Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Ich begrüße Sie alle sehr herzlich zu unseren heutigenBeratungen.Bevor wir in die Tagesordnung einsteigen, erbitte ichIhre Aufmerksamkeit für einige kurze Mitteilungen.Die Kollegin Mechthild Rawert hat ihr Amt alsSchriftführerin niedergelegt. Als Nachfolger schlägt dieFraktion der SPD den Kollegen Dirk Becker vor. SindSie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist offenkundigder Fall. Dann ist der Kollege Becker zum Schriftführergewählt.Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundeneTagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufge-führten Punkte zu erweitern:ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP:Bundespolitische Folgerungen aus den Vorgängen an derRütli-Hauptschule in Berlin
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte Pothmer,Markus Kurth, Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENHartz IV weiterentwickeln – Existenzsichernd, individu-ell, passgenauRedet– Drucksache 16/1124 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
FinanzausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Kultur und MedienHaushaltsausschuss
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel,Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion der LINKENDie Beziehungen zwischen EU und Lateinamerika so-lidarisch gestalten – Kein Freihandelsabkommen EU-Mercosur– Drucksache 16/1126 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche ZusammenarbEntwicklung
Laurischk, Otto Fricke, Ina Lenke, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der FDPZwangsheirat wirksam bekämpfen – Opfer stärkenund schützen – Gleichstellung durch Integration undBildung fördern– Drucksache 16/1156 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Auswärtiger AusschussInnenausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderungder Vorschriften über die Luftaufsicht und die Luft-fahrtdateien– Drucksache 16/958 –Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses fürVerkehr, Bau und Stadtentwicklung
– Drucksache 16/1159 –Berichterstattung:Abgeordnete Dorothee Menznerextb) Beratung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschus-ses
Übersicht 2über die dem Deutschen Bundestag zugeleitetenStreitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht– Drucksache 16/1141 –c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-schusses
Sammelübersicht 28 zu Petitionen– Drucksache 16/1132 –d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-schusses
Sammelübersicht 29 zu Petitionen– Drucksache 16/1133 –ng der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-es
elübersicht 30 zu Petitionencksache 16/1134 –eit unde) BeratuschussSamm– Dru
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Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldtf) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-schusses
Sammelübersicht 31 zu Petitionen– Drucksache 16/1135 –g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-schusses
Sammelübersicht 32 zu Petitionen– Drucksache 16/1136 –h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-schusses
Sammelübersicht 33 zu Petitionen– Drucksache 16/1137 –i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-schusses
Sammelübersicht 34 zu Petitionen– Drucksache 16/1138 –j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-schusses
Sammelübersicht 35 zu Petitionen– Drucksache 16/1139 –ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN:Beitrag des Energiegipfels zur Energieversorgungssicher-heit und zur Verringerung der Gefahren durch Atomkraftund KlimawandelZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Ab-geordneten Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei, Thilo Hoppe,weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNENFür ein friedliches Vorgehen im Konflikt über das irani-sche Atomprogramm – Demokratische Entwicklung un-terstützen– Drucksachen 16/651, 16/1157 –Berichterstattung:Abgeordnete Joachim HörsterDr. Rolf MützenichDr. Werner HoyerWolfgang GehrckeJürgen TrittinZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher-schutz zu dem Antrag der AbgeordnetenHans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan,Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDPKeine Wettbewerbsverzerrungen für Landwirte durch dieUmsetzung der EU-Richtlinie zur Haltung von Nutztierenin nationales Recht– Drucksachen 16/590, 16/1142 –Berichterstattung:Abgeordente Dr. Peter JahrDr. Wilhelm PriesmeierHans-Michael GoldmannDr. Kirsten TackmannBärbel HöhnZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Hirsch,Dr. Petra Sitte, Volker Schneider , weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der LINKENAnforderungen an die Gestaltung eines europäischen undeines nationalen Qualifikationsrahmens– Drucksache 16/1127 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendwwBbbsUaShT
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzesüber die Weitergeltung der aktuellen Renten-werte ab 1. Juli 2006– Drucksachen 16/794, 16/1004 –Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Arbeit und Soziales
– Drucksache 16/1078 –Berichterstattung:Abgeordneter Anton Schaafb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
zu dem Antrag der Abgeordneten
Volker Schneider , Klaus Ernst,Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und derFraktion der LINKEN1-Euro-Jobs aus der Berechnungsgrundlagefür die Rentenanpassung herausnehmen– Drucksachen 16/826, 16/1078 –Berichterstattung:Abgeordneter Anton Schaafc) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
zu der Unterrichtung durch die
BundesregierungVorschlag für eine Richtlinie des EuropäischenParlaments und des Rates zur Verbesserungder Portabilität von Zusatzrentenansprüchen
KOM 507 endg.; Ratsdok. 13686/05
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Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt– Drucksachen 16/150 Nr. 2.265, 16/1155 –Berichterstattung:Abgeordneter Peter Weiß
d) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Heinrich L. Kolb, Jens Ackermann, Dr. KarlAddicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDPKeine Rentenversicherungspflicht für ge-schäftsführende Alleingesellschafter einerGmbH– Drucksache 16/966 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Wirtschaft und Technologiee) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungBericht der Bundesregierung über die gesetzli-che Rentenversicherung, insbesondere überdie Entwicklung der Einnahmen und Ausga-ben, der Nachhaltigkeitsrücklage sowie des je-weils erforderlichen Beitragssatzes in den
undGutachten des Sozialbeirats zum Rentenversi-cherungsbericht 2005 und zum Alterssiche-rungsbericht 2005– Drucksache 16/905 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitHaushaltsausschussf) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungErgänzender Bericht der Bundesregierung
undGutachten des Sozialbeirats zum Rentenversi-cherungsbericht 2005 und zum Alterssiche-rungsbericht 2005– Drucksache 16/906 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitHaushaltsausschussdhsrnSDlsvttEdg
gierungNationaler Strategiebericht Alterssicherung2005– Drucksache 15/5571 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
FinanzausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitHaushaltsausschussh) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungBericht der Bundesregierung über die gesetzli-che Rentenversicherung, insbesondere überdie Entwicklung der Einnahmen und Ausga-ben, der Nachhaltigkeitsrücklage sowie des je-weils erforderlichen Beitragssatzes in denkünftigen 15 Kalenderjahren gemäß § 154SGB VI
undGutachten des Sozialbeirats zum Rentenversi-cherungsbericht 2004– Drucksache 15/4498 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürie Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ichöre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-en.Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Bundes-egierung dem Bundesminister für Arbeit und Sozialord-ung, Herrn Franz Müntefering, das Wort.
Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit undoziales:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ie Menschen müssen und sollen Vertrauen in die sozia-en Sicherungssysteme haben. Deshalb haben wir in die-en Tagen entschieden, dass die Alleingeschäftsführeron GmbHs, die keine Beschäftigten haben, nicht ren-enversicherungspflichtig werden. Das war eine wich-ige, nötige und schnelle Entscheidung.
s gab ein einsames Urteil des Bundessozialgerichtsazu und es gab bei über 500 000 davon Betroffenenroße Sorgen. Sie müssen nicht einzahlen und sie müssen
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Bundesminister Franz Münteferingvor allen Dingen auch nicht nachzahlen. Das haben wirschnell miteinander klargestellt.Zentrale Themen heute sind der Rentenversiche-rungsbericht und der Alterssicherungsbericht. Damitverbunden sind natürlich auch die Entscheidungen zudem speziellen Gesetz über die Weitergeltung der aktu-ellen Rentenwerte ab 1. Juli 2006. Dazu will ich zu-nächst ein paar Worte sagen.Dieses Gesetz über die Weitergeltung der aktuel-len Rentenwerte ab 1. Juli 2006 ist von uns veranlasstund auf den Weg gebracht worden, weil lange Zeit un-klar war, ob zum 1. Juli 2006 eine Kürzung der Rentengemäß der geltenden gesetzlichen Regelung erforderlichwerden würde. Mit dieser Initiative haben wir klarge-stellt: Die große Koalition will, dass die Renten nicht ge-kürzt werden – nicht in diesem Jahr und auch in denkommenden Jahren nicht. Es war aber lange Zeit nichtganz klar, wie die Grundvoraussetzungen für die Ent-scheidung sein würden.Ihnen ist bekannt, dass sich die Erhöhung der Rentennach der Entwicklung der Einkommen der aktiv Be-schäftigten richtet. Das Ergebnis ist nun, dass wir inzwi-schen wissen, dass die Zunahme der anpassungsrelevan-ten Einkommen der aktiv Beschäftigten im Westen0,2 Prozent beträgt, während es im Osten minus 0,4 Pro-zent sind. Wir wissen auch, dass die Renten nicht ganzso stark erhöht werden, wie die Einkommen steigen,sondern dass sich die Erhöhung um die Riester-Treppeund um den Nachhaltigkeitsfaktor reduziert. Das sindetwa 1,1 Prozent. Wenn man dies abgezogen hätte, dannhätte es auf beiden Seiten eine Kürzung gegeben. Aberes gibt drei Schutzklauseln: Die Rente darf wegen derRiester-Treppe nicht sinken; die Rente darf wegen desNachhaltigkeitsfaktors nicht geringer werden; die Rentedarf sich in den neuen Bundesländern nicht schlechterals in den alten Bundesländern entwickeln. Das heißt un-ter dem Strich: Es bleibt bei null. Die Tatsache, dass wirdies mit einem Gesetz regeln und dafür keine Verord-nung erlassen – das wäre sonst der Fall gewesen –, hatauch den positiven Nebeneffekt, dass die Deutsche Ren-tenversicherung Bund nicht 20 Millionen Bescheide andie Rentnerinnen und Rentner verschicken muss, son-dern dass mit dem vorliegenden Gesetz die Situation ge-regelt wird und damit Rechtsverbindlichkeit eintritt.Aus den Erkenntnissen der letzten Wochen ziehen wirfolgende Konsequenz: Wir werden dafür sorgen – dienötigen Vorbereitungen dazu laufen –, dass die 1-Euro-Jobs in Zukunft nicht mehr in die Lohnentwicklung ein-gerechnet werden.
Diese haben die Berechnungsgrundlage in erheblichemMaße verzerrt. Wir möchten, dass die 1-Euro-Jobs inZukunft nicht mehr in den Schnitt der Lohnentwicklungeinbezogen werden.Bei dem Rentenversicherungsbericht und dem Alters-sicherungsbericht hat es Vorlauf gegeben. Der Alterssi-cherungsbericht – ihn gibt es in jeder Legislaturperiodenur einmal – macht deutlich: Angesichts der demografi-sbdEibHe5s455bsDltDwfdm5DwRm6r6lgddvddbtktsJZszdwmdgn
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Dr. Heinrich L. KolbDas mag gut gemeint sein; aber es ist sachlich falsch.Was glauben Sie denn, wie die Rentner in diesem Landees empfinden müssen, wenn die Rente nicht erhöht wird,sie aber ab dem 1. Januar 2007 eine um 3 Prozent höhereMehrwertsteuer zahlen müssen? Von der in Aussicht ge-stellten Senkung der Arbeitslosenversicherungsbei-träge profitieren diese Menschen ja überhaupt nichtmehr. Ich kann Ihnen sehr deutlich sagen: Diese Men-schen empfinden das als eine Dreistigkeit; sie empfindenes als eine weitere deutliche Kürzung ihrer verfügbarenRenten. Es ist unehrlich, zu behaupten, es gebe keineRentenkürzung, wenn man sie in Wahrheit doch längst inKoalitionsrunden beschlossen hat.
Es ist auch nicht das erste Mal, dass dies geschieht.Schon zweimal haben die Rentner Nullrunden hinneh-men müssen und wurden gleichzeitig zusätzlich belastet:mit dem vollen Pflegeversicherungsbeitrag, mit dem Zu-satzbeitrag zur Krankenversicherung und mit der Verbei-tragung der Zusatzversorgung/Direktversicherung. HerrMüntefering, es kann vor diesem Hintergrund nichtwirklich verwundern, dass das Vertrauen der Rentner inIhre Politik nachhaltig gestört ist.Weil das so ist, macht es keinen Sinn, sozusagen zurBestärkung einer behaupteten Nichtkürzungsabsicht dasheute hier vorliegende Gesetz über die Weitergeltung deraktuellen Rentenwerte zu beschließen. Hier soll denRentnern ein X für ein U vorgemacht werden. Dieschmerzliche dritte Nullrunde in Folge soll den Betroffe-nen jetzt sogar noch als Erfolg und als Wohltat verkauftwerden. Ich sage sehr deutlich: Eine Absenkung derRenten nach der Rentenformel ist 2006 auch ohne diesesGesetz nicht zu befürchten. Auch die Regierung selberging nie von einer negativen Lohnentwicklung aus, wiesich im Rentenversicherungsbericht zeigt. Die nun vor-liegenden offiziellen Zahlen bestätigen das.Es ist daher heute das erste Mal, seit ich diesem Ho-hen Haus angehöre – das sind jetzt immerhin schon15 Jahre –, dass der Bundestag ein Gesetz beschließensoll, dessen Regelungsgegenstand zum Zeitpunkt derzweiten und dritten Lesung weggefallen ist. Ich findedas – ich sage es deutlich, Herr Müntefering – unzumut-bar. Hier soll Regierungshandeln vorgetäuscht werden,wo Regierungsversagen festzustellen ist.
Wie auch der Sozialbeirat fordere ich Sie auf, dieses Ge-setz zurückzuziehen, weil es inhaltsleer ist. Es ist einNullum. Das „Handelsblatt“ hat vollkommen zutreffendgeschrieben: „Koalition führt Rentner hinters Licht.“Die Regierung verhindert öffentlichkeitswirksam eineRentenkürzung, die ohnehin nicht gekommen wäre. –Dem ist nichts hinzuzufügen.
Nach alledem kann das Vorgehen der Bundesregie-rung bei der Aufstellung des Rentenversicherungsbe-rnmtrBlBhem2wrtb0t1slsD1deHwAk6ahrAafpmsaDdgnkmhsvg
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Wir haben dieses Gesetz vorsichtshalber in der Tatfrühzeitig eingebracht. Wir stehen für Vertrauen und fürVerlässlichkeit. Wir werden die beitragsfinanzierte ge-setzliche Rentenversicherung als wichtigste Säule derAlterssicherung in Deutschland erhalten. Die Rentnerkönnen sich darauf verlassen, dass sie ihre Altersbezügeweiter erhalten.Das bedeutet nicht – das wissen auch alle hier imHause –, dass wir etwa die gesetzliche Rentenversiche-rung unter Naturschutz stellen wollen. Es gehört zurWahrheit, festzustellen, dass die heute Jungen den Le-bensstandard durch die gesetzliche Rente allein im Alternicht sichern können. Für sie ist eine kapitalgedeckteErgänzung der gesetzlichen Rente durch betrieblicheund private Altersvorsorge unerlässlich.Umgekehrt gilt aber auch, dass sich die heutigen Ren-tenbezieher trotz langjähriger Beitragszahlung nicht nurmit Rentenansprüchen in Höhe des Sozialhilfeniveausbegnügen müssen. Die finanziellen Lasten der Alterungmüssen zwischen den Generationen fair und gerecht ver-teilt werden. Genau das ist die Maxime, die Richtschnuraller Entscheidungen der großen Koalition in der Ren-tenpolitik. Diese Entscheidung ist richtig.
Wir haben dies mit einem rentenpolitischen Maßnah-menpaket verbunden. Vor vier Wochen haben wir diesesPaket mit der Vorlage des Rentenversicherungsberichts2005 mit Zahlen untermauert. Wir beschreiten mit die-sem Zahlenwerk den Weg in die Realität. Lassen Siemich dies an einem Beispiel deutlich machen: Im letztenRentenversicherungsbericht der rot-grünen Bundesregie-rung ging man noch davon aus, dass die Renten bis zumJahr 2018 um gut 30 Prozent steigen. Schön wärs gewe-sen. Nach unserem Bericht liegt der vergleichbare Wertbei 17 Prozent. Das ist zwar weniger, aber es ist ein rea-listischer Wert. Die Zeit der Schönfärberei ist vorbei.Die große Koalition geht mit realistischen Zahlen an dieLösung dieser Probleme heran.
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Gleichzeitig werden wir – auch das geht aus den Be-ichten hervor und ist politisch klar geäußert worden –ie Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre be-chließen. Auch dazu gibt es, wie wir wissen, keine seri-se Alternative. Klar ist auch: Das muss mit besonderennstrengungen für die Verbesserung der Beschäfti-ungschancen Älterer einhergehen. Diesen Weg wer-en wir beschreiten. Wir legen hier ein Gesamtkonzeptor.Es hätte die Möglichkeit bestanden, dass auch die Op-osition hier einmal ihr Konzept darlegt.
tattdessen betreiben die Oppositionsfraktionen nichtsls Rosinenpickerei. Es ist klar: Die Linken stellen denntrag, die 1-Euro-Jobs bei der Rentenberechnung nichtu berücksichtigen. Dieser Antrag ist völlig überflüssig,eil die 1-Euro-Jobs in die Rentenberechnung bisher garicht einfließen.
ir werden sie auch in Zukunft nicht einbeziehen. Dasst politisch klar.Nun wundert es mich nicht, wenn ein solcher Antragon den Linken kommt, aber ich muss schon sagen, Herrollege Kolb: Ich mache mir Sorgen um die FDP undm die Seriosität Ihrer Politik.
ie beantragen hier allen Ernstes, wir sollten unserenesetzentwurf über die Weitergeltung der aktuellenentenwerte zurückziehen. Was ich hier in Händenalte, Herr Kollege Kolb, ist die erste von 17 Seiten dererordnung der vorigen Bundesregierung aus dem letz-en Jahr, in der festgelegt wurde, dass es im Jahr 2005eine Rentenerhöhung gibt. Dies wollen Sie durch die-es Papier hier ersetzen und das soll dann, wie derinister schon gesagt hat, 20 Millionen Mal verschickterden, um das den Leuten mitzuteilen. Das ist Ihr Bei-rag zum Bürokratieabbau. Es kann doch wohl wirklich
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Dr. Ralf Brauksiepenicht Ihr Ernst sein, Herr Kollege Kolb, dass Sie uns dashier auch noch als seriöse Alternative verkaufen wollen.Ich verstehe es wirklich nicht.
Herr Kollege Kolb, wir haben vor zwei Tagen Profes-sor Ruland verabschiedet. Ich habe bei der Gelegenheiteinmal mit Norbert Blüm gesprochen und ihn gefragt:Wie war das denn eigentlich mit dem Herrn Kolb, der jaeinmal Staatssekretär war? Ich habe gedacht, er würdemir sagen: Der war immer gegen CDA-Politik, ein ganzschwieriger Fall. – Das hat Norbert Blüm aber gar nichtzum Ausdruck gebracht, sondern er hat gesagt: Mit demHerrn Kolb konnte man sehr gut zusammen regieren.Das war ein sehr guter Mann.
Herr Kolb, Sie können es doch eigentlich. Von daherbitte ich Sie wirklich: Gehen Sie von diesem unseriösenKurs ab! Wir brauchen in diesem Land eine seriöse libe-rale Opposition, die seriöse Anträge stellt und nicht sol-che, die Sie, meine Damen und Herren, nur stellen kön-nen, weil Sie wissen, dass Ablehnung gesichert ist.Gehen Sie von diesem Weg ab, liebe Kolleginnen undKollegen!
Ähnliches gilt für Ihren Antrag zur Rentenversiche-rungspflicht für geschäftsführende Alleingesellschaf-ter. Den haben Sie nicht eingebracht, weil Ablehnunggesichert war. Den haben Sie am 15. März vorgelegt, alsErfüllung schon gesichert war, lieber Herr Kolb.
Hierbei geht es in der Tat um ein ernstes Problem. Ichbin dem Kollegen Max Straubinger aus unserer Fraktiondankbar. In den regelmäßigen Gesprächen, die wir in derKoalition haben, hat er als Erster dieses Thema ange-sprochen und darauf gedrungen, dafür eine Lösung zufinden.
Ich kann erfreut feststellen: Unsere sozialdemokrati-schen Partner
sind für unsere guten Argumente meistens offen, so auchin diesem Fall. Deshalb sind sie unseren Argumenten ge-folgt. Wir haben uns vor Wochen auf diese Regelungverständigt. Nachdem das politisch klar war, haben Siediesen Antrag gestellt in dem Wissen, dass das sowiesopassiert. Das ist keine seriöse Oppositionspolitik, liebeKolleginnen und Kollegen!
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usste aber feststellen: Wir beraten die Tagesordnungs-unkte 3 a bis h, aber Sie von den Grünen haben leiderberhaupt nichts vorgelegt. Es liegt kein Gesetzentwurf,ein Antrag, nicht einmal ein Entschließungsantrag vonhrer Fraktion vor.
s ist wirklich sehr bedauerlich, dass es von Ihnen kei-en Beitrag zu dieser Debatte gibt. Deswegen muss ichie heute leider aussparen. Vielleicht kommt von Ihnenn der Zukunft wieder etwas, wenn Sie mit Ihren inter-en Problemen fertig sind.
Ich komme zu dem Konzept der Rentenpolitik derroßen Koalition zurück.
ir werden die Maßnahmen sinnvoll aufeinander aufge-aut fortführen. Im nächsten Jahr wird es eine moderaterhöhung des Rentenbeitragssatzes geben. Wir werdenie in diesen Jahren nicht durchgeführten Rentenkürzun-en durch den Einbau eines Nachholfaktors in der Ren-enanpassungsformel nachholen, weil die Jungen aufauer nicht allein die Lasten tragen können.
ielmehr muss jede Generation ihren Beitrag leisten.arum werden wir das so machen.
Alle diese Maßnahmen gehen mit einem moderat stei-enden Bundeszuschuss an die Rentenkasse einher.enn man sich die Mühe macht, die Zahlen aus demundeshaushaltsplanentwurf 2006 mit denen der letztenahre zu vergleichen, wird man feststellen: Der Anstieges Bundeszuschusses ist heute deutlich geringer als iner Vergangenheit. Zur Ehrlichkeit gehört dazu, auch zuagen: Ohne eine solche moderate Steigerung geht esicht. Neben den Beitragszahlern und den Rentnernuss auch der Steuerzahler seinen Beitrag zum Erhaltes Systems der gesetzlichen Rentenversicherung leis-en.Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dassns das Thema Rente in der gesamten Wahlperiode be-leiten wird. Das gilt für die gesetzliche Rente genausoie für die kapitalgedeckte Altersvorsorge.Lassen Sie mich, weil das angesprochen worden ist,och ein Wort zur sozialabgabenfreien Entgeltum-andlung bei der betrieblichen Altersvorsorge sagen.s ist doch völlig klar, dass man es, wenn man in Zeitenon 5 Millionen Arbeitslosen, leeren Rentenkassen undiner geringen Quote von Menschen – etwa jeder siebte
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Dr. Ralf Brauksiepebis achte –, die die Riester-Förderung in Anspruch neh-men, die Regierungsgeschäfte übernimmt, mit Ziel-konflikten zu tun hat. Aber ich finde, es ist selbstver-ständlich, dass man bei den Dispositionen, die man trifft,von der geltenden Rechtslage ausgeht. Die Rechtslageist ganz klar die, dass diese sozialabgabenfreie Entgelt-umwandlung, die die Sozialkassen an anderer Stelle eineMenge Geld kostet, im Jahr 2008 ausläuft. Jeder, derseine Dispositionen verantwortlich trifft, wird erst ein-mal von dieser bestehenden Rechtslage ausgehen.
Wir haben uns gleichwohl vorgenommen, vor demHintergrund der positiven Entwicklung seit dem In-Kraft-Treten des Alterseinkünftegesetzes im vergange-nen Jahr bis zum nächsten Jahr zu prüfen, wie die Ent-wicklung weiter verläuft. Im Jahr 2007 werden wir dannentscheiden, welche Maßnahmen wir zur weiteren För-derung der betrieblichen und privaten Altersvorsorgeergreifen. Damit ist im Jahr 2006 das zu diesem Themagesagt, was dazu zu sagen ist.
Wir werden die Entscheidungen vor dem Hintergrundder Erkenntnisse, die wir bis zum nächsten Jahr gewon-nen haben, verantwortlich treffen.Damit wird insgesamt deutlich, liebe Kolleginnen undKollegen: CDU/CSU und SPD stellen sich den Proble-men in der Rentenversicherung. Wir haben beim ThemaRente wichtige Entscheidungen getroffen. Wir betreibenkeine Rosinenpickerei wie die Opposition, sondern wirhaben ein in sich geschlossenes, wenn auch nicht popu-läres Konzept, das es nunmehr in Gesetzesform zu gie-ßen gilt. Das haben wir uns für die Zukunft vorgenom-men. Jeder ist herzlich eingeladen, dabei konstruktivmitzuwirken.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Klaus Ernst von
der Fraktion Die Linke.
Guten Morgen, Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Man soll ja positiv denken. Ich möchte dasheute einmal versuchen, auch wenn es mir angesichtsdes Rentenberichts der Bundesregierung äußerst schwerfällt. Aber das Positive zuerst: Man nimmt richtiger-weise künftig die 1-Euro-Jobs aus der Berechnung desRentenwertes heraus.
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Das würde dazu führen, dass ein Abgeordneter 1,3 Pro-zent mehr Diäten bekommen soll. Das kann zwar uns alsAbgeordnete freuen. Aber draußen versteht das keinMensch mehr.
Hier wird eine Politik betrieben, die immer andere be-trifft, aber die eigenen Taschen füllt. Das ist verwerflichund nicht zu akzeptieren, Kolleginnen und Kollegen.
Herr Müntefering, bei Ihren Berechnungen bauen Sieauf Sand. Die Zahl der Arbeitslosen, so lese ich in IhremBericht, soll von 2005 bis 2009 um 650 000 sinken. Wiewollen Sie dies, bitte schön, erreichen? Die Vorschläge,wie Sie die Arbeitslosigkeit reduzieren wollen, bleibenSie schuldig. Jeder weiß, dass Ihre Politik eher dazu füh-ren wird, dass die Arbeitslosigkeit weiter zunimmt.Diese Milchmädchenrechnung, die Sie hier aufmachen,glaubt Ihnen doch keiner mehr. Woher nehmen Sie bei-spielsweise Ihre Annahme, dass die Entgelte ab 2010statt um 3 Prozent immer noch um 2,5 Prozent steigensollen? Ich habe den Eindruck, Sie haben sich zum Kaf-feesatzlesen getroffen und dann Ihren Bericht veröffent-licht.Mit Ihrer Politik zerstören Sie die Grundlagen diesesSozialstaats. Sozialstaat ist nämlich nicht nur Armen-küche, Sozialstaat ist nicht nur die Verteilung von Sup-pen an Bedürftige. Sozialstaat hat auch etwas mit Orga-nisation zu tun. Wenn man eine Versicherung hat, dannentsteht ein Rechtsanspruch auf eine bestimmte Leistungdadurch, indem man einzahlt. Sie haben aber letztend-lich vor, dieses Niveau so weit nach unten zu drücken,dass jeder, der irgendwann in seinem Leben einHartz-IV-Empfänger wurde und nicht privat vorsorgenkonnte, an die Armutsgrenze gedrückt wird. Das istkeine Sozialpolitik, sondern eine gezielte Verarmungkünftiger Generationen.
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Ihr Ziel ist übrigens – das ist der nächste Etiketten-chwindel – nicht Beitragssatzstabilität. Sie können esoch so oft behaupten: Das glaubt Ihnen kein Menschehr. Denn die einzige Gruppe, für die der Beitragssatzatsächlich stabil bleibt, sind die Unternehmen. Aber fürie Arbeitnehmer bleibt der Beitragssatz nicht stabil,enn sie privat vorsorgen müssen.
rivate Vorsorge bedeutet, dass zwar die Arbeitgeberbei-räge auf unterem Niveau eingefroren werden, dass aberleichzeitig die Arbeitnehmer durch ihre private Zusatz-ersicherung, die sie abschließen müssen, weniger in derasche haben als vorher. Beitragssatzstabilität findet nurür die Arbeitgeber statt, aber nicht für die Bevölkerungnd nicht für die Versicherten. Deshalb sage ich: Wennie das so machen, ist das, was Sie der Bevölkerung sug-erieren, Etikettenschwindel. Sie entlasten die Arbeitge-er, ohne dass es einen Effekt hat.Ich sage Ihnen: Die eigentliche Ursache für die Pro-leme in der Rentenversicherung liegt darin, dass dieöhne in diesem Lande nicht mehr steigen. Sie steigennter anderem deshalb nicht, weil Sie durch Ihre Politikazu beigetragen haben, dass die Gewerkschaften in ei-er Art und Weise geschwächt werden, dass Lohnerhö-ungen kaum noch durchsetzbar sind. Ein Arbeitslosen-eld-II-Empfänger weiß, was er bekommt. Diejenigen,ie noch keine Arbeitslosengeld-II-Empfänger sind, dieoch in Arbeit sind, wissen, was ihnen blühen würde,enn sie Arbeitslosengeld II bekommen würden. Des-alb ist es natürlich so, dass die Widerstandskraft in denetrieben bzw. bei den Beschäftigten gesunken ist. Des-alb haben wir Nullrunden und letztendlich auch einroblem in der Rentenversicherung. Weil es inzwischen
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Klaus Ernst6 Millionen Menschen gibt, die mit prekären Arbeitsver-hältnissen, mit Billigjobs abgespeist werden, wird unzu-reichend in die Sozialkassen eingezahlt. Wenn Sie dasändern, würden Sie das Übel tatsächlich an der Wurzelpacken und nicht permanent die kleinen Leute schröp-fen, Herr Müntefering.
Ich komme damit zum Schluss. Sie haben gesagt: DieMenschen sollen Vertrauen haben. Herr Müntefering,worin denn? Ihrer Politik zu vertrauen ist so, als würdeman den Würger von Boston um eine Halsmassage bit-ten. Das wäre genau dasselbe.
Wer Ihnen traut, hat künftig dafür zu sorgen, dass er ir-gendwie über die Runden kommt. Mit der Rente wird esjedenfalls bei dieser Politik der Bundesregierung nichtmehr klappen. Die Rente wird von dieser Regierung ka-puttgemacht.
Das Wort hat nun die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Kollege Ernst, ich beneide Sie: Es ist schön, wennman ein so einfaches Weltbild hat, wie Sie es haben. Dakann man sich zufrieden zurücklehnen.
Wir diskutieren heute über eine Reihe rentenpoliti-scher Vorhaben. Ich beginne mit dem Entwurf eines Ge-setzes zur Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte. Zieldieses Gesetzentwurfes war es, mögliche Rentenkür-zungen aufgrund niedriger Lohnsteigerungen zu vermei-den. Dieses Ziel hat meine Fraktion voll und ganz unter-stützt. Da das Ministerium selbst jetzt aber bestätigt,dass es aufgrund der Lohnentwicklung nicht zu einerRentenkürzung kommen wird, ist dieser Gesetzentwurfabsolut überflüssig.
Man kann es auch anders ausdrücken: Stell dir vor, dieRegierung macht ein Gesetz und keiner braucht es.Herr Minister Müntefering, man sollte die Sauerlän-der nicht unterschätzen: Sie sind ein Fuchs. Sie habenvor den Landtagswahlen den Robin Hood der Rentnerund Rentnerinnen gespielt und ihnen gesagt, dass SieRentenkürzungen per Gesetz ausschließen. Die Men-schen sind froh und akzeptieren scheinbar dankbar eineneue Nullrunde. Doch nun, da Sie wissen, dass die Ren-ten nicht gekürzt werden müssen, fordere ich Sie auf:Ziehen Sie den Gesetzentwurf zurück!MncbdIwm1nssBAWaagszMrvs„IegrtRsMRqswnsGli
Ich komme zum nächsten Punkt, zu den Rentenversi-herungsberichten 2004 und 2005. Was die Menschenei der sozialen Sicherung und gerade bei der Renteringend brauchen, sind Vertrauen und Verlässlichkeit.ch glaube, dass Ihre Annahmen bezüglich der Lohnent-icklung und des Wirtschaftswachstums viel zu opti-istisch sind. Ich erinnere an die Fehlprognosen von995. – Herr Kollege Brauksiepe, 1995 gab es leideroch keine rot-grüne Bundesregierung.
Natürlich wünsche auch ich mir, dass die Gewerk-chaften endlich wieder bessere Tarifabschlüsse durch-etzen können; denn das ist gut für die Beschäftigten, dieinnennachfrage und letztendlich auch für die Renten.ber ein Rentenversicherungsbericht ist nun einmal keinunschkatalog. Wir brauchen eine realistische Vorschauuf die nächsten 15 Jahre.Die gesetzliche Rente hat in den letzten Jahren durch-us schmerzhafte Reformen durchlebt. Niveausenkun-en und der Nachhaltigkeitsfaktor sind in diesem Zu-ammenhang nur zwei Stichworte. Aber dadurch ist sieukunftsfähig geworden. Durch sie werden die meistenenschen vor Armut geschützt. Sie wird aber nicht aus-eichen, um den Lebensstandard im Alter zu sichern. Pri-ate und betriebliche Vorsorge tut zusätzlich Not.Der ehemalige Geschäftsführer des Verbandes Deut-cher Rentenversicherungsträger, Franz Ruland, derRentenpapst“, hat am 3. April dieses Jahres in einemnterview mit der „FAZ“ die Einschätzung vertreten:Was im Rentensystem kürzbar war, ist gekürzt wor-den.Ich schließe mich dieser Einschätzung explizit an undrweitere sie um die Bemerkung: Innerhalb des bisheri-en Umlagesystems der gesetzlichen Rentenversiche-ung sind alle Reformen durchgeführt worden, die ver-retbar sind. Die schrittweise Heraufsetzung desenteneintrittsalters, die noch zu verabschieden ist,chließe ich in diese Bemerkung ausdrücklich ein. Herrinister, wir unterstützen Sie bei der Heraufsetzung desenteneintrittsalters; denn das ist eine logische Konse-uenz des längeren Lebens. Heute beziehen die Men-chen 17 Jahre lang Rente, 1960 waren es zehn Jahreeniger. Ich fordere Sie aber auf, bei der Umsetzungicht zu stümpern.
Die Erhöhung des Renteneintrittsalters und die Be-chäftigung Älterer in den Unternehmen sind wie einespann. Beides muss parallel und im gleichen Tempoaufen; ansonsten geht es schief. Hier ist die Wirtschaftn der Verantwortung. Ohne Arbeitsplätze für Ältere ist
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Irmingard Schewe-Gerigkdie Rente mit 67 eine Rentenkürzung und das lehnen wirab.
Es wird gern verschwiegen, aber wir haben ein struk-turelles Problem bei den Einnahmen der Rentenversi-cherung. Diese Schwierigkeit ist nicht kurzfristiger Na-tur. Sie wird in den nächsten Jahren andauern, wenn wirnicht an den Ursachen ansetzen. An dieser Stelle ist diegroße Koalition blind; denn sie ignoriert die Analysenamhafter Experten. Bereits im Gutachten zum Renten-versicherungsbericht 2004 hat der Sozialbeirat auf dieProbleme bei der Entwicklung der Beitragseinnahmenaufmerksam gemacht. Er hat die Diskrepanz zwischendem gestiegenen Bruttoinlandsprodukt und sinkendenEinnahmen der Rentenversicherung benannt. Die Ursa-chen liegen auf der Hand: gedämpfte Lohnentwicklung,weniger sozialversicherungspflichtige Erwerbstätige,weniger Pflichtversicherte, mehr Selbstständige, mehrgeringfügig Beschäftigte und mehr Arbeitslose mit ei-nem niedrigeren Beitrag. Doch obwohl CDU/CSU undSPD das Gutachten bekannt war, haben sie keine adä-quaten Konsequenzen daraus gezogen, sondern dieSchlussfolgerung im Koalitionsvertrag ins Gegenteilverkehrt. Im Gutachten zum Rentenversicherungsbericht2005 bewertet der Sozialbeirat die Annahmen zur kurz-und mittelfristigen Beschäftigungs- und Entgeltentwick-lung an mehreren Stellen als ambitioniert. Offensichtlichwollte sich der Sozialbeirat diplomatisch ausdrückenund die positiven Konjunkturerwartungen nicht dämp-fen.Schauen Sie aber in die neueste Studie „PrognosDeutschland Report 2030“. Darin steht, dass in dennächsten 25 Jahren mit einem massiven Rückgang vonArbeitsplätzen im traditionellen Industriebereich zurechnen ist. Daneben wird von einer starken Zunahmeder Zahl der Selbstständigen gerechnet. Aufgrund derletzten Jahre wissen wir, dass Selbstständigkeit in vielenFällen eine selbst gewählte Notlösung ist, um der Ar-beitslosigkeit zu entgehen. Sorge bereiten uns vor allemjene Selbstständige, die nicht in der Lage sind, sich aus-reichend sozial abzusichern.Herr Minister Müntefering, in der Haushaltsdebatteder letzten Woche haben wir Ihnen vorgeworfen, dassSie den Bundeshaushalt zulasten der Versicherten sanie-ren, zum Beispiel durch die Erhöhung der Sozialabga-ben für Minijobs. Ihr Sozialbeirat wird da sehr vieldeutlicher – ich zitiere –: „Die Erhöhung von Sozialbei-trägen mit dem ausdrücklichen Ziel, den Bundeshaushaltzu entlasten, ist verfassungsrechtlich problematisch.“
Als Beispiel für diesen verfassungsrechtlich bedenkli-chen Eingriff in die Finanzierungsgrundlagen der Ren-tenversicherung wird im Gutachten die Halbierung desMindestbeitrags von 78 auf 40 Euro für Langzeitarbeits-lose kritisiert. Während jede Existenzgründerin undjeder freiwillig Versicherte den Mindestbeitrag von78 Euro entrichten muss, macht der Bund in seinem ei-genen Gestaltungsbereich selbstherrlich Ausnahmen. Ichempfinde das als Politik nach Gutsherrenart.rcsddt–AhdbgKGdtwzeretmputrddvwddfsGnfed
Ich komme gleich darauf, Herr Kollege. – Modernerbeitsmärkte fordern auch mobile Beschäftigte. Des-alb muss die betriebliche Altersvorsorge flexibler wer-en. Sie darf nicht als Finanzierungsmasse der Arbeitge-er verwendet werden und muss stärker vor Insolvenzeschützt werden.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Weiß?
