande-
ren Land lebt und dort Steuern zahlt, seine Steuererklä-
rung und seinen Steuerbescheid ebenfalls in Deutschland
einreichen muss. Wenn dann festgestellt wird, dass er in
Deutschland mehr Steuern hätte zahlen müssen, muss er
die Differenz zahlen. Denn solange er die deutsche
Staatsangehörigkeit hat, sind wir für ihn verantwortlich.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn er irgendwo entführt wird, geben wir Geld aus, um
ihn zu retten. Das ist in Ordnung; aber dann müssen
deutsche Staatsangehörige auch Pflichten gegenüber
Deutschland haben. Dann könnte Schumi in der Schweiz
vereinbaren, was er will; er müsste seine Steuererklä-
rung nach Deutschland schicken und im Falle einer Dif-
ferenz diese bezahlen. Dann hätten Sie gar keine
Schwierigkeiten, bei der Einkommensteuer einen ge-
rechten Spitzensteuersatz einzuführen.


(Beifall bei der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1604303300

Herr Minister, wollen Sie erwidern?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1604303400

Nein.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1604303500

Dann erteile ich dem Kollegen Fritz Kuhn von der

Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen das Wort.


(Beifall der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604303600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Steinbrück, wenn ich mir anschaue, wie Sie agie-
ren, dann kann ich nur sagen, dass die kühle Souveräni-
tät, mit der Sie gestartet sind, allmählich einer gewissen
Dünnhäutigkeit gewichen ist. Das zeigt sich auch heute
daran, wie Sie auf die Einwände im Rahmen der Debatte
reagieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie und Frau Merkel haben in den Debatten der letz-
ten Wochen versucht, folgendes Bild zu zeichnen: Die
Opposition übt sich im Einbringen von unbedeutenden
Anträgen – mal hier eine Einsparung, mal dort eine Ein-
sparung –, aber das stimmige, verlässliche und berechen-
bare Gesamtkonzept kommt von der großen Koalition,
wie Sie auch eben wieder sagten. Wenn ich mir die cha-
otische Diskussion der letzten Tage anschaue und mir
vor Augen führe, was jetzt gemacht wird und was noch
alles kommt, dann kann ich nur feststellen, dass Sie den
nie vorhandenen Überblick jetzt endgültig verloren ha-
ben. Ich will Ihnen aufzeigen, an welchen Punkten dies
deutlich wird.

Man sagt, dass wir zur Haushaltskonsolidierung drin-
gend 24 Milliarden Euro aus der Erhöhung der Mehr-
wertsteuer brauchen. Sie beschließen diese Erhöhung
mit Ihrer Mehrheit im Parlament. Aber dann sagt der
Fraktionsvorsitzende der SPD, also eines Koalitionspart-
ners, dass dies eigentlich nicht notwendig gewesen wäre.
Mit einer vernünftigen Einsparpolitik hätte man es auch
schaffen können. Bingo! Wie muss das bei der Bevölke-
rung draußen im Lande ankommen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie sagen außerdem, dass wir eine Unternehmen-
steuerreform brauchen. Das ist zwar unstrittig. Aber Sie
wollen eine Entlastung in Höhe von 8 Milliarden Euro.
Das heißt im Klartext: 1 Prozentpunkt der Mehrwert-
steuererhöhung geht für die Entlastung der Unternehmen
im Zuge der von Ihnen geplanten Reform drauf. Herr Fi-
nanzminister, Sie sagen übrigens nie klar, worauf sich
die 8 Milliarden Euro beziehen. Ist diese Summe dem
Time Lag geschuldet, weil die Verbreiterung der Bemes-
sungsgrundlage nicht sofort greift, oder meinen Sie tat-
sächlich, dass es eine Entlastung in Höhe von 8 Milliar-
den Euro gibt? Darüber haben Sie uns bisher völlig im
Unklaren gelassen, weil Sie mit einer Doppelstrategie
arbeiten: Diejenigen, die gerne eine Entlastung haben
wollen, sollen 8 Milliarden Euro hören und diejenigen,
die dies nicht so gerne wollen, sollen hören, dass dies
nur vorübergehend sei. So können Sie die Öffentlichkeit
nicht täuschen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Außerdem wollen Sie die Krankenversicherungs-
beiträge und damit die Lohnnebenkosten senken. Sie
sprechen davon, dass Sie allein für die Finanzierung der
kinderbezogenen Leistungen mindestens 16 Milliarden
bis 24 Milliarden Euro aus Steuermitteln brauchen. Sie
sagen bislang in der Diskussion aber nicht, welche Steu-
ern um wie viel erhöht werden sollen. Vorläufig haben
Sie im Gesundheitswesen ein noch ganz anderes Pro-
blem. Denn die 4,2 Milliarden Euro aus der Tabaksteuer
werden nicht mehr als Zuschuss für die gesetzliche
Krankenversicherung verwendet, sondern in den Haus-
halt eingestellt. Dadurch werden die Krankenversiche-
rungsbeiträge um 4,2 Milliarden Euro steigen. Was Sie
da machen, ist organisiertes Chaos.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Erst gehen die Beiträge hoch, dann sagen Sie, dass die
Beiträge durch Steuererhöhungen wieder sinken sollen.
Da können Sie doch nicht davon sprechen, dass Sie ei-
nen Plan haben, wie es insgesamt in Deutschland weiter-
gehen soll.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Solch eine Aufregung an seinem Geburtstag!)


Zu dem Thema Sanierungsfall, den Frau Merkel aus-
gerufen hat: Sie haben keine klare Konzeption, wie die
Sanierung Deutschlands aussehen soll. Sie reden nur da-
von, dass Sie ein stimmiges Konzept haben. Aber wenn
ich mir die Verteilungswirkungen anschaue, dann kann
ich nur sagen: Es sind die kleinen Leute, die im Großen
und Ganzen die von Ihnen geplante Sanierung bezahlen
müssen. Denn tatsächlich werden durch die Mehr-
wertsteuererhöhung oder Maßnahmen, die im Steuerver-
änderungsgesetz 2007, über das wir heute diskutieren,






(A) (C)



(B) (D)


Fritz Kuhn
enthalten sind, vor allen Dingen Menschen mit geringen
Einkommen getroffen. An dieser Tatsache kommen Sie
nicht vorbei.

Ihre Politik kann ich nur als Murks bezeichnen. Die
Merkel-Regierung ist eine Murksregierung, weil sie kei-
nen Gesamtüberblick hat. Herr Steinbrück, wenn Sie das
bestreiten – Sie schreien ja gerade auf, als würde es Ih-
nen wehtun –, dann sagen Sie einmal, wie die Belas-
tungswirkungen auf welche Einkommensgruppen in
Deutschland am Ende, also nach der Gesundheitsreform,
aussehen. Haben Sie je eine Belastungsrechnung in die-
sem Haus vorgelegt? Haben Sie gesagt, diese Einkom-
mensgruppe trifft es so und jene so? Haben Sie ein Ge-
samtkonzept für die Sanierung der Bundesrepublik
Deutschland vorgelegt? Nein, Sie haben es nicht. Sie
machen es einmal so und einmal so, einmal rauf mit den
Beiträgen und einmal runter mit den Beiträgen. So etwas
bezeichne ich als gezielte Desinformation der Öffent-
lichkeit


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


und nicht als berechenbaren, nachvollziehbaren und je-
derzeit verlässlichen Plan. Sie haben heute in Ihrer Rede
wieder einen Selbstbeweihräucherungsakt unternom-
men.

Wir sagen: Das ist Murkspolitik. Die Merkel-Regie-
rung macht organisierten Murks, übrigens auch deshalb,
weil sie sich um die wirtschaftlichen Folgen dessen, was
sie da macht, nicht kümmert.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!)


Die Wirkungen der einzelnen Maßnahmen auf die Kon-
junktur scheinen sie nicht zu interessieren und der Wirt-
schaftsminister kommt in diesen Debatten gar nicht vor.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE] – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist er denn?)


Es gibt in diesem Kabinett keine Stimme, die danach
fragt, welche Auswirkungen die Maßnahmen, die Sie in
der Haushaltspolitik und in der Finanzpolitik veranstal-
ten, auf die Wirtschaft und die Konjunktur haben. Da-
bei wissen wir doch, dass wir, wenn wir in Deutschland
einen wirklich nachhaltigen Aufschwung wollen, nicht
nur den Umfang des Exports, so wie er sich zurzeit dar-
stellt, erhalten müssen, sondern auch die Binnenkonjunk-
tur zu einem stabilen Element des Wirtschaftswachstums
in Deutschland machen müssen. Die Maßnahmen, die
Sie hier präsentieren, sind das exakte Gegenteil.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen betone ich: Mit der Schröpf-die-Bürger-Poli-
tik, die Sie hier betreiben, machen Sie eine Antiwachs-
tumspolitik, die spätestens im nächsten Jahr positive Ef-
fekte wieder reduzieren wird.

Zu drei Punkten, die heute zur Abstimmung stehen,
will ich kurz etwas sagen. Der erste Punkt ist die Rei-
chensteuer. Kollege Gysi hat, was den Begriff und die
tatsächlichen Verteilungswirkungen angeht, schon das
Nötige und – das betone ich – Richtige gesagt. Und so
etwas nennt ihr – das sage ich vor allem an die Genos-
sinnen und Genossen von der SPD gerichtet – Reichen-
steuer!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Joachim Poß [SPD]: Das ist nicht unsere Wortwahl!)


– Aber ihr verkauft es so. Herr Poß, wenn Sie in Ihrem
Kreisverband in Nöten sind und Ihnen gar nichts mehr
einfällt, dann kommt die ominöse Reichensteuer, mit der
Sie den Kopf aus der Schlinge ziehen wollen, was Ihnen
aber nicht gelingt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie wissen genau, dass diese Steuer in der vorliegen-
den Form nicht verfassungskonform ist. Sie argumentie-
ren: Wenn das Ganze ein Jahr lang nicht verfassungs-
konform ist, dann ist das nicht so schlimm. Dann
machen wir es anders.


(Joachim Poß [SPD]: Der Begriff kam von der „Bild“-Zeitung!)


– Jetzt beruhigen Sie sich, Herr Poß. Bei Ihnen gibt es
ein ganz sicheres Gesetz: Wenn Poß laut wird, dann tut
es weh, weil irgendein Unsinn, den er mitbeschlossen
hat, von diesem Rednerpult aus aufgedeckt wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


So werden wir das auch weiter handhaben.

Die Verfassungskonformität interessiert Sie also
nicht.

Die Verteilungswirkung hat Herr Gysi richtig be-
schrieben: Das Aufkommen wird am Anfang, wenn Sie
Glück haben, maximal 124 Millionen Euro betragen.
Aber dies ist doch kein Ausgleich für die soziale Schief-
lage, die die Einsparpolitik, die Sie betreiben, bewirkt!
Ich muss die SPD nach Ihrer Zustimmung zu dieser Bon-
sai-Reichensteuer wirklich fragen: Können Sie Ihr
schlechtes Gewissen, das Sie wegen der Mehrwertsteuer-
erhöhung haben, mit solch einer Nummer einfach beru-
higen und fröhlich aus diesem Haus gehen und in die Fe-
rien fahren? Sind Sie mit einer solchen Minimalsteuer so
billig zu kaufen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)


Es ist doch absurd. Herr Finanzminister, wenn Sie
von der SPD einigermaßen seriös wären, dann würden
Sie sagen: Wir führen zuerst eine Unternehmensteuerre-
form durch, die es möglich macht, über die Frage zu re-
den, was diejenigen, die mehr verdienen – egal ob sie
Angestellte oder Gewerbetreibende sind –, zu zahlen ha-
ben. Nach einer Belastungsanalyse beschließen wir dann
ein konsistentes System.

Ich betone noch einmal: Über Belastungsfragen reden
Sie gar nicht. Die versteckt der Finanzminister hinter all-
gemeinen Sätzen, die lauten: Wir müssen einsparen. –






(A) (C)



(D)


Fritz Kuhn
Auch wir wissen, dass wir einsparen müssen; deswegen
legen wir auch Alternativen vor. Aber wir müssen beim
Einsparen darauf Acht geben, dass es gerecht erfolgt und
die Konjunktur nicht ganz kaputtgeht, weil wir sonst die
Spirale nach unten weiterdrehen und keine Effekte errei-
chen.

Der zweite Punkt ist die Entfernungspauschale. Wir
als Grüne teilen die Auffassung, dass man hier Subven-
tionen abbauen muss. Wir haben aber einen anderen Vor-
schlag gemacht; dieser ist verfassungskonform. Bei Ih-
rem Vorschlag mahnt der Bundesrat schon an, ob er denn
verfassungskonform sei. Wir würden die Entfernungs-
pauschale um die Hälfte kürzen; sie aber für alle Entfer-
nungen gelten lassen. Denn eines muss man sagen: Der
Schritt, die Entfernungspauschale bis zum 20. Kilometer
zu streichen, ist die reine Willkür. Erklären Sie einmal
jemanden, der in einer Entfernung von 19 Kilometer zu
seinem Arbeitsplatz gebaut hat, was Sie da veranstalten!
Oder betrachten Sie die Zukunftswirkung! Die Wirkung
solcher Gesetze wird sein, dass die Leute sagen: Dann
ziehe ich gleich weiter weg; denn die Baupreise sind dort
sowieso niedriger und ich bekomme dann noch etwas
vom Finanzminister. – Das heißt, Sie werden den Pro-
zess der Zersiedelung und des Weit-weg-Wohnens vom
Arbeitsplatz mit solchen idiotischen Maßnahmen för-
dern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Hans Michelbach [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)


Ich frage Sie: Wollen Sie das? Dann sagen Sie, dass Sie
das wollen. Dann übernehmen Sie aber auch die Verant-
wortung für die Zersiedelung, die damit einhergeht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum Sparerfreibetrag ist das Notwendige gesagt
worden. Das ist eine sowohl konjunkturpolitisch als
auch mit Blick auf die Alterssicherung ganz fragwürdige
Maßnahme. Diese Regelung betrifft besonders die Men-
schen, die zum Zwecke der Alterssicherung eine Woh-
nung im Wert von 200 000 Euro oder 300 000 Euro kau-
fen wollen; denn diese müssen dann darauf Steuern
zahlen. Ich frage Sie: Wollen Sie das wirklich, und zwar
besonders vor dem Hintergrund der sozialen und kon-
junkturellen Auswirkungen? Ich kann dazu nur sagen:
Sie haben nicht genügend hingeschaut und eine sozial
und wirtschaftlich falsche Maßnahme beschlossen.

Noch einmal: An dieser Stelle braucht dieses Kabinett
endlich einen Wirtschaftsminister, der den Finger auf die
wirtschaftlichen Fragen legt, und keinen, der sich in den
entscheidenden Momenten drückt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben aber schon begriffen, dass Sie dort eine signi-
fikante Schwachstelle haben.

Wir von den Grünen haben viele Vorschläge zum
Subventionsabbau gemacht. Herr Steinbrück, ich bitte
Sie, einfach zu sagen, dass Sie die nicht wollen. Sie sa-
gen immer, es gehe nicht und es gebe keine Alternative
zu Ihrer Politik. Es gibt aber Alternativen. Wie schnell
im Übrigen die große Koalition Subventionen aufbaut
– ich betone: aufbaut und nicht abbaut –, kann man an
folgendem Beispiel sehen: Nach der Finanzausschusssit-
zung am 9. Mai hat es noch einen parlamentarischen
Abend gegeben. Im Zuge dessen haben Sie großzügig
eine Steuerbegünstigung für Gabelstaplerfahrer an den
Güterumschlagplätzen der Seehäfen in Höhe von
25 Millionen Euro beschlossen. Die Dankesschreiben
sind schon bei der Koalition eingetroffen. Also von we-
gen Subventionsabbau: Sie reden davon, bauen jedoch
systematisch neue auf, wo es Ihnen gerade recht ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen, Herr Finanzminister, machen Sie keine
berechenbare, verlässliche, auf das große Ziel der Kon-
solidierung ausgerichtete Politik, sondern Sie veranstal-
ten Steuermurks.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604303700

Bevor die Kollegin Gabriele Frechen für die SPD-

Fraktion als Nächste das Wort erhält, möchte ich darauf
hinweisen, dass wir nach einer vorhin in der Ältesten-
ratssitzung getroffenen Vereinbarung über den Verfah-
rensablauf bei den Abstimmungen am Schluss dieses Ta-
gesordnungspunktes eine namentliche Abstimmung
haben werden und eine Zweidrittelmehrheit erforderlich
sein wird.


(Otto Fricke [FDP]: Der Anwesenden!)


Ich mache jetzt schon darauf aufmerksam, damit die
Dispositionen für die Verfügbarkeit im Plenum rechtzei-
tig getroffen werden können.

Nun hat Frau Kollegin Frechen das Wort.


Gabriele Frechen (SPD):
Rede ID: ID1604303800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Lieber Herr Dr. Wissing, Sie haben eben ge-
sagt: Aus einer roten Kröte wird kein Prinz. Ich will gar
kein Prinz werden und solange Sie mir nicht versprechen
können, dass man auch eine Prinzessin werden kann,
bleibe ich doch lieber eine rote Kröte.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Sie sind keine Kröte, Frau Kollegin! Sie sind eine Prinzessin!)


Sie erzählen uns immer, was Sie alles richtig und besser
machen, und zwar vor allem im Bereich der Steuern. Ich
genieße es immer – auch wenn der Herr Westerwelle das
gar nicht gerne hört –,


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ich habe gesagt: Sie sind eine Prinzessin!)


Ihnen die Aussagen der Gutachter zu Ihrem Steuermo-
dell vorzutragen. Alle Gutachter, alle Länderfinanz-
minister, waren sich einig, dass Ihr Modell zu einer er-
heblichen sozialen Schieflage führt. Wenn Sie hier von
„sozial“ sprechen, muss man Ihnen immer wieder vor-
halten, dass Sie mit Ihrer Steuerreform eine Verschie-
bung von unten nach oben vorgesehen haben, und das

(B)







(A) (C)



(B) (D)


Gabriele Frechen
noch mit Steuereinnahmeverlusten in Höhe von
20 Milliarden Euro.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Nein!)


Erzählen Sie uns also nicht, wie es geht, und auch nicht,
wie es besser gehen sollte.


(Beifall bei der SPD – Dr. Volker Wissing [FDP]: Welches Gesetz meinen Sie denn?)


Eine zentrale Aufgabe der großen Koalition ist die
Konsolidierung der Staatsfinanzen. Wir werden in 2007
die Regelgrenze des Art. 115 des Grundgesetzes und die
Maastrichtkriterien einhalten. Dazu bedarf es trotz er-
heblich gestiegener Steuereinnahmen und trotz der guten
Prognosen erheblicher Anstrengungen auf allen staatli-
chen Ebenen. Wir müssen weiter Subventionen abbauen,
Ausgaben kürzen und die Einnahmen verbessern. Das
alles geht nicht ohne Einschnitte. Ich bin mir aber ganz
sicher, dass die Menschen erkennen, dass Einschnitte zur
Haushaltskonsolidierung notwendig sind, und dass sie
auch bereit sind, ihren Beitrag dazu zu leisten, wenn sie
einsehen, dass die Forderungen nicht nur gerechtfertigt,
sondern auch gerecht sind. Wenn Sie aber immer wieder
behaupten, Subventions- und Ausgabenabbau wären
reine Steuererhöhungen, dann springen Sie zu kurz. Das
ist, gelinde gesagt, unredlich.


(Beifall bei der SPD – Dr. Volker Wissing [FDP]: Die Deutschen merken doch, dass es bei ihnen weniger wird! Entscheidend ist doch, dass die Menschen bei Ihrer Politik weniger im Geldbeutel haben!)


Die Menschen bekommen eine Leistung vom Staat.
Sie fordern diese Leistung zu Recht ein. Wir müssen uns
natürlich fragen – Herr Dr. Wissing, das gilt auch für Sie –,
was der Staat heute noch leisten kann, was er in Zukunft
leisten muss und was er dann noch leisten kann.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Sie haben doch Rekordeinnahmen!)


– Leider Gottes haben wir aber auch Rekordschulden.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Nicht „leider Gottes“, sondern das ist Ihre Politik! – Dr. Volker Wissing [FDP]: Weil Sie Schulden machen!)


– Sie würden es sich ganz einfach machen: Sie würden
die Zuschüsse zur Rentenversicherung um ein paar Mil-
liärdchen kürzen. Dass das für Rentnerinnen und Rent-
ner Konsumverzicht und geringere Lebensqualität be-
deuten würde, wäre Ihnen doch völlig schnuppe, diese
Leute gehen Sie doch gar nichts an.


(Beifall bei der SPD – Dr. Volker Wissing [FDP]: Wer hat Ihnen denn dieses Märchen erzählt?)


Wir brauchen einen leistungs- und handlungsfähigen
Staat. Wir müssen überlegen, wie wir das in dieser Zeit
hinbekommen. Ich bekenne mich dazu, dass ich einen
aktiven und aktivierenden Staat will, der in den Berei-
chen Forschung und Bildung, Familie, soziale Leistun-
gen, innere Sicherheit, Infrastruktur und vielen mehr für
die Menschen Aufgaben erfüllen kann.


(Beifall bei der SPD)


Doch dafür braucht man nun einmal so etwas Trivia-
les wie Geld. Ich will keinen fetten Staat, aber auch kei-
nen ausgehungerten.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Darum haben Sie auch Wahlkampf gegen die Mehrwertsteuererhöhung gemacht!)


Das Steueränderungsgesetz ist ein weiterer Schritt auf
dem Weg, die im Koalitionsvertrag vereinbarten Konso-
lidierungsziele zu erreichen.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Rekordverschuldung!)


Als Nordrheinwestfälin, die fest zum Braun- und
Steinkohleabbau steht, muss und werde ich hier heute
die Abschaffung der Bergmannsprämie vertreten.
Diese Prämie, die vor 50 Jahren als reine Subvention
eingeführt wurde, um Männern den Beruf des Berg-
manns schmackhaft zu machen, wird mit diesem Gesetz
ab 2008 gestrichen. Hiermit gehen wir – das muss ich
trotzdem sagen – ein ganz erhebliches Stück über die im
Koalitionsvertrag getroffene Vereinbarung hinaus, die
nur die Abschaffung der Steuerfreiheit vorsieht. Ich hätte
mich in diesem Punkt gerne an den Koalitionsvertrag ge-
halten.

Wir werden die Altersgrenze für den Bezug von Kin-
dergeld in zwei Schritten auf 25 Jahre absenken. Außer
in Luxemburg wird nirgendwo in Europa so lange Kin-
dergeld gezahlt wie in Deutschland. In den meisten Län-
dern wird es nur bis zum 18. Lebensjahr gezahlt. Wer
den Bezug von Kindergeld im 26. und 27. Lebensjahr
für den Mittelpunkt aller familienpolitischen Aktivitäten
hält, der verkennt die Realität vollkommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben uns Bildungs- und Forschungspolitik auf
die Fahne geschrieben. Bildungs- und Forschungspolitik
fängt aber nicht auf der Universität und nicht mit dem
25. Lebensjahr an. Wir fördern Familien auf allen staatli-
chen Ebenen – Elterngeld, Kindertageseinrichtungen,
Abzugsfähigkeit von Betreuungskosten, offene Ganz-
tagsschulen und dritthöchstes Kindergeld in Europa für
die Dauer von 25 Jahren – mit insgesamt rund 100 Mil-
liarden Euro pro Jahr. Das Kindergeld für 26- und 27-jäh-
rige Kinder macht 0,5 Prozent davon aus.

In der Anhörung wurden kaum grundsätzliche Beden-
ken gegen die Absenkung der Bezugsdauer geäußert.
Problematisiert wurde vielmehr die Möglichkeit, bis
zum 25. Lebensjahr in Deutschland ein Studium zu be-
enden.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Können Sie nicht überall!)


Umso wichtiger war das Ergebnis der Nachverhandlun-
gen zur Föderalismusreform unseres Fraktionsvorsitzen-
den Peter Struck. Mit dem neu aufgenommenen Begriff






(A) (C)



(B) (D)


Gabriele Frechen
Wissenschaft, der neben Forschung auch Studium und
Lehre umfasst, können Vorhaben in diesem Bereich mit-
finanziert werden.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und bei der Schule?)


Dadurch können Gelder des Bundes eingesetzt werden,
um im Rahmen des Hochschulpakts gemeinsam mit den
Ländern dringend benötigte Studienplätze zu schaffen,
um Warteschleifen für Studierende zu vermeiden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Folgewirkungen aus der Absenkung der Bezugsdauer
des Kindergeldes haben wir, wo es uns sinnvoll, notwen-
dig und machbar erschien, ausgeschlossen: Die Absen-
kung wird nicht auf das Waisengeld oder auf die Wai-
senrente übertragen.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Aber Arbeitslosengeld! Riesterrente! Eigenheimzulage!)


Hier bleibt es beim 27. Lebensjahr. Auch bei bestehen-
den Verträgen zur Altersversorgung wird es keine Ver-
änderung geben.

Für Studierende, die einer Beihilferegelung unterlie-
gen, haben wir Übergangsregelungen für die Kranken-
versicherung geschaffen. Sie haben ihre Entscheidung
für die Beihilfe und gegen die gesetzliche Studentenver-
sicherung auf der Grundlage des geltenden Rechts ge-
troffen und genießen deshalb Vertrauensschutz, weil
diese Entscheidung nicht rückgängig gemacht werden
kann. Ein Wechsel in die studentische Krankenversiche-
rung ist nicht möglich. Die Studierenden, die ihr Stu-
dium im nächsten Jahr aufnehmen, treffen ihre Entschei-
dung auf der Grundlage des neuen Rechts.

Die in diesem Gesetz vorgesehene Beschränkung der
Entfernungspauschale auf Fahrten von mehr als
20 Kilometer zur Arbeit hat die größten finanziellen
Auswirkungen. Wir haben auch andere Varianten bera-
ten – nicht nur hinter verschlossener Tür –, aber letztlich
war unter den gegebenen Umständen keine Veränderung
in diesem Punkt möglich.

Der Sparerfreibetrag ist eine lieb gewonnene Aus-
nahme vom Prinzip der Besteuerung nach Leistungsfä-
higkeit. Unter rein steuersystematischen Gesichtspunk-
ten – ich betone das – hätten wir diese Ausnahme
streichen müssen. Aus Rücksicht auf Kleinsparer – bei
einem Sparguthaben von rund 50 000 Euro bei Ehepaa-
ren – haben wir diesen Betrag nicht gestrichen, aber wir
werden ihn auf 750 Euro für Ledige und 1 500 Euro für
Verheiratete kürzen.

Ich möchte Kollegen Gysi – er ist leider nicht mehr
anwesend – einmal bitten, dass er, wenn er das nächste
Mal in seinem Ortsverein, Stadtverband oder wie auch
immer das bei der PDS genannt wird


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Linkspartei!)


mit den Menschen redet, sie einmal fragt, ob
32 000 Euro oder 50 000 Euro wirklich ein lächerliches
Sparguthaben sind.

(Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD])


Für mich sind 50 000 Euro mit Sicherheit nicht lächer-
lich. Ich glaube, auch für viele Menschen, von denen Sie
behaupten, dass Sie sie hier vertreten, sind 50 000 oder
auch 32 000 Euro nicht lächerlich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie hätten zuhören müssen!)


– Ich habe ihn schon richtig verstanden. Ich habe ihm
zugehört.

Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer werden in
Zukunft nur noch dann steuerlich absetzbar sein, wenn
dieses Arbeitszimmer den Mittelpunkt der beruflichen
Tätigkeit darstellt. Moderne Arbeitsformen wie Heim-
oder Telearbeitsplätze bleiben natürlich von der Verän-
derung unberührt. Im deutschen Steuerrecht gilt der
Grundsatz: Gemischte Kosten, also Kosten, die sowohl
privat als auch beruflich veranlasst sein können, werden
grundsätzlich der privaten Sphäre zugeordnet.

Außerdem schließen wir eine weitere Besteuerungs-
lücke. Wir haben uns in der letzten Legislaturperiode
und in Fortsetzung in der großen Koalition auf die Fahne
geschrieben, dass wir Lücken schließen, wo immer wir
sie antreffen. Diese Lücke betrifft nun die Steuerpflicht
von Mitarbeitern des Bordpersonals von inländischen
Fluggesellschaften im internationalen Luftverkehr, die
ihren Wohnsitz im Ausland haben oder ins Ausland ver-
legt haben. Nach dem OECD-Musterabkommen und den
entsprechenden Doppelbesteuerungsabkommen steht
Deutschland hier das Besteuerungsrecht zu. Dieses wer-
den wir auch wahrnehmen.

Schließlich – das ist heute schon öfter angeklungen –
werden wir den Steuersatz von 42 auf 45 Prozent bei
Einkommen über 250 000 Euro bzw. 500 000 Euro an-
heben. Wir rechnen mit Steuereinnahmen in Höhe von
250 Millionen Euro. Wir rechnen in der Folge in den
nächsten Jahren mit Steuereinnahmen in Höhe von
1 Milliarde Euro. Da redet Herr Gysi davon, dass das
noch nicht einmal ein Witz sei. Er sollte einmal sein Ver-
hältnis zu Geld überdenken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Diese Erhöhung um 3 Prozentpunkte ist ein Beitrag zur
sozialen Balance und zur Ausgewogenheit.


(Lachen bei der LINKEN – Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Das ist doch der Gipfel!)


– Moment, eine Sekunde Geduld, Herr Kollege.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604303900

Also im Augenblick hat hauptsächlich die Kollegin

Frechen das Wort und die Fraktionen kommen gleich mit
ihren Beiträgen zur Geltung.


Gabriele Frechen (SPD):
Rede ID: ID1604304000

Zumindest habe ich noch das Mikrofon.






(A) (C)



(B) (D)


Gabriele Frechen
Aber es ist nicht der einzige Beitrag des Gesetzes.
Alle Kürzungsmaßnahmen treffen selbstverständlich auf
alle gleichermaßen zu: auf Arbeitnehmer, die einen
Dienstwagen haben, genauso wie auf Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer, die mit ihrem privaten PKW zur
Arbeit fahren, und genauso auf die Unternehmer, die mit
ihrem betrieblichen PKW zur Arbeit fahren. Dasselbe
gilt für den Sparerfreibetrag und das Arbeitszimmer.
Jede Streichung wirkt sich aufgrund der Progression
gleich aus: auf die höheren Einkommen mehr, auf die
niedrigeren Einkommen weniger. Hier gilt: Starke
Schultern tragen mehr.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604304100

Frau Kollegin Frechen, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Ernst?


Gabriele Frechen (SPD):
Rede ID: ID1604304200

Ja, selbstverständlich.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wo ist denn der Herr Gysi?)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604304300

Frau Kollegin, Sie haben gerade angesprochen, dass

diese Maßnahmen alle treffen sollen. Vom Herrn Finanz-
minister haben wir gehört, Lehrer bräuchten kein
Arbeitszimmer, weil ihr Arbeitsplatz eigentlich die
Schule ist. Der Arbeitsplatz des Abgeordneten ist ja das
Parlament. Heißt das – Ihre Maßnahmen sollen ja für
alle gelten –, dass auch unsere Büros abgeschafft wer-
den? Denn wenn das so ist, brauchen auch wir sie nicht
mehr.


Gabriele Frechen (SPD):
Rede ID: ID1604304400

Herr Kollege, wenn Sie Ihr häusliches Arbeitszimmer

für Ihre Abgeordnetentätigkeit absetzen, dann begehen
Sie schlicht und ergreifend Steuerhinterziehung. Wir
dürfen das nämlich nicht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich komme zum Schluss. Es muss unser gemeinsames
Anliegen sein, den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen
und die Staatsverschuldung zu verringern. Vieles hätten
wir früher haben können. Aber das ist vergossene Milch.
Wir brauchen Spielraum für Zukunftsinvestitionen und
wir dürfen den folgenden Generationen nicht die Mög-
lichkeit nehmen, ihre Entscheidung auf der Höhe ihrer
Zeit zu treffen. Deshalb müssen wir das Notwendige tun.

„Das Einzige, was man ohne Geld machen kann, sind
Schulden.“ So lautet das Zitat eines unbekannten Verfas-
sers. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir
unseren Kindern doch wohl nicht antun.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604304500

Nächster Redner ist der Kollege Carl-Ludwig Thiele

für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1604304600

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem Gesetz, welches
„Steueränderungsgesetz 2007“ heißt, wird die Steuer-
erhöhungspolitik von Schwarz-Rot fortgesetzt. Das ist
das, was die Bürger wissen sollen.


(Gabriele Frechen [SPD]: Nein! Das ist das, von dem Sie wollen, dass sie es glauben!)


Das ist das, was hier passiert. Genau das soll heute be-
schlossen werden. Dabei ist man nicht etwa stringent an
das Steuerrecht herangegangen, sondern punktuell sind
einzelne Regelungen herausgenommen worden. Durch
das Streichen bestimmter Regelungen bei Gleichbleiben
der Steuersätze kommt es zu einer Mehrbelastung der
Bürger. Genau dies soll heute beschlossen werden.


(Beifall bei der FDP)


Die Bundeskanzlerin hat selbst gesagt: „Deutschland
ist ein Sanierungsfall.“ Herr Finanzminister Steinbrück,
Sie haben zu Beginn Ihres Debattenbeitrags gefragt: Was
macht man, wenn man einen Haushalt hat, dessen Aus-
gaben nur zu 80 Prozent durch Steuereinnahmen ge-
deckt sind? Das waren Ihre Worte.

Dann haben Sie erklärt – das hat mich überrascht; ich
halte das nämlich für den falschen Weg –, warum der
Staat den einzigen Ausweg darin sieht, sich die Einnah-
men selbst zu holen, und zwar zulasten der Bürger, zu-
lasten der Wirtschaft und damit letztlich zulasten der Be-
schäftigung in unserem Lande. Das verstehe ich nach
wie vor nicht. Das ist aus meiner Sicht der Grundfehler
Ihrer Politik.

Um noch einmal das Beispiel des Haushalts aufzu-
greifen: Ein privater Haushalt – das war das Bild, das Sie
benutzt haben –, der 20 Prozent seiner Ausgaben nicht
gedeckt hat, kann sich nicht so verhalten. Man kann
nicht zu seinem Arbeitgeber sagen: Erhöhe mir meinen
Tarif um 20 Prozent. Man kann nicht zu seinen Kunden
sagen: Zahlt mir 20 Prozent mehr.

Ein privater Haushalt muss das machen, was wir Freie
Demokraten vom Staat verlangen: die Ausgaben und
Aufgaben auf den Prüfstand stellen. Das ist der einzige
Weg, wie das Gemeinwohl im Interesse der öffentlichen
Hand, aber auch im Interesse der Bürger unseres Landes
gefördert werden kann.

Wir dürfen nicht die Einnahmen des Staates zulasten
der Bürger erhöhen, sondern wir müssen die Ausgaben
des Staates zugunsten der Bürger reduzieren, damit den
Bürgern von dem, was sie selbst erarbeitet haben, das
verbleibt, was sie brauchen, um ihre eigenen Ausgaben
und ihr eigenes Leben finanzieren zu können.


(Beifall bei der FDP)


Hier unterscheiden wir uns schon im Grundansatz. Im
Wahlkampf – die Situation der öffentlichen Haushalte
war bekannt – wurde von der Union wie auch vonseiten
der FDP ein Steuerrecht gefordert, das niedriger, einfa-
cher und gerechter sein sollte. Aber jetzt wird das Steu-
errecht an dieser Stelle komplizierter. Wenn man den Ta-
rif nicht senkt, aber Ausnahmen streicht, wie bei der






(A) (C)



(B) (D)


Carl-Ludwig Thiele
Pendlerpauschale und beim Sparerfreibetrag geschehen,
dann führt das zu massiven Steuererhöhungen für die
Bürger. Herr Finanzminister Steinbrück erklärt, er könne
nicht sparen, weil das die Konsumfreude der Bürger re-
duziert. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Diese Steuer-
erhöhung geht genauso zulasten des Konsums der Bür-
ger; denn das, was den Bürgern vom Staat zusätzlich
abgenommen wird, steht den Bürgern für ihren Konsum,
für sich selbst, eben nicht mehr zur Verfügung.


(Beifall bei der FDP)


Einige grundsätzliche Anmerkungen. Nicht jeder hat
die große Koalition gewollt. Einige bezeichnen sie nach
wie vor auch als „Koalition von Union und SPD“; denn
eine große Koalition wäre zu einem großen Wurf in der
Lage. Was die große Koalition momentan betreibt, ist
eine Politik der Desillusionierung. Dabei hatten die
Leute nach der Wahl gehofft: Jetzt werden die Probleme
unseres Landes angegangen, jetzt werden grundsätzliche
Reformen beschlossen. Stattdessen: Stückwerk. Es geht
der Koalition ausschließlich um die Erhöhung der Ein-
nahmen des Staates. Die Zustimmung zur großen Koali-
tion sinkt, weil die Bürger sich mehr von ihr versprochen
haben. Nun merken sie, diese Versprechungen werden
von Ihnen nicht eingelöst. Wir erleben momentan eine
Koalition des kleinsten gemeinsamen Nenners, ohne
zentrale Linie, ohne Perspektive für die Bürger unseres
Landes.

Ich sage ganz persönlich, obwohl ich zur Opposition
gehöre: Ich wünsche mir sogar, dass die große Koalition
Erfolg hat: weil Deutschland Erfolg benötigt. Mit Ihrer
Politik der Belastung der Bürger vergeben Sie diese
Chance. Mehr Wachstum und mehr Beschäftigung in un-
serem Land wird es mit diesem Kurs der Koalition nicht
geben. So sinkt die Zahl der sozialversicherungspflichti-
gen Arbeitsplätze weiter. Wir brauchen für Deutschland
eine Vision. Wir brauchen einen neuen Anlauf. Die
große Koalition ist dazu leider nicht geeignet.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604304700

Ich erteile das Wort dem Kollegen Olav Gutting,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Olav Gutting (CDU):
Rede ID: ID1604304800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Ich stehe hier wie im letzten halben Jahr
zum wiederholten Male, um über einen kleinen Schritt in
die richtige Richtung zu sprechen. Zwischenzeitlich
summieren sich diese kleinen Schritte zu einer ganz er-
heblichen Strecke.

Mit dem Entwurf des Steueränderungsgesetzes 2007
kommen wir dem Ziel einer Begrenzung der staatlichen
Ausgaben und eines ausgeglichenen Haushaltes wieder
ein Stückchen näher. Wie immer, wenn ein solcher Kata-
log vorgelegt wird, kommt es zu Streitigkeiten, vor al-
lem über Einzelmaßnahmen. In der Tat gibt es Einzel-
maßnahmen, über die gestritten werden kann. Aber das
ändert doch nichts daran, dass der eingeschlagene Weg
der richtige ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Seit Jahren treibt die expansiv betriebene Ausgaben-
politik die Neuverschuldung nach oben. Obwohl Finanz-
experten immer wieder vor der Gefahr der Schuldenfalle
warnen, hat keine der bisherigen Bundesregierungen
diese Warnungen wirklich ernst genommen und entspre-
chend reagiert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Alle Fraktionen hier im Deutschen Bundestag waren an
dieser Politik beteiligt. Dabei will ich auch frühere
Unionsregierungen nicht ausnehmen: Auch wir als
Union haben unseren Beitrag zu dieser immensen
Staatsverschuldung geleistet. Umso mehr sehe ich
mich als Mitglied der Unionsfraktion heute in der Ver-
antwortung, diese Verschuldung zu stoppen.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Es ist mir nicht bekannt, dass die Linksfraktion daran beteiligt war!)


– Frau Höll, Sie waren nicht dabei: Sie haben als SED
die DDR ruiniert – dafür zahlen wir heute noch.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die große Koalition ist seit langem die erste Bundes-
regierung, die nicht bereit ist, diesen Weg in den Schul-
denstaat fortzusetzen.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt einfach nicht!)


Die Erkenntnis, die wir heute haben, dass sich die Haus-
halte von Bund, Ländern und Gemeinden und vor allem
die sozialen Sicherungssysteme in einer äußerst ernsten
Lage befinden, ja sogar ein Sanierungsfall sind, ist we-
der neu noch originell, aber sie ist leider wahr.


(Florian Pronold [SPD]: Sie können doch nicht die Kanzlerin kritisieren!)


Meines Erachtens hinken wir mit der Informierung der
Öffentlichkeit über die Notwendigkeit von Sparmaßnah-
men seitens der öffentlichen Hand leider immer noch
hinterher.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604304900

Darf die Kollegin Höll Ihnen eine Zwischenfrage stel-

len?


Olav Gutting (CDU):
Rede ID: ID1604305000

Nein, hier nicht. – Die Politik hat es bisher versäumt,

in aller Deutlichkeit über die Notwendigkeit der Konso-
lidierung der öffentlichen Haushalte aufzuklären. Dazu
gehört auch, dass man sich die astronomischen Schul-
denstände dieses Staates vor Augen führt. Der Bund der
Steuerzahler hat errechnet, dass der aktuelle Schulden-
stand von Bund, Ländern und Gemeinden bei 1,5 Billio-
nen Euro liegt.






(A) (C)



(B) (D)


Olav Gutting

(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kann man ruhig noch etwas drauflegen!)


Das heißt, dass auf jeden einzelnen Bürger in Deutsch-
land 18 200 Euro an öffentlichen Schulden entfallen. Be-
sonders plastisch wird die drohende Schuldenfalle, wenn
man bedenkt, wie schnell dieser gigantische Schulden-
berg wächst, nämlich um 2 113 Euro pro Sekunde. Schon
allein während meiner Redezeit hier an diesem Pult wird
sich die Staatsverschuldung um weitere 1,2 Millionen
Euro erhöhen.


(Florian Pronold [SPD]: Dann hören Sie schnell auf! – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Aber nicht deshalb, weil du geredet hast!)


– Nicht deswegen.

Der Bund muss bereits jeden fünften Euro, den er
durch Steuern einnimmt, nur für Schuldzinsen ausgeben.
Würde man ab sofort keine Schulden mehr aufnehmen
und würde die öffentliche Hand gesetzlich verpflichtet,
jeden Monat 1 Milliarde Euro an Schulden zurückzuzah-
len, also zu tilgen, so würde der Prozess zum Abbau des
gesamten Schuldenberges über 110 Jahre dauern.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie das nicht bei der Haushaltsverabschiedung erzählt?)


– Warten Sie es ab.

Die laufenden Ausgaben liegen zum Teil dramatisch
über den regelmäßig fließenden Einnahmen. Wir haben
das vorhin schon vom Bundesfinanzminister gehört. Al-
lein beim Bundeshaushalt gibt es eine strukturelle De-
ckungslücke in einer Größenordnung von rund 60 Mil-
liarden Euro. Durch den demografischen Wandel wird
der Druck auf die öffentlichen Haushalte unweigerlich
noch weiter erhöht.

In der Vergangenheit hat jeder Finanzminister, der das
schwere Erbe seines Vorgängers angetreten hat, den Vor-
satz gehabt, die Verschuldung der öffentlichen Haushalte
zurückzufahren. Es gab Finanzminister und Regierun-
gen, die anfänglich Erfolge hatten, zum Beispiel unter
der Union Anfang und Mitte der 80er-Jahre. Letztend-
lich gab es am Ende aber immer wieder die gleichartige
bedrohliche Bilanz: Der Schuldenstand des Bundes er-
höhte sich. Von einer Rekordverschuldung ging es zur
nächsten.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Steigende Staatsverschuldung heißt zunächst, dass ein
immer größer werdender Anteil des Etats für Zinsen
aufgebracht werden muss. Dadurch wird die politische
Handlungsfähigkeit des Staates natürlich aufgezehrt.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie das beim Haushalt nicht bemerkt?)


Deshalb muss in der derzeitigen prekären Haushalts-
situation auch das Junktim unserer Fraktion ausgesetzt
werden, dass mit der Streichung von steuerlichen Ver-
günstigungen und mit dem Subventionsabbau immer
auch eine Senkung der Steuersätze einhergehen muss.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Liberalen,
natürlich wäre es wünschenswert, wenn wir die Mehr-
einnahmen, die durch die Beseitigung der einzelnen Ver-
günstigungen hereinkommen, in Form einer allgemeinen
Steuersatzsenkung an die Menschen zurückgeben
könnten.


(Zuruf von der FDP: Das haben Sie ja auch immer gefordert!)


Dies ist aber nicht möglich, weil diese Rückflüsse be-
reits durch das jahrzehntelange Leben über unsere Ver-
hältnisse aufgezehrt sind. Mehreinnahmen müssen daher
zur Eindämmung und, wenn möglich, zur Verringerung
der bestehenden Staatsverschuldung eingesetzt werden;


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann tut das doch!)


denn wir wollen ja auch nachfolgenden Generationen ei-
nen finanziell handlungsfähigen Staat hinterlassen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie sich dann noch einmal so verschuldet?)


Wie eng die Handlungsfähigkeit bereits heute ist, se-
hen wir jetzt bei der Unternehmensteuerreform.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo war die Erkenntnis in der letzten Woche, als es um den Haushalt ging?)


Wir haben kaum die Möglichkeit, eine vernünftige Un-
ternehmensteuerreform vorzufinanzieren. Schon heute
sind wir also eingeengt und es wird immerzu schlimmer
werden, wenn wir nichts ändern. Die große Koalition hat
sich deshalb in ihrer Koalitionsvereinbarung zu Recht
darauf verständigt, die Konsolidierung der öffentlichen
Haushalte zur zentralen Aufgabe für die nächsten Jahre
zu machen.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Groß ist die Koalition nur im Geldausgeben!)


Dem haben sich alle anderen politischen Wünsche unter-
zuordnen.

Ein kleiner Mosaikstein in diesem gesamten Konzept
ist das Steueränderungsgesetz 2007, das im Zusammen-
spiel mit anderen Maßnahmen zu sehen ist. Der Bundes-
finanzminister hat zum Beispiel schon das Gesetz zur
Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen ge-
nannt. Die Änderungsanträge, die die Opposition hier
vorbringt, werden den finanzpolitischen Herausforde-
rungen in diesem Lande einfach nicht gerecht. Unsere
haushaltspolitischen Probleme lassen sich eben nicht
einseitig durch Ausgabenkürzungen lösen.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit kann man aber schon einmal etwas tun!)


Wir dürfen die mittlerweile doch erfreuliche wirt-
schaftliche Entwicklung nicht aufs Spiel setzen, sondern
wir müssen sorgfältig darauf achten, dass wir mit dem






(A) (C)



(B) (D)


Olav Gutting
Bündel der von uns getroffenen Maßnahmen nicht über
das Ziel hinausschießen und dem konjunkturellen Auf-
schwung letzten Endes nicht entgegenwirken. Dieses
Bemühen kommt auch in den getroffenen Einzelmaß-
nahmen dieses Gesetzentwurfs zum Ausdruck. Nehmen
wir zum Beispiel die Kürzung der Pendlerpauschale.
Die Umstellung auf das Werktorprinzip bei der Pendler-
pauschale ist richtig. Der Weg zur Arbeit ist Privatsache
und muss nicht von der Allgemeinheit mitfinanziert wer-
den.


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Das ist früher aber anders gesagt worden!)


Wo man wohnt, ist schließlich die private Entschei-
dung jedes Einzelnen.

Ich habe an dieser Stelle bereits gesagt, dass man nor-
malerweise konsequenterweise die Ausnahme für Fern-
pendler ab dem 21. Kilometer hätte streichen sollen. Die
große Koalition hat sich jedoch entschlossen, diese mög-
lichen Härten bei Fernpendlern abzufedern. Damit
beweisen wir das Augenmaß, mit dem die Koalitionspar-
teien die Ausarbeitung der Einzelmaßnahmen vorge-
nommen haben.

Ähnliches gilt für die Absenkung der Altersgrenze
für den Kindergeldbezug. Die Kollegin Frechen hat es
bereits erklärt. Wir haben uns entschieden, die jungen
Erwachsenen, die sich 2006, 2007 in der Ausbildung be-
finden, von dem Gesetzesvollzug auszunehmen und es
bei ihnen bei der alten Regelung zu belassen.

Allein an diesen beiden Beispielen kann man erken-
nen, dass es sich die Koalition, was die Größenordnung
der Belastung und damit die Zumutbarkeit der getroffe-
nen Maßnahmen angeht, in der Tat nicht leicht gemacht
hat.

Wir wissen, dass unsere Haushalts-, Steuer- und
Finanzpolitik unseren Bürgerinnen und Bürgern einiges
an Zumutungen abverlangt.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Das kann man wohl sagen!)


Aber wir müssen die Haushaltssanierung konsequent
fortsetzen. Das ist unsere Verantwortung und das, was
wir zukünftigen Generationen schlicht schuldig sind.
Nur wenn wir eine Gesundung der Staatsfinanzen errei-
chen, haben wir die Chance auf eine dauerhafte Kon-
junkturbelebung. Damit verbunden sind der Abbau der
Arbeitslosigkeit und das Ziel einer nachhaltigen staatli-
chen Investitionspolitik gerade in den Bereichen Bildung
und Forschung, um damit die Zukunftsfähigkeit unseres
Staates und unserer gesamten Gesellschaft zu sichern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604305100

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.


Olav Gutting (CDU):
Rede ID: ID1604305200

Zeigen Sie deshalb Verantwortungsbewusstsein!

Seien Sie verantwortungsbewusst und stimmen Sie dem
Gesetzentwurf zu!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604305300

Zu einer Kurzintervention erhält das Wort die Kolle-

gin Dr. Höll, Fraktion Die Linke.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604305400

Herr Kollege, könnte es sein, dass, wenn Sie hier an

die Information der Öffentlichkeit appellieren, das ehrli-
cherweise mit einschließen sollte, auch aufzuzeigen, wo-
her die Staatsverschuldung kommt, unter anderem eben
durch die Steuergeschenke, die Sie in den letzten Jahren
zu verantworten hatten? Würde sich daraus nicht ablei-
ten, dass das eigene Wissen als Voraussetzung für wei-
tere politische Entscheidungen doch begründet sein
sollte?

Vor diesem Hintergrund hätte ich Sie gerne gefragt,
wie Sie Ihr gestriges Verhalten erklären, was ja auch zu
der Verzögerung heute Morgen geführt hat. Wir haben
im Ausschuss mit Mehrheit beschlossen, dass die Infor-
mationspflichten in der Bundesrepublik verstärkt werden
müssen, weil, wie Sie selber sagen, Informationen eine
wichtige Grundlage sind, um die Unternehmensteuer-
reform und die Erhebung der Erbschaftsteuer neu gestal-
ten zu können. Herr Minister Steinbrück hat ja vorhin
ausgeführt, dass diese Regelung ansteht.

Jetzt haben Sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ge-
sagt, dass Sie diese Informationen nicht mehr brauchen.
Ist das für die Öffentlichkeit so zu verstehen, dass Sie se-
henden Auges eine Politik betreiben, für die Ihnen die
Datengrundlage fehlt, von der Sie nicht wissen, wie die
Auswirkungen sein werden, und bei der Sie trotzdem
den Unternehmen heute schon eine weitere Entlastung in
Höhe von 8 Milliarden Euro in Aussicht stellen?


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604305500

Zur Erwiderung hat der Kollege Gutting das Wort.


Olav Gutting (CDU):
Rede ID: ID1604305600

Werte Kollegin, zunächst der Hinweis, dass ich Mit-

glied der Unionsfraktion bin. Wir waren in den letzten
Jahren nicht an der Regierung beteiligt.

Zum Vorgehen hat bereits heute Morgen unser parla-
mentarischer Geschäftsführer alles gesagt.

Was die Datenerhebung anbelangt, ist in dem vorlie-
genden Gesetzentwurf nicht geregelt, dass wir keine Da-
ten erheben; es wurden lediglich Änderungen vorgenom-
men. Die Daten werden selbstverständlich erhoben und
wir benötigen sie auch für die Vorbereitung der entspre-
chenden Gesetzentwürfe und Reformen.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Jetzt haben Sie gelogen! Sie nehmen genau diese Erhebung heraus! – Zurufe von der SPD: Vorsicht! – Was heißt „gelogen“?)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604305700

Das Wort hat nun der Kollege Florian Pronold für die

SPD-Fraktion.


Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1604305800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für

die steuerpolitische Debatte gilt: Sachkenntnis schadet
dem Populismus.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt der Richtige!)


Wenn ich berücksichtige, wie zum Beispiel von Herrn
Gysi die Regelung zur steuerlichen Absetzbarkeit eines
Arbeitszimmers dargestellt wird, dann muss ich wie
meine Vorrednerin darauf hinweisen, dass es sich dabei
nicht um eine Regelung nur für Lehrerinnen und Lehrer
handelt, sondern für alle. Es geht darum, dass dabei ge-
mischte Aufwendungen entstehen. Das bedeutet, dass
das Arbeitszimmer sowohl privat als auch beruflich ge-
nutzt wird. Das gilt nicht nur für Lehrerinnen und Leh-
rer, sondern auch für Selbstständige, Rechtsanwälte und
andere. Wer kein anderes Arbeitszimmer hat, kann sein
häusliches Arbeitszimmer steuerlich absetzen.

Die gemischten Aufwendungen sind mit einem gro-
ßen Kontroll- und Bürokratieaufwand und vielen Steuer-
gestaltungsmöglichkeiten verbunden. In diesem Punkt
treffen wir nun eine klarere Regelung.

Wenn Sie einwenden, dass die Lehrer dann kein Ar-
beitszimmer mehr zur Verfügung haben, dann muss ich
darauf hinweisen, dass es nicht die Aufgabe des Bundes
ist, entsprechende Steuervergünstigungen zu bieten;
vielmehr müssen die Länder, die die Lehrer beschäfti-
gen, entweder einen Zuschuss zum häuslichen Arbeits-
zimmer gewähren oder in den Schulen Räumlichkeiten
zur Verfügung stellen. Es ist aber nicht die Aufgabe der
Allgemeinheit, aus Steuermitteln eine entsprechende Re-
gelung zu finanzieren.


(Beifall bei der SPD – Abg. Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Sofort. Ich führe noch einen Gedanken aus.

Was die Senkung der Steuersätze für die unteren und
mittleren Einkommensgruppen in den letzten Stufen der
Steuerreform angeht, sollten Sie ehrlicherweise feststel-
len, dass wir in den letzten Jahren für die Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer höhere Reallohnzuwächse
durch Steuerentlastungen als durch tarifliche Lohnerhö-
hungen erzielt haben. Das kann man doch nicht einfach
leugnen. Man muss auch die Fakten zur Kenntnis neh-
men.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604305900

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen

Schneider?


Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1604306000

Sehr gerne.

Volker Schneider (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604306100

Herr Kollege, würden Sie mir erstens zustimmen,

dass Lehrer in ihren Arbeitszimmern zu Hause zu einem
erheblichen Teil Arbeiten erledigen, die für den Schul-
unterricht dringend geboten sind, wie Unterrichtsvorbe-
reitung und die Korrektur von Klassenarbeiten?

Zweitens. Würden Sie mir des Weiteren zustimmen,
dass es normalerweise Sache des Arbeitgebers ist, die
Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass einem Arbeit-
nehmer die Arbeitsbedingungen zur Verfügung stehen,
die er zur Erledigung seiner Arbeit und zur Erfüllung – –


(Widerspruch bei der SPD – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das hat er doch gesagt!)


– Lassen Sie mich doch zu Ende reden! Ich weiß, warum
Sie so herumpöbeln. Es ist mir klar, welch schlechtes
Gewissen Sie in diesem Punkt haben.

Würden Sie mir des Weiteren zustimmen, dass es Sa-
che des Arbeitgebers ist, die Voraussetzungen zu schaf-
fen, dass ein Arbeitnehmer seinen Arbeitsvertrag erfül-
len kann?

Drittens. Sind Sie vor diesem Hintergrund nicht der
Auffassung, dass es fast schon eine Unverschämtheit ist,
zu behaupten, es würden private Arbeitszimmer subven-
tioniert? Sorgen durch diese Regelung nicht eher umge-
kehrt Lehrer dafür, dass staatliche Mittel nicht in den
Bau von Lehrerbüros in den Schulen fließen müssen?


Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1604306200

Ich weiß nicht, welche Schulgebäude Sie kennen.

Diejenigen, die ich kenne, bieten nachmittags meistens
relativ viel Platz. Ich glaube nicht, dass man zusätzliche
Büroräume anbauen müsste, damit Lehrerinnen und
Lehrer dort arbeiten können.

Wenn Sie mir zugehört hätten, dann wüssten Sie, dass
ich genau das gesagt habe: Der Arbeitgeber ist dafür ver-
antwortlich – das bezieht sich auf Ihre zweite Frage –,
die entsprechenden Arbeitsbedingungen bereitzustellen.
Wenn dies nicht der Fall ist – wie einige vorbringen –,
dann muss man darüber reden, inwiefern der Arbeitge-
ber Abhilfe schaffen kann, aber doch nicht der Steuer-
zahler. Es geht auch nicht um die Lehrerinnen und
Lehrer; es geht vielmehr um die Frage, ob für ein Ar-
beitszimmer eine gemischte Nutzung besteht. Dazu
müsste vonseiten der Finanzverwaltung kontrolliert wer-
den, ob in einem Arbeitszimmer zum Beispiel ein Bett
steht


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Oder ein Sofa!)


bzw. ob es als Gästezimmer genutzt wird. Es geht da-
rum, eine klare Abgrenzung zu schaffen.

Wie ich sehe, haben Sie sich bereits gesetzt. Ich habe
Ihre Fragen jetzt beantwortet. Sie waren ein bisschen
voreilig – nicht nur bei der Fragestellung, sondern auch
beim Hinsetzen.


(Beifall des Abg. Jörg-Otto Spiller [SPD])


Ich bin Herrn Gutting für seinen Redebeitrag dankbar,
weil er deutlich gemacht hat, dass die Union die Pend-






(A) (C)



(B) (D)


Florian Pronold
lerpauschale eigentlich komplett streichen wollte. Auch
Herr Bernhardt hat schon dargestellt, dass es unter-
schiedliche Ansichten in der Koalition gibt. Wir als SPD
sind auch im Wahlkampf dafür eingetreten, dass die Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Belastungen
weiterhin absetzen können. Es ist schön, dass Sie uns zu-
gestehen, dass wir wenigstens dies für die Fernpendler
erkämpft haben.

Ich bin aber schon überrascht – das gehört zur Wahr-
haftigkeit –, dass Herr Kalb vor wenigen Tagen in der
Zeitung erklärt hat, es seien Änderungen möglich. Er ist
Haushaltsexperte der CSU und, so glaube ich, auch für
Erbschaftsangelegenheiten zuständig. Herr Hofbauer
von der CSU hat gestern im Verkehrsausschuss Tränen
geweint, weil bei der Pendlerpauschale keine Änderun-
gen mehr möglich seien. Die Wahrheit ist, dass die CSU-
Staatsregierung von Bayern im Bundesrat Bedenken we-
gen einer möglichen Verfassungswidrigkeit geäußert hat.
Wenn die Staatsregierung hustet, dann wird doch die
Landesgruppe im Bundestag schwer krank. Sie macht,
was die Staatsregierung will. Warum diesmal nicht?

Wir von der SPD haben ein Modell angeboten, das
gerechter wäre, das verfassungsfester wäre – ich erin-
nere an all die Bedenken, die in der Anhörung vorge-
bracht wurden – und das trotzdem die Einsparungen in
Höhe von 2,5 Milliarden Euro erbracht hätte. Sie haben
Ihre Zustimmung verweigert.


(Beifall bei der SPD)


Auch das gehört zur Ehrlichkeit. Es geht nicht an, dass
wir immer die Kohlen aus dem Feuer holen und Sie sich
hinstellen und behaupten, Sie hätten mit den unangeneh-
men Dingen nichts zu tun.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604306300

Herr Kollege Pronold, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Kalb?


Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1604306400

Selbstverständlich.


Bartholomäus Kalb (CSU):
Rede ID: ID1604306500

Herr Kollege Pronold, weil Sie gerade auf mich abge-

zielt haben: Darf ich Sie fragen, ob Sie bereit sind, zur
Kenntnis zu nehmen, dass mich das Verhalten der Minis-
terpräsidenten, insbesondere Ihres Parteivorsitzenden
Beck, im Bundesrat zur Frage der Regionalisierungsmit-
tel und das Entgegenkommen des Bundesfinanzminis-
ters gegenüber den Ländern, das ich persönlich für eine
gravierende Abweichung vom Koalitionsvertrag halte,
zu meiner Reaktion veranlasst haben? Ich bin der Mei-
nung, dass den Pendlern in den ländlichen Gebieten in
gleicher Weise hätte entgegengekommen werden müs-
sen.


Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1604306600

Ich bin bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie, Herr

Kalb, versucht haben, das in diesem Kontext zu sagen.
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir einen
Vorschlag eingebracht haben, der keine weiteren Ver-
luste für den Bundeshaushalt bedeutet, sondern Einnah-
men von 2,5 Milliarden Euro gebracht hätte und trotz-
dem besser und gerechter für die Pendlerinnen und
Pendler wäre, und dass Sie es waren, die diesen Vor-
schlag nicht umsetzen wollten?


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Aha! – Abg. Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604306700

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, unter Berück-

sichtigung der von uns selbst vereinbarten Debattenzeit
möchte ich vorschlagen, dass der Kollege Pronold seine
Rede zu Ende führt. Danach haben wir einen weiteren
Redner und dann kommen wir zu den Abstimmungen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1604306800

Wir machen uns mit diesem Gesetz handlungsfähiger.

Es ist eine schwierige Aufgabe, die wir zu bewältigen
haben. Aber den Populismus der FDP, der darin besteht,
dass sie einerseits die Steuern senken will, andererseits
aber mehr Geld ausgeben und mehr investieren will,
gleichzeitig aber nie sagt, wie das gehen soll, können wir
uns nicht zu Eigen machen. Wir haben die Verantwor-
tung dafür, dass wir den Haushalt konsolidieren und in-
vestieren. Mit diesem Gesetz gehen wir diesen Weg. Es
mag schön sein, für diesen Populismus Beifall zu krie-
gen, aber die Lösung der wirklichen Probleme wird man
mit Sonntagsreden nicht erreichen. Vielmehr bedarf es
konkreten Handelns. Das tun wir mit diesem Gesetz.


(Beifall bei der SPD – Dr. Volker Wissing [FDP]: Ich sage nur „Merkel-Steuer“!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604306900

Letzter Redner ist der Kollege Hans Michelbach für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1604307000

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Kolleginnen und Kollegen! Zum Abschluss der Debatte
über das Steueränderungsgesetz stelle ich für die CDU/
CSU fest: Die große Koalition kommt heute einen weite-
ren Schritt auf dem Weg zur Sanierung unseres Landes
voran. Die große Koalition ist damit eine Koalition der
neuen Chancen für mehr Wachstum und Beschäftigung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Natürlich ist der Abbau von Steuersubventionen im-
mer ein unpopulärer und für die Betroffenen schwerwie-
gender Schritt. Für solch einen Schritt braucht man Mut
und keinen Populismus. Ich muss schon sagen, Herr Pro-
nold: Ihre Flucht aus der Verantwortung kann ich nicht
akzeptieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Hans Michelbach
Ohne Schärfe in diese Debatte bringen zu wollen: Es ist
die Vorlage Ihres eigenen Bundesfinanzministers; die
CDU/CSU hat sich bei der Pendlerpauschale in keiner
Weise verweigert. Ich kann Ihnen sagen: Sie stehen
heute nach den Berichterstattungen, nach den Briefen,
die Sie in Bayern geschrieben haben, nackt da. Sie müs-
sen einmal anerkennen, dass es so ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sehr gut! Gib’s ihm!)


Wir verfolgen – ich hoffe, gemeinsam – ein zielfüh-
rendes Konzept für mehr Wachstum und Beschäftigung.
Unter dem Motto „Sanieren, investieren, reformieren“
verfolgt diese große Koalition ein finanz- und steuerpoli-
tisches Gesamtkonzept, das darauf abzielt, den europäi-
schen Stabilitätspakt und die Verschuldungsgrenze nach
Art. 115 des Grundgesetzes im nächsten Jahr einzuhal-
ten und die Weichen für eine dauerhafte, tragfähige
Finanzpolitik zu stellen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sparen, reformieren und investieren, das ist das Ge-
bot. Der Kurs dieser großen Koalition ist auf eine Ver-
besserung der Konjunktur, auf mehr Wachstum und
mehr Beschäftigung ausgerichtet. Das ist der richtige
Kurs. Wir werden ihn einhalten. Ich hoffe, dass wir ihn
auch in der Zukunft gemeinsam verfolgen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist so: Wegen eines falschen Politikansatzes wurde
in der Vergangenheit zu oft verkündet, die Ausgaben des
Staates seien nicht durch seine Einnahmen, sondern
durch die wachsenden Aufgaben zu bestimmen. Diese
Denke war verhängnisvoll. Seitdem man ihr folgt, ist un-
ser Staat überfordert, leben wir zulasten der Zukunft und
ist die Leistungskultur in Deutschland auf der schiefen
Ebene. Das müssen wir so sehen.

Mittlerweile leben 7 Millionen Menschen von
Hartz IV. Gleichzeitig ist die Zahl der Beschäftigten auf
unter 26 Millionen gesunken. Diejenigen, die von ihrer
Arbeit leben, sind bereits in der Minderheit. So hat un-
sere Gesellschaft keine Zukunft. Unsere Reformen sind
notwendig. Wir beschließen sie heute als Teilkonzept.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen natürlich deutlich machen: In dem Jahr,
in dem diese Regierung ins Amt kam und die große Ko-
alition ihre Arbeit aufnahm, lag das strukturelle Defizit
zwischen den laufenden Einnahmen und den Ausgaben
bei rund 60 Milliarden Euro. Mit anderen Worten: Jeder
fünfte Euro, den der Bund ausgibt, ist nicht von entspre-
chenden Einnahmen gedeckt. Man muss selbstverständ-
lich deutlich machen: Das kann so nicht weitergehen.
Das Defizit muss in den nächsten Jahren entschlossen
zurückgeführt werden, um künftigen Generationen keine
größeren Lasten aufzubürden.

Die Bundesregierung spart bis zum Jahr 2007 ein-
schließlich 35 Milliarden Euro. Wer sagt, es würden nur
Erhöhungen vorgenommen, erzählt Märchen. Im Haus-
halt werden ebenfalls wesentliche Ausgabenkürzungen
vorgenommen. Das tun wir auch heute. Dieses Vorgehen
dient langfristig den Menschen in unserem Land; denn
ein klarer Sparkurs ist das Beste. Wir weisen jeden Vor-
wurf, wir reduzierten Ausgaben nicht, von uns.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die Menschen sehen, dass wir im nächsten Jahr den
europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt einhalten
wollen. Diesen Pakt hat im Übrigen die Union mit Theo
Waigel hart erkämpft. Ich glaube, es ist der Erfolg einer
neuen und zuverlässigen Politik, dass man klare Ziele
formuliert und alle denkbaren Wege beschreitet, um
diese Ziele zu erreichen.

Es ist auch eine Tatsache, dass dadurch die Stimmung
in Deutschland besser geworden ist. Dabei sagen wir na-
türlich ehrlich: Nur mit Anstrengung und Leistung
schaffen wir neue Chancen für die Menschen. Zur Ehr-
lichkeit in diesem Bereich gehört, zu erklären: Dieser
Weg wird allen Opfer abverlangen.

Der Rückgriff auf die Verbreiterung der Bemessungs-
grundlage und die Steuererhöhung sind dabei unaus-
weichlich. Entscheidend ist, dass wir mit einem Drittel
der zusätzlichen Einnahmen sofort die Senkung der
Lohnnebenkosten finanzieren. Auch das ist die Wahr-
heit: dass wir Arbeit verbilligen und dass sich Arbeit
wieder mehr lohnt. Deswegen haben wir hier den richti-
gen Ansatz. Sozusagen eine Umfinanzierung zur Erhö-
hung der Wettbewerbsfähigkeit bei den Arbeitskosten
schafft mehr Beschäftigung in Deutschland.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Gabriele Frechen [SPD])


Solide Staatsfinanzen sind eine wesentliche Voraus-
setzung für die Steigerung von Wachstum und Beschäfti-
gung. Umgekehrt können ohne erhöhtes Wirtschafts-
wachstum der Abbau der Arbeitslosigkeit, die
Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme und die
Konsolidierung der öffentlichen Haushalte natürlich
nicht gelingen.

Die große Koalition verbindet die notwendige Haus-
haltssanierung deshalb mit kurzfristig wirkenden
Wachstumsimpulsen in Höhe von 25 Milliarden Euro
für den Zeitraum bis 2009: deutlich steigende Investitio-
nen in Forschung und Entwicklung, gezielte Verbesse-
rungen für den Mittelstand, Ausweitung der Verkehrsin-
vestitionen, Verbesserung der Familienleistungen. Das
ist der Ansatz: sparen, reformieren, investieren. Ein Ge-
samtkonzept, das die Menschen voranbringt und ihnen
dient, ist die Grundlage.

Demagogie, wie sie bei dieser Debatte heute von
Herrn Gysi, von Herrn Kuhn und anderen an den Tag ge-
legt worden ist, hilft uns nicht weiter. Das mit der Ge-
rechtigkeit in Deutschland ist nämlich ganz anders, als
sie verkünden. Die 10 Prozent, die die höchsten Steuern
zahlen, erbringen in unserem Land über 50 Prozent des
Steueraufkommens. Für die gewerblichen Gewinne
wurde die Bemessungsgrundlage in den letzten Jahren
immer wieder erhöht, nicht gesenkt. Dagegen wurden






(A) (C)



(B) (D)


Hans Michelbach
die unteren Einkommen über den niedrigen Eingangs-
steuersatz, wie auch Herr Steinbrück verdeutlicht hat, er-
heblich begünstigt. So tragen heute die unteren
50 Prozent der Steuerzahler unter 10 Prozent der Steuer-
belastung. Das ist die Wahrheit über die Steuergerechtig-
keit in Deutschland.

Der Neidfaktor, den Sie immer wieder in die Debatte
einführen, schadet unserem Land, weil er die Menschen
in die falsche Richtung führt. Das ist die Situation.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Zur Neiddemagogie von Herrn Gysi, weiteren Linken
und anderen, die hier dazu gesprochen haben, kann ich
nur ein altes Sprichwort anführen: Neid ist genauso alt
wie Unfähigkeit.

Wir müssen in Deutschland wieder die Fähigkeit ge-
winnen, Wachstum und Beschäftigung zu erreichen, da-
mit wir aus der Talsohle herauskommen und wieder
mehr Steuereinnahmen generieren – aus der Gerechtig-
keit heraus, dass alle ihren Beitrag für dieses Land leis-
ten sollen. Deshalb müssen wir mit dem Gesamtkonzept,
das heute mit einer Teillösung umgesetzt wird, den Weg
der Reformen weitergehen. Wenn wir das tun, dann wer-
den wir vorankommen und die Ernte einfahren, die darin
besteht, dass es den Menschen in Deutschland wieder
besser geht.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604307100

Nun erhält die Kollegin Scheel das Wort zu einer

Kurzintervention und danach, so hoffe ich, können wir
abstimmen.


(Unruhe)


– Ich schlage im Übrigen vor, liebe Kolleginnen und
Kollegen, dass Sie dafür Platz nehmen – die Prozedur
wird ein bisschen Zeit in Anspruch nehmen –; das macht
die Veranstaltung dann wenigstens eine Idee gemütli-
cher.

Bitte schön, Frau Kollegin Scheel.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604307200

Danke schön, Herr Präsident, für den Hinweis auf die

Gemütlichkeit.

Ich habe von Herrn Pronold die Begründung für die
Änderung bei der Entfernungspauschale gehört. Die Öf-
fentlichkeit sollte wissen, finde ich, dass die SPD-
Finanzexperten, namentlich auch Florian Pronold, in
verschiedenen Medien gesagt haben, dieser Vorschlag
sei verfassungswidrig.

Mein Vorredner Hans Michelbach hat darauf hinge-
wiesen, dass sich Florian Pronold nicht aus der Verant-
wortung stehlen könne. Ich kann die Abwesenheit von
Herrn Pronold bei der Abstimmung im federführenden
Finanzausschuss über diese Frage nur so beurteilen, dass
er deswegen der Abstimmung fern geblieben ist, weil
ihm klar war, dass das ein verfassungswidriger Vorgang
ist. Ich sehe aber, dass auch aus der Union in dieser
Frage ähnliche Äußerungen getätigt wurden, es also
auch von dieser Seite zum Thema Ausgestaltung der
Entfernungspauschale Kritik an der Regierungsvorlage
gegeben hat. Damit haben sowohl Abgeordnete der SPD
als auch der Union mit ihrer großen Mehrheit etwas be-
schlossen, was sie in ihren jeweiligen Wahlkreisen völlig
anders darstellen.

Deswegen meine ich schon, dass die Öffentlichkeit
insgesamt wissen sollte, dass einzelne Kolleginnen und
Kollegen, vor allen Dingen aus dem Finanzbereich, in
den jeweiligen Ländern, an Stammtischen oder bei Ver-
anstaltungen, wie sie die CSU und andere durchführen,
eine ziemlich große Klappe riskieren, aber jedes Mal
dann, wenn es darum geht, sich dementsprechend zu ent-
scheiden, einknicken und hier sogar etwas tun, von dem
sie wissen, dass es nicht verfassungskonform ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604307300

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen nun zu den Abstimmungen. Ich bitte ei-
nen Augenblick um Aufmerksamkeit, weil wir, wie je-
dermann heute Morgen ja feststellen konnte, eine etwas
kompliziertere Verhandlungslage haben als gewöhnlich.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau hat es auch festgestellt!)


Wir haben uns vorhin im Ältestenrat unbeschadet der
natürlich unterschiedlichen politischen Bewertung der
Gesetzentwürfe und auch der damit verbundenen Ver-
fahrensabläufe auf einen Ablauf verständigt, den ich nun
– verbunden mit dem ausdrücklichen Dank an alle Betei-
ligten, sich trotz der unterschiedlichen politischen Be-
wertungen darauf geeinigt zu haben – erläutern möchte.
Wir werden zunächst in zweiter Lesung über die Be-
schlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Steu-
eränderungsgesetzes 2007 abstimmen. Im Übrigen lie-
gen hierzu – darauf will ich bei der Gelegenheit schon
hinweisen – eine ganze Reihe von persönlichen Erklä-
rungen zur Abstimmung vor, die wir dem Protokoll in
der üblichen Weise beifügen.1)


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das schlechte Gewissen!)


Wir werden dann nach der vorhin im Ältestenrat ge-
troffenen interfraktionellen Vereinbarung über den so-
fortigen Eintritt in die dritte Beratung mit dem Erforder-
nis einer Zweidrittelmehrheit abstimmen und dazu eine
namentliche Abstimmung durchführen. Das hängt – um
das nur in wenigen Sätzen zu erläutern – damit zusam-
men, dass wir eine bestimmte, seit Jahren praktizierte
Handhabung über Fristverzicht haben, für die es aber

1) Anlagen 2 bis 7






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert

mentliche Abstimmung durchführen können. – Sind alle
Ich bitte Sie darum, sozusagen die ganze Schönheit
dieses Verfahrens in vollen Zügen mitzuverfolgen, nach-
dem nun hoffentlich jeder weiß, dass und warum so ver-
fahren wird, wie gerade erläutert.

Ich rufe zunächst die Beschlussempfehlung des Fi-
nanzausschusses auf, Drucksache 16/2012. Er empfiehlt
unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung, die ge-
nannten Gesetzentwürfe zusammenzuführen und in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Dann ist der Gesetzentwurf in zwei-
ter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenom-
men.


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Da waren einige Gegenstimmen der SPD! – Unruhe – Dr. Peter Struck [SPD]: Weiter!)


– Wenn das so ist, dann machen wir das nicht per Zuruf,
sondern nehmen ausdrücklich zu Protokoll, dass es ein-

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 585;
davon

ja: 425
nein: 159
enthalten: 1

Ja

CDU/CSU

Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann

Ernst-Reinhard Beck

(Reutlingen)


Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Carl-Eduard von Bismarck
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Plätze besetzt? – Das scheint der Fall zu sein. Dann er-
öffne ich die Abstimmung.

Ist noch jemand im Saal, der seine Stimme nicht ab-
gegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich
die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, das Ergebnis auszuzählen. Bis zur Be-
kanntgabe des Ergebnisses – danach finden die weiteren
Abstimmungen statt – unterbreche ich die Sitzung.


(Unterbrechung von 12.35 bis 12.42 Uhr)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604307400

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe das von
den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Er-
gebnis der namentlichen Abstimmung über den soforti-
gen Eintritt in die dritte Beratung bekannt: Abgegebene
Stimmen 585. Mit Ja haben gestimmt 425, mit Nein ha-
ben gestimmt 159, Enthaltungen eine. Damit ist der so-
fortige Eintritt in die dritte Beratung mit der erforderli-
chen Mehrheit beschlossen.

Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer (Lübeck)

Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme

Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr zu

Guttenberg
zu Entschließungsanträgen.
eine präzise Festlegung in d
gibt. So haben wir uns vorhin
darauf verständigt, den Gesch
eine Klärung dieses Sachve
mögliche Regelung für die G
ten, wie in solchen Fällen kün

Wir haben uns vorhin da
heute so verfahren, wie unse
den Fall vorsieht, dass es in z
gibt. Über diese kann nämlic
Lesung abgestimmt werden,
mit Zweidrittelmehrheit der
Bundestages beschließt. Wir
lichen Zweifelsfragen dadurc
che Verfahrensentscheidung
zwei Dritteln getroffen wird.

Danach findet die einfache
sung statt. Darauf folgen eine
er Geschäftsordnung nicht
wiederum einvernehmlich
äftsordnungsausschuss um

rhaltes zu bitten und eine
eschäftsordnung zu erarbei-
ftig verfahren werden soll.

rauf verständigt, dass wir
re Geschäftsordnung es für
weiter Lesung Änderungen
h nur dann sofort in dritter
wenn der Bundestag dies
anwesenden Mitglieder des
können deswegen alle mög-
h ausräumen, dass eine sol-
mit einer Mehrheit von

Abstimmung in dritter Le-
Reihe von Abstimmungen
zelne Gegenstimmen auch
Fraktion gegeben hat.


(Volker Kauder [CDU aber! – Renate Künas GRÜNEN]: So fängt es Zurufe)


– Das ist doch kein Grund zu
zweifelt die Mehrheitsentsch
gestellt habe.

Nun entscheiden wir übe
die dritte Beratung unter der
setzung, dass zwei Drittel d
des Bundestages das beschli
nell eine namentliche Abstim

Ich bitte die Schriftführeri
vorgesehenen Plätze einzune
aus den Reihen der SPD-

/CSU]: Na, na, jetzt
t [BÜNDNIS 90/DIE
immer an! – Weitere

r Aufregung. Niemand be-
eidung, die ich gerade fest-

r den sofortigen Eintritt in
vorhin erläuterten Voraus-
er anwesenden Mitglieder

eßen. Dazu ist interfraktio-
mung vereinbart.

nnen und Schriftführer, die
hmen, damit wir diese na-






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung (Konstanz)

Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler (Wiesbaden)

Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich

Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer (Altötting)

Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Laurenz Meyer (Hamm)

Maria Michalk
Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Bernward Müller (Gera)

Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann (Bremen)

Henry Nitzsche
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht (Weiden)

Peter Rzepka
Anita Schäfer (Saalstadt)

Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Ingo Schmitt (Berlin)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer (Neuss)

Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr (Neuruppin)

Dr. Hans- Peter Bartels
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding (Heidelberg)

Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Gerd Höfer
Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung (Karlsruhe)

Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel (Berlin)







(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller (Chemnitz)

Michael Müller (Düsseldorf)

Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche (Cottbus)

Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel Riemann-

Hanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
Rene Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Ortwin Runde
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Renate Schmidt (Nürnberg)

Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt (Landau)

Carsten Schneider (Erfurt)

Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz


(Everswinkel)

Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h.c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen


(Wiesloch)

Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wollf


(Wolmirstedt)

Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Nein

SPD
Klaus Barthel

FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr (Münster)

Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Markus Löning
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Martin Zeil

DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dagdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Inge Höger-Neuling
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte
Katrin Kunert
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothee Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Neskovic
Dr. Norman Paech
Petra Pau
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer (Köln)

Volker Schneider


(Saarbrücken)

Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Ursula Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Priska Hinz (Herborn)

Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Renate Künast
Undine Kurth (Quedlinburg)

Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Brigitte Pothmer
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Margareta Wolf (Frankfurt)


fraktionslos

Gert Winkelmeier

Enthalten

CDU/CSU

Friedrich Merz






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut! – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aber knapp!)


Wir kommen nun zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. – Herr Lafontaine, es würde
zur Komplettierung des Protokolls beitragen, wenn Sie
in den Reihen Platz nähmen, die der Entscheidung der
Wähler entsprechen.


(Heiterkeit)


Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
vorhin festgestellten Fassung zustimmen wollen, sich zu
erheben. – Wer stimmt gegen den Gesetzentwurf? – Wer
möchte sich der Stimme enthalten? – Damit ist der Ge-
setzentwurf mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen bei eini-
gen Gegenstimmen aus den Reihen der SPD-Fraktion
und einer Enthaltung aus der SPD-Fraktion mit der not-
wendigen Mehrheit angenommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der
Drucksache 16/2014. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich
der Stimme? – Der Entschließungsantrag ist mit Mehr-
heit abgelehnt.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 3 b. Hier geht
es um Abstimmungen über die Beschlussempfehlung des
Finanzausschusses auf der Drucksache 16/2012. Der Aus-
schuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussemp-
fehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1501 mit
dem Titel „Steueränderungsgesetz 2007 zurückziehen“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Die
Beschlussempfehlung ist angenommen.

Unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
FDP-Fraktion auf Drucksache 16/1654 mit dem Titel
„Keine weiteren Steuererhöhungen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Auch diese Beschlussempfehlung ist
mit Mehrheit angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c sowie
den Zusatzpunkt 2 auf:

4 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14. Ausschuss)

Bender, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Harald
Terpe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Dem Solidarsystem eine stabile Grundlage
geben – für eine nachhaltige Finanzierungs-
reform der Krankenversicherung

– Drucksachen 16/950, 16/2002 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Hilde Mattheis
b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion
der LINKEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches
Sozialgesetzbuch

– Drucksache 16/451 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14. Ausschuss)


– Drucksache 16/1753 –

Berichterstattung:
Abgeodneter Dr. Rolf Koschorrek

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgitt
Bender, Matthias Berninger, Dr. Thea Dückert,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Stärkung der Solidarität und Ausbau des
Wettbewerbs – Für eine leistungsfähige Kran-
kenversicherung

– Drucksache 16/1928 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniel
Bahr (Münster), Heinz Lanfermann, Dr. Konrad
Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP

Für Nachhaltigkeit, Transparenz, Eigenver-
antwortung und Wettbewerb im Gesundheits-
wesen

– Drucksache 16/1997 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke wer-
den wir zu einem späteren Zeitpunkt namentlich abstim-
men.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. –
Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst der Parlamentarischen Staatssekretärin Marion
Caspers-Merk.

M
Marion Caspers-Merk (SPD):
Rede ID: ID1604307500


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
Thema Gesundheit bewegt die Menschen. Gesunde
Menschen haben natürlich viele Wünsche. Kranke Men-
schen haben eigentlich nur einen Wunsch, nämlich den,
gesund zu werden. Deswegen ist klar, dass die Gesund-
heitspolitik ein Politikfeld ist, das die Menschen wie
kein zweites beschäftigt.

Insofern ist es eine gute Gelegenheit, heute zu den
Leitlinien der Gesundheitspolitik Stellung zu nehmen
und die Anträge der Oppositionsparteien im Deutschen
Bundestag zu würdigen. Es ist Ihr gutes Recht – das sage






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-Merk
ich zu den Kolleginnen und Kollegen von den Grünen –,
etwas einzufordern. Was Sie einfordern, wird aber ei-
gentlich schon getan. Sie fordern uns nämlich auf, einen
Gesetzentwurf zum Thema „Strukturreformen in der Ge-
sundheitspolitik“ vorzulegen. Vielleicht ist den Kolle-
ginnen und Kollegen ja entgangen, dass genau dies im
Moment erarbeitet wird.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Bei einem Gesetzentwurf sind Sie noch nicht! Sie haben noch nicht einmal Eckpunkte!)


Dieser Aufforderung hätte es also gar nicht bedurft.
Denn es ist seit langem Beschlusslage, dass die große
Koalition einen Entwurf zur Reform des Gesundheits-
wesens vorlegen wird.


(Unruhe)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604307600

Einen Augenblick bitte, Frau Kollegin. – Ich darf die-

jenigen Kolleginnen und Kollegen, die dringend andere
Geschäfte zu erledigen haben, bitten, dies möglichst au-
ßerhalb des Plenarsaals zu tun, um die Konzentration für
diese Debatte sicherzustellen.

M
Marion Caspers-Merk (SPD):
Rede ID: ID1604307700


Vielen Dank, Herr Präsident. – Die Aufgeregtheiten,
die aus Baden-Württemberg kamen und zu einer Verzö-
gerung der Abarbeitung der Tagesordnung beigetragen
haben, habe ich als Badenerin nicht verursacht und nicht
zu verantworten.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt geht es wieder los!)


Insofern ist klar, dass es etwas unruhig war.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Geld aus Stuttgart ist aber schon recht!)


– Die Stuttgarter wehren sich.

Es ist so, dass Union und SPD vor der Bundestags-
wahl sehr unterschiedliche Konzepte in der Gesundheits-
politik angekündigt hatten. Deswegen ist jetzt ein
schwieriger, aber notwendiger Reformprozess zu bewäl-
tigen. Diese Reform muss tragfähig sein und von beiden
Parteien und den Fraktionen, die die Regierung stellen,
verantwortet werden können. Ich denke, dass sowohl der
Zeitrahmen als auch die Fragestellungen, um die es geht,
klar waren.

Das, was Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
Bündnis 90/Die Grünen, in Ihren Anträgen fordern, wird
längst gemacht. Es wird auf der einen Seite die Finanzie-
rungskonzeption auf eine neue, tragfähige Basis gestellt.
Auf der anderen Seite wird klargezogen, dass eine nach-
haltige Entwicklung in der Gesundheitspolitik erforder-
lich ist. Sie fordern ein, dass diese Reform sicherstellt,
dass künftig alle Bürgerinnen und Bürger versichert
sind. Genau das ist unser Ziel. Wir haben die Ziele der
Reformpolitik auch deutlich gemacht.

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604307800

Frau Staatssekretärin, gestatten Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Wolf?

M
Marion Caspers-Merk (SPD):
Rede ID: ID1604307900


Selbstverständlich.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604308000

Bitte, Frau Wolf.

Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, die Bundesregie-
rung hat die Gesundheitsstrukturreform zu dem Reform-
projekt erklärt. Ich stelle die Frage, warum uns die Mi-
nisterin heute nicht selber Rede und Antwort steht,
zumal sie doch im Plenum anwesend ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Weil euer Antrag so billig ist!)


M
Marion Caspers-Merk (SPD):
Rede ID: ID1604308100


Frau Kollegin, Ihre Fachpolitikerinnen und Fachpoli-
tiker wissen, dass die Ministerin wegen der Verzögerung
der Debatte und der Gesundheitsministerkonferenz in
Dessau nicht während der gesamten Debatte anwesend
sein kann.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sitzt doch da!)


Der Respekt vor dem Parlament gebietet es, dass man
dann, wenn man nicht während der gesamten Debatte
anwesend ist, auch nicht das Wort ergreift. Das hätten
Sie dann nämlich auch kritisiert.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Daran, dass sie trotzdem anwesend ist, sehen Sie, wie
wichtig uns dieses Thema ist. Sie kann jedoch nicht die
ganze Zeit bleiben und das ist Ihren Fachpolitikerinnen
und -politikern auch mitgeteilt worden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Der Antrag wäre es auch nicht wert gewesen!)


So viel Fairness sollte man im Umgang miteinander ha-
ben.

Ich möchte noch einmal zu Ihren Anträgen kommen.
Sie haben erstens gefordert, dass in Zukunft jeder versi-
chert sein soll. Dieses Erfordernis wird derzeit diskutiert
und die beiden Fraktionen sind sich auch einig gewor-
den, dass ein Versicherungsschutz in Zukunft für alle
in Deutschland gelten soll.

Sie fordern zweitens, dass der Zugang zu medizini-
scher Versorgung künftig für alle gewährleistet sein
muss. Auch das ist erklärtes Ziel unserer Politik. Was
also soll Ihr Antrag zum jetzigen Zeitpunkt? Sie wissen,
dass ein Reformkonzept vorgelegt wird. Sie kennen die
Zeitpläne. Sie hatten auch sehr wohl im Fachausschuss
die Gelegenheit, sowohl die Finanzsituation als auch die






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-Merk
einzelnen Bearbeitungsschritte, die vorgetragen wurden,
zu diskutieren. Insofern bedarf es der Aufforderung in
Form Ihres Antrags nicht.

Dennoch gibt uns Ihr Antrag die Gelegenheit, über
die notwendigen Strukturreformen in der Gesundheits-
politik zu reden. Das tun wir sehr gerne, weil auch die
Öffentlichkeit ein Interesse daran hat, zu erfahren, wel-
che Fragestellungen eigentlich erörtert werden. Ich erin-
nere insbesondere die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen,
die damals an der Regierung beteiligt war, daran, dass
wir das GMG aufgrund der Probleme damals gemeinsam
mit einer hohen Einsparquote verabredet haben.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Ja, das stimmt!)


Wir haben die Ausgabenseite angepackt und auch Struk-
turen verändert. Jeder weiß aber, dass Strukturverände-
rungen ein auf Dauer angelegter Prozess sind. Jeder
weiß auch, dass die nachhaltige Finanzierung zwi-
schen den Parteien strittig war. Deswegen ist es richtig,
dass in einer gemeinsamen Runde ein tragfähiger dritter
Weg, ein Modell entwickelt wird, das auch für die große
Koalition tragfähig ist.

Welches sind die Elemente dieser tragfähigen Politik?
Zunächst einmal brauchen wir eine nachhaltige Finan-
zierungsstruktur. Das bedeutet, dass wir Beitragsstabili-
tät brauchen. Wir brauchen aber auch zusätzliche Ein-
nahmen im System. Es hat sich auch bis zur Opposition
herumgesprochen, dass derzeit über ein Fondsmodell
diskutiert wird. Die vorgetragenen Kritikpunkte sind
nicht sehr substanziell. Ein Fonds ist weder gut noch
schlecht. Er bietet aber die Chance, unterschiedliche
Finanzquellen zusammenzuführen und die Belastungen
gerechter zu verteilen. Darum geht es im Moment. Sie
werden sich gedulden müssen, bis die Eckpunkte der Re-
form vorgelegt werden.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, Frau Oberlehrerin! Das ist doch keine Bildungsdebatte!)


Die Termine standen fest und das wussten Sie auch, Frau
Kollegin Künast.

Wir wollen das Gesundheitswesen konkurrenzfähiger
und wettbewerbsorientierter machen. Wir glauben, dass
mehr Transparenz und Wettbewerb dringend überfäl-
lig sind. Wir wollen darüber hinaus, dass die Strukturen
in den Institutionen klarer werden. Das ist überfällig.
Derzeit haben wir im Bereich der Selbstverwaltung näm-
lich eine intransparente Struktur. Das Aufbrechen der
Verkrustungen ist dringend notwendig, um voranzukom-
men. Wir brauchen natürlich eine modernere Selbstver-
waltung, die den Herausforderungen gerecht wird.

Darüber hinaus brauchen wir spürbare strukturelle
Reformen. Wir wollen – das ist klar – den Patientinnen
und Patienten mehr Wahl- und Wechselmöglichkeiten
eröffnen. Auch das haben wir Ihnen in den Grundzügen
erläutert.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man wird ja noch einmal fragen dürfen!)

An den Konzepten der Opposition ist eines interes-
sant: Im Fachausschuss konnte sich die Opposition ges-
tern nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Sie
waren sich, glaube ich, nur bei einem Tagesordnungs-
punkt einig, nämlich als es um das Verbot der Einfuhr
von Wildvögeln ging. Darüber hat die Opposition ein-
heitlich abgestimmt. In der Gesundheitspolitik liegen
Ihre Auffassungen hingegen weit auseinander.


(Detlef Parr [FDP]: Gott sei Dank sind wir weit auseinander!)


Von der einen Seite wird immer wieder das Thema Kos-
tenerstattung aufgerufen und von der Seite der Linken
hört man außer einer allgemeinen Forderung nach der
Bürgerversicherung – Sie sagen noch nicht einmal, wie
Sie sie eigentlich ausgestalten wollen – sehr wenig.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das hat die SPD auch nicht gemacht!)


Insofern können wir unsere Reformen sehr gelassen
vorantreiben und vorstellen. Wir haben Ihnen den Zeit-
plan mitgeteilt. Sie kennen ihn. Sie wissen auch, was die
Grundüberlegungen dieser Reformpolitik sind.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sollen wir uns jetzt auf den Boden werfen und Ihnen danken? Was ist eigentlich los?)


Wir haben Ihnen die Möglichkeit gegeben, sich zu betei-
ligen. Sie werden sich aber noch ein bisschen gedulden
müssen. Es ist das gute Recht der Opposition, hier Fra-
gen zu stellen und Anträge vorzulegen. Es ist aber auch
das gute Recht der Regierung, ihren Zeitplan in aller
Ruhe und Gelassenheit zu fahren;


(Zuruf von der FDP: Wissen Sie denn schon, wo Sie hinfahren?)


denn die Bürgerinnen und Bürger haben es verdient, dass
sie eine Gesundheitspolitik aus einem Guss vorfinden.

Schönen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604308200

Für die FDP-Fraktion erhält nun das Wort der Kollege

Daniel Bahr.


(Beifall bei der FDP)



Daniel Bahr (FDP):
Rede ID: ID1604308300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Staatssekretärin Caspers-Merk, es ist schon ein
starkes Stück,


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


dass Sie erwarten, dass Ihnen die Opposition jetzt, wo
sich die große Koalition nicht in der Lage sieht, sich zu
einigen, diese Aufgabe abnimmt. Die Opposition legt
hier eigene Konzepte vor, und zwar jede Fraktion für
sich, weil sie unterschiedliche Ansätze haben. Die
schwarz-rote Koalition hat aber den Wählerauftrag, für






(A) (C)



(B) (D)


Daniel Bahr (Münster)

Veränderungen zu sorgen und endlich eine Reform vor-
zulegen. Und was machen Sie? Klammheimlich, wäh-
rend der Fußball-WM, beraten Sie die Eckpunkte zur
Gesundheitsreform.


(Beifall bei der FDP – Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD)


Das Endspiel der Gesundheitsreform findet am Sonntag
statt. Das Parlament hat dann überhaupt keine Gelegen-
heit mehr, vor der Sommerpause über die Eckpunkte die-
ser Reform zu diskutieren. Die nächste Möglichkeit
dafür würde sich erst im Herbst bieten. Daher ist es das
gute Recht der Opposition, hier und heute eine Debatte
über die Gesundheitspolitik zu führen.


(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Caspers-Merk, Sie haben mir eine Steilvorlage
geliefert: Es ist ja richtig, dass die letzte große Gesund-
heitsreform von einer großen Koalition durchgeführt
wurde, nämlich von der CDU/CSU, den Grünen und der
SPD. Was hat aber das Gesetz zur Modernisierung des
Gesundheitssystems gebracht? Die letzte große Gesund-
heitsreform ist gerade einmal zweieinhalb Jahre her. Sie
sollte eine massive Beitragssatzsenkung bringen. Da-
mals lag der Beitragssatz im Schnitt bei 14,4 Prozent.
Versprochen wurde uns eine Senkung auf 13,0 Prozent
inklusive Sonderbeitrag. Die Realität sieht heute aber
anders aus: Der Beitragssatz liegt bei durchschnittlich
14,2 Prozent. Die Reform brachte eine Senkung um
0,2 Prozent – das nenne ich eine große Jahrhundert-
reform! Zum 1. Januar und zum 1. Juli dieses Jahres
wurden von zahlreichen Krankenkassen Beitragssatzer-
höhungen vorgenommen.


(Elke Ferner [SPD]: Man sollte auch einmal fragen, warum, Herr Kollege!)


81 Krankenkassen haben immer noch Schulden in Höhe
von insgesamt knapp 4 Milliarden Euro. Für 2007 er-
warten wir ein Defizit von 8 Milliarden Euro.

Das ist das Ergebnis der letzten Reform einer großen
Koalition in der Gesundheitspolitik. Das ist ein zutiefst
blamables Ergebnis. Sie haben es nicht geschafft, an die
Strukturprobleme der Gesundheitspolitik heranzugehen.


(Beifall bei der FDP)


Schwarz-Rot hat das Defizit, das im nächsten Jahr
eintreten wird, selbst zu verantworten. Die Mehrwert-
steuererhöhung belastet die gesetzlichen Krankenversi-
cherungen. Etwa 1,3 Milliarden Euro werden, zum Teil
für Arzneimittel, zum Teil für Krankenhauskosten, mehr
ausgegeben. Außerdem hat die schwarz-rote Koalition
beschlossen, den Bundeszuschuss in Höhe von 4,2 Mil-
liarden Euro, finanziert aus der Tabaksteuererhöhung,
bis 2008 wieder auf null zu senken. Dabei wird die Ta-
baksteuererhöhung übrigens überhaupt nicht infrage
gestellt. – Ein Steuerzuschuss für die gesetzliche Kran-
kenversicherung ist also gar nicht so neu. Jetzt plant die
Koalition den nächsten, höheren Steuerzuschuss; er liegt
mittlerweile bei 16 bis 24 Milliarden Euro.
Hier stehen wir in der Tat vor einer Richtungsent-
scheidung: Wollen wir ein steuerfinanziertes staatliches
Gesundheitswesen oder wollen wir ein Gesundheitswe-
sen, das auf Freiheit, auf Wettbewerb und auf Eigenver-
antwortung der Versicherten baut? Wir von der FDP
möchten kein steuerfinanziertes staatliches Gesundheits-
wesen. All die Erfahrungen mit dem bisherigen Bundes-
zuschuss zeigen doch, wie unsicher ein pauschaler Steu-
erzuschuss ist. Dann entscheidet der Finanzminister und
die Verlässlichkeit geht verloren. Eine weit gehende
Steuerfinanzierung kann angesichts der Haushaltslage
zur Gesundheit nach Kassenlage führen. Ich möchte das
nicht.


(Beifall bei der FDP)


Dann machen Sie Versprechungen, mit Steuergeldern
die Beiträge zu senken. Das alles haben wir schon vor
Jahren erlebt. Oder ist Ihnen die Debatte über die Öko-
steuer von 1998 nicht mehr in Erinnerung?


(Elke Ferner [SPD]: Wo wären dann die Rentenversicherungsbeiträge nach Ihrer Begrenzung gewesen?)


Damals wurde uns beigebracht, dass der Rentenbeitrag
bei mittlerweile 18,5 Prozent liegen müsste. Zusammen-
genommen sind seit dem Jahr 2000 85 Milliarden Euro
aus der Ökosteuer in die Rentenkasse geflossen. Trotz-
dem muss der Rentenversicherungsbeitrag im nächsten
Jahr auf 19,9 Prozent, also fast 20 Prozent, steigen.


(Elke Ferner [SPD]: Wo wäre er denn ohne Ökosteuer?)


Die Versprechung, dass durch Steuererhöhungen Lohn-
zusatzkosten und Rentenbeiträge gesenkt werden, ist
doch Makulatur, wenn Sie sich die Erfahrung der Politik
der letzten Jahre vergegenwärtigen. Das ist nicht der
richtige Weg, um die Lohnzusatzkosten zu senken.


