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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 16/43 (Drucksachen 16/1545, 16/2012, 16/2028, 16/2013) . . . . . . . . . . . . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Steueränderungsgeset- zes 2007 (Drucksachen 16/1859, 16/1969, 16/2012, 16/2028, 16/2013) . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Christine Scheel, Kerstin Andreae, Dr. Gerhard Schick, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Steueränderungsgesetz 2007 zurück- ziehen Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Otto Bernhardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Frechen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . 3971 B 3971 C 3972 A 3974 A 3975 C 3977 A 3977 C 3980 A 3980 C 3981 B 3983 D 3986 A 3986 C Deutscher B Stenografisc 43. Sit Berlin, Donnerstag, I n h a Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung der Tagesordnungspunkte 16, 17, 34 und 38 i . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . Begrüßung des Parlamentspräsidenten der Republik Indien, Herrn Chatterjee . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 3: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Steueränderungsgesetzes 2007 3965 A 3966 D 3967A 4013 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Volker Wissing, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, weiterer undestag her Bericht zung den 29. Juni 2006 l t : Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Keine weiteren Steuererhöhun- gen (Drucksachen 16/1501, 16/1654, 16/2012, 16/2028) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) (zur Geschäftsordnung) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) (zur Geschäftsordnung) . . . . . . . . . . . . . . . Carl-Ludwig Thiele (FDP) (zur Geschäftsordnung) . . . . . . . . . . . . . . . Olaf Scholz (SPD) (zur Geschäftsordnung) . . . . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (zur Geschäftsordnung) 3971 C 3967 B 3967 D 3968 C 3969 D 3970 B Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 3987 B 3989 C 3989 D II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 Florian Pronold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) . . . . . . . . Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem An- trag der Abgeordneten Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Harald Terpe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Dem Solidarsystem eine stabile Grund- lage geben – für eine nachhaltige Finan- zierungsreform der Krankenversiche- rung (Drucksachen 16/950, 16/2002) . . . . . . . . b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der LINKEN eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Drucksachen 16/451, 16/1753) . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Birgitt Bender, Matthias Berninger, Dr. Thea Dückert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Stärkung der Solidarität und Ausbau des Wettbewerbs – Für eine leistungsfä- hige Krankenversicherung (Drucksache 16/1928) . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Daniel Bahr (Müns- ter), Heinz Lanfermann, Dr. Konrad Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für Nachhaltigkeit, Transparenz, Eigenverantwortung und Wettbewerb im Gesundheitswesen (Drucksache 16/1997) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Bahr (Münster) (FDP) . . . . . . . . . . . . . 3993 A 3990 C 3991 B 3991 D 3993 B 3994 B 3994 D 3997 B 3997 C 3997 C 3997 C 3997 D 3998 C 3999 D Wolfgang Zöller (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) . . . . . . . . . Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Bahr (Münster) (FDP) . . . . . . . . . . Dr. Carola Reimann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Heinz Lanfermann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU) . . . . . . Frank Spieth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Kleiminger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rolf Koschorrek (CDU/CSU) . . . . . . . . . Elke Ferner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 37: b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Zwei- ten Gesetzes zur Änderung des Be- triebsrentengesetzes (Drucksache 16/1936) . . . . . . . . . . . . . . . c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ach- ten Gesetzes zur Änderung des Ver- sicherungsaufsichtsgesetzes sowie zur Änderung des Finanzdienstleistungs- aufsichtsgesetzes und anderer Vor- schriften (Drucksache 16/1937) . . . . . . . . . . . . . . . d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Zwei- ten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Verbesserung der personellen Struktur beim Bundeseisenbahnvermö- gen und in den Unternehmen der Deut- schen Bundespost (Drucksache 16/1938) . . . . . . . . . . . . . . . e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 13. April 2005 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- land und dem Königreich der Nieder- lande über den Zusammenschluss der deutschen Bundesstraße B 56n und der niederländischen Regionalstraße N 297n an der gemeinsamen Staatsgrenze durch Errichtung einer Grenzbrücke (Drucksache 16/1939) . . . . . . . . . . . . . . . 4001 B 4003 C 4004 D 4005 C 4006 C 4008 B 4009 C 4011 D 4013 A 4014 D 4015 C 4017 C 4025 A 4025 C 4019 C 4019 D 4019 D 4020 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 III f) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des vorläufigen Tabakgesetzes (Drucksache 16/1940) . . . . . . . . . . . . . . . . g) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dagdelen, Dr. Hakki Keskin, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Die Welt zu Gast bei Freun- den – Für eine offenere Migrations- und Flüchtlingspolitik in Deutschland und in der Europäischen Union (Drucksache 16/1199) . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Menschenrechte in Usbekis- tan einfordern (Drucksache 16/1975) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Ute Koczy, Thilo Hoppe, Dr. Uschi Eid, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN: Eine Welt- bank-Energiepolitik der Zukunft – Ja zu mehr Effizienz und erneuerbaren Energien, Nein zur Atomkraft (Drucksache 16/1978) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Volker Beck (Köln), Monika Lazar und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Befragung von Gefolterten und Nutzung von Folter- erkenntnissen ausschließen (Drucksache 16/836) . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Indigene Völker – Ratifizierung des Übereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) Nr. 169 über Indigene und in Stämmen lebende Völ- ker in unabhängigen Staaten (Drucksache 16/1971) . . . . . . . . . . . . . . . . e) Antrag der Abgeordneten Burkhardt Müller-Sönksen, Florian Toncar, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: 7. Bericht der Bundes- regierung über ihre Menschenrechtspo- litik in den auswärtigen Beziehungen und in Politikbereichen (Drucksache 16/1999) . . . . . . . . . . . . . . . . f) Antrag der Abgeordneten Florian Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für die weltweite 4020 A 4020 A 4020 B 4020 B 4020 C 4020 C 4020 C Sicherstellung der Religionsfreiheit (Drucksache 16/1998) . . . . . . . . . . . . . . . g) Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Ulla Lötzer, Hans-Kurt Hill, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der LINKEN: Keine Weltbankkredite für Atomtech- nologie (Drucksache 16/1961) . . . . . . . . . . . . . . . h) Antrag der Abgeordneten Hüseyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, Dr. Diether Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Agrarbeihilfe- empfänger offen legen (Drucksache 16/1962) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 38: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. Juni 2005 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Schweizerischen Bundesrat, handelnd im Namen des Kantons Schaffhausen, über die Erhal- tung einer Straßenbrücke über die Wutach zwischen Stühlingen (Baden- Württemberg) und Oberwiesen (Schaff- hausen) (Drucksachen 16/1611, 16/1964) . . . . . . . b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 8. Juni 2005 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Schweizerischen Bundesrat, handelnd im Namen des Kantons Aargau, über Bau und Erhal- tung einer Rheinbrücke zwischen Lau- fenburg (Baden-Württemberg) und Laufenburg (Aargau) (Drucksachen 16/1612, 16/1965) . . . . . . . c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 28. Juni 2004 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Singapur zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksachen 16/1619, 16/1974) . . . . . . . d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Bereini- gung von Bundesrecht im Zuständig- keitsbereich des Bundesministeriums des Innern (Drucksachen 16/1620, 16/1979) . . . . . . . 4020 D 4020 D 4021 A 4021 A 4021 B 4021 C 4021 D IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes (Drucksachen 16/1107, 16/1173, 16/2019) f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Luft- qualität und saubere Luft für Europa KOM (2005) 447 endg.; Ratsdok. 14335/05 (Drucksachen 16/288 Nr. 2.20, 16/1814) g) Beratung der Zweiten Beschlussempfeh- lung des Wahlprüfungsausschusses zu 62 gegen die Gültigkeit der Wahl zum 16. Deutschen Bundestag eingegange- nen Wahleinsprüchen (Drucksache 16/1800) . . . . . . . . . . . . . . . . h) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- trag der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: EU-Kommission muss natio- nale Tierschutzbemühungen respektie- ren (Drucksachen 16/549, 16/2008) . . . . . . . . i) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- trag der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: BSE- Testpflichtaltersgrenze anheben (Drucksachen 16/1170, 16/2001). . . . . . . . k) Beschlussempfehlung des Rechtsaus- schusses: Übersicht 3 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfas- sungsgericht (Drucksache 16/1956) . . . . . . . . . . . . . . . . m)–u) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68 und 69 zu Petitionen (Drucksachen 16/1911, 16/1912, 16/1913, 16/1914, 16/1915, 16/1916, 16/1917, 16/1918, 16/1919) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Ökologischen Landbau 4022 A 4022 B 4022 C 4022 C 4022 D 4023 A 4023 B in Deutschland und Europa weiterent- wickeln (Drucksache 16/1972) . . . . . . . . . . . . . . . b)–k) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78 und 79 zu Peti- tionen (Drucksachen 16/1980, 16/1981, 16/1982, 16/1983, 16/1984, 16/1985, 16/1986, 16/1987, 16/1988, 16/1989) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Ver- wirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung (Drucksachen 16/1780, 16/1852, 16/2022, 16/2024) . . . . . . . . . . . . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Irmingard Schewe- Gerigk, Volker Beck (Köln) und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Umsetzung europäi- scher Antidiskriminierungsrichtli- nien (Drucksachen 16/297, 16/2022, 16/2024) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Karin Binder, Sevim Dagdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: EU-Anti- diskriminierungsrichtlinien durch einheitliches Antidiskriminierungs- gesetz wirksam und umfassend um- setzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln), Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Keine Ausgrenzung beim Antidis- kriminierungsgesetz – zu dem Antrag der Abgeordneten Mechthild Dyckmans, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Bürokratie schützt nicht vor Diskriminierung – Allge- meines Gleichbehandlungsgesetz ist der falsche Weg (Drucksachen 16/370, 16/957, 16/1861, 16/2022) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4024 A 4024 B 4027 B 4027 B 4028 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 V Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . Dr. Guido Westerwelle (FDP) . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Guido Westerwelle (FDP) . . . . . . . . . . . . Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Sevim Dagdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation (Drucksachen 16/1408, 16/2011) . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei- nes Verbraucherinformationsgeset- zes (VIG) (Drucksachen 16/199, 16/2011) . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz – zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Bleser, Ursula Heinen, Gitta Connemann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Ulrich Kelber, Volker Blumentritt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Lebensmit- telskandalen effektiv entgegenwir- ken – Verbraucher umfassend infor- mieren – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Konsequenzen aus den Fleischskandalen: Umfassende Ver- braucherinformation und bessere Kontrollen 4028 B 4029 D 4030 C 4032 A 4032 B 4032 B 4034 B 4035 B 4036 C 4037 D 4039 A 4042 B 4042 C 4040 C 4040 C – zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: Verbraucherschutz in der Marktwirtschaft durch mündige und aufgeklärte Verbraucher sicher- stellen (Drucksachen 16/195, 16/111, 16/825, 16/2009) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ursula Heinen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Julia Klöckner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktio- nen der CDU/CSU und der SPD: Lage am Ausbildungsmarkt – Ausbildungspakt als Chance für Unternehmen, junge Menschen und den Arbeitsmarkt Ernst Hinsken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Nicolette Kressl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Hirsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Kai Wegner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Grotthaus (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Michael Glos, Bundesminister BMWi . . . . . . Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Annette Schavan, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Willi Brase (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Uwe Schummer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, Joachim Günther (Plauen), Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Recht der Sportwetten neu ordnen und Finanzierung des Sports sowie anderer Gemeinwohlbelange sichern (Drucksache 16/1674) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Detlef Parr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4040 D 4041 A 4045 A 4046 B 4048 A 4049 A 4050 A 4052 B 4054 B 4055 C 4057 A 4058 A 4059 B 4060 D 4062 A 4063 A 4065 A 4066 C 4068 C 4070 A 4071 B 4071 C VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 Klaus Riegert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dagmar Freitag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Detlef Parr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Be- steuerung von Energieerzeugnissen und zur Änderung des Stromsteuergesetzes (Drucksachen 16/1172, 16/1347, 16/2007, 16/2061, 16/2023) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Hans-Josef Fell, Cornelia Behm, Dr. Reinhard Loske, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Biokraftstoffe intelligent fördern – Steuerbegünsti- gung erhalten (Drucksachen 16/583, 16/2007, 16/2061) c) Antrag der Abgeordneten Hans-Kurt Hill, Dr. Herbert Schui, Dr. Barbara Höll, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Biokraftstoffe nachhaltig för- dern (Drucksache 16/1895 (neu)) . . . . . . . . . . . Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD) . . . . . Dr. Hermann Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Schindler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion der LINKEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes 4073 A 4074 C 4075 C 4076 D 4077 C 4077 D 4078 D 4079 A 4079 A 4079 B 4081 B 4081 C 4082 A 4083 C 4084 B 4085 B 4086 A 4086 B zur Änderung des Dritten Buches Sozi- algesetzbuch (Drucksachen 16/856, 16/1208) . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Innere Sicherheit durch Regelungen zum Arbeitskampf- recht gewährleisten (Drucksachen 16/953, 16/1208) . . . . . . . . Anette Kramme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Oskar Lafontaine (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Laurenz Meyer (Hamm), Veronika Bellmann, Klaus Brähmig, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Dr. Rainer Wend, Doris Barnett, Klaus Barthel, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mit- telständischen Wirtschaft (Drucksachen 16/1407, 16/2017) . . . . – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Ersten Gesetzes zum Ab- bau bürokratischer Hemmnisse ins- besondere in der mittelständischen Wirtschaft (Drucksachen 16/1853, 16/1970, 16/2017) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Zeil, Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Statistikpflichten zu- rückführen – Bürokratiekosten senken (Drucksachen 16/1167, 16/2017) . . . . . . . Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU) . . . . . . Martin Zeil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4089 B 4089 C 4089 C 4091 A 4092 A 4093 D 4095 A 4098 A 4098 C 4096 B 4096 C 4096 C 4096 D 4100 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 VII Christian Lange (Backnang) (SPD) . . . . . . . . Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 36: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe – zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Irmingard Schewe-Gerigk, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN: Presse- und Meinungsfreiheit in Kuba einfordern – zu dem Antrag der Abgeordneten Marina Schuster, Florian Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Menschen- rechte in Kuba einfordern und die ku- banische Zivilgesellschaft fördern (Drucksachen 16/934, 16/945, 16/2006) Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtlinie (Drucksachen 16/1335, 16/2018, 16/2056) . . Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Georg Fahrenschon (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Michael Kauch, Dr. Max Stadler, Sabine Leutheusser- Schnarrenberger, weiterer Abgeordneter und 4101 D 4103 C 4104 B 4105 C 4105 D 4107 C 4108 B 4109 D 4111 A 4112 A 4116 A 4115 D 4112 D 4113 A 4114 A der Fraktion der FDP: Patientenverfügungen neu regeln – Selbstbestimmungsrecht und Autonomie von nichteinwilligungsfähigen Patienten stärken (Drucksache 16/397) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Rah- menbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Euro- päischen Union (Europäisches Haftbe- fehlsgesetz – EuHbG) (Drucksachen 16/1024, 16/2015) . . . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Europäisches Haftbefehlsgesetz – EuHbG) (Drucksachen 16/544, 16/2015) . . . . . . . . Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Carl-Christian Dressel (SPD) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Sevim Dagdelen, Ulla Jelpke, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Einbürge- rungen erleichtern – Ausgrenzungen aus- schließen (Drucksache 16/1770) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Rückgewin- nungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten (Drucksache 16/700, 16/2021) . . . . . . . . . . . . 4118 B 4118 D 4119 C 4119 C 4119 D 4120 C 4121 C 4122 D 4123 C 4124 D 4125 A VIII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Fraktionen der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Demo- kratiebewegung in Belarus unterstützen (Drucksache 16/1977) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD: UN-Überprüfungskonferenz als Chance zur wirksamen Kontrolle des Handels mit Kleinwaffen und leich- ten Waffen nutzen (Drucksache 16/1894) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Holger Haibach, Erika Steinbach, Carl-Eduard von Bismarck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- ordneten Dr. Herta Däubler-Gmelin, Christoph Strässer, Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Den neuen Menschenrechtsrat der Ver- einten Nationen zum Erfolg führen (Drucksache 16/1891) . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Alexander Bonde, Jürgen Trittin, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Waffen unter Kon- trolle – Für eine umfassende Begrenzung und Kontrolle des Handels mit Kleinwaf- fen und Munition (Drucksache 16/1967) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Den neuen Menschenrechtsrat der Verein- ten Nationen intensiv unterstützen (Drucksache 16/1968) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Carl-Ludwig Thiele, Frank Schäffler, Dr. Hermann Otto Solms, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: REITs – Real Estate Invest- ment Trusts in Deutschland einführen (Drucksache 16/1896) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4125 B 4125 C 4125 C 4125 D 4125 D 4126 B Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Leo Dautzenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Florian Pronold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 22: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwick- lung zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Götz, Dirk Fischer (Hamburg), Dr. Klaus W. Lippold, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Petra Weis, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Stadtentwicklung ist moderne Struk- tur- und Wirtschaftspolitik (Drucksachen 16/1890, 16/2004) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 21: Erste Beratung des von den Abgeordneten Cornelia Behm, Undine Kurth (Quedlin- burg), Hans-Josef Fell, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundes- naturschutzgesetzes (Urwaldschutzgesetz) (Drucksache 16/961) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 24: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Für ein Ende der Gewalt in Norduganda (Drucksache 16/1973) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Hüseyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, Dr. Diether Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Für ein Ende der Gewalt in Nord- uganda (Drucksache 16/1976) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) . . . Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE) . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4126 C 4127 D 4129 C 4130 B 4131 D 4132 C 4132 D 4133 A 4133 B 4133 B 4133 D 4134 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 IX Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Elke Hoff, Dr. Rainer Stinner, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Gleiche Besoldung für alle Soldaten (Drucksache 16/587) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 38: j) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung – zu dem Antrag der Abgeordneten Ingbert Liebing, Enak Ferlemann, Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel, Uwe Beckmeyer, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Notschleppkon- zept den veränderten Bedingungen der Seeschifffahrt anpassen – zu dem Antrag der Abgeordneten Rainder Steenblock, Winfried Hermann, Peter Hettlich, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Notschleppkonzept an gestiegene Herausforderungen anpassen – zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Patrick Döring, Horst Friedrich (Bayreuth), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: Sicherheitskonzept für Nord- und Ostsee optimieren (Drucksachen 16/1647, 16/685, 16/1164, 16/2005) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe- Gerigk, Volker Beck (Köln), Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Selbstbe- stimmtes Leben in Würde ermöglichen – Transsexuellenrecht umfassend reformie- ren (Drucksache 16/947) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von den Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Max Stadler, Jörg van Essen, weiteren Abgeordne- 4135 D 4136 A 4136 C ten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Passgesetzes (Drucksache 16/2016) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Unterhaltsrechts (Drucksache 16/1830) . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Unterhalts- vorschussgesetzes (Drucksache 16/1829) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 27: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft (Drucksache 16/1828) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Günter Krings (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Manzewski (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Versicherungsvermittler- rechts (Drucksache 16/1935) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 37: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Reform des Personenstands- rechts (Personenstandsrechtsreform- gesetz – PStRG) (Drucksache 16/1831) . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 4136 C 4136 D 4137 A 4137 A 4137 B 4138 B 4139 B 4141 C 4142 B 4143 C 4143 D 4144 C 4145 A X Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Steu- eränderungsgesetzes 2007 (Tagesordnungs- punkt 3 a) Ingrid Arndt-Brauer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Siegmund Ehrmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Frechen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Hinz (Essen) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) . . . . . . . . . . . Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) . . . . Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) . . . . . . . . . . . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus Hofbauer und Bartholomäus Kalb (beide CDU/CSU) zur namentlichen Abstim- mung über den Entwurf eines Steuerände- rungsgesetzes 2007 (Tagesordnungspunkt 3 a) Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg), Dr. Frank Schmidt und Gunter Weißgerber (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Steueränderungsgesetzes 2007 (Tagesordnungspunkt 3 a) . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gerd Bollmann, Dieter Grasedieck, Christoph Pries und Axel Schäfer (Bochum) (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Steueränderungsgesetzes 2007 (Tagesordnungspunkt 3 a) . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Michael Roth (Heringen), Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Joachim Poß, Ernst Kranz, Waltraud Lehn und Johannes Pflug (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Steueränderungsgesetzes 2007 (Tagesordnungspunkt 3 a) . . . . . . . . . . . . . . . 4145 B 4145 C 4146 A 4146 B 4146 D 4147 A 4147 C 4147 C 4147 D 4148 A 4148 A 4148 C 4149 A 4149 B Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Florian Pronold, Marco Bülow, Ulla Burchardt, Martin Burkert, Dr. Carl-Christian Dressel, Petra Ernstberger, Gabriele Fograscher, Peter Friedrich, Angelika Graf (Rosenheim), Gabriele Groneberg, Bettina Hagedorn, Reinhold Hemker, Frank Hofmann (Volkach), Lothar Ibrügger, Brunhilde Irber, Christian Kleiminger, Rolf Kramer, Anette Kramme, Jürgen Kucharczyk, Dirk Manzewski, Lothar Mark, Detlef Müller (Chemnitz), Heinz Paula, Maik Reichel, Gerold Reichenbach, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Renate Schmidt (Nürnberg), Heinz Schmitt (Landau), Ewald Schurer, Dr. Angelica Schwall-Düren, Christoph Strässer, Jella Teuchner, Rüdiger Veit und Dr. Wolfgang Wodarg (alle SPD) zur nament- lichen Abstimmung über den Entwurf eines Steueränderungsgesetzes 2007 (Tagesord- nungspunkt 3 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Erklärung der Abgeordneten Renate Blank (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Ände- rung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Tagesordnungspunkt 4 b) . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 9 Erklärung des Abgeordneten Jürgen Koppelin (FDP) zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung: Sammelübersicht 79 zu Peti- tionen (Zusatztagesordnungspunkt 4 k) . . . . . Anlage 10 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung (Tagesordnungspunkt 5 a) Klaus Brähmig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Veronika Bellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD) . . . . . . . . . Henry Nitzsche (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) . . . . . . . . . . Rolf Stöckel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4149 D 4150 B 4150 B 4150 C 4150 C 4151 A 4151 B 4151 B 4151 B 4151 D 5153 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 XI Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Michael Fuchs, Michaela Noll, Michael Hennrich, Karl-Georg Wellmann, Kai Wegner, Joachim Hörster, Ernst Hinsken, Norbert Königshofen, Andreas G. Lämmel, Gerhard Wächter, Stefan Müller (Erlangen), Maria Michalk, Dr. Karl Lamers (Heidel- berg), Bernward Müller (Gera), Volkmar Uwe Vogel, Dr. Rolf Koschorrek, Bernhard Schulte-Drüggelte, Andreas Schmidt (Mül- heim), Gunther Krichbaum, Georg Fahrenschon, Hans Michelbach, Georg Schirmbeck, Steffen Kampeter, Laurenz Meyer (Hamm), Anke Eymer (Lübeck), Albert Rupprecht (Weiden), Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Dr. Joachim Pfeiffer, Clemens Binninger, Daniela Raab, Dr. Günter Krings, Klaus-Peter Willsch, Carsten Müller (Braunschweig), Klaus-Peter Flosbach, Marco Wanderwitz, Kurt Segner, Markus Grübel, Jochen Borchert, Philipp Missfelder, Sibylle Pfeiffer, Gitta Connemann, Jens Koeppen, Patricia Lips, Stephan Mayer (Alt- ötting), Susanne Jaffke, Andrea Astrid Voßhoff, Bernd Heynemann, Olav Gutting, Bernd Schmidbauer, Rita Pawelski, Franz Obermeier, Erika Steinbach, Monika Grütters, Andreas Jung (Konstanz), Ingbert Liebing, Marie-Luise Dött, Julia Klöckner, Ute Granold, Michael Brand, Dr. Heinz Riesenhuber, Katharina Landgraf, Dr. Georg Nüßlein, Thomas Strobl (Heilbronn), Renate Blank und Dr. Ole Schröder (alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäi- scher Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung (Tages- ordnungspunkt 5 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 12 Erklärung nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zur Neuregelung der Besteuerung von Energieerzeugnissen und zur Änderung des Stromsteuergesetzes (Tagesordnungspunkt 8 a) Dr. Axel Berg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Groneberg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hermann Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Wodarg (SPD) . . . . . . . . . . . . . Anlage 13 Erklärung des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur 4153 C 4151 B 4151 D 4151 D 4155 A 4155 C Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Innere Sicherheit durch Rege- lungen zum Arbeitskampfrecht gewährleisten (Tagesordnungspunkt 9 a) . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 14 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Wolfgang Wodarg (SPD) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu den Anträ- gen: – Presse- und Meinungsfreiheit in Kuba ein- fordern – Menschenrechte in Kuba einfordern und die kubanische Zivilgesellschaft fördern (Tagesordnungspunkt 36) . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtlinie (Ta- gesordnungspunkt 12) Nina Hauer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Diller (Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen) . . . . . . . . . . Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Patientenverfügungen neu regeln – Selbstbestimmungsrecht und Autonomie von nichteinwilligungsfähigen Patienten stärken (Tagesordnungspunkt 13) Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Markus Grübel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Stünker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Entwürfe eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwi- schen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Europäisches Haftbefehlsgesetz – EuHbG) (Tagesordnungspunkt 14) Wolfgang Nešković (DIE LINKE) . . . . . . . . . 4156 A 4156 A 4156 B 4157 A 4157 C 4158 B 4159 A 4160 D 4161 B 4162 C 4163 A 4164 C 4165 A XII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Einbürgerungen erleichtern – Ausgrenzungen ausschließen (Tagesord- nungspunkt 15) Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Sevim Dagdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensab- schöpfung bei Straftaten (Tagesordnungs- punkt 18) Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Jörg van Essen (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sevim Dagdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär . . . . Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Demokratiebewegung in Belarus unterstützen (Zusatztagesordnungspunkt 6) Manfred Grund (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Uta Zapf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Leibrecht (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE). . . . . . . . . . . Marie-Luise Beck (BÜNDNIS/90 DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – UN-Überprüfungskonferenz als Chance zur wirksamen Kontrolle des Handels mit Kleinwaffen und leichten Waffen nutzen – Den neuen Menschenrechtsrat der Verein- ten Nationen zum Erfolg führen 4166 B 4167 B 4168 C 4169 C 4170 B 4171 A 4171 D 4172 C 4173 C 4174 C 4175 B 4176 A 4176 D 4177 C 4178 B 4178 C – Waffen unter Kontrolle – Für eine umfas- sende Begrenzung und Kontrolle des Han- dels mit Kleinwaffen und Munition – Den neuen Menschenrechtsrat der Verein- ten Nationen intensiv unterstützen (Tagesordnungspunkt 20 a und b und Zusatz- tagesordnungspunkte 7 und 8) Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Carl-Eduard von Bismarck (CDU/CSU) . . . . Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD) . . . . . . . . . Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Toncar (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: REITs – Real Estate Investment Trusts in Deutschland einführen (Tagesord- nungspunkt 19) Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Stadtentwicklung ist moderne Struktur- und Wirtschaftspolitik (Tagesordnungspunkt 22) Peter Götz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Weis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Ände- rung des Bundesnaturschutzgesetzes (Ur- waldschutzgesetz) (Tagesordnungspunkt 21) Bernward Müller (Gera) (CDU/CSU) . . . . . . Marko Mühlstein (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Angelika Brunkhorst (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4179 C 4180 C 4181 B 4182 D 4183 D 4185 A 4185 B 4186 B 4187 C 4188 D 4190 A 4190 D 4191 C 4192 C 4194 A 4195 C 4196 B 4197 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 XIII Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: Für ein Ende der Gewalt in Nord- uganda (Tagesordnungspunkt 24 und Zusatz- tagesordnungspunkt 9) Gabriele Groneberg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Karl Addicks (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 26 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Gleiche Besoldung für alle Sol- daten (Tagesordnungspunkt 23) Monika Brüning (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Susanne Jaffke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Petra Heß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gert Winkelmeier (fraktionslos) . . . . . . . . . . . Anlage 27 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Notschleppkonzept den veränderten Be- dingungen der Seeschifffahrt anpassen – Notschleppkonzept an gestiegene Heraus- forderungen anpassen – Sicherheitskonzept für Nord- und Ostsee optimieren (Tagesordnungspunkt 38 j) Enak Ferlemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Margrit Wetzel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Dorothee Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 28 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Antrag: Selbstbestimmtes Leben in Würde ermöglichen – Transsexuellenrecht umfas- send reformieren – Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Passgesetzes (Tagesordnungspunkt 25 und Zusatztagesord- nungspunkt 10) 4198 B 4199 B 4200 A 4200 D 4201 B 4202 A 4202 C 4203 B 4204 A 4204 C 4205 C 4207 A 4207 D 4208 B Helmut Brandt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Jörg van Essen (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 29 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Entwürfe: – Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts – Erstes Gesetz zur Änderung des Unter- haltsvorschussgesetzes (Tagesordnungspunkt 26 a und b) Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . Anlage 30 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Rege- lung des Urheberrechts in der Informationsge- sellschaft (Tagesordnungspunkt 27) Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . . Anlage 31 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts (Tagesord- nungspunkt 28) Kai Wegner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Lange (Backnang) (SPD) . . . . . . . . Martin Zeil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 32 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des 4208 D 4210 A 4210 D 4211 D 4212 D 4214 C 4215 C 4217 A 4218 A 4218 D 4219 C 4220 C 4221 D 4222 D 4224 B 4225 A XIV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 Personenstandsrechts (Personenstandsrechtsre- formgesetz – PStRG) (Tagesordnungspunkt 37 a) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4226 A 4227 B 4228 B 4229 C 4230 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 3965 (A) (C) (B) (D) 43. Sit Berlin, Donnerstag, Beginn: 9
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    1) Anlage 32 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4145 (A) (C) (B) (D) eränderungsgesetz 2007 aus folgenden Gründen nicht zu: Die Absenkung der Altersgrenze für die Gewährung bungskosten geltend machen könnte, hätte die in seinem Fall ungerechtfertigte Besserstellung in Höhe von Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Steueränderungsgesetzes 2007 (Ta- gesordnungspunkt 3 a) Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Ich stimme dem Steu- Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adam, Ulrich CDU/CSU 29.06.2006* Bär, Dorothee CDU/CSU 29.06.2006 Barnett, Doris SPD 29.06.2006* Bartsch, Dietmar DIE LINKE 29.06.2006 Bollen, Clemens SPD 29.06.2006 Deittert, Hubert CDU/CSU 29.06.2006* Fischbach, Ingrid CDU/CSU 29.06.2006 Fischer (Karlsruhe- Land), Axel E. CDU/CSU 29.06.2006* Hilsberg, Stephan SPD 29.06.2006 Dr. Jung, Franz Josef CDU/CSU 29.06.2006 Klug, Astrid SPD 29.06.2006 Kolbow, Walter SPD 29.06.2006 Link (Heilbronn), Michael FDP 29.06.2006 Lintner, Eduard CDU/CSU 29.06.2006* Lopez, Helga SPD 29.06.2006 Multhaupt, Gesine SPD 29.06.2006 Niebel, Dirk FDP 29.06.2006 Strothmann, Lena CDU/CSU 29.06.2006 Anlagen zum Stenografischen Bericht von Kindergeld bzw. kindbedingten Steuerfreibeträgen auf die Zeit vor Vollendung des 25. Lebensjahres halte ich zwar grundsätzlich für vertretbar. Unzureichend sind jedoch die Übergangsfristen bei der Absenkung der Al- tersgrenze, die zu kurz bemessen sind. Die Beschränkung der Entfernungspauschale auf Fernpendler, Ausschluss von 20 Entfernungskilometern, halte ich für falsch und ungerecht. Alternativ hätte die Werbekostenpauschale abgesenkt und die Entfernungs- pauschale vom ersten Kilometer an beibehalten werden müssen. Siegmund Ehrmann (SPD): Die Beratungen zum Steueränderungsgesetz 2007 haben gezeigt, dass es in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht eine Benachteili- gung der Berufsgruppe der Bergleute bedeutet, wenn die Bergmannsprämie mit der im Gesetzentwurf vorgesehen kurzen Übergangsfrist abgeschafft wird. Gerade diese Berufsgruppe, die in den vergangen Jahren erhebliche Einkommenseinbußen hat hinnehmen müssen und zu- dem noch infolge der Verlagerung der Arbeitsplätze an weiter entfernte Zechenstandorte zusätzliche Aufwen- dungen hat, wird durch den Wegfall der bisher steuerfrei entrichteten Bergmannsprämie benachteiligt. Aus diesem Grund hat die Arbeitsgruppe „Finanzen“ der SPD-Bundestagsfraktion die einhellige Empfehlung ausgesprochen, es bei der Bergmannsprämie bei dem ak- tuellen Zustand zu belassen. Hilfsweise hätte man zu- mindest eine stark verlängerte Auslauffrist vereinbaren können, um den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit einer Kompensation einzuräumen. Die für Finanzen zu- ständigen Fachpolitiker der CDU/CSU-Bundestagsfrak- tion haben sich aber mit dem Argument des „fehlenden Beratungsbedarfs“ kategorisch gegen eine Beibehaltung der Bergmannsprämie ausgesprochen und somit jedwede Änderung vereitelt. Entsprechendes gilt für die Regelung zur Abschaf- fung der Entfernungspauschale. Die SPD-Bundestags- fraktion – und somit auch der Unterzeichner – erkennt den zur Konsolidierung des Haushalts erforderlichen Mittelbedarf in Höhe von 2,5 Milliarden Euro an. Ge- genüber der Streichung der Entfernungspauschale und der Gewährung einer Härteausfallregelung ab dem 21. Kilometer hätte es jedoch sozialere und auch gerech- tere Modelle gegeben. Ein gerechteres Alternativmodell wäre gewesen, für die ersten 20 Kilometer einen Betrag von 0,20 Euro pro Kilometer und ab dem 21. Kilometer 0,25 Euro pro Ent- fernungskilometer anzusetzen bei gleichzeitiger Redu- zierung des Arbeitnehmerpauschbetrags von derzeit 920 Euro auf 500 Euro. Dieses Modell hätte das gleiche Einsparvolumen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro gehabt und wäre sozial gerechter gewesen. Derjenige, der viel abzusetzen hätte, hätte dies nach wie vor tun können. Derjenige, der keinerlei Absetzungsbeträge als Wer- 4146 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) 920 Euro gegen eine solche von 500 Euro eintauschen müssen. Dies wäre vertretbar gewesen und hätte zudem die verfassungsmäßigen Zweifel des jetzigen Modells ausräumen können. Auch hier haben aber die Fachpoliti- ker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ihre Mitwirkung versagt und daher eine Mehrheitsfindung im Sinne des Alternativmodells vereitelt. Gabriele Frechen (SPD): Das Steueränderungsge- setz 2007 verfolgt das Ziel, weitere Steuervergünstigun- gen und Ausnahmetatbestände abzubauen, den Finanzie- rungsbeitrag von Spitzenverdienern zumindest in geringem Umfang zu erhöhen und damit die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren. Diese Zielsetzung halte ich für richtig. Deshalb stimme ich dem vorliegenden Ge- setzentwurf der Regierungskoalition zu. Ich halte jedoch die Kürzung der Entfernungspauschale für falsch. Die Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Ar- beitsplatz sind berufsbedingte Kosten und müssen damit auch steuerlich als Werbungskosten anerkannt werden. Das nun zur Entscheidung stehende Modell, das die Wegekosten erst ab dem 21. Kilometer berücksichtigt, ist nicht sachgerecht. Es führt zu einer ungerechten Vertei- lung der zusätzlichen Belastungen. Im Lichte der Ergeb- nisse der Expertenanhörung haben wir deshalb versucht, diesen Punkt zu korrigieren und das vorgegebene Konso- lidierungsvolumen durch eine geringere lineare Kürzung der Pendlerpauschale sowie eine Absenkung des Arbeit- nehmerpauschbetrags zu erreichen. Diese Lösung hätte die Belastungen gerechter verteilt und die tatsächliche Subventionierung durch die Arbeitnehmerpauschale re- duziert. Obwohl Teile der Union außerhalb des Parla- ments vorgegeben haben, für eine sachgerechte Lösung offen zu sein, hat die CDU/CSU-Fraktion sich einer Ver- besserung des Gesetzentwurfs verweigert. Ich gehe auf Basis der juristischen Stellungnahme des Bundesfinanzministeriums davon aus, dass die Heraus- nahme der Pendlerpauschale aus den Werbungskosten keine negativen Auswirkungen für die Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmer im Sozial- und Arbeitsrecht ha- ben wird. Für problematisch halte ich die komplette Streichung der Bergmannsprämie ab 2008. Der Koalitionsvertrag sah nur die Abschaffung der Steuerfreiheit vor. Das wäre zumindest kurz- und mittelfristig die bessere Lösung ge- wesen. Auch hier konnte keine Veränderung erreicht werden. Außerdem habe ich mich für eine Verlängerung der Übergangszeit bei der Absenkung der Bezugsdauer des Kindergeldbezuges eingesetzt. Ich hielte eine wei- tere Übergangsfrist von zwei Jahren für sachgerechter. Da ich den Grundsatz und die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung für richtig halte, stimme ich trotz der gemachten Bedenken diesem Gesetzentwurf zu. Petra Hinz (Essen) (SPD): Die Beratungen zum Steueränderungsgesetz 2007 haben gezeigt, dass es in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht eine Benachteili- gung der Berufsgruppe der Bergleute bedeutet, wenn die Bergmannsprämie mit der im Gesetzentwurf vorgesehe- nen kurzen Übergangsfrist abgeschafft wird. Gerade diese Berufsgruppe, die in den vergangenen Jahren er- hebliche Einkommenseinbußen hat hinnehmen müssen und zudem noch infolge der Verlagerung der Arbeits- plätze an weiter entfernte Zechenstandort zusätzliche Aufwendungen hat, wird durch den Wegfall der bisher steuerfrei entrichteten Bergmannsprämie benachteiligt. Aus diesem Grund hat die Arbeitsgruppe „Finanzen“ der SPD-Bundestagsfraktion die einhellige Empfehlung ausgesprochen, es bei der Bergmannsprämie bei dem aktuellen Zustand zu belassen. Hilfsweise hätte man zu- mindest eine stark verlängerte Auslauffrist vereinbaren können, um den Tarifvertragsparteien die Möglich- keit einer Kompensation einzuräumen. Die für Finan- zen zuständigen Fachpolitiker der CDU/CSU-Bundes- tagsfraktion haben sich aber mit dem Argument des „fehlenden Beratungsbedarfs“ kategorisch gegen eine Beibehaltung der Bergmannsprämie ausgesprochen und somit jedwede Änderung vereitelt. Entsprechendes gilt für die Regelung zur Abschaf- fung der Entfernungspauschale. Die SPD-Bundestags- fraktion – und somit auch die Unterzeichnerin – erkennt den zur Konsolidierung des Haushalts erforderlichen Mittelbedarf in Höhe von 2,5 Milliarden Euro an. Ge- genüber der Streichung der Entfernungspauschale und der Gewährung einer Härteausfallregelung ab dem 21. Kilometer hätte es jedoch sozialere und auch gerech- tere Modelle gegeben. Ein gerechteres Alternativmodell wäre gewesen, für die ersten 20 Kilometer einen Betrag von 0,20 Euro pro Kilometer und ab dem 21. Kilometer 0,25 Euro pro Ent- fernungskilometer anzusetzen bei gleichzeitiger Redu- zierung des Arbeitnehmerpauschbetrags von derzeit 920 Euro auf 500 Euro. Dieses Modell hätte das gleiche Einsparvolumen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro gehabt und wäre sozial gerechter gewesen. Derjenige, der viel abzusetzen hätte, hätte dies nach wie vor tun können. Derjenige, der keinerlei Absetzungsbeträge als Wer- bungskosten geltend machen könnte, hätte die in seinem Fall ungerechtfertigte Besserstellung in Höhe von 920 Euro gegen eine solche von 500 Euro eintauschen müssen. Dies wäre vertretbar gewesen und hätte zudem die verfassungsmäßigen Zweifel des jetzigen Modells ausräumen können. Auch hier haben aber die Fachpoliti- ker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ihre Mitwirkung versagt und daher eine Mehrheitsfindung im Sinne des Alternativmodells vereitelt. Dr. Bärbel Kofler (SPD): Aufgrund der Änderungen im Bereich der Entfernungspauschale sehe ich mich au- ßer Stande, dem Steueränderungsgesetz zuzustimmen. Nicht nur, dass es Arbeitnehmern insbesondere in ländli- chen Regionen nicht zu vermitteln ist, dass ihre real ent- stehenden Kosten zur Erhaltung ihres Arbeitsplatzes steuerlich anders behandelt werden als vergleichbare Aufwendungen Selbstständiger. Ich halte es auch für nicht richtig, steuerliche Tatbestände zu schaffen, die ge- gebenenfalls versicherungsrechtlich negative Folgen für Arbeitnehmer nach sich ziehen. Darüber hinaus bin ich der Meinung, die vorliegende Regelung ist verfassungs- widrig. Entsprechende Klagen vor dem Bundesverfas- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4147 (A) (C) (B) (D) sungsgericht und daraus folgende Unsicherheiten für den Bundeshaushalt tragen meines Erachtens nicht in dem Maß zu der erhofften Konsolidierung des Haushaltes bei. Leider kann ich generell im Entwurf zum Steuerände- rungsgesetz 2007 keinen ausgewogenen und gerechten Beitrag aller Bevölkerungsteile zur Haushaltskonsolidie- rung erkennen. Das weitaus größte Einsparvolumen muss von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern er- bracht werden. Diese Tendenz der Steuergesetzgebung erfüllt mich mit großer Sorge. Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD): Die Beratungen zum Steueränderungsgesetz 2007 haben gezeigt, dass es in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht eine Benachtei- ligung der Berufsgruppe der Bergleute bedeutet, wenn die Bergmannsprämie mit der im Gesetzentwurf vorge- sehenen kurzen Übergangsfrist abgeschafft wird. Gerade diese Berufsgruppe, die in den vergangen Jahren erhebli- che Einkommenseinbußen hat hinnehmen müssen und zudem noch infolge der Verlagerung der Arbeitsplätze an weiter entfernte Zechenstandorte zusätzliche Auf- wendungen hat, wird durch den Wegfall der bisher steu- erfrei entrichteten Bergmannsprämie benachteiligt. Aus diesem Grund hat die Arbeitsgruppe „Finanzen“ der SPD-Bundestagsfraktion die einhellige Empfehlung ausgesprochen, es bei der Bergmannsprämie bei dem aktuellen Zustand zu belassen. Hilfsweise hätte man zu- mindest eine stark verlängerte Auslauffrist vereinbaren können, um den Tarifvertragsparteien die Mög- lichkeit einer Kompensation einzuräumen. Die für Fi- nanzen zuständigen Fachpolitiker der CDU/CSU-Bun- destagsfraktion haben sich aber mit dem Argument des „fehlenden Beratungsbedarfs“ kategorisch gegen eine Beibehaltung der Bergmannsprämie ausgesprochen und somit jedwede Änderung vereitelt. Entsprechendes gilt für die Regelung zur Abschaf- fung der Entfernungspauschale. Die SPD-Bundestags- fraktion – und somit auch den Unterzeichner – erkennt den zur Konsolidierung des Haushalts erforderlichen Mittelbedarf in Höhe von 2,5 Milliarden Euro an. Ge- genüber der Streichung der Entfernungspauschale und der Gewährung einer Härteausfallregelung ab dem 21. Kilometer hätte es jedoch sozialere und auch gerech- tere Modelle gegeben. Ein gerechteres Alternativmodell wäre gewesen, für die ersten 20 Kilometer einen Betrag von 0,20 Euro pro Kilometer und ab dem 21. Kilometer 0,25 Euro pro Ent- fernungskilometer anzusetzen bei gleichzeitiger Redu- zierung des Arbeitnehmerpauschbetrags von derzeit 920 Euro auf 500 Euro. Dieses Modell hätte das gleiche Einsparvolumen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro gehabt und wäre sozial gerechter gewesen. Derjenige, der viel abzusetzen hätte, hätte dies nach wie vor tun können. Derjenige, der keinerlei Absetzungsbeträge als Wer- bungskosten geltend machen könnte, hätte die in seinem Fall ungerechtfertigte Besserstellung in Höhe von 920 Euro gegen eine solche von 500 Euro eintauschen müssen. Dies wäre vertretbar gewesen und hätte zudem die verfassungsmäßigen Zweifel des jetzigen Modells ausräumen können. Auch hier haben aber die Fachpoliti- ker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ihre Mitwirkung versagt und daher eine Mehrheitsfindung im Sinne des Alternativmodells vereitelt. Hilde Mattheis (SPD): Heute wird über den Koali- tionsentwurf eines Steueränderungsgesetzes abgestimmt. Ich halte vor allem die vorgesehenen Kürzungen bei der Entfernungspauschale und die Absenkung der Alters- grenze beim Kindergeld für falsch. Gleichzeitig habe ich Verständnis für die Proteste der Lehrer und Lehrerinnen bezüglich der Streichung der steuerlichen Absetzbarkeit von häuslichen Arbeitszimmern. Daher werde ich gegen diesen Gesetzentwurf stimmen. Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): Trotz mei- ner erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ge- genüber der im Gesetzentwurf enthaltenen Regelung zur Pendlerpauschale stimme ich diesem Gesetzentwurf, 16/1545, zu. Ich vertraue hierbei den Aussagen des Bun- desfinanzministers, Herrn Peer Steinbrück, und den Fachleuten des Ministeriums für Finanzen, die wieder- holt und ausdrücklich auf die verfassungsmäßige Unbe- denklichkeit des Gesetzes hingewiesen haben. Auch bei der Notwendigkeit der Haushaltskonsolidie- rung und der dauerhaften Sanierung der öffentlichen Haushalte ist meine Zustimmung mit der Zusage des BMF verbunden, dass die Konsolidierungsmaßnahmen dem Grundsatz der Verteilungsgerechtigkeit entsprechen und diese nicht zulasten von ländlichen und struktur- schwachen Regionen erfolgen. Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU): Mit dem Steu- eränderungsgesetz 2007 werden insbesondere im Koali- tionsvertrag vorgesehene Maßnahmen umgesetzt. Geplant ist unter anderem die Beschränkung der Entfernungspau- schale auf Fernpendler, Ausschluss von 20 Entfernungski- lometern. Auch der Bundesrat hat um verfassungsrechtliche Überprüfung gebeten. Die Äußerung des Bundesfinanz- ministers zu diesem Sachverhalt überzeugt nicht. Man stellt Folgendes fest: Vor dem Hintergrund, dass von Beschäftigten heute eine erhöhte Mobilität und Flexibilität gefordert wird, hält die Bundesregierung Wahrung der sozia- len Ausgewogenheit der Regelung und im Hinblick auf Artikel 6 Abs. l des Grundgesetzes die vorge- schlagene Härtefallregelung für sachgerecht und im Hinblick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip für verfassungsrechtlich möglich. Die Feststellung, dass es „verfassungsrechtlich mög- lich“ ist, ist sehr vage. Deshalb ist zu befürchten, dass die Entscheidung des Parlaments einer verfassungsrecht- lichen Prüfung nicht standhält. Im Übrigen betrifft diese Entscheidung vor allem den ländlichen Raum. Da ausreichende ÖPNV-Angebote kaum vorhanden sind, werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hier besonders benachteiligt, obwohl die Politik eine immer größere Flexibilität von ihnen fordert. 4148 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Silvia Schmidt (SPD): Das Steueränderungsgesetz 2007 ist ein wichtiger Baustein zur notwendigen Konso- lidierung des Haushaltes und damit auch zur Wiederer- langung staatlicher Gestaltungsspielräume. Beispiels- weise werden durch die 3-prozentige Erhöhung des Spitzensteuersatzes für jährliche Einkommen ab 250 000/ 500 000 Euro, ledig/verheiratet, Spitzenverdiener zu ei- nem solidarischen Konsolidierungsbeitrag verpflichtet. Neben einer Reihe von weiteren notwendigen Maßnah- men sieht das Gesetz eine schrittweise Streichung der Bergmannsprämie vor. Wir lehnen dies ab. Die 1956 zur Anerkennung der besonderen Leistungen des unter Tage tätigen Bergmanns geschaffene Prämie hat auch heute ihre Berechtigung nicht verloren. Die Arbeit der Berg- leute hat sich zwar verändert, findet aber nach wie vor un- ter erschwerten Bedingungen statt. Im Übrigen haben die Betroffenen in den vergangenen Jahren durch massiven Arbeitsplatzabbau, Umstrukurierungen und Rationalisie- rungsmaßnahmen teilweise schmerzliche Einkommens- einbußen erlitten. Ebenso sind viele Bergleute als Fern- pendler von der Kürzung der Entfernungspauschale be- troffen. Die betroffenen Standorte des Steinkohle- und Kali- bergbaus liegen ausnahmslos in strukturschwächeren Regionen. Ihnen droht ein weiterer massiver Kaufkraftver- lust, der mittelfristig durch entsprechende Tarifsteigerun- gen nicht kompensiert werden kann. Selbstverständlich müssen alle Bevölkerungsgruppen zur Konsolidierung des Haushaltes herangezogen werden. Im Vergleich zu anderen Berufsgruppen trifft es die Bergleute mit rund 1 000 Euro netto jährlich in besonderer Härte. Vor dem Hintergrund des bescheidenen Einsparpoten- zials im Bundeshaushalt von rund 23 Millionen Euro missbilligen wir die Weigerung der CDU/CSU-Fraktion, auf dem Verhandlungsweg eine stärker an den Interessen der Bergleute orientierte Kompromisslösung zu erzielen. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus Hofbauer und Bartho- lomäus Kalb (beide CDU/CSU) zur namentli- chen Abstimmung über den Entwurf eines Steu- eränderungsgesetzes 2007 (Tagesordnungspunkt 3 a) Mit dem Steueränderungsgesetz 2007 werden insbe- sondere im Koalitionsvertrag vorgesehene Maßnahmen umgesetzt. Geplant ist unter anderem die Beschränkung der Entfernungspauschale auf Fernpendler, Ausschluss von 20 Entfernungskilometern. Auch der Bundesrat hat um verfassungsrechtliche Überprüfung gebeten. Die Äu- ßerung des Bundesfinanzministers zu diesem Sachver- halt überzeugt nicht. Man stellt Folgendes fest: Vor dem Hintergrund, dass von Beschäftigten heute eine erhöhte Mobilität und Flexibilität gefordert wird, hält die Bundesregierung zur Wahrung der so- zialen Ausgewogenheit der Regelung und im Hin- blick auf Artikel 6 Abs. l des Grundgesetzes die vorgeschlagene Härtefallregelung für sachgerecht und im Hinblick auf das Verhältnismäßigkeitsprin- zip für verfassungsrechtlich möglich. Die Feststellung, dass es „verfassungsrechtlich mög- lich“ ist, ist sehr vage. Deshalb ist zu befürchten, dass die Entscheidung des Parlaments einer verfassungsrecht- lichen Prüfung nicht standhält. Im Übrigen betrifft diese Entscheidung vor allem den ländlichen Raum. Da ausreichende ÖPNV-Angebote kaum vorhanden sind, werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hier besonders benachteiligt, obwohl auch die Politik eine immer größere Flexibilität von ihnen for- dert. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lothar Binding (Heidel- berg), Dr. Frank Schmidt und Gunter Weißger- ber (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Steueränderungsgeset- zes 2007 (Tagesordnungspunkt 3 a) Nach bisherigem Recht können für Fahrten zum Arbeitsplatz für jeden Entfernungskilometer 30 Cent als Werbungskosten von der Steuer abgesetzt werden, die so genannte Pendlerpauschale. Mit Wirkung zum 1. Januar 2007 soll das so genannte Werkstorprinzip eingeführt werden. Aufwendungen für den Weg zum Arbeitsplatz gehören dann zum Privatbereich und können nicht mehr steuerlich geltend gemacht werden. Lediglich als „Här- tefallausgleich“ sollen ab 1. Januar 2007 für Fernpendler die Fahrtkosten ab dem 21. Entfernungskilometer mit 30 Cent pro Kilometer von der Steuer als Werbungskos- ten anerkannt werden. Die Entfernungspauschale wird dabei mit der Werbungskostenpauschale von 920 Euro verrechnet. Durch diese Maßnahme werden Mehrein- nahmen von etwa 2,5 Milliarden Euro pro Jahr erwartet. In unserem Kulturkreis, anders als zum Beispiel in den USA, wohnt man zu Hause und fährt zum Zwecke der Einkommenserzielung an den Arbeitsplatz. Einem ähnlichen Denkansatz folgen auch die Regelungen bei der Wegeunfallversicherung. Die formalrechtliche Mög- lichkeit, hier zwischen Steuerecht und Versicherungs- recht zu unterscheiden, hebt den durch die Beschlussfas- sung erzeugten Widerspruch nicht auf. Gegen diese Veränderungen beim Werbungskostenabzug haben wir erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, denn mit der Unstetigkeitsstelle hinsichtlich der Behandlung der Pendlerpauschale bis 20 Kilometer und darüber besteht die Gefahr der Verfassungswidrigkeit. Hintergrund dieser vermuteten Verfassungswidrig- keit ist die Tatsache, dass es sich bei den Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz um klassi- sche Werbungskosten handelt. Da derartige Aufwendun- gen dem Steuerpflichtigen zum Lebensunterhalt nicht zur Verfügung stehen, müssen sie steuerlich als Wer- bungskosten berücksichtigt werden. Durch diese Neure- gelung werden wie bisher pauschal auch jene Arbeitneh- mer begünstigt, die keine Kosten haben. Belastet werden hingegen jene, die „echte“ Kosten, Fahrtkosten haben. Zur Vermeidung dieses Verfassungsrisikos haben wir vorgeschlagen, die Arbeitnehmerpauschale auf 500 Euro zu senken, sie gleichzeitig nicht auf die Entfernungspau- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4149 (A) (C) (B) (D) schale anzurechnen und die Entfernungspauschale auf 20 Cent pro Kilometer für die ersten 20 Kilometer und auf 25 Cent pro Kilometer für die weiteren Kilometer festzulegen. Damit wären die fiskalpolitisch notwendi- gen 2,5 Milliarden Euro pro Jahr ebenso erreichbar, die Belastungswirkung für alle Arbeitnehmer wäre aber ge- rechter. Wir stimmen dem Gesetzentwurf in der geänderten Fassung trotzdem zu, weil das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile und der Entwurf des Steuerände- rungsgesetzes ein Maßnahmenpaket ist, das unabdingbar zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes notwendig ist. Und Haushaltskonsolidierung ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg den Sozialstaat zukunftsfest zu gestalten. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gerd Bollmann, Dieter Gra- sedieck, Christoph Pries und Axel Schäfer (Bo- chum) (alle SPD) zur namentlichen Abstim- mung über den Entwurf eines Steueränderungsgesetzes 2007 (Tagesordnungs- punkt 3 a) Das vorliegende Steueränderungsgesetz dient der zü- gigen und dauerhaften Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Der Entwurf sieht Regelungen vor, die einer- seits auf eine dauerhafte Sanierung der öffentlichen Haushalte zielen, andererseits aber den Grundsätzen der individuellen Leistungsfähigkeit und der Verteilungsge- rechtigkeit sowie der Steuervereinfachung dienen. Diese Ziele unterstützen auch die Unterzeichner. Mit unserer grundsätzlichen Zustimmung erkennen wir an, dass die- ser Gesetzentwurf grundsätzlich die angestrebten Ziele erreicht. Wir müssen jedoch verdeutlichen, dass wir die Ab- schaffung der Bergmannsprämie und deren Begründung ablehnen. Die Abschaffung der Bergmannsprämie be- deutet für die unter Tage Beschäftigten eine Lohnein- buße bis zu 1 000 Euro jährlich. Angesichts der Lohn- entwicklung gerade im Bergbau sind wir der Meinung, dass diese Einbußen sozial ungerecht sind. Die unter Tage Beschäftigten haben in den letzten Jahren auf Lohnzuwächse verzichtet und auch im Vergleich mit an- deren Berufsgruppen stärkere Einkommensverluste ak- zeptiert. Der Wegfall der Bergmannsprämie bedeutet eine überproportionale finanzielle Belastung für eine Be- rufsgruppe. Das Ziel der Verteilungsgerechtigkeit wird hier verletzt. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Michael Roth (Heringen), Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Joachim Poß, Ernst Kranz, Waltraud Lehn und Johannes Pflug (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Steueränderungsgeset- zes 2007 (Tagesordnungspunkt 3 a) Das Steueränderungsgesetz 2007 ist ein wichtiger Baustein zur notwendigen Konsolidierung des Haushal- tes und damit auch zur Wiedererlangung staatlicher Ge- staltungsspielräume. Beispielsweise werden durch die 3-prozentige Erhöhung des Spitzensteuersatzes für jähr- liche Einkommen ab 250 000/500 000 Euro, ledig/ver- heiratet, Spitzenverdiener zu einem solidarischen Kon- solidierungsbeitrag verpflichtet. Neben einer Reihe von weiteren notwendigen Maßnahmen sieht das Gesetz eine schrittweise Streichung der Bergmannsprämie vor. Wir lehnen dies ab. Die 1956 zur Anerkennung der besonde- ren Leistungen des unter Tage tätigen Bergmanns ge- schaffene Prämie hat auch heute ihre Berechtigung nicht verloren. Die Arbeit der Bergleute hat sich zwar verän- dert, findet aber nach wie vor unter erschwerten Bedin- gungen statt. Im Übrigen haben die Betroffenen in den vergangenen Jahren durch massiven Arbeitsplatzabbau, Umstrukturierungen und Rationalisierungsmaßnahmen teilweise schmerzliche Einkommenseinbußen erlitten. Ebenso sind viele Bergleute als Fernpendler von der Kürzung der Entfernungspauschale betroffen. Die betroffenen Standorte des Steinkohle- und Kali- bergbaus liegen ausnahmslos in strukturschwächeren Regionen. Ihnen droht ein weiterer massiver Kaufkraftver- lust, der mittelfristig durch entsprechende Tarifsteigerun- gen nicht kompensiert werden kann. Selbstverständlich müssen alle Bevölkerungsgruppen zur Konsolidierung des Haushaltes herangezogen werden. Im Vergleich zu anderen Berufsgruppen trifft es die Bergleute mit rund 1 000 Euro netto jährlich in besonderer Härte. Vor dem Hintergrund des bescheidenen Einsparpoten- zials im Bundeshaushalt von rund 23 Millionen Euro missbilligen wir die Weigerung der CDU/CSU-Fraktion, auf dem Verhandlungsweg eine stärker an den Interessen der Bergleute orientierte Kompromisslösung zu erzielen. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Florian Pronold, Marco Bülow, Ulla Burchardt, Martin Burkert, Dr. Carl-Christian Dressel, Petra Ernstberger, Gabriele Fograscher, Peter Friedrich, Angelika Graf (Rosenheim), Gabriele Groneberg, Bettina Hagedorn, Reinhold Hemker, Frank Hofmann (Volkach), Lothar Ibrügger, Brunhilde Irber, Christian Kleiminger, Rolf Kramer, Anette Kramme, Jürgen Kucharczyk, Dirk Man- zewski, Lothar Mark, Detlef Müller (Chem- nitz), Heinz Paula, Maik Reichel, Gerold Rei- chenbach, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Renate Schmidt (Nürnberg), Heinz Schmitt (Landau), Ewald Schurer, Dr. Angelica Schwall-Düren, Christoph Strässer, Jella Teuchner, Rüdiger Veit und Dr. Wolfgang Wodarg (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Steueränderungsgesetzes 2007 (Tagesord- nungspunkt 3 a) Das Steueränderungsgesetz 2007 verfolgt das Ziel, weitere Steuervergünstigungen und Ausnahmetatbe- 4150 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) stände abzubauen, den Finanzierungsbeitrag von Spitzen- verdienern zumindest in geringem Umfang zu erhöhen und damit die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren. Diese Zielsetzung halten wir für richtig. Deshalb stim- men wir dem vorliegenden Gesetzentwurf der Regie- rungskoalition zu. Wir halten jedoch die Kürzung der Entfernungspau- schale für falsch. Die Aufwendungen für Fahrten zwi- schen Wohnung und Arbeitsplatz sind eindeutig berufs- bedingte Kosten und müssen damit auch steuerlich als Werbungskosten anerkannt werden. Die dabei vorge- nommene Pauschalierung darf nicht willkürlich vorge- nommen werden, sondern muss zumindest annähernd den realen Kosten entsprechen. Angesichts der steigen- den Mobilitätserwartungen an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der in ländlichen Regionen unvermeidbar weiteren Arbeitswege und der steigenden Kosten für den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsplatz ist eine Kür- zung nicht angemessen. Das nun zur Entscheidung stehende Modell, das die Wegekosten erst ab dem 21. Kilometer berücksichtigt, ist nicht sachgerecht. Es führt zu einer ungerechten Ver- teilung der zusätzlichen Belastungen und ist verfas- sungsrechtlich höchst bedenklich. Im Lichte der Ergeb- nisse der Expertenanhörung haben wir deshalb versucht, diesen Punkt zu korrigieren und das vorgegebene Kon- solidierungsvolumen durch eine geringere lineare Kür- zung der Pendlerpauschale sowie eine Absenkung des Arbeitnehmerpauschbetrags zu erreichen. Diese Lösung hätte zumindest die Belastungen gerechter verteilt, ver- fassungsrechtliche Bedenken ausgeräumt und die tat- sächliche Subventionierung durch die Arbeitnehmerpau- schale reduziert. Obwohl Teile der Union außerhalb des Parlaments vorgegeben haben, für eine sachgerechte Lö- sung offen zu sein, hat die CDU/CSU-Fraktion sich ei- ner Verbesserung des Regierungsentwurfs verweigert. Wir gehen auf Basis der juristischen Stellungnahme des Bundesfinanzministeriums davon aus, dass die He- rausnahme der Pendlerpauschale aus den Werbungskos- ten keine negativen Auswirkungen für die Arbeitnehme- rinnen und Arbeitnehmer im Sozial- und Arbeitsrecht haben wird. Anlage 8 Erkärung nach § 31 GO der Abgeordneten Renate Blank (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Fünften Bu- ches Sozialgesetzbuch (Tagesordnungspunkt 4 b) In der Ergebnisliste ist mein Name nicht aufgeführt. Mein Votum lautet „Nein“. Anlage 9 Erklärung des Abgeordneten Jürgen Koppelin (FDP) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung: Sammelübersichten 79 zu Petitionen (Zusatzta- gesordnungspunkt 4 k) Namens der Fraktion der FDP erkläre ich, dass das Votum „Ablehnung“ lautet. Anlage 10 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäi- scher Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung Klaus Brähmig (CDU/CSU): Aufgrund der Nach- verhandlungen zwischen den Koalitionsfraktionen und den daraus resultierenden Verbesserungen des AGG werde ich im Sinne der Fraktion heute zustimmen. Den- noch bleiben mir erhebliche Bedenken zum Gesetz über- haupt. Nach meiner Überzeugung ist dieses Gesetz über- flüssig und alle EU-Vorgaben sind bereits ausreichend in deutschen Gesetzen verankert, so zum Beispiel in Art. 1 des Grundgesetzes. Auch passt dieses Gesetz nicht in die Landschaft der beabsichtigten Entbürokratisierung. Daher fordere ich die Bundesregierung auf, solche und ähnliche Vorhaben aus Brüssel bereits im Vorfeld bei deren Entstehung zu verhindern und die deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2007 dazu zu nutzen, den Kampf gegen die Bürokratie zu forcieren. Veronika Bellmann (CDU/CSU): Ich kann dem Ge- setzentwurf der Bundesregierung aus folgenden Grün- den nicht zustimmen: Erstens. Zwar sind die Änderun- gen am ursprünglichen Entwurf zu begrüßen, sie reichen aber nicht aus. So gilt das Allgemeine Gleichbehand- lungsgesetz, AGG, nicht, wenn in Betrieben weniger als fünf Arbeitnehmer beschäftigt sind. Dies mag Hand- werksbetriebe entlasten, das Gros der kleinen und mittel- ständischen Unternehmen, die in der Regel mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigen, profitiert von dieser Entlas- tung nicht. Gleiches gilt für die Entlastung hinsichtlich Vermietungen. Dort gilt das AGG erst dann, wenn ein Vermieter mehr als 50 Wohnungen vermietet. Die Masse der Wohnungsbaugesellschaften insbesondere in Ost- deutschland vermietet mehr als 50 Wohnungen. Zweitens. Es bleibt das ungerechtfertigte Aufstocken auf die durch die ehemalige rot-grüne Bundesregierung maßgeblich beeinflusste Richtlinie der EU um vier bzw. fünf Diskriminierungsmerkmale. Mit dieser Erweiterung ist eine Ideologisierung des Zivilrechts durch eine Expansion von Schadenersatzansprüchen im Sinne des Übergangs von materiellen auf immaterielle Schäden zu befürchten. Drittens. Das Vertragsrecht im Sinne von Vertrags- freiheit wird in unangemessener Art und Weise beein- trächtigt. Viertens. Die Schaffung der Antidiskriminierungsbe- hörde mit einer lediglich vertraglichen Bindung an das Familienministerium, das heißt ohne jegliche Fach- oder Rechtsaufsicht, wird früher oder später zu einer Ver- selbstständigung dieser Behörde hin zu einer Art morali- scher Instanz führen. Abgesehen davon werden die er- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4151 (A) (C) (B) (D) weiterten Aufgabenbereiche zu weiterer Bürokratie auch bei den Behörden führen. Fünftens. Die Beweislast bleibt trotz des Versuches der redaktionellen Klärung in der Begrifflichkeit unklar. Insgesamt ist damit zu rechnen, dass das AGG den Grundstein für eine Prozessflut legen könnte, betriebli- che und privatrechtliche Abläufe erheblich stört oder zu- mindest zeitlich verzögert sowie mit entsprechenden Kosten und zusätzlichem Verwaltungsaufwand belastet. Dies alles widerspricht der Grundaussage der Union, insbesondere zum Thema Bürokratieabbau, sowie mei- ner in meinem Wahlkreis allgemein bekannten eigenen Grundüberzeugung, dass die Gleichheit vor dem Gesetz bzw. die Diskriminierungsverbote sowohl im Grundge- setz, Art. 3, den Verfassungen der Bundesländer und in entsprechenden Ausführungsgesetzen hinreichend gere- gelt sind. Deshalb kann ich dem Gesetz nicht zustim- men. Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Ich stimme die- sem Gesetzentwurf in der Fassung des Beschlusses des Rechtsausschusses, Drucksache 16/2022, zu. Zwar setzt die in der jetzt zur Abstimmung vorliegenden Fassung, insbesondere durch § 2 Abs. 4 – Herausnahme des Kün- digungsschutzes –, die verbindlich umzusetzenden vier EU-Richtlinien nicht oder nicht voll um. Da deren Inhalt zusammen mit dem EG-rechtlichen allgemeinen Diskri- minierungsverbot jedoch auch in Deutschland unmittel- bar geltendes Recht ist, haben die deutschen Gerichte, insbesondere die Arbeitsgerichte, entsprechend zu ver- fahren, also das deutsche Recht richtlinienkonform aus- zulegen bzw. außer Anwendung zu lassen. Henry Nitzsche (CDU/CSU): Mein Abstimmverhal- ten begründe ich wie folgt: Das Allgemeine Gleichbe- handlungsgesetz verletzt bisherige Rechtstraditionen, schafft zusätzliche Rechtsunsicherheit, greift in zentrale Freiheitsrechte ein und produziert ausufernde Bürokra- tie. Deswegen stimme ich in namentlicher Abstimmung gegen den Gesetzentwurf. Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Trotz erkennba- rer positiver Nachbesserungen bei dem von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, AGG, Drucksa- che 16/1780, sehe ich nach wie vor zu große Eingriffe in die Vertragsfreiheit, sodass ich diesem Gesetzent- wurf nicht zustimmen kann. Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): Ich stimme dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zu, da die Not- wendigkeit besteht, die zugrunde liegende EU-Richtlinie umgehend in nationales Recht umzusetzen, da eine zu- sätzliche Belastung des Haushalts vermieden werden muss. Trotzdem bleiben Bedenken gegen den vorliegen- den Entwurf. Das Gesetz enthält unnötige bürokratische und detaillierte Regelungen, die das Ziel des Bürokratie- abbaus konterkarieren. Zwar sind die Änderungen am ursprünglichen Entwurf zu begrüßen, sie reichen aber nicht aus. So werden durch die nicht ausreichende Rechtssicherheit Gerichte, öffentlicher Dienst und Be- triebe belastet. Diese Belastungen sind nicht vorherseh- bar und stellen deswegen ein Risiko für Betriebe dar. Diese müssen ihre Geschäftsplanungen verändern und geplante Investitionen können unter Umständen nicht durchgeführt werden. Es entstehen höhere Kosten für Betriebe, unabhängig ob sie einen Diskriminierungstat- bestand erfüllt haben oder nicht. Zudem habe ich Bedenken gegen die Ausweitung der EU-Richtlinie um weitere vier bzw. fünf Diskriminie- rungsmerkmale. Mit dieser Erweiterung werden die Pri- vatautonomie und die Vertragsfreiheit eingeschränkt. Es muss Arbeitgebern möglich sein, bei der Einstellung nicht nur objektive Kriterien wie die berufliche Qualifi- kation, sondern auch subjektive Kriterien wie Vertrau- enswürdigkeit, Sympathie und Kommunikationsverhal- ten auf Basis von Erfahrung und Menschenkenntnis für eine Einstellung bzw. Nichteinstellung anwenden zu dürfen. Die Beweislast bleibt unklar. Für Arbeitgeber, für die es eine riskante Investition darstellt, einen neuen Mitar- beiter einzustellen, setzt dieses Gesetz einen Anreiz, keine neuen Stellen auszuschreiben und Arbeitsplätze zu schaffen. Durch die zu erwartenden Prozesse wird in den Be- trieben, in den Gerichten und im öffentlichen Dienst Per- sonal gebunden, das seine eigentlichen Aufgaben dann nicht mehr im gleichen Maße ausführen kann. Dies hat zur Folge, dass Personal- und Geschäftsplanungen obso- let werden können. Die betrieblichen Prozesse können nicht in gleichem Maße fortgeführt werden, was die be- trieblichen Abläufe empfindlich stören kann. Dies alles sind meines Erachtens schwerwiegende Nachteile des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grund- satzes der Gleichbehandlung, die ich nur vor dem Hin- tergrund der staatlichen Verpflichtungen im Rahmen der EU zu tragen bereit bin. Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD): Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung stellt einen wichti- gen Schritt zur Verwirklichung der Rechte behinderter Menschen dar. Er ist aber noch nicht weitreichend ge- nug. Ich werde diesem Gesetzentwurf trotz der hier for- mulierten Bedenken im Interesse behinderter Menschen und ihrer Angehörigen zustimmen. Denn der Entwurf bleibt leider in einigen Punkten hinter den Bedürfnissen behinderter Menschen zurück. Immer noch wird das Recht zur freien Diskriminierung über das Recht zur Freiheit von Diskriminierung gestellt. Diskriminierung ist kein Kavaliersdelikt, vergleichbar mit Falschparken. Wer diskriminiert, verweigert dem Opfer grundlegende Menschenrechte. Deshalb hätte ich zum Beispiel einem ausdrücklichen Kontrahierungs- zwang bei Versicherungsunternehmen positiv gegen- übergestanden, obwohl ich der Ansicht bin, dass dieser implizit im Gesetzentwurf enthalten ist. 4152 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Der Entwurf des Allgemeinen Gleichbehandlungsge- setzes, AGG, ist erneut geändert worden. Wer diskrimi- niert wird, muss jetzt innerhalb von zwei Monaten schriftlich Ansprüche erheben, §§ 15 IV, 21 V l AGG. Ursprünglich waren sechs Monate vorgesehen. Im Ent- wurf vom Mai war die Frist auf drei Monate halbiert worden. Diese Änderung ist europarechtlich bedenklich, da sie die bisherige Regelung bei Diskriminierung we- gen des Geschlechts, § 611 a Abs. 4 BGB, verschlech- tert. Dies verstößt gegen das EU-Verbot, den bisherigen Schutz vor Behinderung durch die Neuregelung abzu- senken. Zudem verstößt es gegen die Forderung der EU Richtlinien, nach einem effektiven Schutz vor Diskrimi- nierung. Wahrscheinlich wird diese Regelung vom Euro- päischen Gerichtshof aufgehoben. Die Beweislast ist ebenfalls geändert worden. Der Diskriminierte muss Indizien beweisen, die eine Be- nachteiligung wegen eines Diskriminierungsgrundes vermuten lassen, § 22 AGG. Ursprünglich musste der Diskriminierte Tatsachen glaubhaft machen, die eine Be- nachteiligung wegen eines Diskriminierungsgrundes vermuten lassen. Allerdings stellt die Begründung des Entwurfs fest, diese Neuformulierung solle nur klarstel- len, dass eine eidesstattliche Versicherung des Diskrimi- nierten allein nicht ausreicht, um eine Benachteiligung glaubhaft zu machen. Im Arbeitsrecht sollen bei Kündigungen ausschließ- lich die Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes gel- ten, § 2 Abs. 4 AGG. Bislang sollten diese „vorrangig“ gelten. Allerdings können durch die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes nicht die zwingenden EU Vorgaben zum Diskriminierungsschutz ausgehebelt wer- den. Damit ändert diese Änderung an der Rechtslage nichts. Gewerkschaften und Betriebsräte dürfen weiter- hin Arbeitgeber verklagen, die grob gegen die Vorschrif- ten des AGG verstoßen, § 17 AGG. Diese Regelung ist bei der CDU/CSU besonders umstritten. Daher wurde das Klagerecht jetzt ausdrücklich auf grobe Verstöße be- schränkt. Ein Diskriminierungsverbot gilt bei Wohnungsver- mietung nur für Vermieter, die mehr als 50 Wohnungen vermieten, § 19 V AGG. Durch diese Regelung bleibt der größte Teil des Wohnungsmarktes offen für Diskri- minierung. Auch größere Wohnungsgesellschaften kön- nen sich durch passende Gesellschaftskonstrukte auf diese Ausnahmeregel berufen. Allerdings ändert diese Regelung wenig, da bereits nach dem bisherigen Ent- wurf nur bei „Massengeschäften“ Diskriminierung ver- boten ist. Ebenso ist der § 20 des Gesetzentwurfes meiner An- sicht nach änderungsbedürftig. Die bisherige Formulie- rung in § 20 Abs. l Satz l, „der Vermeidung von Gefah- ren, der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art dient ist viel zu unkonkret gefasst und öffnet weiteren Diskriminierungen Tür und Tor. Besser wäre gewesen: Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die unterschiedliche Behandlung notwendig ist, um eine erhebliche Gefährdung der Gesundheit oder des Lebens der Person oder Dritter zu vermeiden, gesetzli- che Unfallverhütungsvorschriften es erfordern oder nur so voraussichtliche Schäden vermieden werden können. Zudem schlage ich die Einfügung des folgenden Sat- zes in § 20 vor: Derjenige, der sich auf einen sachlichen Grund für eine unterschiedliche Behandlung beruft, hat die Nachweise hierfür auf Verlangen vorzulegen oder auf andere Weise glaubhaft zu machen. Aber dieser Gesetzesentwurf ist die Umsetzung meh- rerer EU-Richtlinien. Schließlich dient das AGG dem wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland. Gerade Länder, in denen seit Jahrzehnten Diskriminierungsver- bote bestehen, wie die USA und Großbritannien, sind wirtschaftlich wesentlich dynamischer als Deutschland. Die Vorteile werden besonders im Arbeitsleben deutlich: Weniger Diskriminierung heißt mehr sachliche Entschei- dung. Je sachlicher die Entscheidung, desto effizienter die Auswahl. Diskriminierungsfreie Auswahl heißt da- mit: Der Beste erhält die Stelle. Damit ist Diskriminie- rungsfreiheit wirtschaftlich effizienter. Zudem können wir es uns vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung nicht länger leisten, be- stimmte Gruppen weitgehend von Arbeit und berufli- chen Aufstieg auszuschließen. Derzeit sind zum Beispiel Ältere, Behinderte und Frauen im Arbeitsleben erheblich benachteiligt. Diesen Luxus, nur die Fähigkeiten deut- scher, nicht behinderter Männer bis 40 Jahre effizient zu nutzen, können wir uns heute nicht mehr leisten. Gerade die deutsche Wirtschaft müsste ein vitales Interesse da- ran haben, die vorhandenen Arbeitnehmer möglichst effizient und nicht möglichst vorurteilskonform einzu- setzen. Jede Untersuchung hat bestätigt: Antidiskrimi- nierung erhöht den wirtschaftlichen Erfolg eines Unter- nehmers. Beim Entwurf des AGG gibt es leider noch erhebliche Missverständnisse. Immer wieder wird behauptet, an- gebliche Diskriminierer müssten ihre „Unschuld“ bewei- sen. Tatsächlich muss das Opfer glaubhaft machen, dis- kriminiert zu werden. Dafür muss es Indizien vortragen, wie zum Beispiel diskriminierende Ausschreibungen, Statistiken, diskriminierende Äußerungen und Fragen. Ausreichend ist auch die Glaubhaftmachung einer dis- kriminierenden Grundeinstellung. Diese liegt vor, wenn der Täter durch sein allgemeines Verhalten klar macht, dass er bestimmte Gruppen ablehnt, zum Beispiel frau- enfeindliche Werbung oder behindertendiskriminie- rende Ausschreibungen für andere Stellen. Verfügt allein eine Seite über die erforderlichen Informationen, muss sie diese nach den Grundsätzen der angestellten Darle- gung – und Beweislast einbringen. Nur wenn auf diese Weise eine Diskriminierung glaubhaft gemacht ist, trägt der angebliche Diskriminierer die Beweislast. Diese Re- gelung entspricht in Wortlaut und Auslegung den zwin- genden Vorgaben der EU Richtlinien. Auch bei der Höhe des Schadens bestehen Missver- ständnisse. Es geht nicht darum, in Deutschland Scha- denersatzforderungen zu ermöglichen, wie sie in den USA üblich sind. Dort haben Großkonzerne mehrere Hundert Millionen Dollar wegen Diskriminierung zah- len müssen. Die EU verlangt zwar ein abschreckend ho- hes Schmerzensgeld, doch liegt dies nach allgemeiner Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4153 (A) (C) (B) (D) Ansicht in den europäischen Staaten im Arbeitsrecht bei einem Jahresgehalt, mindestens aber 30 000 Euro. Nur in schweren Fällen kann dieser Betrag überschritten wer- den. Im Zivilrecht liegt das Schmerzensgeld noch darun- ter. Das Schmerzensgeld beträgt das Doppelte des mate- riellen Schadenersatzes, wenigstens aber 10 000 Euro. Beim materiellen Schadensersatz bei Verlust des Ar- beitsplatzes hat sich in den EU-Staaten ebenfalls eine ge- genüber den USA zurückhaltendere Rechtsprechung he- rausgebildet. In Europa wird allgemein abgestellt, wie lange der Diskriminierte üblicherweise auf der Stelle verblieben wäre. So wurde dies zum Beispiel in der „Vento Entscheidung“ in England geregelt. Diese Grundsätze unterscheiden Europa deutlich von den USA und beschränken die Schadenersatzsummen. Sie orien- tieren sich an dem unteren Ende des durch die Richtli- nien vorgegebenen Abschreckungsgebotes bei der Scha- densersatzhöhe. Die Höhe des Schadenersatzes wird sich also an der europäischen Rechtsprechung orientieren. Abgesehen von der Höhe des Schadenersatzes sind die Rechtsprechung und Gesetzgebung der USA Vorbild der EU-Richtlinien und sind für die Auslegung des AGG heranzuziehen. Für eine erfreuliche Rechtssicherheit sorgt die Zertifizierung der Antidiskriminierungsvor- schriften durch den Europäischen Anti-Diskriminie- rungsrat, insbesondere im Arbeitsleben. Die Unterneh- men erhalten erhöhte Rechtssicherheit und die Effizienzvorteile eines diskriminierungsfreien Unterneh- mens. Gleichzeitig wird in Deutschland der Diskriminie- rungsschutz konsequent umgesetzt. Dies entspricht auch der allgemeinen Entwicklung auf EU-Ebene sowie den Vorstellungen der EU Kommission, Subventionen und öffentliche Aufträge nur an Unternehmen zu vergeben, die soziale Mindeststandards nachweisbar einhalten. Rolf Stöckel (SPD): Ich stimme dem Gesetzentwurf zu, weil ich die überfällige Umsetzung der europäischen Richtlinien zur „Antidiskriminierung“ in nationales Recht grundsätzlich begrüße und unterstützen will. Die im Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vorgenommene Streichung des Merkmals „Weltan- schauung“ im Bereich des zivilrechtlichen Diskriminie- rungsschutzes halte ich allerdings für verfassungswidrig. Ich kann nur zustimmen, weil ich überzeugt bin, dass diese Streichung keine Rechtswirksamkeit entfalten kann, weil sie nicht nur gegen das Ziel der Verwirkli- chung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, sondern auch gegen unveränderbare Verfassungsgrundsätze ver- stößt. Nach Art. 4 Abs. 1 des Grundgesetzes der Bundes- republik Deutschland sind „die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und welt- anschaulichen Bekenntnisses unverletzlich“. Da ich mich ausdrücklich zu einer nichtreligiösen Weltanschauung, nämlich dem weltlichen Humanismus, bekenne und Mitglied einer Weltanschauungsgemein- schaft bin, die als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt ist, lehne ich insbesondere die diskriminie- rende Begründung der Streichung durch den Rechtsaus- schuss des Deutschen Bundestages ab. Aus der Begrün- dung des Rechtsausschusses „Gleichwohl besteht die Gefahr, dass zum Beispiel Anhänger rechtsradikalen Ge- dankengutes aufgrund der Vorschrift versuchen, sich Zu- gang zu Geschäften zu verschaffen, die ihnen aus aner- kennenswerten Gründen verweigert wurden“ ließe sich meines Erachtesn fordern, das Merkmal „Religion“ sei zu streichen, weil zum Beispiel Terroristen und andere Straftäter ihre Taten religiös begründen. Anlage 11 Erklärungen nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Michael Fuchs, Michaela Noll, Michael Hennrich, Karl-Georg Wellmann, Kai Wegner, Joachim Hörster, Ernst Hinsken, Norbert Königshofen, Andreas G. Lämmel, Gerhard Wächter, Stefan Müller (Erlangen), Maria Michalk, Dr. Karl Lamers (Heidelberg), Bernward Müller (Gera), Volkmar Uwe Vogel, Dr. Rolf Koschorrek, Bernhard Schulte-Drüg- gelte, Andreas Schmidt (Mülheim), Gunther Krichbaum, Georg Fahrenschon, Hans Michel- bach, Georg Schirmbeck, Steffen Kampeter, Laurenz Meyer (Hamm), Anke Eymer (Lü- beck), Albert Rupprecht (Weiden), Karl-Theo- dor Freiherr zu Guttenberg, Dr. Joachim Pfeif- fer, Clemens Binninger, Daniela Raab, Dr. Günter Krings, Klaus-Peter Willsch, Carsten Müller (Braunschweig), Klaus-Peter Flosbach, Marco Wanderwitz, Kurt Segner, Markus Grü- bel, Jochen Borchert, Philipp Mißfelder, Sibylle Pfeiffer, Gitta Connemann, Jens Koeppen, Pa- tricia Lips, Stephan Mayer (Altötting), Susanne Jaffke, Andrea Astrid Voßhoff, Bernd Heyne- mann, Olav Gutting, Bernd Schmidbauer, Rita Pawelski, Franz Obermeier, Erika Steinbach, Monika Grütters, Andreas Jung (Konstanz), In- gbert Liebing, Marie-Luise Dött, Julia Klöck- ner, Ute Granold, Michael Brand, Dr. Heinz Riesenhuber, Katharina Landgraf, Dr. Georg Nüßlein, Thomas Strobl (Heilbronn), Renate Blank und Dr. Ole Schröder (alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäi- scher Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung (Tagesord- nungspunkt 5 a) Wir begrüßen alle geeigneten Initiativen gegen Dis- kriminierung aufgrund von Rasse, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion, Behinderung, Alter und sexueller Identität. Derartige Diskriminierungen haben in einer aufgeklärten und toleranten Gesellschaft keinen Platz. Dies ergibt sich aus dem christlichen Menschenbild, welches von der Unverletzbarkeit der Würde jedes Ein- zelnen ausgeht. Es ist daher selbstverständlich, dass sich eine Gesellschaft Regeln gibt, die deutlich machen, dass Diskriminierungen gegen die Würde eines jeden Men- schen verstoßen und geahndet werden müssen. Es ist be- dauerlich, dass die zugrunde liegenden EU-Richtlinien unnötige, zu detaillierte und bürokratische Regelungen enthalten. Gleichwohl ist die Umsetzung in deutsches Recht europarechtlich geboten. Jeder weitere Verzug 4154 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) hätte hohe Strafzahlungen für die Bundesrepublik Deutschland zur Folge gehabt. Der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag ist es gelungen, im Vorfeld und während der parlamentari- schen Beratungen deutliche Verbesserungen gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf zu erreichen. Dies ist ausdrücklich zu begrüßen. Damit konnte dem Ziel der Bundesregierung, auch für die innerstaatliche Umset- zung europäische Gesetzgebung auf das tatsächlich Not- wendige zu beschränken, ein bedeutendes Stück näher gekommen werden. Der vorliegende Gesetzentwurf greift dennoch unver- hältnismäßig in das hohe Gut der Vertragsautonomie von Bürgern und Unternehmen ein, die ein wichtiges Funda- ment einer freiheitlichen Rechts-, Wirtschafts- und Ge- sellschaftsordnung ist. Er ist mit Belastungen für das Wirtschafts- und Rechtsleben verbunden, die nicht zwin- gend durch die zugrunde liegenden europäischen Richt- linien vorgegeben wurden. Mit diesem Gesetz können trotz seiner richtigen Ziele und der erreichten Verbesse- rungen falsche Impulse in der Arbeitswelt gesetzt wer- den. Wir bedauern, dass die Fraktion der SPD nicht bereit war, sich während der parlamentarischen Beratungen ei- ner noch besseren Rechtssetzung zu öffnen. Umso wich- tiger bleibt es, mögliche negative Auswirkungen im Hin- blick auf bürokratische Belastungen, Rechtssicherheit und Privatautonomie sowie den Arbeitsmarkt nach In- Kraft-Treten dieses Gesetzes genau zu beobachten und erforderlichenfalls schnellstmöglich zu korrigieren. Nur unter Zurückstellung größter persönlicher Beden- ken stimmen wir deshalb heute diesem Gesetzentwurf zu. Anlage 12 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Be- steuerung von Energieerzeugnissen und zur Änderung des Stromsteueregesetzes (Tagesord- nungspunkt 8 a) Dr. Axel Berg (SPD): Ich habe dem Gesetz zur Neu- regelung der Besteuerung von Energieerzeugnissen und zur Änderung des Stromsteuergesetzes entgegen dem Votum meiner Fraktion meine Zustimmung verweigert und mit „Nein“ gestimmt. Mit diesem Gesetz wird der Reinbiokraftstoffmarkt für Biodiesel und Pflanzenöl von Grund auf gefährdet, spätestens wenn ab 2012 eine volle Besteuerung dieser Kraftstoffe analog zu den Diesel- kraftstoffen eintreten wird. Schon zuvor ist damit zu rechnen, dass diesbezügliche Investitionen dafür einge- stellt werden. Nur wenn die Rohölpreise für fossile Kraftstoffe bis dahin weiter stark ansteigen, kann diese Gefahr diesem Gesetz zufolge abgewendet werden. Damit wird eine Entwicklung politisch eingeleitet, in der die auf Pflanzenöl basierenden Biokraftstoffe über die geplante Beimischungspflicht dem Abnehmermono- pol der Mineralölkonzerne ausgeliefert werden. Diese Entwicklung halte ich für eine grundlegend falsche Wei- chenstellung. Sie führt dazu, dass die für Biokraftstoffe erforderliche ökologische Ausrichtung der Anbaukon- zepte wesentlich erschwert wird, die landwirtschaftli- chen Produzenten dieser Biokraftstoffe dem Preisdiktat der Mineralölkonzerne ausgesetzt werden und damit die neuen Chancen der Landwirtschaft – der Landwirt als Energiewirt – schwerwiegend beeinträchtigt werden, die Chancen des Aufbaus regionaler Biokraftstoffproduk- tionen durch mittelständische Betriebe und Stadtwerke und damit neue regionalwirtschaftliche Wachstums- und Beschäftigungsmöglichkeiten mit ihren binnenkonjunk- turellen Effekten unterminiert werden, zahlreiche Spedi- tionsunternehmen, die in jüngerer Zeit auf Biodiesel und Pflanzenöl umgestiegen sind, entweder gefährdet wer- den oder wieder jenseits unserer Grenzen tanken. Aus diesen Gründen muss auch damit gerechnet wer- den, dass nicht einmal die erwarteten zusätzlichen Steu- ereinnahmen tatsächlich eintreffen. Bei allen diesbezüg- lichen Berechnungen des BMF sind die Steuerrückflüsse aus dem durch die bisherigen Steuerbegünstigungen ent- standenen Wirtschaftssektor für Biodiesel und Pflanzen- öle nicht berücksichtigt worden. Hinzu kommt die Unverhältnismäßigkeit in der Besteuerung von Kraft- stoffen, die aufrechterhalten bleibt: Nicht nur bleibt das nicht mehr begründbare Steuerprivileg von Dieselkraft- stoffen gegenüber Benzin in Höhe von 18 Cent unange- tastet. Auch die Steuerprivilegierung von Erdgaskraft- stoffen bleibt bis 2018 und wird sogar auf Flüssiggas ausgeweitet. Es bleibt unerfindlich und ist nicht legiti- mierbar, dass ein neuer fossiler Kraftstoff politisch ge- genüber allen Biokraftstoffen privilegiert wird. Ich bin der Überzeugung, dass das vorliegende Gesetz keinen Bestand haben wird und noch vor Ende der Le- gislaturperiode ein weniger kurzsichtiges und wider- sprüchliches Gesetz erforderlich ist. Eine diesbezügliche Initiative kündige ich hiermit an. Gabriele Groneberg (SPD): Ich stimme dem vorlie- genden Gesetzentwurf in der heute zu verabschiedenden Fassung zu. Erhebliche Bedenken habe ich gegen den Teil des Gesetzes, der die Besteuerung von Reinbiokraft- stoffen regelt. Den nach langen Verhandlungen gefundenen Kom- promiss kritisiere ich insofern, weil davon auszugehen ist, dass die generelle Strategie der vollen Besteuerung dieser Kraftstoffe den Reinbiokraftstoffmarkt gefährden wird. Gleichzeitig werden die Investitionen in diesen Markt, welche vor allem von kleinen und mittelständi- schen Unternehmen aufgrund von steuerlichen Anreizen vorgenommen wurden, infrage gestellt. Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): Ich halte die im Gesetzentwurf enthaltene Regelung zur Besteue- rung von Biodiesel aus industriepolitischer Sicht für falsch. Das Ergebnis wird sein, dass die Produktion von Biodiesel in Deutschland keine Zukunftsperspektive hat. Die im Gesetz vorgesehen Vollbesteuerung ab 2012 hat Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4155 (A) (C) (B) (D) schon jetzt erhebliche negative Auswirkungen auf die Investitionstätigkeit in der Biodieselbranche. Investitio- nen etwa in Biodieselkraftanlagen amortisieren sich nach circa acht Jahren. Die Vollbesteuerung ab 2012 be- deutet, dass für in diesem Jahr gebaute Anlagen eine komplette Amortisierung nicht mehr möglich ist, was somit einer Fehlinvestition gleich käme. Neue Investitio- nen machen betriebswirtschaftlich keinen Sinn und es ist zu erwarten, dass sie schon dieses Jahr nicht mehr getä- tigt werden. Nach 2012 wird die Produktion von Biodie- sel sich in Deutschland nicht mehr rentieren. Dies wird eine Standortverlagerung der Produktion ins Ausland zur Folge haben. Zudem greift die nach wochenlanger Diskussion der Fachleute vom Bundesfinanzministerium erzwungene Lösung einer Vollbesteuerung industriepolitisch zu kurz und ist nicht konsistent durchdacht. Erst wird die Bio- branche mit Milliardenbeträgen gefördert, um ihr an- schließend mit der Vollbesteuerung jede Zukunftsper- spektive zu nehmen. Man hätte sich diese Steuerausfälle, für die nun der Bundesfinanzminister verantwortlich ist, gleich sparen können. Trotz meiner Einwände gegenüber der Besteuerung von Biodiesel stimme ich dem Gesamtpaket zu. Dr. Hermann Scheer (SPD): Ich stimme dem Ge- setz zur Neuregelung der Besteuerung von Energieer- zeugnissen und zur Änderung des Stromsteuergesetzes entgegen dem Votum meiner Fraktion nicht zu und werde mit Nein stimmen. Mit diesem Gesetz wird der Reinbiokraftstoffmarkt für Biodiesel und Pflanzenöl von Grund auf gefährdet, spätestens wenn ab 2012 eine volle Besteuerung dieser Kraftstoffe analog zu den Diesel- kraftstoffen eintreten wird. Schon zuvor ist damit zu rechnen, dass diesbezügliche Investitionen dafür einge- stellt werden. Nur wenn die Rohölpreise für fossile Kraftstoffe bis dahin weiter stark ansteigen, kann diese Gefahr diesem Gesetz zufolge abgewendet werden. Damit wird eine Entwicklung politisch eingeleitet, in der die auf Pflanzenöl basierenden Biokraftstoffe über die geplante Beimischungspflicht dem Abnehmermono- pol der Mineralölkonzerne ausgeliefert werden. Diese Entwicklung halte ich für eine grundlegend falsche Wei- chenstellung. Sie führt dazu, dass die für Biokraftstoffe erforderliche ökologische Ausrichtung der Anbaukon- zepte wesentlich erschwert wird, die landwirtschaftli- chen Produzenten dieser Biokraftstoffe dem Preisdiktat der Mineralölkonzerne ausgesetzt werden und damit die neuen Chancen der Landwirtschaft – der Landwirt als Energiewirt – schwerwiegend beeinträchtigt werden, die Chancen des Aufbaus regionaler Biokraftstoffproduktio- nen durch mittelständische Betriebe und Stadtwerke und damit neue regionalwirtschaftliche Wachstums- und Be- schäftigungsmöglichkeiten mit ihren binnenkonjunktu- rellen Effekten unterminiert werden, zahlreiche Spedi- tionsunternehmen, die in jüngerer Zeit auf Biodiesel und Pflanzenöl umgestiegen sind, entweder gefährdet wer- den oder wieder jenseits unserer Grenzen tanken. Aus diesen Gründen muss auch damit gerechnet wer- den, dass nicht einmal die erwarteten zusätzlichen Steu- ereinnahmen tatsächlich eintreffen. Bei allen diesbezüg- lichen Berechnungen des BMF sind die Steuerrückflüsse aus dem durch die bisherigen Steuerbegünstigungen ent- standenen Wirtschaftssektor für Biodiesel und Pflanzen- öle nicht berücksichtigt worden. Hinzu kommt die Unverhältnismäßigkeit in der Besteuerung von Kraft- stoffen, die aufrechterhalten bleibt: Nicht nur bleibt das nicht mehr begründbare Steuerprivileg von Dieselkraft- stoffen gegenüber Benzin in Höhe von 18 Cent unange- tastet. Auch die Steuerprivilegierung von Erdgaskraft- stoffen bleibt bis 2018 und wird sogar auf Flüssiggas ausgeweitet. Es bleibt unerfindlich und ist nicht legiti- mierbar, dass ein neuer fossiler Kraftstoff politisch ge- genüber allen Biokraftstoffen privilegiert wird. Ich bin der Überzeugung, dass das vorliegende Gesetz keinen Bestand haben wird und noch vor Ende der Le- gislaturperiode ein weniger kurzsichtiges und wider- sprüchliches Gesetz erforderlich ist. Eine diesbezügliche Initiative kündige ich hiermit an. Wolfgang Wodarg (SPD): Ich habe dem Gesetz zur Neuregelung der Besteuerung von Energieerzeugnissen und zur Änderung des Stromsteuergesetzes entgegen dem Votum meiner Fraktion meine Zustimmung verwei- gert und mit „Nein“ gestimmt. Mit diesem Gesetz wird der Reinbiokrafftstoffmarkt für Biodiesel und Pflanzöl von Grund auf gefährdet, spätestens wenn ab 2012 eine volle Besteuerung dieser Kraftstoffe analog zu den Die- selkraftstoffen eintreten wird. Schon zuvor ist damit zu rechnen, dass diesbezügliche Investitionen dafür einge- stellt werden. Nur wenn die Rapsölpreise für fossile Kraftstoffe bis dahin weiter stark ansteigen, kann diese Gefahr diesem Gesetz zufolge abgewendet werden. Damit wir eine Entwicklung politisch eingeleitet, in der die auf Pflanzöl basierenden Biokraftstoffe über die geplante Beimischungspflicht dem Abnehmermonopol der Mineralölkonzerne ausgeliefert werden. Diese Ent- wicklung halte ich für eine grundlegend falsche Wei- chenstellung. Sie führt dazu, dass die für Biokraftstoffe erforderliche ökologische Ausrichtung der Anbaukon- zepte wesentlich erschwert wird, die landwirtschaftli- chen Produzenten dieser Biokraftstoffe dem Preisdiktat der Mineralölkonzerne ausgesetzt werden und damit die neuen Chancen der Landwirtschaft – der Landwirt als Energiewirt – schwerwiegend beeinträchtigt werden; die Chancen des Aufbaus regionaler Biokraftstoffproduktio- nen durch mittelständische Betriebe und Stadtwerke, und damit neue regionalwirtschaftliche Wachstums- und Beschäftigungsmöglichkeiten mit ihren binnenkonjunk- turellen Effekten unterminiert werden, zahlreiche Spedi- tionsunternehmen, die in jüngerer Zeit auf Biodiesel und Pflanzöl umgestiegen sind, entweder gefährdet werden oder wieder jenseits unserer Grenzen tanken. Aus diesen Gründen muss auch damit gerechnet wer- den, dass nicht einmal die erwarteten zusätzlichen Steu- ereinnahmen tatsächlich eintreffen. Bei allen diesbezüg- lichen Berechnungen des BMF sind die Steuerrückflüsse aus dem durch die bisherigen Steuerbegünstigungen ent- standenen Wirtschaftssektor für Biodiesel und Pflanzen- öle nicht berücksichtigt worden. Hinzu kommt die 4156 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Unverhältnismäßigkeit in der Besteuerung von Kraft- stoffen, die aufrechterhalten bleibt: Nicht nur besteht das nicht mehr begründbare Steuerprivileg von Dieselkraft- stoffen gegenüber Benzin in Höhe von 18 Cent unange- tastet fort. Auch die Steuerprivilegierung von Erdgas- kraftstoffen bleibt bis 2018 und wird sogar auf Flüssiggas ausgeweitet. Es bleibt unerfindlich und es ist nicht legitimierbar, dass ein neuer fossiler Kraftstoff po- litisch gegenüber allen Biokraftstoffen privilegiert wird. Anlage 13 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: In- nere Sicherheit durch Regelungen zum Arbeits- kampfrecht gewährleisten (Tagesordnungs- punkt 9 b) Namens der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erkläre ich, dass das Votum „Ja“ lautet. Anlage 14 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Wolfgang Wodarg zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu den Anträgen: – Presse- und Meinungsfreiheit in Kuba ein- fordern – Menschenrechte in Kuba einfordern und die kubanische Zivilgesellschaft fördern (Tagesordnungspunkt 36) In Kuba und anderen Ländern des karibischen Rau- mes werden Menschenrechte verletzt; auf der Insel Kuba am heftigsten derzeit in Guantanamo. Ich halte es für richtig, diese alle anzuprangern und für die Durchset- zung der Menschenrechte zu kämpfen – wie überall in der Welt. Die Entschließung heute halte ich für politische Selbstbefriedigung! Sie ist angesichts politischer Alter- nativen möglicherweise kontraproduktiv. Ich werde mich deshalb der Stimme enthalten. Anlage 15 Zu Protokolle gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtli- nie (Tagesordnungspunkt 12) Nina Hauer (SPD): Die SPD-Fraktion hat sich bei der Umsetzung des Basel-II-Regelwerkes für die Inte- ressen des Mittelstandes eingesetzt. Zuletzt konnte noch eine weitere wichtige Änderung für mittelständische Kreditnehmer erreicht werden, indem die Kreditinstitute aufgefordert werden, Ratingentscheidungen gegenüber den Unternehmen offen zu legen. Jetzt steht fest: Basel II verbessert die Kreditversorgung des Mittelstandes. Der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht begann im Jahr 1999 mit der Überarbeitung des alten Regelwerkes Basel I, das einen pauschalen Anrechnungswert von 8 Prozent für Kreditrisiken in Eigenkapital vorsah. Als Folge dieser Regelung orientierten die Banken ihre Kre- ditkonditionen nicht an der Bonität des Kunden, sondern allein an der Kundengruppe, in die der Kunde eingeord- net wurde. Basel I führte zu der verheerenden Entwick- lung für Banken und Unternehmen, weil Unternehmen mit schlechter Bonität und daher höheren Kreditzinsen bevorzugt wurden. Das neue Basel II korrigiert die Defizite von Basel I, indem die Unterlegung von Krediten mit Eigenkapital an das Ausfallrisiko und damit an die Bonität des Kredit- nehmers gebunden wird. Diese neue Regelung wird sich positiv auf die Stabilität der Banken selbst und auf die des ganzen Finanzmarktes auswirken. Die neuen Regeln verpflichten die Banken dazu, Risiken bei der Kreditver- gabe stärker zu unterscheiden und zu bestimmen. Damit werden die Banken, besonders die kleinen Institute, von zu hohen Eigenkapitalanforderungen befreit. Wichtig ist aber, dass das Regelwerk nicht nur unse- rem Bankensystem gerecht wird, sondern auch die spe- zielle deutsche Situation der mittelständischen Wirt- schaft berücksichtigt. Unsere Wirtschaft ist in hohem Grade abhängig von Krediten und es muss vermieden werden, dass Unternehmen Schwierigkeiten haben, Ka- pital zu erhalten. Die Gefahr, dass Basel II zu einem Problem für die kleineren und mittelständischen Unternehmen bei der Kreditvergabe werden könnte, wurde von der alten Bun- desregierung und dem damaligen Verhandlungsführer Jochen Sanio frühzeitig erkannt und beseitigt. Die in den zwei Entschließungen des Bundestages geäußerten Bedenken und Wünsche konnten im internationalen Ba- seler Ausschuss erfolgreich durchgesetzt werden. Bei- spielsweise sieht Basel II vor, Kredite an kleine Unter- nehmen bis 1 Million Euro mit einem um 25 Prozent niedrigeren Risikogewicht zu belegen. Unter diese Be- günstigung fallen 90 Prozent aller Kredite an mittelstän- dische Unternehmen. Für den Mittelstand bedeuten diese Verhandlungserfolge bessere Kreditbedingungen als un- ter dem vorherigen Regelwerk Basel I. Das Verhandlungsergebnis des Baseler Ausschusses, Basel II, wurde zunächst in eine EU-Richtlinie gegossen. Diese wird nun in nationales Recht umgesetzt. Wichtig war für meine Fraktion bei dieser Umsetzung, dass die Banken zu einem verantwortungsvollen und transparen- ten Verhalten gegenüber ihren Kunden verpflichtet wer- den. Die Banken müssen die Bonität und die Risiken einer Kreditvergabe einschätzen und stehen hier vor gro- ßen Herausforderungen. Mehr als zuvor wird durch Basel II den Banken auch eine Beraterrolle gegenüber Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4157 (A) (C) (B) (D) mittelständischen Unternehmen zukommen, die ihre Kreditkonditionen verbessern möchten. Gerade kleine und mittlere Unternehmen ohne eigene Finanzabteilung oder Ressourcen für einen Unternehmensberater müssen von ihrer Bank Hilfestellungen bekommen, um ihre Bo- nität und ihr Ratingergebnis für Bankkredite zu verbes- sern. Die SPD-Fraktion hat sich daher dafür eingesetzt, dass der Deutsche Bundestag die Kreditwirtschaft auffordert, den Kreditnehmern die sie betreffenden Ratingergebnisse offen zu legen und die wesentlichen Parameter für ihr Zustandekommen zu erläutern. Die Kreditwirtschaft wird in der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses aufgefordert, eine Selbstverpflich- tung vorzulegen, die diese Transparenz sicherstellt. Es gibt also genügend gute Gründe, dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zuzustimmen. Die SPD-Fraktion wird dies tun. Abschließend möchte ich mich bei den Berichterstat- terkollegen der anderen Fraktionen und beim Bundes- ministerium der Finanzen für die konstruktive und gute Zusammenarbeit bedanken. Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Wir haben ja heute schon einige Stunden hier zusammen hinter uns; es ist jetzt eigentlich Zeit fürs Abendessen und ein kaltes Bier und etwas Fußball. Da lässt bei einigen die Konzentra- tion schon etwas nach. Deswegen will ich mit einem ganz einfachen Gedanken anfangen. Basel II soll die Finanzmärkte stabilisieren und Finanzcrashs verhindern. Und wenn wir Finanzcrashs verhindern wollen, müssen wir fragen: Was kann Finanzcrashs auslösen? Schauen wir in die Finanzpresse der letzten Wochen und Monate. Da wird durchaus über Finanzcrashs diskutiert. Da fin- den Sie Überschriften wie „Hedge-Fonds leiden unter Marktturbulenzen“ – „FTD“ vom 19. Juni –, „Bundes- bank geht Hedge-Fonds an – Warnung vor Risiken durch aggressive Investoren“ – „FTD“ vom 17. Mai –, „Noten- bank warnt vor Finanzcrash – EZB fürchtet Kollaps eines großen Hedge-Fonds“ – „FTD“ vom 18. Mai –, „Banken- verband warnt vor Hedge-Fonds“ – „FTD“ vom 13. Juni. Wenn sich die Finanzpresse da nicht gewaltig irrt, scheinen Hedgefonds – unregulierte, intransparente und hochriskante Hedgefonds – doch in einem gewissen Zu- sammenhang mit Finanzcrashs zu stehen. Und wenn dem so ist, muss man doch fragen: Wie geht Basel II das Problem Hedgefonds an? Und da muss ich sagen: mit Samthandschuhen. Wo ist ein Mindestkapitalzuschlag für Banken, die Kredite an hochriskante Hedgefonds vergeben, die mit hochriskanten Hedgefonds Geld ver- dienen? Und die oft gar nicht genau wissen – oder wis- sen wollen –, welche Risiken sie dabei eingehen? Selbst die Bundesbank schreibt doch mittlerweile, dass es ein Problem ist, dass Banken oft nicht genau wissen, welche Risiken sie bei ihren Geschäften mit Hedgefonds einge- hen. Basel II hätte grundsätzlich eine Möglichkeit geboten, dem Einhalt zu gebieten. Mit Basel II werden auch die Regeln geändert, nach denen ermittelt wird, wie viel Mindestkapital eine Bank vorzuhalten hat. Hier hätte eine indirekte Regulierung ansetzen können und für For- derungen von Banken gegenüber Hedgefonds einen deutlich erhöhten Mindestkapitalfaktor vorschreiben können. So würde dem besonderen Risikocharakter die- ser Forderungen Rechnung getragen und eine Krisen- übertragung von Hedgefonds auf das Bankensystem er- schwert. Zudem träte ein Lenkungseffekt zugunsten transpa- renter, weniger riskanter Anlagealternativen ein. Mit den Mindestkapitalanforderungen steigen die Kosten einer Bank, und die davon betroffenen Geschäfte werden für Banken und/oder Hedgefonds unattraktiver. Natürlich hätte man für eine wirksame internationale Kontrolle das alles in Basel vereinbaren müssen oder zu- mindest in Brüssel. Ich will mit alledem hauptsächlich auf eines hinweisen: Eine andere Politik ist grundsätz- lich möglich. Es ist möglich, internationale Finanz- märkte zu regulieren. Die Instrumente sind vorhanden, sie werden aber nicht genutzt. Und da müssen wir anset- zen. Wir müssen – zusammen mit Gewerkschaften, zu- sammen mit sozialen Bewegungen – den entsprechenden gesellschaftlichen Druck entwickeln. Wir müssen zei- gen: Eine andere Politik ist nicht nur möglich, wir wol- len eine andere Politik auch durchsetzen. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmt dem Ge- setzentwurf zur Umsetzung der Banken- und der Kapi- taladäquanzrichtlinie in deutsches Recht zu. Wir haben ja auch bereits in der letzten Legislaturperiode intensiv an seinem Entstehen mitgewirkt und die Verhandlungen auf internationaler und europäischer Ebene gemeinsam mit den anderen Fraktionen konstruktiv begleitet. Vor al- lem ging es uns Grünen darum, dass die neu gefasste Bankenrichtlinie kleinen und mittleren Unternehmen keine zusätzlichen Schwierigkeiten bei der Finanzierung aufbürdet. Das vorliegende Gesetz, eher bekannt unter dem Stichwort Basel II, weil es auf die Vereinbarung im Bas- ler Bankenausschuss zurückgeht, gibt Anreize zur Mo- dernisierung des Risikomanagements der Banken und sorgt dafür, dass die Eigenkapitalunterlegung sich künf- tig nach der Bonität des Kreditnehmers richtet. Notwen- dig sind dafür unter anderem Änderungen der internen Bankprozesse zu Forderungen, Sicherheiten und Ra- tings. Nicht alle Kreditinstitute haben diese Änderungen bereits vollständig vorgenommen. Da ist noch einiges zu tun. Ich möchte auf ein paar einzelne Aspekte dieser um- fangreichen neuen Regulierung eingehen. Erstens begrüßen wir ausdrücklich, dass die Bundes- regierung eine Reihe von Wahlrechten so genutzt hat, dass die Umsetzung der Bankenrichtlinie der deutschen Bankenstruktur angemessen ist. An erster Stelle ist hier das Thema Intragruppenforderungen zu nennen, also die Frage, wie Forderungen innerhalb der Haftungsverbünde von Sparkassen und Genossenschaftsbanken zu bewer- ten sind. Weil Sparkassen und Genossenschaftsbanken gerade bei der Kreditversorgung kleiner und mittlerer 4158 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Unternehmen eine besondere Rolle spielen, ist das für uns wirtschaftspolitisch von großer Bedeutung. Zweitens – das ist in der Anhörung deutlich gewor- den – muten wir den Marktteilnehmern mit diesem um- fangreichen Gesetzeswerk, zu dem dann auch noch die überarbeitete Solvabilitätsverordnung und die Groß- und Millionenkreditverordnung hinzukommen werden, eini- ges zu. Gerade für kleine Banken ist das eine große ad- ministrative Belastung. Zumindest den Vorschlag, mit einer Neufassung des Kreditwesengesetzes dazu beizu- tragen, dass dieses wieder lesbar wird, sollten wir nicht in den Anhörungsunterlagen verstauben lassen. Drittens ist uns wichtig – das ist einer der Gründe für unseren Entschließungsantrag, den wir zu diesem Gesetz einbringen –, dass bei den Fragen des Datenschutzes eine klare Abgrenzung zwischen dem Bundesdaten- schutzgesetz und dem Kreditwesengesetz als Spezial- norm vorgenommen wird. Diese Anregung aus der An- hörung hätte aufgegriffen werden sollen. Schließlich: Uns reicht der Entschließungsantrag der großen Koalition und der FDP, der die Wirtschaft zu ei- ner Selbstverpflichtungserklärung auffordert, nicht aus. Wir befürchten, dass wir mit dem Verfahren von Selbst- verpflichtungserklärung und Bericht für lange Zeit eine unbefriedigende Situation haben werden. Kreditsu- chende Unternehmen und Verbraucherinnen und Ver- braucher sollten das Recht dazu haben, dass ihnen die Ratingentscheidungen der Banken in nachvollziehbarer Weise schriftlich offen gelegt werden. Nur so kann si- chergestellt werden, dass offensichtliche Unrichtigkeiten im Ratingprozess entdeckt werden und die Kreditnehmer ihre Ratingfaktoren, soweit möglich, so beeinflussen können, dass sie ihr Risiko vermindern. Diese Rechte von Unternehmen und Verbraucherinnen und Verbrau- chern durchzusetzen und damit eine Abwägung zwi- schen den Rechten von Anbietern und Nachfragern auf dem Kreditmarkt vorzunehmen, ist Aufgabe des Gesetz- gebers. Dies bringen wir in unserem Entschließungsan- trag zum Ausdruck. Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtlinie liegt Ihnen heute zur abschlie- ßenden Beratung vor. Er ist Teil der Umsetzung der neuen bankaufsichtlichen Eigenkapitalvorschriften – Ih- nen sicher besser bekannt unter dem Stichwort „Basel II“. In der heutigen Sitzung wird eine der grundlegenden Modernisierungen unseres Bankenaufsichtsrechts ab- schließend beraten. Sowohl für die Kreditwirtschaft als auch für die Bankenaufsicht beinhaltet der Gesetzent- wurf ohne Zweifel die bedeutendsten Änderungen seit den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Hinter uns liegt ein langer, aber erfolgreicher inter- nationaler Verhandlungsprozess. Die Bundesregierung – unterstützt durch den Deutschen Bundestag – hat die- sen knapp siebenjährigen Prozess in enger Abstimmung mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und der Deutschen Bundesbank begleitet. So ist es uns gelungen, insbesondere eine faire Behandlung von Mit- telstandskrediten durchzusetzen. Die in den Baseler und Brüsseler Verhandlungen erzielten Erfolge sollen mit diesem Gesetzentwurf im deutschen Bankenaufsichts- recht verankert werden. Dieses moderne Regelwerk ist dadurch gekennzeich- net, dass sämtlichen Instituten wahlweise sowohl stan- dardisierte Verfahren als auch bankeigene Modelle zur Risikomessung und Berechnung der Eigenkapitalunter- legung zur Verfügung stehen. Alle Verfahren haben ei- nes gemeinsam: Sie knüpfen die Eigenkapitalunterle- gung stärker als bisher an das Risiko eines Kredites. Damit werden den Banken Anreize gegeben, die Risiken genauer zu bestimmen und die benötigten Systeme kon- tinuierlich fortzuentwickeln. Die Stabilität unseres Fi- nanzsystems wird davon profitieren. Die geplanten Änderungen des Kreditwesengesetzes basieren im Wesentlichen auf Vorgaben der beiden EU- Richtlinien. Der Gesetzentwurf ist strikt an den Min- destanforderungen der Richtlinien ausgerichtet. Aller- dings weisen allein die Vorgaben aus Brüssel einen be- trächtlichen Umfang auf. Nationale Wahlrechte, die die EU-Richtlinien bieten, haben wir zugunsten der Kredit gebenden und Kredit nehmenden Wirtschaft genutzt. Zu diesen Wahlrechten gehören auch sämtliche Regelungen zugunsten von Mit- telstandskrediten. Das so genannte Mittelstandspaket von Basel II beinhaltet eine niedrigere Eigenkapitalun- terlegung für kleinvolumige Kredite und eine stärkere Berücksichtigung von Kreditsicherheiten. Dadurch wer- den auch Kredite an Handwerker, Freiberufler und Land- wirte entlastet. Geringere Eigenkapitalanforderungen für Wohnimmobilienfinanzierungen werden privaten Haus- halten nützen. Zur Umsetzung der neuen Eigenkapitalregelungen in das deutsche Bankenaufsichtsrecht sind neben dem vor- liegenden Gesetzentwurf zwei Rechtsverordnungen mit eher technischen Bestimmungen vorgesehen. Die not- wendigen Ermächtigungsgrundlagen hierzu sind im Ge- setzentwurf enthalten. Die Sorge vor allem kleinerer Institute, die neuen Vorschriften könnten unverhältnismäßig hohe Hürden darstellen, wurde von der Bundesregierung sehr ernst genommen. Mittlerweile lässt sich aber sagen, dass das deutsche Bankensystem insgesamt von den neuen Vor- schriften profitieren wird. Eine aktuelle Studie zeigt, dass die Eigenkapitalanforderungen des deutschen Ban- kensektors um 6,7 Prozent sinken würden, wenn die neuen Regelungen bereits jetzt in Kraft wären. Beson- ders hervorzuheben ist, dass Banken mit einem höheren Anteil am Geschäft mit privaten Haushalten sowie klei- nen und mittleren Unternehmen noch stärker profitieren. Die notwendige Eigenkapitalunterlegung dieser Banken würde sogar um 8,4 Prozent sinken. Die neuen Vorschriften sollen erstmals ab dem 1. Ja- nuar 2007 gelten. Kreditwirtschaft und Bankenaufsicht bereiten sich seit Monaten intensiv auf dieses Datum vor. Die enormen Anstrengungen werden unternommen, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4159 (A) (C) (B) (D) weil die rechtzeitige und sachgerechte Umsetzung von Basel II zum Nutzen des Finanzplatzes Deutschland sein wird. Mit der heutigen abschließenden Beratung im Deut- schen Bundestag ist die Umsetzung von Basel II in Deutschland unaufhaltsam vorangeschritten. Länder, die mit der Umsetzung der Baseler Vereinbarung bisher noch zögern, werden sich von der erfolgreichen Umset- zung in Deutschland und ganz Europa überzeugen kön- nen. Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Patientenverfügun- gen neu regeln – Selbstbestimmungsrecht und Autonomie von nichteinwilligungsfähigen Pati- enten stärken (Tagesordnungspunkt 13) Ute Granold (CDU/CSU): Bereits in der vergange- nen Legislaturperiode haben wir in diesem Haus über die notwendige dritte Änderung des Betreuungsrechts debat- tiert, allerdings haben sich durch den Regierungswechsel die weiteren Beratungen in dieser Frage verzögert. Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD haben dann im Ko- alitionsvertrag festgeschrieben, die Diskussion über die gesetzliche Absicherung der Patientenverfügung fortzu- führen und abzuschließen. Schon damals, im März 2005, bestand bei den Frak- tionen Konsens, zügig den rechtlichen Rahmen der Pati- entenverfügung verbindlich festzulegen, um in dieser Frage die notwendige Rechtssicherheit bereitzustellen. Dies wird bereits seit Jahren auch von den verschiedens- ten Seiten angemahnt. So hat der BGH in seinem Urteil vom 12. März 2003 einige zentrale Kriterien der Patien- tenverfügung festgelegt und die Bedeutung der Patien- tenverfügung an sich deutlich aufgewertet. Die höchstrichterliche Entscheidung hat jedoch viele Fragen offen gelassen, auf die wir seitdem nach befriedi- genden Antworten suchen. In diese Diskussion sind mit- tlerweile auch die Ergebnisse des Zwischenberichts der Enquete-Kommission Ethik und Recht in der modernen Medizin und der interdisziplinären Arbeitsgruppe des BMJ eingeflossen. Die zahlreichen Eingaben von Bür- gern und Verbänden, von denen ich stellvertretend für viele die der Deutschen Hospizstiftung und der beiden Kirchen nenne, haben die Politik zusätzlich zum Han- deln gemahnt und weitere konstruktive Diskussionsbei- träge geleistet. Dabei waren wir uns einig, dass die Initiative zu einem Gesetzentwurf aus der Mitte des Parlaments kom- men sollte. Die diesbezüglichen Beratungen in den Frak- tionen sind noch nicht abgeschlossen. In der Unionsfrak- tion liegt bereits ein internes Diskussionspapier vor, das nach der Sommerpause abschließend beraten werden wird. Wir gehen davon aus, dass es dann aus der Mitte des Parlamentes durchaus mehrere konkurrierende über- und auch interfraktionelle Gruppenanträge geben wird. Da es bei der rechtlichen Ausgestaltung der Patien- tenverfügung um eine Frage geht, die unterschiedliche Überzeugungen berührt und deshalb unterschiedliche Konsequenzen zur Folge hat, wird die Abstimmung da- rüber letztendlich freizugegeben sein. Aufgrund der Be- deutung des Themas ist es unserer Meinung nach besser, in der beschriebenen Form aus der Mitte des Parlamen- tes aktiv zu werden, statt dass eine Fraktion die Regie- rung zum Handeln auffordert. Darüber hinaus können wir die von der FDP-Fraktion aufgestellten Forderungen an einen Gesetzentwurf auch inhaltlich nicht in allen Punkten mittragen, da diese in den zentralen Punkten des Lebensschutzes zu vage blei- ben und das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen ab- solut setzen. In den anstehenden Beratungen kann zu Recht von den Menschen erwartet werden, dass ihre Unsicherhei- ten und Ängste in die Beratungen in vollem Umfang mit aufgenommen werden müssen. Im Spannungsfeld zwi- schen dem grundgesetzlich verankerten Schutz des Le- bens und dem dort ebenso verankerten Recht auf Selbst- bestimmung müssen in diesem Haus auf breiter Basis tragbare Regelungen gefunden werden. Dabei geht es auch um die Frage nach dem weitgebundenen Maßstab von Politik, um die Frage nach dem Menschenbild. Aus dem Antragstext der FDP-Fraktion ist zu entneh- men, dass unseren Überlegungen gegensätzliche Vorstel- lungen zum Menschenbild zugrunde liegen. Ausgangs- punkt unserer Argumentation ist ein Menschenbild, das auch unserer Verfassung zugrunde liegt und antike, jüdi- sche und vor allem christliche Quellen hat. Dieses Men- schenbild bestimmt sich über dem Begriff der Würde, die absolut ist. Wer diesen Absolutheitsanspruch versagt, muss wissen, dass er damit Dritten eine Verfügungsvoll- macht zubilligt, die das Ende der Selbstbestimmung ei- nes Menschen bedeutet. Die Würde des Menschen ist vor jeder Einschränkung zu schützen, und zwar unabhängig von seiner augen- blicklichen Verfassung. Sie ist unantastbar. Damit sind auch der eigenen Gestaltungsmacht Grenzen gesetzt. In diesem Punkt unterscheiden sich unsere Vorstellungen also fundamental von denen, die in dem hier vorliegen- den Antrag zutage treten. Der Natur ihr Recht zu belassen, verlangt den Ver- zicht auf sterbebeschleunigende Maßnahmen und gebie- tet umgekehrt nicht den Einsatz einer lebensverlängern- den Maßnahme um jeden Preis. Wenn aus Lebensschutz Lebenspflicht wird, ist eine Radikalisierung der Forde- rungen hin zu einer Zulassung der aktiven Sterbehilfe Tür und Tor geöffnet. Die Schlussfolgerung hieraus ist unter einem christli- chen Menschenbild ein unmissverständliches Verbot der aktiven Sterbehilfe. Passive Sterbehilfe hingegen, die hinzielt auf ein menschenwürdiges Sterbenlassen, ist er- laubt und vielleicht sogar in einer größeren Zahl von Fäl- len geboten. Wenn nun die Frage gestellt wird, wer entscheidet, was zu tun oder zu lassen ist, dann steht sicherlich der Wille des Patienten im Vordergrund, begleitet von dem 4160 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Arzt. Gesetzgebung und Rechtssprechung haben hierbei einen Rahmen zu setzen, innerhalb dessen eine Entschei- dung zu treffen ist. Letztendlich fließen jedoch zahllose Einzelgesichtspunkte in die Entscheidungen ein, die ein kluges und bedachtes Urteil erfordern. Eine komplette Verrechtlichung dort vorzunehmen, wo der Mensch dem Gang der Natur folgend die Grenze zwischen Leben und Tod überschreitet, bringt uns keiner Lösung näher. Es ist nicht Aufgabe des Staates und der Politik, Antworten auf die letzten Fragen menschlicher Existenz zu geben. Krankheit, Sterben und Tod sind für jede menschliche Ordnung unverfügbar. Aufgabe des Staates ist es aber, die Bedingungen und Chancen für ein menschenwürdiges Leben und Sterben zu schaffen: für ein Gesundheitssystem, das alle Fortschritte der Medizin bis hin zur Minimierung des Schmerzes allen Mitglie- dern der Gesellschaft öffnet, sowie eine Ordnung, die den Schutz auch der hilflosen Mitglieder der Gesell- schaft bis zuletzt garantiert. Die Erfahrungen in der Palliativmedizin und der Hos- pizbewegung sind in dieser Situation gleich; kein Schwerkranker will sterben, wenn seine Schmerzen und andere Symptome kontrolliert sind und er als Mensch angenommen ist. Der elementare Lebenswunsch der Schwerkranken muss Wegweiser für die flächende- ckende Ausweitung der Palliativmedizin und Hospizbe- wegung wie auch der qualifizierten Aus- und Weiterbil- dung der dort tätigen Menschen sein. Wenn der Wille des Patienten – ich denke, darüber sind wir uns einig – Maßstab des Handelns sein soll, dann findet er in der so genannten Patientenverfügung in Fällen fehlender Entscheidungsfähigkeit seine Rechtfer- tigung in unserer Verfassung als Ausdruck der Selbstbe- stimmung. Da noch keine verbindlichen Fraktionsmeinungen vorliegen, erscheint es mir sinnvoll, im Folgenden noch einmal die Problemfelder zu umreißen und die noch of- fenen Fragen ansprechen, die grundsätzlich hinsichtlich der Verbindlichkeit, der Wirksamkeitsvoraussetzungen, der Umsetzung und der Beteiligung des Vormund- schaftsgerichts bestehen. Im Konsens, dass die Basisversorgung – Ernährung und Körperpflege – nicht zur Disposition stehen darf, findet die Verbindlichkeit der Patientenverfügung ihre Grenze im geltenden Recht, das durch das schon ange- sprochene BGH-Urteil präzisiert worden ist: Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 12. März 2003 deutlich gemacht, dass lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahmen bei einem Patienten unterbleiben müssen, wenn dieser einwilligungsunfähig ist, sein Grundleiden einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen hat und er zuvor seinen entsprechenden Willen – etwa in Form einer Patientenverfügung – deutlich geäußert hat. In diesem Zusammenhang ist genau zu prüfen, wie mit weiteren Krankheitsbildern wie zum Beispiel der fortge- schrittenen Demenz und mit Wachkomapatienten umzu- gehen ist. Möglichen Missbrauchsgefahren kann durch erhöhte Qualitätskriterien, also Schriftform der Patientenverfü- gung und Informationspflichten einerseits sowie entspre- chende Verfahrensvorschriften andererseits – obligatori- sche Beteiligung des Vormundschaftsgerichts und des Konsils – begegnet werden. Es ist erfreulich, dass bezüg- lich des Schriftformerfordernisses der Patientenverfü- gung inzwischen allgemeiner Konsens besteht. Wün- schenswert wäre auch, eine vorgeschaltete Beratungspflicht und eine regelmäßige Aktualisierung als zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung festzuschrei- ben. Ein Konsil sollte in allen Fällen verbindlich festge- schrieben werden, wobei in diesem Zusammenhang das Erfordernis der weiteren Einschaltung des Vormund- schaftsgerichts im Einzelnen geprüft werden sollte. Eine vormundschaftsgerichtliche Entscheidung sollte nur dann erforderlich sein, wenn eine verbindliche Patien- tenverfügung nicht vorliegt und ein Konsens im Konsil nicht erzielt werden kann. Diese Differenzierung ist ge- rechtfertigt, wenn für die Patientenverfügung ein hoher Qualitätsstandard gefordert wird, was zu begrüßen wäre. Es ist unsere Aufgabe – ebenso wie bei der Vorsorge- vollmacht –, bei den Menschen dafür zu werben, dass sie sich für eine qualifizierte Patientenverfügung entschei- den und damit selbst bestimmen, wie sie für sich die Phase ihres Lebensendes gestalten wollen. Die Tatsache, dass nach Schätzung der Deutschen Hospizstiftung schon 2003 circa 7 Millionen Menschen eine Patienten- verfügung verfasst hatten und die Diskussion der ver- gangenen Jahre die Menschen zusätzlich für dieses Thema sensibilisiert hat, unterstreicht, dass wir die dazu notwendigen rechtlichen Kriterien dringend verbindlich regeln müssen. Zum Leben gehört das Sterben in Würde im Kreis der Familie. Der fortschreitenden Entsozialisierung des Ster- bens muss entgegen getreten werden. Sterben ist nicht nur ein körperlicher Prozess, er hat auch eine seelische, soziale, familiäre und geschichtliche Dimension. Der Fortschritt der Medizin ist dankenswerterweise rasant, kann und darf aber nicht zu einem unwürdigen Sterben führen. Hoffen wir also, dass dieses Haus schon bald in einem breiten Konsens die Rechtsgrundlage hierfür schafft. Markus Grübel (CDU/CSU): Lassen sie mich zwei Gesichtspunkte zum Antrag der FDP „Patientenverfü- gungen neu regeln“ ansprechen: erstens eine formale Be- trachtung, zweitens eine inhaltliche Betrachtung. Zur formalen Seite: Der Antrag ist gestellt von einzel- nen Abgeordneten der FDP und der Fraktion der FDP. Bei ethisch-rechtlichen Fragestellungen kann man aus unterschiedlicher Überzeugung und unterschiedlichen Werteordnungen zu unterschiedlichen Ergebnissen kom- men. Für unterschiedliche Auffassungen gibt es auch bei der Frage der Patientenverfügung durchaus gute Gründe. Jeder Abgeordnete soll dann frei nach seinem Gewissen entscheiden. So haben wir es beim § 218 StGB, beim Transplantationsgesetz und beim Stammzellengesetz gemacht. So wollen wir es auch bei den Patientenverfü- gungen machen. Bei der FDP gibt es offensichtlich ein Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4161 (A) (C) (B) (D) kollektives Fraktionsgewissen. Das halte ich für bemer- kenswert und sehr bedenklich. Der Antrag der FDP ist darauf gerichtet, dass die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorlegt. Dies ist aber überhaupt nicht der Wunsch der Mehrheit des Hau- ses. Mit dem Entwurf für ein 3. Betreuungsrechtsände- rungsgesetz wurde vom BMJ ein solcher Gesetzentwurf erarbeitet und nach massiver Kritik wieder zurückgezo- gen. Eine Mehrheit in diesem Hause ist der Ansicht, dass es Gesetzentwürfe aus der Mitte des Parlaments geben sollte. Dies werden wohl fraktionsübergreifende Grup- penanträge sein. Und das ist auch richtig so. Im Herbst 2006 soll in den Fraktionen dazu der Abstimmungspro- zess erfolgen. Eine Neuregelung könnte dann im Som- mer 2007 in Kraft treten. Zur inhaltlichen Seite: Die FDP macht das Selbstbe- stimmungsrecht zum alleinigen Maßstab der Entschei- dung. Sie wägt dabei die verschiedenen Verfassungs- werte: – Selbstbestimmung, Lebensschutz und ein Tötungstabu und die Menschenwürde – nicht angemes- sen gegeneinander ab. Für den Widerstreit dieser ver- schiedenen Verfassungswerte ist vom Gesetzgeber ein möglichst schonender Ausgleich zu finden. Die FDP hat auch nicht richtig abgewogen, wie sich der aktuelle vom vorausverfügten Willen, der konkrete vom abstrakten Willen und die reale Entscheidung von einer theoreti- schen Entscheidung voneinander unterscheiden. Jedenfalls komme ich für meinen Teil zum Ergebnis, dass eine Abwägung zu einer Patientenverfügung führt, deren Reichweite begrenzt ist – wie von der Enquete- Kommission des Bundestages vorgeschlagen – und die möglicherweise eine besondere Regelung für das über sehr lange Zeit stabile Wachkoma, wenn trotz Ausschöp- fung aller medizinischen Möglichkeiten das Bewusstsein niemals wiedererlangt werden kann, vorsieht, und zwar wie in den Überlegungen der EKD unter dem Titel „Ster- ben hat seine Zeit“ dargestellt. Darüber werden wir noch ausführlich diskutieren. Es gibt auch große Übereinstimmung im Parlament: Wir wollen die bestehende Rechtsunsicherheit durch eine Änderung im Zivilrecht beenden, den Menschen die Sorge vor einer Übertherapie nehmen und Verbesserun- gen im Bereich der Hospizarbeit und palliativmedizini- schen Versorgung erreichen. Daran wollen wir gemein- sam arbeiten. Christoph Strässer (SPD): In diesem Monat ist bei unseren Nachbarn in Österreich das neue Gesetz zur Pa- tientenverfügung in Kraft getreten. Mit den Stimmen der Regierungskoalition sowie der Grünen beschloss der Na- tionalrat im März, dass Patienten schriftlich festlegen können, welche medizinischen Maßnahmen sie am Le- bensende wünschen. Lebensverkürzende Maßnahmen im Sinne dessen, was wir als aktive Sterbehilfe bezeich- nen, bleiben verboten. Die Sozialdemokraten dort stimmten gegen das Gesetz, weil es für sie zu strenge Formvorschriften enthalte. Das Gesetz verlangt nämlich zur Wirksamkeit der Pa- tientenverfügung unter anderem: eine medizinische Pflichtberatung, eine schriftliche Abfassung beim Notar oder Rechtsanwalt und eine Erneuerung der Willenser- klärung alle fünf Jahre. Auch in Deutschland findet bereits seit einiger Zeit eine breite gesellschaftliche Diskussion statt. Am Ende der letzten Legislaturperiode waren interfraktionelle Verhandlungen für einen Gesetzentwurf schon weit fort- geschritten, konnten aber aus den bekannten Gründen nicht mehr zum Abschluss gebracht werden. Vorberei- tungen für einen geordneten und verantwortungsbewuss- ten Diskussions- und Entscheidungsprozess sind, wie Sie wissen, im Gange. Das ist auch wichtig, denn das Thema bewegt die Menschen. Das habe ich nicht zuletzt in zahlreichen Veranstaltungen in meinem Wahlkreis Münster und darüber hinaus festgestellt. Diskussionen zur Patientenverfügung gehörten immer nicht nur zu den am besten besuchten Veranstaltungen, sie ergaben auch immer leidenschaftliche, aber auch sehr sachliche Ausei- nandersetzungen um dieses hochsensible Thema. In den letzten Jahren ist in diese Frage große Bewe- gung gekommen. Demografische und gesellschaftliche Veränderungen auf der einen sowie der medizinische Fortschritt auf der anderen Seite haben dazu geführt, dass viele ältere, aber zunehmend auch junge Menschen sich mit dem Thema beschäftigen. Man schätzt, dass be- reits mehrere Millionen Menschen eine Patientenverfü- gung abgeschlossen haben. Im Zuge dieser Entwicklung hat auch der BGH die Patientenrechte in den letzten Jahren immer wieder ge- stärkt. Im Jahr 2003 hat er die Bedeutung der Patienten- verfügung hervorgehoben und als unmittelbar rechtsver- bindliche Willenserklärung gewertet. Im Jahr 2005 gab es einen weiteren Beschluss, in dem sich das Gericht ge- gen Zwangsbehandlungen ausgesprochen hat. Letztlich sind aber auch in all diesen Entscheidungen wichtige Fragen offen geblieben, so die zentrale Frage nach der Reichweite einer Verfügung auch für den Fall, dass es sich nicht um einen Krankheitsverlauf handelt, der „in- faust“ ist, also irreversibel zum Tod führt. Es ist in der Gesellschaft ein Paradigmenwechsel zu beobachten: weg von einem medizinischen Paternalis- mus hin zu mehr Autonomie des Patienten. Es wächst das Bedürfnis der Menschen nach mehr Selbstbestim- mung – gerade auch nach Selbstbestimmung zum Ende des Lebens. Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten und Be- treuungsverfügungen können dabei wirksame Wege sein und – eine entsprechende rechtliche Absicherung vo- rausgesetzt – auch wertvolle Hilfestellung leisten. Das Interesse bei den Bürgerinnen und Bürgern da- nach ist groß. Die Unwissenheit und Unsicherheit aber auch. Viele Betroffene sind zu Recht verunsichert, weil sie nicht wissen, inwieweit ihre Verfügungen rechtsver- bindlich sind. Über 200 Leitfäden und Musterverfügun- gen tragen eher zur Verwirrung als zur Übersichtlichkeit und Klarheit bei. Viele haben die Befürchtung, dass sich Ärzte nicht an die Verfügung halten. Viele erliegen dem Glauben, Angehörige könnten ohne weiteres für sie ent- scheiden. 4162 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Im Hinblick auf die wachsende Zahl an Patientenver- fügungen besteht daher ein gesetzgeberischer Hand- lungsbedarf. Eine im Betreuungsrecht gesetzlich gere- gelte Patientenverfügung ist daher zu begrüßen. Sie stärkt die Rechte der Patienten und sorgt für ein größeres Maß an Rechtklarheit und Rechtssicherheit bei allen Be- teiligten. Ich denke, das ist das, was die Betroffenen von uns, dem Gesetzgeber, erwarten. Das sollten wir ihnen auch geben. Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, insofern bieten Ansätze aus Ihrem Antrag eine Diskussionsgrund- lage. Sie sind aber nicht neu und insbesondere meiner Meinung nach an den falschen Adressaten gerichtet. Wir haben uns in der letzten Legislaturperiode darauf ver- ständigt, dass nicht die Bundesregierung einen Gesetz- entwurf in das Gesetzgebungsverfahren einbringen wird, sondern aus den Fraktionen heraus eigene Gruppenan- träge in den Bundestag eingebracht werden sollten. Ich halte das für die richtige Vorgehensweise, richtig des- halb, weil sich die ethischen Grundlagen, um dies es geht, nicht an Partei- oder Fraktionsgrenzen festmachen lassen. Hier sind im wahrsten Sinne des Wortes „Gewis- sensentscheidungen“ erforderlich. Ansatzpunkte für der- artige Anträge bieten der Zwischenbericht der Enquete- kommission „Ethik und Recht in der modernen Medizin“ des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2004, die Stellungnahmen des Nationalen Ethikrates aus dem Jahr 2005 und die Vorarbeiten unserer Fraktionen, warum nicht auch die eine oder andere Entwicklung aus Österreich oder anderen Ländern die gesetzliche Rege- lungen gefunden haben. Inhaltlich möchte ich schon an dieser Stelle vorweg- nehmen, dass ich der Auffassung bin, dass die Patienten- verfügung erstens unbedingt schriftlich abgefasst sein muss. Der Schriftform kommt eine wichtige Beweis- und Schutzfunktion zu – für den Verfasser und für den behandelnden Arzt. Zweitens sollte auf weitere Wirksamkeitsvorausset- zungen verzichtet werden. Zahlreiche formale Hürden wie in Österreich schränken meiner Ansicht nach das Recht auf Selbstbestimmung des Einzelnen zu sehr ein, in jeder und für jede Phase des menschlichen Lebens steht das Prinzip der Menschenwürde und das Recht auf Selbstbestimmung, abgeleitet aus den Art. l und 2 unse- res Grundgesetzes, absolut im Vordergrund. Drittens. Die Reichweite der Verfügung sollte deshalb auch nicht beschränkt und damit dem Selbstbestim- mungsrecht aus Art. 2 GG keine Grenzen gesetzt wer- den. Viertens. Die Zuständigkeit des Vormundschaftsge- richtes sollte auf Konfliktfälle begrenzt werden. Fünftens. Neben diesen gesetzlich zu regelnden Punk- ten empfehle ich jedem Betroffenen gleichwohl, vor dem Aufsetzen einer Patientenverfügung, ein ärztliches Aufklärungsgespräch zu suchen sowie die Patientenver- fügung möglichst umfassend und konkret abzufassen und regelmäßig zu aktualisieren. Ich weise aber ausdrücklich daraufhin, dass dies mei- ner Meinung nach keine Wirksamkeitsvoraussetzungen sein sollten. Zum Abschluss ist es mir wichtig, darauf hinzuwei- sen, dass die Patientenverfugung aber nicht nur isoliert unter dem Aspekt der Lebensverkürzung betrachtet wer- den sollte. Das erlebe ich immer wieder. Wir wollen kei- nen Beitrag zu einer Gesellschaft leisten, die den Alten und Kranken suggeriert, auf Behandlung verzichten zu müssen. Selbstverständlich kann eine Patientenverfügung auch dazu genutzt werden, festzulegen, dass alles medi- zinisch Mögliche für einen Patienten getan werden soll. Ohnehin ist die Patientenverfügung nur ein – wenn auch wichtiger – Baustein zur Sicherung der Würde und Selbstbestimmung der Patienten. Sie muss als Rechtsin- stitut eingebunden werden in Maßnahmen zur Sterbebe- gleitung und in ein stärker ausgebautes Netz von pallia- tivmedizinischen und hospizlichen Maßnahmen. Vor allem müssen diese Möglichkeiten durch Aufklä- rungskampagnen einer breiten Öffentlichkeit näher ge- bracht werden. Nur so können die verschiedenen Bau- steine auch ihre gewünschte Wirkung entfalten. Das sollten wir bei unseren Beratungen in dem demnächst anstehenden Gesetzgebungsprozess nicht vergessen. Joachim Stünker (SPD): Die FDP will mit ihrem Antrag eine Diskussion anstoßen, die längst im Gange ist. Das Thema steht auf unserer Agenda weit oben. Schon in den Koalitionsverhandlungen haben wir uns hiermit befasst und vereinbart, die Diskussion über eine gesetzliche Absicherung der Patientenverfügung fortzu- führen und abzuschließen. In der SPD-Fraktion haben wir kürzlich verabredet, dass Thema Patientenverfügung auf der Klausursitzung im Sommer dieses Jahres inten- siv zu behandeln. Am Antrag der FDP missfällt mir die Aufforderung an die Bundesregierung, einen Gesetzentwurf vorzule- gen. Der Weg über einen Regierungsentwurf ist meiner Ansicht nach nicht der richtige. Die Thematik ist mit ei- ner Vielzahl von ethischen Fragen verbunden, die vertre- tenen Positionen orientieren sich nicht an parteipoliti- schen Linien. In solchen Fällen sollten Gesetzentwürfe aus der Mitte des Bundestags eingebracht werden. Bei den vergleichbaren Diskussionen um § 218 StGB oder den Import embryonaler Stammzellen haben wir hiermit sehr gute Erfahrungen gemacht. In der Sache gehen die Vorstellungen der FDP in die richtige Richtung. Der Antrag entspricht in weiten Tei- len der Position der Arbeitsgruppe Rechtspolitik der SPD-Bundestagfraktion. Auch wir sind der Ansicht, dass eine Patientenverfügung nur bindend sein kann, wenn sie schriftlich abgefasst und unterschrieben ist. Auch die formfreie Widerrufbarkeit ist zweifelsohne geboten. Besonders begrüße ich, dass sich auch die FDP in der zentralen und übergeordneten Frage dagegen ausspricht, Patientenverfügungen nur für bestimmte Erkrankungen und Krankheitsstadien zuzulassen. Eine solche Reich- weitenbegrenzung wäre mit dem in Art. 2 Abs. 2 GG ge- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4163 (A) (C) (B) (D) schützten Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und dem in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verankerten allgemeinen Persönlichkeitsrecht nicht ver- einbar. Die geforderte „infauste Prognose“ würde zum Beispiel bedeuten, dass für den Fall eines dauerhaften, stabilen Wachkomas nicht vorab wirksam erklärt werden kann, dass eine künstliche Ernährung oder Beatmung einzustellen ist. Dies widerspräche dem Selbstbestim- mungsrecht. Zudem habe ich große Zweifel, ob es überhaupt mög- lich ist, einen tödlichen, nicht aufhaltbaren Verlauf mit hinreichender Sicherheit zu prognostizieren. Michael Kauch (FDP): In der letzten Wahlperiode hat sich die Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ ebenso wie der Nationale Ethikrat intensiv mit der Frage beschäftigt, wie durch Patienten- verfügungen die Selbstbestimmung nicht mehr einwilli- gungsfähiger Patienten bei der Entscheidung über Ein- leitung oder Abbruch medizinischer Maßnahmen gestärkt werden kann. Es wurde deutlich, dass hier sehr unterschiedliche Auffassungen im Parlament bestehen. Die FDP-Bundestagsfraktion hatte bereits in der letz- ten Wahlperiode einen Antrag in den Deutschen Bundes- tag eingebracht, um mehr Rechtssicherheit bei Patien- tenverfügungen zu schaffen. Diesen Antrag bringen wir jetzt erneut ins Parlament ein. Unser Ziel ist es, mit dieser ersten Lesung den Dis- kussionsprozess in dieser Wahlperiode zu eröffnen, um ausgehend von unserem Antrag in Gespräche mit Kolle- ginnen und Kollegen der anderen Fraktionen einzutre- ten. Am Ende dieser Gespräche soll ein Gesetzentwurf stehen, der von einer fraktionsübergreifenden Gruppe eingebracht wird. Um eines vorweg klarzustellen: Wir reden bei Patien- tenverfügungen eben nicht über aktive Sterbehilfe oder assistierten Suizid, wir reden nicht über das gezielte Tö- ten eines Menschen. Es geht auch nicht um die Verwei- gerung indizierter und gewünschter Behandlungen. Es geht nicht um Töten, sondern um Sterbenlassen. Es geht darum, der Natur ihren Lauf zu lassen, wenn der Patient das wünscht. Leitbild unseres Antrages ist das Bild eines Men- schen, der über sein Leben auch in existenziellen Fragen so weit wie möglich selbst entscheiden kann und soll, ein Menschenbild, das der Selbstbestimmung Vorrang vor anderen Überlegungen Dritter gibt, und seien sie noch so fürsorglich motiviert. Das ist die eigentliche po- litische Trennlinie zwischen den Lagern in dieser Dis- kussion: die Trennlinie zwischen fürsorglichem Paterna- lismus, der Zwangsbehandlungen in Kauf nimmt, und dem Vertrauen auf die Kraft und die Urteilsfähigkeit des einzelnen Menschen. Um es klar zu sagen: Wir haben keine naive Vorstel- lung von einem autonomen Individuum. Natürlich ist der Mensch eingebunden in Beziehungen und auch in innere Zwänge. Gerade bei Patientenverfügungen kommt ein anderer Aspekt hinzu: Man trifft Entscheidungen für Szenarien in der Zukunft, die man nur bedingt abschät- zen kann. Der vorausverfügte Wille ist immer schwächer als der aktuell verfügte. Aber was ist die Alternative? Die Alternative ist Fremdbestimmung durch andere Menschen. Bei aller Relativierung des autonom handeln- den Menschen: Wir Liberale entscheiden uns dann – im Leben wie im Sterben – für die Selbstbestimmung. Die moderne Intensivmedizin hat bedeutende Mög- lichkeiten geschaffen, Leben zu retten und zu verlän- gern. Manche Menschen erleben das als Chance, andere lehnen bestimmte Behandlungen ab, weil sie diese als zu belastend erleben oder für unwürdig halten. Die Frage, ob eine lebensverlängernde Maßnahme als Geschenk oder als Qual empfunden wird, kann nur der einzelne Mensch für sich entscheiden. Jede medizinische Maßnahme – nicht der Verzicht darauf! – ist durch Einwilligung des Patienten zu recht- fertigen. Eine Zwangsbehandlung ist Körperverletzung, dem Arzt drohen strafrechtliche Konsequenzen. Dies gilt im Grundsatz auch für den nichteinwilligungsfähigen Patienten. Hier entscheidet der gesetzliche Vertreter. Eine Patientenverfügung kann ein Instrument sein, in ge- sunden Tagen zu formulieren, welche Therapien man in solchen Fällen wünscht oder ablehnt. Niemand muss eine Patientenverfügung abfassen. Jeder hat das Recht, auch existenzielle Entscheidungen seinem gesetzlichen Vertreter zu überlassen. Doch wer klar weiß, was er wann wünscht, ablehnt oder begrenzt sehen will, dessen Verfügung muss geachtet werden. Die FDP will deshalb die rechtliche Verbindlichkeit von Patientenverfügungen stärken. Patienten brauchen Rechtssicherheit darüber, dass sich Ärzte und Betreuer nicht über ihren im Voraus verfassten Willen hinwegset- zen können, wenn sie am schwächsten sind, weil sie kommunikationsunfähig sind und sich nicht mehr gegen nicht gewünschte Behandlungen wehren können. Das Recht zur Selbstbestimmung über den eigenen Körper gehört zum Kernbereich der durch das Grundge- setz geschützten Würde und Freiheit des Menschen. Für die FDP kommt daher eine Begrenzung der Reichweite von Patientenverfügungen nicht infrage. Eine strikte Be- grenzung der Reichweite auf einen „trotz Behandlung ir- reversibel tödlichen Verlauf“, wie sie die Mehrheit der Enquete-Kommission in der letzten Wahlperiode vorge- schlagen hatte, liefert Patientinnen und Patienten Zwangsbehandlungen gegen deren erklärten Willen aus. Denn diese Rechtsfigur macht Patientenrechte von einer ärztlichen Prognose abhängig, deren Verlässlichkeit nicht in allen Fällen garantiert werden kann. Vertreter einer strikten Reichweitenbegrenzung wie die Mehrheit der früheren Enquete-Kommission gehen für den Anwendungsfall des Wachkomas im Blick auf die Selbstbestimmung noch hinter die Rechtslage zu- rück. In den Behandlungsgrundsätzen der Bundesärzte- kammer wird erklärt, dass es sich nicht um Sterbende handelt und sie deshalb auch künstlich ernährt werden müssen. Allerdings schränkt die Bundesärztekammer ein: unter Beachtung ihres Willens. Diese Einschrän- kung ist wichtig. 4164 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Auch über religiös motivierte Behandlungsbeschrän- kungen setzen sich Vertreter einer strikten Reichweiten- begrenzung locker hinweg. Wenn ein Zeuge Jehovas verfügt, niemals eine Bluttransfusion zu wollen, auch wenn er deshalb sterben müsste, dann ist auch das zu achten. Man mag es persönlich für falsch oder tragisch halten, doch niemand hat das Recht, Menschenwürde, Selbstbestimmungsrecht und Religionsfreiheit durch Zwangsbehandlungen mit Füßen zu treten. Kernforderung der FDP ist es dagegen, dass Thera- piewünsche, Therapiebegrenzungen und Therapiever- bote durch eine Patientenverfügung für jeden Zeitpunkt eines Krankheitsverlaufes möglich sein müssen. Ledig- lich eine Basispflege darf aus Gründen der Menschen- würde nicht ausgeschlossen werden. Voraussetzung ist, dass die Patientenverfügung hinreichend klar formuliert und anwendbar ist, keine offenkundige, etwa nonverbale Willensänderung erkennbar ist und die Verfügung dem Patienten noch personal zurechenbar ist. Hieran wird man bei manchen Formen der Demenz Zweifel haben müssen. Hier ist dann – wie immer in Zweifelsfällen – pro vita zu entscheiden. Die FDP fordert darüber hinaus, dass eine Patienten- verfügung aus Gründen der Rechtssicherheit und Be- weiskraft schriftlich verfasst werden muss. Eine Ver- pflichtung zur regelmäßigen Aktualisierung der Patientenverfügung fordern wir nicht, da dabei die Ge- fahr besteht, dass Patienten infolge des Alters, fortge- schrittener Krankheit oder reiner Vergesslichkeit die Ak- tualisierung versäumen und ihr niedergelegter Wille unwirksam würde. Auch eine generelle Beratungspflicht würde unnötige Bürokratien und Hürden aufbauen. Dagegen setzen wir uns auch dafür ein, Angebote zur Beratung und Aufklärung über Heilungsmöglichkeiten und den Fortschritt der Leid mindernden Palliativmedi- zin flächendeckend auszubauen. Denn je aufgeklärter ein Mensch ist, desto selbstbestimmter kann er handeln. Darüber hinaus spricht sich die FDP dafür aus, die Zuständigkeit des Vormundschaftsgerichts einzuschrän- ken. Nur im Konfliktfall zwischen dem behandelnden Arzt und dem gesetzlichen Vertreter ist das Vormund- schaftsgericht einzuschalten, wenn zuvor das behan- delnde Pflegepersonal und die nächsten Angehörigen an- gehört wurden. Eine Zuständigkeit des Gerichts ist regelmäßig dann gegeben, wenn keine schriftliche Pa- tientenverfügung vorliegt. Die regelmäßige Anrufung des Vormundschaftsgerichtes schafft nur vordergründig Rechtssicherheit. In Wahrheit werden durch die regelmä- ßige Einschaltung der Gerichte wichtige Entscheidungen unnötig hinausgezögert und an für diese Fragen oft nicht qualifizierte Richter delegiert. Die Verbindlichkeit und der Anwendungsbereich von Patientenverfügungen müssen in dieser Wahlperiode endlich neu geregelt werden. Deshalb muss jetzt das Par- lament handeln. Die FDP hat als einzige Fraktion einen Antrag zur Patientenverfügung eingebracht. Auf dieser Grundlage werden wir uns nun aktiv daran beteiligen, mit gleich gesinnten Kolleginnen und Kollegen einen Gruppen-Gesetzentwurf einzubringen. Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Über die Notwendigkeit einer rechtlichen Absicherung von Patientenverfügungen haben wir be- reits im letzten Jahr anlässlich des Zwischenberichts der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ diskutiert. In der damaligen Debatte wurde klar, dass es in jeder Fraktion mindestens zwei unter- schiedliche Auffassungen bezüglich der rechtlichen Ausgestaltung gibt, einige sich sogar ganz gegen eine rechtliche Normierung aussprechen. Wenn ich also heute meine Auffassung vortrage, so spreche ich zwar für ei- nen großen Teil meiner Fraktion, nicht aber für alle. Ich bin der Meinung, dass es trotz des BGH-Urteils von 2003, wonach Patientenverfügungen eine Verbind- lichkeit besitzen, einen rechtlichen Regelungsbedarf gibt, weil es zum einen eine große Unwissenheit und Unsicherheit unter den Ärzten über die derzeitige Rechtslage gibt. So glaubt nach einer Umfrage die Hälfte der befragten Ärzte, es sei aktive Sterbehilfe, wenn sie aufgrund des geäußerten Willens des Patienten oder der Patientin die künstliche Beatmung einstellen. Ein weiterer Grund: Dieses sensible Gebiet sollte nicht allein einer Klärung durch die Rechtsprechung vor- behalten bleiben, zumal diese in den letzten Jahren kei- neswegs einheitlich war. Denn: Auf der Strecke bleibt dabei das Selbstbestimmungsrecht eines Menschen über den eigenen Körper. Dieses Selbstbestimmungsrecht ist jedoch der Kern der Menschenwürde. Es ist das höchste unverletzliche und unveräußerliche Menschenrecht im Grundrechtskatalog und findet seine Grenze ausschließ- lich in den Rechten anderer. Es ist die Aufgabe des Staates, die Selbstbestimmung jedes Bürgers und jeder Bürgerin vor den Eingriffen an- derer zu schützen. Ein staatlicher Paternalismus, der den Menschen vor sich selbst schützen will, ist nur dann ge- rechtfertigt, wenn der Einzelne zur Selbstbestimmung nicht in der Lage ist. Das heißt aber auch, dass das Selbstbestimmungsrecht des Menschen über seinen Kör- per höher steht als die – sicherlich oft gut gemeinte – Schutzpflicht anderer für sein Leben. Darum hat auch niemand das Recht, gegen den Willen eines Menschen eine Behandlung durchzusetzen. Dabei ist klar: Durch die moderne Medizintechnik ist der Zeitpunkt und die Art des Sterbens zunehmend von medizinischen Entscheidungen bestimmt. Häufig kön- nen Menschen nur sterben, wenn auf Maßnahmen ver- zichtet, wenn eine Behandlung abgebrochen wird, wie es in 50 Prozent aller Todesfälle passiert. Durch diese Ent- scheidung entstehen viele ethische Probleme. Patienten- verfügungen und Vorsorgevollmachten sind eine wich- tige Hilfe für alle Beteiligten, die Entscheidung zu treffen, die dem Willen der Patientin oder des Patienten entsprechen. So weit herrschte schon vor einem Jahr Ei- nigkeit. Alle einwilligungsfähigen Menschen müssen also eine Patientenverfügung abschließen können. Natürlich kann sie nur dann umgesetzt werden, wenn die beschrie- bene Situation mit der konkreten übereinstimmt, wenn es keine Anzeichen einer Willensänderung gibt, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie unter äu- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4165 (A) (C) (B) (D) ßerem Druck entstanden ist und wenn keine aktive Ster- behilfe verlangt wird. Von einigen Kolleginnen und Kolleginnen wird nun gefordert, dass die Bindungswirkung einer solchen Ver- fügung begrenzt werden müsse. Sie plädieren dafür, dass die Patientenverfügung nur im Falle eines irreversibel tödlichen Verlaufs des Grundleidens Gültigkeit habe. Die Begrenzung der Reichweite auf Personen mit einer irreversibel tödlichen Krankheit lässt sich jedoch meines Erachtens nicht rechtfertigen. Sie wäre medizinisch pro- blematisch, weil es diesen medizinischen Begriff nicht gibt. Man müsste ansonsten eine Lebenserwartung fest- legen. Diese Begrenzung wäre aber auch ethisch unbe- gründet und verfassungsrechtlich unhaltbar. Denn: Wenn ein aktuell einwilligungsfähiger Mensch lebensverlän- gernde Maßnahmen ablehnen kann, muss dieser Wille auch geachtet werden, wenn er im Voraus für eine be- stimmte Situation geäußert wurde, in der keine Äuße- rungsfähigkeit mehr gegeben ist. Würde der Wille nur im Falle eines tödlichen Verlaufs des Leidens geachtet, bedeutete das im Umkehrschluss eine Zwangsbehand- lung. Und die ist verboten. Wir werden in den nächsten Monaten diese Debatte intensiv zu führen haben. Der Antrag der FDP bietet hierzu eine gute Grundlage. Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Entwürfe eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabever- fahren zwischen den Mitgliedstaaten der Euro- päischen Union (Europäisches Haftbefehlsge- setz – EuHbG) (Tagesordnungspunkt 14) Wolfgang Nešković (Die LINKE): Als das Bundes- verfassungsgericht am 18. Juli des vergangenen Jahres feststellte, dass der Patient „Europäisches Haftbefehls- gesetz“ an schweren Verfassungsmängeln krankte, da hat man das Gesetz rasch in den Operationssaal gescho- ben, um sich seiner Krankheit anzunehmen. Seitdem wurde der Teint des Patienten aufgefrischt, es wurden Vitaminspritzen verabreicht und eine Sauerstoffkur durchgeführt. Jetzt hat der Patient wieder einigermaßen rosige Wangen, aber die Ursache des Leidens wurde nicht behoben. Die Ursache des Leidens war dem Pa- tienten nämlich bereits mitgegeben, als er auf die Welt kam. Bereits der dem Europäischen Haftbefehlsgesetz zu- grunde liegende Rahmenbeschluss des Rates ist eine ernste Bedrohung für die Prinzipien der Würde und der Freiheit des Menschen. Es ist hoch fraglich, ob dieser Rahmenbeschluss überhaupt auf einer rechtmäßigen Legitimationsgrundlage erlassen wurde. Anstelle eines Rahmenbeschlusses wäre nämlich ein europäisches Übereinkommen erforderlich gewesen. Es ist weiterhin äußerst fraglich, ob die mit dem Rah- menbeschluss geschaffenen Eingriffe in die Freiheits- rechte der Bürger mit dem Legalitätsprinzip in Strafsa- chen vereinbar sind. Hier wird ein europäisches Strafrecht durch die Hintertür des Prozessrechtes einge- führt. Wer ein europäisches Strafrecht will, muss es so nennen und dafür Mehrheiten gewinnen. Eben diese ernsten Bedenken hatten auch die Richter des belgischen Verfassungsgerichtes, als sie sich am 13. Juli 2005 entschlossen, den EuGH im Vorabentschei- dungsverfahren zu ersuchen, den Rahmenbeschluss auf seine Nichtigkeit hin zu überprüfen. Ich meine, wir dür- fen ziemlich sicher davon ausgehen, dass die Richter am belgischen Verfassungsgericht kein Stück weniger juris- tisch gebildet und begabt sind als die Juristenmannschaft im Ministerium von Frau Zypries. Es wäre daher ange- bracht gewesen, vor der Erstellung endgültiger Neufas- sungsentwürfe zunächst einmal die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes abzuwarten. So aber wird der Deutsche Bundestag mit der Beratung eines Gesetzes befasst, dem schon in kurzer Zeit die Grundlage abhan- den kommen wird. Erteilen Sie diesen Gesetzesentwür- fen eine Absage! Lassen Sie die Heilbemühungen am Patienten „Haftbefehlsgesetz“ nicht zum Totentanz gera- ten! Doch nicht nur durch die europäische Brille betrach- tet sind die Entwürfe hoch bedenklich. Sie sind es – auch in ihrer aufgefrischten Form – mit Blick auf das deutsche Grundgesetz. Die für den neuen § 80 vorgesehene Ab- grenzung von Taten mit maßgeblichem Auslandbezug, maßgeblichem Innlandsbezug und Mischfällen ist kaum mehr als eine Ansammlung von Unbestimmtheiten. Im deutschen Verfassungsrecht haben wir eine sehr klare Formel: Je intensiver eine Maßnahme des Gesetz- gebers in Grundrechte eingreift, umso strenger sind die Anforderungen an die Bestimmtheit der Norm. Diesem einfachen Grundsatz wird der Entwurf nicht gerecht. Vielleicht liegt das daran, dass man sich für die Neufassungen darauf beschränkt hatte, die Empfehlun- gen des Bundesverfassungsgerichts aus dem Urteil trot- zig abzuschreiben, anstatt für die inhaltliche Umsetzung dieser Empfehlungen Sorge zu tragen. Und wenn man sich schon aufs Abschreiben verlegt, sollte man es sorgfältig tun: Das Bundesverfassungsgericht hatte zum Problem der gesicherten Rücküberstellung ausgeführt: Die bloße Zusage einer Rücküberstellung ist inso- weit unzureichend, weil damit noch nichts über die Möglichkeit der Strafverbüßung in Deutschland ge- sagt ist. Dennoch findet sich in den Neufassungen dieselbe ungenügende Formulierung wie schon im gerügten ers- ten Gesetz. In der Begründung der Gesetzesentwürfe werden wir dazu auf einen in der Zukunft erwarteten Rahmenbeschluss zur Vollstreckungshilfe auf europäi- scher Ebene verwiesen. Der soll dann klären, was heute ungeklärt bleibt. Das ist befristeter Verfassungsbruch mit unsicherem Fristablauf und keine Behebung des vom Verfassungsgericht gerügten Misstandes. Des Weiteren 4166 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) verschlechtern die Neufassungen die Rechtslage der in Deutschland lebenden Ausländer, ohne dass es dafür überhaupt eine Aufforderung vom Verfassungsgericht gab. Während der alte § 80 Abs. 3 für alle Ausländer, die sich in Deutschland rechtmäßig aufhalten, dieselben Schutzkriterien wie für Deutsche bereithielt, beschränkte der neuere § 80 Abs. 4 diesen Schutz auf die sehr viel kleinere Gruppe der Ausländer, die in familiärer oder in Lebensgemeinschaft mit Deutschen leben. Im neuesten Änderungsvorschlag des Justizministeriums ist dann selbst dieser zwingende Schutz gestrichen und durch eine fakultative Regelung ersetzt worden. Ich finde es unerträglich, dass Menschen, die Sitte und Recht dieses Landes achten, die hier Steuern zahlen, nicht auch in den Genuss des üblichen Auslieferungsschutzes hinein ge- nommen werden sollen. Schließlich ist der vom Bundes- verfassungsgericht geforderte Rechtsschutz nicht verwirk- licht worden. Das Festhalten am zweistufigen Verfahren und die nur eingeschränkt übertragene Ermessenskon- trolle an die Oberlandesgerichte sind den Maßstäben ei- nes Rechtstaates schlicht unwürdig. Ich bin ohne Mitleid für den sprichwörtlichen Patien- ten „Haftbefehlsgesetz“, denn ich sorge mich um die wirklichen Menschen, die dieses Gesetz betreffen soll. Ich meine, dass die Menschen im Land sicher sein, müs- sen, dass die Prinzipien des Rechtsstaates auch auf euro- päischer Ebene gewahrt werden. Ich hoffe daher, dass der Europäische Gerichtshof den zugrunde liegenden Rahmenbeschluss samt seiner Ausführungsgesetze end- lich beerdigen wird. Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Einbürgerung er- leichtern – Ausgrenzungen ausschließen (Tages- ordnungspunkt 15) Hans-Werner Kammer (CDU/CSU): Die Linke for- dert in ihrem Antrag unter anderem: Menschen, die seit mindestens fünf Jahren in Deutschland sind, die deut- sche Staatsangehörigkeit zu verleihen; die doppelte Staatsbürgerschaft wieder einzuführen; auf das Bekennt- nis zu unserer Verfassung und ausreichende Sprach- kenntnisse als Voraussetzungen für den Erwerb der Staatsbürgerschaft zu verzichten; die Pflichtteilnahme an entsprechenden Kursen abzuschaffen. Dieser Antrag ist ein weiterer Beleg für den Realitäts- verlust der sozialistischen Linken in Deutschland. Allein schon einen Einbürgerungsanspruch nach fünfjährigem Aufenthalt in Deutschland, unabhängig vom Aufent- haltstitel, zu fordern, geht an der Realität vorbei. Sie ha- ben wohl das WM-Motto: „Die Welt zu Gast bei Freun- den“ fehlinterpretiert. Nach Ihrem Antrag soll es in Zukunft ausreichen, dass Menschen, die sich in Deutsch- land möglicherweise illegal aufhalten und damit auch den Lebensmittelpunkt hier haben, nur noch fünf Jahre aussitzen müssen, um Deutsche zu werden. Die An- nahme, dass jeder, dem wir einen deutschen Pass geben, sich automatisch integriert, ist ein Trugschluss. Die Ein- bürgerung eines ausländischen Mitbürgers kann nur das Ergebnis einer erfolgreichen Integration sein und nicht der Anstoß. Die Einbürgerungsurkunde muss doch die Perspektive, ja der Anreiz sein, auf die sich alle Integra- tionsbemühungen der hier lebenden Ausländer richten. Wenn wir diesen Anreiz wegnehmen, dann können wir keinen Integrationswillen mehr erwarten. Dies hat nichts mit Diskriminierung zu tun. Dieses sehen auch die deutschen Landkreise und Kommunen so, welche vor Ort mit der gesellschaftli- chen Aufgabe Integration zu tun haben. Und ich möchte Frau Pau sehen, wie sie ihren Kommunalpolitikern in Marzahn erklärt, dass in Zukunft nur noch Abwarten reicht, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen. Zumal doch gerade dort, wo die Linkspartei stark ist, die Äußerung des Kollegen Lafontaine „Deutscher ist nach meinem Verständnis nur, wer sich an der Gemeinschaft beteiligt“ auf großen Zuspruch gestoßen ist. Von jedem Bürger in unserem Land erwarten wir, dass er sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennt, deshalb ist es nur recht, dass wir dies auch von den Men- schen einfordern, die Deutsche werden wollen. Mir ist jedoch klar, dass eine Partei, welche in Teilen vom Ver- fassungsschutz beobachtet wird, natürlich ein grundsätz- liches Problem mit unserer Verfassung hat. Es muss gestattet sein, die Ernsthaftigkeit eines Be- kenntnisses zu unseren Werten und dem Grundgesetz zu prüfen. Auf die Einführung von Mehrfachstaatsbürger- schaften möchte ich in diesem Zusammenhang nicht nä- her eingehen. Die Linke fordert in ihrem Antrag die Ab- schaffung von verpflichtenden Integrationskursen und von Mindeststandards bei den sprachlichen Fähigkeiten. So erschweren sie es nicht nur unserer Gesellschaft, ihre Integrationsleistung gegenüber den Migranten zu er- bringen. Sie behindern auch die Anstrengungen der aus- ländischen Mitbürger, die sich redlich bemühen, sich in die Gesellschaft zu integrieren, indem Sie auf eine Stufe mit denen stellen, die sich der Integration bisher erfolg- reich verweigern. Wie in der Sozialpolitik muss auch in der Integra- tionspolitik „Fördern und fordern“ die Maxime sein. Es besteht kein Zweifel daran, dass ausländische Mitbürger in Deutschland willkommen sind, dazu gehört aber auch, dass jeder seinen Beitrag zu einer erfolgreichen Integra- tion leistet. Ziel muss es sein, zu einer Vereinbarung zwi- schen Gesellschaft und Migranten zu kommen: Die Mi- granten bemühen sich ihrerseits um eine Integration und halten sich an die Spielregeln, Politik und Gesellschaft setzen dafür die Rahmenbedingungen. Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, zu der alle Betei- ligten ihren Beitrag zu leisten haben. Mit Schaffung vernünftiger Rahmenbedingungen müssen wir den hier lebenden Ausländern vernünftige Wege in unsere Gesellschaft eröffnen. Dazu werden wir die bestehenden Angebote kontinuierlich erweitern und verbessern müssen. Voraussetzung für die Teilhabe an dem gesellschaftlichen Leben ist vor allem die Beherr- schung der deutschen Sprache, aber nicht, wie von der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4167 (A) (C) (B) (D) Linken gefordert, auf dem Niveau der einfachen mündli- chen Verständigung. Der Weg aus der sozialen Isolation in Deutschland erfordert mehr als nur ein paar Brocken Deutsch. Migranten dürfen sich den Integrationskursen in Deutschland nicht verschließen. Erfolgreiche Integra- tion ist auch der Schlüssel für den sozialen Erfolg der hier lebenden Ausländer. Dazu gehört eine umfassende Bildung und Ausbildung, die neben den notwendigen Sprachkenntnissen den Betroffenen auch Kenntnisse über unseren Wertekanon, welcher seine Wurzeln in Christentum, Aufklärung und Humanismus hat, vermit- teln. Einbürgerungskurse können das am besten leisten. Deshalb müssen sie Pflicht für jeden Integrationswilli- gen sein. Verweigerungshaltungen sind diesbezüglich ganz klar und konsequent zu sanktionieren. Die Unionsfraktion wird nach dem Integrationsgipfel bei der Bundeskanzlerin am 14. Juli 2006, welcher unter Beteiligung von Migrantenvertretern stattfindet, einen nationalen Aktionsplan „Integration“ vorlegen. Durch die Festlegung gemeinsamer Ziele und eines Zeitplanes sollen sich nach der Vorstellung meiner Fraktion Bund, Länder, Kommunen und die gesellschaftlich relevanten Gruppen über einheitliche Maßnahmen und Zuständig- keiten bei dieser gesellschaftlichen Mammutaufgabe verständigen. Die Grundlage dafür kann nur lauten: Deutschland setzt die Rahmenbedingungen und die Ein- bürgerungswilligen bemühen sich um die Integration. Wir brauchen eine Zuwanderungs- und Integrations- politik, welche auch an den Interessen unserer Bevölke- rung ausgerichtet ist und vor allem der Situation unserer sozialen Sicherungssysteme Rechnung trägt. Zuwande- rung in einem sozial verträglichen Maße schützt letzten Endes auch die Migrantinnen und Migranten, die sich er- folgreich in unsere Gesellschaft integrieren oder sich be- reits integriert haben. Die CDU/CSU-Fraktion stellt sich der Herausforderung Integration und wird die entspre- chenden Rahmenbedingungen dafür schaffen. Dies darf aber keine Einbahnstraße sein. Wenn wir keine Pariser Verhältnisse wollen, sind wir auf die Mithilfe und die Bereitschaft der hier lebenden Migrantinnen und Mi- granten, sich zu integrieren, angewiesen. Rüdiger Veit (SPD): Auch wenn in den zugrunde liegenden Feststellungen und in der Begründung des An- trags aus meiner Sicht einige durchaus richtige Elemente enthalten sind, kann ich für die SPD-Fraktion weder jetzt noch nach den zu erwartenden Beratungen im Innenaus- schuss die Zustimmung in Aussicht stellen. In der Tat ist es leider richtig, dass die Anzahl der Einbürgerungen – sicherlich aufgrund ganz unterschied- licher Ursachen – im Ergebnis in den letzten Jahren wie- der deutlich zurückgegangen ist auf einen Wert, wie wir ihn Anfang der 90er-Jahre, also vor In-Kraft-Treten der Staatsangehörigkeitsreform am 1. Januar 2000, verzeich- net haben. Völlig richtig hat der Bundestagspräsident Norbert Lammert ausweislich der „Frankfurter Allge- meinen Zeitung“ vom 28. Juni 2006 und damit ganz ak- tuell, am Tag zuvor bei der Verleihung des Nationalprei- ses 2006 an die Herbert-Hoover-Realschule in Berlin Folgendes festgestellt: ,,Deutschland hat nicht zu viel Einwanderung, sondern zu wenig Einbürgerung“. We- nige Länder seien so sehr auf Einwanderung angewiesen wie Deutschland, dessen vitales Interesse es sein müsse, dass die begabten türkischen Kinder von heute zur Elite von morgen heranwachsen könnten. In einer Zeit, in der wir das Ge- oder Misslingen von Integration bei uns intensiv diskutieren, setze ich aus meiner Sicht gerne hinzu: In aller Regel – die bekannt- lich natürlich auch Ausnahmen kennt – ist jede Einbür- gerung ein Erfolg der Integration in unsere Gesellschaft. Im Lichte dessen wird die SPD-Fraktion auch Koali- tionsverhandlungen zu den laufenden Gesetzgebungsver- fahren führen. Auch der Komplex des Staatsangehörig- keitsrechtes ist Teil der Beratungen zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union, auch wenn – wie die Antragssteller völlig richtig erkennen – eine etwaige Veränderung des Staatsbürgerschaftsrechtes mit der Um- setzung dieser Richtlinien nichts zu tun hat. So scheint es mir aber sachgerecht, die gesamte Materie des Auf- enthaltsgesetzes, des Staatsangehörigkeitsgesetzes und aller damit zusammenhängenden Gesetze zusammen mit der in der Koalitionsvereinbarung festgeschriebenen Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes vorzunehmen und – wie ebenfalls in der Koalitionsvereinbarung nieder- gelegt – hierbei auch drei weitere aus der Sicht der SPD- Fraktion notwendige Sachverhalte zu regeln: Ich meine eine Altfall-Bleiberechtsregelung für sich bereits lange Jahre in Deutschland aufhaltende ausländische Mitbür- gerinnen und Mitbürger, eine deutliche Verbesserung beim Übergang von Duldung, – insbesondere Kettendul- dung – hin zu Aufenthaltserlaubnissen, und den Kom- plex der Überprüfung einiger Rechtsvorschriften, die die rein humanitär motivierte Hilfe für in Deutschland ille- gal sich aufhaltende Menschen betreffen. Wir werden dabei auch die Anregungen und Vor- schläge der letzten Konferenz der Innenminister der Länder und des Bundes am 4. und 5. Mai dieses Jahres zum Thema der Einbürgerung in unsere Beratungen ein- beziehen; denn schließlich sind wir der Gesetzgeber und als solcher auch zu diesem Thema gefordert. Dabei muss allen klar sein, dass wir im Ergebnis einen tragfähigen Kompromiss zwischen den beiden die große Koalition tragenden Parteien finden müssen, und dies möglichst mit Wirkung auf die Länderseite, damit das entspre- chende Gesetz noch im Jahr 2006 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden kann, ohne dass auch noch ein langwieriges Vermittlungsverfahren mit dem Bundesrat benötigt wird. Sie sehen also, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch auf der Seite der Antragsteller: Der Ge- samtkomplex ist ebenso umfangreich wie vor dem Hintergrund manchmal durchaus unterschiedlicher Grundsatzvorstellungen zwischen den beiden Koalitions- parteien auch schwierig, aber wir wollen ihn gemeinsam bewältigen. Von daher versteht sich von selbst, dass wir – wie das auch schon bei anderen, auf das gleiche Thema abzielenden Anträgen der Oppositionsfraktionen der Fall war – nicht isolierte Regelungen hier im Parlament beschließen werden. Die Antragsteller sollten ihre 4168 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Überlegungen dann zum geeigneten Zeitpunkt in die Be- ratungen auch des Innenausschusses mit einfließen las- sen. Bestehen sie dagegen auf einer sofortigen Behand- lung und Abstimmung, werden wir vor dem Hintergrund der soeben angesprochenen Verhandlungen der Koali- tion zum Gesamtkomplex den Antrag ablehnen müssen. Lassen Sie mich aber abschließend in der Sache noch folgende Klarstellungen zu den Beschlüssen der letzten Innenministerkonferenz anbringen, zumal die Be- schlüsse nach ihrem Zustandekommen unterschiedlich interpretiert werden: Was die Frage der Sprachkenntnisse der Einbürge- rungsbewerber angeht, so sollen sie sich am Sprachni- veau B l lediglich orientieren, müssen aber nicht etwa in vollem Umfange, auch bis hin zum schriftlichen Test, nachgewiesen werden. Erreicht jemand allerdings dieses Sprachniveau B l in vollem Umfang, kann er nach den Vorstellungen auch der Innenminister bereits nach sechs Jahren – bisher zum Beispiel sieben statt acht Jahren – eingebürgert werden. Klar ist, dass zum Beispiel Einbür- gerungsbewerber, deren Behinderung, deren Alter oder auch deren Bildungsniveau einen derartigen Spracher- werb unmöglich machen, nicht allein deswegen an ei- nem Sprachtest in ihrem Einbürgerungsbegehren schei- tern dürfen. Mit dem Vorschlag der Innenministerkonferenz, Inte- grationskurse durch das BAMF ausarbeiten zu lassen und für Einbürgerungsbewerber anzubieten – mit der Notwendigkeit der Bestätigung erfolgreicher Teilnehmer durch die Kursträger – sind meines Erachtens die im Vorfeld der Konferenz nicht nur öffentlich, sondern auch schon im Parlament erörterten Tests wie der so genannte baden-württembergische Muslimtest oder der Wissens- und Wertetest aus Hessen – jedenfalls gegenwärtig – vom Tisch und bedürfen deswegen auch keiner weiteren Behandlung. Was die Grenze von Tagessätzen bzw. Freiheitsstrafe angeht – sind und bleiben Ausnahmen bei Überschrei- tungen im Einzelfall möglich –, ist zu beachten, dass diese Hürde nach den Vorstellungen der Innenminister auch für die so genannte Ermessenseinbürgerung gelten soll, wo bisher selbst die Verhängung einer wirklichen Bagatellstrafe oder eines Bußgeldes die Anwendung der Ermessensvorschrift zugunsten des Betroffenen hindert. Seien Sie der Tatsache versichert, dass wir gerade die- sem Punkt in den Koalitionsverhandlungen besondere Aufmerksamkeit schenken werden und dass es hier und heute nicht mein Anliegen ist, den Beschluss der Innen- ministerkonferenz in jedem Punkt zu verteidigen. Klar- heit über seinen möglichen Inhalt und seine Intension sollte damit aber trotzdem geschaffen sein. Was schließlich die Anregung bzw. das Begehren des Antrages der Fraktion Die Linke angeht, das gesamte Optionsmodell im Staatsbürgerschaftsrecht zu kippen, bevor es erstmals richtig angewandt wird, sind die Un- terschiede – hier brauchen wir gar nicht lange herumzu- reden – zwischen den Koalitionsfraktionen so erheblich, dass ich mir heute nicht vorstellen kann, wie dieser im Jahre 1999 schwer zustande gekommene Kompromiss unter Einbeziehung auch der Wünsche der FDP-beteilig- ten Landesregierungen heute schon wieder aufgekündigt werden könnte. Darum sollten wir hierauf auch nicht un- nötig Kraft verwenden, sondern uns auf die Dinge kon- zentrieren, die aktuell bewegt werden können. Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Die FDP unter- stützt die Forderung nach einem modernisierten Einbür- gerungsverfahren, aber nicht in der Art, die der Fraktion der Linken vorschwebt. Alle Menschen mit Lebensmit- telpunkt in Deutschland sollen nach Auffassung der Lin- ken alle sozialen und politischen Rechte in Anspruch nehmen können, einschließlich des Wahlrechts. Der Aufenthaltstitel ersetzt demnach das Einbürgerungsver- fahren. Selbstverständlich muss nach Auffassung der Linksfraktion keiner der so Eingebürgerten seinen Le- bensunterhalt selbst bestreiten; der Bezug von Sozial- leistungen soll die Einbürgerung nicht mehr behindern. Selbst Karl Marx wusste noch, dass ein Mehrwert, der verteilt werden soll, erst einmal verdient werden muss. Ich empfehle der Linkspartei diesbezüglich das Studium der Werke von Marx und Engels, die sicherlich mehr wirtschaftlichen Sachverstand besaßen als offenkundig die Vertreter der SED-Nachfolgepartei in diesem Hause. Ein darüber hinausgehender Blick in die Haushaltslage des Bundes, der Länder und Kommunen ist offensicht- lich ohnehin zu viel verlangt. Anspruch auf Sozialleistungen sollen nach Vorstel- lung der Linken alle Menschen erhalten, die einen Auf- enthalt in Deutschland erreichen können. Das soll aber nicht mehr so schwer sein, denn es muss nicht legal pas- sieren: der Linkspartei erscheint das Verweigern der deutschen Staatsangehörigkeit für Straftäter als unzu- mutbar. Nach dem Wunsch der Linken sollen auch Kri- minelle eingebürgert werden, die zu mehr als 180 Tages- sätzen verurteilt worden sind. Die Linke fordert die Einbürgerung jedes in Deutsch- land geborenen Menschen. Ich frage mich, ob damit jedes Kind von Eltern, die sich nur temporär in Deutsch- land aufhalten, automatisch eine von den Eltern viel- leicht gar nicht erwünschte Staatsangehörigkeit aufgenö- tigt werden soll. Die Linke scheint jedenfalls in der deutschen Staatsangehörigkeit kein wertvolles Gut zu sehen, wenn sie es möglichst ohne Hürden und Kosten zugänglich machen und sogar regelrecht aufnötigen will. Um den innergesellschaftlichen Zusammenhalt ma- chen sich die Linken keine Gedanken; deshalb reicht es ihnen, dass sich die Neubürger nur rudimentär mündlich verständigen können. Schon einigermaßen fließendes Deutsch oder gar schriftliches Sprachvermögen ist aus Sicht der Linken zu viel verlangt. Für eine sprachliche Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs, etwa durch die Lektüre von Zeitungen, ist eine solche Sprachkompetenz aber Voraussetzung. Die Demokratie lebt von solcher Teilhabe und damit vom Beherrschen der Landesspra- che. Es passt, dass die Linken den Einzubürgernden auch keine Teilnahme an Staatbürgerschaftskursen vorschrei- ben wollen. Die Frage nach der Einstellung zu unserer Verfas- sungsordnung erscheint den Linken konsequent als un- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4169 (A) (C) (B) (D) zumutbare Gesinnungsschnüffelei. Offenbar ist jeder Test und jede Frage für die Linken verknüpft mit einem Generalverdacht mangelnder Verfassungstreue. Warum fordern die Linken dann eigentlich nicht auch die Ab- schaffung aller auf die Vermittlung von Grundkenntnis- sen ausgerichteten Schul- und Universitätsprüfungen, weil dahinter der bösartige Generalverdacht stehe, jeder Prüfling sei dumm? Wir Liberalen haben uns gegenüber Fangfragen hinsichtlich der Gesinnung ausdrücklich ab- lehnend positioniert. Aber diese Logik der Linken kön- nen wir uns nicht zueigen machen. Die Linken legen in ihrer Antragsbegründung die Meinung dar, die gegenwärtige, dringend notwendige Integrationsdebatte in Deutschland sei „mit rassistischen Zügen“ behaftet, und unterstellen, der politisch grund- sätzlich legitimen Forderung nach Überprüfung des deutschen Ausländerrechts liege ein – Zitat Antragsbe- gründung – „völkisch“ fundiertes Staatsbürgerschafts- verständnis zugrunde. Das ist eine unglaubliche Wort- wahl. Der bei uns Liberalen nicht übermäßig beliebte CSU-Generalsekretär Söder wird mit dem Terminus „völkisch“ in den Verdacht von Rassismus gebracht. Diese Art der Verunglimpfung des politischen Gegners finde ich unerträglich. Die Linken zeigen mit ihrem Antrag deutlich, wes Geistes Kind sie sind. Seine Ziele sind klar: Sie wollen möglichst ungehemmte Einwanderung ohne Qualifizie- rung, sie wollen keinen gesellschaftlichen Diskurs, sie wollen möglichst massive gesellschaftliche Konflikte durch unbegrenzte Einbürgerung von Kriminellen. Die Linken wollen die komplette Aushöhlung des So- zialsystems durch uneingeschränkte Einbürgerung von Menschen, die nicht nur ihren eigenen Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten können, sondern auch nicht in der Lage sind, einen Beitrag zum solidarischen Sozialsystem zu leisten. Sie wollen, dass möglichst viele Menschen von staatlichen Alimenten abhängig sind. Sie wollen die Einbürgerung von Menschen, die in keiner Weise in dieser Gesellschaft Chancen haben kön- nen, nicht nur, weil sie mental, sprachlich und wirt- schaftlich auf diese Gesellschaft nicht vorbereitet sind, sondern weil sie möglichst auch nicht vorbereitet werden sollen. Das ist geradezu unmenschlich. Diesen Menschen wollen die Linken keine Jobs und keine Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs, wozu das Beherrschen der deutschen Sprache notwendig ist, ein- räumen. Dafür aber sollen sie das Wahlrecht erhalten: ein tolles Angebot! Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Linken tatsäch- lich so naiv sind, zu glauben, dass alle Probleme bei der Integration von Zuwanderern dadurch gelöst werden, dass man ihnen Wahlrecht und Staatsangehörigkeit ein- räumt und ansonsten so tut, als gäbe es keine Probleme. Ich bin sicher, dass ein Großteil der Menschen in die- sem Land etwas anderes will. Ich danke der Linken aus- drücklich, dass sie einen so offenherzigen Einblick in ihre Gesinnung gestattet hat, die im Hinblick auf ihre Verfassungstreue ganz offensichtlich problematisch ist. Sevim Dagdelan (DIE LINKE): In unserem Land le- ben heute über 15 Millionen Menschen, die einen Migra- tionshintergrund haben. Und ein Großteil von ihnen kann grundlegende Rechte nicht beanspruchen, weil sie keine Staatsbürger sind. Mit unserem Antrag wollen wir dieses Demokratiedefizit beseitigen. Wir wollen deutlich machen, dass der Schlüssel zur politischen Integration und Chancengleichheit in der rechtlichen Gleichstellung liegt. Diese Gleichberechtigung wiederum schaffen wir mit einem radikal vereinfachten und erleichterten Ein- bürgerungsverfahren. So gesehen ist die Einbürgerung nicht der krönende Abschluss des Integrationsprozesses, sondern gehört zu dessen Grundvoraussetzungen. Wir wissen, dass nicht alle diesen Leitgedanken fol- gen, sondern eher einer Abwehrhaltung. Stellvertretend dafür möchte ich Herrn Stoiber hinsichtlich der Kon- zepte von Einbürgerungstests zitieren: „Bayern will hier Druck machen, weil wir uns ge- nau anschauen und überprüfen sollten, wer dauer- haft zu uns kommt und Deutscher wird.“ Mit anderen Worten soll wieder unterschieden werden zwischen denen, die uns nützen, und denen, die uns aus- nützen. Ein Arbeiter, der nach 30 Jahren am Fließband arbeitslos wurde, wird samt seiner Familie nicht einge- bürgert. Aber wir diskutieren heute wieder über Neure- gelungen für die Zuwanderung von Hochqualifizierten, weil der Arbeitgeberverband den Bedarf anmeldet. Aus Afrika stammende Topstürmer sollen für die deutsche Nationalmannschaft die Tore schießen. Aber afrikani- sche Straßenfußballer bekommen nicht einmal das Vi- sum für ein Fußballturnier. Dieses Nützlichkeitsprinzip ist unmoralisch, verwerflich und inakzeptabel. Sind Sie nicht auch der Ansicht, dass wir im Jahre 2006, also im fünften Jahrzehnt der Migration in die Bundesrepublik, anders argumentieren sollten? Auch aus Ihren Reihen wird diese Frage nämlich bejaht. Der Inte- grationsminister in NRW, Herr Laschet, sagt zum Bei- spiel, dass wir mehr Einbürgerung brauchen, dass jede Einbürgerung ein Erfolg ist. Auch der Bundestagspräsi- dent, Herr Lammert, sagte noch vorgestern, dass wir zu wenige Einbürgerungen haben, und er hat dazu aufgeru- fen, verstärkt für Einbürgerungen zu werben. Doch Sie können so viel werben, wie Sie wollen. Mit der derzeitigen Einbürgerungsverhinderungspolitik wer- den Sie Einbürgerungen nicht fördern. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Einbürgerungsquote in Schweden oder den Niederlanden fast fünfmal höher ist als in Bay- ern oder Baden-Württemberg. Seit der Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes zum 1. Januar 2000 haben wir einen deutlichen Rückgang bei Einbürgerungen. Wenn wir die Voraussetzungen dafür weiter verschärfen, wie das auch von der IMK vor wenigen Wochen be- schlossen wurde, wird sich nichts daran ändern. Im Ge- genteil. Die soziale Situation wie zum Beispiel die Ar- beitsmarktlage, fehlende Angebote zum Spracherwerb werden in der Debatte ausgeblendet. Als wären ver- pflichtende Sprachkurse das Allheilmittel, werden fast alle Probleme auf Sprachdefizite verkürzt. Wer ange- sichts der stigmatisierenden Debatte heute noch den Mut aufbringt, die Einbürgerung zu beantragen, müsste nicht 4170 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) nur den deutschen Pass erhalten, sondern auch das Bun- desverdienstkreuz. Und der Integrationsgipfel lässt in dieser Hinsicht auch nichts Positives erwarten. Mit unserem Antrag wollen wir dagegensteuern und den Menschen in unserem Land signalisieren, dass Mi- grantinnen und Migranten gleichberechtigter Teil dieser Gesellschaft sind. Unsägliche Schuldzuweisungen von angeblicher Integrationsunwilligkeit oder fehlender Inte- grationsbereitschaft sind da nur Störsignale. Mit Ihren Generalverdächtigungen haben Sie in letzter Zeit großen Schaden angerichtet. Wir müssen wieder dafür sorgen, dass das Vertrauen in ein Zusammenleben in Frieden, Freundschaft und Solidarität stärker wird. Informations- kampagnen für Einbürgerungen, wie sie in Berlin bereits laufen und von der Landesregierung in Nordrhein-West- falen angekündigt wurden, sind unseres Erachtens Schritte in die richtige Richtung und deshalb Teil unse- res Antrages. Das ist der Weg, den wir gehen müssen, um die von Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, immer wieder beklagten Defi- zite bei der Integration wettzumachen. Abschließend ein paar Worte an Sie: Liebe Kollegin- nen und Kollegen von der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen, in Ihrem Fraktionsbeschluss vom 30. Mai, den ich in mancher Hinsicht kritisiere, fordern Sie im Rahmen des Integrations-Fahrplans die Weiterentwicklung der einbürgerungsrechtlichen Politik. Ich konnte mit Freude einige Übereinstimmungen in dieser Hinsicht feststellen. Sollten Sie unseren Antrag nicht unterstützen, könnte ich das jedenfalls nicht auf inhaltliche Bedenken zurückfüh- ren. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Eine demokratisch verfasste Gesellschaft kann auf Dauer nur funktionieren, wenn nicht große Bevölke- rungsteile von einer vollen Partizipation ausgeschlossen werden. Eine volle politische Teilhabe der Eingewander- ten bzw. hier geborenen Inländer mit ausländischem Pass ist aber nur über den Erwerb der deutschen Staats- angehörigkeit möglich. Einige Zahlen – nach Angaben des jüngsten Migra- tionsberichtes –, um die tatsächliche Größe des Pro- blems zu verdeutlichen: Erstens. In Deutschland leben rund 6,7 Millionen Ausländer. Zweitens. Ungefähr die Hälfte aller Migrantinnen und Migranten lebt seit mehr als zehn Jahren in Deutschland. 30 Prozent von diesen leben sogar schon 20 Jahre oder länger hier, 40 Prozent von ihnen seit mehr als 15 Jah- ren. Bei Ausländern aus den klassischen Anwerbestaa- ten, zum Beispiel Türkei, sind die Aufenthaltszeiten durchschnittlich noch länger. Drittens. Jährlich werden circa 100 000 ausländische Kinder geboren, bei deren Geburt in der Mehrzahl fest- steht, dass sie hier aufwachsen, zur Schule gehen, heira- ten und arbeiten werden. Dennoch sind sie rechtlich Ausländer. Diese Zahlen lassen nur einen Schluss zu: Der Erwerb der Staatsangehörigkeit muss weiter erleichtert werden. Zwar konnten wir 1999 ein neues Staatsangehörigkeits- recht verabschieden, dessen gefundener Kompromiss durch ein Vermittlungsausschussverfahren allerdings hinter den Zielen der grünen Bundestagsfraktion zurück- blieb. Insbesondere für die erste Einwanderergeneration hat- ten wir uns ein großzügigeres Angebot erhofft. Zumin- dest für diese Generation hätten wir uns die regelmäßige Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft gewünscht. Es blieb aber beim Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit. Wir konnten zwar die Ausnahmen er- weitern, aber ein wirklicher Brückenschlag zur ersten Generation ist das noch nicht. Dies ist damals an der FDP gescheitert. Die Bundestagsfraktion des Bündnisses 90/Die Grü- nen hat im Mai 2006 ein umfassendes Integrationskon- zept verabschiedet. Mit dem neuen Grundsatzpapier ent- wickeln wir unsere Integrationspolitik weiter. In diesem Papier plädieren wir für einen gesellschaftlichen Integra- tionsvertrag: Die aufnehmende Gesellschaft und die Mi- grantinnen und Migranten müssen sich unserer Überzeu- gung nach gemeinsam der großen Herausforderung der Integration stellen. Ein gesellschaftlicher Integrationsvertrag macht auch eine Weiterentwicklung in der Einbürgerungspolitik un- seres Landes notwendig. Erstens. Im Rahmen des Integrationsvertrages müssen die Fristen für Einbürgerungen verkürzt werden. Zweitens. Das Angebot an staatsbürgerlichen Kursen, in denen man sich auf eine Einbürgerung vorbereiten kann, muss ausgebaut werden. Diese Kurse sollten frei- willig sein. Sie sollten sowohl in die rechtliche und poli- tische Ordnung unserer Gesellschaft einführen, aber auch Hilfestellungen im täglichen Leben anbieten und auf Beratungsstellen verweisen, wie zum Beispiel für Frauen. Gesinnungsprüfungen bei Einbürgerungsverfah- ren sind nicht nur untauglich, sondern auch verfassungs- rechtlich unzulässig. Drittens. Einbürgerungsverfahren sollen zu einem re- präsentativen, dem Anlass angemessenen freudigen Er- eignis werden. Ein feierliches Gelöbnis oder ein Eid auf die Verfassung – wie von Teilen der Union gefordert – tragen aber dazu nichts bei. Ein solcher Akt könnte auch kaum rechtliche Folgen haben: Wann wäre ein solcher Eid gebrochen? Welche Konsequenzen sollten drohen, wenn – auch grundgesetzlich – niemand aufgrund eines staatlichen Akts durch Entzug der Staatsangehörigkeit in die Staatenlosigkeit geworfen werden darf? Auch wird Deutschen nicht abverlangt, einmal in ihrem Leben ei- nen Treueeid auf die Verfassung abzulegen. Viertens. Die Hinnahme von Mehrstaatigkeit wollen wir zumindest für Angehörige der ersten Generation der zugewanderten Migrantinnen und Migranten generell er- möglichen. Fünftens. Im Hinblick auf in Deutschland geborene deutsche Kinder, die neben ihrer deutschen Staatsange- hörigkeit eine zweite besitzen, widerspricht es dem An- satz des Integrationsvertrages, wenn sie später dazu ge- zwungen werden, gegebenenfalls ihren deutschen Pass Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4171 (A) (C) (B) (D) wieder abzugeben. Nach Ansicht von Bündnis 90/Die Grünen soll der Optionszwang für heranwachsende Mi- grantenkinder entfallen. Wir wollen, dass sich mehr Menschen für die Einbür- gerung entscheiden, weil sie sich mit dieser Gesellschaft und diesem Staat identifizieren. Wir wollen, dass der Tatsache Rechnung getragen wird, dass viele Migrantin- nen und Migranten hier seit Jahren leben und ihren Le- bensmittelpunkt haben. Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten (Tages- ordnungspunkt 18) Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/ CSU): Der Gesetzentwurf zur Stärkung der Rückgewin- nungshilfe und Vermögensabschöpfung bei Straftaten nimmt nicht für sich in Anspruch, ein großartiges Re- formwerk zu sein. Nein. Dieser Gesetzentwurf ist aber auch mehr als die Umsetzung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 14. Januar 2004. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass zwar beim einfachen Verfall § 73 StGB, nicht aber beim so genannten erweiterten Verfall § 73 d StGB Schaden- sersatzansprüche von Tatopfern Vorrang vor der straf- rechtlichen Gewinnabschöpfung haben. Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtes war, die strafprozessualen Vorschriften zur Rückgewinnungshilfe in §§ 111 b ff. StPO opferfreundlicher auszugestalten. Die Bundesre- gierung hätte sich somit mit einer geringfügigen Ergän- zung des § 73 d Abs. 1 StGB zufrieden geben können, um dem Prüfauftrag des Bundesverfassungsgerichtes ge- recht zu werden. Dabei darf man nicht verkennen, dass die Bundesregierung sich seit dem Jahr 1998 mit einer Änderung des Rechts der Vermögensabschöpfung und Rückgewinnungshilfe beschäftigt. Auch elegante Lösun- gen, die teilweise bei der Sachverständigenanhörung zur Änderung dieses Gesetzes angesprochen wurden, wur- den überlegt. Bis zu Ende gedacht wäre auch eine im materiellen Recht angesiedelte elegante Lösung in der gewünschten Kargheit kaum möglich gewesen. Dankenswerterweise hat das BMJ die für den Fach- mann schwer und für den Laien gar nicht verständlichen Vorschriften der StPO zur Rückgewinnungshilfe durch- forstet. So sind jetzt einige Verbesserungen für die Opfer von Straftaten vorgesehen. Zum Beispiel soll die Frist zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen für Opfer von drei Monaten auf drei Jahre verlängert werden (§ 111 i Abs. 3 StPO). Zusammen mit weiteren sinnvol- len Änderungen ist der § 111 i StPO allerdings zu einem juristischen Monstrum mit acht Absätzen mutiert. Und dennoch haben wir bei der Beratung des Gesetzentwur- fes weder die Geduld noch den Überblick verloren. In der Debatte wurden erwägenswerte Änderungs- wünsche vorgebracht. Kollege Dr. Danckert wollte die verlängerte Frist zur Geltendmachung von Schadener- satzansprüchen der Opfer an der Rechtskraft des Urteils festgemacht wissen. Das stieß bei Regierungsvertretern auf wenig Gegenliebe. Nicht anders war es bei meinem Ansinnen, für die Vermögenshaft die weitere Be- schwerde zuzulassen. Doch getreu dem Motto: „Wir sind der Gesetzgeber“ (Art. 77 Abs. 1 GG), haben Kollege Dr. Danckert und ich eine Phalanx gebildet und wir hat- ten Erfolg. Ihnen liegt ein überarbeiteter Entwurf vor: Fristbeginn ab Rechtskraft des Urteils! Weitere Be- schwerde gegen einen existenzbedrohenden Arrest in das Vermögen eines Beschuldigten! Insgesamt führt dieser Gesetzentwurf zu einer Stär- kung von Opferinteressen und einer Berücksichtigung von Belangen eines Beschuldigten, der nach Art. 6 Abs. 2 MRK als unschuldig zu gelten hat. Ein gutes Er- gebnis. Gern wären wir auch der Anregung der FDP nachge- kommen, beschlagnahmte Gelder, die Opfer nicht abrufen, statt im Wege des nachgelagerten Verfalls – Auffang- rechtserwerb – dem Staat zuzuweisen, opferschützenden Organisationen zur Verfügung zu stellen. Das stieß aber auf gesetzestechnische und fiskalische Bedenken. Hier haben wir uns – vorerst – auf einen Appell an die Länder beschränkt, einen angemessenen Teil der den Ländern aus dem Auffangrechtserwerb zufließenden Gelder Op- fer schützenden Organisationen zur Verfügung zu stel- len. Offen geblieben ist die ersatzlose Streichung der §§ 111 o und p StPO. Diese Vorschriften werden nicht mehr benötigt, seit das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 20. März 2002 die Vermögensstrafe nach § 43 a StGB für verfassungswidrig erklärt hat. Das soll- ten wir gelegentlich nachholen. Sie sehen also, alle Mitglieder des Rechtsausschusses haben sich redlich Mühe gegeben. Wir bitten diese Mühe mit Ihrer Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf zu ho- norieren. Dr. Peter Danckert (SPD): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verfolgt der Gesetzgeber zwei Ziele: Zum einen sollen finanziell geschädigte Opfer von Straftaten bei der Geltendmachung ihrer Ersatzansprüche im Ver- gleich zur bestehenden Rechtslage besser gestellt wer- den. Zum anderen soll das durch eine Straftat erlangte Vermögen dem Staat zufallen, wenn der durch eine Straftat Geschädigte seine Ansprüche nicht innerhalb ei- ner Dreijahresfrist verfolgt. Damit wollen wir das Signal geben: Straftaten lohnen sich nicht! Bereits die bisher einschlägigen Vorschriften des Strafgesetzbuches und der Strafprozessordnung sahen die Möglichkeit der Geltendmachung von Ansprüchen auf aus Straftaten erlangtes Vermögen durch die Geschä- digten vor. Es hat sich aber herausgestellt, dass noch ei- nige Regelungsdefizite bei der Umsetzung der Vorschrif- ten über die Rückgewinnungshilfe beim Verfall von Wertersatz bestehen. So kann nach geltendem Recht letztlich nicht ausgeschlossen werden, dass der durch eine Straftat erlangte Vermögensvorteil wieder an den Täter zurückfällt und Opfer bzw. der Staat leer ausgehen. 4172 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir dahin kommen, dass sich Straftaten nicht lohnen. Wir wollen die bestehenden Regelungslücken beseitigen und die strafrechtliche Vermögensabschöpfung verbessern – ohne das bisherige gesetzliche Regelungskonzept im Grundsatz zu verändern und bei möglichst geringem Aufwand für die Praxis. Dies erfordert punktuelle Ände- rungen bzw. Ergänzungen des geltenden Prozessrechts, die wir jetzt vorgenommen haben. Dies betrifft insbeson- dere § 73 Abs. l Satz 2 Strafgesetzbuch. Zur Diskussion stand hierbei eine materiell-rechtliche Lösung eines Auf- fangrechtserwerbs des Staates. Wir haben uns letztend- lich aber auf einen prozessualen Auffangrechtserwerb nach § 111 i StPO-E verständigt, die in unseren Augen die geeignetere Variante ist. Allenfalls kritisch anzumer- ken ist, dass die vorgeschlagenen Regelungen in § 111 i StPO-E ein wenig lang und umständlich geraten sind. Aber die komplexe Materie lässt leider keine andere Re- gelung zu. Als wir den Gesetzentwurf in erster Lesung am 10. März 2006 hier an dieser Stelle im Plenum beraten haben, habe ich mich bereits im Großen und Ganzen zu- frieden mit dem Entwurf gezeigt. Ich habe allerdings auf einen Punkt aufmerksam gemacht, den ich für verbesse- rungswürdig erachte, nämlich, dass der Beginn der Drei- jahresfrist an die Rechtskraft des Strafurteils anknüpft und nicht wie bisher an den Zeitpunkt der Verurteilung des Täters. Diese Notwendigkeit wurde auch von zahl- reichen Praktikern erkannt und gefordert. Ich freue mich daher, dass es uns im Laufe der Ausschussberatungen und in zahlreichen Gesprächen gelungen ist, in diesem Punkt eine Verbesserung herbeizuführen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, die Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen auf be- schlagnahmtes Vermögen auf drei Jahre auszudehnen. Das gibt den Geschädigten ausreichend Zeit, ihre An- sprüche geltend zu machen und Zwangsvollstreckungs- maßnahmen in das sichergestellte Vermögen zu betrei- ben. Allerdings habe ich mich von Anfang an dafür ausge- sprochen, dass die Rechtskraft der Zeitpunkt sein müsste, an dem für den Beginn der Frist angesetzt wird. Für den Geschädigten entstünde daraus kein Nachteil. Im Gegenteil: Es entsteht sogar ein Vorteil. Das Problem ist doch, dass es sehr häufig passiert, dass Urteile erster Instanz in Revision gehen, aufgehoben werden und wie- derverhandelt werden. Die Änderung trägt dem Aspekt Rechnung, dass erst mit der Rechtskraft des letzten tatrichterlichen Urteils das Erlangte verbindlich bezeichnet ist. Für den Geschä- digten ergibt sich daraus ein hohes Maß an Rechtssicher- heit. Ich bin sicher, dass wir mit dem vorliegenden Gesetz- entwurf jetzt das erreicht haben, was wir erreichen woll- ten, nämlich eine Verbesserung der Rechtslage der Ge- schädigten. Wir haben ferner sichergestellt, dass die Täter im Nachhinein nicht von ihren Straftaten profitie- ren. Auf einen Aspekt möchte ich an dieser Stelle aller- dings noch gerne hinweisen: auf das nach geltendem Recht bestehende Instrumentarium der vorläufigen Si- cherung von Vermögenswerten. In der Praxis führt dies häufig zu unbilligen und unangemessenen Folgen. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in zahlreichen Ent- scheidungen mit der Frage der vorläufigen Sicherungs- maßnahmen befasst, zuletzt am 29. Mai 2006. Denn im- mer wieder kommt es bei solchen Sicherstellungen zu Kontensperrungen oder Auszahlungsverboten, die die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Betroffenen stark einschränken und den Ruf des betroffenen Unterneh- mens schädigen. Bei Arbeitnehmern drohen sogar ar- beitsrechtliche Konsequenzen. Der Schaden, der daraus entsteht, ist kaum wiedergutzumachen, sollte sich später der Verdacht als unbegründet erweisen. In der Entscheidung vom 29. Mai 2006 folgert das Bundesverfassungsgericht daher, dass es einer besonders sorgfaltigen Prüfung und einer eingehenden Darlegung der dabei maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen in der Anordnung bedarf, wenn im Wege vorläufiger Sicherungsmaßnahmen das gesamte oder na- hezu das gesamte Vermögen dem Betroffenen entzogen wird. Vor dem Hintergrund dieser Entscheidung muss ver- schärft darauf geachtet werden, dass die Amts- und Landgerichte dieser Rechtsprechung Folge leisten. Im Falle einer Nichtbefolgung ist dann der Gesetzgeber auf- gefordert, hier nachzubessern. Jörg van Essen (FDP): Die FDP hat immer betont, dass sie die Grundrichtung des Gesetzentwurfs begrüßt. Der Auffangrechtserwerb des Staates ist richtig. Es ist ein unerträglicher Zustand, wenn das aus Straftaten er- langte Vermögen an den Täter zurückfällt, weil sich kein Geschädigter gefunden hat, der entsprechende Ansprü- che angemeldet hat. Es ist selbstverständlich, dass der Rechtsstaat hier einen anderen Weg finden muss. Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt daher die Regelung, dass das eingezogene Vermögen an den Staat zurück- fällt, wenn die Opfer ihre Ansprüche nicht binnen drei Jahren nach der Verurteilung des Täters geltend machen. Zu begrüßen ist auch, dass das Bundesjustizministe- rium kurzfristig noch einige Änderungen vorgelegt hat, die zur weiteren Verbesserung des Gesetzentwurfs füh- ren. Dies gilt insbesondere für die Möglichkeit, dass mit einer weiteren Beschwerde der Rechtsschutz für die An- ordnung des dinglichen Arrests erweitert wird. Auch die Klarstellung, dass der Beginn der Dreijahresfrist, inner- halb derer das Gericht die Beschlagnahme oder den Ar- rest aufrechterhält, an die Rechtskraft des Strafurteils an- knüpft, ist sachgerecht und entspricht einer Forderung der Anwaltschaft. Es gibt jedoch auch eine Reihe von kritikwürdigen Punkten, die im Ergebnis dazu führen, dass die FDP- Bundestagsfraktion dem Gesetzentwurf nicht zustimmen kann. Seit vielen Jahren gibt es Bestrebungen, das Sys- tem der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung zu re- formieren mit dem Ziel, es einheitlicher, übersichtlicher und damit für die Rechtspraxis handhabbarer zu machen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4173 (A) (C) (B) (D) Dies wird mit dem Gesetzentwurf leider nicht erreicht. Auf die Ansätze, die der Gesetzgeber in der 13. Wahl- periode begonnen hat, wurde nicht zurückgegriffen. Be- reits damals lag dem Bundestag ein Gesetz zur Beratung vor, mit dem eine Vereinfachung der Verfalls- und Ein- ziehungsregelungen angestrebt wurde. Es bleibt daher dabei, dass das gesetzliche System der Vermögensab- schöpfung, insbesondere das Verhältnis von Verfall und Einziehung, auch weiterhin kompliziert bleibt. Das be- daure ich außerordentlich. Der Gesetzentwurf verzichtet zudem darauf, einige Begrifflichkeiten im Gesetz klarzustellen. Eine gesetzli- che Harmonisierung und eine in sich stimmige Gesamt- lösung wäre insbesondere im Hinblick auf den interna- tionalen Rechtsverkehr dringend geboten. Das Gesetz hätte ein großer Wurf werden können. Das Ergebnis bleibt jedoch weit hinter diesen Erwartungen zurück. Problematisch ist aus Sicht der FDP-Bundestagsfrak- tion auch die Erweiterung der Frist für die Aufrechter- haltung der vorläufigen Sicherungsmaßnahmen. Ich er- kenne an, dass damit den Opfern von Straftaten die Durchsetzung ihrer Ansprüche erleichtert wird. Unbe- antwortet bleibt aber die Frage, wie mit den Rechten von Dritten verantwortlich umgegangen werden soll. Die Ausdehnung der Frist um weitere sechs Monate hat zur Folge, dass allein aufgrund eines einfachen Verdachts- grades Eingriffe in Rechte Beschuldigter und unbeteilig- ter Dritter für insgesamt zwölf Monate ermöglicht wer- den. Ein dringender Tatverdacht ist nicht erforderlich. Im Hinblick auf die Unschuldsvermutung bestehen hier große Bedenken. Diese Regelungen sind, auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungs- gerichts, nach wie vor problematisch. Das Bundesverfas- sungsgericht hat bereits in früheren Entscheidungen da- rauf hingewiesen, dass es sich bei den verfallssichernden Maßnahmen und dem damit verbundenen drohenden Wertverlust vorläufig sichergestellter Vermögenswerte um schwerwiegende Eingriffe in das Eigentumsrecht handelt. Die FDP hat im Gesetzgebungsverfahren vorgeschla- gen, eine neue Regelung in das Gesetz einzuführen, wo- nach die Gerichte im Rahmen des nachgelagerten Ver- falls einen von ihnen zu bestimmenden Teil der vom Staat erworbenen Vermögenswerte einer anerkannten gemeinnützigen Einrichtung der Opferhilfe zuweisen können. Diese Maßnahme wäre ein echter Gewinn für den Opferschutz. Sie würde auch im Wesentlichen dem Zweck der Wiedergutmachung dienen. Damit würde zu- dem eine verlässliche finanzielle Grundlage für den Op- ferschutz geschaffen. Die Offenheit, mit der die Koalitionsfraktionen den Änderungsantrag der FDP aufgenommen haben, hat mich zunächst gefreut. Es ist daher enttäuschend, dass unser Vorschlag letztlich keine Mehrheit gefunden hat. Die von der Koalition vorgetragenen Gründe sind mehr als vorgeschoben. In der letzten Wahlperiode hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems vorgelegt. Der Ent- wurf sah die Verpflichtung der Gerichte vor, einen Teil- betrag der gezahlten Geldstrafe Organisationen der Op- ferhilfe zuzuweisen. Diese Anregung haben wir mit unserem Änderungsantrag aufgegriffen. Im Gegensatz zu der Regelung aus der 15. Wahlperiode haben wir uns dafür ausgesprochen, die Entscheidung über die Zuwei- sung in das Ermessen der Gerichte zu stellen. Es ist be- dauerlich, dass die guten Vorsätze der Bundesregierung aus dem Jahr 2004 heute bereits vergessen sind. Damit wird leider deutlich, dass es immer wieder einer großen Kraftanstrengung bedarf, die Rechte von Opfern gesetz- lich zu verankern. Insgesamt bleiben für die FDP viele offene Fragen unbeantwortet und große Zweifel, ob das Gesetz wirk- lich praxistauglich sein wird. Die große Chance, eine Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung aus einem Guss anzugehen, wurde leider vertagt. Sevim Dagdelen (DIE LINKE): Wie bereits bei der esten Lesung deutlich gemacht: Wir stimmen der Ziel- richtung des Gesetzes zu. Wer Opfer eines Vermögens- oder Eigentumsdeliktes wurde, dem soll dabei geholfen werden, sein Geld oder sein Hab und Gut wiederzuerlan- gen. Insoweit ist der Entwurf ein Schritt in die richtige Richtung. Im Gegensatz zur allgemeinen Straßenkriminalität, auf die der Staat allzu oft mit dem scharfen Schwert der Vergeltung reagiert, obwohl gerade den Tätern dieser Ta- ten auf die Stirn geschrieben steht, warum sie sich gegen die Gesellschaft wendeten, von der sie sich ausgegrenzt und verlassen fühlen, lohnen sich die Verbrechen der Schlipsträger in diesem Land. Daran wird dieser Ent- wurf nichts ändern. Dennoch ist er insoweit zu begrüßen, als er die Selbstverständlichkeit fördert, dass die Beute nicht auch noch bei den Tätern verbleibt. Wir sind froh über die erfolgten Nachbesserungen, vor allem über die Gewährung eines weiteren Rechtsmit- tels zugunsten desjenigen, gegenüber dem vorläufige Si- cherungsmaßnahmen ergehen. Dies halten wir aus rechtsstaatlichen Gründen für unerlässlich, wie Sie auch unserem im Rechtsausschuss eingebrachten Änderungs- antrag hätten entnehmen können – wenn Sie ihn denn gelesen hätten. Diesbezügliche Zweifel hege ich nicht deshalb, weil unser Antrag ebenfalls die nun erfolgenden Änderungen enthielt und dennoch von Ihnen einstimmig abgelehnt wurde, sondern auch weil er über die Vor- schläge des BMJ hinaus lediglich Anregungen der Sach- verständigen aufnahm, die im Rechtsausschuss auch von Vertretern der großen Koalition als durchaus beachtlich angesehen wurden. Deshalb sehe ich mich gezwungen, hier zumindest auf einen Punkt des Vorschlags der Bun- desregierung einzugehen, bei dem wir in Übereinstim- mung mit den angehörten Fachleuten dringenden Nach- besserungsbedarf sehen. Die Bundestagsfraktion Die Linke hält es für unver- einbar mit unserer Verfassung, wenn nicht nur die wirt- schaftliche Existenz von Unternehmen, sondern auch diejenige von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und abhängigen Kleinbetrieben dadurch gefährdet wird, dass aufgrund eines bloßen Anfangsverdachts – der sich gerade in komplexen Bereichen der Vermögenskrimina- lität leicht als unbegründet erweist –, das gesamte Ver- 4174 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) mögen des Betroffenen ein Jahr lang sichergestellt wer- den kann. Daher schlagen wir vor, zumindest nach sechs Monaten die Aufrechterhaltung des Arrests oder der Be- schlagnahme von Voraussetzungen abhängig zu machen, die denjenigen der Anordnung der Untersuchungshaft entsprechen. Die Bundesregierung muss sich aber darüber hinaus auch fragen lassen, ob sie es mit den von ihr angeführten Zielen tatsächlich ernst meint. Wäre es denn nicht wirk- licher Opferschutz, dem Verletzten einen direkten An- spruch gegen den Staat zuzubilligen, wenn der Fiskus im Falle des § 111 i Abs. 3 StPO nach drei Jahren von dem Verfall profitiert? Wäre nicht eine große Reform – ich erinnere an den Entwurf aus dem Jahre 1998 –, die die Unterscheidung Einziehung/Verfall auflöst, auch im Hinblick auf die not- wendige europäische Harmonisierung der Vermögensab- schöpfung eine tatsächliche Erleichterung der Justizar- beit? Und verlangt der Kampf gegen die Wirtschaftskrimi- nalität in Wirklichkeit nicht etwas ganz anderes als Än- derungen im normativen Bereich? Der Bundesgerichtshof hat diese letzte Frage explizit beantwortet und in einer fast schon Verzweiflung aus- drückenden Form erklärt: Dem in § 56 Abs. 3 StGB zum Ausdruck gekom- menen Anliegen des Gesetzgebers, das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts vor einer Erschütterung durch unangemes- sen milde Sanktionen zu bewahren, kann im Be- reich des überwiegend tatsächlich und rechtlich schwierigen Wirtschafts- und Steuerstrafrechts nach Eindruck des Senats nur durch eine spürbare Stärkung der Justiz in diesem Bereich Rechnung getragen werden. Nur auf diese Weise – nicht durch bloße Gesetzesverschärfungen – wird es möglich sein, dem drohenden Ungleichgewicht zwischen der Strafpraxis bei der allgemeinen Kriminalität und der Strafpraxis in Steuer- und Wirtschaftsstraf- verfahren entgegenzutreten und dem berechtigten besonderen öffentlichen Interesse an einer effekti- ven Strafverfolgung schwerwiegender Wirtschafts- kriminalität gerecht zu werden. Es wird also deutlich: Die Bundesregierung hat gekle- ckert und nicht geklotzt – sie ist allerdings in dem letzten Punkt auch auf die Mithilfe der Länder angewiesen. Um dem Flehen unserer obersten Strafrichter, die zu- sammen mit dem Rest der dritten Gewalt mit einem Jus- tizhaushalt in Höhe von 0,13 Prozent der Gesamtausga- ben des Bundeshaushaltes und circa 3 Prozent der Länderhaushalte abgespeist werden, wenigstens ein biss- chen Gehör zu verschaffen, möchte ich zum Abschluss folgenden Vorschlag unterbreiten: Der gute – von Ihnen im Rechtsausschuss ebenfalls abgelehnte – Gedanke des Kollegen van Essen, Opferschutzorganisationen an den Gewinnen des Verfalls partizipieren zu lassen, sollte an- genommen und dahin gehend ergänzt werden, dass Schwerpunktstaatsanwaltschaften „Wirtschaftsstrafrecht“ und „Wirtschaftsstrafkammern“ durch die Gewinne aus der Vermögensabschöpfung mit dem nötigen Personal und Know-how ausgestattet werden. Nur so kann verhindert werden, dass sich die Neure- gelung, wegen des aus ihr erwachsenden Mehraufwan- des für die Justiz letztlich kontraproduktiv auswirkt. Zu- dem wäre ein ungleich größerer Gewinn für die Bekämpfung der volkswirtschaftlich verheerenden Wirt- schaftskriminalität und damit auch für die Strafgerech- tigkeit in diesem Lande erzielt als durch den jetzigen Entwurf. Diesbezüglich appelliere ich an die Länder: Stattet die Justiz im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts angemessen aus; denn der Verzicht auf Gerechtigkeit ist weder recht noch billig. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Be- reits aus den Beiträgen meiner Vorredner wurde deut- lich, dass wir uns in einem vollkommen einig sind: Ein überführter Täter soll nicht die Früchte seiner Tat behal- ten dürfen. Der heute zu debattierende Gesetzentwurf zielt des- halb darauf ab, die Abschöpfung krimineller Gewinne zu erleichtern und Lücken im Gesetz zu schließen. Der Ent- wurf hat aber ein strukturelles Problem: Er betrifft die Sicherstellung von Vermögen im laufenden Ermittlungs- verfahren. Das bedeutet, dass das Vermögen eines Beschuldigten beschlagnahmt wird, für den in vollem Umfang die Unschuldsvermutung gilt. Wie uns die Sachverständigen im Berichterstattergespräch bestätigt haben, kann der dingliche Arrest für den Betroffenen er- hebliche Folgen haben und bisweilen mit der Zerstörung seiner wirtschaftlichen Existenz einhergehen. In diesem Zusammenhang müssen wir uns deshalb fragen lassen: Was sind die Hürden für den Einsatz repressiver Maß- nahmen, wenn sie sich gegen einen noch nicht verurteil- ten Täter, also möglicherweise Unschuldigen richten? Deshalb ist die beschlossene Verlängerung des Zeit- raums von drei auf sechs Monate, in dem das Vermögen über die ersten sechs Monate hinaus sichergestellt wer- den darf, bei einfachem Anfangsverdacht auch bedenk- lich. Aus zwei Gründen können wir diesen Vorschlag aber im Ergebnis mittragen: Erstens gibt es Ermittlungsverfahren, die so langwie- rig sind, dass die Verlängerung um drei Monate hin- nehmbar ist. Zweitens hat das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung vom Mai diesen Jahres den Abwä- gungsmaßstab im Fall der vorläufigen Sicherstellung des gesamten oder nahezu gesamten Vermögens präzisiert: Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz fordert nicht ledig- lich eine Vermutung, dass es sich um strafrechtlich er- langtes Vermögen handelt; vielmehr bedürfe dies einer besonders sorgfältigen Prüfung und einer eingehenden Darlegung der dabei maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen in der Anordnung, damit der Betroffene Rechtsschutz suchen kann. Der Gesetzentwurf hat für den Beschuldigten auch Verbesserungen erfahren; denn dieser hat jetzt die Mög- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4175 (A) (C) (B) (D) lichkeit der weiteren Beschwerde gemäß § 310 StPO bei der Anordnung des dinglichen Arrestes. Es ist richtig und notwendig, dem Beschuldigten schon im Ermitt- lungsverfahren ein effektives Rechtsmittel an die Hand zu geben. Insoweit wird er mit einem Untersuchungs- häftling gleichgestellt, dem ebenfalls die weitere Be- schwerde zusteht. Wer noch als unschuldig gilt, der soll sich gegen weitreichende Eingriffe in sein Vermögen an- gemessen gerichtlich wehren können. Die Verbesserungen des Entwurfs für das Opfer be- stehen darin, dass der Zeitpunkt für den Beginn der Drei- jahresfrist präzisiert worden ist. Nun ist klar: Der Ver- letzte einer Straftat kann seine Ansprüche innerhalb von drei Jahren ab Beginn der Rechtskraft des Urteils geltend machen. Diese Präzisierung sorgt für mehr Rechtssicher- heit. Wir haben im Rechtsausschuss auch dem Änderungs- antrag der FDP zugestimmt, der vorsieht, eindeutig von Verletzten stammendes Vermögen Opferorganisationen zukommen zu lassen; also Fälle, in denen das Opfer der Straftat entweder unbekannt ist oder Ansprüche zur Rückerlangung des Vermögens nicht geltend gemacht hat. Dieser Vorschlag ist gut und vernünftig. Die Argumentation der Koalitionsfraktionen hat mich – gelinde gesagt – überrascht. In der ersten Plenardebatte zu diesem Gesetzentwurf wurde noch lauthals für die Stärkung des Opferschutzes geworben. Der Abgeordnete van Essen hatte ausdrücklich den „Weißen Ring“ als Op- fereinrichtung hierfür genannt. Kollege Kauder reagierte euphorisch, der Vorschlag habe bei ihm „leuchtende Au- gen“ entzündet. Offenbar nur ein Strohfeuer, das leider schon erlo- schen ist: Allen Ernstes haben CDU/CSU und SPD statt dessen an die Länder appelliert, einen angemessenen Teil der ihnen künftig zufallenden Vermögenswerte ge- meinnützigen Einrichtungen der Opferhilfe zukommen zu lassen. Man wolle nicht in deren Finanzhoheit ein- greifen. Ich bitte Sie – angesichts der klammen Kassen der Länder ist dieser Appell eine Farce und das wissen Sie genau. Wenn die Damen und Herren von der so ge- nannten großen Koalition die Arbeit von Opferorganisa- tionen tatsächlich fördern wollen, täten sie gut daran, dem FDP-Antrag zuzustimmen. Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister der Justiz: Das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und Vermögensabschöpfung bei Straftaten schließt eine Gesetzeslücke. Heute kann ein Straftäter trotz Verurteilung von sei- nen Straftaten profitieren. Diese unbefriedigende Situa- tion beruht auf einer Regelung im Strafgesetzbuch. Das geltende Recht erlaubt es den Gerichten nicht ohne wei- teres, Gewinne aus Straftaten für verfallen zu erklären, also dem Täter „wegzunehmen“ und das Eigentum hieran auf den Staat zu übertragen. Bislang können näm- lich nur dann Vermögenswerte aus Straftaten für verfal- len erklärt werden, wenn nicht zugleich die Geschädig- ten Ansprüche haben. Ein gutes Beispiel sind die Betrugsdelikte: Das mit Betrügereien erschwindelte Vermögen unter- liegt regelmäßig nicht dem Verfall: Denn hier haben die Geschädigten, also die Betrogenen, Ersatzansprüche ge- gen den Betrüger. Das ist grundsätzlich auch gut so, weil der Staat sich nicht auf Kosten der Opfer bereichern darf. Wenn die Geschädigten aber Ihre Ansprüche nicht geltend machen – etwa weil der Schaden ganz gering ist oder weil sie gar nicht wissen, dass der Täter gefasst worden ist –, dann gehen die sichergestellten Gewinne eben nicht an den Staat, sondern sie sind an den Täter zurückzugeben. Wie wir aus der Praxis wissen, ist das leider alles andere als ein Ausnahmefall. Die entsprechende Regelung im Strafgesetzbuch – konkret geht es um § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB – wird deswegen auch häufig als „Totengräber des Verfalls“ be- zeichnet. Der vorliegende Entwurf wird all diese Pro- bleme so weit wie möglich lösen. Er stellt sicher, dass der Täter solche Vermögenswerte in keinem Fall mehr zurückerhält. Künftig sollen die sichergestellten Vermögenswerte an den Staat fallen, wenn die Opfer ihre Ansprüche nicht geltend machen. Um den Geschädigten genügend Zeit zu geben, ihre Rückgabeansprüche auch durchzusetzen, verlängert der Entwurf außerdem die hierfür maßgebliche Frist. Derzeit haben die Opfer drei Monate Zeit, ihre Ansprüche gel- tend zu machen – gerechnet ab der Verurteilung des An- geklagten. Künftig soll diese Frist drei Jahre betragen – gerechnet ab der Rechtskraft der Verurteilung. Auf den Fristbeginn erst mit Rechtskraft und nicht schon mit Ver- urteilung haben wir uns in den Berichterstattergesprä- chen geeinigt. Damit haben die Opfer noch einmal mehr Zeit, ihre Ansprüche geltend zu machen, und sie können im Streitfall auf das bereits rechtskräftige Strafurteil ver- weisen. Auch bei längerer Verfahrensdauer vor den Zi- vilgerichten ermöglichen wir damit den Opfern, einen – notfalls vorläufigen – Titel gegen den Verurteilten zu erwirken. Verstreicht diese dreijährige Frist, ohne dass die Ge- schädigten ihre Ansprüche hinreichend geltend gemacht haben, dann fallen die gesicherten Vermögenswerte künftig an den Staat und müssen nicht wieder an den Verurteilten herausgegeben werden. Damit dient der Ge- setzentwurf sowohl den Interessen der Opfer als auch der Gerechtigkeit und damit dem Rechtsbewusstsein ins- gesamt. Der Gesetzentwurf ist das Ergebnis langer Beratun- gen, die wir auf Initiative der Länder mit den Fachleuten aus den Ländern, Verbänden und Ressorts geführt haben. Wir haben gemeinsam um eine ausgewogene Lösung ge- rungen und ich denke, wir können zufrieden sein. An dieser Stelle möchte ich allen für die konstruktive Zu- sammenarbeit danken. Ich hoffe, dass wir damit der Praxis das nötige Instru- mentarium an die Hand geben, um die volkswirtschaft- lich schädliche, gewinnorientierte Kriminalität wirksam zu bekämpfen und die Interessen der Opfer zu wahren. Dabei hoffe ich, dass die von dem engagierten Opferan- 4176 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) walt Kauder initiierte weitere Beschwerde – ein No- vum – nicht dazu führt, dass der Täter den Vorteil aus diesem Stück „zusätzliche Rechtsstaatlichkeit“ zieht, das Opfer aber leer ausgeht. Es ist nun an der Praxis, dieses Instrumeritarium zu nutzen und dem Gesetzentwurf zu dem gewünschten Erfolg zu verhelfen. Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Demokratiebewe- gung in Belarus unterstützen (Zusatztagesord- nungspunkt 6) Manfred Grund (CDU/CSU): Mit dem heute in ers- ter Lesung zu beratenden Antrag von Bündnis 90/Die Grünen und der FDP befasst sich der Deutsche Bundes- tag innerhalb kürzester Zeit zum dritten Mal mit der Ent- wicklung in Belarus. So war Belarus vor den Parla- mentswahlen vom 19. März 2006 und nochmals danach Gegenstand einer Bundestagsdebatte. Mir ist kein ande- res Land erinnerlich, welches in so kurzem Abstand de- battiert wird. Derart neugierig geworden, hofft man, im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen und der Freien De- mokraten neue und richtige Argumente für eine erneute Bundestagsdebatte zu finden. Doch bei aller fraktions- übergreifender Sympathie und freundlicher Zuneigung zu den Antragstellern: Die Argumente mögen neu und richtig sein, doch die richtigen Argumente sind nicht wirklich neu und die neuen Argumente nicht wirklich richtig. Richtig ist, dass die Parlamentswahlen am 19. März weder frei noch fair verlaufen sind und dass das Regime Lukaschenko unverkennbar diktatorische Züge aufweist und die demokratischen Rechte nicht akzeptiert. Neu ist diese Erkenntnis nicht. Neu ist die Forderung nach ei- nem Demokratiefonds, um die belarussische Zivilgesell- schaft zu stärken und die Einrichtung eines EU-Sonder- beauftragten für Belarus. Das sind neue Forderungen, die aber nur bedingt richtig und klug sind. Die Einrich- tung eines EU-Sonderbeauftragten und eines Demokra- tiefonds werfen mehr Fragen als Antworten auf. So gibt es bereits über Europa verteilt so viele Sonderbeauf- tragte, die nirgendwo richtig eingebunden sind, dass de- ren Aktivitäten bereits von einem eigenen EU-Sonderbe- auftragten koordiniert werden müssten. Und was wäre denn der Auftrag eines EU-Sonderbeauftragten? Mit wem soll er Kontakt haben, mit wem reden? Nur mit der Opposition, das würde Alexander Lukaschenko schnell zu verhindern wissen. Oder soll ein EU-Sonderbeauf- tragter auch mit dem Präsidenten, mit der Regierung, mit dem Parlament reden? Dies widerspräche den angelaufe- nen Isolationsbemühungen der westlichen Staaten ge- genüber der nicht legitimierten Belarusführung. Die Ein- richtung eines Demokratiefonds würde Lukaschenko Argumente liefern, dass die belarussische Opposition vom Westen ausgehalten wird. Niemand könnte an einer solchen Verleumdung gelegen sein. Sorge muss uns zweierlei machen: der Zustand der Opposition in Belarus und der wirtschaftliche Druck aus Russland. Die belarussische Opposition befindet sich seit den Wahlen in einer Phase der Neudefinierung; Ale- xander Milinkewitsch selbst spricht von einer Krise. So gibt es Forderungen nach einer Verbreiterung der Basis der Vereinigten Demokratischen Kräfte unter Einbezie- hung der Sozialdemokraten unter Alexander Kozulin. Die Führerschaft Milinkewitsch wird infrage gestellt und über einen Boykott der anstehenden Kommunalwahlen wird kontrovers debattiert. Russland hat für 2007 die Vervierfachung des Gas- preises von jetzt 47 Dollar auf 200 Dollar je 1 000 Ku- bikmeter und die Streichung der Subventionen für den Erdölexport angekündigt. Da der belarussische Landes- haushalt zu ungefähr einem Drittel auf russische Unter- stützung angewiesen ist, wäre die Kürzung der offenen und verdeckten russischen Subventionen das Ende von Lukaschenkos Staatssozialismus. Das müsste man nicht besonders bedauern, wenn nicht zweierlei damit verbun- den wäre: eine Massenverelendung der belarussischen Bevölkerung mit anschließendem Modernisierungs- schock und/oder die Einverleibung von Belarus in die Russische Föderation. Daran hat wohl nicht mal mehr Lukaschenko Interesse. Wie dem auch sei, auch wenn der vorliegende Antrag nicht so neu und ausschließlich richtig in seiner Argu- mentation und den Forderungen ist, gibt es gleichwohl gute Gelegenheit über die von mir aufgezeigten Ent- wicklungen im Auswärtigen Ausschuss zu debattieren. Darauf freue ich mich. Uta Zapf (SPD): Dieses Haus hat bisher alle Belarus- resolutionen mit großer Einstimmigkeit beschlossen. Unsere letzte Resolution haben wir kurz vor den Präsi- dentschaftswahlen in Belarus im März verabschiedet. Dieser hier von den Grünen vorgelegte Antrag hat sei- nen Ausgangspunkt in den Erlebnissen, die einige Parla- mentarier dieses Hauses als Wahlbeobachter der Präsi- dentschaftswahlen hatten. Erstens waren wir Zeugen, dass diese Wahlen in einem ungeheuren Ausmaß und ohne Scham manipuliert und gefälscht waren. Dies wer- den insbesondere diejenigen bezeugen können, die wie ich mehrfach an Wahlbeobachtungen in Belarus teilge- nommen haben. Die Repression gegen die Opposition war schikanös. Der Zugang zu den offiziellen Medien auf ein absolut unzureichendes Minimum beschränkt und die unabhängige Presse wurde extrem behindert. Die Wahlkämpfe der oppositionellen Kandidaten wur- den unzulässig behindert, immer wieder wurden Wahl- kampfteams kurzfristig eingesperrt, ihre Materialien konfisziert. Wähler und Wählerinnen gerieten unter Druck, ihre Stimme abzugeben. Drohungen mit beruflichen Konse- quenzen waren gängige Praxis. Kollektive wurden zu den Vorwahlen getrieben, die Urnen mit diesen Stimmen sind nicht kontrollierbar, sie stehen ohne Kontrolle tage- lang in den Wahllokalen. Hier ist das größte Einfallstor für Fälschungen. Die Endauszählung war auch von den internationalen Wahlbeobachtern nicht zu kontrollieren. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4177 (A) (C) (B) (D) Aber wir erhalten auch eine politisch gereifte Opposi- tion und fröhlich-furchtlose Sympathisanten. Auf den friedlichen Demonstrationen am Abend nach der Wahl, die stattfanden trotz massiver Drohungen gegen diese unerlaubten Versammlungen auf dem Moskauplatz, zeigten Bürger und Bürgerinnen, die keine Angst mehr hatten, ihr Bedürfnis nach Demokratie und Freiheit offen zu artikulieren. Bei eisigen Temperaturen und Schnee- sturm trotzten sie den Sicherheitskräften. Ich denke, wir alle teilen die Analyse, die dieser An- trag enthält. Über Jahre hat es eine eskalierende Repression gegen NGOs und die zivile Gesellschaft, gegen freie Gewerk- schaften und gegen Gegner Lukaschenkos gegeben. Dies hat sich nach den Wahlen fortgesetzt. Es ist vieles über Dialog und über Sanktionen gesagt worden. Bei allem Ärger und bei aller Wut, die uns angesichts dessen, was dort passiert ist, erfüllen, müssen wir dennoch den Dia- log weiterführen. Die Parlamentarische Versammlung der OSZE hat eine Arbeitsgruppe zu Belarus eingerichtet. Ich bin die Vorsitzende dieser Arbeitsgruppe. Deshalb bin ich häu- fig in Belarus und rede mit den Menschen, und zwar mit allen, auch mit Parlamentariern und Vertretern der Ad- ministration. Ich halte dies für eine wichtige Ebene des Dialoges. Ein wichtiger Bestandteil unserer Politik ist es, die Zivilgesellschaft zu schützen und zu unterstützen. Diese Zivilgesellschaft ist keine subversive Revolution, wie Herr Lukaschenko befürchtet und in ziemlich gro- ben Worten an die Wand malt. Diese Menschen klagen vielmehr ihre Rechte ein, zu denen sich Belarus gegen- über der OSZE verpflichtet hat, und wir unterstützen sie darin. Wir sind uns auch, glaube ich, weitgehend einig, dass wir die Demokratiebewegung in Belarus unterstützen wollen, ihre Rechte auf Vereinigungsfreiheit und politi- sche Arbeit wahrnehmen zu können. Dass es bisher zu keinem interfraktionellen Antrag gekommen ist, ist vor allem den Bedenken der CDU/CSU geschuldet, dass wir keine inflationäre Menge an Belarusanträgen im Bun- destag einbringen sollten. Wir werden in den Ausschüs- sen Gelegenheit haben, die Forderungen und Vorschläge dieses Antrages zu beraten und möglicherweise zu ge- meinsamen Beschlussempfehlungen zu kommen. Ei- nige der vorgeschlagenen Maßnahmen sind ohnehin schon eingeleitet oder umgesetzt, zum Beispiel Stipen- dien für exmatrikulierte Studenten, die an den Demon- strationen teilgenommen haben oder den Wahlkampf der oppositionellen Kandidaten unterstützt haben. Auch die Frage der Informationsmedien Radio/TV ist auf den Weg gebracht, aber natürlich muss über eine Erweite- rung dieser Informationsmedien nachgedacht werden. Auch sind zusätzliche Maßnahmen, die hier nicht aufge- griffen worden sind, zu diskutieren. Der Demokra- tiefonds, über den schon lange geredet wird sollte noch- mals intensiv betrachtet werden, um ihn handhabbar und flexibel genug zu gestalten. Gewisse Zweifel habe ich an der Frage eines nationa- len Belarusbeauftragten. Es gibt auf Ebene der UN, der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und im Europäischen Parlament beauftragte Berichterstatter und Ausschüsse, die OSZE hat eine „Working Group on Belarus“, deren Vorsitzende ich bin. Möglicherweise wäre es nützlich einen solchen Beauftragten bei der Eu- ropäischen Kommission zu benennen. Die Handlungs- und Wirkungsmöglichkeiten auf nationaler Ebene sind recht beschränkt. Die deutsch-belarussische Parlamen- tariergruppe war sich einig, dass Handlungsbedarf be- steht. Lassen Sie uns den Antrag sorgfältig in den Aus- schüssen beraten. Harald Leibrecht (FDP): Wir dürfen nicht nachlas- sen in unserer Unterstützung für die Demokratiebewe- gung in Weißrussland. Ich war auf den Demonstrationen anlässlich des 20. Jahrestages der Katastrophe von Tschernobyl in Minsk. Ich habe erlebt, wie Oppositio- nelle vor und nach der Demonstration verhaftet wurden, so auch Alexander Milinkewitsch. Diktator Lukaschenko und seine Staatsmacht zeigen unerbittliche Härte gegen- über den demokratischen Kräften. Letztendlich zeigen sie jedoch, in welch erbärmlichem Zustand sich ihr Re- gime befindet. Die Staatsmacht hat offensichtlich Angst vor dem eigenen Volk und setzt darum weiter auf Unter- drückung und Repression. Die Menschen wurden mit dem Wahlbetrug bei der Präsidentschaftswahl im März einmal mehr um ihre de- mokratischen Grundrechte betrogen. Die Kandidaten der Opposition hatten zu keinem Zeitpunkt die Chance auf einen fairen Wahlkampf – nicht zuletzt wegen der staat- lich kontrollierten Medien. Freie, unabhängige Zeitun- gen gibt es in Weißrussland nicht mehr. Aber nicht nur die wenigen couragierten, unabhängigen Journalisten werden bedroht oder verhaftet, sondern auch viele Stu- denten, die es wagen, sich öffentlich gegen das Regime auszusprechen. Der Fall von Artur Finkewitsch ist da nur einer von vielen. Dieser mutige junge Mann wurde zu 17 000 Dollar Strafe und einer mehrjährigen Umer- ziehungshaft verurteilt, nur weil er es wagte, auf eine Hauswand die Worte „Wir möchten einen anderen“ zu sprühen. Ich bin nichtsdestotrotz aus tiefstem Herzen davon überzeugt, dass das Streben der Menschen in Weißruss- land nach politischer und persönlicher Freiheit vom Sys- tem Lukaschenko nicht mehr lange aufgehalten und un- terdrückt werden kann. Bei ihrem Kampf gegen das Regime Lukaschenko bedürfen die couragierten Men- schen in Weißrussland jedoch dringend unserer Unter- stützung. Weißrussland ist direkter Nachbar der EU. Wir dürfen die Augen vor Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung in Weißrussland nicht verschließen. Mit diesem Antrag senden wir ein klares Signal der Solidarität und Unterstützung an die „Vereinigte Opposi- tion“ in Weißrussland. Gleichzeitig appelliere ich an die „Vereinigte Opposition“, wie bereits während des Präsi- dentschaftswahlkampfes, ihrem Namen gerecht zu wer- den und sich trotz zum Teil unterschiedlicher politischer Auffassungen nicht von der Staatsmacht provozieren, einschüchtern und auseinander dividieren zu lassen. Auch die Bundesregierung kann hierzu ihren Beitrag leisten, indem sie den weißrussischen Oppositionellen 4178 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) die öffentliche Bühne bietet, die sie brauchen. Es ist wichtig, dass sie bei allen Besuchen hier in Deutschland auf ihre wichtigen Anliegen aufmerksam machen kön- nen. Aber auch unsere politischen Stiftungen können ei- nen wichtigen Beitrag zur Unterstützung leisten, indem sie in dieser Sache eng zusammenarbeiten. Gerade weil die Arbeit der politischen Stiftungen in Weißrussland unter sehr erschwerten Umständen erfolgt, gilt es, die Kräfte zu bündeln. Zudem fordere ich die Bundeskanzlerin auf, auf dem anstehenden G-8-Gipfel auch das Thema Weißrussland anzusprechen und sich auf eine gemeinsame Vorgehens- weise, zum Beispiel in Fragen der Visumverweigerung, zu verständigen. Die bereits ausgesprochenen Einreise- verbote für führende weißrussische Politiker sollten auch auf andere Führungskader und zum Beispiel auf Univer- sitätsrektoren, die demonstrierende Studenten exmatri- kulieren, ausgedehnt werden. Ich danke allen, die sich hier in Deutschland für die Demokratiebewegung in Weißrussland engagieren. Dazu gehören auch die Jungen Liberalen in Baden-Württem- berg, die vor kurzer Zeit ein Benefizfußballturnier veran- staltet haben – einerseits um auf die Lage der couragier- ten Studenten, wie zum Beispiel Artur Finkewitsch aufmerksam zu machen und andererseits um ganz kon- kret Spenden für die Arbeit einer belarussischen Jugend- organisation zu sammeln, welche trotz aller Hindernisse weiter unermüdlich für die Demokratiebewegung in ih- rem Land kämpft. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Ich will zu Be- ginn einige Selbstverständlichkeiten festhalten, damit wir uns über diese nicht zu streiten brauchen. Das Demonstrationsrecht muss verteidigt werden. Die Verhaftung friedlicher Demonstranten kritisieren wir, in Belarus und anderswo. Die Entfernung kritischer Stu- denten von Universitäten und Schulen lehnen wir ab. Wer wegen seiner demokratischen Gesinnung verfolgt wird, braucht unsere Solidarität. Eine Auflösung und das Verbot demokratischer Organisationen – in Belarus ist zum Beispiel die Kommunistische Partei verboten – schadet der Demokratie. Medienfreiheit muss verteidigt werden, gegen Lukaschenko ebenso wie gegen Berlusconi. Darüber braucht man sich mit uns nicht zu streiten. Streiten allerdings muss man sich über den Weg und die Inhalte von Alternativen, wie man es in Belarus er- reichen will. Die Grünen und die FDP schlagen eine Ver- schärfung von Sanktionen vor. Das ist der Kern des hier vorliegenden Antrages. Meine Erfahrungen sprechen da- gegen: Nicht Sanktionen, sondern Dialoge wären ein Weg. Dialoge müssen alle Fragen umfassen. Ist der Weg der neoliberalen Umgestaltung, der Freiheit des Marktes wirklich ein Weg der Demokratisierung oder nicht viel- mehr ein Weg der Gesellschaftszerstörung? In zahlrei- chen europäischen Ländern zeigen sich die Spuren die- ser Zerstörung bereits heute. Darf man so einfach die enge Verbindung Beloruss- lands mit Russland „übersehen“, sowohl was die histori- schen Wurzeln angeht als auch die Gegenwart. Wenn man will, dass Russland im Sinne von Demokratisierung auf Belarus Einfluss nimmt, muss man die Interessen Russlands in Rechnung stellen – in Rechnung stellen, nicht mehr! Kein Argument und keine Überlegungen dazu im Antrag von Grünen und FDP! Die „Orangen“ in der Ukraine und die „Rosen“ in Ge- orgien haben für Russland aus seiner Sicht nur Dornen gebracht. Russland hat widerstrebend hinnehmen müs- sen, dass die NATO mit den baltischen Ländern direkt an seine Grenzen herangerückt ist. Eine NATO-Mitglied- schaft der Ukraine und Georgiens könnte jetzt „die rote Linie“ überschreiten. Das hat die russische Duma mit ih- rem Beschluss, der auch dem Bundestag zugeleitet wurde, deutlich gemacht. Es ist kaum anzunehmen, dass Russland das Risiko eingeht, diesen Weg mit Belarus unwidersprochen fortschreiten zu lassen. Die Interessen anderer in Rechnung zu stellen, heißt nicht, dass man diese teilen muss. Aber mitdenken muss man sie. All das geschieht nicht in dem uns vorgelegten Antrag. Dieser Antrag ist nichts anderes als die Erset- zung von Politik durch plakative Bekenntnisse. Und da- mit zu wenig, um dafür die Zustimmung der Linken zu erhalten. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS/90 DIE GRÜNEN): Anfang März, als die Präsidentschaftswah- len in Belarus bevorstanden, haben wir hier gemeinsam eine Aufforderung an den Minsker Diktator zur Gewähr- leistung freier und fairer Wahlen beschlossen. Schon da- mals wussten wir, dass die mit vielfachen staatlichen Be- hinderungen und Repressionen einhergehende Art der Wahlvorbereitung diese Forderung bereits unerfüllbar gemacht hatte. Aber wir wollten zeigen, dass wir von hier aus nach Belarus sehen. Wir wollten zeigen, dass dem Land und seinen Menschen unsere Aufmerksamkeit gilt. Ende März, als die Wahlfarce vorbei, die demokrati- sche Opposition chancenlos geblieben war und der Dik- tator trotzdem seinen Sieg noch zusätzlich in einen Tri- umph umgefälscht hatte, gingen Tausende in Minsk auf die Straße. Einige von uns waren dabei, um ihre und un- ser aller Solidarität mit den Demonstrierenden zu zeigen. Es folgten Verhaftungen, Verurteilungen und Verfolgun- gen. Damals beschlossen wir hier gemeinsam einen wei- teren Antrag, in dem wir den mutigen Menschen in Bela- rus unseren Respekt erwiesen, die Freilassung der Verhafteten forderten und Sanktionen gegen die ihre Macht missbrauchenden Funktionäre in Belarus verlang- ten. Wir wollten zeigen, dass wir uns für die Demokrati- sierung des Landes einsetzen, für seine Zugehörigkeit zur europäischen Wertegemeinschaft. Damals waren wir uns auch einig, dass Belarus ein langer Weg bevorsteht. Wir stimmten überein, dass wir uns auf eine langfristige Unterstützung einstellen müs- sen und auch einstellen wollen. Inzwischen ist, wie so oft in solchen Fällen, die Entwicklung in Belarus nahezu völlig aus der medialen Berichterstattung und damit aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Belarus ist aber nicht verschwunden. Die Situation dort hat sich Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4179 (A) (C) (B) (D) nicht verbessert, eher im Gegenteil. Nach wie vor sitzen zum Beispiel eine Reihe prominenter und vermutlich viele weniger prominente Oppositionelle in Haft. In ei- ner Woche soll der Prozess gegen einen der bekanntesten von ihnen, Alexander Kosulin, beginnen. Ein rechts- staatliches Verfahren nach unseren Maßstäben hat er wohl kaum zu erwarten. Unsere Aufgabe bleibt dieselbe, auch wenn es über das Thema keine Schlagzeilen mehr gibt. Einiges ist schon geschehen: Die EU hat ihre Sanktionen gegen Funktionsträger des Regimes erweitert und verschärft. Ähnliches wurde gerade in den USA beschlossen. Polen und andere Länder, darunter Deutschland, haben Stipen- dien für in Belarus wegen ihres demokratischen Engage- ments relegierte Studierende bereitgestellt. Das sind erste gute Anfänge, vieles aber bleibt zu tun. Wichtiger noch als Sanktionen ist die Unterstützung der demokratischen Opposition und der bedrängten Zi- vilgesellschaft in Belarus. Unsere, des Deutschen Bun- destages Aufgabe muss es sein, Vorschläge dafür aufzu- nehmen oder selbst in die Debatte zu bringen, vor allem aber, die politische Entscheidung zur Ermöglichung ih- rer Umsetzung herbeizuführen. Das ist das Ziel unseres Antrags, dem – das kann jetzt schon gesagt werden – weitere werden folgen müssen. Denn nicht nur die Repressionen in Belarus gehen weiter, auch die Diskussion in Europa über den Umgang mit dem Regime entwickelt sich. Sogar Russland verän- dert seine Haltung gegenüber Lukaschenkos Politik – si- cher weniger zur Unterstützung der Demokratisierung als zur Steigerung seines ökonomischen Einflusses. Aber die Ankündigung drastischer Energiepreiserhöhun- gen in den nächsten drei Jahren ist dennoch ein schwerer Schlag für Lukaschenko. Über einige weitere Forderungen und Vorhaben muss wohl nicht diskutiert werden. Natürlich müssen wir die Forderung nach Freilassung der gewaltlosen politischen Gefangenen aufrechterhalten. Ebenso müssen wir die Einstellung von Ermittlungen des belarussischen Gene- ralstaatsanwalts wegen Terrorakten im Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen fordern – es genügt we- nig Phantasie, sowohl die Abwegigkeit dieses Vorwurfs wie seine Bedrohlichkeit für die Betroffenen festzustel- len. Es gibt weitere Vorschlage, über die zu reden wäre. Ich nenne stichwortartig nur einige Beispiele: die Ein- richtung der Institution eines Belarus-Beauftragten der EU; die Koordination und Zusammenführung von Sti- pendien-Initiativen aus mehreren Ländern; Unterstüt- zung für geschlossene oder behinderte unabhängige Me- dien, für demokratische Parteien und Bewegungen und für mit Berufsverbot belegte Oppositionelle; finanzielle Unterstützung demokratiefördernder Stiftungen auf EU- Ebene, die in und für Belarus aktiv werden können. Entscheidend bleibt aus unserer Sicht die Entwick- lung einer breiten und aktiven Zivilgesellschaft. Die da- für vorhandenen Förderprogramme müssen aufrechter- halten und gestärkt werden, und ein dieser Entwicklung dienender kritischer Dialog verdient ebenfalls jede Un- terstützung. Solidaritätsbekundungen wie im März sind gut, dau- erhafte Aufmerksamkeit, kontinuierliche Unterstützung aber sind notwendig. Ich bin guter Hoffnung, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, sich dieser Erkenntnis nicht verschließen werden. Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – UN-Überprüfungskonferenz als Chance zur wirksamen Kontrolle des Handels mit Klein- waffen und leichten Waffen nutzen – Den neuen Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zum Erfolg führen – Waffen unter Kontrolle – Für eine umfas- sende Begrenzung und Kontrolle des Han- dels mit Kleinwaffen und Munition – Den neuen Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen intensiver unterstützen (Tagesordnungspunkt 20 a und b und Zusatz- tagesordnungspunkte 7 und 8) Holger Haibach (CDU/CSU): „Neuer Anlauf für die Menschenrechte“, „Chancen für die Menschenrechte“, „Zweifel am Menschenrechtsrat“, „Tendenz zur Selbst- zensur“, „Gedämpfte Erwartungen“, „Chance im Neube- ginn“: So weit auseinander gehen die ersten Bewertun- gen des neuen UN-Menschenrechtsrates, dessen erste Sitzungsperiode in dieser Woche zu Ende geht. Wie auch immer man die Aktionen des neuen Gremiums bewertet: Deutschland hat durch seine Mitgliedschaft die Möglich- keit und Verpflichtung, dabei mitzuhelfen, die Arbeit des Rates zum Erfolg zu führen. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass sich der Deutsche Bundestag mit der Ar- beit des Menschenrechtsrats beschäftigt. Es bietet sich auch eine gute Gelegenheit, noch einmal darauf hinzu- weisen, dass Deutschland mit der größten Stimmenzahl aller Länder der westlichen Ländergruppe in den neuen Rat gewählt worden ist. Das ist sicherlich ein Zeichen der Anerkennung deutscher Menschenrechtspolitik so- wie der konstruktiven Rolle, die Deutschland bei dem Zustandekommen der Resolution über den Menschen- rechtsrat übernommen hat. In diesem Zusammenhang gilt unser Dank der Bundesregierung, deren Anteil am letztendlichen Kompromiss sehr hoch war. Aus diesem Ergebnis und aus der Tatsache, dass Deutschland aufgrund eines Losentscheids dem Rat zu- mindest für die nächsten drei Jahre angehören wird, er- wächst aber ebenso sehr die Verpflichtung, alles dafür zu tun, dass die Arbeit des Rats erfolgreich verläuft und dass der Rat sich zu einem effektiven und glaubwürdi- gen Gremium beim weltweiten Menschenrechtsschutz entwickelt. 4180 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Bisher hat sich der Rat im Wesentlichen mit Verfah- rensfragen beschäftigt, unter anderem mit der Frage, welche der bisherigen Mechanismen der alten Men- schenrechtskommission beibehalten werden sollen, oder damit, wie die regelmäßige Überwachung der Men- schenrechtssituation in den UN-Mitgliedstaaten und ins- besondere den Mitgliedsländern des Rats überprüft wer- den soll. Diese prozeduralen Fragen sollten nicht unterschätzt werden, entscheiden sie doch nicht zuletzt darüber, wo- mit sich der Menschenrechtsrat beschäftigen soll und auf welche Art. Um nur ein Beispiel zu nennen: Es ist ein großer Unterschied, ob zur Beurteilung der Menschen- rechtslage in einem Land nur Regierungsdokumente he- rangezogen werden dürfen oder ob auch Dokumente von Nichtregierungsorganisationen Berücksichtigung finden. Im Übrigen zeigen sich bei der Entstehung des Rats Licht und Schatten: Es ist ein wirklicher Fortschritt, dass es zum ersten Mal tatsächlich zu einer wirklichen Wahl in der UN-Vollversammlung gekommen ist, dass es ei- nige Staaten, die zu Recht als menschenrechtliche Pro- blemfälle gelten, nicht in den Rat geschafft haben, weil sie entweder gar nicht erst angetreten sind oder nicht die notwendige Mehrheit erhalten haben. Es ist auch zu be- grüßen, dass die Bewerberländer eine eigene Einschät- zung ihrer Menschenrechtspolitik veröffentlicht haben. Ferner gibt es nun erstmals die Möglichkeit, auch Län- der mit einer Zweidrittelmehrheit wieder aus dem Rat zu entfernen. Zu beklagen bleibt allerdings, dass leider nicht alle Kompetenzen, die der Rat ursprünglich erhalten sollte, auch tatsächlich Eingang in die Resolution zur Einset- zung des Gremiums gefunden haben, ebenso die Tatsa- che, dass es auch Ländern mit erheblichen Menschen- rechtsdefiziten gelungen ist, in den Rat gewählt zu werden. Die tatsächliche Bewährungsprobe des Rates wird aber die alltägliche Arbeit sein. Hier wird sich zeigen, ob der Rat glaubwürdig ist, ob er nicht die alten Fehler der bisherigen Kommission wiederholt, ob nicht doch wieder gegenseitige Blockaden und Opportunitätsüber- legungen die wirkliche Aufgabenstellung des Rats kon- terkarieren. Günter Nooke, der neue Menschenrechtsbe- auftragte der Bundesregierung, hat dazu treffend formuliert, dass der Rat sich nicht von Anfang an selbst zensieren dürfe. Positiv ist in diesem Zusammenhang zu bewerten, dass die USA sich zwischenzeitlich bereit erklärt haben, die Arbeit des Rates nachhaltig zu unterstützen, obwohl sie derzeit dem Gremium nicht angehören. So wohnt diesem Neuanfang vielleicht kein Zauber, aber doch eine Chance auf einen tatsächlichen Neube- ginn inne. Wir als Koalition von CDU/CSU und SPD werden jedenfalls die Bundesregierung bei ihrer Arbeit in dem neuen Rat nach Kräften unterstützen und sind der Meinung, dass der von uns heute vorgelegte Antrag hierzu die richtige Grundlage bietet. Der von Bündnis 90/Die Grünen eingebrachte Antrag spricht einige wichtige Aspekte an, ist aber weniger um- fassend als der Koalitionsantrag und wird deshalb von uns abgelehnt. Insgesamt liegt bei dem neuen Menschenrechtsrat ein weiter Weg vor uns, den wir wahrscheinlich nur in klei- nen Schritten und manchmal auch in Umwegen gehen können. Doch wie heißt es so schön in einem chinesi- schen Sprichwort: Der längste Weg beginnt mit dem ers- ten Schritt. Carl-Eduard von Bismarck (CDU/CSU): Meine heutige Redezeit beträgt vier Minuten. In diesen vier Mi- nuten werden in aller Welt 60 neue Klein- und Leicht- waffen hergestellt. In der gleichen Zeit werden etwa vier Menschen durch ebensolche Kleinwaffen getötet, darun- ter mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Frauen und Kinder. Diese Zahlen verdeutlichen: Klein- waffen sind ein großes Problem. Seit den 90er-Jahren hat die internationale Kleinwaf- fenproduktion rapide zugenommen. Dadurch sind Ge- wehre, Pistolen, Granaten und Karabiner heute leichter und vor allem billiger denn je zu bekommen. Dass damit auch ihr Missbrauch stetig zunimmt, liegt auf der Hand. Die internationale Gemeinschaft hat diese Entwicklung erkannt und Konsequenzen daraus gezogen. Zahlreiche beachtenswerte Abkommen und Initiativen auf interna- tionaler, regionaler und nationaler Ebene sollen zur Ver- besserung der Rüstungskontrolle in Sachen Kleinwaffen führen. Um nur einige Beispiele zu nennen: In der EU gilt für ihre Mitglieder der so genannte Verhaltenskodex zu Waffenausfuhren. Demnach dürfen Waffen nur in Länder exportiert werden, die bestimmte Kriterien erfül- len. In diesen Ländern müssen beispielsweise Frieden, Sicherheit und Stabilität gewährleistet sein. Die Bundes- regierung ist dem EU-Verhaltenskodex nicht nur als EU- Mitglied verpflichtet, sondern hat ihn zudem zu einem ihrer „politischen Grundsätze für den Export von Kriegs- waffen und sonstigen Rüstungsgütern“ gemacht. In Afrika hat die Wirtschaftsgemeinschaft westafrika- nischer Staaten bereits 1998 das Malimoratorium verab- schiedet. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, den Im- und Export sowie die Produktion von Kleinwaffen ein- zustellen. Auch Nichtregierungsorganisationen aus aller Welt sind auf dem Gebiet der Kleinwaffen-Rüstungskontrolle bemerkenswert engagiert. Exemplarisch sei hier das In- ternational Network on Small Arms erwähnt. Dieses Netzwerk besteht aus 500 NGOs, die im Dialog mit Re- gierungen, Institutionen und Zivilgesellschaften Rüs- tungskontrolle forcieren und den Missbrauch von Klein- waffen bekämpfen. Auch die Vereinten Nationen haben ein Instrument entwickelt, das sich der Kleinwaffenproblematik an- nimmt. Sie haben 2001 das UN-Aktionsprogramm zur Bekämpfung des unerlaubten Handels mit Kleinwaffen und leichten Waffen in allen Aspekten verabschiedet. Es macht einen großen Schritt in die richtige Richtung. Es schreibt die detaillierte Kennzeichnung der Waffen vor, um deren Wege besser verfolgen zu können und gestattet Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4181 (A) (C) (B) (D) Waffenexporte nur, wenn diese im Einklang mit völker- rechtlichen Verpflichtungen geschehen. Besagtes Aktionsprogramm ist ein guter Ansatz und hat Potenzial, dem Problem Kleinwaffen wirksam entge- genzutreten. Wie zahlreiche andere Initiativen und Ab- kommen weist das Programm momentan jedoch noch einige Lücken auf. So halten sich aufgrund der mangeln- den Rechtsverbindlichkeit zu wenige Staaten an die Richtlinien. Zudem beschäftigt sich das Programm aus- schließlich mit staatlichen Akteuren im Kleinwaffenhan- del, obwohl sich 60 Prozent der 600 Millionen Klein- waffen, die weltweit im Umlauf sind, in privatem Besitz befinden. Die derzeit in New York tagende UN-Konferenz zur Überprüfung des Aktionsprogramms ist ein optimaler Zeitpunkt, das Programm zu überarbeiten und die Lü- cken zu schließen. Uns allen muss klar sein, dass eine wirksame Bekämpfung des Missbrauchs von Kleinwaf- fen Jahre dauern wird. Umso wichtiger ist es, das UN- Aktionsprogramm umgehend weiterzuentwickeln und die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Daher ermutigen wir die Bundesregierung, sich weiterhin für eine transpa- rente und vor allem wirksame Kontrolle des Handels mit Kleinwaffen und leichten Waffen einzusetzen und aktiv an der Umsetzung und Verbesserung des UN-Aktions- programms sowie der EU-Strategie mitzuarbeiten. Kleinwaffen sind – da stimme ich UN-Generalsekre- tär Kofi Annan vollkommen zu – die Massenvernich- tungswaffen des beginnenden 21. Jahrhunderts. Sie töten täglich Tausende von Menschen und versagen Millionen von Kindern eine unbeschwerte Kindheit, weil sie sie zu Mördern machen, die von skrupellosen Banden geför- dert und von den eigenen Familien geächtet werden. Kleinwaffen sind auch ein wesentlicher Grund dafür, dass Kriege und bewaffnete Konflikte zunehmend in der Zivilbevölkerung stattfinden. Ich denke, der erhöhte Handlungsbedarf in Sachen Kleinwaffen ist uns allen ersichtlich, und hoffe, dass Sie mir zustimmen, wenn ich sage, dass wir an einem Strang ziehen müssen, um den Teufelskreis von Gebrauch und Handel mit diesen Waffen wirksam und dauerhaft zu durchbrechen. Ich bitte Sie daher, den gemeinsamen An- trag von CDU/CSU-Fraktion und SPD-Fraktion zu un- terstützen, indem Sie Ihrem Gewissen Vorrang vor mög- lichen Fraktionszwängen geben. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Wir reden heute über den neuen Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, der nach langen und zum Teil sehr mühsamen Diskus- sionen im Zuge der UN-Reform beschlossen wurde. Er soll die in den letzten Jahren nicht immer zu Recht in ih- rer Arbeit sehr angegriffene Menschenrechtskommission ablösen und – als Unterorgan der Vollversammlung der Vereinten Nationen und mit Stärkung der UN-Hochkom- missarin für Menschenrechte und ihren Befugnissen – die unverzichtbare Bedeutung der Menschenrechte in al- len Ländern der Welt unterstreichen und in der Durch- führung voranbringen. Wir wollen seine Arbeit zum Er- folg machen – das will unser Antrag, für den ich Sie um Zustimmung bitte. Das will auch der Antrag einer Oppo- sitionsfraktion – auch ihr geht es darum zu bekräftigen, dass Bundesregierung und Europäische Union ihre be- sondere Verantwortung für die Durchsetzung und Stär- kung der Menschenrechte wahrnehmen und sie durch ihre Politik zum tragenden Pfeiler der globalen Rechts- ordnung machen. Der Deutsche Bundestag stellt mit großer Freude fest, dass die Bundesrepublik Deutschland mit einer beson- ders hohen Stimmenzahl zum Mitglied des neuen Men- schenrechtsrates gewählt worden ist. Das zeigt, dass uns viele Staaten der Völkergemeinschaft ein hohes Maß an Vertrauen entgegenbringen. Das neue Wahlverfahren in der Generalversammlung der Vereinten Nationen setzt die absolute Mehrheit aller Mitglieder für eine Wahl vo- raus. Deutschland Wahlstimmen liegen bei drei Viertel aller Mitglieder der General-Versammlung. Dieses groß- artige Ergebnis beruht sicherlich auf mehreren Faktoren. Zum einen auf der Anerkennung, dass die Menschen- rechtspolitik der Bundesrepublik Deutschland sich er- folgreich darum bemüht, im Inneren unseres Landes hohe Standards durchzusetzen. Das ist gut; daran hat auch der Deutsche Bundestag einen entscheidenden An- teil. Allerdings legen wir Politikerinnen und Politiker der SPD und, das darf ich wohl hinzufügen, auch der ande- ren Fraktionen des Deutschen Bundestages, die wir uns besonders um Menschenrechtsfragen kümmern, gerade deshalb großen Wert darauf, dass wir auch erkennen, wo wir im Innern noch große Defizite haben, die wir endlich durch vernünftige und angemessene Lösungen überwin- den müssen. Ich spreche jetzt von den Menschenrechten für die vielen ohne Aufenthaltsstatus in der Bundesrepu- blik lebenden Männer, Frauen und Kinder, also für die so genannten Illegalen. Wir können ihre Zahl nur schätzen; aber wir wissen, dass ihnen jede Garantie auch der mini- malen Menschenrechte fehlt: Der Zugang zu Gesund- heitsschutz, zu Schule und Bildung, zu Rechtsschutz vor Ausbeutung und Gewalt, kurz auf das, was unbedingt zu einem menschenwürdigen Leben ohne ständige, alltägli- che Angst gehört, alles das fehlt ihnen. Hier müssen wir endlich die Augen aufmachen und helfen. Das sind wir uns, das sind wir diesen Menschen schuldig. Außerdem hat es Signalwirkung, wie wir im eigenen Land mit Menschenrechten umgehen. Wie wollen wir denn in den wichtigen Menschenrechtsdialogen mit anderen Ländern reden, wenn wir diesen Balken im eigenen Auge nicht sehen? Ich bin ganz sicher, es wird auch unseren Ein- fluss im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen ver- stärken, wenn wir nachweisen, dass es uns mit den Men- schenrechten auch für diese Bevölkerungsgruppe Ernst ist. Das internationale Vertrauen in die Menschenrechts- politik der Bundesrepublik Deutschland ist aber auch be- rechtigt, weil diese eben, auch hier getragen von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages, nirgendwo zu Menschenrechtsverletzungen schweigt oder sie gar tak- tisch akzeptiert. Vielmehr greift sie Menschenrechtsver- letzungen auf und versucht, bei ihrer Überwindung zu helfen. Es geht uns darum, Menschenrechte als Grund- lage jeder freien und friedlichen Gesellschaft zu stärken und sie global durchzusetzen. Den anmaßend erhobenen 4182 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Zeigefinger halten wir dabei für wesentlich weniger ge- eignet als den Einsatz sehr erfolgreicher Instrumente wie beispielsweise Menschenrechts- und Rechtsstaatsdia- loge. Der Deutsche Bundestag hat bei der Schaffung des Römischen Statuts und der Bildung des Internationalen Strafgerichtshofs sehr gut zusammengearbeitet. Wir alle unterstützen seine wichtige Arbeit, verteidigen sie gegen Angriffe etwa der US-Administration und werben für die Unterstützung der Vereinigten Staaten für diesen Ge- richtshof, aber auch für den Menschenrechtsrat der Ver- einten Nationen. Der Deutsche Bundestag unterstützt mit ebenso großem Nachdruck die deutsche Unterstüt- zung für Wahrheits- und Versöhnungskommissionen und die Stärkung von Rechtsstaatlichkeit und Peace-building durch Aufbau von rechtsstaatlichen Institutionen in vie- len Ländern der Welt. Das alles hat nicht nur das Ver- trauen in die deutsche Menschenrechtspolitik gestärkt, sondern auch die Erwartungen an Deutschland wachsen lassen. Es ist deshalb gut, dass Deutschland für drei Jahre Mitglied des neuen Menschenrechtsrates sein wird, der am 19. Juni 2006 seine Arbeit in Genf aufgenommen hat. In diesen drei Jahren müssen viele schwierigen An- fangsprobleme bewältigt und klare Standards gesetzt werden. Deutschland wird 2007 die Präsidentschaft in der Europäischen Union und in der Organisation der G 7/G 8 übernehmen und dort mit der Autorität dieses Amtes für eine gute Menschenrechtspolitik werben können. Es wird dieses politische Gewicht auch in die Arbeit des Menschenrechtsrats einbringen. Da bisher die Politik für Menschenrechte längst nicht aller 47 Mitglieder des neuen Rates vorbildlich ist, weder im Hinblick auf die Garantie der Menschenrechte im eigenen Land noch im Umgang mit anderen Teilen der Welt oder im Bereich der internationalen Völkergemeinschaft, wird es zu- nächst einmal darum gehen müssen, die Länder mit menschenrechtsfreundlicher Politik im Menschenrechts- rat zusammenzuführen und ihr Votum im Rat durchset- zungsfähig zu machen. Unter den wichtigen Anfangsentscheidungen sind ei- nige besonders wichtig. Sie sind in unserem Antrag ent- halten; aber auch der Antrag der Oppositionsfraktion ist lesenswert. Beide müssen nicht nur in der Arbeit des Bundestages, sondern auch in der der Bundesregierung berücksichtigt werden. Wichtig ist, dass der neue Menschenrechtsrat die ho- hen Standards und erfolgreichen Instrumente aufnimmt und weiterführt, die die UN-Menschenrechtskommis- sion in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat. Diese Arbeit, diese Erfolge dürfen nicht verloren gehen. Dabei muss von vorneherein klargestellt werden, dass zwar die Art der Durchsetzung und Garantie der Men- schenrechte von regionalen, kulturellen, religiösen und traditionellen Prägungen beeinflusst sein kann und häu- fig auch beeinflusst sein wird; die Existenz eines Menschenrechts kann jedoch ebenso wenig von diesen Faktoren abhängig sein wie sein Inhalt und seine Reich- weite. Das klarzustellen gehört zur Anerkennung der Be- deutung der Menschenrechte. Wichtig ist auch, dass der Rat sicherstellt, dass seine Mitglieder sich in ihrer Menschenrechtspolitik überprü- fen und an den erreichten hohen Standards messen las- sen. Erst wenn die Mitglieder des Menschenrechtsrats die hohen Anforderungen erfüllen, können sie in der Ge- neralversammlung der Vereinten Nationen die Autorität beanspruchen, die den Menschenrechten und ihrer Durchsetzung zukommt und die dann die Überprüfung auch der Menschenrechtspolitik der übrigen Mitglieder der Vereinten Nationen zu einem Erfolg werden lässt. Wichtig ist des Weiteren, dass der Menschenrechtsrat gut mit der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte zusammenarbeitet und die Verbindungen zum UN-Gene- ralsekretär und zum UN-Sicherheitsrat zur Durchsetzung und Stärkung der Menschenrechtsgarantien nützt. Schließlich ist es wichtig, dass der Menschenrechtsrat die wichtige Rolle der Nichtregierungsorganisationen anerkennt: Diese Organisationen sind es ja, die über die Geltung und die Durchsetzung der Menschenrechte im Alltagsleben der Menschen eines Landes häufig viel bes- ser Bescheid wissen als Mitglieder von Ämtern oder Di- plomatische Korps. Die global arbeitenden Menschen- rechtsorganisationen können mit ihren aktualisierten Meldungen und Vergleichen die Arbeit des Rates ent- scheidend unterstützen. Sie müssen deshalb ihren Zu- gang, ihren Einfluss und ihre wichtige Rolle im Men- schenrechtsrat behalten. Ich bitte um Zustimmung für unseren Antrag. Es be- steht kein Zweifel daran, dass wir alle die Bundes- regierung und insbesondere den Bundesaußenminister in seiner Arbeit im Menschenrechtsrat und auch die Beauf- tragten der Bundesministerien für Menschenrechtsfragen in ihrer wichtigen Tätigkeit weiterhin aktiv unterstützen. Im kommenden September werden wir aus Anlass der zweiten Sitzungsperiode des UN-Menschenrechtsrates mit einer Delegation des Menschenrechtsausschusses des Deutschen Bundestages nach Genf fahren, um uns vor Ort über die Bewältigung der anstehenden Fragen und Probleme zu informieren. Wir alle wissen, dass mit unserem möglichst breit zustimmenden Beschluss heute ein wichtiger Schritt getan ist. Dem müssen noch viele weitere folgen. Christoph Strässer (SPD): Zurzeit findet eine zweiwöchige Konferenz zur Überprüfung des UN-Ak- tionsprogramms zum Kleinwaffenhandel bei den Verein- ten Nationen in New York statt. Es gilt im Zuge dessen vor allem mehr als deutlich hervorzuheben, wie katastro- phal die Folgen der massenhaften Verbreitung von Kleinwaffen und leichten Waffen tatsächlich sind. Denn fälschlicherweise ist die Gefahr von Kleinwaffen und leichter Rüstung auf nationaler, regionaler und globaler Ebene gesellschaftlich nicht präsent genug und wird un- terschätzt. Kleinwaffen und leichte Waffen sind eine be- stimmte Kategorie von Kampfmitteln, die von einer oder zwei Personen getragen, transportiert und ausgelöst wer- den können. Zu ihnen zählen laut UNO-Definition unter anderem Sturmgewehre, Revolver und Maschinenenge- wehre sowie die dazugehörige Munition, aber auch Handgranaten, tragbare Raketenwerfer, Mörser, Panzer- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4183 (A) (C) (B) (D) fäuste, Minen und schultergeschützte Flugabwehrrake- ten. Die meisten Kleinwaffen sind leicht zu transportie- ren und im wahrsten Sinne des Wortes kinderleicht zu bedienen. Das Töten mit dem Gewehr vom Typ Kalasch- nikow AK-47 kann man bereits einem Zehnjährigen bei- bringen. Die Folge ist unter anderem, dass Kinder vor al- lem in Afrika und Asien zu Tausenden zwangsweise als Soldaten rekrutiert werden. In rund 40 Staaten der Erde kämpfen nach Schätzungen von UNICEF immer noch über 300 000 mit Kleinwaffen ausgerüstete Jungen und Mädchen in Regierungsarmeen oder bewaffneten Grup- pen. In weiten Teilen der Welt sind Kleinwaffen preis- werter als zum Beispiel Nahrungsmittel oder Medizin. In Uganda kostet nach UNICEF Angaben ein AK-47-Ge- wehr soviel wie ein Huhn und in Angola soviel wie ein Sack Mais – etwa 15 Dollar. In vielen Krisengebieten sind sie daher auch außerhalb regulärer Streitkräfte weit verbreitet. Den Kleinwaffen sind in den letzten Jahrzehnten weit mehr Menschen zum Opfer gefallen als allen anderen Waffenarten zusammen. Mindestens eine halbe Million Menschen verlieren alljährlich ihr kostbares Leben durch Kleinwaffen, das heißt, jede Minute stirbt ein Mensch durch diese Waffengattung, unter ihnen auch viele Frauen und Kinder. Weltweit wird die Anzahl von Kleinwaffen, die jahrzehntelang benutzt werden können und immer wieder auf neuen Brandherden auftauchen, von ai auf 650 Millionen geschätzt. Damit verfügt jeder zehnte Mensch über eine Waffe. Jedes Jahr werden 14 Milliarden Schuss Munition produziert – das sind weltweit mehr als zwei Geschosse für jeden Mann, jede Frau und jedes Kind. Diese unvorstellbare Menge an Kleinwaffen macht sie zum meistverbreiteten Massenvernichtungsmittel un- serer Zeit. Wie Helmut Schmidt bereits richtig fest- stellte, handelt es sich im Fall der Kleinwaffenverbrei- tung ausdrücklich um einen globalen Notstand, der dringend der Abhilfe bedarf. Die massenhafte Streuung solcher Waffen führt zudem zur Destabilisierung ganzer Regionen und verhindert in Ländern wie Somalia, Sierra Leone, Sudan, Kongo oder Angola über Jahre jede fried- liche Entwicklung. Verschlimmernd kommt hinzu, dass die Gefahr durch Kleinwaffen und leichte Rüstung mit der Beilegung eines regionalen Konfliktes nicht zu Ende ist. Denn diese Waffen bleiben nach der Beilegung von Konflikten meist in den Händen der gewaltbereiten Menschen und unterminieren so die Friedenskonsolidie- rung und die angestrebte Stabilität in den betroffenen Regionen. Die Mehrzahl der Menschen fällt somit nicht den Kampfhandlungen selbst zum Opfer, sondern ver- liert ihr Leben in der „Nachkriegszeit“. Das bedeutet: Frieden, Sicherheit und die positive Entwicklung werden in wachsendem Maße durch die destabilisierende Wir- kung der Verbreitung von Kleinwaffen und leichten Waffen bedroht. Kleinwaffen und leichte Waffen tragen zudem zur Verschärfung des Terrorismus und der organisierten Kri- minalität bei. Wer den Terrorismus bekämpfen will, sollte insofern als einen der ersten Schritte die Verbrei- tung von Kleinwaffen und leichter Rüstung mit aller Macht eindämmen. Eine wirksame Kontrolle dieser Waffengattung ist für eine menschenrechtsorientierte, aber auch für eine wirtschaftsfördernde Politik und da- mit einhergehend für die Stärkung des humanitären Völ- kerrechtes zwingend notwendig. Es gibt bereits viele in- ternationale, regionale und nationale Vereinbarungen gegen die Verbreitung von leichten und Kleinwaffen, wie zum Beispiel das 2001 geschaffene „UN-Aktions- programm zur Bekämpfung des unerlaubten Handels mit Kleinwaffen und leichten Waffen in allen Aspekten“ und das 2005 von der UN-Generalversammlung verabschie- dete politisch verbindliche Abkommen über die Kenn- zeichnung und Nachverfolgbarkeit von Kleinwaffen. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen verabschie- dete insgesamt mehr als 30 Resolutionen zu Kleinwaffen und auch der Weltsicherheitsrat befasste sich auf Son- dersitzungen mehrfach mit diesem Thema. Es ist unumstritten, dass trotz dieser internationalen Verträge und nationalen Rechtsvorschriften und dem großen Engagement internationaler Nichtregierungsor- ganisationen die Gefahr durch Kleinwaffen und leichte Rüstung in den letzten Jahren nicht wirklich nachgelas- sen hat. Aus humanitärer wie menschenrechtlicher Sicht sollte die internationale Gemeinschaft deshalb die Chance nutzen, sich im Schlussdokument der Überprü- fungskonferenz mit klaren Kriterien und verbindlichen Regelungen zur Bekämpfung des Missbrauchs von Kleinwaffen und leichten Waffen zu verpflichten und Lücken im Aktionsprogramm zu schließen. Die SPD- Fraktion bekräftigt mit diesem Antrag insofern die un- eingeschränkte Notwendigkeit eines Übereinkommens aller Staaten zur Schaffung eines wirkungsvollen und eindeutigen internationalen Kontrollsystems, das Waf- fen- und Munitionstransfers in Gebiete unterbindet, in denen diese Güter wahrscheinlich zu schwerwiegenden Verletzungen der Menschenrechte oder des humanitären Völkerrechtes verwendet werden. Wir bekunden damit unseren grundsätzlichen Willen, alles dafür zu tun, dass die zweite UN-Durchführungskonferenz zum Kleinwaf- fen-Aktionsprogramm diesem Ziel eines internationalen rechtskräftigen Kontrollsystems entscheidend näher kommt. Wer das hehre Ziel verfolgt, Massenvernich- tungswaffen weltweit zu bekämpfen, der sollte ein sol- ches Kontrollsystem mit all seiner Kraft unterstützen. Florian Toncar (FDP): Die Bundesregierung ver- folgt eine Menschenrechtspolitik, die zwar sinnvolle An- sätze aufweist, in ihrer Umsetzung jedoch zu wenig Biss hat und keine echten Akzente setzt. Leider hat es die jet- zige Bundesregierung noch nicht vermocht, ein eigenes menschenrechtliches Profil herauszubilden. Dies wird auch in den heute von den Regierungsfraktionen zur Be- ratung vorgelegten Anträgen deutlich. Beiden Anträgen ist gemeinsam, dass die darin erhobenen Forderungen zwar an sich unterstützenswert sind. Jedoch lassen sie wirkliche Akzente vermissen, eine kreative Bereiche- rung sind sie nicht. Der erste Antrag befasst sich mit der künftigen Arbeit des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen. Die FDP hat die Verhandlungen zur Schaffung dieses neuen Gremiums genau verfolgt. Wir hatten den Eindruck, dass das Auswärtige Amt in seiner Verhandlungsführung 4184 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) umsichtig und geschickt agiert und die Koordination mit den EU-Staaten sehr gut funktioniert hat. Man muss den mit den Verhandlungen betrauten deutschen Diplomaten, insbesondere dem Arbeitsstab Menschenrechte im Aus- wärtigen Amt, an dieser Stelle Lob und Anerkennung aussprechen. Die Aufgabe, einen möglichst umfangrei- chen und effektiven Menschenrechtsschutz auszuhan- deln, war angesichts des Widerstandes einiger Bremser- staaten nicht leicht. Zeitweise schien es, dass es in den Verhandlungen nur noch darum ging, das Schlimmste zu verhindern. Das Ergebnis lässt viele Wünsche offen. Die FDP hätte es natürlich befürwortet, wenn eine Zweidrittel- mehrheit sowie strengere Menschenrechtskriterien für die Mitgliedschaft von Staaten im Menschenrechtsrat notwendig gewesen wären. Leider war dies nicht mehr- heitsfähig. Aber angesichts der schwierigen Verhandlun- gen war offenbar nicht mehr drin. Der Menschenrechtsrat hat sich nun konstituiert und wird sich in der Anfangsphase damit befassen, seine ei- gene Arbeitsweise zu definieren. Die Bundesregierung ist in der Pflicht, ihre Mitgliedschaft in dem neuen Gre- mium zu nutzen, um diese Methoden so effektiv wie möglich zu gestalten. Dabei ist wichtig, dass ausreichend Arbeitszeit für die Befassung mit aktuellen Krisensitua- tionen und groben Menschenrechtsverletzungen bleibt. Am Ende müssen Menschenrechtsverletzer damit rech- nen, beim Namen genannt und öffentlich vom Men- schenrechtsrat durch Länderresolutionen angeprangert zu werden. Ich verstehe den Antrag einerseits als eine Würdigung des diplomatischen Verhandlungsergebnisses, das neben vielen klaren Defiziten auch zahlreiche Chancen bein- haltet. Andererseits – und ich denke, das ist der Schwer- punkt – geben die Forderungen der Bundesregierung den Auftrag, die Ärmel hochzukrempeln und die Arbeit des neuen Menschenrechtsrates mit Inhalt zu füllen. Hier hätte der Antrag konkreter sein können. Auch wenn wir diesem Antrag der Regierungsfraktionen zustimmen werden, bleibt für uns entscheidend, wie die Bundesre- gierung im Menschenrechtsrat agiert. Wir werden genau beobachten, ob die Bundesregierung die an sie gerichte- ten Erwartungen erfüllt. Auch wenn die FDP den Kern des Antrages unter- stützt, ist die Schwammigkeit und die Vermeidung von klaren, akzentuierten Positionen zu bemängeln. Die Bundesregierung muss in Zukunft stärker Farbe beken- nen, wie ihre eigene Position zu konkreten Menschen- rechtsproblemen ist. Darum hat die FDP einen Antrag eingebracht mit dem Ziel, dass die Bundesregierung in künftigen Menschenrechtsberichten die eigene Bewer- tung klar getrennt von allgemeinen politischen Hinter- grundinformationen darlegt. Außerdem müssen mess- bare Zielvorgaben für die Zukunft formuliert werden. Wenn die Bundesregierung sich nicht traut, Position zu beziehen, soll sie das vor der Öffentlichkeit zeigen müs- sen, ohne die Möglichkeit zu haben, sich im Bericht hin- ter Allgemeinplätzen zu verstecken. Der zweite Antrag greift ein Thema auf, welches in den letzten Jahren große Bedeutung erlangt hat: die Be- kämpfung des Handels mit Kleinwaffen und leichten Waffen, mit denen die meisten Morde und Tötungen in Kriegen begangen werden. Da diese Waffen technisch sehr einfach und leider auch sehr robust und langlebig sind, kommt es vor, dass mit ein und derselben Waffe in mehreren Kriegen getötet wird. Der illegale Waffenhan- del bewirkt, dass diese Waffen von einem Bürgerkrieg zum nächsten verschoben werden. Es ist eine makabere „Tournée der Bürgerkriege“, die diese Waffen durch- wandern. Um dies zu erschweren, müssen die dunklen Kanäle der illegalen Waffenschieber durch verbindliche Regelungen sichtbar gemacht und unterbrochen werden. Die jetzt anstehende UN-Überprüfungskonferenz ist eine gute Gelegenheit, diesen internationalen Prozess voran- zutreiben. Dabei sollte die deutsche Diplomatie die Ge- legenheit nutzen, engagiert Akzente zu setzen. Es ist zu erwarten, dass einige Staaten – wie in den Verhandlungen vor fünf Jahren – versuchen werden, das Abschlussdokument möglichst stark zu verwässern. Die USA waren damals in die Kritik geraten, weil sie jegli- che Einmischung in ihr nationales Waffenrecht vermei- den wollten. Dies gab jedoch den größten Lieferanten von Kleinwaffen in Bürgerkriegsgebiete die Gelegen- heit, sich hinter den USA zu verstecken. So muss die Bundesregierung bei den anstehenden Verhandlungen auch Staaten wie China zu konkreten Zugeständnissen bei der Eindämmung der Zirkulation von Waffen drän- gen und klar Position beziehen. Ein wichtiges Ziel ist es, die Staaten, die Kleinwaffen in Konfliktherde liefern, dazu zu bringen, strengere Ex- portrichtlinien zu beachten. Dabei müssen Deutschland und die EU dafür sorgen, dass die Staaten in Ost- und Südosteuropa, in denen große Mengen von Kleinwaffen vorhanden sind und noch immer produziert werden, die Ausfuhr dieser Waffen begrenzen. So lagern etwa in der Ukraine, einem wichtigen Ausfuhrland, noch schät- zungsweise 9 Millionen Kleinwaffen. Es wäre fatal, wenn diese Waffen in den Umlauf des illegalen Waffen- handels gelangten, um das Feuer zahlreicher Bürger- kriege anzufachen. Staaten Ost- und Südosteuropas, die Mitglied der EU werden wollen oder ihre Beziehungen zur EU verbessern wollen, müssen hier ein klares Signal aus Brüssel erhalten. Auch wenn der Antrag diese For- derung erhebt, so hätte ich mir eine schärfere Formulie- rung in diesem Punkt gewünscht, um ein klares Signal an die ost- und südosteuropäischen Kleinwaffenprolife- rateure zu senden. Deutschland zählt trotz einer restriktiven Handhabe von Exportgenehmigungen weiterhin zu den größten Waffenexporteuren der Welt. In Zukunft sollten wir al- lerdings zum Hauptexporteur von Geräten zum Abrüsten und Zerschreddern von Kleinwaffen aufsteigen. Es stünde der Menschenrechtspolitik der Bundesregierung gut an, wenn deutsche Technik maßgeblich dazu beitra- gen könnte, diese unsäglichen Kleinwaffen wieder aus der Welt zu schaffen. Großbritannien stellt solche Geräte bereits als Teil seiner Entwicklungszusammenarbeit Staaten zur Verfügung. Leider ist der Inhalt des Antrages insgesamt so stark in Watte verpackt, dass er lediglich die allgemeinen Er- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4185 (A) (C) (B) (D) wartungen an die deutschen Diplomaten bei der anste- henden UNO-Konferenz wiedergibt. Notwendig ist er in dieser Form nicht. Wir sind gespannt, ob die Bundesregierung es schaf- fen wird, ein sichtbares Profil in der Menschenrechts- politik zu entwickeln. Bald ist das erste Regierungsjahr vorbei. Die Zeit läuft. Michael Leutert (DIE LINKE): Erstens. Wir unter- stützen den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD. Wir teilen mit den Antragstellern die Auffassung Kofi Annans, dass es sich bei den Kleinwaffen um die Massenvernichtungswaffen von heute handelt. Auch tei- len wir die Auffassung, dass eine wirksame Kontrolle dieser Waffengattung Konflikten vorbeugen, Frieden konsolidieren und Menschenrechtsverletzungen meiden helfen kann. Schließlich teilen wir die Auffassung, dass eine restriktive Rüstungsexportpolitik notwendig ist. So- weit stimmen wir mit den Antragstellern überein. Zweitens hat die Fraktion Die Linke aber auch erheb- liche Kritik an dem Antrag zu üben, eine Kritik aber, die uns nicht hindern soll, diesem Antrag zuzustimmen. Der Antragsteller ist nämlich der Auffassung, dass Kleinwaf- fen an ihre Einsatzorte in bewaffneten Konflikten oft- mals über illegale Vermittlungsgeschäfte gelangt sind. Wenn das stimmt – daran haben auch wir keinen Zwei- fel – dann fragen wir uns, warum der deutsche Beitrag zu einer Kontrolle dieser Waffengattung nicht etwas radikaler ausfallen könnte. Dazu drei Bemerkungen: Erstens. Dass es sichere Empfängerstaaten für Kleinwaf- fenexporte gibt, ist sehr zweifelhaft. Gerade der Waffen- export an verbündete Staaten ist der Anfang des Wegs der Weiterverbreitung der sehr langlebigen Kleinwaffen. Auch Staaten mit einer menschenrechtlich immer noch bedenklichen Lage wie etwa die Türkei und Indonesien wissen deutsche Waffen zu schätzen. Hier sind wesent- lich restriktivere Exportregelungen angesagt. Zweitens. Die Unterscheidung zwischen Sport-, Freizeit- und Kriegswaffen muss hinsichtlich der Exportbestimmun- gen aufgehoben werden. Drittens. Die Bundesregierung sollte sich dafür einsetzen, die bestehenden internationa- len Abkommen auch auf Waffen wie tragbare Flugab- wehrraketen und Mörser auszuweiten. Eine Ankündigung solcher Schritte wäre ein guter Beitrag für das Gelingen der UN-Kleinwaffenkonferenz. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem neuen Menschenrechtsrat hat eine neue und wichtige Phase des internationalen Menschenrechts- schutzes begonnen. Es besteht jetzt die historische Chance, Menschenrechte zu einer tragenden Säule im System der Vereinten Nationen werden zu lassen. Die neue Institution löst die bisherige Menschenrechtskom- mission ab, die aufgrund der Blockadehaltung zahlrei- cher Staaten mit mangelhafter Menschenrechtsbilanz zu Recht kritisiert worden war. Am 9. Mai diesen Jahres sind 47 Mitgliedstaaten für drei Jahre gewählt worden, darunter – mit überwältigender Mehrheit – auch Deutschland. Dies zeigt, wie positiv die konsequente Menschenrechtspolitik der Bundesrepublik der letzten Jahre auch international wahrgenommen wurde. Das muss und wird hoffentlich auch für die neue Regierung hinreichend Ansporn sein, hohe Standards einzuhalten und weiter zu verbessern, im Übrigen auch und gerade dort, wo Deutschland wie in der Flüchtlingspolitik noch Nachholbedarf hat! Der neue Rat ist unzweifelhaft ein positiver Neube- ginn für eine weltweit effektive Menschenrechtspolitik, obwohl auch im neuen Rat Länder Mitglieder sind, de- ren menschenrechtliche Standards alles andere als zu- frieden stellend sind. Aber: Alle Mitgliedstaaten werden auf ihre Menschenrechtslage überprüft und es soll die Möglichkeit einer Suspendierung der Mitgliedschaft für Staaten bestehen, die massive Menschenrechtsverletzun- gen begehen. Wir vertrauen darauf, dass dieser Mecha- nismus notfalls konsequent angewandt wird! Bündnis 90/Die Grünen sehen eine Reihe von Chan- cen, die der neue Menschenrechtsrat für eine tatsächli- che Verbesserung gegenüber der Arbeit der alten Menschenrechtskommission bietet. Der Rat wird im Vergleich zur MRK öfter und länger im Jahr tagen und sich aktueller mit Menschenrechtsfragen befassen kön- nen. Die Mitglieder des Rates müssen sich einer Prüfung ihrer eigenen Menschenrechtsstandards unterziehen, und es besteht die Möglichkeit der Aussetzung der Mitglied- schaft im Falle schwerwiegender Menschenrechtsverlet- zungen. Darüber hinaus wird es ein so genanntes Universal Periodic Review geben, das heißt ein Verfahren, mit dem die Menschenrechtssituation in allen Staaten der VN ge- prüft und Verletzungen von Menschenrechten öffentlich gemacht werden können. Allerdings: Es müssen auch noch eine Reihe von Herausforderungen zur effektiven Ausgestaltung des Menschenrechtsrates bewältigt wer- den: Wir fordern die Bundesregierung auf, sich mit Nach- druck für den Erhalt der wichtigen und bewährten Son- dermechanismen der MRK einzusetzen. Die Beteiligung der Nichtregierungsorganisationen muss gewährleistet bleiben! Und wir fordern die Bundesregierung auch auf, wichtige menschenrechtliche Initiativen, die in der Ver- gangenheit in der MRK nicht oder nicht umfassend durchgesetzt werden konnten, zum Beispiel Zusatzpro- tokoll zum VN-Sozialpakt, Resolution über die Men- schenrechte von Lesben und Schwulen, Resolutionen zu Guantanamo Bay und zu Darfur, zu unterstützen. Da- rüber hinaus erwarten wir von der Bundesregierung, dass sie im Rat darauf hinwirkt, dass die Informationen zur Menschenrechtslage in den zu überprüfenden Län- dern auch von opfernahen und staatsunabhängigen Insti- tutionen berücksichtigt werden. Ob sich die Erwartun- gen an den Menschenrechtsrat erfüllen, wird sich zeigen. Bündnis 90/Die Grünen jedenfalls werden die Entwick- lung dieser Institution mit größter Aufmerksamkeit und konstruktiver Kritik verfolgen. Lassen Sie mich zum Abschluss noch ein paar Worte zu unserem Antrag „Waffen unter Kontrolle“ und dem Problem der Kleinwaffen sagen. Schwerste Menschen- rechtsverletzungen gehen eng mit dem Vorhandensein und dem Einsatz von Kleinwaffen einher. Seit circa zehn 4186 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Jahren gibt es auf der internationalen Ebene Bemühun- gen, zu einer Begrenzung des Kleinwaffenproblems zu kommen. Die Bundesregierung hat sich hier mal mehr und mal weniger, insgesamt aber durchaus positiv und lobenswert engagiert. Dies gilt sowohl im Rahmen der UN, OSZE, EU und bilateral. Auch die nationalen Ex- portrichtlinien und Exportpolitik wurden ansatzweise verändert. Vor allem das UN-Aktionsprogramm von 2001 hat – bei allen Defiziten – dazu beigetragen, dass es auf der internationalen, regionalen und nationalen Ebene schritt- weise Fortschritte gegeben hat. Das reicht jedoch bei weitem nicht aus. Das Programm ist zu eng, zu unver- bindlich und in vielen Bereichen nicht entschlossen ge- nug umgesetzt worden. Wir erwarten, dass es bei der Überprüfungskonferenz in New York deutliche Fort- schritte gibt und sich Deutschland und die EU-Staaten vehement dafür einsetzen, dass es zu Verbesserungen und verbindlichen Weiterentwicklungen kommt. Dies gilt zum Beispiel für die Bereiche Munition, Waffenver- mittlungsgeschäfte und nichtstaatliche Endempfänger. Es müssen in New York auch Schritte in die Wege gelei- tet werden, um bald zu einem internationalen Waffen- handelsabkommen zu kommen, das möglichst hohe völkerrechtliche Mindeststandards festschreibt, um kon- ventionelle Waffenexporte unter Kontrolle zu bringen. Wir begrüßen, dass die Koalitionsfraktionen das Thema aufgreifen. Ihr Antrag bleibt jedoch leider in vie- len Bereichen ein Schönwetterantrag. Dort, wo es weh tut, also dort, wo auch die Bundesregierung und deut- sche Industrieinteressen betroffen sind, wagen Sie sich nicht ran! Wir dürfen uns nicht auf illegale und militärische Kleinwaffenexporte beschränken. Wir müssen auch die zivil genutzten und legalen Exporte in den Blick neh- men. Wir müssen vor allem auch unsere eigene Export- gesetzgebung und Exportpolitik kritisch unter die Lupe nehmen. Hier benennen wir entscheidende Lücken und Defizite. Bündnis 90/Die Grünen hat das als Regierungs- fraktion getan, und wir tun das auch heute. Vorausset- zung ist, dass sich die Transparenz in diesem Bereich weiter verbessert und die Fraktionen ihre Kontrollaufga- ben ernst nehmen. Deutschland gehört immer noch zu den weltweit führenden Exporteuren von zivilen und mi- litärischen Kleinwaffen, darunter sind auch Exporte, die mit den Rüstungsexportrichtlinien nicht vereinbar und nicht nachvollziehbar sind. Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: REITs – Real Estate Investment Trusts in Deutschland einführen (Tagesordnungspunkt 19) Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Die Fraktion der FDP fordert den Bundestag auf, einen Gesetzentwurf zur Ein- führung von REITs in Deutschland auf den Weg zu brin- gen. Auch die Union hat heute per Pressemitteilung ver- kündet, dass sie sich ebenfalls für die REITs-Einführung ausspricht, sofern – ich zitiere – „die verlässliche Be- steuerung beim Anleger sichergestellt ist und positive Auswirkungen auf Immobilienmarkt und Standortbedin- gungen zu erwarten sind“. Die SPD-Fraktion diskutiert das Problem intensiver. Die parlamentarische Linke kommt in einem interessan- ten Papier zu der Aussage, die Bedingungen für die Ein- führung von REITs seien nicht erfüllt, weil – Zitat – „die steuerpolitischen, haushälterischen und gesellschaftspo- litischen Schwierigkeiten und Gefahren nicht verlässlich ausgeräumt werden können“. Das BMF seinerseits führt in einem ausführlichen Papier lauter Argumente an, wa- rum REITs eine gute Sache sind. Eine interessante Konstellation: Für die FDP gibt es keine Probleme; die Union ist zwar dafür, weiß aber nicht, ob die Risiken unter Kontrolle sind und ob das Ganze überhaupt etwas bringt; das Bundesministerium der Finanzen gibt grünes Licht und die SPD ist sich nicht einig. Das sieht für mich danach aus, dass die Sache schon gelaufen ist, das heißt, dass die absolut berechtigten Ein- wände der SPD-Linken in den Wind geschlagen werden. Für die Fraktion Die Linke gibt es keinen Zweifel: Wir lehnen die REITs-Zulassung ab, sie schadet dem Finanz- platz Deutschland, sie schadet den Interessen der Miete- rinnen und Mietern und bietet ein weiteres Steuer- schlupfloch für Finanzinvestoren. Ich will dies begründen und Ihnen gleich zu Anfang unser zentrales Gegenargument nennen. Es geht um ei- nen Sachverhalt, der leider auch nicht in dem zitierten Argumentationspapier der SPD-Linken ausgeführt wird. Ich werde mich in der Auseinandersetzung auf dieses Papier beschränken, weil in dem FDP-Antrag nur Be- hauptungen zu lesen sind, während die Union nur das Prinzip Hoffnung zu vermelden hat. Worum geht es bei REITs? Es geht im Kern um die Mobilisierung von in Immobilien gebundenem Kapital von Unternehmen. Das sieht die FDP völlig richtig – Zi- tat aus dem Ihrem Antrag –: „REITs sind besonders für Versicherungen, Pen- sionsfonds und Stiftungen interessant … Unterneh- men aller Branchen ist es möglich, ihren Immobili- enbestand in REITS zu überführen. Somit können sie gebundenes Kapital heben.“ Ich bin der FDP-Fraktion dankbar für die Offenheit, mit der sie den Kernpunkt benennt, allerdings ohne sei- nen eigentlichen Hintergrund auszusprechen. Es geht im Wesentlichen um die Allianz, es geht um die großen Versicherungskonzerne. Bekanntlich haben Allianz und Co. riesige, nicht aufgedeckte stille Reser- ven in Form von Wohnungseigentum. Die Versicherun- gen haben mit REITs ein dreifaches Interesse: Sie möch- ten die Verwaltungskosten dieser Wohnungen loswerden, sie möchten zum Zweiten das zum Einheits- wert in den Bilanzen geführte Kapital zum Verkehrswert liquidieren und sie möchten zum Dritten diesen gewalti- gen Zugewinn auch noch steuerfrei realisieren. Bekannt- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4187 (A) (C) (B) (D) lich sind nämlich die REITs von der Körperschaft- und Gewerbe- und Grundsteuer befreit. Es geht also um nichts anderes als eine Neuauflage der berühmt-berüchtigten steuerfreien Veräußerung von Kapital. Sie von der großen Koalition sind dabei, den ge- radezu tragischen Fehler der rot-grünen Bundesregie- rung aus dem Jahr 2000 zu wiederholen, der zu gewalti- gen Ausfällen bei der Körperschaftsteuer geführt hat. Das ist der Kern das Ganzen. Die SPD-Linke hat völlig recht: REITs wären – Zitat – „eine Rolle rückwärts in der Steuerpolitik der Großen Koalition“. Die Rolle rückwärts ist nur viel dramati- scher. Ich finde es bedauerlich, dass dieser Punkt in der Diskussion leider auch in dem Papier der SPD-Linken, nur am Rande angesprochen wird. Für die FDP gibt es überhaupt keine Steuerausfallrisi- ken. Voraussetzung sei die Übernahme der Regelungen anderer Länder, heißt es im Antrag. Dass in Frankreich die mit der REITs-Einführung eingetretenen Steuermin- dereinahmen ein Problem waren, nehmen Sie einfach nicht zur Kenntnis. Die Union hofft einfach nur, dass es keine geben wird. Aber die SPD und der Bundesfinanzminister sollten eigentlich gebranntes Kind sein. Erinnern Sie sich nicht mehr an Ihre katastrophalen Fehlprognosen bezüglich zu erwartenden Steuermindereinnahmen aus dem Jahr 2000? Wollen Sie wirklich den Menschen im Lande klar machen, der Allianz erneut ein Steuergeschenk in Mil- liardenhöhe zu machen und zugleich den Menschen er- neut bei den Ausgaben für Gesundheit und bei den So- zialleistungen in die Tasche zu greifen? Ich kann es noch nicht glauben, dass nach all den bereits durchgesetzten Zumutungen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokra- ten so etwas noch mitmachen können! Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie bei diesem Problem etwas mehr Gehirnschmalz verwenden würden, damit wir im Ausschuss eine Diskussion mit hinreichen- dem Sachverstand führen können. Ich will zum Schluss nicht versäumen, ganz kurz wei- tere Risiken aufzählen: Erstens. Sie können und dürfen es nicht zulassen, dass mit REITS faktisch ein in meinen Augen nicht zulässi- ges Sonderrecht für Kapitalgesellschaften im Woh- nungssektor geschaffen wird. Der Grundsatz des BMF der rechtsformneutralen Unternehmensteuerreform wird mit REITs unterlaufen. Zweitens. Die Befreiung von Gewerbe- und Grund- steuer führt zu Mindereinnahmen bei den Kommunen. Drittens. Die SPD-Linke hat völlig recht: „Die Stand- ortbindung deutscher Unternehmen würde gelockert.“ Trotz aller Kniefälle der deutschen Steuergesetzgebung: REITs würden ihren Firmensitz – wie schon jetzt die Hedgefonds – natürlich vornehmlich in Steueroasen le- gen. Viertens. Die Steuerflucht schaffen Sie auch nicht mit der Höchstbeteiligungsgrenze von 10 Prozent nach dem britischen Muster aus der Welt, Sie begrenzen Sie nur. Fünftens. Ganz abgesehen von Auswirkungen auf den Mietwohnungssektor, der bekanntlich in Deutschland in- ternational betrachtet weit größeres Gewicht hat, ganz abgesehen von dem deutlich schwächeren Mietrecht bei Wegfall der Gemeinnützigkeit: Ich frage Sie: Wollen Sie tatsächlich mit Hilfe der REITS diesen Sektor den Pensionsfonds und insbesondere des US-Pensionsfonds übereignen? Ich zitierte Norbert Blüm: Von 112 000 Pensionskassen in den USA existieren heute noch 32 000! Sie kennen die Probleme mit den Pen- sionsfonds bei GM, Ford usw. Wir sollten uns in diesem Hause genauer mit den Risiken auf dem internationalen Finanzmärkten beschäftigten, denen die Wohnungs- märkte mit REITs ausgeliefert würden. Sechstens. Vergessen Sie bitte nicht die weltweit deutlich gestiegenen Gefahren von Immobilienblasen, deren Konsequenzen bei einer massiven Einführung von REITs überhaupt nicht geklärt sind. Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Stadtentwicklung ist moderne Struk- tur- und Wirtschaftspolitik (Tagesordnungs- punkt 22) Peter Götz (CDU/CSU): Stadtentwicklung ist ein dynamischer Prozess. Der wirtschaftliche und demogra- fische Wandel, aber auch Wanderungsbewegungen stell- ten die Städte schon immer vor neue Herausforderungen – in Ost und West, in Nord und Süd. Wie wir unsere Städte planen und organisieren, ist für die Lebensqualität vieler Menschen entscheidend. Innovation, Wachstum und Be- schäftigung sind der Motor für die Entwicklung unserer Städte und Ballungsräume. Mit ihrer Wirtschaftskraft – aber auch mit ihrem kulturellen Angebot – strahlen die Städte auf den sie umgebenden ländlichen Raum aus. Um diese für die Standortqualität und die Wettbewerbs- position Deutschlands wichtige Funktion zu stärken, hat sich das Leitbild einer nachhaltigen Stadt durchgesetzt. Es verfolgt das Ziel, innovative, flexible und ausgewo- gene Lösungen für die wirtschaftlichen, sozialen und umweltbezogenen Herausforderungen zu schaffen. Die- ser Dreiklang der lokalen Agenda 21, den die Vereinten Nationen global unterstützen, und die vor zehn Jahren auf dem Weltstädtegipfel der Vereinten Nationen verab- schiedete Habitat-Agenda helfen, einseitige negative Entwicklungen und Monostrukturen zu vermeiden. Um auf Dauer eine gute Infrastruktur und ein qualitati- ves Wohnumfeld vorhalten zu können, brauchen wir starke Kommunen. Wir brauchen Städte und Gemeinden, die eigenverantwortlich im Rahmen ihrer Planungshoheit und Finanzautonomie ihre Aufgaben wahrnehmen. Ich hoffe, dass es gelingt, im Rahmen der anstehenden Un- ternehmensteuerreform die davon betroffenen Kommu- nalfinanzen nachhaltig auf eine stabile und solide Basis zu stellen. 4188 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Auch die Föderalismusreform wird die kommunale Selbstverwaltung deutlich stärken. Die vielen kommuna- len Amts- und Mandatsträger erhalten durch diese Re- form eine noch größere Eigenverantwortung. Zusammen mit bürgerschaftlichen Initiativen und regionalen Unter- nehmen sind sie die wichtigen Akteure einer Stadt. Wenn Bundespräsident Köhler beim Festakt aus An- lass des hundertjährigen Bestehens des Deutschen Städ- tetages vor einem Jahr in Berlin unter anderem sagte, – ich zitiere –: „Und ich wünsche mir auch, dass in ihren Parteien die Kommunalpolitiker ihre Stimme noch viel stärker zur Geltung bringen“, so macht dies sehr deut- lich, dass Politik für und nicht gegen Kommunen ein starkes Glied in der Kette vieler notwendiger Entschei- dungen ist. Deshalb ist es auch richtig, dass Bund, Län- der und Gemeinden gemeinsam auf der Grundlage des Subsidiaritätsprinzips wichtige Stadtentwicklungspro- jekte fördern. Die Bund-Länder-Programme zur Städte- bauförderung helfen den Kommunen zurzeit, in über 1 700 Stadtquartieren dringende Investitionen in die In- frastruktur und die Modernisierung der Gebäude in Gang zu bringen. Städte, die in besonderem Maße von wirt- schaftlichem Strukturwandel, von Arbeitslosigkeit, Wohnungsleerstand, Zu- oder Abwanderung betroffen sind, können so stabilisiert und aktiviert werden. Auch die Europäische Union tritt für eine Entwick- lung integrierter Konzepte einer nachhaltigen Stadtent- wicklung ein, damit die Städte ihren Beitrag zu Wachs- tum und Beschäftigung leisten können. Deshalb greift unser Antrag die mit der neuen EU-Förderperiode 2007 bis 2013 geschaffene Möglichkeit der Städtebauförde- rung mit EU-Strukturfondsmittel ab 2007 auf. Die städti- sche Dimension zu stärken, ist der richtige Ansatz. Be- sonders wichtig ist uns dabei die Beachtung des Subsidiaritätsprinzips. Ziel muss sein, durch integrierte und partnerschaftli- che Prozesse die Attraktivität der Städte zu verbessern und dabei Innovationen, unternehmerische Initiativen und die Wirtschaft zu unterstützen, um so mehr und bes- sere Arbeitsplätze entstehen zu lassen. Die Länder soll- ten diese Ziele bei der Ausgestaltung ihrer Förderpro- gramme in breitem Umfang berücksichtigen. Die Stadtentwicklung als Querschnittsaufgabe zu profilieren bietet die Chance, bisher unabhängig voneinander ange- wandte Förderstrategien besser miteinander zu verzah- nen. Unabhängig vom Förderaspekt können wir die Innenentwicklung der Städte und Gemeinden auch da- durch stärken, dass wir das Bau- und Planungsrecht wei- ter vereinfachen und beschleunigen. Das hat sich die Ko- alition vorgenommen und das wird sie auch realisieren. Flächenpotenziale sind durch Wiedernutzung und Nach- verdichtung besser auszuschöpfen. Die Nutzung von Industrie-, Bahn- oder Konversionsbrachen ist anstren- gender als das Bauen auf der grünen Wiese. Aus ökolo- gischen und ökonomischen Gründen ist dies trotz der größeren Anstrengung langfristig der bessere Weg. Wir sollten alle verstärkt darauf hinwirken. Lassen Sie mich ein weiteres Thema ansprechen, das mit diesem Antrag verdeutlicht werden soll. Eine der wichtigsten Säulen der nachhaltigen Stadtentwicklung stellt zunehmend die soziale Integration dar, insbeson- dere dann, wenn sich soziale Problemlagen in einzelnen Stadtquartieren durch einen hohen Migrantenanteil oder einen hohen Anteil an Langzeitarbeitslose und jugendli- chen Arbeitslosen konzentrieren. Außerdem muss die soziale Eingliederung von benachteiligten Personen so- wie Schulabbrechern oder Schulverweigerern durch ge- zielte Maßnahmen gefördert werden, um deren Chancen auf Beschäftigung zu erhöhen. Das aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds, ESF, finanzierte Programm „Lokales Kapital für soziale Zwecke“ (LOS) hat sich da- bei besonders bewährt. Wir wollen, dass das künftige ESF-Bundesprogramm dort anknüpft und den Erforder- nissen einer nachhaltigen europäischen Stadtentwick- lung durch eine eigene Handlungspriorität im Programm Rechnung trägt. Damit realisieren wir auch das Vorha- ben der Koalition, den ressortübergreifenden Ansatz des Programms „Soziale Stadt“ zu stärken. Abschließend habe ich eine Bitte an die Bundesregie- rung. Ich bitte Sie, die deutsche Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union im nächsten Jahr zu nutzen, um das Thema Stadt als wichtiges Zukunftsthema national, aber auch international prioritär auf die politische Agenda zu setzen. Die in Deutschland entwickelten Lö- sungen für eine nachhaltige, integrierte Stadtentwick- lung können dazu ein guter Beitrag sein. Die Auseinan- dersetzung mit der Entwicklung unserer Städte, ihren großen Problemen, aber auch mit den dort liegenden Potenzialen lohnt sich: Deutschland mit seinen Städten und Regionen hat viel zu bieten. Die Erwartungshaltung vieler Länder an uns ist sehr hoch. Wir sollten unser Licht nicht unter den Scheffel stellen und dieser Erwar- tung gerecht werden. Petra Weis (SPD): Dass der Antrag „Stadtentwick- lung ist moderne Struktur- und Wirtschaftspolitik“ erst zu so später Stunde behandelt wird, hat hoffentlich nicht zur Folge, dass die Bedeutung des Themas für die wirt- schaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in unseren Städten in den kommenden Jahren – und Jahrzehnten – gering geschätzt wird. Das Gegenteil ist nämlich der Fall: Die Stadtentwicklungspolitik, die seit dem Ende der neunziger Jahre neu und zukunftsweisend zugleich ausgerichtet worden ist, erhält im Zeichen der wirt- schaftlichen, sozialen und technologischen Entwicklung – ich könnte statt Entwicklung auch Wettbewerb, besser noch Standortwettbewerb sagen – eine weitergehende Qualität. Mit dem Leitbild der nachhaltigen Stadtentwicklung und dem Ziel der Erarbeitung und Umsetzung innovati- ver und flexibler Lösungen für vielschichtige ökonomi- sche, soziale und ökologische Problemlagen erfüllt die deutsche Politik zur Stadtentwicklung einen herausra- genden Beitrag im Rahmen der Lissabonstrategie. Ob unsere Städte und Regionen für Investitionen und damit für Arbeitsplätze attraktiv sind, darüber entscheiden auch die Wachstumspotenziale in unseren Städten und der politische Wille, diese Potenziale zur Entfaltung zu bringen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4189 (A) (C) (B) (D) Mit diesem Profil liegt die Politik der Bundesregie- rung ganz auf der Linie der Europäischen Union, die in- tegrierte Konzepte nachhaltiger Stadtentwicklungspoli- tik unterstützt und einfordert. Sie liegt auch ganz auf der Linie der strategischen Ausrichtung der Europäischen Kommission, die die Stärkung der städtischen Dimen- sion im Rahmen der Kohäsionspolitik und der Struktur- fonds in der nächsten Förderperiode von 2007 bis 2013 auf ihrer Agenda ganz weit oben platziert hat. Die im Rahmen des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung vorgesehenen Fördermöglichkeiten sind dazu geeignet, von den Bundesländern im Zuge der Er- arbeitung ihrer operationellen Programme im Rahmen der Förderpolitik in den Städten offensiv und intensiv genutzt zu werden. Die deutsche Ratspräsidentschaft im kommenden Jahr muss und wird also auch dazu dienen, die Impulse nach und von Europa gegenseitig zu verstär- ken. Daneben müssen wir uns in der Fortentwicklung un- serer Politik auf die Bewältigung der Herausforderungen konzentrieren, denen sich die Städte im Zuge des demo- grafischen Wandels ausgesetzt sehen. Es hat nichts mit Schwarzmalerei zu tun, wenn wir zur Kenntnis nehmen, dass Strukturwandel und Veränderung der Bevölke- rungsstruktur in den Städten dazu führen, dass sich Pro- blemlagen der modernen Gesellschaft in den Städten und hier insbesondere in bestimmten Quartieren konzentrie- ren. Die wohlbekannten Stichworte lauten brachliegende Flächen, Wohnungsleerstand, wirtschaftliche und soziale Benachteiligung, unzureichende Integration von Mig- rantinnen und Migranten, um nur einige zu nennen. Die Städte müssen in diesem schwierigen und gewiss langwierigen, aber durchaus chancenreichen Prozess ge- zielt unterstützt werden, bei der Anpassung der techni- schen und sozialen Infrastruktur, bei der Attraktivierung von Quartieren für junge Familien und ältere Menschen gleichermaßen, beim Ansiedeln neuer Unternehmen, bei der Nutzung von Brachflächen – auch als Beitrag zur Reduzierung des Flächenverbrauchs – und bei vielem anderen mehr. Ein besonderes Augenmerk muss in den kommenden Jahren auf die soziale Integration auch von Migrantinnen und Migranten gelegt werden. Das sage ich nicht nur, aber auch im Vorfeld des für den 14. Juli geplanten Inte- grationsgipfels im Kanzleramt. Dass Stadtentwicklung einen wichtigen Beitrag zur Integration leistet, ist unbe- stritten. Ebenso unbestritten ist die Notwendigkeit der stärkeren interdisziplinären Zusammenarbeit auf diesem Feld. Deshalb ist es mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Aufstockung der Mittel für das Programm „Soziale Stadt“ um 40 Millionen auf 110 Millionen Euro ein ebenso bedeutendes Zeichen ist wie die Möglichkeit, die Mittel zukünftig auch für Zwecke verwenden zu können, die sich auf die Stärkung der Kompetenzen der Betroffe- nen in den Bereichen Bildung und Sprachförderung, aber natürlich auch in den Bereichen Ausbildung und Beschäftigung richten. Ein wesentliches Ziel der Politik der Bundesregierung ist es, Stadtentwicklungspolitik national wie europäisch als ressortübergreifende Querschnittsaufgabe zu be- schreiben und zu betreiben. In den Stadtquartieren mani- festieren sich die vielfältigen Problemlagen für die Be- troffenen zuerst, aber hier werden die Erfolge der Politik, die ohne ein entsprechendes bürgerschaftliches Engagement nicht denkbar und vor allem nicht nachhal- tig wären, auch zuerst erkennbar und erlebbar. Bund, Länder und Kommunen sind also gemeinsam aufgefordert, nachhaltige Konzepte zur Stadtentwick- lung zu entwickeln und engagiert und konsequent umzu- setzen. Das weist der städtebauliche Bericht der Bundes- regierung aus dem Jahr 2004 unübersehbar aus. Es war daher auch eine Motivation für diesen Antrag der Koali- tionsfraktionen, den Gemeinschaftscharakter, der ideal- wie realtypisch stets durch einen „gemeinschaftlichen Geist“ ergänzt werden sollte, gerade auch in seiner Struktur- und gesellschaftspolitischen Relevanz noch einmal deutlich herauszustellen. Die Städtebauförderung bleibt auch nach der Verab- schiedung der Föderalismusreform eine gesamtstaatliche Aufgabe. Das ist ausgesprochen gut so. Attraktive In- nenstädte als Anziehungspunkt für Menschen aus allen Generationen, eine stadtverträgliche Mobilität im Zei- chen notwendiger Ressourceneffizienz, Stärkung der zentralen Versorgungsbereiche, Stärkung neuer Formen der Selbstorganisation wie Business Improvement Dis- tricts, Housing Improvements Districts und Immobilien- und Standortgemeinschaften, Verbesserung von Be- schäftigungsmöglichkeiten auch durch Stärkung der lo- kalen Ökonomie – unter Einbeziehung der Migranten- ökonomie, deren Potenzial übrigens noch lange nicht ausgeschöpft ist: All das wird nur gelingen, wenn die be- teiligten Ebenen zielgerichtet und effizient zusammenar- beiten. Stadtentwicklung ist in diesem Sinne voraus- schauende und präventive Gesellschaftspolitik und nicht allein Reparaturbetrieb für ökonomische, soziale und kulturelle Verwerfungen. Die bisher erzielten Erfolge sind beispielgebend auch für vergleichbare Regionen in Europa. Daher gehen wir mit Gewissheit davon aus, dass die Bundesregierung die deutsche Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr des kommenden Jahres dazu nutzt, unter Einbeziehung der Habitat-Agenda die bei uns entwickelten Lösungsan- sätze für eine nachhaltige und integrative Stadtentwick- lung als Beitrag für die Lissabonstrategie in die Arbeit der Europäischen Union einzubringen. Im Mai des nächsten Jahres werden die zuständigen Ministerinnen und Minister im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft in Leipzig tagen. Geplant ist eine Leipzigcharta zur nachhaltigen europäischen Stadt als Beitrag zur Lissabonstrategie. Im Rahmen der zu erwar- tenden Beratungen werden die Forderungen unseres An- trags hoffentlich eine Rolle spielen, wenn nicht gar schon Früchte tragen. Das Thema wird uns also so oder so erhalten bleiben. Ich freue mich auf die kommenden Debatten im nationa- len und europäischen Rahmen und hoffe auf eine mög- lichst breite Zustimmung zu unserem Antrag. 4190 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Patrick Döring (FDP): In einem bin ich mit den Ab- geordneten der Koalition vollkommen einig: Die Ent- wicklung unserer Städte, vor allem die rechtzeitige Re- aktion auf die demografische Entwicklung, ist eine wichtige Zukunftsaufgabe. Vielleicht eine der wichtigs- ten. Denn Städte sind seit jeher Zentren der Entwicklung unserer Gesellschaft – wirtschaftlich, sozial, wissen- schaftlich und technologisch. Zugleich konzentrieren sich in Städten und Metropolregionen auch die Probleme unserer Gesellschaft. Arbeitslosigkeit, Migration, demo- grafischer Wandel – in unseren Städten sind das keine Schlagworte, das ist die Wirklichkeit. Hier entscheidet sich tagtäglich, in was für einer Gesellschaft wir in Zu- kunft leben werden. Eine liberale und demokratische Gesellschaft ist in Gefahr, wenn ich einmal kurz grundsätzlich werden darf, wenn zwischen gesellschaftlichen Gruppen Grenzen ge- zogen werden. Das gilt für die Entwicklung unserer Städte im wahrsten Sinne des Wortes: Die Meldungen dieser Tage aus Neukölln und Kreuzberg führen uns nur zu deutlich vor Augen, wohin Aus- und Abgrenzung führt. Wo die Hoffnung stirbt, da stirbt auch die demo- kratische Kultur – da fliegen bald nicht mehr die Worte in einer hitzigen Debatte, sondern Molotowcocktails. Schauen Sie nur nach Frankreich! Das Thema Stadtentwicklung gehört daher in seiner ganzen Breite auf die politische Agenda. Wirtschafts-, Verkehrs- und Infrastrukturpolitik, Bildung und For- schung, Raumplanung, soziale Einrichtungen – um nur einige zentrale Aspekte zu nennen. In dieser Hinsicht geht die Koalition mit diesem An- trag einen ersten Schritt eines langen Weges. Ich befür- worte viele der einzelnen Forderungen, die von den ge- schätzten Kollegen Götz und Weis erhoben werden. Doch ich vermisse den Mut und die Entschlossenheit, der Regierung mit einem integrierten und nachhaltigen Gesamtkonzept entschieden die richtige Richtung zu weisen. Zum Teil nehmen Sie hier bloß bekannte Vorha- ben des Ministers vorweg. Wo klare Vorgaben gefragt wären, etwa zur Bedeutung bereichsübergreifender Kon- zepte, da scheuen Sie die Festlegung. Um die Zukunft unserer Städte zu sichern, braucht es jedoch mehr als punktuelle Maßnahmen; es braucht ein integriertes Konzept, das die verschiedenen politischen und thematischen Ebenen verknüpft. Insbesondere darf Stadtentwicklung nicht isoliert, sondern muss auch im regionalen und überregionalen Zusammenhang betrach- tet werden. Um zu einer ausgewogenen Entwicklung zu kommen, braucht es strategische Allianzen von Stadt und Region und eine Vernetzung der Städte untereinan- der. So aktivieren wir die Potenziale der Städte und des Umlandes. Ohne die regionale Einbettung der Stadtent- wicklung ist diese Politik unvollständig, ja womöglich schädlich. Durch den Stadtumbau Ost konnte der ostdeutsche Wohnungsmarkt wieder stabilisiert werden. Aber Stabi- lisierung ist nur das eine: Um eine positive Dynamik in Gang zu setzen, müssen wir die Attraktivität der Zentren erhöhen. Dafür gilt es, die vorhandenen Ressourcen sinnvoll und kreativ einzusetzen. Aus dem Abrisspro- gramm Ost muss tatsächlich ein Umbauprogramm wer- den! Zum jetzigen Zeitpunkt aber werden über 60 Pro- zent der Mittel nur in den so genannten Rückbau investiert. Hier ist es an der Zeit, umzusteuern. Denn um unsere Städte auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten – eine alternde Bevölkerung, Integrations- herausforderungen und eine wachsende Vielfalt der Le- bensentwürfe – müssen wir jetzt handeln. Und auch in den westdeutschen Städten müssen wir wieder nachhaltig die Bedeutung einer gesunden Zentra- lität in den Fokus unserer politischen Instrumente rü- cken – einkaufen, arbeiten, wohnen und leben sollen die Bürger auch wieder im Zentrum der Städte. Die lebens- und liebenswerte Stadt werden wir ge- meinsam politisch nicht per Beschluss schaffen können. Aber die europäischen und bundespolitischen Instru- mente müssen den Kommunalpolitikern und Handeln- den in unseren Städten helfen, die bestehenden und auf- kommenden Probleme zu lösen. Die Entwicklung unserer Städte ist eben eine Heraus- forderung, die sich nicht mit ein paar kleinen Drehungen an zwei oder drei Stellschrauben bewältigen lässt. Das ganze System muss überprüft und neu gedacht werden. Vor diesem Hintergrund wird der Antrag der Regie- rungsfraktionen wohl wenig schaden – die Forderungen sind für sich genommen zumeist vollkommen richtig. Doch Neues bewirken wird man mit diesem Papier ohne Mut und Visionen ebenso wenig. Ich biete für die FDP-Fraktion an, dass wir gemein- sam die Schwerpunkte der weiteren Stadtentwicklungs- politik festlegen, wir rechtzeitig mit dem Bundesminis- ter die Schwerpunkte der Ratspräsidentschaft zu diesem wichtigen europäischen Thema definieren und überle- gen, unter welchen Bedingungen wir weitere und neue Fördermittel einsetzen. Der erste Bundespräsident Theodor Heuss hat einmal gesagt: „Ohne Städte ist kein Staat zu machen“. In die- sem Sinne können wir diesem Antrag unsere Unterstüt- zung gewähren. Heidrun Bluhm (Die LINKE): Stadtentwicklung ist ein permanenter Prozess. Städte befinden sich ständig im Wandel. Der demografische Wandel und der damit ein- hergehende Strukturwandel kamen nicht über Nacht. Dass der Koloss der großen Koalition in einem Akt der Selbstmotivation nunmehr der Stadtentwicklung als mo- derner Struktur- und Wirtschaftspolitik seine Aufmerk- samkeit schenkt, ist also längst überfällig. Die Forderun- gen an die Bundesregierung im Antrag enthalten dabei keine Neuigkeiten, sondern empfehlen lediglich, zur Kenntnis zu nehmen, was seit Jahren auf diesem Gebiet im Angebot ist. Die Politik der Bundesregierung wirft allerdings auch Fragen nach den Erfolgschancen der im vorliegenden Antrag formulierten Ziele auf. In ihrem Antrag fordern Sie die Bundesregierung auf, innovative Modellvorhaben für den familien- und alten- gerechten Umbau von Stadtquartieren und städtischer Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4191 (A) (C) (B) (D) Infrastruktur zu entwickeln, die zentralen Versorgungs- bereiche der Städte und Gemeinden im Interesse einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung zu stär- ken und die Träger der technischen und sozialen Infra- struktur in die Erstellung städtebaulicher Stadtentwick- lungskonzepte einzubinden. Alles richtig. Aber mit wem wollen Sie diese Aufgaben lösen? Eine Ihrer Kernaussagen im Antrag bezieht sich auf die Auf- gaben und die hohe Verantwortung der kommunalen Amts- und Mandatsträger. Diese Sicht teilen wir. Dann müssen allerdings auch die politischen Konsequenzen klar sein. Und dieser Ansatz fehlt sowohl im Antrag als auch in Ihrer bisherigen Politik. Die kommunalen Amts- und Mandatsträger brauchen eine finanzielle Grundlage, um die ihnen zugedachte Verantwortung wahrnehmen zu können. Tatsächlich sind aber heute viele Kommunen wegen fehlender Haushaltsmittel nicht mehr in der Lage, Fördermittel wegen des fehlenden Eigenanteils abzuru- fen oder integrierte Stadtentwicklungskonzepte zu finan- zieren. Auch deshalb fordern wir an dieser Stelle erneut die Einführung einer kommunalen Investitionspau- schale. Die kommunalen Amts- und Mandatsträger sollen den Prozess des Strukturwandels steuern. Mit der scheinbar zwanghaften Privatisierung kommunalen Ei- gentums entziehen sie sich dafür selbst die Handlungs- grundlage. Der Wandel der Eigentumsformen und die damit eng in Zusammenhang stehende Diskussion um die öffentliche Daseinsvorsorge geraten hier in einen schwer auflösbaren Widerspruch. Der Bund selbst geht in dieser Frage sogar mit schlechtem Beispiel voran und verkauft seine Wohnungsbestände meistbietend, egal an wen. Eine ehemals kommunale Wohnungsgesellschaft, die gerade an einen transatlantischen REIT verkauft wurde, wird mit Sicherheit nicht ernsthaft darüber nach- denken, die Bestände im Rahmen des Stadtumbaupro- gramms zurückzubauen, sondern wird nach reinen Kapi- talverwertungskriterien mit ihrem Bestand verfahren. Großen Handlungsbedarf gibt es nach wie vor in Ost- deutschland – als Beispiel nenne ich die Altschulden- hilfe. CDU, CSU und FDP, haben die ostdeutschen Woh- nungsunternehmen durch ihre Politik Anfang der 90er- Jahre mit fiktiven Altschulden belastet, um sie anschlie- ßend mit teuren Förderprogrammen wieder zu sanieren. Deshalb wiederholen wir regelmäßig unsere Forderung: Retten Sie die ostdeutschen Wohnungsunternehmen! Streichen Sie den Wohnungsunternehmen die Altschul- den! Mindestens diese Forderung gehört in Ihren Antrag. Meine Damen und Herren Großkoalitionäre, ich stimme Ihnen zu, dass die soziale Integration eine der wichtigsten Säulen einer nachhaltigen Stadtentwick- lungspolitik ist. Das Problem ist nur, dass soziale Inte- gration diesen Stellenwert in Ihrer Politik gar nicht hat. Wir sagen: Integration muss am Anfang stehen. In Deutschland steht sie am Ende der Handlungskette. In Deutschland begreift man Integration allzu oft als ein notweniges Übel, dem man sich erst widmen muss, wenn die Probleme in den Städten nicht mehr zu überse- hen und das Kind sprichwörtlich schon in den Brunnen gefallen ist. Das Bund-Länder-Programm Soziale Stadt konnte die schwierigen Verhältnisse in den sozialen Brennpunkten der Städte bisher nicht nachhaltig verändern. Die Förder- programme zur Linderung von Fehlentwicklungen Ihrer bisherigen Integrationspolitik wie zum Beispiel „Loka- les Kapital für soziale Zwecke“ aus dem Europäischen Sozialfond sind wichtig, eignen sich aber nur für Repa- raturmaßnahmen. Soziale Probleme haben ihre Ursache aber in den gesellschaftlichen Verhältnissen. Diese gilt es zu beleuchten! Einen dritten Punkt möchte ich benennen: Der Antrag ist in seiner Zielsetzung zu sehr auf die Stadt fixiert. Der ländliche Raum wird kaum tangiert. Die Städte als Zen- tren der Regionen werden zu wenig behandelt. Allein darauf zu setzen, dass die Städte mit ihrer Wirtschafts- kraft auf den sie umgebenden ländlichen Raum ausstrah- len werden, reicht nicht aus. Da in dieser Frage offenbar Clusterpolitik betrieben wird, müssen Sie sich fragen lassen, wann Sie sich dem ländlichen Raum mit einer ähnlichen Initiative widmen wollen. Wir sind sehr ge- spannt. Mit der Lissabon-Strategie will die EU im Rahmen des globalen Ziels der nachhaltigen Entwicklung ein Vorbild für den wirtschaftlichen, sozialen und ökologi- schen Fortschritt in der Welt sein. Wir stimmen dem An- trag zu, um sie genau daran zu messen. Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich freue mich durchaus, dass die Koalition und insbeson- dere die CDU/CSU einen Antrag vorgelegt hat, der sich für die Förderung der Städte ausspricht und nicht mehr nur für das Eigenheim auf der grünen Wiese! Nach jah- relangem Streit um die Eigenheimzulage, der ja glückli- cherweise der Vergangenheit angehört, hat die CDU/ CSU endlich akzeptiert, dass Finanzmittel für die Stadt- entwicklung sinnvolle Investitionen mit einem hohen Multiplikatoreffekt sind. Die Stadtentwicklung ist ein wichtiger Motor für die Standortentwicklung und damit für die Wirtschaft vor Ort. Bündnis 90/Die Grünen haben sich lange dafür ein- gesetzt, dass die frei werdenden Mittel aus der Eigen- heimzulage zu einem Teil in die Stadtentwicklung flie- ßen sollten. Diese Chance wurde zwar von der großen Koalition leider vertan, aber immerhin wurden die Städ- tebaufördermittel nicht reduziert. Bei der Stadtentwicklung gibt es eigentlich keinen be- deutenden Dissens zwischen der großen Koalition und Bündnis 90/Die Grünen. Der Antrag der großen Koali- tion zielt auf das Leitbild einer nachhaltigen Stadtent- wicklung. Dafür stehen wir selbstverständlich auch ein. Ich begrüße ausdrücklich den gelungenen Antragsteil bezüglich der Förderung der Städte. Er spricht ganz we- sentliche Punkte an und macht sinnvolle Vorschläge. Aber er geht uns insgesamt noch nicht weit genug. Wir unterstützen die Forderung, dass im Rahmen der deut- schen EU-Ratspräsidentschaft 2007 die in Deutschland entwickelten Lösungen für eine nachhaltige, integrative 4192 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Stadtentwicklung einzubringen seien. Ebenso unterstüt- zen wir die Erprobung von Modellen, in denen arbeits- marktpolitische Leistungen in Entwicklungsstrategien für Stadtquartiere integriert werden können. Wir fordern jedoch, dass neue Konzepte zur stadtver- träglichen Mobilität entwickelt werden müssen. Hier wird von Ihnen eines der urgrünen Themen aufgegriffen. Und es besteht ganz konkreter Handlungsbedarf, zum Beispiel was die Feinstaubproblematik in den Städten anbelangt. Hier bieten wir Ihnen unsere Zusammenarbeit gerne an. Das Ziel, die Lebensqualität in den großen Städten zu verbessern, kommt uns aber zu kurz. Es fehlen Konzepte für eine kinderfreundliche und gesunde und umweltbe- wusste Stadtentwicklung. Auch muss das Thema CO2-Reduzierung eine wichti- gere Rolle einnehmen. Deshalb möchte ich meinen Un- mut darüber kundtun, dass zu Beginn des Jahres zwar die Mittel für die KfW-CO2-Programme erheblich aufge- stockt wurden, aber seit dieser Zeit die Konditionen und Anforderungen erheblich verschlechtert wurden. Das ist nicht nur kurzatmige Politik, sondern beinahe schon un- seriös und zudem kurzsichtig. Die Umweltbelastungen in unseren Städten sind erheblich, die CO2-Reduzierung wäre ein wichtiger Schritt zur Verbesserung des Klimas. Die hohe Nachfrage nach den Programmen zeigt doch, dass dadurch eine positive Entwicklung in Gang gesetzt werden konnte, die es nachhaltig zu unterstützen gilt. In den nächsten Jahren muss ein großer Teil der Immmobi- lien modernisiert werden. Daher wäre es sinnvoll, dass dann gleichzeitig auch eine energetische Gebäudesanie- rung durchgeführt wird. Sie verlangt Fachkompetenz und sichert dadurch qualifizierte Arbeitsplätze gerade bei klein- und mittelständischen Unternehmen. Ich fordere daher die große Koalition auf, die Mittel für die CO2-Pro- gramme gegebenenfalls noch weiter aufzustocken. Und da wir schon beim Thema Energie sind, kann ich es mir nicht verkneifen, noch ein paar Worte über den Energieausweis zu verlieren. Ja, wann kommt er denn endlich, der große Entwurf zur EnEV 2006? Im April haben die Minister Tiefensee und Glos das Optionsrecht, also die freie Wahl zwischen Verbrauchs- und Bedarfs- ausweis, als ein tolles Ergebnis verkündet. Letzten Mo- nat hat sich jedoch Minister Gabriel mit einer Absage an den Verbrauchsausweis zu Wort gemeldet. Gerade vor dem Hintergrund der energetischen Gebäudesanierung ist die vorgeschlagene einseitige Empfehlung aus- schließlich auf der Grundlage des Verbauchsausweises nicht zu verantworten. Ich hoffe, dass der Entwurf zur EnEV 2006 bald vorgelegt wird und wir endlich in einen Diskussionsprozess eintreten können. Zu guter Letzt nochmals zurück zu dem vorliegenden Antrag. Auch in Bezug auf den demografischen Wandel geht uns der Antrag nicht weit genug. Es müssen neue Strategien zur nachhaltigen Raumentwicklung entwi- ckelt werden und die Stadtumbauprogramme müssen da- her schon jetzt weiterentwickelt werden. Dazu gehört, dass Konzepte zur besseren Integration in den Städten vorangetrieben werden. Auch das Thema „Reduzierung des Flächenverbrauchs“ – auch und gerade vor dem Hin- tergrund des demografischen Wandels – kommt zu kurz bzw. fehlt ganz. Und zu dem kürzlich vorgelegten Gesetzentwurf zur „Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenent- wicklung der Städte“ sei nur gesagt, dass damit ein wei- teres Instrument geschaffen werden soll, mit dem die Bürger aus der Planung herausgehalten und in ihren Mit- wirkungsrechten eingeschränkt werden sollen. Und dann schlägt der Gesetzentwurf auch noch eine Aussetzung der Umweltprüfung vor. Sie schwächen damit zwei der wichtigsten Punkte, mit denen die Innenstädte gestärkt werden können: erstens aktive Stadtbürger, die durch ihr Engagement die Potenziale der Städte steigern, zweitens ein gesundes Umfeld, das das Lebensumfeld der Stadt- bewohner nachhaltig verbessert. Ihr Antrag geht durchaus in die richtige Richtung, aber es fehlen jedoch noch wichtige Punkte. Darüber werden wir auch in Zukunft zu diskutieren haben. Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Ersten Geset- zes zur Änderung des Bundesnaturschutzgeset- zes (Urwaldschutzgesetz) (Tagesordnungs- punkt 21) Bernward Müller (Gera) (CDU/CSU): Ich freue mich über Ihren Gesetzentwurf. Dieser Entwurf des so genannten Urwaldschutzgesetzes ist ja – das dürfte hier im Plenum allgemein bekannt sein – nicht neu. Daher ist es nicht der Gesetzentwurf an sich, der mich freut – die CDU/CSU-Bundestagsfraktion lehnt ihn wie schon in der letzten Legislaturperiode ab. Ich bin froh, dass wir heute im Parlament Gelegenheit haben, uns mit einem sehr wichtigen Thema zu beschäftigen: dem Schutz der Wälder und Urwälder. Urwälder sind komplexe Ökosysteme und wertvolle Naturressourcen der Erde. Sie beeinflussen das Klima und den Wasserhaushalt und sind wesentliche Kohlen- stoffspeicher. Zwischen 50 und 90 Prozent aller weltweit existierenden Arten sind Schätzungen zufolge alleine in den Gebieten der tropischen Feucht- bzw. Regenwälder beheimatet. Jährlich werden allein in den Tropen 15 Mil- lionen Hektar Wald abgeholzt. Dies entspricht einer Flä- che von der Gesamtgröße Bayerns, Baden-Württem- bergs und Niedersachsens oder halb Italiens! Neben den verheerenden Auswirkungen der weltweiten Brandro- dungen gehen allein etwa 7,2 Millionen Hektar durch Holzeinschlag verloren. Wissenschaftliche Prognosen zeigen, dass ohne eine deutliche Trendwende sämtliche tropischen Feuchtwäl- der in den nächsten 50 bis 100 Jahren von der Erde ver- schwunden sein werden – und mit ihnen eine bislang un- erforschte Vielzahl an Tieren und Pflanzen. Aber auch für die Menschen, die in und mit den Urwäldern leben, sind die Folgen der Waldvernichtung verheerend. Trotz- dem setzt sich der Waldverlust nahezu ungebremst fort. Eine wesentliche Ursache ist der illegale Holzeinschlag. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4193 (A) (C) (B) (D) Ein wesentlicher Anteil der Einschläge und die an- schließende Veräußerung des Holzes erfolgen illegal. Insbesondere in armen Ländern sind Urwälder durch illegalen Holzeinschlag gefährdet. Die Armut und Kor- ruption in diesen Ländern leistet einer hohen Kriminali- tätsrate beim Holzeinschlag Vorschub. Nach verschiede- nen Schätzungen werden bei einem Zehntel des gesamten weltweiten Holzhandels Rechtsvorschriften verletzt. In vielen Ländern entspricht die Menge des ille- gal eingeschlagenen Holzes dem legalen oder über- schreitet sie sogar. Annahmen zufolge liegt der illegale Holzeinschlag in Brasilien bei 80 Prozent, in Indonesien bei 73 Prozent und in Russland bei 20 bis 30 Prozent. Angesichts der dramatischen Situation der Urwälder sind wirksame Maßnahmen auf internationaler, europäi- scher und nationaler Ebene dringend erforderlich. Die Bundesregierung setzt sich auf internationaler Ebene und in der Europäischen Union – EU – intensiv für Maßnahmen zum Schutz der Wälder und Urwälder ein. Die nun beschlossene Importregelung der FLEGT- Verordnung – Forest Law Enforcement, Governance and Trade – Rechtsdurchsetzung, Politikgestaltung und Han- del im Forstsektor – der EU ist ein wichtiges Instrument, auch wenn ein weitergehender Ansatz auf EU-Ebene wünschenswert gewesen wäre. Die Fortschritte bei der Aushandlung der Abkommen werden von der Bundesregierung aufmerksam verfolgt. Es ist ganz klar: Gibt es hier keine hinreichenden Fort- schritte, muss die FLEGT-Verordnung nachgebessert werden. Die Koalitionsfraktionen im Deutschen Bundes- tag werden sich weiterhin bei der Bundesregierung dafür einsetzen, dass auf EU-Ebene schon jetzt überlegt wird, welche weiteren Schritte in Frage kommen. Die Fortent- wicklung der FLEGT-Richtlinie ist gerade im Interesse der neuen Bundesregierung, die sich den planvollen und effizienten Einsatz der vorhandenen Mittel zum Ziel ge- setzt hat. Zu dem von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, erneut in die parlamentari- sche Diskussion eingebrachten so genannten Urwald- schutzgesetz, möchte ich Folgendes bemerken: Erstens. In der letzten Legislaturperiode – vor einem Jahr – hat es noch Sinn gemacht, diesen Entwurf zumin- dest zu diskutieren. Heute aber hat sich mit der Verab- schiedung der FLEGT-Verordnung die Lage grundlegend geändert. Unabhängig davon, wie man zum FLEGT-An- satz steht, gibt es durch die Regelung auf EU-Ebene kaum Spielraum für wirksame nationale Maßnahmen. Zweitens. Zudem wäre eine wirksame Kontrolle der Besitz- und Vermarktungsverbote mit einem sehr hohen bürokratischen Aufwand – Nachweissystem – für eine große Zahl von Betrieben in Deutschland verbunden. Drittens. Bei der Anwendung des Urwaldschutzgeset- zes hätten, um illegal in Urwäldern geschlagenes Holz zu sanktionieren, prinzipiell alle relevanten Holzpro- dukte in ein Nachweissystem einbezogen werden müs- sen, da den Produkten ja nicht anzusehen ist, ob das Holz illegal eingeschlagen wurde. Erforderlich wäre ein Nachweissystem über die gesamte Lieferkette. Dies hätte auch Holz aus Ländern erfassen müssen, in denen es gar keinen Urwald gibt, da sich sonst fast unbegrenzte Umgehungsmöglichkeiten ergeben würden. Zu erwarten wäre ein bürokratisches Monstrum. Dies aber steht unse- rem Ziel einer Vereinfachung und Entbürokratisierung von Verwaltung für Staat und Wirtschaft komplett entge- gen. Unbestritten ist: Wir müssen etwas für den Schutz der Urwälder tun. Ich sehe jedoch andere Ansätze für eine nachhaltige Politik als das Wiedereinbringen eines obso- leten Entwurfs aus der vergangenen Legislaturperiode: Neben dem schon angesprochenen Engagement bei der Begleitung des FLEGT-Prozesses in der EU sind drin- gend Fortschritte auf globaler Ebene notwendig. Zunächst als Umweltpolitiker, dann als Vertreter des Bereichs Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung begleite ich seit Jahren für Deutschland die Fort- schritte der Verhandlungen der Vertragsparteien zur Konvention über biologische Vielfalt – CBD-COP. Auf der letzten Konferenz in Curitiba in Brasilien im März dieses Jahres wurde vereinbart, dass die nächste Vertragsstaatenkonferenz 2008 in Deutschland stattfin- den wird. Dabei wird der Schutz der Wälder nicht ohne Grund als Schwerpunkt thematisiert. Für uns bedeutet dies eine großartige Chance, unsere Vorstellungen zum Schutz der bedrohten Urwälder einbringen zu können. Es liegt an uns, diese Konferenz sorgfältig vorzubreiten, um tatsächlich Fortschritte für den Urwaldschutz zu er- zielen. Darüber hinaus können wir den Urwaldschutz stärker als bisher bei den internationalen Klimaverhandlungen berücksichtigen. Da etwa 20 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen aus Entwaldung stammen, lassen sich durch die Bekämpfung der Abholzung positive Effekte für den Klimaschutz sowie die Biodiversität erzielen. Es gilt hier mehr als bisher, Synergien zu nutzen und der Komplexität der Erscheinungen Rechnung zu tragen. So ist die Entwicklungspolitik beispielsweise gefordert, im Rahmen einer strategischen Partnerschaft unsere Zusam- menarbeit mit Schwellenländern wie China und Indien zu intensivieren und innovative Lösungen für den Kli- maschutz zu entwickeln. Zu einer nachhaltigen Klima- schutzpolitik, die industrielle Schadstoffemissionen zu reduzierten sucht, gehört auch der Schutz der Tropen- wälder. Die Wälder dieser Erde sind der Schlüssel zu ei- ner wirkungsvollen Klimapolitik. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass Deutschland nach wie vor einer der größten Geldgeber für Wald- schutzprojekte in Entwicklungsländern ist. Jedes Jahr unterstützt Deutschland entsprechende Engagements mit mehr als 125 Millionen Euro. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, Sie haben es mit der Neuauflage des Gesetzent- wurfs zum Urwaldschutzgesetz (Drucksache 16/961) aus der letzten Legislaturperiode gut gemeint. Doch inzwi- schen hat sich durch die FLEGT-Verordnung die Lage verändert. Wir müssen unsere Strategie zum Urwald- schutz diesen Gegebenheiten anpassen und diese nicht ignorieren. Ich habe Ihnen Optionen aufgezeigt, die 4194 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) sowohl die Fraktionen der Regierungskoalition als auch die Bundesregierung engagiert verfolgen. Daher lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab. Es ist nicht an der Zeit, alten Initiativen nachzu- schauen. Wir entwickeln neue Ideen und – das habe ich Ihnen dargelegt – denken und handeln in neuen, globa- len Zusammenhängen zum Schutz von Urwäldern, Klima und biologischer Vielfalt auf unserer Erde. Marko Mühlstein (SPD): Wälder sind ein unver- zichtbarer Bestandteil der Lebensgrundlagen unserer Erde: Sie regulieren das globale Klima, sie speichern und reinigen Wasser, filtern die Luft, verhindern Erosion und sind Lebensraum einer Vielzahl von Tier- und Pflan- zenarten. Urwälder bedürfen unseres ganz besonderen Schutzes: Sie sind Wildnis, Lebensraum für indigene Völker und ihre Fläche verringert sich tagtäglich. Selten besteht über einen Sachverhalt so viel Einigkeit, selten ist die Dringlichkeit jedoch auch von so existenzieller Bedeutung: In den vergangenen Jahren ist die Fläche der so wich- tigen primären Wälder um jährlich rund 16 Millionen Hektar geschrumpft. Dies entspricht in etwa der einein- halbfachen Waldfläche der Bundesrepublik Deutsch- land! Die Umwandlung in landwirtschaftliche Nutzflächen, die Ausbeutung mineralischer Rohstoffvorkommen und Infrastrukturprojekte sind eine große Gefahr für den Fortbestand der Urwälder. Der illegale Holzeinschlag, der sich entlang der neu gebauten Straßen vollzieht, ist jedoch eine der Hauptursachen für den dramatischen Waldverlust und für die Zerstörung der letzten Urwälder zum Beispiel in Indonesien, Brasilien und Russland. In geschätzten Zahlen ausgedrückt beträgt der illegale Holzeinschlag in Brasilien 80 Prozent, in Indonesien rund 70 Prozent und in Russland circa 25 Prozent! Es ist daher richtig, sich hier und heute im Rahmen des Ge- setzentwurfs unserer Kolleginnen und Kollegen von den Bündnisgrünen über das weitere Vorgehen in dieser ent- scheidenden Frage zu beraten. Die Verantwortung für die Schädigung der Urwälder durch illegalen Holzeinschlag liegt bei den Staaten, die Holz und Holzprodukte exportieren, sowie bei den Staa- ten, die diese importieren. Auch die Bundesrepublik Deutschland ist ein wichtiger Importeur von Holzpro- dukten – vor allem aus den drei oben genannten Län- dern. Ungeachtet der Tatsache, dass Deutschland nach wie vor einer der größten Geldgeber für Waldschutzpro- jekte in Entwicklungsländern ist und jedes Jahr entspre- chende Projekte mit mehr als 125 Millionen Euro unter- stützt, werden wir uns angesichts der eingangs beschriebenen Tatsachen mit diesem Problem auseinan- der setzen müssen. Die Koalitionsfraktionen sind sich ihrer besonderen Verantwortung in dieser Frage selbst- verständlich bewusst. Ich möchte in aller Kürze auf die Vorgeschichte unse- rer heutigen Debatte eingehen, denn schon in der letzten Legislaturperiode haben wir uns mit diesem Thema be- fasst. Die vorgezogenen Bundestagswahlen, aber auch die geänderte Rechtslage auf europäischer Ebene haben die Situation jedoch ganz erheblich beeinflusst. Im Januar 2004 hatte Greenpeace den Entwurf eines Urwaldschutzgesetzes vorgelegt. Der Anstoß wurde von den damaligen Koalitionsfraktionen gegeben. Das Bun- desumweltministerium hatte daraufhin den Entwurf ei- nes Urwaldschutzgesetzes erarbeitet und in die Ressort- abstimmung gegeben. Das Ziel, das mit dem Gesetzentwurf verfolgt wurde, war, im Rahmen des Naturschutzgesetzes ein Verbot des Besitzes und der Vermarktung von illegal in Urwäldern eingeschlagenem Holz zu verankern. Dazu gehören auch die daraus hergestellten Holzprodukte. Als wesentlicher Bestandteil sollte für den gewerblichen Holzhandel so- wie bei gewerblicher Be- und Verarbeitung zum Zweck des Verkaufs eine Beweislastumkehr eingeführt werden – das heißt, die Beweislast, dass das Holz nicht illegal ein- geschlagen wurde, sollte auf den Verkäufer verlagert werden. Dies hatte seinerzeit innerhalb der Ressortabstim- mungen sowie bei einer Verbändeanhörung zu erhebli- cher Kritik seitens der Holzwirtschaft wie auch der Län- der geführt. Die vorgezogenen Bundestagswahlen in 2005 haben eine weitere Befassung mit dem Gesetzent- wurf obsolet gemacht. An der eingangs beschriebenen Situation hat sich in- dessen auch im Jahre 2006 nichts geändert. Der Anlass für ein Einschreiten gegen die Vermarktung von illegal geschlagenem Holz und daraus hergestellten Holzpro- dukten besteht unvermindert fort. Angesichts der drama- tischen Situation der Urwälder sind wirksame Maßnah- men auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene weiterhin dringend erforderlich. Ich möchte dennoch auf zwei Themenkomplexe nä- her eingehen, die aus meiner Sicht ein Verfahren, wie es die Kolleginnen und Kollegen der Bündnisgrünen for- dern wesentlich beeinträchtigen. Dies ist zum einen eine „systemimmanente“ Schwie- rigkeit, nämlich das Problem der Beweislast, welches ich bereits kurz angesprochen hatte. Zum Zweiten betrifft dies das übergeordnete europäische Recht: Eines der größten praktischen Probleme in der Anwendung des Gesetzes ist meines Erachtens die Beweislastumkehr: Um illegal in Urwäldern geschlagenes Holz und die da- raus hergestellten Holzprodukte wirkungsvoll zu sank- tionieren, müssten prinzipiell alle relevanten Holzpro- dukte in ein Nachweissystem einbezogen werden, da es den Produkten nicht anzusehen ist, ob das Holz illegal eingeschlagen wurde oder nicht. Erforderlich wäre hier ein Nachweissystem über die gesamte Lieferkette, das auch Holz aus Ländern erfasst, in denen es gar keinen Urwald gibt, da sonst fast unbegrenzte Umgehungsmög- lichkeiten geschaffen würden. Ein solches Verfahren wäre für die Durchsetzung unserer Ziele zwingend erfor- derlich. Andererseits ist eine wirksame Kontrolle der Besitz- und Vermarktungsverbote mit einem gewaltigen bürokratischen Aufwand für eine große Zahl von Betrie- ben in Deutschland verbunden. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4195 (A) (C) (B) (D) Wir müssen uns daher in der Tat fragen, ob der erfor- derliche Aufwand für ein wirksames Nachweissystem nicht dem wünschenswerten Ziel der Verwaltungsverein- fachung für Staat und Wirtschaft diametral entgegen- stünde. Die zweite Schwierigkeit, die ich im Rahmen dieser Debatte ganz klar sehe, ist die der mehr als unbefriedi- genden europäischen Gesetzgebung. Bei Vorlage des da- maligen Entwurfs gab es zwar noch kein einschlägiges EU-Recht, jedoch arbeitete die Europäische Union an ei- ner Importregelung, der so genannten Forrest Law Enforcement, Governance and Trade-Verordnung – kurz FLEGT. Anders als im Urwaldschutzgesetz wird in der FLEGT-Verordnung die Ein- und Ausfuhr in die EU ge- regelt und sie betrifft alle Wälder und nicht nur die Ur- wälder. Die FLEGT-Verordnung beschränkt sich zudem nur auf wenige Holzprodukte und gilt lediglich dann, wenn zuvor Partnerschaftsabkommen mit den Export- staaten abgeschlossen wurden. Inzwischen hat die Europäische Union die FLEGT- Verordnung beschlossen. Damit ist der rechtliche Spiel- raum für wirksame nationale Maßnahmen verschwin- dend gering. Ein erfolgreicher Abschluss des Gesetzge- bungsvorhabens wäre also sehr unwahrscheinlich. Daher ist es natürlich alles andere als zielführend, einen Ent- wurf weiterzuverfolgen, der mit hoher Wahrscheinlich- keit von der EU-Kommission blockiert werden würde und mit dem wir bezüglich unseres gemeinsamen Anlie- gens also nichts erreichen würden. Lassen Sie uns überlegen, wie wir in dieser Angele- genheit weiter vorgehen. Wir sollten die uns zu Gebote stehenden Maßnahmen optimal nutzen. Die jetzt be- schlossene FLEGT-Verordnung der EU ist dabei ein wichtiges Instrument, auch wenn ein weitergehender Ansatz auf EU-Ebene mit Sicherheit wünschenswert ge- wesen wäre. Die Fortschritte bei der Aushandlung der Abkommen müssen daher aufmerksam verfolgt und sorgfältig ausgewertet werden. Gibt es keine eindeutig spürbaren Fortschritte, muss die FLEGT-Verordnung nachgebessert werden. Die Koalitionsfraktionen werden sich weiterhin dafür einsetzen, dass auf EU-Ebene schon jetzt überlegt wird, welche weiteren Schritte in Frage kommen. Neben den Bemühungen auf europäischer Ebene sind darüber hinaus weitere Fortschritte auf globaler Ebene zwingend notwendig. Selbstverständlich nutzen wir bei- spielsweise in diesem Zusammenhang die internationa- len Klimaverhandlungen, um gegen die Zerstörung der Wälder vorzugehen. Da circa 20 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen aus Entwaldung stammen, lassen sich durch die Bekämpfung der Entwaldung positive Effekte für die Biodiversität und den Klimaschutz erzielen. Hier gilt es ganz klar, diese wichtigen Synergien zu nutzen. Die 2008 in Deutschland stattfindende Vertragsstaa- tenkonferenz der Konvention über die biologische Viel- falt wird das Thema „Schutz der Wälder“ schwerpunkt- mäßig behandeln. Auf der Konferenz wollen und müssen wir Fortschritte beim Schutz der Wälder und ins- besondere beim Schutz der bedrohten Urwälder errei- chen. Angelika Brunkhorst (FDP): Dass weitere Anstren- gungen zum Schutz der Urwälder vonnöten sind, wird von Wissenschaftlern, Politikern und Nichtregierungsor- ganisationen gleichermaßen beteuert. In regelmäßigen Abständen können wir von dem sich weiter verschlech- ternden Zustand der Wälder gerade in tropischen Regio- nen hören und lesen. Dass wir gemeinsam weitere Initia- tiven zum Schutz der Urwälder ergreifen müssen, liegt also nahe. Der vorliegende Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen wurde in gleicher Form bereits in der letzten Le- gislaturperiode als Regierungsentwurf eingebracht und ist somit ein Erbe der rot-grünen Regierungszeit. Den Grünen scheint dieser Gesetzentwurf sehr am Herzen zu liegen. Es wird für uns alle interessant sein zu sehen, wie sich der einstige Koalitionspartner, die SPD, jetzt zu die- sem Vorhaben positioniert. In einer Kleinen Anfrage (Drucksache 15/5386) zum damaligen Regierungsentwurf hat die FDP erneut darauf hingewiesen, dass bisher nicht einmal klar ist, was genau wir unter „Urwäldern“ zu verstehen haben bzw. verste- hen wollen. Der vorliegende Gesetzentwurf versucht, eine Antwort darauf zu geben, welche vonseiten der FDP kritisch betrachtet wird. Bei der facettenreichen Diskussion um den Urwald- schutz geht es um die Zerstörung von Ur- und Primär- wäldern, illegalen Holzeinschlag, die Auswirkungen auf die Menschen in den betroffenen Regionen, Verlust der biologischen Vielfalt und direkte und indirekte Beein- trächtigungen des regionalen und globalen Klimas. In den meisten tropischen Ländern werden Wälder zerstört, um landwirtschaftliche Nutzflächen zu gewinnen, die dann oft nur kurzfristig Erträge bringen. Diese Entwick- lung scheint weiterhin unaufhaltsam zu sein. Ein weite- rer Grund ist illegaler Holzeinschlag, Feuer, aber auch die Armut der Bevölkerung, die zu Übernutzungen führt. Die FDP hat aktuell zwei Kleine Anfragen an die Bundesregierung vorbereitet, die sich auch mit dem Ur- waldschutz und der nachhaltigen Nutzung von Holz befassen. Zum einen haben wir Fragen zur Nutzung bio- logischer Kohlenstoffsenken für den Klimaschutz for- muliert. Hier geht es um die Aufforstung und Schaffung neuer Werte zum Erhalt und zur Sicherung der Urwälder. Auch die Fragen zum „Stand der Umsetzung der Charta für Holz“ beschäftigen sich mit der nachhaltigen Nut- zung von Holz und Holzprodukten, wenn auch bezogen auf Deutschland. Allerdings sehen wir beim vorliegen- den Gesetzentwurf und der Definition des Urwaldschut- zes insgesamt auch Auswirkungen auf die Vermarktung einheimischer Hölzer. In Deutschland hat sich aufgrund der hohen Bedeu- tung, die die Wälder seit Jahrhunderten für die Siche- rung der Existenz der Menschen, die Entwicklung von Wohlstand hatten, ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Bedeutung von Wald und den Schutz der Wälder entwi- ckelt. Wir sind uns hier einig, dass die weitere Zerstö- rung der Wälder gestoppt werden muss. Der Schutz der letzten verbliebenen Urwälder ist eine wichtige globale Aufgabe, der sich alle Fraktionen verpflichtet fühlen. Die bisherigen Debatten haben gezeigt, dass alle 4196 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Fraktionen im Deutschen Bundestag den Erhalt der ver- bliebenen Urwälder als wichtige globale Aufgabe anse- hen. Die FDP unterstützt den Erhalt der Primär- und Ur- wälder. Wir wollen, dass die Waldnutzung in Entwick- lungsländern wesentlich der heimischen Bevölkerung zugute kommt. Deutschland ist nach den USA und Japan der weltweit drittgrößte Importeur von Holz und Holz- produkten. Unsere besondere Verantwortung ist damit deutlich genug ausgedrückt. In der Vergangenheit ist es den Tropenholz exportie- renden Ländern durchaus gelungen, die Wertschöp- fungspotenziale im eigenen Land stärker auszuschöpfen. Das heißt, Hilfe zur Selbsthilfe ist erfolgreich. Die ein- seitige Förderung des FSC-Zertifikats durch die Bundes- regierung, die immer auch mit der Eindämmung des ille- galen Holzeinschlags begründet wurde, hat für den Erhalt der Wälder nichts gebracht. Daher ist es folge- richtig, eine gegenseitige Anerkennung der Zertifikate umzusetzen. Bei dem im Gesetzesentwurf formulierten Besitz- und Vermarktungsverbot von Holz- und Holzprodukten haben wir deutliche Zweifel, was die realistische Umsetzung an- geht. Auch der Herkunfts- und Nachhaltigkeitsnachweis als Voraussetzung für entsprechende Zertifizierungen wird von der FDP hinterfragt. Die FDP fordert, dass der Waldschutz als eine zen- trale Aufgabe einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Politik angesehen wird. Die existenziellen Bedürfnisse der Menschen in den betroffenen Ländern haben einen höheren Stellenwert als Ansprüche der Wohlstandsge- sellschaft. Das heißt, wirkliche Fortschritte beim Schutz der Wälder können nur erzielt werden, wenn die Armut erfolgreich bekämpft wird, die Menschen Möglichkeiten erhalten, sich selbst zu versorgen. Wir brauchen den Er- halt der Wälder der Erde für das Leben der Menschen vor Ort, die biologische Vielfalt, die Sicherung der Was- serressourcen und den Klimaschutz. Wir sollten versuchen, den armen Ländern der Erde zu helfen, ihre Wälder in entsprechender Weise für die Bekämpfung der Armut zu nutzen und gleichzeitig ein Bewusstsein für die Bedeutung des Schutzes ihrer Wäl- der zu entwickeln. Statt weiterer internationaler Verord- nung ist Hilfe zur Selbsthilfe angesagt. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Dass die Ur- wälder dieser Erde akut von Zerstörung gefährdet sind, wurde heute schon mehrfach betont. Wir wissen auch schon seit langem, dass der illegale Holzeinschlag dafür einer der Hauptgründe ist. Den Herkunftsländern gelingt es bisher nicht, ihn zu verhindern; manche Staaten haben daran leider auch wenig Interesse. Fakt ist, dass relevante Mengen des illegal in Urwäl- dern eingeschlagenen Holzes sich in deutschen Bau- und Holzmärkten wiederfinden. Deutschland trägt somit zur Urwaldzerstörung bei. Völlig unverständlich ist, dass diese Tropenholzdeals hierzulande bisher weder unter- bunden noch geahndet werden können. Es ist erlaubt, Holz und Holzprodukte aus illegalem Einschlag in Ur- wäldern zu besitzen oder mit ihnen zu handeln. Dieser unhaltbare Zustand muss schnellstens beendet werden. Darum unterstützen wir das Grundanliegen des Gesetzentwurfes der Grünen ausdrücklich: In der Kette vom Holzeinschlag zum Händler muss lückenlos doku- mentiert und nachgewiesen werden, dass das Holz nicht aus illegalen Abholzungen stammt. Ein solches Gesetz ist lange überfällig. Leider ist es ja in der letzten Legisla- turperiode so lange auf die lange Bank geschoben wor- den, bis der BMU-Entwurf durch die Neuwahlen beer- digt wurde, und die CDU, die ja damals durch Herrn Julius Caesar geschworen hatte, im Falle eines Wahl- siegs ein Urwaldschutzgesetz einzubringen, leidet offen- bar an Alzheimer. Nun also der Vorschlag der Grünen. Er entspricht weitgehend dem BMU-Entwurf aus der letzten Wahlpe- riode. Vielleicht hätte man aber die eine oder andere Kri- tik aus der damaligen Verbändeanhörung aufnehmen sol- len; denn an einigen Stellen haben wir Zweifel an der Wirksamkeit. Das Gesetz verbietet die Vermarktung von Holz und Holzprodukten aus illegalem Einschlag in Urwäldern. Es muss ein Nachweis erbracht werden, dass nicht illegal abgeholzt wurde. Erfasst sind zwar Rohholz, Bretter, Sperrholz, Spanplatten, Holzkohle, Zellstoff, Papier und Pappe sowie Holzmöbel und Holzspielzeug. Nicht er- fasst aber werden Bücher, Zeitungen und andere Druck- schriften. Das wäre an sich kein Problem, wenn die Zei- tungen und Zeitschriften in Deutschland hergestellt würden, weil ja dann die Papierherstellung kontrolliert wäre. Doch viele deutsche Unternehmen lassen ihre Pu- blikationen aus Kostengründen längst im Ausland dru- cken, zum Beispiel in Tschechien, und manche „deut- sche“ Bücher kommen direkt aus Südostasien. Somit verschafft das Gesetz gerade osteuropäischen und asiati- schen Druckereien, die sich weiterhin mit billigem Pa- pier aus illegalem Einschlag bedienen können, einen zu- sätzlichen Wettbewerbsvorteil. Zweiter Kritikpunkt: Das Gesetz kontrolliert aus- schließlich die großen Unternehmen im Holzgeschäft. Privatpersonen sowie Händler und Holzverarbeiter mit einem Jahresumsatz von weniger als 100 000 Euro sind ausdrücklich von der Nachweispflicht für die Herkunft des Holzes befreit. Uns scheint diese Formulierung ge- fährlich. Schließlich eröffnet sie die Möglichkeit, dass Holzhändler kritische Sparten, also beispielsweise ihr Afrikageschäft, auslagern. Umgekehrt ist das vorgese- hene maximale Bußgeld von 50 000 Euro für die Groß- unternehmen im Holzgeschäft wenig abschreckend. Es kommt natürlich darauf an, wie oft es verhängt wird. Das Tropenwaldnetzwerk hat seinerzeit ausdrücklich bemängelt, dass das Gesetz nur die Urwälder schätzt, die auch in dem jeweiligen Herkunftsstaat unter Schutz ste- hen. Holz aus staatlich genehmigtem Urwaldkahlschlag darf also weiterhin in Deutschland in all seinen Formen vermarktet werden, selbst wenn dabei der Holzeinschlag in den betreffenden Staaten gegen Menschenrechte und traditionelle Besitzrechte der Waldvölker verstößt. Wir Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4197 (A) (C) (B) (D) wissen, dass dies juristisch anders kaum zu handhaben ist. Ein Problem bleibt es doch. Problematisch erscheint uns weiterhin das Verhältnis zur FLEGT-Verordnung der EU, worin es um die Rechts- durchsetzung, die Politikgestaltung und den Handel im Forstsektor geht. Die Nachweispflicht soll ja nicht für Länder gelten, die das FLEGT-Abkommen mit der EU geschlossen haben. Die FLEGT-Verordnung umfasst je- doch nur den Handel mit bestimmten Holzprodukten, nämlich derzeit Rohhölzer, Holzschwellen, Spanplatten, Furnier- und Sperrholz. Die Zellstoff-und Papierproduk- tion ist ausgenommen. Eine Erweiterung der Produkt- gruppe ist auf nicht absehbare Zeit verschoben. Somit schlägt der Passus im Urwaldschutzgesetz für die FLEGT-Länder eine unnötige Lücke. Insgesamt ist das Gesetz aber trotz seiner Schwach- stellen ein großer Schritt hin zu einem Importverbot für illegal geschlagene Hölzer. Im Gesetzgebungsverfahren und über die vorgesehenen Verordnungen kann auch ein Teil unser Kritikpunkte beseitigt werden. Wir hoffen da- rum, dass der Gesetzentwurf eine Mehrheit findet. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Be- reits seit Jahrzehnten diskutieren wir darüber, wie wir die Zerstörung der Urwälder dieser Welt stoppen kön- nen. Das Thema beschäftigt auch dieses Haus bereits seit langem. So hat die Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre” des 11. Deutschen Bundesta- ges 1990 einen Bericht vorgelegt, der sich umfassend mit dem Schutz der tropischen Wälder befasste, der Handlungsmöglichkeiten benannte und Handlungsemp- fehlungen gab. Immer wieder wird seitdem von allen Seiten darauf hingewiesen, dass es angesichts der Zer- störung der Urwälder fünf vor zwölf ist. Nichtsdestotrotz gehen laut FAO nach wie vor jähr- lich 15 Millionen Hektar Urwald verloren. Auch illega- ler Holzeinschlag trägt erheblich dazu bei. Schätzungen aus dem Jahr 2002 zufolge beträgt der Anteil des illega- len Einschlags am Gesamteinschlag in Brasilien 80 Pro- zent, in Indonesien 73 Prozent und in Russland 20 bis 30 Prozent. Ein Teil dieses Holzes landet auch in Deutschland: Deutschland importierte 2004 aus diesen drei Ländern jeweils Holz im Wert von etwa 300 Millio- nen Euro. Deutschland trägt so zur illegalen Urwaldzer- störung bei. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, beim Handel mit illegalem Holz anzusetzen und ihn so weit wie möglich zu unterbinden. Auch wenn das nur eine Maßnahme unter vielen ist. die erforderlich sind. Illegal hergestellte Ware zu handeln, ist bei vielen Produkten selbstverständlich verboten. Bei Holz aller- dings ist das anders: Illegal geschlagenes Holz darf in Deutschland ungestraft verkauft werden. Auch der Be- sitz ist erlaubt. Diesen unhaltbaren Zustand wollen Bündnis 90/Die Grünen ändern. Deshalb haben wir un- seren Entwurf für ein Urwaldschutzgesetz in den Bun- destag eingebracht. Dieses Gesetz soll den Besitz und den Handel von illegalem Holz verbieten. Um Kontrol- len zu ermöglichen, sollen Holzhändler und -verarbeiter zukünftig einen Legalitätsnachweis für Holz und Holz- produkte bereithalten. Von interessierter Seite ist behauptet worden, dieses Verbot würde nichts für den Urwaldschutz bringen. Aber da haben wir eine andere Einschätzung. Das Verbot brächte hierzulande den Durchbruch für die Holzzertifi- zierungssysteme bei allen Holzimporten und in der ge- samten Holzverarbeitungskette. Schließlich würde der geforderte Legalitätsnachweis in der Praxis vor allem durch die bestehenden Holzzertifizierungssysteme er- bracht werden. Von interessierter Seite ist außerdem eingewandt wor- den, die FLEGT-Verordnung der EU mache ein nationa- les Urwaldschutzgesetz überflüssig. Das ist leider nicht der Fall, denn FLEGT wird keine schnellen und durch- greifenden Erfolge zeitigen. Diese Verordnung sieht an- stelle eines Importverbots für illegales Holz Verhandlun- gen mit den Holzexportstaaten über den Abschluss freiwilliger Partnerschaftsabkommen vor. Nach Ab- schluss dieser Abkommen soll Holz in die EU nur noch eingeführt werden dürfen, wenn für sie eine FLEGT-Ge- nehmigung – im Wesentlichen ein Legalitätsnachweis – vorliegt. Verhandelt wird aber nur mit einem Teil der holzexportierenden Länder. Im Januar 2006 waren das Kamerun, Ghana, Malaysia, Indonesien und Russland. Abkommen werden voraussichtlich erst in einigen Jah- ren abgeschlossen und wirksam. Sollten die Verhandlun- gen aber scheitern, muss erst wieder in einem jahrelan- gen Verfahren festgelegt werden. zu welchen verschärften Maßnahmen die EU greift. Dies dauert an- gesichts des rasant fortschreitenden Urwaldverlustes auf jeden Fall zu lange. Deshalb ist die FLEGT-Verordnung zwar nicht überflüssig, aber unzureichend. Deshalb ist ein nationales Urwaldschutzgesetz nötig, das kurzfristig greift. Gegner eines Urwaldschutzgesetzes beklagen, die Re- gelungen brächten zuviel Bürokratie. Ein zusätzlicher Aufwand durch das Urwaldschutzgesetz für die Wirt- schaft lässt sich in der Tat nicht bestreiten. Er entsteht durch die Zertifizierung im Rahmen des Nachweissys- tems. Allerdings hält sich dieser Aufwand durchaus in einem vertretbaren Rahmen. Dies gilt, vor allem dann, wenn – wie im Gesetzentwurf vorgesehen – die etablier- ten Zertifikate als Legalitätsnachweise anerkannt wer- den. Denn über zwei Drittel der Wälder in Deutschland sind bereits nach FSC, PEFC oder durch Naturland zertifiziert – ohne dass die deutsche Forstwirtschaft un- ter dem Aufwand zusammengebrochen wäre. Nur bei den Holzimporten ist das anders. Wie bei der Holzverar- beitungskette gibt es bei Importen bisher nur in Ausnah- mefällen entsprechende Nachhaltigkeitszertifikate. In diesen Bereichen ist also mit zusätzlichem Zertifizie- rungsaufwand zu rechnen. Allerdings sind die Kosten der Holzkettenzertifizierung geringer als für die Zertifi- zierung der Forstwirtschaft. Dennoch: Es entstehen Kosten. Allerdings nicht mehr, als ohnehin auf die Branche zukommen. Denn es entspricht dem erklärten politischen Willen der meisten politischen Akteure der Waldpolitik, die Zertifizierung der nachhaltigen Produktionsweise in der Forst- und Holzwirtschaft weiter auszubauen. Auch die FLEGT- Verordnung fordert – wenn sie auf lange Sicht greift – 4198 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) die Vorlage eines Legalitätszertifikats bei der Einfuhr von Holz und Holzprodukten. Aus unserer Sicht treffen die Argumente der Gegner eines Urwaldschutzgesetzes nicht zu. Vielmehr wird die deutsche Forstwirtschaft vom Urwaldschutzgesetz profi- tieren. Warum? Der illegale Holzeinschlag führt zu Dumpingpreisen auf den globalen Holzmärkten. Nach Schätzung der Weltbank verlieren die Waldländer durch illegalen Holzeinschlag Einnahmen von etwa 15 Milliar- den Euro pro Jahr. Deshalb werden die Holzpreise stei- gen, wenn der illegale Holzeinschlag zurückgedrängt wird. Hiervon werden alle gesetzestreuen Holzprodu- zenten und damit selbstverständlich auch die einheimi- schen Forstwirte profitieren. Die Kosten für den zusätz- lichen Zertifizierungsaufwand für das restliche Drittel der deutschen Wälder dürften daher mehr als ausgegli- chen werden. Im Jahr 2004 brachten auch CDU und SPD Anträge in den Bundestag ein, in denen sie sich für ein Handels- und Besitzverbot mit und von illegalem Holz ausgesprochen haben. Das grüne Umweltministerium hatte daraufhin einen Urwaldschutzgesetz-Entwurf erar- beitet. Aufgrund der vorgezogenen Bundestagswahl konnte Rot-Grün ihn jedoch nicht mehr verabschieden. Mittlerweile regiert die große Koalition. Das Thema Urwaldzerstörung kommt im Koalitionsvertrag von Union und SPD nicht vor. Auch die Themen illegaler Holzeinschlag und Urwaldschutz kommen seither auf der Agenda dieser Koalition nicht mehr vor. Vor diesem Hintergrund war ich sehr gespannt darauf zu hören, wie sich die große Koalition heute zu unserem Urwald- schutzgesetz äußert. Wir wissen, dass es in diesem Haus unüblich ist, Gesetzentwürfen der Opposition zuzustim- men. Das wäre auch gar nicht schlimm, wenn Sie we- nigstens hier und heute erklärt hätten, dass Sie unsere Initiative aufgreifen und einen eigenen Gesetzentwurf für ein Verbot des Handels und des Besitzes mit illega- lem Holz vorlegen werden. Eigentlich müssten Union und SPD dies tun, wenn sie zu ihren früheren Aussagen stehen. Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: Für ein Ende der Gewalt in Norduganda (Tagesordnungspunkt 24 und Zusatztagesordnungspunkt 9) Gabriele Groneberg (SPD): Es ist wohl durchaus ungewöhnlich, dass ein Film zu einer Initiative mehrerer Fraktionen im Bundestag führt. Vor einigen Wochen ha- ben wir uns den international prämierten Film „Lost Children“ angesehen. Dieser Film über die Kinder, die zu Soldaten gemacht werden, hat uns alle tief berührt, ja entsetzt. Besonders beeindruckt hat uns außerdem der anschließende Besuch des Erzbischofs von Norduganda, John Baptist Odama, der uns über die schwierige huma- nitäre Situation der Flüchtlinge unterrichtet hat. Auch wenn wir uns bereits in der Vergangenheit mit diesem Thema befasst haben: Der Besuch von Erzbischof Odama bestärkte uns darin, wie notwendig es ist, uns noch intensiver mit Norduganda zu befassen. Was sind das für Kriminelle, die die Zivilbevölkerung terrorisie- ren, Dörfer und Felder niederbrennen, Menschen miss- handeln und töten, die Frauen und Mädchen vergewalti- gen? Kinder werden aus den Dörfern und Städten entführt, als Sexsklaven missbraucht und mit unmensch- lichen, brutalen Methoden dazu gezwungen, Soldaten und Soldatinnen zu werden und dann selbst Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung, gegen ihre Verwandten und Familien zu begehen. Diese Kriminellen, die sich „Lord’s Resistance Army“, LRA, nennen, befinden sich seit 20 Jahren auf einem gnadenlosen Weg der Vernich- tung einer ganzen Region. Und nicht nur in Norduganda, nein, auch der Osten des Kongo und der Süden des Su- dans werden von ihnen tyrannisiert. Die große Region Nordugandas ist praktisch entvöl- kert, die Menschen haben sich in die Städte geflüchtet, an ihrem Rand. In ihrer unmittelbaren Nähe haben sich große Flüchtlingslager gebildet. Eine ganze Region, fruchtbar und in der Lage ihre Menschen zu ernähren, liegt brach. Seit Jahren ist es zu gefährlich, die Felder zu bestellen, das wenigste zum Leben anzubauen. Was die- sen Kindern angetan wird, die von der LRA entführt werden, das kann ein normaler Menschenverstand gar nicht ermessen. Wir hatten Gelegenheit bei einem Auf- enthalt in Uganda in einer Einrichtung der Caritas in der Stadt Gulu, mit den Kindern und Jugendlichen zu reden, die sich aus den Händen der Rebellen befreien konnten. In dieser Einrichtung wird Hilfe angeboten, die ihnen den Weg in ein normales Leben zurück ermöglichen soll. Aber bei aller Hilfe, die wir leisten können – die schlim- men Erlebnisse werden sie ein Leben lang verfolgen, werden nie vergessen werden können. In die Gesichter, in die Augen dieser jungen Men- schen zu blicken und darin dieses unglaubliche Leid des Erlebten zu sehen, ich kann das, denke ich, nie verges- sen. Mit den Betroffenen zu reden, bestärkt in der Ab- sicht, unsererseits alles mögliche zu tun, mitzuhelfen, dass diese schlimmen Zustände beendet werden können. Aber was können wir tun – über unser bisheriges poli- tisches und finanzielles Engagement hinaus? Wir wollen zuallererst die ugandische Regierung nicht aus der Ver- antwortung entlassen. Sie muss entschieden mit allen Mitteln gegen die LRA vorgehen. Wir erwarten, dass sie mit aller Kraft und mit den zur Verfügung stehenden Mitteln der eigenen Armee die Bevölkerung Nordugan- das schützt. Wir erwarten, dass die Regierungen Ugan- das, der DR Kongo und des Sudans bei der Bewältigung der Situation zusammenarbeiten und die Verfolgung der fünf Rädelsführer der LRA, gegen die der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehle erlassen hat, intensiv zu be- treiben und für deren Verhaftung zu sorgen. Wir fordern die ugandische Regierung aber auch auf, ebenso ent- schieden die Verbrechen der eigenen Sicherheitskräfte gegen die Bevölkerung zu verfolgen und zu ahnden. Die kleinen sichtbaren Fortschritte, die darin beste- hen, dass ein Teil der Menschen in den Flüchtlingslagern ihre Felder im erreichbaren Umkreis bestellen und abends wieder in Lager zurückzukehren – das ist ein Hoffnungsschimmer und mehr nicht. Dass die Zahl der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4199 (A) (C) (B) (D) „nachtwandernden“ Kinder, die wir in Gulu besucht ha- ben und die jede Nacht aus den näher an der Stadt gele- genen Dörfern bis zu zwei Stunden laufen, um in die si- chere Stadt zu kommen, um den Entführungen zu entgehen und morgens ebenso die Strecke wieder zu- rücklegen, um in den Dörfern die Schulen aufzusuchen, dass die Zahl dieser Kinder stark rückläufig ist, auch das nur ein Hoffnungsschimmer. Die Hilfe, die von der euro- päischen und internationalen Gemeinschaft geleistet wird, um die Menschen in den Flüchtlingslagern wenigs- tens mit dem allernotwendigsten an Lebensmitteln zu versorgen, darf nicht eine Zementierung dieser Zustände bedeuten. Es muss darauf gedrängt werden, dass die Auflösung der Lager der ugandischen Flüchtlinge möglich wird, dass die Menschen wieder in ihre Dörfer zurückkehren können und ihnen dort auch ihr Land zurückgegeben wird. Wir können dabei helfen, dass die mit sieben weiteren Gebern, unter andern Weltbank und afrikanische Ent- wicklungsbank, vereinbarte Geberstrategie für Uganda, Uganda Joint Assistance Strategy, umgesetzt wird und klare Vorgaben für demokratische und rechtsstaatliche Strukturen, für die Wahrung der Menschenrechte, die Si- cherheit und die Reintegration der Flüchtlinge entwi- ckelt und eingehalten werden. Es bleibt die Pflicht der ugandischen Regierung, sich für einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen einzusetzen. Wir werden sie selbstverständlich gemeinsam mit den europäischen Partnern dabei unterstützen, eine Roadmap-for-Peace auszuarbeiten. Das heißt aber auch, dass wir an deren überprüfbarer Umsetzung den Friedenswillen der ugan- dischen Regierung festmachen werden. Wir können da- bei helfen, dass Projekte und Initiativen, die sich für die Demobilisierung von Soldaten, von Kindersoldaten, die Aufarbeitung ihrer Traumata und ihre Wiedereingliede- rung in die Gesellschaft einsetzen, unterstützt werden. Wir können helfen und wir tun es und wir werden es auch weiterhin tun. Dr. Karl Addicks (FDP): „Berüchtigter Rebellen- führer Kony bietet Uganda den Frieden an – LRA-Chef bestreitet Gräueltaten an Zivilisten.“ So lautet der Titel einer Meldung, die ich erst gestern wieder in den Hän- den hielt. So wird wieder ein Hoffnungsschimmer, der Gewalt in Norduganda ein Ende zu setzen, im Keim er- stickt. Es handelt sich nämlich nicht um das erste Ange- bot dieses Rebellenführers, Frieden zu stiften und wird wahrscheinlich – bei der Betrachtung seiner zusätzlichen Bemerkung – auch nicht das letzte sein. Obwohl die Beendigung der Gewalt dringend nötig ist; denn die Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind verheerend. Schätzungen zufolge sind bereits min- destens 100 000 Menschen getötet worden und fast 2 Millionen Menschen vor der Gewalt geflohen. Die Lord’s Resistance Army kämpft gegen die ugandische Regierung nun schon seit 20 Jahren und ist bekannt für ihre Verbrechen an den Zivilisten und die Entführung von Kindern, die sie als Soldaten oder Sexsklaven miss- brauchen. Nicht ohne Grund wurden gegen Joseph Kony, den Anführer der Lord’s Resistance Army, 2004 die Ermittlungen beim internationalen Gerichtshof ein- geleitet. Der Haftbefehl gegen ihn nennt 33 Anklage- punkte, darunter alleine zwölf wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und 21 wegen Kriegsverbrechen. Herr Kony selber, wie ich eingangs gesagt habe, bestrei- tet diese Vorwürfe und ist sich keiner Schuld bewusst. Er töte nur die Soldaten Musevenis, denn er handele im Na- men der zehn Gebote, die zu ihm sprechen. Auf dieser Basis scheint der Frieden in Norduganda noch in weiter Ferne zu liegen. Aber das dürfen wir nicht zulassen! Erschwerend kommt hinzu, dass die ugandische Ar- mee, die Uganda People’s Defence Force, für die Zivil- bevölkerung in den leicht angreifbaren Lagern keinen ef- fektiven Schutz darstellt. Im Gegenteil, auch diese ist verantwortlich für schwerwiegende Menschenrechtsver- letzungen und von Korruption geprägt. Das wiederum führt dazu, dass es an aufrichtigem Interesse, den Kon- flikt zu beenden, mangelt. Das geht doch so nicht! Im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung haben wir uns eingehend mit diesem Konflikt in Norduganda beschäftigt: Wir haben uns den sehr eindrucksvollen Film „Lost Children“ angesehen, der uns doch tief erschüttert hat. In diesem Film wird die schwere Resozialisierung von Kindersoldaten, die von der Lord’s Resistance Army dazu gezwungen wurden, dokumentiert und die Kinder erzählen von ihren Erfah- rungen, die sie in der Rebellengruppe machen mussten. Der Ausschuss hat außerdem den Erzbischof John Baptist Odama zu einer der Sitzungen eingeladen. Die- ser hat uns eingehend über die Situation in Norduganda informiert, denn Herr Odama, Vorsitzender einer konfes- sionsübergreifenden ugandischen Friedensbewegung, konnte uns seine Erfahrungen vor Ort beeindruckend schildern. Aus unseren Beratungen kann nur ein Schluss gezo- gen werden: Der Gewalt in Norduganda muss ein Ende gesetzt werden! Hier sprechen wir die deutsche, aber vor allem die ugandische Regierung an. Sie werden in aller Form aufgefordert, aktiv – oder sollte man sagen: aktiver – zu werden. Wir begrüßen sehr, wie auch bereits im Antrag er- wähnt, dass Anfang April 2006 ein Joint Monitoring Committee for Northern Uganda eingesetzt worden ist, in dem vorerst die Vereinten Nationen, die USA, Groß- britannien, Norwegen, die Niederlande und Uganda an einer umfassenden Strategie für Norduganda arbeiten können. Sobald diese abschließend formuliert ist, muss sie aber auch verwirklicht werden. Uganda ist ein Schwerpunktpartnerland der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Dem Land wurden seit der Wiederaufnahme der EZ im Jahr 1986 bilateral ins- gesamt über 500 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Diese Beziehungen zwischen Deutschland und Uganda müssen wir nutzen, um durch politischen Einfluss zu ei- ner Beendigung der grausamen Auseinandersetzungen in Norduganda beizutragen. Das fordern wir mit diesem Antrag. Die Bundesregierung muss dies im Dialog mit der ugandischen Regierung eindeutig klarstellen und die 4200 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Ernsthaftigkeit in Bezug auf Waffenstillstands- und Frie- densverhandlungen anmahnen. Ein wirksamer Schutz der Zivilbevölkerung vor den Rebellen, aber auch vor den eigenen Sicherheitskräften muss wiederhergestellt werden. Wir können die dortigen Verhältnisse nicht län- ger tolerieren! Dazu gehört auch, dass die ugandische Regierung in ihren eigenen Reihen für Ordnung sorgt und Verbrechen der eigenen Sicherheitskräfte verfolgt. Es ist dringend erforderlich, dass die international vereinbarte Geberstrategie für Uganda umgesetzt wird. Darin werden klare Vorgaben für die Umsetzung von demokratischen und rechtsstaatlichen Strukturen, die Wahrung der Menschenrechte, die Sicherheit und Re- integration der Flüchtlinge und konstruktive Friedens- verhandlungen aufgestellt. Das ist die Grundlage für ein Ende der Gewalt und die zukünftige Entwicklung Ugan- das. Wir sind uns einig, dass unsere genannten Forderun- gen wichtig und richtig sind, und ich freue mich, dass wir zu diesem gemeinsamen Antrag kommen konnten. Es wird Zeit! Anlage 26 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Gleiche Besoldung für alle Soldaten (Tagesordnungspunkt 23) Monika Brüning (CDU/CSU): Verteidigungspoliti- ker aller Fraktionen sprechen sich seit längerem für die Angleichung der Besoldung in Ost und West aus. Die ungleiche Besoldung ist eine Belastung der inneren Ein- heit der Bundeswehr, die ansonsten hervorragend gelun- gen ist. Dass die unterschiedliche Besoldung unserer Solda- tinnen und Soldaten 15 Jahre nach der deutschen Einheit überwunden werden muss, ist eine Forderung, bei der ich Oberst Bernhard Gertz vom Deutschen Bundeswehrver- band sowie dem Bundesverteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung nachdrücklich beipflichte. Ich danke auch dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, der sich diesem Thema seit Jahren widmet. Die unterschiedliche Besoldung ist auch durch nichts gerechtfertigt, denn Soldatinnen und Soldaten leisten qualitativ Vergleichbares – ob in München oder Dres- den, ob in Mainz oder Neubrandenburg. Wie soll ich ei- nem Soldaten in Thüringen erklären, dass sein bayeri- scher Kamerad, der nur circa 20 Kilometer weiter westlich stationiert ist, statt seiner 92,5 Prozent die vol- len 100 Prozent Besoldung erhält, also 7,5 Prozent mehr Sold, was je nach Alter bis zu 200 Euro monatlich aus- machen kann. Wäre nur das Thema Besoldung im Verteidigungsetat zu bewältigen, könnte die Bundeswehr die Angleichung der Besoldung durchaus aus ihrem Etat bezahlen, auch wenn dies zweifellos einen Kraftakt bedeuten würde. Wir sollten jedoch langfristig darüber nachdenken, das gesamte Besoldungsgefüge, insbesondere im Hinblick auf die Attraktivität des Soldatenberufs und die Situation der Nachwuchsgewinnung weiterzuentwickeln. Wie dem Bundeswehrplan 2007 zu entnehmen ist, sind im Verteidigungshaushalt zudem umfangreiche Mittel für den ausreichenden Schutz und die Weiterentwicklung der notwendigen Ausrüstungs- und Einsatzkomponenten für unsere Soldaten bereitzustellen. Ein weiteres Problem liegt auf der Ebene der Länder und Kommunen im Osten Deutschlands. Bei einer Be- soldungsangleichung im Bereich der Bundeswehr könn- ten die Angehörigen des öffentlichen Dienstes mit Recht ähnliche Forderungen für sich reklamieren. Eine solche Welle der Belastungen wäre von den ohnehin bis zum Zerreißen angespannten Haushalten der Länder nicht zu schultern. Wir freuen uns darüber, dass wir uns mit den Ländern auf eine Besoldungsangleichung in zwei Schritten eini- gen konnten. Im Jahr 2007 werden die unteren Besol- dungsgruppen bis A 9, ab dem Jahr 2009 die höheren Besoldungsgruppen in Ost und West nach der gleichen Besoldungstabelle bezahlt. Diese Perspektive ist im Inte- resse unserer Soldatinnen und Soldaten erfreulich. Es ist der kleinste gemeinsame Nenner, auf den wir uns eini- gen konnten. Das kann uns nicht befriedigen, aber es ist eine absehbare Perspektive, die wir auch dem Behar- rungsvermögen der Verteidigungspolitiker zu verdanken haben. So sehr ich mir eine sofortige Besoldungsangleichung auch gewünscht hätte, unser Ziel, eine nachhaltige Kon- solidierung des Haushaltes, dürfen wir dabei nicht aus den Augen verlieren. Die Perspektive von 2007 bis 2009 ist absehbar und unter den bestehenden Gegebenheiten auch hinnehmbar. Deshalb stimmt die CDU/CSU dem Antrag der FDP nicht zu. Susanne Jaffke (CDU/CSU): Das Thema Besol- dungsangleichung für alle Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes in den neuen Bundesländern beschäftigt uns seit vielen Legislaturperioden. Bereits in der 13. Wahlperiode gab es erste Anträge. Bedingt durch finanzielle Engpässe, vor allem bei den neuen Bundesländern und noch nicht erreichte vergleichbare Verwaltungsstrukturen, konnte die Einkommens- und Besoldungsangleichung nicht rea- lisiert werden. Das Bundesbesoldungs- und versorgungsanpassungs- gesetz 2003/2004 vom 10. September 2003 sieht nun die stufenweise Angleichung der Besoldung vor. Das gilt nicht nur für die Bundeswehr. Allerdings, die Angleichung der Besoldung ist ein weiterer wesentlicher Bestandteil der inneren Einheit der Bundeswehr. Bundesminister Jung, der Bundeswehrver- band und auch der Wehrbeauftragte haben die Anglei- chung der Besoldung ebenfalls mehrfach gefordert, die tariflichen Einigungen sind weitestgehend erreicht – die FDP greift somit kein neues Thema auf. Die Sachlage stellt sich folgendermaßen dar: Für die unteren Besoldungsgruppen bis A 9 ist eine weitere An- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4201 (A) (C) (B) (D) gleichung des Bemessungssatzes auf 100 Prozent bis Ende 2007 festgeschrieben worden. Bis zum 31. Dezem- ber 2009 ist die Anhebung der übrigen Besoldungsgrup- pen zu realisieren. Der Kollege Koppelin ist im Rahmen der Haushalts- beratungen zum Einzelplan 14 bereits detailliert über die Berechnung der Kosten infolge der stufenweisen Anglei- chung der Ost- an die Westbesoldung informiert worden. Auch die Größenordnung der Mehrausgaben ist in die- sem Zusammenhang mitgeteilt worden. Sie beläuft sich auf circa 25 Millionen Euro ab 2008. Der Antrag der FDP, der hier zur Debatte steht, lässt Solidität vermissen. In den Etatberatungen hat diese Fraktion den Rotstift radikal an fast jedem Titel ange- setzt, um ihrem eigenen Anspruch als Ausgabenmini- mierungspartei gerecht zu werden. Nun fordern sie Mehrausgaben, die sie selbst im regulären Haushaltsver- fahren nicht eingebracht haben. Sie können nicht einer- seits das Trennungsgeld und die Aus- und Fortbildung für die Soldaten kürzen sowie die Nachwuchswerbung zusammenstreichen – andererseits die Ost-West-Anglei- chung einfordern; das passt nicht zusammen. Da bleibt für mich nur festzustellen, dass es sich hiermit um einen Schaufensterantrag handelt. Im Übrigen möchte ich darauf verweisen, dass 1996 und 1997 durch eine Verfahrenspraxis im Zusammen- hang mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr auf dem Balkan die Gleichbesoldung weitestgehend durch- gesetzt wurde. Der Rechnungshof hat diese Praxis in sei- nen Bemerkungen 1997 zur Haushalts- und Wirtschafts- führung kritisiert. Der Rechnungsprüfungsausschuss hat daraufhin im März 1998 das BMVg aufgefordert, die „geltenden Besoldungs- und Versorgungsvorschriften nicht weiterhin durch organisatorische Regelungen zu umgehen“. Diese Beschlüsse sind selbstverständlich durch das Verteidigungsministerium umgesetzt worden. Festzustellen bleibt, dass es in Auslandseinsätzen keine Besoldungsunterschiede gibt. Die Bundeswehr hat also keine Sonderstellung, sondern ist in ihren Besol- dungsstrukturen im öffentlichen Dienst eingebunden. Petra Heß (SPD): Die FDP fordert in ihrem Antrag, die Ungleichbehandlung bei den Angehörigen der Bun- deswehr unverzüglich zu beenden und sie ausschließlich nach der heute nur für die westlichen Bundesländer gül- tigen Besoldungsordnung zu besolden. Die Forderung der Soldaten ist sehr wohl berechtigt und nachvollziehbar. Als ostdeutsche Abgeordnete, der diese Problematik durch zahlreiche Truppenbesuche sehr gut vertraut ist, finde ich es jedoch bedauerlich, dass sich die FDP dieses Themas aus purer Effekthascherei bedient und nicht aus Sorge um die Soldaten. Der Ver- such, sich hiermit als Interessensvertreterin der Belange der in Ostdeutschland stationierten Soldatinnen und Sol- daten und darüber hinaus aller Ostdeutschen zu profilie- ren, ist auf den ersten Blick durchschaubar. Schließlich war die FDP nach der Wiedervereinigung viele Jahre lang in Regierungsverantwortung. Aus dieser Zeit sind mir keine Bemühungen hinsichtlich der Angleichung der Ost-West-Besoldung bekannt. Außerdem müsste auch die FDP wissen, dass es kein eigenes Besoldungsrecht für Soldatinnen und Soldaten gibt, wie ich es mir im Übrigen wünschen würde. Viel- mehr gilt das Besoldungsrecht für Beamte, Richter und Soldaten, also für alle drei Gruppen gleichermaßen. Eine Sonderlösung für Soldaten ist zurzeit nicht realisierbar. Mit sind auch keine Bemühungen der Bundesländer be- kannt, in denen die FDP in Regierungsverantwortung steht, den eingeschlagenen Weg der Anpassung zu ver- kürzen. Es war die rot-grüne Bundesregierung, die unter ihrer Federführung mit dem Bundesbesoldungs- und -versor- gungsanpassungsgesetz 2003/2004 einen Fahrplan für die Ost-West-Angleichung auf den Weg gebracht hat. Gegen Widerstände aus den Bundesländern wurde ver- einbart, dass die weitere Angleichung der Ostbesoldung an das Westniveau bis spätestens 31. Dezember 2007 für die Besoldungsgruppen bis A 9 und für die übrigen Be- soldungsgruppen bis zum 31. Dezember 2009 erfolgen soll. Ich hätte mir gewünscht, die Angleichung in einer kürzeren Phase zu realisieren. Aber dies war nun einmal der damals ausgehandelte Kompromiss mit den Ländern. Mit dieser Vereinbarung erhalten die Soldatinnen und Soldaten sowie die Beamtinnen und Beamten der Bun- deswehr in den östlichen Bundesländern eine verlässli- che Perspektive zur Anpassung ihrer Besoldung und Versorgung an das Westniveau. Ich bitte Minister Jung, in den Gesprächen mit den Ländern darauf hinzuwirken, die zeitlichen Fristen für die Angleichung nicht bis zum Ende auszuschöpfen, sondern zu versuchen, die Anpassung schon früher um- zusetzen. Es ist aus meiner Sicht nicht nachvollziehbar, dass im Jahr 16 der deutschen Einheit gerade die Bun- deswehr, die seit 1990 so erfolgreich wie kaum eine an- dere Institution den Prozess der inneren Einheit vollzo- gen hat, immer noch gezwungen ist, ihren Soldatinnen und Soldaten unterschiedliche Löhne nach Ost-/West- Zugehörigkeit zu zahlen. Meine Erfahrungen durch Truppenbesuche und Wehrübungen zeigen mir, dass in- nerhalb der Truppe die Ost-/West-Zugehörigkeit absolut keine Rolle mehr spielt. Gerade bei Auslandseinsätzen zeigt sich, dass es we- der im Leistungswillen noch in der Leistungsfähigkeit Unterschiede gibt. Die Soldaten und die zivilen Mitar- beiter aus den neuen Bundesländern erfüllen ihren Auf- trag genauso gut wie ihre Kameraden aus den alten Bun- desländern. Deshalb ist diese Differenz beim Sold nicht mehr gerechtfertigt. Dennoch wird den in Ostdeutsch- land stationierten Soldatinnen und Soldaten bei ihrer Rückkehr an ihre Standorte beim Blick auf ihren Lohn- zettel jeden Monat aufs Neue vor Augen geführt, dass ihre Leistung weniger wert ist, als die ihrer Kameraden in den alten Bundesländern. Diese Ungleichbehandlung muss endlich überwunden werden und zwar schnell. Das geht aber nur im gütlichen Einvernehmen mit den Ländern. Deshalb ist der FDP-Antrag schlicht und er- greifend unfair gegenüber unseren Soldatinnen und Sol- daten. Denn damit wird der – falsche – Eindruck 4202 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) erweckt, es gäbe die Möglichkeit, durch Bundestagsbe- schluss eine sofortige Angleichung hinzubekommen. Wenn es der FDP wirklich ernst mit diesem Antrag ist, sollte sie wirkungsvoll Druck auf die Länder aus- üben, in denen sie mitregiert. Denn ohne die Bundeslän- der im Boot zu haben, wird es keine schnellere Anglei- chung geben, als vereinbart. Birgit Homburger (FDP): Die Bundeswehr hat sich seit der Wiedervereinigung gewandelt. Sie musste sich auf vielfältige neue Aufgaben einstellen; denn mit der Vereinigung 1990 ist auch die internationale Verantwor- tung Deutschlands gewachsen. Deutschland braucht weiterhin eine leistungsfähige Bundeswehr, die für unser Land Frieden und Freiheit sichert. Darüber hinaus muss die Bundeswehr aber auch im Bündnisrahmen zur Kri- senreaktion im Ausland fähig sein und für die Völkerge- meinschaft zur Verfügung stehen, wenn das politisch so entschieden wird. Dies erfordert Anpassungen und Um- gliederungen, die mitunter sehr schwierig sind. Sie ver- langen von allen Beteiligten große Flexibilität und Op- ferbereitschaft. Die Angehörigen der Bundeswehr haben bisher alle ihnen gestellten Herausforderungen mit Er- folg und großem Engagement bewältigt. Seit dem 3. Oktober 1990 hat sich am Beispiel der Bundeswehr gezeigt, was erreichbar ist, wenn Deutsche aus Ost und West aufeinander zugehen und sich mit Tat- kraft einer gemeinsamen Aufgabe stellen. Alle Soldatin- nen und Soldaten und zivilen Mitarbeiter der Bundes- wehr haben eine großartige Leistung vollbracht, auch diejenigen, die vormals in der Nationalen Volksarmee ihren Dienst geleistet haben. In der Bundeswehr ist die innere Einheit seit langer Zeit tatsächlich vollzogen. Aus zwei Armeen ist eine Armee geworden. Es gibt nicht den geringsten Leistungsunterschied zwischen den Soldatinnen und Soldaten aus dem Westen und dem Osten Deutschlands. Sowohl im Inland als auch bei Auslandseinsätzen im Rahmen der Vereinten Natio- nen, der Organisation für Sicherheit und Zusammenar- beit in Europa, der NATO oder der EU erfüllen Soldatin- nen und Soldaten sowie zivile Mitarbeiter aus den neuen Bundesländern ihren Auftrag in gleicher Qualität wie die aus den alten Bundesländern. Trotzdem gibt es in der Bundeswehr aufgrund der gravierenden Unterschiede in der Besoldung eine Zwei-Klassen-Armee, unterteilt in „Ost- und Westsoldaten“. Stellen sie sich folgendes fiktive Beispiel vor: Zwil- lingsbrüder, geboren in Mecklenburg-Vorpommern, un- mittelbar an der Grenze zu Niedersachsen, beide ausge- bildet zum Kfz-Mechaniker, melden sich freiwillig zur Bundeswehr. Sie werden wunschgemäß berufsbezogen und heimatnah einberufen, einer zum Instandsetzungs- bataillon 3 nach Lüneburg in Niedersachsen, der andere zum Instandsetzungsbataillon 142 nach Hagenow in Mecklenburg-Vorpommern. Der Lüneburger Soldat er- hält Westgehalt, der Hagenower Soldat Ostgehalt. Beide werden zum Unteroffizier ausgebildet. Der Lüneburger Soldat wird danach nach Hagenow in das Bataillon sei- nes Zwillingsbruders versetzt. Er leistet jetzt auch im Osten Dienst, erhält jedoch weiterhin sein Westgehalt. Sein Zwillingsbruder muss sich jedoch unverändert mit Ostgehalt begnügen. Alles ist gleich: Alter, Ausbildung, Leistungsfähigkeit, Dienstort, Wohnort, etc. Nur das Ge- halt ist unterschiedlich. Innerhalb derselben Einheit kann die Vergütung also für die gleiche Arbeit unterschiedlich hoch sein, ohne dass man dies begründen könnte. Die Regelung, die solch unerträgliche Sachverhalte ermöglicht, ist zutiefst ungerecht und muss umgehend geändert werden. Die Ost-West-Besoldungsdifferenz bei den Angehörigen der Bundeswehr ist schon seit Jahren durch nichts mehr ge- rechtfertigt. Sie wirkt diskriminierend und demotivie- rend. Deshalb fordert die FDP mit dem Antrag „Gleiche Besoldung für alle Soldaten“ die Anhebung des Ostsol- des auf das Westniveau. Katrin Kunert (DIE LINKE): Für Die Linke steht fest, eine Demokratie braucht keine Interventionsarmee, sondern eine Berufsarmee mit 100 000 Soldatinnen und Soldaten zur Landesverteidigung! Sehr geehrte Frau Kollegin Homburger, Sie stellen in Ihrem Antrag fest, dass die innere Einheit in der Bundeswehr seit langem vollzogen ist. Wenn es denn so wäre, müssten wir heute nicht zum x-ten Mal über gleichen Sold reden. Allen Ex- perten ist klar, dass diese Unterschiede nicht mehr zu rechtfertigen sind. Aber die Koalition lässt auch die Lö- sung dieses Problems schleifen. Die Linke hat in der letzten Haushaltsdebatte Anträge zur sofortigen Anglei- chung gestellt, weil die vorgesehene Angleichung im Jahr 2009 nicht akzeptabel ist! Auch hier gilt das Sprichwort: Was Du heute kannst besorgen, das verschiebe nie auf morgen! Hier geht es um die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West. Die sofortige Angleichung würde für die Berufs- soldaten und Soldaten auf Zeit 33 Millionen Euro und für die zivilen Angestellten 36 Millionen Euro kosten, also die Summe, die der Kongo-Einsatz verschlingen wird. Frau Kollegin Schäfer, Sie haben in Ihrer Rede zum Bericht des Wehrbeauftragten 2004 gesagt: Die Be- soldungsstruktur muss auf den Prüfstand. Es ist eine längst überfällige Entscheidung, die Soldatengehälter in den neuen Bundesländern dem Westniveau anzupassen. Das haben Sie im letzten Jahr festgestellt! Warum haben Sie unseren Anträgen im Verteidigungsausschuss nicht zugestimmt? Frau Kollegin Heß, Sie kommen in der gleichen Debatte zu dem Schluss, dass eine Angleichung so schnell wie möglich erfolgen muss. 2009 ist bei Ihnen so schnell wie möglich? Schnell geht anders! Wir fordern eine sofortige Angleichung und unterstüt- zen den Antrag der FDP, weil wir grundsätzlich Anträge nach inhaltlichen Kriterien bewerten. Es kann doch nicht sein, dass Sie unseren vernünftigen Anträgen nicht zu- stimmen, nur weil die aus der Opposition kommen. Dann stellen Sie doch die Anträge zur sofortigen Anglei- chung und Sie können sich unserer Unterstützung sicher sein! Uns geht es um die Soldatinnen und Soldaten und nicht um das Herkunftsprinzip von Anträgen in diesem Haus! Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4203 (A) (C) (B) (D) Innere Einheit in der Bundeswehr heißt aber auch: Erstens: die Anerkennung von Vordienstzeiten in der NVA. Da nach wie vor die Dienstzeit in der NVA als „ge- dient in fremden Streitkräften“ eingestuft wird, ergeben sich daraus soziale Benachteiligungen für Angehörige der NVA. Während Bundeswehrsoldaten eine vollständige Pen- sion auf Grundlage ihrer Dienstzeit erhalten, bekommen Bundeswehr-NVA-Soldaten eine kleinere Pension auf- grund ihrer kürzeren Dienstzeit in der Bundeswehr. Die Dienstzeit in der NVA wird nicht anerkannt. Wir fordern hier sofortiges Handeln! Zweitens: die Unterschiede bei der Hinzuverdienst- grenze. Bundeswehrangehörige haben das Recht, nach Eintritt in den Ruhestand ihr Einkommen auf 120 Pro- zent ihres letzten Bezuges durch Zuverdienst zu steigern. Bundeswehr-NVA-Soldaten hingegen dürfen nur bis zu 320 Euro hinzuverdienen, ungeachtet der Höhe des letz- ten Bezuges. Wir fordern auch hier eine schnelle Lö- sung! Drittens: Endgültige Klärung der Statusfrage. Ange- hörige der NVA, die in die Bundeswehr übernommen wurden, wurden in ihrem Dienstrang herabgestuft. An- gehörige der NVA dürfen ihren erworbenen Dienstrang auch nicht mit dem Zusatz „außer Dienst“ führen, anders als Angehörige der Bundeswehr oder der Wehrmacht. Begründet wird dies durch den Einigungsvertrag, in den die Reservistenverordnung der DDR nicht übernommen wurde. Legitimiert wird dies im § 8 des Wehrpflichtge- setzes, demnach jeder Dienst in einer anderen Armee als der Bundeswehr als Wehrdienst in fremden Streitkräften angesehen wird. Nur die Bundesrepublik Deutschland hat die DDR nie als souveränen Staat anerkannt und den Alleinvertre- tungsanspruch für das ganze deutsche Volk erhoben. Wie ist es da möglich, dass der Dienst in der NVA als Dienst in fremden Streitkräften gewertet wird? Wir müssen schnellstens alle Ungleichbehandlungen zwischen ost- und westdeutschen Soldatinnen und Sol- daten klar benennen und beseitigen! Gleiche Besoldung in Ost und West ist ein unabdingbarer erster Schritt! Meine Damen und Herren der großen Koalition, wer es ernst meint, wenn er den Soldatinnen und Soldaten für ihre Arbeit dankt, sollte dabei immer im Hinterkopf ha- ben, dass Lob und Anerkennung sich in Gleichbehand- lung und angemessener Bezahlung ausdrücken muss! Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Angleichung der Besoldung von Bundeswehrange- hörigen in Ost- und Westdeutschland ist überfällig. Aus zwei Gründen halten wir jede Art der Differenzierung nach Ost-West für überholt. Zum einen haben sich die Lebenshaltungskosten in Ost- und Westdeutschland inzwischen nahezu angeglichen. Zum anderen ist eine Angleichung für die Menschen im Osten ein wichtiges Signal, dass es die Politik auch Ernst meint mit der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse. Die Be- soldung muss sich dabei am Allgemeinen Lebensstan- dard orientieren. Das ist auch für die Soldaten und Soldatinnen sowie für die Zivilbeschäftigten der Bundeswehr ein ganz wichtiger Punkt. Zu Recht wollen sie für gleiche Tätig- keiten und gleiche Leistungen auch gleiches Geld. In den vergangenen Jahren habe ich das Anliegen, eine gleiche Besoldung innerhalb der Bundeswehr zu ermög- lichen, stets unterstützt. Im Bereich der Bundeswehr sind wir dabei zwar langsam, aber doch ein gutes Stück vo- rangekommen. So erhalten alle im Auslandseinsatz be- findlichen Soldaten und Soldatinnen für die Dauer ihres Einsatzes die gleiche Besoldung. Um die Belastungen der Transformation abzumildern, haben in den letzten Jahren zudem fallspezifische Sonderregelungen dazu beigetragen, dass inzwischen mehr als die Hälfte der Be- rufs- und Zeitsoldaten nach Westniveau bezahlt werden. Wer – unabhängig von Wohn- oder Geburtsort – dauer- haft im Westen stationiert und verwendet wird, erhält au- ßerdem volle Westbezüge. Auch der Wehrsold der Wehr- pflichtigen ist bundesweit einheitlich. Dieser Weg muss konsequent weiter gegangen wer- den. Deshalb ist es richtig, wenn die Bezüge von Bun- deswehrangehörigen in Ostdeutschland stufenweise an das Westniveau angeglichen werden. Für alle Gehalts- stufen bis zum Leutnant ist die Anhebung bis zum Jahr 2007 geplant. Bis 2009 sollen die höheren Gehaltsstufen folgen. Sonderregelungen für die Bundeswehr müssen aber immer auch wohl begründet und vermittelbar sein. Eine einheitliche Lösung für den öffentlichen Dienst ist daher die bessere Variante. Gerade unter den Aspekten Motivation und Rekrutie- rung sind Besoldungsfragen besonders ernst zu nehmen. Durchschnittlich sind derzeit knapp 7 000 Soldaten und Soldatinnen weit außerhalb deutscher Grenzen mit Man- dat der Vereinten Nationen in internationalen Krisenein- sätzen eingesetzt. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur multilateralen Krisenbewältigung und Kriegsverhütung und schaffen in Krisengebieten die notwendigen Voraus- setzungen zur Friedenskonsolidierung – auf dem Balkan und in Afghanistan nimmt die Bundeswehr eine Schlüs- selrolle ein. Ich erlebe es immer wieder vor Ort: Die Bundeswehr erfüllt ihre Aufgaben professionell, klug und verlässlich. Zu Recht wird der Einsatz ihrer Solda- ten und Soldatinnen von der Bevölkerung in den Ein- satzgebieten und ihren Verbündeten geschätzt und aner- kannt. Trotz dieser positiven Gesamtbilanz darf jedoch nicht vergessen werden, dass die neuen Bundeswehraufgaben auch eine ganze Reihe zusätzlicher Anforderungen an die Soldaten und Soldatinnen stellen. In den internationalen Kriseneinsätzen sind heute neben militärisch-handwerk- lichen Fähigkeiten zusätzliche soziale und interkulturelle Kompetenzen gefragt. Wer für die Bundeswehr hoch qualifiziertes und motiviertes Personal gewinnen will, muss daher sowohl in Ausbildung und Bildung als auch in Ausrüstung, Ausstattung und in eine auf dem zivilen Arbeitsmarkt konkurrenzfähige Besoldung investieren. Alles andere würde Rekrutierungsschwierigkeiten, sin- kender Leistung und Demotivation zuarbeiten. 4204 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Gert Winkelmeier (fraktionslos): Gleiche Besol- dung der Soldatinnen und Soldaten in Ost und West sollte normal sein, so wie gleicher Lohn für gleichwer- tige Arbeit, die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West und gleicher Lohn für alle Beschäftigten in unserem Land, unabhängig davon, ob sie im Norden oder Süden, im Osten oder Westen arbeiten. Viele Politiker haben sich in den letzten 15 Jahren in Sonntagsreden darin gefallen, von der stärkeren interna- tionalen Verantwortung des zusammengewachsenen Deutschlands zu sprechen. Beim näheren Hinsehen er- schöpft sich diese Verantwortung bei der Bundeswehr in internationalen – so genannten – Friedenseinsätzen. Wer allerdings noch näher hinsieht, weiß, dass die Soldatin- nen und Soldaten auch im Jahr 16 nach der deutschen Einheit noch immer unterschiedlich besoldet werden. Es gibt zwei verschiedene Soldstaffelungen in der Bundeswehr; das ist durch nichts zu rechtfertigen. Es können keine vernünftig nachvollziehbaren Argumente beigebracht werden, warum die Besoldungsordnungen nach westlichen und östlichen Bundesländern eingeteilt sind. Danach erhalten die in den östlichen Bundeslän- dern eingesetzten Bundeswehrangehörigen nur 92,5 Pro- zent der Bezüge ihrer Kameraden im Westen. Das gilt auch für alle Familien- und Amtzuschläge und überhaupt für alle Stellenzulagen. Besonders beschämend finde ich, dass noch immer auch der einfache Wehrsold der Wehrpflichtigen so gering ist, dass ein normales Leben von diesen Beträgen nicht möglich ist. Die ursprüngliche und heute teilweise noch ver- wandte Begründung für ein geringeres Lohnniveau im Osten war bzw. ist die damals dort herrschende niedri- gere Produktivität. Diese Begründung ist seit Jahren un- haltbar. Trotzdem wird ständig versucht, im Osten ein Niedriglohngebiet aufrecht zu erhalten. Damit soll letzt- lich allen Menschen im Osten signalisiert werden, dass sie weniger gut arbeiten als Menschen im Westen. Es ist aber nicht einzusehen, dass Feuerwehrleute, Kranken- schwestern und Wachschutzleute im Osten weniger ver- dienen als im Westen. Sie alle haben das Recht auf glei- chen Lohn für gleiche Arbeit. Ein Niedriglohngebiet im Osten ist nicht hinnehmbar. Als vor Jahren die Debatte um die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West geführt wurde, die diese reiche Bundesrepublik noch immer nicht erreicht hat, da sprach die damalige Oppositionspolitikerin Merkel davon, dass die Löhne im Westen gesenkt und dem niedrigeren Niveau im Osten angeglichen werden müssen. Dieses Stichwort hatten ihr zuvor die Unterneh- merverbände geliefert. Seither wird versucht, nach die- sem Grundsatz zu verfahren. Was wir damals noch nicht wussten, ist, dass die Löhne im Osten immer künstlich auf Abstand zu denen im Westen gehalten werden. Dies ist einfach nicht hinnehmbar und unserer Gesellschafts- ordnung unwürdig. Die Bundeswehr ist zweifellos nicht nach Kriterien der Produktivität zu beurteilen. Ein Soldat, der in Mag- deburg stationiert ist, riskiert beim Auslandseinsatz ge- nauso sein Leben wie sein Kamerad in Koblenz. Deshalb kann ich die Bundesregierung nur auffordern, diese fi- nanziell unwürdige Behandlung zu beenden, ein Zeichen für gleiche Lebensverhältnisse in Ost und West auf Westniveau zu setzen und damit endlich auch bei der Bundeswehr anzufangen. Anlage 27 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Notschleppkonzept den veränderten Bedin- gungen der Seeschifffahrt anpassen – Notschleppkonzept an gestiegene Herausfor- derungen anpassen – Sicherheitskonzept für Nord- und Ostsee op- timieren (Tagesordnungspunkt 38 j) Enak Ferlemann (CDU/CSU): Nach jahrelanger Diskussion darüber, welche technischen Anforderungen an die Notschlepper in Nord- und Ostsee zu stellen sind, haben wir nun endlich ein gutes Ergebnis gefunden. Das sieht konkret so aus: Erstens. Für die Nordsee muss als Ersatz für den Hochseeschlepper „Oceanic“ ein Notschlepper vorge- halten werden, der bei einem auf 6 Meter reduzierbaren Tiefgang die Leistung von 200 Tonnen Pfahlzug und 19,5 Knoten Geschwindigkeit erbringt und gemäß den Richtlinien des Germanischen Lloyd für den Einsatz in gefährlicher Atmosphäre geeignet ist. Zweitens. Für die Ostsee muss ein Notschlepper vor- gehalten werden, der 100 Tonnen Pfahlzug Leistung bei einer Geschwindigkeit von 16,5 Knoten erbringt. Dieser Schlepper muss nach den Richtlinien des Germanischen Lloyd für den Einsatz in ölbedecktem Gewässer geeignet sein und zusätzlich eine Gasspür- und Warnanlage zum Aufspüren einer gefährlichen Atmosphäre haben. Als Abgeordneter, dessen Wahlkreis an der Nordsee- küste liegt, bin ich froh, wenn wir zukünftig Notschlep- per mit höheren Leistungskriterien haben. Denn der Not- schlepper muss gerade bei schlechtem Wetter innerhalb von zwei Stunden an jedem Punkt seines vorgesehenen Einsatzgebietes wirksam erste Hilfe leisten können. Dazu gehört auch die Feuerlöschleistung. Er muss aber auch schneller als ursprünglich geplant sein, weil heu- tige Großcontainerschiffe eine deutlich höhere Drift- geschwindigkeit haben. Die Kombination der Leistungs- kriterien aus Pfahlzug, Tiefgang und Geschwindigkeit ist notwendig, um so frühzeitig wie möglich, aber auch im flacheren Küstengebiet noch einen leistungsstarken Ein- satz zu gewährleisten. Die oftmals gefährliche Ladung von Containerschiffen und Gastankern erfordert Einsatz- fähigkeit in gefährlicher Atmosphäre. Das Notschleppkonzept des Bundes hatte genau an dieser Stelle seinen Schwachpunkt. Jetzt haben wir die- sen Schwachpunkt beseitigt und damit das Konzept an Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4205 (A) (C) (B) (D) das angepasst, was vor unseren Küsten in der Seeschiff- fahrt tatsächlich passiert. Das aktuelle Szenario sieht so aus: Erstens. Die Verkehrszahlen auf den Seeschifffahrts- straßen nehmen generell zu. Zweitens. Die Schiffe werden nicht nur größer, son- dern führen auch einen höheren Anteil an Gefahrgutla- dungen mit sich. Drittens. Die Häfen haben Zuwachsraten und beste Aussichten auf weiteres wirtschaftliches Wachstum. Wenn der Jade–Weser–Port in Wilhelmshaven fertig ist, werden dort Megacontainerschiffe ihre Fracht ebenso umschlagen wie Gas- und Chemikalientanker. Viertens. In der Ostsee werden vor allem die Tanker- verkehre erheblich zunehmen. Die Entwicklung ist also etwas anders zu beurteilen als an der Nordsee. Deshalb ist es dort besonders wichtig, dass die Ausrüstung nach den Richtlinien für den Einsatz in ölbedecktem Gewäs- ser ausgerichtet ist. Das heißt: Das Notschleppkonzept muss an die mit diesen Schiffsverkehren verbundenen Gefahrenlagen oh- nehin angepasst werden. Es muss sich an der Gegenwart und der Zukunft ausrichten. Wir dürfen aber auch die Vergangenheit nicht aus den Augen verlieren. Es ist wichtig, dass wir Lehren aus der Havarie der „Pallas“ 1998 und den zahlreichen anderen Unfällen ziehen. Schließlich ist das Notschleppkonzept eine Folge aus schmerzlichen Erfahrungen in den ver- gangenen Jahren. Was passieren kann, wenn wir für den Notfall unzureichend gerüstet sind, ist keine Versuchs- reihe am Modell, sondern erlebte Wirklichkeit. Deshalb ist es richtig und konsequent, die Sicherheit vor dem Hintergrund der Erfahrungen zu erhöhen. Ich möchte mich bei allen Beteiligten bedanken, die hartnäckig dafür gekämpft haben, die Leistung der Not- schlepper den tatsächlichen Erfordernissen anzupassen, auch wenn dies mit höheren Kosten verbunden ist. Mit all denen, die heute zufrieden sein können, bin ich der Meinung, dass die Sicherheit unserer Küsten Vorrang haben muss vor Haushaltserwägungen. Mein besonderer Dank gilt meinem Kollegen Ingbert Liebing, der mit mir gemeinsam in vielen Arbeitsgruppensitzungen für den heutigen Erfolg gestritten hat. Ich weiß, dass mehrere Schlepper mit der Leistungs- fähigkeit, wie wir sie für die Ausschreibungen jetzt vor- gegeben haben, schon im Bau sind. Die technischen An- forderungen zu erfüllen, ist also kein großes Problem. Nachdem die Haushaltsmittel aufgestockt worden sind, bin ich überzeugt, dass dieses Budget ausreichen wird, um die höheren Kosten auch finanzieren zu können. Ich bin den Haushältern dankbar, dass sie die notwendigen Mittel in den Haushalt eingestellt haben. Denn die Ent- scheidung kann nicht länger hinausgezögert werden. Wir müssen für die Bauzeit eines Notschleppers nach der Auftragserteilung mindestens 22 bis 24 Monate rechnen. Der Schiffbauboom der letzten Jahre führt zu langen Lieferzeiten für Motoren, Getriebe und Propeller. Man muss da mit 18 und mehr Monaten rechnen. Lassen Sie mich zum Schluss anmerken: Wer die Küste kennt, weiß, dass wir dort einmalige Landschaften wie zum Beispiel den Nationalpark Wattenmeer und viele andere Schutzgebiete haben. Für diese Gebiete müssen wir Vorsorge treffen. Havarien können aber auch den Tourismus und die Fischerei bedrohen. Davon lebt die Küste, davon leben viele Menschen dort. Ich bin des- halb außerordentlich froh, dass wir uns in diesem Hause auch wegen der Existenzen, die daran hängen, einig sind, mit einer Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Not- schlepper Gefahren sofort und wirkungsvoll abwenden zu wollen. Wollen wir hoffen, dass es trotz unserer Vorsorge nie zu einem schwerwiegenden Unfall vor unseren Küsten kommt. Dr. Margrit Wetzel (SPD): 1994: 852 Menschen ver- lieren ihr Leben, weil die Fähre „Estonia“ vor der finni- schen Küste sinkt. 