Herr Kollege Weiß, es ist mir eine Freude.
Frau Kollegin Schewe-Gerigk, es ist mir eine Freude,ass ich Ihnen heute Morgen eine Freude machen kann.
Sie haben soeben ausgeführt, dass die Grünen die Be-riebsrenten in Deutschland stärken und weiter ausbauenollen – was, wie ich glaube, die Zustimmung des gan-en Hauses findet – und dass die Entgeltumwandlungine sehr gute Grundlage bildet. Das ist vollkommenichtig. Dann haben Sie aber einen Schlenker zu deruropäischen Richtlinie zur Portabilität von Zusatzren-enansprüchen gemacht. Ich weiß nicht, wie das zusam-enpassen soll, Frau Kollegin Schewe-Gerigk. Alle Ex-erten des Betriebsrentensystems in Deutschland sagenns: Wenn wir diese EU-Richtlinie, so wie sie ist, akzep-ieren würden, würde dadurch das System der Betriebs-enten in Deutschland keinen Aufschwung erleben, son-ern zusammenbrechen. Viele Betriebe würden sich ausem Betriebsrentensystem verabschieden. Die Zusatz-ersorgung für Angehörige des öffentlichen Dienstesäre am Ende. Deswegen kann ich nicht verstehen, wieas zusammenpassen soll. Erklären Sie uns einmal, wieiese EU-Richtlinie mit ihren negativen Auswirkungenür das Betriebsrentensystem zu Ihrer Aussage passenoll, dass Sie die Betriebsrenten fördern wollen!
Wir haben gesagt, dass wir die Entgeltumwandlungicht weiter sozialversicherungsmäßig und steuerlichördern wollen. Denn in dem betreffenden Gesetz wurdeine Laufzeit bis 2008 beschlossen. Dazu kommt, dassiese Maßnahme die Sozialkassen ziemlich plündert. Sie
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Irmingard Schewe-Gerigkwar als Anschubfinanzierung vorgesehen und dieses Zielhat sie erreicht.Bei der EU-Richtlinie handelt es sich doch ganz ein-deutig darum, dass diejenigen, die mobil sind, jungeMenschen, nicht erst ab einem Alter von 30 Jahren, son-dern bereits ab 21 Jahren geschützt werden sollen. Esgibt junge Leute, die ins Ausland gehen und ihre Renten-ansprüche mitnehmen wollen. Sie möchten ferner, dassdas nicht erst nach einer Betriebszugehörigkeit von fünfJahren möglich sein soll, sondern bereits nach zwei Jah-ren. Das ist doch eine wichtige Sache. Ich finde, eineMaßnahme, die steuerlich begünstigt ist und von der dieArbeitnehmer auch etwas haben, gehört in das Eigentumder Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wenn solcheZusagen vorliegen. Es ist absolut richtig, dass diese An-sprüche mitgenommen werden können und sie den Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch zustehen.Aber ich werde darauf gleich in meiner Rede noch inten-siver eingehen, Herr Kollege.Ich habe dank Ihrer Zwischenfrage meine Redezeitnoch etwas verlängern können.Wir wollen aber auch, dass Arbeitnehmer und Arbeit-nehmerinnen die betriebliche Altersvorsorge bei einemWechsel des Arbeitgebers generell und uneingeschränktweiterführen können. Bereits bestehende Ansprüche fürausscheidende Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnenmüssen dynamisiert werden, damit sie sich nicht mit derZeit entwerten.Was tut die Regierung? Jetzt komme ich auf die Stel-lungnahme der Bundesregierung zu dieser EU-Richt-linie zurück; wir haben es gestern im Ausschuss disku-tiert. Da sagt die große Koalition: Eigentlich wollen wiruns von der EU gar nichts sagen lassen.
Ich dachte immer, wir seien ein Mitgliedsland der Euro-päischen Union. Aber Sie meinen: Eigentlich hat die EUin diesen Dingen nichts zu sagen. Die Stellungnahme derBundesregierung ist sehr einseitig an den Interessen derArbeitgeber ausgerichtet. Auch wir wollen, dass die be-triebliche Altersvorsorge für die Arbeitgeberinnen undArbeitgeber interessant bleibt. Aber aus lauter Arbeitge-berfreundlichkeit die Flexibilisierung der betrieblichenAltersvorsorge gleich ganz abzulehnen, das wäre unseresErachtens ein kapitaler Fehler. Damit schaden Sie derbetrieblichen Altersvorsorge.
Ich komme zum Schluss. Betrachte ich die Rentenpo-litik der großen Koalition – wir haben darüber ja in denletzten Wochen und Monaten viel gehört und hier disku-tiert –, dann kann ich nur sagen: Der Zickzackkurs gehtweiter. Sie machen jeden Tag neue Vorschläge, die Siedann wieder zurücknehmen; ich nenne nur: die Erhö-hung des Bundeszuschusses im nächsten Jahr mit600 Millionen Euro, die Reduzierung der Rentenbeiträgeab dem Jahre 2014 – wo Sie genau wissen, dass da ge-rDferDHTHsddwvwsdkzälWSHdrnbhmaBKKDegrtd
Herr Müntefering, manchmal tun Sie mir ja auch et-as Leid; denn Ihre Fraktion hat sich in dieser Frageollkommen weggeduckt. Ich finde, das ist keine verant-ortliche Politik. Hier müssen Sie endlich den Men-chen verlässliche Konzepte vorlegen, damit sie sicharauf einstellen können. Denn gerade diejenigen, dieurz vor der Rente stehen oder die schon im Rentenbe-ug sind, können doch in ihrem Leben nichts mehr ver-ndern; sie sind auf Verlässlichkeit angewiesen. Sie wol-en im Alter eine auskömmliche Rente und ein Leben inürde haben.Vielen Dank.
Jetzt hat das Wort der Kollege Peter Friedrich für die
PD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren! Wir diskutieren heute über die Weitergeltunger aktuellen Rentenwerte und den Rentenversiche-ungsbericht 2005. In der Debatte wurde die Generatio-engerechtigkeit mehrfach angesprochen. Ich bin dank-ar, dass ich als jüngerer Abgeordneter die Möglichkeitabe, für meine Fraktion ein paar Anmerkungen dazu zuachen.Erste Anmerkung. Es ist das Verdienst und die Ver-ntwortung einer realistischen Reformpolitik, dass dieewältigung der demografischen Entwicklung nicht imonflikt zwischen den Generationen stattfindet. Einrieg der Generationen findet in Deutschland nicht statt.
ie Bürgerinnen und Bürger aller Generationen sind zuinem solidarischen Beitrag bereit.
Wir haben Korrekturmechanismen in das System ein-ebaut, die der veränderten Altersstruktur der Bevölke-ung Rechnung tragen. Diese würden kurzfristig zu Ren-ensenkungen führen. Malen Sie sich einmal aus, wasas für die Menschen bedeuten würde: Das hätte einen
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Peter Friedrichgravierenden Vertrauensverlust in die gesetzliche Rentezur Folge, den kein Mensch ernsthaft wollen kann; es seidenn – das ist der einzige Grund, diesen Vertrauensver-lust in Kauf zu nehmen –, er hofft darauf, dass Alterssi-cherung ein rein privates, persönliches Risiko wird.
Wer aber glaubt, Generationengerechtigkeit durch we-niger Solidarität zu erreichen, der irrt, Herr Kolb.
Deshalb ist der Entwurf eines Gesetzes über die Weiter-geltung der aktuellen Rentenwerte richtig.Die Anstrengungen, die wir jetzt im Bereich Renteunternehmen, müssen von Reformen der anderen großensolidarischen Sicherungssysteme flankiert werden. Wirstehen gegenüber den Menschen in der Verantwortung,ihnen eine längere reale Lebensarbeitszeit zu ermögli-chen. Das gilt – das wurde schon angesprochen – für dasEnde des Erwerbslebens, das heißt, dass die Menschendas Renteneintrittsalter tatsächlich im Erwerb stehenderleben müssen. Das gilt aber auch für den Anfang desErwerbslebens. Die Gesamtarbeitszeit der Menschenmuss zunehmen.Wir müssen auch die Auswirkungen der Demografieauf die anderen Sicherungssysteme berücksichtigen. Des-halb diskutieren wir momentan über die Frage, wie dieGesundheitsreform weitergehen kann. Wer glaubt – wiedas mehrfach in die Diskussion geworfen wurde –, mankönne eine Reform auf höhere Zu- und Aufzahlungengründen, der irrt. Das hieße nämlich nichts anderes, alsdass wir von den Rentnerinnen und Rentnern an der Apo-theke das zurückfordern, was wir ihnen vorher gegebenhaben. Das hieße, die Kranken müssten mit den Gesun-den solidarisch sein. Auch das können wir nicht wollen.Zweite Anmerkung. Bei der Rentenfrage muss mannicht über zwei, sondern über drei betroffene Generatio-nen sprechen. Wir diskutieren viel und emsig über dieBeitragszahler und die Leistungsempfänger. Generatio-nengerechtigkeit ist aber mehr als eine reine Zahlungs-bilanz. Es geht auch um die Frage, in welchem Zustandsich die Solidargemeinschaft befindet, in die zukünftigeBeitragszahler hineingeboren werden, in der sie auf-wachsen. Daher sind für die zukünftige Struktur derRente folgende Fragen von Bedeutung: Wie schaffen wirnachhaltiges Wachstum? Wie schaffen wir eine dauer-hafte Steigerung der Qualität unseres Bildungssystems?Wie schaffen wir die Integration zugewanderter Bürge-rinnen und Bürger? Wie ist der Wohlstand zwischen denGenerationen und innerhalb einer Generation verteilt?
Herr Ernst, in Ihrer Rede spielten all diese Themenkeine Rolle. Deshalb möchte ich mir einen Hinweisnicht verkneifen: Wer in der Debatte immer wieder be-tont, man müsse den Wohlhabenden endlich einmal anden Kragen, um das finanzieren zu können – in dieserVerbalität tragen Sie das vor –, und gleichzeitig Vor-schläge zur Vermögensteuer auf den Tisch legt, die eineBEarkbWsDmctdmebsSlDi–efbtregkjüAKadkVle
Herr Ernst, ich nehme das zur Kenntnis. Allerdingstelle ich Ihnen anheim, zur Kenntnis zu nehmen, dassie in meinem Wahlkreis für 300 000 Euro wahrschein-ich kein Häuschen finden werden. Das ist das Problem.ie Leute sehen ihr Eigenheim als Altersvorsorge an. Esst für sie mehr als nur in Haus. Trotzdem wollen Sieso steht es in Ihrem Konzept – da heran.
Meine dritte Anmerkung: Der wichtigste Beitrag zuiner erfolgreichen Rentenpolitik in Zukunft ist eine er-olgreiche Familienpolitik. Natürlich können wir nichtinnen weniger Jahre die Ergebnisse einer seit Jahrzehn-en laufenden gesellschaftlichen Entwicklung korrigie-en. Aber so zu tun, als sei Demografie gottgegeben undin Naturgesetz, bedeutet, sich vor der politischen Auf-abe zu drücken. Deutschland braucht mehr Kinder. Esommt häufig der Einwand, diese Kinder müssten danna auch Arbeit haben und Beiträge zahlen, um der Renteberhaupt zu nutzen. Der Einwand ist natürlich richtig.ber es heißt, den ersten Schritt vor dem zweiten zu tun.inder sind mehr als nur persönliches Glück. Sie sinduch ein Wachstumsimpuls für die Gesellschaft und fürie Wirtschaft eines Landes. Damit wir mehr Kinder be-ommen, brauchen wir in Zukunft für die Menschen dieerlässlichkeit, dass die Betreuung der Kinder gewähr-eistet ist und dass Beruf und Familie dauerhaft mit-inander vereinbar sind.
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Peter Friedrich
Vierte Anmerkung: Ebenso wie Geld eine zentraleRessource für die Rente ist, ist Vertrauen eine zentraleRessource für die Rente. Deswegen ist meine Bitte analle hier im Haus, insbesondere an die, die an den Rän-dern sitzen: Hören Sie auf, bei den Menschen bezüglichder Rente Ängste zu schüren. Hören Sie damit auf! Hö-ren Sie auf der einen Seite damit auf, den Beitragszah-lern Angst zu machen, sie würden überfordert, und hörenSie auf der anderen Seite auf, ihnen Altersarmut einzure-den und den Systemkollaps zu propagieren.
Dies beschreibt nicht die Realität der Rente in Deutsch-land. Sie wissen ganz genau, dass wir bei der Altersar-mut so gut dastehen wie noch nie zuvor.
Wenn Sie dies nicht berücksichtigen, machen Sie denMenschen Angst. Sie treiben sie aus einem solidarischenSicherungssystem. Mit dieser Propaganda verringern Siedie Solidarität in unserer Gesellschaft.
Deswegen ist es gut, dass die große Koalition für die,die darauf angewiesen sind, dass ein solidarisches Siche-rungssystem existiert und für sie da ist, wenn sie es brau-chen, eine verlässliche Grundlage schafft und sich nichtaus populistischen Gründen vor der Verantwortungdrückt.Herzlichen Dank.
Kollege Friedrich, dies war Ihre erste Rede im Deut-
schen Bundestag. Herzliche Gratulation und alle guten
Wünsche für Ihre weitere Arbeit!
Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Peter Weiß,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Wir führen ja manchmal eine eher kurzatmige Renten-debatte über viele Einzelfragen. Die Oppositionsrednerverstehen es meisterhaft – zumindest versuchen sie es –,noch ein paar zusätzliche Kampfschauplätze aufzuma-chen
und sich an Einzelpunkten festzuklammern. Man fragtsich: Was soll das Ganze, was Sie hier vorführen, eigent-lich? „Bild“ und „Super Illu“ machen das auch. Sie spre-csegnwksithKsgdLgDsssgFsuasbsMucdAGdRJwdumfbdlw
ie Bürgerinnen und Bürger in diesem Land könnenich darauf verlassen, dass wir dieses Versprechen einlö-en. Ein Gesetz, wie wir es heute beschließen, ist dietärkste Form der Einlösung unseres Versprechens. Esibt mit Schwarz-Rot keine Rentenkürzung. Das istakt.
Bei all diesem Gerede, das nichts anderes als Verun-icherung schafft, muss man einfach noch einmal klarnd deutlich sagen: Grundsätzlich gilt für die Rente zu-llererst die Mathematik. Wer Adam Riese außer Kraftetzen will, wird bei der Rente eine Bauchlandung erle-en.Die Veränderungen im Altersaufbau unserer Gesell-chaft, die Zunahme der Zahl älterer Mitbürgerinnen unditbürger und die steigende Lebenserwartung, zwingenns dazu, mit unserer umlagefinanzierten Rentenversi-herung auf diese Herausforderung zu antworten, aller-ings nicht mit Wehgeschrei, sondern mit einemusgleichsmechanismus, der für eine solidarischeenerationengerechtigkeit sorgt. Darum geht es beier gesetzlichen Rentenversicherung.Das war auch schon das Kennzeichen aller bisherigenentenreformen, angefangen von Norbert Blüm imahr 1992. Wären diese Reformen nicht durchgeführtorden, würde der Beitragssatz zur Rentenversicherung,en die jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer innserem Land im Jahr 2030 voraussichtlich zahlenüssten, zwischen 36 und 41 Prozent liegen. Das würdeür die jungen Leute das endgültige Aus der Solidaritätedeuten. Genau das wollen die Linken:
en Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutsch-and noch mehr Geld von ihrem sauer verdienten Lohnegnehmen.
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Peter Weiß
Das, was die Linken wollen, bedeutet unter dem Strich:Alle werden gleich arm gemacht.
Um eine solidarische Generationengerechtigkeit her-zustellen, müssen wir konsequenterweise auch dieRegelaltersgrenze schrittweise auf 67 Jahre erhöhen.Im Rentenversicherungsbericht wird deutlich, dass esgelingen kann – das ist unser Wille –, den Beitragssatzzur gesetzlichen Rentenversicherung bis zum Jahr 2030unter 22 Prozent zu halten. Ein Beitragssatz von 22 Pro-zent ist wesentlich geringer als ein Beitragssatz von36 bis 41 Prozent. Das könnte die junge Generation nochtragen.Am Dienstag dieser Woche ist der „Papst“ der deut-schen Rentenversicherung, Professor Ruland, offiziell inden Ruhestand verabschiedet worden. In einem Inter-view mit der „FAZ“ vom 3. April dieses Jahres hat ernoch einmal trotz des bestehenden Reformbedarfs diegroße Anpassungsfähigkeit und die Krisenfestigkeit desUmlagesystems hervorgehoben.Man kann, so glaube ich, heute in der Tat feststellen:Die gesetzliche Rentenversicherung bleibt auch in Zu-kunft das wesentliche und prägende Element der Alters-vorsorge in Deutschland. Aber die Botschaft an die Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmer und vor allem an diejunge Generation muss lauten: Die gesetzliche Renten-versicherung allein reicht zur Sicherung des Lebensstan-dards im Alter nicht mehr aus. Sie muss zwingend umdie betriebliche und die private, kapitalgedeckte Alters-vorsorge ergänzt werden, wenn man nicht in Altersarmutgeraten will.
Deshalb ist die politisch spannende und zentrale Auf-gabe, die vor uns liegt, eigentlich nicht so sehr die Frage,wie es mit der gesetzlichen Rente aussieht, sondern:Schaffen wir es, dafür zu sorgen, dass möglichst jederArbeitnehmer eine betriebliche und eine private Alters-vorsorge aufbaut?
Die Finanzwirtschaft vermeldet, dass mittlerweile5,6 Millionen Riesterverträge abgeschlossen wurden.Das ist schön. Aber das sind noch immer viel zu wenige.Deswegen müssen wir uns bemühen, die Attraktivitätder privaten Altersvorsorge zu steigern. Wir tun das, in-dem wir noch in diesem Jahr ein Gesetz beschließenwerden, durch das selbst genutztes Wohneigentum in dieFörderung der Riesterrente aufgenommen wird. Da-rüber hinaus werden wir den Betrag, mit dem der StaatFamilien mit Kindern fördert, deutlich erhöhen.EKiSgtgiAiflsswrgRnDsPmFsHtSuAäPD–tnmaw
uf der linken Seite dieses Hauses hat sich nicht viel ge-ndert, auf der rechten Seite ist allerdings gnadenloseropulismus hinzugekommen; das muss man in allereutlichkeit feststellen.
Herr Kolb, ich bin gerne bereit, den Nachweis anzutre-en. Sie haben gerade gesagt, wir würden den Rentnerin-en und Rentnern mit verschiedensten Instrumentenassiv in die Tasche greifen,
lso real Rentenkürzungen vornehmen. Ich gebe unum-unden zu, dass es in den letzten Jahren zusätzliche
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2604 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
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Anton SchaafBelastungen für die Rentnerinnen und Rentner gegebenhat – als ihr Solidarbeitrag zum Erhalt der sozialen Si-cherungssysteme,
insbesondere bei der Gesundheitsvorsorge – und dass dieMehrwertsteuererhöhung nicht kompensiert werdenkann.
Das gestehe ich Ihnen zu.
Aber jetzt will ich den Menschen draußen im Landemal sagen, was Sie vorschlagen: Die FDP schlägt vor,den Rentenversicherungsbeitrag nicht von 19,5 Prozentauf 19,9 Prozent zu erhöhen, sondern ihn sogar abzusen-ken: auf 19 Prozent.
Im Klartext geht es um 5 bzw. 9 Milliarden Euro. Sie sa-gen aber nicht, wer das finanzieren soll. Das heißt, esgeht um Kürzungen bei den Rentnerinnen und Rentnern.So steht es in Ihrem Konzept: reale Kürzungen.
Das wollen wir den Menschen nicht zumuten. Und Siewerfen uns vor, dass wir den Rentnerinnen und Rentnernin die Tasche greifen! Das ist unlauter, um das ganzdeutlich zu sagen.
Herr Kolb, in all Ihren Papieren betonen Sie, dass diegesetzliche Rentenversicherung auch in Zukunft die zen-trale Säule der Altersversorgung sein wird. Dieser Über-zeugung bin auch ich, und wir müssen alles dafür tun,damit das auch in Zukunft so bleibt. Aber dann liest manin einem mir vorliegenden Papier der Jungen Liberalen– die hoffentlich nie in die Verantwortung kommen –,dass die Julis die umlagefinanzierte Versicherung ab-schaffen wollen. Das ist die Realität in der FDP. Und Siestellen sich hier hin und klagen laut über das, was dieVorgängerregierung getan hat und die große Koalitiontut, um die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfest zumachen!
Das ist die Gemengelage.
Herr Kollege Schaaf, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Kolb?
Aber selbstverständlich.
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nser Interesse muss also zunächst einmal darin liegen,ass die Menschen in Brot und Arbeit kommen. Das istoch die entscheidende Frage. Die Argumentation aufhrer Seite würde ich also noch einmal sehr deutlichberprüfen.Herr Kolb, lassen Sie mich noch etwas zur Sozialab-abenfreiheit bei der Entgeltumwandlung sagen.uch das ist natürlich ein Punkt, über den man diskutie-en kann. Ich weise nur darauf hin: Wenn uns die Ein-ahmen aus diesem Bereich in der gesetzlichen Renten-
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Anton Schaafversicherung fehlen, dann trifft das im Nachgang imWesentlichen die, die nicht privat vorsorgen konnten.Das ist eine ganz einfache Geschichte. Diese Einnahmenwerden im sozialen Sicherungssystem, in der Rentenver-sicherung, fehlen.
Von daher muss man sehr genau hinschauen, was man ander Stelle tun will.Noch einmal an die linke Seite des Hauses gerichtet:Ich halte es für eine Verkürzung der Diskussion, wennman sagt, die Anhebung des Renteneintrittsalters auf67 Jahre bedeute eine massive Rentenkürzung. Wennman sich die Historie der gesetzlichen Rentenversiche-rung anschaut, dann erkennt man, dass es eine giganti-sche Steigerung bei der Rente gab. Als wir die gesetzli-che Rentenversicherung eingeführt haben, betrug diedurchschnittliche Bezugsdauer der Rente acht Jahre;mittlerweile sind wir bei 18 Jahren. Wenn man das eineso nicht fassen möchte, dann kann man es aus meinerSicht andersherum auch nicht fassen. Wir reden hier ausmeiner Sicht nicht über eine Rentenkürzung, sonderndarüber, dass die Lebensarbeitszeit länger sein muss alsbisher, damit die sozialen Sicherungssysteme auf Dauererhalten werden können.
Kollege Schaaf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ernst?
Nein, danke.
Lassen Sie mich noch drei inhaltliche Punkte sagen.
Erstens. Wir haben gesagt, dass mit der Gesetzesini-
tiative zur Anhebung des Renteneintrittsalters auf
67 Jahre ein Programm für die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer über 50 Jahre einhergehen muss. Es kann
nicht sein, dass viele Betriebe in unserem Lande ältere
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor dem Hinter-
grund, dass sie relativ teuer und eventuell nicht mehr so
leistungsfähig sind, entlassen und das Problem in die
Verantwortung der Allgemeinheit stellen. Für die Be-
schäftigung der älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer tragen auch die Unternehmer in diesem Land
ihre Verantwortung.
Es kann nicht sein, dass die Unternehmen im Lande nach
Ingeneurinnen und Ingenieuren rufen, während gleich-
zeitig 20 000 Ingenieure arbeitslos sind. Die Verantwor-
tung für Qualifizierung und Weiterbildung liegt hier bei
den Unternehmen, nicht bei der Allgemeinheit. Diese
Verantwortung muss man noch einmal in aller Deutlich-
keit zuweisen.
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Der dritte und letzte Punkt, den ich noch ansprechen
öchte, ist die Frage der Erwerbsminderung. Wenn
ir sagen, dass die Menschen länger arbeiten sollen,
ann müssen wir sicherlich auch individualisierte Instru-
ente für diejenigen haben, die nicht mehr oder nicht so
ange arbeiten können. Deswegen bitte ich, in den De-
atten, die wir jetzt zu führen haben, insbesondere auch
och einmal die Frage der Erwerbsminderung auf die
genda zu nehmen. Eine Überlegung wäre zum Bei-
piel, das Alter, ab dem die Möglichkeit eines abschlags-
reien Zugangs besteht, nicht gleichzeitig mit dem Ren-
eneintrittsalter auf 67 Jahre zu erhöhen, sondern es bei
3 Jahren zu belassen. Ich denke, das ist ein überlegens-
erter Ansatz.
Meine Damen und Herren, ich will mit einem Satz
chließen, der da lautet: Auch in Zukunft ist die Rente si-
her – sicher die zentrale Säule der Altersvorsorge. Wir
ozialdemokraten werden uns darum bemühen.
Danke schön.
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem
ollegen Klaus Ernst.
Herr Schaaf, ich möchte Ihnen nur zur Kenntnis ge-en – ich gehe davon aus, dass Sie das nicht wussten –,ass das Leben eines Gerüstbauers in der Bundes-epublik im Durchschnitt nach 64 Jahren endet. Wenner Plan der Bundesregierung, ihn bis 67 Jahre arbeitennd erst dann in Rente gehen zu lassen, zur Umsetzungelangt, wird er drei Jahre vor Rentenbezug ableben. –as nur als Hinweis!
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2606 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
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Kollege Schaaf.
Das ist genau das, was ich mit „gnadenlosem Populis-
mus“ meine. Man kann damit zwar auf die erste Seite
der „Bild“-Zeitung kommen, aber mit Sicherheit keine
seriöse Debatte führen.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael Fuchs,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Ernst, ich
kann nur sagen: Man kann Sie nicht ernst nehmen.
Ihrem Namen machen Sie überhaupt keine Ehre.
Ihre Rede hatte mit dem, was heute Thema ist, nichts zu
tun.
Gerade Ihrer Partei verdanken wir doch einen Groß-
teil der Misere in unserem Land.
Es ist die SED gewesen, die Vorgängerpartei der PDS,
die im gesamten Osten, einem großen Teil unseres Lan-
des, den Karren in den Dreck gefahren hat. Wir sind
nunmehr bemüht, dies mit den Gesetzen, die wir ma-
chen, zu korrigieren.
Es ist Ihnen Gott sei Dank nicht gelungen, in den alten
Bundesländern Fuß zu fassen. Ihre Partei ist bei den letz-
ten Landtagswahlen kläglich gescheitert. Das wird so
weitergehen, weil man Sie weiterhin nicht ernst nehmen
kann. Das, was Sie hier machen, ist Klamauk; nichts an-
deres.
Lieber Herr Kollege Kolb, von Ihnen hätte ich aller-
dings etwas anderes erwartet.
Ich war von Ihrer Rede ziemlich entsetzt. Kennen Sie ei-
gentlich das Märchen von dem berühmten Wettlauf zwi-
schen Hase und Igel?
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ch bin ein wenig enttäuscht darüber, dass Sie immer
ieder Anträge stellen, die sich im Prinzip schon von
elbst erledigt haben.
Halten wir einmal Folgendes fest: Unser Bundes-
rbeitsminister hat hervorragende Arbeit geleistet. Wir
aben ihn vor drei Wochen angeschrieben und ihn gebe-
en, klarzustellen, dass die Geschäftsführer einer „Regel-
mbH“ keine Scheinselbstständigen sind. Noch bevor
hr Antrag vorlag, hatte er – das konnten Sie in der Zei-
ung nachlesen – reagiert. Sie brauchen keine Sorge zu
aben, dass diese Regierung schläft. Sie brauchen uns
uch nicht zu helfen. Wir handeln schnell. Dafür bin ich
em Bundesarbeitsminister ausgesprochen dankbar.
Herr Kollege Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage
es Kollegen Kolb?
Darauf freue ich mich.
Bitte schön.
Heißt das, Herr Kollege Fuchs, dass Sie unserem An-
rag heute zustimmen werden? Wenn Sie das nicht tun,
rage ich Sie: Wo ist denn Ihr Antrag, mit dem das
roblem, wonach GmbH-Gesellschafter durch Sozial-
ersicherungsbeiträge in fünfstelliger Größenordnung
edrückt werden können, gelöst wird? Solange Sie nur
avon reden, ist es notwendig und richtig, dass die FDP
ie mit konkreten Anträgen und auch Gesetzentwürfen
reibt. Davon werden wir uns auch in Zukunft nicht ab-
ringen lassen, Herr Fuchs.
Es ist Ihr gutes Recht, Herr Kollege Kolb, dass Sieersuchen, uns zu treiben. Aber gehen Sie bitte davonus, dass wir das gar nicht nötig haben; denn wir reagie-en schon vorher.
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Dr. Michael Fuchs
Diese Treibjagd werden Sie genauso verlieren, wie Sieauch jetzt mit Ihrem populistischen Ansatz verlierenwerden. Der Bundesarbeitsminister hat bereits klarge-stellt, dass eine solche Regelung – wie von Ihnen be-fürchtet – für die GmbH-Geschäftsführer nicht geltenwird.
– Erst einmal reicht eine solche Klarstellung. Anschlie-ßend werden wir im Sozialgesetzbuch – Herr Bundesar-beitsminister, ich denke, das sehe ich richtig – die ent-sprechenden Änderungen vornehmen. Dafür brauchenwir Ihre Hilfe nicht.
Wir halten es für dringend notwendig, dass die Selbst-ständigen geschützt werden und sie die Chance haben,eine private Altersvorsorge abzuschließen.
Das ist für uns selbstverständlich. Das sieht die Regie-rung ganz genauso.Das Beispiel zeigt, dass die Regierung gerade die As-pekte der mittelständischen Unternehmen – im Wesentli-chen betrifft es die Mittelständler – im Auge hat. DerenProbleme nehmen wir ernst und wir werden ihnen aufdiese Art und Weise schnell und ordnungsgemäß helfen.Es ist nun einmal so: Vor Gericht und auf hoher See istman in Gottes Hand. Das Urteil des Bundessozialge-richts betrifft aber einen Einzelfall – auch von den Ren-tenversicherungsträgern wird das so gesehen – und wirdnicht dazu führen, dass sofort etwas passieren muss.Aber jetzt zum eigentlichen Thema. Wir sind schonso weit, dass wir 32,5 Prozent unseres Bruttoinlandspro-dukts für Soziales ausgeben.Die Sozialleistungsquote beträgt mittlerweile32,5 Prozent und ist damit unglaublich hoch. Der Zu-schuss zur Rentenversicherung aus dem Bundeshaushaltbeträgt 77,4 Milliarden Euro. Das ist gut so. Wir müssendas Rentensystem auf diese Weise stabilisieren. Wir wis-sen aber auch, dass das hohe Belastungen für den Bundbedeutet. Deswegen ist es richtig, dass der Bundesar-beitsminister – auch hierfür möchte ich ihn loben – ge-sagt hat, wir steigen mit der Rente ab 67 in den Umbauder Rente ein. Das war notwendig. Wenn Sie meinen,Herr Ernst, hier mit Populismus, wie Sie ihn eben bewie-sen haben, Klamauk treiben zu können, dann geht das ander ernsten Problematik dieses Themas völlig vorbei.Ich finde es traurig, dass es darüber keinen Konsensgibt. Wir können doch nicht so tun, als wäre die demo-grafische Entwicklung an diesem Land komplett vor-beigegangen. Sie hat sich nun einmal so ergeben. DerKollege Schaaf hat völlig Recht, dass früher bei Renten-bbsdddFswdmsdVsgwbedEzLatnudnBeRsb
Aber warum reden Sie nie davon, dass sich in dersel-
en Zeit die Produktivität in unserem Lande viel stärker
rhöht hat als die Rentenbezugsdauer insgesamt und
ass die Produktivität der entscheidende Faktor ist?
ntscheidend ist doch nicht, wie viele Rentner zu finan-
ieren sind, sondern wie viel Produktivität in diesem
and besteht, um den Mehrwert zu erzeugen, damit wir
uch den Rentnerinnen und Rentner angemessene Leis-
ungen bieten können. Warum äußern Sie sich dazu gar
icht? Warum blenden Sie das völlig aus und bezeichnen
ns als Populisten?
Ohne diese Produktivität wären wir nicht in der Lage,ie Renten zu finanzieren. Nur aus diesem Grund kön-en wir sie noch finanzieren. Wir haben doch eben vomundesarbeitsminister gehört, welche Entwicklung sichrgeben hat, nämlich dass sich die Finanzierung derentner auf viel weniger Köpfe verteilt als früher. Dasollten wir zur Kenntnis nehmen. Das spielt doch aucheim Produktivitätszuwachs eine Rolle.
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Dr. Michael FuchsDennoch müssen wir bei den Lohnzusatzkosten vor-ankommen. Mittlerweile zahlen nur noch 26,2 MillionenMenschen in die Sozialversicherungssysteme ein, denenaber 72 Millionen Leistungsempfänger gegenüberste-hen. Hierbei ist es die zentrale Aufgabe unserer Politik,dafür zu sorgen, dass es weniger Leistungsempfängerund mehr Einzahler in die Sozialversicherungssystemegibt. Nur dann, wenn wir es hinbekommen, zusätzlichesozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse zuschaffen, werden wir auch in der Zukunft in der Lagesein, die gesamten Systeme zu finanzieren. Deswegenmuss sich unsere Politik daran orientieren.Ich erinnere in diesem Zusammenhang an unserenKoalitionsvertrag, in dem klar und deutlich steht:Der Abbau der Arbeitslosigkeit ist zentrale Ver-pflichtung unserer Regierungspolitik. Wir wollenmehr Menschen die Chance auf Arbeit geben.Deswegen ist es auch richtig, dass wir nächstes Jahr ge-meinsam erste Ansätze verfolgen, die Lohnzusatzkostenzu senken. Deswegen ist es richtig, im nächsten Jahr dieBeiträge zur Arbeitslosenversicherung um 2 Prozent-punkte zu senken. Wir müssen auch alle anderen zusätz-lichen Wege beschreiten, um dieses System zu verbes-sern. Dazu hätte ich gerne konkrete Vorschläge, aber siedürfen nicht populistisch sein. Denn wir können unsweitere Kürzungen nicht leisten. Deswegen werden wirdaran arbeiten und gemeinsame Vorschläge vorlegen.Wir müssen auch über das Thema Altersarbeitszeitsprechen. Ich finde es völlig richtig, was der Ministereben gesagt hat, nämlich dass wir älteren MenschenChancen bieten müssen, im Arbeitsleben zu bleiben oderwieder hineinzukommen. Dazu müssen sämtliche Rege-lungen – zum Vorruhestand etc. – auf den Prüfstand. Esist auch eine Aufgabe der Tarifpolitik, dafür zu sorgen,dass Menschen nicht so schnell frühverrentet werden.Das darf nicht mehr möglich sein. Regelungen zur Früh-verrentung wie die 58er-Regelung müssen schnell abge-schafft werden. Ansonsten werden wir unser gemeinsa-mes Ziel nicht erreichen, das System zu erhalten.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Bevor wir zur Abstimmung kommen, habe ich dasVergnügen, sehr angenehme Gäste zu begrüßen. Auf derEhrentribüne haben soeben die Mitglieder des Präsi-diums der Assemblée nationale Platz genommen. HerrPräsident Debré, ich begrüße Sie und Ihre Delegationsehr herzlich im Namen aller Kolleginnen und Kollegendes Deutschen Bundestages.