(Beifall bei der FDP)


Steuerzuschüsse ersetzen eben keine Strukturreform.
Sie haben weder den Mut noch die Kraft für eine grund-
legende Reform. Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Re-
gierungserklärung gesagt:

Wir werden es grundlegend anders machen, damit
es grundlegend besser wird.

Die Bürger stellen aber hinsichtlich der Gesundheitspoli-
tik immer mehr fest, dass es teurer wird, ohne besser zu
werden. Die schwarz-rote Koalition kauft sich einen
Kompromiss mit dem Geld der Steuer- und Beitragszah-
ler.


(Beifall bei der FDP)


Frau Caspers-Merk hat eben gesagt, es sei das Ziel
der Koalition, zu einer nachhaltigen Finanzierung zu
kommen. Ich kann nur feststellen, dass in den Debatten
über eine Gesundheitsreform das Thema „alternde Be-
völkerung“ – wie bekommen wir mehr Nachhaltigkeit in
die Finanzierung des Gesundheitswesens? – bisher über-
haupt gar keine Rolle spielt.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)







(A) (C)



(B) (D)


Daniel Bahr (Münster)

Sie nennen als Beispiel den Gesundheitsfonds. Das
hört sich toll an. Gemeinhin denkt man, dass dort Geld
angespart wird für Zeiten, in denen man dieses Geld
braucht. Aber der Gesundheitsfonds, wie Sie ihn planen,
ist nichts anderes als eine gigantische Geldsammelstelle,
bei der es nur darum geht, die Bürgerinnen und Bürger
zu täuschen. Sie überlegen doch nur, aus welcher Tasche
man ihnen noch Geld nehmen kann und wie man es
möglichst großzügig auf die Krankenkassen umverteilt.
Das ist keine Nachhaltigkeit, sondern die Fortsetzung ei-
ner wenig nachhaltigen Finanzierung des Krankenver-
sicherungssystems. So schieben Sie die Lasten weiterhin
auf die kommenden Generationen.


(Beifall bei der FDP)


Sie wollen – das ist mein Eindruck – den Weg in ein
zentralistisch gesteuertes, staatliches Gesundheitswesen
gehen. Ein Gesundheitsfonds kombiniert mit einem
Bundeskrankenkassenverband, in dem die Krankenver-
sicherungen nur noch Befehlsempfänger dieser Dachor-
ganisation sind, und vorgeschriebene Mindestgrößen für
Krankenkassen, wodurch gerade die kleinen, innova-
tiven Krankenkassen, die geringe Verwaltungskosten
haben, zerstört werden sollen, bedeuten weniger Wett-
bewerb, weniger Autonomie und weniger Selbstverwal-
tung. Das wird mehr Kosten und Bürokratie verursa-
chen. Das ist der Weg in die Planwirtschaft im
Gesundheitswesen. Wir wollen diesen Weg nicht mitge-
hen.


(Beifall bei der FDP)


Wir haben in unserem Antrag dargestellt, wie wir
mehr Freiheit im Gesundheitswesen wagen wollen, und
zwar mit privaten Krankenversicherungen, die im Wett-
bewerb zueinander stehen, mit Wahlmöglichkeiten für
die Versicherten, sodass sie selbst auswählen können,
wie sie ihren Versicherungstarif gestalten, und mit Al-
tersrückstellungen, wodurch Vorsorge für die alternde
Bevölkerung betrieben wird.

Das Gesundheitswesen ist der größte Arbeitgeber in
Deutschland. Wenn es auch zukünftig ein Wachstums-
markt sein soll, dann darf hier nicht weiter staatlich
reglementiert werden, sondern dann muss es wie ein Ge-
sundheitsmarkt verstanden werden, mit Freiheit, Wettbe-
werb, Transparenz und Eigenverantwortung.


(Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Und wer nicht zahlen kann, hat Pech gehabt!)


Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1604308400

Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Zöller von

der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1604308500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ei-

nes muss sich die Opposition schon vorhalten lassen: Sie
müssen sich langsam entscheiden, wie Sie argumentie-
ren. Man kann doch nicht ans Rednerpult gehen und sa-
gen, die Regierung habe kein Konzept, und dann die ein-
zelnen Punkte des angeblich nicht vorhandenen
Konzeptes kritisieren. Das passt nicht zusammen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Grünen
beginnen ihren Antrag mit den Worten:

Auch acht Wochen nach Verhandlungsbeginn hat
die große Koalition der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD noch kein gemeinsames Konzept für die
Reform der gesetzlichen Krankenversicherung …


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Genau richtig!)


Ich kann Sie wirklich beruhigen. Wir halten uns an unse-
ren Terminplan. Wie vorgesehen werden die Eckpunkte
am kommenden Sonntag festgelegt.

Ich kann mich, was die Grünen betrifft, nicht des Ein-
drucks erwehren, als wollten Sie vor der Sommerpause
unbedingt noch eine Show. Herr Fischer ist Ihnen abhan-
den gekommen. Jetzt brauchen Sie eine andere Show-
ebene.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


Aber dafür ist dieses Thema viel zu ernst.

Das deutsche Gesundheitswesen ist in den letzten
Jahren wie selten zuvor in den Mittelpunkt sozialpoliti-
scher Diskussionen gerückt. Der stete Wechsel gesund-
heitspolitischer Rahmenbedingungen fand in immer kür-
zeren Zeitintervallen statt. Deshalb habe ich größtes
Verständnis dafür, dass die Akteure im Gesundheitswe-
sen nach den vielen Reformen der letzten 15 Jahre nun
endlich Planungssicherheit erwarten. Dies wird man
aber nur dann erreichen, wenn man die Hauptursache der
Reformen der letzten Jahre, die Bindung der Finanzie-
rung an die Löhne, und damit die zusätzliche Belastung
der Lohnkosten angeht.


(Beifall des Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/ CSU] – Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: So ist es!)


Hier brauchen wir endlich eine nachhaltige Lösung.
Nicht der Kostendruck, sondern der Wettbewerb und
eine bessere Versorgung der Menschen müssen künf-
tig die Leitgedanken von Reformen sein. Man muss al-
lerdings auch zur Kenntnis nehmen, dass in keinem an-
deren Bereich so viele Gefühle angesprochen bzw. so
viele Ängste ausgelöst werden und kaum ein politisches
Feld so komplex und vielschichtig ist wie unser Gesund-
heitswesen. Deshalb habe ich überhaupt kein Verständ-
nis dafür, wenn man die Leute tagtäglich mit falschen
Behauptungen und nicht zutreffenden Vermutungen ver-
unsichert.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Zöller
Wie sieht die Einnahmeseite der gesetzlichen Kran-
kenversicherung tatsächlich aus? Die Diskussion der
letzten Jahre verdeutlicht doch, dass wir im System
keine Versorgungskrise, sondern eine Finanzierungskrise
haben.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Eine Koalitionskrise!)


Uns ist die Einnahmeseite weggebrochen. Ich bin davon
überzeugt, dass die Krankenversicherung künftig nicht
mehr allein über die Arbeitslöhne finanziert werden
kann. Unser Gesundheitswesen wird schon aufgrund des
medizinisch-technischen Fortschritts und aufgrund der
steigenden Lebenserwartung mit zunehmenden Ausga-
ben belastet.

Lassen Sie mich hierzu ein paar Zahlen nennen: Die
Einnahmeseite ist uns auch deshalb weggebrochen, weil
wir in den letzten Jahren 1,5 Millionen sozialversiche-
rungspflichtige Arbeitsplätze verloren haben. Das be-
deutet einen Einnahmeverlust in Höhe von 6,5 Milliar-
den Euro. Auch ein anderer Aspekt ist viel zu wenig
beachtet worden: In den letzten Jahren haben ungefähr
1 Million bestausgebildete junge deutsche Menschen
Deutschland verlassen. Man muss fragen: Warum? Im-
mer wieder wird das Argument angeführt, die Bürokratie
in Deutschland sei zu hoch. Wenn das grüne Antidiskri-
minierungsgesetz tatsächlich Realität geworden wäre,
wären noch mehr Menschen ausgewandert. Wir müssen
endlich die Ursachen dieser Entwicklung angehen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Glauben Sie eigentlich, was Sie da sagen? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber im Wesentlichen kommt es doch!)


– Wenn Sie keine Redezeit haben, können Sie mir gerne
eine Frage stellen.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie so einen Unsinn erzählen, müssen Sie Unruhe in Kauf nehmen!)


Mit unseren Vorschlägen werden wir erstmals das
Problem der Verschiebebahnhöfe in Angriff nehmen und
verhindern, dass sich ständig andere Sozialsysteme zu-
lasten der gesetzlichen Krankenversicherung sanieren.


(Beifall der Abg. Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU])


Die dadurch entstehenden Kosten belaufen sich inzwi-
schen auf einen Betrag von jährlich 5 Milliarden Euro.

Ein Aspekt muss in diesem Zusammenhang ebenfalls
erwähnt werden: Unser Gesundheitssystem ist wesent-
lich besser, als es momentan in der Öffentlichkeit darge-
stellt wird.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Auch das ist richtig!)


Allerdings müssen wir ehrlich sagen, dass wir in diesem
Bereich nach wie vor für mehr Eigenverantwortung
sorgen müssen, nicht nur für mehr Eigenverantwortung
der Versicherten, sondern auch für mehr Eigenverant-
wortung der am System Beteiligten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Elke Ferner [SPD])


Die gesetzliche Krankenversicherung lebt von der So-
lidarität der Beitragszahler.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Das ist wohl wahr!)


Solidarität heißt zu Recht: Verantwortung für das Ganze.
Solidarität darf aber nicht heißen: Verantwortung für
alles. Im Gegenteil: Solidarität verstanden als Daseins-
vorsorge für die großen Risiken setzt auch voraus, dass
kleinere Risiken eigenverantwortlich geschultert werden
können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hört sich ja sehr christlich an!)


Die gemeinschaftliche Vorsorge für die großen Risiken
ermöglicht es dem Einzelnen ja erst, kleinere Risiken ei-
genverantwortlich zu übernehmen.

Wer Freiheit und Wohlstand will, muss auch bereit
sein, sich von Überbetreuung und falscher Geborgenheit
zu verabschieden.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ideologie!)


In einer Gesellschaft, in der die Freiheit zur Selbstentfal-
tung und Selbstverwirklichung immer größer geworden
ist, sollte es eigentlich nicht unmöglich sein, das Pendant
zu dieser Freiheit zu neuem Leben zu erwecken, nämlich
die individuelle Selbstverantwortung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In diesem Zusammenhang möchte ich etwas zitieren:

Das Grundgesetz geht von dem freiheitlichen,
selbstverantwortlichen Individuum aus; in der Rea-
lität aber versperrt der Gesetzgeber durch dauernd
steigende soziale Belastungen dem einzelnen Be-
schäftigten nicht nur die Möglichkeit, sondern auch
den Antrieb zur individuellen Vorsorge.

Diese Aussage stammt aus einem „Spiegel“-Interview
von 1967, von dem ersten Sozialminister einer großen
Koalition, Hans Katzer. Wir sehen, dass das Thema Ei-
genverantwortung nicht neu ist.

Ich will einen Punkt aus Ihrem Programm anspre-
chen, meine sehr verehrten Damen und Herren von den
Grünen: Wir brauchen auch weiterhin den Wettbewerb
zwischen gesetzlicher und privater Krankenversiche-
rung; dazu stehen wir.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da habt ihr doch noch gar nichts angefangen! – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auslese!)







(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Zöller
Die zusätzlichen Honorarzahlungen der privaten Versi-
cherungen bieten den Leistungserbringern, ob niederge-
lassenen Ärzten oder Ärzten im Krankenhaus, höhere
Planungssicherheit. Wie viele Neuverfahren wurden zu-
nächst in der PKV erstattet und kamen dann allen Versi-
cherten zugute! Wer Ärzten für ihre schwierige und ver-
antwortungsvolle Arbeit die angemessene Honorierung
verweigert, schadet letztendlich der medizinischen Ver-
sorgung der Patienten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Grünen behaupten in ihrem Antrag, die einkom-
mensstärksten 10 Prozent der Bevölkerung beteiligten
sich nicht an der Finanzierung der gesetzlichen Kranken-
versicherung.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Stimmt ja nicht! Das ist Unsinn!)


Diese Annahme ist schlichtweg falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Aus einer falschen Grundannahme kann man aber keine
richtigen Schlüsse ziehen. Ich will Ihnen dazu nur einige
Zahlen nennen: 55 Prozent der privat Versicherten haben
ein Einkommen von unter 2 500 Euro im Monat. Ich
habe langsam den Eindruck, wenn die Grünen „privat
Versicherte“ hören, glänzen ihnen die Augen und sie
denken an Ackermann. Aber in der Privatversicherung
sind auch kleine Beamte, Beihilfeempfänger, und das in
der überwiegenden Zahl.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Elke Ferner [SPD]: Woher kommt die Beihilfe? Aus dem Steuertopf!)


Wenn Sie von den Grünen in diesem Punkt ehrlich sind,
müssen Sie zugeben: Es geht Ihnen hier nicht um die Sa-
che. Sie schüren puren Sozialneid. Ich kann Ihnen sagen:
Wer die PKV kaputtmacht, löst damit kein einziges Pro-
blem der gesetzlichen Krankenversicherung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Lassen Sie mich an zwei Beispielen ein Problem an-
sprechen, das wir gemeinsam viel stärker beachten soll-
ten: Erstes Beispiel. Wir haben in den Krankenhäusern
eine, wie wir meinen, leistungsgerechte Vergütung ein-
geführt. So gibt es zum Beispiel für eine normale Geburt
einen festen Betrag; für etwas kompliziertere Fälle mit
Kaiserschnitt gibt es einen wesentlich höheren Betrag.
Plötzlich müssen wir feststellen, dass in etlichen Kran-
kenhäusern normale Geburten so gut wie nicht mehr
stattfinden und fast alles über Kaiserschnitte läuft. Das
ist nicht in Ordnung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das zweite Beispiel – auch ein tatsächlicher Fall –:
Ein 25-Jähriger kommt zum Arzt und möchte eine neue
Hüfte. Der Arzt stellt fest, dass der Patient
140 Kilogramm wiegt, und sagt: Wenn ich Ihnen eine
neue Hüfte gebe, nützt das nichts. Sie müssten eigentlich
erst abnehmen. – Er bekommt zur Antwort: Ich bezahle
meinen Beitrag und deshalb haben Sie das gefälligst zu
machen.

Ich habe diese beiden Beispiele gebracht, weil ich fest
davon überzeugt bin: Ohne Moral fahren wir alle Sozial-
systeme an die Wand.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1604308600

Das Wort hat die Kollegin Dr. Martina Bunge von der

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604308700

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Mit den vorliegenden Oppositionsanträgen diskutieren
wir zum wiederholten Mal in dieser Legislaturperiode
über die Zukunft der gesetzlichen Krankenversicherung.
Eine nachhaltige Finanzreform ist uns von den Koalitio-
nären angekündigt worden. Auf dem Tisch liegen aber
nur Spekulationen, nicht mehr.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie müssen schon noch bis Sonntag warten!)


Lassen Sie mich an Ihren Terminplan anknüpfen. Er
ist nämlich etliche Male geändert worden.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Der Terminplan noch nie!)


Die seriös erscheinende Arbeitsphase bis Ostern ist in
eine seit Wochen anhaltende Phase übergegangen, in der
wortwörtlich jeden Tag ein neuer Vorschlag – sei er noch
so skurril – durch die Medien gejagt wird. Die Macht-
verhältnisse lassen dies leider zu. Durch dieses Verfah-
ren werden die Parlamentarierinnen und Parlamentarier
langsam genervt


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


und die Versicherten und Patientinnen und Patienten zu-
nehmend verunsichert. Aber auch die Akteure im Ge-
sundheitssystem sind erbost, weil sie außen vor bleiben.

Gesundheit geht alle an, aber einige wenige meinen
derzeit, alleine darüber befinden zu können.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genauso ist es!)


Dabei sind gegenwärtig sehr viele reformbereit und re-
formwillig angesichts der Herausforderungen, vor denen
das Gesundheitssystem durch die Alterung der Gesell-
schaft und durch den medizinischen Fortschritt steht.

Allein Ihre vermeintliche Verständigung auf einen
Gesundheitsfonds hat enorme Energien freigesetzt. Die
Aussicht, dass einzig den Arbeitgebern stabile, abge-
senkte Beiträge von 6,5 Prozent versprochen werden, die
Versicherten aber 7,5 Prozent aufgebrummt bekommen
und das gesamte Risiko für die Ausgabensteigerungen






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Martina Bunge
über eine kleine Kopfpauschale tragen sollen, ist sozial
ungerecht und findet nicht unsere Zustimmung.


(Beifall bei der LINKEN – Elke Ferner [SPD]: Das habe ich auch nicht erwartet!)


Das Bekenntnis zur gesetzlichen, beitragsfinanzierten
Krankenversicherung und deren Grundprinzipien wie
Solidarausgleich und Parität wächst. Herr Bahr, es gibt
eben nicht nur die Alternative zwischen der staatlichen
Versorgung und der Freiheit für mehr Wettbewerb,


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Doch!)


sondern es geht um Solidarität, und zwar um Solidarität
pur.


(Beifall bei der LINKEN)


Die gesetzliche Krankenversicherung ist nicht pleite. Sie
wird schlechtgeredet, damit die Transformation in ein
neues System eingeleitet werden kann. Wir meinen, die
finanziellen Grundlagen der GKV müssen verteidigt,
aber auch weiterentwickelt werden.

Wie geht es mit dieser wichtigen Reform weiter? Es
ist angekündigt worden, dass die Verhandlerinnen und
Verhandler in der nächsten Woche die Eckpunkte der
Gesundheitsreform verkünden werden. Dann wird nicht
nur im Parlament die Sommerpause eingeläutet. Medial
wird die Debatte weitergehen, aber nicht hier und nicht
mit den Akteuren im und um das Gesundheitssystem.
Der Gesetzentwurf wird in der Sommerpause im Minis-
terium zusammengezimmert und ab September drückt
die Zeit, sodass es keine solide parlamentarische Be-
handlung mehr geben kann; denn das nächste Finanz-
loch der GKV für 2007 ist durch die Gesetzgebung der
letzten Woche bereits vorprogrammiert. Durch das neue
Finanzloch wird im Herbst zur Eile gedrängt. Durchpeit-
schen führt aber zu Fehlern. Denken Sie an Hartz IV!


(Beifall bei der LINKEN)


Wir fordern Sie auf: Machen Sie ein Vorschaltgesetz


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das Vorschaltgesetz wird wohl kommen!)


– warten wir das ab –, um die Kassenlage für 2007 zu
stabilisieren, und stellen Sie dann die eigentliche Reform
vom Kopf auf die Füße!


(Beifall bei der LINKEN)


Lassen Sie uns gemeinsam zuerst über die künftigen
Aufgaben und Strukturen reden – ich habe nicht viel
von Strukturen gehört, sondern immer nur etwas von
nachhaltiger Finanzierung –


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Davon habe ich nichts gehört!)


und erst danach über das Geld!

Lassen Sie uns vorurteilsfrei darüber reden, wie man
mit Gesundheitsförderung und Prävention von Kindes-
beinen an Krankheiten vermeiden, Wohlbefinden för-
dern, aber auch Gesundheitskosten sparen kann; das
muss man doch einkalkulieren.
Lassen Sie uns darüber reden, wie wir der so genann-
ten Volkskrankheiten Herr werden und dabei seltene
Krankheiten nicht vergessen; das kostet natürlich Geld.

Lassen Sie uns die Ergebnisse neuer Versorgungsfor-
men analysieren und in die Breite gehen; das bringt Effi-
zienz.

Lassen Sie uns gemeinsam beraten, welche Anforde-
rungen zunehmende Demenz stellt, wie die Schmerzthe-
rapie ausgestaltet werden muss und wie bedarfsgerechte
geriatrische Versorgung Lebensqualität auch im hohen
Alter sichert. Lassen Sie uns endlich auch aus dem Me-
dikamentenwirrwarr eine Positivliste kreieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Erst dann wäre es an der Zeit, über das Geld zu reden.

Es besteht ein breiter gesellschaftlicher Konsens für
eine Bürgerversicherung, durch die die Versichertenba-
sis und die Beitragsbasis verbreitert werden, faktisch
eine Versicherung von allen für alle.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Und die Lasten auf die kommenden Generationen verschoben wird!)


Der Konsens ist groß, den Faktor Arbeit zu entlasten.
Die Frage ist nur, wie. Unser Vorschlag, mittels einer
Wertschöpfungsabgabe arbeitsintensive, zumeist kleine
Unternehmen wie den Bäcker oder die Änderungsschnei-
derei um die Ecke zu entlasten und die kapitalintensiven,
von Automatengreifarmen und Computersteuerung nur
so strotzenden gewinnträchtigen Unternehmen wie Sie-
mens und Daimler-Benz stärker zu belasten, wäre zu dis-
kutieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Hören Sie auf, abhängig Beschäftigten, Rentnerinnen
und Rentnern sowie Arbeitslosen immer stärker in die
Tasche zu greifen! Holen Sie das Geld dort, wo es ist!

Danke.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist es denn?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1604308800

Das Wort hat jetzt die Kollegin Renate Künast vom

Bündnis 90/Die Grünen.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604308900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Cas-

pers-Merk, dass Sie hier geredet haben und nicht die Mi-
nisterin, habe ich verstanden. Aber das kann ja nicht da-
ran gelegen haben, dass die Ministerin zur
Gesundheitsministerkonferenz nach Dessau muss; denn
sie sitzt ja noch hier. Ich vermute, es hat daran gelegen,
dass die Ministerin nichts sagen konnte und auch nichts
sagen wollte. Sie haben in Ihrem Beitrag ja auch nur ge-
sagt, dass wir das Recht haben, zu fragen. Das war, ehr-
lich gesagt, ein Armutszeugnis.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Renate Künast
Sie beschäftigen sich seit Monaten mit diesem Thema,
aber herausgekommen ist nichts, außer, dass Sie netter-
weise sagen, die Opposition dürfe hier einen Antrag stel-
len.

Herr Zöller, Sie haben gesagt, die Koalition wäre am
Sonntag fertig. Olaf Scholz hat aber gesagt, man könne
wahrscheinlich am Sonntag zu groben Eckpunkten kom-
men,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Dann warten Sie halt bis Montag früh!)


von denen er hofft, dass sie den Sommer überdauern. Fa-
zit: Sie haben eigentlich nichts außer monatelangen De-
batten. Sie können es einfach nicht, Herr Zöller. Diese
Koalition kann offensichtlich keine Gesundheitsreform
rechnen, die bezahlbar ist, zu Wettbewerb führt und den
Patientinnen und Patienten etwas bringt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wir haben in fünf Monaten mehr erreicht als Sie in sieben Jahren!)


Es ist immer noch nicht klar, was mit der kleinen
Kopfpauschale ist, von der wir alle wissen, dass sie am
Ende die AOK-Mitglieder treffen wird und nicht die
Mitglieder in den privaten Krankenkassen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das zeigt Ihre Unkenntnis!)


Was ist mit dem Arbeitgeberbeitrag, den Sie – das hört
man ja – einseitig einfrieren wollen?


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Auch falsch!)


Damit machen Sie eine Gesundheitsreform zulasten der
Arbeitnehmer, die einzahlen. Das, Herr Zöller, ist nicht
gerecht.


(Zuruf des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/ CSU])


– Wenn Sie noch Redezeit haben, dann gehen Sie doch
ans Rednerpult. Dann hören wir uns Ihre epischen Aus-
führungen noch einmal an.

Was ist mit den privaten Krankenkassen? Herr Zöl-
ler, das C in CDU steht ja bekanntlich für „christlich“.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Und CSU!)


– Und CSU. – Ich glaube, eines Tages werden Sie das C
an Ihrer Parteizentrale einfach fallen lassen; denn die Art
und Weise, wie Sie den privaten Krankenkassen in dieser
Republik eine systematische Rosinenpickerei erlauben,
rechtfertigt das C in Ihrem Namen überhaupt nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie sind nicht auf dem neuesten Stand!)


Sie haben gesagt: „Wer die PKV kaputtmacht, …“ Es
geht nicht um das Kaputtmachen. Es geht darum, dass
sie endlich Konkurrenz und einen echten Wettbewerb
bekommen und dass es nicht eine Art Otto-Graf-
Lambsdorff-Schutzgesetz gibt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das kann ich den Kolleginnen und Kollegen von der
FDP nicht ersparen. Es fällt schon auf, wenn man immer
wieder große Werbeanzeigen sieht, in denen Otto Graf
Lambsdorff dafür wirbt, dass die PKV weiter bestehen
bleibt. Mich interessiert daran nur, wie viel Geld der
Mann dafür bekommt. Die PKV scheint offensichtlich
zu viel Geld zu haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heinz Lanfermann [FDP]: Der versteht etwas von Versicherungen! Das scheinen Sie nicht zu tun!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1604309000

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Daniel Bahr? – Bitte schön, Herr Bahr.


Daniel Bahr (FDP):
Rede ID: ID1604309100

Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass sich unter den

ehemaligen Politikern, die sich in diesen Anzeigen für
ein privates Krankenversicherungssystem einsetzen,
weil es mehr Nachhaltigkeit bietet – diese Zielsetzung
verfolgen eigentlich auch die Grünen, indem sie für Al-
tersrückstellungen und Vorsorge für die alternde Bevöl-
kerung eintreten –, auch der ehemalige grüne Politiker
und Bundestagsabgeordnete Oswald Metzger befindet.
Deshalb frage ich Sie: Glauben Sie nicht, dass es ange-
sichts der alternden Bevölkerung und der Lasten, die
noch auf uns zukommen, sinnvoll ist, endlich Vorsorge
zu betreiben, indem wir verstärkt Altersrückstellungen
bilden, statt kurzfristig die bereits bestehenden Alters-
rückstellungen sinnlos zu verbraten?


(Beifall bei der FDP – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Das kann man mit Ja beantworten!)



Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604309200

Herr Bahr, eine Krankenkasse, die sich aussuchen

darf, wen sie aufnimmt, wird die Besserverdienenden,
die Selbstständigen und die Beamten auswählen, näm-
lich all diejenigen, die – das zeigt ein Blick in die Sterbe-
statistik – durchweg gesünder sind und weniger Kosten
verursachen. Auch wenn Otto Graf Lambsdorff und Os-
wald Metzger Werbung für die PKV machen: Fakt ist,
dass die privaten Krankenversicherungen nicht wirklich
am Wettbewerb beteiligt sind und keinen Solidaraus-
gleich betreiben, um die Risiken aller Mitversicherten
solidarisch mitzutragen. Das ist zu kritisieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Reform ist uns immer wieder als große Gesund-
heitsreform angekündigt worden. Ich stelle in diesem
Zusammenhang fest, dass wir Grüne in die peinliche Si-
tuation kommen, uns in einigen Punkten auf der Seite
von Markus Söder und Roland Koch wiederzufinden.
Das ist wirklich unangenehm. Söder hat in Bezug auf die
Mitversicherung der Kinder festgestellt, dass irgend-
wann die Schmerzgrenze erreicht sei, wenn die
16 Milliarden Euro aus Steuermitteln finanziert würden.






(A) (C)



(B) (D)


Renate Künast
Ich bin schon dankbar, dass bei Ihrer ewigen Steuererhö-
herei überhaupt irgendjemand eine Schmerzgrenze hat.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wer weiß, wie lange die hält!)


Noch lieber ist mir wundersamerweise an dieser Stelle
Roland Koch, der heute klar gesagt hat, die
16 Milliarden Euro für die Mitversicherung der Kinder
stufenweise über Steuerfinanzierung aufzubringen, wi-
derspreche dem CDU-Programm und sei konjunktur-
schädlich. Statt in anderen Punkten sollten Sie sich aus-
nahmsweise dieses Mal nach Roland Koch richten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie suchen sich immer aus, wen Sie gerade zitieren können!)


Sie entscheiden sich wieder einmal für den kleinsten
gemeinsamen Nenner. Der heißt bei Ihnen immer Murks.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ihre Rede war der größte Murks heute!)


Sie fassen den Menschen in die Taschen und in die
Portemonnaies. Sie legen letzten Endes ein Konzept vor,
bei dem Sie so tun, als hätten Sie etwas Gutes für die
Kinder bewirkt. Aber in Wahrheit greifen Sie wieder den
Eltern ins Portemonnaie, indem Sie es letztlich doch
wieder über Steuererhöhungen finanzieren. Sie wissen
offensichtlich nicht mehr, wie hoch die Belastungen der
Menschen – von der Kürzung der Pendlerpauschale bis
zur Mehrwertsteuererhöhung – in dieser Republik sind.
Sie machen einen großen Fehler, weil Sie zu feige sind,
an der Stelle die Ausgabenseite anzugehen. Die muss
man aber zuerst anpacken, bevor man über Steuererhö-
hungen nachdenken kann.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wenn man keine Ahnung hat, dann kann man so reden wie Sie!)


Notwendig ist etwas anderes. Wir brauchen einen
echten Kassenwettbewerb und die Beteiligung der
Privatversicherten. An der Stelle ist ein Paradigmen-
wechsel notwendig. Darin liegt Ihr Kardinalfehler. Alles,
was wir in diesem Zusammenhang bisher von Ihnen ge-
hört haben, sind – um das Unwort des Jahres 1994 zu
verwenden – Peanuts. Gehen Sie endlich den Weg weg
vom Reparaturbetrieb und hin zu ernsthaften Reformen,
bei denen es um Wettbewerb und Effizienzpotenziale
geht und nicht um die einseitige Belastung der Versi-
cherten!

Wir müssen die Kartelle bei den Ärzten und Kassen
aufheben. Wir müssen endlich Wettbewerb unter den
Pharmaunternehmen einführen. Wir müssen die zunft-
ähnlichen Strukturen im Arzneimittelhandel auflösen
und wir brauchen Marktwirtschaft beim Apotheken-
mehrbesitz. Diese Punkte müssen wir radikal anpacken,
bevor man schon wieder dem kleinen Mann in die Ta-
sche fasst und seinen letzten Cent herausholt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Zöller, Sie haben vorhin das schöne Beispiel des
140-Kilo-Manns gebracht.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Man kann auch eine Frau nehmen!)


– Oder auch die Frau; das ist mir egal. Es war Ihr Bei-
spiel. Es kommt nicht auf das Geschlecht an.

Sie haben Recht, wenn Sie sagen, dass man mehr für
Prävention tun muss. Es war aber die CDU/CSU, die im
letzten Jahr das Präventionsgesetz torpediert hat. Haben
Sie doch endlich den Mut, bei den Kassen für Wettbe-
werb und dafür zu sorgen, dass sie Prävention anbieten!


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sagen Sie, dass wir ein Präventionsgesetz brauchen, das
solche Dinge regelt!


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie werden sich wundern!)


Dann haben Sie eine ordentliche Reform. Bei Ihnen sehe
ich aber nur Merkel-Murks.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1604309300

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Carola Reimann

von der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Carola Reimann (SPD):
Rede ID: ID1604309400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur

Frage der Finanzierung haben wir in diesem Hause nicht
nur bei diesem Tagesordnungspunkt eine ganze Menge
gehört, noch mehr haben wir in den letzten Tagen und
Wochen dazu gelesen. Die Frage, wer wie viel bezahlt,
wer sich an der Solidarität beteiligt, ob der Beitrag aus-
schließlich nach Leistungsfähigkeit oder auch nach dem
Gesundheitszustand bemessen werden soll, beschäftigt
in den letzten Tagen nicht nur uns alle, sondern auch die
Medien und die Öffentlichkeit in mannigfaltiger Hin-
sicht. Das bietet Stoff für Spekulationen zuhauf.

Die Schar derer, die auf äußerst spekulativer Grund-
lage, dafür aber umso lautstärker Kritik üben, ist erwar-
tungsgemäß groß. Um eine sachgerechte Darstellung
geht es in den seltensten Fällen. Häufig arbeitet man sich
nur an Reizwörtern und Begriffen ab. Sachkundige Kri-
tiker oder diejenigen, die sich als solche ausgeben möch-
ten, heben sich dabei ganz gern von der Masse ab, indem
sie darauf verweisen, dass es mit einer Finanzreform al-
leine nicht getan sei und man die eigentlichen Probleme
nicht lösen könne, indem man mehr Geld in das System
pumpe. Mit der Forderung, man müsse zuerst einmal Lö-
cher stopfen, bevor man neues Geld nachschütte, gibt
man sich gern als vermeintlicher Kenner der Szene zu
erkennen. Sie alle haben in einem Punkt Recht: Es bringt
nichts, nur neues Geld in das Gesundheitssystem fließen
zu lassen und die Versorgungsstrukturen außer Acht zu
lassen.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Carola Reimann
Wer die Forderung jedoch in einer Art und Weise erhebt,
dass man den Eindruck bekommen könnte, hier würde
nichts getan, entpuppt sich ganz schnell als ein weniger
guter Kenner der Gesundheitspolitik der letzten Jahre.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie
fordern in den vorliegenden Anträgen Strukturrefor-
men, die für mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit sorgen
können. An dieser Forderung ist grundsätzlich nichts
auszusetzen. Vor drei Jahren – zu Zeiten der rot-grünen
Koalition – haben wir gemeinsam, auch unter der Betei-
ligung unserer heutigen Koalitionspartner, mit dem
GKV-Modernisierungsgesetz den Weg in Richtung mehr
Wettbewerb, Qualität und Wirtschaftlichkeit eingeschla-
gen.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: So ist es! Da waren Sie von den Grünen noch dabei!)


Zu dieser Richtungsentscheidung stehen wir. Sie war da-
mals richtig und gut und ist es auch heute noch.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1604309500
Reformen sind ein
Prozess. Deshalb werden wir diesen Weg fortsetzen. Die
Struktur der Versorgung zählte deshalb auch zu den ers-
ten Themen der zurzeit noch laufenden Gesundheitsge-
spräche. Wir wollen klarere Strukturen. Wir wollen In-
strumente und Elemente für mehr Effizienz und mehr
Wettbewerb. Deshalb werden wir konsequent mehr Ver-
tragsmöglichkeiten zwischen den Leistungsanbietern
schaffen. Insofern rennen Sie mit Ihren Forderungen bei
uns offene Türen ein.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na also!)


Die Agenturmeldung dieser Woche – das muss ich al-
lerdings auch sagen –, in der Ihre Kollegin, Frau Roth,
mit der Äußerung zu vernehmen war, das Herangehen
der Koalition an die Ausgabenseite sei völlig unambitio-
niert, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Elke Ferner [SPD]: Ich auch nicht!)


Die große Koalition ist seit etwas mehr als einem halben
Jahr im Amt und steht kurz vor dem Abschluss der Ver-
handlungen über eine unzweifelhaft weit reichende Ge-
sundheitsreform. Ich würde das nicht als unambitioniert
bezeichnen wollen. Schauen wir uns doch lieber die Fak-
ten an. Wenn wir über Fakten reden, will ich zu allererst
sagen, dass wir aufhören sollten, das System der gesetz-
lichen Krankenversicherung in Deutschland schlechter
zu reden, als es ist.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Richtig!)


Bei aller Reformnotwendigkeit erscheint es mir dringend
notwendig, sich gelegentlich ins Gedächtnis zu rufen,
dass es hier darum geht, die Funktionsfähigkeit eines der
besten Gesundheitssysteme der Welt zu erhalten, und um
nichts anderes.


(Beifall bei der SPD)

Laut einer Studie des Fritz-Beske-Instituts – es steht be-
stimmt nicht im Verdacht, zu den Mietmäulern der GKV
zu gehören – hat Deutschland im internationalen Ver-
gleich ein überaus effizientes Gesundheitssystem. In die-
sen Tagen hat das schwedische Unternehmen Health
Consumer Powerhouse – es ist komplett unabhängig –
eine Studie vorgelegt, die ebenfalls zu dem Ergebnis
kommt, dass das deutsche Gesundheitssystem aus Sicht
der Patientinnen und Patienten im Hinblick auf Transpa-
renz, Service und Qualität zu den Spitzenreitern in
Europa gehört.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Noch!)


Dieses hohe Versorgungsniveau im Interesse der Patien-
tinnen und Patienten zu erhalten und auszubauen, das ist
unsere Aufgabe und nicht die Sanierung eines maroden
Haufens, auch wenn die eine oder der andere diesen Ein-
druck hier gern einmal erwecken möchte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Mit dem Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlich-
keitsgesetz, das am 1. Mai in Kraft getreten ist, haben
wir auch in dieser Legislaturperiode einen weiteren
Schritt getan. Wie wir bereits heute sehen, war es ein
wirksamer Schritt. Mit diesem Gesetz ist die Absenkung
der Festbeträge, aber auch die Möglichkeit der Zuzah-
lungsbefreiung bei besonders preisgünstigen Arzneimit-
teln vorgesehen.

Als Reaktion auf die Möglichkeit einer solchen Zu-
zahlungsbefreiung haben zahlreiche Arzneimittelherstel-
ler ihre Preise bereits stark gesenkt; weitere Preissenkun-
gen sind angekündigt. Damit werden wir bei gleicher
Qualität Einsparungen für Patientinnen und Patienten,
aber auch für Kassen realisieren. Die Liste ist ab 1. Juli,
also ab diesem Wochenende, auf der Homepage des Mi-
nisteriums, aber auch bei den Spitzenverbänden der ge-
setzlichen Krankenversicherung einsehbar.


(Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Und die kleinen Unternehmen gehen kaputt!)


Ich will an dieser Stelle alle Ärztinnen und Ärzte und
alle Patientinnen und Patienten aufrufen, von dieser
neuen Möglichkeit Gebrauch zu machen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Diesen Weg werden wir weitergehen.

Sie, meine verehrten Kollegen von der Opposition,
müssen sich nun, auch wenn es schwer fällt, noch einige
wenige Tage gedulden, bis die Vorschläge vorliegen und
wir sie dann auch diskutieren können.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das können wir doch gar nicht! Wann denn?)


Es ist natürlich Ihr gutes Recht, eine Debatte über Kon-
zepte einzufordern. Ich möchte dann allerdings, dass Sie
Konzepte vorlegen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Tun wir auch!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Carola Reimann
Sie haben hier beantragt, die Praxisgebühr abzuschaffen.
Um die Kollegen von der FDP nicht ganz leer ausgehen
zu lassen:


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Sehr nett!)


In der Überschrift Ihres Antrags ist die übliche Wort-
hülse „Eigenverantwortung“ enthalten. Damit meinen
Sie die finanzielle Alleinverantwortung und die totale
Privatisierung aller Lebensrisiken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das wollen Sie mit dem Etikett „Freiheit und Wettbe-
werb“ verkaufen.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das stimmt doch gar nicht!)


Ein Konzept ist das nicht.


(Heinz Lanfermann [FDP]: Erst lesen und dann kritisieren!)


– Ja, das habe ich getan. In Ihrem Antrag steht nichts.
Kollege Lanfermann, Sie haben gleich Gelegenheit, das
zu erläutern.

Wir werden in Kürze die Reformeckpunkte vorlegen,
um unser bewährtes solidarisches Gesundheitssystem
weiter zu stärken. Dazu werden wir nicht nur Effizienz-
reserven heben, sondern auch in puncto Strukturen und
Wettbewerb die notwendigen Rahmenbedingungen ver-
bessern, damit unser Gesundheitssystem den veränder-
ten und ohne Zweifel steigenden Ansprüchen gerecht
wird.

Ich danke.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1604309600

Das Wort hat jetzt der Kollege Heinz Lanfermann von

der FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Heinz Lanfermann (FDP):
Rede ID: ID1604309700

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Zuerst mit Staunen, aber jetzt doch mehr mit Entset-
zen schauen die Bürger auf die verzweifelten Versuche
der Koalition, sich irgendwie zu einigen. Kein Vorschlag
ist töricht genug, um nicht in die Öffentlichkeit lanciert
zu werden. Aber offensichtlich ist, dass keines der struk-
turellen Probleme durch eine neue Umverteilungsbüro-
kratie oder gar neue Steuern gelöst wird.


(Elke Ferner [SPD]: Sie müssen es ja wissen!)


Was bleibt, ist der starre Blick auf die Einnahmeseite.
Sie wollen noch mehr Geld in das Fass ohne Boden
schütten, das jetzt mit „Fonds“ bezeichnet wird. Dabei
richten sich die begehrlichen Blicke bei der SPD, aber
auch bei den Grünen und bei den Linken vor allem auf
die private Krankenversicherung. Zum einen schielt
man auf die Rücklagen von mittlerweile fast
100 Milliarden Euro; zum anderen hält man die Privat-
versicherten für geeignete Melkkühe. Es wird das Zerr-
bild von den egoistischen, unsolidarischen Besserverdie-
nenden gezeichnet, denen man nur in die dicke
Brieftasche greifen muss, um endlich die soziale Ge-
rechtigkeit auf Erden herzustellen.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: „Parasiten“ hat Herr Lauterbach gesagt!)


Das geht so weit, dass der Kollege Lauterbach ver-
kündet hat, die Privaten seien die Parasiten der gesetzli-
chen Kassen. Das ist eine abstoßende Sprache, mit der
auch nicht irgendwelche anonymen Institutionen getrof-
fen werden; davon werden vielmehr 8,5 Millionen Men-
schen getroffen. Es sind Bürger, die ganz normal Versi-
cherungsverträge abschließen, Beiträge – durchaus auch
hohe Beiträge – zahlen, die Leistungen von Ärzten und
Krankenhäusern gut bezahlen und am Ende von ihrer
Versicherung die Kosten erstattet bekommen. Anschlie-
ßend werden sie von Frau Künast hier noch beschimpft.


(Beifall bei der FDP)


Diesen Bürgern den Vorwurf zu machen, sie verhielten
sich damit parasitär, ist schlichtweg eine Unverschämt-
heit und in der Sache auch falsch.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das vom Kollegen Lauterbach als Begründung vorge-
brachte Argument, die Praxiseinrichtung der Ärzte und
die Ausstattung der Kliniken würden weitgehend über
die Einnahmen aus den gesetzlichen Kassen finanziert,
geht völlig daneben. Wenn 90 Prozent der Patienten ge-
setzlich versichert sind, kommt der numerisch größere
Teil der Einnahmen natürlich von den Krankenkassen.
Weil aber jeder der 10 Prozent privat versicherten Pati-
enten höhere Honorare und Rechnungen zahlt, ist ihr
proportionaler Anteil an den Einnahmen von Ärzten und
Krankenhäusern höher als bei den gesetzlich Versicher-
ten.


(Elke Ferner [SPD]: Sehr wirtschaftlich, mehr zu bezahlen, als man muss! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie gnädig! Brosamen vom Tisch der Reichen!)


– Das müssen Sie pro Kopf rechnen, Frau Ferner, nicht
in der Summe!

Diese 10 Prozent tragen schon jetzt bis zu 40 Prozent
der Kosten in den Praxen. Viele Praxen wären ohne Pri-
vatpatienten überhaupt nicht lebensfähig.


(Beifall bei der FDP – Elke Ferner [SPD]: In den Ballungsräumen, aber nicht auf dem Land!)


Manches teure Gerät im Krankenhaus steht nur deswe-
gen dort und damit allen Patienten zur Verfügung, weil
seine Finanzierung über die Einnahmen von den Privat-
patienten gesichert wird. Die Zahlen sind bekannt: Es
sind in jedem Jahr 9,5 Milliarden Euro, die die privat
Versicherten mehr zahlen, als es ihrem Anteil entspricht.

Auch die Behauptung, bei den 8,5 Millionen privat
Versicherten handele es sich nur um Besserverdiener,
ist eine Luftblase. Natürlich gehört ein kleinerer Teil der
privat Versicherten auch zu den höher Verdienenden.






(A) (C)



(B) (D)


Heinz Lanfermann
Das liegt schon daran, dass Sie den meisten Menschen
verbieten, eine private Versicherung abzuschließen.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Richtig! Öffnen Sie es doch!)


Lassen Sie mich zwei Zahlen nennen: Erste Zahl.
Nach der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des
Statistischen Bundesamts für 2003 hatte der durch-
schnittliche PKV-Versicherte in diesem Jahr etwas über
28 800 Euro zur Verfügung. Das sind im Monat
2 404 Euro. Zweite Zahl. In diesem Jahr lag die Bei-
tragsbemessungsgrenze bei 41 400 Euro. Von den privat
Versicherten haben aber 78 Prozent weniger als
40 000 Euro verdient. Das verwundert auch nicht. Die
Hälfte der privat Versicherten sind Beamte, davon die al-
lermeisten gering oder mittelmäßig besoldet. Bei den
Selbstständigen gibt es inzwischen eine immer höhere
Zahl von Geringverdienern.

Es geht nicht nur um Zerrbilder, die zur Stimmungs-
mache eingesetzt werden; es geht auch um Vertrauens-
schutz, um geschützte Rechtsgüter, um mit eigenen Mit-
teln erworbene Ansprüche und Anwartschaften. Man
kann nicht erst über Jahrzehnte für viele Millionen Men-
schen zwei voneinander unabhängige, unterschiedliche,
in der Risikofrage und im rechnerischen Aufbau ver-
schiedene Systeme schaffen und dann, wenn das eine gut
und das andere schlecht funktioniert, einfach über den
Zaun greifen und sich bedienen. Sie können es drehen
und wenden, wie Sie wollen: Man heilt einen Kranken
nicht dadurch, dass man einen Gesunden krank macht.


(Beifall bei der FDP)


Wenn Sie überlegen, wie eine Versicherung aussehen
soll, dann schauen Sie bitte in den Antrag auf
Drucksache 16/1997, der die wesentlichen Elemente des
FDP-Modells vorstellt, und werfen Sie dann bitte einen
Blick auf die Fragen, die wirklich wichtig sind: Wollen
wir mehr Transparenz, soll also zum Beispiel jeder Pa-
tient bei allen Behandlungen wissen, was es kostet? Soll
jeder Bürger die Wahl zwischen verschiedenen Tarifen
haben,


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Ja!)


bei denen er eine mehr oder weniger hohe Eigenbeteili-
gung an den Kosten trägt? Sollen die Beiträge konjunk-
turunabhängig und damit beständiger sein? Sollen die
Beiträge vom Arbeitslohn unabhängig sein, um die
Lohnkosten zu senken? Soll es auch möglich sein, medi-
zinischen Fortschritt und Innovationen zu nutzen? Vor
allem, auch mit Blick auf Frau Künast: Soll sich das Ver-
sicherungssystem möglichst selbst tragen und auch
zukunftsfest sein? Soll es die Problematik höherer
Krankheitskosten im Alter und der demografischen Ent-
wicklung – schrumpfende Bevölkerung mit immer wei-
ter steigendem Altenanteil – gewachsen sein? Auf alle
diese Fragen kann man verantwortungsbewusst doch nur
mit Ja antworten.


(Beifall bei der FDP)


Dann stellt sich die Frage, welche Versicherung dies
alles leistet. Die Antwort ist klar: Die privaten Versiche-
rungen erfüllen diese Bedingungen, die gesetzlichen
kaum etwas davon. Das sollte uns zu denken geben. Des-
wegen sind wir der Meinung, dass es ein System, das
funktioniert, leistungsstark und zukunftssicher ist, nicht
verdient, hier angegriffen zu werden; eher muss man es
zur Grundlage der Überlegungen dazu machen, wie wir
insgesamt ein besseres Gesundheitssystem bekommen
können.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1604309800

Das Wort hat jetzt die Kollegin Annette Widmann-

Mauz von der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1604309900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Die Berichterstattung und die heutige Debatte hier im
Parlament verwirren die Menschen mehr, als dass sie
aufklären.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woran das wohl liegt?)


Frau Künast, wenn sich draußen jemand heute von Ihnen
Aufklärung im Sinne von Verbraucherinformation er-
hofft hat, dann wurde er nur noch einmal mehr ent-
täuscht. Das, was Sie hier abgeliefert haben, war wider-
sprüchlich. Ich nenne es Desinformation, was Sie heute
Morgen betrieben haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie waren immer schon nervös, wenn Sie mich getroffen haben! – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie mal begründen!)


Die Union will die Strukturen des Gesundheitswesens
wettbewerbsfähiger, transparenter und effizienter gestal-
ten. Unser Ziel ist es, die Versorgung über den Wettbe-
werb effizienter zu gestalten und daneben auch die
Wachstumspotenziale, die im Gesundheitssektor vorhan-
den sind, zu erschließen, ohne die Lohnnebenkosten
ständig weiter ansteigen zu lassen. Wir wollen, dass das
System transparenter wird, um den Versicherten mehr
Einflussmöglichkeiten auf ihre gesundheitliche Versor-
gung zu geben.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Eigenbeteiligung!)


Heute weiß doch der Patient überhaupt nicht, ob seine
Kasse zu dem festgesetzten Beitragssatz eine kosten-
günstige Versicherung anbietet oder nicht. Er kann doch
heute nicht ermessen, welche Leistungen sein Arzt mit
seiner Krankenkasse verrechnet oder, um es anders aus-
zudrücken, was der Arzt für die einzelne Behandlung
überhaupt erhält. Unser Ziel ist es deshalb, die Struktu-
ren aus der Sicht der Versicherten neu zu ordnen. Wir
wollen anstelle des bevormundeten oder zwangsbe-
glückten Patienten den aufgeklärten, mündigen Patien-
ten stellen. Diese Mündigkeit geht eben einher mit






(A) (C)



(B) (D)


Annette Widmann-Mauz
einem Kostenbewusstsein für die Inanspruchnahme me-
dizinischer Leistungen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb wollen wir bei der ambulanten und bei der
zahnärztlichen Versorgung auch das Sachleistungsprin-
zip durch das Prinzip der Kostenerstattung ersetzen.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Aha! Da macht die SPD mit?)


Auf der Grundlage einer neuen, verlässlichen und leis-
tungsgerechten ärztlichen Vergütung in der gesetzlichen
Krankenversicherung sollte es doch dem Arzt möglich
sein, dem Patienten Auskunft über die erbrachten medi-
zinischen Leistungen und die damit verbundenen Kosten
zu geben. Wir von der Union sind zuversichtlich, dass
eine Kostenerstattung in Verbindung mit Selbstbehalt-
tarifen eine positive Steuerungswirkung entfalten würde.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das wird zum Regelfall?)


Wir wissen auch, was uns immer entgegengehalten wird:
Härtefälle, die durch hohe Rechnungen oder bei einkom-
mensschwachen Menschen auftreten. Dafür können un-
bürokratische Ausnahmeregelungen vorgesehen werden.

Der mündige Versicherte soll darüber hinaus auch in
der Lage sein, das Angebot der einzelnen Kasse sowohl
nach der Leistung als auch nach dem Preis beurteilen zu
können. Das ist doch wichtig. Er muss schließlich wis-
sen, bei welcher Krankenkasse er sich am besten ver-
sorgt fühlt. Ein Gesundheitsfonds wäre doch ein Instru-
ment, um diese Ziele zu erreichen: Die Beiträge von
Arbeitgebern und Arbeitnehmern könnten von einer
Stelle erhoben werden, Steuergelder könnten hinzukom-
men und diese Einnahmen auf die Zahl der Versicherten
umgelegt werden. Auf dieser Basis erhält die jeweilige
Kasse einen Betrag pro Versicherten zur Verfügung ge-
stellt. Damit sichert die einzelne Krankenkasse den ge-
setzlichen Leistungskatalog. Bei der Fondslösung kann
ein Versicherter daran, ob seine Kasse einen Aufschlag
verlangt oder – dieser umgekehrte Fall ist genauso denk-
bar – auch einmal Geld an die Versicherten zurückgege-
ben werden kann, sehen, ob sie mit dem für ihn bereitge-
stellten Beitrag auskommt.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Sie lassen die Risiken dabei vollkommen außer Acht!)


Ich sage Ihnen: Jeder Versicherte kann dann prüfen, ob
er mit dem Angebot, das die Kasse ihm macht, zufrieden
ist. Wenn er Preissensibilität spürt, wird er zum ersten
Mal auch wirklich ein Interesse haben, günstigere Tarife,
die die Kassen anbieten, auch anzunehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Solche Überlegungen setzen natürlich zweierlei
Dinge voraus: Zum einen, dass unterschiedliche Risiken
wie zum Beispiel Alter und Geschlecht auch weiter vor
der Ausschüttung des Pauschalbeitrages an die Kassen
berücksichtigt werden und zwischen den Kassen ausge-
glichen werden, und zum Zweiten, dass für Kassen und
Leistungserbringer mehr Vertragsmöglichkeiten beste-
hen, damit Wahltarife und damit ein Angebot für die
Versicherten überhaupt entwickelt werden kann.

Man liest ja immer wieder und auch heute in der De-
batte bringen Sie es immer wieder ein, die Koalition
stemme sich gegen Änderungen an den Strukturen und
es finde zu wenig Wettbewerb statt. Dies ist schlicht und
ergreifend falsch. Schauen Sie doch einmal im Gesetz
nach – ein solcher Blick ist manchmal hilfreich –, wel-
che vertraglichen Möglichkeiten es seit 2004 gibt. Kran-
kenkassen und Leistungserbringer könnten sie konse-
quent wahrnehmen, aber sie tun es nicht, denn im
bestehenden System hat niemand wirklich Interesse da-
ran.

Denken Sie an das AVWG, das wir erst vor einigen
Monaten hier verabschiedet haben. Darin haben wir zu
Beginn des Jahres Rabattverträge zwischen Kassen und
Arzneimittelherstellern vorgesehen. Bereits durch die
Absenkung der Festbeträge und die Möglichkeit der Zu-
zahlungsbefreiung bei besonders preiswerten Generika
ist es zu einer erheblichen Dynamik im Markt gekom-
men. Bereits zum 1. Juli werden Tausende von Präpara-
ten wie einige Betablocker zum Beispiel zuzahlungsfrei
gestellt.

Schauen Sie heute in die Zeitung! Weitere Preissen-
kungen wurden angekündigt, zum Teil um 40 Prozent.
Wir wollen weitere Vertragsmöglichkeiten bei Preisver-
handlungen zwischen Arzneimittelherstellern und Kran-
kenkassen, damit mehr Wettbewerb in Schwung kommt,
mehr Markt möglich wird und die Versicherten zu einem
günstigeren Preis Arzneimittel erhalten können.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Um eine angemessene Grundlage für Preisverhandlun-
gen und damit für Wettbewerb zu erhalten, brauchen wir
auch stärkere Bewertungen und Beurteilungen von Arz-
neimitteln und von anderen Therapieformen.

Ein weiterer Punkt, an dem gerne die Frage, ob wett-
bewerbliche Strukturen vorhanden sind oder nicht, fest-
gemacht wird, ist die Frage nach dem Erhalt der Kassen-
ärztlichen Vereinigungen. Auch heute wurde sie
wieder aufgebracht. Für die Grünen sind es die „Atom-
kraftwerke“ in der Gesundheitspolitik, die abgeschaltet
werden müssen. So wie in der Energiepolitik niemand
ernsthaft glaubt, den Strombedarf der Bundesrepublik
ganz ohne Atomkraftwerke decken zu können, gibt es
auch in der gesundheitspolitischen Fachwelt niemanden,
der wirklich glaubt, gänzlich auf Kassenärztliche Verei-
nigungen verzichten zu können,


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie kommen Sie auf den Blödsinn?)


höchstens Lobbygruppen, Herr Kuhn, die sich erhebli-
che Vorteile von ihrer Monopolstellung im System ver-
sprechen. Die würden sicherlich mächtig davon profitie-
ren.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Selbst Krankenkassen halten dies nicht für wün-
schenswert. Wer sollte denn ansonsten die Qualitätssi-
cherung bis in die einzelne Arztpraxis hinein vorneh-






(A) (C)



(B) (D)


Annette Widmann-Mauz
men? Wer sollte denn sonst die Versorgung in der
Uckermark oder im Bayerischen Wald sicherstellen?
Wer sollte denn sonst dafür geradestehen, dass Leistun-
gen nicht uferlos erbracht werden? Oder wer sollte dem
Arzt, der in Managementfragen keine Ausbildung erfah-
ren hat, weil er eben Medizin und nicht Betriebswirt-
schaftslehre studiert hat, die entsprechende Beratung ge-
ben? All diese Fragen bleiben bei Ihnen unbeantwortet.

Umgekehrt wagen sich dieselben Leute, die hier
große ideologische Schlachten schlagen, nicht an die
Kostenerstattung heran, obwohl damit die Kassenärztli-
chen Vereinigungen mit ihren Aufgaben wesentlich ver-
schlankt werden könnten.

Die große Koalition wird die Kassenärztlichen Verei-
nigungen nicht abschaffen. Das haben wir im Koali-
tionsvertrag festgelegt. Sinnvoll wäre es aber sehr wohl,
die Vertragsmöglichkeiten für die Kassen zu erweitern.
Das heißt, es muss nicht alles kollektiv, gemeinsam und
einheitlich erfolgen, vielmehr müssen mehr Möglichkei-
ten zum Abschluss von Einzelverträgen geschaffen wer-
den. Dabei können auf Kassenseite einzelne Kassen han-
deln oder sich in Gruppen zusammenschließen. Auf der
Ärzteseite können neben einzelnen oder Gruppen von
Ärzten auch Kassenärztliche Vereinigungen Vertrags-
partner sein. Das wäre eine zukunftsweisende Struktur-
reform.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir werden noch mehr auf den Weg bringen, als Sie
sich heute vorstellen können. Lassen Sie mich einmal
das Thema Bürokratieabbau ansprechen. Wenn es um
die DMPs geht, haben wir enorme Möglichkeiten, Büro-
kratieabbau bei den Kassen und in den Praxen zu be-
schleunigen. Auch darum geht es bei dieser Reform.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Schauen wir uns den Fonds an! Die Befürchtung, ein
Fonds sei ein bürokratisches Monster, entbehrt jeder
Grundlage. Der Beitragseinzug kann unbürokratisch ge-
staltet werden. Das wissen offenbar mittlerweile auch
die Kassen und ziehen gegen den Fonds oder das, von
dem sie meinen, dass es ein Fonds sein könnte, dramatisch
zu Felde. Warum denn? Von den 160 000 Beschäftigten
bei den Krankenkassen sind allein 30 000 mit dem Bei-
tragseinzug beschäftigt.

Wenn wir dies in Zukunft etwas einfacher und mit ge-
ringerem bürokratischem Aufwand machen könnten,


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das bleibt doch!)


dann wäre das im Interesse der Beitragszahlerinnen und
Beitragszahler und muss nicht von vornherein als tabu
erklärt werden. Für die Arbeitgeber könnte ein solches
Verfahren auch erhebliche Erleichterungen mit sich brin-
gen. Heute muss ein Unternehmer mit seiner Personalab-
teilung alle Beiträge der 250 Kassen im Kopf haben, um
die Beiträge auch korrekt abführen zu können.


(Elke Ferner [SPD]: Die haben die in einer Tabelle, nicht im Kopf!)

Mit einem Fonds muss er nur noch einen Beitrag und
eine Kontonummer im Kopf haben. Das ist doch eine
deutliche Verschlankung.

Zum Thema Risikostrukturausgleich gäbe es noch
viel zu sagen. Es gibt wohl keinen Bereich, meine Da-
men und Herren, in dem in den letzten Jahren so viel
Geld eingespart worden ist wie im Gesundheitssektor.
Mit dem Reformgesetz von 2004 konnte die angestrebte
Beitragssatzsenkung wegen der höheren Verschuldung
der Kassen als angenommen nicht vollständig erreicht
werden; aber die Beiträge blieben in den meisten Fällen
stabil. Außerdem wurden die Kassen entschuldet. Insge-
samt hat dieses Gesetz 8 Milliarden Euro Schulden bei
den Kassen abgebaut und Ausgabensteigerungen in
Höhe von 6 bis 8 Milliarden Euro abgefangen. Es soll
mir einmal jemand hier ein anderes Sozialversicherungs-
system nennen, das eine Einsparung in dieser Dimension
aus sich selbst heraus erbracht hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

All diejenigen, die ständig fordern, wir müssten mehr
tun, sollten zuerst die Hausaufgaben in ihren Systemen
machen.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Ist das jetzt an die Haushälter der eigenen Fraktion gerichtet?)


Dann wären wir schon deutliche Schritte weiter.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1604310000

Kommen Sie bitte zum Schluss.


Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1604310100

Meine Damen, meine Herren, die Anträge der Oppo-

sition, die heute zur Beratung vorliegen, tragen nicht
wirklich zur Problemlösung bei. Sie sind gut gemeint,
bleiben aber weit hinter dem zurück, was getan werden
muss, um den Wettbewerb in der gesetzlichen Kranken-
versicherung zu forcieren, die Transparenz zu erhöhen
und die Wahlmöglichkeiten der Versicherten auszuwei-
ten. Wir werden nach der Sommerpause genügend Gele-
genheit haben, einen guten Gesetzentwurf für eine
grundlegende Reform des deutschen Gesundheitswesens
zu beraten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1604310200

Das Wort hat der Kollege Frank Spieth von der Frak-

tion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)



Frank Spieth (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604310300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ob der

Entwurf, der uns vorgelegt werden wird, gut ist, werden
wir sehen. Hoffentlich wird den Menschen in diesem
Land dabei nicht schlecht. Die Gefahr ist nach dem, was
ich vorhin von Herrn Zöller gehört habe, sehr groß. Er
hat gesagt: Solidarität für die großen Risiken, Eigenver-
antwortung für die kleinen Risiken. – Damit meinte er:
Privatisierung der Lebensrisiken.






(A) (C)



(B) (D)


Frank Spieth
Wir haben deshalb – leider ist bisher dazu wenig ge-
sagt worden – einen Antrag eingebracht, mit dem wir
eine weitere Privatisierung dieser Lebensrisiken, dieser
Gesundheitsrisiken beenden wollen, und zwar durch die
Abschaffung der Eintrittsgebühr.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen eben keinen Gesundheitsfonds für Gesunde;
wir brauchen eine gesetzliche Krankenversicherung, die
die Leistungen bereitstellt, die Menschen benötigen,
wenn sie krank werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Genau dazu sind die Vorschläge zum Gesundheitsfonds,
die bisher öffentlich geworden sind, nicht eindeutig.


(Elke Ferner [SPD]: Das stimmt ja gar nicht!)


Die Eintrittsgebühr für die Inanspruchnahme eines
Arztes, Zahnarztes oder Psychotherapeuten, auch Pra-
xisgebühr genannt, hat das eigentliche Ziel der damali-
gen übergroßen Koalition nicht erreicht. Sie wollte auch
durch die Eintrittsgebühr erreichen, dass die Lohnneben-
kosten gesenkt und damit Arbeitsplätze geschaffen wer-
den. Aber millionenfach können wir jetzt nachvollzie-
hen: Dies ist nicht realisiert. Millionen Arbeitslose
können eine andere Erfahrung schildern.


(Beifall bei der LINKEN)


Im aktuellen „Gesundheitsmonitor“ der Bertelsmann-
Stiftung wird festgestellt – das ist die letzte Erhebung
vom April 2006 –, dass die Anzahl der Arztkontakte
nach einem deutlichen Rückgang im Jahre 2004 und im
Frühjahr 2005 seit dem Herbst 2005 wieder angezogen
hat, allerdings mit deutlichen Differenzen in den unter-
schiedlichen Einkommensgruppen. Man kann bilanzierend
feststellen, dass die Eintrittsgebühr und die Zuzahlungs-
regelungen eine nach unserer Auffassung sozialstaatlich
nicht vertretbare Fehlentwicklung bewirken, sodass
Menschen mit geringem Einkommen und hohen Ge-
sundheitsrisiken Arztkontakte vermeiden oder aufschie-
ben. Dies gilt vor allem für die Einkommensgruppen bis
500 und bis 1 000 Euro im Monat.

Eine Arbeitslosengeld-II-Empfängerin in Weimar
schilderte mir auf bedrückende Art und Weise, dass sie
schon mehrfach vor der Entscheidung gestanden habe,
für sich und ihre Tochter Lebensmittel zu kaufen oder
die Eintrittsgebühr beim Arzt zu bezahlen. Nach den
Beratungen im Gesundheitsausschuss befürchte ich, dass
Sie den Antrag der Linksfraktion zur Abschaffung der
Praxisgebühr heute gemeinsam niederstimmen. Dies
wird bei den Betroffenen mit Sicherheit eine große Ent-
täuschung auslösen; denn es bestand die Hoffnung, dass
der Sachverstand möglicherweise doch größer als die
politische Engstirnigkeit ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Nach den vorhin gemachten Ausführungen befürchte
ich, dass Sie, meine Damen und Herren von der großen
Koalition, mit dem Gesundheitsfonds einen weiteren
großen Schritt in Richtung Zuzahlungen und Privatisie-
rung der Gesundheitskosten gehen werden. Direktzah-
lungen der Patientinnen und Patienten zählen seit
25 Jahren zum neoliberalen Standardrepertoire und zur
politischen Begleitmusik von Gesundheitsreformen in
Deutschland.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Oh!)

Damit – das hat die FDP vorhin wieder gezeigt – feiert
die Idee von der so genannten Eigenverantwortlichkeit
und dem Rückzug des solidarischen und sozialen Aus-
gleichs fröhliche Urständ.

Neben zusätzlichen Einnahmen sollen Zuzahlungen
– das war immer die Aussage – eine Steuerung des Ver-
haltens der so genannten Verbraucherinnen und Verbrau-
cher auf dem Gesundheitsmarkt bewirken, indem mit ih-
nen die vermeintlich überzogene Inanspruchnahme
kostenfreier Leistungen eingedämmt werden soll. Damit
sollen die Versicherten zu einer rationaleren Nutzung des
medizinischen Angebots bewegt und eine nicht näher
bestimmte Effizienz des Gesundheitswesens gesteigert
werden.

Doch bei näherem Hinsehen entpuppt sich dieses gän-
gige Credo als grober Unsinn. Das einseitige Menschen-
bild vom Homo oeconomicus erklärt allenfalls einen
kleinen Teil des Verhaltens der so genannten Verbrau-
cher am Gesundheitsmarkt. Die Erhebung von Selbstbe-
teiligungen und vor allen Dingen die Einführung von
Befreiungsregelungen erzeugen auf der anderen Seite
zusätzlichen Verwaltungsaufwand und Kosten. Die pos-
tulierte Unterscheidung zwischen sinnvoller und über-
flüssiger Inanspruchnahme ist nach meiner Auffassung
unsinnig und realitätsfremd und ist nirgendwo auf der
Welt wirksam geworden.


(Beifall bei der LINKEN)

Eigenbeteiligungen setzen beim Verbraucherverhal-

ten an. Die wichtigsten kostentreibenden Faktoren neben
dem medizinisch-technischen Fortschritt sind allerdings
– das sagt jeder Experte – das Anbieterverhalten und die
Honorierung der Anbieter. Patientenzuzahlungen wirken
vor allem auf den Erstkontakt mit dem Gesundheits-
wesen und auf einfachere, preisgünstige Leistungen.
Weitergehende Untersuchungen und vor allem teure
Diagnostik und Therapie erfolgen danach. Eigenbeteili-
gungen führen nicht zum erwünschten Verzicht auf ärzt-
liche Behandlung oder medikamentöse Therapie.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1604310400

Kommen Sie bitte zum Schluss.


Frank Spieth (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604310500

Ich komme zum Ende.
Zuzahlungsbefreiungen sind aufwendig. Sie ver-

schlingen einen Teil der Mehreinnahmen und können die
erzeugten Ungerechtigkeiten nur teilweise und allenfalls
nachholend ausgleichen. Optimale Zuzahlungen – das
kann man mit Blick auf die in der Fondslösung angedeu-
teten Maßnahmen sagen – sind Elfenbeintürme. Sie sind
extrem aufwendig und beruhen zudem auf falschen Prä-
missen.

Ich wünsche mir, dass Sie unserem Antrag zustim-
men.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1604310600

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der Ehrentri-

büne hat soeben der Parlamentspräsident der Repu-
blik Indien, Herr Chatterjee, mit seiner Delegation
Platz genommen.


(Beifall)


Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deut-
schen Bundestages begrüße ich Sie sehr herzlich. Herr
Präsident, es ist uns eine große Freude, Sie und Ihre Be-
gleitung zu einem offiziellen Besuch zu Gast zu haben.
Der Deutsche Bundestag misst der Zusammenarbeit un-
serer Parlamente große Bedeutung bei.

Für Ihren Aufenthalt und für Ihr weiteres parlamenta-
risches Wirken begleiten Sie unsere besten Wünsche.


(Beifall)


Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kolle-
gin Birgitt Bender vom Bündnis 90/Die Grünen.


Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604310700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer

großen Koalition soll angeblich richtig zugepackt wer-
den.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Wer sagt das?)


Was erleben wir? Seit neun Wochen wird verhandelt und
jeden Tag wird eine neue Sau durch die Presselandschaft
getrieben.


(Iris Gleicke [SPD]: Aber nicht von uns! Sie sind ja bloß traurig, dass Sie nicht mehr dabei sind!)


Das heißt, es gibt nach wie vor keine Einigung. Da mag
man fast die alten Zeiten loben. Damals hat Rot-Grün
sich mit der Union zusammengesetzt. Wir haben drei
Wochen lang verhandelt und dann hatten wir ein Ergeb-
nis. Nehmen Sie sich mal ein Beispiel an unserer damali-
gen Arbeitsmoral!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Aber das Ergebnis ist nicht so gut, Frau Bender, oder?)


Was ist bisher zustande gekommen? Ich höre gewisse
Worte, die mir gefallen, etwa: Wettbewerb. Mehr Wett-
bewerb solle es geben. In der Tat, darum geht es uns.
Aber was hören wir gleichzeitig, Herr Zöller? Sie vertei-
digen den Schutzzaun um die private Krankenversiche-
rung.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie machen beim Zuhören Fehler!)


Dort gibt es doch gerade keinen Wettbewerb. Nicht alle
können sich aussuchen, in welche Versicherung sie ge-
hen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Warten Sie doch mal ab, bis Sie unseren Entwurf sehen!)


Es gibt einen Schutzzaun um die PKV. Die sucht sich
die Leute danach aus, ob sie auch gesund genug sind

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das wird doch geändert!)


und keine Risiken mitbringen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Warten Sie doch noch zwei Tage!)


Schaffen Sie doch endlich Wettbewerb und entspre-
chende Rahmenbedingungen, damit die Versicherten
von einer Versicherung zur anderen, so wie sie es wol-
len, wandern können. Stattdessen verteidigen Sie, fröh-
lich sekundiert von der FDP, die derzeitige Arbeitsweise
der PKV. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Wozu führt
denn die Tatsache, dass die private Krankenversicherung
bessere Arzthonorare zahlt? Das führt dazu, dass es sehr
viele Ärzte am Starnberger See gibt.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Stuttgart!)


Aber versuchen Sie einmal, in Berlin-Neukölln einen
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten zu finden!
Das heißt, die private Krankenversicherung bietet eine
Medizin für die Reichen und Schönen. Da gibt es Über-
versorgung. Die anderen bekommen den Rest. Das ist
doch keine akzeptable Steuerungswirkung in einem so-
zialen Sicherungssystem!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wettbewerb wäre in der Tat gut. Es geht um den rich-
tigen Suchmechanismus für Innovationen in der
Gesundheitsversorgung. Was höre ich stattdessen
schon wieder von der Union? Die Ärztekartelle seien
gut.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie machen beim Zuhören Fehler!)


Frau Widmann-Mauz, wenn Sie das gleich mit einem
Bekenntnis zur Atomkraft verbinden, kann man dazu nur
sagen: Sie haben eine Vorliebe für Dinosaurier, zeigen
aber keine Reformbereitschaft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Ich höre von Frau Merkel immer „Mehr Freiheit wa-
gen!“ und das Bekenntnis zur Marktwirtschaft. Dann
fangen Sie doch einmal an! Setzen Sie die Fachärzte
doch der Marktwirtschaft aus und schaffen Sie in den
Apothekenzünften endlich einmal Marktwirtschaft! So
können Sie die Worte von Frau Merkel realisieren und
brauchen nicht nur große Worte zu schwingen. Aber ich
sehe nicht, dass das passiert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Statt den frischen Wind des Wettbewerbs in das Ge-
sundheitswesen zu bringen, diskutieren Sie über mehr
Staat. Jetzt wird – wir haben es gehört – ein Fonds ge-
schaffen.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Da haben Sie Recht!)


Da wird erst einmal der Beitragseinzug verstaatlicht,
übrigens mit der Folge, dass dies doppelt so viel kostet,
und die Beitragshöhe staatlich festgesetzt, was früher die






(A) (C)



(B) (D)


Birgitt Bender
Kassen gemacht haben. Dann soll noch eine Mindestzahl
von Versicherten festgelegt werden, die eine Kasse ha-
ben muss.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Wo haben Sie das wieder her?)


Stellen Sie sich einmal vor, das würden wir mit den
Bäckern machen! Nennt man so etwas etwa Marktwirt-
schaft? Schließlich wollen Sie noch einen Einheitsdach-
verband der Krankenkassen schaffen, damit sie auch
wirklich als Einheitsfront sprechen. Nennt man so etwas
etwa Marktwirtschaft und Wettbewerb?


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Nein, das ist Planwirtschaft!)


Das ist doch Etatismus pur, was Sie da vorhaben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Sozialismus!)


Was bewirkt denn Ihr Gesundheitsfonds, der nach
Aussagen der Frau Staatssekretärin angeblich zu einer
nachhaltigen Finanzierung beitragen soll? Er schafft
mehr Bürokratie.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Von welchem Fonds reden Sie denn?)


Dann wird zusätzlich eine so genannte kleine Kopf-
pauschale eingeführt. Das heißt, es gibt mehr Verwal-
tungsaufwand und eine größere soziale Belastung der
Versicherten. So etwas hat den Namen „Reform“ nicht
verdient.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie kennen die Reform nicht, sagen aber, sie habe den Namen „Reform“ nicht verdient!)


Schließlich wird jeden Tag darüber diskutiert, welche
Steuer man jetzt wieder erhöhen könnte: erst die Mehr-
wertsteuer – das haben Sie schon beschlossen –, dann
die Einkommensteuer. Das weiß man natürlich nicht so
genau; denn hier hat Rot-Grün gerade erste Reformen
durchgeführt und eigentlich wollte die Union die Tarife
weiter senken. Dann kam man auf einen Gesundheits-
soli. Jetzt haben wir schon den Soli für den Osten; ein
Soli für die Hüfte wäre vielleicht verfassungsrechtlich
schwierig. Jetzt lese ich: Wir stricken uns eine neue
Steuer. Diese neue Steuer muss allein dem Bund und
darf nicht den Ländern zustehen. Sie darf die Betriebe
nicht belasten und nicht mit Absetzmöglichkeiten ver-
bunden sein.

Was machen Sie da eigentlich? Sie sind ein Kränz-
chen, in dem man sagt: Wir häkeln uns einen Geldsack.

Soll man so etwas etwa eine Reform nennen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Daniel Bahr [Münster] [FDP])


Ich sagen Ihnen noch etwas: Auch wenn Sie jetzt be-
schließen, der Krankenversicherung Steuermittel in grö-
ßerem Umfang – Sie haben der Krankenversicherung ge-
rade erst 5 Milliarden Euro genommen – wieder
zukommen zu lassen, werden die dafür notwendigen
Steuererhöhungen nicht zum nächsten Ersten greifen.
Zum nächsten Ersten haben Sie jedoch ein Finanzloch in
der Krankenversicherung in der Größenordnung von vo-
raussichtlich 7 Milliarden Euro. Ich möchte einmal wis-
sen, wie Sie das stopfen wollen.

Ich höre immer Herrn Ramsauer und andere, die
plötzlich darüber philosophieren, welche Leistungen
man aus dem Angebot der Krankenversicherungen raus-
nehmen könnte, die die Versicherten dann privat absi-
chern können, so zum Beispiel Risikosportarten. Ich
sage Ihnen dazu eines: Die am weitesten verbreitete Ri-
sikosportart in unserer Gesellschaft ist was? – Der Fuß-
ball. Wir reden hier nicht über die Wade von Michael
Ballack, sondern über die Vereine, in denen junge Män-
ner und zunehmend auch junge Frauen – zum Beispiel
als Kinder von Migranten – in diese Gesellschaft aufge-
nommen werden und einen Platz finden. Sie wollen wo-
möglich das Signal setzen, das sei ein Luxus, der Solida-
rität nicht verdient habe. Dazu sage ich nur: Pfui, das ist
keine Reform.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Einen solchen Schwachsinn hätte ich nicht einmal Ihnen zugetraut!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1604310800

Das Wort hat jetzt der Kollege Christian Kleiminger

von der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Christian Kleiminger (SPD):
Rede ID: ID1604310900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn wir heute darüber reden, wie das solidarische Ge-
sundheitssystem auch in Zukunft nachhaltig finanziert
und gesichert werden soll, dann muss man natürlich
auch über eine effiziente Nutzung der vorhandenen Fi-
nanzmittel sprechen. Dabei geht es nicht allein um die
Kosten, sondern darum, wie man den Betroffenen am
besten helfen kann.


(Beifall bei der SPD)


Unsere Idee, die starren Grenzen zwischen stationärer
und ambulanter medizinischer Versorgung aufzuwei-
chen, zieht sich dabei wie ein roter Faden durch alle ge-
sundheitspolitischen Überlegungen. Ein variableres Ver-
sorgungsangebot wird die Qualität erheblich verbessern.

Mir ist es wichtig, in diesem Zusammenhang ein
Thema anzusprechen, mit dem wir uns leider in der Ge-
sellschaft, aber auch hier im Parlament, noch zu wenig
auseinander setzen. Es geht mir um die Hospizarbeit
und die Palliativmedizin. Die Koalition hat dieses wich-
tige Thema erkannt und deshalb auch bereits im Koali-
tionsvertrag Verbesserungen vereinbart, um Menschen
ein Sterben in Würde zu ermöglichen. Wenn alle Betrof-
fenen wissen, dass Sterben ohne Schmerzen durch best-
mögliche Versorgung Lebensqualität bis zum Schluss
wahren kann, werden auch die Diskussionen um die ak-
tive Sterbehilfe verstummen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Christian Kleiminger
Bei meinen Besuchen in den ambulanten und statio-
nären Hospizen – auch in meinem Wahlkreis Rostock –
wurde mir vermittelt, dass Anspruch und Wirklichkeit
hier leider noch immer zu weit auseinander klaffen. Das
müssen wir ändern und konkrete Rahmenbedingungen
für diesen Bereich schaffen. Bestmögliche palliative
Versorgung darf in Zukunft nicht weiter vom Wohlwol-
len der jeweiligen Krankenkassen und deren Medizini-
scher Dienste abhängen.


(Beifall bei der SPD)


Deshalb muss ein Ziel des großen Pakets, das wir
schnüren, sein, einen flächendeckenden Zugang zu palli-
ativmedizinischer und pflegerischer Versorgung und ei-
nen individuellen Leistungsanspruch hierauf für alle
Menschen zu schaffen. Dieser Zugang muss auch ambu-
lant möglich sein, sodass schwer kranke und sterbende
Menschen länger und besser in ihrer häuslichen Umge-
bung versorgt werden können. Das ist der Wunsch vieler
Menschen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die bereits in Modellregionen – wie in Mecklenburg –
erprobten Palliative-Care-Teams, die sich aus speziell
ausgebildeten Ärzten und Pflegern zusammensetzen,
konnten in der Vergangenheit bereits gute Erfahrungen
sammeln. Dabei geht es um ein Nebeneinander von am-
bulant und stationär, von höchstem medizinischem und
pflegerischem Standard und ehrenamtlichem Engage-
ment.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Lassen Sie mich an dieser Stelle gerade Letzteres, das
bürgerschaftliche Engagement der vielen Ehrenamtli-
chen, würdigen. Ohne sie wäre unsere Gesellschaft um
einiges ärmer.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Die Zahl der sterbenden und schwer kranken Men-
schen wird in den nächsten Jahren weiter zunehmen.
Deswegen ist es wichtig, dass auch dieser Aspekt schon
heute in die Diskussion einfließt. An dieser Stelle sollten
wir uns fragen: Was sind uns Leben und Sterben in
Würde wert? Ich bin der Auffassung, dass es uns viel
wert sein muss.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1604311000

Herr Kollege Kleiminger, ich gratuliere Ihnen zu Ih-

rer ersten Rede im Deutschen Bundestag.


(Beifall)


Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Rolf Koschorrek
von der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Rolf Koschorrek (CDU):
Rede ID: ID1604311100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute

trifft uns unvermittelt die geballte Kraft der Opposition
zu Themen, die noch gar nicht auf dem Tisch liegen. Das
ist schon sehr interessant.

Uns liegen vier Anträge zu fast allem, was in der Ge-
sundheitspolitik in den letzten Jahren passiert ist, vor:
viel Papier, aber nichts Erhellendes. Die Fraktion der
Linken beantragt die Abschaffung der Praxisgebühr. Die
Grünen sind dafür, die Praxisgebühr beizubehalten. Sie
beantragen die Einführung der Bürgerversicherung. Das
ist ein altes Lieblingsprojekt der Grünen, das sie aber in
den sieben Jahren, in denen sie das hätten machen kön-
nen, nicht umgesetzt haben. In einem zweiten Antrag ge-
ben sie vermeintlich gute, aber durchaus verzichtbare
Ratschläge für die aktuellen Verhandlungen über die Re-
form der gesetzlichen Krankenversicherung und kritisie-
ren vorab, was sie nur vom Hörensagen kennen. Die
Fraktion der FDP schließlich beantragt heute, dass das
Gesundheitssystem zu reformieren sei, und sagt, nach
welchen Kriterien dies nach ihrer Auffassung erfolgen
sollte.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Würde ich an Ihrer Stelle mit in die Verhandlungen nehmen!)


– Dazu komme ich gleich.

Im Gesundheitsausschuss besteht zwischen CDU/
CSU, SPD, Grünen – das gilt weitgehend auch für die
FDP – ein breiter Konsens darüber, dass sich die Praxis-
gebühr seit ihrer Einführung vor zwei Jahren durchaus
bewährt hat. Sie hat nicht nur eine finanzielle Entlastung
der Kassen um jährlich rund 2 Milliarden Euro erbracht,
sondern auch die beabsichtigte Steuerungswirkung ent-
faltet. Die Versicherten suchen vermehrt den Hausarzt
als zentrale Anlaufstelle auf und die Zahl der Arztkon-
takte wurde zugunsten einer zeitintensiveren und quali-
tativ besseren ärztlichen Beratung verringert. Die Praxis-
gebühr führte offensichtlich dazu, dass die Versicherten
die ärztlichen Leistungen bewusster in Anspruch neh-
men. Studien des Wissenschaftlichen Instituts der AOK
belegen dies eindeutig. Die Eigenverantwortung der Ver-
sicherten wurde gestärkt. Durch die Härtefallregelung ist
gleichzeitig sichergestellt, dass in Deutschland niemand
wegen der Praxisgebühr auf qualifizierte medizinische
Hilfe verzichten muss.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Realität ist: In Deutschland muss niemand auf den
Arztbesuch verzichten, weil er die Praxisgebühr nicht
aufbringen kann.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Sehr richtig!)


Vorsorgeuntersuchungen sind ebenso wie die Unter-
suchung und Behandlung von Kindern von dieser Ge-
bühr gänzlich ausgenommen. Die Belastungsgrenze für
die Praxisgebühr und die Zuzahlungen liegt bei 2 Pro-
zent des jährlichen Bruttohaushaltseinkommens. Im Jahr
2004 waren 6 643 362 erwachsene Personen von der
Praxisgebühr und den Zuzahlungen, die über die gesetz-
lich festgelegte Belastungsgrenze hinausgehen, befreit.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Rolf Koschorrek
Darunter waren zu 90 Prozent chronisch Kranke, für die
die Belastungsgrenze von 1 Prozent ihres Haushaltsein-
kommens gilt. Hinzu kommen über 12 Millionen Kin-
der, die von den Gebühren und Zuzahlungen gänzlich
befreit sind.

Wir können zweieinhalb Jahre nach Einführung der
Gebühr sagen: Sie hat sich nicht nur als finanzielle Ent-
lastung der Kassen bewährt, sondern sie hat sich auch als
sinnvolles Instrument zur Stärkung der Eigenverantwor-
tung der Versicherten erwiesen.

Nach meiner Überzeugung wird die Eigenverant-
wortung im Gesundheitsbereich künftig, im Vergleich
zu den vergangenen Jahren, eine zunehmend wichtige
Rolle spielen. So ist es auch im Koalitionsvertrag unter
der Überschrift „Soziale Sicherheit verlässlich und ge-
recht gestalten“ vereinbart. Dort heißt es:

Eigenverantwortung und Eigeninitiative müssen
gestärkt werden und Solidarität ist nicht nur inner-
halb der einzelnen Generationen, sondern auch zwi-
schen den Generationen gefordert.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Vielfach wird suggeriert, Eigenverantwortung und
Solidarität seien Gegensätze. Darum möchte ich hier
ganz deutlich bewusst machen: Eigenverantwortung und
Solidarität stehen nicht im Gegensatz zueinander. Viel-
mehr müssen sie sich im gesellschaftlichen Leben ergän-
zen. Eigenverantwortung und Solidarität, ebenso wie
Freiheit, sind gleichwertige Grundsätze unserer Gesell-
schaft.

Deswegen können die Fragen, die sich stellen, nur
lauten: Wie weit geht die Eigenverantwortung des Ein-
zelnen? Wann kommen die Verpflichtung zur Solidari-
tät und das Anrecht des Einzelnen auf Solidarität zum
Tragen? Eine der fundamentalen Grundüberzeugungen
der Politik der Union lautet: Die individuelle Verantwor-
tung hat Vorrang gegenüber dem staatlichen Handeln.
Der Einzelne trägt nach seinen jeweiligen Fähigkeiten
und Möglichkeiten, nach seiner individuellen Leistungs-
fähigkeit Verantwortung für sich und für die Gesell-
schaft.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: So ist es!)


Er ist zunächst für sich selbst verantwortlich. Darüber
hinaus hat er einen Anspruch auf Solidarität und ist zu-
gleich – so weit es in seinen Kräften steht – zur Solidari-
tät mit anderen verpflichtet.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dieses Grundprinzip hat ganz wesentlich mit dem C
in unserem Parteinamen zu tun. Unsere Basis ist das
christliche Menschenbild und die Überzeugung, dass
das staatliche Zusammenleben nach dem Subsidiaritäts-
prinzip zu organisieren ist. Das werden wir uns auch von
Ihnen, Frau Künast, mit Sicherheit nicht absprechen las-
sen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Ehrlichkeit gebietet es, zu sagen, dass das Ge-
sundheitswesen durch unsere Bevölkerungsentwicklung
und den Fortschritt in allen Bereichen der Medizin in
Zukunft trotz aller Sparbemühungen nicht auf dem heu-
tigen Ausgabenniveau zu halten sein wird. Es wird teu-
rer werden. Die Bundeskanzlerin sagte dies auch in der
vergangenen Woche in der Haushaltsdebatte, dass wir
zur Finanzierung des Systems die solidarische Grund-
lage verbreitern müssen. Zugleich müssen wir allerdings
auch nach Einsparmöglichkeiten suchen. Ob eine Sen-
kung der Kosten in großem Umfang wirklich möglich
sein wird, möchte ich jetzt dahingestellt sein lassen. Ich
bin aber überzeugt, dass eine Begrenzung der künftigen
Kosten, zum Beispiel durch eine obligatorische Selbst-
beteiligung der Versicherten, durch Rückerstattungen,
durch mehr Transparenz und durch Kostenerstattungen
im System nicht nur möglich, sondern durchaus anzu-
streben ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Versicherten sind mündige und verantwortungs-
bewusste Bürger. Es muss ihnen die Möglichkeit gege-
ben werden, sich als solche zu verhalten. Es besteht in
meinen Augen kein Anlass, sie zum Beispiel in Un-
kenntnis darüber zu lassen, wie hoch die Kosten für die
medizinische Versorgung, die sie in Anspruch nehmen,
sind. Wir müssen die Versicherten zu einem bewussten
und verantwortungsvollen Umgang mit ihrer Gesund-
heit, zu einem gesundheitsbewussten Leben, zur Prophy-
laxe und zu einem bewussten Umgang mit der Inan-
spruchnahme medizinischer Leistungen motivieren.

Wenige Tage vor Bekanntgabe des neuen Konzepts
der Bundesregierung für die Reform unseres Gesund-
heitssystems hat die Fraktion von Bündnis 90/Die Grü-
nen wieder den alten Hut der Bürgerversicherung her-
vorgeholt, die sie – ich muss mich leider wiederholen –
in den sieben Jahren, in denen sie selbst Verantwortung
trug, nicht realisiert hat.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Ein Glück!)


Warum haben Sie das damals nicht getan? Sie hatten es
in der Hand. Was soll dieses Verhalten jetzt? Sie hängen
offensichtlich immer noch Ihrem alten Modell von ges-
tern und vorgestern nach.


(Elke Ferner [SPD]: Aber die Kopfpauschale ist moderner oder wie?)


Zugleich treten Sie hier als voreilige Bedenkenträger
gegen das neue Konzept der großen Koalition auf, über
dessen Details erst in den nächsten Tagen entschieden
wird. Einer Ihrer Hauptkritikpunkte ist, dass die Einrich-
tung eines Gesundheitsfonds, wie er seit einigen
Wochen öffentlich im Gespräch ist, mit hohem Verwal-
tungsaufwand verbunden wäre. Es ist doch eine Binsen-
weisheit, dass alles Neue zunächst einmal mit organisa-
torischem Aufwand, mit Arbeit und Unbequemlichkeit
verbunden ist.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Eingeständnis!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Rolf Koschorrek
Das darf doch aber kein Grund dafür sein, sinnvolles
Neues abzulehnen und alles beim Alten zu lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Sehr richtig!)


Die große Koalition hat den Auftrag und die Ver-
pflichtung, das Gesundheitssystem gründlich zu refor-
mieren und zukunftsfähig zu gestalten. Wir nehmen die-
sen Auftrag ernst und sind bereit, uns von alten Zöpfen
zu trennen und etwas Neues in Angriff zu nehmen. Wir
schauen nach vorn und sind sicher, dass die Bürger zu-
sammen mit den Beschäftigten im Gesundheitswesen,
mit den Leistungserbringern und mit den Krankenkassen
flexibel genug sind, etwas Neues, Effektives auf den
Weg zu bringen und die Akzeptanz dafür zu wecken.

Kurz vor Toresschluss hat die FDP-Fraktion noch
schnell und offensichtlich sehr eilig einen Antrag formu-
liert, um ihn hier und heute auf die Tagesordnung setzen
zu lassen.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Jetzt doch Toresschluss? Ich dachte, wir fangen erst an! Das haben Sie gerade gesagt!)


Ihr Antrag beinhaltet eine plakative Aufzählung von
gängigen Schlagworten wie „Effizienz“, „Transparenz“
und „Nachhaltigkeit“. Aber die wichtigen Finanzie-
rungsfragen im Hinblick auf die Einnahmeseite der
GKV lässt die FDP völlig außen vor.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Überhaupt nicht!)


Dieser Antrag der FDP sieht schwer nach einer Verle-
genheitslösung aus. Er demonstriert eigentlich nur Ihren
Willen, auf plakative Weise eine Daseinsberechtigung
vorzutragen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das glauben Sie doch wohl selbst nicht, Herr Koschorrek!)


Die CDU/CSU lehnt die vorliegenden Anträge der
Opposition ab. Diese Anträge wenige Tage vor Bekannt-
gabe unseres Konzepts vorzulegen, ist allzu durchsich-
tig. Es liegt auf der Hand, dass die Oppositionsfraktio-
nen hier und heute schnell noch einmal Verunsicherung
streuen und vorab die Position der Koalitionsfraktionen
und der Bundesregierung austesten wollen.

Die Koalition ist sich über die Ziele der Gesundheits-
reform einig. Über den Weg, wie wir diese Ziele errei-
chen, verhandeln wir. Die Ergebnisse dieser Verhandlun-
gen werden wir in wenigen Tagen bekannt geben.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1604311200

Als letzter Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt

gebe ich das Wort der Kollegin Elke Ferner von der
SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)


Elke Ferner (SPD):
Rede ID: ID1604311300

Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Es

ist eigentlich wie immer: Je näher eine Entscheidung
rückt, umso größer werden die Spekulationen, nicht nur
in der Presse, sondern auch im Deutschen Bundestag.


(Zuruf von der FDP: Vor allem in der Koalition!)


Es liegen einige Anträge vor, in denen es unter ande-
rem um die Finanzsituation der GKVen geht. Ich muss
sagen – das ist manchmal schon etwas merkwürdig –:
Alle reden im Moment darüber, an welchen Stellen Aus-
gaben gekürzt werden müssen. Herr Bahr hat eben da-
rauf hingewiesen, dass die versprochenen Beitragssatz-
senkungen nicht durchgeführt worden sind. Das ist
richtig. Sie haben dabei aber verschwiegen, dass sich die
Einnahmebasis der gesetzlichen Krankenversicherung
anders entwickelt hat, als man es, als es damals um das
GMG ging, angenommen hatte.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Tja, das waren dann wohl zu optimistische Annahmen, Frau Ferner!)


Das, sehr geehrter Herr Kollege, hat natürlich auch et-
was mit der Entwicklung der sozialversicherungspflich-
tigen Beschäftigungsverhältnisse und mit den Tarifab-
schlüssen zu tun. All das muss man mitberücksichtigen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das war Ihre rot-grüne Arbeitsmarktpolitik!)


– Ich glaube nicht, dass das unsere Arbeitsmarktpolitik
war.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Oh doch! Deswegen wurde Rot-Grün ja auch abgewählt!)


Das hängt auch damit zusammen, dass die Wirtschaft die
Angebote, die ihr gemacht wurden, nicht genutzt hat.


(Lachen des Abg. Daniel Bahr [Münster] [FDP])


Trotz Steuersenkungen und trotz der Senkung der Lohn-
nebenkosten sind keine zusätzlichen Arbeitsplätze ge-
schaffen worden und keine zusätzlichen Beschäftigungs-
verhältnisse entstanden.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Ach was!)


Hinzu kommt, dass, während die Beitragsleistungen
aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung sin-
ken, die Einkünfte wie Mieten, Pachten, Zinsen, Divi-
denden und Unternehmensgewinne steigen. Diese
Einnahmen werden zur Mitfinanzierung des Gesund-
heitswesens gegenwärtig noch nicht herangezogen.
Wenn aber alle in dieser Republik Gesundheitsschutz ha-
ben sollen, wenn alle dann, wenn sie krank sind, die not-
wendige medizinische Behandlung erhalten sollen und
wenn alle am medizinischen Fortschritt teilhaben sollen,
dann darf man die Finanzierung dessen nicht auf immer
weniger und immer schmalere Schultern verteilen. Sie
wollen das offensichtlich tun.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU])







(A) (C)



(B) (D)


Elke Ferner
Wir wollen eine gerechte und solidarische Finanzie-
rung unseres Gesundheitswesens. Jeder soll an dieser
Finanzierung nach seiner individuellen Leistungsfähig-
keit beteiligt werden.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Aber dann ist es eine Steuer!)


Deshalb wollen wir als SPD den Einstieg in eine neue
Säule der Finanzierung. Wir wollen, dass das über eine
Steuer finanziert wird.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Aha! So ist das also!)


Da Frau Künast eben gesagt hat, Steuererhöhungen
seien konjunkturschädlich, muss ich eine Gegenfrage
stellen. Was ist konjunkturschädlicher: die Steuern zu er-
höhen und mit diesen Steuermehreinnahmen für alle die
Beitragssätze zu senken,


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das tun Sie aber nicht!)


oder die gegenwärtige Höhe der Steuern und Beitrags-
sätze beizubehalten, allerdings unter der Maßgabe, dass
das Beitragsaufkommen von sehr viel weniger Men-
schen erbracht werden muss? Ich glaube, die Lösung, die
Frau Künast eben vorgestellt hat, ist nicht gerecht und
nicht solidarisch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Nun komme ich zum zweiten Punkt, den ich anspre-
chen möchte. Da viel über das Fondsmodell diskutiert
wird, sage ich noch einmal: Für uns ist nicht entschei-
dend, was oben drauf steht, sondern was innen drin ist.
Hier gibt es zwischen uns und der Union noch Differen-
zen. Es wäre falsch, das zu leugnen. Frau Widmann-
Mauz hat sich eben für eine feste Prämie ausgesprochen.
Wir sind der Auffassung, man kann durchaus ein Finanz-
strommodell innerhalb eines solchen Fonds entwickeln,
ohne dass man am Ende eine feste Prämie braucht. Da
gibt es noch Diskussionspunkte; das braucht man nicht
unter den Tisch zu kehren.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Wozu braucht man denn dann den Fonds?)


– Wofür wir den Fonds brauchen? Wenn Sie ein bisschen
nachdenken, dann kommen Sie darauf, lieber Herr
Kollege: Wir haben heute zwischen den gesetzlichen
Krankenversicherungen einen Ausgleich von lediglich
92 Prozent. Über einen solchen Fonds könnte man einen
Ausgleich zu 100 Prozent und einen risikoadjustierten,
krankheitsbedingten RSA einführen.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Na toll: noch mehr Umverteilung!)


– Stellen Sie mir doch eine Zwischenfrage, statt so her-
umzuschreien.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Nein, lieber nicht!)


– Gut, dann halten Sie sich etwas zurück mit Ihren Zwi-
schenrufen.
Ich möchte noch ein Wort zur privaten Krankenver-
sicherung sagen, weil da in den letzten Wochen einiges
an Fehl- und Desinformationen aufgetaucht ist. Wir ha-
ben gehört, das PKV-System stütze das GKV-System fi-
nanziell und deshalb sei eine Einbeziehung der PKV in
ein solches Fondsmodell nicht möglich; überdies dürfe
ein Steuerzuschuss nicht ausschließlich der GKV zuflie-
ßen, auch die PKV müsse davon etwas haben.

Diese Behauptungen sind schlicht und ergreifend
falsch. Denn zunächst einmal ist es doch so: Die private
Krankenversicherung versichert die Einkommensstärke-
ren. Wenn man sich einmal anschaut, wie die Durch-
schnittseinkommen der PKV-Versicherten und die der
GKV-Versicherten aussehen, muss man feststellen, dass
erstere im Verhältnis über 63 Prozent höher liegen. Dann
versichert die PKV auch noch die Gesünderen – die Risi-
koselektion ist ja eben schon angesprochen worden –
und in der PKV sind wesentlich weniger Ältere versi-
chert, wodurch die PKV weniger Belastungen zu tragen
hat, was ihre Ausgabenstruktur anbelangt. Hinzu
kommt: Ohne die gesetzliche Krankenversicherung gäbe
es in vielen Regionen dieser Republik für die privat Ver-
sicherten keinen Arzt, keine Ärztin, kein Krankenhaus,
wo sie sich behandeln lassen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben eben über Steuern und Selbstverantwor-
tung gesprochen und darüber, was die PKV-Versicherten
alles selber bezahlen würden. Ich habe mir die Zahlen
herausgesucht – manchmal genügt ja einfach ein Blick
auf die Zahlen –: Nach eigenen Angaben geben die pri-
vaten Krankenversicherungen für Leistungen für ihre
Versicherten 16,5 Milliarden Euro aus. Wenn man sich
einmal anschaut, was die öffentliche Hand für Beihilfe
ausgibt, stellt man fest, dass das im letzten Jahr
8,5 Milliarden Euro gewesen sind. Und woher kommt
die Beihilfe? Sie wird aus Steuern finanziert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn man das einmal ins Verhältnis setzt, dann heißt
das, dass zu dem, was die PKVs für Gesundheitsleistun-
gen ausgeben, über die Hälfte aus Steuern zugeschossen
wird. Deshalb kann ich die Frage, welches System hier
welches stützt, nur so beantworten: Die gesetzlich Ver-
sicherten stützen das Gesundheitssystem insgesamt, von
dem die PKV-Versicherten profitieren, und die Steuer-
zahler stützen das PKV-System zusätzlich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb sind wir der Auffassung, dass bei einer neuen
Finanzierung das PKV-System einen Solidarbeitrag für
das gesamte Gesundheitssystem leisten muss.

Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen. Es wer-
den ja immer gerne große Einsparvorschläge gemacht –
von denen, die sich auskennen, eher aber noch von de-
nen, die sich nicht so gut auskennen. Wir haben – das hat
Frau Widmann-Mauz eben schon angesprochen – in den
letzten Jahren Erhebliches geleistet: Im Saldo sind die






(A) (C)



(B) (D)


Elke Ferner
Kassen schuldenfrei. Vieles mussten die Versicherten
bzw. die Patienten alleine tragen. Insgesamt sind beim
GMG und bei anderen Maßnahmen 13,2 Milliarden
Euro mobilisiert worden. Wer sagt, das Einsparvolumen
aus Strukturveränderungen – die bekanntermaßen immer
erst nach einer gewissen Zeit greifen – sei immer noch
zu klein, verkennt, dass wir nicht bei null anfangen. Es
ist, wie gesagt, schon einiges getan worden in den letzten
Jahren; sonst wäre das alles viel weiter aus dem Ruder
gelaufen.

Wenn ich jetzt höre, private Unfälle sollten aus dem
Leistungskatalog ausgegliedert werden – das habe ich
diese Woche von Herrn Ramsauer gelesen; ich habe ge-
lesen, die Unionsministerpräsidenten wollten das –,
muss ich sagen: Das ist wirklich grober Unfug!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Man muss sich das einmal praktisch vorstellen: Be-
kommt man einen Herzinfarkt im Bett, zahlt die Kran-
kenkasse. Bekommt man einen Herzinfarkt nach einem
Unfall, dann soll die Unfallversicherung bezahlen. Erlei-
det man einen Unfall, weil man einen Herzinfarkt hat,
dann werden Heerscharen von Rechtsanwälten beauf-
tragt. Wer so etwas vorschlägt, der versucht nicht, Kos-
ten zu sparen, sondern lediglich zu verschieben. Insofern
kann ich die Union nur bitten, von diesem Vorschlag ab-
zurücken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ein Letztes zum Antrag der Linken. Sie wollen die
Praxisgebühr abschaffen. Was heißt das denn? Diejeni-
gen, die heute ein niedriges Einkommen haben und die
Belastungsobergrenze sehr schnell erreichen – die be-
rühmten Empfänger von ALG II –, werden davon über-
haupt nicht profitieren; es dauert lediglich etwas länger,
bis die Belastungsobergrenze erreicht wird. Profitieren
würden aber diejenigen, die die Belastungsobergrenze
nicht erreichen, was bekanntermaßen nicht diejenigen
sind, die wenig verdienen, sondern diejenigen, die eher
viel verdienen. So viel zu Ihrem Thema Gerechtigkeit.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1604311400

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Gesundheit auf Drucksache 16/2002 zu
dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
mit dem Titel „Dem Solidarsystem eine stabile Grund-
lage geben – für eine nachhaltige Finanzierungsreform
der Krankenversicherung“. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 16/950 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der Fraktion der FDP gegen die Stimmen des Bündnis-
ses 90/Die Grünen und bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.

Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion
Die Linke zur Änderung des Fünften Buches Sozialge-
setzbuch auf Drucksache 16/451. Der Ausschuss für Ge-
sundheit empfiehlt auf Drucksache 16/1753, den Gesetz-
entwurf abzulehnen. Die Fraktion Die Linke verlangt
namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzu-
nehmen. – Sind jetzt alle Urnen mit Schriftführerinnen
und Schriftführern besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne
die Abstimmung.

Ist noch ein Abgeordneter anwesend, der seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Ich schließe die Abstim-
mung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen. Das
Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt ge-
geben.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/1928 und 16/1997 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Es gibt keinen Wider-
spruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen jetzt zu Überweisungen im verein-
fachten Verfahren.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 37 b bis 37 g sowie
die Zusatzpunkte 3 a bis 3 h auf:

37 b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Betriebsrentengesetzes

– Drucksache 16/1936 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur
Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes
sowie zur Änderung des Finanzdienstleis-
tungsaufsichtsgesetzes und anderer Vorschrif-
ten

– Drucksache 16/1937 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes zur Verbesserung der
personellen Struktur beim Bundeseisenbahn-
vermögen und in den Unternehmen der Deut-
schen Bundespost

– Drucksache 16/1938 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver-
trag vom 13. April 2005 zwischen der Bundes-
republik Deutschland und dem Königreich der
Niederlande über den Zusammenschluss der
deutschen Bundesstraße B 56n und der nieder-
ländischen Regionalstraße N 297n an der ge-
meinsamen Staatsgrenze durch Errichtung ei-
ner Grenzbrücke

– Drucksache 16/1939 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des vorläufigen Tabakgesetzes

– Drucksache 16/1940 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jel-
pke, Sevim Dagdelen, Dr. Hakki Keskin, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN

Die Welt zu Gast bei Freunden – Für eine offe-
nere Migrations- und Flüchtlingspolitik in
Deutschland und in der Europäischen Union

– Drucksache 16/1199 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 3a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marie-
luise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Birgitt
Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Menschenrechte in Usbekistan einfordern

– Drucksache 16/1975 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ute
Koczy, Thilo Hoppe, Dr. Uschi Eid, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN

Eine Weltbank-Energiepolitik der Zukunft –
Ja zu mehr Effizienz und erneuerbaren Ener-
gien, Nein zur Atomkraft

– Drucksache 16/1978 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Christian Ströbele, Volker Beck (Köln), Monika
Lazar und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN

Befragung von Gefolterten und Nutzung von
Foltererkenntnissen ausschließen

– Drucksache 16/836 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo
Hoppe, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Indigene Völker – Ratifizierung des Überein-
kommens der Internationalen Arbeitsorgani-
sation (IAO) Nr. 169 über Indigene und in
Stämmen lebende Völker in unabhängigen
Staaten

– Drucksache 16/1971 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Burk-
hardt Müller-Sönksen, Florian Toncar, Dr. Karl
Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP

7. Bericht der Bundesregierung über ihre
Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Be-
ziehungen und in anderen Politikbereichen

– Drucksache 16/1999 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Florian
Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. Werner
Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP

Für die weltweite Sicherstellung der Religions-
freiheit

– Drucksache 16/1998 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike
Hänsel, Ulla Lötzer, Hans-Kurt Hill, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der LINKEN

Keine Weltbankkredite für Atomtechnologie

– Drucksache 16/1961 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hü-
seyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, Dr. Diether
Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der LINKEN

Agrarbeihilfeempfänger offen legen

– Drucksache 16/1962 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 38 a bis 38 i, 38 k
und 38 m bis 38 u sowie die Zusatzpunkte 4 a bis 4 k
auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorla-
gen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 38 a:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
8. Juni 2005 zwischen der Regierung der Bun-
desrepublik Deutschland und dem Schweizeri-
schen Bundesrat, handelnd im Namen des
Kantons Schaffhausen, über die Erhaltung
einer Straßenbrücke über die Wutach zwi-
schen Stühlingen (Baden-Württemberg) und
Oberwiesen (Schaffhausen)


– Drucksache 16/1611 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

(15. Ausschuss)


– Drucksache 16/1964 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dorothee Menzner

Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung empfiehlt auf Drucksache 16/1964, den Gesetzent-
wurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, sich von ihrem Platz zu
erheben. – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 38 b:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
8. Juni 2005 zwischen der Regierung der Bun-
desrepublik Deutschland und dem Schweizeri-
schen Bundesrat, handelnd im Namen des
Kantons Aargau, über Bau und Erhaltung ei-

(Baden-Württemberg)


– Drucksache 16/1612 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

(15. Ausschuss)


– Drucksache 16/1965 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Winfried Hermann

Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung empfiehlt auf Drucksache 16/1965, den Gesetzent-
wurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem zustim-
men wollen, sich von ihrem Platz zu erheben. –
Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Auch dieser
Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 38 c:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
28. Juni 2004 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Republik Singapur zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem
Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom
Vermögen
– Drucksache 16/1619 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 16/1974 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Georg Fahrenschon

Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 16/1974,
den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem zustimmen wollen, sich von ihrem Platz zu erheben. –
Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Auch dieser
Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 38 d:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes über die Bereinigung von Bundes-
recht im Zuständigkeitsbereich des Bundesmi-
nisteriums des Innern
– Drucksache 16/1620 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


– Drucksache 16/1979 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Werner Kammer
Maik Reichel
Gisela Piltz
Ulla Jelpke
Silke Stokar von Neuforn

Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/1979, den Gesetzent-
wurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen aller






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Fraktionen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ange-
nommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit gleichem Stimmenverhältnis in dritter Beratung
angenommen.

Tagesordnungspunkt 38 e:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften
Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsge-
setzes

– Drucksachen 16/1107, 16/1173 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/2019 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Günter Krings
Dirk Manzewski
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag

Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/2019, den Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 38 f:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Un-
terrichtung durch die Bundesregierung

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates über Luftqualität
und saubere Luft für Europa

KOM (2005) 447 endg.; Ratsdok. 14335/05

– Drucksachen 16/288 Nr. 2.20, 16/1814 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Jung (Konstanz)

Detlef Müller (Chemnitz)

Angelika Brunkhorst
Lutz Heilmann
Sylvia Kotting-Uhl

Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich-
tung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der Frak-
tion Die Linke und Enthaltung der FDP-Fraktion ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 38 g:

Beratung der Zweiten Beschlussempfehlung des
Wahlprüfungsausschusses

zu 62 gegen die Gültigkeit der Wahl zum
16. Deutschen Bundestag eingegangenen Wahl-
einsprüchen

– Drucksache 16/1800 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Thomas Strobl (Heilbronn)

Klaus Uwe Benneter
Jörg van Essen
Dr. Carl-Christian Dressel
Dr. Wolfgang Götzer
Bernhard Kaster
Ulrich Maurer
Petra Merkel (Berlin)

Silke Stokar von Neuforn

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 38 h:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Undine Kurth

(Quedlinburg), Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, wei-

terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN

EU-Kommission muss nationale Tierschutz-
bemühungen respektieren

– Drucksachen 16/549, 16/2008 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Jahr
Dr. Wilhelm Priesmeier
Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Undine Kurth (Quedlinburg)


Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 16/549 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstim-
men der Oppositionsfraktionen.

Tagesordnungspunkt 38 i:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan,
Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der FDP

BSE-Testpflichtaltersgrenze anheben

– Drucksachen 16/1170, 16/2001 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Hans-Heinrich Jordan
Dr. Wilhelm Priesmeier
Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Bärbel Höhn

Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 16/1170 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ach! Das ist ja bemerkenswert! Für BSE seid ihr jetzt auch! – Lachen bei der SPD!)


Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der FDP-
Fraktion und der Fraktion Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 38 k:

Beratung der Beschlussempfehlung des Rechts-
ausschusses (6. Ausschuss)


Übersicht 3

über die dem Deutschen Bundestag zugeleite-
ten Streitsachen vor dem Bundesverfassungs-
gericht

– Drucksache 16/1956 –

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist einstimmig angenommen.

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 38 m:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 61 zu Petitionen

– Drucksache 16/1911 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 61 ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 38 n:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 62 zu Petitionen

– Drucksache 16/1912 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 62 ist einstimmig angenom-
men.
Tagesordnungspunkt 38 o:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 63 zu Petitionen

– Drucksache 16/1913 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 63 ist mit den Stimmen der Ko-
alitionsfraktionen und den Stimmen der FDP-Fraktion
bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthal-
tung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 38 p:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 64 zu Petitionen

– Drucksache 16/1914 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 64 ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 38 q:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 65 zu Petitionen

– Drucksache 16/1915 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 65 ist mit den Stimmen al-
ler Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 38 r:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 66 zu Petitionen

– Drucksache 16/1916 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 66 ist mit den Stimmen aller
Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke
angenommen.

Tagesordnungspunkt 38 s:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 67 zu Petitionen

– Drucksache 16/1917 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 67 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der Fraktion der FDP bei Ge-
genstimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Tagesordnungspunkt 38 t:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 68 zu Petitionen

– Drucksache 16/1918 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 68 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen bei Gegenstimmen der FDP und der Frak-
tion Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 38 u:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 69 zu Petitionen

– Drucksache 16/1919 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 69 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Opposi-
tionsfraktionen angenommen.

Zusatzpunkt 4 a:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN

Ökologischen Landbau in Deutschland und
Europa weiterentwickeln

– Drucksache 16/1972 –

Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist einstimmig an-
genommen.

Wir kommen zu weiteren Beschlussempfehlungen
des Petitionsausschusses.

Zusatzpunkt 4 b:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 70 zu Petitionen

– Drucksache 16/1980 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 70 ist einstimmig ange-
nommen.

Zusatzpunkt 4 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 71 zu Petitionen

– Drucksache 16/1981 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 71 ist ebenfalls einstimmig
angenommen.
Zusatzpunkt 4 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 72 zu Petitionen

– Drucksache 16/1982 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 72 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegen-
stimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.

Zusatzpunkt 4 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 73 zu Petitionen

– Drucksache 16/1983 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 73 ist einstimmig ange-
nommen.

Zusatzpunkt 4 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 74 zu Petitionen

– Drucksache 16/1984 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 74 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Opposi-
tionsfraktionen angenommen.

Zusatzpunkt 4 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 75 zu Petitionen

– Drucksache 16/1985 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 75 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegen-
stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.

Zusatzpunkt 4 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 76 zu Petitionen

– Drucksache 16/1986 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 76 ist mit den Stimmen al-
ler Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke
angenommen.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

Bodo Ramelow Clemens Binninger Eberhard Gienger
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dagdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Inge Höger-Neuling
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte
Katrin Kunert
Oskar Lafontaine

Paul Schäfer (Köln)

Volker Schneider


(Saarbrücken)

Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Dr. Harald Terpe

fraktionslos

Gert Winkelmeier

Nein

CDU/CSU

Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer (Lübeck)

Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach

Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr zu

Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Hüseyin-Kenan Aydin Elke Reinke Carl-Eduard von Bismarck Michael Glos
Zusatzpunkt 4 i:

Beratung der Beschlus
ausschusses

(2. Ausschuss)


Sammelübersicht 77

– Drucksache 16/1987

Wer stimmt dafür? – Wer s
hält sich? – Sammelübersicht
ler Fraktionen bei Enthaltung
ses 90/Die Grünen angenomm

Zusatzpunkt 4 j:

Beratung der Beschlus

(2. Aussc Sammelübersicht 78 – Drucksache 16/1988 Wer stimmt dafür? – Wer s hält sich? – Sammelübersicht Koalitionsfraktionen und der Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 571; davon ja: 53 nein: 518 Ja DIE LINKE sempfehlung des Petitions zu Petitionen – timmt dagegen? – Wer ent 77 ist mit den Stimmen al der Fraktion des Bündnisen. sempfehlung des Petitionshuss)


zu Petitionen



timmt dagegen? – Wer ent-
78 ist mit den Stimmen der
FDP-Fraktion bei Gegen-

Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothee Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Neskovic
Dr. Norman Paech
Petra Pau
stimmen der Fraktion Die
Fraktion des Bündnisses 90/D

Zusatzpunkt 4 k:

Beratung der Beschlus

(2. Aussc Sammelübersicht 79 – Drucksache 16/1989 Wer stimmt dafür? – Wer s hält sich? – Sammelübersicht Koalitionsfraktionen und de Enthaltung der FDP-Fraktio Bündnisses 90/Die Grünen an Ich darf Ihnen zwischend führerinnen und Schriftführe namentlichen Abstimmung Gesetzes zur Änderung des setzbuch“, der Fraktion Die L und 16/1753, bekannt geben: Mit Ja haben gestimmt 5 stimmt 518, keine Enthaltun abgelehnt. Peter Altmaier Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Linke und Enthaltung der ie Grünen angenommen. sempfehlung des Petitionshuss)


(Reutlingen)


zu Petitionen



timmt dagegen? – Wer ent-
79 ist mit den Stimmen der
r Fraktion Die Linke, bei
n und der Fraktion des
genommen.

urch das von den Schrift-
rn ermittelte Ergebnis der
über den „Entwurf eines
Fünften Buches Sozialge-
inke, Drucksachen 16/451

Abgegebene Stimmen 571.
3, mit Nein haben ge-

gen. Der Gesetzentwurf ist

Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung (Konstanz)

Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler (Wiesbaden)

Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich

Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer (Altötting)

Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer (Hamm)

Maria Michalk
Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Bernward Müller (Gera)

Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann (Bremen)

Henry Nitzsche
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht (Weiden)

Peter Rzepka
Anita Schäfer (Saalstadt)

Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Andreas Schmidt (Mülheim)

Ingo Schmitt (Berlin)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Horst Seehofer
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer (Neuss)

Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr (Neuruppin)

Dr. Hans- Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding (Heidelberg)

Volker Blumentritt
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Gerd Höfer
Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Brunhilde Irber
Johannes Jung (Karlsruhe)

Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel (Berlin)

Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller (Chemnitz)

Michael Müller (Düsseldorf)

Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)


Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk

Peter Hettlich
Priska Hinz (Herborn)

Ulrike Höfken
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Otto Schily
Silvia Schmidt (Eisleben)

Renate Schmidt (Nürnberg)

Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt (Landau)

Carsten Schneider (Erfurt)

Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz


(Everswinkel)

Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel

Jetzt rufe ich die Tageso
auf:

a) – Zweite und dritte Bera
gierung eingebrachten
zur Umsetzung euro
Verwirklichung des
behandlung

– Drucksachen 16/178

– Zweite und dritte Bera
neten Irmingard Sch

(Köln) und der Frakti

DIE GRÜNEN eing
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wollf


(Wolmirstedt)

Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

FDP

Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr (Münster)

Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach

rdnungspunkte 5 a und 5 b

tung des von der Bundesre-
Entwurfs eines Gesetzes
päischer Richtlinien zur
Grundsatzes der Gleich-

0, 16/1852 –

tung des von den Abgeord-
ewe-Gerigk, Volker Beck
on des BÜNDNISSES 90/
ebrachten Entwurfs eines
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Markus Löning
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Martin Zeil

Gesetzes zur Umsetz
kriminierungsrichtli

– Drucksache 16/297

aa) Beschlussempfehl
Rechtsausschusse

– Drucksache 16/2

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. J
Christine Lambre
Mechthild Dyckm
Sevim Dagdelen
Jerzy Montag
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Renate Künast
Undine Kurth (Quedlinburg)

Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Brigitte Pothmer
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf (Frankfurt)


ung europäischer Antidis-
nien



ung und Bericht des
s (6. Ausschuss)


022 –

ürgen Gehb
cht
ans
Ortwin Runde (Wiesloch) Harald Leibrecht Dr. Anton Hofreiter
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche (Cottbus)

Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel Riemann-

Hanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
Rene Röspel

Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h.c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Heinz-Peter Haustein
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin

BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Kerstin Andreae
Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Matthias Berninger
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Ursula Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Winfried Hermann






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

(8. Ausschuss)


– Drucksache 16/2024 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Lothar Binding (Heidelberg)

Dr. Ole Schröder
Dr. Claudia Winterstein
Roland Claus
Anna Lührmann

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Sei-
fert, Karin Binder, Sevim Dagdelen, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN

EU-Antidiskriminierungsrichtlinien durch
einheitliches Antidiskriminierungsgesetz
wirksam und umfassend umsetzen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard
Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln), Markus
Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Keine Ausgrenzung beim Antidiskriminie-
rungsgesetz

– zu dem Antrag der Abgeordneten Mechthild
Dyckmans, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP

Bürokratie schützt nicht vor Diskriminie-
rung – Allgemeines Gleichbehandlungsge-
setz ist der falsche Weg

– Drucksachen 16/370, 16/957, 16/1861, 16/2022 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Gehb
Christine Lambrecht
Mechthild Dyckmans
Sevim Dagdelen
Jerzy Montag

Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt je ein
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Über den
Gesetzentwurf der Bundesregierung werden wir später
namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Bundesministerin Brigitte Zypries das Wort.


Brigitte Zypries (SPD):
Rede ID: ID1604311500

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und

Kollegen! Ich bin froh, dass wir dieses Projekt heute
zum Abschluss bringen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Alle die, die am Gesetzgebungsverfahren beteiligt wa-
ren, haben erkannt, dass es eine besondere Eilbedürftig-
keit gibt. Wenn wir diesen Gesetzentwurf heute verab-
schieden, dann besteht die begründete Hoffnung, dass er
noch vor der Sommerpause im Bundesrat beraten wird.
Mit anderen Worten: Der europarechtliche Umsetzungs-
druck, unter dem wir gestanden haben, wird sich auflö-
sen. Dafür möchte ich denjenigen, die sich an den Ver-
handlungen mit Nachdruck beteiligt und dafür gesorgt
haben, dass wir in der Koalition eine Einigung finden
konnten, danken. Ich gebe zu: Es war schwierig, mit
dem Druck, der sich hinsichtlich der Umsetzung aufge-
baut hatte, umzugehen. Es war insbesondere schwierig,
so etwas wie eine rationale Debatte zu führen.

Viele Kritiker haben unseren Gesetzentwurf leider of-
fenbar nicht richtig zur Kenntnis genommen. Ich muss
gestehen, dass mich die ideologische Schärfe, mit der die
Debatte um diesen Gesetzentwurf geführt wurde, schon
oft verblüfft hat.


(Beifall bei der SPD)


Es ist schade, dass es mit vielen Vertretern von NGOs,
von Verbänden und Vereinen in unserem Lande offen-
sichtlich keine politische Streitkultur in dem Sinne gibt,
dass man anerkennt – auch nachdem ein Thema wie die-
ses Gegenstand von Wahlkämpfen war –, dass man aus
Rechtsgründen handeln muss. Diese Erkenntnis hat sich
mittlerweile langsam, aber sicher durchgesetzt. Anschei-
nend konnte man diesen Gesetzentwurf nicht früher zur
Kenntnis nehmen und sagen: Hier muss jetzt gehandelt
werden; das, was darin steht, ist so schlimm nicht. Der
Kollege Bosbach hat gesagt – seine Worte sind mir noch
im Ohr –: Jedem Zweiten, der mich anrief und sich be-
schwert hat, konnte ich sagen: Schau doch einmal ins
Gesetz; dann wirst du sehen, dass da etwas ganz anderes
steht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es ist in der Tat schwierig gewesen, hier zu einem
Konsens zu kommen. Die Änderungen, die wir jetzt
noch vorgenommen haben, sind im Großen und Ganzen
auf ebendiese Tatsache zurückzuführen. Sie lassen den
Gesetzentwurf im Kern unberührt, führen jedoch an vie-
len Stellen zu durchaus erwünschten Klarstellungen.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ob das klarer ist, ist die Frage!)


Lassen Sie mich die wichtigen Punkte nennen:

Entgegen manchen Berichten wird das Klagerecht
des Betriebsrats und der im Betrieb vertretenen Gewerk-
schaften keineswegs gestrichen. Wir stellen ausdrücklich
klar, was sich aus dem Verweis auf das Betriebsverfas-
sungsgesetz im Wesentlichen ohnehin schon ergab, dass
dieses Klagerecht nur bei Betrieben mit mindestens fünf
Beschäftigten und auch nur bei groben Verstößen des
Arbeitgebers greift. Das ist auch im Betriebsverfas-
sungsgesetz so der Fall.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)


Wir stellen außerdem ausdrücklich klar, dass weder Be-
triebsrat noch Gewerkschaften Ansprüche eines Benach-
teiligten im Wege der Prozessstandschaft geltend ma-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Brigitte Zypries
chen können. Diese Einschränkung ist sinnvoll und
richtig, aber sie war bei vernünftiger Auslegung der Be-
stimmung auch schon im Entwurf enthalten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es wird darüber hinaus klargestellt, dass bei privaten
Vermietungen von Wohnraum die freie Mieterauswahl
durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz grund-
sätzlich nur insoweit eingeschränkt werden wird, wie
dies die Richtlinien verlangen. Auch das war nach dem
Regierungsentwurf so; denn im Regierungsentwurf war
immer nur von Massengeschäften die Rede. Massenge-
schäfte – das habe ich schon bei der ersten Lesung hier
erklärt – sind Geschäfte, bei denen jemand eine Vielzahl
von Angeboten an eine unbestimmte Vielzahl von Men-
schen macht und gerade kein Interesse daran hat, mit
wem er den Vertrag abschließt – Hauptsache, die Person
zahlt. Das alles haben wir schon durchdekliniert. Wenn
man das zugrunde legt, muss man sagen: Vermietungen
sind in dem Moment, wo man ein Interesse daran hat,
wer der Mieter ist, ohnehin keine Massengeschäfte.

Jetzt haben wir für die übrigen Merkmale, also Ge-
schlecht, Religion, Behinderung, Alter und sexuelle
Identität, klargestellt: Eine dauerhafte Vermietung einer
Wohnung ist in der Regel kein Massengeschäft, wenn
der Vermieter nicht mehr als 50 Wohnungen in seinem
Bestand hat.


(Lachen des Abg. Martin Zeil [FDP])


Ob diese Klarstellung wirklich so nötig gewesen wäre,
sei dahingestellt.

Ein anderer Punkt, der für Unruhe sorgt, ist die Ände-
rung des § 2 Abs. 4 in Art. 1. Im Entwurf der Bundes-
regierung heißt es da:

Für Kündigungen gelten vorrangig die Bestimmun-
gen des Kündigungsschutzgesetzes.

Nun soll es heißen:

Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestim-
mungen zum allgemeinen und besonderen Kündi-
gungsschutz.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bezeichnend! Das Recht der EURichtlinien verlangt etwas anderes!)


– Genau. Jetzt wissen alle ausgebildeten Juristen wie der
Kollege Beck zum Beispiel,


(Fritz Rudolf Körper [SPD]: Ist er doch gar nicht! – Gegenruf des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er weiß es trotzdem!)


dass das Diskriminierungsverbot des europäischen
Rechts natürlich sowieso gilt, also auch hier. Selbstver-
ständlich gelten das Kündigungsschutzgesetz sowie die
besonderen Kündigungsschutzregeln des Mutterschut-
zes, des Arbeitsplatzschutzgesetzes, des Neunten Buches
Sozialgesetzbuch, des Bundespersonalvertretungsgeset-
zes oder des Bundesdatenschutzgesetzes. Selbstver-
ständlich gelten sie alle. Selbstverständlich sind sie, wie
auch ansonsten in der Rechtsanwendung, europarechts-
konform auszulegen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es geht hier also nicht darum, dass wir irgendwelche
Garantien abschaffen wollen, sondern es geht in jedem
Fall um die Frage: Was können wir möglichst klar ausle-
gen mit dem Ziel, diese ideologisch überwölbte Debatte
– darauf muss ich jetzt leider noch einmal eingehen – auf
den Boden der Tatsachen zu holen? Dem dienen die Än-
derungen, die noch ausgehandelt worden sind.

Das gilt auch für die Neuregelung, die wir noch aus-
führlich erläutern werden, nämlich die Regelung zur
Beweislast. Wir von der Bundesregierung hatten gesagt:
Es ist sinnvoll, an einen bestehenden Gesetzestext, näm-
lich § 611 a BGB, anzuknüpfen; dazu gibt es jahrzehnte-
lange Rechtsprechung. Jetzt haben wir einen neuen Be-
griff eingeführt, den der Indizien. Wir werden durch
Erläuterungen klar machen, dass es im Grunde um das-
selbe geht. Ich bin mir sicher, dass die Rechtsprechung
in der Lage sein wird, diese Auslegung auch hinzube-
kommen.

Ich will am Ende vor lauter Details nicht das Grund-
anliegen des Gesetzes außer Acht lassen. Wir haben in
Deutschland eine freiheitliche und tolerante Gesell-
schaft. Wann, wenn nicht jetzt, wäre das besonders zu
spüren? Wir haben eine Gesellschaft, in der möglichst
jeder nach seiner Fasson selig werden sollte. Aber – das
habe ich auch schon bei der ersten Lesung hier gesagt –
es gibt noch Diskriminierung in Deutschland. Insofern
ist es richtig, wenn wir uns darauf verständigen, dass der
Staat Toleranz zwar nicht verordnen, aber sehr wohl
durch seine Rechtsordnung deutlich machen kann, dass
er Intoleranz missbilligt und für die Betroffenen Mög-
lichkeiten schafft, sich dagegen zu wehren. Das tun wir
mit dem Gesetzentwurf; das tun wir effektiv und unbüro-
kratisch. Zur unbürokratischen Umsetzung dient auch
die Vorschrift, mit der über die Richtlinie hinausgegan-
gen wird, um das auch ganz klar zu sagen, und mit der
nur eine Anlaufstelle vorgesehen wird, von der aus die
Beschwerden dann verteilt werden. Sie sehen, es kann
durchaus auch sachgerechte Regelungen geben, die über
eine Eins-zu-eins-Umsetzung hinausgehen.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1604311600

Das Wort hat der Kollege Dr. Guido Westerwelle,

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1604311700

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Wir Freien Demokraten werden diesen Gesetz-
entwurf ablehnen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Widerspruch bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Guido Westerwelle
Wir sind der Überzeugung: Dieses von Ihnen umgetaufte
Gesetz wird den Minderheiten nicht helfen, sondern
schadet ihnen. Es wird mehr Bürokratie bringen und da-
mit Arbeitsplätze kosten. Es ist auch ein glatter Wort-
bruch zu dem, was Sie vor der Wahl Ihren Wählern ver-
sprochen haben.


(Beifall bei der FDP)


Wir werden deutlich machen, dass das Gesetz weit
über das hinausgeht, was uns seitens des EU-Rechts in
der Tat umzusetzen aufgegeben war. Deswegen war die
gemeinsame Haltung übrigens nicht nur von Union und
FDP, sondern auch von führenden Sozialdemokraten ab-
lehnend. Das ging von Herrn Clement über Herrn Schily
bis zum Oberbürgermeister von München, Herrn Ude,
der, als der Gesetzentwurf in der letzten Wahlperiode
schon einmal vorgelegt wurde, sagte, da haben sich Gut-
menschen ausgetobt.


(Beifall bei der FDP)


Es wäre ohne weiteres möglich – die Länder haben
dazu im Bundesrat einen entsprechenden Beschluss
gefasst; die Gesetzentwürfe liegen vor –, das von der Eu-
ropäischen Union vorgegebene Recht eins zu eins umzu-
setzen. Dieses Ziel steht auch in Ihrer Koalitionsverein-
barung. Umso absurder ist es, dass Sie selbst den
Koalitionsvertrag brechen und Deutschland mehr Büro-
kratie verordnen. Das ist ein klassischer Fehler aus Sicht
der Fraktion der Freien Demokraten.


(Beifall bei der FDP)


Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass man Minderheiten
mit dem Gesetz helfen würde. Das einzige Ergebnis wird
sein, dass diejenigen, die es betrifft, gar nicht mehr zu
Vorstellungsgesprächen eingeladen werden, weil man
Angst davor hat, eine Klagewelle abwehren zu müssen
und dafür einer Dokumentationspflicht zu unterliegen.
Wenn Sie es mir nicht glauben, glauben Sie es Angela
Merkel. Genau das hat sie in der letzten Legislatur-
periode vor ihrer Metamorphose immer und immer wie-
der vertreten.


(Beifall bei der FDP – Zurufe des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Jetzt gehen wir noch einmal auf das ein, was Sie kon-
kret sagen. Meine Damen und Herren Kolleginnen und
Kollegen von der Union, die Begeisterung über diesen
Gesetzentwurf ist in Ihren Gesichtern abzulesen. Wir er-
leben hier jetzt einen bemerkenswerten Kuhhandel, den
wir so vorher noch nicht kannten: Sie, verehrte Kollegin-
nen und Kollegen von der Union, müssen heute diesem
Unsinn zustimmen, damit es morgen bei der Abstim-
mung über die Föderalismusreform nicht zu viele Ab-
weichler bei den Sozialdemokraten gibt. Es geht Ihnen
gar nicht mehr um die Sache. Es geht Ihnen nur noch da-
rum, dass die Koalition diese Woche einigermaßen über-
steht.


(Beifall bei der FDP)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1604311800

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Beck?


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1604311900

Ja, selbstverständlich, Herr Beck, bitte gerne. Es ist

mir immer wieder eine Freude.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604312000

Herr Kollege Westerwelle, vielen Dank für die Groß-

zügigkeit. Bezüglich des Kuhhandels stimme ich Ihnen
zu.


(Zuruf von der SPD: Muh!)


Das ist sicherlich die Verlaufsform dieser Gesetzesge-
nese. Bezüglich des Arguments, das Sie gerade gegen
das Gesetz angeführt haben, habe ich eine Verständnis-
frage.


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1604312100

Bitte, gerne.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604312200

Es geht darum, ob in Zukunft im Zusammenhang mit

dem Arbeitsrecht eine Klagewelle droht und Dokumen-
tationspflichten zu erfüllen sind. Im Gesetz steht ja
nichts anderes, als dass zukünftig für die Kriterien
Rasse, ethnische Herkunft, Alter, Behinderung, sexuelle
Identität und Religion nichts anderes gilt als das, was
seit 25 Jahren gemäß § 611 a BGB für das Kriterium Ge-
schlecht gilt. Die dortige Beweislastregel war im Gesetz-
entwurf der früheren rot-grünen Bundesregierung eins
zu eins vorgesehen. Alle Arbeitgeber haben in der Ver-
gangenheit entweder Männer oder Frauen eingestellt. Da
werden Sie mir zustimmen. Tertium non datur, sagt man
da.


(Zuruf: Überwiegend!)


– Überwiegend? Entweder – oder. Wenn das so war,
dann hat man entweder Frauen oder Männer nicht einge-
stellt. Deshalb konnten entweder Frauen oder Männer
klagen, weil sie nicht eingestellt wurden. Das Problem
mit der Dokumentationspflicht ändert sich nicht da-
durch, dass der Gesetzentwurf jetzt auch Heterosexuelle
oder Homosexuelle, Alte oder Junge, Behinderte oder
Nichtbehinderte betrifft.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1604312300

Herr Kollege, Sie sollen jetzt keine Rede halten, son-

dern Ihre Frage beenden.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604312400

Da das immer wieder vorgebracht wird, muss man es

meiner Meinung nach illustrieren, auch damit man die
Frage versteht.

Erklären Sie mir bitte, warum ein Kriterium seit
25 Jahren zu keinen Problemen geführt hat und die Tat-
sache, dass weitere Kriterien dazukommen und die glei-






(A) (C)



(B)


Volker Beck (Köln)

che Regel angewandt wird, einen Wust an Dokumenta-
tionspflichten hervorruft.


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1604312500

Ich möchte zunächst einmal die Frage, die Sie mir un-

ter vielen gestellt haben, nämlich die Frage, ob ich Ihnen
zustimme, dass man entweder in der Vergangenheit
Männer oder Frauen eingestellt hat, uneingeschränkt be-
jahen, Herr Kollege. Ich finde, das musste auch von Ih-
nen in dieser Diskussion erfragt werden.


(Beifall bei der FDP – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke!)


Das war zwingend, Herr Kollege, absolut zwingend. Das
ist schon bemerkenswert.

Ich kann Ihnen sagen, warum ich das Klagerecht und
die Dokumentationspflicht angreife und warum ich das
für falsch halte. Das Klagerecht der Gewerkschaften
wurde nicht abgeschafft


(Christine Lambrecht [SPD]: Gott sei Dank!)


– Sie rufen: Gott sei Dank! Ich hoffe, Sie von der CDU/
CSU haben gehört, was Ihr Koalitionspartner gesagt hat:
Gott sei Dank! Das Klagerecht für die Gewerkschaften
ist eben nicht abgeschafft worden. Es kann weiterhin
wegen grober Verstöße geklagt werden. Das, was dann
in der Diskussion bewertet wird, ist der unbestimmte
Rechtsbegriff „grob“: Ist es ein solcher Verstoß, der an-
genommen und behauptet wird, oder nicht? Eine solche
Klagewelle wird dem Mittelstand schaden, den Betroffe-
nen nicht helfen und Arbeitsplätze kosten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Unsinn!)


Darauf müssen Sie sich einstellen.

Herr Kollege Beck, nun kann ich auch verstehen, dass
Sie mit diesem Gesetz besonders zufrieden sind und
freudig dieses hier verteidigen. Es stammt doch aus Ihrer
Feder. Ehre, wem Ehre gebührt!


(Beifall bei der FDP)


Was ich nicht für möglich gehalten habe und was wir
heute im Gesetzgebungsverfahren erleben, ist gewisser-
maßen eine Art Wiederkehr der grünen Untoten.


(Beifall bei der FDP – Zuruf von der SPD, an die FDP gewandt: Für Untote seid ihr zuständig!)


Nicht dass Sie meinen, das sei alles oppositionelle Pole-
mik. Bitte machen Sie mir die Freude, verehrte Abgeord-
nete der Union, und nehmen Sie einfach den von der
Bundesregierung uns hier vorgelegten Gesetzentwurf
zur Hand, über den wir heute entscheiden wollen, und le-
sen Sie in der Begründung auf Seite 25, in Abschnitt 2,
§ 18. Ich darf verkürzt zitieren:

Der Gesetzentwurf … erfüllt das in der Koalitions-
vereinbarung vom 16. Oktober 2002 verabredete
Ziel …


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

Herzlichen Glückwunsch an Schwarz-Rot, dass Sie jetzt
sogar die rot-grüne Koalitionsvereinbarung heute zur
Grundlage Ihrer politischen Arbeit machen!


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herzlichen Glückwunsch, meine Damen und Herren
Abgeordneten! Da wählt Deutschland die Grünen ab,
und ihr bleibt immer noch im Geiste auf der Regierungs-
bank. Es ist ein Drama!


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist so schön!)


Nun kommen wir, weil Frau Zypries unseren spät be-
rufenen Juristen zitiert hat, zu zwei bemerkenswerten
Akten der Rechtsgeschichte. Heute werden im Justiz-
ministerium die Fenster verhangen. Davon kann man
ausgehen. Da sitzen lauter Prädikatsjuristen, die fangen
bei dem, was Sie heute vorgelegt haben, an zu weinen.
Da ich das selber in der Tat einmal studiert habe – nicht
Soziologie, was ein großartiges Studium ist –,


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was man immer noch als Mangel bemerkt!)


möchte ich noch einmal auf einen Punkt eingehen, den
Sie uns erklären müssen, Frau Justizministerin. Jetzt
heißt es in Art. 1 § 22 – das ist das Neue, deswegen stim-
men Sie dem zu –: „Wenn im Streitfall die eine Partei In-
dizien beweist …“. Es ist ein wirklich großartiger, in der
Rechtsgeschichte einmaliger Kunstgriff, den Indizien-
beweis einzuführen. Jetzt führen wir den Indizienbeweis
im Zivilrecht ein. Herzlichen Glückwunsch, Frau Justiz-
ministerin! Sie sind zu intelligent für so einen Schwach-
sinn, Frau Kollegin!


(Beifall bei der FDP – Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Nein, jetzt ist Schluss. Ich will jetzt nicht mehr.

Ich komme zu einem weiteren Punkt, der an dieser
Stelle erwähnt werden muss: Auch ein neuer Schwellen-
wert ist Ihnen eingefallen – 50 Wohnungen! Wo gab es
bisher so etwas im Bürgerlichen Gesetzbuch? Das ist be-
merkenswert; das ist wirklich großartig. 50 Wohnungen –
was heißt das im Klartext? Verehrte Zuschauerinnen und
Zuschauer, unter 50 Wohnungen darf man in Deutsch-
land diskriminieren, danach nicht mehr. Was für ein
Fortschritt; Rechtsgeschichte schreiben Sie hier!


(Beifall bei der FDP)


Ich will schließen, weil ich auch in der ersten Lesung
dazu schon gesprochen habe. Sie werden keinem Behin-
derten, keiner Lesbe, keinem Schwulen, keiner diskrimi-
nierten Minderheit helfen. Sie werden ihnen schaden
und Sie schaffen mehr Bürokratie. Jetzt haben Sie nach-
gebessert, und zwar vorgestern und dann gestern im
Rechtsausschuss. Sie meinen, Sie seien jetzt durch. Aber
wenn aus einem saudummen Gesetzentwurf ein dummer
Gesetzentwurf wird, ist das kein Fortschritt; das Ganze
bleibt immer noch dämlich, meine sehr geehrten Damen
und Herren.

(D)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Guido Westerwelle

(Anhaltender Beifall bei der FDP – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1604312600

Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem

Kollegen Jerzy Montag.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604312700

Danke, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Westerwelle,

nachdem Sie meine Zwischenfrage nicht gestattet haben,
erlaube ich mir folgende Klarstellung: Ich habe mich
sehr darüber gefreut, wie Sie – das ist auch völlig rich-
tig – dargestellt haben, dass das Gesetz, das wir heute
beschließen, in wesentlichen Zügen dem Antidiskrimi-
nierungsgesetz der letzten Regierungsperiode gleicht,
das aus rot-grüner Feder stammte. Aber ich bitte Sie
doch, zur Kenntnis zu nehmen, dass der von Ihnen hier
vorgetragene neue Art. 1 § 22, in dem es nunmehr tat-
sächlich heißt, dass Indizien bewiesen werden sollen, die
dann eine Vermutung begründen, eine Änderung dar-
stellt, zu der die Grünen nie fähig gewesen wären.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Das stammt nicht aus unserer Feder; dafür übernehmen
wir keinerlei Verantwortung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)



Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1604312800

Herr Kollege Montag, hätte ich gewusst, dass Sie

diese Zwischenfrage stellen wollten, wäre es mir eine
Freude gewesen, sie zuzulassen. Ansonsten möchte ich
Ihnen feierlich versichern: Ich nehme es dankbar zur
Kenntnis.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1604312900

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Jürgen Gehb,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jürgen Koppelin [FDP]: Da freuen wir uns schon!)



Dr. Jürgen Gehb (CDU):
Rede ID: ID1604313000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich lebe

gern in diesem Land und ich bin stolz auf dieses Land,
und dies nicht nur vor dem Hintergrund der Lebens-
freude der Menschen und der Gastfreundschaft, die wir
alle während dieser Tage der Fußballweltmeisterschaft
erleben. Ich bin stolz wegen unserer Rechtsordnung und
auf unsere Rechtsordnung, die einen ausdifferenzierten
Schutz auch und gerade für die Schwachen und Benach-
teiligten unserer Gesellschaft schon heute de lege lata
vorhält.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Bei aller Freude weiß ich aber auch, dass wir in unse-
rem Land nicht in einem Paradies auf Erden leben und
dass es Ressentiments und Vorurteile gibt. Vielleicht war
es deshalb ein Anliegen Europas – ungeachtet bereits be-
stehender nationaler Schutzgesetze –, mit dem Erlass
von vier Richtlinien ein Zeichen gegen nahezu jede
Form von Ungleichbehandlung zu setzen.

Selbstverständlich sind wir als Gesetzgeber gehalten,
entsprechende völkerrechtliche Übereinkommen, die
von unserem Land ratifiziert wurden, oder entspre-
chende Richtlinien der EU in nationales Recht umzu-
setzen, ob einem das gefällt oder nicht. Ich glaube, es
gibt kaum einen in diesem Haus, der so dagegen, insbe-
sondere gegen die Richtlinien, gewettert hat wie ich.
Dennoch müssen wir sie umsetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Nun gibt es Regeln zum Schutz der Menschen, die
überhaupt nicht streitig sind. Dazu gehören die geradezu
klassischen Schutz- und Abwehrrechte des Bürgers ge-
genüber dem Staat. Aber auch viele einschlägige Regeln
im Arbeitsrecht sind uns wohl vertraut. Frau Ministerin
Zypries hat soeben eine Reihe von Beispielen genannt:
Kündigungsschutzgesetz, Betriebsverfassungsgesetz und
Mutterschutzgesetz. Eigentlich ist Deutschland der völ-
lig falsche Adressat für eine solche Richtlinie.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/ CSU – Ina Lenke [FDP]: Na also!)


Manches ist bei der Umsetzung der vier EU-Richtli-
nien zur Gleichbehandlung völlig unstreitig und deckt
sich auch mit dem, was wir schon jetzt haben. Manch
anderes allerdings ist weitaus weniger unstreitig, son-
dern – im Gegenteil – höchst umstritten. Allerdings
muss man das Parlament nicht zum Panoptikum machen
und mit sicherem Auftreten bei zum Teil völliger Ah-
nungslosigkeit, Herr Westerwelle, sozusagen den Zam-
pano spielen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wahr! – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Jetzt werde ich diskriminiert!)


Nicht zufällig entzündete sich die öffentliche Debatte
gerade an den Stellen und auf den Rechtsgebieten, die in
unserem Land bisher aus guten Gründen weitgehend re-
gelungsfrei waren. Unsere Rechtsordnung geht von der
grundsätzlichen Trennung und Unterscheidung von Staat
und Gesellschaft aus. Lassen Sie es mich anders sagen:
Nicht alles, was dem Staat in seiner Beziehung zu den
Bürgern untersagt ist, ist auch den Bürgern untereinan-
der untersagt und verboten. Um es ganz deutlich zu sa-
gen: Privatautonomie und Vertragsfreiheit beinhalten
nachgerade das Recht auf Subjektivität und Rechtferti-
gungsfreiheit und auch auf Willkür, nämlich dann, wenn
ich einem anderen etwas nicht verkaufen will.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht auf Diskriminierung!)


Das war bisher Bestandteil unserer kontinentaleuro-
päischen Rechtsordnung. Wir alle, die wir Jura studiert
hatten, haben das so gelernt. Diese Rechtsordnung droht
jetzt durch die europäischen Richtlinien zu kippen. Aber
nicht nur durch sie: Denn auch durch das Implantieren






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Jürgen Gehb
von immer mehr angloamerikanischen Rechtsformen bei
uns steigt das Risiko, dass unser historisch gewachsenes,
aus dem römischen Recht – ich liebe es so – kommendes
Recht auf den Kopf gestellt wird. Dem müssen wir
schon in statu nascendi entgegenwirken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Olaf Scholz [SPD])


An dieser Stelle, an der ich die Privatautonomie be-
leuchtet habe, geht es nicht um irgendwelche juristi-
schen Petitessen, sondern um sehr grundsätzliche Fragen
und Auffassungen – ja, es geht klar um weltanschauliche
Fragen. Mit den Richtlinien soll unserer Gesellschaft
Mores gelehrt werden. Genau darum geht es. Viele Men-
schen waren beispielsweise empört – ich verstehe diese
Empörung –, weil sie sich schon durch die Antidiskrimi-
nierungsrichtlinien und erst recht durch deren bisher ge-
plante Umsetzung in ihren ureigenen Freiheitsrechten
beschnitten fühlten.

Lassen Sie mich das an einem heute schon wiederholt
angesprochenen Beispiel klar machen. Jemand, der vier
oder fünf Wohnungen besitzt, versteht es einfach nicht
– er empfindet es geradezu als diskriminierend –, dass
ihm die Freiheit bei der Auswahl seiner Mieter genom-
men wird.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat nie jemand gemacht!)


Nur in dem Haus, in dem er selbst wohnt, sollte er völlig
autonom in der Auswahl seiner Mieter sein. Wenn es
nach dem Antrag der Linken heute geht, soll ihm selbst
das noch genommen werden. Das ist quasi der Eingriff
total in die Privatsphäre.

Als Christdemokraten sagen wir zu einem solchen
Weltbild des Übervaters Staat schlicht und einfach Nein,
Nein und nochmals Nein. Wir wollen nicht den totalen
Staat, der bis in die letzten Ecken alles regelt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Um noch einmal das Beispiel von der Wohnungsver-
mietung aufzugreifen: Ich bin zwar nicht gerade froh,
aber fast zufrieden, dass wir heute den Tausenden von
Privatvermietern insoweit Entwarnung geben können
– jetzt bitte gut zuhören –, als mit Ausnahme der zwin-
genden Umsetzung von europäischen Vorgaben – das
gilt unabhängig von den Mehrheiten in diesem Hause,
auch wenn die CDU/CSU, was manche befürchten, was
aber im Moment nicht zu befürchten ist, mit einer dicken
Mehrheit regieren würde –


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das ist wirklich nicht zu befürchten!)


die Vertragsfreiheit in der jetzigen Fassung des Gesetzes
weitgehendst gewahrt bleibt. Wir haben nämlich durch
eine gesetzliche Auslegungshilfe, die Sie eben sehr flap-
sig persifliert haben, Herr Westerwelle, und durch die
Definition des Massengeschäftes im Bereich des Miet-
rechts, nach der der Anwendungsbereich dieses Gesetzes
– wie gesagt: mit einer einzigen Ausnahme, nämlich für
das Merkmal Rasse/Ethnie; das ist durchgehend im Ar-
beits- und Zivilrecht umzusetzen; da kann man sich noch
so stark echauffieren, das wäre auch mit Ihnen nicht an-
ders gegangen – erst bei Vermietung von mehr als
50 Wohnungen eröffnet wird, die Erstreckung des Geset-
zes auf private Vermieter in aller Regel ausgeschlossen.
Was ist daran eigentlich so schlimm? Wir haben auch bei
der Entfernungspauschale eine Grenze von 20 Kilome-
tern.


(Lachen bei der FDP)


– Moment einmal! Einige werden am Samstag vor einer
Wahl 18 Jahre alt und andere wiederum werden erst am
Montag nach der Wahl 18 Jahre alt.

Jegliche Zahlen, alle Begrenzungen haben immer im-
manent etwas Willkürliches, wie beispielsweise auch das
Spielfeld auf dem Fußballfeld. Warum gibt es einen
16-Meter-Raum und keinen 18-Meter-Raum? Irgendeine
Zahl muss der Gesetzgeber nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Aber nicht auf dem Fußballfeld! Finger weg vom Fußball!)


Aus guten Gründen haben wir auch für die großen
Wohnungsbaugesellschaften vereinbart, dass diese zur
Einhaltung und Schaffung sozial stabiler Bewohner-
strukturen einen Freiraum behalten sollen. Um es deut-
lich zu sagen: Ihr Bemühen, Gettos zu verhindern oder
aufzubrechen, soll nicht durch ein Gesetz konterkariert
werden.

Diese Entschärfungen und Korrekturen sind gut und
sinnvoll. Es wäre mir ein Leichtes, Ihnen detailliert wei-
tere Änderungen aufzuzählen, mit denen nun in der vor-
liegenden Fassung des Gesetzes überflüssige – wenn
auch nicht alle – Belastungen für die Wirtschaft und das
Rechtsleben verhindert werden. Dies ist mir mit Blick
auf meine Redezeit von dieser Stelle aus versagt. Ich
verweise insofern auf die ausführliche Berichterstattung
der letzten Tage und Wochen, die allerdings nicht selten
von besonderem Mangel an Sachkunde geprägt war. Wir
merken immer wieder: Je höher der Mangel an Sach-
kunde ist, desto leichter lässt es sich polemisch-politisch
diskutieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Insofern sollten Sie das Gesetz auch einmal lesen.

Jedenfalls bin ich dankbar dafür, dass wir in einem
langen Prozess des gegenseitigen Annäherns und Verste-
hens in der Koalition nun zu einem nicht geliebten, aber
tragfähigen Kompromiss gefunden haben. Es liegt nun
einmal in der Natur der Sache, dass jeder Kompromiss
nach der eigenen Auffassung immer nur die zweitbeste
Lösung ist. Da es im Regelfall aber keine Alleinregie-
rung gibt, lebt jede Koalition – und dies in jeder Zusam-
mensetzung – davon, Kompromisse zu schließen. Dies
ist eigentlich ein einfacher Zusammenhang. Trotzdem
meine ich, dass man ihn ab und zu in Erinnerung rufen
muss.

In der Haushaltsdebatte der vergangenen Woche habe
ich den Wunsch ausgesprochen, dass ein vernünftiger






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Jürgen Gehb
Umgang zwischen Bundesrat und Bundestag dazu füh-
ren sollte, dass sich dieses Haus die konkreten Bedenken
der Länderkammer ansehen, sie ernst nehmen und sich
mit ihnen beschäftigen sollte. Das hat es auch getan. Nun
muss man sagen, dass aus diesem Gesetz wahrlich kein
gutes,


(Beifall bei der FDP – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, immer noch ein gutes! Sonst könnten wir gar nicht zustimmen!)


aber ein immerhin tragfähiges Gesetz geworden ist.
Wenn wir bei der Verabschiedung von Gesetzen nur
nach der Güte gehen würden, müsste man auch so man-
ches andere Gesetz unterlassen. Deswegen werden wir
zustimmen, einige natürlich mit geballter Faust in der
Tasche.

Jetzt will ich, wohl wissend, dass ich nicht wie Cato
mit dem Ausspruch „Ceterum censeo cartaginem esse
delendam“ im Senat in die Geschichtsbücher eingehen
werde, enden und sagen, wie ich das immer tue: Wir
sollten in Ansehung des Beispiels AGG in Zukunft be-
reits bei der Entstehung von Richtlinien, die uns hinter-
her häufig dazu zwingen, solche Debatten zu führen,
aufpassen und uns davor hüten, am Ende in der Ratifi-
zierungsfalle zu sitzen und bloß noch die Vollstre-
ckungsgehilfen der europäischen Beamten zu sein.

Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ergo vivamus!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1604313100

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sevim Dagdelen,

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Frau Präsidentin, das mit dem Pult ist eine Diskriminierung!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1604313200

Frau Präsidentin! Herr Westerwelle!


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)


Sehr geehrte Damen und Herren! Heute soll das Gesetz
zur Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien der
EU beschlossen werden. Leider ist dies tatsächlich kein
guter Tag für die von Diskriminierung betroffenen Men-
schen.

Wenn ich eines ganz kurz anmerken darf, Herr Wes-
terwelle: Auch meine Fraktion wird das Gesetz ableh-
nen, aber nicht, weil aus einem saudummen Gesetz ein
dummes Gesetz geworden ist, sondern deswegen, weil
aus einem alltagsuntauglichen Gesetz ein schlechtes Ge-
setz geworden ist. Mit den in den letzten Tagen durchge-
peitschten Änderungen hat man nämlich eines klarge-
stellt: Der großen Koalition liegt wenig daran, den
Betroffenen ein alltagstaugliches Instrument gegen Dis-
kriminierung an die Hand zu geben. Sie hat lediglich ei-
nes geschafft: die Rechte der Einzelnen den Interessen
der Wirtschaftsverbände und der Unternehmen zu op-
fern.

Das Gesetz leidet im Wesentlichen darunter, dass das
zunächst aufgestellte Benachteiligungsverbot durch Ein-
schränkungen sogleich wieder abgeschwächt worden ist.
Lassen Sie mich das an einem Beispiel darstellen: Sie
haben den größten Teil des Wohnungsmarktes – über
50 Prozent – aus dem Diskriminierungsverbot für Woh-
nungsvermieter herausgenommen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit diesem Gesetzentwurf geben Sie den Betroffenen
nur ein schwaches Instrument an die Hand, ihr Recht auf
Nichtdiskriminierung auch gerichtlich durchzusetzen.
Klagebefugnisse von Gewerkschaften und Betriebsräten
werden zusammengestrichen. Für kleinere Betriebe ha-
ben Sie das Klagerecht komplett abgeschafft.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie lassen damit die Mehrzahl der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer im Regen stehen.

Das Gleiche gilt für die Beweiserleichterung. An die
Adresse der Wirtschaft wird signalisiert: Es wird sich
nichts ändern! Wie Sie bereits feststellten, Frau Ministe-
rin Zypries, die im Gesetzentwurf vorgesehene Beweis-
erleichterung lehnt sich an die jetzt schon bestehende
Regelung des § 611 a BGB an. Sie haben jedoch verges-
sen, zu sagen, dass diese Regelung in 25 Jahren zu ledig-
lich 112 Gerichtsprozessen geführt hat. Daher ist es un-
seres Erachtens zwangsläufig geboten, den Betroffenen
nicht die Last aufzubürden, etwas beweisen zu müssen,
was ihrer Wahrnehmung schlichtweg entzogen ist. Das
ist kein schlüssiges Konzept, das sich an den Problemen
der Menschen orientiert, sondern ein Konzept nach den
Vorgaben der Wirtschaft.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Fraktion Die Linke fordert deswegen in ihrem
Antrag unter anderem eine Beweislastumkehr und die
Einführung eines umfassenden Verbandsklagerechts.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat dieses
Argument in einer Stellungnahme einmal mehr festge-
halten: Eine interne Auswertung der deutschen Recht-
sprechung habe gezeigt, dass die verschiedenen Betrof-
fenengruppen bei der gerichtlichen Geltendmachung
höchst unterschiedlich repräsentiert sind. Obwohl gerade
Migrantinnen und Migranten, schwarze Deutsche wie
schwarze Nichtdeutsche massiv von Diskriminierungen
auf dem Arbeitsmarkt, in der Bildung oder im Bereich
des Wohnungsmarktes betroffen sind, haben gerade
diese Gruppen bei der gerichtlichen Durchsetzung die
wenigsten Chancen. Ein Verbandsklagerecht würde die-
ses Ungleichgewicht ausgleichen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ferner haben Sie, meine Damen und Herren vor allen
Dingen der Union, erreicht, dass bei Kündigungen der






(A) (C)



(B) (D)


Sevim Dagdelen
Diskriminierungsschutz des Gesetzes nicht mehr gilt.
Damit streichen Sie für die Betroffenen die Möglichkeit,
gegen auf Diskriminierung angelegte Kündigungen nach
dem AGG zu klagen und die entsprechenden Rechtsfol-
gen wie Schadenersatz einzufordern.

Was aber meines Erachtens noch viel schlimmer ist:
Die ausschließliche Geltung des Kündigungsschutzge-
setzes im Arbeitsrecht wie auch die Zweimonatsfrist zur
Geltendmachung von Ansprüchen sind europarechtlich
bedenklich. Sie widersprechen der Zielsetzung der
Richtlinie und werden deswegen vor dem Europäischen
Gerichtshof keinen Bestand haben. Damit überlassen
Sie es einmal mehr den Einzelnen, durch Klagen vor
dem Europäischen Gerichtshof für einen Schutz vor Dis-
kriminierungen zu sorgen. Ich halte das für ein Armuts-
zeugnis dieser großen Koalition.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie könnten auch gleich konforme Regelungen schaffen
und nicht darauf warten, dass die Menschen in fünf bis
sechs Jahren vor dem Europäischen Gerichtshof Recht
zugesprochen bekommen.

Jean-Jacques Rousseau sagte einmal:

Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es
die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das
befreit.

Das hätte ich mir von dieser großen Koalition ge-
wünscht.


(Beifall bei der LINKEN)


Die große Koalition hat es heute versäumt, mit muti-
gen Entscheidungen auch in Deutschland endlich eine
Antidiskriminierungskultur zu initiieren. Sie haben es
versäumt, Mindeststandards festzulegen, die in anderen
europäischen Ländern längst gang und gäbe sind, so zum
Beispiel in den Niederlanden. Die Gegner eines Antidis-
kriminierungsgesetzes haben in dieser Debatte jedenfalls
eines erreicht: die unzureichenden Wirkungen dieses
Gesetzes zu kaschieren. In der Praxis wird damit nur we-
nig mehr übrig bleiben als ein symbolisches Bekenntnis
zur Gleichbehandlung. Dabei wird es bleiben.

Danke sehr.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1604313300

Das Wort hat der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/

Die Grünen.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604313400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich bin heute durchaus nicht unzufrieden.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Ich denke, uns liegt ein Gesetzentwurf vor, der im Kern
gut ist. Deshalb wird unsere Fraktion diesem abgewan-
delten rot-grünen Entwurf zustimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ganze letzte Jahr lief die Union herum, forderte
eine Eins-zu-eins-Umsetzung der EU-Richtlinien und
mobilisierte gegen den rot-grünen Entwurf eines Anti-
diskriminierungsgesetzes. Nun aber beschließen Sie ein
Gesetz, das im Wesentlichen dem von uns vorgelegten
Entwurf entspricht. Der einzige Unterschied zwischen
dem, was wir vorgelegt haben, und einer Eins-zu-eins-
Umsetzung besteht darin, dass wir die Menschen im
Rahmen des Zivilrechts nicht nur vor Diskriminierung
aufgrund von Rasse, ethnischer Herkunft und Ge-
schlecht schützen, sondern auch vor Diskriminierung
aufgrund von Religion, Alter, Behinderung und sexuel-
ler Identität. Das ist der Unterschied zwischen der Eins-
zu-Eins-Umsetzung nach Herrn Westerwelle und dem
Entwurf von Rot-Grün und Schwarz. Deshalb war das
Ganze ein Popanz. Herr Westerwelle hat heute noch ein-
mal einen solchen Popanz aufgeführt: Das war eins zu
eins Ihre Rede aus dem letzten Jahr, meine Kollegen von
der Union.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Regieren bildet. Jetzt haben Sie gemerkt, dass Sie
EU-Recht umsetzen müssen. Wir sind zufrieden, weil
sich Rot-Grün gegen Schwarz in der großen Koalition
durchgesetzt hat. Man merkt natürlich, dass die Union
bei diesem Gesetz erhebliche Schluckbeschwerden hat.
Deshalb hat die Koalition, freundlich wie man zueinan-
der ist, Placebos bereitgehalten, Beruhigungsmittel ver-
teilt und Schmerztabletten ausgegeben. Das Problem ist
aber, dass Placebos wirkungslos sind. Bei den Ver-
schlechterungen – über die Sie, Frau Kollegin Dagdelen,
sich gerade aufgeregt haben – werden diese Beruhi-
gungs- und Schmerztabletten langfristig nicht wirken,
weil sie EU-rechtswidrig und zum Teil auch verfas-
sungswidrig, weil willkürlich sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb sind wir ganz getrost, dass der Unsinn, der
durch die Änderungsanträge in das Gesetz hineinge-
bracht wurde, in der Rechtspraxis herausgenommen
wird. Die Justizministerin gesteht das frank und frei zu.
Da, wo das EU-Recht nicht umgesetzt ist, sagt man den
Richtern – nachzulesen heute in der „Frankfurter Allge-
meinen“ –:

Im Zweifel müssen die Richter die Bestimmungen
eben europarechtskonform auslegen.

Man weiß genau, dass bestimmte Dinge eben nicht EU-
rechtskonform sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was ist das aber für eine Gesetzgebung, wenn man sagt,
die Richter sollen es richtig machen, obwohl es der Ge-
setzgeber falsch gewollt hat? Das ist doch absurd und
wird die Menschen draußen nicht überzeugen.

Herr Westerwelle und Herr Montag haben die wun-
derbare Formulierung zum Indiz bei der Beweislastregel
vorgetragen: Indizien, die eine Benachteiligung wegen
eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen. Das
klingt wunderschön. Noch schöner finde ich allerdings
die Begründung. Man sagt, man habe das gemacht, weil
der Begriff der Glaubhaftmachung – das ist eine






(A) (C)



(B) (D)


Volker Beck (Köln)

Regelung, die seit 25 Jahren gilt, die ausjudiziert ist, von
der jeder weiß, was er darunter zu verstehen hat – von
Journalisten oftmals falsch verstanden wird.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Die Rechtsprechung hat mit dem Begriff überhaupt
keine Probleme. Machen wir die Gesetzgebung jetzt auf-
grund von TED-Abstimmungen? Stimmen wir darüber
ab, was die Leute richtig oder falsch verstehen? Gesetze
müssen funktionieren und klar sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das ist nicht wahr!)


Damit die Richter aber nicht irre werden, bietet die
Begründung weitere Hinweise: Das, was im Gesetz
steht, ist gar nicht gemeint. Nach der Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofes „kehrt sich die Beweis-
last um, wenn derjenige, der dem ersten Anschein nach
diskriminiert ist, sonst kein wirksames Mittel hätte, um
die Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes
durchzusetzen“. Da hat Sie Ihr Koalitionspartner gründ-
lich hinter die Fichte geführt. Herr Gehb hat im Rechts-
ausschuss, wie ich mir berichten ließ, gejammert und ge-
sagt, er könne sich mit dieser Vorschrift vor keinem
Fachpublikum mehr sehen lassen. Ich habe großes Ver-
ständnis dafür. Es ist ein allzu billiger Sieg der anderen
Seite, wenn man darauf verweist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Patrick Döring [FDP])


Die Kündigungen wollen Sie jetzt nicht mehr nach
dem AGG, sondern nach dem allgemeinen Kündigungs-
schutzgesetz behandeln. Dazu sagt nicht nur der DGB,
sondern auch laut „FAZ“ der Arbeitsrechtler Martin
Kock, der unverdächtig ist, das sei Augenwischerei.
Auch beim Kündigungsschutzrecht gelte selbstverständ-
lich die europäische Wertung. Wie sollte es auch anders
sein? Das steht in der Richtlinie. Auch da hat man Ihnen
Steine statt Brot gegeben.

Bei dem Mietrecht freuen Sie sich meines Erachtens
ebenfalls zu früh. Herr Gehb hat zu Recht darauf hinge-
wiesen, dass es ein Unterschied ist, ob ein Vermieter sel-
ber auf dem Grundstück, das er vermietet, wohnt oder ob
er das Mietobjekt nur als Kapitalanlage nutzt. Diesen
Unterschied hatten wir im rot-grünen Gesetzentwurf ge-
macht. Sie ziehen jetzt eine willkürliche Grenze bei
50 Wohnungen. Das macht überhaupt keinen Sinn. Ich
glaube, es wird Ihnen nicht durchgehen, dass ein Ver-
mieter, der nur 49 Wohnungen hat, in seine Wohnungs-
anzeige schreiben kann: „Juden und Homosexuelle
zwecklos“. Der Zivilrichter wird Ihnen nicht durchgehen
lassen, sich mit der Grenze bei 50 Wohnungen herauszu-
reden.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1604313500

Herr Kollege Beck, Ihre Redezeit ist überschritten.

Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604313600

Lassen Sie mich zum Schluss sagen – es gibt noch

jede Menge weitere lustige Beispiele, die man aus den
Änderungsanträgen aufführen könnte –: Sie schrammen
an einigen Punkten die Richtlinie. Deshalb haben wir ei-
nen Entschließungsantrag eingebracht, den wir heute
überweisen. Lassen Sie uns über diesen Entschließungs-
antrag und die Frage, wo der Gesetzgeber die Richtlinie
nicht vollständig umsetzt, im Herbst in einer Anhörung
diskutieren


(Lachen der Abg. Mechthild Dyckmans [FDP])


und dann die Nachbearbeitung und Verbesserung dieses
Gesetzes vorbereiten.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1604313700

Das Wort hat die Kollegin Christine Lambrecht, SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1604313800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Bei allem Verständnis dafür,
in so eine Debatte ein bisschen Schwung bringen und
sich vor den Zuschauern profilieren zu wollen, möchte
ich doch darum bitten, dass wir uns abseits von all dem
kleinkarierten Auseinanderpflücken von Kommas, Bin-
destrichen und vergessenen Daten in irgendwelchen Be-
gründungen wieder mit dem Gegenstand, mit dem, was
mit diesem Gesetz für die Menschen in unserem Land
bewirkt werden soll, beschäftigen.


(Beifall bei der SPD)


Ich muss sagen: Ich kann die Gefühle, die Herr Beck
darüber zum Ausdruck gebracht hat, dass wir dieses Ge-
setz heute in zweiter und dritter Lesung beschließen,
noch toppen. Mich freut es, ich finde es richtig klasse,
dass wir nach vielen, vielen Jahren endlich dazu kom-
men, ein Gesetz zu beschließen, das Menschen etwas in
die Hand gibt, um sich gegen Diskriminierung zu weh-
ren. Dann müssen sie nicht immer nur hören: Wir alle
wollen das nicht, Diskriminierung ist schlecht. Wir müs-
sen sagen: Es reicht uns, wir haben lange genug zugese-
hen, in bestimmten Bereichen unserer Gesellschaft gibt
es nun einmal diese Tendenzen. Deshalb sagen wir als
Staat, als Gesetzgeber: Mit uns wird das nicht zu machen
sein. Wir geben den Menschen Instrumente in die Hand,
um sich zu wehren. Genau darum geht es mit diesem Ge-
setz und um sonst nichts.


(Beifall bei der SPD)


Ich bin immer wieder darüber überrascht, wie einiges
verquickt wird. Herr Westerwelle redet von unnötiger
Bürokratie. Meistens kam in diesen Debatten auch noch
der Grundsatz der Vertragsfreiheit, der angeblich ver-
letzt wird, zur Sprache. Mein Verständnis von Vertrags-
freiheit ist – ich glaube, da gehe ich d’accord mit fast al-






(A) (C)



(B) (D)


Christine Lambrecht
len Kolleginnen und Kollegen – beim besten Willen
nicht das rücksichtslose Vorgehen, das Diskriminieren
von Menschen bei Massengeschäften und Leistungen,
die ohne Ansehen ihrer Person zu gewähren sind. Das
verstehe ich darunter nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich habe in Ihrer Rede, Herr Westerwelle – er ist jetzt
abgelenkt und muss telefonieren; er hat Wichtigeres zu
tun –, Ihre Kritik an der Grenze von 50 Wohnungen
nicht ganz verstanden. Ging es darum, dass Sie Angst
davor haben, dass Menschen an einen Vermieter geraten,
der weniger Wohnungen hat, und dann keinen Diskrimi-
nierungsschutz bekommen? Geht Ihnen das Gesetz nicht
weit genug? Das wurde nicht ganz deutlich.

In dieser Diskussion besteht ein Spannungsverhältnis.
Den einen geht das Gesetz viel zu weit, den anderen geht
es nicht weit genug. Aber es freut mich, dass wir es zu-
mindest geschafft haben – das war in diesem Prozess zu
lernen –, uns mit einer mittlerweile ganz breiten Mehr-
heit darauf zu konzentrieren, was wir machen können,
was sinnvoll und nicht überzogen ist, um Menschen zu
helfen.

Frau Dagdelen, ich finde es ganz interessant, dass Sie
hier heute eine Fülle von Kritik ausgeschüttet haben. Ich
hätte mich darüber gefreut, wenn Sie das gestern im
Rechtsausschuss, also in dem Gremium, in dem wir
ganz sachlich über dieses Thema gesprochen haben – Ju-
risten sind bekannt für ihren Stil; der ist bei weitem nicht
so lustig, wie wir es hier heute erlebt haben –, getan hät-
ten. Wir saßen gestern stundenlang zusammen und von
Ihnen war in der viereinhalbstündigen Rechtsausschuss-
sitzung kein einziges Wort zu hören, auch nicht zu die-
sem Thema.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ihre Kritik hätten Sie vielleicht früher anbringen können
als nur hier vor dem versammelten Publikum.

Ich will noch zwei, drei Punkte ansprechen. Jawohl,
das Klagerecht von Gewerkschaften und Betriebsräten
bleibt erhalten. Das ist richtig so, weil nur dieses ge-
währleistet, dass, wenn in Betrieben diskriminiert wird,
entsprechend vorgegangen wird, weil die Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer zum Teil diese Möglichkeit
selbst nicht wahrnehmen, nicht wahrnehmen wollen
oder nicht wahrnehmen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es geht darum, ihnen hier etwas an die Hand zu geben.
Ich glaube, mit diesem Gesetzentwurf haben wir alles
getan, was sinnvoll und vernünftig ist, damit dieser
Schutz wirklich gewährleistet werden kann.

Die Veränderungen in Bezug auf den Kündigungs-
schutz sind bereits angesprochen worden. Man kann
darüber diskutieren, ob die frühere Formulierung, dass
vorrangig der Kündigungsschutz Anwendung findet, mit
der EU-Richtlinie konform geht. Ich weiß, dass es im
Hinblick auf das Spannungsfeld zwischen der jetzigen
Formulierung und den EU-Richtlinien große Bedenken
gibt; das wurde von verschiedenen Kolleginnen und
Kollegen an mich herangetragen. Aber ich gehe selbst-
verständlich davon aus, dass unsere Arbeitsgerichte die-
ses Gesetz richtlinienkonform auslegen werden und es
dementsprechend angewandt wird. Dann wird sich zei-
gen, wie die Rechtsprechung dazu aussieht. Aber zwei-
fellos besteht hier ein Spannungsverhältnis. Das ist über-
haupt nicht wegzudiskutieren.

Zum Thema Wohnraum habe ich schon etwas gesagt.

In den letzten Tagen wurde im Zusammenhang mit
der Höhe des Schadenersatzes darüber diskutiert, ob
exorbitante Ansprüche geltend gemacht werden können,
die Unternehmen womöglich in den Ruin treiben wer-
den. Ich kann ganz deutlich sagen: In Deutschland wird
es nie Schadenersatzforderungen in Höhe von mehreren
hundert Millionen geben, wie sie beispielsweise in den
USA üblich sind. Das wird es bei uns nicht geben. Die
EU verlangt zwar ein abschreckend hohes Schmerzens-
geld. Aber im Arbeitsrecht beträgt es, auch nach Ansicht
anderer europäischer Staaten, maximal ein Jahresgehalt
und mindestens 30 000 Euro.

Wir haben in unserem Gesetzentwurf, wie ich finde,
eine vernünftige Lösung gefunden, die sicherstellt, dass
genau das, was befürchtet wurde, nicht eintreten wird,
nämlich eine Überforderung der Unternehmen. Aber ich
sage auch ganz klar: Wer gegen dieses Gesetz verstößt
und Menschen diskriminiert, der muss das spüren. Das
muss dann Konsequenzen haben. Sonst wäre dieses Ge-
setz ein stumpfes Schwert.


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dieser Gesetzent-
wurf ist ein großer Schritt. Ich weiß, dass sich heute
ganz viele Verbände darüber freuen, dass wir diesen
Schritt endlich machen, zum Beispiel die Behinderten-
verbände und die Schwulen- und Lesbenverbände. Denn
damit zeigen wir: Wir reden nicht nur, sondern wir han-
deln auch. Lassen Sie uns diesen Gesetzentwurf heute
verabschieden und ihn nicht kleinreden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1604313900

Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Götzer, CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Wolfgang Götzer (CSU):
Rede ID: ID1604314000

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Ich will aus meiner Meinung zu diesem Gesetzent-
wurf gar keinen Hehl machen: Was lange währt, wird
nicht automatisch endlich gut.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn jetzt? Stimmen Sie zu oder nicht?)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Wolfgang Götzer
Die Union hat immer ganz klar gesagt, dass wir Rege-
lungen, wie sie die EU-Richtlinien vorgeben, dem
Grunde nach für überflüssig halten, im Übrigen teilweise
für ausgesprochen schlecht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt noch eine rot-grüne Mehrheit! Warten Sie es ab!)


Für einen vernünftigen und ideologiefreien Schutz vor
Diskriminierung hätte unser geltendes nationales Recht
ausgereicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Jetzt aber hält die Ideologie Einzug in unser Zivilrecht
und greift massiv in seinen Kernbereich ein, nämlich in
die Vertragsfreiheit. Das gilt auch für den heute vorlie-
genden Gesetzentwurf, ist aber in den Richtlinien der
EU begründet.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dass wir dem AGG heute trotzdem zustimmen, hat
zwei Gründe.

Erstens war die Umsetzung der EU-Gleichbehand-
lungsrichtlinien in deutsches Recht europarechtlich ge-
boten. Jeder weitere Verzug – darauf ist schon hingewie-
sen worden – hätte für unser Land Strafzahlungen in
Höhe von bis zu 900 000 Euro pro Tag zur Folge gehabt.

Zweitens konnten gegenüber dem ursprünglichen
Entwurf, der unverkennbar die Handschrift der Grünen
getragen hat, erhebliche Verbesserungen erzielt werden.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kleinliche!)


Bereits im Rahmen der Vorbereitung des Regierungsent-
wurfs sind am Entwurf aus der letzten Wahlperiode ei-
nige wichtige Änderungen vorgenommen worden. Ich
nenne nur den Wegfall des Kontrahierungszwangs im
Zivilrecht. Vor allem aber konnten in den koalitions-
internen Verhandlungen der letzten Tage noch zentrale
Punkte geändert werden.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie einmal etwas zu § 22!)


Ich weise nur stichwortartig darauf hin: Jetzt ist prak-
tisch weitgehend ausgeschlossen, dass die AGG-Rege-
lungen auch private Vermieter betreffen. Die Entschei-
dungsfreiheit des Einzelnen bleibt somit weitestgehend
gewahrt. Es ist sichergestellt, dass eine unterschiedliche
Behandlung bei der Wohnraumvermietung aus überge-
ordneten Gründen möglich ist. Das Kriterium der Welt-
anschauung fällt nicht mehr unter den zivilrechtlichen
Diskriminierungsschutz. Der Begriff „Weltanschauung“
ist schwer zu definieren.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht im Grundgesetz!)


Hier wäre möglicherweise ein Einfallstor für Sekten
oder extremistische Organisationen geschaffen worden.

(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht im Grundgesetz, Herr Kollege!)


Das gilt übrigens nicht nur für Rechtsradikale, wie es in
der Begründung heißt, sondern natürlich auch für Links-
radikale und andere, vergleichbare Organisationen. Die
Beweislastregelung ist präzisiert worden, deutlich zu-
lasten desjenigen, der behauptet, diskriminiert worden
zu sein. Ich mache keine Hehl daraus: Natürlich wäre es
uns am liebsten gewesen, wir hätten die klassische Be-
weislastregelung des Zivilrechts.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: § 611 a BGB!)


Nur, Herr Kollege Westerwelle, das lässt die EU-Richtli-
nie nicht zu; auch das müssen wir sehen. Für Kündigun-
gen gelten ausschließlich die Bestimmungen des allge-
meinen und besonderen Kündigungsschutzes; auch
darauf ist hingewiesen worden. Ein erweitertes Klage-
recht des Betriebsrates wird es nicht geben. Der Be-
triebsrat oder die im Betrieb vertretene Gewerkschaft
kann nur eigene Rechte geltend machen, nicht aber stell-
vertretend die Rechte eines Arbeitnehmers oder dies gar
gegen dessen Willen. Antidiskriminierungsverbände
können nicht als Prozessbevollmächtigte für Betroffene
auftreten. Schließlich haben wir die Ausschlussfrist für
die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen
von drei Monaten auf zwei Monate reduziert.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Riesige Erfolge!)


Das alles sind Punkte, die in den letzten Tagen noch er-
reicht werden konnten.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz toll!)


Ich sage aber auch hier ganz klar: Diese Verbesserungen
machen aus einer schlechten Richtlinie kein gutes Ge-
setz.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Aber sie führen dazu, dass wir, weil mehr nicht machbar
war und weil wir, wie gesagt, um eine Umsetzung der
EU-Richtlinien nicht herumkommen, dem vorliegenden
Entwurf, wenn auch mit Bauchschmerzen, zustimmen.

Lassen Sie mich abschließend eine grundsätzliche
Bemerkung machen. Die Beschäftigung mit diesen EU-
Richtlinien muss für uns Anlass sein, dafür zu sorgen,
dass sich der Deutsche Bundestag künftig nicht erst dann
mit EU-Richtlinien beschäftigt, wenn diese bereits ver-
bindlich geworden, also umzusetzen sind,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


sondern schon dann, wenn sie in Brüssel ausgebrütet
werden: damit sie notfalls auf europäischer Ebene ge-
stoppt werden können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1604314100

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir zur Ab-

stimmung kommen, gebe ich bekannt, dass mir etliche
schriftliche Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 un-
serer Geschäftsordnung vorliegen.1) Der Kollege Ilja
Seifert wünscht eine mündliche Erklärung abzugeben.
Ich bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen, den Lärmpe-
gel während dieser Zeit etwas herunterzufahren. Kollege
Seifert, Sie haben das Wort.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604314200

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Ich kann und will nicht gegen ein Gesetz stim-
men, das Diskriminierungen ächtet und verbietet. Ich
kann und will aber auch nicht einem Gesetz zustimmen,
das in seiner Substanz diesem Anspruch nicht gerecht
wird.

Was heute hier beschlossen wird, könnte eigentlich
der krönende Abschluss einer langen Wegstrecke sein,
auf der auch ich, gemeinsam mit vielen anderen, seit
Jahren wandle. Gerne würde ich mit denen feiern, die
wie ich große Hoffnungen in ein umfassendes und wir-
kungsvolles Diskriminierungsverbot setzen. Eine Mo-
gelpackung – als solche kommt das Gesetz heute daher –
lasse ich mir aber nicht als Krone verkaufen.

Seit Jahren, insbesondere in den letzten Tagen und
Wochen, gab es jede Menge Gespräche mit Betroffenen
über den heute zur Abstimmung stehenden Gesetzent-
wurf. Die Entscheidung, zu der ich nunmehr komme,
fällt mir wirklich nicht leicht. Sie nennen das Gesetz
jetzt sehr verschämt „Allgemeines Gleichbehandlungs-
gesetz“. Einerseits setzen Sie nun mit mehrjähriger Ver-
spätung Antidiskriminierungsrichtlinien der EU um –
worauf viele Menschen seit Jahren gewartet haben. An-
dererseits sind nur sehr geringe Verbesserungen mit we-
nig Substanz in diesem Gesetzentwurf. Aber immerhin:
Es wären Verbesserungen; das könnte für eine Zustim-
mung sprechen.

Vor zwei Tagen jedoch legte die Koalition in einem
ziemlich fiesen Kuhhandel, der auch mit der Föderalis-
musreform zusammenhängt, noch einmal Hand an ihren
eigenen Gesetzentwurf. Damit schwächten Sie ihr eige-
nes Gesetz noch weiter. Mit einigen Änderungen bleiben
Sie sogar hinter den Mindestanforderungen der EU zu-
rück. Das wäre ein Grund, das Gesetz in Gänze abzuleh-
nen.


(Zuruf von der SPD: Zur Abstimmung!)


– Ich rede die ganze Zeit zur Abstimmung und erkläre
mein Abstimmungsverhalten.

Erstens werde ich diesem Gesetzentwurf also nicht
zustimmen, weil er irreführend bezeichnet ist. Wer Dis-
kriminierung wirklich verhindern will, muss ungleich
behandeln, nämlich die Schwächen der benachteiligten
Personen und Gruppen ausgleichen. Es geht also nicht
um Gleichbehandlung, sondern um Diskriminierungs-
verbot.

1) Anlagen 10 und 11
Zweitens werde ich dem Gesetzentwurf nicht zustim-
men, weil eine große Gruppe nicht einbezogen ist, näm-
lich diejenigen, die wegen ihrer sozialen Herkunft oder
ihres soziokulturellen Status diskriminiert werden.

Drittens kann ich diesem Gesetzentwurf nicht zustim-
men, weil die Verkürzung der Frist für die Geltendma-
chung von Ansprüchen auf nunmehr zwei Monate, wäh-
rend sie allgemein drei Jahre beträgt, unverhältnismäßig
ist.

Viertens werde ich dem Gesetzentwurf nicht zustim-
men, weil es für die Benachteiligungen von Menschen-
gruppen bei der Vermietung von Wohnungen keinen
akzeptablen Grund gibt. Die Unterstellungen der Woh-
nungswirtschaft, dass eine überdurchschnittliche An-
zahl von Menschen mit Behinderung, einer bestimmten
Religion oder einer bestimmten sexuellen Identität eine
Gefährdung stabiler Bevölkerungs- und Siedlungsstruk-
turen darstellt, sind absurd.

Ich werde dem Gesetzentwurf – fünftens – nicht zu-
stimmen, weil zulässige unterschiedliche Behandlungen,
also erlaubte Diskriminierungen, nicht auf ein Mindest-
maß reduziert wurden. Einzig die Gefahr für Leib und
Leben hielte ich als Ausnahme für akzeptabel.

Sechstens werde ich nicht zustimmen, weil der Be-
griff Rasse in keinen Gesetzentwurf gehört. Das sollte
auch hier der Fall sein.

Siebtens werde ich nicht zustimmen, weil das Ver-
bandsklagerecht ebenso wie wirkungsvolle Strafen und
Sanktionen fehlen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werde mich in
diesem Falle also sehr bewusst und sehr ausdrücklich der
Stimme enthalten. Das ist keine feige Zurückhaltung,
sondern eine sehr bewusste Entscheidung. Ich befürchte
allerdings, dass es nicht lange dauern wird, bis ich auf
der Seite derjenigen stehen werde, die dieses allgemeine
Antidiskriminierungsgesetz gegen diejenigen verteidi-
gen müssen, die es immer noch angreifen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1604314300

Herr Kollege Seifert, Sie haben in Ihrer mündlichen

Erklärung davon gesprochen, dass es sich um einen
„ziemlich fiesen Kuhhandel“ handeln würde. Dies ist
unparlamentarisch und ich bitte Sie herzlich, dies zu-
künftig bei einer mündlichen Erklärung zu unterlassen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirk-
lichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, Druck-
sachen 16/1780 und 16/1852.

Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2022, den
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU bei Ge-
genstimmen der Fraktionen der FDP und der Linken so-
wie aus den Reihen der CDU/CSU und einigen Enthal-
tungen der Linken angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Die Fraktion der FDP verlangt
namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzu-
nehmen. – Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? – Das
ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.

Wir setzen nun die Abstimmungen fort.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/2034: Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Stimmenthaltungen? – Der Entschließungs-
antrag ist mit der Mehrheit der Stimmen des Hauses bei
Stimmenthaltung der Grünen abgelehnt.

Der Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/2033 soll zur fe-
derführenden Beratung an den Rechtsausschuss und zur
Mitberatung an den Ausschuss für Wirtschaft und Tech-
nologie, den Ausschuss für Arbeit und Soziales sowie
den Ausschuss für Familien, Senioren, Frauen und
Jugend überwiesen werden. Sind Sie damit einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen zur Umsetzung europäi-
scher Antidiskriminierungsrichtlinien, Drucksache 16/297:
Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2022, den Ge-
setzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Mehrheit des Hauses bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäfts-
ordnung die weitere Beratung.

Der Rechtsausschusses empfiehlt unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2022
die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/370 mit dem Titel „EU-Antidiskriminie-
rungsrichtlinien durch einheitliches Antidiskriminie-
rungsgesetz wirksam und umfassend umsetzen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit der
Mehrheit der Stimmen des Hauses bei Enthaltung der
Grünen angenommen.

Unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck-
sache 16/957 mit dem Titel „Keine Ausgrenzung beim
Antidiskriminierungsgesetz“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit der Mehrheit der Stim-
men des Hauses bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen.

Schließlich empfiehlt der Rechtsausschuss unter
Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/2022 die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/1861 mit dem Titel „Büro-
kratie schützt nicht vor Diskriminierung – Allgemeines
Gleichbehandlungsgesetz ist der falsche Weg“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den überwiegenden Stimmen des Hauses ange-
nommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des
Rechts der Verbraucherinformation

– Drucksache 16/1408 –

– Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Verbraucherinforma-
tionsgesetzes (VIG)


– Drucksache 16/199 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz (10. Ausschuss)


– Drucksache 16/2011 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ursula Heinen
Elvira Drobinski-Weiß
Dr. Kirsten Tackmann
Ulrike Höfken

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Bleser,
Ursula Heinen, Gitta Connemann, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie
der Abgeordneten Waltraud Wolff (Wolmirstedt),
Ulrich Kelber, Volker Blumentritt, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der SPD

Lebensmittelskandalen effektiv entgegenwir-
ken – Verbraucher umfassend informieren

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN

Konsequenzen aus den Fleischskandalen:
Umfassende Verbraucherinformation und bes-
sere Kontrollen






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
– zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael
Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Jens
Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP

Verbraucherschutz in der Marktwirtschaft
durch mündige und aufgeklärte Verbraucher
sicherstellen

– Drucksachen 16/195, 16/111, 16/825, 16/2009 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ursula Heinen
Elvira Drobinski-Weiß
Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Ulrike Höfken

Zum Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD liegen mehrere Entschließungsanträge vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Ursula Heinen, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ursula Heinen (CDU):
Rede ID: ID1604314400

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach fast fünf Jahren
Diskussion wird der Deutsche Bundestag mit seiner Zu-
stimmung das Verbraucherinformationsgesetz endlich zu
einem guten Abschluss bringen. Wir, Union und SPD,
haben damit ein neues Kapitel der Verbraucherpolitik
aufgeschlagen und ein Gesetz gestaltet, das den Verbrau-
chern neue Perspektiven eröffnet.

Erstmals erhalten die Verbraucher in unserem Land
ein bundeseinheitliches Recht auf Zugang zu bei Behör-
den vorhandenen Informationen über Lebensmittel und
Bedarfsgegenstände. Dafür müssen wir uns bei unserem
CSU-Minister, Horst Seehofer, bedanken, der das Pro-
jekt relativ zügig nach seinem Amtsantritt in Angriff ge-
nommen


(Beifall bei der CDU/CSU – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Ein Meilenstein! – Zurufe von der SPD: Oh!)


– natürlich gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen –
und das Gesetz über die Ziellinie gebracht hat. Das war
bekanntlich ein schwieriger Prozess.

Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einmal betonen,
dass sich der Anwendungsbereich des hier debattierten
Gesetzes eben nicht nur auf Lebensmittel beschränkt
– wie es in den öffentlichen Diskussionen oftmals darge-
stellt wird –, sondern dass es auch für Kosmetika, Be-
kleidung, Spielwaren, Schnuller, Bettwäsche, Putz- und
Waschmittel sowie alles, was mit der Haut oder den
Schleimhäuten in Berührung kommen kann, gilt. Der
Gesetzentwurf umfasst damit die für die Verbraucher
wichtigsten Gegenstände des alltäglichen Bedarfs.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: So ist es!)

Das ist ein Riesenfortschritt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Künftig können Informationen beispielsweise über
Verstöße gegen das Lebensmittel- und Futtermittelgesetz
– das ist angesichts der Gammelfleischdiskussion vor ei-
nigen Monaten von entscheidender Bedeutung –, über
Daten, die Auskunft über Gefahren oder Risiken für die
Gesundheit geben, sowie über Überwachungsmaßnah-
men der Behörden abgerufen werden. Für die Verbrau-
cherinnen und Verbraucher sind insbesondere Angaben
zu festgestellten Werten von Bedeutung. Erinnern Sie
sich zum Beispiel an die immer wieder aufkommende
Acrylamiddiskussion!

Der Zugang zu Informationen ist für unser Leitbild
des mündigen Verbrauchers eine entscheidende Voraus-
setzung,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


das wir in unserem Koalitionsvertrag festgehalten haben.
Um diese Voraussetzung zu schaffen, haben wir nach der
Expertenanhörung im Ausschuss auch hinsichtlich der
Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse den Willen des
Gesetzgebers deutlicher und klarer formuliert. So fallen
künftig Informationen über Rechtsverstöße nicht unter
den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Wir haben immer wieder darüber diskutiert, ob sich Un-
ternehmen eventuell auf das Geschäftsgeheimnis beru-
fen können, wenn Rechtsverstöße festgestellt worden
sind. Das haben wir jetzt im Gesetz klargestellt. Das gibt
es nicht. In einem solchen Fall werden die Namen ge-
nannt. Auch das ist eine ganz wichtige Botschaft an die
Verbraucherinnen und Verbraucher.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Auf der anderen Seite gilt aber: Wir müssen die
Eigentumsrechte der Unternehmen wahren. Deshalb
befinden wir uns mit diesem Gesetz auf einer Gratwan-
derung. Natürlich wäre es schön, über jedes Detail eines
Produktes genau Bescheid zu wissen. Dann kann es aber
vorkommen, dass wir beispielsweise Rezepturen oder
ähnliche Dinge erfahren wollen, die ganz klar Betriebs-
geheimnisse eines Unternehmens sind. Deswegen benö-
tigen wir einen bestimmten Schutz der Unternehmen.
Nachweisliche Betriebsgeheimnisse müssen daher ge-
schützt werden. Daran führt kein Weg vorbei.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Allerdings gilt auch: Je mehr Verbraucherinformatio-
nen die Unternehmen von sich aus bieten, desto besser
stehen sie im Wettbewerb da;


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


denn heute wollen Verbraucher wissen, was sie kaufen
und welche Inhaltsstoffe die Produkte haben, die sie
kaufen. Deshalb können wir den Unternehmen nur raten,
eine offensive Informationspolitik zu betreiben und die
Verbraucher von sich aus und nicht nur über den






(A) (C)



(B) (D)


Ursula Heinen

Neben dem Verbraucherinformationsgesetz haben wir Ich komme zu Tagesordnungspunkt 5 a zurück und

noch eine wichtige Änderung im Lebensmittel- und
Futtermittelgesetz vorgenommen. Es geht darum, dass
die Behörden aktiv die Verbraucher informieren, wenn
Rechtsverstöße vorliegen bzw. wenn von bestimmten
Produkten ganz klar Gesundheitsgefahren ausgehen.
Bisher war im Lebensmittel- und Futtermittelgesetz nur
geregelt, dass die Behörden informieren können. Wir ha-
ben das schärfer gefasst und deshalb eine Sollbestim-

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 571;
davon

ja: 443
nein: 111
enthalten: 17

Ja

CDU/CSU

Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Jochen Borchert

Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer (Lübeck)

Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Jochen-Konrad Fromme
gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur
Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung
des Grundsatzes der Gleichbehandlung – Druck-
sachen 16/1780, 16/1852, 16/2022 – bekannt. Abgege-
bene Stimmen 571. Mit Ja haben 443 gestimmt, mit Nein
haben 111 gestimmt, Enthaltungen 17.

Dr. Michael Fuchs
Dr. Jürgen Gehb
Michael Glos
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr zu

Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze

Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung (Konstanz)

Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler (Wiesbaden)

Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
„Umweg“ über die Behörden
zeitig, klar und eindeutig zu i


(Beifall bei der CDU/CS neten de Ich habe eingangs schon Verbraucherinformationsgese der Verbraucherpolitik besc müssen, wie das Gesetz ang als Koalitionsfraktionen in ei den wir heute auch verabschi innerhalb der nächsten zwei J wollen. Wir werden uns sehr Verbraucherinnen und Verb des Gesetzes nutzen, ob es e der Behörden Schwierigkeite mitmachen oder ob sie Infor alles unter Verschluss halten informieren. Letzteres hieße Regelungen treffen müssten ohne Eigentumsrechte der U zen. (Beifall bei der CDU/CS neten de über ihre Produkte rechtnformieren. U sowie bei Abgeordr SPD)


gesagt, dass wir mit dem
tz einen ganz neuen Weg in
hreiten. Weil wir prüfen
enommen wird, haben wir
nem Entschließungsantrag,
eden, festgehalten, dass wir
ahre das Gesetz evaluieren
genau anschauen, wie die

raucher die Möglichkeiten
ventuell bei den Antworten
n gibt, ob die Unternehmen
mationen nicht preisgeben,
und die Verbraucher nicht
für uns, dass wir schärfere
, soweit wir das können,
nternehmen etc. zu verlet-

U sowie bei Abgeord-
r SPD)
mung eingeführt. Die Behör
lichkeit informieren, sob
Risiken etc. vorliegen.


(Beifall bei der CDU/C [CDU/CSU]: Das ist In Zukunft können auch d genannt werden, wenn die Pr Markt sind, nachträglich ab von ihnen Gesundheitsgefahr das ist ein großer Schritt hin mation. Die Koalition hat bei ein nämlich in dieser Legislatur formationsgesetz vorzulegen, (Peter Bleser [CDU/CS Mona Ich danke allen Kollegin diesem Weg mitgegangen sin (Beifall bei der CDU/CS neten de Vizepräsidentin Dr. h. c den sollen jetzt die Öffentald Gesundheitsgefahren, SU – Julia Klöckner Verbraucherschutz!)


ann Namen von Produkten
odukte nicht mehr auf dem
er festgestellt wurde, dass
en ausgegangen sind. Auch
zu mehr Verbraucherinfor-

em wichtigen Versprechen,
periode ein Verbraucherin-
Wort gehalten.

U]: Das nach sieben
ten!)

nen und Kollegen, die auf
d.

U sowie bei Abgeord-
r SPD)

. Susanne Kastner:






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich

Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer (Altötting)

Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Laurenz Meyer (Hamm)

Maria Michalk
Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Bernward Müller (Gera)

Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht (Weiden)

Peter Rzepka
Anita Schäfer (Saalstadt)

Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Andreas Schmidt (Mülheim)

Ingo Schmitt (Berlin)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Horst Seehofer
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller

SPD

Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr (Neuruppin)

Dr. Hans- Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding (Heidelberg)

Volker Blumentritt
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Gerd Höfer
Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Brunhilde Irber
Johannes Jung (Karlsruhe)

Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel (Berlin)

Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller (Chemnitz)

Michael Müller (Düsseldorf)

Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche (Cottbus)

Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel Riemann-

Hanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
Rene Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Ortwin Runde
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Otto Schily
Silvia Schmidt (Eisleben)

Renate Schmidt (Nürnberg)

Dr. Frank Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

Heinz Schmitt (Landau)

Carsten Schneider (Erfurt)


Dr. Thea Dückert
Hans Josef Fell

FDP

Jens Ackermann

Dr. Martina Bunge
Sevim Dagdelen
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz


(Everswinkel)

Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h.c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen


(Wiesloch)

Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wollf


(Wolmirstedt)

Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Kerstin Andreae
Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz (Herborn)

Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Renate Künast
Undine Kurth (Quedlinburg)

Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Brigitte Pothmer
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf (Frankfurt)


Nein

CDU/CSU

Veronika Bellmann
Carl-Eduard von Bismarck
Thomas Dörflinger
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Dr. Reinhard Göhner
Manfred Kolbe
Dr. Klaus W. Lippold
Friedrich Merz
Henry Nitzsche
Dr. Georg Nüßlein
Beatrix Philipp
Peter Rauen
Kurt J. Rossmanith
Christian Freiherr von Stetten
Willi Zylajew
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr (Münster)

Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Heinz-Peter Haustein
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Martin Zeil

DIE LINKE

Hüseyin-Kenan Aydin
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Diether Dehm
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Cornelia Hirsch
Inge Höger-Neuling
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Monika Knoche
Jan Korte
Katrin Kunert
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Ulrich Maurer
Kornelia Möller
Wolfgang Neskovic
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Paul Schäfer (Köln)

Volker Schneider


(Saarbrücken)

Dr. Herbert Schui
Frank Spieth
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Sabine Zimmermann

fraktionslos

Gert Winkelmeier

Enthalten

CDU/CSU

Ernst-Reinhard Beck

(Reutlingen)


Eberhard Gienger
Karl-Georg Wellmann

DIE LINKE

Roland Claus
Werner Dreibus
Hans-Kurt Hill
Dr. Barbara Höll
Katja Kipping
Dr. Gesine Lötzsch
Dorothee Menzner
Kersten Naumann
Petra Pau
Elke Reinke
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Jörn Wunderlich






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.

Nächster Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Hans-Michael Goldmann, FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1604314500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Auch für die FDP ist das Thema „Verbraucher-
bildung, Verbraucherinformation und Verbraucher-
schutz“ äußerst wichtig. Wir versuchen mit aller Konse-
quenz und mit aller Deutlichkeit, die Balance zwischen
den Rechten der Verbraucher und den Rechten der Un-
ternehmen – wir nennen sie Betriebsgeheimnisse oder
Geschäftsgeheimnisse – herzustellen. Wir müssen diese
Sache also ausgewogen gestalten. Das ist unser Kernziel,
wenn wir uns um Verbraucherschutz kümmern.

In dieser Frage – das ist die erste Kritik – ist dieses
Gesetz unklar. Dieses Gesetz schützt nicht systematisch
genug die Betriebs- und die Geschäftsgeheimnisse von
Unternehmen, vor allem nicht von kleinen Unterneh-
men.