1998: Die „Pallas“ fängt bei schwe- rem Sturm und hoher See südwestlich Esbjerg Feuer. Versuche, das Schiff auf die offene See zu schleppen, scheitern, die „Pallas“ verdriftet ins Wattenmeer und läuft vor Amrum auf Grund. 1999: Der Produktentanker „Erika“ bricht vor der bretonischen Küste auseinander. 2002: Der 26 Jahre alte Tanker „Prestige“ quert die Ost- see, passiert die Kadetrinne, gerät im Atlantik in Seenot, bricht auseinander und sinkt vor der Küste Spaniens. 2002: Wenige Wochen später sinkt der Autotransporter „Tricolor“ nach einer Kollision binnen einer halben Stunde im Ärmelkanal. Mehrere Schiffe kollidieren spä- ter mit dem Wrack, das erst fast ein Jahr, später in Sek- tionen zersägt, geborgen werden kann. Dezember 1999: Über der Nordsee tobt der Orkan „Anatol“ mit der Stärke drei auf der amerikanischen Hurrikanskala. Der Massengutfrachter „Lucky Fortune“ meldet Maschinenausfall, wirft den Anker und driftet trotzdem mit zeitweise über 5 Knoten auf Sylt zu. Welch ein Glück, dass wir den Notschlepper „Oceanic“ haben, der in 4,5 Stunden trotz des Orkans 52 Seemeilen bewäl- tigt, den Havaristen 12 Meilen vor Sylt erreicht, eine Schleppverbindung herstellen und die „Lucky Fortune“ kurz vor der Strandung stoppen kann! Der Nationalpark Wattenmeer ist das größte Küsten- feuchtgebiet Europas. Mehr als 100 000 Schiffe kreuzen jährlich die Deutsche Bucht. Hamburg ist der achtgrößte Hafen der Welt, Wilhelmshaven freut sich auf einen Tiefwasserhafen, in dem die größten Containerschiffe erwartet werden, die derzeit im Bau sind: Sie tragen bis zu 13 000 TEU, allein die Reederei Maersk hat zehn sol- cher Megaschiffe bestellt. Wilhelmshaven ist Deutsch- lands größter Ölhafen, Eon plant dort einen LNS-Im- port-Terminal. Die Zahl der LNS-Tanker ist von 1999 bis 2005 um 70 Prozent auf jetzt 191 gestiegen. Weitere 131 LNS-Tanker sind derzeit bei Werften in Auftrag ge- geben. Ein riesiges Chemiewerk wird ebenfalls dort ent- stehen. An der Unterelbe haben wir mit Brunsbüttel und Stade gleich zwei große Chemiestandorte. Keine Frage: Die Gefahrguttransporte nehmen zu, die Zahl der Schiffsbewegungen wächst mit den höchst erfreulichen 4206 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Umschlagsteigerungen, die die deutschen Häfen, allen voran Hamburg, vermelden. Der Zuwachs soll von heute über acht Millionen TEU im Hamburger Hafen bis 2015 auf über 18 Millionen gesteigert werden. Die Container- schiffe werden größer. Zugleich wird damit auch ihre Windangriffsfläche größer und das heißt, dass sie erheb- lich schneller verdriften. Das BSH hat in der Nordsee jetzt bereits elf Offshorewindparks genehmigt, auf die Havaristen gegebenenfalls zutreiben können. Was, wenn die „Lucky Fortune“ auf der Drift gen Sylt in einem Windpark gestrandet wäre? Sie mögen sich vielleicht fragen, warum wir Ver- kehrspolitiker mit unserem Antrag technische Details für die Notschlepper der Zukunft vorgeben? Ist das unsere Aufgabe? Ja, ja und noch einmal ja! Wer, wenn nicht wir, die Parlamentarier der Deutschen Bundestages, ha- ben die Verantwortung für die Qualität und Leistungsfä- higkeit der Notschlepper in Nord- und Ostsee, die aus Steuergeldern gechartert und zum effektiven Einsatz vorgehalten werden? Wir haben die Verantwortung da- für, dass die 50 Millionen Touristen, die jährlich in un- sere Wattenmeerregion kommen, sicher sind, dass Küs- tenbewohner und Wattenmeer wirksam geschützt werden vor Ölverschmutzungen oder giftigen Gasen und Chemikalien, die bei Havarien entstehen oder entwei- chen können. Das Notschleppkonzept der Bundesregierung, das nach der „Pallas“-Katastrophe erarbeitet wurde, war un- seren europäischen Nachbarn durchaus Vorbild. Es wurde 2001 verabschiedet und nimmt zu Recht für sich in Anspruch, wissenschaftlich korrekt erarbeitet worden zu sein. Aber: Was für Lärmschutzwände gut sein mag – nämlich von Durchschnittswerten auszugehen und sich nicht auf Spitzenbelastungen zu konzentrieren – taugt politisch nicht als Vorbild für große Schiffshavarien. Die Entwicklung geht mit Riesenschritten weiter, keine Pro- gnose konnte realistisch vorhersehen, dass in naher Zu- kunft bis zu 13 000 TEU-Containerschiffe bei uns gela- den und gelöscht werden. Der Umschlagzuwachs in den Häfen wurde drastisch unterschätzt, die Offshorewind- parks waren noch vage Utopien. In den letzten Jahren gab es zahlreiche öffentlich ge- führte Auseinandersetzungen um die Leistungskriterien der Notschlepper, bei denen Vertreter der Behörden in fachlichem Widerspruch zu Experten aus vielfältigster maritimer Praxis standen: Wenn Experten sich streiten, haben Politiker die Pflicht, zu zweifeln, zu prüfen und genau abzuwägen, ob sie eingreifen und politisch ent- scheiden, wie und mit welcher Leistung unsere Küsten geschützt werden sollen. Das haben wir getan, und zwar ganz bewusst und im Fachausschuss einvernehmlich über alle Fraktionen: Wir wollen für die Nordsee als Ersatz für den Schlepper „Oceanic“ einen Bergungsschlepper, der bei 6 Meter Tiefgang 19,5 Knoten Geschwindigkeit und einen Pfahl- zug von 200 Tonnen bringt und damit auch in flacheren Gewässern einen leistungsstarken Einsatz ermöglicht. Der Notschlepper sollte die Schleppverbindung zum Ha- varisten so früh wie möglich legen: Also muss er seinen Tiefgang erhöhen können. Damit verbessert sich seine Wirkleistung auch bei schwerem Wetter, er hat gewisse Leistungsreserven. Der neue Schlepper muss 19,5 Kno- ten Geschwindigkeit bringen, damit der deutlich höheren Windangriffsfläche und der größeren Driftgeschwindig- keit von Megacontainerschiffen wirksam begegnet wer- den kann. Ich betone ausdrücklich: Wir wollen einen richtigen Bergungsschlepper mit hoher Schlechtwettergeschwin- digkeit, keinen Ankerziehschlepper oder Bohrinselver- sorger! Unsere französischen Nachbarn haben gerade berich- tet, dass nur aufgrund der Rumpfform und der Ge- schwindigkeit von 19,5 Knoten der neue französische Notschlepper mit einer Anfahrtszeit von 1,5 Stunden ei- nen auf die bretonische Küste zutreibenden Frachter circa 30 Minuten vor der Strandung erfolgreich abfangen konnte. Der Nordseenotschlepper muss zusätzlich mit Gas- und Explosionsschutz nach den Richtlinien des GL für Chemikalienunfallbekämpfungsschiffe ausgerüstet sein. Die Besatzung braucht wirksamen Eigenschutz und optimale Zugriffsmöglichkeiten für jegliche Art von Ha- varie. Für die Ostsee unterstützen wir den Wunsch der Bun- desregierung, den neuen Schlepper, der die Kadetrinne absichern soll, nach den Leistungskriterien vorzuhalten, die auch in Schweden zum Einsatz kommen: 100 Ton- nen Pfahlzug bei 16,5 Knoten Geschwindigkeit und 6 Meter Tiefgang mit einer Ausrüstung nach den Bau- vorschriften des GL für Ölfangschiffe. Eine unserer wichtigen Forderungen ist, dass das Schiffsführungspersonal über gute Kenntnisse der engli- schen Sprache verfügen, die gesamte Besatzung aber deutsch in Wort und Schrift beherrschen muss. Eine gute Kommunikation der Einsatzkräfte sichert den Erfolg im Ernstfall. Die gecharterten Notschlepper und ihre Besat- zungen werden von der Wasser- und Schifffahrtsverwal- tung eingesetzt. Sie erstellt die Einsatzpläne, führt Übun- gen durch und erteilt der Besatzung Anweisungen, die verstanden werden müssen. Im Einsatz müssen die ge- charterten Notschlepper mit bundeseigenen Schiffen un- ter schwierigen Bedingungen zusammenarbeiten. Auch unsere Nachbarn England, Frankreich, Niederlande, Spanien, Italien fordern, dass ihre Notschlepperbesat- zungen die Nationalsprache in Wort und Schrift beherr- schen müssen. Dies ist also kein deutscher Alleingang, sondern ein wichtiger Baustein für ein erfolgreiches na- tionales Notschleppkonzept. Unsere parlamentarische Initiative, die Leistungsda- ten der neuen Notschlepper für Nord- und Ostsee vorzu- geben, erfolgt einstimmig über alle Fraktionen und in ausdrücklicher Übereinstimmung mit der politischen Leitung des BMVBS. Mit Befremden haben wir Versu- che der letzten Tage zur Kenntnis genommen, Stellung- nahmen von behördenexternen Fachleuten öffentlich zu diskreditieren. Wissenschaftliche Sorgfalt mag gut sein, aber die politische Verantwortung für Entscheidungen hat das Parlament: Wir übernehmen diese Verantwor- tung im Wissen um die Gefahren, vor denen wir unsere Küste, die Menschen hinter den Deichen und das Wat- tenmeer wirksam schützen wollen. Wir erwarten jetzt, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4207 (A) (C) (B) (D) dass die Ausschreibung schnellstmöglich erfolgt, weil die Lieferzeiten für Motoren, Propeller, Getriebe und an- dere Großkomponenten über 18 Monate betragen und aufgrund der erfreulichen Auslastung der Werften für den Bau der Notschlepper zwei Jahre kalkuliert werden müssen. Hans-Michael Goldmann (FDP): Die unendliche Geschichte Notfallschlepper für Nord- und Ostsee nähert sich endlich einem guten Ende, eine Geschichte, bei dem sich das Bundesverkehrsministerium nicht gerade mit Ruhm beklekkert hat. Nach dem Pallas-Unglück hatte die Regierung die Projektgruppe „Notschleppen“ einge- setzt und die FDP hat immer begrüßt, dass das flächen- deckende Vorhalten ausreichender Notschleppkapazität als staatliche Aufgabe zum Schutz der deutschen Küsten anerkannt wurde. Doch zunächst wurde jahrelang mit den Experten von der Küste darüber gestritten, ob der geplante neue Not- fallschlepper für die Nordsee eine Tiefgangsbeschrän- kung von 6 Meter haben sollte oder nicht. Alle Verbände an der Küste waren dagegen, doch das Ministerium war nicht davon abzubringen. Auch ein von der Schutzge- meinschaft Deutsche Nordseeküste, SDN, eingereichtes Gutachten führte zu keiner Reaktion der Verwaltung. Erst als die FDP 2003 eine Kleine Anfrage an die Bun- desregierung richtete, bequemte sich das Verkehrsminis- terium dazu, auf das Schreiben der SDN zu reagieren. Nachdem dieser Streit endlich mit dem Kompromiss eines variablen Tiefgangs beendet wurde und wir alle dachten, nun geht es voran, vergaß das Ministerium für den Haushalt 2005 die nötigen Haushaltsmittel zu bean- tragen. Nun verging wiederum mehr als ein Jahr, in dem wir uns über Geschwindigkeit, Pfahlzug und Gas- und Explosionsschutz auseinander setzten. Noch in der Ant- wort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der FDP von diesem Frühjahr hieß es kategorisch, dass eine Nachbesserung beim Notschleppkonzept nicht notwen- dig sei. All diese Auseinandersetzungen hätten wir uns erspa- ren können, wenn das Ministerium nicht so gemauert hätte, wenn das Ministerium sich einer offenen und ehr- lichen Diskussion mit den Fachleuten von der Küste ge- stellt hätte. Die Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste, die Insel- und Hallig-Konferenz und der Deutsche Nautische Verein haben sich beim Ringen um den bestmöglichen Schutz unserer Küstengewässer und unserer Küsten sehr verdient gemacht und das Gutachten der SDN und die Stellungnahme des Deutschen Nautischen Vereins zum Notschleppkonzept der Bundesregierung haben dann letztlich auch die Große Koalition überzeugt. Die FDP begrüßt dies und deshalb gab es keinen ver- nünftigen Grund mehr, unseren eigenen Antrag aufrecht- zuerhalten. Ich freue mich, dass wir nach so vielen Jah- ren endlich zu einer gemeinsamen Position gefunden haben. Ich schließe mich dem Dank der SDN an meine Kol- legen von der SPD und der CDU an, dass sie nicht locker gelassen und das Ministerium zur Einsicht bewegt ha- ben. Aber ich möchte hier auch betonen, dass die FDP seit Jahr und Tag immer wieder den Finger in die Wunde gelegt und den Druck auf das Ministerium aufrechterhal- ten. Wir haben diverse Kleine Anfragen und parlamenta- rische Fragen zu diesem Komplex auf den Weg gebracht, immer wieder auf die Widersprüche in der Haltung des Ministeriums und auf Versäumnisse hingewiesen. Allerdings wird die heutige Freude dadurch getrübt, dass die Einigung im Verkehrsausschuss sich noch nicht im Haushalt wiederfindet. Die erhöhten technischen An- forderungen an die Schlepper werden nicht zum Nullta- rif zu bekommen sein. Mehr Sicherheit kostet mehr Geld. Auch wurde versäumt, die bisherigen Verzögerun- gen bei der Ausschreibung durch eine längere Laufzeit der Verpflichtungsermächtigung zu kompensieren. Da- bei hat das PwC-Gutachten eindeutig festgestellt, dass der Bau und Betrieb eines Schleppers durch ein privates Unternehmen sich nur rechnet, wenn die Charterlaufzeit zehn Jahre beträgt. Deshalb müssen wir bei den bald be- ginnenden Beratungen zum Haushalt 2007 dafür sorgen, dass die Verpflichtungsermächtigung von 2016 auf 2018 verlängert wird und dass überprüft wird, ob die Anforde- rungen an die neuen Notfallschlepper mit dem alten Haushaltsansatz wirklich zu realisieren sind. Durch die entsprechende Mittelbereitstellung sollte auch deutlich werden, dass bei den geforderten hohen Ansprüchen an die neuen Notfallschlepper das überragende Know-how deutscher Schiffsingenieurkunst zum Einsatz und die Wertschöpfung der deutschen Küste zugute kommen kann. Mit einiger Verzögerung werden wir nun also leis- tungsstarke Notfallschlepper bekommen, die auch der Tatsache Rechnung tragen, dass der Schiffsverkehr mit immer größeren Schiffen zunimmt. Das ist ein gutes Sig- nal für die Küste. Dorothee Menzner (DIE LINKE): Das, worum es bei diesen Anträgen geht, ist ein Thema, bei dem wir lei- der immer wieder geneigt sind, es zu verdrängen oder auf die lange Bank zu schieben. Es geht um die Seenot- konzepte in der Nordsee und in der Ostsee, um die Si- cherheit von Menschen und um Lebensräume. Da freue ich mich, dass es dem Verkehrsausschuss des Bundes- tags in der letzten Sitzung gelungen ist, aus den Vorlagen der Fraktionen einen gemeinsamen Beschluss zu zau- bern. In Nord- und Ostsee brauchen wir die passenden Schiffe, um für alle Notfälle gewappnet zu sein, nicht ir- gendwelche, sondern die richtigen, die es im Notfall auch wirklich schaffen, Gefahren abzuwenden. In der Ostsee fehlt bislang ein kräftiges Schleppschiff, zumal es dort die Kadettrinne gibt, die nördlich der deut- schen Küste ihre Tücken hat. Dort nimmt bei größeren Schiffen die nutzbare Fahrrinne auf wenige hundert Me- ter ab. Da sollten wir handeln und für Schleppkraft sor- gen, bevor es zu spät sein könnte. Zwar hat die Parlamentarische Staatssekretärin in der Ausschusssitzung auf die Haushaltszwänge hingewie- sen. Wir sollten aber trotzdem aufpassen, dass der Pfahl- zug – die Zugkraft bei Notschleppschiffen – nicht zu 4208 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) sehr der Kassenlage angepasst wird. Wir sollten uns auch nicht Trugschlüssen hingeben und uns jetzt sicherer fühlen, nur weil die EU endlich Schritte in die Wege lei- tet, um für den Seetransport schwerer Öle den Einsatz von Schiffen mit doppelten Tankhüllen zu forcieren. Die neue Regelung ist nämlich beileibe nicht für alle Schiffe verbindlich. Sie lautet: Ölschiffe, die Schweröle beför- dern, dürfen nur dann eine Flagge der Gemeinschaft füh- ren, wenn es sich um Doppelhüllen-Öltankschiffe han- delt. Im Klartext heißt das: Öltanker, die nicht unter der Flagge eines EU-Staates fahren, dürfen nach wie vor Einhüllenschiffe sein und trotzdem schweres – hochgif- tiges – Öl transportieren. Dies bedeutet weiterhin erheb- liche Risiken und zwingt uns, weiterhin über mehr Si- cherheit nachzudenken. Sicherheit ist stets das Resultat technischer, organisatorischer und personeller Maßnah- men. Erinnern wir uns: Vor vier Jahren zerbrach der alters- schwache Einhüllentanker „Prestige“ vor der spanischen Küste. Er hatte von Estland aus die Ostsee durchfahren, gehörte einer griechischen Reederei, fuhr aber unter der Flagge der Bahamas. Spanische und portugiesische Be- hörden entschieden falsch: Statt das Schweröl beizeiten aus dem Schiff zu pumpen, begann eine folgenschwere Odyssee. Welche Konsequenzen sollten wir daraus ziehen? Egal ob EU oder Nicht-EU: Die personelle Qualifikation lässt sich an allen Küsten stets verbessern. Nur wenn es möglich ist, die Zeichen einer Gefahr zu erkennen, sind die zuständigen Stellen in der Lage, Havarien zu vermei- den. Nur dann können sie die passende technische Hilfe rechtzeitig organisieren. Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die Schiffsunfälle der letzten Jahre haben immer wieder deutlich gemacht, welchen Gefahren die Küsten ausgesetzt sind und wie wichtig Notschlepper zur unmit- telbaren Gefahrenabwehr sind. Ein aktuelles, an die Entwicklung des Seeverkehrs angepasstes Notschlepp- konzept ist ein zentrales Element der maritimen Notfall- vorsorge für die deutsche Nord- und Ostseeküste. Des- halb hat die grüne Fraktion als erste Bundestagsfraktion bereits im Februar dieses Jahres, die Bundesregierung dazu aufgefordert, das derzeitige Notschleppkonzept zu überprüfen und zu aktualisieren. Wir freuen uns sehr, dass mittlerweile auch die anderen Bundestagsfraktionen unserem Beispiel gefolgt sind und fast identische Forderungen an die Bundesregierung ge- stellt haben, die wir nun in einem interfraktionellen An- trag gemeinsam an die Bundesregierung richten können. Der Küstenschutz ist eine so wichtige Aufgabe, dass wir hier dringend an einem Strang ziehen müssen. Die deutschen Küsten liegen an den am stärksten fre- quentierten Seeverkehrswegen der Welt. Allein Russland will seine Ölexporte aus den Ostseehäfen bis 2010 ver- doppeln. Damit steigt die Anzahl der Tanker, die mit der in der Ostsee maximal möglichen Größe von 150 000 bis 160 000 tdw, tons deadweight, aus den baltischen Verla- dehäfen kommen. Für Tanker dieser Größe reicht der vom Bundesverkehrsministerium im Jahr 2001 empfoh- lene Mindest-Pfahlzug von 80 Tonnen für den in Rostock- Warnemünde stationierten Notschlepper nicht aus, er muss über eine Schleppleistung von mindestens 100 Tonnen verfügen. In Anbetracht der Entwicklung in der internationalen Containerschifffahrt mit Schiffsgrößen über 9 000 TEU, die die deutschen Nordseehäfen schon heute – 2001: 6 500 TEU – regelmäßig anlaufen, muss auch die Schleppleistung des vor Norderney stationierten Not- schleppers angepasst werden. Die Schleppleistung in der Nordsee muss auf mindestens 200 Tonnen erhöht wer- den. Ebenso erhöht werden muss die Geschwindigkeit in der Nordsee auf mindestens 19 Knoten. Denn die Not- schlepper müssen den dynamischen Auftrieb, den Con- tainerschiffe, die in der Regel mit hoher Deckladung fahren, erzeugen, zusätzlich noch überwinden und ihre Zugkraft in Abhängigkeit von der Windstärke noch er- heblich erhöhen. Ein weiteres Problem ist, dass auf Containerschiffen im umfangreichen Maße Gefahrengüter nach dem so ge- nannten IMDG-Code – „International Maritime Dange- rous Goods“ – transportiert werden. Im Falle einer Ha- varie muss die Notschlepper-Besatzung dringend vor gefährlichen Gasen geschützt werden. Deshalb müssen die Notschlepper in Nord- und Ostsee mit einem Schutz gegen gefährliche Gase nach der GL-Richtlinie für den Bau von Chemikalienunfall-Bekämpfungsschiffen aus- gerüstet werden. Gemeinsam fordern alle Fraktionen des Deutschen Bundestages die Bundesregierung dazu auf, künftige Notschlepper nach diesen Kriterien zu verbessern. Denn nur auf diese Weise können wir unsere Küsten ange- sichts des massiv zugenommenen Seeverkehrs und der Entwicklung zu immer größeren Schiffen schützen. Anlage 28 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Antrag: Selbstbestimmtes Leben in Würde ermöglichen – Transsexuellenrecht umfas- send reformieren – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Passgesetzes (Tagesordnungspunkt 25 und Zusatztagesord- nungspunkt 10) Helmut Brandt (CDU/CSU): Wir diskutieren heute über einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die eine umfassende Novellierung des Transsexuellen- rechtes fordern. Unterstützt wird die Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen in ihren Forderungen zum Teil durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 6. De- zember 2005. Das Bundesverfassungsgericht hat in die- sem Urteil eine Reform des Namensrechts für Transse- xuelle verlangt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4209 (A) (C) (B) (D) Das Transsexuellengesetz ermöglicht einem trans- sexuellen Menschen, seinen Vornamen zu ändern, ohne eine geschlechtsanpassende Operation durchführen zu müssen – so genannte kleine Lösung. Personenstands- rechtlich wird er dabei weiterhin seinem im Geburtenre- gister eingetragenen Geschlecht zugerechnet. § 7 Abs. 1 Satz 3 TSG entzieht ihm aber den gewählten Vornamen, wenn er heiratet, um den Eindruck zu vermeiden, dass gleichgeschlechtliche Partner eine Ehe eingegangen sein könnten. Das Gericht entschied, dass der durch § 7 Abs. 1 Satz 3 TSG erzwungene Verlust des geänderten Vornamens bei Heirat wissenschaftlich weitgehend über- holt sei und das von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Namensrecht eines homo- sexuell orientierten Transsexuellen verletze, solange die- sem eine rechtlich gesicherte Partnerschaft nicht ohne Verlust des geänderten, seinem empfundenen Geschlecht entsprechenden Vornamens eröffnet ist. Das Bundesver- fassungsgericht hat § 7 Abs. 1 Satz 3 TSG im Wege ei- ner Anordnung nach § 35 BVerfGG für nicht anwendbar erklärt und den Gesetzgeber aufgefordert, eine neue Lö- sung zu finden. Mit ihrem Antrag beabsichtigt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nunmehr die Beseitigung von Regelungen im Transsexuellengesetz, die transsexuelle Menschen daran hindert, ihrer Identität gemäß zu leben. Es handelt sich jedoch bei der Novellierung des Trans- sexuellengesetzes um eine juristisch äußerst komplexe Materie. Bereits im Jahre 2000 wurden deshalb zur Er- mittlung des tatsächlichen Änderungsbedarfs die Betrof- fenen, die Innenministerien und Senatsverwaltungen der Länder sowie verschiedene Verbände und Sachverstän- dige gebeten, ihre Erfahrungen mit dem TSG und den aus ihrer Sicht bestehenden Änderungsbedarf mitzutei- len. In Zusammenhang mit diesen Stellungnahmen sowie insbesondere in Zusammenhang mit dem Urteil des Bun- desverfassungsgerichts in dieser Sache halten auch wir es für erforderlich, verschiedene Regelungen des Trans- sexuellenrechts zu modifizieren. Gerade bei den im vor- liegenden Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angesprochenen Regelungen handelt es sich jedoch in der Mehrzahl um Fragen, zu denen sehr divergierende Expertenmeinungen vorliegen. Wir kommen deshalb nicht umhin, uns die einzelnen Forderungen in Hinblick auf ihre Realisierbarkeit sehr genau anzuschauen und uns mit ihnen im Einzelnen auseinander zu setzen. Als relativ unproblematisch eingeschätzt wird dabei die Forderung der Grünen nach Abschaffung der Beteili- gung eines Vertreters des öffentlichen Interesses. Da die Einwände des Vertreters des öffentlichen Interesses bis- lang in kaum einem Fall Bestand hatten, kann nach ziemlich einhelliger Expertenansicht auf seine Mitwir- kung im Verfahren der Vornamensänderung nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 TSG künftig verzichtet werden. Aufgrund der mit einer Operation immer verbunde- nen Risiken spricht – zumindest meiner Ansicht nach – sicher auch einiges dafür, auf das Erfordernis einer ope- rativen Annäherung an das Erscheinungsbild des ande- ren Geschlechts zum Zwecke einer Änderung des Perso- nenstands gemäß § 8 TSG zu verzichten. Es gibt sicherlich beachtliche Motive, aus denen heraus ein Transsexueller vor einer Operation zurückschreckt. Auch in der Fachwissenschaft wird deshalb ein operati- ver Eingriff als Voraussetzung für die Änderung der Ge- schlechtszugehörigkeit zunehmend als problematisch beziehungsweise für nicht mehr haltbar erachtet. Für problematisch halte ich jedoch die Forderung von Bündnis 90/Die Grünen, die Änderung des Vornamens statt wie bisher von einer prognostisch sicheren Dia- gnose künftig nur noch von der einfachen Feststellung abhängig zu machen, dass sich eine Person aufgrund ih- rer transsexuellen Prägung nicht mehr dem in ihrem Ge- burtseintrag angegebenen, sondern dem anderen Ge- schlecht als zugehörig empfindet. Dies ermöglicht einen sehr schnellen Wechsel zu einem Vornamen des anderen Geschlechts und ermöglicht meiner Meinung nach ein leichtfertiges und missbräuchliches Verhalten. Ebenfalls für juristisch sehr problematisch halte ich die Bemühung der Grünen, das Verfahren nach dem TSG hier lebenden Ausländern zu ermöglichen. Dies könnte im Heimatland, in dem die betreffende Person nur unter ihrem Geburtsnamen existiert, zu erheblichen Problemen führen. Komplikationen ergäben sich über- dies im internationalen Privatrecht. Keinesfalls verzichten werden wir auf das Ledigkeits- gebot des § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG als Voraussetzung für die Änderung des Personenstands. Mit dem Wegfall dieser Voraussetzung würde ermöglicht, dass zwei Menschen des gleichen Geschlechts miteinander verheiratet wären. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit mehrfach, zuletzt bei der Entscheidung zum Lebenspart- nerschaftsgesetz, festgestellt, dass die Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG die Verbindung von Mann und Frau zur grundsätzlich unauflösbaren Lebensgemeinschaft dar- stellt. Die Ehe von zwei Personen des gleichen Ge- schlechts kommt deshalb aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht in Betracht. Eine Änderung von § 8 TSG mit dem Ziel eines Verzichts auf die Ehelosigkeit als Voraus- setzung für die Feststellung der Geschlechtszugehörig- keit würde insoweit die Gefahr einer grundgesetzwidri- gen Regelung beinhalten. Ob der in diesem Zusammenhang geforderte so genannte „gleitende Über- gang von Ehe in die Lebenspartnerschaft“ möglich ist, bedarf aufgrund der unterschiedlichen Rechtsinstitute und der unterschiedlichen Rechtsfolgen bei Auflösung der Ehe oder Lebenspartnerschaft einer sehr genauen Prüfung. Meiner Meinung nach ist ein gleitender Über- gang jedoch nicht machbar. Den im Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beschriebenen faktischen Beschränkungen bei der Reise- freiheit von Transsexuellen im deutschen Passrecht wird durch eine Änderung des Passgesetzes begegnet werden. Der derzeitige Entwurf zur Novellierung des Passrechts sieht hierzu vor, dass Transsexuelle bereits bei vorlie- gender Vornamensänderung nach § 1 TSG eine von ihrer personenstandsrechtlichen Geschlechtszugehörigkeit ab- weichende Geschlechtsangabe auf Antrag im Pass erhal- ten können. 4210 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Angesichts der im Übrigen teilweise äußerst komple- xen rechtlichen Problematik wird ein Reformgesetz zum Transsexuellengesetz nicht mehr im Jahre 2006 vorge- legt werden können. Auch erscheint es sinnvoll, eine Be- arbeitung erst nach Abschluss der Personenstandsrechts- reform zu ermöglichen. Gabriele Fograscher (SPD): In der heutigen De- batte geht es um das Transsexuellenrecht. Damit greifen Bündnis 90/Die Grünen Forderungen des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland für eine Reform des Gesetzes auf. Auch wenn dieses Thema nur wenige betrifft, so ist eine Novellierung des Transsexuellenrechts von 1980 für die Betroffenen von erheblicher Bedeutung. Festzu- stellen ist, dass seit In-Kraft-Treten des Transsexuellen- rechts im Jahr 1980 neue wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen werden konnten. So wird zum Beispiel ein operativer Eingriff für die Änderung der Geschlechtszu- gehörigkeit in der Fachwissenschaft zunehmend als pro- blematisch beziehungsweise nicht mehr für haltbar er- achtet. Viele Transsexuelle wollen die Identität des anderen Geschlechts annehmen, scheuen aber die operative Ge- schlechtsangleichung und somit den Eingriff in ihre kör- perliche Unversehrtheit. Deshalb wählen sie die so ge- nannte „Kleine Lösung“, das heißt, sie lassen ihren Vornamen ändern und drücken damit die Zugehörigkeit zu dem Geschlecht aus, mit dem sie sich identifizieren. Damit beginnen die Probleme, denn eine Änderung des Vornamens beinhaltet nach geltendem Recht keine Personenstandsänderung. So findet sich zum Beispiel im Reisepass ein weiblicher Vorname zu einem männlichen Geschlecht. Das Problem ist deshalb akut, da zum Bei- spiel die USA keine vorläufigen Reisepässe, in denen das Geschlecht nicht angegeben war, nicht mehr aner- kennen. Hinzu kommt, dass vorläufige Reisepässe ohne Geschlechtsangabe seit dem 31. Dezember 2005 nicht mehr ausgestellt werden. Damit ist den Transsexuellen auch dieser Weg versperrt. Dieser Widerspruch in den Reisedokumenten kann bei der Grenzabfertigung zu Dis- kriminierungen und gegebenenfalls zu Einreiseverwei- gerungen des Betroffenen führen. Die Reisefreiheit der Transsexuellen, die die „Kleine Lösung“ für sich ge- wählt haben, wird in unzulässigerweise eingeschränkt. Aber auch in Hotels oder Banken, wo Ausweise vor- gelegt werden müssen, kann der Widerspruch zwischen Geschlecht, Vornamen und äußerem Erscheinungsbild zu großen Schwierigkeiten führen. Deshalb unterstützt die SPD-Bundestagsfraktion das Anliegen der Trans- sexuellen auf Ausstellung widerspruchsfreier Pässe bei der „Kleinen Lösung“. Da das Bundesinnenministerium bereits eine zeitnahe Änderung des Passgesetzes in Aussicht gestellt hat, in dem auch weitere Fragen behandelt werden sollen, greift der FDP-Gesetzentwurf zur Änderung des Passgesetzes einem umfassenden Gesetzgebungsverfahren vor und ist somit hinfällig. Aber auch in Deutschland gibt es Probleme: Heiratet ein Mann, der transsexuell ist und seinen Vornamen in ei- nem weiblichen geändert hat, eine Frau, so wird ihm der weibliche Vorname aberkannt, weil sonst eine gleichge- schlechtliche Ehe, nicht Lebenspartnerschaft, zugestanden würde. Damit werden seine Persönlichkeitsrechte verletzt. Dieses hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 6. Dezember 2005 als verfassungswidrig eingestuft. Deshalb besteht hier Handlungsbedarf. Die weiteren Forderungen des Schwulen- und Les- benverbandes Deutschlands und von Bündnis 90/Die Grünen in dem vorliegenden Antrag sind unter anderen die Absenkung der Anforderungen für die so genannte „Kleine Lösung“, der Wegfall der Bedingung eines ope- rativen Eingriffs als Voraussetzung für eine Personen- standsänderung, die Anwendung des Transsexuellen- rechts auch auf alle Ausländer, die ihren Wohnsitz oder regelmäßigen Aufenthalt in Deutschland haben und die Umwandlung einer Ehe in eine Lebenspartnerschaft auf Wunsch der Eheleute bei einer Geschlechtsumwandlung. Diese Anliegen der Transsexuellen sind in einem anste- henden Gesetzgebungsverfahren eingehend zu prüfen. Deshalb fordern meine Fraktion und ich die Bundes- regierung auf, den notwendigen Gesetzentwurf zur Überarbeitung des Transsexuellenrechts unverzüglich vorzulegen, damit das geltende Transsexuellenrecht, das in Teilen vom Bundesverfassungsgericht als verfas- sungswidrig eingestuft wurde, an die neuen Anforderun- gen angepasst wird. Des Weiteren fordern wir die Bun- desregierung auf, die Ausstellung widerspruchsfreier Reisedokumente für Transsexuelle sicherzustellen. Da der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen einem ge- ordneten und umfassenden Gesetzgebungsverfahren vor- greift, lehnen wir diesen Antrag ab. Jörg van Essen (FDP): Es ist lange her, dass sich der Deutsche Bundestag in einer Plenardebatte mit dem Transsexuellenrecht befasst hat. Es wäre der Sache sehr angemessen gewesen, wenn wir hierzu eine lebendige Debatte im Plenum gehabt hätten. Ich bedaure daher au- ßerordentlich, dass die Debatte an einem so ungünstigen und späten Termin stattfindet. Das Thema, mit dem wir uns heute zu befassen ha- ben, ist für die FDP keineswegs ein Randthema. Die In- teressen von transsexuellen Menschen sind für uns sehr wichtig. Es war daher auch die FDP, die zum Trans- sexuellenrecht in den vergangenen Jahren immer wieder parlamentarische Initiativen und Anfragen an die Bun- desregierung gestartet hat. Das Transsexuellengesetz ist seit dem In-Kraft-Treten am 1. Januar 1981 nicht mehr geändert worden. Es ist daher allgemeine Meinung, dass das Gesetz nun nach 26 Jahren dringend der Reform be- darf. In den vergangenen Jahren hat sich aufgrund von wis- senschaftlichen Untersuchungen und Erfahrungsberich- ten der Kenntnisstand über das Leben transsexueller Menschen wesentlich vergrößert. Das Transsexuellenge- setz ist daher in der Vergangenheit von den Verbänden, von Sachverständigen und Betroffenen oft kritisiert und Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4211 (A) (C) (B) (D) Reformbedarf angemahnt worden. Insbesondere die lange Verfahrensdauer, Anzahl und Qualität der zu er- stellenden Sachverständigengutachten, aber auch die ge- richtliche Feststellung der Zugehörigkeit zum anderen Geschlecht und das Fehlen einer begleitenden psycho- therapeutischen Behandlung werden von den Betroffe- nen wiederholt als vorrangig reformbedürftig dargestellt. Hoffnung kam auf, als das Bundesministerium des In- nern im Jahr 2000 die Verbände der Betroffenen und Sachverständige um Stellungnahme zu den Erfahrungen mit dem Transsexuellengesetz gebeten hat. Mit Span- nung wurde die Auswertung dieser Befragung erwartet. Bis zum heutigen Tage liegt sie jedoch nicht vor. Die FDP-Bundestagsfraktion hat es immer außeror- dentlich bedauert, dass die rot-grüne Bundesregierung in den vergangenen sieben Jahren ihrer Regierungszeit un- tätig geblieben ist und keinerlei Anstrengungen unter- nommen hat, das Transsexuellengesetz zu reformieren und damit die Situation der Betroffenen erträglicher zu machen. Die Antworten der rot-grünen Bundesregierung auf die Anfragen der FDP waren stets ernüchternd. Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt es daher, dass bei Bündnis 90/Die Grünen endlich ein Umdenken stattge- funden hat, und sie mit ihrem Antrag zum Transsexuel- lenrecht nun auch Reform- und Handlungsbedarf erken- nen. Die FDP-Bundestagsfraktion legt zur heutigen Debatte einen Gesetzentwurf zur Änderung des Passge- setzes vor. Damit wollen wir erreichen, dass künftig si- chergestellt wird, dass bei Transsexuellen die Ge- schlechtsangabe in Reisepässen dem Geschlecht des Vornamens angepasst wird. Wir nehmen damit eine For- derung auf, die von transsexuellen Männern und Frauen in den vergangenen Jahren immer wieder erhoben wurde und von den Betroffenen als prioritär bezeichnet wurde. Transsexuelle, die sich für die so genannte kleine Lö- sung entschieden und keine Veränderung ihrer äußeren Geschlechtsmerkmale vorgenommen haben, können eine personenstandsrechtliche Änderung ihres Ge- schlechts nicht beantragen. Sie haben aber die Möglich- keit, ihren Vornamen ändern zu lassen. Dies führt dazu, dass Name und Geschlecht in Widerspruch zueinander stehen. Eine Identität zwischen Name, Geschlecht und äußerem Erscheinungsbild ist nicht gegeben. Dies führt immer wieder dazu, dass insbesondere bei Auslandsrei- sen Transsexuelle vielfältigen Diskriminierungen ausge- setzt sind, da in ihrem Pass ein Geschlecht angegeben ist, das nicht ihrer empfundenen Geschlechtszugehörig- keit entspricht. Dieser Zustand muss umgehend beseitigt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem beach- tenswerten Beschluss vom Dezember letzten Jahres ent- scheidende Vorschriften des Transsexuellengesetzes für verfassungswidrig erklärt und eine Reform des Trans- sexuellengesetzes angemahnt. In dem Beschluss hat das Gericht in beeindruckender Klarheit ausgeführt, dass sich die in dem Transsexuellengesetz zugrunde liegen- den Annahmen über die Transsexualität inzwischen in wesentlichen Punkten als wissenschaftlich nicht mehr haltbar erwiesen haben. Das Gericht kommt insbesondere zu einer Neubewer- tung der Situation von Transsexuellen, die sich für die „kleine Lösung“ entschieden haben. Das Gericht erteilt der These, wonach die „kleine Lösung“ für einen Trans- sexuellen nur ein Durchgangsstadium zur „großen Lösung“ sei, eine klare Absage. Das Bundesverfassungs- gericht sieht daher für eine unterschiedliche personen- standsrechtliche Behandlung von Transsexuellen mit und ohne Geschlechtsumwandlung keine haltbaren Gründe mehr. Zur Lösung des Problems legt das Gericht dem Ge- setzgeber ausdrücklich nahe, das Personenstandsrecht dahin gehend zu ändern, dass ein bei einer nachgerichtli- chen Prüfung gemäß den §§ 1 ff. des Transsexuellenge- setzes anerkannter Transsexueller ohne Geschlechts- umwandlung rechtlich dem von ihm empfundenen Geschlecht zugeordnet wird. Dies wird mit der vorge- schlagenen Änderung im Passgesetz erreicht. Auch die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage erst kürzlich erklärt, dass Transsexuelle die gleichen Möglichkeiten zu Auslandsreisen ohne Diskri- minierungen erhalten müssen wie alle anderen Bürger auch. Erst vor wenigen Tagen hat sich auch der Peti- tionsausschuss des Deutschen Bundestages für eine ent- sprechende Änderung des Passgesetzes ausgesprochen. Wir möchten sicherstellen, dass Transsexuelle gesell- schaftlich und rechtlich entsprechend der neuen ge- schlechtlichen Identität behandelt werden. Die FDP weist ausdrücklich darauf hin, dass eine isolierte Ände- rung des Passgesetzes auf keinen Fall ausreichend ist. Pa- rallel hierzu brauchen wir eine Gesamtreform des Trans- sexuellengesetzes. Ich fordere die Bundesregierung auf, den Handlungsauftrag des Bundesverfassungsgerichts ernst zu nehmen und dem Deutschen Bundestag umge- hend einen Gesetzentwurf vorzulegen. Äußerungen aus dem Bundesinnenministerium aus jüngster Zeit geben wenig Anlass zur Hoffnung, dass dieses Problem dort ernst genommen wird. Die Bundesregierung war bisher nicht bereit, einen Zeitpunkt zu nennen, wann mit einem solchen Gesetzentwurf zu rechnen ist. Die FDP-Bundes- tagsfraktion wird daher nicht nachlassen in ihrer Forde- rung nach einer Reform des Transsexuellengesetzes. Ich würde mich sehr freuen, wenn endlich auch die Koalitionsfraktionen bereit wären, anzuerkennen, dass der Gesetzgeber in dieser wichtigen Frage der Gesell- schaftspolitik nicht weiter untätig bleiben darf. Ich ap- pelliere an die anderen Fraktionen, dieses Thema nicht zum Gegenstand von parteipolitischen Auseinanderset- zungen zu machen. Das Thema und die berechtigten In- teressen der Betroffenen sind dafür zu ernst. Es wäre der Sache dienlich, wenn wir gemeinsam zu einer vernünfti- gen, sachgerechten und vor allem zeitnahen Lösung kommen würden. Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Transsexuellenrecht muss grundlegend reformiert werden. Ziel der Reform muss sein, trans- sexuellen Menschen in Deutschland ein selbstbestimm- tes Leben in Würde zu ermöglichen. Es geht um eine kleine Gruppe von Menschen. Die Probleme, die ihnen das geltende Recht bereitet, sind dagegen ziemlich groß. 4212 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Bei seiner Einführung 1981 hatte das Transsexuellenge- setz große Fortschritte gebracht. Viele seiner Regelungen entsprechen aber nicht mehr dem heutigen sexualwissen- schaftlichen Kenntnisstand. Auch das Bundesverfassungs- gericht hat im Dezember 2005 festgestellt: Die dem Transsexuellengesetz zugrunde liegenden Annahmen über die Transsexualität haben sich in- zwischen in wesentlichen Punkten als wissenschaft- lich nicht mehr haltbar erwiesen. Was ist zu tun? Die Zugangsvoraussetzungen für das Transsexuellengesetz müssen deutlich liberalisiert wer- den. Das gilt sowohl für die Annahme eines Vornamens des anderen Geschlechts, die so genannte kleine Lösung, als auch für die personenstandsrechtliche Änderung des Geschlechts, die so genannte große Lösung. Das auf- wendige Gutachterwesen muss reformiert, bürokratische Hemmnisse müssen beseitigt werden. Der Gesetzgeber darf transsexuelle Menschen für eine Personenstandsän- derung nicht mehr auf den Operationstisch zwingen, wenn sie darin für sich keine Notwendigkeit sehen. Das Recht muss Menschen unterstützen, selbstbestimmt ihrer Identität gemäß zu leben, anstatt sie in bürokratische Raster zu pressen. Ein weiterer wichtiger Bereich: Transsexuellen muss es ermöglicht werden, eine rechtlich abgesicherte Part- nerschaft mit der Partnerin bzw. dem Partner ihrer Wahl zu führen. Das hat das Bundesverfassungsgericht klarge- stellt. Es kann auch nicht sein, dass verheiratete Trans- sexuelle, die sich für eine personenstandsrechtliche Än- derung des Geschlechts entscheiden, von Staats wegen zur Scheidung gezwungen werden, wenn die Partner zu- sammenbleiben wollen. Uns müssen doch die Persön- lichkeitsrechte, der Schutz des Privatlebens dieser Paare wichtiger sein als Prinzipienreiterei. Zudem müssen auch Transsexuelle mit der kleinen Lösung die gleichen Möglichkeiten zu Auslandsreisen ohne Diskriminierungsgefahr erhalten wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger. Das neuerdings geltende Pass- recht zwingt Transsexuelle, die ihren Vornamen nach dem Transsexuellengesetz geändert haben, mit einem Geschlechtseintrag im Reisepass zu reisen, der weder ih- rer Identität noch ihrem Erscheinungsbild entspricht. Damit sind entwürdigende Diskriminierungen bei Grenzkontrollen vorprogrammiert. Die Bundesregierung hat auf unsere Anfrage hin vage in Aussicht gestellt, hier irgendwann etwas im Passrecht zu tun. Übergangsrege- lungen hat sie aber abgelehnt. Aber was ist mit Menschen, die noch dieses Jahr eine Geschäftsreise unternehmen müssen? Was ist mit Men- schen, die in dringenden Familienangelegenheiten ins Ausland reisen müssen? Sollen sie warten, bis sich die Bundesregierung sich dazu bequemt, endlich die Hürden für Transsexuelle zu beseitigen? Oder sollen sie Gefahr laufen, bei der Einreise peinlich befragt oder gar am Flughafen zurückgewiesen zu werden? Hier muss sofort etwas geschehen. Es gibt mittlerweile eine ganze Sammlung von Ver- fassungsgerichtsurteilen, die für die Persönlichkeits- rechte der Betroffenen und gegen Restriktionen im Transsexuellengesetz Stellung bezogen haben. Eine wei- tere Entscheidung zum Scheidungszwang für verheira- tete Personen, die eine Personenstandsänderung vorneh- men wollen, steht an. Wir sollten als Gesetzgeber nicht immer auf das Verfassungsgericht warten, sondern nun selbst eine grundlegende Überarbeitung in Angriff zu nehmen. Der frühere Innenminister konnte sich für dieses Thema nie erwärmen und hat alle Reformvorstöße abge- wimmelt. Wir Grüne konnten bei der Einführung des Le- benspartnerschaftsgesetzes aber immerhin das Ansinnen des Bundesinnenministers abwehren, die vom Verfas- sungsgericht im Dezember 2005 hinsichtlich der Ehe für verfassungswidrig erklärte Regelung zum geänderten Vornamen auf das Lebenspartnerschaftsgesetz zu über- tragen. Das hat dann zumindest für heterosexuelle Trans- gender mit der kleinen Lösung einen gewissen Fort- schritt gebracht. Jetzt muss ein großer Wurf folgen, die umfassende Neugestaltung des Transsexuellenrechts. Die jetzige Bundesregierung sah sich auf unsere An- frage hin nicht in der Lage, einen Zeitpunkt für die Ein- bringung eines Gesetzentwurfes zur Änderung des Transsexuellengesetzes zu nennen. Begründet wurde dies mit der Belastung des zuständigen Referats im Bun- desministerium des Inneren mit der Reform des Perso- nenstandsrechts. Bei allem Verständnis für dessen Nöte: Es kann den transsexuellen Bürgerinnen und Bürgern doch nicht zu- gemutet werden, über die weitere Zukunft des Trans- sexuellengesetzes möglicherweise über Jahre hinweg im Unklaren gelassen zu werden. Es handelt sich hier schließlich für die betroffenen Menschen um lebensprä- gende Sachverhalte, die ihre Persönlichkeitsrechte im Kern berühren. Verzögerungen können für sie verlorene Lebensjahre bedeuten. Auch im Petitionsausschuss gibt es zahlreiche Einga- ben zum Transsexuellenrecht, die zeigen, wie notwendig eine Reform ist. Erst letzte Woche hat der Petitionsaus- schuss einstimmig zwei Eingaben von Transsexuellen zur Partnerschaftsregelung und zum Passrecht unter- stützt. Das ist ein wichtiges Signal. Ich hoffe sehr, dass wir im Parlament einvernehmlich zu einer raschen Re- form des Transsexuellengesetzes kommen. Mit unserem Antrag wollen wir hierzu den Anstoß geben. Anlage 29 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Entwürfe: – Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts – Erstes Gesetz zur Änderung des Unterhalts- vorschussgesetzes (Tagesordnungspunkt 26 a und b) Ute Granold (CDU/CSU): Wir haben bereits in der vergangenen Legislaturperiode über die Reform des Un- terhaltsrechts diskutiert. Wegen der vorgezogenen Neu- wahlen konnte aber der im Mai 2005 erstmals vorgelegte Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums nicht Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4213 (A) (C) (B) (D) weiter verfolgt werden. Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD haben sich im Koalitionsvertrag dazu ver- pflichtet, die Situation von Familien mit Kindern weiter zu verbessern. Kinder sollen beim Unterhalt an erster Stelle stehen. Die Eigenverantwortung nach der Ehe soll gestärkt und eine Harmonisierung der Steuer- und so- zialrechtlichen Bestimmungen angestrebt werden. Auf der Grundlage des Referentenentwurfs ist unter diesen Vorgaben der Entwurf für das Unterhaltsände- rungsgesetz erarbeitet worden. Die gesellschaftliche Re- alität von Ehe und Familie hat sich in den vergangenen Jahren, vor allem im großstädtischen Milieu, wesentlich verändert. Die Zahl der Scheidungen steigt von Jahr zu Jahr. Viele dieser Ehen werden schon nach relativ kurzer Dauer geschieden, etwa 50 Prozent davon sind kinder- los. Außerdem hat sich die Rollenverteilung in der Ehe mehr und mehr verändert. Immer häufiger bleiben beide Partner – auch nach der Geburt der Kinder – berufstätig oder nehmen ihren Job nach einer erziehungsbedingten Pause wieder auf. Doch neben dieser noch relativ „klassischen“ Famili- enstruktur haben sich zunehmend neue Familienformen herausgebildet. Immer mehr Kinder leben in nicht eheli- chen Lebensgemeinschaften oder bei einem allein erzie- henden Elternteil. So haben etwa ein Drittel der über zwei Millionen „ohne Trauschein“ zusammenlebender Paare Kinder. Da immer häufiger kurze Ehen geschieden werden, kommt es nach der Scheidung zur Gründung von „Zweitfamilien“, was durch die unzureichenden Re- gelungen des derzeitigen Unterhaltsrechts oft soziale Notlagen zur Folge hat. Mit diesem gesellschaftlichen Wandel ist auch ein Wertewandel verbunden: Der schon heute im Gesetz verankerte Grundsatz der Eigenverantwortung nach der Ehe stößt vor diesem Hintergrund auf eine immer grö- ßere Akzeptanz. Es besteht Konsens, dass die Kinder als „schwächstes Glied in der Kette“ eines besonderen Schutzes bedürfen, da sie, anders als Erwachsene, nicht selbst für ihren Unterhalt sorgen können. Vor diesem Hintergrund ergeben sich neue Herausfor- derungen und Zielsetzungen für den Gesetzgeber. Eine nachhaltige und verantwortungsvolle Familienrechtspo- litik muss sich sowohl den gesellschaftlichen Verände- rungen als auch den gewandelten Wertvorstellungen stellen. Leitlinien einer solchen Politik müssen zum ei- nen die verfassungsrechtlich gebotene Gleichberechti- gung von ehelichen und nicht ehelichen Kindern und zum anderen der durch unsere Verfassung garantierte be- sondere Schutz der Ehe sein. Zusätzlicher Handlungsdruck ergibt sich für den Ge- setzgeber aus der Tatsache, dass die Gerichte die Ge- setze bereits heute weit auslegen müssen, um in allen Fällen sachgerechte Lösungen zu finden. Die Rechtspre- chung, insbesondere auch die des Bundesverfassungsge- richtes, hat uns inzwischen eingeholt und eine Reihe wegweisender Urteile in Richtung der heute diskutierten Reform gefällt. So wird auch in Kürze damit gerechnet, dass das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber in der Frage der Benachteiligung von nicht ehelichen Kin- dern bei der Dauer des Betreuungsunterhalts zu Neure- gelungen verpflichten wird, da die bisherige Regelung in ihrer Reichweite wohl nicht verfassungskonform ist. Der jetzige Gesetzentwurf zur Neuregelung des Un- terhaltsrechts verfolgt im Wesentlichen drei Ziele: die Förderung des Kindeswohls, die Stärkung der Eigenver- antwortung nach der Ehe und die Vereinfachung des Un- terhaltsrechts. Das Kindeswohl steht im Mittelpunkt der Reform und ist der Grund für die rechtspolitisch wichtigste Änderung: die Neuregelung der Rangfolge im Mangelfall. Künftig konkurrieren im ersten Rang die minderjährigen und auch die ihnen gleichgestellten, noch in der allgemeinen Schulausbildung befindlichen volljährigen Kinder nicht mehr mit den Ehegatten. Vielmehr hat der Kindesunter- halt Vorrang vor allen anderen Unterhaltsansprüchen. Da Kinder, anders als Erwachsene, keine Möglichkeit haben, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen, ist ihnen am wenigs- ten zuzumuten, auf ergänzende Sozialleistungen ange- wiesen zu sein. Im zweiten Rang finden sich dann alle Kinder betreu- enden Elternteile – unabhängig davon, ob sie verheiratet sind oder waren und ob sie das Kind alleine oder ge- meinsam erziehen. Durch diese Neuregelung werden demnach jeder Ehegatte und auch nicht verheiratete El- tern hinsichtlich ihres Ranges gleichbehandelt, sofern sie ein Kind betreuen. Ebenso schutzbedürftig ist aber auch der Ehegatte bei längerer Ehedauer im Hinblick auf seine weiteren Unter- haltsansprüche. Auch er findet sich daher im zweiten Rang. Dabei wird das Kriterium „Ehe von langer Dauer“ bewusst nicht näher konkretisiert, um den Gerichten in kritischen Verteilungs- bzw. Konkurrenzfällen ein Kor- rektiv zur Verfügung zu stellen und damit eine Grund- lage für Einzelfallgerechtigkeit zu schaffen. Weniger So- lidarität kann dagegen der Ehegatte verlangen, der nur kurz verheiratet war und keine Kinder zu betreuen hat. Folglich steht dieser entsprechend im dritten Rang. Bei der weiteren Rangfolge ergeben sich gegenüber dem gel- tenden Recht im Wesentlichen keine Veränderungen. Im Übrigen geht es bei der Neufassung auch darum, die mit der geltenden Rechtslage verbundene Benachtei- ligung der nicht ehelichen Kinder ein Stück weit abzu- bauen. Das in diesem Zusammenhang in Kürze erwar- tete Urteil des Bundesverfassungsgerichtes habe ich bereits erwähnt. Bisher wird den nicht ehelichen Kin- dern zugemutet, dass ihre Mütter bereits nach dem drit- ten Lebensjahr wieder einer Erwerbstätigkeit nachgehen müssen, während geschiedene Mütter ihre Kinder deut- lich länger betreuen können. Unter dem Aspekt des Kin- deswohls klafft hier die „Schere“ zwischen geschiede- nen und nicht verheirateten Elternteilen zu weit auseinander. Diese Schere gilt es im Interesse der Kinder ein Stück weit zu schließen. Eine weitere wesentliche Neuerung zum Wohl des Kindes ist die gesetzliche Definition des Mindestunter- halts minderjähriger Kinder. Durch die Bezugnahme auf den Kinderfreibetrag aus dem Einkommensteuerrecht wird nicht nur die dringend notwendige weitgehende Harmonisierung mit dem Steuerrecht erreicht, sondern 4214 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) auch die von Bundestag und Bundesverfassungsgericht geforderte Normenklarheit geschaffen. In einem paralle- len Gesetzgebungsverfahren wird das Unterhaltsvor- schussgesetz entsprechend angepasst werden. Die geän- derte Rangfolge und die Normenklarheit beim Mindestunterhalt sind zusammengenommen ein wichti- ger Schritt, um die Akzeptanz von Unterhaltszahlungen an die Kinder zu erhöhen und somit das zentrale Ziel der Reform zu erreichen. Die nacheheliche Eigenverantwortung wird durch den Entwurf ebenfalls in mehrfacher Hinsicht gestärkt. Das Unterhaltsrecht darf kein bestimmtes Ehebild vorgeben. Die Ehegatten sind in der Ausgestaltung der Ehe und der Wahl der Rollenverteilung frei und durch Art. 6 GG um- fassend geschützt. Aus diesem Grundgesetzartikel ergibt sich aber auch eine fortwirkende nacheheliche Solidari- tät, die sich im Unterhaltsrecht des BGB widerspiegelt. Dieser verfassungsrechtliche Rahmen lässt dem Gesetz- geber durchaus Spielräume, um gesellschaftlichen Ver- änderungen Rechnung zu tragen. In diesem Punkt sieht der aktuelle Gesetzentwurf eine wichtige Neuerung vor, der für die allgemeine Akzeptanz des Unterhaltsrechts in der Bevölkerung von großer Bedeutung ist. So fasst der Gesetzentwurf den Grundsatz der Eigenverantwortung neu und eindeutiger. Dies wird sich insbesondere auf die nun engere Auslegung der Unterhaltstatbestände und das bisher pauschal angewendete „Altersphasenmodell“ beim Betreuungsunterhalt auswirken. Flankiert wird diese Maßnahme durch eine ver- schärfte Anforderung an die Wiederaufnahme einer Er- werbstätigkeit. Nach der geltenden Rechtslage kann es dem geschiedenen Ehegatten oft nicht zugemutet wer- den, in eine früher ausgeübte Erwerbstätigkeit zurückzu- kehren. Vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels ist dies gerade bei kürzeren Ehen für den Unter- haltspflichtigen nicht zumutbar. Trotzdem bleiben nach dem Gesetzentwurf die ehelichen Lebensverhältnisse als Korrektiv erhalten. Dem Richter bleibt also auch hier ein Spielraum, im Einzelfall die Zumutbarkeitskriterien für eine eigene Erwerbstätigkeit des geschiedenen Ehegat- ten höher zu setzen. Die nacheheliche Eigenverantwor- tung wird zusätzlich durch die Einführung einer neuen, alle Unterhaltsansprüche erfassenden Billigkeitsrege- lung gestärkt, nach der Unterhaltsansprüche in Bezug auf Höhe und Dauer beschränkt werden können. Um Härtefälle bei bereits geschiedenen Ehen zu vermeiden, sind entsprechende Übergangsregelungen vorgesehen. Der Grundsatz der Vereinfachung des Unterhalts- rechts ist bei der vorgesehenen Vereinfachung der Anre- chung des Kindergeldes besonders deutlich zu erkennen. Die neue Regelung der Kindergeldverrechnung weist das Kindergeld unterhaltsrechtlich dem Kind zu. Das Kindergeld wird also von vornherein bedarfsmindernd berücksichtigt. In der Folge erhöht sich dann durch das Kindergeld der Betrag, der zur Bedarfsdeckung zur Ver- fügung steht. Dies wird den künftig im zweiten Rang Berechtigten zugute kommen. Auf diesem Weg gelingt es uns, die negativen Auswirkungen auf das Realsplit- ting zum größten Teil zu kompensieren, die sich sonst aus der Neuordnung der Rangverhältnisse ergeben wür- den. Die weitere Harmonisierung des Unterhaltsrechts mit dem Steuer- und Sozialrecht, die auch vom Bundesver- fassungsgericht eingefordert worden ist, muss nun in den nächsten Schritten erfolgen. Wir sollten die jetzige Re- form nicht überfrachten und zunächst das Wichtigste auf den Weg bringen. Das ist mit diesem Gesetzentwurf ge- währleistet. Vor diesem Hintergrund hoffe ich auf konstruktive Beratungen und vertraue darauf, dass es uns gelingen wird, diese für die Betroffenen so wichtige Reform zü- gig zu verabschieden. Christine Lambrecht (SPD): Das Recht des nach- ehelichen Unterhalts gilt seit 1977 fast unverändert. Es steht nun vor einer grundlegenden Überarbeitung, die vor dem Hintergrund sich seitdem rasant gewandelter gesellschaftlicher Verhältnisse dringend notwendig ist; denn es regelt einen zentralen Aspekt familiärer Verant- wortung. Steigende Scheidungszahlen, die vermehrte Gründung von Zweitfamilien nach einer gescheiterten Ehe und die zunehmende Zahl von Kindern, deren Eltern in einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft leben oder allein erziehend sind, zeigen ein verändertes Bild fami- liärer Realität. Des Weiteren zeigen auch das geänderte Rollenver- ständnis und die steigende Zahl von Mangelfällen, in de- nen das Einkommen des Unterhaltspflichtigen nicht mehr für alle Unterhaltsberechtigten reicht, dass die Zeit für eine Überarbeitung des Unterhaltsrechts gekommen ist. Insbesondere ist dabei an die Situation der unter- haltsbedürftigen minderjährigen Kinder angesichts der alarmierenden Tatsache, dass heute fast 40 Prozent aller Sozialhilfeempfänger Kinder sind, zu denken. Eine Re- form des Unterhaltsrechts ist daher sehr zu begrüßen. Das Unterhaltsrecht muss aus den gesellschaftlichen Veränderungen Konsequenzen ziehen. Wir brauchen mehr Verteilungsgerechtigkeit im Mangelfall. Wir müs- sen die Abhängigkeit der Kinder von Sozialhilfe und an- deren staatlichen Transferleistungen verringern. Der Regierungsentwurf zur Änderung des Unterhalts- rechts sieht vor allem drei Ziele vor: Förderung des Kin- deswohls, Stärkung der nachehelichen Eigenverantwor- tung und Vereinfachung des Unterhaltsrechts. Zur Stärkung des Kindeswohls soll die unterhaltsrechtliche Rangfolge geändert werden. Dahinter steht zu Recht der Gedanke, dass die Akzeptanz der Unterhaltspflicht ge- genüber eigenen Kindern höher ist als die Akzeptanz von Zahlungen an den früheren Partner. So sieht das Ge- setz vor, dass der Kindesunterhalt zukünftig Vorrang vor allen anderen Unterhaltsansprüchen hat. Dies gilt für den Unterhalt von minderjährigen Kindern und von volljäh- rigen unverheirateten Kindern bis zu 21 Jahren, die im elterlichen Haushalt leben und noch zur Schule gehen. Im Interesse der Kinder stehen gleichfalls alle diejenigen Personen im zweiten Rang gleichberechtigt nebeneinan- der, die ein Kind betreuen und aus diesem Grunde unter- haltsbedürftig sind. Nur dann, wenn die Ehe von langer Dauer ist oder war, befindet sich auch der Ehegatte mit seinen sonstigen Unterhaltsansprüchen im zweiten Rang. Dies ist bedeutend, um Partner einer langjährigen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4215 (A) (C) (B) (D) Ehe einen entsprechenden Unterhalt zu gewährleisten. Der Gesetzentwurf trägt damit zugleich auch dem Schutz der Ehe Rechnung. Die Zahl der Kinder, die so- zialhilfebedürftig sind, weil Erwachsene vorrangig un- terhaltsberechtigt sind, wird durch diese Neuregelung künftig sinken. Darüber hinaus soll auch die Situation der unter be- sonderer Belastung stehenden allein erziehenden, nicht verheirateten Eltern verbessert werden. Diese sollen den Betreuungsunterhalt unter leichteren Voraussetzungen auch noch über das dritte Lebensjahr des betreuten Kin- des hinaus bekommen. Auch im Interesse der Kinder würden damit nicht verheiratete Mütter besser als bis- lang gestellt. Der Mindestunterhalt soll zudem in Anlehnung an den steuerlichen Freibetrag für das sächliche Existenz- minimum eines Kindes gesetzlich definiert werden. Dies bringt zum einen Klarheit für die betroffenen Familien und führt zum anderen zu einer Harmonisierung von Un- terhalts-, Steuer- und Sozialrecht bei der Bestimmung des Mindestbedarfs von Kindern. Zusätzlich wird end- lich die unterschiedliche Höhe der Unterhaltsansprüche von Kindern in Ost und West abgeschafft. Die Neurege- lung der Kindergeldverrechnung, wonach das Kinder- geld bereits bei der Ermittlung des Bedarfs des Kindes berücksichtigt wird, ordnet die Kindergeldleistung im Ergebnis zweckentsprechend den Kindern zu und führt ebenfalls zu einer wesentlichen Vereinfachung der Un- terhaltsberechnung. Die Regelbetrag-Verordnung ent- fällt völlig. Der Entwurf stärkt schließlich die nacheheliche Ei- genverantwortung und verankert diese im Gesetz durch die Schaffung einer neuen, alle Unterhaltstatbestände er- fassenden Möglichkeit, Unterhaltsansprüche in Bezug auf die Höhe oder den Unterhaltszeitraum zu beschrän- ken. Dies gilt etwa dann, wenn der Unterhaltsberechtigte mit einem neuen Partner in einer verfestigten Lebens- partnerschaft lebt. Zugleich werden die Anforderungen an die Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit nach der Scheidung verschärft. Für Geschiedene soll damit darauf hingewirkt werden, dass sich diese nach der Scheidung selbst wieder eine neue Perspektive verschaffen. Ge- richte werden zugleich zur Abkehr vom starren Alters- phasenmodell durch die stärkere Betonung der Eigenver- antwortung im Hinblick auf den Betreuungsunterhalt des geschiedenen Ehegatten angehalten. Hierbei ist jedoch auch die konkrete Situation wie Ausbildung, Alter und Möglichkeiten im Erwerbsleben zu berücksichtigen. Um zu vermeiden, dass die notwendige Anpassung des Unterhaltsvorschussgesetzes an die Unterhalts- rechtsreform zu einem Absinken der Vorschüsse führt, sieht der Gesetzentwurf Mindestbeträge auf dem Niveau des bisherigen Unterhaltsvorschusses in den alten Bun- desländen vor. Ungeachtet aller Änderungen gilt aber: Das Unter- haltsrecht muss in besonderem Maße dem Einzelfall ge- recht werden und ein über Jahre gewachsenes Vertrauen in die nacheheliche Solidarität schützen. In diesem Sinne freue ich mich auf konstruktive Beratungen. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): Nicht nur aus Sicht der FDP, sondern auch nach den ei- genen Worten der Bundesregierung und ihrer Vertreter stellt die Reform des Unterhaltsrechts eine der wichtigs- ten und dringendsten rechtspolitischen Reformen dieser Wahlperiode dar. Nicht ohne Grund hat die FDP sowohl in dieser, als auch bereits in der vergangenen Wahlperio- de immer wieder auf diese wichtige Baustelle der Rechts- und Gesellschaftspolitik aufmerksam gemacht. Ich begrüße es, dass diese überfällige Reform nun auch endlich dem Bundestag zu den Beratungen vorge- legt wird. Umso enttäuschender und unverständlich ist es jedoch, dass die Koalition dieser Reform so geringen Stellenwert beimisst – oder wie erklären Sie sich die Uhrzeit, zu der die erste Beratung angesetzt ist? Hat nicht Herr Staatssekretär Hartenbach erst in der Sitzung des Bundesrates am 19. Mai – also vor gut ei- nem Monat – zu diesem Gesetzentwurf gesagt, dass diese Reform nur akzeptiert werden kann, wenn das neue Unterhaltsrecht von einer breiten Mehrheit getra- gen wird? Wenn Ihnen die Reform und ihre gesellschaft- liche Akzeptanz wichtig ist – warum scheuen Sie für die erste Debatte der Unterhaltsreform das Tageslicht und suchen die nachtschlafene Dunkelheit? Die geplanten Änderungen im Unterhaltsrecht stellen eine gute Grundlage für die parlamentarischen Beratun- gen dar. Es hat jedoch lange gedauert, bis uns dieser Ent- wurf nun zur Beratung vorgelegt wurde. Nach vielfachen Ankündigungen und mehrfacher Vorlage von Eckpunk- tepapieren aus dem Justizministerium zeigt sich, dass die Bundesregierung immerhin einige der vielen Vorschläge aufgegriffen hat, die wir als FDP bereits in der vergange- nen und auch in dieser Legislaturperiode diesem Hohen Hause vorgelegt haben: Stärkung der Eigenverantwortung nach der Ehe und das Kindeswohl in den Mittelpunkt der unterhaltsrechtli- chen Reformüberlegungen zu stellen – dies hat die FDP neben anderen Änderungen bereits 2004 vorgeschlagen! Und erst ein halbes Jahr nach unserer Großen Anfrage stellte Frau Zypries das erste Mal „ihre“ Eckpunkte zur Reform vor. Teilweise Ähnlichkeiten der Vorlage von Bundesjustizministerin Zypries zu unseren Initiativen sind zu erkennen. Scheinbar hat die Regierung erkannt, dass liberale Gedanken und Ansätze diese Reform ein gutes Stück voranbringen. Leider fehlen noch einige Punkte; dazu komme ich aber später. Es geht bei dieser Reform aber nicht nur um Ände- rungen, die an einigen Paragraphen des BGB vorgenom- men werden. Es geht um sehr viel mehr. Es geht auch um die Frage, wie der Gesetzgeber künftig seine Bilder von Ehe und Familie, Solidarität und Eigenverantwor- tung und dem Wohl von Kindern den gesellschaftlichen Wandlungen anpassen und in familienrechtlichen und gesellschaftspolitischen Entscheidungen Ausdruck ver- leihen will. Nehmen wir die Frage nach dem Bild der Ehe: Die Gründe für die Eheschließung haben sich in den vergan- genen Jahrzehnten gewandelt. Anfang des 20. Jahrhun- derts musste kaum zwischen den verfassungsrechtlich 4216 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) geschützten Institutionen der Ehe und der Familie unter- schieden werden. Kinder wuchsen vornehmlich in der Ehe auf. Der familiäre Verbund verschmolz in dieser Zeit über die Beziehungen zwischen Vater, Mutter und Kindern hinaus zu einer Erziehungs- und Wirtschaftsge- meinschaft. Ehe und Familie standen im Zentrum der Gesellschaft. Aus dieser Perspektive resultierte auch das unter liberaler Hand Mitte der 90er-Jahre abgeschaffte Stigma der Unehelichkeit. Vorher gab es nur schwarz oder weiß, ehelich oder unehelich. Als bürgerlich ange- sehen wurde nur, wer ehelich geboren war. Den außere- helich Geborenen haftete die gesellschaftliche Missach- tung an. Eine entsprechende Konsequenz in der Anpassung der Rechtslage an die tatsächliche gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Entwicklung erwarte ich jetzt von der schwarz-roten Bundesregierung bei der Reform des Unterhaltsrechts! Denn es hat sich einiges getan: Die Ehe wird von vielen Bürgerinnen und Bürgern nur noch als eine der vielen möglichen Formen des Zu- sammenlebens angesehen. Andere Lebensformen wie ein Zusammenleben und Füreinander-Einstehen ohne Trauschein in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft oder in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft sind heute gesellschaftlich akzeptiert. Fernbeziehungen über mehrere hundert Kilometer gehören gerade in Zeiten der Flexibilität am Arbeitsplatz zum Alltag vieler junger Menschen. Die Häufigkeit von anderen Lebensgemeinschaften als der Ehe lässt sich auch mit Zahlen belegen: Seit 1996 ist die Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften um ein gutes Drittel angestiegen. In demselben Zeitraum hat sich in den alten Bundesländern die Zahl der nicht- ehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern um fast drei Viertel erhöht! Im März 2004 lebten in Deutschland 2,5 Millionen Alleinerziehende mit Kindern – und das ist bereits jede fünfte Eltern-Kind-Gemeinschaft. Auch Familien sind deutlich kleiner geworden; in der Mehr- heit der jungen Familien leben ein oder maximal zwei Kinder. Das althergebrachte bürgerliche Modell der Ehe, bei dem es primär um soziale und wirtschaftliche Faktoren bei der Partnerwahl ging, hat ausgedient. Heute sind emotionale Aspekte bei der Partnerwahl entscheidend. Diese neue Partnerschaftlichkeit hat inzwischen auch weitgehend das patriarchalische Ehe- und Familienbild beseitigt. In der gesellschaftlichen Wirklichkeit ist das Bild des bestimmenden männlichen Oberhauptes der Fa- milie überholt. Die vor allem von der Union häufig noch wiederholten und empfohlenen Rollenmuster und Auf- gabenverteilungen sind nicht mehr allgemeingültig! Die schwarz-rote Koalition wird sich mit diesen ge- sellschaftlichen Wandlungen auseinander setzen müs- sen! Es hilft niemandem, wenn an dem alten Bild der Ehe – wenn möglich auch noch der typischen Einverdie- nerehe – festgehalten wird. Nicht nur die gesellschaftli- che, sondern auch die Arbeitswelt ist mittlerweile eine andere. Nicht selten arbeiten beide Ehepartner, wenn auch zeitweise nur Teilzeit; Väter beginnen, sich um die Erziehung ihrer Kinder zu kümmern. Auch die Hausar- beit teilen sich bereits viele Paare – und das unabhängig davon, ob sie verheiratet sind oder in so genannter wil- der Ehe leben. Aus liberaler Sicht müssen die gesetzlichen Rahmen- bedingungen so ausgestaltet werden, dass jeder sein Le- ben in Gemeinschaft mit anderen so ausgestalten kann, wie er will. Kein Bürger darf in ein bestimmtes Modell gezwungen werden. Es ist zu begrüßen, dass sich in Parallelität zur Wand- lung der Institution der Ehe auch das Familienbild wan- delt. Denn Familie ist nicht nur in einer Ehe möglich. Familie ist vielmehr überall dort, wo Kinder sind. Dies muss auch der Schwerpunkt aller Überlegungen einer Unterhaltsreform sein. Wir Liberale haben dies bereits mit mehreren parlamentarischen Initiativen in der ver- gangenen und der jetzigen Legislaturperiode immer wie- der deutlich gemacht: Es darf in der anstehenden Reform nicht darum gehen, Erwachsene in und nach einer ein- mal „errungenen“ Ehe finanziell abzusichern. „Unterhalt bis ins Grab“ darf in der heutigen Zeit nicht mehr Folge des Jawortes bei der Eheschließung sein! In einer aufge- klärten und selbstständigen Gesellschaft trägt jeder Er- wachsene Verantwortung für sich und sein Tun. Dies be- deutet für jeden Ehepartner, die eigenen Ziele und Verantwortlichkeiten während einer Ehe nicht aus den Augen zu verlieren. Der Gesetzgeber ist nun gefordert, auf der einen Seite die Eigenverantwortung in und nach der Ehe zu stärken und auf der anderen Seite die Übernahme von Verant- wortung bei der Erziehung und Betreuung von Kindern zu fördern. Dies wird ein Schwerpunkt der Reform sein. Wichtig ist aber auch, die familiären Verantwortlichkei- ten von Alleinerziehenden, nicht miteinander verheirate- ten Eltern und der Sandwichgeneration zu prüfen und den geänderten gesellschaftlichen Bedingungen anzu- passen. Eltern muss es stets möglich sein, der Betreuung von Kindern im erforderlichen Umfang einen wichtigen Stellenwert beizumessen und trotzdem ihr eigenes Leben weiterzuverfolgen. Hier werden wir insbesondere über die Unterschiede bei den Unterhaltsansprüchen von be- treuenden Elternteilen reden müssen; denn noch wird sehr deutlich danach unterschieden, ob die Eltern verhei- ratet waren oder ob das Kind aus einer nichtehelichen Beziehung stammt. Aus unserer Sicht ist die vorgeschlagene Gesetzesän- derung ausgiebig zu diskutieren. Es ist in unser aller In- teresse, und wir befürworten es, dass das Kindeswohl und somit auch deren Anspruch auf Unterhalt, an erster Stelle rangiert. Aber schon im zweiten Rang, der den Unterhalt der betreuenden Mutter sicherstellen soll, wird es unüber- sichtlich. Zwar werden auch hier die Interessen des Kin- des im Interesse einer erleichterten Betreuungsmöglich- keit durch die Mutter in den Vordergrund gestellt. Diesen gleichgestellt werden jedoch auch nur langjährig verhei- ratete Ehefrauen. Mal abgesehen davon, dass der zu ver- teilende Kuchen im zweiten Rang damit schon recht dünn wird, wird der zu findende Ausgleich zwischen der sich in Abhängigkeit befindlichen Ehefrau und dem Inte- resse einer ausreichenden Kindererziehung an dieser Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4217 (A) (C) (B) (D) Stelle durch den Gesetzgeber nur unzureichend gefun- den. Denn auch der Gesetzesbegründung kann nicht hin- reichend konkret entnommen werden, was denn unter dem Gesetzeswortlaut einer „Ehe von langer Dauer“ zu verstehen ist. Die Leittragenden sind die Betroffenen, meistens Frauen, die zugunsten von Ehe und Familie oder im Hinblick auf die Rollenverteilung Karriereein- bußen hinnehmen mussten und deren Betreuungszeit vorüber oder deren Ehe nicht „lang genug“ bestand, aber auch die Rechtsprechung, welche diesen Konflikt jetzt wieder einmal alleine lösen darf. Auch wird es in der Praxis zu erheblichen Problemen bei der Ermittlung der jeweiligen Unterhaltsansprüche, vor allem im zweiten und dritten Rang kommen, da es kein entsprechendes Auskunftsrecht der beispielsweise unterhaltsberechtigten Exfrau gegen den neuen Ehepart- ner des in Anspruch genommenen Ehegatten gibt. Da der Unterhaltsverpflichtete jedoch daran interessiert sein wird, gegenüber der neuen Partnerin möglichst hoch ver- pflichtet zu sein, wäre ein Auskunftsanspruch des Be- rechtigten oder auch des jeweiligen Gerichts dringend notwendig. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Kinderarmut in Deutschland hat viele Seiten: Sie manifestiert sich als Mangel an Bildung, Gesundheit, Mobilität, Freizeitge- staltungsmöglichkeiten, Kultur, ja sogar an gesunder Er- nährung. Der entscheidende Faktor ist dabei das tatsäch- lich verfügbare Einkommen. Etwa 1,7 Millionen Kinder befinden sich im Bezug von Sozialgeld und leben damit auf einem Einkommens- niveau, das sie von einer angemessenen sozialen und ge- sellschaftlichen Teilhabe ausschließt. Das Kinderhilfs- werk der Vereinten Nationen UNICEF hat festgestellt, dass die Kinderarmut in Deutschland seit 1990 im Ver- gleich zu anderen Industrieländern überdurchschnittlich stark angestiegen ist. Die sozialstaatlichen Antworten darauf sind alles andere als ausreichend. Kindergeld, Kinderfreibetrag, Kinderzuschlag und Unterhaltsvorschuss sind in der gegenwärtigen Form als Leistungssystem zur Verhinderung von Kinderarmut völlig ungeeignet. Die Bedarfsgemeinschaft bleibt eine sozialpolitische Fehlkonstruktion, weil sie dem An- spruch, das Existenzminimum von Kindern eigenständig und unabhängig vom Familieneinkommen abzusichern, nicht gerecht wird. Darüber hinaus wird ignoriert, dass Kinder eine eigenständige Bevölkerungsgruppe mit ei- nem eigenständigen Anspruch auf einen Anteil an den gesellschaftlichen Ressourcen sind. Deshalb fordern wir eine Kindergrundsicherung als soziales Recht für jedes Kind, in Form eines individualisierten und existenzsi- chernden Anspruchs unabhängig vom sozialen Status der Eltern. Zur Existenzsicherung von Kindern Alleinerziehen- der gehören auch monatliche Unterhaltszahlungen. So- weit die Theorie. Wie viele Kinder ihren Unterhalt tat- sächlich erhalten, zeigen die Ergebnisse einer Studie zur Zahlungsmoral unterhaltspflichtiger Eltern. Danach er- halten etwa ein Drittel der Kinder den Unterhalt regel- mäßig und in voller Höhe. Ein weiteres Drittel erhält ihn unregelmäßig oder in zu geringer Höhe. Das letzte Drit- tel bekommt ihn selten oder nie. Wird der Unterhalt nicht gezahlt, geht der Staat aus der Unterhaltsvorschusskasse zunächst in Vorleistung. Hier wollen Sie Anpassungen vornehmen, vor allem durch die Anknüpfung der Unterhaltsvorschussleistun- gen an den gesetzlich definierten Mindestunterhalt. Wir begrüßen die Abkehr von der Ost-West-Differenzierung der Höhe des maximalen und minimalen Unterhaltsvor- schusses. Trotzdem kommt es – und nicht nur nach unse- ren Aussagen – zu keiner nennenswerten Erhöhung beim Unterhaltsvorschuss. Der Grund hierfür liegt in der vol- len Anrechung des Kindergeldes auf den Leistungsbe- zug, der bisher nur hälftig stattfand. Als Begründung stellen Sie fest, dass auch das Kindergeld eine Leistung ist, die der Existenzsicherung des Kindes dient. Eine Verbesserung für die Betroffenen bleibt damit jedenfalls aus, denn im Ergebnis bleiben die Leistungsbeträge auf dem gleichen niedrigen Niveau erhalten. Schade ist, dass gegenwärtig die Chance vertan wird, die zeitliche Befristung der Vorschussleistung auszudeh- nen. Zwar ist die überwiegende Zahl der Fälle von Un- terhaltsvorschussleistungen von kurzer Dauer, jedoch die Zahl der „Wiederholungsfälle“ eklatant. Im Hinblick auf die gegenwärtige Arbeitsmarktsituation darf nicht übersehen werden, dass die Kinder aufgrund entstehen- der Arbeitslosigkeit des Barunterhaltsverpflichteten und der zeitlichen Befristung, die Leidtragenden sind. Wieder sind es die Kinder, die im Ergebnis die Zeche für eine verfehlte Politik zahlen müssen. Das muss sich ändern! Deshalb fordern wir die Aufhebung der Befris- tung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Sie versprechen in der Öffentlichkeit, dass das Unter- haltsgesetz im Interesse des Kindes und zur Stärkung des Kindeswohls verändert wird. Tatsache ist: Sie zementie- ren auch in der Reform zum Unterhaltsrecht soziale Un- gerechtigkeiten und verfestigen das Armutsrisiko von Kindern und Alleinerziehenden. Und dies wird auch nicht durch die Änderung der Rangfolge im Unterhalts- recht geändert. Unter Zugrundelegung des existierenden Realsplittings, bei Berücksichtigung der steuerlichen Abzugsfähigkeit nach § 10 Abs. I Nr. 1 EStG für den Ehegattenunterhalt, wird nach dem Modell der Regie- rung das monatliche Einkommen bei den betreuenden Elternteil insgesamt geringer ausfallen, bei gleich blei- bendem Selbstbehalt des Verpflichteten. Die Kinder be- kommen vorrangig Unterhalt, die in der Regel betreu- ende Mutter fällt durch den Rost, wobei insgesamt wieder die Familie finanziell leidet. Die einzigen, wel- che Vorteile daraus ziehen, sind unter dem Strich die Fi- nanzämter. Hier wird wieder einmal den Familien in die Tasche gegriffen. Deshalb müssen Sie sich fragen lassen, wie ihre „Reförmchen“ zu einer nachhaltigen Bekämp- fung nicht nur von Kinderarmut in Deutschland beitra- gen können. Und wie ist die Reform gleichstellungspolitisch zu bewerten? Grundsätzlich ist der Aussage zuzustimmen, dass Erwachsene zunächst selbst für ihren Lebensunter- halt sorgen sollen, während Kinder dazu natürlich nicht in der Lage sind. Auf den ersten Blick ist daher eine 4218 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Veränderung der Rangfolge im Mangelfall – und nur da- rum geht es hier – zugunsten der Kinder überzeugend. Die Folge wird sein, dass geschiedene Frauen, die ihre Existenz nicht eigenständig sichern können, statt Unter- halt stärker auf Sozialleistungen angewiesen sein wer- den – wie der Gesetzentwurf auch einräumt. Wer aber nacheheliche Eigenverantwortung einfordert, muss sich allerdings fragen lassen, welchem Leitbild von ehelicher Arbeitsteilung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefolgt wird. Schlicht, Eigenverantwortung nach der Ehe zu fordern und die Möglichkeiten für Beschränkung der Unterhaltsansprüche zu schaffen, genügt unserer Ansicht nach nicht. Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt, schlechte Kinderbetreuungsinfrastruktur in vielen Bun- desländern, Entgeltdiskriminierungen und auch das Ehegattensplitting tragen nicht zu einem Leitbild der Ei- genverantwortung für Ehefrauen bei. Dies gilt es zu än- dern – aber nicht punktuell im Unterhaltsrecht! Wir fordern in diesem Zusammenhang: ein umfassen- des Konzept zur Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland; einen konsequenten Ausbau einer eltern- beitragsfreien flächendeckenden Kinderbetreuung, um lückenlose Erwerbsbiografien beider Elternteile zu ge- währleisten; eine Kindergrundsicherung in Form eines individualisierten Anspruchs unabhängig vom sozialen Status der Eltern. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zu nachtschlafender Zeit sollten wir nun eigentlich sehr auf- merksam sein: Die Änderung des Unterhaltsrechts be- trifft direkt oder indirekt alle: Schließlich sind wir alle Kinder auch wenn viele bereits erwachsen sind; ein Großteil der Bevölkerung sind Eltern – auch wenn die Zahl der Eltern zunehmend kleiner wird und viele Paare sind verheiratet. Was diese Rollen anbelangt, betrifft das Unterhaltsrecht jeden Einzelnen; denn es geht um das fi- nanzielle Einstehen füreinander. In der Diskussion über die notwendigen Änderungen im Unterhaltsrecht sind sich die meisten einig, dass die Förderung des Kindeswohls im Vordergrund stehen muss. Daran hat sich für mich auch nichts geändert. Was sich aber weiterhin ändert, sind die Familienverhältnisse in unserer Gesellschaft. Ich möchte nur einige Schlag- worte erwähnen: die hohe Scheidungsrate, die aufbre- chende Rollenverteilung, die neuen Familienformen und die Zunahme von „Zweitfamilien“. Vor diesem Hinter- grund muss man sich zu Recht die Frage stellen, ob das Familienrecht diesen Wandel reflektiert. Ich meine, das tut es in einem ganz wesentlichen Punkt, nämlich dem Unterhaltsrecht, nicht. Das Unterhaltsrecht geht davon aus, dass das Ein- kommen einer Familie in der Regel so hoch ist, dass im Fall einer Scheidung alle Familienmitglieder durch ei- gene Unterhaltsansprüche versorgt werden können. Die Realität ist aber leider eine andere. Immer mehr Unter- haltsprozesse drehen sich um den Mangelfall. In vielen Fällen werden die Zahlungen unregelmäßig oder gar nicht getätigt. Kinder sind häufig die Leidtragenden sol- cher Fälle, weil sie unter finanziellen Zwängen aufwach- sen, die ihrer Entwicklung nicht förderlich sind. Hier fin- den wir auch eine zentrale Ursache für die hohe Zahl der minderjährigen Sozialhilfeempfänger. Daher ist die Än- derung in der Rangstellung der Unterhaltsberechtigten ein richtiger Schritt, damit Kinder nicht leer ausgehen. Wenn Väter zudem das Gefühl haben, hauptsächlich für ihre Kinder zu zahlen, kann man vielleicht auf eine höhere Zahlungsmoral hoffen. Was diesen Punkt anbe- langt, bin ich gespannt, wie sich dies auf die Anwendung des Unterhaltsvorschussgesetzes auswirkt. Auch die An- näherung der Unterhaltsansprüche geschiedener und nichtehelicher Elternteile ist richtig. Besonders hart trifft es doch heute die unverheirateten Mütter oder Väter, die ihr Kind oder ihre Kinder betreuen. Nach geltender Rangfolge gehen sie häufig leer aus und erhalten keinen Betreuungsunterhalt. Die Schwelle für eine Verlänge- rung des Betreuungsunterhalts über die ersten drei Jahre hinaus sollte weiter abgesenkt werden, damit die Ge- richte zukünftig mehr Entscheidungsspielraum bekom- men, um dem Einzelfall gerecht werden zu können – im- mer davon ausgehend, wie sich die Situation für das Kind bzw. die Kinder darstellt. Auch die Stärkung des Grundsatzes nachehelicher Ei- genverantwortung finde ich grundsätzlich begrüßens- wert. Erfahrungsgemäß zahlen die Unterhaltspflichtigen „ohne Murren“ für ihre Kinder, mit dem Ehegattenunter- halt nach einer Scheidung ist dies aber tendenziell an- ders. Bei Ehen, die nur einige Jahre gehalten haben, ist dies auch irgendwie nachvollziehbar. Der oder die Ge- schiedene sollte dann irgendwann wieder für sich verant- wortlich sein. Allerdings sind in der heutigen Zeit der Eigenverantwortung von geschiedenen Müttern und Vä- tern Grenzen gesetzt. Ich möchte Sie nur daran erinnern, wie schwierig es in manchen Regionen ist, ein Kinderbe- treuungsangebot zu finden, das es einem ermöglicht, ar- beiten zu gehen. Auch und gerade bei Ehen, die lange gehalten haben, muss dem geschiedenen Partner ein Be- standsschutz gewährt werden. In seiner Grundrichtung entspricht der eingebrachte Entwurf dem grünen Prinzip, Kinder in den Mittelpunkt zu stellen. Dabei wissen wir sehr wohl, dass damit das Geld der betroffenen Familien nicht mehr wird, aber es wird transparenter, nach klareren Regeln und zeitgemä- ßer verteilt. Natürlich werden wir im weiteren Beratungsverlauf kritisch prüfen, ob es hier zu Folgewirkungen in anderen Rechtsgebieten kommt, die nicht in unserem Sinne sind. Gerade in Mangelfällen sollte es nicht dazu kommen, das der Mangel noch größer wird. Vor allem im Interesse der vielen betroffenen Kinder freue ich mich auf die weitere Beratung. Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz: Vor einer Woche wurde im Bundestag das Gesetz zur Ein- führung des Elterngeldes auf den Weg gebracht. Es wird dafür sorgen, dass junge Frauen und Männer ihren Wunsch nach Kindern und ihren Wunsch nach einem er- folgreichen Arbeitsleben künftig besser miteinander ver- binden können. Heute leiten wir ein weiteres wichtiges Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4219 (A) (C) (B) (D) Projekt unserer Familienpolitik ein: die Modernisierung des Unterhaltsrechts. Das Unterhaltsrecht entscheidet darüber, welches Maß an finanzieller Solidarität Familienangehörige von- einander erwarten können. Es regelt einen zentralen As- pekt familiärer Verantwortung. Mit unserer Reform sor- gen wir dafür, dass künftig das Wohl des Kindes im Mittelpunkt des Unterhaltsrechts steht. Unser Ziel ist es, die Situation der minderjährigen Kinder zu verbessern. Auf sie nimmt das geltende Recht zu wenig Rücksicht. 26 Prozent aller Familien bestehen heute aus Alleiner- ziehenden und nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit ihren Kindern. Dieser Tatsache müssen wir auch im Unterhaltsrecht besser Rechung tragen. Es ist schließlich ein erheblicher Unterschied, ob ein Kind in dem Be- wusstsein, von seinen Eltern versorgt zu werden oder aber von Sozialhilfe zu leben, aufwächst. Der Gesetzent- wurf stellt deshalb klar: In Mangelfällen hat der Kindes- unterhalt künftig Vorrang vor allen anderen Unterhalts- ansprüchen. Jeder weiß, dass die Kindererziehung häufig leidet, wenn die elterliche Betreuung zu kurz kommt. Wir wer- den deshalb auch die Unterhaltsansprüche von den El- ternteilen aufwerten, die ein Kind betreuen. Sie sollen künftig privilegiert im zweiten Rang stehen. Im Interesse der Kinder verbessern wir dabei auch die Stellung der Mutter, die nicht mit dem Vater verheiratet ist. Für die Kinder ist es egal, ob zwischen Mutter und Vater eine Ehe bestand oder nicht. Eine gute Betreuung brauchen sie in jedem Fall Ein dritter Aspekt des gesellschaftlichen Wandels auf den wir reagieren, ist die Scheidungsquote. Sie ist in den letzten Jahren beständig gestiegen. Andererseits gründen immer häufiger Menschen nach einer gescheiterten Be- ziehung eine neue Familie. Daraus entstehen die so ge- nannten Patchworkfamilien, die heute keine Seltenheit mehr sind. Auch diese neuen Familien brauchen finan- ziell eine Chance; deshalb können wir beim Unterhalt nach einer Scheidung nicht so weitermachen wie bisher. Wir müssen die finanzielle Eigenverantwortung nach ei- ner gescheiterten Ehe stärken und sie auch ausdrücklich im Gesetz verankern. Ich meine, das ist auch im Sinne der Betroffenen. Bei allen Schwierigkeiten, die es gibt: Eine klare Perspektive für die Zukunft bekommen die Betroffenen auch dadurch, dass sie so schnell wie mög- lich wieder auf eigenen Beinen stehen und nicht mehr von Unterhaltszahlungen abhängig sind. Durch eine Än- derung des Gesetzes wollen wir den Richterinnen und Richtern deshalb mehr Möglichkeiten geben, den Unter- haltsanspruch zu begrenzen – zeitlich und in seiner Höhe. Wir haben in der Vergangenheit häufig – oft einver- nehmlich – über die Notwendigkeit einer Reform des Unterhaltsrechts diskutiert. Viele Menschen warten da- rauf, dass der Gesetzgeber endlich handelt. Ich meine, mit dem Gesetzentwurf liegt jetzt eine solide Grundlage für die weiteren Beratungen vor. Ich würde mich freuen, wenn wir hier zu einer gemeinsamen Lösung kommen würden. Anlage 30 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Ge- setzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft (Tagesordnungspunkt 27) Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): Dass das Urheberrecht den veränderten Bedingungen der Infor- mationsgesellschaft weiter angepasst werden muss, ist unstrittig. Strittig aber ist, wie es dabei zu einem fairen Ausgleich der Interessen von Kreativen, Verwertern und Nutzern kommen kann. Der vorliegende Entwurf leistet dies unserer Auffassung nach nicht. Wir können ihm in der vorliegenden Fassung nicht zustimmen. Die Folgen für die verschiedenen Gruppen der Betroffenen müssen erneut bedacht und diskutiert werden. Darauf sind wir durch eine Flut von Stellungnahmen aufmerksam ge- macht worden. Besonders problematisch sind die Folgen für die Urheber. Wir halten deshalb eine Anhörung für dringend notwendig. Die Urheber müssen nun auch bei diesem Gesetzent- wurf, wie schon beim Folgerecht, gravierende Einbußen hinnehmen. Das ist nicht zu akzeptieren. Die vorgesehe- nen Neuregelungen zu den gesetzlichen Vergütungsan- sprüchen – §§ 54, 54 a RegE – und zu den unbekannten Nutzungsarten – § 31 Abs. 4 UrhG, §§ 31 a und 32 c RegE – führen zweifelsfrei zu einer Schlechterstellung der Kreativen. Wir erinnern daran, dass es ein Urheber- recht ist und auch bleiben sollte, um das es hier geht. Wir sehen in dem Entwurf einen enteignungsgleichen Eingriff in die Rechte der Urheber und ein Geschenk an die Geräteindustrie. Das Anliegen des Urheberrechtes, die Kreativen an der multimedialen Nutzungsmöglich- keit ihrer Werke zu beteiligen und ihnen eine angemes- sene Vergütung ihrer Leistungen zu gewährleisten, wird damit infrage gestellt. Mit diesen Regelungen wird unserer Auffassung nach ein „Systemwechsel“ im Urheberrecht eingeleitet. Das Urheberrecht, dass das Recht der Kreativen schützen soll, wird immer stärker den wirtschaftlichen Interessen der Kulturindustrie angepasst. Der Schutzgedanke des Urheberrechts wird aufgegeben und die Lösung des Inte- ressenkonflikts zwischen Urhebern, Verwertern und Ver- brauchern dem freien Spiel des Marktes überlassen. Dass die ökonomisch Schwächeren, die Kreativen, dabei verlieren müssen, liegt auf der Hand. Wir werden uns deshalb mit unserer Kritik und unseren Änderungsvor- schlägen insbesondere auf diese beiden Rechtskomplexe konzentrieren. Mit dieser Neuregelung zur Vergütungsabgabe wird das verfassungsrechtliche Gebot einer angemessenen Vergütung der Urheber und Leistungsberechtigten in sein Gegenteil verkehrt. Bei jedem Speichermedium muss zunächst nachgewiesen werden, dass zu mehr als 10 Prozent urheberrechtsrelevante Kopien angefertigt werden, bevor eine Vergütungsabgabe überhaupt greift. Außerdem sind jahrelange Rechtsstreitigkeiten program- miert. Die Vergütung für eine zunehmende Zahl von Vervielfältigungen wird an sinkende Gerätepreise 4220 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) gekoppelt und damit beschränkt. Die Deckelung der Pauschalvergütung auf fünf Prozent des Speichermedi- umspreises führt zu einer deutlichen Schlechterstellung der Urheber. Wir werden die Bundesregierung deshalb auffordern, diese Regelung grundsätzlich zu verändern. Ebenso wenig können wir akzeptieren, dass zukünftig Verwertungsverträge über „unbekannte Nutzungsarten“ geschlossen werden können und damit Urheber gezwun- gen sind, zu einer und derselben Vergütung auch neue Nutzungsmöglichkeiten abzutreten. Die Aufhebung des bislang in § 31 Abs. 4 UrhG geltenden generellen Ver- bots für die Einräumung „unbekannter Nutzungsrechte“ ist ein schwerwiegender Eingriff in die ökonomische Entscheidungsfreiheit des Urhebers. Wir lehnen sie des- halb ab. Bei der Festlegung der Vergütungshöhe sehen wir den Staat nach wie vor in der Verantwortung, ein schnelles und klares Verfahren vorzuschlagen, das Rechtssicher- heit für die Rechteinhaber und Nutzer gewährleistet. Wir plädieren dafür, die Vergütungshöhe durch Gesetz oder Rechtsverordnung festzulegen. Die Höhe sollte jeweils den veränderten Bedingungen angepasst werden. Im zweiten Vergütungsbericht der Bundesregierung vom 11. Juli 2000 wurde ausdrücklich auf die Notwendigkeit einer Anhebung der gesetzlichen Vergütungssätze hinge- wiesen. Zweifellos gibt es auch positive Punkte in diesem Entwurf. Die Privatkopie bleibt erhalten. Das ist uns wichtig. Allerdings nur bei nicht kopiergeschützten Wer- ken. Das Umgehen des Kopierschutzes bleibt verboten und strafbar. Wir werden uns als Fraktion in der nächsten Zeit auch intensiv mit den Folgen für die Nutzer und Nutzerinnen im privaten Bereich wie im Bereich der Bildung, Wis- senschaft und Kultur beschäftigen. Unser besonderes Anliegen ist es, einen sozial gleichen Zugang zu den mo- dernen Informations- und Kommunikationstechnolo- gien zu sichern. Gleicher Zugang und gleiche Teilhabe aller an Bildung und Informationen sind ein Menschen- recht. Sie sind auch Bedingung für Wissenschaftsent- wicklung. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme dazu eine Reihe von Empfehlungen gegeben, die wir in unsere Überlegungen einbeziehen werden. So hat er auf die Entfristung des § 52 a UrhG hingewiesen, die auch aus unserer Sicht dringend notwendig ist. Mit dem nun beschlossenen Folgerecht ist die Befristung bis 2008 verlängert worden. Dann wird neu zu diskutieren sein. Wir sprechen uns mit Blick auf die wachsende Bedeu- tung der neuen Informations- und Kommunikationstech- nologien in den Schulen und Hochschulen für einen Er- halt dieser Regelung aus – ohne Befristung. Erforderlich aber ist auch, dass die zur Zahlung einer angemessenen Vergütung Verpflichteten dieser Pflicht tatsächlich nach- kommen. Wir übersehen also die positiven Punkte des Entwurfs nicht, können ihm aber vor allem wegen der gravieren- den Schlechterstellung der Urheber in seiner Gesamtheit nicht zustimmen. Anlage 31 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts (Tagesordnungspunkt 28) Kai Wegner (CDU/CSU): Das Gesetz zur Neurege- lung des Versicherungsvermittlungsrechts dient der Um- setzung der entsprechenden Richtlinie des Europäischen Parlaments. Das ist ein Thema, das die Bundesregierung bereits seit geraumer Zeit beschäftigt. Ziel dieser Richtlinie ist es, die Qualität der Beratung zu verbessern und somit die Interessen der Verbraucher durch eine Registrierpflicht der Vermittler und eine ein- heitliche Normierung der Informations- und Dokumen- tationspflichten zu stärken. Dies muss aber mit dem not- wendigen Fingerspitzengefühl geschehen, da die Vermittler für die Versicherungsbranche den bei weitem größten Umsatz erzielen. Weit über 90 Prozent des Um- satzes wird auf diese Art und Weise erzielt und das soll auch in Zukunft so bleiben. Dennoch besteht Handlungs- bedarf. Zurzeit unterliegt die Versicherungsvermittlung kei- ner Berufszugangsschranke. Sie ist lediglich eine ge- werbliche Tätigkeit im Sinne der Gewerbeordnung. Dies bedeutet, dass ein Versicherungsvertreter seine Tätigkeit nur gegenüber der zuständigen Behörde vor Ort, dem Gewerbeaufsichtsamt, melden muss. Ob er allerdings die fachliche Qualifikation dazu besitzt, auch eine ordentli- che Beratung durchzuführen, spielt dabei bislang leider keine Rolle. Dies wird sich mit der Umsetzung der Richtlinie ändern. Um zum Versicherungsvermittler zu- gelassen zu werden, müssen zukünftig entsprechende Fähigkeiten hierzu nachgewiesen werden. Was beinhaltet dieses Gesetz eigentlich? Hier die wichtigsten Punkte in Kürze: Wie bereits angeklungen, wird die Versicherungsver- mittlung in ein erlaubnispflichtiges Gewerbe umgewan- delt. Es wird in Zukunft nicht mehr ausreichen, sich ein- fach bei der zuständigen Behörde anzumelden. Die Industrie- und Handelskammern sollen künftig über ent- sprechende Anträge entscheiden müssen. Wer in Zukunft Versicherungen vermitteln will, der muss eine entspre- chende Qualifikation nachweisen. Dies wird zu einer hö- heren Qualität der Beratungen und damit zu mehr Ver- braucherfreundlichkeit führen. Durch die Normierung der Informations- und Doku- mentationspflicht des Vermittlers gegenüber dem Kun- den sollen möglichst einheitliche Standards auf diesem Sektor erreicht werden. Auch das wird in vielen Fällen die Qualität der Beratung erhöhen. Entscheidend für die Zulassung sind weiter geordnete Vermögensverhältnisse und ein guter Leumund sowie eine Berufshaftpflichtversicherung; denn gerade bei der Vermittlung von Versicherungen, was ein sehr komple- xes Thema ist, bei dem die meisten Verbraucher auf eine gute Beratung angewiesen sind, kommt es darauf an, dass man demjenigen, der einen berät, auch wirklich ver- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4221 (A) (C) (B) (D) trauen kann. Wie schnell ist ein Vertrag abgeschlossen, den man hinterher bereut, da entweder der Preis zu hoch oder die Leistung zu schlecht ist. Das Gesetz sieht zudem vor, so genannte Schlich- tungsstellen einzuberufen. Diese Stellen können vom zu- ständigen Bundesministerium der Justiz bestellt werden und dienen dazu, eventuelle Streitfälle zwischen Versi- cherungsvermittlern und Versicherungsnehmern außer- gerichtlich zu lösen. Dies beschleunigt die Verfahren un- gemein und senkt gleichzeitig die Kosten eines solchen Verfahrens. Natürlich ist eine Normierung für die Berater mit ei- nem höheren Aufwand verbunden. Allerdings muss auf der anderen Seite auch berücksichtigt werden, dass zum einen die Qualität der Beratungen und damit die Ver- braucher- und Kundenfreundlichkeit steigt, zum anderen Rechtsstreitigkeiten aufgrund der gestiegenen Qualität tendenziell eher vermieden werden, was auch zur Kos- tensenkung beiträgt. Von beidem wird letztlich die Bran- che selbst profitieren und ihren, zumeist zu Unrecht, ramponierten Ruf aufpolieren können. Unser Ziel ist die Stärkung der beiden Seiten: der Ver- sicherten und der Versicherer. In diesem Sinne ist es nicht zielführend, die Versicherungsvermittlungsbranche undifferenziert mit einer Erlaubnispflicht zu überziehen. Deshalb werden die so genannten gebundenen Vertreter, die mit einem Versicherungsunternehmen einen Agen- turvertrag haben, von der Erlaubnispflicht befreit, sofern das Versicherungsunternehmen die uneingeschränkte Haftung für sie übernimmt. Dies betrifft mit immerhin circa 400 000 Vertretern die weitaus größte Zahl der Be- troffenen. Um die mit jeder Erlaubnispflicht verbundene Büro- kratie so gering wie möglich zu halten, wird für Vermitt- ler von Versicherungen, die an ein bestimmtes Produkt gebunden sind, ein vereinfachtes Zulassungsverfahren eingeführt. Dies gilt zum Beispiel für Kfz-Händler, die mit dem Auto gleich eine entsprechende Versicherung verkaufen. Hierdurch werden die Eingriffe in die beste- henden Vermittlungsstrukturen so gering wie möglich gehalten werden. Ich halte es für eine gute Entscheidung, den Industrie- und Handelskammern in Zukunft die Kompetenz über die Erlaubnisanträge zu übertragen. Zum einen können sie aufgrund ihrer dezentralen Struktur die Antragsstel- lung direkt vor Ort vornehmen. Zum anderen besteht eine erstklassige Vernetzung der einzelnen Stellen unter- einander, sodass sie zu einer zentralen Registrierung pro- blemlos in der Lage sind. Deshalb sind Überlegungen, die Berufszulassung könnte von einem branchenübli- chen Verein übernommen werden, verworfen worden. Aufgrund der Vielzahl der Interessen betroffener Ver- bände – Makler, Ausschließlichkeitsvertreter, Großban- ken etc. – erscheint es wenig aussichtsreich, die notwen- dige Neutralität einer solchen Fachaufsicht zu gewährleisten. Darüber hinaus sprechen ordnungspoliti- sche Bedenken dagegen. Das Ziel dieser EU-Richtlinie ist, eine möglichst ein- heitliche Reglung für die gesamte Europäische Union zu schaffen. Die Harmonisierung der Standards soll den grenzüberschreitenden Dienstleistungswettbewerb för- dern und das ist zu begrüßen. Ein Versicherungsvertreter, der in seinem Heimatland registriert ist, wird zukünftig problemlos seine Dienste in allen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union anbieten dürfen. Gleichzeitig wird zum Wohle des Kun- den die Qualität und Kundenfreundlichkeit in Europa auf einem hohen Niveau angeglichen. So wird ein Kunde in Athen eine ähnliche Beratung erhalten wie einer in Ber- lin oder Amsterdam. Zusammenfassend lässt sich sagen: Der vorliegende Gesetzentwurf bietet sowohl für Kunden als auch für Anbieter Vorteile. Der Schlüssel dazu ist ein Zugewinn an Verbraucher- und Kundenfreundlichkeit. Die stei- gende Qualität der Beratungen wird nicht nur dem Kun- den dienen, sondern auch dazu führen, teilweise verlore- nes Vertrauen in die Branche wieder aufzubauen. Es wird Zeit, dass sich die Versicherungsbranche von ih- rem, in den meisten Fällen unverdienten, schlechten Image erholt. Durch die weitestgehende Angleichung in allen Mit- gliedstaaten der Europäischen Union erhalten die Versi- cherungsvertreter die Möglichkeit, auch in anderen Staa- ten ihre Dienste anzubieten. Dabei liegt es nicht in unserem Interesse, die Branche durch Überregulierung zu lahmen. Vielmehr sollten wir dieses Thema mit der nötigen Sensibilität und mit Augenmaß behandeln. Da- her halte ich es für sinnvoll, nach der Sommerpause eine Expertenanhörung durchzuführen, um die Interessen der Betroffenen entsprechend berücksichtigen zu können. Christian Lange (Backnang) (SPD): Das vorgelegte Gesetz dient der Umsetzung der Richtlinie 2002/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. De- zember 2002 über Versicherungsvermittlung. Die Richt- linie, die den Verbraucherschutz und die Harmonisie- rung des Vermittlermarktes zum Ziel hat, hätte von Deutschland bis 15. Januar 2005 in nationales Recht um- gesetzt werden müssen, sodass nun Eile geboten ist. Zu der Verzögerung kam es vor allem durch den anhalten- den Widerstand der Länder gegen das vorgeschlagene Konzept zur Umsetzung der Richtlinie. Inzwischen zei- gen sich aber auch die Länder bereit, das vorgestellte Grundkonzept zu akzeptieren, sodass wir nun doch zu einer hoffentlich zügigen Verabschiedung der Neurege- lung kommen werden. Denn es geht nicht nur darum, der Pflicht zur Umset- zung der EU-Richtlinie zu genügen, sondern es geht um Verbraucherschutz – die Verbraucher sollen durch die Registrierungspflicht und die Normierung der Informa- tions- und Dokumentationspflichten des Vermittlers ge- schützt werden – und darum, die deutschen Versiche- rungsvermittler fit zu machen gegen die europäische Konkurrenz. Die Tätigkeit des Versicherungsvermittlers in einem zusammenwachsenden Europa wird harmoni- siert, und grenzüberschreitende Vermittlungen werden vereinfacht. 4222 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Vonseiten der Versicherungsvermittler wird die beruf- liche Aufwertung, die mit einer Erlaubnispflicht einher- geht, auch sehr geschätzt. Denn es geht auch darum „schwarze Schafe“ aus diesem Gewerbe herauszufiltern. Das dient den Verbrauchern, aber auch den vielen seriö- sen und kompetenten Vermittlern und Beratern in dieser Branche. Den Vorgaben der Richtlinie entsprechend wird der bislang frei zugängliche Beruf des Versicherungsver- mittlers einer Erlaubnis unterworfen. Es ist vorgesehen, dass die Industrie- und Handelskammern Erlaubnis- und Registrierungsstellen für die circa 500 000 einzutragen- den Versicherungsvermittler werden. Damit einher ge- hen Vorschriften über die Qualifikation von Vermittlern, eine Kundengeldsicherung, eine obligatorische Berufs- haftpflichtversicherung sowie Beratungs-, Informations- und Dokumentationspflichten gegenüber dem Kunden. Nach der Richtlinie waren auch die bisher im Rechtsbe- ratungsgesetz geregelten Versicherungsberater in das neu geschaffene System für Versicherungsvermittler zu integrieren. Das heißt, Versicherungsberater müssen sich ebenfalls registrieren lassen und bedürfen nun einer Er- laubnis der IHK, wobei die Anforderungen denen für Versicherungsvermittler entsprechen. Auch die für Ver- sicherungsmakler geltenden Berufsausübungsvorschrif- ten, insbesondere die Beratungs-, Dokumentations- und Informationspflichten, gelten entsprechend für Versiche- rungsberater. Bislang unterliegt die Versicherungsver- mittlung keinerlei Berufszugangsbeschränkungen. Er ist nur zur Anzeige seiner Tätigkeit gemäß § 14 Gewerbe- ordnung verpflichtet. Wichtig ist uns bei der Umsetzung der Richtlinie vor allem, dass das Gesetz zur Neuregelung des Versiche- rungsvermittlerrechts und die Verordnung über die Ver- sicherungsvermittlung den zwangsläufig entstehenden bürokratischen Aufwand auf ein Minimalmaß be- schränkt und dabei das Gleichgewicht zwischen den Ver- braucherschutzzielen und den Interessen der Wirtschaft wahrt. Ich bin zuversichtlich, dass dies gelungen ist. Die Regelungen im Einzelnen. Grundsätzlich bedür- fen alle Versicherungsvermittler nach dem neuen § 34 d der Gewerbeordnung, GewO, einer Erlaubnis der IHK und müssen sich dort registrieren lassen. Sie sind auch für den Widerruf und die Rücknahme der Genehmigung zuständig. Die IHKs bedienen sich für die Registerfüh- rung des DIHK als gemeinsamer Stelle. Versicherungsvermittler sind unter Bußgeldbeweh- rung verpflichtet, sich in das Vermittlerregister eintragen zu lassen. Außerdem werden die Versicherungsunterneh- men verpflichtet, nur mit Vermittlern zusammenzuarbei- ten, die in das Register für Versicherungsvermittler eingetragen sind. Erlaubnisvoraussetzungen sind Zuver- lässigkeit, Abschluss einer Berufshaftpflichtversiche- rung sowie Sachkundenachweis. Der Sachkundenachweis wird durch eine IHK-Prü- fung erbracht, die der bereits seit 1991 von der Branche etablierten Ausbildung zum Versicherungsfachmann/- frau des Berufsbildungswerks der Deutschen Versiche- rungswirtschaft, BWV, entspricht. Dazu haben DIHK und BWV bereits einen Rahmenvertrag abgeschlossen. Gleichwertige staatliche Abschlüsse werden anerkannt. Versicherungsvermittler, die schon seit dem 31. August 2000 tätig waren, genießen Bestandsschutz. Jeder Ver- mittler hat dafür zu sorgen, dass auch seine angestellten Vermittler angemessen qualifiziert und zuverlässig sind. Die circa 400 000 Vermittler, die ausschließlich an ein Versicherungsunternehmen gebunden sind – so ge- nannte Ausschließlichkeitsvertreter –, können von der Erlaubnis befreit werden, wenn sie über eine uneinge- schränkte Haftungsübernahme des Versicherers verfü- gen. Die Verantwortung für die Zuverlässigkeit und die Qualifikation übernimmt dann der jeweilige Versicherer. Für produktakzessorische Vermittler, wie zum Beispiel Autohändler, ist ein vereinfachtes Zulassungsverfahren vorgesehen. Grundsätzlich muss ein Makler als Sachwalter des Kunden seinen Rat auf eine hinreichende Zahl von auf dem Markt angebotenen Versicherungsverträgen und Versicherern stützen, die er im Wege einer objektiv aus- gewogenen Marktuntersuchung zu ermitteln hat. Ver- tragsspezifische anlassbezogene Beratungs-, Informa- tions- und Dokumentationspflichten sowie die Haftung für eine Falschberatung werden normiert. Alle Vermitt- ler, die nicht auf dieser Grundlage beraten, haben dem Kunden die Namen der ihrem Rat zugrunde gelegten Versicherer anzugeben. Der Vermittler muss dem Kunden noch vor Beginn des Beratungsgespräches mitteilen, ob er als Versiche- rungsmakler, als Versicherungsvertreter oder Versiche- rungsberater tätig ist. Durch Normierung dieser statusbe- zogenen Informationspflichten in der Verordnung über die Versicherungsvermittlung soll dem Kunden schon vor Beginn der Beratung größtmögliche Transparenz er- möglicht werden. Grundsätzlich müssen Versicherungs- vermittler, die Zahlungen der Kunden annehmen, ohne dazu bevollmächtigt zu sein, in Anlehnung an die Mak- ler- und Bauträgerverordnung eine Sicherheit stellen. Die Versicherungswirtschaft wird als Beschwerde- und Schlichtungsstelle privatrechtlich organisierte Ombuds- leute schaffen, was ich sehr begrüße. Ich bin zuversichtlich, dass die notwendige Umset- zung der europäischen Vermittler-Richtlinie in deutsches Recht mit geringstmöglichen bürokratischen Aufwand gelungen ist. Der Verbraucherschutz wird gestärkt, Ver- braucher erhalten mehr Transparenz in dem bislang eher unübersichtlichen Vermittlermarkt. Und nicht nur die Verbraucher haben etwas davon! Auch die Versiche- rungswirtschaft profitiert. Schwarze Schafen haben zu- künftig in dieser Branche keine Chance – das stärkt das Ansehen dieses Berufsbildes. Gleichzeitig vereinfachen wir grenzüberschreitende Vermittlungen und machen da- mit die Versicherungswirtschaft europafest. Martin Zeil (FDP): Bislang kann sich jeder, der sich dafür interessiert und sich dies zutraut, in Deutschland Versicherungsvermittler bzw. -makler werden. Die EU- Richtlinie über Versicherungsvermittlung zielt darauf ab, dies zu ändern. Sie will dadurch den Verbraucherschutz stärken und eine Harmonisierung des EU-Vermittler- marktes erreichen. So weit, so gut Die Umsetzung der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4223 (A) (C) (B) (D) Richtlinie durch die Bundesregierung bedarf jedoch noch einiger Nachbesserungen, Im Gesetzentwurf wird als Berufsvoraussetzung eine Sachkundeprüfung, der Abschluss einer Berufshaft- pflichtversicherung, eine Informations- und Dokumenta- tionspflicht für Beratungsgespräche sowie die Registrie- rung der Vermittler in einem zentralen Register gefordert. Das ist auf den ersten Blick alles vernünftig und einsehbar. Sieht man genauer hin, stellen sich aber einige grundsätzliche Fragen. Warum? Weil wichtige Vorschriften des Gesetzent- wurfs nur für die ungebundenen Vermittler und Makler gelten, die gebundenen aber aussparen. Das ist eine fak- tische Ungleichbehandlung, die so nicht akzeptabel ist. Dies würde den eigentlichen Zweck des Gesetzentwurfs, nämlich die Verbesserung des Verbraucherschutzes, kon- terkarieren. Es darf nicht sein, dass durch eine gesetzli- che Regelung, die erklärtermaßen den Verbraucher- schutz stärken will, gerade diejenigen benachteiligt und in ihrer Marktposition geschwächt werden, die objektiv sind bei der Versicherungsvermittlung, nämlich die Makler und ungebundenen Vermittler. Wenn der Bundesregierung tatsächlich an einer durchgreifenden Qualitätsverbesserung gelegen ist, dann sollte sie die geforderte Mindestqualifikation für alle Versicherungsvermittler verbindlich machen und nicht nur für die ungebundenen. Tut sie dies nicht, könnte sich zum Beispiel ein bislang ungebundener Vermittler einer Ausschließlichkeitsorganisation anschließen, um seine Kunden fortan ohne Sachkundenachweis zu beraten. Dieses Schlupfloch würde die angestrebte Qualitätssi- cherung ad absurdum führen. Ohne einheitliche Regeln kommt es darüber hinaus zu einer klaren Wettbewerbsverzerrung zulasten derjenigen, für die die Mindestqualität eine Markteintrittsbarriere darstellt. Das aber kann die Bundesregierung nicht wol- len! Zudem besteht die Gefahr, dass zahlreiche ungebun- dene Vermittler und Makler aufgeben müssen. In Groß- britannien sind nach der Umsetzung der Richtlinie rund zwei Drittel aller Vermittler vom Markt verschwunden. Eine derartige Ausdünnung des Angebots kann nicht im Sinne des Verbrauchers sein! Unverständlich ist zudem, dass sich die Inhalte der Sachkundeprüfung nahezu ausschließlich an der Qualifi- kation des Versicherungsfachmanns des Berufsbildungs- werks der Deutschen Versicherungswirtschaft, aber kaum an den Bedürfnissen der Makler orientieren, die ja von der Neuregelung besonders betroffen sind und deren Beratungsansatz zum Teil deutlich von dem der gebun- denen Versicherungsvertreter abweicht. Warum sich laut Gesetzentwurf die Prüfungskommis- sion ausschließlich aus Vertretern der Versicherungswirt- schaft zusammensetzt, bleibt ebenfalls ein Rätsel. Ange- messener und gerechter wäre es, sie paritätisch auch mit Versicherungsmaklern zu besetzen. Ohne eine Veränderung des Gesetzes in diesen beiden Punkten kommt es zu der absurden Situation, dass die Inhalte von nicht gebundenen Vermittlern sich am Be- rufsbild des gebundenen Versicherungsvertreters orien- tieren, der aber qua Gesetz von der Prüfung ausgeschlos- sen ist. Im Gesetz heißt es, dass ein erfolgreiches Studium an einer Hochschule oder Berufsakademie einer Sachkundeprüfung gleichkommt, wenn es von der IHK anerkannt wird. Praktikabler und daher sinnvoller wäre sicherlich eine bundesweit einheitliche Anerkennung al- ler akademischer Titel mit wirtschaftlichem und juristi- schem Hintergrund, weil eine Einzelfallentscheidung je- der IHK zu einem hohen bürokratischen Aufwand sowie zu großen regionalen Unterschieden führen würde. Überlegenswert ist auch, ob die Sachkundeprüfung statt über IHK bzw. DIHK nicht besser über ein unab- hängiges Gütesiegel geregelt werden sollte. Durch diese Art der Selbstverpflichtung, die sich im Immobilienbe- reich bereits bewährt hat, ist für den Verbraucher klar er- sichtlich, ob der Vermittler eine Sachkundeprüfung ab- solviert, eine Berufshaftpflicht abgeschlossen und im Auftrag des Kunden oder im Auftrag eines Versicherers als gebundener Vermittler tätig ist. Wichtig erscheint mir auch, eine flexible Regelung für die Anerkennung der teilweise hohen Standards der Sachkundeprüfung, die es heute schon gibt, zu finden. Systemfremd und daher kritikwürdig ist an dem Ge- setzentwurf die Einbeziehung des Berufs des Versiche- rungsberaters. Da seine Dienstleistung einzig und allein auf die Beratung und nicht, wie bei einem Vermittler, auf den Abschluss eines Vertrages ausgerichtet ist, hat er in einem Vermittlergesetz nichts zu suchen. Deshalb sollte die berufsrechtliche Verankerung des Versicherungsbe- raters auch künftig im Rechtsberatungsgesetz verblei- ben. Noch ein paar Worte zum Thema Registrierung, die zu begrüßen ist, weil sie den Markt vor schwarzen Scha- fen schützt. Nach den Plänen der Bundesregierung soll täglich eine Liste mit gelöschten Registrierungsnum- mern der Vermittler entstehen. Unverständlicherweise soll sie aber ausschließlich Versicherungsunternehmen zugänglich gemacht werden. Hier wird, wie bei der Sachkundeprüfung, ebenfalls mit zweierlei Maß gemes- sen und Makler sowie nicht gebundene Versicherungs- vertreter deutlich benachteiligt. Genauso wie die Versi- cherer können sie für die Qualität ihrer Vermittler nur dann garantieren, wenn sie Zugang zu den Daten des Re- gisters haben. Ich fordere daher die Bundesregierung nachdrücklich auf, dies durch das Gesetz sicher zu stel- len. Auch bezüglich der Haftpflichtversicherung ist der Gesetzentwurf nicht stimmig. So soll es gestattet sein, dass das Versicherungsunternehmen die Haftung für ei- nen Vertreter übernimmt. Kommt es tatsächlich zu einer Schadensersatzforderung, wird es für den Kunden aber unter Umständen schwierig, den Versicherer anstelle des einzelnen Vermittlers und dessen Berufshaftpflichtversi- cherung in Regress zu nehmen, zum Beispiel, wenn es sich um kleine Versicherer handelt, die sich in wirt- schaftlichen Schwierigkeiten befinden. Zudem stellt diese Regelung eine Wettbewerbsverzerrung dar, weil unabhängige Makler im Gegensatz zu einem Versicherer für jeden Vermittler die Prämie zur Berufshaftpflichtver- sicherung aufbringen müssen. Aus diesen Gründen wäre 4224 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) es angebracht, die Pflicht zum Abschluss einer Berufs- haftpflichtversicherung für jeden einzelnen Vermittler verbindlich vorzuschreiben. Zum Abschluss möchte ich noch auf das Thema Bera- tung eingehen. Laut Gesetzentwurf besteht die Möglich- keit, durch Vereinbarung auf die eigentlich vorgeschrie- bene Beratung und Dokumentation zu verzichten. In diesem Fall muss der Vermittler allerdings den Kunden ausdrücklich darauf aufmerksam machen, dass sich ein Verzicht nachteilig auf die Möglichkeit auswirken kann, Schadenersatz geltend zu machen. Die Intention des Gesetzgebers ist es, den Bürokratie- aufwand in Grenzen zu halten. Um dies zu erreichen, könnte die vorliegende gesetzliche Regelung noch etwas verschlankt werden. Damit der Beratungsverzicht effizi- ent und ohne großen Aufwand erfolgen kann, muss dies auch auf elektronischem Wege und als Bestandteil des Beratungsprotokolls möglich sein. Dass der Verzicht Ge- genstand einer gesonderten Vereinbarung in einem eige- nen Dokument sein muss, ist eindeutig überzogen. Der Regierungsentwurf sieht vor, dass gewisse Ver- mittlertätigkeiten aufgrund ihres unbeachtlichen Um- fangs, ihres geringen Risikos sowie der geringen Höhe der Versicherungsprämie, wie zum Beispiel durch Reise- kaufleute vermittelte Reiserücktrittsversicherungen, von der Berufszulassung ausgenommen sind. Nicht entbun- den sind sie laut Gesetz allerdings von der Pflicht zur Beratung und Dokumentation, also den zivilrechtlichen Pflichten des Gesetzes. Das ist ebenso unverhältnismä- ßig wie überflüssig und geht zudem auch klar über die Vorgaben der Richtlinie hinaus. Hier besteht im Gesetz- entwurf Änderungsbedarf. Da die praktische Umsetzung des Gesetzes nicht übers Knie gebrochen werden kann und viele bereits jetzt tätige Vermittler noch keine Sachkundeprüfung ab- gelegt haben und diese nachholen müssen, reicht die im Entwurf vorgesehene einjährige Übergangsfrist für das In-Kraft-Treten nicht aus und sollte auf zwei Jahre ver- längert werden. Insgesamt gesehen zielt der Gesetzent- wurf in die richtige Richtung, enthält aber eine ganze Menge Punkte, die überarbeitet und verbessert werden sollten. Ulla Lötzer (DIE LINKE): Das entscheidende Manko des durch die Bundesregierung vorgelegten Gesetzent- wurfs besteht darin, dass im Titel zwar von Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts die Rede ist, die Bun- desregierung offenbar im Wesentlichen aber bemüht ist, alles beim Alten zu lassen. An den bestehenden klein- gliedrigen Vertriebsstrukturen im Versicherungswesen soll im Kern nicht gerührt werden, obgleich diese Struk- turen sich in verschiedener Hinsicht als ineffizient und unwirtschaftlich darstellen. Sie sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass viele Menschen und viele Familien erhebliche Schwierigkeiten haben, den für sie passenden Versicherungsschutz zu finden und nicht angemessen versichert sind. Für die betroffenen Verbraucher entste- hen so Jahr für Jahr Verluste in Milliardenhöhe. Es ist symptomatisch für die Politik der Bundesregie- rung, dass sie einerseits oftmals mehr Markt dort fordert und fördert, wo es weder im Interesse der gesellschaftli- chen Mehrheit noch ein Gebot gesamtwirtschaftlicher Vernunft ist, wie in der Bildung, der Daseinsvorsorge oder im Gesundheitswesen, und andererseits dort, wo die Schaffung von marktlichen Bedingungen tatsächlich ge- boten wäre, um faire Verhältnisse zu schaffen, konse- quent versagt. Aufgrund der hohen Intransparenz des Marktes und der Informationsasymmetrien zwischen Versicherungsanbietern und -nachfragern bestimmt bis heute vor allem die Höhe der durch die Unternehmen an die Vermittler gezahlte Provision die Beratung und den Absatz von Versicherungen. Der tatsächliche Bedarf der Kunden oder gar der Vergleich von Qualitäts- und Preis- standards der Versicherungsprodukte spielen nur eine unmaßgebliche Rolle. Die Verbraucherzentrale schätzt, dass den rund 200 tatsächlich unabhängigen und auf Ho- norarbasis arbeitenden Versicherungsberatern in Deutschland rund eine halbe Million Versicherungsver- mittler gegenüberstehen. Deren fachliche Qualifikation ist oftmals gering, zumindest aber sehr uneinheitlich. Vor allem aber berät und vermittelt ein großer Teil von ihnen zu Bedingungen, die überwiegend durch die Versi- cherungsunternehmen vorgegeben sind. Es geht hier folglich um Geld, um viel Geld. Das Geld, das die Verbraucherinnen und Verbraucher auf- grund der falschen Anreizstruktur für überteuerte oder unsachgerechte Versicherungsprodukte ausgeben, lan- det schließlich in den Kassen der Versicherungskon- zerne. So ist es denn auch nicht verwunderlich, wenn diese Gesetzesvorlage vor allem Beifall vonseiten der Versicherungswirtschaft und ihrer offensichtlich ein- flussreichen Lobby bekommt. Verbraucherschutz ist aber durchaus auch eine Frage der Verlässlichkeit der Qualifikation derer, die als Makler bzw. als Anlaufstel- len für Kunden auf dem Markt agieren. Hier eine ange- messene Qualifizierung und vergleichbarer Standards zu gewährleisten, war eines der Kernziele der zugrunde lie- genden EU-Richtlinie. Mit dem vorliegenden Gesetzent- wurf wird dieses Ziel jedoch in keiner Weise eingelöst. Die Frage, was als angemessen gilt, wird weder wirklich beantwortet, noch werden Regelungen getroffen, durch die die Unternehmen, die Vermittler einsetzen oder sich ihrer bedienen, eine der Verantwortung der Berufspraxis gemäße Qualifikation sicherstellen müssen. Während für die Ausübung vieler Berufe in Deutsch- land aus guten Gründen eine mindestens dreijährige Aus- bildung vorgeschrieben ist, sollen für die verantwortungs- volle und mindestens für die Kunden unter Umständen folgenreiche Tätigkeit der Versicherungsvermittlung 222 Unterrichtsstunden à 45 Minuten ausreichend sein. Dies sind netto, auf einen Acht-Stunden-Tag gerechnet, knapp 21 Tage, die als ausreichender Qualifizierungszeit- raum gelten sollen. In die Hände einer solchen „Fach- kraft“ würde freiwillig wohl kaum jemand auch nur einen defekten Toaster legen. Die Chance, auf diesem Feld zu verbesserten Bedingungen zu kommen und sachgerechte Anforderungen an Qualifikation und entsprechende öko- nomische Anreize zu setzen, wird ebenso vertan wie die Chance zur Stärkung der anbieterunabhängigen Beratung. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4225 (A) (C) (B) (D) Hier ist die Marktgläubigkeit der Bundesregierung dann offenbar wieder grenzenlos. Stattdessen wäre sie jedoch gefordert, erst einmal klare Rahmenbedingungen und Vorgaben zu setzen, damit ein funktionierender Markt überhaupt entstehen kann. Da er die mit dieser Gesetzesvorlage nicht bekommt, bleibt also alles beim Alten, zugunsten und zur Freude einiger weniger großer Versicherungskonzerne, die davon profitieren und zulas- ten der Privatkunden und Verbraucher. Einmal mehr werden die Möglichkeiten nicht genutzt, Mindeststan- dards im europäischen Rahmen zum volkswirtschaftli- chen Nutzen und zum Wohle der Mehrheit der Men- schen nach oben zu korrigieren. Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit den vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der EG-Versicherungsvermittler-Richtlinie hat das Kabinett versucht, die Brüsseler Richtlinie in deutsches Recht zu gießen. Die Umsetzung war längst überfällig, scheiterte aber stets an den Abstimmungen mit den Ländern. Bisher mussten sich Verbraucherinnen und Verbrau- cher in Deutschland bei dem wichtigen Thema Versiche- rungen damit abfinden, dass viele Versicherungsvermitt- ler gar nicht ausreichend für eine Beratung qualifiziert waren; denn der Beruf des Versicherungsvermittlers war frei zugänglich und verlangte keine Qualifikationsnach- weise. Mit dem Gesetzentwurf soll nun der Beruf des Versi- cherungsvermittlers neu geregelt werden. Der Gesetz- entwurf sieht unter anderem vor, dass Versicherungsver- mittler zukünftig angemessene Qualifikationen nachweisen müssen, bevor sie den Verbraucherinnen und Verbrauchern Versicherungen empfehlen und ver- kaufen. Versicherungsvermittler müssen sich bei der In- dustrie- und Handelskammer registrieren lassen und über eine obligatorische Berufshaftpflichtversicherung verfügen. Außerdem haben sie bestimmte Beratungs-, Informations- und Dokumentationspflichten gegenüber ihren Kunden. Wir halten die Umsetzung der Versicherungsvermitt- ler-Richtlinie für dringend geboten, denn das bisherige Fehlen von Qualifikationsnachweisen, Beratungspflich- ten und Berufsausübungsschranken in diesem Berufsfeld hat dazu geführt, dass es unter den deutschen Versiche- rungsvermittlern schwarze Schafe gab, die ihre Versi- cherungskunden mangelhaft beraten und ihnen teure und oft überflüssige Versicherungen verkauft haben. Allerdings weist der deutsche Gesetzentwurf erhebli- che Mängel auf, die nach wie vor zulasten der Verbrau- cherinnen und Verbraucher gehen. Im Vergleich zur Brüsseler Vorgabe schränkt der deutsche Entwurf die Beratungspflicht dem Kunden gegenüber bedauerlicher- weise erheblich ein. Wichtige Fragen wie die Sachkun- deprüfung, die Haftpflichtversicherung und die Informa- tionspflichten werden gar nicht ausgeführt, sondern auf weitere Rechtsverordnungen vertagt. Insgesamt entsteht der Eindruck, hier wird eine EU-Richtlinie nur formal umgesetzt, die Verbesserung der Verbraucherrechte aber geschoben. Es kann nicht im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher sein, dass sich die Beratungspflichten nach einem angemessenen Verhältnis zwischen Beratungsauf- wand und der vom Kunden zu zahlenden Versicherungs- prämie richten. Denn für den Kunden bedeutet das letzt- lich: Je niedriger die Versicherungsprämie, desto weniger Beratung! Die Bundesregierung geht hier irr- tümlicherweise davon aus, dass die größeren Risiken in den höheren Prämien liegen und berücksichtigt das ab- gesicherte Risiko nicht. Eine Privathaftpflichtversiche- rung mit einer niedrigen Jahresprämie unter 100 Euro versichert Schäden in Millionenhöhe. Wer hier die fal- sche Wahl trifft, bleibt unter Umständen auf einem Rie- senschaden sitzen. Zu viele Bundesbürger sind fehl- bzw. unterversi- chert. Deshalb müsste bei einer sinnvollen Beratung zu- nächst der Versicherungsbedarf geklärt und festgehalten werden. Anzustreben ist eine individualisierte Risiko- analyse des Kunden. Auch diese allgemeine Regel sieht der Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht vor. Und im Gegensatz zur EU-Vorgabe soll es in Deutschland möglich sein, ganz auf den Schutzgedanken der Richtli- nie zu verzichten und die vorgesehenen Auskünfte nicht zu erteilen. Bei Falschberatungen hat der Kunde so nichts in der Hand und wird Schadenersatzansprüche kaum durchsetzen können. Bezüglich der Qualifikationsanforderungen an den Versicherungsvermittler gibt der Entwurf keine klare Definition vor. Er spricht hier lediglich von einer „ange- messenen“ Qualifikation, wie diese real auszusehen hat, bleibt aber einer weiteren Rechtsverordnung überlassen. Aus Verbrauchersicht besonders unerfreulich ist die feh- lende Erkennbarkeit und Zuverlässigkeit der Qualifika- tion. Je nachdem, ob der Vermittler angestellt, nebenbe- ruflich tätig oder selbstständig ist, werden unterschiedliche Anforderungen an seinen Sachkunde- nachweis gestellt. Die Sachkundeanforderungen sollten aber sowohl im Interesse der Vermittler als auch der Ver- braucher für jeden gleich sein. Auch die Haftpflichtschutzregelung der Versiche- rungsvermittler ist noch nicht geregeft. Die Versiche- rungsvermittler müssen zwar in Zukunft eine Berufshaft- pflichtversicherung abschließen, aber auch hier wird die genauere Ausgestaltung auf eine weitere Rechtsverord- nung verschoben. Angesichts der bereits in der Diskus- sion befindlichen und abzulehnenden marktüblichen Ri- sikoausschlüsse hätte die Bundesregierung hier für Klarheit sorgen müssen. Mit dem vorliegenden Gesetz- entwurf bleibt also weiterhin offen, ob eine Haftpflicht- versicherung bei vorsätzlicher Falschberatung überhaupt haftet. Abschließend bleibt zu sagen, dass wir von dem Ge- setzentwurf zur Neuregelung des Versicherungsver- mittlerrechts mehr erwarten: Nämlich, dass er einerseits die Verbraucherinteressen umfassend berücksichtigt und andererseits den Versicherungsvermittlern ein einfaches und verständliches Regelwerk an die Hand gibt. 4226 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Anlage 32 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Personenstandsrechts (Personen- standsrechtsreformgesetz – PStRG) (Tagesord- nungspunkt 37 a) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 12. August 2005 „Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Personen- standsrechts“ soll das geltende Personenstandsgesetz von 1937 in der Fassung vom 8. August 1957 grundlegend re- formiert werden. Obwohl das deutsche Personenstands- wesen seit der Einführung der staatlichen Personen- standsbuchführung vor etwa 130 Jahren seinen Zweck vollauf erfüllt, wurde nunmehr von unterschiedlicher Seite am geltenden Recht zunehmend Kritik hinsichtlich des Beurkundungssystems, der Beurkundungsmedien, des Beurkundungsinhalts und der Voraussetzungen für Registerbenutzung geübt. Gesichtspunkte wie Deregulierung, Verwaltungsver- einfachung und Kostenreduzierung finden in dem Re- formgesetz stärkere Berücksichtigung, ohne dass da- durch die Personenstandsbuchführung an sich und ihre Servicefunktion gegenüber dem Bürger beeinträchtigt wird. So sieht der Gesetzentwurf vor, ein sehr kosten- trächtiges Personenstandsbuch, das „Familienbuch“, ab- zuschaffen und durch ein erheblich kostengünstigeres Angebot inhaltsgleicher Leistungen, das zudem alle Bür- ger erreicht, zu ersetzen. Die Schwerpunkte des Perso- nenstandsreformgesetzes sind die Einführung elektroni- scher Personenstandsregister anstelle der bisherigen Personenstandsbücher, die Begrenzung der Fortführung der Personenstandsregister durch das Standesamt und die Abgabe der Register an die Archive, die Ersetzung des Familienbuches durch Beurkundungen in den Perso- nenstandsregistern, die Reduzierung der Beurkundungs- daten auf das für die Dokumentation des Personenstan- des erforderliche Maß sowie die Neuordnung der Benutzung der Personenstandsbücher. Alleine die Tatsache, dass jährlich etwa 400 000 Ehe- schließungen einen Berg von Familienbüchern – die nicht mit den so genannten Stammbüchern der Familie zu verwechseln sind – ansteigen lässt, der auf 20 Millio- nen geschätzt werden kann, und zudem die fortschrei- tende Mobilität der Bevölkerung zur Folge hat, dass sich ein großer Teil der Familienbücher ständig auf dem Post- weg zu einem anderen, durch Wohnungswechsel zustän- dig gewordenen Standesbeamten befindet, zeigt deut- lich, dass dieses umständliche und kostenaufwendige Verfahren nicht mehr den heutigen Anforderungen ge- recht wird. Mit moderner Technik könnten die Abläufe schneller und kostengünstiger bewerkstelligt werden. Die Möglichkeiten der elektronischen Kommunika- tion gestatten es, dass mit großem Verwaltungsaufwand geführte Familienbuch abzuschaffen. Durch die Abschaf- fung des Familienbuches, das im Wesentlichen Beurkun- dungen enthält, die primär bereits in den Geburten-, Hei- rats- und Sterbebüchern enthalten sind, wird zudem kein Datenverlust eintreten. Auch sind die Beurkundungsmediern seit der Einfüh- rung der staatlichen Personenstandsregistrierung unver- ändert geblieben und zwingend vorgeschrieben. Dies beinhaltet, dass nur bestimmte Papiersorten und Schreib- mittel für die Personenstandsbuchführung benutzt wer- den dürfen, damit der vorgegebenen dauernden Aufbe- wahrung und der damit verbundenen Haltbarkeit der Personenstandsbücher Rechnung getragen wird. Nach- dem die elektronische Datenverarbeitung Einzug in die Standesämter gehalten hat, sind die Arbeiten im Zusam- menhang mit der Beurkundung eines Personenstands- falls so organisiert, dass alle erforderlichen Daten elek- tronisch erfasst werden und der Datenbestand für den Ausdruck des Eintrags, etwaiger Personenstandsurkun- den und Folgearbeiten – wie beispielsweise Mitteilungen an Behörden – genutzt wird. Da das geltende Recht ein „drittes Personenstandsbuch“ nicht zulässt, muss der Da- tenbestand, der bei weiterer Bereithaltung und Nutzung einem solchen „Buch“ gleichkäme, unmittelbar nach der Beurkundung gelöscht werden. Zu Recht wird diesem Verfahren kritisch entgegengehalten, dass vorhandene Datenbestände unnötig verloren gehen, also nicht ge- pflegt und weiter genutzt werden können. Beim Beurkundungsinhalt wurde seit längerer Zeit bemängelt, dass die Eintragungen nicht auf das für die Beurkundung erforderliche Maß reduziert seien. So sind zum Beispiel Angaben zum Beruf und zur Religionszu- gehörigkeit als nicht personenstandsrelevante Angaben aus dem Angabenkatalog zu streichen. Der Gesetzent- wurf sieht nunmehr vor, die Beurkundungsdaten auf das für die Dokumentation des Personenstandes unbedingt erforderliche Maß zu reduzieren. So wird künftig in al- len Registern auf die Angabe des Berufs-, im Heirats- und Geburtenregister auf die Angabe des Wohnortes der Eheschließenden bzw. der Eltern und im Geburten- und Sterberegister auf die Angaben zum Anzeigenden ver- zichtet. Der Gesetzentwurf sieht ferner vor, anstelle der bishe- rigen Personenstandsbücher elektronische Personen- standsregister einzuführen. Es wird somit eine Grund- lage für die Einführung der IT-gestützten Beurkundung von Personenstandsfällen geschaffen und der Verwal- tungsaufwand wird in den deutschen Standesämtern dau- erhaft reduziert. Dadurch können Personenstandsurkun- den künftig schneller ausgestellt und Register leichter eingesehen werden, auch der Service gegenüber dem Bürger wird verbessert. Die Bürger sollen dadurch, dass Urkunden nicht mehr nur von dem registerführenden Standesamt ausgestellt werden können, schneller als bis- her an benötige Personenstandsurkunden gelangen. Besonders begrüße ich, dass die Bundesregierung zwischenzeitlich die Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzesentwurf beschlossen hat, der unter anderem noch davon ausging, dass die Zustän- digkeit für die Begründung und die Beurkundung von eingetragenen Lebenspartnerschaften einheitlich beim Standesbeamten bzw. beim Standesamt liegen und die bisher unterschiedlichen landesrechtlichen Zuständig- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4227 (A) (C) (B) (D) keiten entfallen sollen. Diese Regelung wurde zugunsten der landesrechtlichen Zuständigkeiten zurückgestellt, da sich die landesrechtlichen Regelungen zum Beispiel in Baden-Württemberg und in Bayern bewährt haben. In Bayern beispielsweise, wo durch das Gesetz zur Ausführung des Lebenspartnerschaftsgesetz die Zustän- digkeit für die Mitwirkung bei der Begründung und die Beurkundung von Lebenspartnerschaften auf die Notare übertragen wurde, unterstreichen rund 1 500 im Lebens- partnerschaftsbuch registrierte Lebenspartnerschaften und die durchweg positive Resonanz der Beteiligten die Akzeptanz und die Qualifikation der Notare. Die Kom- petenz der Notare bei der Beratung über Möglichkeiten und Folgen des Rechtsinstituts der Lebenspartnerschaft, insbesondere im Familien- und Erbrecht, werden von den künftigen Lebenspartnern besonders geschätzt, was sich nicht zuletzt an den Paaren aus anderen Ländern und auch aus dem Ausland zeigt, die die Begründung ih- rer Partnerschaft vor einem bayerischen Notar wün- schen. Viele Paare schätzen überdies die Diskretion der Notarlösung. Hinsichtlich der Kosten wird nach überschlägiger Be- rechnung die Einführung der Informationstechnik nach Abschluss der Umstellungsphase zu jährlichen Mehraus- gaben von rund 14 Millionen Euro führen. Dem stehen Einsparungen von ca. 18 Millionen Euro gegenüber, so- dass sich per Saldo ein jährliches Einsparvolumen von rund 4 Millionen Euro ergibt. Bei den Standesämtern ist langfristig mit einem jährlichen Einsparvolumen von rund 46 Millionen Euro zu rechnen. Das Personenstandsreformgesetz ist somit eine längst überfällige Maßnahme und ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zum Bürokratieabbau und zum modernen Staat. Christian Lange (Backnang) (SPD): Das vorgelegte Gesetz dient der Umsetzung der Richtlinie 2002/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. De- zember 2002 über Versicherungsvermittlung. Die Richt- linie, die den Verbraucherschutz und die Harmonisie- rung des Vermittlermarktes zum Ziel hat, hätte von Deutschland bis 15. Januar 2005 in nationales Recht um- gesetzt werden müssen, sodass nun Eile geboten ist. Zu der Verzögerung kam es vor allem durch den anhalten- den Widerstand der Länder gegen das vorgeschlagene Konzept zur Umsetzung der Richtlinie. Inzwischen zei- gen sich aber auch die Länder bereit, das vorgestellte Grundkonzept zu akzeptieren, sodass wir nun doch zu einer hoffentlich zügigen Verabschiedung der Neurege- lung kommen werden. Denn es geht nicht nur darum, der Pflicht zur Umset- zung der EU-Richtlinie zu genügen, sondern es geht um Verbraucherschutz – die Verbraucher sollen durch die Registrierungspflicht und die Normierung der Informa- tions- und Dokumentationspflichten des Vermittlers ge- schützt werden – und darum, die deutschen Versiche- rungsvermittler fit zu machen gegen die europäische Konkurrenz. Die Tätigkeit des Versicherungsvermittlers in einem zusammenwachsenden Europa wird harmoni- siert, und grenzüberschreitende Vermittlungen werden vereinfacht. Vonseiten der Versicherungsvermittler wird die beruf- liche Aufwertung, die mit einer Erlaubnispflicht einher- geht, auch sehr geschätzt. Denn es geht auch darum „schwarze Schafe“ aus diesem Gewerbe herauszufiltern. Das dient den Verbrauchern, aber auch den vielen seriö- sen und kompetenten Vermittlern und Beratern in dieser Branche. Den Vorgaben der Richtlinie entsprechend wird der bislang frei zugängliche Beruf des Versicherungsver- mittlers einer Erlaubnis unterworfen. Es ist vorgesehen, dass die Industrie- und Handelskammern Erlaubnis- und Registrierungsstellen für die circa 500 000 einzutragen- den Versicherungsvermittler werden. Damit einher ge- hen Vorschriften über die Qualifikation von Vermittlern, eine Kundengeldsicherung, eine obligatorische Berufs- haftpflichtversicherung sowie Beratungs-, Informations- und Dokumentationspflichten gegenüber dem Kunden. Nach der Richtlinie waren auch die bisher im Rechtsbe- ratungsgesetz geregelten Versicherungsberater in das neu geschaffene System für Versicherungsvermittler zu integrieren. Das heißt, Versicherungsberater müssen sich ebenfalls registrieren lassen und bedürfen nun einer Er- laubnis der IHK, wobei die Anforderungen denen für Versicherungsvermittler entsprechen. Auch die für Ver- sicherungsmakler geltenden Berufsausübungsvorschrif- ten, insbesondere die Beratungs-, Dokumentations- und Informationspflichten, gelten entsprechend für Versiche- rungsberater. Bislang unterliegt die Versicherungsver- mittlung keinerlei Berufszugangsbeschränkungen. Er ist nur zur Anzeige seiner Tätigkeit gemäß § 14 Gewerbe- ordnung verpflichtet. Wichtig ist uns bei der Umsetzung der Richtlinie vor allem, dass das Gesetz zur Neuregelung des Versiche- rungsvermittlerrechts und die Verordnung über die Ver- sicherungsvermittlung den zwangsläufig entstehenden bürokratischen Aufwand auf ein Minimalmaß be- schränkt und dabei das Gleichgewicht zwischen den Ver- braucherschutzzielen und den Interessen der Wirtschaft wahrt. Ich bin zuversichtlich, dass dies gelungen ist. Die Regelungen im Einzelnen. Grundsätzlich bedür- fen alle Versicherungsvermittler nach dem neuen § 34 d der Gewerbeordnung, GewO, einer Erlaubnis der IHK und müssen sich dort registrieren lassen. Sie sind auch für den Widerruf und die Rücknahme der Genehmigung zuständig. Die IHKs bedienen sich für die Registerfüh- rung des DIHK als gemeinsamer Stelle. Versicherungsvermittler sind unter Bußgeldbeweh- rung verpflichtet, sich in das Vermittlerregister eintragen zu lassen. Außerdem werden die Versicherungsunterneh- men verpflichtet, nur mit Vermittlern zusammenzuarbei- ten, die in das Register für Versicherungsvermittler eingetragen sind. Erlaubnisvoraussetzungen sind Zuver- lässigkeit, Abschluss einer Berufshaftpflichtversiche- rung sowie Sachkundenachweis. Der Sachkundenachweis wird durch eine IHK-Prü- fung erbracht, die der bereits seit 1991 von der Branche etablierten Ausbildung zum Versicherungsfachmann/- 4228 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) frau des Berufsbildungswerks der Deutschen Versiche- rungswirtschaft, BWV, entspricht. Dazu haben DIHK und BWV bereits einen Rahmenvertrag abgeschlossen. Gleichwertige staatliche Abschlüsse werden anerkannt. Versicherungsvermittler, die schon seit dem 31. August 2000 tätig waren, genießen Bestandsschutz. Jeder Ver- mittler hat dafür zu sorgen, dass auch seine angestellten Vermittler angemessen qualifiziert und zuverlässig sind. Die circa 400 000 Vermittler, die ausschließlich an ein Versicherungsunternehmen gebunden sind – so ge- nannte Ausschließlichkeitsvertreter –, können von der Erlaubnis befreit werden, wenn sie über eine uneinge- schränkte Haftungsübernahme des Versicherers verfü- gen. Die Verantwortung für die Zuverlässigkeit und die Qualifikation übernimmt dann der jeweilige Versicherer. Für produktakzessorische Vermittler, wie zum Beispiel Autohändler, ist ein vereinfachtes Zulassungsverfahren vorgesehen. Grundsätzlich muss ein Makler als Sachwalter des Kunden seinen Rat auf eine hinreichende Zahl von auf dem Markt angebotenen Versicherungsverträgen und Versicherern stützen, die er im Wege einer objektiv aus- gewogenen Marktuntersuchung zu ermitteln hat. Ver- tragsspezifische anlassbezogene Beratungs-, Informa- tions- und Dokumentationspflichten sowie die Haftung für eine Falschberatung werden normiert. Alle Vermitt- ler, die nicht auf dieser Grundlage beraten, haben dem Kunden die Namen der ihrem Rat zugrunde gelegten Versicherer anzugeben. Der Vermittler muss dem Kunden noch vor Beginn des Beratungsgespräches mitteilen, ob er als Versiche- rungsmakler, als Versicherungsvertreter oder Versiche- rungsberater tätig ist. Durch Normierung dieser statusbe- zogenen Informationspflichten in der Verordnung über die Versicherungsvermittlung soll dem Kunden schon vor Beginn der Beratung größtmögliche Transparenz er- möglicht werden. Grundsätzlich müssen Versicherungs- vermittler, die Zahlungen der Kunden annehmen, ohne dazu bevollmächtigt zu sein, in Anlehnung an die Mak- ler- und Bauträgerverordnung eine Sicherheit stellen. Die Versicherungswirtschaft wird als Beschwerde- und Schlichtungsstelle privatrechtlich organisierte Ombuds- leute schaffen, was ich sehr begrüße. Ich bin zuversichtlich, dass die notwendige Umset- zung der europäischen Vermittler-Richtlinie in deutsches Recht mit geringstmöglichen bürokratischen Aufwand gelungen ist. Der Verbraucherschutz wird gestärkt, Ver- braucher erhalten mehr Transparenz in dem bislang eher unübersichtlichen Vermittlermarkt. Und nicht nur die Verbraucher haben etwas davon! Auch die Versiche- rungswirtschaft profitiert. Schwarze Schafen haben zu- künftig in dieser Branche keine Chance – das stärkt das Ansehen dieses Berufsbildes. Gleichzeitig vereinfachen wir grenzüberschreitende Vermittlungen und machen da- mit die Versicherungswirtschaft europafest. Gisela Piltz (FDP): Die Reform des Personenstands- rechts ist ein Vorhaben, das schon seit langem in Angriff genommen werden sollte. Bereits im Jahre 1996 bat das Bundesministerium des Innern die obersten Landesbe- hörden um eine Stellungnahme zu einem Vorentwurf. Leider wurde das Vorhaben nach dem Regierungswech- sel 1998 erst einmal auf Eis gelegt. Seit vorgestern wis- sen wir nun, dass wir über einen Gesetzentwurf von über 250 Seiten Umfang in der Nacht von Donnerstag auf Freitag debattieren dürfen. Leider zeigt diese kurzfristige Terminierung der ers- ten Lesung in der Nacht nur allzu deutlich, dass die große Koalition der Reform entweder keine große Be- deutung zumisst oder aber an einer breiten Diskussion nicht interessiert ist. Darüber hinaus ist es auch eine Missachtung der parlamentarischen Gepflogenheiten, ein so umfangreiches Gesetz mit einer derart umfassen- den Reform im Personenstandswesen erst zwei Tage vor der Sitzung auf die Tagesordnung des Parlaments setzen zu lassen. Selbst bei Hausdurchsuchungen und Vollstreckungs- handlungen wird dem Betroffenen eine Nachtzeit zuge- billigt, in der keine Handlungen ohne weiteres vorge- nommen werden dürfen. Dagegen soll der Deutschen Bundestag zur Nachtzeit und damit letztlich zur Unzeit wichtige Reformgesetze auf den Weg bringen. Wie passt das zusammen? Jedenfalls dürfte die Änderung vorkon- stitutionellen Rechts über Nacht – das Gesetz stammt im Kern aus dem Jahre 1937 – ein Novum in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus sein. Frei nach dem Motto: Nachts werden die Faulen fleißig. Die Reform des Personenstandsrechts hätte wesent- lich mehr Aufmerksamkeit verdient. Denn mit dem vor- liegenden Gesetzentwurfsoll das Personenstandswesen nach über 50 Jahren bzw., bezogen auf den Zeitpunkt der ersten Verkündung, nach fast 70 Jahren grundlegend überarbeitet werden. Die FDP-Bundestagsfraktion be- grüßt grundsätzlich eine Vereinfachung und Modernisie- rung des Personenstandsrechts. Die technischen Mög- lichkeiten haben sich grundlegend verändert und die Anforderungen an die Aufbewahrung wichtiger Doku- mente unterliegen anderen Maßstäben. Allerdings ist fraglich, ob durch den vorliegenden Gesetzentwurf eine grundsätzliche Modernisierung geschaffen werden kann. Der Einzug der elektronischen Datenverarbeitung im Personenstandswesen hat bereits heute die Arbeiten im Zusammenhang mit der Beurkundung eines Personen- standsfalls deutlich verändert. Für den weiterer Einsatz und den Ausbau dieser Technik muss aber gelten: Der Einsatz von technischen Systemen muss transparent und unter Wahrung des Selbstbestimmungsrechts der Betrof- fenen erfolgen. Gerade das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darf nicht durch technisch schnellere und vereinfachte Verfahren unverhältnismäßig einge- schränkt werden. Maßstab für die Liberalen ist es des- halb, Vereinfachungen und Verbesserungen für die Be- hörden und den Bürger zu schaffen, die sich an den Bürgerrechten orientieren und nicht umgekehrt. Der vorliegende Gesetzentwurf geht davon aus, dass die personenstandsrechtlichen Grundbeurkunden wie Geburt, Eheschließungen und Tod sowie die damit zu- sammenhängenden öffentlichen Beurkundungen und Beglaubigungen von einer Behörde befasst werden sol- len. Es muss aber auch sichergestellt werden, dass sen- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4229 (A) (C) (B) (D) sible Personendaten nicht an andere Behörden ohne wei- teres weitergegeben werden dürfen. Mit der Erweiterung im Rahmen des Personenstandsregisters um das Gebur- tenregister sollen die technischen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass später einmal persönliche Iden- tifikationsmerkmale an Neugeborene vergeben und ge- speichert werden können. Die FDP hat immer deutlich gemacht, dass sie dies ablehnt. Am Schalter einer Behörde ist die Sicherheit persönli- cher Informationen für den Bürger schnell feststellbar. Durch einen Blick nach rechts und links ist einfach er- kennbar, ob eine unberechtigte Person etwas hören oder sehen kann. Bei der Kommunikation über das Internet ist das nicht so. Gerade beim Umgang mit sensiblen Daten ist daher der umfassende Schutz, beispielsweise durch bestimmte Verschlüsselungstechniken, das A und O. Hier sehe ich im vorliegenden Gesetzentwurf nur den Hinweis, dass mit einer „dauerhaften überprüfbaren qua- lifizierten elektronischen Signatur“ die Beurkundung beispielsweise gesichert werden soll. Deshalb ist für mich nicht einsichtig, warum Einzelheiten über den Ein- satz und die Beschaffenheit der elektronischen Verfahren zur Führung der Personenstandsregister in einer Rechts- verordnung am Parlament vorbei geregelt werden sollen. Darüber hinaus möchte ich die Frage stellen, ob durch die Ermächtigungsgrundlage an die Landesregierungen, ein zentrales elektronisches Personenstandsregister und dessen Führung einzurichten, nicht die Gefahr besteht, dass diese sensiblen Daten schneller und einfacher miss- braucht werden können. Auch bei der dezentralen Ein- richtung eines elektronischen Personenstandsregisters können Daten in kürzester Zeit verschlüsselt übermittelt werden, ohne dass ein Direktzugriff anderer Behörden erforderlich ist. Bei einem zentralen Register ist auch der Druck zur Einrichtung automatisierter Abrufverfahren wesentlich größer als bei dezentralen Registern mit ei- nem entsprechend geringerem Datenbestand. Wir Libe- rale lehnen zentrale Auskunfteien ab. Auch die Diskus- sion um den elektronischen Pass hat deutlich gemacht, dass viele Fachleute ein zentrales Erfassen von Daten nicht wollen. Deshalb ist die Einführung eines zentralen Personenstandregisters durch die Hintertür für uns nicht hinnehmbar. Auch die Frage der einheitlichen Zuständigkeit der Standesämter bei den Lebenspartnerschaften ist ein wei- terer wichtiger Bereich, den die Bundesregierung offen- bar jetzt wieder kippen will. Die Bundesjustizministerin hat auf dem Verbandstag des Lesben- und Schwulenver- bandes in diesem Jahr noch angekündigt, die Vereinheit- lichung beibehalten zu wollen. Allerdings ist in der Gegenäußerung der Bundesregierung von dieser Verein- heitlichung nichts mehr zu lesen. Vielmehr soll einer Länderöffnungsklausel zugestimmt werden, die diesem widerspricht. Damit zeigt sich, dass es offenbar über- haupt keine grundlegende Abstimmung gegeben hat. Die FDP-Bundestagsfraktion hat eine Vereinheitlichung mehrfach angemahnt und wird dieses auch im weiteren Gesetzgebungsverfahren tun. Die Neuordnung des Personenstandswesens wird für die Standesämter der Kommunen einen großen organisa- torischen und finanziellen Aufwand bedeuten. In dem Gesetzentwurf sind diesbezüglich Angaben zu der Höhe der Kosten gemacht worden. Nach mehreren Jahren sol- len diese Kosten allerdings durch den Umbau des Sys- tems eingespart werden können. Die dargelegten Be- rechnungen bleiben aber das Geheimnis der Verfasser. Das kritisieren die Kommunalvertreter und dieser Kritik schließen wir uns an. Eine Berechung, die wir als Parla- mentarier nicht nachvollziehen können ist nichts wert und meistens wird es hinterher doch teurer. Alleine die elektronische Führung der Personenstandsregister und Personenstandszweitregister führt zu einem Kostenauf- wand für die Einrichtung, Pflege und Sicherung der Re- gister, der die kommunalen Haushalte in jedem Fall sehr stark belasten wird. Nach Expertenschätzungen sind die angegebenen Einsparungen in den kommenden 20 bis 25 Jahren nicht zu erwarten. Politik sollte zwar in län- gerfristigen Zeiträumen denken, aber ob das in diesem konkreten Fall der Kommunen hilft, wage ich zu be- zweifeln. Die FDP-Bundestagsfraktion wird die Debatte über die Reform des Personenstandswesens kritisch in den Ausschüssen und im Plenum des Deutschen Bundesta- ges begleiten und ich hoffe, dass das weitere parlamenta- rische Verfahren so nicht weitergeführt wird, wie es ge- rade begonnen hat. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Linke im Bundestag begrüßt die Reform des derzeit geltenden Personen- standsgesetzes. Auch die – wenigstens angedeutete – all- gemeine Richtung der Reform – weg von einer Vor- schrift für bürokratische Datensammelwut hin zu einem bürgernahen und bürgerfreundlichen Gesetz – ist positiv zu bewerten. Leider folgt das Gesetz in der konkreten Ausgestaltung aber einer geradezu zur Mode geworde- nen Tendenz, das Recht auf informationelle Selbstbe- stimmung in ganz kleinen Münzen auszuzahlen. Zum Beispiel werden das problematische Melderechtsrah- mengesetz und das Justizmitteilungsgesetz zum Maßstab für zwischenbehördliche Datenübermittlung genom- men. Abzulehnen ist das Gesetz also, weil es unter dem Strich den gläsernen Bürger zur Folge hat. Es eröffnet die Möglichkeit der unkontrollierten Datenübermittlung zwischen den Behörden. Das bisherige Regelungswerk ist angefüllt mit Vor- schriften und Regelungen, die der heutigen Zeit und den heutigen Gegebenheiten schlicht und ergreifend nicht mehr gerecht werden. Ich möchte das an einigen Bei- spielen zeigen: Zum einen gibt es die Konstruktion des Familienbuches. Der Öffentlichkeit ist das weitgehend unbekannt. Nachfragen nach Urkunden aus diesem Fa- milienbuch sind selten. Dennoch führt gerade dieses Buch zu einem enormen Arbeitsaufwand in deutschen Standesämtern denn, das Familienbuch ist ein „wandern- des“ Buch. Das bedeutet, dass es bei einem Wohnort- wechsel an den neuen, zuständigen Standesbeamten wei- tergeleitet werden muss. Deshalb müssen, auch aufgrund der zunehmenden Mobilität der Bevölkerung, ständig neue Verschickungen erfolgen. Eine Abschaffung dieses aufwendigen Buches wäre wünschenswert. 4230 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 (A) (C) (B) (D) Ein weiters Beispiel ist der Zwang, die Beurkundung auf Papier durchzuführen. Gleichzeitig darf nach gelten- dem Recht kein „drittes Personenstandsbuch“ geführt werden. Wenn bei der Bearbeitung eines Personen- standsfalls nun alle Daten elektronisch erfasst werden, so müssen diese nach Beendigung der Bearbeitung wie- der gelöscht werden, da eine Aufbewahrung einem drit- ten Buche entspräche. Das ist einfach nicht mehr zeitge- mäß. Eine ganze Reihe von Angaben in den Personenstandsbüchern ist schlicht und ergreifend nicht personenstandsbezogen, wie etwa Angaben über Beruf und Religionszugehörigkeit. Sie haben deshalb darin auch nichts zu suchen. Änderungen in diesen Punkten könnten wir durchaus zustimmen. Die Umstellung der Personenstandsregister vom papierenen auf das elektro- nische Medium ist ein sinnvoller Ansatz. Positive Erfah- rungen in benachbarten Staaten zeigen das. Auch die Minimierung des Registrierungsaufwandes durch Erset- zung des heutigen papiernen Zweitregisters durch ein elektronisches, nur zu Sicherungszwecken extra aufzu- bewahrendes, unterstreicht diesen Weg. Der künftige Verzicht auf das wenig genutzte Fami- lienbuch reduziert den Arbeitsaufwand genauso wie die vorgesehene Beurkundungsmöglichkeit bei im Ausland geschlossenen Ehen und die Beurkundung von Sterbe- fällen im Ausland. Die Reduzierung der Personen- standsurkunden um solche, die in Deutschland kaum notwendig sind, keinen Nutzen bringen und im Ausland zum größten Teil unbekannt sind, wird von uns ebenfalls positiv gesehen. Die wissenschaftsfreundliche Regelung eines erleich- terten Zugangs zu nicht mehr geführten Personenstands- registern ist zu begrüßen, sofern grundsätzliche daten- schutzrechtliche Vorschriften und Verfahrensweisen und die Rechte der Betroffenen eingehalten, angewendet und geschützt werden. Die Erweiterung der Möglichkeit zur elektronischen Kommunikation zwischen Bürgerinnen und Bürgern ei- nerseits, Behörden und Gerichten andererseits ist eben- falls ein Fortschritt, wenn technische und rechtliche Si- cherungen vor unerlaubtem Zugriff gewährleistet werden. Auf die Sicherheit der Übermittlung derartiger sensibler Daten ist allerdings fortlaufend zu achten. Da es sich hier um sehr sensible Informationen handelt, ist ein hoher Schutz gegen unbefugten Eingriff ständig zu gewährleisten und dieser regelmäßig zu überprüfen. Die Datenübermittlung zwischen Behörden auf der Grundlage einer schlichten Ermächtigungsformel wie „soweit es zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendig“ zu- zulassen, wird dem Recht auf informationelle Selbstbe- stimmung nicht gerecht. Im Zusammenhang mit der Vor- bereitung auf eine neue Volkszählung wird schon diskutiert, wie durch „Ertüchtigung“ der bei Behörden vorhandenen Registerdaten die schon existierende ein- heitliche Steuernummer erneut zu einer Personenkenn- nummer ausgebaut werden könnte. Eine solche Perso- nenkennziffer hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Volkszählung eindeutig verboten. Zusammenfassend: Maßstab für alle Gesetze müssen die Standards des Rechts auf informationelle Selbstbe- stimmung sein. Dazu gehören die Regelung von Aus- kunftspflichten, Einwilligungsregeln, Widerspruchs- rechte und ein Antragsrecht auf Löschung. Solche einschlägigen datenschutzrechtlichen Forderungen se- hen wir nicht eingelöst. Das Gesetz lehnen wir deshalb ab. Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Warum heute zur Geisterstunde dieser Ge- setzentwurf von der Großen Koalition eingebracht wird, erschließt sich mir aufgrund des Vorlaufes nicht. Es geht hier um die grundlegende Reform des aus dem Jahre 1937 stammenden Personenstandsgesetzes in der Fas- sung vom 8. August 1957. Seit 2003 verhandelt eine Bund/Länder-Arbeitsgruppe über die Reform des Perso- nenstandsrechts. Der bereits von der rot-grünen Bundes- regierung in den Bundesrat eingebrachte Gesetzentwurf wurde über Monate beraten; an die 50 Änderungsanträge kamen aus den Ländern. Das Gesetzgebungsverfahren finde ich außerordent- lich interessant. Als Gesetzestext wird hier offensichtlich die rot-grüne Fassung eingebracht. Als Anlage erhalten wir die Änderungswünsche des Bundesrates und die Stellungnahme der jetzigen Bundesregierung, die in ei- nem entscheidenden Punkt das Gegenteil von dem for- dert, was vernünftigerweise im Gesetz steht. Der eingebrachte Entwurf eines Gesetzes der Bundes- regierung zur Reform des Personenstandsrechts sieht für eingetragene Lebenspartnerschaften bundeseinheitlich das Standesamt als zuständige Behörde vor. Das begrü- ßen wir; das ist eine sachgerechte und vernünftige Lö- sung. Eine einheitliche Behördenzuständigkeit schafft Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. In der Stellung- nahme der Bundesregierung zu den Änderungswünschen des Bundesrates stimmt die große Koalition einer Län- deröffnungsklausel zu. Das ist Unsinn. Damit würde die Zersplitterung der Zuständigkeit für die eingetragene Le- benspartnerschaft weiter zementiert. Fünf Jahre nach In-Kraft-Treten des Lebenspartner- schaftsgesetzes ist es Zeit, endlich zu einer Vereinheitli- chung zu kommen. Von der Standesamtslösung abwei- chende Länderregelungen werden von den Betroffenen zu Recht als Diskriminierung empfunden. Der Hinter- grund ist klar: Ihnen soll signalisiert werden, dass ihre Beziehung weniger wert ist als eine Ehe. Eine solche Haltung ist einer weltoffenen Gesellschaft nicht würdig. Die Zersplitterung hat sich, wie abzusehen war, auch verwaltungstechnisch nicht bewährt. Es gibt keine zu- verlässige Dokumentation der Lebenspartnerschaften in den Personenstandsregistern. Zuständigkeitsregelungen sind nicht aufeinander abgestimmt. Menschen, die sich eintragen lassen wollen, treffen mitunter auf Kommunal- beamte, die im Personenstandsrecht alles andere als sachkundig sind. Nur weil einige Länderregierungen weiter ideologische Vorbehalte gegen gleichgeschlecht- liche Paare haben, soll verwaltungstechnischer Wirrwarr fortgeschrieben werden. Dem viel beschworenen Büro- kratieabbau läuft das diametral entgegen. Die große Koalition veranstaltet hier ein nächtliches Gesetzesmarathon. Zwischen 20 Uhr und 3 Uhr sollen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 4231 (A) (C) (B) (D) nach ihrem Zeitplan zwölf Regierungsgesetze vom Bun- destag behandelt werden. Offensichtlich scheuen Sie mit Ihrer widersprüchlichen Politik das Tageslicht. Wenn die Ziele der Gesetze im Dunkeln bleiben, kann man sie ja auch im Dunkeln beraten. Ich fordere die Regierungsfraktionen auf, dem vorlie- genden Gesetzentwurf zuzustimmen und nicht dem An- sinnen der Bundesregierung zu folgen, die Länderöff- nungsklausel im Nachhinein durch Änderungsanträge aufzunehmen. Dies wäre eine unsinnige Verschlechte- rung des Gesetzes und stünde den Zielen der Moderni- sierung und des Bürokratieabbaus diametral entgegen. Es kann doch nicht ernsthaft am Ende des Gesetzesver- fahrens ein elektronisches Personenstandsregister für die Ehe geben und einen Rückfall in das Wirrwarr der Kleinstaaterei für die eingetragene Lebenspartnerschaft. Das Parlament ist der Gesetzgeber und ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass die Schmerz- grenze der Regierungsfraktionen gegenüber dem Murks der Bundesregierung irgendwann erreicht ist. In diesem Sinne wünsche ich uns eine vernunftgeleitete Debatte in den Fachausschüssen. 43. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29. Juni 2006 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13 Anlage 14 Anlage 15 Anlage 16 Anlage 17 Anlage 18 Anlage 19 Anlage 20 Anlage 21 Anlage 22 Anlage 23 Anlage 24 Anlage 25 Anlage 26 Anlage 27 Anlage 28 Anlage 29 Anlage 30 Anlage 31 Anlage 32
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hermann Otto Solms