Wir freuen uns sehr, dass Sie unserer Einladung zurdiesjährigen gemeinsamen Präsidiumssitzung und zu derVerleihung des zweiten Deutsch-Französischen Parla-mentspreises in Berlin gefolgt sind. Die beiden Präsidienhaben soeben, einer bewährten Tradition folgend, in ei-nKZögdrugshBü11fDIwSzSguGWwdseA1nmWeuBmfBnbDNKes
Tagesordnungspunkt 3 c. Wir kommen zur Abstim-ung über die Beschlussempfehlung des Ausschussesür Arbeit und Soziales zu der Unterrichtung durch dieundesregierung über einen Vorschlag für eine Richtli-ie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Ver-esserung der Portabilität von Zusatzrentenansprüchen,rucksache 16/1155. Der Ausschuss empfiehlt unterr. 1 seiner Beschlussempfehlung, die Unterrichtung zurenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschluss-mpfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-chlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses ge-
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Vizepräsident Wolfgang Thiersegen die Stimmen der Fraktion des Bündnisses 90/DieGrünen angenommen.Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschlie-ßung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-fehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-schlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSUund SPD gegen die Stimmen der FDP, der Linken undder Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenom-men.Tagesordnungspunkt 3 d bis h. Interfraktionell wirdÜberweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/966,16/905, 16/906, 15/5571 und 15/4498 an die in der Ta-gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dannist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 4 sowieZusatzpunkt 2 auf:4 Beratung des Antrags der Fraktion der LINKENFür Selbstbestimmung und soziale Sicherheit –Strategie zur Überwindung von Hartz IV– Drucksache 16/997 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
FinanzausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Kultur und MedienHaushaltsausschussZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten BrigittePothmer, Markus Kurth, Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktiondes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENHartz IV weiterentwickeln – Existenzsichernd,individuell, passgenau– Drucksache 16/1124 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
FinanzausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Kultur und MedienHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 1 ¼ Stunden vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin KatjaKipping, Fraktion Die Linke, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habehier eine kleine Broschüre, die den Titel „Hartz IV –Menschen in Arbeit bringen“ trägt. Im Dezember 2004diente sie zur Information. Inzwischen taugt diese Bro-schüre nur noch für die Märchenstunde. Denn von„Menschen in Arbeit bringen“ kann leider nicht allzuviel die Rede sein. Man muss sich nur die aktuellen Ver-lautbarungen der Bundesagentur anhören, um deutlichmcSzrubmnszerdddjMmdsHlnHengndgLdDrmVrvdurz
as ist für sie eine unzumutbare Demütigung.
Aber auch die Beschäftigten gehören zu den Verlie-ern von Hartz IV. Die Erpressbarkeit hat zugenom-en.
ielleicht ist auch Ihnen der Bericht einer Arbeitsge-ichtsdirektorin zu Ohren gekommen, die beispielsweiseon einem dreifachen Vater berichtet hat, der ohne Wi-erspruch von heute auf morgen eine Lohnreduzierungm 20 Prozent akzeptiert hat. Diese Arbeitsgerichtsdi-ektorin meinte, es sei die Existenzangst, die Leute dazuwinge, auf ihre Rechte zu verzichten.
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Katja KippingDie Liste der Verlierer geht weiter. Handwerk undHandel klagen über fehlende Binnenkaufkraft. In mei-nem Wahlkreis
gibt es in einer früher florierenden Ladenstraße immermehr leere Schaufenster, weil wieder einmal ein FrisörPleite gemacht hat, weil die Leute sich die Produkte undDienstleistungen nicht mehr leisten können.Das Fazit ist: Kinder, Frauen, Handwerker, Beschäf-tigte und Erwerbslose gehören zu den Verlierern vonHartz IV. Es ist höchste Zeit, dass sich hier etwas ändert.
Hartz IV folgt grundsätzlich der falschen Ideologie.Das können kosmetische Schönheitskorrekturen nichtändern. Wir meinen also: Hartz IV muss grundsätzlichüberwunden werden. Das Arbeitslosengeld II in seinerjetzigen Form muss dabei durch eine soziale Grund-sicherung ersetzt werden, die repressionsfrei erfolgt, diediesen Namen verdient und die gesellschaftliche Teil-habe wirklich ermöglicht.
Die 1-Euro-Jobs müssen durch sozialversicherungs-pflichtige Arbeitsverhältnisse ersetzt werden. Das Mottokönnte lauten: Ordentliche Schulsozialarbeiter statt vielzu kurze und schlecht bezahlte 1-Euro-Jobs.
Auch die Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld I musslänger werden. Wir schlagen hier vor: Für jedes JahrBeitragszahlung hat man Anspruch auf einen Monat Ar-beitslosengeld I. Natürlich gibt es da auch für uns eineMindestfrist.
Das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft sollte im21. Jahrhundert endlich überwunden werden. Die gegen-seitige finanzielle Inhaftnahme innerhalb einer Familieerhöht nur die Anzahl der negativen Aspekte, nämlichökonomische Abhängigkeit. Wir meinen, es ist Zeit, ei-nen Individualanspruch einzuführen.
Wir meinen auch: Schutz vor Wohnungslosigkeitmuss gewährleistet werden. Uns allen wird immer schönwarm ums Herz, wenn wir in der Weihnachtszeit Be-richte im Fernsehen darüber sehen, wie Obdachlosen ge-holfen wird. Aber Wohnungslosigkeit, die sich durchHartz IV wahrscheinlich verschärfen wird, ist eben nichtnur zu Weihnachten ein Problem, sondern das ganze Jahrüber. Deswegen sagen wir: Das Menschenrecht aufWohnen muss gewahrt werden.
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Die heutige Situation sieht so aus, dass Frauen, die ininer eheähnlichen Gemeinschaft leben – das betrifftuch Männer; aber in den meisten Fällen sind doch eherie Frauen betroffen, weil die Männer mehr verdienen –nd die das Pech haben, dass das Einkommen ihrer Part-er nur wenige Euro über der Beitragsbemessungsgrenzeiegt, keinerlei Anspruch auf eine gesetzliche Kranken-ersicherung haben. Versuchen Sie einmal als Frau über0, sich bei einer privaten Krankenversicherung zu ver-ichern! Dafür sind Beträge nötig, die ein Arbeitslosericht aufbringen kann.
Auch Ihnen muss doch verständlich sein, dass es nichtngeht, dass das Pflegegeld und die EU-Renten für Be-inderte bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes IIerücksichtigt werden.
Vor einer Sache kann man die Augen nicht verschlie-en: Widersprüche gegen belastende Bescheide müssenndlich eine aufschiebende Wirkung haben. Das istum einen ein Gebot des Rechtsstaates. Wir sehen doch,ass es bei der Bearbeitung der Widersprüche tatsächlichnorme Probleme gibt. Ich habe neulich in einer Rundeon Erwerbslosen gesagt: Ja, ich weiß, auf die Bearbei-ung mancher Widersprüche wartet man schon seit sechsonaten. Da bin ich ausgelacht worden und die Leuteaben gesagt: Wir warten leider schon seit einem Jahrarauf, dass unser Widerspruch bearbeitet wird.
Das ist schöne Theorie, was Sie sagen. Die Praxis siehteider anders aus.Wir haben uns in den einzelnen Kommunen umge-ört. Fast überall ist bisher erst jeder zweite Widerspruchearbeitet worden. Die Tatsache, dass von den bearbeite-
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Katja Kippingten Widersprüchen mindestens jedem dritten Wider-spruch stattgegeben worden ist, zeigt doch, dass es not-wendig ist, dafür zu sorgen, dass Widersprüche eineaufschiebende Wirkung haben.
Ansonsten werden Menschen Leistungen unrechtmäßigvorenthalten. Wir reden dabei nicht von Menschen, dieein Polster haben, sondern von Menschen, die ohnehinschon wenig haben.Die Probleme, die Menschen mit Hartz IV haben,sind so ernst, dass wir als Gesetzgeber reagieren müssen.Wir können es uns nicht mehr leisten, uns einfach mitMärchenstunden zu begnügen.Meine Damen und Herren, wenn Sie unserem Antragaus Prinzipienreiterei nicht zustimmen wollen, so neh-men Sie unseren Antrag wenigstens zum Anlass, umüber die dringend notwendigen Veränderungen bezüg-lich Hartz IV mit uns gemeinsam zu beraten.Besten Dank.
Ich erteile das Wort Kollegen Gerald Weiß, CDU/CSU-Fraktion.
Gerald Weiß (CDU/CSU):Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Man muss eigentlich nicht um Worte streiten,Frau Kipping, aber manchmal lohnt es sich schon, umBegriffe zu streiten. Wir reden hier nicht über Hartz IV– das ist Ihr Kampfbegriff –; wir reden über dasSozialgesetzbuch II und die Grundsicherung für Arbeit-suchende. Das und nicht Hartz IV ist das Thema.
Von Ihnen, Frau Kipping und Genossen, brauchen wirauch keine Belehrung des Inhalts, dass wir die Reformauf dem Sektor des Sozialgesetzbuches II fortsetzenmüssen. Wir haben das mit einem ersten Änderungsge-setz zum Sozialgesetzbuch II zur Beseitigung schwererFehlanreize in diesem Gesetz bereits begonnen. Das wardie erste Reformstufe. Jetzt kommt die zweite Reform-stufe – die Grundlagen dafür hat der Minister gestern imAusschuss dargelegt –, ein Optimierungsgesetz für dasSozialgesetzbuch II, für die Grundsicherung, mit demwesentliche weitere wichtige Reformschritte umgesetztwerden sollen. Wir brauchen weder Ihre Belehrungennoch Ihre Rezepte, Frau Kipping.
Natürlich wäre es das Beste, wir könnten dasArbeitslosengeld II abschaffen. Das würde nämlich be-deuten, dass es uns gelungen wäre, die Langzeitarbeits-losigkeit in Deutschland zu überwinden.AbMhsmrvdwrfSwWdvArluga3HGfzfengmdsWd
ber solange es nicht so ist, brauchen wir Hilfen für dieetroffenen Langzeitarbeitslosen, für die betroffenenenschen. Hilfe muss vor allem natürlich darin beste-en – das ist richtig –, Brücken zur Arbeit und zur wirt-chaftlichen und sozialen Selbstständigkeit, zur Autono-ie des Einzelnen zu bauen.
Ihr Gesellschaftsbild, Ihr Weltbild ist ein völlig ande-es. Sie wollen die Menschen in monetärer Abhängigkeitom Staat, von der Gemeinschaft halten. Statt die Kräftees Einzelnen und die Kräfte seiner Familie zu fördern,
as Ihre Verantwortung ist, wollen Sie das Kollektiv he-anziehen. Das ist eine ganz falsche Vorstellung; jeden-alls haben wir eine deutlich andere Vorstellung von derubsidiarität unserer Staats- und Gesellschaftsordnung.Wie Sie sich von der Knappheit der Ressourcen lösen,ie Sie die Kanne der Großzügigkeit ausgießen undohltaten mit nicht vorhandenem Geld austeilen wollen,as nötigt schon Bewunderung ab. So kann man keineerantwortliche Politik machen.
Man muss die Begrenztheit der Ressourcen imuge behalten und man muss die knappen Mittel zielge-ichtet einsetzen. Minister Müntefering hat es gestern er-äutert. Eine Politik, die die Grundsicherung effektivernd effizienter gestaltet, wird auch sinnvolle Einsparun-en möglich machen. Die beiden Reformschritte der Ko-lition werden in diesem Jahr Ersparnisse in Höhe von00 bis 400 Millionen Euro und im nächsten Jahr inöhe von 1,2 Milliarden Euro ermöglichen. Das sindelder, die wir sinnvoller, an der richtigen Stelle, und ef-ektiv einsetzen müssen. Wir müssen den Sozialstaatielgerichteter ausgestalten. Das ist der Sinn der Re-orm, die wir uns vorgenommen haben.
Mit dem SGB II ist Neuland betreten worden. Es istine große und auch komplizierte Reform. Hilfe aus ei-em Guss für alle Langzeitarbeitslosen, das ist ein richti-er Ansatz. Wenn man sich jetzt in der Praxis ansehenuss, dass es Fehlentwicklungen und Fehlanreize gibt,ann muss doch die Konsequenz sein: Das SGB II mussozusagen ein lernendes System sein.
enn es das nicht ist, muss es ein lernendes System wer-en.
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Gerald Weiß
Das heißt, es gilt, aus der Praxis zu lernen undFolgerungen aus den Fehlentwicklungen zu ziehen. Ichsagte schon: Den ersten Schritt haben wir mit demSGB-II-Änderungsgesetz getan.Jetzt kommt die zweite Reformstufe. Da brauchen wirweder Peitschenknallen noch Stinkbomben von der Op-position. Wir werden auch diese zweite Reformstufe biszum Sommer umsetzen.
In der Erkenntnis, dass Reformbedarf besteht, gibt esÜbereinstimmung. Das ist aber ein Minimalkonsens.Schon darüber, wie sich dieser Reformbedarf definiert,gibt es ganz erhebliche Divergenzen, Frau Kipping, zwi-schen Ihnen, aber auch den Grünen und uns. Die Linkewill zum Beispiel die Sanktionen praktisch abschaffen,denen jemand unterworfen ist, der eine angebotene Ar-beit nicht annimmt. Wenn Sie das machen, dann machenSie ein ganz wichtiges Steuerungsmittel gegen unge-rechtfertigte Inanspruchnahme des Sozialstaates kaputt.Wir brauchen dieses Steuerungsmittel. Wir müssen för-dern und fordern. Das Fördern steht am Anfang.
Dieses Steuerungsmittel trifft die Minderheit der Unge-rechten. Wer eine angebotene Beschäftigung ablehnt, dermuss auch gerechten Sanktionen unterworfen sein.
Wir können keine Ausbeutung zulassen, indem wirknappe Steuermittel, für die die Unternehmer, die Selbst-ständigen und die Arbeitnehmer arbeiten müssen und fürdie auch die kommenden Generationen über die Staats-verschuldung einstehen müssen, bedenkenlos ausschüt-ten.
Da haben wir ein wesentlich anderes Menschen- und Ge-sellschaftsbild.Wir müssen in dem genannten Optimierungsgesetzim Grunde vier Ziele realisieren: erstens größere Ziel-genauigkeit bei den Leistungen, zweitens notwendigeKlarstellungen in der Verwaltungspraxis, wo es heuteRechtsunklarheiten gibt, drittens bessere Vorbeugunggegen den Leistungsmissbrauch und viertens Verwal-tungsvereinfachung. Das sind die vier Kernziele, um diesich die Reformen, die wir uns vorgenommen haben,ranken müssen.Ich sehe nur zum Teil – ich habe heute meinen höfli-chen Tag – übereinstimmende Ansätze in den Anträgender Linken und der Grünen und uns. Der Handlungsbe-darf tritt deutlich zutage, zum Beispiel bei den eheähn-lichen Gemeinschaften. Wir sind dafür, dass die Partnerin einer solchen Verantwortungsgemeinschaft weiter für-einander einstehen. Aber wir wissen doch, welch einKontrollaufwand nötig ist und welche Probleme bei-spielsweise im Zusammenhang mit der Frage erwach-sen, ob es sich tatsächlich um eine eheähnliche Gemein-smDfGkmfdedirrFmsBdrAnsBsZDHü3ddilAwE
Ähnliches gilt für den Aspekt der Vermögensbeiträge.ie Koalition hat sich vorgenommen, die Schonbeträgeür die Alterssicherung anzuheben. Selbst wenn wir imegenzug die Freibeträge für das übrige Vermögen sen-en müssten, wäre es ein sinnvoller Schritt, Altersver-ögen in einem machbaren Rahmen als Schonvermögenreizustellen, wobei wir uns allerdings nicht so weit vonen Finanzierungsgrundlagen emanzipieren können, wies die Caritas vorschlägt. Sie fordert einen Betrag ein,en man nicht realisieren kann. Aber der Vorschlag gehtn die richtige Richtung.Lassen Sie uns über diesen qualitativen Reformbedarfeden und entsprechend handeln. Dann werden wir unse-en Dienst an den Menschen erfüllen.Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegen Heinrich Kolb, FDP-
raktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichuss zunächst einmal feststellen – ich befinde mich daicher in Übereinstimmung mit dem Kollegenrauksiepe –, dass die Idee von Fordern und Fördern,ie hinter dem Sozialgesetzbuch II steht, ein absolutichtiger und notwendiger Ansatz ist.
ber das SGB II hat, wie wir heute feststellen müssen,och zahlreiche Konstruktionsfehler. Es sollten ja einechnellere Vermittlung in Beschäftigung, eine bessereetreuung von Arbeitslosen und eine deutliche Kosten-enkung erreicht werden. Aber keines dieser gesteckteniele konnte bisher realisiert werden.
as lag nicht daran, dass wir etwa zu wenig Geld in dieand genommen hätten. Denn im Haushaltsentwurf,ber den zurzeit beraten wird, werden in diesem Jahr0 Milliarden Euro – darunter fallen direkte Transfers,as Wohngeld, der Wohngeldzuschuss des Bundes undie Mittel für die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen –n Ansatz gebracht. Das zeigt, am Geld kann es sicher-ich nicht liegen.Wir haben gestern gelesen und auch vom Minister imusschuss gehört, dass derzeit eine dramatische Ent-icklung zu beobachten ist. Die Wohnungskosten fürmpfänger von Arbeitslosengeld II liegen im ersten
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Dr. Heinrich L. KolbQuartal 2006 um 25 Prozent über den Kosten im ver-gleichbaren Vorjahreszeitraum. Die vorläufige Zahl derBedarfsgemeinschaften, die ALG II beziehen, stieg imMärz auf 3,92 Millionen. Das sind 600 000 mehr als imJanuar 2005. Wenn sich diese Entwicklung verfestigt,dann wird es erneut ein böses Erwachen mit Blick aufden Haushaltsvollzug geben.Es besteht kein Zweifel: Die handwerkliche Umset-zung von Hartz IV war mangelhaft. Es gab vielfältigenWildwuchs und auch Mitnahmeeffekte. Ich nenne bei-spielsweise den rapiden Anstieg der Zahl der Ein-Perso-nen-Bedarfsgemeinschaften. Auch der gleichzeitigedeutliche Anstieg der Zahl der erwerbsfähigen Hilfebe-dürftigen unter 25 Jahren seit Beginn des letzten Jahresist weder Zufall noch gottgegeben, sondern er entstandaufgrund von Fehlanreizen. Hier hätte schnellstens ge-gengesteuert werden müssen. Sie sind unserem Vor-schlag aber nicht gefolgt, auch jetzt noch im Rahmen deralle sechs Monate stattfindenden Überprüfung der An-spruchsvoraussetzungen zu prüfen, ob die Ein-Personen-Bedarfsgemeinschaften nach Möglichkeit wieder in dieFamilie eingegliedert werden können.Frau Kipping, Sie schreiben in Ihrem Antrag, dassvon Telefonbefragungen abzusehen sei. Ich will einmalfesthalten, dass bei den zwischen Juli und September2005 stattgefundenen Telefonbefragungen 45 Prozentder Arbeitslosengeld-II-Empfänger nicht erreicht wer-den konnten. Teilweise lag das an falschen Telefonnum-mern. Bei 10 bis 30 Prozent der erfolgreich durchgeführ-ten Telefonate ergab sich ein weiterer Klärungsbedarf.Aber – jetzt kommt es – bei den seit Januar 2006 durch-geführten Telefonbefragungen hat sich bei 4,1 Prozentder Fälle eine Änderung beim Status der Arbeitslosigkeitergeben, bei den unter 25-Jährigen sogar in 9,8 Prozentder Fälle. Frau Kipping, das zeigt doch, dass die von derFDP geforderte Meldepflicht keine Schikane, sondernein Instrument gegen massiven Missbrauch ist.
Ich denke auch, Frau Kipping, das Prinzip des For-derns und Förderns wird von der breiten Mehrheit derBevölkerung nicht infrage gestellt. Das Gleiche gilt auchfür das Solidarprinzip. Wer die solidarische Hilfe derGemeinschaft in Anspruch nehmen möchte, der mussauch bereit sein, zumutbare Arbeit und Qualifikations-angebote anzunehmen.
Ich sage sehr deutlich: Der von Ihnen vorgelegte An-trag ist schädlich. Dadurch schaffen Sie keine zusätzli-chen Arbeitsplätze, sondern gefährden vorhandene sozi-alversicherungspflichtige Beschäftigung.
Der Antrag geht von falschen Voraussetzungen aus. Ar-beitsplätze werden nämlich von Unternehmen geschaf-fen und nicht aufgrund von Anträgen oder Beschlüssendes Deutschen Bundestages.WkfgcBWtDgstStAgedEnlvgeSAegmsGnHS
enn man damit das Problem der Arbeitslosigkeit lösenönnte, hätte sich dafür sicher schon eine Mehrheit ge-unden.Die Politik ist verantwortlich dafür, Rahmenbedin-ungen zu schaffen, die es den Unternehmen ermögli-hen, zu investieren und sozialversicherungspflichtigeeschäftigung zu schaffen. Nur eine gut funktionierendeirtschaft sorgt dafür, dass die sozialen Sicherungssys-eme überhaupt unterhalten werden können.
as haben wir auch bei der Debatte über den vorange-angenen Tagesordnungspunkt sehr deutlich gesagt.Wir wollen – ich sage auch: wir müssen – die Men-chen zurück in sozialversicherungspflichtige Beschäf-igung bringen. Das ist das Ziel jeder Arbeits- undozialpolitik. Dazu braucht man eben auch einen funk-ionierenden Niedriglohnsektor, in dem die Anreize zurufnahme einer Beschäftigung im ersten Arbeitsmarktesetzt werden.Ihre Forderung, die Grundsicherung auf 420 Euro zurhöhen, ist angesichts der Summen, die schon heute füras Arbeitslosengeld II aufgewendet werden, absurd.benso fatal ist auch die Forderung nach Einführung ei-es Mindestlohns. Ich sage Ihnen noch einmal sehr deut-ich: Gesetzliche Mindestlöhne führen zur Verdrängungon Arbeitsplätzen, insbesondere im Bereich der gerin-er Qualifizierten.
Man könnte noch viel zu diesem Antrag sagen, derin ganzes Sammelsurium von Maßnahmen enthält.chon der darin enthaltene Ansatz ist verkehrt. Dieserntrag wird in den Beratungen wahrscheinlich nicht inine vernünftige Form zu bringen sein. Wir werdenleichwohl im Ausschuss über ihn beraten. Aber manuss hier eine Ablehnung am Ende wohl schon in Aus-icht stellen.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär
erd Andres.
G
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Liebe Kolleginnen und Kollegen auf der linkeneite,
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Parl. Staatssekretär Gerd Andresich hätte es gut gefunden, wenn die Verfasser des vorlie-genden Antrages die Broschüre „Hartz IV – Menschenin Arbeit bringen“ nicht nur erwähnt, sondern sie auchgelesen hätten.
Wer Ihren Antrag nämlich liest – ich habe ihn gelesenund ihn mit vielen Anmerkungen versehen; ich finde,man sollte ihn sich wirklich aufheben –, stellt fest, dasser an vielen Stellen fachlich falsch und schlecht ist.
Er unterschlägt an einer ganzen Reihe von Stellen ge-setzliche Regelungen. Er ist nach einem „Wünsch-dir-was-Populismus“ gestrickt. Wenn ich ihn aus finanzpoli-tischer Perspektive betrachte, komme ich zu dem Ergeb-nis: Er ist verheerend.
– Ich kann Ihnen das gerne beweisen. Ich sage Ihnen:Wenn man die Leistungsverbesserungen, die Sie vor-schlagen, also Verbesserungen beim Kindergeld undÄhnliches, zusammenzählt, kommt man überschlägigauf eine Summe von 35 Milliarden Euro. Wer sagt, dassei bei der gegenwärtigen Haushaltslage einigermaßenseriös – Sie haben gestern den Haushalt beraten –,
blendet die Leute. Sie können zwar ab und zu IhrenWeltökonomen Lafontaine von der Kette lassen; der er-klärt dann, wie man das alles macht. Aber wie man Ar-beit schafft – verehrte Frau Kipping, Sie haben ja gesagt,es werde keine Arbeit geschaffen –, steht nicht in IhremAntrag.
Die Erfahrung, die wir über viele Jahre gemacht ha-ben, ist: Wir haben den Leuten zu viel Geld gezahlt undsie zu wenig gefordert. Die Erfahrung, die wir mit derSozialhilfe gemacht haben, war: Wir haben den Leutendie Sozialhilfe gezahlt und sie aus dem Arbeitsmarktausgegrenzt.
In einem Konzept eines aktivierenden Sozialstaatesmuss man sich Gedanken darüber machen, wie die Ba-lance von Transferleistungen, Arbeitsanreizen, Anstren-gungen, Menschen in Arbeit zu bringen und sie bei derArbeitssuche zu unterstützen, vernünftig geregelt wer-den kann.
Herr Andres, erlauben Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Kipping?
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Frau Kipping, darf ich Ihnen in aller Freundlichkeittwas sagen? Sie werden es nicht glauben: Die Bundes-egierung teilt Ihre Position und hat sie, lange bevor Sieie formuliert haben, eingenommen.
Es geht im SGB II darum, festzustellen, ob jemandedürftig ist. Es geht darum, ihn so schnell wie möglichus dem Bedarf herauszubringen. In dem von Ihnen ge-childerten Fall, wenn also jemand Arbeit hatte, dann ar-eitslos wird und er aufgrund des Partnereinkommensder deswegen, weil die Bedarfsgemeinschaft gut ausge-tattet ist, keine Leistung bekommt, hat er dennoch einnrecht darauf, beraten zu werden, bei der Arbeitssuchenterstützt zu werden und bestimmte Maßnahmenurchzuführen. Das steht sogar im Gesetz, verehrte Frauipping. Wir brauchen nicht Sie dazu, um das festzustel-en.
Vielleicht könnten Sie sich ein bisschen später nochinmal melden. Ich gestehe Ihnen gerne eine oder fünfwischenfragen zu; denn es macht Spaß, sich auszutau-chen und zu diskutieren.Um in meiner Rede fortzufahren: Ich möchte nichtissverstanden werden: Da, wo es um inhaltliche Kritik
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Parl. Staatssekretär Gerd Andresund um Verbesserungen geht, ist diese Kritik nicht nurberechtigt, sondern sogar erwünscht.
Dass wir Defizite bei der Umsetzung des Systems unddabei haben, Menschen in Arbeit zu bringen, muss unskeiner sagen. Da müssen wir viel besser werden; das isteine völlig klare Sache. Sie müssen mir aber einmal er-klären, wie man, indem man überall die Leistungen ver-bessert, die Menschen unterstützen will, wieder erwerbs-tätig sein zu wollen.Wenn man sich Ihren Antrag ansieht, muss man Ihnenfolgenden Vorwurf machen: Sie blenden völlig aus – dasist eine schiefe Darstellung, die Sie gerne gewählthaben –, dass die Transferleistung der Grundsicherungfür Arbeitsuchende im Jahr 2005 höher war, als sie esnach altem Recht gewesen wäre. Dieses Kunststückmüssen Sie mir einmal erklären: Der Staat wendet sehrviel mehr Mittel auf und Sie sagen, alles sei viel schlech-ter geworden. Wenn das frühere Hilfesystem fortgeführtworden wäre, würde es heute vielen Menschen schlech-ter gehen.
Zu Ihrem konkreten Beispiel bezogen auf die Kran-kenversicherung: Die Menschen, die nach altem Rechtim Sozialhilfesystem waren, waren nicht in die Renten-versicherung einbezogen. Manche waren nur über dieFamilienversicherung mit krankenversichert oder überdie Krankenhilfe nach dem SGB. Was haben wir ge-macht? Mit dem neuen System haben wir die betroffe-nen Menschen in die sozialen Sicherungssysteme ein-bezogen.Sie gehen übrigens auch darüber hinweg, dass wirAnfang dieses Jahres die Regelleistung für Arbeitsloseim Osten auf 345 Euro angehoben haben. Das interes-siert Sie anscheinend nicht mehr. Sie ignorieren auch,dass wir die Freibeträge für Erwerbseinkommen erst voreinem guten halben Jahr erhöht haben. Sie schieben völ-lig beiseite, dass es großzügige Freibetragsregelungengibt – ich könnte Ihnen das alles vorrechnen –, ein-schließlich Hauseigentum, Wohneigentum und einemPkw für jeden Betroffenen. Es gibt viele Modellfälle; Siekönnen sie gerne nachrechnen.Ich habe ein weiteres Problem, Frau Kipping. Es istrichtig, zu sagen: Wir wollen die Menschen fördern, aberwir müssen sie auch fordern. – Es führt überhaupt keinWeg daran vorbei, die Menschen auch zu fordern. Beider Zahlung von Transferleistungen gibt es aber immerein Problem. Dies wird deutlich, wenn man denjenigen,der sich im Transferleistungssystem befindet, mit demvergleicht, der arbeiten geht. Es geht um das Lohn-abstandsgebot. Wir haben zum 1. Oktober des vergan-genen Jahres die Zuverdienstmöglichkeiten bei Minijobsverbessert. Wer also einen Minijob hat, darf höhere Be-träge behalten. Das hat gemäß unserem System die ver-rückte Folge, dass in Deutschland angeblich die Armutsteigt. Ich kann Ihnen das erklären: Wenn Sie die Zuver-dienstmöglichkeiten verbessern, weiten Sie gleichzeitigden Kreis der Personen aus, die in das Leistungssystemfallen.czkHMhFvsd–ziidhVzvfdgz5DwLknsrgkGsbgutngBdmgKsm
Es gibt doch praktische Beispiele dafür. Die Men-chen, die diese Leistungen mit ihren Steuern finanzie-en, stellen doch die Frage, warum sie eigentlich arbeitenehen, wenn jemand auf dem Flur gegenüber ALG II be-ommt und durch die Familienförderung faktisch dasleiche herausbekommt. Das müssen Sie diesen Men-chen einmal erklären.Wenn Sie das machen, haben Sie das zusätzliche Pro-lem, ein Problem, mit dem wir uns gerade herumschla-en: Je höher die Leistungen sind, die Sie gewähren,mso mehr Menschen haben Anspruch auf diese Leis-ungen. Das heißt, der Hilfsarbeiter, den ich gerade ge-annt habe, erhält dann auch noch ergänzende Leistun-en nach dem SGB II. Denn wenn das untererücksichtigung der Tatsache, dass es sich um eine Be-arfsgemeinschaft handelt, berechnet wird, kann sichöglicherweise ein Anspruch auf ergänzende Leistun-en ergeben.Ich komme jetzt zu einer weiteren Position, Frauipping. Ich sage ganz offen: Darüber werden wir unstreiten; Sie werden auch keine Chance haben, das hierehrheitlich durchzusetzen. Das ist das Beruhigende
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Parl. Staatssekretär Gerd Andresdabei. Sie sagen, man müsse das alles jetzt repressions-frei ausgestalten.
Ja, mein Gott! Sie wollen ferner die Bedarfsgemein-schaften auflösen und es soll einen individuellen An-spruch geben. Das ist ja ganz wunderbar, wenn man sichdas anschaut. Ich halte das alles für Ammenmärchen. Esist gnadenloser Populismus, den Sie hier abziehen. DasGleiche gilt für die praktischen Beispiele, die Sie brin-gen. Auch das ist gnadenloser Populismus.
Dass es Unsinn ist, jemanden bei gefrorenem Boden Un-kraut jäten zu lassen, müssen Sie im Bundestag nicht er-zählen.
Wenn Sie mir diesen Fall geben, dann wird das ganzschnell – ruck, zuck! – abgestellt. Das sage ich Ihnen.
Dass Sie aber solche Einzelfälle anführen, um den Un-sinn zu begründen, den Sie in Ihrem Antrag zusammen-geschrieben haben, das müssen Sie uns, glaube ich, nichtantun.Ich bitte um Entschuldigung, meine sehr verehrtenDamen und Herren. Ich habe nur noch ganz wenig Rede-zeit und bin bis jetzt nicht dazu gekommen, mich mitdem Antrag der Grünen näher auseinander zu setzen. Esgibt ja auch Menschen, mit denen wir über viele Jahrezusammengearbeitet haben. Dieser Antrag hebt sich inseiner Qualität wohltuend von dem Antrag der Linkenab.
Darin sind eine Reihe von Vorschlägen enthalten, die ichsehr spannend finde, insbesondere wenn es um die Be-treuung geht. Es gibt aber auch Positionen, zu denen dieBundesregierung sagt: Da werden wir Ihnen nicht fol-gen. – Das wundert niemanden. Wir sind gegenwärtig ineinem Prozess, das SGB II weiter zu optimieren. Daswerden wir in den nächsten Wochen tun. Bei einer solchgroßen Reform ist es unvermeidlich, dass man nach-steuert. Ich sage noch einmal ganz in Ruhe und vollerStolz – das sage ich; ich war daran nämlich beteiligt –:Die steuerfinanzierte Arbeitslosenhilfe und die steuerfi-nanzierte Sozialhilfe zu einem neuen System zusammen-zufassen, dem die Vorstellung des aktivierenden Sozial-staats zugrunde liegt, ist des Schweißes aller Edlen wertgewesen. Es ist ein großes Verdienst, dass wir das, mitAusnahme der FDP und des ganz linken Flügels, durch-setzen konnten, hier und im Bundesrat.
DgesmPgrKnMtigugnedWpsOInsRsiMbn
Herr Andres, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie
och einmal auf das Problem der Working Poor, also der
enschen, die wirklich von früh bis spät arbeiten und
rotzdem in Armut leben, hingewiesen haben. Für mich
st das allerdings kein Argument dafür, die Sozialleistun-
en zu kürzen; vielmehr ist es eher ein Argument, das
ns in unserer Absicht bekräftigen sollte, endlich einen
esetzlich garantierten Mindestlohn einzuführen.
In einem Punkt gebe ich Ihnen Recht: Die Berech-
ung der Armut, wenn sie allein prozentual und relativ
rfolgt, kann zu gewissen statistischen Effekten führen,
ie nicht unproblematisch sind. Nun ist aber die Art und
eise, wie Armut berechnet wird, nicht von der Links-
artei erfunden worden; vielmehr ist sie von der Wissen-
chaft, von der EU-Kommission und auch von der
ECD so festgelegt worden.
ch finde, wir sollten die Probleme, die Sie zu Recht ge-
annt haben, zum Anlass nehmen, uns darüber zu ver-
tändigen, inwieweit man sich bei der Berechnung des
egelsatzes allein auf die relativen, prozentualen Zahlen
tützen sollte oder ob man nicht lieber einen Warenkorb,
n dem das Mindeste von dem enthalten sein müsste, was
enschen brauchen, damit sie am gesellschaftlichen Le-
en teilhaben können, als Grundlage der Berechnung
immt.
Herr Kollege Andres, zur Erwiderung.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2617
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Frau Kipping, herzlichen Dank. – Ich will Ihnen nur
sagen: Über Armut reden wir im Rahmen einer anderen
Debatte. Ich glaube nämlich, dass wir das System, wie
wir es im SGB II vorgesehen haben, vorzeigen können.
Dieses System ist bedarfsgerecht; es unterstellt, dass Be-
dürftigkeit vorliegt und dass es ein solidarisches Einste-
hen füreinander in der Bedarfsgemeinschaft gibt. All das
sind Prinzipien – Sie beschreiben sie in Ihrem Antrag –,
an denen wir festhalten.
Der gesetzliche Mindestlohn ist ein anderes Problem.
Spannend sind nicht die Fragen ob oder ob nicht und wie
man das konstruiert; spannend ist doch die Frage der
Höhe. Die Umsetzung Ihres wunderbaren Vorschlags
von der Pfändungsfreigrenze würde bedeuten, dass ich
den ganzen Leistungsapparat des SGB II auf diese Höhe
schrauben müsste. Ob die Pfändungsfreigrenze vernünf-
tig ist, lasse ich völlig außen vor.