(Beifall bei der FDP)


Das ist Ihnen auch klar; schließlich haben Sie in diesem
Gesetz eine ganze Litanei von Ausnahmetatbeständen
aufgeführt. Um ein bisschen mehr Klarheit in diese An-
gelegenheit zu bringen, müssen Sie einen Entschlie-
ßungsantrag zu Ihrem eigenen Gesetzentwurf einbrin-
gen, der auf der ersten Seite zwar relativ breit, aber
unklar darlegt, wie Sie dieses Gesetz ausgestaltet wissen
wollen.

Damit verbunden ist das Hauptproblem dieses Geset-
zes. Dieses Gesetz verlagert die besondere Informations-
verpflichtung gegenüber dem Verbraucher zu Recht in
die Behörden. Behörden sind die Bindeglieder zwischen
den Unternehmen und den Verbrauchern. Sie sind be-
stückt mit Fachfrauen und Fachmännern. Sie sammeln
diese Informationen; dafür haben sie einen staatlichen
Auftrag. Das machen Lebensmittelkontrolleure in den
Betrieben. Sie gehen in die Betriebe und informieren
sich darüber, ob sie sich an die Standards halten, die so-
zusagen Grundlage ihres wirtschaftlichen Tuns sind.


(Zuruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD])


– Genauso ist es, Herr Kelber. – Sie sammeln diese In-
formationen und sie stellen sie den Verbrauchern zur
Verfügung. Wenn Sie mir das nicht glauben, dann kön-
nen wir uns darüber nachher einmal unterhalten. Ich
habe das jahrelang gemacht. Ich weiß in etwa, wovon ich
spreche.


(Beifall bei der FDP)


Wie wenig Vertrauen Sie im Grunde genommen in
diese behördliche Struktur – sie ist gleichzeitig das
Kernelement Ihres Verbraucherinformationsgesetzes –
setzen, das kann man auch daran sehen, dass diese
Behörden keine Verpflichtung zur Haftung für die Aus-
kunft, die sie geben, haben. Das ist ein dolles Ding: Da
wendet sich ein Verbraucher an die Behörde, die Be-
hörde gibt ihm eine Information, diese Information ist
möglicherweise falsch und gefährdet das Unternehmen
bis zur Existenzzerstörung. Dazu sagen Sie: Daran sind
wir aber nicht schuld. Sie bringen hier ein eigenartiges
Gesetz auf den Weg.


(Beifall bei der FDP)


Was die Qualität angeht, weist es aus meiner Sicht wirk-
lich dramatische Mängel auf.

Wie wenig Vertrauen Sie im Grunde genommen zu
Ihrem eigenen Gesetz haben, wird wiederum in Ihrem
Entschließungsantrag deutlich. Dort schreiben Sie
– das ist der letzte Punkt –, dass Sie den ersten Erfah-
rungsbericht zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes
vorlegen und alle gesetzlichen Informationsrechte mit-
einander abstimmen und systematisieren wollen.


(Ursula Heinen [CDU/CSU]: Das ist ja klug!)


Das ist ja wohl ein Witz. Das heißt, das jetzt vorliegende
Gesetz ist unsystematisch


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


und mit vorhandenen gesetzlichen Bestimmungen, zum
Beispiel dem Informationsfreiheitsgesetz, nicht in Ein-
klang zu bringen. Das ist eine schallende Ohrfeige für
Sie, die Sie diesen Gesetzentwurf heute verabschieden
wollen. Ich halte das wirklich für dramatisch.


(Beifall bei der FDP)


Ihr Gesetz ist insgesamt halbherzig angelegt. Liebe
Kollegin Heinen, Sie haben schön gesagt, welche
Zuständigkeiten mit diesem Gesetz verbunden sind.
Aber wenn dieses Gesetz so toll ist, warum regelt es
dann eigentlich nicht die Auskunft über Lebensversiche-
rungen? Warum regelt es nicht die Auskunftspflicht bei
Kapitalgeschäften? Warum beschränken Sie sich im
Kern auf Futtermittel, Lebensmittel und die dazugehöri-
gen Bedarfsgegenstände? Wir wollen das mit dem Spiel-
zeug nicht übertreiben. Schauen Sie doch einmal ins alte
Lebensmittelgesetz! Da ist der Begriff des Bedarfsge-
genstandes sehr klar definiert. Mit dem, was Sie hier tun,
sind Sie von dem, was dort für den Verbraucher abge-
deckt wird, ein ganzes Stück weit entfernt.

Ihr Gesetz bleibt in Bezug auf unsere zentralen Ver-
braucherrechte, zum Beispiel Fahrgastrechte und Schutz
junger Menschen, die sich durch die Benutzung von
Handys überschulden, weit hinter den Erwartungen der
Verbraucher zurück. Deswegen wird Ihr Gesetz von den
Verbraucherverbänden auch scharf kritisiert.


(Beifall bei der FDP – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Die FDP als Anwalt des Verbrauchers!)


– Ja, natürlich! Entschuldigen Sie, liebe Frau Klöckner,
die FDP ist eine Bürgerrechtspartei. Deswegen ist sie na-
türlich Anwalt der Verbraucher. Sie ist die Partei, die
ganz klar die Interessenlagen von Betrieben vertritt, ge-
rade von kleinen Betrieben – die nicht immer alles so gut
erfüllen können wie die großen –, damit diese Betriebe
und ihre Arbeitsplätze geschützt werden.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Hans-Michael Goldmann
Lassen Sie mich noch etwas zu dem Gesetz von
Bündnis 90/Die Grünen sagen, über das wir auch disku-
tieren. Sie wollen einen Informationsanspruch gegen-
über Unternehmen begründen. Das lehnen wir ent-
schieden ab. Es kann nicht den Anspruch eines Bürgers
an ein Unternehmen geben, zum Beispiel zu wissen, wie
ein Malermeister – Kollege Zöllmer hat es gestern im
Ausschuss eindrucksvoll belegt – seine Preise kalkuliert.
Das ist schlicht und ergreifend eine Wettbewerbsverzer-
rung. Der Kunde muss sich auf Folgendes verlassen:
Wenn er ein Angebot von einem Betrieb oder Unterneh-
men bekommt, dann ist die Erarbeitung dieses Angebots
sachgerecht. Dafür gibt es Fachleute in den Unterneh-
men. Die andere Funktion haben zu Recht die Behörden
zu übernehmen.

Wir sind strikt gegen zu viele Staatseingriffe. Wir leh-
nen das grüne Gesetz entschieden ab. Es widerspricht al-
len Grundsätzen von Eigenverantwortung und Eigen-
ständigkeit in Verbraucherfragen. Dieses Gesetz, das Sie
vorgelegt haben, geht wirklich an der Sache vorbei.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Manfred Zöllmer [SPD])


Das vorliegende Gesetz der Koalition ist nach Auffas-
sung der FDP ein Namensblender. Es ist kein Gesetz, das
in entscheidendem Maße Verbraucherinformationen
transportiert. Es ist nach unserer Auffassung eine Mo-
gelpackung. Wenn Sie sich die Mühe machen würden,
sich den Entschließungsantrag der FDP zu Gemüte zu
führen und die Inhalte in die einzelnen Bausteine des
Gesetzes zu integrieren, könnten wir längerfristig zu ei-
nem guten Gesetz kommen. Das von Ihnen heute vorlie-
gende Gesetz findet unsere Zustimmung nicht. Wir müs-
sen es ablehnen.


(Beifall bei der FDP – Mechthild Rawert [SPD]: Damit haben wir gerechnet!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1604314600

Nächste Rednerin ist die Kollegin Elvira Drobinski-

Weiß, SPD-Fraktion.


Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1604314700

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Dieses neue Verbraucherinformationsgesetz, das
den Verbraucherinnen und Verbrauchern zum ersten Mal
einen Anspruch auf Informationen in einem eigenständi-
gen Gesetz gibt, wird von einigen völlig unterschätzt.
Deshalb bitte ich Sie, dem, was von meinem Vorredner
gerade ausgeführt worden ist, nicht zu folgen. Ich
möchte diese Gelegenheit nutzen, um einige Missver-
ständnisse aufzuklären. Wenn es jetzt im Blick auf das,
was Frau Kollegin Heinen schon gesagt hat, Doppelun-
gen gibt,


(Ute Kumpf [SPD]: Doppelt genäht hält besser!)


braucht Sie das nicht zu wundern; denn wir haben das
als Koalition miteinander unter starken Geburtswehen
auf den Weg gebracht.
Das Gesetz sieht deutliche Verbesserungen für die
Verbraucherinnen und Verbraucher vor und verleiht ih-
ren Interessen mehr Gewicht. Die Behörden werden
verpflichtet, die Öffentlichkeit bei Verstößen gegen das
geltende Lebensmittelrecht zu informieren.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist jetzt schon möglich!)


Das wurde auf Druck der SPD – das möchte ich aus-
drücklich betonen – mit einer Verschärfung der im Le-
bens- und Futtermittelgesetzbuch ursprünglich vorgese-
henen Kannregelung erreicht; hier gilt jetzt eine
Sollregelung. Dabei muss zwar eine Abwägung


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Aha! Wie jetzt!)


zwischen den Belangen der Verbraucher und der betrof-
fenen Unternehmen stattfinden; es ist aber in der Regel
davon auszugehen, dass das Interesse der Öffentlichkeit
überwiegt. Nur in begründeten Ausnahmefällen kann
von der Information der Öffentlichkeit abgesehen wer-
den.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist jetzt schon so!)


Ich will verdeutlichen, welche Vorteile die neue Re-
gelung bringt. Die Behörden sollen die Öffentlichkeit
zum Beispiel informieren, wenn hinreichende Anhalts-
punkte für eine gesundheitliche Gefährdung vorliegen,
die aus bestimmten Gründen nicht behoben werden
kann. Das gilt zum Beispiel für Acrylamid. Der Entste-
hung von Acrylamid beim Braten, Backen und Frittieren
von Kartoffeln und Getreideprodukten kann nicht ver-
hindert werden. Aber durch niedrigere Temperaturen
und kurze Garzeiten kann die Acrylamidbelastung redu-
ziert werden. Deshalb enthalten die auf dem Markt vor-
handenen Produkte ganz unterschiedliche Anteile. Da-
rüber müssen die Verbraucherinnen und Verbraucher
informiert werden,


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Einverstanden! Das ist jetzt schon so! Wo ist das Problem?)


zumal gerade Chips und Kekse, die vor allem belastet
sind, insbesondere von Kindern verzehrt werden.

Mit dem Gesetz haben wir jetzt ein wirksames Instru-
ment in der Hand. Die Behörden können Produkte und
Hersteller benennen und die Verbraucher können sich
gegen hoch belastete Produkte entscheiden. Ich bin si-
cher, die Hersteller werden reagieren und die Belastung
reduzieren.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das tun sie jetzt schon!)


Ein weiteres Beispiel ist Gammelfleisch: Die Behör-
den sollen über Ekel erregende Lebensmittel informie-
ren, das heißt, auch hier werden Produkt und Anbieter
benannt. Das Gesetz sieht übrigens ausdrücklich vor,
dass solche Informationen auch über Internet erfolgen
können.






(A) (C)



(B) (D)


Elvira Drobinski-Weiß
Von besonderer Bedeutung ist, dass sich die Verbrau-
cherinnen und Verbraucher nun selbst an die Behörden
wenden können, um weitere Informationen zu bekom-
men.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Kostet aber!)


Auch das möchte ich an einem Beispiel erläutern, näm-
lich der Druckchemikalie ITX, die bei Verpackungen
eingesetzt wird und Anfang des Jahres mehrfach in
Obst- und Gemüsesäften aus Kartonverpackungen ge-
funden wurde.

Bei einigen herrschen offensichtlich Zweifel darüber,
ob Verpackungen vom Verbraucherinformationsgesetz
erfasst sind. Der Geltungsbereich umfasst nicht nur Le-
bens- und Futtermittel, sondern auch kosmetische Mittel
und Bedarfsgegenstände; diese hat Frau Heinen ja be-
reits vorhin aufgezählt. Alles, was mit Lebensmitteln
oder kosmetischen Mitteln in Berührung kommt, so zum
Beispiel Verpackungen, Behältnisse und sonstige Um-
hüllungen, fällt darunter. Verbraucherinnen und Verbrau-
cher haben also das Recht, sich bei den Behörden über
die Beschaffenheit bzw. die Behandlung der Verpackung
zu informieren, und würden dort dann erfahren, ob bei
der Verpackung eines bestimmten Obstsafts ITX ver-
wendet wurde oder nicht. Druckchemikalien gehören al-
lerdings überhaupt nicht in Lebensmittel. Deshalb ver-
treten wir die Auffassung


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wer ist „wir“?)


– das sind wir –, dass die Behörden auch in solchen Fäl-
len in Zukunft von sich aus die Öffentlichkeit informie-
ren sollten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Als Konsequenz aus der öffentlichen Anhörung zum
Verbraucherinformationsgesetz vor einigen Wochen
bringen wir heute auch einen Änderungsantrag zum Ge-
setz ein, der eine Verkürzung der Bearbeitungsfrist für
Informationsanliegen von acht Wochen auf vier Wochen
vorsieht.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Großartig! – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber mit tausend Ausnahmeregelungen!)


Außerdem wird klargestellt, dass bei Rechtsverstößen
Informationen nicht unter Berufung auf den Schutz von
Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen verweigert werden
dürfen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Aber festgestellt werden muss der Rechtsverstoß!)


Da nun auch aus CDU/FDP-regierten Ländern, bei-
spielsweise aus Nordrhein-Westfalen und Baden-
Württemberg, Forderungen nach weiter gehenden Rege-
lungen laut geworden sind,


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Richtig!)


kann ich für die SPD sagen: Wir sind mit dabei. Für uns
ist dieses Gesetz ein wichtiger, erster Schritt auf dem
Weg zum transparenten Markt. Wir werden dafür sorgen,
dass weitere Schritte folgen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Oh!)


Wir wollen, dass auch die Wirtschaft ihre Verantwor-
tung gegenüber den Verbraucherinnen und Verbrauchern
wahrnimmt und sie informiert.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das macht sie doch jetzt schon! Tun Sie doch nicht so!)


– Eben nicht. – Bei den Unternehmen liegen schließlich
alle Daten vor, die eine bewusste Auswahl ermöglichen
und eine eigenverantwortliche Marktteilnahme gewähr-
leisten.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was denn nun?)


Wir wollen auf Basis erster Erfahrungen mit dem Ver-
braucherinformationsgesetz die Aufnahme weiterer Pro-
dukte und Dienstleistungen in den Geltungsbereich er-
reichen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Haben Sie zugehört, Herr Goldmann?


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ja!)


Wie bei allen neuen Gesetzen können wir bisher nicht
abschließend beurteilen, wie sich die Regelungen in der
Praxis bewähren werden und ob alle gewünschten Ziele
erreicht werden. Deshalb bringen wir heute auch einen
Entschließungsantrag ein, mit dem die Bundesregierung
aufgefordert wird, die Erfahrungen mit dem Gesetz zu
dokumentieren und auszuwerten. Damit werden wir zum
Beispiel beobachten können,


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wir sind weiter als ihr!)


ob und welche Ausschlussgründe zu nicht nachvollzieh-
barer Informationsverweigerung führen, wie sich die
Kosten entwickeln und wie lange die Bearbeitung der
Auskunftsanliegen dauert. Diese Auswertung gibt uns
dann die Möglichkeit, bei eventuellen Fehlentwicklun-
gen mit gesetzlichen Maßnahmen gegenzusteuern. Das
ist keineswegs eine schallende Ohrfeige. Vielmehr ist es
das Normalste von der Welt, dass man die Erfahrungen
mit einem Gesetz evaluiert.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist eine Selbstverständlichkeit!)


Mit dem Antrag werden auch die Unternehmen auf-
gefordert, eigene Initiativen zu ergreifen und Zugang zu
den bei ihnen vorhandenen Informationen zu gewähren.
Sollte sich die Wirtschaft hier nicht bewegen, werden
wir auf gesetzliche Maßnahmen dringen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das macht die CDU/CSU mit? Interessant!)


Ich denke, wir sind mit dem Gesetz auf einem guten
Weg. Den werden wir weitergehen, denn – ich schließe
mit Johann Wolfgang von Goethe –:

Alles Gute, was geschieht, setzt das Nächste in Be-
wegung.






(A) (C)



(B) (D)


Elvira Drobinski-Weiß
Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1604314800

Das Wort hat die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann,

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604314900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Verehrte Gäste! Dieser Entwurf eines Ver-
braucherinformationsgesetzes ist vor allem eins: ein Do-
kument der politischen Mut- und Kraftlosigkeit.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Man kann es auch stärker formulieren: Es fehlt bei eini-
gen Akteuren, nicht bei allen, der politische Wille zur
Sicherung der Interessen der Verbraucherinnen und Ver-
braucher, auch gegenüber Interessen, die von Unterneh-
mensverbänden geltend gemacht wurden. Ob damit
wirklich Unternehmensinteressen vertreten wurden, ist
eine spannende Diskussion.

Dass in der Protokollerklärung und im Ausschuss und
im Entschließungsantrag wichtige Defizite des Entwurfs
von den Einreichern selbst benannt werden, zeigt, dass
sie wissen, dass erstens die dringend benötigte Tür zwar
einen kleinen Spalt weit geöffnet wird, dahinter aber nur
eine Wand ist, und dass zweitens eine Chance vertan
wurde, tief erschüttertes Verbrauchervertrauen zu-
rückzugewinnen.

Es mag ja sein, dass wir heute, objektiv gesehen, die
sichersten Lebensmittel aller Zeiten haben. Nur, die
Menschen bewerten das angesichts der Skandale der ver-
gangenen Jahre subjektiv anders. Sie sind misstrauisch
geworden. Was haben Gammel- und Wildfleischskan-
dale, Druckerfarben in Getränken, Pestizide in Obst und
Gemüse gemeinsam?


(Zuruf von Hans-Michael Goldmann [FDP])


Die Informationen darüber gelangten viel zu spät, zu zö-
gerlich und unvollständig an die Öffentlichkeit. Erst da-
mit wurden sie zum Skandal!


(Beifall bei der LINKEN)


Die Gegenstrategie wäre ebenso logisch wie einfach: ein
Verbraucherinformationsgesetz, das drei wesentliche
Kriterien erfüllt. Der Zugang zu Informationen bei Be-
hörden und Unternehmen muss erstens möglichst voll-
ständig, zweitens möglichst schnell und drittens er-
schwinglich sein.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie wissen doch, dass das nicht geht!)


Nur so können sich Verbraucherinnen und Verbraucher
auf gleicher Augenhöhe mit den Unternehmen am Markt
bewegen und mündige Kaufentscheidungen fällen. Was
aber bedeutet der vorliegende Gesetzentwurf für Otto
Normalverbraucher?
Erstes Beispiel: Zunächst erfährt er erst einmal gar
nichts, denn eine aktive Informationspflicht der
Behörden gibt es nicht. Otto Normalverbraucher wird
also gar nicht nachfragen, ob sein Lieblingsgetränk die
Druckerchemikalie ITX enthält, denn er ahnt ja gar
nicht, dass es die überhaupt gibt. Er bleibt im Zustand
der glückseligen Ahnungslosigkeit. Mit der entsprechen-
den Information hätte er solche Verpackungen meiden
können. Egal übrigens, ob ITX gesundheitsschädlich ist
oder nicht: Vorbeugen ist besser als Heilen!


(Beifall bei der LINKEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das haben wir gestern im Ausschuss gehört!)


Zweites Beispiel: Otto Normalverbraucher hat gele-
sen, dass Obst Pestizide enthalten kann. Also fragt er
beim Händler nach. Er könnte wieder Pech haben, denn
ein Auskunftsanspruch gegenüber Unternehmen be-
steht nicht.

Drittes Beispiel: Otto Normalverbraucher hat als ei-
nes von 300 000 Opfern eines Immobilienbetrugs durch
Strukturvertriebe viel Geld verloren. Er hätte rechtzeitig
vor dieser Gefahr gewarnt werden können. Aber Dienst-
leistungen gehören nicht zum Geltungsbereich des Ver-
braucherinformationsgesetzes.

Viertes Beispiel: Otto Normalverbraucher möchte er-
fahren, was an den Gerüchten dran ist, dass Honig nicht
gentechnikfrei ist. Aber er ist ALG-II-Empfänger. Die
Auskunft, dass kostendeckende Gebühren anfallen,
lässt ihn unverrichteter Dinge wieder gehen.

Der Zugang zu Informationen ist ein demokratisches
Grundrecht und sollte uns als Gesetzgeber ein hohes Gut
sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Diesem Anspruch wird der Koalitionsentwurf nicht ge-
recht.

Es geht darüber hinaus darum, dass die Rechtsord-
nung Markttransparenz – sie ist heute wichtiger denn
je – herstellen muss, wie das Bundesverfassungsgericht
2002 im Zusammenhang mit dem Glykolskandal ur-
teilte. Die immer kürzeren Abstände zwischen den Skan-
dalen sind ja kein Zufall.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie glauben ja selber nicht, was Sie sagen!)


Die Bedingungen des globalisierten Marktes sind sehr
hart. Sie fördern Strukturen skrupelloser Profiteure, de-
ren Leiharbeiter und Billigstlöhner sich kaum noch
trauen, Verstöße und Schlamperei öffentlich zu machen.
Was könnte also mehr im Unternehmerinteresse liegen
als ein Gesetz, das sicherstellt, dass informierte Verbrau-
cherinnen und Verbraucher dafür sorgen, dass Abzocker
keine Chance haben?


(Beifall bei der LINKEN)


Im Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen
heißt es: „Verbraucherpolitik ist Wirtschaftspolitik von
der Nachfrageseite.“ Richtig! Aber die Branche hat die
Chance verpasst, ein Gesetz mit zu gestalten, das ihren






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Kirsten Tackmann
Willen zu Transparenz, Offenheit und Partnerschaft mit
den Verbraucherinnen und Verbrauchern dokumentiert.

Ich bedauere sehr, dass die vielen kritischen Hinweise
in der Expertenanhörung von Verbraucherverbänden und
aus dem Parlament nicht zu einer Qualifikation der Vor-
lage geführt haben. Dieser Gesetzentwurf darf nicht das
letzte Wort sein! In unserem Entschließungsantrag ist
nachzulesen, was zu ändern ist.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1604315000

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Höfken von

der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Sie haben heute gar keine Utensilien dabei! – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Du bist so nackig heute!)



Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604315100

Ihr wisst schon, warum ihr so ein schlechtes Gewis-

sen habt, nehme ich an.


(Heiterkeit)


Der Unmut in der Bevölkerung über die große Koali-
tion wächst deutlich. Die Mehrwertsteuererhöhung geht
zulasten der kleinen Leute. Der wirtschaftliche Verbrau-
cherschutz ist fast überhaupt nicht mehr zu spüren. Das
Verbraucherinformationsgesetz bleibt weit hinter den
Zielen zurück, die sich Herr Seehofer selber gesetzt hat,


(Jürgen Koppelin [FDP]: Er hat doch überhaupt keine!)


und stellt die schwarzen Schafe geradezu unter Arten-
schutz. Die Definition von „Betriebsgeheimnis“ wird so
gedehnt, dass ein Großteil der Verbraucherinformationen
zum Geheimnisverrat wird, und zwar unter dem Begriff
„sonstige wettbewerbsrelevante Informationen“.

Die Proteste sind dementsprechend zahlreich. Ich
habe das, obwohl ich schon viele Jahre im Parlament
bin, lange nicht so erlebt. Alle Verbraucherverbände,
Umweltverbände und Journalistenverbände protestieren.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: An die Arbeitsplätze denkt kein Mensch!)


Tausende von E-Mails werden geschrieben, von denen
auch ich viele beantwortet habe. Ich habe nicht die glei-
che Erfahrung gemacht wie Sie, Frau Heinen; das müs-
sen wir noch einmal klären. Ebenso zeigen die Postkar-
tenaktionen, von denen Sie sich im Ausschuss ein Bild
machen konnten, dass es hier ein Problem gibt.

Auch die Datenschutz- und Informationsfreiheitsbe-
auftragten von Bund und Ländern haben Kritik angemel-
det. Sie fordern, ebenso wie wir, den Anwendungsbe-
reich zu erweitern – Frau Tackmann hat schon eine
ganze Reihe von Beispielen genannt –, nicht nur auf das
LFBG bezogen, sondern weit darüber hinaus.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Das habt ihr früher doch auch nicht gemacht!)

Aber selbst im Bereich des Lebensmittelrechts gibt
es erhebliche Probleme; ich möchte das hier vertiefen.
Die Mehrfachbelastung mit Pestiziden ist schon erwähnt
worden. Gentechnisch veränderte tierische Lebensmittel –
kein Informationsanspruch.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das stimmt doch gar nicht, was Sie da sagen! – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Sie müssen den Gesetzentwurf mal richtig lesen! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Da muss doch die Kennzeichnung her!)


– In Bezug auf die Ergebnisse der Lebensmittelüberwa-
chungsbehörden zu gentechnisch veränderten tierischen
Lebensmittelprodukten besteht kein Informationsan-
spruch, da es bislang keine lebensmittelrechtliche Kenn-
zeichnungsregelung gibt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Du weißt doch, dass das bei tierischen Lebensmitteln nicht nachweisbar ist!)


Namentliche Nennung eines Betriebes, der salmonellen-
kontaminiertes Putenfleisch nach Dänemark exportiert
hatte – nach Auskunft des BVL kein Informationsan-
spruch.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist doch schlicht falsch! Das stimmt doch überhaupt nicht!)


Ich habe eine Liste von etwa zehn Seiten mit solchen
Beispielen, alles Ausnahmebereiche. Dazu gehört der
gesamte Bereich, der über das Lebensmittel-, Bedarfsge-
genstände- und Futtermittelrecht hinausgeht. Der Name
ist, wie Herr Goldmann schon richtig gesagt hat, ein Eti-
kettenschwindel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Schön, dass Sie sich mit der FDP verbünden!)


– Das tue ich aber nur sehr selten.


(Ulrich Kelber [SPD]: Ja, nur wenn es Ihnen passt!)


– So ist das immer.


(Ulrich Kelber [SPD]: Bei Ihnen schon!)


Die Datenschutz- und Informationsfreiheitsbeauftrag-
ten von Bund und Ländern haben auch kritisiert, dass es
keinen Rechtsanspruch auf Informationszugang gegen-
über Unternehmen gibt,


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Das habt ihr doch auch in eurem Gesetzentwurf nicht drin gehabt!)


ebenso die Ausnahmeregelungen. Sie haben es mit die-
sen Ausnahmeregelungen fertig gebracht, aus der Soll-
bestimmung, die Sie in den Gesetzentwurf hineinge-
bracht haben, letztendlich eine Kannbestimmung zu
machen. Die Fristen haben Sie zwar verkürzt; aber auch
da gibt es so viele Freiräume für Unternehmen in Bezug






(A) (C)



(B) (D)


Ulrike Höfken
auf Einsprüche, dass sich die Beantwortung über Monate
und Jahre verzögern kann.

Die Regelung bei den Gebühren halte ich für einen
wirklichen Eklat. Dieser Entwurf sieht vor, kostende-
ckende Gebühren und Auslagen zu erheben. Bei aller
Liebe: Welcher Verbraucher oder auch Journalist soll
sich daran wagen, wenn in Bezug auf das, was auf ihn an
Forderungen zukommt, eine solche Intransparenz
herrscht, und wer kann das überhaupt leisten? Das ist
meines Erachtens wirklich nicht zu machen.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Sie haben das Gesetz leider nicht gelesen und die Begründung auch nicht!)


Unsere Proteste hatten Erfolg. Ich weiß auch, dass die
Abgeordneten im Verbraucherausschuss sich fast alle
sehr bemüht haben, hier Verbesserungen zu erwirken;
das erkenne ich an.

Aber klar ist auch: Was Sie in den Entschließungsan-
trag geschrieben haben, das hätten Sie ins Gesetz schrei-
ben sollen.

Ich möchte unseren Gesetzentwurf dem Bundesrat
ans Herz legen.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Den hätten Sie hier erst einmal einbringen sollen!)


– Auf diesen interessanten Zuruf von Julia Klöckner mit
der Kritik an Rot-Grün kann ich nur sagen: Es ist toll,
wenn diejenigen, die mit ihrer Mehrheit jeden Fortschritt
blockiert haben, eine solche Kritik äußern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das ist doch bei Ihnen damals im Kabinett gescheitert!)


Ich verweise auf unseren Gesetzentwurf. Alle Ver-
braucherinnen und Verbraucher sollen Zugang zu Infor-
mationen bei Behörden und Unternehmen über alle Pro-
dukte und Dienstleistungen bekommen. Die Behörden
sollen das Recht erhalten, von sich aus die Verbraucher
aktiv über verbraucherrelevante Sachverhalte zu infor-
mieren. Es sollen Datenbanken eingerichtet werden und
ein Bundesbeauftragter soll Streitfälle schlichten.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Ach du lieber Gott!)


Punkte wie Ausschlussverfahren, Antragsgründe und
Schutz von privaten und öffentlichen Interessen sollen
verbraucherfreundlich geregelt werden. Dazu gehören
insbesondere auch Regelungen hinsichtlich der Gebüh-
ren. Wir werden dieses Thema weiterhin auf die Tages-
ordnung setzen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1604315200

Nächste Rednerin ist die Kollegin Julia Klöckner,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Julia Klöckner (CDU):
Rede ID: ID1604315300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lieber Herr Minister

Seehofer! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hätten
es uns auch einfach machen können.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das habt ihr doch!)


Wir hätten es uns so einfach machen können wie die
ehemalige Verbraucherministerin von den Grünen, Re-
nate Künast. Sie hat ein Eckpunktepapier in Anleh-
nung an einen Greenpeace-Entwurf von 2001 vorgelegt.
In diesem Papier hat sie das Blaue vom Himmel verspro-
chen. Was ist aber von einem Eckpunktepapier zu halten,
wenn es in der Schublade liegt und vielleicht auf Presse-
konferenzen erwähnt wird, aber nicht in dem eigenen
Gesetzentwurf Widerhall findet?

Wenn man ein Eckpunktepapier entwirft, dann sollte
der Inhalt – ich gehe jedenfalls davon aus – in den eige-
nen Gesetzentwurf Eingang finden. Renate Künast hat
jedoch sehr früh darauf verzichtet.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind ja schon Ansätze, zarte Pflänzchen, im Vermittlungsausschuss gescheitert!)


Sie hat wesentliche Punkte sozusagen vom Tisch ge-
räumt: Die Unternehmen müssen keine Auskunft geben;
Dienstleistungen sind nicht enthalten. Renate Künast hat
ihr Eckpunktepapier am Fastnachtdienstag vorgelegt.
Das hatte schon eine gewisse humoristische Pointe.
Denn es wurde nie wieder aus der Schublade herausge-
holt.

Im März 2002 hat sie sich zusammen mit Herrn Cle-
ment darauf geeinigt, den Anwendungsbereich des Ge-
setzes auf Lebensmittel und Bedarfsgegenstände zu be-
schränken.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen die Blockierer!)


Frau Höfken, Sie fordern hier etwas ein, was Ihre Minis-
terin noch nicht einmal im Kabinett durchsetzen konnte.
Wie soll denn der Bundesrat etwas blockieren, was noch
nicht einmal im Kabinett Zustimmung fand? Das ist
Heuchelei.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auffällig ist auch Ihr Populismus. Als Sie damals in
der Regierung etwas unternehmen konnten, waren Sie
nicht dazu in der Lage. Jetzt wollen Sie es, weil Sie ge-
nau wissen, dass Sie es eh nicht durchsetzen können.

Wir machen eine verantwortungsvolle Politik. Uns
geht es darum, etwas Machbares auf den Weg zu brin-
gen. Letztlich geht es uns auch darum, dass der Verbrau-
cher einen Mehrwert hat. Was hat der Verbraucher von
einem Wunschzettel, der irgendwo in einem Ministerium
in der Schublade schlummert und nur für Pressekonfe-
renzen und PR-Gags Verwendung findet, aber letztlich
nicht in ein Gesetz Eingang findet? Während die Oppo-
sition lieber mit dem Kopf durch die Wand geht, nehmen
wir einfach die Tür und machen ein praxistaugliches Ge-
setz.






(A) (C)



(B) (D)


Julia Klöckner

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Unser Gesetz ist besser als der ursprüngliche Entwurf,
den Renate Künast im Parlament einbringen wollte. Wir
können festhalten, dass aus der Kannvorschrift – Renate
Künast hat damals die Vorschrift entschärft und daraus
eine Kannvorschrift gemacht – von uns eine Sollvor-
schrift gemacht wurde. Jetzt können die Namen all derer
genannt werden, die versuchen, die Verbraucher zu täu-
schen. Dies kann auch dann geschehen, wenn die Pro-
dukte schon längst verzehrt worden sind, Stichwort
Gammelfleisch. Das ist ein großer Fortschritt in Rich-
tung mehr Verbraucherinformation. Dies bedeutet auch
mehr Abschreckung. Damit bewirken wir, dass die
schwarzen Schafe eine ganze Branche nicht weiterhin in
Misskredit bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Im Vergleich zum vormaligen Entwurf – ich möchte
das hier klarstellen – haben wir noch etwas anderes er-
reicht: Die Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, die Le-
bensmittelkontrolleure zu informieren. Bis dato war es
möglich, dass die Staatsanwaltschaft ermittelt hat, ohne
dass die Lebensmittelbehörden Informationen bekamen.
Auch aufgrund des Zehnpunkteplans, den Herr Seehofer


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Nach seiner speziellen bayerischen Erfahrung!)


in einer sehr schnellen Reaktion auf den Gammel-
fleischskandal vorgelegt hat, gibt es nun eine Verbesse-
rung, und sie steht im Gesetz.

Dann haben wir eine Fristverkürzung erreicht. Sie
sprachen im Hinblick auf die Beantwortung von Ein-
sprüchen von Jahren. Ihre Ministerin wollte damals ei-
nen Zeitaufschub von mindestens zwei Monaten. Wir
haben dies auf einen Monat verkürzt.

Dann haben wir die Einschränkung des Geheimnis-
schutzes bei Rechtsverstößen festgelegt.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Soll das heißen, dass die SPD das alles blockiert hat?)


Sie sollten eigentlich wissen, was Ihre Ministerin, Frau
Künast – Sie können es nachlesen; ich habe das Zitat
mitgebracht –, zu den Betriebsgeheimnissen gesagt hat.
In dem von ihr formulierten Kabinettsentwurf hieß es:
„… soweit durch die begehrten Informationen Betriebs-
oder Geschäftsgeheimnisse oder wettbewerbsrelevante
Informationen, die ihrem Wesen nach Betriebsgeheim-
nissen gleichkommen, offenbart würden“, gebe es keine
Auskunft. Das stand im Entwurf von Frau Künast, der
Ministerin der Grünen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ja genau! Das ist richtig!)


Wir gehen einen Schritt weiter und sagen: Bei Rechts-
verstößen soll es nicht möglich sein, von einem Be-
triebs- und Geschäftsgeheimnis auszugehen. Das ist Ver-
braucherschutz. Das hilft den Verbraucherinnen und den
Verbrauchern und nicht der PR der Opposition.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber etwas anderes als „sonstige wettbewerbsrelevante Informationen“! Das will ich auch einmal sagen!)


Noch eines ist wichtig zu erwähnen: Auch ungünstige
Untersuchungsergebnisse wie zum Beispiel Qualitätsun-
terschiede oder Qualitätsmängel sind keine Geschäftsge-
heimnisse. Jüngst hat unser Wirtschaftsminister, Michael
Glos, die Liste solcher Produkte vorgelegt, bei denen es
zu Unterfüllungen kommt. Fast 10 Prozent der entspre-
chenden Produkte und Verpackungen zeigen Unterfül-
lungen. Jetzt wird es möglich sein, dass sich ein Verbrau-
cher darüber informieren kann, wer versucht, ihn übers
Ohr zu hauen. Ein mündiger Verbraucher wird entschei-
den können, welches Produkt er wählt und wie viel Geld
er wofür ausgibt. Dafür machen wir den Weg frei.

Noch eines, Frau Höfken: Beim Informationsfrei-
heitsgesetz konnten Sie damals allein zeigen – denn das
war ein Initiativgesetz vor allem der Grünen –, was Sie
können und wollen. Auch in diesem Informationsfrei-
heitsgesetz ging es um Betriebsgeheimnisse. In diesem
Gesetz, das Sie übrigens ohne Konsultationen mit den
Bundesländern durchbringen konnten, steht, dass „Zu-
gang zu Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen nur ge-
währt werden darf, soweit der Betroffene eingewilligt
hat“. Das ist die Politik der Grünen. Jetzt fordern Sie et-
was, was Sie damals hätten tun können. Ich muss Ihnen
sagen: Wir sind sehr viel weiter.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: An der Stelle doch wohl nicht!)


Dann komme ich auf den Bereich der Chemikalien
zu sprechen. Sie erwähnen immer gerne, dass zum Bei-
spiel ITX in Kartons nicht erfasst werden würde. Was
Sie hier sagen, wird auch durch ständiges Wiederholen
nicht wahrer.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Richtig ist, dass diese Chemikalie kein Erzeugnis im
Sinne des LFGB ist. Aber der Begriff „Beschaffenheit“
– das können Sie in der Begründung des Verbraucherin-
formationsgesetzes nachlesen; die Juristen wissen das –
umfasst die gesamte stoffliche Zusammensetzung von
Lebensmitteln. Sehr wohl bekommen Sie darüber Aus-
kunft, übrigens auch über Pestizidbelastungen und
Höchstgrenzen.

Dann möchte ich zum Kollegen Goldmann sagen:
Wir können gerne den Versuch starten – dann stellen Sie
diesen Antrag –, alle Gesetzentwürfe, die sich in diesem
Zusammenhang irgendwo im Gesetzgebungsverfahren
des Bundestages befinden, in ein Gesetz zu packen. Viel
Glück bei diesem Engagement! Wir sitzen an einem Ver-
sicherungsvertragsgesetz; wir sitzen an der Regulierung
der Fahrgastrechte; wir sitzen am Telekommunikations-
gesetz. Wenn Sie all das in ein Gesetz packen wollen,
dann fangen Sie an!


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ist doch gar kein Problem!)


Wir sitzen daran; dies steht im Koalitionsvertrag.






(A) (C)



(B) (D)


Julia Klöckner
Sie kritisieren, dass über all diese Bereiche im VIG
keine Auskunft gegeben wird. Das macht aber Sinn. Es
ist ein schlankes Gesetz.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Frau Klöckner, das stimmt doch nicht!)


Ich habe selten ein solch schlankes und effektives Gesetz
gesehen, das auch Nichtjuristen verstehen können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir machen damit einen Schritt hin zu einer guten
Balance zwischen dem mündigen Verbraucher und den
Interessen der Unternehmen. Uns geht es um Arbeits-
platzsicherung. Dafür danke ich ganz herzlich Herrn
Seehofer.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was hat der denn mit dem Gesetz zu tun?)


Auch er hat Wert auf die Berücksichtigung der Kosten
gelegt.

Dann möchte ich noch auf Frau Tackmann eingehen.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1604315400

Nein, Frau Kollegin, Sie gehen nicht mehr auf Frau

Tackmann ein. Ihre Redezeit ist überschritten.


Julia Klöckner (CDU):
Rede ID: ID1604315500

Ich danke Ihnen, Frau Präsidentin. – Damit geht mein

Dank auch an die Kolleginnen und Kollegen aus den Ko-
alitionsfraktionen. Ich finde, dies ist ein ordentliches Ge-
setz. Die Verbraucherinnen und Verbraucher dürfen sich
freuen, dass wir an der Regierung sind.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So eine rückwärtsgewandte Rede!)


Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die Begeisterung haben wir im Briefkasten gehabt! – Gegenruf von der CDU/CSU: Solche Operationen haben wir früher schon bei der Jungen Union gemacht!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1604315600

Das Wort hat die Kollegin Mechthild Rawert, SPD-

Fraktion.


Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1604315700

– Wenn der Schlagabtausch über die Generationen

hinweg beendet ist,


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das ist eine andere Generation!)


komme ich zum Tagesordnungspunkt.

Innerhalb der Marktgesetze von Kaufen und Verkau-
fen benötigen Verbraucherinnen und Verbraucher eine
solide Basis, um über Alternativen eigenständig und ver-
antwortungsbewusst ihre Rolle als Marktteilnehmerin-
nen und -teilnehmer selbstbestimmend wahrzunehmen.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Jawohl! Dafür haben sie einen Kopf!)


– Ich denke, hier haben wir Wesentliches zur Balance
beigetragen, Herr Goldmann, indem wir die Rolle der
Verbraucherinnen und Verbraucher gestärkt haben.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wo denn?)


Verbraucherinnen und Verbraucher zeigen ein gestei-
gertes Interesse an Informationen, bevor sie sich zur
Auswahl eines bestimmten Erzeugnisses entschließen.
Insbesondere im Lebensmittelsektor – das ist von mei-
nen Vorrednerinnen schon erwähnt worden – haben viele
Menschen ein spezielles Informationsinteresse, sei es
aus gesundheitlichen Gründen, sei es, dass sie sich für
bestimmte Qualitätsstandards interessieren.

Häufig sind Verbraucherinnen und Verbraucher ange-
sichts der Vielfalt der Angebote nicht mehr in der Lage,
aus eigenem Wissen und eigener Erfahrung die Qualität
und sonstige relevante Merkmale ausreichend zu beur-
teilen. Mit dem von uns vorgelegten Gesetzentwurf zur
Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation er-
möglichen wir Verbraucherinnen und Verbrauchern erst-
malig, von Behörden des Bundes, der Länder und der
Gemeinden Informationen zu erhalten, die im Zusam-
menhang mit dem Lebensmittel- und Futtermittelgesetz-
buch oder auch dem Weingesetz – das ist heute noch
nicht erwähnt worden – stehen.

Wie bereits erwähnt, basiert das Gesetz auf zwei Säu-
len:

Erstens. Behörden erhalten das Recht, die Öffentlich-
keit unter Namensnennung zu informieren.

Zweitens. Verbraucherinnen und Verbraucher können
selbstständig bei Behörden Informationen abrufen.

Das Gesetz ist erforderlich und es ist auch erforder-
lich, dass es jetzt umgesetzt wird, da sich gezeigt hat,
dass eine Selbstregulierung des Marktes keine effektive
Deckung des Informationsbedarfs der Verbraucherinnen
und Verbraucher garantieren kann.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wo sind denn die Mängel?)


Richtig ist, dass Organisationen und Verbände – ich
selber habe aufgrund der Reaktion eines Verbandes
1 648 E-Mails bekommen;


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das waren Massenmails, von denen die Leute nichts wussten! – Peter Bleser [CDU/CSU]: Das lässt sich heute alles organisieren!)


das hat wie bei vielen von uns zu einer Verstopfung ge-
führt; aber darüber sind wir hinaus – den Gesetzentwurf
kritisiert haben. Bei der Information der Öffentlichkeit
wurde es so dargestellt


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Da sind aber Ihre Verbraucherrechte nicht geschützt worden! Das war nicht so nett!)


– lassen Sie, Herr Goldmann, jetzt bin ich dran –, als sei
das Gesetz ein „zahnloser Tiger“. Das stimmt definitiv






(A) (C)



(B) (D)


Mechthild Rawert
nicht. Wir informieren, wir gewähren Rechte und schaf-
fen dadurch auch Nachfrage.

Ich möchte noch einmal herausstellen, dass im Rah-
men der Verschärfung des § 40 des Lebensmittel- und
Futtermittelgesetzbuches aus einer Kannbestimmung
eine Sollbestimmung geworden ist, was ein wesentlicher
Schritt ist. Meine Vorrednerin, Frau Drobinski-Weiß, hat
– wie einige andere Rednerinnen auch – darauf hinge-
wiesen. Wir erwarten von dieser Verschärfung, dass Be-
hörden die Öffentlichkeit in Zukunft frühzeitiger und
ausführlicher über Gesundheitsgefahren, Rechtsver-
stöße, Ekel erregende Vorkommnisse – um das Gammel-
fleisch auch noch einmal zu erwähnen – informieren.
Also Vorsorge statt Nachsorge! Diesem Grundsatz
werden wir hiermit gerecht werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Eine Information der Öffentlichkeit erfolgt auch
dann, wenn die betroffenen Erzeugnisse nicht mehr am
Markt oder bereits bei der Verbraucherschaft sind.

Uns, und zwar beiden Koalitionspartnern, ist wichtig
gewesen, dass umtriebige Betrüger auch dezidiert mit
Namen benannt werden können. Ross und Reiter werden
klar herausgestellt. Und das ist gut so.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Peter Bleser [CDU/CSU]: Das hilft der Wirtschaft!)


Wir schaffen hiermit neue Rechtssicherheit.

Auch der Vorwurf einiger Verbände, dass bestimmte
Daten unter das Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis
fallen würden, zählt nicht und ist falsch. Ausdrücklich
wird herausgestellt, dass Betrug nicht unter Schutz steht.
Das muss noch einmal ganz klar hervorgehoben werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Eine Verbesserung bringt auch die Verkürzung der
Frist von acht auf vier Wochen. Man sehe mir nach, dass
ich darauf hinweise, aber das ist ein eminenter Verdienst
meiner Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Unser Minister war das! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das war der Vorschlag von Seehofer!)


Wir haben gesagt, was der Gesetzentwurf für die Ver-
braucherinnen und Verbraucher bringt. Er dient aber
auch den bundesweit tätigen Unternehmen. Bis dato
wurden bundesweit agierende Unternehmen aufgrund
der unterschiedlichen Regelungen in den einzelnen
Bundesländern unterschiedlich behandelt. Das hat der
angebliche Skandal um die Salmonellen in den Tiefkühl-
backwaren gezeigt. Wir sorgen für Einheitlichkeit. Das
ist für jede Verbraucherin und jeden Verbraucher von
Vorteil.

Wir erwarten von den Unternehmen, dass sie ihre
Kundinnen und Kunden besser und umfassender über
Produkte informieren. Hierin sehen wir eine Grundvor-
aussetzung für eine Stärkung der Nachfrage. Wir setzen
auf Innovation.

Albert Einstein sagte, es wäre traurig, wenn die Tüte
wertvoller wäre als das darin verpackte Fleisch. Mit dem
hier vorliegenden Gesetzentwurf sorgen wir dafür, dass
Verbraucherinnen und Verbraucher die Informationen er-
halten, die sie benötigen, um – nach Albert Einstein –
beurteilen zu können, ob die Tüte oder das Fleisch wert-
voller ist.

Wir gehen einen Schritt in Richtung eines transpa-
renten Marktes. Wir verfolgen das Leitbild des mündi-
gen Verbrauchers, der mündigen Verbraucherin. Wir ma-
chen den ersten Schritt. Wir werden diesen Weg
weitergehen; denn wir brauchen langfristig für alle Pro-
dukte und Dienstleistungen Verbraucherinformationen.
Ich bin mir sicher, dass Sie uns dabei unterstützen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1604315800

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Gesetzentwurf zur Neuregelung des Rechts der Verbrau-
cherinformation, Drucksache 16/1408. Der Ausschuss
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/2011, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte nun diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim-
men der Opposition angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit in dritter Beratung mit demselben Stimmenergeb-
nis wie in zweiter Beratung angenommen.

Wir kommen nun zu den Entschließungsanträgen.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/2035? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Entschließungs-
antrag ist mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung
der Fraktion Die Linke und Gegenstimmen des Bündnis-
ses 90/Die Grünen und der FDP angenommen.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion der FDP auf Drucksache 16/2036? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit der
Mehrheit der Stimmen des Hauses bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke abgelehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/2037? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag
ist mit der überwiegenden Mehrheit der Stimmen des
Hauses abgelehnt.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Abstimmung über den von der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines
Verbraucherinformationsgesetzes auf Drucksache 16/199.
Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
braucherschutz empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/2011, den Gesetzent-
wurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD,
CDU/CSU und FDP abgelehnt. Damit entfällt nach un-
serer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz auf Drucksache 16/2009. Der Ausschuss
empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die
Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD auf Drucksache 16/195 mit dem Titel „Lebens-
mittelskandalen effektiv entgegenwirken – Verbraucher
umfassend informieren“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalition angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/111
mit dem Titel „Konsequenzen aus den Fleischskandalen:
Umfassende Verbraucherinformation und bessere Kon-
trollen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion
der FDP angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2009 die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Druck-
sache 16/825 mit dem Titel „Verbraucherschutz in der
Marktwirtschaft durch mündige und aufgeklärte Ver-
braucher sicherstellen“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD,
des Bündnisses 90/Die Grünen und der CDU/CSU ange-
nommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:

Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD

Lage am Ausbildungsmarkt – Ausbildungs-
pakt als Chance für Unternehmen, junge Men-
schen und den Arbeitsmarkt

Bevor ich dem Kollegen Ernst Hinsken, CDU/CSU-
Fraktion, das Wort erteile, bitte ich den Herrn Minister
und die Abgeordneten der SPD-Fraktion, Platz zu neh-
men. – Herr Kollege Hinsken, bitte schön.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1604315900

Werte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen

und Herren! Gestatten Sie zunächst, dass ich mich herz-
lich bedanke, dass Sie dafür gesorgt haben, dass ich Ge-
hör finde. Das ist ja Sinn und Zweck, wenn man eine
Rede im Plenum des Deutschen Bundestages halten darf.

Wir sprechen hier über ein ganz wichtiges Thema, das
vielen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, vor allen Dingen
den betroffenen Jugendlichen, auf den Nägeln brennt;
denn die Lage am Ausbildungsmarkt liegt uns allen am
Herzen. Die Tatsache, dass in dieser Aktuellen Stunde
zwei zuständige Bundesminister reden werden, unter-
streicht die Bedeutung, die die Bundesregierung der Aus-
bildungsplatzsituation in der Bundesrepublik Deutschland
beimisst.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Schaffung von Ausbildungsplätzen für die junge Ge-
neration ist in der jetzigen Zeit eine der größten Heraus-
forderungen für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Unser gemeinsames Ziel soll und muss es daher sein, be-
strebt zu sein, dass alle ausbildungswilligen Jugendli-
chen einen Ausbildungsplatz bekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich möchte die Gelegenheit nutzen, den vielen Hun-
derttausenden von Ausbildungsbetrieben in der Bundes-
republik Deutschland ein Wort des Dankes dafür zu sa-
gen, dass man bereit war, der großen Nachfrage in den
letzten Jahren Rechnung zu tragen und Ausbildungs-
plätze zur Verfügung zu stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ausbildung ist die Investition in die Zukunft. Ich möchte
deshalb anerkennend feststellen: Der Ausbildungspakt
hat sich rentiert. Die Wirtschaft hat die Selbstverpflich-
tung erfüllt. – Wir Deutschen können besonders stolz
darauf sein, dass sich das duale System bewährt hat. Es
findet in der Gegenwart weltweit Beachtung und wird
auch in der Zukunft federführend sein.


(Vorsitz: Präsident Dr. Norbert Lammert)


Erfreulich ist vor allen Dingen, dass die Wirtschaft
wieder in Schwung kommt. Das erwähne ich, weil es für
jeden jungen Mitbürger mit einer abgeschlossenen Aus-
bildung wichtig ist, dass er entweder in dem Beruf, in
dem er ausgebildet wurde, Beschäftigung findet oder ei-
ner anderweitigen Beschäftigung nachgehen kann. Ver-
ehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen genauso gut
wie ich, dass in unseren Sprechstunden immer der
Wunsch an uns herangetragen wird, bei der Suche nach
einem Ausbildungsplatz behilflich zu sein. Das spreche
ich deshalb an, weil uns Jugendliche ohne abgeschlos-
sene Ausbildung in Zukunft als Fachkräfte fehlen wer-
den. Das wird auch von den Betrieben viel zu wenig be-
rücksichtigt.

Ich möchte insbesondere an das Handwerk ein Wort
des Dankes richten. Das Handwerk hatte, was die Schaf-
fung von Ausbildungsplätzen betrifft, zum Stichtag
30. April 2006 einen Zuwachs von 2,5 Prozent – das ent-
spricht fast 10 000 Stellen – zu verzeichnen. Sehr vor-
bildlich geht man in der Hotellerie und in der Gastrono-
mie zu Werke. In diesen Bereichen wurden allein im
letzten Jahr 7 Prozent zusätzliche Ausbildungsplätze zur






(A) (C)



(B) (D)


Ernst Hinsken
Verfügung gestellt; das bedeutet ein Mehr von einigen
Tausend Plätzen. Die Grenze von insgesamt 100 000 Aus-
bildungsplätzen ist überschritten. In diesen Berufen wer-
den 100 600 Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt.
Wir alle können einen Beitrag dazu leisten, dass mehr
Ausbildungsplätze geschaffen werden. Ich fordere Sie
auf: Gehen Sie ab und zu in Hotels oder Gaststätten!
Kurbeln Sie auf diese Weise die Wirtschaft an und sor-
gen Sie so indirekt dafür, dass vermehrt Ausbildungs-
plätze zur Verfügung gestellt werden!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Natürlich besteht auch die Möglichkeit, eine Ände-
rung des Jugendarbeitsschutzgesetzes vorzunehmen.
Wenn allein das Jugendarbeitsschutzgesetz geändert und
zugelassen würde, dass man einen Lehrling, der ja dann
tätig sein soll, wenn tatsächlich gearbeitet wird, pro Tag
eine Stunde länger – nicht bis 22 Uhr, sondern bis
23 Uhr – beschäftigen darf, dann könnten dadurch Hun-
derte neuer Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt
werden.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wenn du das willst, kannst du unserem Antrag zustimmen, Ernst! Wir haben nämlich genau das eingebracht!)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich darauf ver-
weisen, dass es noch unbesetzte Ausbildungsplätze gibt,
insbesondere was die Ausbildung zu Köchen, Fachleu-
ten für Systemgastronomie und Restaurantfachleuten an-
geht.

Eines möchte ich noch ansprechen: Besorgniserregend
nicht nur für mich, sondern für uns alle ist, dass es sehr
vielen Jugendlichen an der nötigen Ausbildungsreife fehlt.
Laut dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag
und dem ZDH verlassen jedes Jahr 100 000 Schülerinnen
und Schüler die Schule ohne Abschluss. Weitere
100 000 verlassen die Schule ohne hinreichende Kennt-
nisse im Hinblick auf Lesen, Schreiben und Rechnen.
Das entspricht 20 bis 25 Prozent eines Jahrgangs.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604316000

Herr Kollege, denken Sie an Ihre Redezeit.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich hätte dir noch lange zuhören können, Ernst!)



Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1604316100

Jawohl. Ich komme zum Schluss, Herr Präsident, ob-

wohl ich noch vieles zu sagen hätte.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir haben aber auch noch viel Wichtiges zu sagen!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604316200

Das habe ich befürchtet. Deswegen habe ich mich ge-

meldet.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1604316300

Ich habe Verständnis dafür. Nach mir sind schließlich

noch andere Rednerinnen und Redner an der Reihe, die
meine Ausführungen ergänzen werden.
Eine Botschaft möchte ich allerdings noch vermitteln
dürfen, Herr Präsident


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Frohe Weihnachten!)


– dabei handelt es sich um eine Bitte an die Jugendli-
chen; das sage ich, weil so viele Jugendliche auf der Tri-
büne sitzen –: Nutzt die Vielfalt der angebotenen Berufe!
Es muss nicht immer der Traumberuf sein. Seid flexibel
und mobil! Was ihr erlernt habt, kann euch niemand
mehr nehmen. – Wenn wir uns von diesem Leitgedanken
tragen lassen, dann ist mir nicht bange, dass wir die Si-
tuation auf dem Ausbildungsmarkt in diesem Jahr meis-
tern werden.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604316400

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Heinrich L. Kolb

für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1604316500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

denke, diese Aktuelle Stunde ist vor allen Dingen Platz-
halter. Es soll verhindert werden, dass die Opposition in
dieser Woche eine weitere Aktuelle Stunde beantragt.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist es! – Nicolette Kressl [SPD]: Das ist nicht wahr! Das haben wir aber schon mehrmals gesagt!)


In der Sache gibt es wenig Aktuelles und wenig Neues
zu berichten, Frau Kollegin Kressl. Wie immer zu dieser
Jahreszeit haben wir eine Lehrstellenlücke zu verzeich-
nen. Wie groß sie im Oktober dieses Jahres sein wird,
also dann, wenn die Nachbesetzungen erfolgt sind, weiß
heute niemand.

Ich möchte dazu aufrufen, bei der Bewertung der ak-
tuellen Zahlen zu berücksichtigen, dass nach einer neuen
Umfrage des DIHK nur noch 55 Prozent der Unterneh-
men ihre unbesetzten Ausbildungsplätze bei der Bun-
desagentur für Arbeit melden. Sie haben bei der Suche
nach geeigneten Bewerbern offensichtlich kein Ver-
trauen mehr zur Bundesagentur, weil ihre Beratungs-
und Vermittlungsleistungen nicht hinreichend sind.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Ja! So ist das leider!)


Auch aus diesem Grunde wäre aus unserer Sicht eine
Reform der Bundesagentur für Arbeit dringend notwen-
dig.


(Beifall bei der FDP)


Ich will diese Aktuelle Stunde nutzen, um einige An-
merkungen zu machen, deren Beachtung vielleicht dazu
beitrage könnte, dieses Problem künftig zu lösen. Eines
will ich vorausschicken: Die Ausbildung junger Men-
schen ist eine herausragende Aufgabe, der wir uns alle stel-
len müssen. Junge Menschen haben dann eine besonders






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Heinrich L. Kolb
gute Chance auf dem Arbeitsmarkt, wenn sie eine abge-
schlossene Ausbildung vorweisen können. Deswegen
müssen wir mit all unseren Bemühungen das Ziel verfol-
gen, dass möglichst viele Unternehmen ausbilden.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)


Dazu genügt es aber nicht, wie es Herr Minister
Müntefering getan hat, den Unternehmen Kurzsichtig-
keit und Egoismus vorzuwerfen. Denn eines ist klar: Un-
ternehmen, die aufgrund einer schlechten wirtschaftli-
chen Lage einen Personalabbau planen, werden natürlich
nicht ausbilden; das ist nun einmal so, da nützt auch kein
Vorwurf aus einem Ministermund. Erst recht gilt das für
insolvente Unternehmen, von denen wir in den letzten
fünf Jahren rund 200 000 hatten. 200 000 Unternehmen
sind als potenzielle Ausbildungsbetriebe ausgeschieden.
Das ist Ergebnis einer anhaltend schwachen Konjunktur
und Ergebnis einer falschen Politik. Das muss man hier
einmal feststellen.


(Beifall bei der FDP – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Und einer falschen Regierung!)


Damit in ausreichender Zahl Ausbildungsplätze zur Ver-
fügung gestellt werden können, brauchen wir die richti-
gen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, ein
stärkeres Wachstum, die richtigen steuerpolitischen Rah-
menbedingungen, die richtigen tarifpolitischen Rahmen-
bedingungen und weniger Bürokratie. Hier sind Sie auf
dem falschen Weg, wie sich in dieser Sitzungswoche
ganz aktuell zeigt. Ihnen muss doch klar sein, dass jeder
Prozentpunkt, um den Sie die Mehrwertsteuer erhöhen,


(Jörg Tauss [SPD]: Oh! Nehmen Sie mal eine andere Platte!)


Gift für die Schaffung von Ausbildungsplätzen ist. Auch
das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und das ge-
plante Nichtrauchergesetz sind Gift für die Schaffung
von Ausbildungsplätzen.


(Beifall bei der FDP)


Ich denke, dass man feststellen kann: Die Mehrzahl
der bestehenden Unternehmen ist grundsätzlich bereit,
auszubilden; das betrifft insbesondere den Mittelstand.
Aber eine Ausbildung muss aus Sicht der Unternehmen
auch interessant sein; das heißt, das Kosten-Nutzen-Ver-
hältnis muss stimmen. Das ist entscheidend für die
Schaffung von mehr Ausbildungsplätzen, wie auch die
topaktuelle IHK-Onlinebefragung vom Juni 2006 zeigt.
Hohe Ausbildungskosten, tarifliche Übernahmever-
pflichtungen, zu lange Ausbildungsdauer und starre Be-
rufsbilder sind Hemmnisse für die Bereitstellung von
Ausbildungsplätzen. Hier haben wir durchaus Möglich-
keiten, etwas zu tun.


(Zurufe von der SPD)


– Wenn Sie anderer Meinung sind, stellen Sie mir Zwi-
schenfragen.


(Jörg Tauss [SPD]: Wir sind in der Aktuellen Stunde!)


Ich denke, dass auch veraltete bürokratische Vor-
schriften in den Ausbildungsverordnungen und beim Ju-
gendschutz die Ausbildung behindern; darauf hat der
Kollege Hinsken – wie immer zu Recht – fachkundig
hingewiesen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)


Die FDP hat aus ebendiesem Grunde, den du genannt
hast, Ernst, einen Antrag eingebracht, der darauf hin-
wirkt, dass Hauptschulabgänger im Hotel- und Gaststät-
tengewerbe eine Chance auf einen Ausbildungsplatz be-
kommen, indem sie länger arbeiten dürfen, wenn die
Unternehmen in diesen Zeiten Kunden haben. Da kön-
nen wir ganz konkret handeln. Ich werde das Abstim-
mungsverhalten der Kollegen mit Interesse beobachten.


(Jörg Tauss [SPD]: Das kann ich Ihnen schon sagen!)


Ernst, du hast darauf hingewiesen: Junge Menschen
müssen auch ausbildungsfähig sein. Hier ist eine Quali-
tätsoffensive bei der schulischen Bildung notwendig.
Für 63 Prozent der größeren Unternehmen und immer-
hin noch knapp 50 Prozent aller Unternehmen ist man-
gelnde Ausbildungsreife das Haupthindernis für eine
Einstellung von Auszubildenden. Es muss selbstver-
ständlich sein, dass jeder Hauptschulabgänger richtig le-
sen, schreiben und rechnen kann; das ist ein zentraler
Punkt. Wenn 12 Prozent der vom DIHK befragten Un-
ternehmen angeben, dass sie ihre Ausbildungsplätze
nicht besetzen konnten, weil es keine geeigneten Bewer-
ber gab, dann ist das ein Punkt, der uns stark beschäfti-
gen muss.

Zum Schluss: Die FDP-Bundestagsfraktion ist gegen
eine Ausbildungsplatzabgabe. Ich finde, der Ausbil-
dungspakt funktioniert, wir sind auf dem richtigen
Wege. Eine Ausbildungsplatzabgabe hätte eine verhee-
rende Wirkung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich bin sicher, dass dies viele Unternehmen zum Anlass
nähmen, sich aus der Ausbildung zu verabschieden. Die
Forderung des DGB nach einer Lehrstellensteuer ist ein
Griff in die ideologische Mottenkiste und schafft keinen
einzigen zusätzlichen Ausbildungsplatz, belastet die
Wirtschaft und schafft wieder ein Stück mehr Bürokra-
tie.

Wir brauchen auch eine Stärkung der überbetriebli-
chen Ausbildung. Die FDP hat sich dafür eingesetzt,
dass die Mittel für die überbetriebliche Ausbildung er-
höht werden, auch gegen anfänglichen Widerstand der
großen Koalition. Ich denke, wenn Sie diese Ratschläge
beherzigen, dann wäre das eine Chance, mehr junge
Menschen in ein Ausbildungsverhältnis zu bringen, und
dann hätte sich diese Aktuelle Stunde am Ende doch ge-
lohnt.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604316600

Ich mache, um Irritationen vorzubeugen, darauf auf-

merksam, dass Zwischenfragen in einer Aktuellen
Stunde nicht möglich sind.






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert

(Jörg Tauss [SPD]: Hätte ich gemacht!)


– Ich habe keinen Zweifel, dass es Interessenten dafür
auf beiden Seiten meines Pultes gäbe.

Nun hat die Kollegin Nicolette Kressl für die SPD-
Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1604316700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Chancen von jungen Menschen im Bereich der Ausbil-
dung ist für meine Fraktion immer ein wichtiges Thema
gewesen. Deshalb weise ich das, was Sie gerade behaup-
tet haben, Herr Kolb, nämlich dass die beiden Koali-
tionsfraktionen diese Aktuelle Stunde nur beantragt
haben, um eine Aktuelle Stunde der Opposition zu ver-
hindern, ausdrücklich zurück. Wir haben die Behand-
lung dieses Themas bereits in der letzten Sitzungswoche
beantragt. Es ist mir wichtig, das zu sagen: Hier geht es
um Inhalte und nicht um irgendwelche Formalitäten.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich habe die Aktualität gerade erläutert!)


Ich halte es für absolut notwendig, dass wir im Hin-
blick auf die Chancen von jungen Menschen – auch
durch den Ausbildungspakt – eine ehrliche Analyse
durchführen.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Eine ehrliche Analyse bedeutet, dass wir die Ergebnisse
des Paktes weder schlecht- noch gutreden.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Nur eine richtige Analyse kann dazu führen, dass wir
uns auch die richtigen Gedanken darüber machen, wie er
weiterentwickelt werden kann.

Dass es in einzelnen Bereichen eine schwierige Situa-
tion gibt, ist nicht zu leugnen. Beispielsweise geht das
Angebot an freien Berufen deutlich zurück. Wir haben
– das wissen wir auch aus allen Ländern – sehr viele
junge Menschen in Warteschleifen, die auch eine Chance
verdient haben, und wir müssen die Chancen der jungen
Menschen mit Migrationshintergrund noch deutlich ver-
bessern. Auch das haben die drei Minister bzw. Ministe-
rinnen, die für diesen Bereich zuständig sind, deutlich
gemacht.


(Beifall bei der SPD)


Zu einer ehrlichen Analyse gehört aber auch, zu sa-
gen, dass die Einschaltquote bezüglich des Angebots an
Ausbildungsplätzen und der Meldung bei der Bundes-
agentur für Arbeit zurückgegangen sind und dass wir
deshalb Schwierigkeiten haben, die Situation statistisch
genau zu bewerten.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das hat Gründe, Frau Kressl!)

Es gehört auch zur Ehrlichkeit, zu sagen und deutlich zu
machen – wir sind froh darüber, dass es so ist –, dass die
beiden Kammern, die den Pakt mit vereinbart haben, in
diesem Bereich ein großes Engagement zeigen. Kam-
mern können aber nur dann erfolgreich sein, wenn die
Unternehmen, die ihnen angeschlossen sind, auch Aus-
bildungsplätze anbieten.


(Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie können nur erfolgreich sein, wenn die politischen Rahmenbedingungen stimmen!)


Man muss der Ehrlichkeit halber auch dazusagen, dass
es Branchen gibt, in denen sich ein Anstieg der Zahl ab-
geschlossener Ausbildungsverträge andeutet. Endpunkt
aber wird der 30. September sein, nach Überprüfung der
Nachvermittlung.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Eben! Das ist in jedem Jahr so!)


Wir müssen überlegen, wie wir von politischer Seite
aus unterstützend tätig werden können, um den Jugendli-
chen eine Chance zu geben. Ich halte es für dringend
notwendig – das habe ich in den Redebeiträgen bisher
vermisst –, noch einmal an die großen Unternehmen zu
appellieren und sie aufzufordern, ihrer Verantwortung
für ihre eigene ökonomische Zukunft, aber auch für die
Zukunft der jungen Leute – das fügt sich zusammen –
stärker als bisher gerecht zu werden. Dazu gehört für
mich, dass die Unternehmen und die Tarifparteien end-
lich Tarifgespräche mit Blick auf eine Verbesserung der
Ausbildungssituation führen und zu einem Erfolg kom-
men.


(Beifall bei der SPD)


Es muss ja kein bestimmtes Instrument sein. Es gibt
viele tarifliche Vereinbarungen mit den unterschiedlichs-
ten Instrumenten, von der Branchenumlage bis hin zur
Frage, wie mit Ausbildungsvergütungen umgegangen
wird. Das ist nämlich Sache der Tarifparteien. Natürlich
können sie darüber reden; das ist ja auch im Chemiebe-
reich geschehen. Dies muss aber mit einem verbindlich
zugesagten Zuwachs an abgeschlossenen Ausbildungs-
verträgen verbunden sein. Das ist doch klar.


(Beifall bei der SPD)


Ich halte es für völlig falsch, wenn von politischer
Seite gesagt wird, die Vergütungen der Azubis müssten
gekürzt werden. Für mich gibt es ein entscheidendes Ar-
gument dagegen: Wenn wir von den jungen Leuten Mo-
bilität erwarten, dürfen wir nicht gleichzeitig ihre Aus-
bildungsvergütung kürzen.


(Beifall bei der SPD)


Zwölf Jahre lang hatte ich beruflich intensiv mit dem
Handwerk zu tun. Meine Handwerker sagen mir: Lasst
doch die Debatte! Wie sollen wir jungen Leuten ein at-
traktives duales System anbieten, wenn ihr darüber re-
det, in Teilbereichen bereits jetzt niedrige Vergütungen
noch einmal zu kürzen? Das ist der falsche Weg. Wenn,
dann muss das tariflich geregelt werden. – Ich finde es
bedauerlich, dass da so wenig passiert.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Nicolette Kressl
Zum Abschluss möchte ich Folgendes sagen: Im Hin-
blick auf den Ausbildungspakt muss es unser Ziel sein,
wieder das Ergebnis des Paktes im ersten Jahr zu errei-
chen, dass wir also nicht nur neue Ausbildungsplätze ha-
ben, sondern dass es einen tatsächlichen Zuwachs an
Ausbildungsplätzen gibt. Das ist das Mindestziel, das
wir erreichen müssen.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was macht die Koalition dafür?)


Insofern unterstützen wir alle Mitglieder der Bundesre-
gierung, die engagiert dafür eintreten und dafür werben;
denn es muss etwas erreicht werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604316800

Die Kollegin Cornelia Hirsch ist die nächste Rednerin

für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Cornelia Hirsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604316900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Schönrednerei, die allen voran gerade vom Kollegen
Hinsken von der CDU/CSU-Fraktion betrieben wurde,
halten wir für unerträglich. Lieber Kollege Hinsken, ich
bitte Sie, die Erwartungen bezüglich der Ausbildungs-
platzlücke in diesem Sommer zur Kenntnis zu nehmen.
Es wird davon gesprochen, dass vermutlich mehr als
150 000 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz auf der
Straße stehen werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch Quatsch! Welche Zahlen sind das?)


Das sind so viele wie nie zuvor. Angesichts dieser Zah-
len müsste auch für Sie offensichtlich sein, was wir Ih-
nen schon im letzten Herbst gesagt haben: Der Ausbil-
dungspakt ist auf ganzer Linie gescheitert. – Vielleicht
sollten sich einmal die Kolleginnen und Kollegen von
der SPD-Fraktion überlegen, dass es durchaus seinen
Grund hat, wenn die Gewerkschaften nach wie vor nicht
bereit sind, bei einer solchen Lügengeschichte mitzuma-
chen.


(Beifall bei der LINKEN)


Noch unverantwortlicher als Ihr Festhalten an diesem
Pakt finden wir die Überlegungen, die zur Weiterent-
wicklung dieses Paktes in die Diskussion eingebracht
wurden. Die Kollegen von der FDP- und der CDU/CSU-
Fraktion haben gerade einige Punkte benannt; Gleiches
wurde von Bundesministerin Annette Schavan in die
Diskussion eingebracht. Konkret benannt geht es bei
diesen Vorschlägen darum, die Mitbestimmung von
Azubis abzubauen, die Vergütung zu senken, die Ausbil-
dungszeiten zu verkürzen und – das war gerade der Vor-
schlag – die Regelungen zum Arbeitsschutz einzu-
schränken. Das Ganze passiert unter dem Vorwand,
dadurch finde ein Abbau von Ausbildungshemmnissen
statt

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist es!)


und werde es den Unternehmen leichter gemacht, Aus-
bildungsplätze einzurichten.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie haben es verstanden, Frau Hirsch!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, zur
Kenntnis zu nehmen, dass zur politischen Ehrlichkeit ge-
hört, offen auszusprechen, was Sie mit Ausbildungs-
hemmnissen meinen. Es sind nämlich die Rechte der Ju-
gendlichen, die Sie abbauen wollen. Da werden wir
definitiv nicht mitmachen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ihr zweites Lieblingsthema – auch das wurde ange-
sprochen – ist die angeblich mangelnde Ausbildungsfä-
higkeit der Jugendlichen. Wir halten die Debatte um die
Ausbildungsfähigkeit zu großen Teilen für ein grandio-
ses Ablenkungsmanöver. Schließlich lässt sich damit die
Ausbildungsstatistik ziemlich leicht aufbessern. Ein Ju-
gendlicher, der als nicht ausbildungsreif abgestempelt
wird, taucht in der Statistik auch nicht mehr als ausbil-
dungsplatzsuchend auf. Wir finden, anstatt über die
mangelnde Ausbildungsfähigkeit der Jugendlichen zu
klagen und die Schuld dafür den Jugendlichen zuzu-
schieben, sollten Sie sich besser überlegen, wie Sie unser
Bildungssystem verbessern können.


(Beifall bei der LINKEN)


Gerade hier tun Sie das genaue Gegenteil. Man muss
sich einmal ansehen, was morgen hier im Plenum zur
Abstimmung steht. Es geht nämlich um die Föderalis-
musreform.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: In der Tat!)


Fakt ist, dass diese Föderalismusreform die Rahmenbe-
dingungen für die Bildung auf allen Ebenen massiv ver-
schlechtern wird.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Das ist doch nicht wahr!)


Das bedeutet auch, dass sich die von Ihnen beklagte
Ausbildungsfähigkeit weiter verschlechtern wird. – Frau
Kressl, Sie schütteln den Kopf. Ich erinnere Sie daran, es
ist das Aus für Ihr hoch gelobtes Ganztagsschulpro-
gramm, für das Förderprogramm für Migrantinnen und
Migranten, für zahlreiche weitere Bund-Länder-Pro-
jekte. Deshalb sagen wir als Linksfraktion ganz klar
Nein zu dieser Föderalismusreform.


(Beifall bei der LINKEN)


Zurück zur Ausbildungsmisere. Diesbezüglich ist un-
sere Alternative bekannt; wir haben sie auch in den
Deutschen Bundestag eingebracht. Wir finden, dass es
nicht ausreicht, unverbindlich an die Unternehmen zu
appellieren. Die Kanzlerin hat einen Brief geschrieben.
Die Jugendlichen werden sich bedanken, wenn sie von
solchen Vorstößen hören. Sie schreiben nämlich
50 Briefe und mehr, nämlich Bewerbungsbriefe, und er-
halten nur Absagen von den Unternehmen. Deshalb
müsste es klar sein, dass die Unternehmen von der Poli-
tik zur Ausbildung verpflichtet werden.






(A) (C)



(B) (D)


Cornelia Hirsch

(Beifall bei der LINKEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Gezwungen werden!)


Des Weiteren muss für mehr Gerechtigkeit zwischen
ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben gesorgt
werden.

Deshalb ist unsere Forderung klar – wir freuen uns,
dass wir im deutlichen Widerspruch zur FDP stehen –:


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir auch! Abgrenzung muss sein! Wir haben auch kein Problem damit!)


Wir fordern die Einführung einer gesetzlichen Ausbil-
dungsplatzumlage. Das ist ein wichtiger und richtiger
Schritt, der längst überfällig ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Erlauben Sie mir einen letzten Hinweis an die SPD-
Fraktion. Von der SPD kommt hin und wieder die Aus-
sage, dass sie diese Forderung letztlich unterstützen
würde, dass das Vorhaben aber im Rahmen der großen
Koalition derzeit nicht durchsetzbar sei. Wir möchten in
diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass Sie in Ih-
rer Regierungszeit gemeinsam mit Ihrem damaligen Ko-
alitionspartner, den Grünen, die Möglichkeit gehabt hät-
ten, eine Ausbildungsplatzumlage einzuführen. Sie
haben diese Möglichkeit nicht genutzt, weil es in Ihren
eigenen Reihen keine Mehrheit dafür gab. Deshalb hal-
ten wir es für zutiefst verlogen, wenn Sie jetzt versu-
chen, sich als das soziale Gewissen in der großen Koali-
tion zu profilieren.


(Beifall bei der LINKEN – Kai Boris Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war doch beschlossen!)


Unser Fazit ist klar: Auf der Grundlage dieses Ausbil-
dungspaktes werden sich die Perspektiven für Jugendli-
che auf dem Ausbildungsstellenmarkt nicht verbessern.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! Nehmen Sie das sofort zurück!)


Gerade das aber sollte unser Ziel sein; es geht nicht nur
darum, dass eine Ministerin oder ein Minister zu diesem
Thema sprechen. Wir wünschen uns konkrete Initia-
tiven. Das wäre wichtig, um die immer stärkere Aus-
grenzung von Jugendlichen in dieser Gesellschaft zu be-
enden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604317000

Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Kai Wegner

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Kai Wegner (CDU):
Rede ID: ID1604317100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutie-
ren heute über die Lage am Ausbildungsmarkt. Lieber
Herr Kolb, wir sollten die Ausbildungsproblematik und
die Chancen für junge Menschen nicht nur dann themati-
sieren, wenn das Haus schon brennt; dieses Thema sollte
für den Deutschen Bundestag vielmehr ein Dauerbrenner
sein. Denn die Perspektiven für junge Menschen sind
uns als Regierungsfraktion wichtig.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dann muss man das aber auch bei der aktuellen Gesetzgebung im Kopf haben! Dann darf man nicht die Mehrwertsteuer erhöhen!)


Die aktuellen Zahlen sind zweifelsohne alarmierend,
Herr Kolb. Aber wer aufgrund dieser Zahlen das Ende
des Ausbildungspaktes fordert, liebe Frau Hirsch, zieht
die falschen Schlüsse.


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)


Ich komme aus Berlin, wo Ihre Partei mitregiert. Ich bin
froh, dass Ihr Geschwätz hier nur Oppositionsgerede ist.
Denn mit dem, was Sie fordern, haben junge Menschen
keine Perspektive.


(Widerspruch bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)


Das wird in den Bundesländern, in denen Sie mitregie-
ren, sehr deutlich, Frau Hirsch. In Berlin und Mecklen-
burg-Vorpommern ist die Perspektive am Ausbildungs-
markt für junge Menschen schlechter als in Baden-
Württemberg, Bayern, Thüringen oder Sachsen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Willi Brase [SPD]: Vorsichtig!)


Beim Ausbildungspakt handelt es sich um ein noch
junges Instrument, welches sich eines komplexen Pro-
blems annehmen soll. Das Problem ist insofern komplex,
als viele Faktoren für die angespannte Lage am Ausbil-
dungsmarkt verantwortlich sind. Es steckt eben doch et-
was mehr dahinter als das immer wieder zitierte Kos-
tenargument.

Ein Indiz dafür ist die zunehmende Zahl an Lehrstel-
len, die Jahr für Jahr nicht besetzt werden. Neben der
Konjunkturabhängigkeit und der fehlenden Flexibilität
in der beruflichen Bildung spielt die Ausbildungsreife
vieler Jugendlicher sehr häufig eine entscheidende
Rolle.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


So gab in einer Umfrage der Deutschen Industrie- und
Handelskammer jeder zweite Betrieb an, dass er im ver-
gangenen Jahr wegen der schlechten schulischen Vorbil-
dung vieler Bewerber seine Ausbildungsplätze nicht be-
setzen konnte.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Deshalb sind alle Ansätze, eine wie auch immer geartete
Ausbildungsplatzabgabe einzuführen, nicht nur unprak-
tikabel, sondern sie verkennen auch die eigentlichen
Gründe des Problems. Die Abgabe würde die Betriebe
bestrafen, die eigentlich ausbilden wollen oder aufgrund
ihrer wirtschaftlichen Situation nicht ausbilden können.






(A) (C)



(B) (D)


Kai Wegner

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Jawohl, Herr Wegner! Sie können auch bei der FDP mitmachen!)


In diesem Zusammenhang möchte ich auf die heraus-
ragende Stellung des deutschen Mittelstands hinweisen.
Kleinere und mittlere Betriebe bilden rund 82 Prozent
aller Lehrlinge in unserem Land aus. Ich glaube, diese
verdienen unseren ganz besonderen Dank und unsere
ganz besondere Anerkennung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich halte es für den besseren Weg, die Herausforde-
rung für mehr Ausbildungsplätze gemeinsam anzuneh-
men, anstatt den Unternehmen per Gesetz Zwangsabga-
ben anzudrohen. „Gemeinsam“ bedeutet jedoch auch,
dass alle Akteure der beruflichen Bildung an einem
Strang ziehen. Das gilt auch für die Gewerkschaften, die
sich besser konstruktiv im Rahmen des Ausbildungspak-
tes engagieren sollten, anstatt ihn ständig mit Pauschal-
argumenten zu diskreditieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Cornelia Hirsch [DIE LINKE]: Wo sie Recht haben, haben sie Recht!)


Mit Blick auf die einzelnen Bundesländer ist festzu-
stellen – das sagte ich schon, Frau Hirsch –, dass die Er-
gebnisse des Ausbildungspaktes sehr unterschiedlich
ausfallen. Im letzten Monatsbericht der Bundesagentur
für Arbeit ist dabei besonders erfreulich, dass in den
neuen Bundesländern das Angebot an betrieblichen Aus-
bildungsplätzen gegenüber dem Vorjahr um 4 Prozent
gestiegen ist. Das sollte uns doch freuen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich denke, wir sind uns alle einig, dass jeder ausbil-
dungsfähige Jugendliche ohne Ausbildungsplatz einer zu
viel ist. Deshalb sage ich Ihnen auch ganz klar, dass wir
mit der momentanen Situation nicht zufrieden sein kön-
nen


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])


und dass wir uns damit auch nicht zufrieden geben wer-
den.


(Beifall des Abg. Hartmut Koschyk [CDU/ CSU] und des Abg. Jörg Tauss [SPD] – Jörg Tauss [SPD]: Auch das ist wahr!)


Ich begrüße deshalb ausdrücklich den besonderen Ein-
satz unserer Bundeskanzlerin und unseres Bundeswirt-
schaftsministers, Betriebe, die bisher nicht ausgebildet
haben, für die Berufsausbildung zu gewinnen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch wir sollten in unseren Wahlkreisen beispielsweise
durch Klinkenputzen für mehr Ausbildungsplätze wer-
ben. Jeder kann in seinem Wahlkreis etwas tun. Jeder
ausbildungsfähige Jugendliche braucht einen Ausbil-
dungsplatz.
Aus meiner Sicht bedarf es dreierlei Dinge, die wir
tun müssen: Wir müssen erstens die mittelständischen
Betriebe entlasten, die im Übrigen in der Vergangenheit
doppelt so viele Ausbildungsplätze wie zugesagt ge-
schaffen haben. Wir müssen zweitens die Modernisie-
rung und Weiterentwicklung der Strukturen der betrieb-
lichen Ausbildung auf Basis des bewährten dualen
Ausbildungssystems umsetzen. Wir müssen drittens die
Stärkung der Schnittstelle zwischen Schule und Unter-
nehmen forcieren. Die große Koalition hat zu allen drei
Punkten entsprechende Gesetze verabschiedet und rich-
tige Schritte in Angriff genommen. Auch von den am
Pakt beteiligten Partnern wurden zahlreiche Initiativen
angestoßen. In Zukunft muss für möglichst alle ausbil-
dungsfähigen und ausbildungswilligen Jugendlichen ein
Qualifizierungsangebot vorhanden sein. Ich bin mir si-
cher, dass uns dies gemeinsam im Rahmen des Ausbil-
dungspaktes gelingen wird.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604317200

Herr Kollege Wegner, das war Ihre erste Rede im

Deutschen Bundestag, zu der ich Ihnen herzlich gratu-
liere,


(Beifall)


verbunden mit allen guten Wünschen für die weitere par-
lamentarische Arbeit.

Das Wort hat nun die Kollegin Priska Hinz, Bünd-
nis 90/Die Grünen.

Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Chance
durch den Ausbildungspakt – leider ist das die falsche
Überschrift für die Aktuelle Stunde; denn bislang gibt es
keine Entspannung. Im Gegenteil: Der Druck ist eigent-
lich gestiegen. In diesem Jahr suchen mehr junge Men-
schen einen Ausbildungsplatz als in dem vergleichbaren
Zeitraum des letzten Jahres. Heute sind die neuen Zahlen
auf den Tisch gekommen, die das deutlich machen. Der
Druck ist höher, auch der auf die Bundesregierung. Lei-
der steht das Handeln der Bundesregierung in den letzten
Monaten unter dem Motto: Pleiten, Pech und Pannen.

Es ist eine Pleite, dass Frau Schavan im Januar die
Weiterentwicklung des Ausbildungspaktes versäumt hat.
Es ist Pech für die Jugendlichen, dass die Bundesregie-
rung die Zuständigkeiten zwischen der Bundesbildungs-
ministerin und dem Bundeswirtschaftsminister hin- und
herschiebt. Die größte Panne ist der Bundeswirtschafts-
minister selbst, der im Juni den Termin für die Sitzung
des Lenkungsausschusses des Ausbildungspaktes aus
seinem Kalender streicht. Das kann nichts für die Ju-
gendlichen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wie geht die Koalition eigentlich mit denjenigen The-
men um, die sie selbst angestoßen hat? Im Koalitions-






(A) (C)



(B) (D)


Priska Hinz (Herborn)

vertrag ist von „branchenbezogener Umlagefinanzie-
rung“ die Rede. Man hört nichts mehr davon.


(Nicolette Kressl [SPD]: Tariflich!)


– Aber es steht in Ihrem Koalitionsvertrag. Bringen Sie
doch bitte einmal die Gewerkschaften und die Unterneh-
men an einen Tisch! Auch dies wäre Aufgabe der Bun-
desregierung. Da hat sie bislang versagt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wie sieht das Programm zur zweiten Chance aus?
Bislang ist es immer noch nebulös.

Bislang hat man keine Konsequenzen aus der IAB-
Studie gezogen. Diese Studie zeigt auf, welche Ausbil-
dungshemmnisse es in Betrieben gibt. Diese Betriebe
bitten um personelle Unterstützung und sie haben Pro-
bleme, weil sie junge Menschen nach der Ausbildung
nicht unbedingt übernehmen können. Das hätten Sie,
Herr Glos, mit den Vertretern der Industrie- und Han-
delskammern letzte Woche besprechen können. Sie hät-
ten sich nicht nur anhören müssen, wo es klemmt, son-
dern Sie hätten auch Vorschläge machen müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie hätten zum Beispiel die Umlage von Prüfungsge-
bühren innerhalb eines Handwerksbezirks vorschlagen
können, damit auch diejenigen Betriebe beteiligt wer-
den, die nicht ausbilden.


(Jörg Rohde [FDP]: Wollen Sie das Handwerk umlegen?)


Sie hätten auch vorschlagen können, dass regionale
Netzwerke zwischen Berufsschulen, Arbeitsagenturen
und den Industrie- und Handelskammern geknüpft wer-
den. Diesen Vorschlag habe ich von Ihnen nicht gehört.
Genauso wenig haben Sie vorgeschlagen, dass die IHK
externe Dienstleistungen für Unternehmen übernehmen
und Ausbildungsbegleiter sein können.


(Nicolette Kressl [SPD]: Das gibt es doch!)


Diese Vorschläge hätten Sie machen können. Nichts da-
von haben Sie auf den Tisch gelegt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie liegen völlig falsch!)


Es wäre möglich, die Umsetzung des reformierten
Berufsbildungsgesetzes zu forcieren, zum Beispiel die
Anerkennung vollschulischer Ausbildungsgänge. Es
wäre möglich, die Modularisierung von neuen Ausbil-
dungsgängen mit einer Zertifizierung und damit mit der
Möglichkeit der Anerkennung, wenn Jugendliche wei-
termachen, voranzutreiben.


(Jörg Tauss [SPD]: Das haben wir doch schon unter Rot-Grün gemacht, Frau Kollegin!)


Auch da ist nichts passiert. Ich befürchte, dass Sie nach
der Föderalismusreform sagen: Das ist allein Länder-
sache; damit machen wir uns die Hände nicht mehr
schmutzig. Das wäre schlecht für die Jugendlichen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Was Sie sagen, das nehmen Sie alles sofort zurück, weil es Blödsinn ist!)


Sie von der Bundesregierung könnten durch die Um-
setzung einer EU-Richtlinie die Vergabe öffentlicher
Aufträge an die Ausbildungsbereitschaft von Betrieben
koppeln. Herr Schummer, ich danke Ihnen sehr dafür,
dass Sie in Presseerklärungen dafür plädieren, dass die
Kommunen das übernehmen. Gehen Sie doch zu Ihrer
Bundesregierung! Auch Ihre Bundesregierung kann das
machen.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist unsere Bundesregierung, Frau Hinz!)


Schauen Sie nicht nur auf die Kommunen! Schauen Sie
auf Ihre eigenen Leute! Wenn Sie Ihre Bundesregierung
hier vorn nachher entsprechend aufforderten, dann wäre
das für die Jugendlichen ein starkes Wort.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es gäbe die Möglichkeit, die Umsetzung des SGB II
so zu ändern, dass nicht nur die Beschäftigung von jun-
gen Menschen zählt; Vorrang müssten vielmehr die Aus-
bildung und die Qualifizierung von jungen Menschen
haben, damit sie nicht mehr von Transferleistungen ab-
hängig sind. Möglich wäre auch die Aufhebung der
Trennung zwischen Jugendlichen, die unter „Bedarfsge-
meinschaft nach SGB II“ fallen, und Jugendlichen, de-
nen nach SGB III die Arbeitsagentur Berufsberatung zu-
kommen lässt. Jeder Jugendliche hat nämlich ein gutes
Recht auf Berufsorientierung, Berufsberatung und auf
Ausbildung und Qualifizierung. Hier könnten Sie tätig
werden. Nichts ist passiert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich tragen die Unternehmen die Hauptverant-
wortung.


(Wolfgang Grotthaus [SPD]: Das ist gut, dass Sie das erkannt haben!)


Aber die Bundesregierung muss die Rahmenbedin-
gungen dafür schaffen, dass die Unternehmen diese
Verantwortung auch wahrnehmen. Sie müssen uns
nichts vorwerfen: Wir Grünen haben mit unserer Um-
frage – denken Sie an Adidas – und mit unserer Öffent-
lichkeitsarbeit mehr als diese Bundesregierung in acht
Monaten erreicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Eine Selbstbeweihräucherung ist das!)


Das kann ich Ihnen von hier vorne sagen.

Ich komme zum Schluss. Frau Schavan hat mir in ih-
rer letzten Rede hier zugerufen: Man soll sich nicht in
Rhetorik ergehen, sondern in Taten. Meine Damen und
Herren, die Bundesregierung ist am Zug. Sie sollte die-
ses Motto beherzigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das tut sie auch! – Willi Brase [SPD]: Wir sind immer am Zug als Bundesregierung!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604317300

Wolfgang Grotthaus ist der nächste Redner für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Wolfgang Grotthaus (SPD):
Rede ID: ID1604317400

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Die Schaffung von Arbeitsplätzen ist Ziel aller hier
im Haus vertretenen Fraktionen. Die Meinungen da-
rüber, welcher Weg dazu gegangen werden soll, sind un-
terschiedlich. Bei einigen Diskussionsteilnehmerinnen
und -teilnehmern hatte ich das Empfinden, dass ihr
Motto lautet: Der Staat kann alles richten. Der Staat ist
für die Schaffung von Ausbildungsplätzen zuständig. –
Ich stimme mit denen überein, die sagen, dass der Staat
Rahmenbedingungen schaffen soll.

Da streiten wir über den richtigen Weg. Die einen sa-
gen: Wir wollen den Ausbildungspakt. Die anderen sa-
gen: Wir wollen die Ausbildungsabgabe. – Wir haben
uns für den Ausbildungspakt entschieden. Wir glauben,
dass wir mit diesem Pakt den richtigen Weg gehen.

Dazu einige Zahlen. Im Jahr 2005 haben wir – da
lässt sich natürlich über die Zahlen im Einzelnen strei-
ten; Sie können sagen, wir müssten noch etwas draufle-
gen – für das Jahr 2004 insgesamt 118 000 neue Ausbil-
dungsplätze feststellen können, und zwar in den
Bereichen der Industrie und des Handels; nicht mitge-
rechnet ist der Bereich des Handwerks. Damit wurde das
Niveau des Vorjahres um 1,4 Prozent überschritten. Es
war eine positive Tendenz. Ob zu dieser positiven Ten-
denz alle beigetragen haben, wage ich zu bezweifeln.
Aber zumindest hat das vielen jungen Menschen in die-
sem Staat geholfen.

Auch das neue Instrument der Einstiegsqualifizie-
rung, das die Paktpartner geschaffen haben, ist in den zu-
rückliegenden Jahren gut angelaufen. Insgesamt konnten
17 100 Jugendliche diese Einstiegsqualifizierung nutzen.

In der Bilanz für 2005 setzen sich diese positiven
Zahlen fort. Trotzdem muss man einräumen: Das reicht
nicht. Das liegt aber nun nicht daran, dass die Rahmen-
bedingungen nicht stimmen – da sollte man ein bisschen
abwarten –, sondern das hängt damit zusammen, dass es
mehr Schulabgänger gibt, als Ausbildungsplätze ange-
boten werden. Deshalb sollte man vorrangig die Indus-
trie und das Gewerbe verpflichten, mehr junge Men-
schen einzustellen, statt nach dem Staat zu rufen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wenn die pleite sind, können die nicht mehr ausbilden! 200 000 Pleiten!)


Die Verantwortlichen, Herr Kolb, sind unzweifelhaft
die Unternehmen.


(Beifall bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Niemand sonst!)


Die Unternehmen haben Vorsorge dafür zu treffen, dass
weltweit das Qualitätssiegel „Made in Germany“ auch
weiterhin Bedeutung hat, und zwar deswegen, weil un-
sere Facharbeiterschaft gut ausgebildet ist.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das bezweifelt keiner!)


Das ist so, weil sie auch gut ausgebildete Lehrherren hat.

Schon heute wird in manchen Branchen darauf hinge-
wiesen


(Zuruf des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])


– hören Sie gut zu! –,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Gern!)


dass qualifizierter Nachwuchs fehlt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das habe ich doch selbst gesagt!)


Statt aber selbst auszubilden, wird die Forderung erho-
ben, im Rahmen von Zuwanderungsmöglichkeiten gut
ausgebildete Facharbeiter ins Land zu holen. Mit sol-
chen Argumenten – ich sage das hier sehr deutlich –
stiehlt man sich aus der Verantwortung sowohl gegen-
über den jungen Menschen als auch gegenüber der Zu-
kunftsfähigkeit der eigenen Firma und unseres Staates.


(Beifall bei der SPD)


Deshalb müsste schon aus Eigennutz die Ausbildung
in den Firmen höchste Priorität haben. Stattdessen wird
vorgeschlagen – Frau Kressl hat schon darauf hingewie-
sen –, das Gehalt der Auszubildenden zu kürzen.


(Zuruf von der SPD: Pfui!)


Ich frage mich: Wer hat dieses Gehalt festgelegt? Es wa-
ren die Tarifvertragsparteien. Am Tisch der Tarifver-
tragsparteien sitzen auch die Arbeitgeber. Die haben die
Tarifverträge mit unterzeichnet. Jetzt nach dem Staat zu
rufen, ist genau der falsche Weg. Wir zweifeln die Tarif-
hoheit nicht an.


(Beifall bei der SPD)


Von daher sollen die Tarifvertragsparteien darüber reden.
Wenn eine der Tarifvertragsparteien meint, man solle da
irgendetwas angehen, dann, bitte schön, ist darüber dort
am Tisch zu verhandeln. Das sollte nicht ins politische
Feld hineingetragen werden.


(Jörg Rohde [FDP]: Richtig!)


Auch die Forderung, drei Auszubildende für das Ge-
halt von zweien einstellen zu dürfen, ist abzulehnen. In
meinen 36 Jahren im Betrieb habe ich als Erstes gelernt:
Gehaltsverzicht sichert nicht einen Arbeitsplatz.


(Beifall bei der SPD)


Die Vergangenheit hat gezeigt, dass man nicht allen
Versprechungen glauben darf. Ich will dazu nur daran er-
innern, dass die Frühverrentung und die so genannte
58er-Regelung mit dem Argument eingeführt worden
sind: Für jeden zweiten älteren Arbeitnehmer bzw. jede
zweite ältere Arbeitnehmerin, den oder die wir von der
Arbeit freistellen, stellen wir einen jungen Menschen
neu ein. Tatsächlich war das Verhältnis sieben zu eins.

Wer würde garantieren, wenn wir diesen Weg der
Kürzung der Ausbildungsgehälter politisch gehen wür-
den, dass es tatsächlich zu mehr Einstellungen käme?






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Grotthaus
Wer würde rechtsverbindliche Zusagen geben, die Un-
ternehmer, die Unternehmerverbände? Alle die würden
sich zurücklehnen und sagen: Wir sind doch nicht dieje-
nigen, die eine Unterschrift gegeben haben. Genau wie
beispielsweise beim Ausbildungspakt: Auch da stiehlt
sich ein Teil der Unternehmer aus der Verantwortung.


(Beifall bei der SPD)


An die Adresse der Unternehmer gerichtet, meine Da-
men und Herren, sage ich: Nicht lamentieren, sondern
ausbilden! Jungen Menschen eine Zukunftschance durch
eine gute Ausbildung geben! Der zugesagten Selbstver-
pflichtung im Rahmen des Ausbildungspaktes nachkom-
men und damit ebenfalls gesellschaftliche Verantwor-
tung in diesem Staat wahrnehmen!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604317500

Das Wort hat nun der Bundesminister für Wirtschaft

und Technologie, Michael Glos.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulla Burchardt [SPD])


Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie:

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich freue mich, dass in der jetzt diskutierten Frage doch
in diesem Hause eine sehr breite Zustimmung bezüglich
der Auffassung herrscht, dass Ausbildung in allererster
Linie Sache der Wirtschaft ist, dass wir sie in den Hän-
den Wirtschaft belassen müssen – denn am besten kann
und macht es die Wirtschaft – und dass wir uns gemein-
sam noch einmal an alle Verantwortlichen wenden und
sie bitten müssen, auszubilden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Klaus Barthel [SPD]: Natürlich sieht die FDP das anders! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie müssen dann nur die richtige Politik machen!)


– Ich komme gleich noch zu Ihnen, Herr Kolb. – Ich tue
das überall. Ich habe zum Beispiel heute beim Sparkas-
senverband Bayern geredet. Unter den tausend Anwe-
senden waren auch sehr viele Unternehmer; sie haben
gesagt: Jawohl, wir strengen uns stärker an. – Ich habe es
gestern beim Zentralverband der Elektrotechnik- und
Elektronikindustrie getan. Ich könnte Ihnen noch weitere
Gelegenheiten aufzählen. Es macht ja keinen Sinn, über
die Wirtschaft zu schimpfen, sondern wir müssen an ihre
Verantwortung appellieren. Ich sage noch einmal: Der
allergrößte Teil der Betriebe nimmt diese Verantwortung
ernst und wahr.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist richtig, Herr Kolb: Es kommt schon darauf an,
wie die Wirtschaft läuft. Betriebe, die es nicht mehr gibt,
können auch nicht ausbilden.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist es!)

Wir müssen auch überprüfen, ob die Änderung der
Handwerksordnung dazu geführt hat, dass mehr oder
dass weniger ausgebildet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)


All diese Dinge müssen wir selber überprüfen. Da sind
wir gefordert. Wir müssen auch immer wieder die Erfah-
rungen nutzen, die wir gesammelt haben.