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)


    Das Wort hat jetzt der Kollege Christian Kleiminger

    von der SPD-Fraktion.


    (Beifall bei der SPD)




Rede von Christian Kleiminger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn wir heute darüber reden, wie das solidarische Ge-
sundheitssystem auch in Zukunft nachhaltig finanziert
und gesichert werden soll, dann muss man natürlich
auch über eine effiziente Nutzung der vorhandenen Fi-
nanzmittel sprechen. Dabei geht es nicht allein um die
Kosten, sondern darum, wie man den Betroffenen am
besten helfen kann.


(Beifall bei der SPD)


Unsere Idee, die starren Grenzen zwischen stationärer
und ambulanter medizinischer Versorgung aufzuwei-
chen, zieht sich dabei wie ein roter Faden durch alle ge-
sundheitspolitischen Überlegungen. Ein variableres Ver-
sorgungsangebot wird die Qualität erheblich verbessern.

Mir ist es wichtig, in diesem Zusammenhang ein
Thema anzusprechen, mit dem wir uns leider in der Ge-
sellschaft, aber auch hier im Parlament, noch zu wenig
auseinander setzen. Es geht mir um die Hospizarbeit
und die Palliativmedizin. Die Koalition hat dieses wich-
tige Thema erkannt und deshalb auch bereits im Koali-
tionsvertrag Verbesserungen vereinbart, um Menschen
ein Sterben in Würde zu ermöglichen. Wenn alle Betrof-
fenen wissen, dass Sterben ohne Schmerzen durch best-
mögliche Versorgung Lebensqualität bis zum Schluss
wahren kann, werden auch die Diskussionen um die ak-
tive Sterbehilfe verstummen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Christian Kleiminger
Bei meinen Besuchen in den ambulanten und statio-
nären Hospizen – auch in meinem Wahlkreis Rostock –
wurde mir vermittelt, dass Anspruch und Wirklichkeit
hier leider noch immer zu weit auseinander klaffen. Das
müssen wir ändern und konkrete Rahmenbedingungen
für diesen Bereich schaffen. Bestmögliche palliative
Versorgung darf in Zukunft nicht weiter vom Wohlwol-
len der jeweiligen Krankenkassen und deren Medizini-
scher Dienste abhängen.


(Beifall bei der SPD)


Deshalb muss ein Ziel des großen Pakets, das wir
schnüren, sein, einen flächendeckenden Zugang zu palli-
ativmedizinischer und pflegerischer Versorgung und ei-
nen individuellen Leistungsanspruch hierauf für alle
Menschen zu schaffen. Dieser Zugang muss auch ambu-
lant möglich sein, sodass schwer kranke und sterbende
Menschen länger und besser in ihrer häuslichen Umge-
bung versorgt werden können. Das ist der Wunsch vieler
Menschen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die bereits in Modellregionen – wie in Mecklenburg –
erprobten Palliative-Care-Teams, die sich aus speziell
ausgebildeten Ärzten und Pflegern zusammensetzen,
konnten in der Vergangenheit bereits gute Erfahrungen
sammeln. Dabei geht es um ein Nebeneinander von am-
bulant und stationär, von höchstem medizinischem und
pflegerischem Standard und ehrenamtlichem Engage-
ment.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Lassen Sie mich an dieser Stelle gerade Letzteres, das
bürgerschaftliche Engagement der vielen Ehrenamtli-
chen, würdigen. Ohne sie wäre unsere Gesellschaft um
einiges ärmer.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Die Zahl der sterbenden und schwer kranken Men-
schen wird in den nächsten Jahren weiter zunehmen.
Deswegen ist es wichtig, dass auch dieser Aspekt schon
heute in die Diskussion einfließt. An dieser Stelle sollten
wir uns fragen: Was sind uns Leben und Sterben in
Würde wert? Ich bin der Auffassung, dass es uns viel
wert sein muss.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hermann Otto Solms


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)


    Herr Kollege Kleiminger, ich gratuliere Ihnen zu Ih-

    rer ersten Rede im Deutschen Bundestag.


    (Beifall)


    Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Rolf Koschorrek
    von der CDU/CSU-Fraktion.


    (Beifall bei der CDU/CSU)