Sie merken, ich habe sehr viel Spaß an einer fachli-
chen, sachlichen und vernünftigen Debatte. Das ist über-
haupt kein Problem; die können wir gerne führen. Sie
muss aber fachlich und sachlich fundiert sein. – Das eine
hat mit dem anderen nichts zu tun. Man kann nicht ein-
fach Äpfel mit Birnen vergleichen. Beim gesetzlichen
Mindestlohn und der Leistungshöhe nach dem SGB II
muss ich immer beachten, dass es einen Anreiz geben
muss, aus dem System heraus in Arbeit zu gehen. In die-
sem Land haben wir unglaublich viel Arbeit, die gegen-
wärtig nicht gemacht wird. Eine Aufgabe dieses Hauses,
des Gesetzgebers, ist es, dafür zu sorgen, dass die in
Deutschland vorhandene Arbeit, die zurzeit nicht von le-
gal in Deutschland lebenden Menschen gemacht wird, in
Zukunft von diesen erledigt wird. Auch das ist ein Pro-
blem, dem wir uns stellen müssen.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Brigitte Pothmer von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleichthilft es der Debatte, wenn wir uns in Erinnerung rufen,was das eigentliche Ziel der Arbeitsmarktreform in derletzten Legislaturperiode war – Herr Andres hat das zumTeil angerissen –: Ziel war es, ein Transfersystem, dasdie Lebensstandardsicherung in den Mittelpunkt stellt,abzuschaffen, weil es diesen Anspruch bei wachsenderMassenarbeitslosigkeit nicht mehr erfüllen konnte, dieWiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt abertrotzdem nur am Rande als Aufgabe begriff. DiesesTransfersystem sollte abgeschafft werden, weil es dieLangzeitarbeitslosigkeit zementiert hat. Es ging darum,die Chancen von Langzeitarbeitslosen, Zugang in denersten Arbeitsmarkt durch umfangreiche Betreuung,passgenaue Hilfsangebote und eine effektive Vermitt-lung zu finden, zu verbessern.
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ie Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfeit dem Ziel der Schaffung einer Grundsicherung warber ein erster, richtiger Schritt. Wir haben die entmün-igende Sozialhilfe abgeschafft und den entwürdigendenerschiebebahnhof zwischen Sozial- und Arbeitslosen-ilfe abgeschafft.Frau Kipping, es muss noch einmal in Erinnerung ge-ufen werden, dass die Sozialhilfeträger in der Vergan-enheit Langzeitarbeitslose in großem Umfang in ir-endwelche Maßnahmen geschleust haben, um sie beier Bundesanstalt für Arbeit abzugeben. Das war teuernd für die Betroffenen verdammt schlecht und entwür-igend.
Sozialhilfeempfänger haben jetzt erstmals einen Zu-ang zu den Instrumenten der Bundesanstalt für Arbeitnd damit einen Zugang zur Vermittlung in Arbeit undusbildung.
enn man Sie so hört, vor allem, wenn man Ihren An-rag liest, könnte man den Eindruck gewinnen, das allesei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ihr Frak-ionsvorsitzender Oskar Lafontaine hat im Wahlkampfogar von „Schandgesetzen“ geredet. Ich finde das in je-er Hinsicht instinktlos.
Sie rufen „Hartz IV muss weg! Hartz IV muss über-unden werden!“. Die Frage ist, was dabei herauskom-en soll. Wohin wollen Sie eigentlich? Vorwärts in dieergangenheit? Den Eindruck habe ich, wenn ich Ihrenntrag lese. Sie versprechen den Menschen eine Erhö-ung der Transferleistungen in einer Größenordnungdas entspricht auch unseren Berechnungen – von unge-ähr 35 Milliarden Euro.Sie machen falsche Versprechungen und versuchenamit, ihnen den Verzicht auf einen Arbeitsplatzchmackhaft zu machen. Das ist die falsche Politik.Sie haben im Wahlkampf Plakate geklebt, auf denentand: „Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit ge-ommen ist.“ – Frau Kipping, ich sage Ihnen mit Blickuf die Forderungen, die Sie hier heute erheben: Nichtsst hilfloser als eine Idee, die nicht mehr in die Zeit passt,eil sie keiner bezahlen kann, aber vor allen Dingenuch, weil sie an den Problemen vorbeigeht.
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Brigitte PothmerSie spielen, wie ich finde, immer gern ein bisschenKlassenkampf. Offen gestanden: Es ist höchste Zeit,dass Sie Ihre politischen Ideale einmal mit den gesell-schaftlichen Realitäten im Jahr 2006 abgleichen. DieGesellschaft ist heute ein bisschen komplexer, als KarlMarx sie noch beschrieben hat. Die „taz“ hat das im letz-ten Jahr sehr anschaulich dargestellt. Die Frage warnämlich: Wer ist denn heute das Kapital? Dies wurde amBeispiel Daimler-Chrysler verdeutlicht: 6,9 Prozent ge-hören der Deutschen Bank, 7,2 Prozent dem Emirat Ku-wait und der Rest ist Streubesitz. 25 Prozent davon wer-den von Privatinvestoren gehalten und 60,9 Prozent voninstitutionellen Investoren. Frau Kipping, wer ist da jetztder Boss? Dann noch einmal von der anderen Seite ge-fragt: Was bedeutet das für die Bürgerinnen und Bürger?Die Bürger in einem entwickelten Kapitalismus befindensich in einem vielfältigen Rollenkonflikt. Als Kundenprofitieren sie von dem gnadenlosen Wettbewerb. AlsAnleger freuen sie sich über Kurssprünge und hoheDividenden. Doch als Angestellte sind sie Opfer dieserVerhaltensmuster, denen sie selbst unterliegen. Das be-deutet stagnierende Löhne und kann auch bedeuten, dassihre Jobs bedroht sind.
Frau Kollegin Pothmer, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Dehm?
Ja.
Bitte schön.
Schon die SPD-Kollegen haben von mir, als ich noch
in dem Verein war, folgende Frage gehört. Auch Ihnen
stelle ich jetzt diese Frage, weil Sie die Deutsche Bank
als an Daimler-Chrysler Beteiligte erwähnt und gesagt
haben, dass unsere Politik nicht mehr in die Zeit passt,
da sie nicht finanzierbar sei: Wie erklären Sie dann, dass
– auch unter der Ägide von Rot-Grün – die Deutsche
Bank 16 Jahre lang keine Großbetriebsprüfung hatte und
keinen Cent Körperschaftsteuer gezahlt hat? Wären
diese beiden Instrumente nicht eine Möglichkeit – übri-
gens auch mit einem ähnlichen Ergebnis für Daimler-
Chrysler –, um sehr viel für die Finanzierung unseres
Sozialstaates zu tun?
Die Steuerpolitik unter Rot-Grün habe ich nicht in je-
dem Punkt für richtig gehalten. Das haben wir im Übri-
gen immer sehr deutlich formuliert. Aber Ihre einfachen
Muster, die sich in Ihren Anträgen widerspiegeln, wer-
den der gesellschaftlichen Realität nicht gerecht. Das
sind ranzige Weisheiten, mit denen Sie hier immer wie-
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Ja.
Bitte.
Frau Kollegin, sind Sie bereit, den Herrn Kollegen
ehm darauf hinzuweisen, dass nach den in der Bundes-
epublik Deutschland geltenden Bedingungen Konzerne
ahtlos im Anschluss, also etwa alle vier Jahre, für die
ergangenen vier Jahre geprüft werden und dass dazu
elbstverständlich auch ein Bankkonzern gehört?
Ich glaube, das hat der Kollege Dehm jetzt gehört, alsie es uns allen hier noch einmal deutlich dargestellt ha-en.
Wissen Sie, was ich für das eigentliche Problemalte? Das eigentliche Problem ist, finde ich, dass Sie esit Ihrer Politik dieser Regierung so einfach machen,eil Sie Ihre Forderungen nicht belegen, weil sie nichtinanzierbar sind und weil sie deswegen so einfach vomisch zu wischen sind. Dabei braucht diese große Koali-ion eine Opposition, die ihr Feuer unter dem Hinternacht.
Denn diese Koalition ist dabei, auf ihre ganz eigenert Hartz IV zu überwinden. Meine Damen und Herrenon Union und SPD, ich darf Ihnen vielleicht noch ein-al in Erinnerung rufen: Das Motto von Hartz IV warFordern und Fördern“.
s scheint aber so, dass Sie das Prinzip des Fördernsicht mehr so richtig in Erinnerung haben.
eit Ihrem Amtsantritt wollen die Zumutungen, mit de-en Sie die Hartz-IV-Empfänger überziehen, kein Endeehmen. Mir scheint, Sie folgen nach einer Druckkessel-heorie der Vorstellung: Je mehr Forderungen an die Ar-eitslosen gestellt werden und je höher der Leidensdruck
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Brigitte Pothmerist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieMenschen in Arbeit kommen. Ich sage Ihnen: Das trägtnicht gerade zur Motivation bei, einen Arbeitsplatz an-zunehmen. Das provoziert vielmehr die Abkehr der Be-troffenen von der Gesellschaft.Mit Ihren elendigen und durch keine Zahlen belegtenMissbrauchsdebatten schüren Sie, wie ich finde, zu-nehmend ein Klima des Misstrauens und der Stigmati-sierung. Dies tun Sie nur, um Rückenwind für dieDurchführung von Leistungskürzungen, die Sie schonangedeutet haben, zu bekommen. Das ist wirklich einschäbiges Vorgehen.
Aus diesem Grunde haben wir uns entschlossen, ei-nen eigenen Antrag zur Weiterentwicklung von Hartz IVeinzubringen. Aus unserer Sicht enthielt der Hartz-IV-Kompromiss, der ja im Wesentlichen ein großkoalitionä-rer war, von Anfang an erhebliche Zumutungen. Aberich sage deutlich: Wir haben diese Zumutungen mitge-tragen, weil wir der Auffassung waren und im Übrigennach wie vor sind, dass Leistungszahlungen mit demZiel der Integration in den ersten Arbeitsmarkt ver-bunden sein müssen. Allerdings sind wir auch der Mei-nung, dass sowohl bei den Regelungen zu unterschiedli-chen Personengruppen als auch auf einzelnen Feldernder Arbeitsmarktpolitik nachjustiert werden muss.Ich will nur einige Punkte unseres Antrags nennen: Esgeht auch uns um eine Entkopplung des Hilfebezugsvom Partnereinkommen; hier muss im Interesse derFrauen eine bessere Regelung gefunden werden. Wirhalten es vor dem Hintergrund der Entwicklung der ge-setzlichen Rentenversicherung für dringend notwendig,das Altersvorsorgevermögen besser zu schützen. Wirwollen vor allen Dingen die Integration in den ersten Ar-beitsmarkt verbessern, indem wir Langzeitarbeitslosenermöglichen, ihre gesamten Transferleistungen in einBeschäftigungsverhältnis einzubringen. Wir wollen alsoArbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren. Und wir wol-len, dass mindestens geduldeten Ausländerinnen undAusländern endlich Zugang zu Eingliederungsleistungeneingeräumt wird.Meine Damen und Herren, Hartz IV schafft keine Ar-beitsplätze. Das haben zumindest wir Grüne auch nie be-hauptet. Hartz IV konzentriert sich auf die bessere Ver-mittlung und Integration von Arbeitslosen. Dass dies ineiner Situation, in der es massenhaft an Arbeitsplätzenfehlt, nur begrenzt eine Hilfe ist, gebe ich gerne zu. Aberes wird nicht leichter, wenn Sie zu alten Konzepten zu-rückkehren, die sich bei der Bekämpfung der Massen-arbeitslosigkeit seit Jahrzehnten als untauglich erwiesenhaben.
Lenin soll ja immer als erste und entscheidende Frageformuliert haben: „Wem nützt das?“ Ich sage Ihnen: IhrAntrag nützt weder den Arbeitslosen noch der Bekämp-fung der Arbeitslosigkeit.dtaigdzStbbgnBEelwnreSmdSsDSADliMüa
Das Wort hat jetzt der Kollege Karl Schiewerling von
er CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der An-rag der Fraktion der Linken ist im Wesentlichen nichtsnderes als eine Zusammenstellung von Positionen, diem Parlament auch in der Vergangenheit keine Mehrheitefunden haben – und das aus gutem Grund. Sie wollenas Arbeitslosengeld II und viele andere Leistungen,um Beispiel das Sozialgeld, anheben. Doch dazu, wieie das finanzieren wollen, äußern Sie sich in Ihrem An-rag mit keinem Wort; die Größenordnung, um die es da-ei geht, hat Herr Andres vorhin erwähnt. Geld auszuge-en, ist einfach. Es zu erwirtschaften und es dannerecht zu verteilen, ist allerdings schwer. Ich sage Ih-en: Ihre Position ist populistisch und unredlich.
Der Druck auf dem Arbeitsmarkt, den Sie gleich zueginn in Ihrem Antrag beschreiben, ist keine Folge derinführung der Grundsicherung, sondern unter anderemine Konsequenz der gesamtkonjunkturellen Entwick-ung. Wir wären international nicht so wettbewerbsfähig,ie wir es sind, hätten wir nicht hoch qualifizierte Inge-ieure, Meister und Facharbeiter. Allerdings – das istichtig –: Menschen ohne berufliche Qualifikation habens schwer. Einen Qualifikationsdruck nach unten, wieie ihn beschreiben, kann ich nicht erkennen.In Ihrem neun Seiten umfassenden Antrag gehen Sieit keinem einzigen Wort auf das Fordern und Förderner Menschen ein. Sie zeigen auch keinen Weg auf, wieie Bezieher von Leistungen nach dem SGB II in Be-chäftigung bringen wollen.
as ist aber der Kern des SGB II.
ie behaupten in der Präambel Ihres Antrags, dass dasrbeitslosengeld II keine soziale Grundsicherung sei.iese Behauptung ist schlichtweg falsch: Das Arbeits-osengeld II ist eine soziale Grundsicherung, allerdingsst es keine Hängematte, sondern ein gespanntes Netz.it dem Optimierungsgesetz wollen wir dieses Netzberprüfen und weiter straffen, damit es seinen Zweckls Grundsicherung erfüllen kann.
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Karl Richard SchiewerlingMit dem Prinzip des Forderns und Förderns sindwir auf dem richtigen Weg. Dieses Grundprinzip desSGB II trägt dazu bei, dass Menschen ohne Arbeit gefor-dert werden, ihren Lebensunterhalt möglichst rasch wie-der aus eigener Kraft zu bestreiten. Schließlich wollenwir Menschen in Arbeit bringen und sie somit aus demBezug staatlicher Leistungen herausholen. Von diesemZiel steht nichts in Ihrem Antrag; Sie machen dazu kei-nen einzigen Vorschlag. Sie wollen die Menschen imBezug von Transferleistungen nach dem SGB II belas-sen, ja Sie bestärken sie noch, indem Sie noch mehrGeld draufpacken wollen. Das entspricht übrigens IhremStaatsverständnis, demzufolge der Staat für alles und je-dermann verantwortlich ist. Das aber führt zu Abhängig-keit und Unfreiheit und letztendlich dahin, dass der Staatfinanziell an seine Grenzen stößt – was wir überdeutlicherleben.
Wohlgemerkt – damit ich nicht missverstanden werde –:Wir brauchen einen starken Staat, der die Schwachenschützt. Aber wir brauchen keinen Staat, der die Men-schen entmündigt. Zur Freiheit gehört natürlich derSchutz, aber auch die Verantwortung eines jeden Einzel-nen.
Herr Kollege Schiewerling, erlauben Sie eine Zwi-
schenfrage der Kollegin Kipping?
Ja.
Bitte schön, Frau Kipping.
Da hier wiederholt behauptet wird, wir würden uns in
unserem Antrag überhaupt nicht mit dem Bereich Ar-
beitsmarktpolitik auseinander setzen, möchte ich Sie
einfach fragen, ob Sie unseren Antrag überhaupt bis zur
Seite 5 gelesen haben.
Dann müsste Ihnen aufgefallen sein, dass wir einen
Punkt 5 in unserem Antrag haben, der da heißt:
Die Arbeitsförderung ist durch zukunftsweisende
Lösungen zu verändern.
Dazu fordern wir die Schaffung eines öffentlich geförder-
ten Beschäftigungssektors und wir machen ganz konkrete
Vorschläge, wie man 1-Euro-Jobs in reguläre sozialversi-
cherungspflichtige Arbeitsverhältnisse umwandeln kann,
und wir schlagen weitere arbeitsmarktpolitische Maßnah-
men vor.
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Wollen Sie zuhören? – Sie wissen ganz genau, dass zu-ätzliche Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor und diemwandlung von 1-Euro-Jobs – auch dies sind Jobs, diem öffentlichen Sektor angesiedelt sind – angesichts deresamtsituation, in der wir uns befinden, keine Lösungnserer Arbeitsplatzprobleme sind.
Wenn jemand eine vom steuerzahlenden Bürger – ichalte das für einen wichtigen Punkt – finanzierte Grund-icherung erhält, dann kann man von ihm verlangen,ass er eine Gegenleistung erbringt und sich anstrengt;as hat etwas mit Freiheit und Würde zu tun. Das stehtm Unterschied zu Ihrem Verständnis: Sie lehnen diesenforderungen an die Hilfebedürftigen ab. Sie schrei-en:Niemand soll zur Ausübung einer Beschäftigunggezwungen werden, die für ihn kein existenzsi-cherndes Einkommen schafft …iese Position halte ich rundweg für unsozial: Denn Sieissachten die Krankenschwester, den Polizisten, dieriseuse, den Landwirt, alle, die einer Erwerbsarbeitachgehen und Steuern aufbringen, um nach Ihrer Defi-ition dem Arbeitslosengeld-II-Empfänger die Freiheitu geben, darüber zu entscheiden, ob er arbeiten willder nicht.
it Ihrem Staatsverständnis dienen Sie nicht demenschen. „Sozial“ kann nicht daran gemessen werden,ie hoch die Transferleistungen sind.
ür uns ist sozial – das sage ich sehr deutlich –, wenn derinzelne mit all seinen Fähigkeiten und Möglichkeitenit seiner eigenen Hände und seines eigenen Kopfes Ar-eit den Lebensunterhalt für sich und seine Familie ver-ienen kann. Wenn das nicht ausreicht, dann hat er einnrecht auf Unterstützung. Ich sage das so deutlich:ersonalität, Subsidiarität und Solidarität sind ausnserer Sicht die entscheidenden Grundlagen unserererfassung: Jeder leistet seinen Teil. Sie sagen, dass nie-and einen 1-Euro-Job – sie sind übrigens durchaus be-ehrt –, der bis zu 160 Euro im Monat zusätzlich bringt,nnehmen müsse. Dies entspricht nicht der notwendigenitwirkung und auch nicht der Stärkung der Eigeninitia-ive und der Selbstverantwortung.
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Karl Richard SchiewerlingNichtsdestotrotz habe ich in dem Antrag der Linkenauch etwas Sinnvolles entdeckt.
– Ja. – So heißt es in Ihrem Text: „Die Freibeträge fürAltersvorsorge sind … anzuheben“. – Das ist eine primaIdee. Das haben wir auch schon im Koalitionsvertrag sofestgehalten und das werden wir auch umsetzen. Siekönnen sich dem dann ja anschließen.
Meine Damen und Herren, wir wollen das SGB II op-timieren, das heißt: weniger Verwaltung, gezielter Ein-satz der Mittel und eine Verbesserung der Eingliederung.Ich gestehe zu: Hier kann noch mehr geschehen. Davonsteht in Ihrem Papier aber noch nichts.Ich glaube übrigens auch, dass wir darüber redenmüssen, wie wir präventiv gerade auch den Jugendli-chen in Bedarfsgemeinschaften, die einer Familie an-gehören, die sich in der dritten Generation im Sozialhil-febezug befindet, helfen können, aus dieser Situationauszubrechen und neue Wege zu finden. Ich halte das füreine wichtige neue Herausforderung, vor der wir stehen.
Dafür müssen im SGB II aber die notwendigen An-reize für Arbeitslose geschaffen werden, eine reguläreBeschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt anzustre-ben. Arbeit muss sich lohnen. Das Institut für Weltwirt-schaft in Kiel hat festgestellt:Kritische Lohnabstände, die eine Vollzeitbeschäfti-gung auf dem ersten Arbeitsmarkt unattraktiv er-scheinen lassen, bestehen insbesondere bei ALG-II-Beziehern, die eine geringe Qualifikation aufwei-sen, Kinder haben und deren Partner nicht erwerbs-tätig sind. Verstärkt werden diese Anreizprobleme,wenn ein potenzieller Arbeitsplatz im Dienstleis-tungssektor … liegt.Momentan erzielen 34 Prozent der Erwerbstätigen inden neuen Bundesländern einen monatlichen Brutto-lohn von unter 1 600 Euro. Sie zahlen Steuern und fi-nanzieren so einen Mehrpersonenhaushalt, der sich imLeistungsbezug des SGB II befindet und gegebenenfallsAnspruch auf passive Leistungen in Höhe von1 600 Euro bis 2 000 Euro hat. Dass hier ein eigener An-reiz zum Arbeiten fehlt, ist wohl klar. Ich verkenne aller-dings auch nicht, dass es Regionen in Deutschland gibt,in denen die wirtschaftliche Situation insgesamt durch-aus problematisch ist und wo sich dies auch auf die Ar-beitsplätze auswirkt.Wir müssen auch der Frage nachgehen – das ist einwichtiges Anliegen –, was wir mit den Menschen tun,die aufgrund ihrer persönlichen Voraussetzungen nichtweiter qualifizierbar sind. Auch sie sollen ihren Beitragleisten können. Es müssen Möglichkeiten geschaffenwerden, dass auch die Menschen, die nicht mehr weiterqualifizierbar sind oder leichte Behinderungen haben,für sich selbst sorgen können. Das ist nicht nur einestaatliche Aufgabe, hier sind auch die Wirtschaft und dieTarifpartner gefordert. Genau an dieser Stelle wird dieDKkwsdsblcFngrhrvgbburwpvVKgbsvAd
Nach wie vor bestehen doppelte Strukturen für dieerwaltung von Arbeitslosen. Das daraus folgendeompetenzwirrwarr, die Zeitverzögerung durch nicht ab-estimmte Software und die mangelnde Transparenzeim Datenaustausch haben die Situation der Arbeitslo-en keinesfalls verbessert. Zusätzlich prallen hier zweiöllig unterschiedliche Verwaltungskulturen aufeinander.nstatt aber deshalb heute Vorschläge vorzulegen, wieie Konstruktionsfehler der Hartz-Gesetze zu korrigieren
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2622 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
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Jörg Rohdesind, richtet sich die Linke in der Arbeitslosigkeit ein undwill aus Hartz IV eine soziale Vollversorgung machen.Höhere Leistungen, keine Missbrauchskontrollen undkeine Anreize zur Arbeitsaufnahme – dafür ist dasArbeitslosengeld II nicht gedacht.Primäres Ziel von Hartz IV ist die individuelle Über-windung des Bezuges von ALG II durch den einzelnenArbeitssuchenden hin zur Wiedereingliederung in denArbeitsmarkt. Insoweit ist die Überschrift des Antragsder Linken „Strategie zur Überwindung von Hartz IV“durchaus berechtigt. Eine Überwindung von Hartz IV ineine dauerhafte soziale Absicherung ohne das vorran-gige Ziel der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarktwäre aber völlig kontraproduktiv.
Der Grundsatz von Fordern und Fördern ist rich-tig. Aber in beiden Punkten ist die alte rot-grüne Bun-desregierung auf halbem Wege stehen geblieben. DieKontrolle des Leistungsmissbrauchs lässt zu wün-schen übrig. Mein Kollege Heinrich Kolb hat bereits aufdie erschreckenden Ergebnisse der Telefonumfrage hin-gewiesen.
Auch der automatisierte Datenabgleich ist mit Hartz IVfür die Stellen vor Ort nicht einfacher, sondern aufwen-diger geworden und Missbrauch damit leichter. OhneFordern ist Hartz IV kein Anreiz zur Arbeitsaufnahme.Beim Fördern sieht es nicht besser aus. Am bestenfunktioniert dieses Instrument bei der Ausnahme, näm-lich bei den Optionskommunen.
Herr Staatssekretär Andres, die FDP hat damals nichtzugestimmt, weil es bei der Umsetzung bessere Alterna-tiven gibt.
Die Stadt Erlangen in meinem Wahlkreis macht esvor. Hier werden bereits über 50-Jährige, welche aufdem allgemeinen Arbeitsmarkt als kaum vermittelbargebrandmarkt sind, erfolgreich in Arbeit vermittelt. Daserfahrene und motivierte Team vor Ort in Erlangen hatzum Beispiel mit dem lokalen Projekt „Fifty up“ zu-sätzliche Fördermittel aus dem Hause von HerrnMüntefering erhalten und an einem bundesweiten Wett-bewerb erfolgreich teilgenommen.Aber auch aus den 68 anderen Optionskommunen istviel Positives zu vernehmen. Das zeigt, dass besondersdie Kommunen in der Lage sind, der Situation derLangzeitarbeitslosen gerecht zu werden. Sie haben be-wiesen, dass sie bei der Arbeitsvermittlung flexibleWege gehen können. Die Kommunen sind näher an denProblemen der Betroffenen und können eher passgenaueund flexible Wege für eine Integration in den Arbeits-markt entwickeln als die zentralistisch organisierte Bun-desagentur für Arbeit. Die FDP-Fraktion fordert daherweiterhin, dass die Verantwortung für die VermittlunguüfnwhggdasgkdhRnvmmnIKsMwtdA
as kommunale Optionsgesetz so umzugestalten, dassuch die optierenden Kreise und kreisfreien Städte tat-ächlich Träger der Arbeitsvermittlung sind und die Auf-aben nach dem SGB II in Eigenverantwortung erfüllenönnen.
Herr Kollege Rohde, erlauben Sie eine Zwischenfrage
es Kollegen Kurth?
Ja.
Bitte schön, Herr Kurth.
Den Hinweis, dass ich Herrn Rohde gratulieren soll,
ätte ich nicht gebraucht. Natürlich gratuliere ich Herrn
ohde.
Danke schön.
Lieber Kollege Rohde, Sie fordern, dass den Kommu-en die Durchführung der Leistungen aus dem SGB II,ulgo Hartz IV, und die Eingliederung in den Arbeits-arkt vollständig übertragen werden. In diesem Zusam-enhang haben Sie auch die Optionskommunen ge-annt.Nun sind Sie auch behindertenpolitischer Sprecherhrer Fraktion. Ist Ihnen bekannt, dass die optierendenommunen in geradezu sträflicher Weise in den erstenechs Monaten des Jahres 2005 die Integration vonenschen mit Behinderungen verweigert haben, ob-ohl sie dazu eindeutig einen rechtlichen Auftrag hat-en? Ist Ihnen bekannt, dass die damalige rot-grüne Bun-esregierung vor den Fakten kapitulieren und dieseufgabe an die Bundesagentur für Arbeit zurückgeben
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Markus Kurthmusste – diese macht sie auch nicht so gut, wie sie siemachen sollte –, weil sich die Kommunen einfach ge-weigert haben, für Menschen mit Behinderung Angebotebereitzustellen? Wie kann man vor diesem Hintergrundbehaupten, dass die Kommunen besser befähigt wären,diese Leistungen alleine durchzuführen?
Herr Kollege Kurth, uns allen ist bekannt, dass es da-
mals große Probleme bei der Einführung von Hartz IV
gegeben hat. Das bezieht sich auf alle Bereiche, nicht
nur speziell auf den Bereich der Menschen mit Behinde-
rungen.
Ich kann eben nur aus meiner Optionskommune in Er-
langen berichten, dass dort sehr wohl Maßnahmen ge-
troffen worden sind, um die Integration von Behinderten
in den Arbeitsmarkt zu fördern. Ich habe mich dort per-
sönlich vergewissert. Vielleicht kann das nicht auf alle
68 Optionskommunen ausgedehnt werden – an dieser
Stelle können wir gerne noch nacharbeiten –, aber
grundsätzlich halte ich es für besser, vor Ort anzusetzen,
weil dort auch die Behinderten bekannter sind als bei ei-
ner zentralen Bundesagentur, die von außen eingreifen
möchte. Ich komme später noch einmal auf diesen Punkt
zurück.
Ich appelliere an die Union, sich an die damals vorge-
legten Anträge zu erinnern. Ich denke, wir werden beim
Leistungssystem noch stärker auf die Grundsätze der So-
zialhilfe zurückkommen müssen. Fehlsteuerungen müs-
sen beseitigt und die Leistungen auf die wirklich Bedürf-
tigen konzentriert werden.
Vor allem jugendliche Arbeitslose haben das Gesetz aus-
genutzt und sind auf Kosten der Allgemeinheit bei ihren
Eltern ausgezogen. Für die Zukunft wurde diesem Miss-
brauch nun ein Riegel vorgeschoben. Von einer Haus-
haltssanierung auf Kosten arbeitsloser Jugendlicher, wie
es die Grünen nennen, kann aber nicht die Rede sein.
Als behindertenpolitischer Sprecher der FDP möchte
ich ausdrücklich auf einen Punkt des Antrags der Grünen
eingehen. In Punkt 9 Ihres Antrages fordern Sie eine
bessere Verzahnung von SGB II und SGB IX, um die
Vermittlung von arbeitslosen Menschen mit Behinderun-
gen in Arbeit zu optimieren. In diesem Punkt stimme ich
Ihnen ausdrücklich zu.
In Mittelfranken – aber nicht nur dort – ist infolge ei-
ner Änderung des SGB IX die bis dahin ausgesprochene
erfolgreiche Vermittlung von Schwerbehinderten ins
Stocken geraten.
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eswegen muss man beide Anträge ablehnen.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Angelika Krüger-Leißner
on der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Seit gut einem Jahr ist die Arbeitsmarktreformum SGB II in Kraft. Ganz folgerichtig haben wir es mitchwierigkeiten sowohl in der Akzeptanz und der Um-etzung als auch hinsichtlich der spürbaren Wirksamkeitu tun. Darum ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass eseitere Vorschläge neben denen der Regierungskoalitionibt, den Prozess der Umsetzung des SGB II zu optimie-en.Dass der Schritt der Zusammenlegung von Arbeits-osenhilfe und Sozialhilfe zur neuen Grundsicherungichtig war, bestreitet heute kaum noch jemand. Unsereielsetzung orientierte sich an den Bedürfnissen von er-erbsfähigen arbeitslosen Menschen. Es ist für michach wie vor richtig, daran festzuhalten, die Zugangs-hancen von Langzeitarbeitslosen in Beschäftigungurch passgenaue individuelle Vermittlung und Ange-ote zu verstärken, ihren Verbleib in Arbeitslosigkeit zuerringern und ihnen eine die Existenz sichernde Grund-icherung zu bieten. An dieser Zielsetzung müssen wireden Vorschlag messen, der vorgelegt wird.Wenn wir als richtig erkannt haben, dass wir gleichehancen für alle Arbeitslosen und eine schnelle undachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt erreichen
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2624 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
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Angelika Krüger-Leißnerwollen und dass wir Menschen von Betroffenen zu Be-teiligten an einem System machen, sie also aktivierenund ihre Eigenverantwortung stärken wollen, dannkönnen wir nur den bereits eingeschlagenen Kurs weiter-verfolgen, einschließlich aller notwendigen Weiterent-wicklungen, die wir aber entschlossen angehen müssen.In dieser Phase befinden wir uns gerade.Heute liegen zwei Anträge vor, die wir meines Erach-tens unterschiedlich gewichten müssen. Der Antrag derFraktion des Bündnisses 90/Die Grünen sollte uns auchweiterhin beschäftigen. Ich finde, dass er wichtige undrichtige Ansätze enthält. Das Streiten um gute Lösungenin den nächsten Wochen wird sich, glaube ich, lohnen.Lassen Sie mich aber einige Ausführungen zu demAntrag der Fraktion Die Linke machen. Ich glaube, die-ser Antrag bringt uns mit seinen Vorschlägen in keinerWeise voran. Vielmehr soll mit ihm der eingeleitete Pro-zess zurückgedreht werden. Ich habe große Zweifel, obdie Antragsteller die Dimension der vor uns liegendenProbleme in ihrer Gesamtheit überhaupt erfasst haben.
Er liest sich wie ein Wunschzettel, fernab jeder Realitätin unserem Land, kurzum: eine soziale Utopie. Dabeigebe ich zu, dass sich seit einem Jahr für viele MenschenGravierendes verändert hat. Manche Einschnitte sindschwer zu verkraften. Auf die neue Situation musste sichjeder erst einstellen.Ich hätte mir gewünscht, dass wir – genauso wie an-dere Länder – rechtzeitig auf die veränderte Wirt-schafts- und Arbeitsmarktlage reagiert hätten. Dannwäre vieles leichter geworden. Aber wir haben geschla-fen oder wir hatten nicht den Mut dazu. Letztendlich tra-gen wir alle die Verantwortung dafür. Andere Länder ha-ben in den 90er-Jahren – ähnlich wie wir – Reformen aufden Weg gebracht. Ich erinnere nur an Dänemark. 1993hat die sozial-liberale Regierung Reformen durchge-führt, die sie allerdings mehrmals nachbessern musste.Auch diese Regierung stand unter sehr hohem Druck.Ich erinnere nur daran, dass sie 2001 abgewählt wurde.Das kann passieren. Wenn wir uns aber heute die Erfolgedes Förderns und Forderns vor Augen führen, könnenwir eines erkennen: Die Arbeitslosigkeit in Dänemark istvon 11 auf 5 Prozent gesunken. Die Dänen sind ganz be-sonders erfolgreich bei der Integration gering qualifizier-ter Menschen auf dem Arbeitsmarkt und beim Abbau derJugendarbeitslosigkeit. Genau das muss auch unser Zielsein.Wir müssen uns mit der Umsetzung der Hartz-Ge-setze beschäftigen, sie analysieren und, wo nötig, än-dern. Aber Sie werden mir, glaube ich, zustimmen, dassder uns vorliegende Antrag der Fraktion Die Linke nichtgeeignet ist, Langzeitarbeitslosigkeit abzubauen. LiebeKolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, IhreStrategie zur Überwindung von Hartz IV besteht darin,die Menschen zu verunsichern, wieder einmal Schwarz-malerei zu betreiben und irreale Hoffnungen zu wecken.Sie beginnen schon mit einer falschen Behauptung,wenn Sie sagen, Hartz IV sei Armut per Gesetz. Ich erin-nere an die Worte von Staatssekretär Andres. Er hat sehrggssumgbmsndsiiHAwzsdhrueükLKrmkWzdznbsdwb
Nach der neuen Grundsicherung kommt eine Familieit zwei Kindern auf einen Grundsicherungsbetrag ein-chließlich Wohnungskosten in Höhe von 1 759 Euroetto im Monat. Das ist sicherlich nicht viel Geld. Aberas ist weiß Gott nicht Armut per Gesetz. Viele Men-chen in unserem Land arbeiten für viel weniger. Wennch mir Ihre Vorschläge genauer anschauen, dann stellech fest, dass Sie eigentlich gar keine Überwindung vonartz IV wollen. Sie wollen vielmehr eine unendlicheufstockung bei Hartz IV. Das mag zunächst einmalünschenswert erscheinen. Aber wer die Rechnung be-ahlen soll, die hier aufgemacht wird, bleibt offen.
Wenn man sich nur drei Ihrer Vorschläge genauer an-chaut – die Erhöhung der Regelleistung auf 420 Euro,ie Erhöhung der Freibeträge für Vermögen und die Er-öhung des Kindergeldes, den dicksten Brocken in Ih-em Antrag –, dann stellt man fest, dass die Mehrkostennter dem Strich 26 Milliarden Euro betragen. Das wirdinfach so dahingeworfen, ohne zu überprüfen, ob dasberhaupt umsetzbar ist. Das spielt bei Ihnen ohnehineine Rolle. Diese Kosten müssten andere in diesemand mit ihrem Arbeitseinkommen bezahlen. Das sindosten einer sozialen Utopie, die gar nicht mehr aktivie-en will. Genau dieser Punkt in Ihrem Antrag machtich richtig wütend. Arbeit kommt in Ihren Vorschlägenaum noch vor. Ihre vorgebliche Strategie handelt vomeg zu einer Vollkaskogesellschaft. Beschäftigung istweitrangig. Das ist der Geist Ihres Antrages.Wir können gut erkennen, dass die Linke zurück zuem Verschiebebahnhof will, den wir früher in der So-ialhilfe hatten,
un aber für alle Arbeitslosen, damit wir uns in Zukunftloß nicht weiter mit ihren Problemen beschäftigen müs-en.Es gibt einen Punkt, bei dem wir übereinstimmen: Beier Umsetzung des SGB II gibt es viel zu verbessern.