Es ist aber sehr erfreulich – das wird auch auf den
Ausbildungsmarkt durchschlagen –, dass wir wieder
eine bessere Stimmung in der Wirtschaft haben, als es
vor einem oder auch noch vor einem halben Jahr der Fall
gewesen ist. Das Ifo-Institut sagt, seit 15 Jahren habe es
keine so positive Stimmung mehr gegeben. Die führen-
den Institute sagen optimistischere Zahlen voraus, als
ich sie als Wirtschaftsminister amtlich prognostizieren
dürfte. Wir haben aber immer gesagt, wir schneiden lie-
ber besser ab als vorausgesagt, als dass es umgekehrt ist.
Besonders erfreulich sind die jüngst veröffentlichten
Zahlen der Bundesagentur für Arbeit: Die Zahl der Ar-
beitslosen ist auf unter 4,5 Millionen gesunken und liegt
um 138 000 niedriger als im Vormonat. Wenn es mit der
Wirtschaft weiter so aufwärts geht, dann führt das, wie
ich glaube, auch zu mehr Ausbildungsbereitschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich erkenne
an, dass der Ausbildungspakt, der von meinem Vorgän-
ger mit initiiert worden ist und den die Wirtschaftsver-
bände ganz gewaltig unterstützen, ein gutes Mittel ist,
um weiter voranzukommen. Es bleibt natürlich noch vie-
les andere übrig, was zu tun ist. So wird meine Kollegin
Frau Schavan darüber reden, was mit denen, die nach-
qualifiziert werden müssen und dabei oft den Anschluss
an den aktuellen Ausbildungsmarkt verlieren, geschehen
soll. Deren Zahl nimmt ja wie eine sich immer stärker
aufbauende Bugwelle zu. Häufig liegt das Problem da-
rin, dass sie nicht gut genug in der Schule gebildet wur-
den.


(Jörg Tauss [SPD]: Ja, ja, die Länder!)


– Für die Schulen sind natürlich die Länder verantwort-
lich.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])


– Dass Sie jetzt klatschen, Herr Tauss, hilft nicht.


(Nicolette Kressl [SPD]: Aber interessant ist es schon!)


Es sind aber zu gewissen Teilen auch die Eltern mit ver-
antwortlich. So müssen wir sogar feststellen, dass es
mittlerweile Wohlstandsverwahrlosung gibt.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


Sowohl aus Notlagen heraus wie auch im Wohlstand
kann es zu solchen Fehlentwicklungen kommen; diese
gibt es also auf beiden Seiten. Wir müssen uns also über-
legen, wie wir mit Leistungsgeminderten und aus ande-
ren Gründen Verwahrlosten in Zukunft umgehen.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Michael Glos
Wir müssen auch versuchen, auf dem Integrationsgip-
fel der Bundeskanzlerin darauf hinzuwirken, dass noch
mehr im Bereich der Migrantenkinder getan wird. Hier
wird aus Gründen der Tradition Mädchen oft nicht ge-
stattet, eine Ausbildung aufzunehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Darüber muss, wie ich glaube, beim Integrationsgipfel
am 14. Juli geredet werden.

Vor allen Dingen muss auch verstärkt mit den Verbän-
den der Unternehmen in Deutschland geredet werden,
die nicht in deutscher Hand sind bzw. wo andere Tradi-
tionen herrschen. Ich meine jetzt nicht nur die türkischen
Unternehmerverbände. Wir haben sehr viele erfolgreiche
türkische Mittelständler in Deutschland, gerade auch in
dieser Stadt Berlin.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das muss man klarstellen, dass die nicht das Problem sind!)


Es gibt auch andere gute Beispiele. Zu mir kam in diesen
Tagen der Manager eines großen Fonds. Diese Fonds ha-
ben ja immer bestimmte Namen. Ohne dass ich Reklame
machen will: Dieser Fonds heißt „Cerberus“, übersetzt:
Höllenhund.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie als Wirtschaftsminister eigentlich?)


Die sind wirtschaftlich gut und erfolgreich und haben
sich auch in Deutschland eingekauft. Nach Aussage des
Managers stellen sie jedes Jahr, wenn sie selbst nicht
ausbilden, 1 Million Euro zur Verfügung, die in den je-
weiligen Städten für zusätzliche Ausbildungsplätze ein-
gesetzt werden. An dieser Stelle wird immer der Name
einer großen Sportartikelfirma genannt. Ich bin ja neu-
tral und darf für niemanden Reklame machen.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber das ist die Firma Adidas, die nicht genügend ausbildet!)


Es ist eine Möglichkeit, wenn man selbst nicht genügend
Kapazitäten hat, weil man hauptsächlich nur handelt und
die Produkte von woanders bezieht, zu sagen: Dann ma-
chen wir auch einmal Sponsoring für die Ausbildung.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Es ist auch ein gutes Beispiel, das wir weiter verfolgen
sollten.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum machen Sie das nicht? – Gegenruf von der CDU/CSU: Einfach mal zuhören!)


Ich hatte ein sehr intensives Gespräch mit denen, die in
den Kammerorganisationen an der Front stehen und die
die Arbeit leisten, Frau Kollegin, mehr Ausbildungs-
plätze einzuwerben. Hier ging es überhaupt nicht um
Show und um Reklame. Ich habe mich auch bei den
Leuten bedankt. Sie müssen sich viel anhören. Denen
sollten wir zuhören. Natürlich gibt es eine Reihe von
Gründen, die denen, die Klinken putzen, entgegengehal-
ten werden, warum man nicht mehr ohne weiteres bereit
ist, auszubilden. Trotzdem wird es immer wieder ge-
schafft, die Zahlen zu erhöhen.

Ich möchte noch etwas zu den Zahlen der Bundesan-
stalt für Arbeit sagen. Ich werde demnächst mit Herrn
Weise ein Gespräch führen. Wir haben schon telefonisch
über die Zahlen diskutiert. Diese Zahlen haben sich auch
stark aufgrund einer Statistikumstellung ergeben. Richti-
gerweise wurde gesagt, dass nicht jeder freie Plätze der
Bundesagentur meldet. Das wird stärker von den Kam-
mern in die Hand genommen.


(Beifall des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])


Ich bin bis zum Beweis des Gegenteils optimistisch, dass
es uns mit dem Ausbildungspakt gelingen wird, das, was
versprochen wurde, noch zu übertreffen. So war es auch
im letzten Jahr.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Dass es höhere Zahlen sind, ist schon gesagt worden.
Ich möchte mich an der Stelle bei den Kolleginnen und
Kollegen aus dem Deutschen Bundestag bedanken, die
– ich weiß es aus meiner Fraktion – einen zusätzlichen
Aktionstag durchführen, bei dem der Abgeordnete in
seinem Wahlkreis und da, wo er Verantwortung trägt,
mit Betriebsbesuchen, mit Appellen usw. dazu beiträgt,
das Bewusstsein stärker zu wecken.

Wir – Frau Ministerin Schavan, Herr Minister Münte-
fering, die Verantwortlichen beim DIHK, beim Zentral-
verband des Handwerks usw. – werden am 14. Juli zu ei-
ner Sitzung des gemeinsamen Lenkungsausschusses
zusammenkommen, um eine erste Bilanz zu ziehen. Wie
es wirklich ausgeht, wissen wir erst im Herbst. Bis dahin
dürfen wir in den Anstrengungen nicht nachlassen, noch
mehr zu tun als in der Vergangenheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dafür und für diese Aktionen kann ich Ihnen jetzt
schon danken. Ich hoffe, dass das alle Seiten dieses Hau-
ses tun. Frau Kollegin Kressl hat das Thema Mobilität
angesprochen. Per saldo stimmt die Bilanz optimistisch.
Ich kann nur die jungen Leute ermuntern, auch einen
Ausbildungsplatz anzunehmen, der sich außerhalb der
Stadt oder der Region, aus der man kommt, findet.

Früher musste man sogar woanders hingehen. Es ge-
hörte zur handwerklichen Ausbildung, dass man gewan-
dert ist. Heute reist man in die ganze Welt, wenn man
kann, möchte aber unbedingt bei Muttern zu Hause blei-
ben, wenn es um Ausbildungsplätze geht. Auch da kann
ich nur an die Betreffenden appellieren, Mobilität zu zei-
gen. Ich bin überzeugt: Bei gutem Willen aller Beteilig-
ten – sowohl bei den Jugendlichen als auch bei den Be-
trieben – können wir eine Win-win-Situation schaffen, in
der die jungen Leute gewinnen – das liegt mir ganz be-
sonders am Herzen –, in der aber auch die Wirtschaft ge-
winnt. Die Zahlen werden sich ja in ein paar Jahren oh-
nehin wieder verändern. Es gilt: Diejenigen, die heute
nicht ausgebildet sind, werden morgen als Arbeitskräfte
nicht zur Verfügung stehen.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Michael Glos
Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604317600

Ich erteile das Wort dem Kollegen Klaus Barthel,

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1604317700

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Zunächst einmal hat mich die Kritik der Opposition
an der Aktuellen Stunde überrascht.


(Beifall bei der SPD – Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der FDP!)


Ich garantiere Ihnen: Hätten wir sie nicht beantragt, dann
hätte es geheißen, wir würden die schwierige Situation
auf dem Lehrstellenmarkt ignorieren, Herr Kolb. Des-
halb kann ich Ihre Kritik nicht nachvollziehen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die FDP ist nicht die ganze Opposition; darauf möchte ich mal hinweisen!)


Für mich ist in diesem Zusammenhang ein besonderes
Alarmzeichen, dass sich inzwischen selbst in ökono-
misch starken Regionen unseres Landes der Lehrstellen-
mangel zuspitzt. Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnen-
verband berichtet zum Beispiel in diesen Tagen, dass
Mitte Mai, also vor sechs Wochen, erst 30 Prozent der
Hauptschulabgängerinnen und -abgänger der neunten
Klasse einen Ausbildungsvertrag in der Tasche gehabt
hätten; bei den Praxisklassen seien es erst 24 Prozent ge-
wesen. Das bedeutet, dass zwei Drittel dieser Jugendli-
chen in Bayern noch vor dem Nichts stehen.


(Jörg Rohde [FDP]: Heute in der Statistik: 30 000 fehlen!)


Ich halte aber dagegen, dass in den letzten Jahren
viele Wünsche der Unternehmen – und auch der FDP –
hinsichtlich Flexibilisierung und Modernisierung, aber
auch des Abbaus mancher Standards, genannt Ausbil-
dungshemmnisse, erfüllt worden sind.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wo denn?)


Stichworte: Ausbilder-Eignungsverordnung ausgesetzt,
Probezeit verlängert, zweijährige Ausbildung erleichtert,
neue Ausbildungsberufe eingeführt, Neuordnungsver-
fahren beschleunigt. Das hat sogar die Arbeitgeber-
gruppe im Hauptausschuss des Bundesinstituts für Be-
rufsbildung in ihrer Stellungnahme zum aktuellen
Berufsbildungsbericht zugegeben.

Als Wirtschaftspolitiker will ich aber noch einmal auf
die ökonomische Dramatik der Lage hinweisen. Es be-
steht offenbar breiter Konsens darüber, dass die Zukunft
der Wirtschaft vor allen Dingen von Innovationen ab-
hängt.


(Beifall bei der SPD)

Dutzende von Studien, Berichten, Gutachten usw. bele-
gen das; Beiräte brüten seit Jahren darüber. Aber so rich-
tig und wichtig der technologische Aspekt bei der Inno-
vation ist, so oft wird die zentrale Voraussetzung
technologischer Leistungsfähigkeit unterschlagen, näm-
lich die Fähigkeit der Menschen selber, neue Technolo-
gien zu entwickeln, anzuwenden und zu beherrschen.


(Beifall bei der SPD)


Es macht – Herr Minister hat es erwähnt – die bishe-
rige Stärke des Exportweltmeisters Deutschland aus,
dass wir bei unserer technologischen Leistungsfähigkeit
nicht nur auf akademisch geprägte Forschung und Ent-
wicklung zurückgreifen können, sondern auch auf das
breite Wissen und Können von Fachkräften zählen kön-
nen, die das duale System durchlaufen haben. Dieses du-
ale System ist eine Grundlage für Weiterbildung, sei sie
schulisch, akademisch, sei sie betrieblich.

Aber was ist unterdessen die Realität? Die Zahl der
angebotenen betrieblichen Ausbildungsplätze sinkt so-
wohl konjunktur- und arbeitsmarktabhängig – im letzten
Jahr um 3,5 Prozent – als auch langfristig, in den letzten
14 Jahren um etwa ein Viertel; das muss man sich ein-
mal vorstellen. Es wird nach Verkürzungen der Ausbil-
dungszeit gerufen und gleichzeitig durch Warteschleifen,
Praktika und Einstiegsqualifizierung die Ausbildung de
facto verlängert.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU])


Ein Teil der Betriebe – auch das gibt es – nutzt die Ein-
stiegsqualifizierung nicht für Jugendliche mit Wettbe-
werbsnachteilen, für die sie gedacht ist, sondern zur bil-
ligen Verlängerung der Ausbildungszeit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Wie sonst ist es zu erklären, dass wir in den Einstiegs-
qualifizierungen zur Hälfte Realschülerinnen und Real-
schüler und sogar Abiturienten antreffen?


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wie erleben, dass die Situation auf dem Stellenmarkt
und die dadurch entstehende Erpressbarkeit der Jugend-
lichen ausgenutzt werden, um unwürdige Verhältnisse zu
schaffen. Das Ganze ist nicht nur unfair und moralisch
empörend, sondern gefährdet letzten Endes die Zukunfts-
chancen unserer Volkswirtschaft.


(Beifall bei der SPD)


FDP, Unternehmerverbände und Kammern haben in
der Vergangenheit immer argumentiert: Wenn sich die
wirtschaftliche Lage der Betriebe verbessern würde,
würden auch die Chancen steigen, Ausbildungs- und Ar-
beitsplätze zu schaffen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist es!)







(A) (C)



(B) (D)


Klaus Barthel
Jetzt wissen wir aber – ich will es nicht verallgemei-
nern –: Die Gewinne der Unternehmen sind in den letz-
ten Jahren im Durchschnitt deutlich gestiegen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Im Mittelstand sieht das ganz anders aus!)


Nach dem „Handelsblatt“ vom Anfang dieser Woche
sind die Nettogewinne der DAX-Unternehmen um
12,6 Prozent gestiegen. Außerdem schreibt das „Han-
delsblatt“, dass die Ausgangsbasis immer höher werde
und dass die Gewinne der kleinen und mittleren Unter-
nehmen erneut stärker als die der großen Konzerne im
DAX wachsen dürften.

Auffälligerweise sind gerade die Unternehmen beim
Arbeits- und Ausbildungsplatzabbau besonders gut ver-
treten – Herr Kolb, jetzt hören Sie einmal gut zu –, die
die höchsten Gewinnzuwächse hatten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Da können doch nicht die großen Unternehmen, die Mil-
liardengewinne einfahren, über eine Ausbildungsvergü-
tung von 600 Euro philosophieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Übrigen möchte ich feststellen, dass die Wirt-
schaft bis jetzt jeden Beweis schuldig geblieben ist, dass
niedrige oder sinkende Ausbildungsvergütungen Ausbil-
dungsplätze schaffen, sonst müssten doch die neuen
Bundesländer ein Ausbildungsparadies sein. Aber genau
das Gegenteil ist der Fall.


(Beifall bei der SPD)


Wir erleben quasi eine Verstaatlichung der berufli-
chen Bildung. Wir stützen mit arbeitsmarktpolitischen
Maßnahmen mit einem Volumen von 1,6 Milliarden
Euro den Ausbildungsmarkt. 10 Milliarden Euro, also
mehr als die Hälfte der Gesamtkosten, gibt die öffentli-
che Hand für die berufliche Ausbildung dazu. Daraus
folgt, es fehlt nicht an Geld, Gesetzen, Sonntagsreden
und an theoretischen Erkenntnissen. Es fehlt auch nicht
an Bemühungen von vielen Kammern. Wir haben da
schon von vielen rühmlichen Ausnahmen in den Betrie-
ben gehört; das erkennen wir ausdrücklich an.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604317800

Herr Kollege.


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1604317900

Ich will zum Schluss aus dem brandaktuellen Thesen-

papier der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitge-
berverbände zitieren. Unter dem Titel „Bildung schafft
Arbeit“ heißt es:

Bildung ist der entscheidende Schlüssel für die Zu-
kunfts- und Wohlstandschancen Deutschlands ...

Ich sage: Auf geht’s!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604318000

Das Wort hat die Bundesministerin für Bildung und

Forschung, Dr. Annette Schavan.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
dung und Forschung:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Die berufliche
Bildung – dazu gehört die Kooperation von Unterneh-
men und Schule – ist das Herzstück des Bildungssys-
tems in Deutschland und damit die beste Vorbeugung ge-
gen Jugendarbeitslosigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So weit, so gut!)


Deshalb wächst das Interesse unserer europäischen
Nachbarn an unserem dualen Ausbildungssystem. Es hat
gestern unter Moderation und auf Initiative Deutsch-
lands ein Treffen von Vertretern aus sechs europäischen
Ländern gegeben, auf dem Pläne für eine Kooperation
und für eine gemeinsame Modernisierung dieses Teil des
Bildungssystems besprochen wurden.

Ich finde es übrigens richtig, dass sich der Deutsche
Bundestag mit diesem Zukunftsthema regelmäßig be-
schäftigt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das kann man doch im Rahmen der regulären Tagesordnung machen!)


Das ist ein Thema auf allen politischen Ebenen und au-
ßerdem ein Thema der Tarifpartner. Es geht in diesem
Zusammenhang auch um eine zentrale Frage mit Blick
auf die Innovationsfähigkeit unserer Unternehmen und
die Zukunftschancen der jungen Generation.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich nenne die konkreten Schritte, die diese Regierung
in den ersten sieben Monaten ihrer Amtszeit gegangen
ist.

Erstens. Wir haben mit den ausländischen Unterneh-
men gesprochen. Wir haben Vereinbarungen über An-
reize getroffen und im Gegenzug die Zusage bekommen,
dass 10 000 zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen
werden. Wir werden in den kommenden Monaten acht
Regionalkonferenzen in Deutschland durchführen, auf
denen wir die ausländischen Unternehmen gezielt an-
sprechen wollen. Wir wollen sie an unsere Ausbildungs-
kultur heranführen und ihnen Brücken bauen, damit
diese 10 000 neuen Ausbildungsplätze geschaffen wer-
den können. Diese konkrete Aktion wird die Zukunfts-
chancen verbessern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die Heuschrecken werden umschmeichelt!)


Zweitens. Wir haben ein neues Bund/Länder-Sonder-
programm zur Förderung von Ausbildungsplätzen in den






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Dr. Annette Schavan
neuen Bundesländern aufgelegt. Dort haben wir eine
ganz besondere Situation. Denn dort ist der klassische
Mittelstand, der das Rückgrat der Ausbildung in
Deutschland ist, nicht so stark vertreten wie in den alten
Bundesländern. Deshalb müssen die neuen Länder und
der Bund mehr investieren. Wir tun das. Wir schaffen
auch hier Brücken. Wir wollen auch hier die Schaffung
von jährlich insgesamt 13 000 zusätzlichen Ausbil-
dungsplätzen ermöglichen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Drittens. Wir haben dafür gesorgt, dass das Programm
Jobstarter – es stellt eine gute Bündelung bisheriger Pro-
gramme dar – in den nächsten Jahren finanziert wird. In
den Haushaltsberatungen haben wir dies gesehen. Ich
bin davon überzeugt, dass das vor allen Dingen mit
wichtigen Impulsen für kleine Unternehmen verbunden
ist, die Einstiegsschwierigkeiten haben. Wir brauchen
gezielte Einsteigerprogramme. Wir brauchen Möglich-
keiten der Begleitung von Ausbildern in kleinen Unter-
nehmen bei der Ausbildung von Jugendlichen.

Viertens. Wir diskutieren nicht nur über sehr konkrete
Schritte bei der Modernisierung der beruflichen Bildung.
Vielmehr hat die Umsetzung in Form von Neuordnungen
an der Nahtstelle zwischen Bildung und Beschäftigung
längst begonnen. Wir brauchen andere Kooperationen,
andere Angebote an Jugendliche und gezielte, verbindli-
che Erklärungen. Die Einstiegsqualifikationen, die er-
worben werden, müssen auch angerechnet werden. Es
muss eine Optimierung im Hinblick auf die Lebenszeit
junger Menschen erfolgen. Darüber wird doch nicht nur
debattiert. Damit wurde schon begonnen. Die ersten
Bundesländer befinden sich längst in Umsetzungspro-
zessen. Die ersten Einstiegsqualifikationen sind längst
erworben und wurden in die weitergehende Ausbildung
der Jugendlichen eingebracht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, leider nicht! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dann ist doch alles in Ordnung!)


Ein ganz wichtiger Punkt ist – Sie haben es angespro-
chen –: Drei Ressorts der Bundesregierung sind mit Teil-
elementen in diesem großen Feld tätig. Diese drei Res-
sorts arbeiten jetzt zusammen. Auch das ist keine
Selbstverständlichkeit. Ich habe gelernt, dass das in den
letzten Jahren nicht so gut geklappt hat. Dies klappt jetzt
zwischen uns.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir arbeiten nicht nur mit verteilten Rollen, sondern
wissen auch, wo wer am besten wirken kann und wo wir
uns aufeinander zu bewegen müssen. Das Wirtschafts-
ministerium und wir werden das zum Beispiel bei der
Frage der Weiterentwicklung von Ausbildungsberufen
tun. Wir müssen wegkommen von immer mehr Speziali-
sierungen. Wir brauchen ein breiteres Fundament und
dann Spezialisierungen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir erarbeiten in den nächsten Wochen ein gemeinsa-
mes Konzept zur Frage: Wie schaffen wir die Weiterent-
wicklung von Einstiegsqualifikationen, sodass gestufte
Ausbildungsgänge möglich werden, bei denen das, was
jemand im ersten, zweiten oder dritten Schritt erwirbt,
weiter eingebracht werden kann? Das ist eine Moderni-
sierung, die am Ende zu dem führt, was im Koalitions-
vertrag steht, nämlich Erstausbildung und Weiterbildung
miteinander zu verknüpfen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Also, alles wird gut!)


Das setzt eine Modularisierung voraus. Da müssen alle
mitmachen. Da werden wir uns einig werden. Je mehr
wir gemeinsam tun, umso mehr werden uns auch die Ta-
rifpartner bei den Prozessen der Modernisierung folgen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Jörg Rohde [FDP]: Vorsicht, sonst kriegt die Ministerin den schwarzen Peter!)


Ich könnte Ihnen jetzt weitere Schritte nennen. Im
Laufe der Zeit erhalten Sie dazu schriftliche Informatio-
nen. Sie werden es auch vor Ort merken.

Ich will noch etwas zu den Regionalagenturen sagen.
Jeder von uns besucht sie doch in seinem Wahlkreis. Wir
sollten, finde ich, nicht einfach darüber hinweggehen,
dass es vor Ort hoch interessante, längst existierende
Netzwerke zwischen dem beruflichen Schulwesen, den
Unternehmen und den Kammern zum Teil unter Mode-
ration der Regionalagenturen gibt. Ich kenne hoch inte-
ressante Ansätze und sehr gute Angebote von Regional-
agenturen, um Jugendliche, die Schwierigkeiten haben,
die nicht einfach die Bereiche Lesen, Schreiben oder
Rechnen betreffen – sie haben ganz andere Schwierig-
keiten –, in einer relativ überschaubaren Zeit zur Ausbil-
dungsreife zu bringen und sie damit in eine Ausbildung
zu führen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Das muss verbreitert werden!)


Ich rate uns: Der ganzen Debatte um Ausbildungs-
plätze und berufliche Bildung täte es gut, wenn die
wechselseitigen Vorwürfe und das wechselseitige Ka-
puttreden der Argumente beendet würden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber Schönreden nützt auch nichts!)


Ich erlebe seit Jahren – egal, welcher Vorschlag kommt –,
dass immer jemand sagt: Mit uns ist das nicht machbar. –
Ich finde, in einer solchen Diskussion, in der es um mehr
Zukunftschancen geht, darf es kein Tabu geben.

Zum Thema Ausbildungsvergütung. Ich stimme je-
dem zu, der sagt: Das ist nicht Sache der Politik. – Auch
in meinem Wahlkreis gibt es viele, die sagen: Das ist
nicht unser Thema. Die Vergütung haben wir vereinbart.
Wenn wir sie ändern wollen, können wir dies tun.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Dr. Annette Schavan
Jetzt soll man aber nicht so tun, als hätten wir kein
Berufsbildungsgesetz,


(Nicolette Kressl [SPD]: Aber schon immer!)


das übrigens in der letzten Legislaturperiode moderni-
siert wurde und unter anderem den Passus enthält, dass
bei nicht tarifgebundenen Vergütungen Abweichungen
von bis zu 20 Prozent möglich sind. Jetzt nenne ich ein-
mal das konkrete Beispiel einer Buchhändlerin aus
Aachen, die sagt, in ihrer Buchhandlung arbeite außer
ihr noch eine Teilzeitkraft mit 50 Prozent und die
700 Euro für einen Auszubildenden habe sie nicht. Sie
könnte sich jedoch vorstellen, einen Auszubildenden für
560 Euro einzustellen, die sie noch so grade zusammen-
bekäme. Ich möchte das Thema nicht zu ausführlich be-
handeln, halte es aber nicht für gut, in solchen Situatio-
nen einfach nur zu sagen: Es geht nicht, das ist
Ausbeutung von Jugendlichen. Das ist ein Konterkarie-
ren des Gesetzes, das der Deutsche Bundestag verab-
schiedet hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn man das falsch gefunden hätte, hätte man es bei
der Modernisierung ändern können.

Es würde den Jugendlichen und auch dem ganzen
Thema gut tun, wenn in den Debatten nicht immer der
eine über den anderen herfallen würde. Ich habe den Er-
lass der Prüfungsgebühren bei Kammerprüfungen ins
Gespräch gebracht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Dazu bekomme ich jetzt unentwegt Briefe. Das sei völ-
lig unmöglich. Natürlich weiß ich, dass das nicht mehr
als ein Symbol ist,


(Jörg Tauss [SPD]: Aber ein wichtiges Symbol!)


weil man auch sagen kann, dass es auf die 500 Euro auch
nicht ankommt. Es geht dabei aber erstens um struktu-
relle Veränderungen


(Jörg Tauss [SPD]: So ist es!)


und zweitens um die Bereitschaft seitens der Wirtschaft,
mehr in Ausbildung zu investieren. Bekanntlich lautet
ein Satz des Berufsbildungsgesetzes seit 1969: Berufli-
che Bildung ist Sache der Wirtschaft. Drittens besteht
die Notwendigkeit, Symbole zu setzen und die Spiel-
räume zu nutzen, die uns das Gesetz gibt, und nicht so zu
tun, als sei die Nutzung gesetzlicher Möglichkeiten un-
sittlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Zahlen eines jeden Jahres verändern sich von Wo-
che zu Woche. Es gibt einen Unterschied zwischen den
Zahlen der Bundesagentur für Arbeit und der Zahl der
Ausbildungsverträge, die tatsächlich zustande kommen.
Ich rate uns, unser Augenmerk in den nächsten Wochen
und Monaten ganz stark auf dieses Thema zu lenken.
Wir reden über ein Zukunftsthema. Die Bundesregierung
wird in dieser Legislaturperiode eine Maßnahme nach
der anderen zur Modernisierung des Systems vorlegen
und mit Ihnen debattieren. Alle gesellschaftlichen Kräfte
sind aufgerufen, dieses Thema zu besetzen und jedem
Jugendlichen eine qualifizierte Ausbildung zu ermögli-
chen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604318100

Das Wort hat nun der Kollege Willi Brase, SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD)



Willi Brase (SPD):
Rede ID: ID1604318200

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass viele Vor-
redner die Lage am Ausbildungsstellenmarkt sehr gut
beschrieben haben.


(Jörg Rohde [FDP]: Besonders der von der FDP!)


– Nein, nun überschätzen Sie Herrn Kolb mal nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich finde es gut – das will ich ausdrücklich auch dem
Wirtschaftsminister, der sich im Augenblick in den Rei-
hen der Abgeordneten aufhält, sagen –, dass die Kanzle-
rin endlich einmal deutlich gesagt hat, was wir am
30. September, möglicherweise am 31. Dezember von
der Wirtschaft erwarten. Sie hat nämlich gesagt: Wir
brauchen 50 000 Ausbildungsplätze für die jungen
Leute, damit wir dieses Ausbildungsjahr einigermaßen
vernünftig überstehen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich glaube, wir sollten uns als Fraktion daran messen
lassen und auch die Regierung daran messen, ob wir die-
ses Ziel erreichen.

Ich möchte jetzt aus der Sicht – ich glaube, hier bin
ich der Einzige – eines in der beruflichen Bildung Ver-
antwortlichen das eine oder andere hier bewerten. Ich
bin alternierender Vorsitzender einer Kammer in mei-
nem Heimatland in Nordrhein-Westfalen, dem Sieger-
land. Ich kann nur sagen, dass wir manches, was hier
diskutiert wurde, seit Jahren in praktischer, vernünftiger
Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Gewerkschaf-
ten, Berufskollegs und der Arbeitsagentur bzw. jetzt der
Arge machen.


(Beifall bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Aber nicht überall!)


Daran, wie wir mit den Dingen umgehen, könnte sich
mancher Politiker, der hier Fensterreden hält, ein sehr
gutes Beispiel nehmen.


(Jörg Tauss [SPD]: Aber noch nicht überall!)


Im Rahmen des Ausbildungspakts ist das Sonderpro-
gramm Einstiegsqualifizierung Jugendlicher, EQJ, auf
den Weg gebracht worden. Die Untersuchungen des
G. I. B. – das ist eine nordrhein-westfälische Gesell-
schaft – und der Hans-Böckler-Stiftung über die Situa-






(A) (C)



(B) (D)


Willi Brase
tion im westlichen Ruhrgebiet belegen, dass zwischen
58 und 63 Prozent der EQJ-Teilnehmer direkt nach der
Qualifizierung eine Ausbildung beginnen. Das ist gut.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Nachdenklich muss uns aber stimmen, dass davon sehr
viele einen mittleren Bildungsabschluss haben. Das ist
ein Zeichen dafür, dass die Unternehmen offensichtlich
noch nicht genügend qualifizierte Ausbildungsplätze an-
bieten und sie die Hauptschulabgänger dadurch ein
Stück weit verdrängen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei den Beratungen zum Ausbildungspakt haben wir
gesagt, dass wir EQJ vor allen Dingen deshalb machen,
um den jungen Leuten aus den Hauptschulen eine ver-
nünftige Perspektive zu bieten.


(Beifall bei der SPD)


Deswegen bin ich sehr dafür, dass wir dieses Instrument
dahin gehend überprüfen. Sollte sich der Trend fortset-
zen, dass sich aufgrund der Mangelsituation verstärkt
Schüler mit mittlerem Bildungsabschluss durchsetzen,
dann müssen wir einschreiten. Wir müssen auch unseren
Hauptschülern eine vernünftige Perspektive bieten.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zur Ausbildungsreife. Selbstverständlich habe ich die
Untersuchungen des DIHK vom letzten und den voran-
gegangenen Jahren gelesen. Wenn man sich die Ergeb-
nisse der letzten zehn Jahre ansieht, stellt man fest, dass
immer dann, wenn die Ausbildungssituation sehr
schwierig war, gesagt wurde, dass das an der fehlenden
Ausbildungsreife der Jugendlichen liege. Ich finde, der
DIHK hat es gar nicht nötig, ein so dummes Argument
vorzuschieben.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Danckert [SPD]: Bei dem Satz kann die FDP wenigstens mal mitklatschen!)


Es gibt eine sehr gute Untersuchung des Bundesinsti-
tuts für Berufsbildung, die im November des letzten Jah-
res veröffentlicht wurde. Sie enthält eine inhaltlich klare
Beschreibung des Begriffs Ausbildungsreife und be-
schreibt, was erforderlich ist, um eine Ausbildung ma-
chen zu können. Diese Untersuchung ist von Fachleuten
gemacht worden, die tagtäglich im Bereich der berufli-
chen Bildung tätig sind. Die Ergebnisse sind äußerst
spannend. Die Konsequenzen sind weit reichend:


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Jetzt aber!)


Erstens. Es gibt – das ist völlig klar – Probleme im fa-
miliären Bereich, die für bestimmte Verhaltensweisen
ursächlich sind. Da müssen wir etwas tun.

Zweitens. Es gibt Probleme bei den Schulen. Es
wurde eben zu Recht gesagt, dass es wichtig ist, bei der
Vermittlung der Kompetenzen in den Bereichen Lesen,
Schreiben, Rechnen etc. alle Jugendlichen mitzuneh-
men.

Drittens. Auch Unternehmensvertreter haben gesagt
– 72 Prozent haben dem zugestimmt –, dass Unterneh-
men auch schwächeren Jugendlichen eine Chance bieten
und ihre Entwicklungspotenziale einschätzen sollen. Das
wurde gefordert. Ich kann nur sagen: Das ist richtig so.

Viertens. Man erwartet zu Recht auch von den jungen
Leuten, dass sie sich ein bisschen stärker für den Betrieb,
ihre Ausbildung und ihre Zukunftsperspektiven interes-
sieren.

Das müssen wir in einem vernünftigen, regionalen
Pakt zusammenbringen: Wir müssen die Familien unter-
stützen, damit es den jungen Leuten dort besser geht.
Wir müssen die Schule stärker fordern. Die Lehrerinnen
und Lehrer müssen die Kompetenzen vermitteln. Wir
müssen den Unternehmen klar machen, was von ihnen
erwartet wird.

Der Berufsbildungsbericht zeigt, wie viele Unterneh-
men ausbilden und wie viele nicht ausbilden. Schauen
Sie sich das an vor dem Hintergrund, wie viele Unter-
nehmen ausbilden könnten. Hier ist noch sehr viel zu ho-
len. Ich empfehle der Kanzlerin und den zuständigen
Ministern, an die Betriebe heranzugehen, die ausbilden
könnten, es aber nicht tun. Auf die müssen und wollen
wir mehr Druck ausüben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604318300

Das wäre ein vorzüglicher Schlusssatz gewesen, Herr

Kollege.


Willi Brase (SPD):
Rede ID: ID1604318400

Herr Präsident, darf ich noch einen Satz sagen?


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604318500

Ja.


Willi Brase (SPD):
Rede ID: ID1604318600

Ich bedanke mich sehr herzlich. – Frau Schavan hat

als zuständige Ministerin zusammen mit der Kultus-
ministerkonferenz den Bildungsbericht 2006 herausge-
geben. Hochinteressant ist nicht die Herausgabe, son-
dern das, was darin steht.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604318700

Das ist jetzt der dritte Satz.


Willi Brase (SPD):
Rede ID: ID1604318800

Interessant ist, dass wir sozusagen einen Dreierlauf

haben: Ein Großteil der jungen Leute befindet sich in der
dualen Ausbildung. Ein gleich großer Anteil junger
Leute befindet sich im so genannten Übergangssystem,
BVJ, BGJ oder berufsvorbereitenden Bildungsmaßnah-
men. Außerdem haben wir eine zunehmend große An-
zahl Jugendlicher im Bereich vollqualifizierender Aus-
bildung an Schulen.






(A) (C)



(B) (D)


Willi Brase
Ich rate uns allen, diesen Bericht hier im Parlament zu
diskutieren. Ich glaube, daraus müssen wir Konsequen-
zen ableiten, damit wir auch zukünftig unseren jungen
Menschen eine vernünftige Perspektive bieten können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604318900

Letzter Redner in der Aktuellen Stunde ist der Kol-

lege Uwe Schummer für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Uwe Schummer (CDU):
Rede ID: ID1604319000

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Liebe

Kollegin Hirsch, Sie haben gesagt, dass die Bundesagen-
tur für Arbeit für das Ausbildungsjahr eine Ausbildungs-
platzlücke von 150 000 prognostiziert. Tatsache ist:
Nach dem heutigen Stand der Bundesagentur wird sie auf
30 000 prognostiziert. Das ist ein eklatanter Unterschied.
Aber das zeigt im Grunde – das ist das Bedauerliche –,
Kollegin Hirsch, dass der Misserfolg des Ausbildungs-
paktes doch von Ihrer Gruppe mit klammheimlicher
Freude genutzt wird, um Ideologie zu machen, und
nicht, um den Menschen zu helfen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ihnen kann ich nur empfehlen, Zahlen zu lesen und da-
rauf vernünftige Konzepte aufzubauen. Das ist die Philo-
sophie des Ausbildungspaktes.


(Widerspruch bei der LINKEN)


Wir in der großen Koalition leben davon, dass es den
Menschen durch die Politik besser geht,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Na! Da warten wir aber lange!)


während Sie als Manager des Elends vom Misserfolg le-
ben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Menschen werden letztendlich sehen, wem es im
nächsten Jahr im September, im Ausbildungsjahr besser
gehen wird: denjenigen, die dort leben, wo eine große
Koalition regiert, oder denjenigen, die in Bundesländern
leben, in denen Sie, die PDS, mit an der Regierung sind,
also in Mecklenburg-Vorpommern oder in Berlin.

Wir haben noch zwei Monate. Jetzt ist die Zeit, nicht
nur über Zahlen zu reden, sondern vor allem, um zu han-
deln, damit jeder ausbildungsbereite Jugendliche eine
Qualifizierung findet. Es ist ein gutes Zeichen, dass
beide Minister miteinander in die gleiche Richtung zie-
hen. Es ist ein gutes Zeichen, dass auch die Kanzlerin,
Angela Merkel, sich persönlich einschaltet, nicht nur mit
Briefen, sondern indem sie in die Betriebe geht und sehr
persönlich dafür wirbt, dass die Wirtschaft in Menschen
investiert, genauso wie sie in Maschinen investiert.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Mein Appell lautet, eben nicht nur die heutigen Kom-
petenzen eines Menschen zu sehen, sondern auch seine
Perspektive im Blick zu haben. Es ist wie mit den Ak-
tien: Man muss in Menschen investieren und sehen, wie
sie sich entwickeln und welche Perspektiven sie haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das hat uns Klinsmann mit Odonkor bei der Weltmeis-
terschaft gezeigt. Die Experten sagten: Das ist alles Un-
sinn, er hat keine Erfahrung. Klinsmann hat aber auf ihn
gesetzt und ihn in die Nationalelf berufen. Letztendlich
hat er das Vertrauen, das er in ihn investiert hat, in Form
von Motivation zurückerhalten. Odonkor hat sich be-
währt. Genauso muss es in der Wirtschaft sein. Dort geht
es zwar um Ausbildung, nicht um Weltmeisterschaft,
aber man investiert auch in die Menschen und in deren
Perspektiven, die entwickelt werden müssen. Das ist der
Appell an die Wirtschaft.

Aber die Wirtschaft braucht dabei Hilfe. Lassen Sie
uns doch überlegen, welche Berufsbegleitung neben den
Maßnahmen, die schon existieren, möglich ist. In einer
Berufsschule kann Ganztagsunterricht bis 17 Uhr laufen.
Dann kann man nach einem Profiling für die jungen
Menschen, die eine Lese- oder Rechenschwäche oder
anderweitig Probleme haben, am Nachmittag einen ge-
zielten Förderunterricht organisieren. Man muss versu-
chen, in der Berufsschule solche Negativbereiche in der
Ausbildung abzubauen, und dafür sorgen, dass eben
nicht der Betrieb all das aufarbeiten muss, was im allge-
meinen Bildungssystem nicht richtig gelaufen ist. Wir
brauchen im dualen System eine Begleitung innerhalb
der Berufsschule. Das sollten wir miteinander bereden
und auf den Weg bringen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Aber das geht nicht an einem Tag! Da sind wir uns doch einig?)


– Das geht nicht an einem Tag.

Aber die Zielsetzung, dem Handwerksmeister zu ver-
mitteln, dass innerhalb des ersten Jahres diese Lese- oder
Rechenschwäche abgebaut wird, wäre eine gute Motiva-
tion für ihn, zu sagen: Wir stellen diesen Jugendlichen
ein, obwohl er Defizite hat. Keiner darf verloren gehen.
Es kann nicht sein, dass wir einfach untätig zuschauen,
wenn 1,3 Millionen Schulabgänger bis 29 Jahre derzeit
ohne eine berufliche Ausbildung auf der Straße stehen
und nicht in die Arbeitswelt integriert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Jeder zweite Bewerber, der bisher nicht vermittelt ist,
kommt aus der Hauptschule. Ich habe mir vom Berufs-
bildungsinstitut in Bonn noch einmal bestätigen lassen:
90 Prozent aller Berufsbilder – aktuell haben wir 340 –
sind für Hauptschüler verschlossen. Wir müssen auch
die eigene Diskussion betrachten. Einerseits, wenn in der
Rütli-Hauptschule in Berlin oder anderswo Missstände
auftreten, beklagen wir, dass Hauptschüler keine Per-
spektive haben, und auf der anderen Seite entwickeln
wir Berufsbilder so weit, dass praktisch begabte Haupt-






(A) (C)



(B) (D)


Uwe Schummer
schüler immer weniger Zugangschancen zu einer ver-
nünftigen Qualifizierung haben.

Im Rahmen der Berufsbildungsreform, die Frau An-
nette Schavan zu Recht ansprach, wurde die Philosophie
vereinbart, Berufsbilder in größerem Umfang stufen-
weise zu organisieren. Es sollen auch Zwischenab-
schlüsse möglich sein. Wenn man zum Beispiel eine
Ausbildung im dritten Lehrjahr nicht fortsetzt, kann man
später durch Weiterbildung über verschiedene Module
eine zweite Chance erhalten und auf dem bisher Erreich-
ten aufbauen. Es soll eine Berufstreppe geschaffen wer-
den, die für das lebenslange Lernen mitgenutzt werden
kann. Die Umsetzung der Berufsbildungsreform – einer
breiten Grundausbildung, die stufenweise bis hin zur Er-
langung akademischer Würden weiterorganisiert wird –
müssen wir beschleunigen. Hier sind wir alle gefordert.

Meine Damen, meine Herren, der Arbeitsmarkt ist in
Bewegung. Im Jahresvergleich sind 370 000 Arbeitslose
weniger zu verzeichnen. Der Verband der Ingenieure hat
mitgeteilt, dass der Anteil arbeitsloser älterer Ingenieure
um 25 Prozent gesunken ist, weil sie vermittelt wurden.
Auch die Zahl der jüngeren Arbeitslosen bis 25 Jahre ist
im Jahresvergleich um 100 000 zurückgegangen. Der
Arbeitsmarkt bewegt sich also. Auch die Ausbildungs-
platzsituation wird in Bewegung kommen. Dafür werden
wir, wird die große Koalition sorgen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604319100

Mit dieser ultimativen Klarstellung ist die Aktuelle

Stunde beendet.

Nun rufe ich den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Detlef
Parr, Joachim Günther (Plauen), Jens Acker-
mann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP

Recht der Sportwetten neu ordnen und Finan-
zierung des Sports sowie anderer Gemein-
wohlbelange sichern

– Drucksache 16/1674 –
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ich wette, gleich spricht der Kollege Parr!)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
FDP als Antragstellerin sechs Minuten erhalten soll. –
Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so ver-
einbart.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Detlef Parr für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Guter Mann!)


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1604319200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kol-

lege Koschyk hat die erste Wette schon gewonnen. Er
hat nämlich darauf gewettet, dass der Kollege Parr
spricht. Er hat Recht behalten.


(Beifall des Abg. Hartmut Koschyk [CDU/ CSU])


Urteile, Urteile, Urteile. Auf wohl keinem anderen
Politikfeld gibt es derzeit so viel Rechtsunsicherheit und
so viel Widersprüchliches wie bei den Sportwetten.
Jüngstes Beispiel: Gestern vermeldete das OVG Münster
das Aus für private Sportwetten. Das war eine unge-
wöhnlich harte Entscheidung, die über das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts hinausgeht und weitere Kla-
gen nach sich ziehen wird.

Diese Klagespirale muss ein Ende haben. Wir brau-
chen endlich Rechtsklarheit. Um sie zu erreichen, müs-
sen wir auf allen Ebenen und mit allen Betroffenen eine
ehrliche und tabulose Diskussion über den richtigen und
einen zukunftsfesten Weg dorthin führen. Ich bin ge-
spannt, wie ehrlich die heutige Debatte sein wird.


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Oh ja! Ich auch! – Hartmut Koschyk [CDU/ CSU]: Wir sind doch immer ehrlich, Detlef!)


Das Bundesverfassungsgericht hat unmissverständ-
lich festgestellt, dass das bestehende staatliche Wettmo-
nopol mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit unverein-
bar ist und dass sich der Staat nicht durch die Angebote,
die er macht, seine Taschen füllen darf. Es hat darüber
hinaus zum Ausdruck gebracht, dass die Veranstaltungen
des Sportwettenanbieters Oddset erkennbar auch fiskali-
sche Zwecke verfolgen und dass eine Abschöpfung von
Mitteln aus dem Glücksspiel für Gemeinwohlzwecke,
also auch für den Sport, nur möglich ist – so das Gericht –,
wenn die Suchtbekämpfung oberstes Ziel ist.

Als sucht- und drogenpolitischer Sprecher meiner
Fraktion stelle ich fest:


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Oh! Oh!)


Bis zu diesem Urteil hat das Thema Spielsucht in der öf-
fentlichen Diskussion überhaupt keine Rolle gespielt.


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Genau! Siehe Kasinos! Niemand musste bisher sein Kasino schließen!)


Jetzt aber sollen die Wettsucht konsequent bekämpft, die
Wettleidenschaft begrenzt und die Werbung auf ein Min-
destmaß heruntergefahren werden. Das hat den Ge-
schäftsführer der Toto-Lotto Niedersachsen GmbH, Rolf
Stypmann, zu folgender Bemerkung veranlasst: Wir ver-
kaufen keine Waren, sondern Träume. Deshalb ist Wer-
bung immens wichtig für uns.

Bei der Beachtung solcher Auflagen ist eines sonnen-
klar: Das Staatsmonopol wird sich zu einer „Lame duck“
entwickeln, einem Monopol ohne Flügel, das nicht mehr
konkurrenzfähig ist. Die Quellen der Sportförderung
drohen nach und nach zu versiegen. Auch ist es ein
Trugschluss, zu hoffen, dass die Kunden privater Anbie-
ter nach einem Verbot zurückgewonnen werden können,






(A) (C)



(B) (D)


Detlef Parr
und das auch noch ohne Werbung. Nein, wir müssen der
Realität ins Gesicht sehen. Wir dürfen Internet-, Fern-
seh-, SMS- und Telefonwetten nicht ignorieren. Die
Kunden werden gemeinsam mit den Unternehmen ins
Ausland abwandern und somit künftig kein Steuerauf-
kommen in Deutschland generieren.

Nutzen wir den Zeitrahmen bis zum 31. Dezember
2007, den uns das Bundesverfassungsgericht gesetzt hat,
zur rechtlichen Ausgestaltung einer Neuordnung, die si-
cherstellt, dass die privaten Anbieter eine Chance be-
kommen und die staatlichen Anbieter endlich wettbe-
werbsfähig werden.


(Beifall bei der FDP)


Dabei geht es auch um Arbeitsplätze – nicht um die gut
gepolsterten, gut dotierten der zahlreichen Lotterierefe-
renten der Länder, sondern um Tausende von Arbeits-
plätzen in Wettbüros, die voller Hoffnung auf eine gere-
gelte Weiterentwicklung des Markes eröffnet worden
sind. Ich appelliere von hier aus an die Länder, diese Bü-
ros bis zur Verabschiedung eines neuen Lotteriestaats-
vertrages zu dulden und nicht kurzfristig vollendete Tat-
sachen zu schaffen.


(Beifall bei der FDP)


Karlsruhe hat nur gesagt, dass bis zur Neuregelung pri-
vate Veranstalter von Sportwetten untersagt werden dür-
fen – von müssen ist da nicht die Rede.

Es geht – viel wichtiger – auch um die Planungssi-
cherheit von Sportveranstaltern und Sportvereinen, die
bereits für die kommenden Jahre Verträge abgeschlossen
haben, etwa Werder Bremen und 1860 München, oder
Ausrichter sportlicher Großveranstaltungen nach der
Fußball-WM, die die Budgets bereits aufgestellt haben.
Was, wenn in der kommenden Champions-League-Sai-
son der AC Mailand mit Trikotwerbung eines privaten
Sportwettenanbieters in Deutschland aufläuft? Was,
wenn er gerade bei Werder Bremen – kurioserweise mit
demselben Trikotsponsor – antritt? Sollen dann alle oder
sollen dann nur die Bremer Trikots beschlagnahmt wer-
den, wie es von Senator Röwekamp laut „Spiegel“ be-
reits angekündigt ist?


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alle in den Knast!)


Ganz im Ernst: Haben Staatsanwaltschaft, Peter Dan-
ckert und Polizei nicht wichtigere Aufgaben zu erfüllen?


(Beifall bei der FDP – Dr. Peter Danckert [SPD]: Ihr seid doch Lobbyisten! Die FDP ist ein Lobbyist!)


Die FDP verzichtet in ihrem Antrag aus guten Grün-
den einstweilig auf konkrete Festlegungen. Wir wollen
die Sportförderung mindestens auf derzeitigem Niveau
sichern, sie möglichst noch ausbauen. Eine Lösung wä-
ren Konzessionsabgaben, Nutzungsentgelte an Sportver-
anstalter, steuerliche Maßnahmen oder Selbstverpflich-
tungen in Form von Sponsoringmodellen.

(Dagmar Freitag [SPD]: Selbstverpflichtungen sind immer erfolgreich! – Dr. Peter Danckert [SPD]: Lobbyist für Betandwin!)


– Wer laut schreit, hat nicht immer Recht. Peter Dan-
ckert, Dagmar Freitag, hört mir wenigstens bis zum
Ende zu, damit wir uns argumentativ auseinander setzen
können.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Cheflobbyist für Betandwin!)


Jetzt eine fertige Lösung vorzuschlagen, wäre mehr
als unklug. Entscheidungsgrundlagen sind in Arbeit:
Namhafte Institute, Kanzleien und Unternehmensbera-
tungen arbeiten daran. Wie bei der Sportwettenkonfe-
renz der FDP am 19. Juni sollten weiter alle Betroffenen
in diesen Findungsprozess einbezogen werden. Die un-
terschiedlichen Interessen gehören an einen Tisch. Vor
allem aber sollten wir alle verfügbaren Kompetenzen ef-
fektiv nutzen, das heißt, auch jede Expertise, die uns auf
einem vernünftigen Weg weiterhilft.

Wollen wir dem Gemeinwohl dienen und die Sport-
förderung auf Dauer sichern, dann müssen wir jetzt ohne
Vorurteile jede Lösungsmöglichkeit prüfen – miteinan-
der statt gegeneinander, ganz im Sinne der Bundesländer
Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Schleswig-
Holstein: Sie haben eine Protokollerklärung anlässlich
der letzten Ministerpräsidentenkonferenz verfasst,
dass sie es mittel- und langfristig für zielführender hal-
ten, anstelle eines kompromisslosen Festhaltens am
Staatsmonopol für die MPK im Dezember eine be-
grenzte Konzessionierung im Sportwettenbereich vorzu-
bereiten. Glückwunsch an diese Länder, die gesellschaft-
lich, rechtlich und wirtschaftlich Vernunft zeigen!

Wie hieß es noch im Februar in einer Empfehlung der
Kommission „Sportwetten“ federführend aus den Staats-
und Senatskanzleien von Bayern, Berlin, Nordrhein-
Westfalen und Rheinland-Pfalz – ich zitiere das dort for-
mulierte Ziel –:

nachhaltig globalisierungsfester staatlicher Ord-
nungsrahmen und sozialpolitisch eingebundene Er-
schließung von bislang den Sportveranstaltern nicht
zugänglicher Wertschöpfung.

Nur Mut, liebe Kolleginnen und Kollegen, hier und in
den Ländern: Lasst uns europaweit zu einem Vorreiter
für eine solche Lösung werden! Dabei Glückauf für uns
alle!


(Beifall bei der FDP – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin ganz offen für alle! – Gegenruf des Abg. Detlef Parr [FDP]: Jetzt bin ich gespannt, ob wir wirklich eine ehrliche Diskussion führen! – Gegenruf des Abg. Dr. Peter Danckert [SPD]: Eigentlich müsste man jetzt gar nichts mehr sagen! – Fritz Rudolf Körper [SPD]: Das Interesse der FDP am eigenen Antrag ist groß! – Gegenruf des Abg. Detlef Parr [FDP]: Ob du mal Inhalt bringst, weiß ich auch nicht, vor allem, ob du dich einmal bekennst!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604319300

Das Wort hat nun der Kollege Klaus Riegert für die

CDU/CSU-Fraktion.


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1604319400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Kaum ist die Tinte der Begründung des Urteils des Bun-
desverfassungsgerichtes vom 28. März 2006 trocken,
liegt ein Antrag der FDP-Fraktion auf dem Tisch, mit
dem der Sportwettenmarkt unter der Maßgabe des Ur-
teils, der internationalen Dimension und der diffizilen
rechtlichen Problematik umfassend und generös geregelt
werden soll: Der Glücks- und Wettspielmarkt


(Detlef Parr [FDP]: Der Sportwettenmarkt!)


wird liberalisiert, die Einnahmeseite verbessert und
gleichzeitig Spielsucht unterbunden und bekämpft. – So
einfach ist die Welt leider nicht. Ich muss den Antrag da-
her unter der Rubrik Aktionismus einordnen.


(Beifall bei der CDU/CSU Detlef Parr [FDP]: Geh mal in der Sache darauf ein!)


– Lieber Kollege Parr, in dem Bemühen, schnell zu sein,
ist die FDP kaum zu überbieten.


(Jörg Rohde [FDP]: Danke schön!)


Doch schnell allein ist zu wenig. Sie sollten, nein, Sie
müssen besser werden. Dann allerdings läge der Antrag
in dieser Form hier nicht vor.

Wir nehmen das Urteil des Bundesverfassungsge-
richts wie auch dessen Begründung sehr ernst.


(Detlef Parr [FDP]: Dann aber bitte auch richtig interpretieren!)


Die Vermeidung bzw. Eindämmung der Spielsucht hat
für uns einen hohen Wert.


(Detlef Parr [FDP]: Auf einmal! Jahrelang nicht!)


Wir wollen die Menschen vor persönlichen Schicksals-
schlägen und dem Ruin durch Spielsucht schützen.


(Detlef Parr [FDP]: Gelogen!)


Deshalb werden wir uns die Zeit nehmen, die uns das
Verfassungsgericht vorgibt. Liberalisierung um jeden
Preis, was kümmert uns die Spielsucht – das ist mit uns
nicht zu machen.


(Beifall des Abg. Dr. Peter Danckert [SPD] sowie des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Detlef Parr [FDP]: Das wollen wir auch nicht!)


Wir messen der Beibehaltung des staatlichen Mono-
pols unter Einbeziehung der internationalen Entwicklun-
gen und technischen Möglichkeiten eine hohe Priorität
zu. Wir werden uns den erforderlichen Sachverstand al-
ler Beteiligten einholen und dann entscheiden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Detlef Parr [FDP]: Sehr schön! „Aller Beteiligten“!)

Die Koalition will erst die Informationen und trifft dann
ihre Entscheidung. Das ist die richtige Reihenfolge.


(Beifall bei der CDU/CSU – Detlef Parr [FDP]: Genauso wollen wir auch vorgehen!)


Meine Damen und Herren, Kern des Urteils ist der
Widerspruch, dass staatliche Stellen ein Monopol mit
der Begründung der Suchtvermeidung beanspruchen,
aber keine erkennenswerte Suchtvermeidung betreiben.
Der staatliche Unternehmer Oddset wirbt massiv für
seine Angebote und vertreibt diese ebenso offensiv. Der
Staat kann das Monopol aber nur beanspruchen, wenn
die Suchtvermeidung und nicht das Einnahmeinteresse
des Staates klar im Vordergrund steht.


(Detlef Parr [FDP]: Richtig!)


Absurd ist aber das Ergebnis, das überall dort, wo sich
Oddset heute aus der Werbung zurückzieht, sofort pri-
vate Anbieter in diese Lücke springen.

Dem Gesetzgeber ist freigestellt, durch eine konse-
quente Ausgestaltung des Wettmonopols sicherzustellen,
dass eine effektive Suchtbekämpfung und eine Begren-
zung der Wettleidenschaft erfolgt, oder durch eine
gesetzlich normierte und kontrollierte Zulassung ge-
werblicher Veranstaltungen private Wettunternehmen
zuzulassen.


(Detlef Parr [FDP]: Gute Alternative!)


Trifft der Gesetzgeber bis Ende 2007 keine gesetzlichen
Regelungen, dann verliert er das Monopol. Bis dahin
entscheiden die Strafverfolgungsbehörden, ob Sportwet-
tenläden geschlossen werden können oder nicht und wie
sich der Sportwettenmarkt darstellt.

Die Ministerpräsidenten – sie sind in erster Linie ge-
fordert –


(Dagmar Freitag [SPD]: Richtig!)


sprechen sich für eine Beibehaltung des staatlichen Mo-
nopols aus.


(Detlef Parr [FDP]: Nicht mehr einstimmig!)


Sie wollen auf der Grundlage des Urteils das staatliche
Lotteriemonopol weiterentwickeln. Aus ordnungsrecht-
lichen Erwägungen halten sie das staatliche Monopol für
geeignet, die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebe-
nen ordnungsrechtlichen Ziele, nämlich Eindämmung
und Kanalisierung der Wett- und Spielsucht sowie Be-
kämpfung der Folge- und Begleitkriminalität, zu reali-
sieren.

In ihre Prüfung sollten die Länder auch den Lotterie-
bereich einbeziehen. Die Länder Rheinland-Pfalz, Ba-
den-Württemberg und Schleswig-Holstein sprechen sich
in einer Protokollnotiz mittel- und langfristig für die
Konzessionierung privater Anbieter aus. Daran sieht
man: Selbst auf der Ebene der Ministerpräsidenten gibt
es durchaus unterschiedliche Vorschläge.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Genauso ist es!)


Wir sollten die Konkretisierung der Vorschläge abwar-
ten, sie prüfen und dann entscheiden.






(A) (C)



(B) (D)


Klaus Riegert

(Beifall des Abg. Bernd Heynemann [CDU/ CSU] – Dr. Peter Danckert [SPD]: Keine Schnellschüsse wie die FDP! – Gegenruf des Abg. Detlef Parr [FDP]: Ihr habt den Antrag offensichtlich gar nicht gelesen, Peter!)


Im gesamten Glücksspielbereich spielen die Sport-
wetten eine untergeordnete Rolle. Der Umsatz bei Sport-
wetten beträgt zurzeit rund 2 bis 3 Milliarden Euro. Das
Marktpotenzial wird auf 5 bis 6 Milliarden Euro einge-
schätzt. Bei einer Liberalisierung des Wettmarktes muss
aber vor allem die Auswirkung auf das Lottosystem be-
achtet werden.


(Detlef Parr [FDP]: Das ist ein völlig überflüssiges Totschlagargument!)


Hier befürchte ich große Auswirkungen auf die Finan-
zierung des gemeinnützigen Sports.


(Beifall des Abg. Bernd Heynemann [CDU/ CSU] sowie des Abg. Dr. Peter Danckert [SPD] – Detlef Parr [FDP]: Das hat nichts mit diesem Antrag zu tun!)


Meine Damen und Herren, bei der Neuregelung des
Wett- und Glücksspielmarkts haben wir auch die euro-
päische Dimension zu beachten. Zu prüfen ist, inwie-
weit ein staatliches Wettmonopol mit dem EU-Vertrags-
recht kompatibel ist.


(Detlef Parr [FDP]: Sehr richtig!)


Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass jedes
Land das Wett- und Glücksspiel für sich selbst schlüssig
regeln kann, auch im Hinblick auf Berufsfreiheit und
Wettbewerb. Es wird kein Scheinmonopol geben können
nach dem Motto „Wir machen ein Monopol, handeln
aber, als wären wir im Markt“. Kein Gericht wird uns
das durchgehen lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Detlef Parr [FDP]: So wie es heute ist!)


Meine Damen und Herren, der FDP-Antrag verbindet
die Forderung nach gesetzlich normierter und kontrol-
lierter Zulassung privater Anbieter von Sportwetten und
knüpft dies an eine Fülle von Bedingungen: den nationa-
len Markt für Sportwetten auch im Vergleich zum Aus-
land konkurrenzfähig zu machen, ohne Einschränkung
einen Teil der Einnahmen – was immer das auch heißen
mag – den Destinatären zuzuweisen, gleichzeitig die
Spielsucht zu bekämpfen, dem Jugendschutz Rechnung
zu tragen und die Folge- und Begleitkriminalität zu ver-
meiden.

Das alles sind verheißungsvolle Ziele; Verknüpfung
und Durchsetzung der Bedingungen dürften jedoch ein
Problem werden.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: So ist es!)


Deshalb hat für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die
Neuordnung des Glücks- und Wettspielmarktes klare
Priorität. Die Sucht- und Spielleidenschaft muss einge-
grenzt und wirksam bekämpft werden, wobei die Prä-
vention Vorrang hat. Die Finanzierung des gemeinnützi-
gen Sports muss sichergestellt sein. An diesen
Zielsetzungen werden wir den Wett- und Glücksspiel-
markt ausrichten.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604319500

Das Wort hat nun die Kollegin Katrin Kunert, Frak-

tion Die Linke.


Katrin Kunert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604319600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Detlef Parr, Ihr Antrag ist ein Fehlstart. Ich
fürchte, Sie holen sich eine gewaltige Zerrung.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Bundesverfassungsgericht hat ein Urteil ge-
sprochen, welches besagt, dass das staatliche Wettmono-
pol nur zulässig ist, wenn die Spielsucht konsequent be-
kämpft wird. Das Gericht zeigt dem Gesetzgeber die
gelbe Karte und droht mit der roten Karte, wenn diese
Auflagen ab 2008 nicht geregelt sind. Die Ministerpräsi-
denten der Länder haben das Urteil mehrheitlich begrüßt
und lassen einen neuen Lotteriestaatsvertrag bis Dezem-
ber erarbeiten. Der DFB und die DFL haben eine grund-
sätzlich andere Auffassung zur Umsetzung des Urteils.
Statt ausschließlich auf das staatliche Monopol zu set-
zen, ist nach ihrer Ansicht eine begrenzte Konzessionie-
rung der bessere Weg. Der Vorsitzende der Sportminis-
terkonferenz sprach sich in einer Anhörung im Mai zu
diesem Thema im Sportausschuss nachdrücklich für den
Erhalt des staatlichen Wettmonopols aus und warnte vor
einer kontrollierten Liberalisierung von Lizenzen. Wir,
die Linke, sagen, das staatliche Monopol ist geeignet
und notwendig, um Spielsucht und Kriminalität wirksam
zu bekämpfen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Danckert [SPD]: Hört! Hört!)


–Wenn wir es gemeinsam packen sollten, dann sollten
wir es auch tun.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Genau, das finde ich bemerkenswert! – Detlef Parr [FDP]: Sind das schon neue Koalitionen?)


Herr Kollege Parr, wir hatten nach der Anhörung im
Sportausschuss einen Fahrplan vereinbart, wie wir mit
dem Urteil und den sich daraus ergebenden Schlussfol-
gerungen umgehen wollen. Sie wissen genauso gut wie
alle hier im Saal, dass am 20. September genau dieses
Thema auf der Tagesordnung des Sportausschusses
steht. Sie wollen sich jetzt mit diesem hochsensiblen
Thema profilieren und haben wahrscheinlich sehr star-
ken Rückenwind. Nur bewegen Sie sich zurzeit aus un-
serer Sicht ganz stark im Abseits.

In Ihrem Antrag heißt es:

Um einen Zustand der Rechtssicherheit herbeizu-
führen, spricht sich der Deutsche Bundestag gegen
ein ausschließlich staatlich verantwortetes Wett-






(A) (C)



(D)


Katrin Kunert
angebot und für eine gesetzlich normierte und kon-
trollierte Zulassung privater Veranstalter aus.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Rechtssicherheit
kann auch hergestellt werden, indem man die Auflagen
des Bundesverfassungsgerichts erfüllt.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Genau!)


In Ihrem Antrag heißt es weiter:

Jede Neugestaltung des staatlichen Wettmonopols
wäre daran zu messen, ob es ihr gelingt, den Kon-
flikt zwischen fiskalischen Interessen des Staates
und einer aktiven Begrenzung der Spielleidenschaft
aufzulösen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, einen Konflikt löst
man nicht auf, indem man ihn verschiebt. Sie wollen Ge-
winne gesetzlich normiert und kontrolliert privatisieren
und die Suchtbekämpfung staatlich belassen.


(Detlef Parr [FDP]: Stimmt doch nicht!)


Sie sagen, private Anbieter wären auch bereit, für die
Breitensportförderung Beiträge zu leisten. Ich frage:
Was sagen die privaten Anbieter zur Bekämpfung von
Spielsucht und Kriminalität?


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen eine Lösung, denn es geht am Ende auch
um sehr viel Geld und Arbeitsplätze.

Mit Blick auf den gesamten Lotteriemarkt muss man
sagen, dass es derzeit bundesweit 25 000 Lotterieannah-
mestellen gibt. Bei Aufgabe des staatlichen Monopols
wäre jede zweite von Schließung bedroht. Dann würde
vieles über das Internet abgewickelt.

Die Bundesländer haben derzeit Einnahmen aus
Steuern, Abgaben und Gewinnausschüttungen bei Lotto
und anderen Glücksspielen in Höhe von insgesamt
5 Milliarden Euro jährlich. Auf dieses Geld können
selbst Sie nicht verzichten. Die Finanzierung von Maß-
nahmen in den Bereichen Kultur, Umwelt, Jugend oder
Wohlfahrtspflege wäre dann massiv infrage gestellt. In
besonderem Maße wäre allerdings der Breitensport be-
troffen, dem ein Löwenanteil aus den Gewinnen zufließt.


(Detlef Parr [FDP]: Welcher Löwenanteil ist das denn bei den sinkenden Einnahmen von Oddset?)


– Sie haben Ihre Redezeit gehabt.


(Beifall bei der LINKEN – Detlef Parr [FDP]: Ich kann doch eine formale Frage stellen!)


Auch wenn das Gericht die fiskalischen Gründe zur
Rechtfertigung des staatlichen Monopols ausschließt,
sollten wir die Sportförderung im Blick behalten.

An dieser Stelle möchte ich Folgendes anregen: Um
aus der Abhängigkeit von diesen Mitteln herauszukom-
men, die hinsichtlich der Finanzierung des Sportes be-
steht, sollten wir über ein Sportfördergesetz zwischen
Bund und Ländern nachdenken. In diesem Zusammen-
hang verweise ich auf das Beispiel Mecklenburg-Vor-
pommern, das bereits ein solches Sportfördergesetz hat
und dem Landessportbund Haushaltsmittel zuweist. Der
dortige Landessportbund bekommt also keine Gelder aus
den Lotteriegewinnen.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604319700

Das Wort hat nun die Kollegin Dagmar Freitag für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD – Detlef Parr [FDP]: Ich bin mal gespannt, wie ehrlich die Argumentation jetzt ist!)



Dagmar Freitag (SPD):
Rede ID: ID1604319800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

reden auf Antrag der FDP-Fraktion über das Thema
Sportwetten. Das Thema ist zweifellos wichtig, aller-
dings kommt die Diskussion zum falschen Zeitpunkt,
Herr Parr. Sie kommt eindeutig zu früh. Zudem ist der
Bundestag derzeit der falsche Platz dafür. Ich erkläre Ih-
nen gerne, warum ich dieser Ansicht bin.

Im März dieses Jahres hat das Verfassungsgericht
das Urteil zum Sportwettensektor in Deutschland gefällt.
Oberstes Ziel jedweder Regelung des Sportwettenmark-
tes muss die Prävention und die aktive Bekämpfung der
Spielsucht sein. Das Verfassungsgericht hält – das ist uns
bekannt – ein staatliches Monopol durchaus für ein ge-
eignetes Mittel, um Spielsucht zu bekämpfen und vor al-
len Dingen auch präventiv tätig zu werden.


(Detlef Parr [FDP]: Eine von zwei Alternativen!)


– Melden Sie sich einfach, wenn Sie eine Frage haben,
Herr Kollege Parr!


(Heiterkeit bei der SPD – Detlef Parr [FDP]: Ich musste eure Zwischenrufe auch hinnehmen!)


Die Ministerpräsidentenkonferenz hat den Auftrag
des Verfassungsgerichts angenommen und sich in der
vergangenen Woche eindeutig positioniert. Die Minis-
terpräsidenten sprechen sich dafür aus, das staatliche
Lotteriemonopol zu erhalten und auf der Grundlage der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts weiterzu-
entwickeln.

Im Dezember 2006 wird die Ministerpräsidentenkon-
ferenz über den Entwurf eines neuen Lotteriestaatsver-
trages beraten, der zum Ziel haben soll, die Durchfüh-
rung von Sportwetten im Rahmen des staatlichen
Monopols entsprechend den Anforderungen der Sport-
wettenentscheidung des Verfassungsgerichts zu regeln.
Er soll auf vier Jahre befristet sein und auf Effizienz und
etwaigen Anpassungsbedarf evaluiert werden. Das ist
– wer wollte das bestreiten – ein sinnvoller Weg.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Deshalb gibt es gegenwärtig keinen vernünftigen Grund
für den Bund, sich einzumischen, Herr Kollege Parr. Vor
allem sehe ich keinen Grund, sich vorschnell vom

(B)







(A) (C)



(B) (D)


Dagmar Freitag
Staatsmonopol zu verabschieden. Genau das sieht Ihr
Antrag aber vor, ohne anzuerkennen, dass der staatliche
Anbieter Oddset den gerichtlichen Auflagen hinsichtlich
einer Intensivierung der Präventionsmaßnahmen unver-
züglich nachgekommen ist.

Sie haben selber auf die Haltung der Ministerpräsi-
denten hingewiesen. Das ist interessant. Die Haltung der
schwarz-gelben Landesregierungen zu Ihrem Antrag
würde sicherlich uns alle interessieren, Herr Kollege
Parr.


(Detlef Parr [FDP]: Die können Sie auch gerne hören!)


Wie steht zum Beispiel der FDP-Innenminister des Lan-
des Nordrhein-Westfalen, der auch für den Sport zustän-
dig ist, zu diesem Antrag?


(Detlef Parr [FDP]: Rufen Sie ihn an! Dann bekommen Sie eine Antwort!)


– Warum soll ich Herrn Wolf anrufen?


(Heiterkeit bei der SPD)


Zu schade, dass man von Herrn Wolf öffentlich hierzu
überhaupt nichts hört. Ich kann mir gut vorstellen, dass
seine Haltung die Kulturschaffenden und die Vertreter
des organisierten Sportes in Nordrhein-Westfalen bren-
nend interessieren würde.


(Detlef Parr [FDP]: Zukünftig weniger Geld zu bekommen!)


Ministerpräsident Oettinger aus Baden-Württemberg
äußert sich unmissverständlich, wie man meinen sollte.
Im „Rheinischen Merkur“ vom 1. Juni diesen Jahres hat
er festgestellt – ich darf zwei Sätze zitieren –:

Mit dem staatlichen Wettmonopol stellen wir si-
cher, dass Spielregeln eingehalten werden und die
Risiken für die Mitspieler begrenzt sind … Wir
werden deshalb am Monopol festhalten.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das war vor vier Wochen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Detlef Parr [FDP]: Da sehen Sie den Einfluss der FDP in Baden-Württemberg!)


– Darauf komme ich, lieber Herr Kollege Parr. Ich bin
Ihnen für dieses Stichwort dankbar: Herr Oettinger hat
sich der von Ihnen bereits zitierten Protokollnotiz ange-
schlossen,


(Detlef Parr [FDP]: Weil er vernünftig ist!)


mit der genau das aufgeweicht wird. – Sie sagen, weil er
vernünftig sei. Ehrlich gesagt, dann sollte man es unter-
lassen, für die interessierte Öffentlichkeit den Hardliner
und den Befürworter des Staatsmonopols abzugeben.


(Detlef Parr [FDP]: Das ist Herrn Oettingers Problem!)


Sie haben gerade den Einfluss der FDP auf Herrn
Oettinger beschworen. Da kommt mir plötzlich in den
Sinn, dass Sie in der letzten Woche eine Veranstaltung
hatten. Thema: Gibt es eine Sportförderung ohne Sport-
wetten?


(Detlef Parr [FDP]: So ist es! Da hätten Sie viel lernen können!)


Der Hauptsponsor dieser FDP-Veranstaltung, meine Da-
men und Herren, war Betandwin.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Ach nein! Das ist ja jetzt interessant! – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Peinlich!)


Niemand kann heute garantieren, dass ein neuer
Staatsvertrag tatsächlich ein Erfolgsmodell sein wird.
Das räume ich offen ein. Uns sollte jedoch das Ziel ei-
nen, die Bürgerinnen und Bürger vor den Gefahren des
Glücksspiels zu warnen und, soweit das möglich ist, vor
allen Dingen zu schützen. Die Bundesländer stellen sich
dieser zugegebenermaßen schwierigen Aufgabe im Mo-
ment. Wir sollten sie dabei unterstützen und auf Quer-
schüsse verzichten. Sollte sich allerdings zukünftig
Handlungsbedarf für die Bundespolitik ergeben, werden
wir uns dieser Aufgabe annehmen. Aber, Herr Kollege
Parr, alles zu seiner Zeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604319900

Ich erteile das Wort dem Kollegen Winfried Her-

mann, Bündnis 90/Die Grünen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604320000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Das Wettgeschäft boomt in den letzten Jahren
weiter. Es gibt immer mehr verschiedene Angebote zum
Wetten. Die Wetten werden immer verrückter. Ich muss
sagen: Sie werden immer absurder. Was für manche ein
nettes Wettspielchen ist, ist für viele ein Riesenproblem.
Wir wissen seit Jahren, dass es gerade in diesem Bereich
einen wachsenden Anteil von Suchtspielern gibt,


(Detlef Parr [FDP]: Deshalb war es auch seit Jahren kein Thema!)


von Menschen, die ihr weniges Geld dort lassen und sich
zum Teil völlig verschulden, weil sie krankhaft spielen.
Leider werden im Umfeld dieses wachsenden Wettge-
schäfts auch viele dreckige Geschäfte gemacht, zum
Beispiel Geldwäsche oder Schiebereien. Noch vor weni-
gen Monaten hätten wir über die Geschäfte im Umfeld
dieser Wetten gesprochen, in die Schiedsrichter und
Spieler verwickelt waren. All dies hängt mit diesem boo-
menden Markt zusammen.

Die Länder haben lange Zeit das staatliche Spiel- und
Wettmonopol zur Einnahme von Steuern genutzt. Sie ha-
ben dies bedingungslos gemacht, obwohl sie eine hoch-
moralische Begründung hatten, nämlich die Spielsucht
zu bekämpfen. Aber das haben sie nicht getan.


(Detlef Parr [FDP]: Sie moralisieren auch!)







(A) (C)



(B) (D)


Winfried Hermann
Nun haben sie – das haben alle Rednerinnen und Redner
gesagt – vom Bundesverfassungsgericht eine deutliche
Klatsche bekommen. Ich füge hinzu: Es gibt ein laufen-
des Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, in
dem geprüft wird, ob die deutschen Verhältnisse noch
europarechtskonform sind. Auch die europäischen Rich-
ter sagen nicht pauschal, das Monopol müsse fallen, son-
dern sie sagen eindeutig und klar – genauso wie es die
Verfassungsrichter bei uns gesagt haben –, dass Staaten
natürlich das Recht und vielleicht sogar die Pflicht ha-
ben, das in Form eines Monopols zu regeln; aber wenn
sie es tun, müssen sie das, was sie zu tun vorgeben, auch
vollziehen, nämlich präventiv tätig zu sein und die Spiel-
sucht zu bekämpfen. Genau das haben sie nicht getan.
Das ist die Herausforderung, vor der die Länder jetzt ste-
hen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nun schlägt die FDP vor, man solle offen darüber dis-
kutieren, wie man die Spielsucht kontrollieren kann.
Gleichzeitig aber sagt sie: Eigentlich wollen wir liberali-
sieren, wir wollen mehr private Anbieter zulassen. – Ich
sage dazu: Das ist der organisierte Interessenskonflikt.
Das kann nicht funktionieren. Wenn ich es zulasse, dass
private Anbieter Geschäfte machen, und will, dass der
Sport davon profitiert, dann ist es außerordentlich
schwierig, dieses Geschäft zu begrenzen. Das passt nicht
zusammen. Das kann man nicht über den Markt organi-
sieren.


(Detlef Parr [FDP]: Das ist Ihr Misstrauen in den Markt!)


Deswegen sage ich klipp und klar: Wir wollen nicht
die Gewinninteressen von Betandwin unterstützen. Wir
halten es auch nicht für klug, dass sich eine Partei zum
Anwalt privater Wettanbieter macht. Wir halten es eben-
falls nicht für klug, dass sie sich zum Anwalt einzelner
Fußballmannschaften macht, die sich dieses Wettanbie-
ters als Sponsor bedienen.

Ich sage Ihnen ganz offen: Ich bin vom Deutschen
Fußball-Bund enttäuscht. Noch vor drei Jahren hat er
den deutschen Sport und die deutschen Innenminister
fast dazu gedrängt, endlich die privaten Geschäftema-
cher zu bekämpfen, da sie – das hat man gewissermaßen
in Klammern hinzugefügt – die Einnahmen von Oddset
gefährden. Heute, drei Jahre danach, möchte man genau
das Gegenteil. Jetzt sagt man: Öffnet endlich den Markt;
wir wollen die Kohle. Das ist, wie ich finde, unmora-
lisch.


(Detlef Parr [FDP]: Aber Sie haben die Moral gepachtet!)


Das ist auch nicht besonders sportlich. Man muss dem
DFB aus politischer Sicht die rote Karte zeigen.

Die grüne Position ist klar: Wir glauben, dass man
diesen Bereich besser nicht dem Wettbewerb preisgibt;
vielmehr sollte man das staatliche Monopol beibehalten.
Klar ist aber auch: Die Länder müssen eine Strategie zur
Bekämpfung der Spielsucht vorlegen. Sie müssen Maß-
nahmen erarbeiten. Wenn sie das nicht tun, dann werden
sie dieses Privileg verlieren. Das wäre schade; denn es
hat der Kultur und dem Sport bisher genutzt. Das kann
man fortführen, ohne gleichzeitig die Spielsucht zu för-
dern. Wir brauchen eine Debatte in diesem Sinne und
keine unkritische Debatte, wie die FDP sie angestrebt
hat. Spielsucht ist ein ernstes Thema, zu dessen Behand-
lung es eine ernsthafte Debatte braucht.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Riegert [CDU/CSU])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604320100

Zum Schluss dieses Tagesordnungspunkts erhält der

Kollege Dr. Peter Danckert für die SPD-Fraktion das
Wort.


Dr. Peter Danckert (SPD):
Rede ID: ID1604320200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

alle haben uns gefragt: Was ist eigentlich der Grund da-
für, dass die FDP hier so vorprescht? Schließlich haben
wir anderweitige Verabredungen. Es ist schon darauf
verwiesen worden, dass wir dieses Thema im September
im Sportausschuss noch einmal eingehend diskutieren.
Mir ist heute völlig klar geworden – dazu hat beigetra-
gen, dass Frau Kollegin Freitag hier dieses kleine Bild
gezeigt hat –: Die FDP hat sich hier ganz eindeutig als
Cheflobbyist von Betandwin enttarnt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist der einzige Grund für dieses Vorpreschen.

Es ist wirklich ein starkes Stück: Am 19. Juni hat sie
hier eine öffentliche Veranstaltung produziert, die kom-
plett von Betandwin gesponsert wurde. Jetzt stellt sie
sich hierhin und tritt für die Liberalisierung dieses Wirt-
schaftszweiges ein. Schlimmer kann man an dieser
Stelle eigentlich nicht vorgehen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604320300

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Abgeordneten Parr?


Dr. Peter Danckert (SPD):
Rede ID: ID1604320400

Ja.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1604320500

Bitte schön, Herr Kollege Parr.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1604320600

Herr Kollege Danckert, ist Ihnen bekannt, dass die

CDU vor wenigen Tagen eine Medianacht durchgeführt
hat und dass bei dieser Medianacht auf den Namens-
schildern, die dort ausgegeben wurden, „Betandwin“ zu
lesen war? Ist es wirklich des Teufels, wenn Parteiveran-
staltungen von bestimmten Unternehmen, die in
Deutschland zugelassen sind, die in Deutschland ihre
Geschäfte machen, unterstützt werden?


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht des Teufels, aber des Mammons!)







(A) (C)



(D)


Dr. Peter Danckert (SPD):
Rede ID: ID1604320700

Erstens, Herr Kollege Parr: Das ist mir nicht bekannt.


(Detlef Parr [FDP]: Dann wissen Sie es jetzt!)


Zweitens. Selbst wenn es so wäre: Die Union hat je-
denfalls nicht einen solchen Antrag gestellt und sich da-
mit im Parlament als Cheflobbyist von Betandwin pro-
duziert. Das ist der entscheidende Unterschied.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Zusammenhang zwischen Ihrer öffentlichen, von
Betandwin gesponserten Veranstaltung und dem heuti-
gen Antrag ist schon sehr merkwürdig. Sie sollten ein-
fach einmal versuchen, das zu reflektieren. Mehr habe
ich dazu nicht zu sagen.


(Detlef Parr [FDP]: Das ist schon zu viel!)


Ich möchte Sie außerdem auf Folgendes hinweisen:
Es stimmt nicht, dass Betandwin eine in Deutschland zu-
gelassene Glücksspielorganisation ist; das ist unzutref-
fend. Dieses Unternehmen ist in Österreich lizensiert
und versucht, unseren Markt zu bewerben.

Ich möchte Ihnen noch einen Tipp geben; vielleicht
können ein paar Juristen Ihnen das erklären. In § 284
Abs. 4 Strafgesetzbuch steht: Das Werben für ein nicht
zugelassenes Glücksspiel ist strafbar.

Das sollten Sie sich einmal durch den Kopf gehen las-
sen. So locker, wie das im Moment läuft, ist das nicht zu
handhaben. Mehr ist dazu nicht zu sagen.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat
uns klar gemacht, dass das staatliche Wettmonopol er-
laubt ist, was vorher in Zweifel gezogen worden war.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt)


Nun müssen die Länder – sie sind am Zug; das haben
sie auch am 22. Juni beschlossen – einen Weg dafür fin-
den. Jemand, der sich auf der Basis der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts auf den Weg macht, handelt
absolut korrekt. Daran ist gar nichts auszusetzen. Wir
werden sehen, was uns die Ministerpräsidenten im Laufe
des zweiten Halbjahrs dazu präsentieren. Das wird nicht
ganz einfach sein. Wer die Rahmenbedingungen, die das
Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat, erfüllen will,
muss sich sehr anstrengen. Wir werden sehen, ob das ge-
lingt. Ich habe da meine Zweifel. Die Ministerpräsiden-
ten haben jetzt das Prä. Sie haben das so gemeinsam be-
schlossen.

Wenn das nicht gelingen sollte, müssen wir in diesem
Parlament unsere Hausaufgaben machen. Durch das Ur-
teil des Bundesverfassungsgerichts ist festgestellt wor-
den, dass es auch eine Bundeskompetenz für das staatli-
che Glücksspiel gibt. Wir werden uns daranmachen und
sorgfältig prüfen: Was ist machbar und was ist nicht
machbar? Dann muss man möglicherweise ganz am
Ende sehen, ob es sozusagen einen dritten Weg der Öff-
nung in dieser Frage gibt.
Wir müssen natürlich auch prüfen, wie sich das auf
die Sportförderung auswirkt. Das ist sicherlich ein
ganz entscheidender Gesichtspunkt. Das Ganze hat auch
etwas Schizophrenes an sich. Wir wollen alles unterneh-
men, um die Spielsucht und die Wettleidenschaft zu be-
kämpfen. Das sind wirklich große Gefahren. Wir haben
in unserer Anhörung Ende Januar – das war sogar auf
Anregung der FDP, wenn ich mich nicht sehr täusche;


(Detlef Parr [FDP]: Richtig!)


wir haben das übernommen; ohne die anderen Obleute
wäre das auch nicht gegangen – von den großen Gefah-
ren gehört, die mit den Sportwetten zusammenhängen.
Wir werden also einen Weg suchen müssen, der auf der
einen Seite diese Gefahren wirksam bekämpft und auf
der anderen Seite das ermöglicht, was wir auch wollen
– seien wir an dieser Stelle ehrlich! –,


(Detlef Parr [FDP]: Das ist ein guter Satz!)


nämlich dass die Sportförderung erhalten bleibt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Das ist ein ganz komplizierter Weg. Wir sollten ihn
gehen, um im Interesse des Sports an dieser Stelle etwas
Gutes zu tun.

Ich bedanke mich bei dem Präsidenten dafür – –


(Zurufe: Der Präsidentin! – Heiterkeit)


– Ich bedanke mich bei der Präsidentin dafür, dass ich
das ausführen durfte.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604320800

Damit ist die Aussprache beendet.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/1674 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Neuregelung der Besteuerung von Ener-
gieerzeugnissen und zur Änderung des Strom-
steuergesetzes

– Drucksachen 16/1172, 16/1347 –

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksachen 16/2007, 16/2061 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Schindler
Reinhard Schultz (Everswinkel)

Dr. Reinhard Loske

(B)







(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
bb)Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 16/2023 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Carsten Schneider (Erfurt)

Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Hans-Josef Fell,
Cornelia Behm, Dr. Reinhard Loske, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN

Biokraftstoffe intelligent fördern – Steuerbe-
günstigung erhalten

– Drucksachen 16/583, 16/2007, 16/2061 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Schindler
Reinhard Schultz (Everswinkel)

Dr. Reinhard Loske

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Kurt Hill, Dr. Herbert Schui, Dr. Barbara Höll,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LIN-
KEN

Biokraftstoffe nachhaltig fördern

– Drucksache 16/1895 (neu)

Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen ein
Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der
FDP vor. Über den Änderungsantrag werden wir später
namentlich abstimmen.

Zwischen den Fraktionen ist verabredet, dass eine
halbe Stunde debattiert wird. – Dazu höre ich keinen Wi-
derspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich gebe das Wort für die SPD-Fraktion dem Kolle-
gen Reinhard Schultz.


Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1604320900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Das Energiesteuergesetz, das wir heute verab-
schieden, war keine ganz einfache Geburt. Aber die Be-
ratungen, sowohl innerhalb der beteiligen Parteien als
auch innerhalb der Koalition und darüber hinaus, haben
sich im Ergebnis gelohnt.

Das Gesetz zur Neuregelung der Besteuerung von
Energieerzeugnissen und zur Änderung des Stromsteu-
ergesetzes verfolgt mehrere Ziele: die Umsetzung der
Energiesteuerrichtlinie, die Einführung von Mindest-
steuersätzen auf alle Energieträger und das Regeln von
Sondertatbeständen als Gruppentatbestände. Dabei geht
es zum Beispiel um die Frage: Soll Primärenergie, die
eingesetzt wird, um Strom zu erzeugen, besteuert wer-
den, ja oder nein? Wir haben uns grundsätzlich für Nein
entschieden. Darüber hinaus gibt es auch noch andere
Fragen.

Der zweite „dicke Brocken“ war der Einstieg in die
Besteuerung von Biokraftstoffen. Wir haben vor eini-
gen Jahren die steuerliche Begünstigung von Biokraft-
stoffen aufgrund eines einstimmigen Beschlusses des da-
maligen Bundestages aufgenommen, allerdings mit der
Maßgabe, dass die entsprechende Beihilfe – das geht
auch gar nicht anders; sie musste von der EU genehmigt
werden – in regelmäßigen Abständen überprüft wird.
Der Überprüfungsbericht hat ergeben, dass eine Überför-
derung stattfindet. Wir haben uns über den Grad der
Überförderung gestritten, aber es war unumstritten, dass
wir in die Besteuerung einsteigen müssen. Letztendlich
ging es darum, eine Scharnierstelle zwischen dem zu
schaffen, was wir jetzt mit der Einführung von Steuersät-
zen für Biokraftstoffe planen, und dem, was wir im
Herbst vorhaben, nämlich der Einführung einer Pflicht
zur Beimischung von Biokraftstoffen bei Diesel und Ot-
tokraftstoffen.

Wir haben, wie ich denke, in dem parlamentarischen
Verfahren, insbesondere was die Biokraftstoffe angeht,
eine ganze Menge erreicht:

Das Finanzministerium hatte ursprünglich vor, eine
Beimischungsquote für alle Kraftstoffarten festzulegen;
diese wäre sehr wahrscheinlich nur durch Beimischun-
gen bei Diesel erfüllt worden und Bioethanol als Substi-
tut für Ottokraftstoffe hätte keine nennenswerte Rolle
gespielt. Diese Haltung haben wir gemeinsam aufgebro-
chen; nun wird es zwei Quoten geben.

Wir haben auch die Frage des politischen Vertrau-
ensschutzes – es geht nicht um einen rechtlichen, son-
dern um einen politischen – für diejenigen regeln müs-
sen, die in entsprechende Anlagen wie Ölmühlen in
Deutschland investiert haben und sie betreiben oder die
auf andere Art und Weise mit dem Markt für reine Bio-
kraftstoffe verwoben sind. Es gab zu keiner Zeit eine
Garantieerklärung im Gesetz. Zunächst war von einer
Übergangsfrist von zwei Jahren die Rede; im parlamen-
tarischen Verfahren wurde eine Verlängerung der steuer-
lichen Vergünstigung bis 2011 bei steigenden Sätzen er-
reicht, bis 2012 der Regelsteuersatz auch für Biodiesel
und reines Pflanzenöl gilt. Der politische Vertrauensbe-
griff wurde hier sehr großzügig ausgelegt. Ich weiß, dass
die FDP möglicherweise, wie sie es sonst auch immer
tut, sagen wird, es handele sich um einen groben Ver-
trauensbruch. Angesichts der Tatsache aber, dass dieser
Branche eine Übergangszeit von weiteren fünf Jahren
eingeräumt wird, kann man nicht davon sprechen, dass
wir Vertrauen gebrochen hätten. Vielmehr stützen wir
die entsprechenden wirtschaftlichen Existenzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir geben ihnen natürlich auch die Chance, sich auf
neue Rahmenbedingungen im Zusammenhang mit dem
Beimischungsgebot einzustellen.

Wir haben im Verfahren beschlossen, dass der Einsatz
von reinem Pflanzenöl in der Landwirtschaft auf Dauer
steuerfrei bleiben soll. Damit verbinden wir die






(A) (C)



(B) (D)


Reinhard Schultz (Everswinkel)

Hoffnung und verfolgen die politische Absicht, dass da-
durch das Agrardieselregime, in dessen Rahmen wir fak-
tisch Agrardiesel subventionieren, allein durch die
Zunahme des Verbrauchs von reinem Pflanzenöl ausge-
höhlt und unterlaufen wird. Wir erhoffen uns also auch
für diesen Bereich ein Zurückfahren der steuerlichen Be-
günstigungen. Wir haben vereinbart, bei Gelegenheit
darüber zu reden, das Agrardieselregime schrittweise
ganz aufzugeben.

Darüber hinaus haben wir beschlossen, dass auf
Dauer die Biokraftstoffe, bei denen von einer Markt-
durchdringung noch nicht die Rede sein kann, wie zum
Beispiel Bioethanol – E 85 – und synthetische Kraft-
stoffe, bis 2015 weiterhin steuerlich gefördert werden
sollen. Für diese gilt, weil sie noch keine Marktbedeu-
tung haben, weiterhin die Zweiwegestrategie, die auch in
der bisherigen Praxis eine große Rolle gespielt hat.

Auch für Neuentwicklungen, von denen wir jetzt
noch gar nichts ahnen, gibt es im Gesetz eine Chance in
Form einer Art Experimentier- bzw. Projektklausel, ge-
mäß der auf Basis einer Rechtsverordnung entschieden
werden könnte, dass neue Kraftstoffe, deren Namen wir
heute noch nicht kennen, gefördert werden.

Jede steuerliche Förderung muss jährlich überprüft
werden; das steht auch im Gesetz. Anhand dieser muss
entschieden werden, ob eine Überförderung vorliegt
oder nicht.

Zusammenfassend dargestellt finde ich, dass ein be-
achtlicher Beratungsprozess des Parlaments, insbeson-
dere der Koalitionsfraktionen, mit der Regierung hinter
uns liegt und ein gutes Ergebnis erzielt wurde. Das
möchte ich ausdrücklich festhalten.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dabei geht es auch um Geld: Die Mineralölsteuer ist
die einzige wirklich nennenswerte Steuer, die nur dem
Bund zusteht. Diese Steuer durch Sondertatbestände
ständig auszuhöhlen und zu durchlöchern, ist auf Dauer
für uns nicht gut. Wir müssen jetzt schauen, wie wir die
Steuereinnahmen verstetigen, ohne die politischen Ziele,
die wir mit den Subventionen verbunden hatten, aus den
Augen zu verlieren. Dabei wird aufgrund des Koalitions-
vertrages und der Beschlüsse der Koalition vom 1. Mai
der Königsweg der Förderung von Biokraftstoffen die
Beimischungspflicht sein, die am 1. Januar nächsten
Jahres in Kraft treten soll. Wir wollen eine industrielle
Biokraftstoffstrategie und keine, die ausschließlich in
kleinen landwirtschaftlichen Kreisläufen stattfindet.


(Beifall bei der SPD – Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Ihr wollt das kaputtmachen!)


– Nein, wir wollen das nicht kaputtmachen, sondern wir
wollen, dass an jeder normalen Tankstelle, an jeder Au-
tobahn, möglichst europaweit normiert, jeder Bürger, der
Auto fährt, auch Biokraftstoff anteilmäßig fährt. Das ist
eine vernünftige Strategie und keine, die nur auf gutes
Gewissen oder auf Steuersubventionen setzt. Darum
geht es. Alles, was dahin führt, unterstützen wir. Wir för-
dern weiter.
Wir haben einen langen Übergang. Wir haben für
neue Kraftstoffe weiterhin eine steuerliche Förderung.
Aber das Ziel muss es sein, alles so reif zu machen, dass
es irgendwann beigemischt werden kann.

Zu der Frage, wenn ich das hier einmal aufzeigen
darf, um welche Beträge es geht: Eine parallele Beimi-
schungspflicht plus eine Weiterführung der steuerlichen
Förderung mit Steuersatz null, die eine der ersten Ideen
der so genannten Zweiwegestrategie war, hätte uns Ein-
nahmeverluste von 5,6 Milliarden Euro bis zum Jahre
2015 gebracht. Das wäre nicht zu verantworten gewesen.
Wir mussten zu einer anderen Lösung kommen. Diese
gab es nicht zum Nulltarif.


(Zuruf des Abg. Hans-Kurt Hill [DIE LINKE])


– Sie werden gleich Ihren schwungvollen Vortrag halten:
Koalition verirrt im Rapsfeld! Darauf freue ich mich
schon. Der nette folkloristische Titel hilft uns aber auch
nicht, insbesondere nicht auf dem Fahrrad oder sonst wo.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604321000

Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage Ihres

Kollegen Hermann Scheer zulassen?


Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1604321100

Selbstverständlich, gerade von Hermann besonders

gerne.


(Dr. Hermann Scheer [SPD]: Ich möchte mich zu einer Kurzintervention danach melden!)


– Das ist etwas anderes. Dann habe ich die Chance, Her-
mann, noch einmal zu sprechen.

Das, was wir jetzt machen, geschieht in einer be-
herrschbaren Größenordnung und kostet für die Über-
gangszeit alles in allem etwa 700 Millionen Euro. Das ist
es uns auch wert, um die bestehenden wirtschaftlichen
Strukturen abzusichern, ist aber nicht nennenswert ange-
sichts der Ausfallbeträge, die letztendlich zu befürchten
gewesen wären.

Im Übrigen haben wir im Energiesteuergesetz eine
Reihe von Sondertatbeständen geregelt, die uns zum
Teil schon seit langem auf den Nägeln brennen, bei de-
nen auch die Bundesländer gedrängt haben. Wir haben
uns viele Jahre damit herumgeschlagen: Warum wird ei-
gentlich Erdgas bis 2020 steuerlich als ein Vorläufer-
kraftstoff von Wasserstoff gefördert und warum gilt das
für Flüssiggas nicht? Wir haben das jetzt gemeinsam ge-
radegezogen. Beides wird bis 2018 gefördert.

Wir haben für die verpflichtende Besteuerung von
Kohle als Hausbrand, die eine nennenswerte Rolle in
Nordrhein-Westfalen, in den neuen Bundesländern und
im Saarland spielt, eine vernünftige Übergangsregelung
bis Ende 2010 gefunden, um allen Hauseigentümern die
Chance zu geben, ihre Heizungsanlagen zu modernisie-
ren und zum Beispiel das von der Koalition auferlegte
energetische Gebäudesanierungsprogramm zu nutzen.
Insofern greifen die Dinge vernünftig ineinander.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Reinhard Schultz (Everswinkel)

Wir haben dafür gesorgt, dass endlich auch Klarheit
besteht, dass Prozessenergien, Energien, die zur Stoff-
umwandlung eingesetzt werden, grundsätzlich nicht
mehr besteuert werden. Das war eine lange, quälende
Auseinandersetzung. Auch das ist geklärt, um Deutsch-
land als Standort der Grundstoffindustrien zu sichern.
Das ist ein ausgesprochen gutes Ergebnis.


(Beifall bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604321200

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Sie

haben vielleicht nach der Kurzintervention noch einmal
Gelegenheit, zu sprechen.


Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1604321300

Ich komme zum Schluss. – Ich denke, wir haben, ge-

rade was Biokraftstoffe angeht, einen großen Sprung
nach vorne auf dem Weg weg vom Öl gemacht. Wir ha-
ben Lösungen gefunden, Deutschland als Energieerzeu-
gungsstandort abzusichern und auch –


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604321400

Herr Kollege, kommen Sie jetzt bitte zum Schluss.


Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1604321500

Grundstoffindustrien im Lande zu behalten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604321600

Dann gebe ich das Wort dem Kollegen Hermann

Scheer.


Dr. Hermann Scheer (SPD):
Rede ID: ID1604321700

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Mein Kollege Reinhard Schultz hat eben ge-
sagt, wir wollten ausschließlich die Orientierung der
Biokraftstoffstrategie auf eine Beimischungspflicht. Ich
möchte ausdrücklich sagen, dass dieses „wir“ nicht
meine Haltung trifft und auch nicht die Haltung, soweit
ich es beobachte und weiß, einer übergroßen Mehrzahl
zumindest der SPD-Fraktion und auch einer großen An-
zahl von Kollegen in der Union.

Viele haben sich in den letzten Wochen dafür einge-
setzt, dass eine Zweiwegestrategie aufrechterhalten
bleibt, ein reiner Biokraftstoffmarkt neben einer Beimi-
schungspflicht, wodurch nur die Mineralölkonzerne ein
Nachfragemonopol für die Biokraftstoffe erhielten.
Bliebe der Zweiwegeansatz, würde die Biokraftstoff-
marktentwicklung auch über mittelständische Unterneh-
men auf regionaler Ebene erfolgen. Das ist der Wille von
vielen. Was jetzt erreicht worden ist, ist ein Kompromiss
zwischen beiden Ansätzen. Ich glaube, es ist wichtig,
das an dieser Stelle genau festzuhalten, damit dieser Be-
schluss nicht falsch interpretiert wird.

Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604321800

Herr Schultz, möchten Sie darauf reagieren?


(Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Das war nicht so bedeutend! Ich fühle mich bestätigt!)


Dann gebe ich das Wort jetzt dem Kollegen Michael
Kauch, FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Michael Kauch (FDP):
Rede ID: ID1604321900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die

Kurzintervention von Herrn Scheer hat ganz deutlich ge-
macht: Das Chaos in der Koalition bei der Biokraftstoff-
frage ist immer noch nicht beendet. Sie haben Ihre Posi-
tion für sich offenbar immer noch nicht geklärt.


(Beifall bei der FDP)


Herr Schultz hat gesagt, schließlich gehe es auch ums
Geld. Er hätte besser sagen sollen, dass es Ihnen vor al-
lem ums Geld geht. Denn dieser Gesetzentwurf ist nichts
anderes als die Fortführung der Steuererhöhungsorgie,


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das Wort „Orgie“ ist ganz sicher deplatziert hier!)


die wir heute beim Steueränderungsgesetz erlebt haben.
Es ist die größte Steuererhöhungsorgie, die diese Repu-
blik jemals gesehen hat.


(Beifall bei der FDP)


Rufen wir uns einmal, liebe Kollegen von der Union,
in Erinnerung, was die jetzige Bundeskanzlerin vor der
Wahl erklärt hat. Sie hat erklärt, mit den Benzinpreis-
erhöhungen müsse jetzt Schluss sein. Aber was Sie hier
beschließen, wird in Verbindung mit der Beimischungs-
pflicht eine Benzinpreiserhöhung bewirken, die zwei
Ökosteuerstufen von Rot-Grün entspricht. Meine Damen
und Herren von der Union, Sie kassieren die Bürger so
schamlos ab, wie es sich Rot-Grün nie getraut hat.


(Beifall bei der FDP – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das macht die SPD aber auch!)


– Ja; sie hat aber nichts anderes versprochen.

Dieser Gesetzentwurf wird aus fiskalischen Gründen
gemacht. Sie haben keine – ich wiederhole: keine – Stra-
tegie für die Biomassenutzung in Deutschland. Sie ha-
ben keine Antwort auf die Frage der Nutzungskonkur-
renzen. Sie haben keine Strategie, welcher Teil der
Biomasse in die Verstromung, welcher in die Wärmeer-
zeugung und welcher in die stoffliche Nutzung in der In-
dustrie gehen soll.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das muss den Investoren doch freigestellt werden! Wollen Sie das festlegen? Will die FDP Planwirtschaft? – Zuruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD])







(A) (C)



(B) (D)


Michael Kauch
– Herr Kelber, Sie sagen, das muss der Markt entschei-
den. Aber das müssen Sie beantworten, wenn Sie Ihre
Subventionsstrategie, die Sie mit diesem Gesetz festle-
gen, formulieren. Das haben Sie nicht getan. Sie sto-
chern im Nebel. Hier wird ausschließlich nach Interes-
senlagen entschieden.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Im Übrigen, meine Damen und Herren, ist es, auch
steuerpolitisch, schon bemerkenswert, dass mitten im
Jahr, am 1. August, in Steuergesetze eingegriffen wird.
So etwas sollte man zum 1. Januar eines Jahres tun. Aber
das sind Details, die Sie schon lange nicht mehr interes-
sieren.

Bezüglich der progressiven Steuersätze in Cent pro
Liter stellt sich die Frage: Was wird die Auswirkung
sein, wenn beispielsweise – das sind Szenarien, die nicht
abwegig sind – der Rohölpreis zwischenzeitlich wieder
sinkt? Dann wird der Biodiesel teurer als der fossile Die-
sel sein und Sie werden die Reinkraftstoffe endgültig ka-
puttgemacht haben. Dann bleibt nur noch der Beimi-
schungsmarkt übrig. Was bedeutet das? Das bedeutet,
dass die bisher mittelständisch strukturierte Industrie
endgültig von wenigen Mineralölkonzernen auf der
Nachfrageseite abhängen wird. Diese werden zum einen
eine Marktmacht beim Preis ausüben. Zum anderen be-
steht bei diesen Großstrukturen natürlich ein Interesse,
auch mit großen Zulieferern zu arbeiten. Das heißt, die
kleineren Unternehmen in diesem Markt werden hinten
runterfallen.

Meine Damen und Herren, auch ordnungspolitisch,
wirtschaftspolitisch und vor allen Dingen mittelstands-
politisch ist es ein Unsinn, was Sie hier mit dem Bei-
mischungszwang betreiben. Deshalb setzt sich die FDP
dafür ein, den Vertrauensschutz zu wahren, besonders
aufgrund der Tatsache, dass wir noch vor zwei Jahren
fraktionsübergreifend ein Instrument beschlossen haben.
Dieser typische Fall von Instrumentenhopping wird aber
nicht aus umweltpolitischen Gründen, wie es die Koali-
tion hier suggeriert, sondern aus rein fiskalischen Grün-
den betrieben.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben doch damals dagegen gestimmt!)


Die FDP-Fraktion wird deshalb die Branche, aber
auch die Verbraucher, die an der Tankstelle die Rech-
nung für Ihre Politik bezahlen müssen, unterstützen und
wird daher diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.


(Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Sie persönlich haben damals dagegen gestimmt!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604322000

Als Nächster hat der Kollege Norbert Schindler von

der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Norbert Schindler (CDU):
Rede ID: ID1604322100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrte

Gäste! Herr Kollege Kauch, ich will nur zur Klarstellung
sagen: Ich weiß, welche Freudentänze die FDP vor zwei-
einhalb, drei Jahren aufgeführt hat, als es um die Steuer-
befreiung der beigemischten Bestandteile ging. Sie ha-
ben ausdrücklich zugestimmt; vor allen Dingen Herr
Solms hat sich dabei hervorgetan. Ich will das aber nicht
weiter vertiefen.

Ich komme nun zur Sache selbst. Wir haben uns bei
dem Thema Steuerbefreiung sehr in die Haare gekriegt.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Welche Haare?)


Wir haben einige Male die Beratungen vertagen und neu
ansetzen müssen. Deswegen habe ich vielleicht nicht
mehr so viele Haare.

Die Koalition hat eine epochale Vereinbarung in ihren
Grundsatzbeschlüssen getroffen. Die Bundesrepublik
Deutschland wird die Verpflichtungen aus dem Kioto-
protokoll erfüllen. Das ist wegweisend für Europa. Wir
alle wissen, dass es 2004 ein Urteil des Europäischen
Gerichtshofs gegeben hat, der sich mit der unterschiedli-
chen Besteuerung von Energieträgern beschäftigt hat,
die zu einer wettbewerbsverzerrenden Situation für die
anderen europäischen Energieerzeuger geführt hat.

Dass wir 2007 ein Gesetz in Kraft setzen, in dem der
Beimischungszwang vorgesehen ist, hat diese hitzige
Debatte ausgelöst. Wenn wir in Zukunft aus deutscher
oder aus europäischer Agrarproduktion 4 Millionen bis
5 Millionen Tonnen Einheiten in den Energiebereich ein-
fließen lassen, so ist das für die Bundesrepublik
Deutschland ein einmaliger Vorgang. Wir streiten uns
jetzt nur noch um das Kleingedruckte, das natürlich auch
wichtig ist.

Wir streiten uns auch um die Beimischung von ande-
ren Wertstoffen wie Fette. Außerdem stellt sich die
Frage, was ab dem Jahre 2018 geschieht. Herr Kollege
Scheer hat in diesem Zusammenhang schon auf den
zweiten Weg hingewiesen. Derzeit war aber im Rahmen
dieses Kompromisses nicht mehr möglich. Man muss
dazu stehen, dass sich Rot und Schwarz bei diesem
Kompromiss schwer getan haben.

Was passiert ab dem Jahre 2009 – ich glaube nicht,
dass eine Partei eine absolute Mehrheit bekommt –,
wenn neue Koalitionsverhandlungen anstehen?


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Versuchen sollten wir es schon!)


Es ist sozusagen eine Bremse, dass der zweite Weg nicht
so ausgebaut wird, wie es manch einer gehofft hatte. Ich
sage das auch im Hinblick auf die Festlegung auf eine
Steuerbefreiung bis zum Jahre 2009. Man muss einräu-
men, dass es diesbezüglich in den ländlichen Regionen
eine Unsicherheit gibt. Die Frage ist, wie wir dort die
Wertschöpfung auf Dauer sichern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jörg-Otto Spiller [SPD])


Ich will auch festhalten, dass wir mit 9 Cent beim
Agrardiesel einen vernünftigen Einstieg gewählt haben,
der auch von den verarbeitenden Betrieben mitgetragen
wurde. Die ursprünglich angedachte Nulllösung – das






(A) (C)



(B) (D)


Norbert Schindler
hat die schwersten Bedenken des Finanzministers her-
vorgerufen – hat die Frage aufgeworfen, wie die Finan-
zierung aussehen soll. Herr Kollege Schultz, Sie haben
gesagt, dass uns 5 Milliarden bis 6 Milliarden Euro feh-
len werden. Sie stellen selbst die Frage, ob man über die
Verbilligung des Agrardiesels noch einmal reden sollte.
Ich sage sehr deutlich: Mit der Union ist in dieser Legis-
laturperiode über dieses Thema nicht zu reden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Landwirtschaftsprivileg, das Herr Seehofer bei
Herrn Steinbrück durchgesetzt hat und das wir in Form
einer Verbilligung des Agrardiesels ausgestalten, ist zu
begrüssen. Das betrifft Produkte aus Eigenproduktion
wie früher Heu und Hafer. Damit bleiben auch in der
Landwirtschaft verwendete Biokraftstoffe von der
Steuer befreit. Da geschieht nichts anderes wie beim
Pferdefutter, das in der Vergangenheit steuerfrei war.
Dies ist eine Chance für Wertschöpfung im kleineren
Bereich.

Aber bei dem Kompromiss, der gefunden worden ist,
wurde auch berücksichtigt, wie viele Steuereinnahmen
uns dabei wegrutschen. Da hatten wir es finanzpolitisch
mit Zwängen zu tun, die mir persönlich so nicht gepasst
haben. Aber was soll ich sagen? Wir sind in einer Koali-
tionsregierung. Wir müssen den Staatshaushalt gemäß
unserem Auftrag in den nächsten Jahren so in Ordnung
halten, wie es jeder Wähler und jede Wählerin von uns
erwartet.

Die Steuerbefreiung, die im Regierungsentwurf ur-
sprünglich nur bis 2009 vorgesehen war, haben wir für
zwei weitere Jahre festgelegt. Die Steuerbefreiung in der
Landwirtschaft ist generell nicht genau definiert. Sie ist
total offen. Das ist ein Erfolg im Vergleich zum alten Re-
gierungsansatz. Dass dem Finanzministerium solche
Kompromisse wehtun, weil es dabei reell ums Geld geht,
ist klar.

Zum anderen wird im vorliegenden Gesetz – auch das
geht unter – die Minderbesteuerung von Gasölen in den
Häfen geregelt. In diesem Gesetz steht auch, dass im
Hinblick auf die Beimischungsfragen ab 2007 ein zu-
sätzliches Gesetz in Kraft treten soll. Das wollen wir im
November abschließend festlegen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604322200

Herr Kollege, kommen Sie jetzt bitte zum Schluss.


Norbert Schindler (CDU):
Rede ID: ID1604322300

Deswegen lassen Sie uns erst Ende dieses Jahres die

gesamte Wirksamkeit der heutigen Beschlüsse abschlie-
ßend bewerten. Deutschland ist auf dem Weg, seine
Energieführerschaft bei den nachwachsenden Rohstof-
fen auch in Zukunft zu behalten. Das Gesetz ist ein guter
Beitrag dazu.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604322400

Das Wort hat der Kollege Hans-Kurt Hill, Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Hans-Kurt Hill (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604322500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Ich sage Ihnen: Diese Gesetzesvor-
lage ist eine Subventionsorgie zugunsten der Energie
fressenden Industrie.


(Beifall bei der LINKEN)


Ihr Finanzminister Steinbrück macht damit Kasse auf
Kosten des Klimaschutzes. Diese Industrie – sowieso
schon Nutznießer zahlreicher Ausnahmetatbestände –
bekommt mit diesem Entwurf noch einmal rund
200 Millionen Euro geschenkt. Wie man heute hört, wird
Lidl die Energieversorgung ausgliedern und damit die
Regelung für energieintensive Betriebe in Anspruch
nehmen. Das ist Ihr Erfolg. Es muss Ihnen doch klar
sein: Mit Ihrem Vorgehen verspielen Sie jeglichen An-
reiz zur Energieeinsparung und zur Senkung der Klima-
gasbelastung.


(Beifall bei der LINKEN)


Wer zahlt die Zeche? Die junge Bioenergiebranche.
Hier wird schrittweise die volle Steuer greifen. Beim
Klimakiller Flugverkehr weiten wir die Steuerbefreiung
aus. Ich kann nur davor warnen, dem Entwurf zuzustim-
men.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich gebe Hermann Scheer Recht: Sie werden damit
die Abschaffung von 50 000 Arbeitsplätzen auf Raten
einleiten. Es muss Ihnen doch klar sein, dass die heimi-
sche Biokraftstoffbranche bei einer Vollbesteuerung
keine Chance gegen das Mineralölmonopol hat. Sie trei-
ben die Betriebe sogar noch in die Arme der Konzerne:
Mit der Pflicht, Biosprit dem herkömmlichen Diesel und
Benzin beizumischen, degradieren Sie die Landwirte
und die Mittelständler zu Knechten der Mineralölindus-
trie.


(Beifall bei der LINKEN)


Was glauben Sie denn, was passiert? Entweder beu-
gen sich die heimischen Biokrafterzeuger dem Preis-
diktat der Konzerne oder BP und Co kaufen billiges
Pflanzenöl in Lateinamerika ein – jawohl, das wird
passieren! – und dort wird mit fragwürdigen Anbau-
methoden der Regenwald platt gemacht. Sie behaupten,
man schaffe Planungssicherheit für die Biospritbranche.
Ich sage: Das ist schlicht die Unwahrheit.


(Beifall bei der LINKEN)


Nehmen Sie Ihren schädlichen Stufenplan bei der Be-
steuerung der Biokraftstoffe zurück; denn damit machen
Sie eine ganze Branche von Mittelständlern in der Bun-
desrepublik Deutschland kaputt.

Jetzt komme ich noch auf das zu sprechen, was ges-
tern in den Ausschüssen passiert ist. Es ist unglaublich,
wie dieses Gesetz zustande gekommen ist. Es ist wirk-
lich unglaublich.






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Kurt Hill

(Beifall bei der LINKEN – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Ihr konntet doch nicht einmal eure eigenen Anträge im Ausschuss begründen!)


Es gab von Ihnen einen Wust von Änderungsanträgen
zu Ihrem eigenen Entwurf – und das als Tischvorlage.
Im Umweltausschuss – das war der Höhepunkt – wurden
die Anträge sogar nur auf unsere Intervention hin über-
haupt zur Beratung vorgelegt. Es hieß einfach: Wir ha-
ben sie nicht erhalten. Meine Damen und Herren von der
Koalition, das ist unseriös, das ist undemokratisch.


(Beifall bei der LINKEN)


Lieber Kollege Reinhard Schultz, jetzt komme ich zu
Ihrer schwungvollen Rede. Was ist denn von den ange-
kündigten Verbesserungen übrig geblieben? Nichts, gar
nichts ist übrig geblieben. Sie sind das Opfer Ihres eige-
nen Finanzministers geworden.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Machen Sie die schlimmsten Fehler rückgängig.

Erstens. Reine Biokraftstoffe müssen bis Ende 2009
steuerfrei bleiben. Alles andere ist ein Vertrauensbruch
gegenüber der Branche.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens. Wenn Steuern, dann richtig: Die Bemes-
sung muss sich nach Klimaschutz, Umweltvorteil und
Erhöhung der Versorgungssicherheit richten, nicht nach
Steinbrücks Steuerwut.


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens. Eine Beimischungspflicht ist unnötig. Der
Biokraftstoffmarkt funktioniert auch so, wenn man nicht
dem Mineralölkartell das Wort redet.

Fördern Sie Biokraftstoffe nachhaltig und stimmen
Sie unserem Antrag zu.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604322600

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Reinhard Loske,

Bündnis 90/Die Grünen. – Entschuldigung, Herr Loske. –
Ich bitte darum, dass die Gespräche am Rande nach
draußen verlegt werden, damit wir hier noch ein biss-
chen Debatte verfolgen können. Schönen Dank.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Kollege Reinhard Schultz hat eben davon gespro-
chen, wir hätten es bei diesem Gesetz mit einem beacht-
lichen Beratungsprozess mit dem Parlament zu tun. Da
kann man nur sagen: In der Tat, das war insofern beacht-
lich, als es ein ständiges Hin und Her gab, das sich bis
ins Plenum fortgesetzt hat, unter Geringschätzung der
parlamentarischen Rechte der Opposition und unter ele-
mentarster Verunsicherung einer ganzen mittelständi-
schen Branche. Das war kein Glanzstück, das muss man
ganz klar sagen. Verfahrensmäßig war das unter aller
Würde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)


Zur Sache selbst. In dem Gesetz geht es auf der einen
Seite um die Umsetzung der EU-Energiesteuerrichtlinie
in nationales Recht und auf der anderen Seite um das
kräftige Zulangen bei der Besteuerung von Bioenergien.

Was die EU-Energiesteuerrichtlinie hergegeben hätte,
meine Damen und Herren von der Koalition, haben Sie
im Wesentlichen nicht genutzt. Sie haben erstens nicht
die vielen Ökosteuersonderregelungen, die es heute
noch gibt, abgebaut, was die EU-Energiesteuerrichtlinie
ausdrücklich ermöglicht hätte. Davor scheuen Sie zu-
rück.

Sie haben zweitens nicht Gebrauch gemacht von der
Möglichkeit, eine Kerosinbesteuerung für Inlandsflüge
einzuführen. Wir haben es daher nach wie vor mit dem
eklatanten Wettbewerbsnachteil der Bahn zu tun. Die
Bahn zahlt Energiesteuer, die Bahn zahlt Mehrwert-
steuer auf Tickets im Fernverkehr. Der Luftverkehr zahlt
beides nicht. Sie haben also nichts getan, um Wettbe-
werbsfairness zwischen dem Schienenverkehr und dem
Luftverkehr im innerdeutschen Bereich herzustellen.
Auch das ist ein grobes Versäumnis.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Am allerschlimmsten aber ist, wie Sie bei den Bio-
energien vorgehen. Man kann ja darüber reden, Mitnah-
meeffekte dort, wo es sie gibt, abzuschöpfen. Aber was
Sie machen, ist, eine ganze Branche systematisch zu ver-
unsichern. Sie treten das zarte Pflänzchen der Bioener-
giebranche regelrecht platt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Nicht nur das: Sie kündigen an, dass Sie die Steuer-
privilegien abbauen und auf ein anderes Instrument um-
stellen wollen, nämlich den Beimischungszwang. Ich
will noch einmal ganz klar sagen, was der Unterschied
ist. Bei den steuerlichen Anreizen passiert Folgendes:
Sie bekommen dezentrale Strukturen, Sie bekommen re-
gionale Wertschöpfungsmöglichkeiten im ländlichen
Raum, Sie bekommen neue Arbeitsplätze in der Land-
wirtschaft, Sie bekommen regelrechte Erwerbs- und Ein-
kommensalternativen für die Bauern.

Reinhard Schultz – das muss ich schon einmal sagen –,
das ist der gewaltige Unterschied zwischen Ihnen und
uns. Sie sagen – ich habe es mir aufgeschrieben –: Wir
wollen eine großindustrielle Bioenergiestrategie und
nicht Klein-Klein. Dazu sage ich Ihnen: Wir wollen
Wertschöpfung und Beschäftigung im ländlichen Raum
und keine großindustrielle Struktur in diesem Bereich.
Das ist ein gewaltiger Unterschied.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE])







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Reinhard Loske
Sie sagen zwar, dass Sie eine Zweiwegestrategie ma-
chen, faktisch machen Sie aber eine Einwegstrategie: Sie
sehen nur den Beimischzwang vor. Faktisch bedeutet
das, dass Sie die Bauern, die regionalen Produzenten in
die Abhängigkeit eines großen Nachfragemonopols brin-
gen. Bei der Milch sehen wir doch, wohin das führt: Die
Geschädigten sind am Ende die Bauern und die Profi-
teure sind die großen Mineralölkonzerne. Wenn Sie das
wollen, dann machen Sie das. Dann sollten Sie das aber
auch sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aus vielen am Rande des Plenums- bzw. im Plenum
geführten Gesprächen wurde klar, dass viele Kollegin-
nen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen dieses
Gesetz für falsch halten. Sie halten es zu Recht für
falsch. Ihnen kann aber, wenn ich das so sagen darf,
Trost gespendet werden: Es gibt einen Antrag, den wir
hier vorlegen und zur namentlichen Abstimmung stellen,
dem die Freunde des Klimaschutzes, die Freunde des
ländlichen Raumes und die Freunde mittelständischer
Strukturen zustimmen können. Wir möchten Sie darum
bitten, unserem Antrag zuzustimmen und nicht dem Irr-
weg, der von der großen Koalition beschritten wird, zu
folgen.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604322700

Zum Abschluss der Debatte hat der Kollege

Dr. Joachim Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1604322800

Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Meine sehr geehrten Damen und Herren von der
Opposition, wir sollten die Kirche im Dorf lassen. Mit
dem heutigen Gesetz leisten wir im Bereich der Bio-
kraftstoffwirtschaft einen Beitrag zur Schaffung einer
Planungs- und Investitionssicherheit, und zwar mit einer
Zweiwegestrategie.

Wir werden auf jeden Fall keinen Fadenriss erleiden.
Entgegen der ursprünglichen Absicht, die Steuerbefrei-
ung 2009 abrupt zu beenden, haben wir einen stufenwei-
sen Übergang bis 2012 vorgesehen. Daher werden wir
keinen Fadenriss erleiden. Wir betreten vielmehr eine
Brücke, die uns zur zweiten Generation der Kraftstoffe
führt.


(Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ CSU])


Es ist kein Geheimnis, dass sich die Union in der einen
oder anderen Hinsicht mehr hätte vorstellen können. Es
ist aber so, wie es ist. Das ist ein Kompromiss, den wir
guten Gewissens heute hier mittragen können.

Ich möchte das Augenmerk aber auf einen anderen
Punkt lenken, der in dieser Diskussion leider etwas un-
tergeht – er klang in der heutigen Debatte nur selten
an –: Wir machen mit diesem Gesetz einen weiteren
wichtigen Schritt zur Wiederherstellung der Wettbe-
werbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft insgesamt, ins-
besondere aber der energieintensiven Wirtschaft.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Der erste Schritt war das Energiewirtschaftsgesetz,
mit dem wir im letzten Jahr bei den Netznutzungsentgel-
ten eine Ausnahmeregelung für die stromintensiven In-
dustrien geschaffen haben. Von ihr wird rege Gebrauch
gemacht.

Im zweiten Schritt haben wir – wie in der Koalitions-
vereinbarung vorgesehen – mit der Härtefallregelung
beim EEG einen wesentlichen Beitrag zur Entlastung der
energieintensiven Unternehmen geleistet. Das sind
100 Millionen Euro mehr für die deutsche Wirtschaft
– Gesamtbetrag: 400 Millionen Euro –, die in diesem
Jahr, rückwirkend zum 1. Januar 2006, wirksam werden.

Heute machen wir den dritten Streich. Bei der Öko-
steuer waren bisher nur ein ermäßigter Steuersatz von
60 Prozent und ein Spitzenausgleich vorgesehen. Heute
werden wir bestimmte Herstellungsprozesse und -ver-
fahren in der energieintensiven Industrie vollständig von
der Energie- und Stromsteuer befreien. Dann können wir
Unternehmen, die zum Beispiel in den Bereichen Glas-,
Keramik-, Zement- oder Kalkverarbeitung tätig sind, die
diese Materialien herstellen oder weiterverarbeiten, von
der Steuer befreien. Das bedeutet eine zusätzliche Ent-
lastung der deutschen Wirtschaft in Höhe von
60 Millionen Euro.

Das Bundeskabinett hat gestern – vierter Schritt – den
NAP II, den Nationalen Allokationsplan für den Emis-
sionshandel verabschiedet. Er enthält einen differenzier-
ten Erfüllungsfaktor, durch den wir gewährleisten, dass
weitere Windfall-Profits und Einpreisungen nicht statt-
finden. Auch damit verfolgen wir das Ziel, zu einem
Rückgang der Emissionshandelspreise zu kommen.

In einem fünften Schritt, dem Beimischungsgesetz
– die Diskussion darüber steht unmittelbar im Herbst an –,
werden wir für weitere Entlastungen der energieintensi-
ven Unternehmen sorgen.

Damit leisten wir nicht nur einen direkten Beitrag zur
Sicherung von 600 000 gefährdeten Arbeitsplätzen in
der energieintensiven Industrie, sondern wir entlasten
auch indirekt die Haushalte und den normalen Verbrau-
cher, der nämlich die zusätzlichen Netznutzungskosten
und Netznutzungsentgelte zu tragen hätte, wenn diese
Arbeitsplätze wegfallen würden


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


und wenn wir die energieintensive Industrie in Deutsch-
land verlieren würden, die akut in Gefahr ist, mit 20, 25
oder 30 Prozent des Stromverbrauches abzuwandern.
Damit leisten wir auch einen Beitrag zum Klimaschutz
hier und vermeiden eine Verlagerung ins Ausland, wo
weniger Klimaschutz besteht.

Heute ist ein guter Tag für die Zukunft der Biokraft-
wirtschaft und für die Wiederherstellung der Wettbe-
werbsfähigkeit der deutschen Industrie im Allgemeinen.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Joachim Pfeiffer

Abgegebene Stimmen: 555; Katrin Göring-Eckardt Thomas Dörflinger
ja: 53
nein: 396
enthalten: 106

Ja

SPD

Dr. Axel Berg
Martin Gerster
Renate Gradistanac
Dr. Karl Lauterbach
Anton Schaaf
Dr. Hermann Scheer
Gert Weisskirchen


(Wiesloch)


BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Kerstin Andreae
Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell

Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz (Herborn)

Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Renate Künast
Undine Kurth (Quedlinburg)

Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Brigitte Pothmer
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Nein

CDU/CSU

Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Carl-Eduard von Bismarck
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert

Maria Eichhorn
Anke Eymer (Lübeck)

Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
davon Anja Hajduk Marie-Luise Dött
Deshalb können wir dem Ges
sind davon überzeugt, dass
geht.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CS neten de Vizepräsidentin Katrin G Damit schließe ich die Au Wir kommen zur Abstimm desregierung eingebrachten E Neuregelung der Besteuerun und zur Änderung des St sachen 16/1172 und 16/1347. Zu dieser Abstimmung gib unserer Geschäftsordnung d legen Dr. Axel Berg, Gabrie precht, Martin Gerster, Dr. Wolfgang Wodarg.1)


Der Finanzausschuss empf
ner Beschlussempfehlung au
Gesetzentwurf in der Auss
Hierzu gibt es einen Änd

1) Anlage 12

Endgültiges Ergebnis
etzentwurf zustimmen. Wir
es in die richtige Richtung

U sowie bei Abgeord-
r SPD)

öring-Eckardt:
ssprache.

ung über den von der Bun-
ntwurf eines Gesetzes zur

g von Energieerzeugnissen
romsteuergesetzes, Druck-
t es Erklärungen nach § 31
er Kollegin und der Kol-
le Groneberg, Albert Rup-

Hermann Scheer und

iehlt unter Buchstabe a sei-
f Drucksache 16/2007, den
chussfassung anzunehmen.
erungsantrag der Fraktion

Kai Gehring
Bündnis 90/Die Grünen auf
den wir zuerst abstimmen.
ses 90/Die Grünen verlangt h
mung.

Ich bitte die Schriftführeri
vorgesehenen Plätze einzuneh
setzt? – Das scheint mir der
ich die Abstimmung.

Ist ein Mitglied des Hause
Stimme noch nicht abgegebe
der Fall zu sein. Dann schließ
bitte die Schriftführerinnen
Auszählung zu beginnen. Bis
nisses unterbreche ich die Sit


(Unterbrechung von 1 Vizepräsidentin Katrin G Liebe Kolleginnen und K Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe das von den Sch führern ermittelte Ergebnis mung bekannt: Insgesamt wu ben. Mit Ja haben gestimmt haben gestimmt 396 Abgeor tungen. Damit ist der Änderu Wolfgang Wieland Drucksache 16/2068, über Die Fraktion des Bündnisierzu namentliche Abstim nnen und Schriftführer, die men. – Sind alle Urnen be Fall zu sein. Dann eröffne s anwesend, welches seine n hat? – Das scheint nicht e ich die Abstimmung und und Schriftführer, mit der zum Vorliegen des Ergebzung. 9.46 bis 19.53 Uhr)


öring-Eckardt:
ollegen, die unterbrochene

riftführerinnen und Schrift-
der namentlichen Abstim-
rden 555 Stimmen abgege-
53 Abgeordnete, mit Nein
dnete. Es gab 106 Enthal-
ngsantrag abgelehnt.

Alexander Dobrindt






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg

Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung (Konstanz)

Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler (Wiesbaden)

Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich

Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer (Altötting)

Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer (Hamm)

Maria Michalk
Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Bernward Müller (Gera)

Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann (Bremen)

Henry Nitzsche
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht (Weiden)

Peter Rzepka
Anita Schäfer (Saalstadt)

Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Ingo Schmitt (Berlin)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Antje Tillmann
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr (Neuruppin)

Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding (Heidelberg)

Volker Blumentritt
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Nina Hauer
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Gerd Höfer
Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Brunhilde Irber
Johannes Jung (Karlsruhe)

Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Waltraud Lehn
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel (Berlin)

Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller (Chemnitz)

Michael Müller (Düsseldorf)







(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt

Dr. Rainer Wend Birgit Homburger Cornelia Hirsch
Hanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Silvia Schmidt (Eisleben)

Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt (Landau)

Carsten Schneider (Erfurt)

Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz


(Everswinkel)

Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Joachim Stünker

Ich bitte nun diejenigen,
der Ausschussfassung zustim
zeichen. – Gegenstimmen? –
setzentwurf ist in zweiter Ber
CDU/CSU-Fraktion und der
der Stimmen der SPD-Frakt
Fraktionen der FDP und vo
und dem Großteil der PDS-F


(Widerspruch be – Ich habe bei Ihnen einen hat, ganz ruhig! Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wolff Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Gudrun Kopp Enthalten CDU/CSU Josef Göppel SPD Hans Eichel Lothar Mark Andrea Nahles FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr Uwe Barth Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst die dem Gesetzentwurf in men wollen, um das Hand Enthaltungen? – Der Geatung mit den Stimmen der überwiegenden Mehrheit ion bei Gegenstimmen der n Bündnis 90/Die Grünen raktion angenommen. i der LINKEN)


(Wolmirstedt)


gesehen, der sich enthalten
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Martin Zeil

DIE LINKE

Hüseyin-Kenan Aydin
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm


(Dr. Petra Sitte [DIE L verdammt n – Entschuldigung, das tut mir (Dr. Ralf Brauksiepe [ aber ni Verzeihung, das war wirklic mich jetzt so darauf konzent tion wie gestimmt hat. Also, großen Mehrheit der Linksf nete der SPD haben dagegen Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Monika Knoche Jan Korte Katrin Kunert Oskar Lafontaine Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothee Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Petra Pau Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer Volker Schneider Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann fraktionslos Gert Winkelmeier INKE]: Linkspartei, och mal!)


(Saarbrücken)


sehr Leid!

CDU/CSU]: Muss es
cht!)

h ein Versehen! Ich habe
riert, wer in welcher Frak-
noch einmal: „… und einer
raktion“. Einige Abgeord-
gestimmt und einige Abge-
Christel Riemann- Lydia Westrich Dr. Werner Hoyer Inge Höger-Neuling
Dr. Rolf Mützenich
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche (Cottbus)

Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann

Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h.c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein

Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dagdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
ordnete der SPD sowie ein Abgeordneter der Linksfrak-
tion haben sich enthalten.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist bei Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion und des
Großteils der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Frak-
tionen von FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke
sowie einer Gegenstimme aus der SPD-Fraktion ange-
nommen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Druck-
sache 16/2039. Wer stimmt für diesen Entschließungs-
antrag? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen des Großteils der Ko-
alition bei Enthaltung der Fraktionen Bündnis 90/Die
Grünen und Die Linke sowie einiger Abgeordneter der
SPD-Fraktion sowie bei Zustimmung der FDP-Fraktion
abgelehnt.

Ich komme jetzt zum Tagesordnungspunkt 8 b. Be-
schlussempfehlung des Finanzausschusses auf Druck-
sache 16/2007 zu dem Antrag der Fraktion des Bünd-
nisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Biokraftstoffe
intelligent fördern – Steuerbegünstigung erhalten“. Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be-
schlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 16/583
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition
und der FDP-Fraktion bei Gegenstimme der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion
Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 8 c. Abstimmung über den An-
trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/1895

(neu) mit dem Titel „Biokraftstoffe nachhaltig fördern“.

Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Dieser Antrag ist bei Zustimmung der
Fraktion Die Linke, bei Gegenstimmen der Fraktionen
der CDU/CSU, der SPD und der FDP und bei Enthal-
tung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b
auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der
Fraktion der LINKEN eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches
Sozialgesetzbuch

– Drucksache 16/856 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)


– Drucksache 16/1208 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Kramme
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Jens Ackermann,
Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP

Innere Sicherheit durch Regelungen zum
Arbeitskampfrecht gewährleisten

– Drucksachen 16/953, 16/1208 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Kramme

Über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke wer-
den wir später namentlich abstimmen.

Es ist verabredet, eine halbe Stunde hierüber zu de-
battieren. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist
so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe der Kollegin
Anette Kramme, SPD-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Anette Kramme (SPD):
Rede ID: ID1604322900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die FDP ist in tiefer Sorge um die innere Si-
cherheit in der Bundesrepublik Deutschland.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich bin in tiefer Sorge um Sie! Wer so anfängt, wird keine gute Rede halten!)


Es drohen nämlich Invasionen von Ratten und auch die
Vogelgrippe wird sich epidemiehaft über ganz Deutsch-
land ausbreiten, wenn Verdi streikt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Darüber sollte man keine Witze machen!)


Ich glaube, hier spricht eher der Wolf im Großmutterkos-
tüm, der das Rotkäppchen, nämlich die Tarifautonomie,
fressen will.

Meine Damen und Herren, Sie wissen doch sehr ge-
nau, dass die Gewerkschaften verpflichtet sind, Not-
dienste bei Streiks einzurichten. Wird kein Notdienst
eingerichtet und ergeben sich daraus konkrete Gefähr-
dungslagen für die Allgemeinheit, so steht es im pflicht-
gemäßen Ermessen der Polizei, hier einzuschreiten.

Darüber hinaus haften die Gewerkschaften zivilrecht-
lich für etwaigen Schaden. Das heißt, es liegt im ureige-
nen Interesse der Tarifvertragspartei, Regelungen zu
treffen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist es!)


Meine Damen und Herren von der FDP, die Intention
Ihres Antrags ist offenbar: Sie brauchen mal wieder ei-
nen Aufhänger, Ihrer Forderung nach Einschränkung der
Arbeitnehmerrechte Nachdruck zu verleihen. Es ist doch
wenig glaubhaft, wenn ausgerechnet Herr Westerwelle,
der den öffentlichen Dienst am liebsten komplett privati-
sieren möchte, anlässlich des aktuellen Streiks panisch






(A) (C)



(B) (D)


Anette Kramme
ruft, es werde im öffentlichen Dienst jede Hand gegen
die Ausbreitung der Vogelgrippe gebraucht.

Sie versuchen ein ums andere Mal, die Tarifautono-
mie zu kappen, die Gewerkschaften zu schwächen und
die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
einzuschränken. Anders ist es wohl nicht zu erklären,
dass Herr Brüderle unlängst forderte, das Streikgeld zu
besteuern. Das ist doch der blanke Hohn. Die einzige
Absicht, die sich hinter dieser Forderung verbirgt, ist, in
die Medien zu kommen und die Stimmung gegen die
Gewerkschaften anzuheizen. Ich erinnere auch an Ihren
aktuellen Antrag, wonach ein Antrag beim Arbeitsge-
richt zur Einsetzung eines Wahlvorstandes bei Betriebs-
ratswahlen


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Guter Antrag!)


der Unterschriftsleistung durch 25 Prozent der Arbeit-
nehmer des Betriebs bedürfen soll. Und wenn die Welt
untergeht, die FDP wird weiterhin versuchen, die Rechte
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu beschnei-
den.

Ich weiß ja, dass Dinge, die einem nicht gefallen,
schnell vergessen werden. Aber zumindest die Grund-
rechte sollte man als Abgeordneter kennen.


(Beifall bei der SPD)


Sie erinnern sich vielleicht dunkel an Art. 9 Grundge-
setz. Ferner empfehle ich Ihnen die Lektüre des Bundes-
verfassungsgerichtsurteils vom 2. März 1993:

Mit der grundrechtlichen Garantie der Tarifautono-
mie wird ein Freiraum gewährleistet, in dem Ar-
beitnehmer und Arbeitgeber ihre Interessen gegen-
seitig in eigener Verantwortung austragen können.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir sind hier im Bundestag!)


Diese Freiheit findet ihren Grund in der histori-
schen Erfahrung, dass auf diese Weise eher Ergeb-
nisse erzielt werden, die den Interessen der wider-
streitenden Gruppen und dem Gemeinwohl gerecht
werden, als bei einer staatlichen Schlichtung.

Die Ihrerseits intendierte Kodifikation des Arbeits-
kampfrechtes, über die man theoretisch reden könnte, er-
fordert ein Mindestmaß an gesellschaftlichem Konsens.
Die gesellschaftlichen Gruppen sind hier aber tief ge-
spalten.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So wie die große Koalition!)


Das wird auch hier im Hause ständig offenbar. Ich be-
zweifle daher intensiv, dass von einem Arbeitskampfge-
setz in irgendeiner Weise eine befriedende Funktion aus-
gehen könnte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es hat sich daher bewährt, dass die Rechtsprechung Re-
gelungen für die Führung von Arbeitskämpfen entwi-
ckelt hat, an denen sich die Praxis orientieren kann.

Meine Damen und Herren von der Linken,

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Jetzt bekommen die ihr Fett ab!)


Sie stehen der FDP in Sachen Populismus in nichts nach.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Offensichtlich ernst ist es Ihnen mit Ihrem Gesetzent-
wurf nicht. Ihr Geschäftsordnungsantrag in der ersten
Lesung hat Ihrer Forderung nicht unbedingt Glaubwür-
digkeit verliehen. Wenn Sie es wirklich Ernst meinen
würden, dann hätten Sie sich die Mühe machen müssen,
Ihren Gesetzentwurf rechtlich, insbesondere verfas-
sungsrechtlich überprüfen zu lassen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was gut ist und was Recht ist, entscheidet Frau Kramme!)


Stattdessen haben Sie ein paar Schubladen aufgezogen
und einen unbrauchbaren alten Entwurf der PDS hervor-
gezogen. Es hakt hier an allen Ecken und Enden.

Sie wollen, dass die Bundesagentur für Arbeit im
Rahmen des § 146 SGB III – früher § 116 AFG – wieder
die Entscheidung über die Neutralität von Lohnersatz-
zahlungen treffen soll. Es handelt sich hier aber um eine
grundrechtsrelevante Entscheidung; Art. 9 und
Art. 14 Grundgesetz sind betroffen. Deshalb darf diese
Verwaltungsentscheidung nach der aktuellen Rechtspre-
chung des Bundesverfassungsgerichts nicht der Verwal-
tung überlassen werden. Es ist also Sache des Bundesge-
setzgebers, das selbst zu regeln.

Praktisch ist auch nicht mehr zu erwarten, dass sich
Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Rahmen der Selbst-
verwaltung auf eine Neutralitätsanordnung einigen. Ihr
Vorschlag ist den Gewerkschaften deshalb keine Hilfe-
stellung. Bevor Sie eine Zwischenfrage anmelden: Ja,
die damalige Neuregelung hat der SPD natürlich Bauch-
schmerzen bereitet. Das Bundesverfassungsgericht hat
die Bestimmung jedoch gerade noch als verfassungsge-
mäß deklariert.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ist natür-
lich kein Freibrief. Wir werden sehr genau darauf ach-
ten, dass die Kräfteparität der Tarifvertragsparteien nicht
durch § 146 SGB III beeinträchtigt wird. Wenn die
Streikfähigkeit der Gewerkschaften durch § 146 SGB III
beeinträchtigt werden sollte, dann werden wir handeln.
Wir brauchen nämlich starke Gewerkschaften in diesem
Lande.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Auf das Instrument Streik wird in Deutschland nur
selten zurückgegriffen. Deutschland zeichnet sich im in-
ternationalen Vergleich durch einen hohen sozialen Frie-
den aus. In den Jahren 1993 bis 2003 fielen im Durch-
schnitt nur drei Streiktage pro 1 000 Arbeitnehmer an. In
Italien waren es dagegen 60 Tage, in Frankreich
100 Tage und in Dänemark – man erwartet das nicht –
sage und schreibe 178 Tage. Das sollten auch Sie, meine
Damen und Herren von der FDP, endlich zur Kenntnis
nehmen. Stattdessen legen Sie immer wieder dieselbe
kaputte Schallplatte auf und behelligen uns mit unnöti-
gen Anträgen.

Ich bedanke mich ganz herzlich.






(A) (C)



(B) (D)


Anette Kramme

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604323000

Das Wort hat der Kollege Hartfrid Wolff, FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Le-

ben und die körperliche Unversehrtheit sind hohe Güter,
die seitens des Staates geschützt werden müssen. Der ehe-
malige Präsident des Bundesarbeitsgerichts, Thomas
Dieterich – in der SPD sicherlich kein Unbekannter –,
weist in seinen Kommentierungen des Streikrechts darauf
hin, dass jeder Streik dort seine Grenzen finden muss,
wo erhebliche Verfassungsgüter beeinträchtigt sind.


(Beifall bei der FDP)


Dies ist unbestritten, sei es durch die Gelehrten Wolf-
gang Däubler und Manfred Löwisch, sei es durch die
Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts oder des
Bundesverfassungsgerichts. Wenn wie im letzten Winter
durch Streikmaßnahmen direkt und vor allem indirekt
Gefährdungen für die Bürgerinnen und Bürger eintreten,
dann ist das zulässige Maß überschritten. Das ist nicht
mehr hinnehmbar.


(Beifall bei der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist es! Da muss die FDP einschreiten!)


Als Verdi Anfang des Jahres Winterdienste bestreikte,
stieg die Anzahl der Verkehrsunfälle zum Beispiel in
Bayern und Baden-Württemberg nachweislich deutlich
an.


(Ute Kumpf [SPD]: Schauen Sie mal auf die Wetterlage!)


Rettungsdienste und Feuerwehren konnten aufgrund der
Straßenverhältnisse nicht zum Einsatzort kommen. Die
Polizei war massiv eingeschränkt.

In Stuttgart musste damals, weil chaotische Verhält-
nisse auftraten, die Polizei einen von Verdi bestreikten
Betriebshof befreien, damit der Winterdienst durchge-
führt werden konnte.


(Ute Kumpf [SPD]: Sie sind überhaupt nicht auf dem Laufenden! Das waren die Schneemassen!)


– Hören Sie zu, Frau Kumpf! Das wäre nicht schlecht. –
Dass die Gewerkschaften hiergegen gerichtliche Schritte
eingeleitet haben, war dreist.


(Beifall bei der FDP)


Es gilt, in solchen Fällen Rechtssicherheit und ein-
deutige Regelungen für die Polizei und die Bürgerinnen
und Bürger zu schaffen. Durch den Streik der Müllab-
fuhr ergaben sich Zustände, die in Zeiten der wieder stei-
genden Verbreitung von Tierseuchen inakzeptabel sind –
und das als Nebenfolge der zivilrechtlichen Auseinan-
dersetzung zwischen den Tarifparteien.
Das ist den Menschen nicht mehr vermittelbar, Frau
Kramme. Sagen Sie bitte einem Unfallopfer ins Gesicht,
dass es nicht möglich sein soll, es auch in Streikzeiten
versorgen und schützen zu können!

Die Tarifautonomie ist ein verfassungsrechtliches
Gut aus Art. 9 des Grundgesetzes. Das möchte auch nie-
mand infrage stellen. Die FDP steht zur Tarifautonomie.


(Beifall bei der FDP – Anette Kramme [SPD]: Haha!)


Es kommt auf die jeweiligen Streikmittel im Einzel-
fall an, die verhältnismäßig sein müssen. Das Grund-
recht auf Vereinigungsfreiheit und die Tarifautonomie
können – im konkreten Fall muss immer die Abwägung
mit wichtigen Rechtsgütern erfolgen – nicht schranken-
los gewährt werden.

Ich verstehe nicht ganz, warum die Kollegen insbe-
sondere auf der linken Seite des Plenums Bedenken
haben. Aus meiner Sicht ist es erforderlich und auch ver-
fassungspolitisch geboten, klare Regelungen zu schaf-
fen. Durch die fehlenden gesetzlichen Regelungen ist die
Rechtsprechung gezwungen, die Grenzen der richterli-
chen Entscheidungslegitimation bis zum Äußersten zu
beanspruchen. Im Klartext: Wir brauchen auch an dieser
Stelle klare Regelungen.


(Beifall bei der FDP)


Deshalb bitte ich Sie, der Beschlussempfehlung des
Ausschusses nicht zu folgen und somit dem Antrag der
FDP zuzustimmen.

Lassen Sie mich noch einige Worte zu dem Gesetz-
entwurf der Linken sagen. Die Linken gehen damit in
die völlig falsche Richtung. Der Gesetzentwurf ist ein
Schritt in die tiefe Vergangenheit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Da hat er Recht!)


Wie immer fordern die Linken Leistungen und schwei-
gen über die Gegenfinanzierung. Durch diesen Vor-
schlag würden die Ausgaben für die Bundesagentur für
Arbeit steigen und Gelder zur Finanzierung von Streiks
eingesetzt werden. Damit würden durch die Beiträge al-
ler die Streiks mitfinanziert und Beitragserhöhungen wä-
ren die Folge. Eine Steigerung der Lohnnebenkosten
passt nicht in die heutige konjunkturelle Entwicklung;


(Beifall bei der FDP)


sie darf erst recht nicht zur Finanzierung von Arbeits-
kämpfen erfolgen. Dies ist ein Weg, den wir als Freie
Demokraten klar ablehnen. Für uns steht nämlich die
Schaffung von Arbeitsplätzen im Vordergrund. Wir
brauchen eine nachhaltige Entlastung von Steuern und
Abgaben. Das sage ich in diesem Hause, wo heute Mor-
gen Entsprechendes beschlossen wurde. Gerade die
Lohnnebenkosten gängeln die wirtschaftliche Entwick-
lung in Deutschland.

Es gibt keinen vernünftigen Grund, dem Gesetzent-
wurf der Linken zuzustimmen. Gleichzeitig bitte ich Sie,






(A) (C)



(B) (D)


Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

auch die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ar-
beit und Soziales zu unserem Antrag abzulehnen.


(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Wieso das denn?)


– Ganz einfach: Eine doppelte Ablehnung soll Ihnen al-
len die Entscheidung erleichtern. Jedenfalls werden wir
von der FDP-Fraktion das tun.


(Beifall bei der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604323100

Das Wort hat der Kollege Paul Lehrieder, CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1604323200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Wenn zu einer bestehenden gesetzli-
chen Regelung die Kritik von links und von rechts glei-
chermaßen kommt, dann kann die bestehende gesetzli-
che Regelung so schlecht nicht sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Es ist immer wieder interessant zu sehen, wie sich un-
sere Opposition redlich am Streikrecht abarbeitet. Die
Anträge der FDP und der Linken haben heute einträchtig
die Endrunde, das Finale, erreicht. Das war es dann auch
schon mit den Gemeinsamkeiten.

Die Linkspartei – deren Mitglieder heute Nachmittag
von einem Redner zutreffend als Manager des Misser-
folgs bezeichnet wurden – will das Rad der Gesetzge-
bung ohne Not um 20 Jahre zurückdrehen und sich bei
den Gewerkschaften anbiedern.


(Zuruf des Abg. Oskar Lafontaine [DIE LINKE])


– Herr Lafontaine, Sie kommen nach mir dran. Sie kön-
nen jetzt einmal den Mund halten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/ CSU: Das soll auch für später gelten!)


Die Liberalen versuchen, uns vor den Auswüchsen des
Arbeitskampfs zu schützen. Das ist zwar gut gemeint,
aber überflüssig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der FDP)


Unsere lieben Kollegen auf der linken Seite versu-
chen, Problemen von heute mit Mitteln von 1969 gerecht
zu werden. Sie stellen die Gewerkschaften als bemitlei-
denswerte Opfer des § 146 SGB III dar und ignorieren
völlig, dass es dabei nie darum ging, das Gleichgewicht
zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften im
Arbeitskampf zu verändern. Die 1986 beschlossene
Neuregelung des früheren § 116 AFG sollte die neutrale
Rolle des Staates und der Bundesagentur für Arbeit im
Arbeitskampf sichern – nicht mehr und nicht weniger.

Ihr Hinweis auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil
von 1995, das den Gesetzgeber auffordert, die Tarifau-
tonomie bei ungleicher Kampfstärke der Tarifvertrags-
parteien zu schützen, läuft somit ins Leere. Die Tarifau-
tonomie wäre gerade dann bedroht, wenn der Staat hier
nicht zur Neutralität verpflichtet wäre. Aus diesem
Grund erhalten auch nur die Leistungen, die am Arbeits-
kampf beteiligt sind, also die Streikenden. Das gilt auch
für diejenigen, welche die gleichen Forderungen erheben
und vom Ergebnis des Arbeitskampfs profitieren, aber
nicht selbst streiken. Wenn im mittelbar betroffenen Ge-
biet dieselben Ziele verfolgt werden, dann ruhen die An-
sprüche nach der Neutralitätsordnung. Es kann nicht
sein, dass eine Gewerkschaft mit zwei Gruppen ein und
dasselbe Ziel verfolgt, mit einer Gruppe, die sie streiken
lässt, und mit einer anderen Gruppe, die sie sich von der
Bundesagentur bezahlen lässt. Wir wollen, dürfen und
können Stellvertreterstreiks nicht finanziell unterstüt-
zen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)


Die Gewährung von Kurzarbeitergeld an so genannte
kalt Ausgesperrte verstößt grundsätzlich gegen die Neu-
tralität der Bundesagentur, deren Mittel von Arbeitneh-
mern und Arbeitgebern gemeinsam aufgebracht werden.
Die Solidarität der mittelbar betroffenen Arbeitnehmer
mit den aktiv Streikenden würde gestärkt, der Arbeits-
kampf würde so einseitig beeinflusst. Würden wir den
Tarifpartnern ermöglichen, jedes Arbeitskampfrisiko auf
die Bundesagentur abzuwälzen, dann würden sie auch
bestimmen, wann wir die Beiträge erhöhen müssten.

Wenn die Linksfraktion behauptet, die Streikkassen
wären innerhalb weniger Tage leer, wenn sie an „kalt
ausgesperrte“ Mitglieder zahlen müssten, dann sollte sie
auch Folgendes bedenken: Die Arbeitslosenversiche-
rung kann, wie jede Schadensversicherung, ein entspre-
chendes Arbeitskampfrisiko schon deshalb nicht tragen,
weil ihre Mittel ebenfalls bei einem Schwerpunktstreik
innerhalb weniger Monate erschöpft wären. Am Ende
stünden höhere Lohnnebenkosten, teurere Arbeit und
weniger Jobs. Unser Ziel, die Beiträge zur Arbeitslosen-
versicherung von 6,5 Prozent auf 4,5 Prozent über die
Mehrwertsteuererhöhung zu senken, könnten wir so
dank tätiger Mithilfe unserer Opposition nie erreichen.

Zu den aktuellen Zahlen. Sie haben es heute Morgen
sicherlich vernommen: Wir haben derzeit 383 000 Ar-
beitslose weniger als im Vorjahreszeitraum.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Ich finde, diese Zahl verdient durchaus Beifall, auch
von der Linkspartei. – Wir haben 49 000 Erwerbstätige
mehr als im Vorjahreszeitraum. Wir haben 4 000 sozial-
versicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse mehr. Das
ist der erste Monat mit einem saisonbereinigten Zuwachs
in dieser Höhe.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: 4 000! Schämt euch!)


Es ist, wie an diesem Pult bereits mehrfach ausge-
führt, eine Schwalbe, die noch keinen Sommer macht;
aber es ist eine zarte Pflanze am Arbeitsmarkt. Wir sind
angetreten mit dem Motto: Sozial ist, was Arbeit schafft.
Der beginnende Aufschwung am Arbeitsmarkt würde






(A) (C)



(B) (D)


Paul Lehrieder
durch die nunmehr auch von der Linkspartei geforderte
Gesetzesänderung konterkariert. Ich möchte sagen: Wir
können uns diesen beginnenden Aufschwung nicht
durch arbeitsmarktpolitische Brandstifter zerstören las-
sen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Eine allgemeine Subvention von Arbeitskämpfen und
ihre Folgen würden die Gewerkschaften zu Quasistaats-
apparaten machen. Das kann aber niemand wollen, der
es mit freien Gewerkschaften ernst meint. Ich sehe den
Kollegen Lafontaine; weiter hinten sitzt der Kollege
Ernst. Der Staat würde zum Mitbestimmer. Wer für die
Folgen eintreten müsste, würde auch über die Ursachen
mitreden wollen.

Die Neutralität der Bundesagentur ist wichtig für
die Tarifautonomie, damit die Beschäftigten sich nicht in
einer Lage wiederfinden, in der ihre Arbeitskämpfe fort-
dauernd von Gerichtsverfahren begleitet werden; sonst
wären sie in der Gefahr, dass Leistungen unter Vorbehalt
ausgezahlt werden mit dem Risiko der Rückzahlung.
Genau dieses Risiko wird durch § 146 SGB III einge-
dämmt.

Im Gesetzentwurf der Linkspartei heißt es:

§ 146 SGB III verhindert daher die Chancengleich-
heit der Tarifvertragspartner und behindert so die
Gewerkschaften, an einer sinnvollen Organisation
des Arbeitslebens mitzuwirken.

Dabei wird das bestehende Druckpotenzial der Gewerk-
schaften völlig unterschlagen. Ein Rückfall in die Rege-
lung von 1969 trägt den wirtschaftlichen und gesell-
schaftlichen Veränderungen der heutigen Zeit nicht
Rechnung. Sie geben auch keine Antwort auf die Frage,
wie unter den aktuellen Bedingungen der Arbeitskampf
am Leben erhalten werden kann, ohne dass er zum Ver-
nichtungskampf wird.

Der Antrag der Linkspartei lässt die selbst ernannten
Verteidiger der Arbeiterklasse leider traurig aussehen.
Die Frage, ob Ihnen Arbeitnehmerinteressen und Tarif-
autonomie wirklich am Herzen liegen, beantworten Sie
mit Ihrem Gesetzentwurf und der heutigen Aktuellen
Stunde dagegen mit einem klaren und deutlichen Nein.

Nicht viel besser geht es aber auch unseren Freunden,
den Liberalen.


(Zuruf von der FDP)


– Ja, jetzt komme ich zu euch. – Während die Linkspar-
tei auf neue Freunde im Gewerkschaftslager schielt, will
die FDP genau die am liebsten an die Leine legen. Ihre
Sorge um das Gemeinwohl ist so ehrenhaft wie schwam-
mig. Ihr Antrag stellt allerdings ebenfalls die Tarifauto-
nomie infrage. Wer entscheidet denn, wann Streikmaß-
nahmen eine Gefahr für verfassungsrechtlich geschützte
Rechtsgüter darstellen? Wer sind denn die „zuständigen
Stellen“, die bei Arbeitskämpfen Maßnahmen zu ergrei-
fen haben, um die Notfallversorgung der Bevölkerung
sicherzustellen? Hier wird doch nach mehr Staat geru-
fen. Ihr liberales Selbstverständnis, meine lieben Kolle-
ginnen und Kollegen, scheint nicht sehr tragfähig zu
sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie verkennen zudem, dass wir in den Landesstraf-
und Verordnungsgesetzen bereits Regelungen haben, die
die öffentliche Sicherheit und Ordnung auch im Falle
eines Streiks ausreichend aufrechterhalten. Auch frühere
Arbeitskämpfe haben sicherlich Unannehmlichkeiten für
die Bevölkerung mit sich gebracht. Sie konnten aber
letztendlich beigelegt werden, ohne dass ein über die ge-
genwärtigen Regelungen hinausgehendes Eingreifen des
Staates nötig oder die innere Sicherheit in Gefahr gewe-
sen wäre. Vor permanenten Streiks, wie sie in anderen
Ländern häufig stattfinden, hat uns nicht zuletzt auch die
Tarifautonomie bewahrt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Läuft die Uhr jetzt rückwärts?)


– Ich habe noch zwei Minuten und 40 Sekunden; aber
ich werde eine Minute verschenken. – Eine Art Not-
standsgesetzgebung für Arbeitskämpfe kann doch ernst-
haft niemand wollen.

Auch der Streik im öffentlichen Dienst zu Beginn die-
ses Jahres hat gezeigt: Bevor ein Arbeitskampf die in-
nere Sicherheit ernsthaft gefährden kann, gilt: Letztlich
entscheiden der immer vorhandene Wunsch nach einer
praktikablen Lösung und nicht zuletzt die Geduld der
Menschen über seine Länge.

Ich habe noch zwei Minuten und 18 Sekunden. Die
schenke ich dem Plenum, weil zu Beginn meiner Rede
die Uhr nicht richtig lief und ich etwas mehr Zeit be-
kommen habe, als mir zustand.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604323300

Dann wären wir, jedenfalls theoretisch, bei einer

Schlusszeit von etwa 4.28 Uhr.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weiter so!)


Ich gebe das Wort dem Kollegen Oskar Lafontaine,
Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Oskar Lafontaine (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604323400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Wenn es noch Zweifel daran gab, ob es richtig
war, diesen Punkt auf die Tagesordnung zu setzen, sind
sie ausgeräumt; denn die bisherige Debatte hat gezeigt,
dass es notwendig war.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Vorredner haben versäumt, auch nur mit einem
Wort zu erwähnen, worum es überhaupt geht. Es geht






(A) (C)



(B) (D)


Oskar Lafontaine
weder um die Linkspartei noch um die FDP. Es geht
auch nicht um das Streikrecht der Gewerkschaften. Es
geht noch nicht einmal um die Gewerkschaften. Es geht
einzig und allein um die Frage, warum wir in Deutsch-
land eine solch miserable Lohnentwicklung haben und
warum der Satz „Leistung soll sich wieder lohnen“ in
Deutschland keine Geltung mehr hat.


(Beifall bei der LINKEN)


Über diese Frage reden wir heute.

Dass Ihnen entgangen ist, dass wir in Deutschland
eine Lohnentwicklung haben, die unter allen Industrie-
staaten beispiellos ist, zeigt wirklich exemplarisch, wie
abgehoben Sie mittlerweile sind.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Wissen Sie, zu was Sie reden?)


Während in den anderen Industriestaaten Wachstum
und Beschäftigung einigermaßen in Ordnung sind, wäh-
rend beispielsweise in den letzten Jahren in den Verei-
nigten Staaten, der Hochburg des Kapitalismus, eine
Reallohnentwicklung von plus 20 Prozent zu verzeich-
nen war, während es in Großbritannien, das uns immer
wieder als Beispiel vorgehalten wird, eine Reallohnent-
wicklung von plus 25 Prozent gab – so ebenfalls in Schwe-
den –, hatten wir in Deutschland ein Minus von
0,9 Prozent.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Es geht doch um Arbeitskampf!)


Da reden Sie hier von der grundgesetzlich garantierten
Tarifautonomie und von einer Waffengleichheit. Wenn
die Arbeitnehmer am wachsenden Wohlstand nicht mehr
beteiligt werden, dann ist Waffengleichheit in diesem
Land längst nicht mehr gegeben.


(Beifall bei der LINKEN)


Es wäre schön gewesen, wenn die SPD das irgendwie
mitbekommen hätte.

Nun ist die Frage: Was kann man vonseiten der Poli-
tik machen? Natürlich haben wir nicht die direkte Zu-
ständigkeit in Fragen der Tarifautonomie. Aber es ist
doch überhaupt keine Frage, dass die Gewerkschaften in
diesem Land mit dem Rücken an der Wand stehen und
auch durch Gesetze dieses Hohen Hauses erheblich ge-
schwächt worden sind. Wenn man die Gewerkschaften
schwächen will, muss man eine neoliberale Wirtschafts-
und Finanzpolitik machen, um die Arbeitslosigkeit kräf-
tig zu steigern. Darin waren Sie, und zwar Sie alle, in
den letzten Jahren sehr erfolgreich, was für die Bevölke-
rung äußerst bedauerlich ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn man die Gewerkschaften schwächen will, dann
muss man Gesetze wie Hartz IV verabschieden, die dazu
führen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
in den Betrieben Angst haben, dann, wenn sie arbeitslos
werden, nach einem Jahr auf Hartz IV zurückzufallen.
Das schwächt die Widerstandskraft dieser Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer in den Betrieben.


(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb darf man nicht stolz darauf sein, verehrte Frau
Kollegin, dass die Zahl der Streiktage hier so gering ist,
während sie in allen anderen Ländern, wo die Löhne
auch viel stärker wachsen, wesentlich höher ist.

Wenn man in diesem Land wirklich etwas bewirken
will, was Wachstum und Beschäftigung angeht, dann
muss man zumindest die Bedeutung der Lohnentwick-
lung für Wachstum und Beschäftigung und für unsere
Volkswirtschaft wieder entdecken. Es ist wirklich aben-
teuerlich, dass diejenigen, die hier bisher für die Frak-
tionen argumentiert haben, die Bedeutung der Lohn-
entwicklung für Wachstum und Beschäftigung völlig
ausgeblendet haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Damit sind wir einmalig unter allen Industriestaaten in
der Welt.

Die Sprecherin der SPD hat uns Populismus vorge-
worfen; darauf möchte ich eingehen. Natürlich hatten
wir eine Absicht, als wir diesen Gesetzentwurf vorgelegt
haben,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Na ja!)


die Absicht nämlich, Ihnen, verehrte Kolleginnen und
Kollegen der SPD, wieder in Erinnerung zu rufen, dass
die Forderung nach einer Änderung dieses Paragrafen
Zentrum vieler Wahlkämpfe der Sozialdemokratischen
Partei Deutschlands war.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie sollten sich schämen, dass Sie dies vergessen haben.


(Anette Kramme [SPD]: Immer diese persönliche Betroffenheit!)


Als wir 1998 eine Zustimmung von über 40 Prozent
der Wählerinnen und Wähler erreicht haben, war es noch
so, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie
ihre Vertreterinnen und Vertreter Vertrauen in die Sozial-
demokratische Partei Deutschlands hatten. Die Argu-
mentation heute hat gezeigt, dass Sie dieses Vertrauen
auf klägliche Art und Weise verspielt haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich darf Sie daran erinnern, dass Sie heute wiederum
einen Kompromiss mit Ihrem Koalitionspartner ge-
schlossen haben, mit dem Sie noch viel Freude haben
werden. Ich bewundere das strategische politische Ge-
nie, das bei der SPD mittlerweile eingezogen ist. Sie
haben heute die Verbandsklage aus dem Antidiskrimi-
nierungsgesetz wieder mehr oder weniger herausge-
nommen. Das war wiederum ein Kompromiss zulasten
der Gewerkschaften. Das ist wirklich eine enorme Fehl-
entwicklung, wie ich hier einmal feststellen möchte.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir fassen zusammen, meine sehr geehrten Damen
und Herren:


(Zurufe von der CDU/CSU: „Wir“?)


Sie werden es irgendwann noch feststellen, dass Ihr Fei-
xen und Grinsen angesichts der Tatsache, dass in diesem






(A) (C)



(B) (D)


Oskar Lafontaine
Lande die Lohnentwicklung immer weiter zurückfällt
und die Arbeitnehmerschaft immer weniger am wach-
senden Wohlstand beteiligt wird, völlig deplatziert sind.
Dieses Parlament wäre aufgrund des Urteils des Bundes-
verfassungsgerichts verpflichtet, die Gewerkschaften in
diesem Lande wieder zu stärken.


(Anhaltender lebhafter Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der FDP: Aufstehen! – Zurufe von der SPD: Aufhören!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604323500

Das Wort hat Brigitte Pothmer für Bündnis 90/Die

Grünen.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604323600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr

Wolff, Herr Lafontaine, die von Ihnen vorgelegten An-
träge und vor allen Dingen das, was Sie heute hier in Ih-
ren Reden präsentiert haben, kann man, wie ich glaube,
sozusagen als Koalition der Billigen bezeichnen: billig
in der Form und billig im Inhalt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Das ist aber auch billig!)


Die einen halten die Gewerkschaften für stark und wol-
len sie weiter stärken, die anderen halten die Gewerk-
schaften für schwach und wollen sie weiter schwächen.
Eine solche Politik, wie sie in Ihren Anträgen zum Aus-
druck kommt, trägt allerdings keineswegs zur Steige-
rung der Seriosität von Politik bei.

Herr Lafontaine, Sie beschreiben die Lohnentwick-
lung in Deutschland. Ich möchte Sie daran erinnern,
dass die Neuregelung des Streikparagrafen 20 Jahre zu-
rückliegt. In dieser Zeit verlief die Lohnentwicklung in
Deutschland zunächst nicht so, wie Sie sie beschrieben
haben. Indem Sie den Eindruck erwecken, dass die Än-
derung dieses Paragrafen zu der ungünstigen Lohnent-
wicklung geführt habe, zeigen Sie nur, welch schlichte
und einfache Weltsicht Sie haben, meine Damen und
Herren von den Linken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie können hier ruhig behaupten, bei Ihrem Gesetz-
entwurf gehe es nicht um die Linkspartei. Ich sage nur:
In diesem Entwurf geht es nur um die Linkspartei.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Lachen bei der LINKEN – Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/ CSU]: Bisher war es erstaunlich gut, Frau Pothmer!)


Ich möchte noch etwas anderes in Erinnerung rufen,
nachdem Sie hier im Grunde schon den Niedergang der
Gewerkschaften beschworen haben. Ihren Gesetzent-
wurf, in dem Sie behaupten, es gebe eine entscheidende
Schwächung der Gewerkschaften, haben Sie einge-
bracht, während die Metalltarifrunde lief. Herausgekom-
men ist dabei jedoch ein Plus von 3 Prozent,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


herausgekommen ist ein Qualifizierungsvertrag, heraus-
gekommen sind eine Menge positiver Entwicklungen.


(Zurufe von der LINKEN: Was denn?)


Eine Gewerkschaft, die gar nichts mehr im Rücken hat,
hätte so etwas sicher nicht durchgesetzt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun etwas
zum FDP-Antrag sagen. Dieser ist doch irgendwie ab-
surd. Hier wird so getan, als ob Streiks im öffentlichen
Dienst Seuchen, Notstandsszenarien und anderes – was
auch immer Sie sich ausdenken – hervorriefen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wenn Sie die Müllberge in Baden-Württemberg gesehen hätten!)


Also Hysterie auf der linken, Marktradikalismus auf der
rechten Seite. Ich glaube, vor diesem Hintergrund ist es
gut, dass wir Grünen jedenfalls beiden Anträgen nicht
zustimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie, Herr Lafontaine, unterstellen eine strukturelle
Benachteiligung der Gewerkschaften. Ich finde, darüber
muss man tatsächlich einmal reden.


(Zurufe von der LINKEN: Aha!)


– Ja, das finde ich. – Wenn Sie aber hier den Eindruck
erwecken, dies sei mit einer Änderung des § 146 zu be-
heben, dann kann ich nicht umhin, Ihnen Populismus
vorzuwerfen. Wenn wir den § 146 wieder ändern, dann
stärken wir ein Stück weit die Bereiche, in denen die Ge-
werkschaften schon stark sind, also da, wo sie in Bran-
chen tätig sind, die hochgradig vernetzt sind. Aber für
die Bereiche, wo die Gewerkschaften schwach sind, zum
Beispiel bei den in der Gastronomie tätigen Frauen, die
kaum organisiert sind, tun Sie gar nichts. Genau das
werfe ich Ihnen vor.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie tragen den Interessenkonflikt in eine Behörde, in
die Bundesagentur für Arbeit. Dort treffen dann das Ar-
beitgeber- und das Arbeitnehmerlager aufeinander. Auf
eine solche Weise lässt sich meiner Meinung nach keine
vernünftige Politik machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Schluss.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben 4 Millionen Arbeitslose, wir haben 2 Millio-
nen Langzeitarbeitslose. Die Koalition streitet sich,






(A) (C)



(B) (D)


Brigitte Pothmer
macht nichts in der Arbeitsmarktpolitik. Mindestlohn,
Kombilohn – die einen wollen dies, die anderen das.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Sie haben so gut angefangen!)


Es lohnt sich, sich damit auseinander zu setzen. Das ist
unsere Aufgabe. Diese Art von populistischen Anträgen
bringt uns nicht weiter.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Zurufe von der LINKEN: La Ola! La Ola!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604323700

Ich habe schon befürchtet, dass gleich La-Ola-Wellen

angestimmt werden. Bevor das geschieht, kommen wir
aber zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Frak-
tion Die Linke zur Änderung des Dritten Buches Sozial-
gesetzbuch auf Drucksache 16/856. Der Ausschuss für
Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1208, den Ge-
setzentwurf abzulehnen. Die Fraktion Die Linke ver-
langt namentliche Abstimmung. Ich weise darauf hin,
dass wir jetzt über den Gesetzentwurf abstimmen.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen be-
setzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstim-
mung.

Haben jetzt alle abgestimmt? – Ich gehe davon aus,
dass kein anwesender Kollege noch nicht abgestimmt
hat, und schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später be-
kannt gegeben.

Wir setzen die Abstimmungen fort.

Tagesordnungspunkt 9 b: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Arbeit und Soziales, Drucksache 16/1208,
zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „In-
nere Sicherheit durch Regelungen zum Arbeitskampf-
recht gewährleisten“. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung, den Antrag
auf Drucksache 16/953 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Ich bin mir nicht ganz sicher, wie die Frak-
tion des Bündnisses 90/Die Grünen abgestimmt hat. –
Ablehnend. Damit ist die Beschlussempfehlung mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der gesamten
Opposition angenommen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b
auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Laurenz Meyer (Hamm), Veronika Bell-
mann, Klaus Brähmig, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge-
ordneten Dr. Rainer Wend, Doris Barnett, Klaus
Barthel, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemm-
nisse insbesondere in der mittelständischen
Wirtschaft

– Drucksache 16/1407 –

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemm-
nisse insbesondere in der mittelständischen
Wirtschaft

– Drucksachen 16/1853, 16/1970 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie

(9. Ausschuss)


– Drucksache 16/2017 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Rainer Wend

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Martin Zeil, Rainer Brüderle, Paul K.
Friedhoff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP

Statistikpflichten zurückführen – Bürokratie-
kosten senken

– Drucksachen 16/1167, 16/2017 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Rainer Wend

Zur dritten Beratung des Gesetzentwurfes liegen je
ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP sowie
der Fraktion Die Linke vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Dazu sehe
ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Zuerst hat der Kollege
Laurenz Meyer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Laurenz Meyer (CDU):
Rede ID: ID1604323800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sind

uns untereinander alle darüber im Klaren, dass der
Hauptteil der Bürokratiekosten in der Wirtschaft vom
Mittelstand zu tragen ist. Das liegt schon an der Struktur
der mittelständischen Unternehmen. Von den Bürokra-
tieanforderungen sind dann ausgerechnet immer diejeni-
gen betroffen, die eigentlich den Betrieb tragen sollen.


(Martin Zeil [FDP]: So ist es!)


Das ist eine zusätzliche Erschwernis, auf die wir ein be-
sonderes Augenmerk haben sollten, wenn wir auch in
den kommenden Monaten weiter über Bürokratieabbau
reden.

Bürokratie belastet Investitionen, Arbeitsplätze, Wirt-
schaftswachstum. Durch Bürokratieabbau können alle
nur gewinnen. Wenn durch Bürokratieabbau auch






(A) (C)



(B) (D)


Laurenz Meyer (Hamm)

20 Milliarden Euro Kosten abgebaut werden können,
dann bedeutet das zusätzliche Steuereinnahmen für den
Staat. Wir sollten uns freuen, wenn wir hier Erfolge er-
zielen können.

Wir haben vor vier Wochen hier den Normenkon-
trollrat und das Standardkostenmodell beschlossen. Der
Normenkontrollrat wird zeitnah eingesetzt und zügig mit
der Arbeit beginnen. Die Vorbereitungen sind in vollem
Gange. Nun wollen wir erste konkrete Maßnahmen be-
schließen, die Ihnen heute mit dem Gesetzentwurf vor-
liegen. Sie sollen rechtzeitig zum Sommer in Kraft tre-
ten.

Zu diesen Maßnahmen gehört zum Beispiel eine maß-
volle Anhebung des Beschäftigungsschwellenwertes bei
der Bestellung von Datenschutzbeauftragten. Schon die-
ser Punkt zeigt, mit welchen Problemen und Diskussio-
nen wir uns zu beschäftigen haben; denn selbst für
Kleinbetriebe werden hier beispielsweise europarechtli-
che Fragen aufgeworfen. Wir müssen dieses Problem an
der Wurzel anpacken und auch einen begrenzten Kon-
flikt mit Brüssel wagen; wir müssen als Parlament deut-
lich machen, dass wir nicht gewillt sind, von Brüssel re-
geln zu lassen, welche Statistiken Betriebe mit zehn oder
20 Beschäftigten in Deutschland abzugeben haben


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


oder ob wir bestimmte Bewegungen per Umfragen er-
mitteln.

Ich nenne einmal, was wir jetzt beschlossen haben:
Aussetzung der Gehalts- und Lohnstrukturerhebung in
2007, die Anhebung der Buchführungspflichtgrenze und
Ausweitung der Kleinbetragsrechnung im Umsatzsteuer-
recht.

Ich will auf die gute Zusammenarbeit mit dem Ar-
beits- und Sozialministerium verweisen und einen Punkt
besonders hervorheben. Wenn wir schon die vorgezoge-
nen Zahlungen für die Sozialversicherungsbeiträge aus
finanziellen Gründen nicht haben rückgängig machen
können, so sollten wir wenigstens das Verfahren so un-
bürokratisch wie eben möglich machen, indem die Bei-
träge pauschal auf der Basis der Zahlungen des Vormo-
nats gezahlt werden.

Die Bertelsmann-Stiftung hat die Auswirkungen die-
ses Bürokratieproblems einmal exemplarisch durchge-
rechnet. Die Ergebnisse liegen uns vor. Bitte hören Sie
einmal genau zu: Die Bürokratie, die mit diesem Vor-
gang verbunden ist, kostet die deutsche Wirtschaft
800 Millionen Euro zusätzlich. Gott sei Dank kann diese
Bürokratie beseitigt werden. Herr Berninger, da Sie
gleich wahrscheinlich behaupten, es gehe alles nicht
weit genug, will ich Ihnen sagen, dass man daran sehen
kann, welchen Quatsch Sie damals beschlossen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Deswegen sollten Sie sich in der kommenden Diskus-
sion nicht zu weit vorwagen, sondern konstruktiv an
dem mitarbeiten, was wir uns gemeinsam vorgenommen
haben. Ich fordere alle auf, bei der Erstellung von Vor-
schlägen mitzuarbeiten. Wir werden alle Vorschläge da-
rauf abklopfen, ob sie umsetzbar sind.

Wir wollen zum Herbst das Mittelstandsentlas-
tungsgesetz in einer zweiten Stufe weiterentwickeln.
Meine dringende Bitte an die Ministerien ist, dass hier
konstruktiv mitgearbeitet wird. Die bisherigen Stellung-
nahmen sind einfach nicht ausreichend.


(Martin Zeil [FDP]: Hört! Hört!)


Es darf nicht bei dem Satz bleiben, es gebe europarecht-
liche Bedenken. Denn die Kollegen im Europaparlament
sagen uns, dass dies nicht der Fall ist. Wir müssen die of-
fenen Fragen rechtzeitig klären. Die Punkte liegen auf
dem Tisch. Ich bitte alle Beteiligten, die strittigen Fragen
jetzt zu klären.

Wir müssen alle gemeinsam in Europa vorstellig wer-
den, um die Dinge zu ändern. Wenn wir es jetzt nicht
schaffen, dann müssen wir eben, wie Frau Merkel dies
angekündigt hat, den Bürokratieabbau zum Schwer-
punktthema ihrer Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr
2007 machen.

Wir haben aus diesen Gründen jetzt zum Beispiel
nicht beschließen können – wir wollen das aber in einem
zweiten Schritt unbedingt tun und werden uns da zur Not
auf diesen begrenzten Konflikt einlassen, wie ich es vor-
hin schon gesagt habe –, dass Existenzgründer in den
ersten drei Jahren von der Pflicht zur Erstellung von Sta-
tistiken freigestellt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christian Lange [Backnang] [SPD])


Es kann nicht sein, dass einem solchen Vorhaben euro-
päische Vorschriften entgegenstehen. Wir sollten einem
solchen Konflikt im Interesse der deutschen Bevölke-
rung nicht aus dem Weg gehen und gemeinsam nach Lö-
sungen suchen.

Im Übrigen gilt: In jedem anderen Bereich der Repu-
blik erfolgt die Datenermittlung über Stichprobenerhe-
bungen, Meinungsbefragungen usw. Warum kann man
nicht bei Unternehmen bis zu 50 Beschäftigten alle be-
nötigten Statistiken weitestgehend auf diese Weise er-
stellen? Damit müssen sich kleinere Betriebe nicht quä-
len.

Auf der anderen Seite gilt: Wenn die Betriebe die Er-
stellung dieser Statistiken nicht ernst nehmen – was ich
höre, deutet eher darauf hin –, dann führt dies zu einem
unbrauchbaren Datenbestand. Viele Betriebe wollen
dazu übergehen, an Stelle des Chefs, der dafür seine
kostbare Zeit nicht opfern will, irgendeinen Mitarbeiter,
der irgendetwas aufschreibt, mit dieser Aufgabe zu be-
trauen. Wenn das so ist, dann ist die Statistik nicht aussa-
gekräftig und wird auch nicht gebraucht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen sollten wir hier wirklich mit dem Rasenmäher
herangehen und den Normenkontrollrat bei seiner Arbeit
tatkräftig unterstützen.






(A) (C)



(B) (D)


Laurenz Meyer (Hamm)


DIE LINKE Petra Pau Antje Blumenthal Josef Göppel
Hüseyin-Kenan Aydin
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dagdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Inge Höger-Neuling
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte
Katrin Kunert

Elke Reinke
Paul Schäfer (Köln)

Volker Schneider


(Saarbrücken)

Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

fraktionslos

Gert Winkelmeier

Nein

CDU/CSU

Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer (Lübeck)

Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)


Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr zu

Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Bodo Ramelow Jochen Borchert Peter Götz
Mit Blick auf das zweite
setz möchte ich schon jetzt s
bar an der Arbeit bleiben. E
punkt sein, sondern nur einen
Der Bürokratieabbau, diese M
stand in Deutschland sind e
Legislaturperiode. Wir müsse
chen, das Geflecht der Bürok

Ich will darüber hinaus auf
tionsvereinbarung hinweisen
rung zwischen SPD und CDU
den neuen Ländern Mögli
von gesetzlichen Bestimmun
wollen. Auch das kann zusätz
dieses Geflecht zu durchkreu

Wir haben jetzt erlebt, da
amte, die mit diesen Themen
den ersten Maßnahmen, die
Wehr setzen. Das wird ein s
ren auch, dass selbst bei M
Bauindustrie bzw. das Baug
Erstes der Zentralverband de

Endgültiges Ergebnis
Abgegebenen Stimmen: 551;
davon

ja: 52
nein: 498
enthalten: 1

Ja
Mittelstandsentlastungsge-
agen: Wir sollten unmittel-
s sollte auch kein Schluss-
weiteren Schritt darstellen.

aßnahmen für den Mittel-
ine Aufgabe für die ganze
n Schritt um Schritt versu-
ratie auseinander zu reißen.

einen Punkt aus der Koali-
. In der Koalitionsvereinba-

/CSU steht auch, dass wir
chkeiten der Abweichung
gen des Bundes gewähren
lich ein guter Weg sein, um
zen.

ss sich Betroffene und Be-
beschäftigt sind, selbst bei
wir getroffen haben, zur

chwieriger Kampf. Wir hö-
aßnahmen, die wir für die
ewerbe treffen wollen, als
s Deutschen Baugewerbes

Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothee Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
seine Bedenken vorträgt. Wi
und Ingenieure, wenn in der
gen vorgenommen werden
spruch einlegen.

Gegen die Mentalität in De
les einen Stempel haben will,
ten, müssen wir gemeinsam
ten. Ich wünsche uns bei die
erste Mittelstandsentlastungs
kein Ende dieser Arbeit.


(Beifall bei der CDU/CS neten de Vizepräsidentin Katrin G Liebe Kolleginnen und K den Schriftführerinnen und Ergebnis der namentlichen setzentwurf der Fraktion Di Dritten Buches Sozialgesetzb Stimmen 551. Mit Ja haben mit Nein haben gestimmt 49 Enthaltung. Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Carl-Eduard von Bismarck Peter Bleser r wissen, dass Architekten Bauordnung Vereinfachunsollen, entsprechend Ein utschland, dass man für al ehe man anfängt, zu arbeiin diesem Parlament antreser Arbeit viel Erfolg. Das gesetz ist ein Beginn, aber U sowie bei Abgeordr SPD)


(Reutlingen)


öring-Eckardt:
ollegen, ich gebe das von
Schriftführern ermittelte
Abstimmung über den Ge-
e Linke zur Änderung des
uch bekannt: Abgegebene
gestimmt 52 Abgeordnete,

8 Abgeordnete. Es gab eine

Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler (Wiesbaden)

Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich

Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer (Altötting)

Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer (Hamm)

Maria Michalk
Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Bernward Müller (Gera)

Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann (Bremen)

Henry Nitzsche
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht (Weiden)

Peter Rzepka
Anita Schäfer (Saalstadt)

Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Ingo Schmitt (Berlin)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr (Neuruppin)

Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding (Heidelberg)

Volker Blumentritt
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Nina Hauer
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Gerd Höfer
Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Brunhilde Irber
Johannes Jung (Karlsruhe)

Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel (Berlin)

Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller (Chemnitz)

Michael Müller (Düsseldorf)

Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche (Cottbus)

Maik Reichel
Gerold Reichenbach






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt

Olaf Scholz
Reinhard Schultz

Uta Zapf Gisela Piltz Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h.c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen

Zugleich möchte ich mich
ren. Ich habe beim Tagesordn
weise gesagt, die Fraktion
Beschlussempfehlung betreff
stimmt. Sie hat ihr aber zuges

Ich gebe jetzt das Wort d
FDP-Fraktion.


(Beifall bei Sehr geehrte Frau Präsiden Kollegen! Der Mittelstand über 90 Prozent aller Untern aller steuerpflichtigen Umsä Arbeitsplätze und bildet über aus. Die meisten Mittelständ hohem persönlichem Risiko. Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr Uwe Barth Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann für das Protokoll korrigieungspunkt 9 b fälschlicherDie Linke habe gegen die end Drucksache 16/953 getimmt. em Kollegen Martin Zeil, der FDP)

Martin Zeil (FDP):
Rede ID: ID1604323900

tin! Liebe Kolleginnen und
in Deutschland stellt weit
ehmen. Er tätigt 41 Prozent
tze, bietet 70 Prozent aller
80 Prozent aller Lehrlinge
ler handeln verlässlich mit
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Martin Zeil

BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Kerstin Andreae
Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde


(Zuruf des Abg. Reinha kel] [S – Ich weiß, dass das für eine Neues sein kann. – Sie sin wenn sie längst global agiere folg. (Beifall bei Sie unterscheiden sich dadurc men, die ständig Arbeitsplätz gern und sich gravierende Ma Kein Wunder also, dass de tagsreden fast aller Politike nimmt. In einigen Fraktionen vereinigungen und mittelsta müsste sich der deutsche Mi gehoben, gehegt und gepfleg Winfried Nachtwei Brigitte Pothmer Claudia Roth Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Enthalten SPD Ottmar Schreiner rd Schultz [EverswinPD])


n Sozialdemokraten etwas
d heimatverbunden, auch

n – und das mit großem Er-

der FDP)

h von vielen Großunterneh-
e abbauen, Standorte verla-
nagementfehler leisten.

r Mittelstand in den Sonn-
r einen großen Raum ein-
gibt es sogar Mittelstands-
ndspolitische Sprecher. So
ttelstand eigentlich gut auf-
t fühlen.

(Everswinkel)

Manfred Zöllmer Jörg Rohde

Jerzy Montag
Dr. Carola Reimann
Christel Riemann-

Hanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Otto Schily
Silvia Schmidt (Eisleben)

Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt (Landau)

Carsten Schneider (Erfurt)


Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen


(Wiesloch)

Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Heidi Wright
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)


Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz (Herborn)

Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Renate Künast
Undine Kurth (Quedlinburg)

Markus Kurth
Monika Lazar






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(B) (D)


Martin Zeil
Doch die Befindlichkeit bei vielen Mittelständlern ist
eine ganz andere. Bei meinen Betriebsbesuchen und Ge-
sprächen treffe ich auf Unternehmer, die sich durch Ide-
enreichtum, hohe Professionalität und soziale Verant-
wortung für ihre Mitarbeiter auszeichnen. Großes
Vertrauen in die Politik und die Lippenbekenntnisse ha-
ben diese Leute aber nicht. Die meisten sagen: Wir wün-
schen uns, dass sich der Staat auf seine eigentlichen Auf-
gaben beschränkt und sich nicht immer neue Regelungen
und Belastungen ausdenkt. Sie wünschen sich zum Bei-
spiel eine Reform des Arbeitsrechts, das Hürden für Ein-
stellungen endlich abbaut, statt neue aufzubauen.

Viele gut ausgebildete junge Menschen, die wir im
Mittelstand als Nachwuchs dringend benötigen, verlas-
sen jährlich unser Land, im letzten Jahr fast eine viertel
Million. Sie tun dies, weil ihnen unser Land in seiner po-
litischen Behäbigkeit und seiner Regelungswut offen-
sichtlich keine attraktive Perspektive bietet. Diese Ent-
wicklung ist ein Besorgnis erregender Beleg für die
mangelnde Zukunftsfähigkeit unseres Landes.

Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren
von der Koalition, bleibt das so genannte Mittelstands-
entlastungsgesetz weit hinter den Notwendigkeiten zu-
rück.


(Beifall bei der FDP)


Mit den paar Regelungen – die ja nicht falsch sind – ge-
ben Sie dem Mittelstand eine Beruhigungspille, um da-
von abzulenken, dass Sie gleichzeitig neue Belastungen
und neue Bürokratie einführen, gerade heute mit der
Verabschiedung des Gleichbehandlungsgesetzes.


(Beifall bei der FDP)


Typisch ist auch die Regelung bei der Abführung der
Sozialversicherungsbeiträge. Statt, Herr Kollege
Meyer, den frechen Griff in die Liquidität der Unterneh-
men rückgängig zu machen, lassen Sie diese gravierende
Belastung stehen und machen ein bisschen Abrech-
nungsvereinfachung.


(Beifall bei der FDP – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Hätten Sie lieber die Renten gekürzt?)


Nein, die große Entfesselungsoffensive ist das nicht.

Wenn auch aus Kreisen der Koalition selbst die man-
gelnde Mitwirkung des Ministeriums gerügt wird, dann
ist das ein Armutszeugnis für dieses Ministerium. Aus
dem Tiger in der Presse, dem großen Entfesselungsge-
setz, ist ein kleines Mäuslein geworden. Ich zitiere:

Die Union verliere ihre Glaubwürdigkeit, „wenn sie
öffentlich Freiheit predigt und in der großen Koali-
tion Staatswirtschaft praktiziert.“

Das sagt immerhin Herr Schlarmann, der Vorsitzende Ih-
rer Mittelstandsvereinigung.


(Beifall bei der FDP – Hartfrid Wolff [RemsMurr] [FDP]: Recht hat er!)


Wir haben mit unserem Änderungs- und Entschlie-
ßungsantrag gezeigt – wie übrigens auch der Bundesrat
in seinen Anmerkungen –, was aus der Sicht des Mittel-
standes nötig und auch sofort umsetzbar wäre. Aber
dazu braucht es natürlich Einsicht, Kraft und auch
Kenntnis der betrieblichen Praxis. Nach einigen Mona-
ten im Deutschen Bundestag kann ich es gut nachvoll-
ziehen, wenn viele Unternehmer den Eindruck haben,
dass viele Politiker von den echten Problemen leider viel
zu wenig Ahnung haben.

Sie können von uns keine Zustimmung zu Ihrem Mit-
telstandsentlastungsgesetz erwarten. Sie werden auch
kein Vertrauen gewinnen, wenn Sie gleichzeitig neue
Belastungen durchsetzen oder ankündigen: Mehrwert-
steuer, Reichensteuer, mehr Staat in der Gesundheitspo-
litik und jetzt eine Unternehmensteuerreform, die von
der Gewinn- zur Substanzbesteuerung übergeht.

Ihre Politik ist halbherzig und widersprüchlich. Da
beklagen Sie heute in der Aktuellen Stunde die Ausbil-
dungssituation in unserem Land und haben nicht die
Kraft, ebendie Unternehmen, die ausbilden sollen, von
bürokratischen Lasten wirklich zu befreien.

Es gibt – lassen Sie mich das zum Abschluss sagen –
in diesem Hause leider viel zu viele staatsgläubige Frak-
tionen,


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Leider, leider!)


für die Bürokratieabbau ein hoheitlicher Gnadenakt und
kein Herzensanliegen ist.


(Beifall bei der FDP)


Wir Liberale sehen in einer echten Entlastung des
Mittelstands von Bürokratie und Belastungen ein Frei-
heits- und Zukunftsthema schlechthin. Wir werden nicht
locker lassen und werden darauf drängen, dass den Un-
ternehmen Verbesserungen nicht nur in Presseerklärun-
gen der Union, sondern auch im Bundesgesetzblatt end-
lich spürbar geboten werden.


(Beifall bei der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604324000

Das Wort hat der Kollege Christian Lange, SPD-Frak-

tion.


Christian Lange (SPD):
Rede ID: ID1604324100

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Lieber Kollege Zeil, ich muss fast sagen, ich bin
Ihnen dankbar ob Ihres Beitrages, weil er mir Gelegen-
heit gibt, deutlich zu machen, dass es einen Unterschied
gibt zwischen dem Bürokratieabbau auf der einen Seite
und dem Abbau materiellen Rechts auf der anderen
Seite. Ich will Ihnen ganz deutlich sagen: Genau dies ist
auch der Grund, warum es Ihnen während Ihrer Regie-
rungszeit – selbst ich als jüngerer Kollege habe 16 Jahre
Ihrer Zeit unter Helmut Kohl erlebt und auch noch ein
paar Jahre sozialliberale Zeit – nicht gelungen ist, Büro-
kratie abzubauen.

Erstmals – das ist die Chance, die diese große Koali-
tion ergriffen hat – ist es gelungen, die gegenseitige
ideologische Blockade aufzuheben, indem man deutlich
macht: Bürokratieabbau hat etwas damit zu tun, die






(A) (C)



(B) (D)


Christian Lange (Backnang)

bürokratischen Informationslasten der Unternehmen zu
reduzieren. Das ist es, worunter kleine Unternehmen in
der Tat leiden: Sie müssen Hunderte von Formularen
ausfüllen und können die Dinge nicht mehr verstehen
und nachvollziehen, weil sie – anders als die Großunter-
nehmen – keine Abteilung dafür haben. Genau das zu
ändern, ist Aufgabe von Bürokratieabbau, und nicht der
Abbau von Arbeitsrecht, Kündigungsschutz und derglei-
chen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb haben wir übrigens in Richtung Niederlande
– das will ich deutlich sagen – geschaut. In den Nieder-
landen – das sage ich auch gerichtet an die Kolleginnen
und Kollegen von der PDS – ist es gelungen, dieses Ge-
setz im Parlament einstimmig durchzusetzen. Warum?
Weil man nicht in die ideologische Sackgasse gegangen
ist, dass man eigentlich materielles Recht anspricht, es
aber mit Bürokratieabbau bemäntelt. Dieses Misstrauen
schlägt dieser Diskussion entgegen. Ich bedauere aus-
drücklich, dass Sie diese Vorurteile immer wieder belie-
fern. Ich dachte eigentlich, dass wir auf einem besseren
Weg wären. Ich bin dankbar, dass die Koalitionsfraktio-
nen diesen besseren Weg ungeachtet der Kritik, die mei-
nes Erachtens vorbeigeht, gehen.

Herr Kollege Meyer, Ihren Bemerkungen zur Janus-
köpfigkeit der Verbände stimme ich ausdrücklich zu.
Wir erleben in der Tat immer wieder, insbesondere auf
europäischer Ebene, dass auf der einen Seite Entbüro-
kratisierung gepredigt und auf der anderen Seite ein
Mehr an Bürokratie verlangt wird. Wir erleben das in
vielfältigen Zusammenhängen bei den Verbänden in
unserem Land, aber auch hinsichtlich der Anforderun-
gen der Europäischen Union an uns. Deshalb ist es rich-
tig, dass wir in einem ersten Schritt – das ich sage aus-
drücklich – Statistik-, Nachweis-, Dokumentations- und
Buchführungspflichten reduzieren, Planungs- und Ge-
nehmigungsverfahren vereinfachen und beschleunigen,
Doppel- und Mehrfachprüfungen abbauen, Schwellen-
werte vereinheitlichen, die Verpflichtung von Betrieben
zur Bestellung von Beauftragten begrenzen sowie die
begonnene Vereinfachung der betriebsärztlichen und si-
cherheitstechnischen Betreuung von Kleinbetrieben fort-
führen.

Wie erfolgreich Bürokratieabbau sein kann, zeigt in
der Tat das jüngste Beispiel des Arbeits- und Sozialmi-
nisters Müntefering. Erstmals wurde, ohne dass das Ge-
setz zu diesem Zeitpunkt schon in Kraft war, das so ge-
nannte Standardkostenmodell eingesetzt, mit dem
ermittelt wird, in welcher Höhe Kosten für den Mittel-
stand entstehen, wenn eine gesetzliche Neuregelung zur
Anwendung kommt. Ich will diesen Fall ein bisschen
ausführen, weil er deutlich macht, wie absurd die Kritik
der FDP ist. In diesem speziellen Fall geht es um die
Vorverlegung der Fälligkeit von Sozialversicherungs-
beiträgen, die seit Anfang dieses Jahres in Kraft ist.
Viele Kolleginnen und Kollegen können aufgrund der
Erfahrungen in ihren Wahlkreisen die Kritik der Hand-
werker, der kleinen und mittleren Unternehmer sicher
gut nachvollziehen und haben sie noch voll im Ohr.
Diese Regelung war von Anfang an heiß umstritten und
wurde heftig kritisiert. Aber sie schien im Grunde unaus-
weichlich, um einen drohenden Beitragssatzanstieg in
der Rentenversicherung zu vermeiden. Deshalb haben
die heutigen Koalitionsfraktionen – die CDU/CSU war
damals noch in der Opposition – zugestimmt.

Seit der Vorverlegung der Beitragsfälligkeit zu
Beginn dieses Jahres sind Unternehmen verpflichtet,
Beitragsnachweise mehrere Tage vor Monatsende zu
melden. Da insbesondere in den Branchen mit schwan-
kenden Bezügen und Bezahlung auf Stundenlohnbasis,
beispielsweise in der Gastronomie oder im Baugewerbe,
der endgültige Lohn vor dem Monatsende noch nicht
feststeht, müssen viele Betriebe regelmäßig zunächst
eine Prognose abgeben und wenige Tage später eine
Korrektur vornehmen, was erheblichen Mehraufwand
verursacht. Das kann in der Tat nicht gewollt sein.

Nun greift diese Berechnungsmethode. Das hat nichts
damit zu tun, das Ziel des Gesetzes abzuändern. Herr
Zeil, deswegen war Ihr Beispiel vom Allgemeinen
Gleichstellungsgesetz falsch; denn wenn diese Methode,
die jetzt im Zusammenhang mit den Sozialversiche-
rungsbeiträgen angewandt wird, auf das Allgemeine
Gleichstellungsgesetz angewandt würde, würden wir ei-
nen Handlungsfaden bekommen, wie wir das Allge-
meine Gleichstellungsgesetz noch besser durchsetzen
könnten, damit es noch viel effektiver wirken könnte.
Das ist das Ziel des Standardkostenmodells. Es geht
nicht darum, das gesetzgeberisch vorgegebene Ziel in
Zweifel zu ziehen, sondern es besser zur Entfaltung zu
bringen.

Genau das ist bei den Sozialversicherungsbeiträgen
geschehen. Wie ist das geschehen? Die IHK Bonn/
Rhein-Sieg hat darauf aufmerksam gemacht, dass die
Mehrbelastung den Vorteil der Vorverlegung der Bei-
tragssatzfälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge er-
heblich überschreiten und von Dauer sein würde. Außer-
dem hat sie festgestellt, dass nicht alle Unternehmen von
dieser Mehrbelastung gleichmäßig betroffen wären.
Während knapp die Hälfte der Unternehmen so gut wie
nicht betroffen ist, tragen die anderen die Mehrbelas-
tung. Das kann nicht Sinn und Zweck der Geschichte
sein.

Es wurde in der Tat berechnet – Kollege Meyer hat
die Summe genannt –, dass diese Neuregelung Mehrbe-
lastungen in Höhe von 800 Millionen Euro auslöst. Das
Interessante für den Gesetzgeber ist, dass wir 1,03 Mil-
liarden Euro eingespielt haben. Das heißt, diese bürokra-
tische Maßnahme des Staates ist faktisch ein Nullsum-
menspiel.


(Martin Zeil [FDP]: Das haben wir damals schon vorausgesagt!)


Das kann aber doch nicht der gesetzgeberische Zweck
sein. Genau an dieser Stelle greift das Standardkosten-
modell, wie ich meine, zu Recht ein,


(Martin Zeil [FDP]: Das ist ja ganz was Neues!)







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Christian Lange (Backnang)

weil es einen Weg aufzeigt, wie wir unser Ziel besser er-
reichen können. Es wirkt auch. Der Arbeitsminister hat,
noch bevor das Gesetz in Kraft war, reagiert und dafür
gesorgt, dass der Arbeitgeber die Möglichkeit hat, bei
der Monatsabrechnung die Werte des Vormonates anzu-
setzen und Differenzen zu den Istzahlen erst im Folge-
monat auszugleichen. Es handelt sich also um eine Pau-
schalierung. Diesen Weg hat uns diese Methode eröffnet.
Deshalb meine ich, dass sie nicht diskreditiert gehört. Es
gehört sich auch nicht, sich bei der Abstimmung zu ent-
halten, sondern dies sollte unterstützt werden, gerade
vonseiten der FDP.


(Beifall bei der SPD)


Wir werden darüber hinaus im zweiten Mittelstands-
entlastungsgesetz, das wir bereits angekündigt haben,
die Existenzgründer in den ersten drei Jahren allgemein
von der Pflicht zur Erstellung statistischer Berichte frei-
stellen. Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten
werden wir zu maximal drei statistischen Stichproben-
erhebungen pro Jahr heranziehen. Auch dies ist ein kon-
kreter Beitrag, der heute in der Tat noch nicht beschlos-
sen werden kann; Kollege Zeil, hier hat Ihre Kritik
angesetzt. Das ist von der Europäischen Union vorgege-
ben.