Frau Kollegin, denken Sie an Ihre Redezeit!
Danke, Frau Präsidentin. – Vor allen Dingen müssenir Verbesserungen für die Menschen erreichen, die Ar-eit als Teil ihrer gesellschaftlichen Partizipation sehen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2625
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Angelika Krüger-LeißnerFür sie müssen wir mehr tun. Ihnen fühle ich mich ver-pflichtet. Lassen Sie uns das in den nächsten Monatentun! Lassen wir uns nicht durch solche utopischen An-träge wie von der Fraktion Die Linke aufhalten!
Das Wort hat der Kollege Paul Lehrieder, CDU/CSU-
Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Als Hartz IV an den Start ging, waren große
Erwartungen an ein derartig großes Reformvorhaben ge-
knüpft.
– Enttäuschung Ihrerseits ist nicht verwunderlich. Sie
sind öfter enttäuscht und werden auch öfter enttäuscht
werden. – Als es dann an Art und Umfang der Umset-
zung ging, wurden, wie fast zwangsläufig bei derartigen
Reformprojekten, viele enttäuscht – auch die Linken,
zum Glück. Hartz IV ist heute unverdientermaßen zum
Unwort geworden.
Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenzulegen – ge-
nau darum ging es im Kern –, war unbedingt notwendig
und seit langem eine zentrale Forderung der Union. Des-
halb haben wir vor zwei Jahren dem Reformvorhaben
der damaligen Bundesregierung in Bundestag und Bun-
desrat zugestimmt. Wie Herr Staatssekretär Andres aus-
geführt hat, war es den Schweiß aller Edlen wert.
Ich habe die Formulierung sehr schön gefunden, weil Sie
auch uns als Edle bezeichnet haben.
Es war uns wichtig, den Schwerpunkt von der Zah-
lung des Lebensunterhalts auf die Wiedereingliederung
der erwerbsfähigen Hilfebezieher in den Arbeits-
markt zu verlagern. Oberstes Ziel musste sein, die Be-
troffenen wieder aus den Transfersystemen herauszufüh-
ren, sei es durch neue Hinzuverdienstmöglichkeiten, sei
es durch eine passgenaue Förderung bei der Wiederein-
gliederung in Arbeit, sei es durch eine intensivere Be-
treuung durch einen persönlichen Ansprechpartner.
Dazu gehören auch die unmissverständliche Androhung
und die Durchsetzung von Sanktionen, wenn der Hilfe-
bedürftige die notwendigen Eigenbemühungen nicht
leistet. Nicht umsonst heißt es „fordern und fördern“.
Das Arbeitslosengeld II steht für uns im Einklang mit
dem Auftrag, den das Grundgesetz dem Staat gegeben
hat: diejenigen zu unterstützen, die sich ohne eigenes
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Von einer soliden Gegenfinanzierung kann man bei ihr
hnehin nicht ausgehen.
Wir haben in der vergangenen Woche einen Haushalt
it einer dramatischen Neuverschuldung von 38 Milliar-
en Euro im laufenden Jahr beschlossen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Dehm?
Ich würde liebend gern, aber die heutige Sitzung istereits jetzt bis 23.55 Uhr geplant. In Anbetracht der ge-ingen Qualität der zu erwartenden Zwischenfrage ver-ichte ich darauf.
Frau Kipping, hier auf der Tribüne ist eine große An-ahl Jugendlicher. Wir zahlen bereits jetzt jeden Tag00 Millionen Euro Zinsen. Ihr Weg wäre gewesen, dieerschuldung in dramatischer Weise weiter zu steigern.ie Generation, die uns von den Tribünen zuschaut,ätte keinerlei Bewegungsraum mehr, wenn wir Ihreneg in die soziale Irre gingen.
Wer theatralisch den Sozialstaat untergehen sieht undartz IV am sozialen Kältepol verortet, sollte sich ein-al den Einzelplan „Arbeit und Soziales“ desundeshaushaltes 2006 ansehen. Wir geben derzeitehr als 51 Prozent der gesamten Haushaltsmittel füroziale Leistungen aus. Allein für das Arbeitslosen-eld II sind im Haushalt 2006 24,4 Milliarden Euro an-esetzt. Für Eingliederungshilfen sind 6,5 Milliardenuro und für Verwaltungskosten 3,5 Milliarden Euroorgesehen. Darüber hinaus werden 267 Millionen Euroür Beschäftigungspakte zugunsten älterer Menscheneranschlagt. 2006 beteiligt sich der Bund zudem mit9,1 Prozent an den Unterkunftskosten. Die Kommunenerden so um 2,3 Milliarden Euro jährlich im Vergleichu dem vor dem 1. Januar 2005 geltenden Recht entlas-et. Dieses Geld kann in die Betreuung vor Ort investierterden, zum Beispiel in Kinderkrippen. Sieht es so aus,enn – so schreiben Sie es, liebe Kolleginnen und
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2626 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
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Paul LehriederKollegen der Linksfraktion – „Kosten auf die Kommu-nen abgewälzt werden“? Beileibe nicht!Apropos Kommunen: Frau Kipping, Sie haben denProspekt „Hartz IV“ vorgezeigt und auf Ihren Wahlkreisverwiesen. Ich habe mich kundig gemacht: Das Bundes-tagshandbuch weist aus, dass Sie über die LandeslisteSachsen in dieses Hohe Haus gewählt worden sind. Ichgehe davon aus, dass Sie gleichwohl Verantwortung fürdie Menschen Ihrer Region tragen wollen.Ich will Ihnen ein Beispiel aus meinem Wahlkreisnennen. Mein Wahlkreis Würzburg hat sich 2004 für dasso genannte Optionsmodell entschieden.
Im Wahlkreis Erlangen des Kollegen Rohde war es ähn-lich. Im Laufe des ersten Halbjahres 2005 wurden dieFälle der Agentur für Arbeit sukzessive übernommen.Das „Beratungs- und Eingliederungszentrum für Arbeit-suchende des Landkreises Würzburg“ vermerkt für dasgesamte vergangene Jahr, dass trotz schwieriger Aus-gangslage 511 Menschen in den ersten Arbeitsmarkt ver-mittelt werden konnten, und das bei 1 300 Arbeitslosenbzw. 2 230 Bedarfsgemeinschaften. Das ist eine Quote,mit der wir uns nicht zu verstecken brauchen. Gegenüberden Jahren 2003 und 2004 mit jeweils etwa 200 Vermit-telten ist das ein deutlicher Erfolg.Frau Kipping, legen Sie Ihren Laptop einmal zurSeite! Vielleicht können Sie mir einmal etwas lauschen.
– Das befürchte ich. Alles, was realitätsbezogen ist, istfür Sie uninteressant.
Besonders erfreulich ist in diesem Zusammenhang,dass 26,4 Prozent der im vergangenen Jahr vermitteltenArbeitnehmer unter 25 Jahre alt sind. Damit dürfte klarwerden, dass die Reformen allmählich zu greifen begin-nen.Bei alledem müssen wir in Rechnung stellen, dass essich erst um einen Anfang der Reformen der Arbeits-markt- und Sozialgesetzgebung handelt. Viel muss nochjustiert werden. Genau in dieser Phase befinden wir unsjetzt. Unter anderem mit der Angleichung der ALG-II-Regelsätze in Ost und West auf 345 Euro wollen wir fürmehr Gerechtigkeit im Rahmen des Möglichen sorgen.Hier sehen wir auch die Grenzen, die uns gesetzt sind.Diese Angleichung wird bei Bund und Ländern mitMehrkosten von 260 Millionen Euro zu Buche schlagen.Dadurch fehlt Geld an anderer Stelle. Da wir leider nichtunbegrenzt Geld drucken können und es uns nicht leistenkönnen, über unsere Verhältnisse zu leben, müssen wirin Verantwortung vor dem Steuerzahler die knappen so-zialstaatlichen Mittel zielgenau einsetzen.Ich erinnere an Folgendes: Beim ALG II handelt essich grundsätzlich um eine bedürftigkeitsabhängigeLeistung, die nur in der Höhe der tatsächlichen Hilfe-bedürftigkeit gewährt wird. Sie muss das so genannte so-ziokulturelle Existenzminimum sicherstellen. Es gehtus1HDkdbddkmGtngfZrmZbLgswBenPWgtvsimO
Mit dem SGB-II-Optimierungsgesetz wird die Koali-ion diese Linie fortführen. Sie hat sich zum Ziel gesetzt,eue Akzente bei der Ausgestaltung des Schonvermö-ens zugunsten der Altersvorsorge zu setzen und die De-inition eheähnlicher Gemeinschaften zu überprüfen, dieuständigkeiten der Arbeitsgemeinschaften und optie-enden Kommunen gesetzlich klarzustellen und einigesehr.Wir befinden uns mitten im Reformprozess. Unseriel ist es, Menschen in Arbeit zu bringen. Wir habenegrenzte Mittel und sind kein Selbstbedienungsladen.eben wir über unsere Verhältnisse, leiden am Ende dieanze Gesellschaft und insbesondere unsere Jugend.Wer uns bei diesem schwierigen Vorhaben mit kon-truktiven Vorschlägen unterstützen will, ist uns herzlichillkommen. Wer die Bürger mit pathetischem Tonfall,ärbeißigkeit und ideologischer Verblendung gegen ihreigenen Interessen mobilisieren und notwendige Maß-ahmen im Keim ersticken will, ist allerdings fehl amlatz. Hier würde man den Bock zum Gärtner machen.ir sind froh, dass eine große Mehrheit der Vernünfti-en die Anträge der Linkspartei zurückweist.Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Rolf Stöckel, SPD-Frak-
ion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auchon mir herzliche Glückwünsche, Herr Rohde. Wir wis-en jetzt, dass Sie 40 Jahre alt sind – das tut nicht weh;ch kann mich noch daran erinnern, wie das bei mir da-als war –, aber wir wissen leider sehr wenig über dieptionskommunen,
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2627
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Rolf Stöckelüber die Qualität der Eingliederungsvereinbarungen, deraktiven Arbeitsmarktangebote und der Qualifizierungs-angebote in den Optionskommunen. Sie wissen das viel-leicht in Bezug auf Erlangen. Wir wüssten gerne mehr.Ich kann Ihnen nur berichten, dass die Arge bei mir imKreis Unna einen Spielraum hat, in dem sie auch eigen-ständig Entscheidungen treffen kann, und dass die Praxisdort auch nicht unbedingt schlechter ist als in Erlangen;das Beispiel kenne ich zufällig auch.Wir haben natürlich ein Interesse daran – das möchteich prinzipiell einmal sagen; deswegen spreche ich dasan –, dass die Verhältnisse, was die Qualität, die Sozial-standards, die Qualifizierung und die Vermittlung an-geht, in der Bundesrepublik Deutschland nicht zersplit-tert werden, sondern dass es für eine eigenständigePraxis in den Arbeitsgemeinschaften vor Ort einen ein-heitlichen Rahmen gibt, sodass man die Einheitlichkeitder Lebensverhältnisse für die Betroffenen auch insofernsicherstellen kann. Das ist eine sozialdemokratischePosition, die wir auch weiterhin vertreten werden.
„Hartz muss weg“ – so richtig ernst meint die PDSdas auch nicht. Wenn alle Punkte ihres Antrages – essind 40 Punkte, die ich hier nicht in sieben Minuten be-werten kann; ich biete an, das einmal zu tun, wenn SieInteresse haben – erfüllt würden, hätte die PDS alsTransferleistungsgewerkschaft gar keine Daseinsberech-tigung mehr.
Das ist auch der Grund dafür, dass sie hier im Parlamentsitzt.Ich sage zu den Kollegen in der Koalition einmal: Dasgilt vielleicht auch für Herrn Rüttgers, der jetzt im Düs-seldorfer Stadttor sitzt. Er konnte sich auch nicht klarentscheiden, ob er sich zu dem Ergebnis des Vermitt-lungsausschusses bekennt oder ob er dagegen demons-triert. Da hat er so ähnliche Verhaltensweisen wie HerrBöhmer an den Tag gelegt. Aber darum geht es nicht.Wenn wir erreichen wollen, dass erwerbsfähige Men-schen nicht mehr dauerhaft vom Arbeitsmarkt ausge-grenzt werden – ohne Chancen auf persönliche Hilfenund Förderung, auf Qualifizierung und auf Kinderbe-treuung –, dann darf Hartz IV nicht weg. Es kann erstdann weg, wenn die Langzeitarbeitslosigkeit – der Kol-lege Weiß hat das zu Recht gesagt – erfolgreich be-kämpft ist. Ich gehörte aufgrund eigener Erfahrung – ichhabe 15 Jahre in der Sozialverwaltung gearbeitet – kei-nesfalls zu denen, die glaubten, die sagenhafte deutscheVerwaltung brauchte nur einen Hebel umzulegen, dannwürde schon alles klappen. Niemand kann ernsthaft be-haupten – das ist auch schon von mehreren Vorrednerin-nen und Vorrednern gesagt worden –, dass die größte So-zialreform der Bundesrepublik nach einem guten JahrPraxis bereits optimal läuft.MwnkEddoddnagbemzKsgamBtRdMvTwIKuivwlSmuslwtfs
der mehr Integration geleistet worden wäre dadurch,ass diese Leistungen höher sind. Die Regelsätze wer-en auf einer gesetzlichen Grundlage angepasst undicht mehr nach einem paternalistischen Warenkorb, deruch schon bei der damaligen Sozialhilfe nicht dazu bei-etragen hat, dass es objektiver oder für die Betroffenenesser gewesen wäre.Das ist übrigens nicht nur besser für die ehemaligenrwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger oder für die ehe-aligen Arbeitslosenhilfeempfänger, die ergänzende So-ialhilfe bekommen haben; es ist auch besser für dieommunen, denen über viele Jahre die Massenarbeitslo-igkeit mit allen Konsequenzen sozusagen in die Kasseeschoben worden ist. Sie sagen in Ihrem Antrag jauch, dass Sie die Kommunen entlasten wollen. Als je-and, der aus dem Ruhrgebiet kommt, sage ich Ihnen:itte nicht nur die Kommunen in Ostdeutschland entlas-en. Das muss insbesondere für unsere Kommunen imuhrgebiet auch gelten.
Ist es linke Politik – das habe ich mich gefragt, als ichen Antrag gelesen habe –, ist es menschenwürdig, wennenschen dauerhaft zur Passivität, zur Ausgrenzungom Arbeitsmarkt und zur Abhängigkeit von staatlichenransferleistungen verdammt werden? Die klare Ant-ort von uns Sozialdemokraten ist: Nein. Ich frage Sie:st es linke Politik, wenn sich Großunternehmen aufosten der Solidargemeinschaft, nämlich mithilfe hohernd langer Arbeitslosenhilfezahlungen, massenhaft vonhren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, aber auchon ihrer sozialen Verantwortung verabschieden können,ie das jahrelang passiert ist? Die klare Antwort von unsautet: Das ist keine linke Politik.
Es wird behauptet – das hat der Parlamentarischetaatssekretär Andres hier bereits aufgenommen –, dassit der zunehmenden Zahl der Bedarfsgemeinschaftennd der Kinder in Bedarfsgemeinschaften die Armutteigt. Dieser Vorwurf, auch der Armutskonferenz in deretzten Woche, ist absurd. Wenn Leistungen verbesserterden – ich sage es hier noch einmal – und der Berech-igtenkreis ausgeweitet wird, dann ist das ein Beweis da-ür, dass die Armutsbekämpfung im deutschen Sozial-taat weitgehend funktioniert.
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Rolf StöckelIch nenne Ihnen eine Zahl aus dem Armuts- undReichtumsbericht: Wenn es diese Leistungen nicht gäbe– sowohl die beitragsfinanzierten als auch die steuerfi-nanzierten Sozialleistungen einschließlich der Grund-sicherung –, dann wären nicht 13,5 Prozent der Men-schen vom Armutsrisiko bedroht – das sind vor allenDingen Ausländer, Alleinerziehende und Familien mitmehr als zwei Kindern –, sondern 41 Prozent. Das heißt,der Sozialstaat funktioniert bei der Armutsbekämpfung.Er ist weiterzuentwickeln; denn er ist verbesserungswür-dig.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten ver-teidigen auch die Rechtsansprüche der Betroffenen anunseren Sozialstaat. Ein großer Teil der Kostensteige-rungen ist nicht durch Missbrauch verursacht worden,sondern resultiert aus der legalen Inanspruchnahme vonRechten und gesetzlichen Regelungen. Wir Sozialdemo-kraten wollen keinen Almosenstaat; wir wollen keineGesellschaft, in der letztendlich die Armenspeisungenim Vordergrund stehen. Ich glaube, dass wir insofernklar positioniert sind.Deshalb sage ich auch ganz klar: Ich halte es für linkePolitik, wenn wir einen präventiven, aktivierendenSozialstaat des Förderns und Forderns entwickeln. NachÜberzeugung der sozialen Wissenschaften und Praxis– seit über 25 Jahren vollziehe ich das nach – ist diesesPrinzip dem Prinzip des konservativen, nachsorgendenund vor allem Problemlagen konservierenden Wohl-fahrtsstaates weitaus überlegen. Das zeigen alle interna-tionalen Vergleiche.
Mir ist es völlig unverständlich, warum PDS undWASG, die sich Linke nennen, mit ihren Sozialstaatsvor-stellungen so konservativ und weit entfernt von emanzi-patorischen Ansätzen agitieren und so tun, als würdensie damit auch noch die Interessen der Betroffenen ambesten vertreten.
Das Gegenteil ist der Fall, meine Damen und Herren.Wem der Erhalt des Sozialstaats und nicht nur kurz-sichtige populistische Parteitaktik am Herzen liegt, dermuss mithelfen, diesen Sozialstaat umzubauen
und zukunftsfest zu machen. Das ist allein deshalb unab-dingbar, weil soziale Ängste weit verbreitet sind undweil es Vertrauensverluste gegenüber der Demokratie,der Marktwirtschaft und dem Rechtsstaat gibt. Sie be-schreiben das ja in Ihrem Antrag. Ich befürchte nur, dassSie die Lehren aus der Weimarer Republik, vor allenDingen aus dem Ende der Weimarer Republik nicht rich-tig verstanden haben und das auch gar nicht wollen.
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gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zurÄnderung des Artikel-10-Gesetzes– Drucksache 16/509 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Rechtsausschussb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-zung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäi-schen Parlaments und des Rates vom21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote
– Drucksache 16/1003 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionc) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu demVertrag vom 27. Mai 2005 zwischen demKönigreich Belgien, der BundesrepublikDeutschland, dem Königreich Spanien, derFranzösischen Republik, dem Großherzog-tum Luxemburg, dem Königreich der Nieder-lande und der Republik Österreich über dieVertiefung der grenzüberschreitenden Zusam-menarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2629
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerTerrorismus, der grenzüberschreitenden Kri-minalität und der illegalen Migration– Drucksache 16/1108 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Auswärtiger AusschussRechtsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für TourismusAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Uniond) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-zung des Vertrags vom 27. Mai 2005 zwischendem Königreich Belgien, der BundesrepublikDeutschland, dem Königreich Spanien, derFranzösischen Republik, dem Großherzog-tum Luxemburg, dem Königreich der Nieder-lande und der Republik Österreich über dieVertiefung der grenzüberschreitenden Zusam-menarbeit, insbesondere zur Bekämpfung desTerrorismus, der grenzüberschreitenden Kri-minalität und der illegalen Migration– Drucksache 16/1109 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Auswärtiger AusschussRechtsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für TourismusAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unione) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung des Agrarstatistikgesetzes und des Rin-derregistrierungsdurchführungsgesetzes– Drucksache 16/1023 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
Innenausschussf) Beratung des Antrags der Abgeordneten RainderSteenblock, Winfried Hermann, Peter Hettlich,weiterer Abgeordneter und der Fraktion desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENNotschleppkonzept an gestiegene Herausfor-derungen anpassen– Drucksache 16/685 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitZP 3 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten HeikeHänsel, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LIN-KENDie Beziehungen zwischen EU und Lateiname-rika solidarisch gestalten – Kein Freihandels-abkommen EU-Mercosur– Drucksache 16/1126 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungtdüFZBseawsmDSunuG
Laurischk, Otto Fricke, Ina Lenke, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der FDPZwangsheirat wirksam bekämpfen – Opferstärken und schützen – Gleichstellung durchIntegration und Bildung fördern– Drucksache 16/1156 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Auswärtiger AusschussInnenausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungEs handelt sich um Überweisungen im vereinfach-en Verfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen anie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuberweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkt 33 a bis 33 f sowieusatzpunkte 4 a bis 4 j auf. Es handelt sich umeschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aus-prache vorgesehen ist.Tagesordnungspunkt 33 a:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung des patentrechtlichen Ein-spruchsverfahrens und des Patentkostengeset-zes– Drucksache 16/735 –Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses
– Drucksache 16/1153 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Günter KringsDirk ManzewskiSabine Leutheusser-SchnarrenbergerWolfgang NeškovićJerzy MontagDer Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-mpfehlung auf Drucksache 16/1153, den Gesetzentwurfnzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-urf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wertimmt dagegen? – Enthaltungen? – Mir ist das Abstim-ungsverhalten der Fraktion der Linken nicht klar. –er Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit dentimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSUnd FDP bei Enthaltung der Fraktion der Linken ange-ommen.Dritte Beratungnd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
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2630 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerGegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf istdamit mit demselben Stimmenverhältnis wie in derzweiten Beratung angenommen.Tagesordnungspunkt 33 b:Zweite Beratung und Schlussabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zu dem Internationalen Über-einkommen von 2001 über die zivilrechtlicheHaftung für Bunkerölverschmutzungsschäden– Drucksache 16/736 –Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses
– Drucksache 16/1154 –Berichterstattung:Abgeordnete Marco WanderwitzDirk ManzewskiMechthild DyckmansWolfgang NeškovićJerzy MontagDer Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 16/1154,den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, diedem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-wurf ist damit mit den Stimmen des ganzen Hauses an-genommen.Tagesordnungspunkt 33 c:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung des Ölschadengesetzes und an-derer schifffahrtsrechtlicher Vorschriften– Drucksache 16/737 –Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses
– Drucksache 16/1160 –Berichterstattung:Abgeordnete Marco WanderwitzDirk ManzewskiMechthild DyckmansWolfgang NeškovićJerzy MontagDer Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 16/1160, den Gesetzentwurfanzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-wurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des gan-zen Hauses angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-wurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen desganzen Hauses angenommen.ddWwgeawsizuGWwg
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Sie sind die energiewirtschaftlichen Fragen nicht an-egangen. Dabei geht es um die Fragen: Wie kann un-ere Energieversorgung langfristig sicher sein? Wie kannan sie langfristig wirtschaftlich gestalten und nicht nurm Tropf halten? Wie kann man sie nachhaltig gestal-en? – Dazu ist gar nichts gesagt worden. Sie haben auchie Kernthemen des Energiebereichs vollkommen außenor gelassen. Wie kann man eigentlich behaupten, einennergiegipfel zu veranstalten, wenn man nicht über denerkehr diskutiert?
as heißt doch: Sie haben das halbe Problem schlichtnd einfach ignoriert. Der Löwenanteil unserer Erdöl-mporte wird nämlich im wahrsten Sinne des Wortes ver-ahren. Wir machen hier vollkommen unsinnig Ge-rauch von einer limitierten und teuren Ressource. Ineinem anderen Bereich sind wir so abhängig vom Erdölie im Verkehr und Sie machen einen Energiegipfel,hne über dieses Thema zu reden!
enn sich an dieser Stelle nichts bewegt, bewegt sichemnächst auch im Verkehr nichts mehr. Stattdessen ha-en Sie auf diesem Gipfel ein gefährliches Spiel mit derebatte über den Ausstieg aus der Atomenergie getrie-en. Der Dissens, den Sie so munter zwischen denoalitionsfraktionen pflegen, stellt mittlerweile einelockade für Innovationen und dringend nötige Investi-ionen in Deutschland, zum Beispiel im Mittelstand, dar.
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Renate Künast
Ich frage mich auch: Was ist jetzt eigentlich mit demKoalitionsvertrag? Gilt er nur ein bisschen oder nur biszu einem bestimmten Punkt? Das riecht mir verdammtnach: Wir sind ein bisschen schwanger. – Genau so agie-ren Sie bei diesem Thema. Im Ergebnis tun Sie nichts fürdie Schaffung von Arbeitsplätzen und für Innovationenin diesem Land. Mit Ihrem Gerede auf dem Gipfel habenSie allenfalls den Kraftwerksbetreibern geholfen, großeProfite zu machen. Sie haben aber mittelfristig nicht ein-mal einem Verbraucher in diesem Land geholfen unddazu beigetragen, dass er auf seiner nächsten Stromrech-nung sieht, dass die Kosten sinken und nicht weiter stei-gen.
Sie lassen sich durch vermeintliche Investitionszusa-gen zu Zugeständnissen bringen. Was wir in Wahrheitbrauchen, ist eine Regierung, die sich nicht erpressenlässt, gerade beim anstehenden Thema „Emissionshan-del und Zertifikate“. Was Ihnen da an Geldern angebotenwird, ist das statistische Mittelmaß dessen, was sie so-wieso investieren müssen. Wir brauchen etwas anderes.Wir brauchen einen Anschub, der zu Überkapazität undneuen Akteuren auf dem Markt führt, damit Wettbewerbentsteht, zugunsten einer anderen Zukunft und zuguns-ten der Verbraucherhaushalte.
Man muss jetzt umsteuern; man darf das nicht wiedervertagen. Man muss jetzt einsteigen beim Primat derEnergiepolitik in eine Zukunft der Einsparungen. Wirwissen, dass die meisten Industriestaaten, wenn sie einegute Strategie verfolgen, mit der besten verfügbarenTechnologie problemlos 20 bis 30 Prozent des jetzigenEnergieverbrauchs einsparen könnten. Dann brauchenSie aber ehrgeizige Anforderungen, in Bezug auf denWärmeschutz bei Neubauten, Höchstverbrauchstandardsfür Klima- und Lüftungsanlagen, und Sie brauchen Ver-bote für Stand-by-Geräte in der Unterhaltungselektronik.Wir können bis 2020 unseren Verbrauch quasi halbieren.Der Energiegipfel hat uns eines gezeigt: Sie habenkeine Ziele; Sie arbeiten weiter für die großen Anbieter.Ich sage Ihnen ganz klar: Wir werden dem ein grünesweiterentwickeltes Energieszenario entgegensetzen.
Daran werden wir Sie messen. Wir werden Sie beimEmissionshandel –
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.
– ich bin beim letzten Wort – fragen: Wie vergeben
wir Zertifikate? Ich sage Ihnen eines: Die 10 Prozent
müssen wirklich versteigert werden. Wir dürfen eines
nicht tun: uns von den großen Wirtschaftsunternehmen –
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ch meine, das geht nicht. Bei einem so wichtigen
hema muss die Bundesregierung auch durch Minister
ier im Plenum vertreten sein.
enn sie so nicht vertreten ist, ist das eine Missachtung
es Parlaments. Wir beantragen die Herbeizitierung des
undesumweltministers.
Es gehört sich, dass beim Thema Energiegipfel auch
er zuständige Minister hier spricht oder dass er, wenn er
ichts zu sagen hat, wenigstens hier anwesend ist und
ich eine solche zentrale Debatte des Parlaments anhört.
Frau Kumpf, bitte.
Herr Kollege Beck, ich glaube, Ihr Einwand und Ihrntrag sind eine Farce. Es ist ein sehr bekannter, sehrusgewiesener Experte auf der Regierungsbank anwe-end, der dieses Thema exzellent für uns vertreten wird.
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Ute Kumpf– Ich rede von unserem Kollegen Michael Müller, derden Minister vertritt. Er ist ein ausgewiesener Fachmann
in der Angelegenheit.
Dass Minister Gabriel vor dem Haushaltsausschuss vor-stellig werden muss, ist das höchste Recht und auch einparlamentarisches Recht des Haushaltsausschusses. Dasist auch Ihnen sehr wohl bekannt. Ich denke, es ist genü-gend Kompetenz auf der Regierungsbank vertreten.
Daher ist Ihr Antrag abzulehnen.
Ich lasse über den Geschäftsordnungsantrag des Kol-
legen Beck abstimmen. Wer für die Herbeizitierung des
Ministers ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Ge-
genprobe! – Letzteres war die Mehrheit. Deshalb, Herr
Kollege Beck, ist Ihr Antrag abgelehnt.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Hartmut Schauerte.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Um es gleich vorweg zu sagen: Ich bin zweimaldankbar, einmal dafür, dass die Bundeskanzlerin diesenEnergiegipfel organisiert und durchgeführt hat, und zumZweiten dafür, dass die Grünen diese Aktuelle Stundebeantragt haben. Denn so können wir hier erklären, wo-rum es wirklich geht.Dieser Energiegipfel war absolut notwendig. Das ha-ben alle Beteiligten auch so gesehen. Was die Beteiligtenangeht, Frau Künast: Es waren natürlich Vertreter derSolarenergiewirtschaft, Klaus Töpfer und weitere Perso-nen aus dem entsprechenden Bereich anwesend.
Der Kreis war also intelligent und der Sache angemessenzusammengesetzt. Ein Energiegipfel ist auch kein Klein-Klein, kein Hin-und-Her und kein Springen von einemThema zu anderen. Denn er sollte ein strategischer Neu-anfang sein. Schließlich haben wir seit vielen Jahrennicht mehr über die Energiepolitik und die Lage derEnergiewirtschaft in Deutschland geredet,jsEssgVBAIrzWvrdwuPuBhWnbrauVhwMmwVdlhs
edenfalls nicht umfassend und im Rahmen eines ge-amtstrategischen Konzepts. Damit sollte auf diesemnergiegipfel begonnen werden. Das ist unter volkswirt-chaftlichen, internationalen und technologischen Ge-ichtspunkten nötig. Das ist eine absolut runde Angele-enheit.Sie haben uns vorgeworfen, wir hätten nichts zumerkehr gesagt. Ich will nur ein Beispiel nennen: Dierennstoffzelle ist eine ganz wichtige technologischentwort auf die vor uns liegenden Herausforderungen.ch kann mich nicht daran erinnern, dass Sie während Ih-er Regierungszeit Entscheidendes für die Brennstoff-elle geleistet hätten.
ir legen ein Forschungsprogramm mit einem Volumenon 155 Millionen Euro und einer Laufzeit von drei Jah-en auf. Eine so massive Forschungsförderung hat es iniesem Bereich noch nicht gegeben. Wir begrüßen, dassir das gemeinsam beschließen können. Frau Künast,nter Ihrer Regierungsverantwortung wurde ein solchesrogramm nicht aufgelegt.
Eine Diskussion über die strategische Ausrichtungnserer Energiepolitik ist notwendig. Sie kann eineneitrag zur Verbesserung der Energieversorgungssicher-eit anstoßen. In diesem Zusammenhang sind Fragen derirtschaftlichkeit, der Umweltverträglichkeit, der inter-ationalen Sicherheit und der Versorgungssicherheit zuerücksichtigen. Es lohnt, über grundsätzliche Fragen zueden.Frau Künast, in der Energiepolitik brauchen wir vorllen Dingen Rationalität, ein Wissen über die Faktennd Zusammenhänge sowie möglichst wenig Ideologie.on den ideologischen Ansätzen grüner Energiepolitikaben wir uns auf diesem Gipfel verabschiedet. Dasird Deutschland ausgesprochen gut tun.
it dem Statusbericht, den Bundesminister Glos zusam-en mit Bundesminister Gabriel vorgelegt hat, habenir eine gute Grundlage für die Neuorientierung und dieersachlichung der Energiepolitik gelegt.Energiepolitische Entscheidungen müssen immer dierei energiepolitischen Ziele im Blick haben: Wirtschaft-ichkeit und Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungssicher-eit sowie Umweltverträglichkeit. Ich habe die Wirt-chaftlichkeit bewusst an den Anfang gestellt. Gerade
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Parl. Staatssekretär Hartmut Schauerteauf diesem Gebiet wurden in der Vergangenheit schwereFehler gemacht.
Der grüne Ansatz bei der Wirtschaftlichkeit, den dieBürger heute teuer bezahlen, war: Energie kann ruhigteuer sein; denn nur, wenn Energie teuer ist, gehen dieBürger sparsam damit um. Das war ein Kern Ihrer Ener-giepolitik, der natürlich enorme Auswirkungen auf dieEntwicklung der Energiepreise in Deutschland hatte.
Aufgrund der hohen Kosten für Energie in Deutsch-land haben wir erhebliche wirtschafts- und arbeitsmarkt-politische Probleme. Die Kosten für Energie in Deutsch-land wurden von Ihnen aus ideologischen, aus sogenannten pädagogischen Gründen kraftvoll erhöht. Beider Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit des Energie-preises – Sie haben den Energiepreis nicht mehr ernstgenommen – haben wir eine erhebliche Korrektur vorge-nommen. Ich hoffe, dass sie sich mittelfristig auf denStandort Deutschland im Wettbewerb der Nationen posi-tiv auswirkt.
Wir müssen in aller Sachlichkeit immer wieder analysie-ren, ob die angestrebten Ziele auch tatsächlich erreichtwerden. Auch das soll ein Ergebnis der verstärkten Dis-kussion über unsere energiepolitische Ausrichtung sein.Der Energiegipfel ist als Auftakt einer Debatte überdie mittel- und langfristige Energiepolitik gedacht. Keinlaufendes Projekt wird gestoppt. Es gibt keinen Still-stand. Insofern können wir uns die Zeit nehmen, gründ-lich darüber nachzudenken. Alle Projekte, die sich jetztin der Pipeline befinden, werden weitergeführt. All das,was im Energiewirtschaftsgesetz festgelegt ist – die not-wendigen Neujustierungen, die Aufstellung der Netz-agentur –, läuft unbeeinflusst weiter. Die Ergebnisse desEnergiegipfels zeigen langfristige Planungsansätze auf,sie zeigen, wie wir uns energiepolitisch in der Zukunftaufstellen sollten.
Wir werden – das haben Sie den Medien entnommen –drei Arbeitskreise einrichten. Einer beschäftigt sich mitden internationalen Aspekten, einer mit den nationalenAspekten und einer mit Forschung und Energieeffizienz.Diese drei Arbeitskreise sollen Vorlagen erarbeiten.Dann soll ein weiteres Spitzentreffen stattfinden. Zieldieses Prozesses ist die Erarbeitung eines Gesamtkon-zeptes, das die Bundesregierung in der zweiten Hälftedes Jahres 2007 vorlegen will. Diese Zeit nehmen wiruns. In der Zwischenzeit wird das getan, was aktuell an-liegt. Es herrscht also kein Stillstand. Wir arbeiten kon-kret in den aktuellen Bezugsfeldern und erstellen gleich-zeitig eine mittel- und langfristige Strategie.Die praktische Energiepolitik geht weiter und die Er-gebnisse und Erkenntnisse fließen in das GesamtkonzeptesdapErswEmlTfHbhgcFgbpdwcwwh–dgBwWdcEnbsgElsge
rau Künast, das hat es in Ihrer Zeit auch schon einmalegeben, aber sehr vage, unbestimmt und nicht belast-ar. Man wollte 20 Milliarden Euro in ein Investitions-rogramm investieren. Dieser Gipfel hat dazu geführt,ass aus den 20 Milliarden Euro 30 Milliarden Euro ge-orden sind. Er hat eine neue Sicherheit in die Gesprä-he gebracht. Ich halte die Zusagen, die jetzt gemachtorden sind, für belastbarer als das, was vorher hin undieder einmal erörtert worden ist. Wir sind also auchier ein gutes Stück weitergekommen.
Ja, das wird sich zeigen. Haben Sie ein bisschen Ge-uld! Das ist sicher eine Tugend, die Ihnen ziemlich ab-eht. Üben Sie sie einmal ein bisschen.
ei uns geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Bei Ihnenar und ist das offensichtlich immer noch umgekehrt.ir wählen den anderen, den seriöseren Weg.