Wir haben uns vorgenommen, dass wir die Hinweise,
Vorschläge und Richtlinien der Europäischen Union
nicht mehr so einfach hinnehmen. Diese Chance haben
wir durch die Methode, die wir jetzt anwenden. Wir ha-
ben eine objektive Methode geschaffen und können erst-
mals den Kampf mit der Europäischen Union aufneh-
men, mit der Kommission und dem Parlament. Wir
werden dies auch tun. Wir haben jetzt eine entspre-
chende Grundlage, die wir vorher nicht hatten. Deshalb
finde ich es bedauerlich, dass ausgerechnet die FDP an
dieser Stelle Nein sagt.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse)


Ich will es noch einmal sagen: Das Ziel, Bürokratie in
Deutschland abzubauen,


(Martin Zeil [FDP]: Das ist wenig!)


gelingt aus meiner Sicht effektiv nur dann, wenn wir uns
in einem Punkt einig sind: Es geht nicht darum, den poli-
tischen Willen zu verändern, sondern es geht darum, die
Betriebe von dem zu entlasten, was ihre Kreativität und
wirtschaftliche Dynamik abwürgt.


(Martin Zeil [FDP]: Das ist genau das, was Sie machen!)


Der politische Streit über die Frage, was das politische
Ziel ist – Kündigungsschutz, Arbeitsschutz usw. –, muss
im materiell-rechtlichen Diskurs geführt werden und
bitte nicht unter dem Deckmantel des Abbaus von Büro-
kratiekosten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1604324200

Ich erteile das Wort Kollegin Sabine Zimmermann,

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604324300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Der Mittelstand ist das Rück-
grat der deutschen Wirtschaft. Ich frage Sie: Wie ernst
meinen Sie dies? Herr Meyer sagte gerade, dass er mit
dem Rasenmäher herangehen möchte. Ich sehe schon,
wie er dort den Rasen mäht. Sie sagen, dass Sie eine Po-
litik machen wollen, die den Mittelstand entlastet. Sie
haben versprochen: Unter dem Deckmantel des Bürokra-
tieabbaus findet kein Abbau gesellschaftlich notwendi-
ger Standards statt. Nun liegt das erste Bürokratieabbau-
gesetz vor und wir können Sie an Ihren Taten messen.

Zum ersten Punkt, der Hilfe für die kleinen Unter-
nehmen. Angeblich bringt Ihr Gesetz im nächsten Jahr
eine finanzielle Entlastung von 160 Millionen Euro; ich
beziehe mich auf Ihre Zahlen. Für das einzelne Unter-
nehmen bedeutet das vielleicht eine Entlastung um ei-
nige hundert Euro im Jahr, wenn überhaupt. Das wird ih-
nen wenig helfen. Zusätzlich haben Sie die Erhöhung
der Mehrwertsteuer beschlossen. Wird die höhere Mehr-
wertsteuer komplett über die Preise weitergegeben,
bringt das netto 15 Milliarden Euro. Das entzieht der
Volkswirtschaft Kaufkraft. In der Wirtschaft fehlt die
Nachfrage. Stellen Sie das einmal gegenüber: 160 Mil-
lionen Euro Entlastung und 15 Milliarden Euro Belas-
tung. – Das sagt wohl alles.


(Beifall bei der LINKEN – Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Sie haben nicht zugehört!)


– Doch, Herr Meyer.

Zum zweiten Punkt, den Auswirkungen des Bürokra-
tieabbaus. Wir haben uns im Ausschuss schon darüber
unterhalten. Leider haben sich unsere Befürchtungen be-
stätigt, dass mehr als nur Bürokratie abgebaut wird. Es
handelt sich um einen Bürokratieabbau, bei dem der
Datenschutz flöten geht. Damit hat diese große Koali-
tion anscheinend gar kein Problem. Künftig sollen
Betriebe mit weniger als zehn Mitarbeitern keinen Da-
tenschutzbeauftragten mehr bestellen; der Bundesbeauf-
tragte für den Datenschutz hat dies scharf kritisiert. Ihre
Änderungen verstoßen gegen das europäische Daten-
schutzrecht. Der Datenschutzbeauftragte hat eine Alter-
native vorgeschlagen, nämlich über die Kammern und
Innungen einen betrieblichen Datenschutzbeauftragten
zu installieren. Aber Union und SPD haben diesen Vor-
schlag nicht angenommen.

Wie die große Koalition mit Kritik umgeht, ist be-
zeichnend. Anscheinend halten Sie es nicht mehr für nö-
tig, auf Kritik, die außerhalb des Parlaments geäußert
wird, einzugehen. Es hört sich vielleicht toll an, aber wir
haben in Deutschland eine gespaltene Konjunktur: Die
Großkonzerne verdienen prächtig, die Kleinstunterneh-
men jedoch bewegen sich oft in der Verlustzone. Des-
halb brauchen wir Daten über diesen Bereich. Oder






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Sabine Zimmermann
haben Sie die kleinen Unternehmen in diesem Land
schon abgeschrieben?


(Beifall bei der LINKEN)


Auch hier gibt es Alternativen. Der DGB hat vorge-
schlagen, die Erhebung von Daten an die Unternehmens-
größe zu koppeln. Aber in Ihrem Gesetzentwurf kann ich
dazu nichts finden. Ich frage Sie: Ist das Machtverliebt-
heit oder politische Absicht? Ich kann Sie nur warnen:
Verwechseln Sie nicht die Mehrheit in diesem Parlament
mit der Mehrheit in der Gesellschaft!


(Beifall bei der LINKEN)


Ich fasse zusammen: Sie reden vom Bürokratieabbau
im Interesse des Mittelstands. Aber ihm nützt das, was
Sie machen, überhaupt nicht, weil keine Nachfrage vor-
handen ist. Mit der Mehrwertsteuererhöhung legen Sie
noch eins drauf. Ihr Bürokratieabbau geht auf Kosten
des Datenschutzes und anderer sinnvoller und notwendi-
ger Regelungen. Wir sagen: Ihr Gesetzentwurf ist ein
Placebo. Die Linksfraktion wird ihn nicht unterstützen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1604324400

Das Wort hat nun Kollege Matthias Berninger, Frak-

tion des Bündnisses 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst
einmal: Nicht Ihr Gesetzentwurf hat mir die Sprache ver-
schlagen, sondern eine Erkältung zur besten Jahreszeit.

Mit diesem Gesetzentwurf ist es nicht gelungen, den
Anspruch, den die Abgeordneten der Koalition an sich
selbst gestellt haben, zu erfüllen. Erinnern wir uns an die
Debatte über die Einführung des Normenkontrollrats.
Auch damals war es so, dass sich die Abgeordneten der
Koalition höhere Ziele gesteckt hatten. Dann wurden sie
zurückgepfiffen, weil ein Fraktionschef keine Lust hatte,
den Normenkontrollrat mit erweiterten Kompetenzen
auszustatten.


(Martin Zeil [FDP]: Angst hat er gehabt!)


Letztlich hat man gesagt: Es gibt ja das Mittelstandsent-
lastungsgesetz;


(Martin Zeil [FDP]: Ja, genau!)


in ihm werden die wegweisenden neuen Einzelvor-
schläge installiert.

Am Mittwoch dieser Woche haben wir eine Sitzung
des Wirtschaftsausschusses erlebt, in der die Abgeordne-
ten der Koalition mitgeteilt haben, dass aus den großen
Änderungen nun doch nichts wird. Darüber hinaus ha-
ben die Abgeordneten der SPD angefangen, die Schuld
dafür bei den Beamten des Wirtschaftsministeriums zu
suchen. Abgesehen davon, dass ich es ziemlich befremd-
lich fand, dass diese Beamten nicht gegen diesen Angriff
verteidigt wurden,

(Zuruf von der SPD: Vielleicht ja doch!)


ist die Situation ein bisschen anders gelagert. Es ist doch
so: Wenn die Abgeordneten der Koalition im Wirt-
schaftsausschuss vollmundig erklären, Bürokratieabbau
betreiben zu wollen, dann dürfen sie nicht als Gesetzent-
gegennehmer fungieren, sondern müssen als Gesetzge-
ber den Mut haben, den einen oder anderen Vorschlag
durchzusetzen, der es wert wäre, durchgesetzt zu wer-
den.


(Beifall des Abg. Martin Zeil [FDP])


Der Kollege Meyer hat gesagt, dass auch in der rot-
grünen Regierungszeit – ich war ja dabei – Beschlüsse
gefasst wurden, die nicht gut waren, und ein Beispiel an-
geführt, das der Kollege Lange umfangreich beschrieben
hat. Die Frage, warum man eine so bürokratische Rege-
lung – sie ist leider nicht die einzige – getroffen hat, ist
erlaubt und berechtigt. Ich befürchte, dass auch in der
siebenmonatigen Amtszeit der großen Koalition – auch
wenn Ihnen diese Zeit schon viel länger vorkommt – be-
reits die eine oder andere ähnlich komplizierte Regelung
getroffen worden ist, die nicht zum Nutzen der Unter-
nehmerinnen und Unternehmer und nicht zum Nutzen
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer war, die unter
dem Bürokratieaufbau mittelbar genauso zu leiden ha-
ben.


(Martin Zeil [FDP]: Aber das mit den Sozialversicherungsbeiträgen ist unter den Grünen passiert!)


Die gute Nachricht des heutigen Tages ist: Jetzt geht es
um das erste Mittelstandsentlastungsgesetz; das zweite
wird folgen.

Wenn wir es als Parlament nicht schaffen, uns an be-
stimmten Punkten über die Bedenkenträger hinwegzu-
setzen, dann werden wir es auch nicht schaffen, bürokra-
tische Regelungen abzubauen. Wir haben Ihnen dazu ein
paar Vorschläge gemacht. Ich will ein Beispiel nennen:
Man glaubte, dass durch die Einführung einer General-
unternehmerhaftung die im Baugewerbe weit verbrei-
teten Verträge, die große Unternehmen mit Subunterneh-
mern schließen, so gestaltet werden könnten, dass auch
die Subunternehmer Sozialversicherungsbeiträge abfüh-
ren. Die Folge dieses Gesetzes ist, dass die vielen klei-
nen Handwerker umfangreiche bürokratische Meldun-
gen an die großen Subunternehmen leisten müssen, für
die es kein Problem ist, dies zu verarbeiten. Nach einer
Evaluation wurde festgestellt, dass es genau einen einzi-
gen Fall gegeben hat, in dem dieses Gesetz Sinn ge-
macht hat. Hunderte von Handwerksbetrieben sind also
umfangreich unter die Knute der Bürokratie genommen
worden für einen einzigen Fall, in dem sich die Rege-
lung als sinnvoll herausgestellt hat. – Dies ist nur eines
von vielen Beispielen dafür, dass wir nach der Evalua-
tion eines Gesetzes feststellen müssen, dass es doch
nicht so erfolgreich war.

Wir haben einen umfangreichen Antrag mit Gesetzes-
änderungen vorgelegt, von dem ich hoffe, dass das eine
oder andere nicht in Vergessenheit gerät, sondern sich
vielleicht im zweiten Mittelstandsentlastungsgesetz wie-
derfindet. Ich glaube, dass wir hier deutlich mehr Mög-






(A) (C)



(B) (D)


Matthias Berninger
lichkeiten haben, dass das Parlament deutlich mehr Frei-
räume hat, als wir letzten Endes nutzen. Der Mut, diese
Freiräume zu nutzen, wird allerdings nur dann von Er-
folg gekrönt sein, wenn wir, wie die Parlamente in den
anderen europäischen Mitgliedstaaten, die Regelungen
der EU eher als wichtigen Hinweis für das Regierungs-
handeln nehmen denn für bare Münze. Vieles, was wir
eins zu eins übernehmen und dann drei- bis vierfach
bürokratisch überhöht beschließen, wird in anderen
Mitgliedstaaten wesentlich einfacher gehandhabt. Ich
glaube, dass man genau in diesem Bereich Änderungen
vornehmen sollte.


(Martin Zeil [FDP]: Man sieht, dass Opposition manchmal zu besserer Einsicht führt!)


Wir werden jedenfalls weiterhin konkrete Vorschläge
zum Bürokratieabbau machen.

Ich denke, dass sich die PDS überlegen muss, wie der
Gesetzentwurf einzustufen ist: Ist er ein Angriff auf den
Sozialstaat – das haben Sie am Anfang Ihrer Rede be-
hauptet, Frau Zimmermann – oder ist er – damit haben
Sie geendet – eher ein Placebo? Ich bin der Meinung, er
ist eher ein Placebo. Nach oben ist noch sehr viel Raum
für Verbesserungen.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1604324500

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak-
tionen der CDU/CSU und der SPD sowie von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwürfe eines Ersten
Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbe-
sondere in der mittelständischen Wirtschaft, Druck-
sachen 16/1407, 16/1853 und 16/1970. Der Ausschuss
für Wirtschaft und Technologie empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/2017, die genannten Gesetzentwürfe zusam-
menzuführen und in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Links-
fraktion und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
bei Enthaltung der FDP angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist damit mit den gleichen Mehrheitsverhältnis-
sen wie in der zweiten Lesung angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag
der FDP auf Drucksache 16/2040? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit
den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der FDP
abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/2041? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag
ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stim-
men der Fraktion Die Linke abgelehnt.

Wir fahren fort mit der Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und
Technologie auf Drucksache 16/2017 zu dem Antrag der
Fraktion der FDP mit dem Titel „Statistikpflichten zu-
rückführen – Bürokratiekosten senken“. Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe b, den Antrag auf Druck-
sache 16/1167 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men von CDU/CSU, SPD und der Fraktion Die Linke
gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Volker
Beck (Köln), Irmingard Schewe-Gerigk, Ma-
rieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN

Presse- und Meinungsfreiheit in Kuba ein-
fordern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Marina
Schuster, Florian Toncar, Burkhardt Müller-
Sönksen, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP

Menschenrechte in Kuba einfordern und
die kubanische Zivilgesellschaft fördern

– Drucksachen 16/934, 16/945, 16/2006 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Weiß (Emmendingen)

Christoph Strässer
Florian Toncar
Michael Leutert
Volker Beck (Köln)


Über die vom Ausschuss für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe empfohlene Annahme einer Entschlie-
ßung werden wir später namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Christoph Strässer, SPD-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Christoph Strässer (SPD):
Rede ID: ID1604324600

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Abweichend vom






(A) (C)



(B) (D)


Christoph Strässer
dem, was ich mir aufgeschrieben habe, möchte ich mit
einem Bekenntnis beginnen.


(Zurufe von der FDP: Oh!)


Dieses Bekenntnis bezieht sich auf eine Zeit, die schon
etwas länger her ist; ich bekenne mich aber ausdrücklich
dazu. Ich finde das, was ich damals getan habe, richtig,
nämlich auf die Straße zu gehen, dafür zu kämpfen, dass
es in Kuba eine Befreiung vom Kolonialismus gibt,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


und auch dafür einzutreten, dass Kuba eine Entwicklung
nimmt, aufgrund derer Menschenrechte geachtet wer-
den, keine Menschen, die ihre Pressefreiheit wahrneh-
men wollen, eingesperrt werden und es keine politischen
Gefangenen gibt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das
war das Ziel der überwiegenden Mehrzahl der Leute, die
damals auf die Straße gegangen sind, um für die Freiheit
in Kuba zu kämpfen. Das will ich an dieser Stelle einmal
ganz deutlich sagen.


(Beifall im ganzen Hause)


Ich sage sehr deutlich: Ich bekenne mich dazu und
finde das nach wie vor richtig. Ich sage aber auch: All
diejenigen, die das Ziel, für das sie damals eingetreten
sind, mit der heutigen Situation in Kuba vergleichen,
sind bitter enttäuscht;


(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


denn das wollten wir damals nicht erreichen. Das sage
ich ganz deutlich. Ich will einen, wie ich glaube, damali-
gen Mitstreiter und führenden Revolutionär Südameri-
kas in Anspruch nehmen, indem ich behaupte: Wenn
Che Guevara wüsste, wie sich Kuba entwickelt hat, dann
würde er sich wahrscheinlich im Grabe umdrehen und
sagen: Das habe ich nicht gewollt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Er kann sich nicht wehren!)


– Das ist richtig. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass
er sich wehren würde.

Worum geht es in dieser Debatte? Sie alle wissen,
dass es dazu in diesem Jahr zwei wesentliche Entschlie-
ßungen auf europäischer Ebene gibt, nämlich zum ei-
nen eine mit breiter Mehrheit gefasste Resolution des
EU-Parlaments, die sich mit der Menschenrechtsituation
in Kuba befasst und die bei uns Einfluss auf die Formu-
lierung des vorliegenden Antrags gehabt hat; sie sind so-
zusagen identisch. Wenn man die Forderungen an Kuba
aus menschenrechtlicher Sicht betrachtet, dann stellt
man fest, dass sie von einer derartigen Harmlosigkeit
sind, dass es nicht nur erstaunt, sondern dass es wirklich
Aufsehen erregt, dass es in diesem Parlament Leute gibt,
die sich dieser Entschließung nicht anschließen können.
Das kann ich nicht wirklich begreifen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Daneben gibt es eine zweite Resolution. Sie ist noch
gar nicht so alt; sie ist vom 12. Juni dieses Jahres. Der
Europäische Rat hat sich sehr eindeutig dazu bekannt
und nach entsprechender Einschätzung festgestellt, dass
sich die Lage der Menschenrechte in Kuba im
Jahre 2005 verschlechtert hat. Er begründet dies auch;
darauf werde ich gleich noch in aller Kürze im Einzelnen
eingehen. Der Europäische Rat sagt aber auch – das hat
dem einen oder anderen in diesem Hause die Zustim-
mung zu diesem Text nicht leicht gemacht –, dass das
nicht dazu führen kann – ich finde das auch richtig –,
politische Maßnahmen wieder einzuführen. Die Gesprä-
che mit der kubanischen Regierung und mit der kubani-
schen Opposition müssen weitergeführt werden, um eine
Verbesserung der Situation in diesem Land zu erreichen.
Ich glaube, das ist eine der zentralen Forderungen, hinter
der sich auch der Deutsche Bundestag vereinigen sollte.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte an dieser Stelle nur zwei Beispiele für das
nennen, über das wir heute diskutieren. Ich zitiere ganz
gerne Organisationen, die nicht im Verdacht stehen, poli-
tisch einsortiert werden zu können. Ich glaube, eine sehr
honorige Einrichtung ist die Organisation Reporter
ohne Grenzen. Die Organisation Reporter ohne Gren-
zen erstellt seit einiger Zeit jährlich eine Rangliste über
die Situation der Presse- und Meinungsfreiheit auf der
Welt. Sie kommt für das Jahr 2005 zu dem Ergebnis,
dass Kuba bei 167 untersuchten Ländern auf Platz 161
landet, noch hinter China und knapp vor Nordkorea.
Man kann sich über vieles streiten, aber angesichts die-
ser Ergebnisses kann auch jemand, der noch gewisse
Sympathien für die Entwicklung dort hat, nicht sagen:
Das ist in Ordnung; dazu müssen wir schweigen. – Wir
müssen etwas dazu sagen. Das tun wir auch, und zwar,
wie ich finde, mit der nötigen Eindeutigkeit.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte das an einem konkreten Beispiel, das uns
in diesen Tagen erreicht, deutlich machen. Sie werden
wahrscheinlich alle mit dem Schicksal von Fariñas
Hernández befasst gewesen sein. Fariñas Hernández ist
Chef der Nachrichtenagentur „Cubanacán Press“. Er ist
seit dem 31. Januar 2006 inhaftiert, weil er sich für Pres-
sefreiheit und Meinungsfreiheit eingesetzt hat. Er befin-
det sich seit dieser Zeit im Hungerstreik. Wir haben
Nachrichten – das sollte man zur Kenntnis nehmen –,
dass sein Gesundheitszustand kritisch ist, dass er bereits
mehrfach das Bewusstsein verloren hat und dass die Ge-
fahr, dass er stirbt – diese nimmt er in Kauf –, groß ist. –
Ich finde, wir sollten Solidarität mit solchen Menschen
üben und sagen, dass wir nicht bereit sind, das hinzuneh-
men, aus welchen Gründen auch immer. Deshalb gibt es
diesen Antrag und deshalb müssen wir heute über dieses
Thema diskutieren.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte an dieser Stelle etwas hinzufügen, damit
nicht der Eindruck entsteht, der sich in bestimmten Me-






(A) (C)



(B) (D)


Christoph Strässer
dien immer ein Stück weit festsetzt, man betreibe im
Deutschen Bundestag so etwas wie Cuba-Bashing. Die
Situation der Menschenrechte ist eindeutig belegt. Ich
persönlich – ich weiß nicht, wie viele andere in diesem
Hause das sehen – führe das ein Stück weit darauf zu-
rück, dass in den Vereinigten Staaten seit 45 Jahren eine
Politik betrieben wird, die blockiert. Gesetze wie das
Helms-Burton-Gesetz haben selbstverständlich nicht
dazu beigetragen, dass es in diesem Land eine vernünf-
tige und menschenrechtsorientierte Entwicklung geben
kann. Hierzu will ich auch nicht schweigen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich höre auch immer wieder das Stichwort Guanta-
namo. Wer sagt, Guantanamo muss so schnell wie mög-
lich geschlossen werden – das sagt im Übrigen auch die
Bundeskanzlerin –,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


aber zu der menschenrechtlichen Entwicklung in Kuba
schweigt, der erkennt nicht den grundsätzlichen Charak-
ter von Menschenrechten: Sie sind unteilbar. Wir müssen
an dieser Stelle klar machen, dass wir auch diesen Teil
der Politik nicht hinnehmen können.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich denke, dass es gut ist – das ist über viele Jahre auch
gängige Praxis in unserem Ausschuss gewesen –, wenn
wir diese Dinge beim Namen nennen und sie deutlich
aussprechen.

Meine Damen und Herren, wir wollen weiterhin den
Dialog. Das ist klar; das haben wir nie in Zweifel gezo-
gen, auch mit unserem Antrag nicht. Wir wollen ihn in-
tensiv auf der staatlichen Ebene führen. Wir wollen ihn
aber auch sehr intensiv mit der kubanischen Opposi-
tion führen. Von daher bin ich jedenfalls der Meinung,
dass kubanische Oppositionelle also wieder zu offiziel-
len Veranstaltungen der EU-Staaten eingeladen werden
sollten. Ich finde, diese klare Botschaft sollten wir aus-
senden.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Schluss zu dem zurück, wozu ich
mich zu Beginn bekannt habe: Ich bin sehr sicher, dass
eine falsch verstandene Solidarität mit dem Castro-
Regime und eine damit verbundene Romantisierung fehl
am Platze ist. Wir wollen weiterhin auf Kuba einwirken
und mit der kubanischen Bevölkerung gemeinsam dafür
sorgen, dass sich dort die Menschenrechtslage verbes-
sert. Wir glauben definitiv – das sage ich in Richtung der
linken Seite des Parlaments –, dass das, was Sie im Jahre
2003 in Ihr Parteiprogramm geschrieben haben, nämlich
dass das höchste Ziel politischer Arbeit sein muss, die
Wahrung der Menschenrechte weltweit zu schützen und
die Unteilbarkeit der Menschenrechte anzuerkennen, in
diesem Hohen Hause Praxis des politischen Alltags
wird. Wer sich davon verabschiedet, der muss sich sagen
lassen, dass er es mit der Universalität der Menschen-
rechte nicht ernst meint. Das sollten wir klar darstellen.
Danke schön.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1604324700

Ich erteile das Wort Kollegin Marina Schuster, FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Marina Schuster (FDP):
Rede ID: ID1604324800

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Im März haben wir an dieser Stelle
schon einmal über die verheerende Menschenrechtslage
in Kuba debattiert. Ich freue mich, dass uns heute ein in-
terfraktioneller Antrag vorliegt, der die Lage in Kuba
kritisiert und sich damit dem Antrag unserer europäi-
schen Kollegen anschließt.

Wir senden mit dem Antrag und unserer heutigen De-
batte ein wichtiges Signal an die kubanischen Oppositio-
nellen und Menschenrechtsaktivisten. Eine breite Mehr-
heit des Deutschen Bundestags verschließt sich nicht der
Situation im selbsternannten sozialistischen Musterland.
Diese Situation – mein Vorredner hat sie bereits ange-
sprochen – möchte ich kurz schildern: Das Regime in
Havanna verwehrt seinen Bürgern den Zugang zu unzen-
sierten Informationen. Der Zugang zum Internet bleibt
für viele Kubaner unerreichbar, weil der Hardwarekauf
reglementiert wird. Die meisten der mutigen Dissidenten
des Varela-Projektes sind schon seit drei Jahren unter ka-
tastrophalen Bedingungen in Haft. Die Angehörigen die-
ser Inhaftierten, die so genannten Damen in Weiß, wer-
den in ihrem Einsatz für ihre Angehörigen und die
Meinungs- und Pressefreiheit vom Regime diffamiert
und unterdrückt. Dissidenten werden immer wieder will-
kürlich zu hohen Haftstrafen verurteilt. Auch die Ver-
sammlungsfreiheit ist in großer Gefahr.

Hier wird immer wieder angeführt, dass es in Kuba zu
Verbesserungen hinsichtlich der Alphabetisierung und
der Gesundheitsversorgung gekommen ist. Aber die
Freiheit der Menschen wird weiter von einem Unrechts-
system unterdrückt. Von einem demokratischen und
rechtsstaatlichen Staatswesen ist Kuba meilenweit ent-
fernt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Leider hat Kuba eine deutliche Ausstrahlungskraft
auf die Linksregierungen in Lateinamerika. Viele der
neu gewählten linkspopulistischen Führer scheinen sich
ausgerechnet Havanna zum Vorbild zu nehmen. Zum
Beispiel war die Verstaatlichung der Erdgasressourcen in
Bolivien ein erstes Warnsignal an die internationale Ge-
meinschaft. Ich meine, wir müssen den Staats- und Re-
gierungschefs in Lateinamerika Alternativen anbieten
und aktiv für unsere Ideen von Rechtsstaatlichkeit, De-
mokratie und sozialer Marktwirtschaft werben.

Bei der Entschließung des Europaparlaments sind
ausnahmsweise auch einzelne Mitglieder der Linkspartei
über ihren Schatten gesprungen und haben sich erlaubt,
am Heiligenbild des Fidel Castro zu kratzen.






(A) (C)



(B) (D)


Marina Schuster

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Diese Abgeordneten sind in den eigenen Reihen unter
schweren Beschuss geraten. Ich begrüße das Verhalten
der drei einzelnen Mitglieder der Linken im Europäi-
schen Parlament.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich fordere auch die Kolleginnen und Kollegen der
Linksfraktion hier auf, unserem interfraktionellen An-
trag zuzustimmen. Stellen Sie sich nicht ins Abseits,
wenn der Deutsche Bundestag heute Farbe bekennt und
die nicht hinnehmbare Menschenrechtslage in Kuba kri-
tisiert!

Wir hatten als FDP-Bundestagsfraktion einen eigenen
Antrag vorgelegt, der in einigen Punkten noch über den
vorliegenden Antrag hinausgeht. Ich möchte stellvertre-
tend nur eine wesentliche Forderung daraus nennen: Wir
halten die Eröffnung eines Goethe-Instituts für eine
sinnvolle und vor allem wirkungsvolle Maßnahme, weil
sie nicht staatliche Strukturen, sondern die Zivilgesell-
schaft unterstützt.

Dennoch bin ich froh, dass wir uns mit den Kollegin-
nen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen und von
den Regierungsfraktionen auf einen gemeinsamen An-
trag verständigt haben. Das Thema ist zu ernst, um es
durch parteipolitische Grabenkämpfe zu verharmlosen.

Ich schließe mit einem Zitat:

Einem Menschen seine Menschenrechte zu verwei-
gern bedeutet, ihn in seiner Menschlichkeit zu
missachten.

Dieser Satz von Nelson Mandela aus dem Jahr 1990 hat
nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Lassen Sie uns
heute ein überparteiliches und unmissverständliches Sig-
nal an das Regime in Kuba senden. Kuba muss als Mit-
glied des neuen UN-Menschenrechtsrates zu höchsten
Standards verpflichtet werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD und des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1604324900

Ich erteile das Wort Kollegen Peter Weiß, CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1604325000

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Menschenrechte sind überall auf der Welt unteilbar, auch
in Kuba. Es ist jetzt gerade drei Jahre her, seit das kuba-
nische Regime in einer Handstreichaktion die führenden
Köpfe der demokratischen Opposition verhaftet und
weggesperrt hat. 330 politische Häftlinge sitzen heute in
kubanischen Gefängnissen ein, unter zum Teil erbärmli-
chen Bedingungen. Das ist ein so unakzeptabler Zu-
stand, dass es einer klaren und eindeutigen Antwort der
Demokraten überall auf der Welt bedarf. Deswegen ist es
wichtig, dass wir einen gemeinsamen Antrag hier im
Bundestag beschließen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Am 13. August dieses Jahres – bis dahin ist es nicht
mehr lange – wird Fidel Castro 80 Jahre alt; doch von
Altersmilde keine Spur.


(Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])


Castros restkommunistische Diktatur herrscht unerbitt-
lich mit Gewalt und Einschüchterung gegen alle Kuba-
ner, die Freiheit und Demokratie suchen. Ein falsches
Wort, der falsche Umgang genügt, damit man Opfer der
so genannten Kämpfer für die Revolution wird. Politi-
sche Gewalt, auch getarnt als einfache Straßenkriminali-
tät, gehört zum alltäglichen Terror in Kuba.

In diesen Tagen hören wir, dass der Neffe des Varela-
Gründers Oswaldo Payá bei seiner Einreise nach Kuba
von der Staatssicherheit festgenommen wurde. Er lebt in
Spanien und wollte in Kuba seine Familie besuchen. Erst
nachdem der kubanische Botschafter vom Außenminis-
terium in Madrid einbestellt wurde, hat Kubas Stasi Payá
wieder freigelassen und zur Ausreise nach Spanien ge-
zwungen. Dieser prominente Fall zeigt: Die Methoden
der Sippenhaft gehören zum selbstverständlichen Re-
pressionsinstrumentarium Fidel Castros. Er verstößt da-
mit gegen die Mindeststandards von Rechtsstaatlichkeit.
Auch dieser neue Vorfall bedarf einer klaren Antwort der
Demokraten überall auf der Welt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit unserem interfraktionellen Entschließungsantrag,
zu dem sich die Regierungsfraktionen von CDU/CSU
und SPD sowie die Oppositionsfraktionen von FDP und
Bündnis 90/Die Grünen im Ausschuss für Menschen-
rechte und Humanitäre Hilfe entschlossen haben, folgen
wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestages der
Einschätzung unserer Kolleginnen und Kollegen im
Europäischen Parlament und der Einschätzung des Euro-
päischen Rates, der die Menschenrechtslage in Kuba auf
seiner Tagung am 12. Juni scharf kritisiert hat. Gemein-
sam mit den Staats- und Regierungschefs der Euro-
päischen Union verlangen wir von der kubanischen
Regierung den Stopp ihrer Repressionspolitik und die
sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir verurteilen entschieden alle Angriffe der kubani-
schen Regierung auf die Menschenrechte und die demo-
kratischen Freiheiten. Es ist gut, dass wir Europäer in der
Menschenrechtspolitik auch in Bezug auf Kuba eine
klare und eindeutige Sprache sprechen.






(A) (C)



(B) (D)


Peter Weiß (Emmendingen)

Einzig die PDS will sich solchen Forderungen nicht
anschließen.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Richtig!)


Offenbar hat sie kein Problem damit, dass in Kuba tag-
täglich Menschenrechte verletzt und Grundfreiheiten
missachtet werden. Die, wie ich finde, schon obszöne
Diskussion, die sich die PDS dazu in den vergangenen
Monaten geleistet hat, ist beschämend.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die PDS verhöhnt damit die Hunderte, die aus politi-
schen Gründen in den kubanischen Gefängnissen einsit-
zen. Mehr noch – auch das gehört hierher –: Mit ihrer
Kubapolitik verspottet die PDS die Zigtausende, die in
Deutschland und Europa unter stalinistischer Gewalt und
Unterdrückung gelitten haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der LINKEN: Pfui!)


Die Äußerungen und Pamphlete, die während der so
genannten Kubakrise der PDS in die Öffentlichkeit ge-
langt sind, sind eine historische Schande für das demo-
kratische Deutschland nach dem Fall der Mauer.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Man muss auch hier im Deutschen Bundestag und in der
Öffentlichkeit deutlich machen, was sich da in der PDS
abgespielt hat: Der Parteivorstand erteilt drei PDS-Euro-
paabgeordneten eine förmliche Rüge,


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Unsinn!)


weil sie sich im Europaparlament für etwas ausgespro-
chen haben, was in Kuba und weltweit eigentlich selbst-
verständlich sein sollte: die Einhaltung der Menschen-
rechte.

Was ist da los mit einer Partei, aus deren Mitte heraus
eine Entschließung des Europäischen Parlaments für
Freiheit und Demokratie als – ich zitiere – „scheinheili-
ges Gezeter“ diffamiert wird?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Welche Gesinnung pflegt diese Partei in ihrem Biotop
aus Unverbesserlichkeit, linken Dogmen und Revolu-
tionsromantik? Dieser Kadavergehorsam der PDS för-
dert den real existierenden Unterdrückungsstaat in Kuba.
Das muss einmal mit aller Deutlichkeit ausgesprochen
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Einer der PDS-Europaabgeordneten hat diese Haltung
der PDS-Führung gegenüber der kubanischen Regierung
als „erschreckend“ bezeichnet. Er sieht sie – ich zitiere –
„in das alte Politik-, Gesellschafts- und Freiheitsver-
ständnis der SED zurückfallen“,

(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Wo er Recht hat, hat er Recht!)


wenn sie sich überhaupt jemals davon gelöst hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Diese ganze Affäre entlarvt die PDS. In diesem Haus
machen Sie Sprüche von Gerechtigkeit und Solidarität.
Gleichzeitig unterstützen Sie ohne Bedenken einen Des-
poten, der sein darbendes Volk im Lauf seiner Herrschaft
nach Angaben von „Forbes Magazine“ um geschätzte
900 Millionen Dollar bestohlen hat. Die Kubaner leben
von rationierten Lebensmitteln. Der „Máximo Líder“
aber hat Millionen auf Schweizer Nummernkonten. Das
ist die Realität des real existierenden Sozialismus auf
Kuba.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Katrin GöringEckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich freue mich, dass wir heute einen gemeinsamen
Entschließungsantrag aller Fraktionen mit Ausnahme
der PDS einbringen konnten. Wir machen deutlich: Wie
Kuba in der Karibik ist die PDS in Deutschland eine In-
sel der Gestrigen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Jetzt beleidige mir die Karibik nicht!)


Kuba ist im Mai dieses Jahres in den neuen UN-Rat
für Menschenrechte gewählt worden.


(Beifall des Abg. Michael Leutert [DIE LINKE])


Der Bock darf sozusagen Gärtner werden. Nicht zuletzt
deshalb werden wir auch in Zukunft sehr genau hin-
schauen, wie das Castro-Regime mit den Menschenrech-
ten umgeht. Die systematischen Repressalien gegen an-
ders Denkende können wir als Demokraten und
Europäer nicht folgenlos hinnehmen. Die friedliche de-
mokratische Opposition braucht unsere Unterstützung.
Wir wollen den friedlichen Wandel in Kuba zu Demo-
kratie und Freiheit. Wir wollen diejenigen, die in Kuba
für diesen Wandel arbeiten, aktiv unterstützen, auch mit
unserem Entschließungsantrag.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1604325100

Ich erteile das Wort Kollegen Wolfgang Gehrcke,

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604325200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

ganze Tagesordnungspunkt, diese ganze Entschließung
hat nur einen realen Hintergrund: Sie haben die Absicht,
die Linkspartei vorzuführen. Das verstehe ich.






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Gehrcke

(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Ihr blamiert euch doch selber! – Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Die Frage ist: Gelingt es oder gelingt es nicht?)


– Das ist ja auch legitim. Darüber brauchen Sie sich gar
nicht aufzuregen.

Ich verstehe, dass Sie uns vorführen wollen. Wir wie-
derum lassen uns nicht vorführen. Ich sage Ihnen klar:
Ihrer Entschließung werden wir nicht zustimmen. Das
will ich Ihnen erklären, ob es Ihnen gefällt oder nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Dass es in der Linken Meinungsverschiedenheiten in
der Kubafrage gibt, ist bekannt. Sie haben darauf abge-
hoben und wollen diese nutzen. Auch das ist in Ordnung.
Für uns sind solche Debatten nicht hinderlich. Wir sind
eine diskutierende, lebendige Partei, in der Meinungs-
streit herrscht und in der Meinungsstreit kultiviert wird.


(Beifall bei der LINKEN – Irmingard ScheweGerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal was zu Kuba!)


Die Öde von Einheit und Geschlossenheit bei Ihrer Poli-
tik haben Sie von unserer Vorgängerpartei geerbt.


(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU)


Herr Weiß, eines will ich Ihnen sagen: Ich habe mehr
zur Kritik des Stalinismus geschrieben, als Sie gelesen
haben; auch das muss hier einmal ausgesprochen wer-
den.


(Beifall bei der LINKEN – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Und ziehen Sie daraus die Konsequenzen? – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Aber es hat nichts geholfen!)


Wir als Fraktion wollen die Resolution des Europa-
parlaments nicht begrüßen. Das hat im Wesentlichen
zwei Gründe. In dieser Resolution wird die Verantwor-
tung dafür, dass sich die Beziehungen zwischen Europa
und Kuba nicht normalisiert haben, einseitig bei Kuba
abgeladen.


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Natürlich! Das ist auch so!)


In der Resolution steht, dass der Rat ermächtigt wird,
Maßnahmen zu ergreifen. Eine solche Blankovollmacht
stellen wir nicht aus, weil wir über diese Dinge differen-
ziert nachdenken und diskutieren.


(Beifall bei der LINKEN – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sie sind doch eine diskutierende Partei! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU)


– Das ist auch kein Grund.

Mich ärgert – liebe Kolleginnen und Kollegen, das är-
gert mich wirklich – der funktionelle Umgang mit Men-
schenrechten. Mich ärgern auch oberflächliche Texte.
Ein solch funktioneller Umgang mit Menschenrechten
beschädigt den Kampf um Menschenrechte selbst.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir gehen davon aus, dass unter Menschenrechten
sowohl soziale als auch politische Rechte zu fassen sind.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Wir haben schon diskutiert über Kuba; da waren Sie mit Ihrer Truppe noch nicht im Bundestag!)


Es geht um Freiheits- und Gleichheitsrechte. Sie kriti-
sieren Kuba wegen der mangelnden politischen Rechte
und verschweigen völlig, auch in Ihren Texten, die gro-
ßen sozialen Leistungen Kubas, übrigens nicht nur für
das eigene Land.


(Beifall bei der LINKEN – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Sie spielen das eine gegen das andere aus!)


Wir werden nicht den gleichen Fehler machen, indem
wir nur über die sozialen Rechte reden und der Debatte
um die politischen Rechte ausweichen.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Sie teilen die Menschenrechte! So teilt man die Menschenrechte!)


Wir wollen Freiheit und Gleichheit. Freiheit ohne
Gleichheit ist Ausbeutung und Gleichheit ohne Freiheit
kann zur Unterdrückung werden. Wir diskutieren diffe-
renziert. Sie gehen einfach oberflächlich über diese Pro-
bleme hinweg und machen sich eine einfache Welt.


(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der FDP)


Kollege Strässer hat zwar in seiner Rede darauf hin-
gewiesen, aber in Ihren Texten steht nicht, unter welchen
Bedingungen Kuba sein Leben gestalten musste und
muss.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stellen Sie doch einen Änderungsantrag!)


Ich bin froh darüber, dass eine Revolution in Kuba mit
Castro und Guevara das unwürdige, blutige Batista-Re-
gime beendet hat und verhindert hat, dass Kuba weiter
ein Bordell der USA ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Tun Sie doch nicht so, als ob Kriegsdrohung, Embargo
und Mordanschläge nur Vergangenheit sind! Leider ist
das auch lebendige Realität. Wenn man das alles aus-
blenden will, kann man sich die Welt sehr einfach ma-
chen. Dann kann man einfache Resolutionen beschlie-
ßen. Das führt aber nicht zu einer vernünftigen Debatte.
Dass 135 Länder Kuba in den Menschenrechtsrat ge-
wählt haben, was eine hohe Verpflichtung auch für Kuba
ist, sollte Ihnen doch zu denken geben.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der SPD: Das tut es!)


Solche Debatten müssen wir führen, in der Differen-
ziertheit der Standpunkte. Wir dürfen uns nicht mit ein-






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Gehrcke
fachen Weltbildern und einfachen Rezepten zufrieden
geben. Wir stimmen gegen Ihre Entschließung und ha-
ben ein gutes Gefühl dabei.


(Beifall bei der LINKEN – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das ist das Allerschlimmste dabei!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1604325300

Ich erteile das Wort Kollegen Volker Beck, Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604325400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber

Herr Gehrcke, vielleicht wird es Sie überraschen, dass
ich mit etwas Gemeinsamem anfange. Ja, ich meine,
man muss über Freiheitsrechte und über die soziale Si-
tuation in Ländern wie Kuba reden. Selbstverständlich
haben wir als Teil der Linken in diesem Land immer die
Entwicklung begrüßt, dass sich Kuba aus der Situation
befreien konnte, die vorher gegeben war und die Sie
gerade beschrieben haben. Aber die Verbesserung der
sozialen Situation in manchen Aspekten in Kuba recht-
fertigt nicht die Beschneidung der Freiheits- und Men-
schenrechte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Der Kalte Krieg ist vorbei, wo man gesagt hat: keine
Einmischung in die inneren Angelegenheiten, weil da
auch irgendetwas Positives ist. – Menschenrechte darf
man nicht mit anderen politischen Sachverhalten ver-
rechnen, sondern man muss klar Position beziehen.

Wenn Sie sagen, wir hätten eine einseitige Weltsicht,
muss ich erwidern: Der Antrag, der Anlass für diese De-
batte war, nämlich der Antrag meiner Fraktion – später
kam ein Antrag von der FDP dazu –, sagt in seiner Be-
gründung ausdrücklich – ich zitiere –:


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Nur in der Begründung!)


Davon unbenommen stellen wir fest, dass die ein-
seitige Blockadepolitik der USA eine positive Ver-
änderung der kubanischen Bevölkerung nicht be-
fördert hat.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Richtig! So ist es!)


Vielmehr diente und dient das US-Embargo mit sei-
ner Verschärfung im Jahr 2004 systemstabilisie-
rend, weil es der kubanischen Führung einen Vor-
wand für seine Politik liefert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir sagen das klar und deutlich. Wir sehen das diffe-
renziert. Aber Sie geben unter dem Vorwand, irgend-
etwas sei nicht differenziert genug, der kubanischen Re-
gierungspolitik einen Freibrief.
Nennen Sie mir einen Satz in diesem Beschlusstext,
der eine Rechtfertigung dafür bietet, diesem Antrag
nicht zuzustimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wollen Sie nicht auf die Freilassung aller wegen ihrer
politischen Gesinnung inhaftierten Menschen drängen?
Wollen Sie nicht für die Reisefreiheit der „Damen in
Weiß“ und von Oswaldo Payá Sardiñas eintreten? Wol-
len Sie nicht, dass die willkürlichen Verhaftungen aufhö-
ren, das Ley 88 außer Kraft gesetzt wird und menschen-
rechtliche und rechtsstaatliche Standards in Kuba
verwirklicht werden? Wollen Sie nicht Kuba als Mit-
glied des Menschenrechtsrates wie alle anderen Mitglie-
der auch auffordern, sich für die höchsten menschen-
rechtlichen Standards einzusetzen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Welche dieser Forderungen rechtfertigt eine Ablehnung
des Antrags? Wohl keine, außer man will sich völlig
blind stellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Meine Damen und Herren, heute hat das oberste ame-
rikanische Gericht gesagt, was in Guantanamo mit den
Militärstrafgerichten vor sich geht, ist rechtswidrig. Das
zeigt, dass die USA ein Rechtsstaat sind, auch wenn sich
die Bush-Administration über die rechtsstaatlichen
Grenzen in der amerikanischen Verfassung hinausbe-
wegt hat. Deshalb sagen wir – das hat der Bundestag
kürzlich schon gefordert –: Guantanamo muss geschlos-
sen werden; die Gefangenen dort müssen entweder vor
ordentliche Gerichte gestellt oder freigelassen werden.
Das haben wir unmissverständlich zum Ausdruck ge-
bracht. Da waren Sie dabei. Und das ist gut so.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es geht eben um Menschenrechte in Guantanamo und
auch um Guantanamo herum. Man kann nicht bei den
Amerikanern eine Elle anlegen und bei den kubanischen
Freunden eine andere. Bei Menschenrechten gibt es kei-
nen Rabatt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1604325500

Kollege Beck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Gehrcke?


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604325600

Aber bitte doch.






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604325700

Herr Beck, ich nehme an, dass Sie Ihren Antrag ge-

nauso gut gelesen haben, wie ich ihn gelesen habe. Ihre
richtige Argumentation bezüglich der USA, die Sie eben
vorgetragen haben, ist nicht in die Forderungen Ihres
Antrages an den Deutschen Bundestag eingeflossen,
sondern findet sich ausschließlich in der Begründung. In
der gemeinsamen Entschließung, die wir jetzt ja verhan-
deln, ist sie überhaupt nicht mehr enthalten. Das ad eins.

Ad zwei. Ich habe versucht, Ihnen vorzutragen, wa-
rum wir uns nicht der Resolution des Europaparlaments
anschließen wollen. Ich frage Sie, ob Sie mir bestätigen
können, dass ich korrekt zitiere, wenn ich sage, dass in
der Resolution des Europaparlaments steht, dass Kuba
durch seine Handlungen einseitig die Normalisierung
der Beziehungen verhindert habe und der Europäische
Rat ermächtigt werde, Maßnahmen zu ergreifen. Meinen
Sie, dass es sinnvoll ist, wenn ein Parlament dem Rat
Freiheit bei den Maßnahmen einräumt?


(Beifall bei der LINKEN)



Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604325800

Ich kann Ihnen bestätigen, dass es in der Entschlie-

ßung des Europäischen Parlaments, die die Mitglieder
Ihrer Fraktion dort auch überwiegend abgelehnt haben
und die in der Entschließung zitiert wird, unter anderem
heißt:

… alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um
die Freilassung der politischen Häftlinge und die
sofortige Beendigung der Schikanen gegen die poli-
tische Opposition und die Menschenrechtler zu er-
reichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es geht um die erforderlichen Maßnahmen! Sollen wir
denn nichts tun? Sollen wir nicht einmal mit denen re-
den? Sollen wir nicht in bilateralen Gesprächen mit
Kuba zu erreichen versuchen, dass dort die Menschen-
rechte eingehalten werden? Das abzulehnen, wäre doch
nun wirklich billig.

Ich habe leider von Ihnen und Ihrer Fraktion zu dieser
gemeinsamen Entschließung nicht einen Satz, nicht ei-
nen Vorschlag gehört. Wir hatten ein interfraktionelles
Berichterstattergespräch. Die Kollegen von der Fraktion
Die Linke hatten es noch nicht einmal für nötig befun-
den, dorthin zu kommen. Da hätten Sie ja mit uns über
solche Punkte verhandeln können, wenn Ihnen das wich-
tig gewesen wäre.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie haben aber diese Debatte wie die Menschenrechtssi-
tuation in Kuba mit Nichtachtung gestraft. Das ist ein
Armutszeugnis. Sie verspielen hier heute Ihre Reputa-
tion im Bereich der Menschenrechtspolitik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Man kann sich nicht aussuchen, wo man kritisiert,
sondern wenn etwas kritikwürdig ist, muss man klar
Flagge zeigen. Das haben wir immer so gehalten. An-
dere, die da früher Hemmungen hatten, tun es heute auch
gegenüber Ländern wie den USA. Diese Entwicklung ist
gut. Wir begrüßen sie und erkennen das an. Ihnen wün-
sche ich: Gute Besserung!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1604325900

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Be-

schlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte
und Humanitäre Hilfe auf Drucksache 16/2006 zu dem
Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit
dem Titel „Presse und Meinungsfreiheit in Kuba einfor-
dern“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 16/934
für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss für Menschenrechte und Humani-
täre Hilfe, den Antrag der Fraktion der FDP auf Druck-
sache 16/945 mit dem Titel „Menschenrechte in Kuba
einfordern und die kubanische Zivilgesellschaft fördern“
für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist ebenso einstimmig angenommen.

Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/2006 empfiehlt der Ausschuss, eine Ent-
schließung anzunehmen. Es ist namentliche Abstim-
mung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. –
Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall.
Dann eröffne ich die Abstimmung.

Ich stelle die obligate Frage: Ist noch ein Mitglied des
Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben
hat?


(Zurufe: Ja!)


Haben jetzt alle Kolleginnen und Kollegen ihre
Stimme abgegeben? – Das ist der Fall. Dann schließe ich
die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Er-
gebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gege-
ben.1)

Wir setzen die Beratungen fort.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der neu gefassten Banken-
richtlinie und der neu gefassten Kapital-
adäquanzrichtlinie

– Drucksache 16/1335 –

1) Ergebnis Seite …






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksachen 16/2018, 16/2056 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Leo Dautzenberg
Nina Hauer
Frank Schäffler
Dr. Axel Troost
Dr. Gerhard Schick

Hierzu liegen je ein Entschließungsantrag der Frak-
tion der Linken und der Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Die Kolleginnen und
Kollegen Nina Hauer, Axel Troost und Gerhard Schick
und der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller ha-
ben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Deswegen erteile
ich jetzt Kollegen Frank Schäffler, FDP-Fraktion, das
Wort.


(Beifall bei der FDP)



Frank Schäffler (FDP):
Rede ID: ID1604326000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf zur Umsetzung
der Basel-II-Vorgaben wird heute von einer breiten
Mehrheit dieses Hauses getragen. Die FDP-Fraktion
wird auch aufgrund der im Finanzausschuss erreichten
Verbesserungen zustimmen.

Meiner Fraktion war wichtig, dass wir einige Ände-
rungsvorschläge aus der Anhörung zur Vermeidung zu-
sätzlicher Bürokratie umgesetzt haben. Dies ist deshalb
von großer Bedeutung, weil die Umsetzung von Basel II
in nationales Recht für die Kreditwirtschaft einen enor-
men Aufwand bedeutet. Allein das aufsichtliche Zulas-
sungsverfahren für interne Ratings bindet in mittelstän-
dischen Banken je nach Anzahl der Ratingsysteme zwei
bis fünf Mannjahre.

Insgesamt bietet der vorliegende Gesetzentwurf eine
ausgewogene Balance zwischen dem Ziel eines stabilen
Finanzmarktes und dem Interesse der Marktteilnehmer,
günstige Kredite zu erhalten. Die FDP-Fraktion setzt
darauf, dass die Kreditvergabe für den Mittelstand durch
die geringere Eigenkapitalunterlegung der Banken ver-
bessert wird.

Die aktuelle Auswirkungsstudie der Bundesbank,
QIS 5, hat nachgewiesen, dass im Vergleich zum derzeit
in Deutschland geltenden Grundsatz I die Eigenkapi-
talanforderungen für das gesamte deutsche Bankensys-
tem um 6,7 Prozent sinken werden. Dabei profitieren
nicht nur die großen Banken mit einem um 4,2 Prozent
geringeren Eigenkapitalerfordernis, sondern insbeson-
dere die kleinen Banken mit bis zu 8,4 Prozent. Die Stu-
die hat auch gezeigt, dass es deutliche Anreize gibt, ver-

1) Anlage 15
feinerte Ratingverfahren zu verwenden, da damit die
Eigenkapitalanforderungen sinken.

Ich begrüße auch, dass beim Thema Transparenz des
Ratings mit der vorliegenden Beschlussempfehlung das
richtige Signal gesetzt wird.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir schaffen nicht einen neuen Paragrafen, sondern set-
zen auf die Selbstverpflichtung der Kreditwirtschaft.

In Bezug auf das Scoring hat der Bundesdatenschutz-
beauftragte eindeutig erklärt, dass die Regelungen, die
wir hier umsetzen, nur für das Rating, aber nicht für das
Scoring gelten.

Ein zentraler Punkt in den Beratungen war für die
FDP die Nullgewichtung von Intragruppenforderungen
bei Haftungsverbünden von Sparkassen und Landesban-
ken. In der Anhörung wurde darauf hingewiesen, dass
bei diesen Verbünden eine unbedingte Haftungszusage,
eine zentrale Risikosteuerung, konsolidierte Publizitäts-
pflichten und eine homogene Mitgliederstruktur fehlen.
Es kommt nun entscheidend darauf an, dass die Banken-
aufsicht auf die Beachtung der Großkreditvorschriften
und der Mindestanforderungen an das Risikomanage-
ment hinwirkt. Die Bundesregierung muss Bericht er-
statten, wenn Erfahrungen mit dem novellierten KWG
gemacht wurden. Wir erwarten seitens der FDP-Fraktion
einen Bericht Anfang 2008, wenn die Jahresabschlüsse
für 2007, also für das Jahr, in dem die neuen Regeln erst-
mals angewandt werden, vorliegen.

Wichtig ist, dass das Parlament im weiteren Verlauf in
die Umsetzung der zu Basel II gehörenden Solvabili-
tätsverordnung und der Groß- und Millionenkreditver-
ordnung einbezogen bleibt. Auch beim Erlass der Ver-
ordnungen muss das Prinzip der Eins-zu-eins-
Umsetzung gelten. Wir werden sehr genau darauf ach-
ten, ob die BaFin die notwendigen Konsequenzen zur
Stabilität unseres Finanzmarktes ergreift.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Positiv ist festzuhalten, dass im Finanzausschuss noch
Änderungen des Gesetzentwurfes beschlossen wurden,
die zumindest die Vermeidung zusätzlicher Bürokratie
bedeuten. Ich nenne nur die nunmehr ausreichende „Be-
scheinigung über die prüferische Durchsicht des Zwi-
schenabschlusses“ oder den Verzicht auf die Anzeige-
pflichten beim Outsourcing.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hat
in der Anhörung zu Recht darauf hingewiesen, dass der
Normenkontrollrat, wenn es ihn schon geben würde, bei
diesem Gesetzentwurf viel zu tun gehabt hätte. Es bleibt
festzuhalten, dass das Kreditwesengesetz insgesamt ei-
ner Überarbeitung im Sinne der besseren Lesbarkeit und
Handhabbarkeit bedarf.

Die FDP-Fraktion hat die Basel-II-Umsetzung über
viele Jahre hinaus stets im Sinne des Mittelstandes
begleitet. Wir denken, dass heute ein gutes Ergebnis vor-
liegt. Die Basel-II-Umsetzung bleibt aber natürlich






(A) (C)



(B) (D)


Frank Schäffler
weiterhin ein Prozess, den wir aufmerksam begleiten
werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1604326100

Ich erteile das Wort Kollegen Georg Fahrenschon,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Georg Fahrenschon (CSU):
Rede ID: ID1604326200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Zu zugegebenermaßen vorgerückter Stunde schließt
der Deutsche Bundestag nach über siebenjähriger enga-
gierter Begleitung eine grundlegende Modernisierung
der deutschen Banken- und Kreditaufsicht ab. Man muss
schon die Frage stellen, warum wir eine Veränderung der
Banken- und Kreditaufsicht befürworten und was die
Hintergründe dieses Vorgehens sind.

Das speziell bankenspezifische Risiko besteht darin,
dass ein Schuldner seiner Verpflichtung gegenüber der
Bank nicht nachkommt und die Bank im schlimmsten
Falle ihre eigenen Verpflichtungen gegenüber den Spa-
rern nicht erfüllen kann. Um dieses Ausfallrisiko gegen-
über den vielen Sparern und Anlegern in einer Volks-
wirtschaft zu reduzieren und um die Gefahr einer Krise
am Finanzmarkt möglichst auszuschließen, müssen alle
Kreditinstitute und Banken grundsätzlich Eigenkapital
vorhalten, damit im Falle von Ausfällen die Verluste auf-
gefangen werden können. Das ist international üblich.

Seit 1988 wurden dafür auch verbindliche Mindest-
standards für die Kapitalunterlegung von Risiken
durch Kreditinstitute vereinbart, die mittlerweile in über
100 Ländern angewendet werden. Nach dieser Regel
müssen Banken und Sparkassen weltweit für jeden Kre-
dit an Unternehmen in Höhe von zum Beispiel 100 Euro
8 Euro Eigenkapital hinterlegen.

Jetzt kommt der entscheidende Punkt. Diese rein
quantitative und pauschale Eigenkapitalvorschrift erwies
sich jedoch wenige Jahre nach ihrer internationalen In-
Kraft-Setzung einer Reihe von Risiken schlicht und ein-
fach nicht angemessen. Was noch schwerer wiegt: Die
bestehenden Regeln setzen strukturelle Fehlanreize.
Dazu zählt zum Beispiel, dass ein Institut für einen Kre-
dit an Unternehmen mit geringerem Risiko genauso viel
Eigenkapital hinterlegen muss wie für einen Kredit an
ein Unternehmen mit schlechter Bonität. Das bedeutet
im Kern nichts anderes, als dass gute Schuldner ge-
wissermaßen schlechte Schuldner subventionieren,
was – wenn man es weiterentwickelt – den guten
Schuldner dazu veranlasst, Fremdmittel beispielsweise
auf Anleihemärkten aufzunehmen, weil dieser Weg für
ihn günstiger ist.

Letztendlich führt das dazu – das ist ein wesentlicher
Grund, weshalb wir die Eigenkapitalhinterlegungsregeln
ändern müssen –, dass in absolutem Widerspruch zum
Ziel sich die schlechteren Risiken eher bei den Banken
sammeln, als dass sie sich im Markt verteilen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Um diesen Strukturfehler abzubauen, erfasst nun die
neue Bankenregel Basel II die individuellen Risiken ei-
nes Kredits differenziert und trägt damit direkt zur Stabi-
lisierung des nationalen wie auch des internationalen
Finanzsystems bei.

Ich habe schon am Anfang meiner Rede auf die sie-
benjährige Entwicklung hingewiesen. Man sollte daran
erinnern, dass, als der so genannte Baseler Ausschuss, in
dem die Bundesbank und die Bankenaufsicht die Interes-
sen Deutschlands vertreten, 1999 seinen ersten Entwurf
für die neuen Eigenkapitalanforderungen für Banken
vorlegte, in Deutschland ein Sturm der Entrüstung los-
brach. Vor allem der Mittelstand befürchtete vor dem
Hintergrund der damaligen Vorschläge nicht zu Unrecht,
dass er durch die Änderungen der Bankensteuerung mas-
sive Nachteile bei seiner Kreditversorgung erleiden
werde.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Die Gefahr bestand auch!)


Heute kann ich feststellen, dass es dem sofortigen En-
gagement des Deutschen Bundestages und der engen Zu-
sammenarbeit mit den deutschen Kollegen im Europäi-
schen Parlament, insbesondere mit dem zuständigen
Berichterstatter, zu verdanken ist, dass diese Befürchtun-
gen nicht eingetreten sind.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Im Gegenteil: Es konnten sogar erhebliche Vorteile
für den deutschen Mittelstand erreicht werden. Denn
mit dem so genannten Mittelstandspaket wurde bei der
Behandlung der Kredite an kleine und mittlere Unter-
nehmen sichergestellt, dass es unter Basel II definitiv
nicht zu einer Verschlechterung der Finanzierungsmög-
lichkeiten für den Mittelstand kommen wird. So werden
beispielsweise allein durch die Möglichkeit, Kredite an
kleine Unternehmen von unter 1 Million Euro wie Kre-
dite an Privatkunden zu behandeln, circa 90 Prozent aller
Kreditforderungen des deutschen Mittelstands spürbar
entlastet.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Diese Regelung bedeutet, dass jeder Mittelständler un-
abhängig von der Höhe des Jahresumsatzes bei jeder
Ausfallwahrscheinlichkeit ein um 25 Prozent niedrigeres
Risikogewicht als ein Unternehmenskredit erhält. Das
hilft insbesondere bei Krediten an Handwerker, Freibe-
rufler, Landwirte, aber auch bei Krediten an private
Haushalte, wenn es um die Finanzierung von Wohnim-
mobilien inklusive der Bauspardarlehen geht.

Im Ergebnis kann man also feststellen, dass Unter-
nehmen wie private Haushalte in Zukunft sogar größere
Chancen beim Nachweis ihrer Kreditwürdigkeit haben,
um dann auch bessere Konditionen zu erhalten. Die Aus-






(A) (C)



(B) (D)


Georg Fahrenschon

sage mancher Banker in den letzten Jahren: „Sie bekom-
men keinen Kredit wegen Basel II“ ist schlichtweg
falsch.

Vor diesem Hintergrund und um eine bessere Trans-
parenz zu erreichen, haben CDU/CSU gemeinsam mit
der SPD und der FDP in der gestrigen Finanzausschuss-
sitzung zusätzlich eine Entschließung zu Art. 145 Abs. 4

Auch bei der Ermittlung der Auslastung der Baga-
tellgrenzen für die Freistellung von der Anwendung der
Handelsbuchregelung wird die gängige Gesetzespraxis
aus gutem Grund beibehalten, da unserer Ansicht nach
keinerlei Notwendigkeit besteht, die betroffenen Nicht-
handelsbuchinstitute mit einem unnötigen Aufwand zu
belasten.
Grundlage der europäischen Richtlinie fordern wir die
deutsche Kreditwirtschaft auf, über das Instrument einer
Selbstverpflichtung dafür Sorge zu tragen, dass alle Kre-
ditinstitute ihre Ratingentscheidungen den Kredit su-
chenden Unternehmen in nachvollziehbarer Weise und
schriftlich offen legen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


An dieser Stelle ist für die Union wichtig: Sollte diese
Selbstverpflichtung nicht ausreichen und nur unzurei-
chend Wirkung zeigen, wollen wir prüfen, ob eine ge-
setzliche Regelung notwendig ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Prüfen wir mal! Kommt Zeit, kommt Rat! – Frank Schäffler [FDP]: Warten wir mal ab!)


Denn Basel II ist kein Kreditkiller für den Mittelstand,
sondern bietet faire Rahmenbedingungen für die Kredit-
vergabe.

Kollege Schäffler hat bereits herausgestellt, dass es
uns auch im letzten Teil, in der nationalen Umsetzung,
gelungen ist, ein optimales Ergebnis für alle Akteure am
Finanzstandort Deutschland zu erarbeiten und die neuen
Regeln für die Kreditwirtschaft und die Verbraucher
praktikabel zu machen. So konnte im parlamentarischen
Verfahren gegenüber der Bundesregierung erreicht wer-
den, dass eine Reihe von Verfahren, die in Deutschland
bereits seit Jahren erfolgreich von der Kreditwirtschaft
praktiziert werden, nicht unnötig verändert und ver-
schärft wurden. Beispielhaft möchte ich die im ur-
sprünglichen Gesetzentwurf vorgesehenen Änderungen
in § 10 KWG Abs. 2 a und c nennen.

Die Einführung neuer Abzugsverpflichtungen für
erhebliche Verluste aus der Bewertung von Handels-
buchpositionen oder für nicht erhebliche unterjährige
Verluste aus Handelsbuchgeschäften hätten enorme An-
wendungsprobleme für die Institute bedeutet. Mit der
Beibehaltung des Status quo in diesem Bereich konnte
unnötige Bürokratie vermieden werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich glaube, man kann die deutsche Umsetzung der
neuen Baseler Eigenkapitalregelung fraktionsübergrei-
fend als gelungen bezeichnen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Die inhaltliche Ausgestaltung des neuen Aufsichtsre-
gimes ab 2007 steht damit so frühzeitig wie möglich
fest. Dadurch können wir unseren Instituten am Standort
Deutschland einen Vorsprung bei der Anwendung der
neuen Eigenkapitalregeln und bei den damit verbunde-
nen frei werdenden Eigenkapitalmitteln verschaffen.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist sehr wichtig!)


Der Kollege Schäffler hat auf die 6,7 Prozent im Durch-
schnitt und auf die 8,4 Prozent weniger Eigenkapitalmit-
tel, die hinterlegt werden müssen, schon hingewiesen.

Zum Jahreswechsel 2007 ergibt sich ein wichtiger Ef-
fekt für die deutsche Kreditwirtschaft, die wieder mehr
Geld verfügbar hat, das sie dann auch in neue Kredite in-
vestieren kann. Ich glaube, wir müssen jetzt nur noch
aufpassen, dass die Aufsicht die neuen Instrumente auch
anwendet; denn die Aufgabe der Aufsicht ist es nicht,
unternehmerische Entscheidungen zu fällen, sondern die
Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Kreditwirt-
schaft in Deutschland zu schaffen und zu bewahren.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1604326300

Ich schließe die Aussprache.

Bevor wir zu den Abstimmungen über diesen Tages-
ordnungspunkt kommen, gebe ich Ihnen das von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb-
nis der namentlichen Abstimmung über Buchstabe c
der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Men-
schenrechte und Humanitäre Hilfe bekannt. Abgegebene
Stimmen 534. Mit Ja haben gestimmt 481, mit Nein ha-
ben gestimmt 48, Enthaltungen 5. Die Beschlussempfeh-
lung ist damit angenommen.
der neu gefassten Bankenrichtlinie eingebracht. Auf der






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Endgültiges Ergebnis
Abgegebenen Stimmen: 534;
davon

ja: 481
nein: 48
enthalten: 5

Ja

CDU/CSU

Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Veronika Bellmann
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer (Lübeck)

Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr zu

Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler (Wiesbaden)

Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich

Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer (Altötting)

Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer (Hamm)

Maria Michalk
Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Bernward Müller (Gera)

Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann (Bremen)

Henry Nitzsche
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht (Weiden)

Peter Rzepka
Anita Schäfer (Saalstadt)

Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Ingo Schmitt (Berlin)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß (Emmendingen)

Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr (Neuruppin)

Doris Barnett
Dr. Hans- Peter Bartels
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding (Heidelberg)

Volker Blumentritt
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Nina Hauer
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Gerd Höfer
Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Brunhilde Irber
Johannes Jung (Karlsruhe)

Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Rolf Kramer
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel (Berlin)

Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller (Chemnitz)

Michael Müller (Düsseldorf)

Dr. Rolf Mützenich
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche (Cottbus)

Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel Riemann-

Hanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Otto Schily
Silvia Schmidt (Eisleben)

Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt (Landau)

Carsten Schneider (Erfurt)

Reinhard Schultz


(Everswinkel)

Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h.c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen


(Wiesloch)

Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Engelbert Wistuba
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

FDP

Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr (Münster)

Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Martin Zeil
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Kerstin Andreae
Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz (Herborn)

Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Renate Künast
Undine Kurth (Quedlinburg)

Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Winfried Nachtwei
Brigitte Pothmer
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland

Nein

DIE LINKE

Hüseyin-Kenan Aydin
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dagdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Wer stimmt für den Ents
tion des Bündnisses 90/D
sache 16/2043? – Wer stimm
sich? – Damit ist der Entschl
des Bündnisses 90/Die Grü
Hauses bei Gegenstimmen
ses 90/Die Grünen und der L

Ich rufe den Tagesordnung

Beratung des Antrags
Kauch, Dr. Max Sta
chließungsantrag der Frak-
ie Grünen auf Druck-
t dagegen? – Wer enthält

ießungsantrag der Fraktion
nen mit den Stimmen des
der Fraktion des Bündnis-
inken abgelehnt.

spunkt 13 auf:

der Abgeordneten Michael
dler, Sabine Leutheusser-
nicht sieht, geht in die Irre.

Liebe Kolleginnen und K
schlagen vor, die Patientenve
gegen gibt es erst einmal gar
aber vergessen, dass eine Vo
treuungsverfügung und mögl
gung, ob man als Organspend
nicht, hinzugefügt werden m
Patientenverfügung nämlich

1) Anlage 16
ollegen von der FDP, Sie
rfügung neu zu regeln. Da-
nichts zu sagen. Sie haben
rsorgevollmacht, eine Be-

ichst auch eine klare Festle-
er zur Verfügung steht oder
üsste. Ansonsten nutzt die

relativ wenig.
den übrigen Fraktionen abgelehnt. tenverfügung; sie bleibt aber eine Notlösung. Wer das
Cornelia Hirsch
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte
Katrin Kunert
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Ulla Lötzer

Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothee Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Petra Pau
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer (Köln)


Nun kommen wir zu den Abstimmungen dieses Tages-
ordnungspunktes, und zwar zunächst über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umset-
zung der neu gefassten Bankenrichtlinie und der neu ge-
fassten Kapitaladäquanzrichtlinie, Drucksache 16/1335.
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2018, den Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des gan-
zen Hauses bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ange-
nommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit der gleichen Mehrheit wie zuvor angenom-
men.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/2018 empfiehlt der Ausschuss, eine Ent-
schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der Frak-
tion des Bündnisses 90/Die Grünen einstimmig ange-
nommen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/2042? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs-
antrag ist bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke von
Volker Schneider

(Saarbrücken)


Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich

fraktionslos

Gert Winkelmeier

Enthalten

SPD

Klaus Barthel
Monika Griefahn
Ernst Kranz
Lothar Mark
Dr. Wolfgang Wodarg

Schnarrenberger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP

Patientenverfügungen neu regeln – Selbstbe-
stimmungsrecht und Autonomie von nichtein-
willigungsfähigen Patienten stärken

– Drucksache 16/397 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und teile zunächst mit,
dass die Kollegen Kauch, Granold, Stünker, Grübel,
Schewe-Gerigk und Strässer ihre Reden zu Protokoll
gegeben haben.1) Es redet als Einziger zu diesem Tages-
ordnungspunkt der Kollege Ilja Seifert, Fraktion Die
Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604326400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Wir leben in einer verrück-
ten Zeit. Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist von Vertrauen
geprägt, sollte es jedenfalls sein. Was aber geschieht? Es
wird immer weiter verrechtlicht. Eine Hoffnung ist, so-
lange es kein einheitliches und überschaubares Recht des
Gesundheitswesens gibt, für viele Menschen die Patien-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ilja Seifert
Sie sorgen sich darum, dass die Fürsorge des Staates,
die Fürsorge des Arztes, die Fürsorge des Gesundheits-
wesens in Bevormundung umschlägt und die Selbst-
bestimmung der Menschen beeinträchtigt. Sie verges-
sen aber – das muss, wenn das neu geordnet wird,
unbedingt hinzugefügt werden –, dass wir dafür sorgen
müssen, dass die Menschen, wenn man ihnen immer
mehr Selbstbestimmung gibt, nicht immer stärker ver-
einsamen oder gar verwahrlosen. Das geschieht nicht
nur bei Alkoholkranken, das geschieht auch bei alten
Menschen, bei Demenz und anderen sozialen oder sons-
tigen Schwierigkeiten. Im Übrigen: Wie soll ich selbst
bestimmen, wenn ich gar nicht weiß, welche Therapie
ich gerade brauche, weil ich die Diagnose gar nicht
selbst stellen kann?

Deshalb sage ich: In diesem Zusammenhang nützt
uns die Stärkung des Selbstbestimmungsrechts allein
wenig. Wir müssen das Arzt-Patienten-Verhältnis, das
ein Vertrauensverhältnis sein sollte, stärken. Es kann
nicht sein, dass die Patienten zukünftig nur noch in Be-
gleitung ihres Rechtsanwalts zum Arzt gehen, wohl wis-
send, dass neben dem Arzt dessen Rechtsanwalt sitzt,
und sich dann die Rechtsanwälte über die Diagnose un-
terhalten und überlegen, welche Therapie von wem be-
zahlt wird. Wenn wir so weit sind, haben wir verloren.

Eine grundlegende Regelung des Arzt-Patienten-Ver-
hältnisses im BGB wäre sinnvoll, damit sowohl die Ärz-
tinnen und Ärzte als auch die Patientinnen und Patienten
wieder weniger über rechtliche Dinge nachdenken müs-
sen, sondern man wieder stärker Vertrauen darin haben
kann, dass jede Seite ihre Sache so ordentlich macht,
dass für alle Seiten das Beste herauskommt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns eines
nicht vergessen: Zu große Hoffnung in die Patientenver-
fügung zu legen, kann auch heißen, dass wir der aktiven
Sterbehilfe Tür und Tor öffnen. Was wollen wir denn
machen, wenn jemand frei und selbstbestimmt hinein-
schreibt: Wenn das und das mit mir passiert, möchte ich
eine Giftspritze haben. Wie soll sich der Arzt dann ver-
halten? Wenn die Patientenverfügung rechtsverbindlich
wäre, müsste er sie setzen. Ist sie es nicht, dann ist sie
überflüssig.

Also: Lassen Sie uns auch festlegen, was in einer
Patientenverfügung nicht festgelegt werden darf, bei-
spielsweise die aktive Sterbehilfe. Lassen Sie uns dafür
sorgen, dass die Palliativversorung – auch ambulant –
richtig, schnell und flächendeckend ausgebaut wird und
die Sterbebegleitung ernst genommen wird. Das ist ein
Faktor, der ein paar Mark dreißig kostet, den wir uns
aber leisten müssen, damit die Menschen keine Angst
vor dem haben müssen, was passiert, wenn sie in eine
gesundheitlich ausweglose Situation geraten. Das ist an-
gesagt und nicht das einseitige Setzen auf Selbstbestim-
mung gegen das Vertrauensverhältnis von Arzt und Pa-
tient.

Ich danke Ihnen, dass Sie zu dieser späten Stunde
noch so aufmerksam waren, und hoffe, dass wir zu ei-
nem vernünftigen Ergebnis kommen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1604326500

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/397 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über
den Europäischen Haftbefehl und die Überga-
beverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der

(Europäisches Haftbefehlsgesetz – EuHbG)

– Drucksache 16/1024 –

– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des
Rahmenbeschlusses über den Europäischen
Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwi-
schen den Mitgliedstaaten der Europäischen

(Europäisches Haftbefehlsgesetz – EuHbG)

– Drucksache 16/544 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/2015 –

Berichterstattung:

(Villingen-Schwenningen)

Joachim Stünker
Dr. Peter Danckert
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag

Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamen-
tarischen Staatssekretär Alfred Hartenbach das Wort.

A
Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1604326600


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Grenzen in Europa sind in den letzten
Jahrzehnten immer durchlässiger geworden. Das war
eine glückliche Entwicklung und zahllose Menschen
profitieren heute davon. Damit offene Grenzen aber
nicht zu einem Risiko für unsere Sicherheit werden,






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach
muss auch die Verbrechensbekämpfung grenzüber-
schreitend werden. Der Mobilität der Straftäter müssen
wir die Kooperation der Strafverfolger entgegensetzen.

Der Europäische Haftbefehl ist ein wichtiges Instru-
ment, um die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten beim
Kampf gegen Terrorismus und Kriminalität weiter zu
verbessern. An die Stelle der traditionellen Regelungen
des Völkerrechts tritt ein vereinfachtes und vor allem be-
schleunigtes Auslieferungsverfahren. Ein erstes Gesetz
hat das Bundesverfassungsgericht für verfassungswid-
rig erklärt. Das hat uns allen wehgetan.

Wir kommen mit dem neuen Entwurf heute dem Ur-
teil des Verfassungsgerichts nach, und zwar in allen
Punkten. Die Bundesregierung hat die Entscheidung des
Gerichts sehr genau geprüft und dann einen Gesetzent-
wurf vorgelegt. Der Rechtsausschuss hat auf dieser
Grundlage eine, wie ich finde, sehr intensive und gute
Anhörung durchgeführt und an einigen Punkten weitere
Veränderungen vorgenommen. Wir haben das Gesetz
verbessert und alle verfassungsrechtlichen Bedenken
ausgeräumt.

Die Entscheidung der Bewilligungsbehörde – das war
eine der Fragen –, keine der möglichen Bewilligungshin-
dernisse geltend zu machen, muss künftig durch die
Oberlandesgerichte überprüft werden. Damit entspre-
chen wir der Forderung des Gerichts nach einem besse-
ren Rechtsschutz.

Künftig ist auch klargestellt, dass eine Auslieferung
deutscher Staatsangehöriger unzulässig ist, wenn die
Tat einen maßgeblichen Inlandsbezug aufweist. Anders
ausgedrückt: Ausgeliefert werden darf künftig nur dann,
wenn Tatort und Erfolgseintritt in wesentlichen Teilen
im Ausland liegen oder wenn die Tat einen typischen
grenzüberschreitenden Charakter hat, wie dies zum Bei-
spiel bei der organisierten Kriminalität immer der Fall
sein wird.

Ich möchte eine dritte Änderung erwähnen, nämlich
die so genannte Ausländerklausel. Angesichts von Mil-
lionen zum Teil bestens integrierter Zuwanderer in
Deutschland macht es keinen Sinn, bei der Frage einer
Auslieferung einzig und allein auf die Staatsbürgerschaft
abzustellen. Ein Italiener zum Beispiel, der seit Jahr-
zehnten hier lebt, darf nicht anders behandelt werden als
sein deutscher Nachbar. Allerdings kommt es immer auf
den Einzelfall an. Wir haben deshalb die zwingende Re-
gel durch eine Ermessensklausel ersetzt. Ich meine, dass
das sehr vernünftig ist.

Insgesamt darf ich abschließend feststellen: Wir ha-
ben nunmehr einen verfassungsfesten Entwurf auf den
Tisch gelegt. Er berücksichtigt unsere Grundrechte und
die Entscheidung aus Karlsruhe. Er entspricht dem euro-
päischen Rahmenbeschluss und ist für die Praxis geeig-
net. Ich bin mir sicher: Mit diesem Gesetz kommt die
Strafverfolgung in Europa ein gutes Stück voran und da-
mit wird auch die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger
fester.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1604326700

Ich erteile das Wort Kollegin Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger, FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1604326800

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Staatssekretär
Hartenbach, genau diese Einschätzung teile ich nicht.


(Fritz Rudolf Körper [SPD]: Alles andere hätte mich auch sehr gewundert!)


Denn wenn Sie sich dieses Gesetzgebungsverfahren
ganz ehrlich und nüchtern vor Augen führen, stellen Sie
fest: Es war im ersten Anlauf vor dem Bundesverfas-
sungsgericht eine große Blamage, weil das Justizminis-
terium nicht in der Lage war, einen verfassungskonfor-
men Entwurf vorzulegen.


(Joachim Stünker [SPD]: Ja, ja! Genau wie in Ihrer Regierungszeit! – Fritz Rudolf Körper [SPD]: Das Interesse der FDP an diesem Thema ist aber auch nicht gerade groß, wie man sieht!)


Das Bundesverfassungsgericht hat das Gesetz insgesamt
für nichtig erklärt. Auch das muss einmal gesagt werden.


(Joachim Stünker [SPD]: Ja!)


Das hören Sie zwar nicht gerne


(Joachim Stünker [SPD]: Doch! Warum nicht?)


– das verstehe ich –, aber das ist die Geschichte dieses
Gesetzentwurfs.


(Beifall bei der FDP – Joachim Stünker [SPD]: So etwas ist in Ihren Regierungszeiten ja nie vorgekommen!)


– Ich kann Ihnen sagen: in dieser Häufigkeit mit Sicher-
heit nicht. Ich nenne nur das Stichwort „Luftsicherheits-
gesetz“. Das war eine Blamage bis zum Gehtnichtmehr.


(Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Ach! Jetzt kommen die ollen Kamellen!)


Heute Morgen haben Sie Gesetzentwürfe verabschie-
det, die sich alle beim Bundesverfassungsgericht wieder
finden und dort mit Sicherheit keinen Bestand haben
werden; denken Sie nur an das Steueränderungsgesetz.
In anderen Fällen haben Sie Gesetze mit Befristungen
versehen, obwohl Sie wissen, dass auch sie keinen Be-
stand haben werden. Insofern, Herr Staatssekretär, ist
das kein Glanzstück Ihrer Rechtspolitik.

Jetzt beraten wir den zweiten Anlauf des Justizminis-
teriums. Der erste Gesetzentwurf, der vorgelegt wurde,
hat noch nicht einmal die Zustimmung der Koalitions-
fraktionen gefunden; andernfalls hätten Sie in der letzten
Sitzung des Rechtsausschusses keine seitenlangen Ände-
rungsvorschläge vorlegen müssen. Gott sei Dank haben
wir die Anhörung zu diesem Gesetzentwurf durchge-
führt, in der die Kritik der Experten aus den unterschied-






(A) (C)



(B) (D)


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
lichsten Bereichen, die letztendlich auch das Justizmi-
nisterium zur Kenntnis nehmen musste, deutlich wurde.

Jetzt liegt in geänderter Fassung ein Gesetzentwurf
vor, der durch diese Änderungen schon etwas verbessert
wurde, der aber nach wie vor deutliche Defizite auf-
weist. Wenn man sich das Urteil des Bundesverfassungs-
gerichts – es ist zwar nicht Gesetzgeber, aber die letzte
Instanz, wenn es um die Frage der Verfassungskonformi-
tät geht – genau ansieht, stellt man das fest. Das Justiz-
ministerium hat es sich zu leicht gemacht: Man hat ein-
fach Formulierungen aus dem Urteil abgeschrieben, die
von Praktikern schon heute als nicht praxistauglich beur-
teilt werden.


(Beifall bei der FDP)


Was ist denn unter „maßgeblichem Inlandsbezug“ zu
verstehen? Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt,
hier müssten vonseiten des Gesetzgebers Konkretisie-
rungen erfolgen. Aber Sie übernehmen diese Formulie-
rungen. Alle Experten haben zum Ausdruck gebracht,
dass es große Unsicherheiten gibt, dass die verwendeten
Begriffe zu unbestimmt sind und dass man nicht weiß,
wie man sie anwenden soll. Diese Entscheidung wird na-
türlich der Rechtsprechung unterworfen. Denn bei dieser
Materie geht es darum, dass deutsche Staatsangehörige
– zwar auch lange hier lebende Ausländer, aber insbe-
sondere deutsche Staatsbürger – in die Hoheitsgewalt
und in ein Rechtsverfahren eines anderen Mitgliedstaa-
tes der Europäischen Union überstellt werden.

Dort herrschen in diesem Bereich nach wie vor sehr
unterschiedliche Traditionen und es werden verschie-
dene Verfahren angewendet, die sich längst nicht an ein-
heitlichen Standards orientieren. Daher denke ich, dass
es wichtig und notwendig ist, auch die Schranken, wann
jemand ausgeliefert werden darf und wann nicht, sehr
präzise zu formulieren.


(Beifall bei der FDP)


Das ist in Ihrem Gesetzentwurf nicht mit der notwendi-
gen Bestimmtheit der Fall.

Der zweite Bereich, über den wir mit den Experten in-
tensiv diskutiert haben, betrifft die Frage, inwieweit in
diesem Bewilligungsverfahren Rechtsschutzmöglich-
keiten gegeben sind. Das beinhaltet eine Bewilligungs-
und Zulässigkeitsprüfung. Meine sehr geehrten Kolle-
ginnen und Kollegen, nur auf massiven Druck wurde die
Formulierung gestrichen, dass die getroffene Entschei-
dung generell unanfechtbar ist. Eine solche Regelung
hätte mit Sicherheit nicht in Übereinstimmung mit dem
Urteil des Bundesverfassungsgerichts gestanden.

Wir sind der Auffassung – das haben wir auch im
Rechtsausschuss zum Ausdruck gebracht –, dass es letzt-
endlich einen Rechtsbehelf gegen diese Bewilligungs-
entscheidung geben muss und dass die Ausgestaltung
des zweistufigen Verfahrens allein, wie im vorliegenden
Gesetzentwurf vorgesehen, nicht ausreicht.

Lassen Sie mich zum Schluss anmerken, dass mit die-
sem Rahmenbeschluss zum Europäischen Haftbefehl
eine neue Ära der justiziellen und polizeilichen
Zusammenarbeit in der Europäischen Union eingeleitet
wird. Denn mit dem gegenwärtig praktizierten Prinzip
der gegenseitigen Anerkennung, mit dem wir uns in die-
ser Intensität bisher noch gar nicht befasst haben, wird
ein Weg beschritten, der dazu führt, dass wir die Rechts-
ordnungen der anderen Mitgliedstaaten der Europäi-
schen Union anerkennen, die, wie gesagt, sehr unter-
schiedlich sind und verschiedene Standards haben. Auf
diese unterschiedlichen Standards wird eine Anerken-
nung der jeweiligen Entscheidungen aufgesetzt. Das för-
dert nicht Integration, das manifestiert Unterschiede.
Wir haben bisher, obwohl es ein Grünbuch dazu gibt,
keinen Vorschlag dazu bekommen, wie Rechtsstandards
und Mindeststandards in diesem Bereich der polizeili-
chen und justiziellen Zusammenarbeit in Europa endlich
einmal im Gesamtzusammenhang betrachten werden
können, um ein Stück weit Verlust und Einschränkung
von Rechten der einzelnen Betroffenen abzubauen.

Die FDP-Fraktion lehnt diesen Gesetzentwurf des-
halb wegen grundsätzlicher Bedenken ab.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1604326900

Ich erteile das Wort Kollegen Siegfried Kauder, CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/
CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Es gibt einen Grundsatz, den jedermann kennt: Vor Ge-
richt und auf hoher See ist man in Gottes Hand. Zu den
Gerichten zählt auch das Bundesverfassungsgericht.


(Lachen des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Damit nicht einige glauben, feixen zu können – das
gilt insbesondere für die Grünen, die ja damals in der
Regierungsverantwortung waren –, lohnt es sich viel-
leicht, die Entwicklung des ersten Gesetzentwurfes zum
Europäischen Haftbefehlsgesetz zu beleuchten: Am
29. November 2000 wurde Art. 16 Abs. 2 des Grundge-
setzes im Vorgriff auf das von Europa zu erwartende
Recht – einen Rahmenbeschluss zum Europäischen
Haftbefehlsgesetz – um einen Satz 2 ergänzt. In diesem
Art. 16 Abs. 2 Satz 2 wurde abweichend von den bishe-
rigen Grundrechten festgelegt:

Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung für
Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäi-
schen Union oder an einen internationalen Ge-
richtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche
Grundsätze gewahrt sind.

Damit nahm das Drama seinen Lauf: Was sind „rechts-
staatliche Grundsätze“, wie sie bei diesem Ausliefe-
rungsgesetz zu beachten sind?

Am 19. September 2001 präsentierte die Kommission
den Vorschlag eines Rahmenbeschlusses des Rates über






(A) (C)



(B) (D)


Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)

den Europäischen Haftbefehl und am 15. August 2003
lag uns der Entwurf der Bundesregierung vor. Es war
Eile geboten, nicht etwa weil Bestrafung aus Europa an-
gestanden hätte, sondern weil alle Mitgliedstaaten der
Europäischen Union sich einig waren, dass in wenigen
Monaten, nämlich ab dem 1. Januar 2004, dieses erleich-
terte Auslieferungsrecht für die gesamte Europäische
Union gelten sollte. Es galt also den Anschluss zu hal-
ten. Verfassungsrechliche Rechtsprechung, an der wir
uns hätten orientieren können, gab es nicht. Deswegen
wurde dieser Gesetzentwurf mit der notwendigen Mehr-
heit im Deutschen Bundestag Gesetz. „Das war ja wohl
nichts“, meinte die Frau Kollegin Leutheusser-Schnar-
renberger etwas feixend; denn das Bundesverfassungs-
gericht hat dieses Gesetz mit Pauken und Trompeten
aufgehoben.

Meine lieben Kolleginnen, liebe Kollegen, wir kön-
nen nicht immer klüger sein, als mancher Richter das ist.
Und mancher Richter ist auch nicht klüger als das Bun-
desverfassungsgericht. Denn kurz nachdem dieses
Gesetz verabschiedet war, hat das Oberlandesgericht
Stuttgart – am 28. Januar 2005 – einen Beschluss verab-
schiedet, dessen Ziffer 2 ich mir zu zitieren erlaube:

Gegen die Verfassungsmäßigkeit des neuen Auslie-
ferungsrechts, insbesondere soweit es die Ausliefe-
rung Deutscher betrifft, bestehen keine durchgrei-
fenden Bedenken.

Da hat immerhin ein Oberlandesgericht, im Einverneh-
men mit den anderen Oberlandesgerichten, dem Gesetz-
geber bestätigt: Du hast eine gute Arbeit geleistet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das Bundesverfassungsgericht sah das anders. Damit
muss eine Regierungskoalition und eine Regierung eher
leben als die Opposition, weil in aller Regel die Mehr-
heit im Deutschen Bundestag die Gesetze verabschiedet
und sie dann auch vor dem Verfassungsgericht zu vertre-
ten hat.

Aber was hat uns das Bundesverfassungsgericht in
seiner Entscheidung präsentiert? Etwas, wovon nicht nur
die Politiker, sondern auch die Rechtsgelehrten völlig
überrascht waren: Da hat man auf einmal eine dreistu-
fige Prüfung eingeführt und war der Meinung, Ausliefe-
rungsfälle seien zu differenzieren nach dem so genann-
ten maßgeblichen Inlandsbezug und nach dem
maßgeblichen Auslandsbezug und, nicht zu vergessen,
dann gäbe es auch noch Mischfälle, wo man nicht ein-
deutig sagen kann, ob ein maßgeblicher Inlandsbezug
oder ein maßgeblicher Auslandsbezug vorhanden ist.
Das war also die dreistufige Prüfungsreihenfolge, die
uns das Verfassungsgericht vorgegeben hat.

Aber auch die Verfassungsrichter erkannten dann
schnell, dass es nicht so einfach möglich ist, dieses Sys-
tem durchzuhalten. Was machen wir denn mit der orga-
nisierten Kriminalität, die länderübergreifend tätig ist?
Na ja, dachten sich die hohen Herren bei Gericht, die pa-
cken wir einfach unter eine der Fallarten, nämlich die
mit maßgeblichem Auslandsbezug. – Meine Damen und
Herren, Sie sehen also: Es ist auch für ein Gericht nicht
so einfach, mit diesen Problemen fertig zu werden.
Ein weiteres Haar wurde in der Suppe gefunden, näm-
lich das, was die Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger
angesprochen hat: die Rechtsmittelfähigkeit der so ge-
nannten Bewilligungsentscheidungen. Seit es das Aus-
lieferungsrecht gibt, hat es das in Deutschland noch nie
gegeben und das wurde unisono auch von den Gerichten
und von den Rechtsgelehrten nicht verlangt. Auf einmal
ist dies völlig unerwartet eine Vorgabe des Verfassungs-
gerichts.

Warum erzähle ich Ihnen dies alles? Weil der Grund-
satz „Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes
Hand“ sicherlich auch für den jetzt vorliegenden Gesetz-
entwurf seine Anwendung finden könnte.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wird!)


Wir haben anhand unseres eigenen Wissens, mit unseren
eigenen intellektuellen Fähigkeiten und mithilfe von
Fachbeamten des Justizministeriums zu prüfen, ob wir
diesen Gesetzentwurf verfassungsrechtlich vertreten
können oder nicht.

Ich verhehle nicht, dass man den einen oder anderen
Gedanken haben kann – der Kollege Montag wird dazu
noch etwas sagen –, wie man dieses Gesetz noch aufpep-
pen kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen vom Bünd-
nis 90/Die Grünen, nehmen Sie es uns aber nicht übel,
dass wir die Debatte, die Sie in der letzten Legislaturpe-
riode mit Ihren Partnern nicht zu einem Ergebnis haben
führen können, nicht noch einmal entfachen.

Wir wollen ein verfassungskonformes Gesetz, das wir
damit vorgelegt haben. Ich bin der Meinung, es ist ver-
fassungstauglich. Ob es gerichtsfest ist, werden wir viel-
leicht irgendwann einmal sehen. Es ist aber geeignet,
dem zuzustimmen. Darum bitte ich Sie.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1604327000

Der Kollege Wolfgang Nešković, Fraktion Die Linke,

hat seine Rede zu Protokoll gegeben.1) Damit erteile ich
dem Kollegen Jerzy Montag, Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen, das Wort.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604327100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber

Kollege Kauder, die Grünen haben bei diesem Thema
nicht gefeixt, wie Sie gesagt haben, sondern ich habe mir
erlaubt, Ihnen zuzulächeln, weil ich die elegante Einfüh-
rung Ihres Vortrags so gut gefunden habe.

Mit allem Ernst: Ein Gesetz in einem zweiten Anlauf
formulieren zu müssen, das uns Abgeordneten des Bun-
destages vom Bundesverfassungsgericht mit der etwas
süffisanten Bemerkung zurückgegeben worden ist, wir
sollten „Gelegenheit bekommen, nunmehr unseren Ver-
fassungspflichten zu genügen“, ist nicht einfach. Ich er-
innere mich gut daran, dass ich am 11. März 2004 hier
im Hohen Hause gesagt habe, wir seien durch den Rah-
menbeschluss über den Europäischen Haftbefehl ge-

1) Anlage 17






(A) (C)



(B) (D)


Jerzy Montag
zwungen, einige wichtige rechtsstaatliche Schutznormen
des bewährten deutschen Auslieferungsrechts abzusen-
ken. Das Bundesverfassungsgericht hat dies anders gese-
hen.

Wir werden jetzt also in die Pflicht genommen, nach
den Vorgaben des Verfassungsgerichts nachzubessern.
Dabei sollten wir die uns vom Gericht zurückgegebene
Autonomie mutig nutzen und unsere Vorstellungen ei-
nes rechtstaatlichen Auslieferungsverfahrens ohne
ängstliches Schielen auf den Rahmenbeschluss in die Tat
umsetzen.


(Beifall des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Leider muss ich der Koalition bescheinigen, diesen Mut
nicht aufgebracht zu haben. Ich will das an der zentralen
Frage verdeutlichen, wann ein Deutscher an das Ausland
ausgeliefert werden kann.

Die Antwort, die in Ihrem Gesetz steht, lautet: Wenn
seine Tat einen maßgeblichen Bezug zu dem Staat auf-
weist, der seine Auslieferung begehrt. – Das ist schwie-
rig genug. Was aber ist ein maßgeblicher Bezug? Er soll
gegeben sein, wenn die Tat in wesentlichen Teilen in die-
sem Staat begangen wurde und der Taterfolg in wesentli-
chen Teilen dort eingetreten ist oder wenn die Tat einen
typisch grenzüberschreitenden Charakter hat. Was ist
aber der „wesentliche Teil“ einer Tat und welche Taten
haben einen „grenzüberschreitenden Charakter“? Fragen
über Fragen.

Damit ist es aber noch nicht genug. Der Deutsche
kann auch ausgeliefert werden, wenn seine Tat keinen
maßgeblichen Bezug zu dem Staat aufweist, der seine
Auslieferung begehrt.

Man fragt sich, warum und unter welchen Bedingun-
gen das so sein soll. Das soll möglich sein, wenn seine
Tat auch keinen maßgeblichen Bezug zu Deutschland
hat, seine Tat – die maßgeblich wohl dann in einem
Drittstaat begangen worden sein muss – nach deutschem
Recht auch strafbar wäre und bei einer Abwägung der
Interessen des Staates, der die Auslieferung begehrt, ob-
wohl zu ihm gar kein maßgeblicher Bezug besteht, im
Verhältnis zu dem Interesse des Deutschen, nicht ausge-
liefert zu werden, die Interessen gleichgewichtig sind
oder die staatlichen Interessen überwiegen. – Das soll ei-
ner verstehen, der als Betroffener vor einer Auslieferung
zum Beispiel nach Lettland steht.

Es kommt aber noch schlimmer. Bei diesen letztge-
nannten Abwägungen zwischen den Interessen des Staa-
tes und des betroffenen Bürgers sind ins Verhältnis zu
setzen die praktischen Erfordernisse und Möglichkeiten
einer effektiven Strafverfolgung unter Berücksichtigung
der mit der Schaffung eines europäischen Rechtsraums
verbundenen Ziele mit den grundrechtlich geschützten
Interessen des Betroffenen. – Das alles steht in dem Ge-
setz. Das haben Sie wortwörtlich aus der Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts abgeschrieben. Sie glau-
ben, indem Sie solche Begriffskaskaden ins Gesetz auf-
nehmen, könnten Sie einer nochmaligen Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts entkommen. Sie ent-
kommen dem vielleicht, Herr Kollege Kauder, aber ein
gutes Gesetz ist das immer noch nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben deswegen im Rechtsausschuss konkrete
Verbesserungsvorschläge dazu gemacht. Aber Sie haben
mit uns nicht einmal die Diskussion über unsere Ände-
rungswünsche geführt. Sie haben zu unseren Änderungs-
vorschlägen im Rechtsausschuss geschwiegen. Weil Sie
die Diskussion nicht gesucht und unsere guten Verbesse-
rungsvorschläge nicht akzeptiert haben, werden Sie,
meine Damen und Herren von der großen Koalition, die
Verantwortung für dieses Gesetz alleine zu tragen haben.
Wir Grünen werden diesem Gesetzentwurf nicht zustim-
men.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1604327200

Ich erteile das Wort dem Kollegen Carl-Christian

Dressel, SPD-Fraktion.


Dr. Carl-Christian Dressel (SPD):
Rede ID: ID1604327300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich

mir einige der Vorredner, vor allem Frau Leutheusser-
Schnarrenberger und Herrn Montag, anhöre, dann denke
ich, es geht um die Auslieferung von Verfolgten an Staa-
ten wie China oder Kuba und nicht an Rechtsstaaten in-
nerhalb der Europäischen Union. Meine Damen und
Herren, wir können darüber froh sein, dass wir in Europa
ein rechtsstaatliches Gemeinschaftssystem erreicht ha-
ben und dass der Europäische Rat bereits 1999 das Ziel
formuliert hat, in Europa einen Raum der Freiheit, der
Sicherheit und des Rechts zu gestalten.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gestalten zu wollen!)


Europa ist mehr als eine Wirtschaftsgemeinschaft. Eu-
ropa ist eine Rechtsgemeinschaft.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist es noch nicht!)


Zu diesen Grundsätzen gehört auch, dass im Rahmen
eines rechtsstaatlichen Verfahrens die strafrechtliche
Verfolgung über die Grenzen hinaus ermöglicht wird.

Wir haben den europäischen Rahmenbeschluss jetzt
umzusetzen, nachdem es im ersten Anlauf nicht geklappt
hat. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, dass
dem Gesetzgeber, da tragende verfassungsrechtliche
Gründe nicht gehalten haben, Gelegenheit gegeben wer-
den muss, das Gesetz in seiner Gesamtheit neu zu bera-
ten und die Möglichkeit zu schaffen, sowohl verfas-
sungskonform als auch rahmenbeschlusskonform zu
einer Umsetzung zu kommen.


(Zuruf von der FDP: Das habe ich nicht verstanden!)


– Das steht unter Randnummer 116 B II der Entschei-
dung des Bundesverfassungsgerichts.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Carl-Christian Dressel
Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie sagen immer,
das Gesetz sei insgesamt für nichtig erklärt worden. Das
ist die normale Folgen, derer sich das Bundesverfas-
sungsgericht bedient, wenn es sich um die tragenden
Entscheidungen eines Gesetzes handelt. Wir haben in
dem vorliegenden Gesetzentwurf die Vorgaben des Bun-
desverfassungsgerichts berücksichtigt.

Ich sehe keinen Grund, daran zu zweifeln, ob ver-
fassungsgerichtliche Vorgaben – durchaus auch im Wort-
laut – im Gesetz erscheinen können. Ganz im Gegenteil:
Es ist gute rechtsstaatliche Tradition, sowohl Begriff-
lichkeiten aus gerichtlichen Entscheidungen zu überneh-
men, als auch die Entscheidung im Einzelfall Behörden
und Gerichten zu überlassen.

Wir können als Gesetzgeber nicht für jeden denkba-
ren Einzelfall Vorsorge treffen. Wir können die Grund-
sätze vorgeben; über den Einzelfall entscheiden Behör-
den und Gerichte. Und tun wir nicht so, als ob das etwas
Neues wäre! Das ist im deutschen Rechtsstaat schon seit
Jahrzehnten, wenn nicht seit Jahrhunderten so.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit Jahrhunderten ein Rechtsstaat? Sie vergaloppieren sich ein bisschen!)