Die erneuerbaren Energien sind wichtig. Das habenie Teilnehmer des Energiegipfels einhellig unterstri-hen. Sie sind ein wichtiger und wachsender Teil desnergiemixes. Lassen Sie mich dazu zum Abschlussoch ein paar Zahlen vortragen, weil ich glaube, dass sieeeindruckend sind. So etwas hat es in der Energiefor-chungspolitik bisher nicht gegeben. Für rationelle Ener-ieumwandlung haben wir im Jahr 2005 104 Millionenuro ausgegeben; für das Jahr 2009 planen wir 203 Mil-ionen Euro ein. Das ist fast eine Verdoppelung und dasind 36 Prozent der Finanzmittel, die wir für die Ener-ieforschung und -optimierung ausgeben. Bei den erneu-rbaren Energien gibt es ebenfalls eine Erhöhung von
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Parl. Staatssekretär Hartmut Schauerte135 Millionen Euro Ist in 2005 auf 154 Millionen Euroin 2009. Wir sind also in diesen Bereichen gut drauf. Inkeinem Bereich des Haushalts ist ein solcher Aufwuchszu verzeichnen wie in diesem forschungs- und energiere-levanten Bereich. Ich meine, wir sind intelligent aufge-stellt. Der Energiegipfel war gut. Wir bedanken uns fürdie Gelegenheit, mit Ihnen hier im Plenum des Deut-schen Bundestages eine Stunde darüber diskutieren zukönnen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Gudrun Kopp, FDP-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren undDamen! „Gut drauf“ ist die Bundesregierung – HerrStaatssekretär, das nehmen wir gern zur Kenntnis. Wahr-scheinlich hat der Energiegipfel dazu beigetragen. InWahrheit aber war er ein selbsttherapeutischer Ge-sprächskreis und ohnehin ein Milliardenpoker. Mehr hater nicht gebracht. Substanz kann ich wirklich nicht er-kennen.
Ich muss Sie daran erinnern: Wir haben gestern imWirtschaftsausschuss versucht, auszuloten, wie sich die33 bis 40 Milliarden Euro, die Sie an Investitionen imBereich der erneuerbaren Energien zugesagt haben, zu-sammensetzen und woher sie kommen, also wie belast-bar diese Summe ist. Sie konnten uns nicht erläutern,wie sich diese Summe zusammensetzt. So klar scheintden Regierungsteilnehmern also nicht zu sein, was ei-gentlich passieren soll.
Die notwendigen Investitionen in Kraftwerke undNetze haben Sie angesprochen; sie sind in der Tat wich-tig und richtig. Aber die Unternehmen investieren nur,wenn sie wissen, wie die Rahmenbedingungen aussehen.Auch hierzu haben Sie manche Fragen völlig offen ge-lassen: Welche Vorgaben machen Sie mit Blick auf denNationalen Allokationsplan II? Was kommt hier auf unsalle, auf die Verbraucher wie auf die Unternehmen, zu?Diese Fragen haben Sie sträflich vernachlässigt.In Vorbereitung dieses fulminanten Gipfels habe ichIhren Statusbericht gelesen. Darin stellen Sie die Frage:Wird es für die auslaufende Stromerzeugung aus Kern-energie qualitativ ausreichend und wirtschaftlich vertret-bar Ersatz geben? Diese Frage haben Sie gestellt, ohnebemerkt zu haben, dass Sie in diesem Zweierkanon dendritten Aspekt, die Umweltverträglichkeit, völlig außerAcht gelassen haben. Sie haben sich nicht gefragt, ob dasunter umweltpolitischen Gesichtspunkten passt. IchfS–zluEF–rbBzsdlIbtvsBRfldngsdKcddsusawwsDZ
Ich empfehle Ihnen dringend, sich ausgiebig mit un-erem energiepolitischen Grundsatzpapier zu befassen.
enn, Herr Staatssekretär Schauerte, wir haben nicht dieeit, zwei weitere Jahre in Arbeitskreisen zu diskutieren.
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Gudrun KoppSie wissen ja: Wenn man nicht mehr weiter weiß, danngründet man einen Arbeitskreis. Sie gründen sogar dreiArbeitskreise. Handeln Sie! Treffen Sie Ihre Entschei-dungen! Wir brauchen energiepolitische Leitlinien, indenen die Energiepolitik als das dargestellt wird, was sieist: als Standortpolitik.Wirtschaftsminister Glos hat neulich gesagt,
die Energiepolitik sei nach seinem Verständnis dieHauptschlagader der gesamten Wirtschaftspolitik.
Wenn das so ist – auch wir sind dieser Meinung –, dannhandeln Sie bitte auch dementsprechend und verlierenSie sich nicht in endlosen Diskussionszirkeln.Vielen Dank.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Michael Müller.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DieEnergiepolitik ist ein Schlüsselthema dieses Jahrhun-derts, dessen Bedeutung weit über ökonomische Fragenhinausreicht. Hierbei handelt es sich um den Schlüsselzur Sicherung des Friedens in der Welt und zur Bewah-rung der natürlichen Lebensgrundlagen. Weil das so ist,ist es bei diesem Thema unangebracht, parteipolitischeSpielchen zu beginnen; dafür ist es viel zu ernst. Ichhalte nichts davon, aus umfangreichen Berichten eineneinzigen Satz herauszugreifen und daran die Kritik fest-zumachen, Frau Kopp. Wenn Sie ehrlich gewesen wären,hätten Sie ansprechen müssen, dass der Statusberichtüber lange Passagen den Klimaschutz zum Thema hatte.Wenn das nicht Umweltpolitik ist, dann weiß ich nicht,was Umweltpolitik ist.
Dieses Thema ist nicht dazu geeignet, die Schlachtenvon gestern zu schlagen. Es gibt eine Mahnung derbeiden großen Aufklärer Theodor Adorno und MaxHorkheimer, die immer wieder die Frage gestellt haben,ob die europäische Gesellschaft noch die Kraft in sichhat, Fortschritt und Entwicklung möglich zu machen.Aus meiner Sicht ist ihre Mahnung, dass in jeder moder-nen Gesellschaft immer auch der Keim des Rückschrittssteckt, richtig.Es gibt kaum einen Bereich, in dem die Weichen soneu gestellt werden müssen wie in der Energiepolitik.Die Grundfrage in der Energiepolitik, die wir klärenmüssen, ist: Welches Verständnis von Zeit haben wir? Esgibt nämlich zwei völlig unterschiedliche politischeSiuwlhpdsblszcMECSrdtiIwsheHddVundse3dDsaäsDgdE
Lassen Sie mich das an drei Punkten deutlich ma-hen: Erster Punkt. Im Augenblick nutzen 1,3 Milliardenenschen ungefähr drei Viertel der kommerziellennergie und Rohstoffe. Nehmen wir an, dass Länder wiehina, Indien und Brasilien – die bevölkerungsreichstenchwellenländer – in 35 Jahren das Wohlstandsniveau er-eichen, das heute Ungarn hat, dann bedeutet das eine Ver-reifachung des Weltsozialprodukts. Wenn man gleichzei-g andere Entwicklungen berücksichtigt – Wachstum derndustrieländer, der anderen Länder, Bevölkerungs-achstum – ist es eine Verfünffachung. Es ist eine Illu-ion, zu glauben, dass diese Herausforderung mit dereutigen Energieversorgung lösbar ist – es ist schlichtine Illusion. Im Gegenteil: Die Länder, die auf dieseerausforderungen frühzeitig eine Antwort geben, wer-en in der Zukunft am besten dastehen.
Die zweite große Herausforderung ist der Klimawan-el. Wir wissen in der Zwischenzeit, dass die größteneränderungen im Klimasystem nicht in den tropischennd subtropischen Breiten – obwohl es da schlimm ge-ug ist –, sondern in den nordpolaren Regionen stattfin-en; dort ist die Klimasensibilität am höchsten. Bei-pielsweise beträgt die Erwärmung im Weltdurchschnitttwa 0,7 Grad, aber über Grönland erreicht sie schon fastGrad. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dassie Erwärmung bis zum Ende dieses Jahrhunderts imurchschnitt 2,5 Grad beträgt. Das bedeutet in der Kon-equenz: Über Grönland wird eine Erwärmung von mehrls 12 Grad zu befürchten sein. Was das wegen der Ver-nderungen in den Meeressystemen bedeutet, kann manich gar nicht ausmalen!
ie Konsequenz daraus kann nur ein Umbau des Ener-iesystems sein; darüber ist intensiv zu reden. Das wie-erum ist eine Frage unseres zeitlichen Verständnisses.
Dritter Punkt: Die Zeit der billigen Energie ist vorbei.s sind Leute wie James Schlesinger und Henry
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Parl. Staatssekretär Michael MüllerKissinger, die uns vor drohenden Ressourcenkriegenwarnen, wenn nicht vor allem die Industrieländer einenanderen Umgang mit Energie pflegen. Das sind doch dieHerausforderungen der Zukunft, denen wir uns stellenmüssen!Deshalb geht es um unser zeitliches Verständnis vonEnergiepolitik. Ein Teil dieses Hauses kennt nur die An-passung an aktuelle Zwänge. Aber das kann nicht dieLösung sein. Energiepolitik muss heißen, die Infrastruk-tur der Zukunft möglichst früh zu entwickeln. Energiesparen: Effizienzsteigerung und erneuerbare Energien.Das sind die Antworten, die von der großen Koalitiongemeinsam gegeben werden.
Ich will auf einen interessanten Punkt hinweisen: Eswaren im Wesentlichen die Fraktionen von CDU/CSUund SPD, die 1990 das große Klimaschutzziel 25 Pro-zent weniger CO2-Ausstoß entwickelt haben.Ich sage: Ganz egal, wie man die Koalition ein-schätzt, sie ist verpflichtet, erfolgreich zu sein, weil dasschon aufgrund der Konstellation notwendig ist.
– Ja, doch. Man sollte über den Tellerrand hinaus-schauen. Für die Demokratie ist es wichtig, dass dieseKoalition erfolgreich ist. – Wenn wir es schaffen – ge-rade in der Energiepolitik –, ein Zeichen nach vorne zusetzen und eine Entwicklung einzuleiten, die überall inder Welt vorbildlich ist, dann hat sich diese Koalition ge-lohnt. Dafür setzen wir uns ein.
– Liebe Renate Künast, dazu möchte ich einmal etwasDeutliches sagen: Es ist ja schön und gut, dass sich dieGrünen immer um das Thema erneuerbare Energien ge-kümmert haben – übrigens nicht allein –,
aber es wäre sehr viel schöner gewesen, wenn sich dieGrünen beispielsweise auch sehr viel mehr des ThemasEffizienz angenommen hätten. Hier war nämlich diegroße Schwachstelle. Reden wir also darüber. Das wisstihr doch auch ganz genau.
– Auch beim Emissionshandel hätten wir manche Wei-chen anders stellen können.
Auch das weiß Jürgen Trittin besser, als er es hier sagt.–ddZelDnkggiwskGndeEEDsdmdeDdtefck
Wenn ich darauf hinweisen darf: Er war in den letztenrei Jahren nicht in der Regierung. – Lasst uns bitte nichtie Schlachten von gestern schlagen.
Ich will, dass diese Zukunftsherausforderungen imentrum stehen. Die Reaktion der Grünen scheint mirher die zu sein, dass sie Angst haben, ein Thema zu ver-ieren.
as scheint mir der Punkt zu sein. Das ist diesem Themaicht angemessen. Lasst uns bitte gemeinsam in die Zu-unft schauen.
Ich glaube, dass es vor allem um vier zentrale Punkteeht:Erstens. Der Austausch von Energieträgern als Ener-iepolitik ist nicht ausreichend. Die entscheidende Fragest, unter welchen Rahmenbedingungen wir so schnellie möglich mehr einsparen sowie eine höhere Effizienzchaffen und schneller erneuerbare Energien entwickelnönnen.
enau diese Fragen müssen ins Zentrum rücken undicht der Austausch eines Energieträgers durch den an-eren. Die Frage lautet: Wie können diese Ziele optimalrreicht werden? Das geschieht nicht durch immer mehrnergieeinsatz, sondern der intelligente Einsatz vonnergie ist die entscheidende Herausforderung.Zweiter Punkt: unser Vorangehen beim Klimaschutz.as ist die zentrale Zukunftsherausforderung. Die Weltchaut dabei auf Europa. Was in Europa geschieht, wirdie Welt prägen.Dritter Punkt. Wir müssen die Energiepolitik immerehr als Energieaußenpolitik begreifen. An der Fragees Energieeinsatzes wird sich die Sicherheit der Weltntscheiden. Auch hier ist entscheidend, was Europa tut.er Gedanke, das technologisch starke Westeuropa mitem Rohstoffriesen Russland im Sinne einer intelligen-en Kooperation für die Welt zusammenzubringen, istine große Vision, die wir voranbringen sollten. Ichinde, auch hier war die Diskussion in den letzten Wo-hen im Verhältnis zur großen Bedeutung dieses Themasleinkariert. Ich glaube nicht, dass uns das voranbringt.
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Parl. Staatssekretär Michael MüllerLassen Sie mich noch den vierten Punkt nennen. Wirmüssen auch den historischen Fehler überwinden, zumeinen, dass sich die Stärke eines Landes vor allen Din-gen an der Arbeitsproduktivität orientiert. Energie- undRessourcenproduktivität sind zentrale Wettbewerbsfak-toren in der Zukunft. Dadurch wird der Fehler überwun-den, dass bei einem schwächer werdenden Wachstumimmer mehr Menschen durch Technik ersetzt werden.Wir schaffen eine Produktivität, durch die auch mehr Ar-beit möglich wird.Das sind vier Herausforderungen, die wir mit derEnergiepolitik verbinden. Lasst uns deshalb nach vorneschauen. Wir führen nicht die Schlachten der Vergangen-heit, sondern wir sehen vor allem die Herausforderungender Zukunft und wir wollen Antworten geben, die um-weltverträglich, wettbewerbsfähig und kostengünstigsind.Vielen Dank.
Als Nächster hat der Kollege Hans-Kurt Hill von der
Linken das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Der hinter uns liegende Winter wirdfür uns alle teuer. Der Verbraucher zahlt bis zu 500 Euromehr für das Heizen und den Strom. Das ist für vieleHaushalte ein halbes Monatsgehalt. Und was tun dieEnergiekonzerne? Bei immer weniger Mitarbeitern ver-künden sie für das letzte Jahr natürlich Rekordgewinne.EnBW und RWE haben insgesamt 14 000 Mitarbeiterentlassen. Andere Konzerne veranstalten Übernahmenmit riesigen Summen: 29,1 Milliarden Euro will Eon fürdie spanische Endesa berappen. Bezahlt wird das Ganzeaus den Taschen der Verbraucher.
– Natürlich auch der Verbraucherinnen. – Weitere Bei-spiele: 6 Milliarden Euro pro Jahr steckt das Stromoligo-pol im Rahmen des Emissionshandels in die eigene Ta-sche. 18 Milliarden Euro zahlen die Kunden jedes Jahrallein für die Nutzung der Stromnetze; aber nur 2 Mil-liarden Euro fließen davon in die Netze zurück. Alles inallem kann man sagen: Die Energiekartelle ziehen denBürgerinnen und Bürgern ungeniert das Geld aus der Ta-sche.hpedMgraBpMdaEnMEgltwsDPtnlv3sAEgW1dnEfaTbgvNtCes
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Für eine bezahlbare, klimafreundliche und sichereEnergieversorgung müssen Sie schon etwas mehr tun:erstens Energieeinsparung durch einen klaren ordnungs-rechtlichen Rahmen, zweitens Umschalten auf erneuer-bare Energien und drittens schnellstmöglicher Ausstiegaus der gefährlichen Atomwirtschaft.Unser Fazit: Die Energiewende fällt wegen Stillstandsaus und die Zeche zahlen die Bürgerinnen und Bürger.Das ist der Gipfel!Danke.
Das Wort hat der Kollege Franz Obermeier, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ichmöchte nahtlos an die Rede des ParlamentarischenStaatssekretärs Müller anschließen.
Denn er hat den Kern der gesamten Problematik exaktgetroffen, indem er die Analyse der globalen Herausfor-derung der vergangenen Jahre noch einmal erläutert unduns deutlich gemacht hat, was wir in Zukunft in Europaam globalen Energiemarkt zu erwarten haben.Im Kontrast dazu stand die Rede der Kollegin Künast,die den Blick wieder auf eine rein nationale Diskussionder Fragen verengt hat, die wir schon in den vergange-nen Jahren mit fatalen Folgen für das Land aus einer na-tionalen Betrachtungsweise hin- und hergewendet ha-ben. Sie haben von einer Blockade gesprochen, FrauKünast. Das stimmt, es gab eine Blockade Ihrerseits fürInvestitionen in die richtige Richtung. Es gab aber unse-rerseits keine Blockade bei den erneuerbaren Energien,speziell bei der Windkraft.Die Politik hinsichtlich der gesamten Energieversor-gung in der Bundesrepublik Deutschland ist durch diegrüne Ideologie in eine völlig falsche Richtung gegan-gen.
Jetzt kommt es durch die Initiative der BundeskanzlerinGott sei Dank zu einer Diskussion, die in erster Linievon Ideologiefreiheit geprägt ist.DecwcDtSaJwnnmdgtBZvvneGEDsBnns
iese ist auch dringend notwendig, um unsere Ziele zurreichen.
Frau Künast, Sie haben die Verbraucher angespro-hen. Was die Energiekosten für die Verbraucher angeht,aren es doch die Grünen, denen die beim Endverbrau-her anfallenden Kosten nicht hoch genug sein konnten.iese Linie haben Sie immer verfolgt. Jetzt aber präsen-ieren Sie sich als die großen Heilsbringer.
Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung, Frau Künast.ie haben den mangelnden Wettbewerb in Deutschlandngesprochen. Warum haben Sie in den vergangenenahren nichts unternommen, um nach 1998 den Wettbe-erb im Stromsektor zu erhalten? Er ist nämlich deshalbicht erhalten geblieben, weil Sie die Gesetzgebungicht entsprechend nachjustiert haben.
Noch ein Punkt, Frau Künast: In der Tat – darin stim-en wir zufällig überein – kann der Energieverbrauch iner Bundesrepublik Deutschland halbiert werden. Darinebe ich Ihnen Recht. Aber das geht mit einer Deindus-rialisierung und dem Abbau von Arbeitsplätzen in derundesrepublik Deutschland einher. Dann haben Sie Ihriel erreicht. Ihre Politik scheint mir nämlich nach wieor in eine Richtung zu führen, durch die Arbeitsplätzeerloren gehen und noch mehr profitable Industrieunter-ehmen aus Deutschland vertrieben werden.
Was mit dem Energiegipfel eingeleitet wurde, deutetinwandfrei in die richtige Richtung. Es ist längst eineneralkonzept für die Bundesrepublik Deutschland unduropa mit Blick auf die globale Entwicklung überfällig.eswegen sollten wir der Bundesregierung danken, dassie die Dinge jetzt in die Hand genommen hat.
Ich möchte noch auf einen weiteren Punkt hinweisen.ei allen Entwicklungen der vergangenen Jahre waricht alles falsch. Aber der ökologische Aspekt wurdeicht im gleichen Maße wie der ökonomische und deroziale Aspekt berücksichtigt.Vor dem Hintergrund der globalen Herausforderung
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Franz Obermeiermuss jetzt beispielsweise beim Zertifikatehandel zurCO2-Minderung ein globaler Ansatz verfolgt werden.Wir als CDU/CSU-Fraktion werden uns weiter für eineeffiziente CO2-Minderung dergestalt einsetzen, dass wirunsere Mittel weltweit möglichst effizient zugunsten desbestmöglichen Abbaus von Emissionen verwenden.
Die Blockade eines grünen Umweltministers, was JI undCDM im Allgemeinen betrifft, gehört Gott sei Dank derVergangenheit an.Ich bedanke mich bei der Bundeskanzlerin dafür,
dass sie die Initiative ergriffen hat. Sie wird mit Sicher-heit Erfolg haben, wenn wir im Laufe dieses Jahres bzw.Anfang nächsten Jahres in die Diskussion eintreten wer-den.Herzlichen Dank.
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege
Hans-Josef Fell.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Staatssekretär Müller, Sie wollen die He-rausforderungen Klimaschutz und Versorgungssicherheitin den Mittelpunkt stellen; das ist richtig. Aber bislangreden Sie nur davon. Haben Sie noch nicht gemerkt, dassSie in der Regierung sind, dass Sie Antworten liefernmüssen und nicht nur Fragen stellen können?
Warum haben Sie die zentralen Fragen, die Sie zu Rechtgestellt haben, nicht in den Mittelpunkt des Energiegip-fels gestellt? Das ist Ihr Versäumnis.
Wir müssen Antworten geben, und zwar andere alsdie auf dem Energiegipfel. Stattdessen schieben Sie uns,den Grünen, die wir in der letzten Wahlperiode eine er-folgreiche Energiepolitik gemacht haben, noch etwas indie Schuhe, was nichts anderes als eine falsche Behaup-tung ist. Sie sagen, wir hätten die Effizienz nicht gestei-gert. Wer hat denn die von uns ständig gestelltenAnträge auf Erhöhung der Mittel für das Altbausanie-rungsprogramm sowohl im Haushaltsausschuss als auchim Plenum des Bundestages abgelehnt? Sie von derSPD.
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o sind Ihre Antworten auf die gesellschaftlich relevan-en Fragen, etwa wie man in Zukunft seine Wohnung be-ahlbar beheizen kann – das ist für sozial Schwache in-wischen zu einem zentralen Problem geworden – oderie man den vielen Menschen in den ländlichen Räumenelfen kann, die bald nicht mehr die Kosten für die Au-ofahrt zu ihrem Arbeitsplatz aufbringen können, weilie Rohölpreise ständig steigen? Wir haben keine Ant-orten gehört.
ie haben nur über Strom geredet, nicht aber über Heiz-der Treibstoffe.Oder die steigenden Strompreise: Alle wissen – diepatzen pfeifen es bereits von den Dächern –, dass derurch die Energiekonzerne verhinderte Wettbewerb dietrompreise ständig weiter nach oben treibt.
ie sind auch hier Antworten schuldig geblieben und ha-en weiterhin Konzernpolitik gemacht.Oder wo geben Sie Antworten, wenn es um die stei-enden Ausgaben und die fehlenden Einnahmen imundeshaushalt geht? Wir haben nichts von Ihnen dazuehört, wie Sie die Kohlesubventionen reduzieren wol-en, um den Haushalt zu sanieren.
ir haben von Ihnen nicht gehört, dass Sie endlich öko-ogisch schädliche Subventionen abbauen wollen. Woind denn Ihre Antworten auf die Fragen nach einerlugbenzinbesteuerung, einer Schiffdieselbesteuerungnd einer Besteuerung der Rückstellungen für die Atom-raftwerke? Wenn Sie über fehlende Haushaltseinnah-en sprechen, dann schlagen Sie plötzlich eine Besteue-ung der Biokraftstoffe vor. Dabei sind diese Kraftstoffeine der großen Zukunftshoffnungen auf bezahlbarenergiepreise für die Bürger und Gewährleistung derersorgungssicherheit durch heimische Energieträger.
Mit der von Ihnen geplanten Mehrwertsteuererhöhungerden Sie stattdessen den Bürger mit etwa 120 Euro fürtrom, Heizung und Treibstoffe pro Haushalt stärker
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Hans-Josef Fellbelasten. Meine Damen und Herren von der großen Ko-alition, das sind keine Antworten auf die gestiegenenEnergiepreise.
Außerdem sind Sie eine Antwort auf den Atomstreitschuldig geblieben. Kanzlerin Merkel hat ihn einfachweitertreiben lassen, obwohl im Koalitionsvertrag allesklar festgelegt ist. Das ist ein großes Problem; denndiese Hängepartie beim Atomausstieg wird weitergehen.Sie wird ein Investitionshemmnis sein. Wir werden nach2009 möglicherweise noch immer nicht wissen, wie esweitergeht, ob die Branche der erneuerbaren Energienihr Versprechen halten kann, in den nächsten 15 Jahren200 Milliarden Euro zu investieren.
Denn wenn Sie an der Atomenergie festhalten und es zu-lassen, dass neue fossile Kraftwerke gebaut werden,dann wird das Volumen für den Ausbau der erneuerbarenEnergien und die Nutzung von Effizienzmöglichkeitenverringert. Dann wird zu viel Strom auf dem Markt seinund Chancen für die Schaffung von Arbeitsplätzen undfür Investitionen werden nicht mehr gegeben sein.
Dagegen hängen Sie sich an die uralten Versprechun-gen der Stromwirtschaft, die da 20 Milliarden Euro infossile Kraftwerke zu investieren verspricht. Das hattesie schon lange versprochen. Auch die 10 MilliardenEuro für die Netze sind nichts Neues.Kommen wir zum Schluss noch zur Forschung.2 Milliarden Euro mehr wollen Sie für die Energiefor-schung ausgeben. Ich bin gespannt, ob Sie diesesVersprechen zwischen der ersten Beratung des Bundes-haushaltes und der zweiten Beratung durch Änderungs-anträge von Ihnen in den Ausschüssen und im Plenumeinhalten. Wenn nicht, dann wäre das ein leeres Verspre-chen. Denn was jetzt im Haushalt steht, das wissen wir.Wenn die 2 Milliarden Euro neues Geld sein sollen, dannmüssen sie auch auftauchen. Dabei müssen wir auchwissen, wofür das Geld ausgegeben wird.
Heute wird in der „FAZ“ Bundesministerin Schavanzitiert. Sie hat angekündigt, dass im Atombereich nichtnur für Sicherheits- und Endlagerforschung bezahlt wer-den soll, sondern auch für die Erforschung notwendigerEnergiegewinnung aus Kernkraftwerken. Damit ist dieKatze aus dem Sack: Sie wollen neue Atomkraftwerke indiesem Staat. Das werden wir zu verhindern wissen.
Das Wort hat der Kollege Rolf Hempelmann, SPD-
Fraktion.
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as war eine eher naive und insofern – ich unterstelle Ih-en ja nicht Naivität – vorgeschobene Erwartung.
s geht darum, einen Auftakt zu organisieren – das istelungen –, einen Prozess hin zu einem Energiepro-ramm. Man muss eingestehen: Das haben wir beide zu-ammen jedenfalls nicht zustande gebracht.
ieser Auftakt ist gelungen.Eben ist behauptet worden, es seien nur die Energie-ersorgungsunternehmen eingeladen worden. Das ist na-ürlich völliger Unsinn. Genauso sind auch die energie-erbrauchende Seite, die Wissenschaft und eigentlichlle, die mit Energiewirtschaft oder -verbrauch oderberhaupt mit der breiten Verbraucherschaft zu tun ha-en, eingeladen worden. Ich glaube, das kann manurchaus an den Ergebnissen und an den Diskussions-hemen ablesen.
s ist eben nicht nur über Versorgungssicherheit gespro-hen worden. Es ist auch über Umweltverträglichkeitnd über Preiswürdigkeit gesprochen worden – wie ge-agt, nicht mit unmittelbaren Ergebnissen bei allen The-en.Unsere Fraktion begrüßt die Investitionsankündigun-en sowohl für den konventionellen Kraftwerkspark alsuch für die erneuerbaren Energien und für die Netze.ch diffamiere das nicht, wie es einige Redner getan ha-en. Es ist auch Unsinn, wenn Sie, Herr Fell, behaupten,ass Investitionen in konventionelle Kraftwerke dazuührten, dass Investitionen in erneuerbare Energien un-
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Rolf Hempelmannterblieben. Immerhin sind für beide Bereiche Ankündi-gungen auf dem Gipfel erfolgt. Sie werden nicht behaup-ten, dass die Ankündigungen der Unternehmen imBereich erneuerbarer Energien unseriös gewesen seien.
Diese Investitionsankündigungen sind schon deshalb zubegrüßen, weil sie die Knappheit im Energie- und geradeauch im Stromangebot verringern werden. In erster LinieKnappheit verursacht hohe Preise und nichts anderes.Jenseits dieser Investitionsankündigungen ist es not-wendig, dass der Prozess hin zu einem Energiepro-gramm jetzt auch unter Beteiligung der Fraktionen orga-nisiert wird. Es wird Zeit, dass wir sozusagen mit anBord kommen. Außerdem ist wichtig, dass die Politikdie notwendigen Rahmenbedingungen schafft, damitdiese Investitionen keine Ankündigungen bleiben, son-dern tatsächlich stattfinden.Wir brauchen sehr bald ein Planungsbeschleuni-gungsgesetz – es ist in Arbeit und wir werden es auchvorlegen –, das diesen Namen verdient.
Wir brauchen zügig die Einigung zum NAP II – das istauch ein Stück weit Appell an die beiden Ministerien –,damit wir als Parlament unseren Beitrag leisten können.Nach der Sommerpause brauchen wir natürlich auch dieVerordnung zur Anreizregulierung; denn nur über mehrWettbewerb – das ist das Ziel der Anreizregulierung –werden wir letztlich das Ziel erreichen, zu sinkendenStrom- und Energiepreisen zu kommen.Es ist wunderbar, ein Feindbild zu haben. Es ist wun-derbar, immer auf den großen Unternehmen herumzuha-cken. Zum Teil haben sich diese Unternehmen die Kritikehrlich erarbeitet. Manchmal trifft man durchaus dierichtigen dabei. Aber es ist eine grobe Vereinfachung, sozu tun, als wenn allein die Beschimpfung der Großenoder der eine oder der andere Nadelstich an der einenoder an der anderen Stelle die Realität hoher Energie-preise verändern würde. Wir werden sie nur durch mehrWettbewerb verändern.
Da sind insbesondere die von uns gegründete Bundes-netzagentur und natürlich auch die Politik in Form desVerordnungsgebers Bundesregierung – die Federführungliegt beim Wirtschaftsministerium – gefordert.Ich bin optimistisch, dass wir die notwendigenSchritte gehen. Ich verstehe die Ungeduld der Grünen,die daraus resultiert, dass sie schnelle Ergebnisse wün-schen. Aber auch wir haben eine gewisse Zeit für dasEnergiewirtschaftsgesetz und für die Installation dieserBehörde gebraucht. Jetzt sollten wir in der Lage sein, soviele Monate zu warten, wie gebraucht werden, umWettbewerb zur Realität zu machen.Vielen Dank.FMSsefcDwdEHIgwhsggwigzNndmascPwvw
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!it dem Energiegipfel hat die Bundesregierung dentartschuss zur Erarbeitung eines energiepolitischen Ge-amtkonzepts gegeben. Das Ziel ist, eine bezahlbare,ine sichere, eine wettbewerbsfähige und eine umwelt-reundliche Energieversorgung bis zum Jahr 2020 si-herzustellen.
ie Betonung liegt auf „bis zum Jahr 2020“. Das heißt,ir planen weit über diese Legislaturperiode hinaus.In meinen Augen war der Energiegipfel ein Erfolg;enn es ist gelungen, in einen sachlichen Dialog über dienergiepolitik in unserem Land einzusteigen.
err Fell, das ist das Gegenteil von dem, was zu Zeitenhrer Regierungsbeteiligung passiert ist.
Alte Grabenkämpfe, also das Ausspielen eines Ener-ieträgers gegen den anderen, das Ausspielen von Um-elt gegen Wirtschaft, von Erzeuger gegen Verbraucher,aben bei diesem Gipfel Gott sei Dank keine Rolle ge-pielt. Ich finde, das ist ein gutes Zeichen und es ist eineute Grundlage für die weitere Arbeit.
Die Investitionszusagen, die auf dem Energiegipfelemacht wurden, finde ich sehr begrüßenswert. Wie wirissen, reichen Zusagen allein nicht aus. Diese Zusagenmplizieren natürlich auch die Pflicht, Investitionen fol-en zu lassen. Wir haben einen Investitionsstau zu ver-eichnen, sowohl im Kraftwerksbereich als auch bei denetzen. Der Kraftwerkspark in Deutschland ist ein we-ig in die Jahre gekommen. Er muss modernisiert wer-en. Wenn wir tatsächlich die effizientesten undodernsten Kraftwerke entwickeln wollen, dann ist dernstehende Erneuerungsbedarf nicht zu übersehen.Aber es geht nicht nur darum, alte Kraftwerke zu er-etzen, sondern auch darum, neue zu bauen. Wir brau-hen zusätzliche Stromkapazitäten im Markt, damit diereise bezahlbar bleiben und damit der dringend not-endige Wettbewerb gestärkt wird.Das Ganze ist aber keine Einbahnstraße. Wenn wiron der Wirtschaft erwarten, dass sie investiert, dann er-artet die Wirtschaft von uns zu Recht Verlässlichkeit,
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Katherina Reiche
also eine Energiepolitik, die es ihr gestattet, wettbe-werbsfähig zu bleiben.
Ich freue mich, dass auf dem Energiegipfel Investi-tionszusagen für die erneuerbaren Energien gemachtwurden. Das ist ein ganz wichtiges Signal dafür, dasssich die Förderung der erneuerbaren Energien für denWirtschaftsstandort Deutschland auszahlt. Bei den er-neuerbaren Energien liegt – das ist heute mehrfach be-tont worden – ein enormes Innovations-, Wachstums-und Beschäftigungspotenzial. Sie werden uns mit Si-cherheit helfen, unsere Importabhängigkeit langfristig zuverringern. Sie leisten einen positiven Beitrag zum Kli-maschutz.
Richtig ist aber auch, dass es noch weiterer Anstren-gungen und technischer Fortschritte bedarf, weil die er-neuerbaren Energien momentan noch nicht ohne Förde-rung am Markt bestehen können. Deshalb müssen wir inForschung und Entwicklung mehr tun.Herr Kollege Fell, es ist eine bemerkenswerte Zusageder Bundesregierung, finde ich, in den Bereichen For-schung und Innovation sowie Energieforschung 30 Pro-zent mehr auszugeben.
Wir reden hier immerhin von 2 Milliarden Euro bis2009. Wenn das kein wichtiges und deutliches Signal ist,Herr Kollege Fell, dann weiß ich nicht. In Ihrer Regie-rungszeit zumindest haben wir auf solche Zusagen war-ten müssen.
Wir müssen in der Sicherheitsforschung und bei derEnergieeffizienz vorankommen. Wir müssen Ressourcenund Energie intelligenter nutzen.Herr Kollege Fell, ich möchte Sie noch ein weiteresMal ansprechen. Sie haben gesagt: Angela Merkel hatden Streit über das Thema Kernkraft beiseite gelassenund hat dieses Thema nicht aufgenommen. – Das istfalsch. Sie hat sehr wohl darauf hingewiesen, dass das,was im Koalitionsvertrag steht, gilt, nämlich dass es ei-nen Dissens gibt.Erlauben Sie mir den folgenden Hinweis: Wenn derKernenergieanteil an der Stromversorgung derzeit30 Prozent beträgt, dann kann man schlechterdings nichtausblenden, dass es so ist, wie es ist, weil wir – da wie-derhole ich, was ich am Anfang meiner Rede schon ge-sagt habe – über die nächsten 25 Jahre reden müssen.Wenn man die Strategie, die die Bundesregierung ver-folgt, auf wenige Worte zusammendampfen müsste,dann würde sie lauten: Es geht im Kern um fünf Dinge:um Energiemärkte und Wettbewerb, um Erneuerung beidgmsdwSLTDWehnwgümnAscalp–ws–sddvWme
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!iebe Kolleginnen und Kollegen! Der Ausstoß desreibhausgases Kohlendioxid ist im letzten Jahr ineutschland leicht zurückgegangen. Das ist gut so.eltweit befindet sich die CO2-Konzentration aber aufinem Rekordniveau. Nur 1987 und 1998 gab es einenöheren Anstieg der CO2-Emissionen.Das war vor dem Energiegipfel so. Das ist leider auchach dem Energiegipfel so. Dass es aber nicht so bleibt,ar eines der Ziele des Energiegipfels. Deswegen ist esut, dass es den Energiegipfel gegeben hat.
Dass die Grünen natürlich relativ krabitzig Kritikben, kann ich nachvollziehen; dass sie versuchen, im-er wieder einen Keil zwischen die Regierungsfraktio-en zu treiben, ist auch nachvollziehbar.
ber glauben Sie mir: Das werden wir mit einer gewis-en Gelassenheit hinnehmen, weil wir wissen, für wel-he Energiepolitik wir eigentlich stehen. Wir werdenuch dafür sorgen, dass ein großer Teil dieser Energiepo-itik umgesetzt wird.Die Bundesregierung will bis Ende 2007 ein energie-olitisches Konzept für die Zeit bis 2020 vorlegen, dasdas ist schon gesagt worden – Versorgungssicherheit,ettbewerbsfähige Energiepreise und wirksamen Klima-chutz miteinander verknüpft.Im internationalen Klimaschutz gilt für Deutschlanddie Notwendigkeit hat der Herr Staatssekretär vorhinchon eindrucksvoll geschildert –, aber auch für die an-eren großen Kiotoländer: Wenn wir wollen, dass die an-eren folgen, müssen wir weiterhin mit gutem Beispielorangehen. Insbesondere für Deutschland gilt hierbei:enn wir unserer Vorreiterrolle im internationalen Kli-aschutz gerecht werden wollen, dann müssen wir unshrgeizige Ziele setzen.
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Frank Schwabe
Deshalb haben sich CDU, CSU und SPD bereits imKoalitionsvertrag dazu verpflichtet, eine Reduktion derCO2-Emissionen um mehr als 30 Prozent bis 2020 anzu-streben, wenn sich denn die EU insgesamt zu einer Re-duzierung um 30 Prozent verpflichtet. Dabei sollte unsdie von der Energie-Enquete-Kommission des Bundesta-ges in der letzten Legislaturperiode geforderte Reduzie-rung um 40 Prozent bis 2020 und um 80 Prozent bis2050 als Wegmarke dienen.
Auf dem Weg dahin brauchen wir einen Energiemix,der klimaschonend, sicher und eben auch bezahlbar ist.Dazu gehören erneuerbare Energien, eine höhere Ener-gieeffizienz, eine stärkere Unabhängigkeit von Ener-gieimporten, aber für eine bestimmte Zeit – Sie müssensonst die Frage beantworten, wie das anders gehen soll –eben auch eine möglichst effiziente Nutzung der heimi-schen Stein- und Braunkohle.
Dabei ist die geplante Erneuerung des Kraftwerksparkssowohl wirtschaftlich als auch klimapolitisch sinnvoll.
Allerdings muss die Errichtung solcher neuen Kraft-werke zwingend im Rahmen einer allgemeinen Effizi-enz- und Einsparstrategie erfolgen.Es ist, wie es ist. Die Atomenergie ist aus unsererSicht nicht notwendiger Teil eines modernen Energie-mixes und sie wird auch nicht Teil des zukünftigen Ener-giemixes sein, solange Sozialdemokratinnen und Sozial-demokraten Regierungsverantwortung tragen. Da kannich die Grünen beruhigen.
Allein schon wegen der notwendigen Erneuerung desKraftwerksparks macht der vereinbarte Ausstiegsfahr-plan Sinn, weltweit gesehen erst recht. Ich finde es gera-dezu rührend, wie die Chefs der großen Energieversor-ger, vermeintlich aus Sorge um den Strompreis und denKlimaschutz, für eine Verlängerung der Nutzung derAtomenergie eintreten, wohl wissend, dass sie bei bei-den Themen ganz andere Schlüssel in der Hand halten.
Angesichts des minimalen Anteils der Atomenergie amweltweiten Energieaufkommen wird klar, dass dieAtomenergie jedenfalls die Klimaproblematik nicht ein-mal im Ansatz lösen wird.
Apropos Strompreis – dazu ist gerade auch schon et-was gesagt worden –: In diesem Jahr wird uns der Emis-sionshandel in besonderer Weise beschäftigen. Er mussskRdwBsEdvhsvesf–g2lhMfREgDagnmmNdgMusmm
as ist nicht nur klimapolitisch, sondern in hohem Maßeuch wettbewerbspolitisch geboten. Ein Mehr an Ener-ieeffizienz macht uns günstiger, unabhängiger und in-ovativer. Gut, dass das jetzt eines der Schwerpunktthe-en auf der Arbeitsebene ist.Zusammengefasst: Der Energiegipfel war besser, alsanche erwartet haben, auch wenn sich einige ärgern.un kommt es auf eine intensive Arbeit in den kommen-en Monaten an. Die Voraussetzungen dafür sind jetzteschaffen.Vielen Dank.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Philipp
ißfelder das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnennd Kollegen! Der Energiegipfel ist in zweierlei Hin-icht ein großer Erfolg gewesen. Darauf möchte ich ineinen weiteren Ausführungen eingehen. Zunächstöchte ich allerdings den Grünen ganz herzlich danken,
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Philipp Mißfelderdass wir diese Erfolge am heutigen Tage hier deutlichmachen können. Vielen Dank, dass Sie diese AktuelleStunde beantragt haben
und sie nutzen, damit Sie lernen, wie wir die Energiepo-litik der Zukunft gestalten wollen.Der Energiegipfel ist nicht nur deshalb ein Erfolg,weil er, wie von meinen Vorrednern ausgeführt, tatsäch-liche Ergebnisse für die zukünftige Energiepolitik bringt,sondern auch, weil er sozusagen den Anfang vom Endeeiner ideologiegeprägten Energiepolitik in unseremLand darstellt. Das war am Montag der Fall.
Die Entscheidung, einen Energiegipfel an den Beginnder Legislaturperiode zu stellen, war richtig; denn es warüberfällig, der Energiepolitik in Deutschland wieder eineverlässliche Basis zu geben und sich damit einer entideo-logisierten Diskussion zu stellen, die wirklich sinnvollist. Denn tatsächlich ist es das allgemeine Anliegen desHauses, auch in Zukunft Energiesicherheit zu gewähr-leisten. Wir sind unserer Bundeskanzlerin AngelaMerkel dankbar, dass sie als eine ihrer ersten Maßnah-men diesen Energiegipfel einberufen hat. Mit dieser Ini-tiative hat die Bundeskanzlerin bereits am Beginn ihrerAmtszeit klar gemacht, dass die Energiepolitik eines derHauptthemen der großen Koalition ist.
Das entspricht im Übrigen auch der Lebenswirklichkeitder Privathaushalte und der deutschen Wirtschaft. Des-wegen war es so wichtig, dieses Thema auf die Tages-ordnung zu setzen.
Mit dem Energiegipfel wurde der Grundstein für einenergiepolitisches Gesamtkonzept gelegt. Ein Ergebnisdes Energiegipfels ist die Einrichtung von Arbeitsgrup-pen; der Herr Staatssekretär hat es vorhin ausgeführt.Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass sich inDeutschland die Stimmungslage der Bevölkerung verän-dert. Die Sensibilität für das Thema Energiepolitikwächst. Dies ist in erster Linie auf das Steigen der Ener-giepreise zurückzuführen und zeigt sich in den Diskus-sionen über dieses Thema innerhalb der Familien.Dass sich etwas an der Stimmungslage verändert hat,sieht man an den aktuellen Umfragen. Am Dienstag mel-dete dpa, dass die Mehrheit der Deutschen inzwischeneine Verlängerung der Laufzeiten für deutsche Kern-kraftwerke befürwortet.
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Der Fernsehsender N24 hat eine Emnid-Umfrage inuftrag gegeben. Aber unabhängig von den politischenonsequenzen, die man daraus ziehen kann, sieht mann diesen Umfragewerten eindeutig, dass sich im Be-usstsein der Bevölkerung etwas verändert hat. Deswe-en muss die Politik Antworten auf diese wichtigen Fra-en finden.
Die Ursachen für die steigenden Energiepreise ineutschland – darüber haben wir schon diskutiert – sindn erster Linie die schwindenden Reserven an herkömm-ichen Energieträgern wie Öl, Kohle oder Gas.
eswegen ist es richtig, dass wir versuchen, auf Dauerusgerichtete Antworten auf die drängenden Fragen zuinden. Eine Frage ist, wie wir auf den Energiehungerer aufstrebenden Wirtschaftsmächte China, Indien undrasilien in Zukunft reagieren wollen und wie wir Ener-iesicherheit für die nächsten Jahrzehnte gewährleistenönnen. Dabei können und wollen wir uns aber aufauer keinen deutschen Sonderweg leisten. Deswegenst es richtig, dass der Energiegipfel Perspektiven bietet,ie in Zukunft die Energiepolitik aussehen soll.
Am Ende jahrelanger ideologiebelasteter Diskussionm Energiepolitik– vor allen Dingen die Grünen habenich auf diesem Feld betätigt – wird ein schlüssiges Kon-ept stehen, das dazu führen wird, dass auch die Indus-rie in unserem Land endlich verlässlichere Rahmenbe-ingungen vorfinden wird.Sie fragen in dem Titel der Aktuellen Stunde nachem Beitrag des Gipfels zur Energieversorgungssicher-eit. Diese Frage möchte ich Ihnen an dieser Stelle gerneeantworten. Die Bundesregierung wird als Ergebnis desnergiegipfels die Mittel für die Energieforschung deut-ich aufstocken. So werden wir im Zeitraum von 2006is 2009 etwa 2 Milliarden Euro in neue Energietechno-ogien investieren.
ie erneuerbaren Energien auch in Zukunft wirtschaft-ich sinnvoll zu stärken, ist einer der wichtigsten Punkte,ie wir sehen.
Der Energiegipfel war ein großer Erfolg. Die Arbeits-ruppen werden jetzt ihre Arbeit aufnehmen. Wir sindit dem Ergebnis vom Montag zufrieden und freuenns, dass wir heute so ausführlich darüber sprechenonnten.
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Philipp MißfelderVielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Rainer Tabillion, SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Diese Ak-tuelle Stunde ist ein guter Auftakt für die Beschäftigungdes Deutschen Bundestages mit energiepolitischen The-men im Vorfeld der Erstellung eines energiepolitischenProgramms, das bis 2015 – oder besser noch: mindestens20 Jahre – gelten soll.Das Parlament war in den Gipfel nicht eingebunden.Umso größer sollte unser Ehrgeiz sein, uns jetzt in dieDiskussion der kommenden Wochen einzubringen. Je-der, der hier vorgetragen und seine Vorstellungen entwi-ckelt hat, ist eingeladen, das auszugestalten, was aufdem Gipfeltreffen angekündigt worden ist.
Ich glaube, dass es in diesem Haus eine ausreichendeGrundübereinstimmung bei den energiepolitischen The-men gibt, die in den nächsten vier Jahren im Zentrum derBeschäftigung des Deutschen Bundestages stehen wer-den. Das gilt insbesondere dafür, dass wir energiepoliti-sche Rahmenbedingungen schaffen müssen, die weitüber die Legislaturperiode und weit über das, was wirpolitisch mit der CDU/CSU vereinbart haben, hinausge-hen. Das gilt insbesondere auch für die angekündigtenMilliardeninvestitionen in die Kraftwerks- und die Netz-infrastruktur. Diese Investitionen, auf die wir alle schonlange warten, werden nur dann fließen, wenn es keineHintertür für kurzfristige und ebenso kurzsichtige Profiteohne Investitionen gibt.In diesem Zusammenhang war es wichtig, dass Bun-deskanzlerin Merkel auf dem Gipfel deutlich gemachthat, dass sie zur Vereinbarung zum Ausstieg aus derAtomenergie steht.
Ich möchte in Richtung der Grünen deutlich machen: Esgibt überhaupt keinen Anlass, daran zu zweifeln, dassdie SPD nicht am Ausstieg aus der Atomenergie festhält.Sie sollten das Lager derjenigen, die die Atomenergieablehnen, nicht durch derartige Reden, wie sie heute ge-halten worden sind, versuchen zu spalten.
Lassen Sie mich einige Anmerkungen zu dem Prozessmachen, der jetzt beginnt und bis ins nächste Jahr andau-ern wird. Ich glaube, dieses Projekt kann nur gelingen,wenn wir diejenigen, die mit uns gehen sollen, als Part-ner betrachten. Die großen Energieversorgungsunterneh-men gehören ebenso dazu wie die Regionalversorger, dieSstdlDsutpgddRosEswtuwgdeswrwwemfmdsneWdsktmDADuk
a ich aus einem Kohleland komme und mich intensivnd lange mit diesen Fragen befasst habe und weiß, dasseine andere Subvention für eine Energieart so sehr ge-
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Dr. Rainer Tabillionkürzt worden ist wie die für die Kohle, muss ich Ihnensagen, dass wir in Zukunft an dem Bodenschatz, den wirunter unseren Füßen haben und der nach meiner Ein-schätzung in den kommenden Jahrzehnten deutlich wert-voller werden wird, in einer bestimmten Größenord-nung, die wir vereinbaren müssen, festhalten müssen.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Ich glaube, Energieerzeugung aus Kohle in Verbin-
dung mit der Technik, die Kohle klimaunschädlich zu
verarbeiten und umzuwandeln – sie ist inzwischen vor-
handen –, ist verantwortbar.
Herr Kollege!
Deshalb möchte ich darum bitten, dass wir die Kohle
in Zukunft als Teil des Energiemixes betrachten, über
dessen Definition wir uns jetzt unterhalten. Das wäre ein
guter Einstieg dieses Hauses in die energiepolitische
Diskussion. Wir sollten uns daran beteiligen –
Herr Kollege, Ihr letzter Satz geht jetzt schon über
fast zwei Minuten.
– und unser Wissen und unser Engagement einbrin-
gen, damit es ein gutes Programm wird.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Christoph Pries, SPD-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat dieseAktuelle Stunde beantragt. Als zuständiger Bericht-erstatter der SPD-Fraktion beschäftige ich mich mit IhrerFrage nach dem Beitrag des Energiegipfels zur Verringe-rung der Gefahren durch Atomkraft.Die Atomenergie ist noch genauso gefährlich bzw.genauso sicher wie vor dem Gipfel. Die Positionen derBeteiligten zur Atomenergie haben sich nicht verändert.Die Vereinbarung zum Atomausstieg gilt weiterhin.
Jetzt könnte ich schon zum Schluss kommen. Aber daalle Kolleginnen und Kollegen der Koalition heute froheBndwGCmMdvhnaGVczDgdtwEAKkdDPDDgdwdi–
ine solche Übertragung widerspricht dem Geist destomkonsenses. Sie widerspricht auch dem Geist desoalitionsvertrages, der dem sicheren Betrieb der Atom-raftwerke absolute Priorität einräumt.Worum geht es bei der Forderung nach Verlängerunger Restlaufzeiten? Ein Artikel in der „Financial Timeseutschland“ hat das am Montag ganz freimütig auf denunkt gebracht:Für die Antragsteller geht es um Milliarden. DieMeiler sind längst abgeschrieben, die Betriebskos-ten gering, und die Gewinnmargen wären sensa-tionell, wenn die Reaktoren länger laufen dürften.as Ziel von Unternehmen ist es, Gewinne zu machen.as ist legitim. Schön wäre es allerdings, wenn die Ener-ieversorger es in diesem Fall auch offen zugeben wür-en.
Die Diskussion über die Laufzeiten der Atomkraft-erke hat leider noch eine andere Folge. Sie vergiftetas Klima für dringend benötigte Zukunftsinvestitionenm Energiesektor.
Wer so hieß es gestern in der „Süddeutschen Zeitung“ –wagt schon im großen Stil neue Kraftwerke, wenner nicht weiß, wie viele der riesigen Reaktoren am
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Christoph PriesEnde des Jahrzehnts noch billige Konkurrenz ma-chen oder nicht?
Es wäre geradezu ein Befreiungsschlag für die Ener-giepolitik in Deutschland, wenn die Betreiber unsererAtomkraftwerke endlich aufhörten, ständig auf dienächste Bundestagswahl zu starren. Erweisen Sie sich,erweisen Sie uns und erweisen Sie vor allem unseremLand einen Dienst. Begreifen Sie endlich – in parlamen-tarischen Demokratien verhält es sich wie im Fußball –:Egal, wie die Bundestagswahl 2009 ausgeht. Nach derWahl ist vor der Wahl.Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Einsetzung eines Parlamentarischen Beirats
für nachhaltige Entwicklung
– Drucksache 16/1131 –
b) Beratung der Unterrichtung durch den Parlamen-
tarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung
Bericht des Parlamentarischen Beirats für
nachhaltige Entwicklung
– Drucksache 15/5942 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Zwischen den Fraktionen ist verabredet, hierfür eine
Dreiviertelstunde Debatte vorzusehen. – Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als Erster hat das Wort
der Kollege Dr. Günter Krings, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren Kollegen! Dieses Haus will heute ein parlamen-tarisches Gremium aus der 15. Wahlperiode erneut ein-setzen, das den Titel „Parlamentarischer Beirat für nach-haltige Entwicklung“ tragen soll. Dieses Gremium – dassollten wir zu Beginn der Debatte freimütig bekennen –isaggtPhzdVebDrdudtvfApsbkmswFnGnrzgEAmfdnBv
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Ein ernstes Hindernis für generationengerechte undachhaltige Politik stellen heute nicht nur die 1,4 Billio-en Euro direkte Staatsschulden dar. Nach sehr vorsich-igen Schätzungen kommt mindestens der doppelteetrag hinzu, der als implizite Staatsschuld in unserenozialen Sicherungssystemen schlummert. Eine Renten-nd eine Pflegeversicherung, die jeden Tag Ansprücheegründen, die innerhalb des lohnabhängigen Umlage-ystems niemals befriedigt werden können, sind daherein Beispiel für Nachhaltigkeit. Die Politik hat sich bisor wenigen Jahren kaum darum gekümmert, wie Ar-eitnehmer und Arbeitgeber mit diesen Ansprüchen inukunft zurechtkommen. Auch damit wurde das Gegen-eil von Generationengerechtigkeit praktiziert. Genera-ionengerecht und nachhaltig ist eine Sozialpolitik nurann, wenn sie auch für zukünftige Generationen sozialeicherheit gewährleistet.
Auch hier wartet also eine sehr wichtige Aufgabe aufen Nachhaltigkeitsbeirat. Hätte es ihn bereits in den0er-Jahren gegeben, wären die Chancen auf eine soli-ere Finanzierung der damals neu eingeführten Pflege-ersicherung aus meiner Sicht deutlich größer gewesen.ie jüngsten Beschlüsse der Bundesregierung zurchrittweisen Hebung des Renteneintrittsalters, aberuch zur Förderung junger Familien weisen den Weg inie richtige Richtung.
ie werden auch den Mitgliedern des Nachhaltigkeits-eirats Mut machen, dass wir dem Ziel einer nachhalti-en und generationengerechten Politik im Schulter-chluss zwischen Parlament und Regierung Schritt fürchritt näher kommen.Eines, liebe Kolleginnen und Kollegen, will ich zumbschluss betonen: Es muss im gemeinsamen Interessenseres Hauses liegen, die Vorsorge für künftige Genera-ionen als zentrale Politikaufgabe nirgendwo anders alsier im Deutschen Bundestag zu verankern. So wie diearlamente im 19. Jahrhundert das Budgetrecht gegenie Exekutive erkämpft haben, müssen sie jetzt, im1. Jahrhundert, dafür Sorge tragen, dass in Fragen derorsorgenden Umwelt-, Sozial- und Haushaltspolitik dientscheidenden Maßstäbe im Parlament gesetzt werden.ur die direkt gewählte Vertretung unseres Volkes be-itzt die notwendige Legitimationskraft, um von den
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Dr. Günter Kringsjetzt Lebenden den Verzicht auf Konsum zugunstennachrückender Generationen verlangen zu können.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Frau Präsidentin, ich wollte gerade meinen letzten
Satz beginnen. – Es ist daher sinnvoll und richtig, dass
es mit dem heute einzusetzenden Nachhaltigkeitsbeirat
nun endlich in der Mitte unseres Parlaments eine Lobby
für künftige Generationen geben wird.
Danke schön.
Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Michael
Kauch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach-haltigkeit braucht eine institutionelle Verankerung indiesem Parlament. Deshalb hat die FDP bereits in dervergangenen Wahlperiode gemeinsam mit SPD undBündnis 90/Die Grünen die Einrichtung eines solchenParlamentarischen Beirats – damals gegen den Wider-stand der Union – durchgesetzt. Wir begrüßen, dass dieUnion ihre Haltung geändert hat und nun auch zu denAntragstellern gehört.
Der Parlamentarische Beirat hat trotz seiner einge-schränkten parlamentarischen Rechte in der vergange-nen Wahlperiode sehr erfolgreich und konstruktiv ge-arbeitet. Wir konnten uns fraktionsübergreifend – auchüber die Grenzen von Opposition und Regierunghinweg – auf gemeinsame Ziele für die Zukunft einigen.Das ist wichtig, weil die entscheidenden Zukunftsfrageneinen Zeithorizont haben, der weit über den üblichenWechsel der Regierungen in einer parlamentarischenDemokratie hinausreicht.Einen Grundkonsens herauszuarbeiten, ohne die Un-terschiede im Detail zu verwischen, das war die Stärkedes Nachhaltigkeitsbeirates in der vergangenen Wahlpe-riode. Ich möchte an dieser Stelle den Kolleginnen undKollegen aus dem letzten Beirat für die gute Zusammen-arbeit ganz herzlich danken.
Ich erinnere an die gemeinsame Stellungnahme zumFortschrittsbericht 2004 der Bundesregierung. Hierwurde vieles im Konsens beschlossen, so die gemein-same Forderung nach einer regelmäßigen Erstellung vonGenerationenbilanzen und die Einführung eines Nach-hhIDupdnAWozkuncnostthLbfffkuPWtshtJsegBdVDzFtcswh
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Deutschland muss zukunftsfähiger und generationen-gerechter werden. Dazu gehört der verantwortungsvolleUmgang mit den natürlichen Ressourcen, aber auch mitden finanziellen Ressourcen, also mit unseren Staats-finanzen und Sozialsystemen. Wir brauchen ein Ver-ständnis von Wohlstand und Lebensqualität, das sich anlangen Zeiträumen und nicht an Legislaturperioden vonvier Jahren orientiert.In diesem Sinne freut sich die FDP-Bundestagsfrak-tion auf die Debatten im Parlamentarischen Beirat fürnachhaltige Entwicklung. Wir hoffen, dass seine Aussa-gen und Empfehlungen auch in der tatsächlichen Gesetz-gebung ihren Nachhall finden.Vielen Dank.
Als Nächster erhält das Wort der Kollege Dr. Matthias
Miersch, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Es ist, glaube ich, ein sehr positives Signal, dass wirnach den teilweise hitzigen Debatten, die wir heute Mor-gen über die Rente und die Energiepolitik – und somitauch über Fragen der Nachhaltigkeit – geführt haben,nPwzrsfLJTtACdnPmVswdMAewbgEpmksbkssfnsfsqBIitNb
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Arbeit musso angelegt sein, dass sie auch unter anderen Koalitions-edingungen fortgesetzt werden kann und nicht vonnappen Mehrheiten abhängig ist; das ist zumindest un-er Ziel. Deshalb muss unsere Arbeit darauf gerichtetein, die Beschlüsse nach Möglichkeit gemeinsam zuällen. Gleichzeitig darf der Begriff der Nachhaltigkeiticht zur Worthülse gelangen – wie in manchem Werbe-logan heute. Der Beirat ist insbesondere Anwalt nach-olgender Generationen. Herr Kollege Krings, ichtimme Ihnen voll zu: Dieser Beirat muss auch unbe-uem sein, er muss die nachfolgenden Generationen imlick haben und kann sich nicht nur an gegenwärtigennteressen orientieren.
Mit der Einsetzung des Parlamentarischen Beiratesm Januar 2004 hat der Deutsche Bundestag erstmals ak-iv in diesen Dialog eingegriffen. Ich möchte mich imamen der SPD-Fraktion an dieser Stelle ganz herzlichei den Mitgliedern des letzten Beirates für ihre Arbeit
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Dr. Matthias Mierschbedanken. Diese Arbeit hat den Boden bereitet, auf demwir jetzt aufbauen können. Im Bericht des Beirates vom7. September 2005 wird eine positive Bilanz gezogen,aber gleichzeitig werden auch Schwächen benannt: zumBeispiel die fehlende formale Beteiligung am Gesetzge-bungsverfahren oder die geringe Anzahl der Beiratsmit-glieder. Die Anzahl der Beiratsmitglieder ist erhöht wor-den, sodass der Aufbau eines Berichterstattersystemsmöglich ist. Die Stellung des Beirats hat sich dagegennicht wesentlich verändert. Ich meine, dass wir alle hiergefordert sind: Der Beirat darf keine Alibiveranstaltungwerden. Die Verzahnung mit den Fachausschüssen istvorhanden. Es wird an uns als handelnden Personen lie-gen, welche faktische Stellung der Beirat erhält.
Ich habe die Hoffnung, dass die große Bedeutung derNachhaltigkeit in diesem Haus allgemein anerkannt wirdund wir keine formale Absicherung dafür brauchen, da-mit wir tatsächlich Gehör finden.
Der letzte Beirat hatte sich vor der Ankündigung derNeuwahlen vorgenommen, wichtige Themen vorzube-reiten bzw. anzugehen, zum Beispiel die demografischeEntwicklung und ihre Auswirkungen auf die Infrastruk-tur oder auch die Frage der Generationengerechtigkeit.Die Vorbereitungen sind gemacht. Wir sind aufgerufen,diese Themen nun aufzugreifen und ihre Behandlungfortzusetzen.Vier Aspekte sollten aus meiner Sicht Säulen unsererzukünftigen Arbeit sein. Erstens: der interdisziplinäreAnsatz. Wir haben in diesem Beirat die Chance, fächer-übergreifend Nachhaltigkeitsprinzipien zu entwickelnund zu vertreten. Gleichzeitig kann dadurch ein aus-schussübergreifender Einfluss geltend gemacht werden;Grenzen einzelner Ressorts können überwunden werden.Zweitens. Wir können über den Tellerrand hinausbli-cken und mit den Ländern und den Kommunen und auchmit den Parlamenten anderer Staaten zusammenarbeiten.Wir alle wissen: Zur Lösung elementarer Probleme sindheute häufig globale Strategien gefragt, nicht nur im Um-weltbereich. Die Arbeit des letzten Beirats hat gezeigt,dass man voneinander lernen kann. So verweist der Beiratzum Beispiel auf Schweden und Finnland, wo mit Gene-rationenbilanzen – Herr Kauch hat es angesprochen – dieBelastungen und Leistungen für nachfolgende Genera-tionen politikübergreifend dargestellt werden können undso ein Nachhaltigkeitscheck eingeführt werden kann.Dritte Säule: Teilhabe- und Kommunikationsplatt-form. Der Dialog mit gesellschaftlichen und politischenInitiativen außerhalb des Parlaments ist meines Erach-tens eine weitere wichtige Säule, die wir nutzen sollten.Viertens. Letztlich gilt es die Chancen der Nachhaltig-keitsstrategie zu betonen. Es wird an uns liegen, immerwieder darauf hinzuweisen, dass in einer Nachhaltigkeits-strategie enorme Chancen liegen, dass Umweltvorsorgeund soziale Gerechtigkeit wichtige Voraussetzungen füruSlsarHÜcdLsortEAwtvktdgFmsmDtuzfsbA
Als Nächster hat das Wort der Kollege Lutz
eilmann, Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!ber Nachhaltigkeit wird in diesem Haus viel gespro-hen. Selbst die Bundesregierung behauptet ständig,ass ihre Politik nachhaltig ist.Was aber ist Nachhaltigkeit? Nachhaltigkeit ist eineitbild, eine regulative Idee. Daraus ergibt sich für un-er Handeln eine prinzipielle Anweisung, dieses so zurganisieren, dass wir nicht auf Kosten der Natur, ande-er Menschen, anderer Regionen oder anderer Genera-ionen leben.
s geht also um eine faire Abwägung der ökologischennforderungen und der sozialen Gerechtigkeit mit denirtschaftlichen Erfordernissen und deren gleichberech-igte Berücksichtigung. Dazu gehört auch, die Teilhabeon Bürgerinnen und Bürgern auszubauen. Die Demo-ratisierung alltäglicher politischer Entscheidung ist un-rennbar mit einer nachhaltigen Entwicklung verbunden.Erfüllt die Mehrheit dieses Hauses mit ihrer Politikiesen Anspruch? Ich meine: Wohl kaum. Liebe Kolle-innen und Kollegen von der CDU/CSU, der SPD, derDP und dem Bündnis 90/Die Grünen, Sie richten sichit Ihrer Politik einseitig an den Interessen der Wirt-chaft aus. Ökologische und soziale Belange bleiben zu-eist auf der Strecke.
eswegen ist die Bundesrepublik Deutschland interna-ional schon lange kein Vorreiter im Umweltschutz mehrnd nimmt die soziale Spaltung der Gesellschaft stetigu. Ich nenne einige Beispiele:Die geplante Aufweichung des Kündigungsschutzesührt dazu, dass immer mehr Menschen die Zukunft un-icherer erleben werden. Durch die Agenda 2010 – ins-esondere Hartz IV – werden noch mehr Menschen inrmut gebracht.
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Lutz HeilmannDurch die Kürzung der Renten – wir haben es heute Vor-mittag diskutiert – wird vielen Menschen ein würdigesLeben im Alter genommen. Der ohnehin windelweicheAtomausstieg wird ständig infrage gestellt, obwohl dieGefahren der Atomkraft nicht beherrschbar sind. Zur Er-innerung: In diesen Tagen jährt sich die Katastrophe vonTschernobyl zum 20. Mal. Ich frage Sie, liebe Kollegin-nen und Kollegen von der CDU/CSU: Übernehmen Siedie politische Verantwortung, wenn es in der Bundesre-publik Deutschland zu einem GAU kommt? HerrMißfelder, Ihre Einlassung von eben schreibe ich ganzeinfach Ihrem jugendlichen Alter zu. Mit 22 Jahren un-terlag auch ich noch solchen Irrtümern.
Durch die Föderalismusreform wird im Umwelt-recht ein Kompetenzwirrwarr geschaffen, durch den derUmweltschutz auf das Abstellgleis abgeschoben wird.Der Naturschutz wird de facto auf dem Altar der Wirt-schaft geopfert. Anstatt die Beteiligungsrechte auszu-bauen, sollen diese durch das Planungsbeschleunigungs-gesetz systematisch abgebaut werden. Die Bürgerinnenund Bürger sowie die Verbände sind in ihren Augen an-scheinend lästige Querulanten, die die Arbeit der Behör-den behindern.Das alles geschieht für die Steigerung der Unterneh-mensgewinne, insbesondere der der großen Konzerne.Die Linke wird daher auch in Zukunft für eine Politikstehen, die die Bezeichnung „nachhaltig“ verdient. Auchim Beirat für nachhaltige Entwicklung werden wir einGarant dafür sein, dass die soziale und die ökologischeFrage nicht wie so oft hinten herunterfallen.
In Sonntagsreden einer nachhaltigen Entwicklung dasWort zu reden und im Plenumsalltag das Gegenteil zutun, geht nicht zusammen. Darauf werde ich und wirdunsere Fraktion die Menschen aufmerksam machen.Zum Beirat der letzten Legislaturperiode will ich nuranmerken, dass der neue Beirat sowohl aufgrund derzahlenmäßigen Aufstockung als auch durch das Aus-scheiden der bisherigen Vorsitzenden wirklich ein völligneuer Beirat sein wird. Wir können aber nicht einfach daweitermachen, wo Sie in der letzten Legislaturperiodeaufgehört haben. Ohne alles infrage stellen zu wollen,beansprucht unsere Fraktion ein Mitspracherecht bei derAuswahl der künftig zu behandelnden Themen.Die Rechte, die Sie dem Beirat zugestehen wollen,reichen nicht aus. Ich befürchte, dass der Beirat erneutnur ein zahnloser Tiger sein wird. Einen neuen Debat-tierklub ohne politischen Einfluss braucht dieses Landallerdings nicht.
Unser Anspruch ist es, die Politik des Bundes zu beein-flussen, damit sie wirklich nachhaltig wird.tmPucBsptD„vDWHisfbnaAuddEuwrtsIwtd
aher müssen Sie damit rechnen, dass auch dieSchweinebande“, wie uns kürzlich der Kollege Grindelon der CDU/CSU nannte, dem Antrag zustimmen wird.
as ersparen wir Ihnen nicht.Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort für Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege
infried Hermann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Ganz persönlich und für meine Fraktion möchtech sagen, dass wir uns freuen, heute den Parlamentari-chen Beirat zum zweiten Mal im Deutschen Bundestagraktionsübergreifend einzurichten.
Ich will mich ausdrücklich bei denen in der Koalitionedanken, die sich dafür eingesetzt haben; denn es waricht selbstverständlich, dass dem Wunsch des Beiratesus der letzten Legislaturperiode nach Fortsetzung seinerrbeit von der neuen Koalition Rechnung getragen wirdnd sich dafür wieder eine Mehrheit findet. Ich weiß,ass einige von Ihnen in Ihren Fraktionen und insbeson-ere bei Ihren Geschäftsführern dafür kämpfen mussten.s war gut, dass Sie das getan haben; darüber freuen wirns. Ich sage das ganz ohne Häme, weil ich weiß, dassir in den zwei Legislaturperioden zuvor auch mit unse-er rot-grünen Mehrheit durchaus Schwierigkeiten hat-en, einen solchen Beirat einzurichten.Warum eigentlich? Der Kollege Krings hat gesagt, einolcher Beirat sei in diesem Parlament ein Fremdkörper.ch möchte ihn gerne leicht korrigieren und erklären: Erird von manchen Geschäftsführern und anderen tradi-ionellen Parlamentariern als ein Fremdkörper empfun-en.
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Winfried HermannDas ist der Fehler. Auch im Parlament muss ein Be-wusstsein dafür entstehen, dass wir im parlamentari-schen Verfahren neue institutionelle Formen brauchen,um die neuen großen Herausforderungen und Quer-schnittsaufgaben neu und anders anzugehen.
– Danke schön.
Das haben wir hiermit angestrebt und erreicht.Es wäre allerdings schön gewesen, wenn demWunsch entsprochen worden wäre, dem Beirat mehrKompetenzen zu geben. Gerade die Vertreter der JungenUnion haben sich für eine Art Zukunftsausschuss miterweiterten Kompetenzen stark gemacht, sodass manauch die Gesetzgebung der anderen Ausschüsse hättekommentieren können. Bedauerlicherweise hat der Ge-schäftsführer der CDU/CSU dies verhindert, sodass diesnicht durchgesetzt werden konnte. Wir werden aber ge-meinsam mit Ihnen dranbleiben; denn auf Dauer mussdieser Beirat mehr sein und erweiterte Kompetenzen er-halten.
Der Beirat hat in der letzten Legislaturperiode – erhatte nur knapp zwei Jahre Zeit – gezeigt, dass ein parla-mentarischer Ort zur Beteiligung an der nationalenNachhaltigkeitsstrategie dringend notwendig ist. Zwarheißt es gemeinhin, dass sich alle Ausschüsse mit Nach-haltigkeit beschäftigen, und es wird gefragt, warum esüberhaupt noch einen Beirat geben muss. – Es hat sichjedoch gezeigt: Wenn es keine institutionelle Veranke-rung dieses Themas gibt, dann ist die Gefahr groß, dasses unter den Tisch fällt.Wir haben dafür gesorgt, dass in die Nachhaltigkeits-strategie weitere Themen aufgenommen worden sind,zum Beispiel die Energieversorgungsstruktur – das ha-ben wir vorher debattiert –, neue Kraftstoffe, neue An-triebssysteme. All das sind Initiativen des Beirats zurNachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung. Ein ande-res Thema – das wurde lange unterschätzt – sind diePotenziale älterer Menschen. Aber auch dieses Themaist in die Nachhaltigkeitsstrategie aufgenommen wor-den. Dies war ebenfalls ein Impuls aus dem Beirat.Wir haben also tatsächlich auf eine ganze Reihe voninhaltlichen Punkten aufmerksam machen können. Wasmir auch wichtig ist: Wir haben gezeigt, dass es im Par-lament möglich ist, einen inhaltlichen Diskurs zu führenund sogar hart in der Sache zu streiten, ohne sich ständigpersönlich zu beleidigen. Wir haben darüber hinaus klargemacht, dass man bei Zukunftsfragen in einem frak-tionsübergreifenden Konsens zu gemeinsamen Positio-nen kommen kann. Kollege Kauch, Sie haben es gesagt:Dabei kann man an der einen oder anderen Stelle auchdeutlich machen, dass es Unterschiede gibt. Das soll imBeirat nicht vertuscht werden.–aWntbdmrsuuavührLwnhbadcnwswDDHD
Sie sehen, es gibt eine Menge zu tun.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Wir haben uns einiges vorgenommen. Wir haben Vor-
chläge zu einem neuen Beirat vorgelegt. Die Grünen
erden sich konstruktiv an diesem Dialog beteiligen.
arüber hinaus muss aber auch klar sein, dass auf diesen
ialog eine praktische Politik folgt und dass in diesem
ause verstärkt nachhaltige Politik gemacht wird.
Vielen Dank.