– Herr Montag, die gesetzliche Regelung der Einzelfall-
entscheidung gibt es bei uns seit dem 19. Jahrhundert,
auch schon vor Einführung des Rechtsstaates.


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Sagen Sie doch mal konkret etwas zum Gesetzentwurf!)


– Ich sage Ihnen gerne konkret, Frau Leutheusser-
Schnarrenberger: Wenn Sie aufgrund von Nichtanfecht-
barkeiten der Entscheidung der Bewilligungsbehörde,
die wir ursprünglich vorgesehen hatten, jetzt plötzlich
den Zusammenbruch des Rechtsstaates befürchten, dann
ist Ihnen offenbar eine Vorschrift wie § 44 a der Verwal-
tungsgerichtsordnung nicht bekannt, derzufolge eine
notwendige Zwischenentscheidung nicht isoliert an-
fechtbar ist, sondern erst im Rahmen der Gesamtent-
scheidung. Dann ist wahrscheinlich die Hälfte aller Bau-
genehmigungen, die bei Zwischenentscheidungen nicht
isoliert anzufechten waren, rechtsstaatswidrig. Diese
Auffassung kann ich nicht teilen, Frau Leutheusser-
Schnarrenberger.

Mit dem Europäischen Haftbefehl werden wir die Zu-
sammenarbeit zwischen den europäischen Staaten erheb-
lich beschleunigen und die Kriminalitätsbekämpfung
verbessern. Wir haben ein durch die Bank gutes Gesetz
geschaffen, das sich an den Vorgaben des Bundesverfas-
sungsgerichts orientiert. Lassen Sie uns die Grundlage
für eine vernünftige Zusammenarbeit bei der Kriminali-
tätsbekämpfung in Europa auch im strafrechtlichen Be-
reich schaffen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1604327400

Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Europäischen
Haftbefehlgesetzes, Drucksache 16/1024. Der Rechts-
ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/2015, den Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/
CSU und der SPD gegen die Stimmen der drei anderen
Fraktionen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit den gleichen Mehrheiten wie soeben ange-
nommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/2044. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag
ist damit mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD
bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die
Stimmen der FDP und der Linken abgelehnt.

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses zu dem von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurf eines Europäi-
schen Haftbefehlgesetzes, Drucksache 16/544. Der
Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/2015, den Ge-
setzentwurf für erledigt zu erklären. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig an-
genommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim
Dagdelen, Ulla Jelpke, Petra Pau, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der LINKEN

Einbürgerungen erleichtern – Ausgrenzungen
ausschließen

– Drucksache 16/1770 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Die Beiträge der Kollegen Kammer, Veit, Wolff

(Rems-Murr), Dagdelen und Winkler zu diesem Tages-

ordnungspunkt sind zu Protokoll gegeben.1)

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/1770 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-

1) Anlage 18






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und
der Vermögensabschöpfung bei Straftaten

– Drucksache 16/700 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/2021 –

Berichterstattung:

(VillingenSchwenningen)

Dr. Peter Danckert
Jörg van Essen
Sevim Dagdelen
Jerzy Montag

Die Reden der Kollegen Siegfried Kauder, Peter
Danckert, Jörg van Essen, Sevim Dagdelen und Jerzy
Montag zu diesem Tagesordnungspunkt sind zu Pro-
tokoll gegeben1), genauso wie die Rede des Parlamenta-
rischen Staatssekretärs Alfred Hartenbach2).

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Stärkung
der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöp-
fung bei Straftaten, Drucksache 16/700. Der Rechtsaus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/2021, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist bei Enthaltungen
der Fraktionen der FDP und Die Linke mit den Stimmen
der anderen Fraktionen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit der gleichen Mehrheit wie soeben angenom-
men.

Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen der FDP
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Demokratiebewegung in Belarus unterstützen

– Drucksache 16/1977 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss

1) Anlage 19
2) Rede lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.
Die Reden der Kollegen Manfred Grund, Uta Zapf,
Harald Leibrecht und Wolfgang Gehrcke3) zu diesem
Tagesordnungspunkt sind zu Protokoll gegeben.4)

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/1977 an den Auswärtigen Ausschuss
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b so-
wie die Zusatzpunkte 7 und 8 auf:

20 a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD

UN-Überprüfungskonferenz als Chance zur
wirksamen Kontrolle des Handels mit Klein-
waffen und leichten Waffen nutzen

– Drucksache 16/1894 –

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Holger
Haibach, Erika Steinbach, Carl-Eduard von Bis-
marck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Herta
Däubler-Gmelin, Christoph Strässer, Niels An-
nen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD

Den neuen Menschenrechtsrat der Vereinten
Nationen zum Erfolg führen

– Drucksache 16/1891 –

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Nachtwei, Alexander Bonde, Jürgen Trittin, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN

Waffen unter Kontrolle – Für eine umfassende
Begrenzung und Kontrolle des Handels mit
Kleinwaffen und Munition

– Drucksache 16/1967 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Alexan-
der Bonde, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Den neuen Menschenrechtsrat der Vereinten
Nationen intensiv unterstützen

– Drucksache 16/1968 –

Die Reden der Kollegen Holger Haibach, Carl-Edu-
ard von Bismarck, Herta Däubler-Gmelin, Christoph

3) Rede lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.
4) Anlage 20






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Strässer, Florian Toncar, Michael Leutert und Volker
Beck sind zu Protokoll gegeben.1)

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Druck-
sache 16/1894 mit dem Titel „UN-Überprüfungskon-
ferenz als Chance zur wirksamen Kontrolle des Handels
mit Kleinwaffen und leichten Waffen nutzen“. Wer
stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/
CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grü-
nen angenommen.

Tagesordnungspunkt 20 b. Abstimmung über den An-
trag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf der
Drucksache 16/1891 mit dem Titel „Den neuen Men-
schenrechtsrat der Vereinten Nationen zum Erfolg füh-
ren“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen
der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion Die Linke
gegen die Stimmen der Grünen angenommen.

Zusatzpunkt 7. Interfraktionell wird Überweisung der
Vorlage auf Drucksache 16/1967 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Zusatzpunkt 8. Abstimmung über den Antrag der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/1968 mit dem Titel „Den neuen Men-
schenrechtsrat der Vereinten Nationen intensiv unterstüt-
zen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der anderen
Fraktionen abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Carl-
Ludwig Thiele, Frank Schäffler, Dr. Hermann
Otto Solms, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP

REITs – Real Estate Investment Trusts in
Deutschland einführen

– Drucksache 16/1896 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
FDP sechs Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Carl-Ludwig Thiele, FDP-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der FDP)


1) Anlage 21

Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1604327500

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Kolleginnen und Kollegen! Nachdem in den Medien
darüber berichtet wurde, nachdem sich Koalitionsar-
beitsgruppen damit beschäftigt haben, ist es gut, dass uns
heute dieser Antrag vorliegt. Dies trägt dazu bei, dass
wir die Real Estate Investment Trusts entsprechend vo-
rantreiben. Wir brauchen das. In der Koalitionsvereinba-
rung gibt es sogar eine entsprechende Absichtserklä-
rung; aber wir haben REITs noch nicht.

Die SPD-Linken machen erheblich Stimmung gegen
die Einführung von REITs. Vielleicht ist auch ihnen das
Papier „Heuschrecken vor der Haustür“ bekannt.


(Zurufe von der SPD: Vor der Wohnungstür!)


– Vor der Tür, Entschuldigung!


(Florian Pronold [SPD]: Vor der Wohnungstür!)


– In meinem Text steht „Heuschrecken vor der Tür“.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist die dritte Auflage!)


Heuschrecken möchte natürlich niemand gern in seiner
Wohnung haben.

Worum geht es? Es geht hier aus meiner Sicht im We-
sentlichen darum, ideologische Vorbehalte der SPD-Lin-
ken in dieser Frage endlich einmal über Bord zu werfen.
Auch für die CDU/CSU-SPD-Koalition sollte gelten:
Wir wollen nicht nur wissen, was in Deutschland nicht
geht, sondern wir wollen endlich auch einmal wissen,
dass etwas geht in Deutschland.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb werden wir als FDP in diesem Bereich aktiv.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Petra Pau)


Die Ängste der Menschen werden geschürt; aber kei-
ner wird durch den Verkauf einer Wohnung schlechter
gestellt. Es ist in diesem Zusammenhang darauf hinzu-
weisen, dass gerade unter einem SPD-geführten Ressort
noch in der letzten Wahlperiode Hunderttausende von
Wohnungen an Mieter, an Investoren veräußert wurden.
Dies war also schon in der Vergangenheit ein Prinzip der
Sozialdemokraten. Insofern kann man jetzt nicht sagen:
Dieser Weg sollte nicht gegangen werden.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Zuletzt noch in Dresden war das! FDP-Bürgermeister!)


– Zuletzt in Dresden.

Der Bereich der Immobilienwirtschaft wird aus mei-
ner Sicht in Deutschland generell unterschätzt, auch was
die Werthaltigkeit angeht. Nach einer Untersuchung des
Ifo-Instituts beläuft sich der Wert inklusive des Grund-
stückwertes aller in Deutschland gehaltenen Immobilien
auf über 7 000 Milliarden Euro. In diesem Bereich sind
über 400 000 Menschen beschäftigt. Auch die volkswirt-
schaftliche Bedeutung dieses Bereichs sollte stärker als
bisher wahrgenommen werden.






(A) (C)



(D)


Carl-Ludwig Thiele

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Warum ist es so wichtig, die REITs nun einzuführen?
Ich möchte hier vier Gründe nennen.

Erstens. Als Anlageklasse wird die Immobilie auch in
Zukunft an Attraktivität gewinnen. Sie sichert durch die
Mietverträge nachhaltige Erträge und ist insbesondere
interessant, um Rentenverpflichtungen – Pensionsfonds
und Ähnliches – erfüllen zu können. Insofern ist es ein
guter Weg, die Immobilie für die Zukunft attraktiver zu
gestalten.

Zweitens. Die deutschen Unternehmen haben im Ver-
gleich mit denen anderer Länder eine sehr niedrige Ei-
genkapitalrendite, aber überdurchschnittlich viel Immo-
bilienbesitz. Eine Studie der Technischen Universität
Darmstadt hat ergeben, dass die Immobilieneigentums-
quote deutscher Unternehmen noch immer bei durch-
schnittlich rund 60 Prozent liegt. Im internationalen Ver-
gleich sind 30 bis 40 Prozent üblich.


(Frank Schäffler [FDP]: Stille Reserve!)


Insofern gibt es hier stille Reserven. Sie werden anders
bilanziert werden müssen. Aufgrund dessen werden
diese Reserven auch einer anderen Besteuerung zuge-
führt werden. Wir brauchen in Deutschland eine bessere
Eigenkapitalausstattung der Unternehmen. Deshalb soll-
ten wir dazu beitragen, dass die dort liegenden Werte ge-
hoben werden, um die Eigenkapitalsituation der Unter-
nehmen zu stärken.

Das ist eine der Voraussetzungen dafür, dass die Un-
ternehmen wettbewerbsfähiger werden, dass investiert
werden kann und dass Arbeitsplätze geschaffen werden
können. Das sollte in unser aller Interesse sein. In den
Fragen des Finanzplatzes Deutschland waren wir bislang
fraktionsübergreifend einer Meinung. Wir sollten alles
tun, was den Finanzplatz stärkt. Also lassen Sie uns bitte
auch in dieser Frage so verfahren!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Drittens. Auch der öffentliche Sektor verfügt über
Immobilienbesitz, besonders Wohnimmobilien. Einzelne
Kommunen, Dresden zum Beispiel, sind vorangegan-
gen. Aber es ist die Frage, ob der Verkauf an Investoren
erforderlich ist oder ob man auch andere Beteiligungs-
formen finden kann, die es den Kommunen ermöglichen,
sich selbst wieder an diesen Immobilienwerten zu betei-
ligen. Von daher halte ich es für richtig, dass dieser Weg
endlich geöffnet wird.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/CSU])


Viertens. In den USA gibt es REITs bereits seit den
60er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Es gibt sie seit lan-
gem in den Niederlanden und Australien, seit mehr als
zehn Jahren in Kanada, seit Beginn des Jahrtausends in
vielen asiatischen Ländern, seit 2003 direkt vor unserer
Haustür in Frankreich und voraussichtlich ab dem nächs-
ten Jahr auch in Großbritannien. Das zeigt: Deutschland
kann die Etablierung von REITs überhaupt nicht verhin-
dern. Es ist nur die Frage: Findet das Geschäft in
Deutschland statt


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist es! Sehr richtig!)


oder findet es in anderen Ländern statt?


(Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ CSU])


Ich habe inzwischen wirklich die Nase voll davon, dass
wir in Deutschland immer nur zeigen, was nicht geht.
Wir sollten uns bemühen, die Sache flott zu machen. Wir
werden das weitertreiben. Deshalb halte ich es für rich-
tig, dass dieser Weg gegangen wird.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wo er Recht hat, hat er Recht!)


Lassen Sie mich abschließend noch ein paar Sätze
zum Verfahren sagen. Es ist öffentlich bekannt, dass eine
Koalitionsarbeitsgruppe seit längerem an der Lösung
der Probleme arbeitet.


(Frank Schäffler [FDP]: Nicht mehr!)


Presseberichten zufolge ist sie zu einem Ergebnis ge-
kommen, dass sie nämlich in der Koalition kein Ergeb-
nis erzielt hat, und insofern ist sie auseinander gegangen.


(Frank Schäffler [FDP]: Unglaublich! – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wir haben ein Ergebnis!)


Ich begrüße ausdrücklich, dass das Bundesfinanzmi-
nisterium abweichend von Regeln, die es sonst gegeben
hat, öffentlich erklärt hat, noch in der Sommerpause,
spätestens im September einen Gesetzentwurf einzubrin-
gen. Wir freuen uns, dass unser Antrag schon jetzt in
dieser Form vom Finanzministerium aufgenommen
wurde, und hoffen, dass den Finanzminister der Mut mit
Blick auf einzelne Linke, die in dieser Frage für die
SPD-Fraktion leider federführend verhandelt haben,
nicht verlässt. Wir wünschen uns, dass das Gesetz
schnellstmöglich eingebracht wird, damit dann in Ruhe
die Details so beraten werden können, dass zum 1. Ja-
nuar 2007 ein vernünftiges Gesetz in Kraft treten kann.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604327600

Das Wort hat der Kollege Leo Dautzenberg für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Leo Dautzenberg (CDU):
Rede ID: ID1604327700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fi-

nanzmarktpolitik war und ist erfreulicherweise ein Ge-
biet, auf dem fraktionsübergreifend viele Schnittmengen
und gemeinsame Zielvorstellungen gegeben waren; da-
rin, Kollege Thiele, waren wir uns immer einig. Dass
dem so ist, haben wir in dieser Woche, auch heute, ge-
zeigt, indem wir Basel II verabschiedet haben.

(B)







(A) (C)



(B) (D)


Leo Dautzenberg
Zum Thema REITs und zum FDP-Antrag zur Einfüh-
rung von Real Estate Investment Trusts, kurz „REITs“
genannt, in Deutschland. Auch hier haben wir gemein-
same Zielvorstellungen. Die Union hat bereits im
Februar 2005 einen Antrag in den Deutschen Bundestag
eingebracht, der die gleiche Zielrichtung verfolgt wie
der heute hier zu debattierende Antrag der FDP. Vermu-
tungen darüber, ob man den zum Anlass genommen hat,
das Thema aus der Sicht der FDP zu aktualisieren, sind
nicht so sehr angebracht. Ich kann dem Kollegen Thiele
nur sagen: Was wir in Oppositionszeiten für richtig ge-
halten haben, halten wir im Grunde auch in Regierungs-
zeiten für richtig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Das zeichnet uns aus!)


Die Union war und ist derzeit dezidiert der Überzeu-
gung, dass ein deutscher REIT eine Bereicherung für
den Finanzplatz Deutschland wäre. Insofern stimme
ich dem Antrag der FDP zu, der im Übrigen nichts ande-
res fordert, als sich die Koalitionsfraktionen im Koali-
tionsvertrag ohnehin selbst als Aufgabe gestellt haben.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Die FDP fordert, zur Besteuerung von REITs eine
Lösung zu finden, die erstens nicht mit der Lage der öf-
fentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Gemein-
den kollidiert, zweitens eine verlässliche Besteuerung
beim Anleger sicherstellt und drittens positive Wirkun-
gen auf den Immobilienmarkt und die Standortbedingun-
gen erwarten lässt.

An exakt diese Bedingungen knüpfen auch die Koali-
tionsfraktionen von CDU/CSU und SPD in ihrem Koali-
tionsvertrag die Einführung von REITs. Dazu darf ich
den entsprechenden Passus aus dem Koalitionsvertrag
kurz zitieren. Dort heißt es:

Produktinnovationen und neue Vertriebswege müs-
sen nachdrücklich unterstützt werden. Dazu wollen
wir die Rahmenbedingungen für neue Anlageklas-
sen in Deutschland schaffen. Hierzu gehören:
– Die Einführung von Real Estate Investment
Trusts (Reits) unter der Bedingung, dass die ver-
lässliche Besteuerung beim Anleger sichergestellt
wird und positive Wirkungen auf Immobilienmarkt
und Standortbedingungen zu erwarten sind, …

So weit das Zitat aus dem Koalitionsvertrag.


(Beifall bei der CDU/CSU – Frank Schäffler [FDP]: Wenn nur alles so klar formuliert wäre im Koalitionsvertrag!)


Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, wie Sie wissen, haben die Koalitionsfraktio-
nen CDU/CSU und SPD im Frühjahr eine Arbeits-
gruppe eingesetzt, die genau die Frage klären sollte, ob
die Bedingungen, die im Koalitionsvertrag an die Ein-
führung von REITs geknüpft sind, auch tatsächlich
erfüllt bzw. erfüllbar sind. Wir haben uns in der Arbeits-
gruppe also folgende Fragen gestellt: Welche Auswir-
kungen haben REITs auf den Standort? Welche Auswir-
kungen haben REITs auf den Immobilienmarkt? Wie
kann die verlässliche Besteuerung beim Anleger sicher-
gestellt werden? Zu all diesen Fragen haben wir in der
Arbeitsgruppe Expertengespräche geführt. Parallel dazu
hat sich auch das Bundesministerium der Finanzen da-
rangemacht, die Fragen zu beantworten.

In der Zwischenzeit hat das Ministerium alle drei Fra-
gen sehr eindeutig positiv beantwortet. Leider sind wir
aber, anders als das Ministerium, mit den drei Kollegen
der SPD in der Arbeitsgruppe nicht zu einer einvernehm-
lichen Beantwortung der Fragen gekommen, obwohl
– das sage ich sehr deutlich – auch die Experten, mit de-
nen wir gesprochen haben, mehrheitlich die Bedingun-
gen des Koalitionsvertrages als erfüllt ansehen. Für die
Union kann ich daher sagen: Wir haben uns ausführlich
mit den Folgewirkungen einer Einführung von REITs
beschäftigt und teilen ausdrücklich die positive Bewer-
tung des Finanzministeriums und der Experten.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich kurz auf
die einzelnen Bedingungen eingehen, die wir an die Ein-
führung von REITs knüpfen:

Ich komme zunächst zur Frage der Auswirkungen
auf den Standort. Diese ist sehr leicht zu beantworten:
Die Auswirkungen auf den Finanzplatz wären positiv.
Wenn wir nicht rechtzeitig REITs zulassen – Kollege
Thiele, Sie haben das betont –, werden zukünftig noch
weitere Investitionsvolumina am deutschen Markt vor-
beigehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dann werden REITs im Ausland platziert; dabei handelt
es sich dann zwar um Immobilienvermögen von Deut-
schen, aber die Platzierung erfolgt eben im Ausland.

REITs sind dazu geeignet, das Anlagespektrum zu er-
weitern. Gerade für institutionelle Investoren wie Versi-
cherungen und Altersvorsorgeeinrichtungen ist ein REIT
ein wertvolles Produkt. Es dient zur Diversifizierung
und Stabilisierung des Portfolios. Ganz anders als in der
Öffentlichkeit oftmals dargestellt, ist das Ziel eines
REIT eben nicht die Renditemaximierung, sondern viel-
mehr der stetige Ertrag auf hohem Niveau. Das liegt da-
ran, dass REITs einen langfristigen Anlagehorizont ha-
ben.

Wer sich einmal diese Eigenschaften eines REITs ver-
gegenwärtigt, der begreift auch sehr schnell, dass die
Befürchtungen, es könne durch REITs zu negativen
Auswirkungen auf dem Wohnungsmarkt kommen,
unbegründet sind. Wenn ein REIT einen langfristigen
Anlagehorizont hat und auf stetige Erträge setzt, warum
sollte er dann, so frage ich Sie, mit Wohnungen spekulie-
ren, sie womöglich aufteilen und damit schnelles Tra-
ding betreiben? Diese Befürchtungen entbehren jeder
Grundlage. Das Gegenteil ist richtig: Gerade Wohnungs-
REITs sind Bestands-REITs. Sie erzielen ihre Rendite
nicht über Spekulation und horrende Mietsteigerungen,


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!)


sondern über Wertsteigerungen der Immobilienbestände,
also des Portfolios. Von daher ist damit auch eine nach-
haltige Bestandsbewirtschaftung sichergestellt.






(A) (C)



(B) (D)


Leo Dautzenberg

(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Die Parlamentarische Staatssekretärin, Frau Dr. Hendricks,
hat dies jüngst auch ausdrücklich betont.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie sehen, meine Damen und Herren, die Befürchtun-
gen, die REIT-Kritiker gerade mit Blick auf die Auswir-
kungen auf den Wohnungsmarkt vortragen, sind ideolo-
giegetrieben und keinesfalls sachlich begründet. Ich
kann das so deutlich sagen, weil ich die Experten aus
Wissenschaft und Wirtschaft und das Bundesfinanz-
ministerium auf meiner Seite habe. Von daher sind die
positiven Auswirkungen für den Immobilienmarkt deut-
lich herauszustellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Bei der dritten Bedingung, die wir zu beleuchten hat-
ten, ging es um die Sicherstellung der Besteuerungs-
basis beim Anleger. In der Vergangenheit war es so,
dass dem Vermögenstrustmodell zum Teil eine gewisse
Präferenz eingeräumt wurde. Man hat bei der Einfüh-
rung in England gesehen, dass das Dividendenmodell
mit Streubesitz auch für Deutschland gerade zur Sicher-
stellung der Besteuerungsbasis für den ausländischen
Anleger das bessere Instrumentarium darstellt. Von da-
her hat das Bundesfinanzministerium sich dazu entschie-
den, das Dividendenmodell mit Streubesitz für die Be-
steuerungsbasis sicherzustellen.

Herr Kollege Pronold, von daher sagen Äußerungen
wie „Je nachdem, wie das Doppelbesteuerungsabkom-
men ausfällt, werden ausländische Investoren nur mit
10 Prozent oder 15 Prozent besteuert“ – das ist dann die
Besteuerung hier in Deutschland – noch nichts darüber
aus, wie die Gesamtsteuerbelastung ist, weil der Betref-
fende als Ausländer an seinem Wohnsitz mit einer eige-
nen Steuer belegt wird. Es ist eine verzerrte Darstellung,
wenn man sagt, das sei eine Begünstigung des ausländi-
schen Investors. Die Besteuerungsgrundlage ist sicher-
gestellt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der Bundesfinanzminister hat vor kurzem erklärt,
dass REITs zu den zentralen finanzmarktpolitischen Re-
formvorhaben dieser Legislaturperiode gehören und dass
es für den Finanzstandort Deutschland wichtig ist, dass
REITs, wie geplant, zum 1. Januar 2007 eingeführt wer-
den, weil sonst die Gefahr der Abwanderung von deut-
schem Immobilienvermögen in ausländische REITs be-
steht.

Die Finanzpolitiker der Union unterstützen den
Finanzminister ausdrücklich in dieser Position. Wie das
Ministerium und wie auch die FDP in ihrem Antrag for-
muliert, sind wir der Ansicht: Die Zeit ist reif für einen
Gesetzentwurf zu REITs.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604327800

Die Rede des Kollegen Axel Troost von der Fraktion

Die Linke haben wir zu Protokoll genommen.1)

Das Wort hat der Kollege Florian Pronold für die
SPD-Fraktion.


Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1604327900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe neue Freunde in der Fraktion! Die The-
matik REITs ist tatsächlich breit in der Öffentlichkeit
diskutiert worden,


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Und wird es auch noch!)


mit einer bestimmten Darstellungsweise in den Zeitun-
gen, die die Problemkonstellationen aber nicht wirklich
widerspiegelt.

Wir haben im Koalitionsvertrag sehr klar geregelt,
dass drei Bedingungen erfüllt sein müssen, bevor wir an
die Einführung von REITs in Deutschland denken. Diese
Bedingungen sind zitiert worden. Sie müssen erfüllt
sein, bevor REITs in Deutschland eingeführt wird. Des-
wegen muss man nüchtern überprüfen, ob diese Bedin-
gungen aufgrund dessen, was bisher vorgelegt worden
ist, erfüllt werden können. Da kommt die SPD-Arbeits-
gruppe zu einer anderen Einschätzung als die Arbeits-
gruppe der Union.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Und der Finanzminister!)


– Das werden wir einmal sehen.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: War das jetzt eine Drohung?)


– Nein, jetzt warten wir halt ab, wie der Gesetzentwurf
aussieht und wie sich das insgesamt verhält. Hören Sie
sich einmal zusammenhängend an, welche andere Sicht-
weise man da auch haben kann! Vielleicht prüfen Sie
kritisch – statt sich wie ein Mitglied Ihrer Fraktion in ei-
nen lukrativen Aufsichtsrat wählen zu lassen –,


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Eine Unverschämtheit!)


wie man die Einführung von REITs voranbringen kann!
Es wird eine Form von Lobbyismus praktiziert, die zu-
mindest hier ein Stück weit bedenklich stimmen darf.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist typisch Pronold!)


Fangen wir bei der Frage der Sicherstellung der
Besteuerungsgrundlagen im Inland an. Das ist eine
ganz wichtige Frage, die uns angesichts der Haushalts-
lage besonders interessieren muss.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist es!)


Nach der Konstruktion von REITs soll ein REIT auf
der Unternehmensebene steuerfrei gestellt werden, da-
mit bei den Anlegern die Besteuerung insgesamt durch
die hohen Ausschüttungsverpflichtungen sichergestellt

1) Anlage 22






(A) (C)



(B) (D)


Florian Pronold
werden kann und damit das, was uns auf der Unterneh-
mensebene entgeht, bei dem Anleger besteuert wird.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das war schon immer klar!)


Wir haben in der Geschichte von REITs verschiedene
Modelle erlebt. Die Besteuerungsgrundlagen haben sich
immer geändert, aber eines soll gleich geblieben sein,
nämlich dass die Besteuerung des Anlegers im Inland in
allen Fällen sichergestellt war. Jetzt stelle ich eine span-
nende Frage. Das Trustmodell hat in der Frage einen gu-
ten Ansatz; es beachtet nämlich das Belegenheitsprinzip.
Das Einzige, auch im Rahmen der internationalen Ab-
kommen, wo wir als Staat noch die Möglichkeit haben,
Steuern festzulegen, ist bei den Einkünften aus Grund-
stücken. Deswegen hat das Trustmodell des IFD vorge-
sehen, dass es sich weiterhin um Einnahmen aus Vermie-
tung und Verpachtung handelt. Denn es ist sehr wohl
erkannt worden, dass die Anlegerbesteuerung im Inland
mit Dividendenausschüttungen nicht gewährleistet wer-
den kann. Von dem IFD-Modell hat man sich in der De-
batte jedoch verabschiedet, einmal abgesehen davon,
dass es in anderer Hinsicht sehr problematische Kon-
struktionen hatte.


(Georg Fahrenschon [CDU/CSU]: Aha!)


Nun kommen wir zu der Frage: Was ist im Fall einer
Dividendenausschüttung? Dann sind wir nämlich bei
dem Doppelbesteuerungsabkommen. Wenn der Anle-
ger in Deutschland den normalen Steuersatz oder viel-
leicht auch den Abgeltungssteuersatz zahlen soll, dann
reden wir über eine Besteuerung des inländischen An-
teilseigners an einem deutschen REIT zwischen 30 und
42 Prozent. Derjenige, der an einem deutschen REIT im
Ausland beteiligt ist, zahlt in Deutschland – nur das inte-
ressiert mich als Haushaltspolitiker – 10 Prozent, also
ein Drittel davon.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Stimmt ja nicht! Er zahlt je nach Doppelbesteuerung!)


Da stellt sich die Frage, ob wir das, was wir auf der Un-
ternehmensebene nicht besteuern, im Inland wieder be-
steuern. Sie können mir nicht sagen, dass dabei das Glei-
che herauskommt.


(Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Gern, Herr Thiele.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604328000

Herzlichen Dank für die Hilfe.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1604328100

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Ich habe nur

eine Frage, Herr Pronold. Dass in dem ganzen Bereich
Steuerfragen eine Rolle spielen, ist, glaube ich, unstrei-
tig. Das Finanzministerium möchte einen Gesetzentwurf
einbringen; das ist allgemein bekannt. Der Finanzminis-
ter hat es erklärt, Herr Staatssekretär Mirow ebenso. Ich
erinnere an die Worte des Fraktionsvorsitzenden der
SPD, der gesagt hat: Ein Gesetzentwurf, der in den
Bundestag hineingeht, kann im Bundestag verändert
werden. – Insofern gehe ich davon aus: Wenn es einen
Entwurf geben wird, dann wird es auch eine Anhörung
geben. Ich wäre jedenfalls sehr dafür. Dann kann beraten
werden. Auch in anderen Fragen, die den Finanzplatz
betreffen, wird es uns dann gelingen, Anregungen und
Bedenken mit aufzunehmen. Im Ergebnis können wir
versuchen, konsensual eine Lösung zu finden.

Meine Frage lautet: Warum blockieren Sie schon die
Einbringung eines Gesetzentwurfes und damit das In-
Gang-Setzen eines solchen parlamentarischen Verfah-
rens? Die Fragen können gestellt werden; das ist richtig
und legitim. Aber warum darf hier nicht etwas gesche-
hen und das Parlament sich nicht in der Öffentlichkeit
mit Themen beschäftigen, die von Ihnen nur in Arbeits-
gruppen, in Dunkelzimmern behandelt werden?


Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1604328200

Wir haben doch einen ganz eindeutigen Koalitions-

vertrag. In dem steht, dass wir die Einführung von REITs
dann ins Auge fassen, wenn die Vorbedingungen geklärt
sind. Es soll nicht so laufen, dass man irgendwie anfängt
und dann schaut, ob man das Ganze hinbekommt und
was dabei herauskommt.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So läppisch ist das vom Finanzminister auch nicht gedacht!)


– Das nehme ich auch nicht an. Deswegen sind wir heute
hier, um die Fragen zu erörtern. Sie sehen ja, dass das
auch im parlamentarischen Verfahren geht. Dazu tragen
Sie mit Ihrem Antrag bei, in dem Sie nichts anderes ab-
schreiben als den Koalitionsvertrag.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Ach nein!)


– Doch.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Heißt das im Umkehrschluss, dass Sie unterstützen, was darin steht?)


– Ich stehe vollkommen hinter dem, was der Koalitions-
vertrag vorgibt, nämlich dass drei Bedingungen erfüllt
sein müssen, bevor wir an die Einführung denken.

Lassen Sie mich auch zu den anderen Bedingungen
etwas sagen; dann kommen wir zu einer weiteren span-
nenden Frage. Man erinnere sich an eine der ersten gro-
ßen Taten unserer großen Koalition: Wir haben Steuer-
sparmodelle abgeschafft, die darauf beruhten, dass es
steuerliche Anreize dafür gab, aus ökonomischen Grün-
den Entscheidungen zu treffen, die man aus betriebswirt-
schaftlichen Gründen sonst vielleicht nicht getroffen
hätte.


(Zuruf des Abg. Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU])


– Ja, das meine ich. Das habe ich das letzte Mal im Zu-
sammenhang mit den Windkraftfonds angesprochen.

Jetzt sind wir an einem spannenden Punkt. Nicht nur
die Immobilienwirtschaft will Trusts wie die REITs.
Jetzt gibt es auch Forderungen nach dem FIT, dem Film
Investment Trust. Demnächst wird es auch irgendwelche
Schiffsbauer geben, die einen entsprechenden Trust für






(A) (C)



(B) (D)


Florian Pronold
Schiffe haben wollen. Da stellt sich die Frage: Was sol-
len Steueranreize, wenn es dafür überhaupt keine ökono-
mische und volkswirtschaftliche Begründung gibt?

Im Hinblick auf die Anlegerbesteuerung gibt es eine
hoch spannende europarechtliche Problematik. Denn
ausländische REITs können theoretisch in Deutschland
kaufen. Das werden sie auch machen, unabhängig da-
von, ob wir REITs in Deutschland einführen oder nicht.
Aber es gilt nach wie vor das Belegenheitsprinzip, wo-
nach auf Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung
hier Steuern gezahlt werden müssen.

Wenn wir den German REIT einführen, den wir auf
der Unternehmensebene steuerfrei stellen, dann stellt
sich europarechtlich sofort die Frage nach der Gleichbe-
handlung. Wenn der EuGH zu dem Ergebnis kommt,
dass es hier eine Gleichbehandlung geben muss, dann
bedeutet das, dass der ausländische REIT auf der Unter-
nehmensebene steuerfrei zu behandeln ist und dass wir
keine Chance mehr haben, die Anlegerbesteuerung si-
cherzustellen. Damit haben wir die letzte Möglichkeit
für eine nationale Besteuerung von Grundstücken aufge-
geben. So lange diese Problematik nicht gelöst ist und
die Bedingungen laut Koalitionsvertrag nicht erfüllt
sind, will ich REITs nicht. Bis jetzt kann die Besteue-
rung der Anleger im Inland nicht festgestellt werden.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Der Finanzminister hat dies doch entkräftet!)


Es gibt einen weiteren Einwand, den man nicht ein-
fach wegwischen kann. Es geht um die Frage des Woh-
nungsmarktes, von der eine ganze Menge Leute betrof-
fen sind. Ich weiß nicht, auf welcher Anhörung Sie
waren. Der Präsident des Deutschen Städtetages, Chris-
tian Ude, hat enorme Bedenken gegen die REITs geäu-
ßert. Der Vorsitzende des Mietervereins, Rips, hat eben-
falls enorme Bedenken geäußert. Da können Sie doch
nicht sagen, dass alle Experten zu der Auffassung ge-
langt sind, dass man sehenden Auges ins Unglück ren-
nen soll. Das kann ja wohl nicht sein. Man muss die An-
hörung schon korrekt wiedergeben.

Ich habe auch Äußerungen aus anderen Ressorts der
Bundesregierung vernommen. Ein Bundesminister hat
sich sehr kritisch zu diesem Thema geäußert.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wer war das?)


Man wird doch noch fragen dürfen, was insgesamt gese-
hen passieren soll.

Ich stelle Ihnen einmal eine spannende Frage. Wenn
eine gut geführte Wohnungsbaugesellschaft eine Rendite
von 4 bis 6 Prozent erzielt, dann möchte ich wissen, wie
ein REIT eine angekündigte Rendite von 15 Prozent er-
zielen will. Nachdem kritisch nachgefragt wurde, wurde
dieses Ziel gesenkt. Woher soll diese Rendite kommen?
Seine Fremdkapitalausstattung ist noch so hoch. Deswe-
gen ist auch der Leverage Effect nicht so hoch. Außer-
dem sollen angeblich keine Filetgrundstücke verkauft
werden. Woher soll also diese hohe Rendite kommen?
Es bleiben nur noch Mieterhöhungen übrig. Zaubern
können REITs auch nicht.
Man muss auch bedenken, dass die Kommunen über
Wohngeld die Mieterhöhungen bei Wohnungen aus ei-
nem schlechten Wohnungsbestand mitbezahlen. Es muss
uns natürlich interessieren, ob diese Punkte geklärt sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Für eine Bemerkung zur Standortfrage habe ich
keine Zeit mehr. Ich weiß aber, wie spannend dieses
Thema ist. Ich bin mir sicher, dass wir bei anderer Gele-
genheit die Möglichkeit haben, darüber zu sprechen. Ei-
nes ist mir wichtig: Die Debatte muss vernünftig und un-
ideologisch geführt werden. Wir müssen uns fragen, ob
diese Bedingungen erfüllt sind.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604328300

Herr Kollege Pronold, diese spannende Debatte müs-

sen Sie an anderer Stelle weiterführen.


Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1604328400

Das ist in Ordnung. – Schauen wir also einmal, was

da passiert. Bis heute sind die Vorbedingungen im Koali-
tionsvertrag nicht annähernd erfüllt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604328500

Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege

Gerhard Schick für das Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.


(Frank Schäffler [FDP]: Jetzt wird es endlich wieder sachlich!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn
man auf diesen Debattentag zurückblickt, dann muss
man sagen, dass uns heute im Unterschied zur gestrigen
Finanzausschusssitzung, wo uns noch der Einblick in
das Innenleben der großen Koalition verwehrt wurde
– Sie erinnern sich –, ein herrliches Stück vorgeführt
wurde.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Besser als zu den Sternstunden von Rot-Grün!)


Es fing heute Morgen mit der Geschäftsordnungsde-
batte an, in der es darum ging, dass die Berichterstatter
der Opposition offensichtlich nicht mehr notwendig
sind. Mit diesem herrlichen Wechselspiel heute haben
Sie deutlich gemacht, dass Sie die Opposition dadurch
überflüssig machen wollen, dass Sie sich selber herrlich
gegenseitig widersprechen. Das ist schon eine gute Sa-
che. Ich finde es richtig, dass die Debatten hier im Parla-
ment stattfinden. Das hat auch etwas Gutes; man lernt ei-
niges dazu.

Schauen Sie sich aber einmal an, welche Botschaften
in den letzten Monaten von diesem Haus ausgingen. Es
gibt einen Grund dafür, warum wir in den letzten Jahren
Finanzmarktthemen häufig fraktionsübergreifend auf
die Tagesordnung gesetzt haben: weil das Signal nach
außen extrem wichtig ist. Man muss schon sagen, dass






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gerhard Schick
das alles nicht mehr ganz so lustig ist. Im Koalitionsver-
trag wird etwas angekündigt. Dann heißt es, dies gelte
doch nicht. Dann stimmt eine Arbeitsgruppe in einem
Bericht zu. Dieser Bericht wurde aber offensichtlich
nicht im Konsens verfasst. Dann wird ein Gesetzentwurf
angekündigt; aber gleichzeitig heißt es, der dürfe jetzt
noch gar nicht kommen. Was sind das für Signale gegen-
über Investoren? Was für ein Signal geht damit vom
deutschen Finanzplatz aus?

Es gibt ernsthafte Bedenken. Ich finde, man kann zu
dem Schluss kommen: Wir führen solche Anlageformen
in Deutschland nicht ein. Wir müssen nicht jedes Anla-
geprodukt, das an anderer Stelle erfolgreich ist, auch in
Deutschland einführen, wenn es nicht zu den Bedingun-
gen unseres Standorts und zu unseren Standortstrategien
passt oder wenn es steuerrechtliche bzw. fiskalische Pro-
bleme gibt, die wir nicht lösen können. Wir müssen das
nicht tun. Aber ich finde, eine Koalition müsste im Laufe
von sieben Monaten in der Lage sein, klar zu entschei-
den: Machen wir das oder machen wir das nicht?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Ich kann für meine Fraktion sagen: Wenn ein Gesetz-
entwurf vorliegt, dann werden wir uns den ganz genau
anschauen. Wir werden sehen, ob die steuerlichen Fra-
gen geklärt sind. Ich halte eine Anhörung für durchaus
hilfreich. Dann können wir schauen, wie die Gegeben-
heiten sind.

In einem muss ich dem Kollegen Pronold Recht ge-
ben: Man sollte sich einmal anschauen, wie der Sektor
Immobilien in Deutschland besteuert wird: Seit Jahr und
Tag werden ständig Sonderregeln für diesen Bereich
getroffen und dann wird wieder versucht, sie abzuschaf-
fen. Dann kommen wieder neue hinzu. Ein neuer Vor-
schlag kann vor diesem Hintergrund nur mit großer
Skepsis betrachtet werden. Denn dieser Sektor – das
wissen Sie alle von den Einkommensteuerbilanzen; Sie
sollten sich einmal anschauen, wie viel da herüber-
kommt – schlägt in der Einkommensteuerbilanz negativ
zu Buche, was angesichts der großen Wertschöpfung
schon ein wenig bedenklich ist.

Herr Thiele, Sie sagen, wir sollten dazu beitragen,
dass die Werte angehoben werden. Dazu muss ich sagen:
Sie werden dann angehoben, wenn man eine besonders
günstige Exit-Tax macht und dadurch Wertzuwächse, die
bisher nicht besteuert wurden, sondern in die stillen Re-
serven eingeschlossen waren, steuerlich begünstigt. Das
ist natürlich im Sinne der Gleichbehandlung verschiede-
ner Investitionen eine durchaus problematische Sache,
über die zumindest ich nicht so locker-flockig hinwegge-
hen würde.

Angesichts dessen, was Sie heute Abend geboten ha-
ben, steht für mich und meine Fraktion eine große Sorge
im Vordergrund: Es handelt sich bei REITs um ein klei-
nes, überschaubares Bausteinchen. Sie nehmen sich ge-
rade eine große Unternehmensteuerreform vor; das wird
noch lustig. Ich hoffe, dass Sie nicht sieben Monate
brauchen, bis Sie uns hierzu ein anständiges Angebot
vorlegen können.
Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist wie beim bayerischen Knödelessen! Einer nach dem anderen!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604328600

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/1896 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Peter Götz, Dirk Fischer

(Hamburg), Dr. Klaus W. Lippold, weiterer Ab-

geordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie
der Abgeordneten Petra Weis, Sören Bartol, Uwe
Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD

Stadtentwicklung ist moderne Struktur- und
Wirtschaftspolitik

– Drucksachen 16/1890, 16/2004 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Joachim Günther (Plauen)


Interfraktionell war für die Aussprache eine halbe
Stunde vorgesehen. Da die Kollegen Peter Götz für die
Unionsfraktion, Petra Weis für die SPD, Patrick Döring
für die FDP, Heidrun Bluhm für Die Linke und Peter
Hettlich für das Bündnis 90/Die Grünen ihre Reden zu
Protokoll gegeben haben,1)


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung auf Drucksache 16/2004 zu dem An-
trag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit dem
Titel „Stadtentwicklung ist moderne Struktur- und Wirt-
schaftspolitik“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
auf Drucksache 16/1890 anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Die Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Dann ist die Beschlussempfehlung bei Enthal-
tung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen ange-
nommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten Corne-
lia Behm, Undine Kurth (Quedlinburg), Hans-Jo-
sef Fell, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur

1) Anlage 23






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes

(Urwaldschutzgesetz)


– Drucksache 16/961 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Auch hier war nach einer interfraktionellen Verein-
barung für die Aussprache eine halbe Stunde vorgese-
hen. Die Reden der Kollegen Bernward Müller für die
Unionsfraktion, Marko Mühlstein für die SPD-Fraktion,
Angelika Brunkhorst für die FDP-Fraktion, Eva Bulling-
Schröter für die Fraktion Die Linke und Cornelia Behm
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen werden zu Pro-
tokoll genommen1) und ich kann hiermit die Aussprache
schließen.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/961 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist diese Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 sowie Zusatzpunkt 9
auf:

24 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN

Für ein Ende der Gewalt in Norduganda

– Drucksache 16/1973 –

ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hü-
seyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, Dr. Diether
Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der LINKEN

Für ein Ende der Gewalt in Norduganda

– Drucksache 16/1976 –

Auch hier ist nach einer interfraktionellen Vereinba-
rung für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen.
Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann
ist das so beschlossen.

Wir nehmen die Reden der Kollegen Gabriele Grone-
berg von der SPD-Fraktion und Dr. Karl Addicks von
der FDP-Fraktion zu Protokoll.2)

Das Wort hat der Kollege Hartwig Fischer für die
Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Hartwig Fischer (CDU):
Rede ID: ID1604328700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Kollegen von Stetten und Koschorrek können bestä-
tigen, dass es eine ausgezeichnete Zusammenarbeit mit

1) Anlage 24
2) Anlage 25
den Kolleginnen und Kollegen im AwZ, in der großen
Koalition und im Menschenrechtsausschuss gibt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Konsequenz für heute Abend ist, dass mir die
Kollegin Groneberg ihre Rede, die sie zu Protokoll gege-
ben hat, überreicht hat, sodass ich sie kenne und weiß,
dass das, was darin steht, genau die Lage beschreibt, wie
wir sie vor 14 Tagen zum Beispiel in Gulu oder in
Kitgum erlebt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte zu dieser Rede nur eine einzige Ergän-
zung machen: Wir müssen mit dafür Sorge tragen, dass
die Regierung Museveni dafür sorgt, dass den Menschen
eine Chance gegeben wird, in die Gebiete zurückzukeh-
ren, aus denen sie stammen, falls diese Gebiete bereits
verhältnismäßig sicher sind. Auch das muss in den zu-
künftigen Regierungsverhandlungen eine Rolle spielen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Beifall bei der FDP)


Ansonsten sind die Punkte in dem Antrag so deutlich
formuliert, dass er keiner weiteren Ergänzung bedarf.

Allerdings ein Punkt zur Geschäftsordnung: Wir wa-
ren in der Koalition aus grundsätzlichen Erwägungen
nicht bereit, diesen Antrag gemeinsam mit der Linken
als interfraktionellen Antrag einzubringen; deshalb
gibt es von der Linken einen eigenen Antrag. Es gibt
keine klare Distanzierung zum DDR-Unrechtssystem
und auch heute ist in der Debatte um Kuba wieder deut-
lich geworden, dass für die Linke Menschenrechte teil-
bar sind. Dies ist der Grund, warum wir nicht bereit sind,
mit Ihnen gemeinsam einen interfraktionellen Antrag
einzubringen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir bitten um Zustimmung zu unserem interfraktio-
nellen Antrag.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604328800

Das Wort hat der Kollege Hüseyin Aydin für die Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604328900

Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsi-

dentin! Der Bürgerkrieg in Norduganda ist einer jener
Konflikte, die in den deutschen Medien praktisch nicht
stattfinden. Warum? Ist der Krieg nicht grausam
genug? – Nein, wer einmal die Bilder von traumatisier-
ten Kindern gesehen hat, die nach einem Überfall auf
ihre Dörfer die Eltern verloren haben, vergisst sie nicht
mehr. Seit zwei Jahrzehnten wütet der Bürgerkrieg. Die
brutale, christlich-fundamentalistische „Widerstands-
armee des Herren“ kämpft mit einer von Korruption zer-
fressenen ugandischen Armee um die Macht. Dieser
Krieg hat eine humanitäre Katastrophe hinterlassen. Die






(A) (C)



(B) (D)


Hüseyin-Kenan Aydin
Vereinten Nationen nannten den Krieg die „schlimmste
vergessene Krise der Welt“.

Sprechen wir Klartext: Das Morden in Norduganda
fand lange unter Ausschluss der Weltöffentlichkeit statt,
weil er die Interessen wichtiger westlicher Staaten nicht
berührt hat. Dass sich der Bundestag heute mit seinen
Folgen befasst, ist überfällig. Ich habe zusammen mit
allen Kollegen im Ausschuss für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung auf Initiative des Aus-
schussvorsitzenden, Kollegen Hoppe, an der Formulie-
rung des vorliegenden interfraktionellen Antrages
gearbeitet. Wir haben uns schließlich auf den vorliegen-
den Text geeinigt. Skandalös ist, dass Die Linke nun auf
Betreiben der Fraktionsspitze der CDU/CSU im Nach-
hinein als Antragsteller ausgeschlossen wurde.

In Norduganda werden, wie die Union selber festge-
stellt hat, Dörfer und Felder niedergebrannt, Menschen
misshandelt, Frauen und Mädchen vergewaltigt. Man
sollte meinen, solch eine Feststellung lässt keinen Spiel-
raum für parlamentarische Winkelzüge. Falsch – kein
Elend der Welt könnte so groß sein, als dass die CDU/
CSU ihren Namen neben jenem der Linken ertragen
könnte. Nennen Sie das eine gute Regierungsführung?
Es steigert nicht gerade die Glaubwürdigkeit deutscher
Entwicklungspolitik, wenn Sie den Regierungen in der
Dritten Welt permanent die Prinzipien von Good Gover-
nance unter die Nase reiben, während sie selber diese
Prinzipien in Deutschland bei der erstbesten Gelegenheit
verletzen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich erinnere Sie daran, wie dieser Antrag zustande
kam. Wir Entwicklungspolitiker haben gemeinsam den
Film „Lost Children“ gesehen. Es hat uns alle tief be-
rührt, wie Kinder in Norduganda von Fanatikern aus den
Familien gerissen und zu Killern gemacht werden. Im
Mai kam Bischof Odama zu Besuch, der die konfes-
sionsübergreifende ugandische Friedensbewegung ver-
tritt. Bischof Odama appellierte an uns alle: Helfen Sie
den Kindern! Die Fachkollegen aller Parteien im Aus-
schuss waren sich mit Bischof Odama darin einig, dass
wir das tun wollen. Deshalb entstand der gemeinsame,
interfraktionelle Antrag. Leider müssen wir nun feststel-
len, dass die Kollegen von der CDU/CSU lieber die
Linke aus einem Antrag herausdrängen, anstatt mit ihr
gemeinsam die Not der nordugandischen Bevölkerung
anzupacken.

Mich würde interessieren, wie Sie diese etwas andere
Form christlicher Nächstenliebe dem ugandischen Bi-
schof Odama und den Christen in Deutschland begreif-
lich machen wollen.


(Beifall bei der LINKEN – Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Völlig problemlos!)


Die Union beweist damit nur eines, nämlich dass ihr
hehre Ziele, wie die Absicherung von Wahlen oder die
Eindämmung humanitärer Katastrophen, als Vorwand
für militärische Einsätze gerade recht sind, ein gemein-
sames Vorgehen aller Demokraten zur Unterstützung der
ugandischen Friedensbewegung aber undenkbar ist. Das
zeigt: Die Regierung interessiert sich für das Leid in
Uganda so wenig, wie sie sich für die Opfer ihrer Sozial-
kürzungspolitik in Deutschland interessiert.


(Gabriele Groneberg [SPD]: Jetzt reicht es aber! – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Deshalb versucht die große Koalition, die Linke aus dem
politischen Prozess in Deutschland herauszumobben.
Unsere Anwesenheit stört sie bei der Durchsetzung ihrer
neoliberalen Politik wohl genauso, wie unsere Anwesen-
heit die systematische Ausweitung der Militäreinsätze
stört.


(Olav Gutting [CDU/CSU]: Es ist zwar schon ganz schön spät, aber deswegen können Sie nicht so einen Mist erzählen!)


Doch Sie grenzen damit nicht nur die Linke aus, Sie
grenzen auch 4,1 Millionen Wähler aus, die wir reprä-
sentieren.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604329000

Kollege Aydin, Sie müssen zum Schluss kommen.


Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604329100

Ich komme zum Schluss. – Wir von der Linken lassen

uns das nicht gefallen.


(Olav Gutting [CDU/CSU]: Frau Präsidentin, jetzt müssen Sie durchgreifen!)


Wir haben einen gleich lautenden Antrag eingebracht.
Sie werden gleich dem interfraktionellen Antrag zustim-
men, dem auch ich zustimmen werde. Ich möchte einmal
sehen, ob Sie den gleich lautenden Antrag der Linken
nicht unterstützen.


(Jörg Tauss [SPD]: Der ist dann erledigt!)


Das würde Ihre Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen.


(Beifall bei der LINKEN – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wenn Sie unserem zustimmen, ist Ihrer erledigt!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604329200

Das Wort hat der Kollege Thilo Hoppe für

Bündnis 90/Die Grünen.


(Beifall bei der LINKEN)



Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604329300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich finde es sehr bedauerlich, dass ein gemeinsames
Wort des gesamten Hauses zu den Menschenrechtsver-
letzungen in Norduganda jetzt in parteipolitischem Ge-
streit untergeht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)


Ich möchte als Vorsitzender des Entwicklungsaus-
schusses einmal kurz auf die Entstehungsgeschichte
des Antrages eingehen. Es war so: Wir haben auf Initia-
tive des Ausschusses den Film „Lost Children“ gesehen,






(A) (C)



(B) (D)


Thilo Hoppe
in dem uns die Filmemacher in erschütternder Art und
Weise das Schicksal der Kindersoldaten vor Augen ge-
führt haben. Wir haben mit Vertretern der evangelischen
und katholischen Kirchen und dem Netzwerk der NGOs
gesprochen. Die Aktivisten für Menschenrechte dort ha-
ben uns um Hilfe gebeten und gesagt: Nicht nur Betrof-
fenheitsrhetorik wird gebraucht, sondern tut etwas, und
zwar gemeinsam.

Dem haben alle Obleute im Entwicklungsausschuss
ausdrücklich zugestimmt. Wir haben dann angefangen,
zu verhandeln, und Texte ausgetauscht. Wir haben uns
auf einem gemeinsamen, wirklich alle Fraktionen um-
fassenden Antrag geeinigt und dies sogar schon der
Presse mitgeteilt.

Ich bin dafür, dass wir hier sehr sachlich die Unter-
schiede benennen. Das haben wir in der Kubadebatte so
gemacht. Auch in dieser Debatte waren wir ganz klar an-
derer Auffassung. Auch vonseiten der Grünen war ein
klarer Dissens zur Politik der Linken zu erkennen.

Aber wenn unter den Fachleuten Gemeinsamkeiten
erzielt werden und man sich auf ein gemeinsames Kon-
zept einigt, ist es ein recht mieser Stil, in letzter Minute
eine Fraktion herauszuschmeißen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das hat nichts mehr mit der Sache zu tun, sondern mit
Prinzipienreiterei. Ich finde das sehr ärgerlich. Wir wer-
den beiden völlig identischen, gleich lautenden Anträgen
zustimmen. Das drückt unseren Wunsch aus, dass wirk-
lich das gesamte Haus in dieser Menschenrechtsfrage
eindeutig Stellung bezieht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir haben heute eine Nachtschicht eingelegt. Es ist
23.41 Uhr. Nacht für Nacht ziehen Kinder aus den
Flüchtlingslagern in die Stadt Kitgum, weil sie in den
Flüchtlingslagern nicht mehr sicher sind. Sie müssen
Übergriffe fürchten, nicht nur der Lord’s Resistance
Army, sondern auch der Regierungstruppen. Deshalb ist
es wichtig, dass wir mit geeinter Stimme an die Regie-
rung von Uganda herantreten und sagen: Sie muss dieses
Problem lösen. Sie muss diesen Konflikt beenden. Wir
haben den großen Verdacht, dass die doch sehr kleine
und geschwächte Lord’s Resistance Army künstlich am
Leben erhalten wird, weil Herr Museveni diesen Kon-
flikt braucht, um andere Dinge, andere Geschäfte im
Schatten dieses Konfliktes erledigen zu können.

Deshalb ist es wichtig, dass wir mit geeinter Stimme
sprechen und diesen Menschenrechtsverletzungen Ein-
halt gebieten und uns für die Demobilisierung und Reso-
zialisierung der Kindersoldaten einsetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bitte Sie alle – wir sollten konsequent sein und ein
Zeichen setzen; es ist ein Possenspiel, dass hier jetzt
zwei identische Anträge vorliegen –, beiden Anträgen
zuzustimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Sibylle Pfeiffer [CDU/ CSU]: Nein, Ihrer ist dann erledigt!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604329400

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 16/1973 mit dem Titel „Für
ein Ende der Gewalt in Norduganda“. Wer stimmt für
diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthal-
tungen? – Dann ist der Antrag einstimmig angenommen.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Und der andere damit erledigt!)


Wir kommen damit zum Zusatzpunkt 9, Abstimmung
über den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/1976 mit dem gleich lautenden Titel „Für
ein Ende der Gewalt in Norduganda“. Wer stimmt für
diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthal-
tungen? – Dann ist dieser Antrag mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion abgelehnt.


(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Wie hat die FDP abgestimmt?)


– Ich habe das Abstimmungsergebnis festgestellt. Ich
denke, es lässt sich im Stenografischen Protokoll nachle-
sen, Kollege.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Elke Hoff, Dr. Rainer Stinner, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Gleiche Besoldung für alle Soldaten

– Drucksache 16/587 –
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)

Innenausschuss
Haushaltsausschuss

Hier war nach einer interfraktionellen Vereinbarung
für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Da
alle vorgesehenen Rednerinnen und Redner, also die
Kollegin Monika Brüning und die Kollegin Susanne
Jaffke für die Unionsfraktionen, die Kollegin Petra Heß
für die SPD-Fraktion, die Kollegin Katrin Kunert für die
Fraktion Die Linke, der Kollege Winfried Nachtwei für
Bündnis 90/Die Grünen und der fraktionslose Kollege
Gert Winkelmeier, ihre Reden zu Protokoll gegeben ha-
ben,1) kann ich hiermit die Aussprache schließen.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/587 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist auch diese Über-
weisung so beschlossen.

1) Anlage 26






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 38 j auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Ingbert Lie-

(Hamburg)

der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Dr. Margrit Wetzel, Uwe Beckmeyer, Sören
Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD

Notschleppkonzept den veränderten Bedin-
gungen der Seeschifffahrt anpassen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Rainder
Steenblock, Winfried Hermann, Peter Hettlich,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Notschleppkonzept an gestiegene Herausfor-
derungen anpassen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Mi-
chael Goldmann, Patrick Döring, Horst Fried-
rich (Bayreuth), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP

Sicherheitskonzept für Nord- und Ostsee
optimieren

– Drucksachen 16/1647, 16/685, 16/1164, 16/2005 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Margrit Wetzel
Peter Hettlich

Auch hier war nach einer interfraktionellen Verein-
barung für die Aussprache eine halbe Stunde vorgese-
hen. Aber wir nehmen zu Protokoll die Reden der Kolle-
gen Enak Ferlemann für die Unionsfraktion, Dr. Margrit
Wetzel für die SPD-Fraktion, Hans-Michael Goldmann
für die FDP-Fraktion, Dorothee Menzner für die Frak-
tion Die Linke und Rainder Steenblock für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.1)

Wir können zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf
Drucksache 16/2005 zu dem Antrag der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD mit dem Titel „Notschleppkon-
zept den veränderten Bedingungen der Seefahrt anpas-
sen“ kommen. Der Ausschuss empfiehlt unter Num-
mer 1 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf
Drucksache 16/1647 anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Gibt es Enthal-
tungen? – Dann ist die Beschlussempfehlung einstimmig
angenommen.

Unter Nummer 3 seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/685 mit dem Titel
„Notschleppkonzept an gestiegene Herausforderungen
anpassen“ für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gibt es Gegenstimmen? – Ent-

1) Anlage 27
haltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist diese Be-
schlussempfehlung ebenfalls einstimmig angenommen.

Schließlich empfiehlt uns der Ausschuss unter
Nummer 2 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/1164 mit dem Titel
„Sicherheitskonzept für Nord- und Ostsee optimieren“
ebenfalls für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gibt es Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Dann ist auch diese Beschlussempfehlung
einstimmig angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 sowie Zusatz-
punkt 10 auf:

25 Beratung des Antrags der Abgeordneten Irmin-
gard Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln), Mo-
nika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Selbstbestimmtes Leben in Würde ermögli-
chen – Transsexuellenrecht umfassend refor-
mieren

– Drucksache 16/947 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

ZP 10 Erste Beratung des von den Abgeordneten Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Max Stadler,
Jörg van Essen, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Passgesetzes

– Drucksache 16/2016 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss

Auch hier war für die Aussprache eine halbe Stunde
vorgesehen. Wir nehmen aber die Beiträge der Kollegen
Helmut Brandt für die Unionsfraktion, Gabriele Fogra-
scher für die SPD-Fraktion, Jörg van Essen für die FDP-
Fraktion, Barbara Höll für die Fraktion Die Linke, Ir-
mingard Schewe-Gerigk für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen und des fraktionslosen Kollegen Gert Win-
kelmeier zu Protokoll.2)

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/947 und 16/2016 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind diese Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf:

26 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Unterhaltsrechts

– Drucksache 16/1830 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

2) Anlage 28






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes

– Drucksache 16/1829 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Auch hier war für die Aussprache eine halbe Stunde
vorgesehen. Wir können aber die Beiträge der Kollegin-
nen Ute Granold für die Unionsfraktion, Christine Lam-
brecht für die SPD-Fraktion, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger für die FDP-Fraktion, des Kollegen
Jörn Wunderlich für die Fraktion Die Linke, der Kolle-
gin Ekin Deligöz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen und der Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zyp-
ries, zu Protokoll nehmen.1)

Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell
wird die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den
Drucksachen 16/1830 und 16/1829 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt
es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der
Fall. Dann sind auch diese Überweisungen so beschlos-
sen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Regelung des Urheberrechts in der Informa-
tionsgesellschaft

– Drucksache 16/1828 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

Interfraktionell ist für die Aussprache eine halbe
Stunde vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch.
Dann ist dies so beschlossen.

Das Wort hat die Bundesministerin der Justiz, Brigitte
Zypries.


(Beifall bei der SPD)



Brigitte Zypries (SPD):
Rede ID: ID1604329500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zunächst einmal möchte ich sagen, dass es mich freut,
dass mehr Mitglieder des Deutschen Bundestages zur
Beratung um diese Uhrzeit hier sitzen, als das bei The-
men des Rechtsausschusses normalerweise der Fall ist.
Dafür herzlichen Dank!


(Jörg Tauss [SPD]: Das machen wir jetzt jedes Mal so!)


– Genau.

1) Anlage 29
Der Gesetzentwurf, der heute hier beraten wird, hat
schon vor dieser ersten Lesung im Bundestag breite öf-
fentliche Resonanz gefunden, und das nicht nur, weil er
von Verlegern und Autoren, Elektronikindustrie und In-
ternet-Community, Bibliotheken und Verwertungsgesell-
schaften sehr kontrovers diskutiert wurde, sondern auch,
weil das ein Gesetzentwurf ist, den wir auf breiter Basis
öffentlich vorbereitet haben: Wir haben ganz viele ver-
schiedene öffentliche Foren veranstaltet, wo alle an die-
sem Gesetzgebungsprozess Beteiligten sich schon im
Vorfeld einbringen konnten.

Das Ziel unseres Vorhabens ist klar: Wir wollen mit
diesem Gesetz das deutsche Urheberrecht weiter fit ma-
chen für das digitale Zeitalter. Die Frage, die wir lösen
müssen, ist: Wie ist es möglich, auch im digitalen Zeital-
ter einen Ausgleich zwischen den Interessen aller Be-
teiligten zu schaffen? Da sind zum einen die Kreativen,
also die Urheber, deren Recht auf geistiges Eigentum
durch das Grundgesetz garantiert ist. Dann gibt es die
Nutzer; sie möchten möglichst ungehindert auf den Con-
tent, den sie sich aus dem Netz herunterladen können,
zugreifen


(Jörg Tauss [SPD]: Zu fairen Bedingungen!)


und sehen im Wesentlichen nicht ein, dass sie dafür ir-
gendetwas bezahlen sollen. Schließlich gibt es die Indus-
trie; sie schafft die technischen Voraussetzungen dafür,
dass die Nutzung überhaupt möglich wird. Wie Sie wis-
sen, wird im Moment eine Urheberabgabe auf die Geräte
gezahlt. Die Industrie hat natürlich ein Interesse daran,
dass diese Abgabe auf ihre Geräte so niedrig wie mög-
lich ist, weil sie die Preiskonkurrenz fürchtet.

Die Notwendigkeit, einen fairen Kompromiss zwi-
schen all den Interessen der verschiedenen Beteiligten zu
schaffen, ist heute größer denn je. Schließlich war es
noch nie so einfach, über das Internet von jedem Ort der
Welt aus zu jeder Zeit auf urheberrechtlich geschützte
Contents zurückzugreifen: Man kann sie mit einem
Mausklick abrufen und sie in Sekundenschnelle verviel-
fältigen.

Wir meinen, dass das geistige Eigentum der Kreati-
ven aber gerade in der modernen Informationsgesell-
schaft gewährleistet bleiben muss. Ohne einen solchen
Schutz kann es nämlich keine Kreativität geben – auf die
Deutschland als Land der Ideen natürlich ganz besonders
angewiesen ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zwei Punkte möchte ich besonders hervorheben. Der
erste Punkt ist die Reform des pauschalen Vergütungs-
systems. Wir meinen, dass den Urhebern als Ausgleich
für die nach wie vor erlaubt bleibende Privatkopie eine
angemessene Vergütung zusteht. Diese Vergütung soll
auch weiterhin von den Verwertungsgesellschaften ein-
gezogen werden. Wir wollen aber den Mechanismus, der
im Moment besteht, ändern, weil wir meinen, dass er
nicht funktioniert. Wir wollen den Verwertungsgesell-
schaften auf der einen Seite und der Industrie auf der an-
dere Seite künftig die Möglichkeit geben, die Gebühren
– wenn man das im weitesten Sinne so nennen kann –
untereinander auszuhandeln. Der Gesetzgeber soll nach






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Brigitte Zypries
unserer Vorstellung nur noch den Rahmen festlegen, in
dem das geschieht, und ein Verfahren für den Fall vorse-
hen, dass sie sich nicht einigen können.

Ein zweiter Punkt, den ich hervorheben möchte, ist,
dass ich der Auffassung bin, dass wir mit diesem Gesetz-
entwurf einen Kompromiss zwischen dem individuellen
Recht am geistigen Eigentum und den Belangen des Ge-
meinwohles schaffen müssen.

Im Interesse von Bildung und Wissenschaft regeln
wir elektronische Leseplätze in Bibliotheken, Museen
und Archiven. Wir stellen den Versand von elektroni-
schen Kopien durch Bibliotheken auf eine gesetzliche
Grundlage und wir berücksichtigen dabei sowohl die Be-
lange der Verlage als auch die Tatsache, dass Deutsch-
land als Forschungsstandort Anschluss an die internatio-
nale Entwicklung halten muss.


(Jörg Tauss [SPD]: Da müssen wir noch ein bisschen nachbessern! Aber das kriegen wir hin!)


– Genau, Herr Kollege. Das wären jetzt meine nächsten
Worte gewesen. Ich weiß natürlich, dass es eine Menge
Kritik an allen möglichen Vorschlägen gibt.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Was? Echt? Das ist mir neu!)


Ich habe das eingangs ja schon gesagt.

Nun ist heute in der Debatte ja schon einmal der Satz
gefallen, dass man dann, wenn man Kritik von beiden
Seiten bekommt, in der Regel relativ sicher sein kann,
dass man einen fairen Mittelweg vorgeschlagen hat.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist nicht immer so!)


Genau das gilt für das Urheberrecht auch.

Ich bin ganz davon überzeugt, dass das, was wir vor-
geschlagen haben, eine gute Basis ist, die man auch nicht
verlassen sollte, was nicht heißt, dass man an der einen
oder anderen Stelle nicht noch nachjustieren kann. Dazu
sind aber die Beratungen in den Ausschüssen und im
Deutschen Bundestag auch da.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604329600

Das Wort hat die Kollegin Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1604329700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Uns Berichterstattern im Rechtsaus-
schuss für das Urheberrecht und für diesen Gesetzent-
wurf ist dieses Thema so wichtig, dass wir gesagt haben:
Es entspricht nicht der Bedeutung dieses Vorhabens, hier
einfach zur Tagesordnung überzugehen und alle unsere
Reden zu Protokoll zu geben.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dirk Manzewski [SPD])

Gerade weil es ein so wichtiges rechtspolitisches Vorha-
ben ist – eines der wichtigsten dieser Legislaturperiode –,
kann es gar nicht zu spät oder zu früh sein, um auch in
der ersten Lesung dazu zu sprechen.

Frau Ministerin, Sie haben Recht, dass es einen lan-
gen Vorlauf verbunden mit entsprechenden Vorbereitun-
gen im Ministerium gab, bis es zu diesem Gesetzentwurf
gekommen ist. Nach Vorlage dieses Gesetzentwurfes
muss jetzt natürlich die intensive Befassung im Rechts-
ausschuss mit denen folgen, die davon betroffen sind.


(Jörg Tauss [SPD]: Sehr gut!)


Die Änderung des Urheberrechts ist immer der Ver-
such, einen angemessenen Ausgleich zwischen denjeni-
gen, die es mit ihrer kreativen Leistung überhaupt erst
ermöglichen, dass es etwas zu verwerten gibt, und natür-
lich auch denjenigen zu schaffen, die an diesem Prozess
beteiligt sind. Dass es hier nach geltendem Recht immer
wieder Schranken gibt, die der modernen technischen
Entwicklung angepasst werden müssen, und dass hier
die Interessen zu gewichten und zu wiegen sind, ist
selbstverständlich.

Frau Ministerin, ich bin der festen Überzeugung, dass
dieser Gesetzentwurf nicht in dieser Form aus dem
Rechtsausschuss zur abschließenden Beratung herausge-
hen wird;


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und der Abg. Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU] – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Da hat sie Recht!)


denn ich glaube, dass es in einigen Bereichen die drin-
gende Notwendigkeit gibt, zu einer wirklich besseren
Gewichtung der Interessen und Anliegen der Urheber zu
kommen.

Das hat eine lange und gute Tradition in der Rechts-
entwicklung des Urheberrechts. Auf der einen Seite ist es
richtig, dass man private Vervielfältigungen zulassen
muss – das ist ein Uraltthema und dazu sind schon vor
Jahrzehnten Weichenstellungen vorgenommen worden –,
auf der anderen Seite muss man aber den Urhebern, den-
jenigen, die etwas produziert haben, damit es verwertet
und kopiert werden kann, angesichts der Modernisierung
der Technik und der technischen Entwicklung selbstver-
ständlich auch eine angemessene Beteiligung geben.


(Beifall bei der FDP)


Frau Ministerin, deshalb sind wir sehr offen dafür und
halten es auch für richtig, dass der Einsatz individueller
Lizenzmodelle gerade im Online-Bereich auch mithilfe
des Urheberrechts gefördert wird. Wir sagen aber ganz
unmissverständlich: Auf die pauschale Geräteabgabe
kann bis auf weiteres nicht verzichtet werden. Dort, wo
die Geräteabgabe das Mittel der Wahl für die Vergütung
bleibt, muss dem Umfang der urheberrechtlichen Nut-
zung angemessen Rechnung getragen werden. Darüber
kann durch die Herstellerpreise eines Vervielfältigungs-
gerätes gerade nicht Aufschluss gegeben werden.






(A) (C)



(B) (D)


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Ich brauche hier nicht wiederzugeben, wie der Preis-
verfall gerade in diesem Bereich aussieht. Das bringt
zum Ausdruck: Wenn es bei dieser Regelung bliebe,
würde es zu einem wirklich deutlichen Einnahmeverlust
bzw. zu einem Vergütungsrückgang bei den Urhebern
kommen. Deshalb ist der Ansatz, der jetzt gewählt ist,
nämlich die Koppelung der pauschalen Geräteabgabe an
die Preise und die Begrenzung auf einen Gesamtpreis
hinsichtlich des Anteils der Vervielfältigungen, nicht
richtig. Darüber muss dringend beraten werden. Das ist
die gute Tradition im Urheberrecht, die wir ja heute Mit-
tag schon unter Beweis gestellt haben, als wir einen
Kompromiss beim Folgerecht über alle Fraktionen hin-
weg gefunden haben. Obwohl es nicht allen leicht gefal-
len ist, haben wir gesagt, dass wir das wollen. Ich finde,
auch das muss uns in diesem Bereich gelingen, denn das
hat massive Auswirkungen. Wenn wir der Stellung der
Urheber im Jahre 2006 folgende gerecht werden wollen,
dann müssen wir uns gerade die Deckelung und die
Fünfprozentklausel, die jetzt in den §§ 54 folgende des
Gesetzentwurfs vorgesehen sind, vornehmen und än-
dern. Dabei kann es in dieser Form nicht bleiben.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ein zweiter wichtiger und schwieriger Bereich ist na-
türlich die Schranke zugunsten von Bildung und For-
schung. Es soll durch eine neue Vorschrift Bibliotheken,
Museen und öffentlichen Archiven künftig gestattet wer-
den, Werke an elektronischen Leseplätzen zugänglich zu
machen. Durch eine weitere Bestimmung soll die Zuläs-
sigkeit des elektronischen Kopienversands gesetzlich ge-
regelt werden. Hierzu sage ich deutlich: Im Kern sind
die geplanten Bestimmungen nicht zu beanstanden, aber
in der vorliegenden Ausgestaltung schießen sie über das
Ziel hinaus. Jetzt würde ich über meine Redezeit hinaus-
schießen, wenn ich dafür viele Gründe und Argumente
vorbringen würde. Das werden wir dann in einer um-
fangreichen Anhörung, die wir bereits vom Grundsatz
her beschlossen haben, im Rechtsausschuss tun.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604329800

Das Wort hat der Kollege Dr. Günter Krings für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Bleiben Sie versöhnlich, Herr Krings! Nicht die Harmonie stören! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Man muss nicht volle neun Minuten reden!)



Dr. Günter Krings (CDU):
Rede ID: ID1604329900

Guten Morgen, Frau Präsidentin! Guten Morgen,

meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen!


(Ludwig Stiegler [SPD]: Morgenstunde ist aller Laster Anfang!)

– Richtig. – Wir debattieren heute in erster Lesung über
einen Gesetzentwurf, dessen Entstehungsgeschichte
nach Art, Umfang und Länge ihresgleichen sucht. Die
Arbeiten an diesem „Korb 2“ des Urheberrechts began-
nen unmittelbar nach dem „Korb 1“ im Jahre 2003. Das
Bundesjustizministerium, das zwar nicht mehr auf der
Regierungsbank vertreten ist, aber immerhin noch sozu-
sagen im Publikum weilt, hat dann elf Arbeitsgruppen
eingesetzt und Dutzende von Verbänden mit der Vorar-
beit an diesem Gesetzgebungsvorhaben sehr lange be-
schäftigt. Der eigentliche Gesetzgeber – an der Stelle
sollte die Frau Ministerin einmal zuhören – sitzt aber in
diesem Hause, die eigentliche Gesetzgebung findet hier
statt. Und für dieses Gesetz gilt in ganz besonderer
Weise, dass es nicht so aus dem Rechtsausschuss und
dem Deutschen Bundestag hinausgehen wird, wie es
vom Justizministerium eingebracht worden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nur hier ist der Ausgleich der Interessen von Urhebern,
Verbrauchern und Unternehmen letztgültig vorzuneh-
men.

Es ist gut, dass wir nun endlich die wichtigen Anpas-
sungen des Urheberrechts an die Veränderungen einer
digitalen und vernetzten Welt in Angriff nehmen kön-
nen. Beim Urheberrechtsgesetz handelt es sich um nichts
weniger als um das Grundgesetz der modernen Wissens-
gesellschaft. Auch die volkswirtschaftliche Bedeutung
des Urheberrechts ist nicht zu unterschätzen; fast jeder
zehnte Euro unseres Bruttoinlandsproduktes hängt direkt
oder indirekt mit dem Urheberrecht zusammen. Dieser
Bedeutung sind die Länge und vor allem der Zeitpunkt
der heutigen Debatte nicht angemessen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung geht bei der Pauschalvergü-
tung neue Wege. Zukünftig soll die Vergütungspflicht
von Geräten und Speichermedien anhand ihrer tatsächli-
chen Nutzung für Vervielfältigungsvorgänge ermittelt
werden. Dadurch wird ein gerechterer Maßstab erreicht
als durch die jetzige Regelung, bei der es um die erkenn-
bare Eignung zur Vornahme von Kopien geht. Gerade
die heutige Vielzahl zeitraubender Prozesse – zum Bei-
spiel, ob der Drucker oder der Computer unter diese Vo-
raussetzungen fällt – zeigt, dass hier eine Änderung ge-
boten ist.

Die heutige Situation ist für beide Seiten unbefriedi-
gend. Die Urheber müssen lange auf ihre Vergütung
warten. Die Hersteller von Geräten oder Speichermedien
müssen zwar zunächst nicht an die Urheber zahlen, aber
sie müssen aufgrund des ungewissen Prozessausgangs
langfristige Rückstellungen bilden.

Dieses Spiel aus Verweigerungshaltung einerseits und
bilanzieller Rückstellungspflicht andererseits wieder-
holt sich so oft, wie neue Geräte oder Speichermedien
auf den Markt kommen. Das geht heute sehr rasch.

Es ist daher gut und gerecht, wenn die Bundesregie-
rung dieses Kriterium abschaffen will und auf den






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Günter Krings
tatsächlichen Einsatz von Geräten zum Kopieren ab-
stellt. Die konkrete Ausgestaltung dieser neuen Regelung
werden wir im weiteren parlamentarischen Verfahren aber
noch einer genauen Prüfung unterziehen müssen.


(Beifall der Abg. Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU])


So sieht der Entwurf vor, an die Vergütungspflicht die
Bedingung zu knüpfen, dass das betroffene Gerät bzw.
Speichermedium in nennenswertem Umfang für Verviel-
fältigungen eingesetzt wird. Die Gesetzesbegründung
nennt ausdrücklich eine Mindestnutzung von 10 Prozent.
Unter dieser Grenze soll keine Vergütung anfallen. Da-
durch scheinen mir neue Gerichtsverfahren vorprogram-
miert zu sein.

Ziel des Gesetzes muss es aber sein, eine Regelung zu
finden, die die Voraussetzung für eine Vergütungspflicht
klar festlegt. Wir brauchen keine zusätzliche Vergütung
für Rechtsanwälte, sondern eine kalkulierbare Vergütung
für die Urheber.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Noch schwieriger wird es bei der Vergütungshöhe.
Nach dem Regierungsentwurf soll die Vergütung bei
5 Prozent des Gerätepreises gedeckelt werden. Die Ver-
wertungsgesellschaften rechnen mit Einbußen von bis zu
40 Prozent durch diese Kappungsgrenze. Allerdings un-
terschlagen sie bei ihren Berechnungen wiederum, dass
auch neue Geräte in die Vergütungspflicht einbezogen
werden. Umgekehrt weist BITKOM darauf hin, dass
sich ohne die Kappung bei 5 Prozent und die Einführung
der Voraussetzung des nennenswerten Umfangs das Ver-
gütungsaufkommen von ZPÜ und GEMA mehr als ver-
vierfachen würde. Hier steht Aussage gegen Aussage.
Auch das wird Gegenstand der Anhörung sein.

Der sehr heftige Streit zwischen den beiden Beteilig-
ten lässt aber Zweifel aufkommen, ob es wirklich sinn-
voll ist, die Verhandlungen über die Höhe einer dem
Grunde nach staatlich angeordneten Pauschalvergütung
in die Hände der Betroffenen zu legen. Für mich wäre
zum Beispiel eine Verordnungsermächtigung für das
Justizministerium zur Festsetzung der Vergütungssätze
nach wie vor eine denkbare und praktikable Alternative,
die ebenfalls zumindest erörtert werden muss.

Aber auch dann – das richte ich an alle Urheber –
werden wir sicherlich Vergütungshöhen bekommen, die
nicht viel mehr als 5 Prozent des Gerätepreises ausma-
chen. Denn auch bei der bisherigen Regelung sind die
Gerätepreise – zumindest indirekt – bei den staatlich
festgesetzten Vergütungshöhen berücksichtigt worden.

Als Rechtsverlust empfinden einige Urheber – dem
ist meines Erachtens nicht unbedingt zu folgen – die
Neuregelung zu den unbekannten Nutzungsarten.
Erstmals sollen die Urheber auch über unbekannte Nut-
zungsarten disponieren dürfen. Der Urheber geht für die
Rechteübertragung allerdings keineswegs leer aus; er
kann vielmehr eine gesonderte Vergütung verlangen.
Außerdem erhält er ein Widerrufsrecht, was die meisten
Fälle zu einer vernünftigen Lösung führen müsste. Prak-
tische Probleme mögen sich dann ergeben, wenn ein Wi-
derruf schwierig wird, weil die Rechte auf einen neuen
Rechteinhaber übertragen worden sind, von dem der Ur-
heber nicht weiß, wie er zu erreichen ist. Bei einer Neu-
regelung scheint es mir alles in allem wichtig zu sein,
darauf zu achten, dass die Weiterverbreitung älterer In-
halte auf neuen Speichermedien – darum geht es uns
nämlich – nicht behindert, sondern befördert wird.

Die Privatkopie wird auch künftig möglich bleiben.
Das dürfte in diesem Haus quer durch alle Fraktionen
unbestritten sein. Trotzdem möchte ich den Stimmen
deutlich widersprechen, die inzwischen die Privatkopie
als ein subjektives Recht des Verbrauchers ansehen.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sehen die Verbraucher so!)


Die Zulassung – eben nicht das Recht – der Privatkopie
fand erst 1965 Eingang ins Gesetz, als die ersten Verviel-
fältigungsgeräte auf den Markt kamen.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also von Anfang an!)


Nur weil es damals keinen wirksamen Mechanismus
gab, um das Kopieren zu unterbinden, hat man den Ur-
hebern – ganz nach dem Grundsatz „Dulde und liqui-
diere!“ – eine Pauschalvergütung als Ausgleich zugebil-
ligt, Herr Kollege Montag. Privatkopie und
Pauschalvergütung waren also von Anfang an kein
Selbstzweck, sondern ein Notbehelf.

Daher ist es auch richtig, dass der Regierungsentwurf
an dem Verbot der Umgehung technischer Schutzmaß-
nahmen festhält. Jedes Unternehmen kann selbst über
deren Einsatz entscheiden und viele Unternehmen
– etwa aus der Musikbranche – verzichten aus nachvoll-
ziehbaren Gründen auf die Einführung solcher Schutz-
mechanismen.


(Jörg Tauss [SPD]: Weil sie sparen wollen!)


Aber demjenigen, der sein Eigentum wirksam schüt-
zen möchte, können und wollen wir das in einem
Rechtsstaat nicht verwehren. Dabei macht es im Grunde
keinen Unterschied, ob er sein Haus mit einem Zaun
oder sein geistiges Eigentum durch einen Kopierschutz
schützen will.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Der Vergleich hinkt!)


– Herr Kollege Montag, dieser Vergleich mag wie viele
Vergleiche hinken, aber auch ein Vergleich, der hinkt,
geht.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Der Bundestag sollte sich aber nicht Überlegungen
verschließen, die Zulässigkeit der Privatkopie zu präzi-
sieren. Präzision schafft Rechtssicherheit. Auf die ist ge-
rade der juristisch nicht geschulte Verbraucher angewie-
sen. Zu prüfen ist aus meiner Sicht daher, ob die
Herstellung einer Privatkopie nur noch dann gesetzlich
erlaubt werden sollte, wenn die Kopie vom eigenen Ori-
ginal erstellt wird.

Rechtssicherheit geschaffen haben wir bereits im Vor-
feld, nämlich vor der Einbringung des Gesetzentwurfes






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Günter Krings
bei der Bagatellklausel. Ich bin froh, dass ich diesen
meines Erachtens rechtsstaatswidrigen Vorschlag ge-
meinsam mit dem Kulturstaatsminister Bernd Neumann
schon im Vorfeld des Regierungsentwurfs verhindern
konnte.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind ganz unfroh!)


Dem Staatsminister möchte ich nochmals für seinen Ein-
satz danken. Ich freue mich auch, dass jedenfalls das
Justizministerium zu einer guten Einsicht gekommen ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben es geschafft, dass ein klarer Strafrahmen
für Urheberrechtsverletzungen beibehalten wurde und
derartige Verletzungen auch künftig keine Kavaliersde-
likte darstellen. Das ist ein starkes und klares Signal an
die Öffentlichkeit.

Als Rechtspolitiker der großen Koalition freuen wir
uns über das Bekenntnis im Koalitionsvertrag für ein
starkes und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Wissenschaftsfreundlich – passen Sie genau auf – heißt
dabei ganz unmissverständlich auch


(Jörg Tauss [SPD]: Aber nicht nur wissenschaftsfreundlich!)


wissenschaftsverlagsfreundlich; denn die privaten Ver-
lage sind integraler Bestandteil unseres Wissenschafts-
betriebes. Die Verlage erfüllen bei der Verbreitung von
neuen Erkenntnissen aus Wissenschaft und Forschung
eine unverzichtbare Filterfunktion. Sie sind das einzige
echte privatwirtschaftliche Element in unserem Wissen-
schaftsbetrieb. Der Urheberrechtsgesetzgeber sollte da-
her dieses Geschäftsmodell nicht zerstören.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit Besorgnis sehe ich daher die Ausgestaltung des
§ 52 b im Gesetzentwurf der Bundesregierung. Es kann
meines Erachtens nicht angehen, dass die Bibliotheken
ein Buch anschaffen und es dann dutzend- oder hundert-
fach an Leseplätzen bereithalten. Hier ist über eine Än-
derung zu sprechen. Wir müssen in Deutschland aufpas-
sen, dass wir Investitionen in Wissenschaft nicht
ausschließlich als Investitionen in Beton und Technik
verstehen und nicht mehr als solche in Bücher und geis-
tige Inhalte.

Ich will zu einem letzten Aspekt kommen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604330000

Herr Kollege Krings, diese Besorgnis und Aspekte

müssen wir auf die nächste Debatte vertagen.


Dr. Günter Krings (CDU):
Rede ID: ID1604330100

Dann machen wir das bei der nächsten Debatte.

Ich weise darauf hin, dass wir beim Kopienversand
per E-Mail die Regelung als einen vernünftigen Aus-
gleich ansehen. Insgesamt weise ich darauf hin, dass wir
im Rechtsausschuss als Vorratsbeschluss bereits eine
Anhörung beschlossen haben. Das wird eine sehr um-
fangreiche Anhörung werden, die wahrscheinlich nur
noch von der Anhörung zur Föderalismusreform der
letzten Woche getoppt wird. Ich freue mich, mit vielen
Kollegen in dieser Anhörung weiter am Urheberrecht ar-
beiten zu können.

Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen oder schönen
Abend, wie auch immer.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604330200

Die Rede der Kollegin Luc Jochimsen für die Frak-

tion Die Linke nehmen wir zu Protokoll.1)

Das Wort hat der Kollege Jerzy Montag für die Frak-
tion der Grünen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Florian Pronold [SPD]: Montag spricht am Freitag!)



Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1604330300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich

glaube, noch nie ist über ein hochpolitisches, hochwich-
tiges rechtspolitisches Thema so früh am Tag in diesem
Hause diskutiert worden.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Ein lichter Moment!)


Das ist einerseits gut so; aber das hängt nur damit zu-
sammen, dass es in diesem Hause üblich geworden ist,
rechtspolitische Themen an das Ende der Tagesordnung
zu setzen. Ich finde, das geht auf Dauer so nicht.


(Beifall im ganzen Hause – Dr. Uwe Küster [SPD]: Das war Kritik am Ältestenrat!)


Das deutsche Urheberrecht ist in vielerlei Hinsicht re-
formbedürftig. Der Umgang mit geschütztem geistigem
Eigentum, seine Nutzung durch die Berechtigten und
seine neu zu definierende Sozialpflichtigkeit erfordern
mutige und gerechtere Formen. Dabei regelt und
schreibt die europäische Richtlinie zur Harmonisierung
bestimmter Rechte des Urheberrechts, wie der Name
schon sagt, nur einige, wenn auch nicht unwichtige As-
pekte vor. Wir haben mit dem ersten Gesetz zur Reform
des Urheberrechts den Pflichtteil der Reform erledigt.
Nun geht es darum, die Kür zu machen, um das deutsche
Urheberrecht für eine moderne, wissensbasierte, digital
vernetzte Informationsgesellschaft fit zu machen. Das
hat Frau Ministerin völlig richtig dargestellt.

Dabei dürfen wir keinen der Akteure aus dem Blick
verlieren, die berechtigte Interessen auf diesem Felde
haben. Erstens: die Kreativen, die Künstler und Wissen-
schaftler und die ihre Rechte verwaltenden Verwertungs-
gesellschaften. Zweitens: die Rechteinhaber, in der Re-
gel große, international tätige Konzerne. Drittens die
Produzenten von Hardware, Computern und allen mögli-
chen unterschiedlichen Abspielgeräten.

Viertens: die Einrichtungen der Wissensvermittlung,
von Schulen über Bibliotheken bis zu Universitäten.

1) Anlage 30






(A) (C)



(B) (D)


Jerzy Montag
Fünftens – nicht zu vergessen –: die Nutzer und Ge-
nießer der Werke, die die Musik hören, Filme ansehen.
Dazu gehören auch die Wissenschaftler, die die Werke
ihrer Kollegen brauchen, um selbst forschend tätig sein
zu können. Die Interessen dieser Gruppen zum Wohle
der Einzelnen und zum Wohle der ganzen Gesellschaft
auszutarieren, das ist die Aufgabe der jetzt anstehenden
Reform des Urheberrechts.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hat einen be-
achtlichen Vorlauf erfahren. Er ist im Wesentlichen noch
unter der rot-grünen Bundesregierung entstanden, im
Diskurs mit praktisch allen Mitspielern auf dem Feld des
Urheberrechts. Deshalb ist er auch eine gute Vorlage für
die Beratungen in den Ausschüssen. Aber er ist noch er-
heblich verbesserungsbedürftig.

Die Umstellung der Pauschalvergütung von dem al-
ten System „Abgabe auf Geräte, die zum Abspielen be-
stimmt sind“ auf das neue System „Abgabe auf Geräte,
mit denen tatsächlich abgespielt wird“ ist im Grundsatz
richtig. Aber mit den Vorschlägen haben Sie, Frau
Ministerin, neue Probleme auf den Tisch gelegt. Was ist
eine nennenswerte Nutzung? Die Streitigkeiten darüber
sind vorprogrammiert. Eine Begrenzung der Pauschalab-
gabe auf höchstens 5 Prozent des Geräteverkaufspreises
und die Nichteinbeziehung des Zubehörs sind gegenüber
den Kreativen nicht gerecht. Das muss geändert werden.

Die Einführung einer neuen Schranke zur Verwen-
dung von Werken an Computerarbeitsplätzen ist rich-
tig. Aber warum schöpfen Sie eigentlich die Möglichkeit
der Richtlinie nicht aus und beziehen nicht sämtliche
Bildungseinrichtungen in diese Regelung ein? Richtig ist
ebenfalls die gesetzliche Einführung der vom Bundesge-
richtshof entwickelten Schranke des Kopienversandes
durch Bibliotheken. Ich wäre sogar damit einverstanden,
den wissenschaftlichen Verlagen die Möglichkeit zu er-
öffnen, den Kopienversand komplett in die eigenen
Hände zu nehmen, wenn dies zu fairen Bedingungen ge-
schähe. Diesbezüglich darf das Gesetz nicht schweigen;
vielmehr muss das Gesetz dazu etwas sagen.

Zwei weitere Punkte, die ich heute nicht mehr anspre-
chen kann, liegen uns Grünen besonders am Herzen: die
Bagatellklausel – wir wollen sie haben – und eine durch-
setzungsstarke Privatkopie auch in der digitalen Welt.
Das wollen wir ebenfalls haben. Näheres dazu werden
Sie von uns Grünen erfahren, wenn wir uns diesen Ge-
setzentwurf in den Ausschüssen zur Beratung vorneh-
men werden.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604330400

Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege

Dirk Manzewski für die SPD-Fraktion das Wort.


Dirk Manzewski (SPD):
Rede ID: ID1604330500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Freunde der Rechtspolitik! Viel wäre zum heutigen
Thema zu sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aufgrund der mir zur Verfügung stehenden geringen
Zeit möchte ich meine Rede aber auf einige aus meiner
Sicht kritische Punkte beschränken. So habe ich erhebli-
che Probleme mit der Neugestaltung des pauschalen
Urhebervergütungssystems. Dieses bewährte System,
das den Kreativen eine Kompensation für ihre Einnah-
meausfälle gewährleistet, soll im Grunde genommen
zwar beibehalten werden; aber anders als bisher soll nun
den Verwertungsgesellschaften und den Herstellern die
Bemessung der Vergütungssätze selbst übertragen wer-
den.

Ich frage mich, Frau Ministerin, wie das praktisch
funktionieren soll, da wir hier nicht zwei Parteien auf
gleicher Augenhöhe haben. Nicht zuletzt das Urheber-
vertragsgesetz hat doch gezeigt, dass man aufgrund der
unterschiedlichen Interessenlage nicht zwingend auf die
Einsichtsfähigkeit der Beteiligten vertrauen darf. Ich
möchte aber nicht, dass den Urhebern letztendlich zuge-
mutet wird, hinter ihren Ansprüchen herzulaufen.

Hinzu kommt, dass der Maßstab für die Vergütungs-
höhe die tatsächliche Nutzung der Gerätetypen sein soll.
Nur, wie soll die ermittelt werden? Die Bundesregierung
stellt sich vor, dass die Verwertungsgesellschaften diese
Daten durch Aufträge an Marktforschungsinstitute erhal-
ten können. Aber man muss kein Prophet sein, um vo-
raussagen zu können, dass die so ermittelten Ergebnisse
von der anderen Seite umgehend angezweifelt werden.
Die verbesserten Schlichtungsmöglichkeiten dürften da
kaum weiterhelfen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Es stellt sich auch die Frage, wie die so genannte tat-
sächliche Nutzung bei neuen Gerätetypen festgestellt
werden soll; zumal man noch nicht einmal sagen kann,
welchen Zeitraums es überhaupt bedarf, um entspre-
chende empirische Untersuchungen durchzuführen.

Ungeklärt ist damit insbesondere, wie die Vergütung
für die Zeit bis zum Ende dieser empirischen Untersu-
chungen geregelt werden soll, vor allem wenn ein neuer
Gerätetyp vor dem Abschluss dieser Untersuchungen
vom Markt genommen wird, entweder weil er sich nicht
durchgesetzt hat oder weil der Hersteller bis dahin nicht
mehr existent ist. Dies kann meiner Auffassung nach
nicht zulasten der Urheber gehen.

Inwieweit Gerätezubehör, welches häufig niedrige
Gerätepreise kompensiert, bei der Bemessung der Vergü-
tungshöhe Berücksichtigung finden soll, ist für mich
auch nicht eindeutig geklärt.

Nicht nachvollziehen kann ich, warum in diesem Zu-
sammenhang eine Vergütungsobergrenze von 5 Pro-
zent des Verkaufspreises eingeführt werden soll; zum ei-
nen deshalb nicht, weil der für den Urheber nicht zu
beeinflussende Preis eines Gerätes doch nichts über die
Nutzungseingriffe bei ihm aussagt, zum anderen deshalb
nicht, weil bei dieser Regelung schon jetzt zukünftige
Einbußen der Urheber zu erwarten sind. Schaut man sich
nämlich zum Beispiel die Entwicklung bei Druckern und
Kopierern an, dann zeigt sich, dass diese einerseits im-
mer leistungsstärker und andererseits immer billiger
werden.






(A) (C)



(B) (D)


Dirk Manzewski
Neu geregelt werden soll auch die Nutzung von Wer-
ken in unbekannten Nutzungsarten. Es ist sicherlich
richtig, auf die Probleme hinzuweisen, die im Zusam-
menhang mit Nutzungsarten, die es heute noch nicht
gibt, entstehen können. Soweit den Urhebern deshalb er-
öffnet werden soll, künftig grundsätzlich auch über ihre
Rechte für die Zukunft zu verfügen, macht dies durchaus
Sinn. Aber ich habe Schwierigkeiten damit, dass der Ur-
heber diese Rechtseinräumung nach § 31 a nur widerru-
fen kann, wenn der andere noch nicht mit der Nutzung
des Werks begonnen hat. Das bedeutet im Um-
kehrschluss, dass der Nutzer jeden Widerruf durch
schnelle Nutzungsaufnahme ausschließen kann, zumal
er nach § 32 c nur verpflichtet ist, den Urheber erst über
die Aufnahme der Nutzung unverzüglich zu unterrich-
ten.

Nicht gut finde ich übrigens, dass das auch für Altver-
träge gelten soll, da es für mich schon einen Unterschied
macht, ob ich bewusst eine Regelung für die Zukunft
eingehe oder, wie bei Altverträgen, eben nicht.

Ich komme zum Ende. Soweit von vielen ein bil-
dungs- und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht an-
gemahnt wird, Kollege Tauss, muss ich sagen: Ich finde
das nicht ganz gerecht,


(Jörg Tauss [SPD]: Aber fair!)


da ich der Auffassung bin, dass wir ein solches Urheber-
recht haben. Sosehr ich angesichts knapper Kassenlage
aus Sicht von Bildung und Wissenschaft nachvollziehen
kann, dass man sich hier Spielräume wünscht, so sehr
muss ich aber auch deutlich sagen, dass dies nicht zulas-
ten der Urheber gehen kann.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch geistiges Eigentum ist Eigentum. Es kommt ja
auch niemand auf die Idee, die Rechnung eines Hand-
werkers nicht zu bezahlen, nur weil dieser für eine Uni-
versität tätig geworden ist.

Letzter Satz. Wir müssen daher sehr vorsichtig sein,
um hier die richtige Balance zu wahren; ich sichere un-
seren Bildungspolitikern fraktionsübergreifend jedoch
zu, mit ihnen hierüber zu diskutieren, um nach Lösungen
zu suchen.

Ich bitte um Entschuldigung dafür, dass ich ein biss-
chen schnell gewesen bin, aber ansonsten hätte ich heute
nicht annähernd das sagen können, was ich mir vorge-
nommen habe.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1604330600

Ich fürchtete schon, dass Sie gar nicht mehr Luft ho-

len.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Er hat einen langen Atem!)

– Ich dachte, dass Sie ihrem Kollegen zur Hilfe kom-
men. Mit einer Zwischenfrage kann man so etwas lösen.
Er muss sich dann nicht selbst gefährden.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Frau Präsidentin, der Rat kommt zu spät! – Weiterer Zuruf von der SPD: Wir haben anderes verabredet!)


– Herr Kollege, Sie sind doch so erfahren. Aber gut, das
klären wir beim nächsten Mal.

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/1828 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neure-
gelung des Versicherungsvermittlerrechts

– Drucksache 16/1935 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus

Verabredet war hierzu eine Debatte von einer halben
Stunde. Wir nehmen die Reden aber zu Protokoll. Es
sind die Reden des Kollegen Kai Wegner für die Unions-
fraktion, des Kollegen Christian Lange (Backnang) für
die SPD-Fraktion, des Kollegen Martin Zeil für die
FDP-Fraktion, der Kollegin Ulla Lötzer für die Fraktion
Die Linke und des Kollegen Matthias Berninger für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.1) Damit kann
ich die Aussprache auch schon schließen.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/1935 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse und an den Ausschuss für
Tourismus vorgeschlagen. Gibt es dazu weitere
Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 37 a auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform

(Personenstandsrechtsreformgesetz – PStRG)


– Drucksache 16/1831 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Auch hierzu war eine Debatte von einer halben
Stunde vorgesehen. Wir nehmen aber die Beiträge des
Kollegen Stephan Mayer (Altötting) für die Unions-

1) Anlage 31






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau

fraktion, der Kollegin Gabriele Fograscher für die SPD-
Fraktion, der Kollegin Gisela Piltz für die FDP-Fraktion,
der Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke und
der Kollegin Silke Stokar für die Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen zu Protokoll.1) Damit schließe ich
auch diese Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/1831 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es

dazu weitere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss der Tagesordnung der
43. Sitzung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf heute, Freitag, den 30. Juni 2006, 8 Uhr,
ein.

Die Sitzung ist geschlossen.