Als nächster Redner erhält das Wort der Kolleger. Andreas Scheuer, CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Ich freue mich, dass ich es erleben darf, dass derKollege Hermann die Junge Union für einen Vorstoßlobt. Ich bedanke mich ausdrücklich für diese Auszeich-nung in diesem Hohen Haus.Sie haben mir aber auch eine Steilvorlage für dieFraktion Die Linke gegeben, Kollege Hermann. Bei derAusgrenzung kommt es ganz darauf an: Wenn sich dieLinke bei den Themen selbst ausgrenzt – das wurde beidieser Rede deutlich –, dann hoffen meine Kolleginnenund Kollegen von CDU und CSU alle zusammen, dassdie Linksfraktion keine nachhaltige Erscheinung in die-sem Hause sein wird. Es wird sich zeigen, ob Sie in die-sem Beirat konstruktiv mitarbeiten werden.
Ein Vorwurf an uns Politiker lautet immer wieder,dass wir nur in Legislaturperioden bzw. in Vierjahres-zeiträumen denken können. Ich denke, die Einsetzungdes Parlamentarischen Beirates ist ein Beweis dafür,dass wir langfristig denken und über den Tellerrand hi-nausschauen. In der nächsten Legislaturperiode wirdsich die Wichtigkeit dieses Beirats dadurch erweisen, obplötzlich alle Kollegen bei der Besetzung der Aus-schüsse und Beiräte als erste Priorität diesem für dienachhaltige Entwicklung so wichtigen Gremium beitre-ten wollen. Ich denke, wir können in diesem HohenHaus zeigen, dass wir zukunftsfähige und zukunftsfestePolitik machen.Ich schließe mich der Formulierung der JungenGruppe der CDU/CSU-Fraktion an, die den Beirat alsZukunftsausschuss bezeichnet hat. Herr Kollege Kauch,wir haben uns letztes Mal deswegen nicht beteiligenkönnen, weil wir einen anderen Weg wählen wollten. In-sofern halte ich an dem Begriff „Zukunftsausschuss“fest.Der Begriff „Nachhaltigkeit“ ist häufig strapaziertworden. Ich kann zwar mit dem philosophischen Ansatzmeines Kollegen Krings nicht mithalten,
rufe aber trotzdem in Erinnerung, dass der Begriff derNachhaltigkeit 1713 von Carl von Carlowitz bezogenauf den Waldbau und die Landwirtschaft eingeführtwurde.
Ich erinnere aber auch daran, dass in der Folgezeit inder Vergangenheit unseres Landes viele nachhaltige po-litische Entscheidungen getroffen wurden. Ich darf dreiBeispiele nennen. An erster Stelle ist die Nachhaltigkeitder politischen Entscheidungen unter Bismarck mit derEinführung der Sozialsysteme zu nennen. Wir sindjetzt gefordert, die Sozialsysteme so zu reformieren, dasssie zukunftsfest werden.hMsAhvkwrKDgdGwelSSLInvTsMvFswRnnmhgAvkddSdddtemtSss
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Zum Abschluss dieser Debatte hat das Wort der Kol-
lege Heinz Schmitt, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Es ist natürlich nicht ganz einfach, als letzterRedner einer Debatte, in der durchweg Konsens besteht,etwas Neues zu sagen. Ich freue mich genauso wiemeine Vorredner darüber, dass es uns auch in der16. Legislaturperiode gelungen ist, den Parlamentari-schen Beirat für nachhaltige Entwicklung einzurichten.
Lieber Kollege Scheuer, ich möchte die Debatte unddie Arbeit ohne Vorbehalte gegen die Linken und dieGrünen beginnen. Wir sollten uns an der Sache orientie-ren, bar jeglicher Ideologien und Blicke zurück. Es sollteausschließlich um die Inhalte gehen. Egal wer sich kon-struktiv beteiligt, wir sollten von vornherein die Zusam-menarbeit und nicht die Abgrenzung zum Ziel haben.Sie alle haben zu Recht darauf hingewiesen, dassNachhaltigkeit mehr als Ökologie und mehr als Klima-politik ist. Sie haben darauf hingewiesen, dass nachhal-tige Entwicklung im globalen Dorf wie auch hier bei unsin Deutschland unverzichtbar ist. Es gibt heute keine Po-litikbereiche mehr – wenn es überhaupt jemals welchegab –, in denen man alleine vor sich hin wursteln konnte.Die Aufgaben heißen Vernetzung, Abschätzung der Fol-gen und Visionen für die Zukunft. Das alles gehört in ei-ner verantwortungsvollen, also in einer nachhaltigen Po-litik zusammen. Im Bereich der Medizin spricht mansehr oft von ganzheitlicher Betrachtung. Wir braucheneine ganzheitliche Betrachtung der Erde und unsererAufgaben im Zusammenhang dessen, was wir zu beratenund zu beschließen haben.EdaWmhwlnatsdwlhwgEStzLQSivwguEpheSagBawlbBzesdiG
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Heinz Schmitt
wollen. Darin liegt der eigentliche Reiz unserer Arbeit,der Arbeit des Beirates für nachhaltige Entwicklung.Es geht also um große Chancen: wirtschaftlicheChancen, gesellschaftliche Chancen, vielleicht auch kul-turelle Chancen. Denn mancher ist zurzeit auf der Suchenach neuen Werten, nach einer neuen Leitkultur. Nach-haltigkeit im kulturellen Bereich bietet vielleicht großeChancen und große Perspektiven.Nachhaltige Entwicklung muss – das habe ich vorhingesagt – natürlich über Parteigrenzen hinweg eine Ant-wort geben. Deshalb greife ich die Einrichtung des Bei-rates in dieser Legislaturperiode als ein erfreuliches, einpositives Signal auf, ein Signal, bei dem wir uns in die-sem Hause grundsätzlich einig sind.Ich freue mich auf Ihre Impulse, auf konstruktive An-regungen, auf viel Arbeit mit den anderen parlamentari-schen Gremien. Es wird an uns liegen, welches Gewichtder Parlamentarische Beirat in Zukunft haben wird. Ichhoffe, wir bekommen diese Stimme – unsere Stimme –oft zu hören. Ich hoffe auf offene Ohren bei allen Kolle-ginnen und Kollegen des Bundestages. Ich hoffe darauf,dass wir alle noch skeptische Kolleginnen und Kollegenmit unserer Arbeit in der Zukunft überzeugen können.Herzlichen Dank.
Damit ist die Aussprache beendet.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1131 zur
Einsetzung eines Parlamentarischen Beirats für nachhal-
tige Entwicklung. Wer stimmt für diesen Antrag? – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Dieser Antrag ist damit
einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 5 b. Interfraktionell wird die
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/5942 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. – Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-
derung des Buchpreisbindungsgesetzes
– Drucksache 16/238 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Kultur und Medien
– Drucksache 16/1118 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dorothee Bär
Monika Griefahn
Christoph Waitz
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katrin Göring-Eckardt
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Ich möchte mich auch beim Kollegen Tauss persönlich
edanken. Auch wenn er nicht ganz so involviert war,
at er sich persönlich angesprochen gefühlt. Herr Tauss,
lso auch Ihnen herzlichen Dank!
Die große Einigkeit in unserem Haus bei diesem
hema zeigt, wie wichtig und wie wertvoll uns allen eine
ochwertige Ausbildung unserer Kinder ist. Hochwertig
nd wertvoll sollen dabei weiterhin die Lehrmittel, in
iesem Fall die Bücher, sein. Dazu waren Änderungen
m bestehenden Buchpreisbindungsgesetz notwendig,
achdem in einigen Bundesländern das Büchergeld ein-
eführt worden war.
Die Fraktionen stimmen darin überein, dass eine Neu-
egelung sinnvoll ist und vor allem möglichst schnell
mgesetzt werden muss. Das ist vor allem deswegen
otwendig, weil das neue Schuljahr in einigen Bundes-
ändern bereits Mitte August beginnt und die Sammel-
abatte zum Schuljahresbeginn unabhängig von der Fi-
anzierungsart gewährleistet werden sollen.
Ich halte unsere Änderungen des Buchpreisbindungs-
esetzes für beispielgebend, weil durch die Änderung
es Gesetzes aufgrund des Büchergeldes einzelne Fra-
en geregelt werden, die in der Praxis zu Problemen
der zu Auslegungsschwierigkeiten geführt haben.
Auf der Regierungsbank ist es etwas unruhig.
Wir dachten uns, dass es so spannend war. Aber viel-
eicht können Sie diese Spannung noch ein bisschen für
ich behalten.
Ich glaube, dass die Regierung auch beim Buchpreis-indungsgesetz noch etwas lernen kann.
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Dorothee Bär
Wir haben dem Gesetzentwurf aus der ersten Lesungdrei zentrale Punkte hinzugefügt: erstens die Verhinde-rung des Missbrauchs bei rabattiertem Verkauf von Män-gelexemplaren, zweitens die ungerechtfertigte Rabattie-rung von Neuauflagen und drittens die Erweiterung derNachlassregelung für Schulbücher von Privatschulen.Besonders auf den letzten Punkt wird meine KolleginRita Pawelski nachher noch ausführlich eingehen.
Insbesondere die Neuregelungen bei Rabatten aufNeuauflagen und bei Mängelexemplaren halte ich fürsehr wichtig, weil dadurch vor allem kleine Buchhand-lungen geschützt werden, die sich nicht an großen Ra-battaktionen beteiligen können.
– Genau, Herr Tauss: Das war unsere Idee. Das habenwir gemeinsam großartig zustande gebracht.
Es ist ganz besonders wichtig, die kleinen Buchhand-lungen zu schützen. Sie garantieren uns doch eine Viel-falt und eine besondere Auswahl an Büchern, die diebreit gefächerte Literaturszene in Deutschland ausmacht.
Der Wert des Lesens und der Wert von Büchern, indiesem Fall besonders von Schulbüchern, wird – auchwenn ich es persönlich für schade halte – von einigen je-doch erst dann erkannt, wenn sie dafür selbst zahlenmüssen. Diesem Verfall von Werten müssen wir geradein den Schulen entgegenwirken, in denen das Lesen vonBüchern nicht zur alltäglichen Arbeit gehört. Das zeigtnicht nur die aktuelle Diskussion über die Rütli-Schulehier in Berlin, sondern das ist auch in sehr vielen vorhe-rigen Diskussionen erkennbar gewesen. Wir wollen die-ses Problem aber auf keinen Fall hinnehmen, sondernsetzen uns damit auseinander, weil es uns wichtig ist,dass das Lesen als Wert in unserer Gesellschaft mehr an-erkannt wird und besser geschützt werden kann.
Dies gilt ganz besonders unter dem Aspekt, dassDeutschland auch weiterhin, wie wir es ja wohl wollen,als das Land der Dichter und Denker assoziiert wird.Deshalb schützen wir die Autoren und die Verlage durchdie Buchpreisbindung und aktualisieren gemeinsam undstetig dieses Gesetz.Die Änderungen am Buchpreisbindungsgesetz sindwieder ein Beispiel für das unkomplizierte und pragma-tische Vorgehen. Ein Kollege hat vorhin gesagt: Diezweite und dritte Lesung finden jetzt schon statt. Da wartikgw–n–fmdGWusBizSdNzcs–ste
Herr Tauss, Sie hätten es auch schon früher haben kön-en. Aber jetzt ist es ja gut. Besser spät als nie.
Da waren Sie sich auch schon einig; okay.Schutz von Literatur und erschwingliche Schulbücherür unsere Kinder liegen uns allen am Herzen. Deshalböchte ich Sie alle ganz herzlich um die Zustimmung zuiesem Gesetzentwurf bitten und darf mit einem Worterhart Hauptmanns schließen:Die Kultur der Menschheit besitzt nichts Ehrwürdi-geres als das Buch, nichts Wunderbareres undnichts, das wichtiger wäre.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Christoph
aitz.
Schauen wir mal!Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damennd Herren! Rechtzeitig vor dem kommenden Schuljahroll die Änderung des Buchpreisbindungsgesetzes vomundestag beschlossen werden. Hintergrund dieser Eilest die Sorge einzelner Bundesländer, dass die Vorausset-ungen für einen gesetzlichen Rabatt beim Kauf vonchulbüchern nicht mehr vorliegen könnten. Ursacheafür ist, dass in Bundesländern wie Bayern, Hamburg,iedersachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt Elternukünftig einen Anteil an dem Kaufpreis der Schulbü-her leisten sollen, der den öffentlichen Anteil über-teigt.
Herr Tauss, da haben Sie eine schöne Aufgabe.Dazu ist nicht viel zu sagen. Allein, es bleibt festzu-tellen, dass die schleichende Aushöhlung der Lernmit-lfreiheit in diesen Bundesländern fortschreitet. Trotzdem
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2660 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
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Christoph Waitzsehen wir von der FDP-Fraktion keinen Anlass, der vor-gelegten Gesetzesänderung in diesem Punkt unsereZustimmung zu versagen. Die desolate Lage vieler Län-derhaushalte ist vielmehr Grund genug, dieser Gesetzes-änderung zuzustimmen, damit mit dem gesetzlichen Ra-batt öffentliche Gelder eingespart und hoffentlich besserinvestiert werden können.
Gegenüber dem ursprünglichen Entwurf wurden jetztauch die freien Träger allgemein bildender Schulen indie Rabattklausel aufgenommen. Ich begrüße das aus-drücklich; denn freie Schulen erfüllen in Deutschlandeine ganz wesentliche Funktion: Sie ergänzen das Bil-dungsangebot unseres öffentlichen Schulwesens. Aktuellbesuchen rund 800 000 Schüler freie Schulen, davon390 000 Schüler eine Einrichtung in konfessioneller Trä-gerschaft. Freie Schulen sind daher auch Ausdruck einesWahlrechts unserer Bürger. Sie können ihre Kinder miteinem anderen inhaltlichen Schwerpunkt oder nach ei-nem anderen pädagogischen Konzept unterrichten las-sen. Damit stellt das Angebot der freien Schulen auchden notwendigen Wettbewerb her, der der Qualitätsver-besserung unserer öffentlichen Schulen nur förderlichsein kann.Ein weiterer Grund ist in den letzten Jahren für die El-tern hinzugekommen. Viele Eltern wollen ihre Kinder inWohnortnähe einschulen und unterrichten lassen. Dieimmer kleiner werdende Anzahl von Kindern in unseremLand führt dazu, dass sich insbesondere die Flächenstaa-ten aus der flächendeckenden Versorgung mit Schulenverabschieden. Dies betrifft aktuell mehr Länder im Os-ten Deutschlands, aber eine vergleichbare Entwicklungist auch in den westlichen Bundesländern absehbar. Dasbedeutet für die betroffenen Eltern, dass sie ihre Kinderzum Teil über beträchtliche Entfernungen in die nächsteSchule bringen müssen oder ihren Kindern mit demSchulbus einen zeitlich erheblich längeren Schulweg zu-muten müssen. Selbst wenn das Bildungsangebot an die-sen Mittelpunktschulen nicht notwendigerweise schlech-ter sein muss, so ergeben sich doch weitere Nachteiledurch erhöhte Schülerzahlen pro Klasse und eine gerin-gere soziale Kontrolle in den Schulen.Freie Träger für die von der Schließung bedrohtenSchulen sind eine realistische Alternative, die nur darankrankt, dass die regionalen Schulämter diese Konkur-renz fürchten und daher bei der Zulassung der Schulen infreier Trägerschaft ausgesprochen zurückhaltend sind.
– Sie kommen gleich dran. – Für mich ist es daher einschönes Zeichen, wenn in dem neuen Buchpreisbin-dungsgesetz öffentliche Schulen und Schulen in freierTrägerschaft gleichberechtigt nebeneinander genanntwerden. Hoffentlich wird diese nötige Gleichbehandlungder freien Schulen auch auf Länderebene durch die Regi-onalschulämter umgesetzt.Vier weitere Änderungen des Buchpreisbindungsge-setzes werden vorgeschlagen. Auch jetzt weiß ich nochnlVsnghdtkeavfEdbnAmFldtddBhmgvIhhgwgwe
Als Nächste hat die Kollegin Monika Griefahn, SPD-
raktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-egen! Ich denke, wir in Deutschland können stolz sein,ass es uns in der Kultur- und Medienpolitik in den letz-en Jahren immer wieder gelungen ist, starke Pfosten fürie Kulturförderung einzuschlagen. Das Buchpreisbin-ungsgesetz 2002 ist dabei ein wichtiger Baustein – Frauär, wir hatten damals dieses Gesetz bereits einstimmigier im Bundestag verabschiedet –; denn wir haben da-it eine einzigartige Vielfalt von Büchern und eineroße Zahl von Buchhandlungen bewahrt. Das gibt es inielen Ländern nicht.
n dem Film „E-Mail für Dich“ wurde – wer ihn gesehenat, weiß das – der Verdrängungskampf großer Buch-andlungsketten in den USA gegenüber kleinen, gedie-enen Buchhandlungen, in denen man noch beratenird, sehr deutlich. Ich fand immer, der Film war eineute Empfehlung, wenn man deutlich machen wollte,arum es sich lohnt, für das Buchpreisbindungsgesetzinzutreten; man kann ihn noch heute empfehlen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2661
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Monika Griefahn
Frau Bär sagte es schon: Wenn wir uns als Volk derDichter und Denker bezeichnen lassen wollen, dann istes nur konsequent, kulturpolitisch auch die Vorausset-zungen dafür zu schaffen. Ich glaube anders als Sie, HerrWaitz, dass wir mit dem Buchpreisbindungsgesetz tat-sächlich einen Teil dazu beitragen, das Buch als Kultur-gut zu schützen. Das Buch kann als sinnlich wahrnehm-bares, erlebbares Element, als haptischer Gegenstanddurch ein E-Buch nicht ersetzt werden.
Ein Buch zum Beispiel im Zug in die Hand zu nehmenund zu lesen, vermittelt etwas anderes, als dies ein E-Buch könnte.Auch eine Buchhandlung auf dem Lande, wo ichwohne, hat eine besondere Bedeutung.
Das ist auch ein Treffpunkt. Dort gibt es Lesungen, datreffen sich Leute, da wird nebenbei auch beraten, dieVerkäuferinnen und Verkäufer geben die neuesten Emp-fehlungen. Das gibt es nur in den flächendeckend ver-teilten kleinen Buchhandlungen und nicht in den Kauf-hausketten in den großen Städten oder bei einerBestellung über E-Bay oder Amazon. Deswegen sind siewichtig.
Zum ersten Mal kam die Buchpreisbindung auf denPrüfstand der Europäischen Kommission, nachdem derösterreichische Handelskonzern Libro ein Beschwerde-verfahren angestrengt hatte. Er war nämlich von einigendeutschen Verlagen nicht mehr beliefert worden, nach-dem er Bücher im Internet 20 Prozent unter dem offiziel-len Preis angeboten hatte. Ich glaube, wir müssen uns andiese Geschichte noch einmal erinnern, damit deutlichwird, warum es sich lohnt, für das Buchpreisbindungsge-setz zu kämpfen.Wir haben das Buchpreisbindungsgesetz deshalb2002 wie Frankreich, Österreich und die Schweiz verab-schiedet. Wichtig ist, dass unter dieses Gesetz neben Bü-chern auch Musiknoten, kartografische Produkte undProdukte, die mit Büchern kombiniert sind, wie zumBeispiel CD-ROMs und Lernkassetten, fallen. Das wis-sen viele Leute nicht; aber auch das ist ein notwendigesElement, gerade im Unterricht.
Mein Kollege Tauss hat in der ersten Lesung auf diewichtigen Ziele hingewiesen. Er hat mit eindrucksvollenZahlen unterstrichen, wie wichtig das Erreichen dieserZiele ist.Wir wollen die große Vielfalt und die hohe Qualitätdes Buchangebots in Deutschland sichern. Schauen Sieeinmal in andere Länder, in denen es kein Buchpreisbin-ddbtwDvkpvmdtseIkarisgsrdBIwrStSSfestsWcA–
Wir wollen in kleinen und mittleren Orten in der Pro-inz die Buchhandlungen erhalten. Auch dafür brauchtan die Buchpreisbindung. Wir wollen außerdem – auchas wurde noch nicht gesagt – eine angemessene Vergü-ung für die Urheber, für die Autorinnen und Autorenowie die Übersetzer. Das geht aber nur, wenn man mitinem Buch einen bestimmten Preis erzielt.
m anderen Fall würden die Honorare immer weiter sin-en.Das Schöne an der Buchpreisbindung ist, dass sie vonllen Seiten Zustimmung findet. Die Verleger, die Auto-en und die Buchhändler sind der Ansicht, dass es richtigst, Bücher nicht mit üblichen Handelswaren gleichzu-etzen, sondern sie als Kulturgut zu schützen. Ichlaube, auf diesen wichtigen Punkt müssen wir hinwei-en.Ich möchte in diesem Zusammenhang ebenfalls da-auf hinweisen, dass wir in der Koalitionsvereinbarungen ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent fürücher festgeschrieben haben.
ch glaube, auch dieser Hinweis ist wichtig. Denn vieleissen nicht, dass Kultur und Medien für diese Regie-ung eine wichtige Rolle spielen.Für die Schulbuchfinanzierung ist wichtig, dass diechulbücher gemeinsam angeschafft werden, damit wei-erhin Rabatt gewährt werden kann. Bisher hieß es, dassammelrabatt für Schulbücher gewährt wird, wenn diechulbücher „überwiegend von der öffentlichen Handinanziert werden“. Jetzt soll es möglich sein, dass diermäßigten Preise auch für die Eltern, die die Bücherelber bezahlen müssen, gewährleistet sind. Diese wich-ige Information, dass wir heute dieses Gesetz verab-chieden, sollten die Kolleginnen und Kollegen in ihrenahlkreisen weitergeben, damit in den Schulen die Bü-her gemeinsam bestellt werden und so die Rabatte innspruch genommen werden können.
Genau, das machen wir heute auch noch.
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Monika GriefahnDie Privatschulen, die nach den Schulgesetzen denStatus staatlicher Ersatzschulen haben, sollen dieseMöglichkeit ebenfalls haben. Das finde ich wichtig,sonst wäre es nicht sinnvoll, dass sie staatlich anerkanntsind.Wir haben die Kennzeichnungspflicht bei Mängel-exemplaren dahin gehend geändert, dass nur nicht ein-wandfreie Bücher als Mängelexemplare mit Rabatt ver-kauft werden können. Auch das ist ein Schutz für diekleineren Buchhandlungen. Damit stellen wir eine flä-chendeckende Versorgung sicher, was ebenfalls sehrwichtig ist.Im Räumungsverkauf ältere Titel anbieten zu können,ist auch ein wichtiger Punkt. Häufig gab es die Situation,dass für eine unveränderte Neuauflage die Buchpreisbin-dung galt, während die Exemplare der alten Auflage ver-ramscht wurden. Das kann nicht angehen. Wenn eineAuflage unverändert bleibt, dann fallen auch die altenBücher unter die Buchpreisbindung. Auch das ist einwichtiger Punkt, um einen Missbrauch zu verhindern.Dass die Buchpreisbindung für Ausgaben aufgehobenwird, deren erstes Erscheinen länger als 18 Monate zu-rückliegt, ist wichtig, damit die Buchhändler weiter pla-nen können, wenn die Verleger ihre Bücher nicht mehrzurücknehmen. Damit wird das Kulturgut Buch nicht ge-fährdet. Aber es eröffnet die Möglichkeit, neue Titel auf-zunehmen. Das alles sind wichtige Elemente.Ich glaube, dass die Handelsketten, die einen starkenVerdrängungswettbewerb aufgrund der Masse der ver-kauften Bücher ausüben, immer wieder darauf hingewie-sen werden müssen, dass die Buchhandlungen in derFläche wichtig sind und dass der Wettbewerb nicht zueiner Verdrängung dieser kleinen Buchhandlungen füh-ren darf. Wir werden diese Entwicklung weiterhin be-gleiten. Wenn Änderungen notwendig sind, werden wirsie durchführen.Wir wollen die breite Vielfalt. Eine Buchhandlung, inder man sich trifft, in der man miteinander spricht und inder man beim Bestellen eines Schulbuchs nebenbei nochein Buch für die Kinder kauft, stellt einen wichtigen kul-turellen Beitrag dar, der vor Ort geleistet wird. Deswe-gen kämpfe ich dafür, dass jede Buchhandlung in derFläche erhalten bleibt,
genauso wie eine Bäckerei oder ein Lebensmittel-geschäft.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Jochimsen, Fraktion
Die Linke.
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ie Fraktionen arbeiten wunderbar. Der Wert des Lesensird gewürdigt. Die kleinen Buchhandlungen werdeneschützt und gefördert. Es wird Sie nicht verwundern:n diesem Zusammenhang kommt natürlich sofort auchin Bekenntnis unserer Fraktion dazu, dass wir dieuchpreisbindung für ein unverzichtbares Instrumentalten, um das Kulturgut Buch allen zugänglich zu ma-hen.
m Wissen um den Wert der Bücher für die Bildung undie Entwicklung eines jeden Menschen und vor allemer Heranwachsenden haben wir uns stets dafür einge-etzt, Bücher aus der Logik des Marktradikalismus under Profitmaximierung herauszuhalten.
Nun diskutieren wir heute im Grunde gar nicht überen Wert und die Bedeutung der Buchpreisbindung,uch wenn wir uns formalrechtlich mit einer Änderunges Buchpreisbindungsgesetzes befassen. Wir haben unsielmehr mit einem bildungspolitischen Thema vonöchster Problematik auseinander zu setzen. Das ist beihnen nur in Nebensätzen erwähnt worden. Die Kolleginon der CSU sprach nur allgemein von der Bücherrege-ung und beschrieb gar nicht, was damit gemeint ist.
s geht um die um sich greifende Abschaffung derernmittelfreiheit in unserem Land.
Ich weiß, dass das in der Verantwortung der Länderiegt. Bereits fünf Bundesländer haben die Regelung ein-eführt, wonach sich die Schüler bzw. die Eltern an derezahlung der Schulbücher in einem Umfang von mehrls 50 Prozent beteiligen müssen. Dadurch ist die Sam-elrabattklausel gefährdet und nur deswegen müssenir uns heute im Grunde genommen formalrechtlich miter Buchpreisbindungsproblematik befassen. Den Nach-ass von 8 bis 15 Prozent für Schulbücher, die nun nichtehr überwiegend von der öffentlichen Hand finanzierterden, wollen wir für Eltern und Schüler erhalten undetten. Das ist richtig und deswegen setzen wir unsehrheitlich für den vorliegenden Gesetzentwurf ein.Wir müssen aber auch darauf hinweisen, dass mit dennsgesamt für den Kauf von Schulbüchern zur Verfügungtehenden Mitteln in Zukunft immer weniger Bücher an-eschafft werden können; es sei denn, die Eltern und diechüler steigen finanziell ein. Wir werden zwar der Ge-
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Dr. Lukrezia Jochimsensetzesänderung zustimmen, damit der Preisnachlass beiSchulbüchern ungeachtet der Höhe und des Umfangs derprivaten Mitfinanzierung erhalten bleibt. Den Eltern undden Schülern wird jetzt ein geringer Sammelrabatt ge-währt. Aber die Frage ist: Werden sie in Zukunft nichtverstärkt an der Finanzierung der Bücher beteiligt wer-den? Werden sie nicht verstärkt die Bücher selbst kaufenmüssen? Die Entwicklung, die diese Gesetzesänderungnotwendig macht, ist aus unserer Sicht hoch problema-tisch, weswegen sich einige Mitglieder unserer Fraktionbei diesem Gesetzesvorhaben enthalten werden.Wenn heute bereits in fünf Bundesländern die Elternbzw. volljährige Schüler einen Teil der Kosten für dieSchulbücher selbst tragen müssen, dann hat das natürlichFolgen. Diese Folgen sind: noch größere sozialeUngleichheiten beim Zugang zur Bildung. Da kannman dann noch so schöne Worte über den Wert des Bu-ches und des Lesens verlieren. Dies heißt letztlich: einenoch größere soziale Ungleichheit beim Zugang zur Bil-dung. Das ist schon heute das Hauptproblem unseresBildungssystems. In allen internationalen Vergleichsstu-dien werden wir davor gewarnt, den Weg der sozialenUngleichheit beim Zugang zur Bildung und zu Büchernfortzusetzen.
– Die internationalen Studien zeigen auf, dass die Ver-hältnisse in unserem Land auseinander gehen. SozialeBildungsdeterminanten sind dabei sehr wichtig.
Frau Kollegin Jochimsen, ich würde auf diese Zurufe
jetzt nicht reagieren; denn Sie haben Ihre Redezeit über-
schritten und müssen zum Ende kommen.
Ich komme zum Schluss. – Eine sozial gerechte Bil-
dung kann nur bei umfassender und ausreichender Fi-
nanzierung durch die öffentliche Hand gewährleistet
werden. Die Privatisierung der Bildungskosten – mit
Sammelrabatt oder ohne – führt genau in die falsche
Richtung.
Danke sehr.
Das Wort hat die Kollegin Priska Hinz, Bündnis 90/Die Grünen.Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Esherrschte schon bei der ersten Debatte über den Gesetz-ewlrgÄpbdhdldIgdtwbgMmgItLtWH–ndb5rcenUafts
Auch wir, die Grünen, bekennen uns ausdrücklich zuer dem Buchpreisbindungsgesetz zugrunde liegendendee, wonach das Buch in erster Linie nicht Wirtschafts-ut, sondern Kulturgut ist und wonach der Zugang zuiesem Medium insbesondere auch in ländlichen Gebie-en durch entsprechende Buchhandlungen gewährleisteterden muss.
Frau Griefahn, sogar in Großstädten besteht das Pro-lem, dass große Buchhandlungen kleine Buchhandlun-en verdrängen. Der Wettbewerb ist in vollem Gange.it dem Buchpreisbindungsgesetz schaffen wir es im-erhin, dass in ländlichen Regionen noch ein vielfälti-es Angebot vorherrscht. Wir wollen das beibehalten.
n diesem Sinne gilt es, den gleichberechtigten und brei-en Zugang zu kultureller Bildung zu erhalten und damiteseförderung zu betreiben.Ich halte es für richtig, deutlich zu machen, wie wich-ig Bücher sind, gerade weil sie Kinder ansprechen.enn man daran denkt, wie Kinder Bilderbücher in dieand nehmen, dann erkennt man, dass ein ComputerGott sei Dank – nicht mithalten kann. Deswegen ist esotwendig, dass wir dieses Gesetz beibehalten.
Allerdings werden nun Änderungen vorgenommen,amit Rabatte bei Sammelbestellungen von Schul-üchern auch dann möglich sind, wenn mehr als0 Prozent der Schulbuchkosten von Eltern oder volljäh-igen Schülern übernommen werden. Es ist leider Tatsa-he, dass in vielen Bundesländern eine Eigenbeteiligungingeführt wird. Frau Jochimsen, wir im Bundestag kön-en – so bedauerlich das auch ist – nichts daran ändern.nabhängig von Ihrer politischen Haltung dazu sinduch wir der Meinung, dass die Lehr- und Lernmittel-reiheit ein hohes Gut ist. Wir sollten es deshalb den El-ern vonseiten des Bundes nicht noch schwerer machen,ondern ihnen das Leben erleichtern, indem wir diese
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Priska Hinz
Rabattregelung ermöglichen. Deswegen stimmen wirdiesem Gesetzentwurf zu.
Bliebe die alte Regelung bestehen, könnten mit der glei-chen Geldsumme noch weniger Bücher angeschafft wer-den.Wir halten es auch für richtig, dass die Privatschulenin die neue Nachlassregelung einbezogen werden sollen,weil die Kinder nicht mehr und nicht weniger als Kinderan staatlichen Schulen wert sind.Wir halten auch jene Punkte, die die Bundesregierungin Ergänzung eingebracht hat, für richtig: die Einführungeiner Kennzeichnungspflicht für Mängelexemplare, denEinbau einer Räumungsverkaufsklausel und die Klar-stellung hinsichtlich der Buchpreisbindungsregel bei un-verändertem Nachdruck eines Buches.Wenn der Bundesrat und die Bundesregierung einmalsinnvolle Vorschläge machen, dann stimmen wir als Op-position gerne zu.
Es wird wahrscheinlich nicht so oft vorkommen, aberheute stimmen wir gerne zu.Herzlichen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Rita Pawelski,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Bücher verursachen vieleWirkungen: Sie bilden, sie regen zum Träumen undNachdenken an, sie polarisieren und stacheln auf, siekönnen aber auch verbinden: Jung und Alt, Mann undFrau, Ost und West und neuerdings auch Koalition undOpposition.
Das haben die Beratungen des vorliegenden Gesetzent-wurfes gezeigt. In seltener Harmonie und Einigkeithaben wir uns auf das Wichtigste und Wesentlichstegeeinigt. Das Buchpreisbindungsgesetz wird den verän-derten Rahmenbedingungen angepasst. Es wird eine ge-setzliche Kennzeichnungspflicht für Mängelexemplaregeben; es wird eine spezielle Räumungsverkaufsklauseleingeführt und es wird die Regelung zur Aufhebung derPreisbindung klargestellt. Meine Kollegin Dorothee Bärhat darüber schon ausführlich berichtet.sDubuigbpeLFtemmISsdMjniwwhadAb8sZza
Herr Tauss, auf Ihren Zwischenruf, falls er denn kom-en sollte – er hat sich vorhin schon angedeutet –,öchte ich sagen:
ch würde mit Ihnen gern über die niedersächsischechulpolitik diskutieren, nicht über die Schulpolitik die-er, der CDU-geführten Landesregierung, sondern dieer vorhergehenden Regierung.
ein Kronzeuge, der ehemalige Ministerpräsident, sitzta hier auf der Regierungsbank. Er wird bestätigen kön-en, was in diesem Bereich damals alles schief gelaufenst.
Durch die wegfallenden Rabatte wären Eltern – dasurde eben schon sehr gut gesagt – zusätzlich belastetorden, und das schon ab dem nächsten Schuljahr. Wiraben das verhindert und das ist prima.
Neu ist: In den Genuss der Rabatte kommen jetztuch die allgemein bildenden Privatschulen, wenn sieen Status staatlich genehmigter Ersatzschulen besitzen.
uch ihnen müssen die Verkäufer Rabatte bei Sammel-estellungen gewähren; in der Regel sind das zwischenund 15 Prozent. Der Bundesverband Deutscher Privat-chulen ist erfreut über die fraktionsübergreifendeustimmung – endlich Politiker, die schnell agieren undupacken. Das herzliche Dankeschön gebe ich an Sielle hiermit weiter.
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Rita PawelskiMeine Damen und Herren, unsere Schulen in freierTrägerschaft leisten qualitativ hochwertige Arbeit undsorgen für pädagogische Vielfalt und für Wettbewerb.Sie sind bei den Eltern und, wie ich höre, auch bei denSchülern sehr beliebt. Das zeigen die steigenden Schü-lerzahlen. Es ist schon bemerkenswert, dass sie nachdem Pisaschock deutlich nach oben gegangen sind: Um11 Prozent sind die Schülerzahlen bei den Privatschulengestiegen.Was sind Privatschulen? Oft wird gesagt: Das sindEliteschulen nur für Reiche. Das stimmt nicht. Es gibt207 Hauptschulen in diesem Bereich, an denen über25 000 Jugendliche unterrichtet werden. An diesenSchulen – wir haben gerade in den letzten Tagen erfah-ren, wie schlimm die Situation an manchen Hauptschu-len ist – wird eine sehr gute, auch sehr gute integrativeArbeit geleistet. Privatschulen sind integrierte Gesamt-schulen; das sind Abendgymnasien, Kollegs; das sindaber auch Waldorfschulen. An insgesamt 180 Waldorf-schulen werden 75 000 Schülerinnen und Schüler unter-richtet. Und: Privatschulen sind auch Konfessionsschu-len, die eine sehr, sehr gute Arbeit leisten.
Sie alle profitieren von der neuen Regelung und erhaltenSchulbücher künftig mit Rabatt.Ich freue mich, dass wir diese Änderungen gemein-sam und einvernehmlich durchgesetzt haben, und ichhoffe, dass diese Einigkeit in diesem Hause kein einma-liger Vorgang ist, sondern dass wir an anderen wichtigenStellen genauso gemeinsam arbeiten.Vielen herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-
wurf des Bundesrates zur Änderung des Buchpreisbin-
dungsgesetzes auf Drucksache 16/238. Der Ausschuss
für Kultur und Medien empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/1118, den Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenom-
men.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den
Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
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ie Dimension dessen, was dort passiert ist, macht sichicht an der faktischen Anzahl der Toten fest. Für dieolitische Bewertung ist auch nicht relevant, ob dieenschen an den direkten Folgen der Strahlung gestor-en sind, ob eine Krankheit, die sie sowieso schon hattender bekommen hätten, durch die Strahlung intensivierturde, oder ob sie Selbstmord begangen haben, weil sieie persönlichen oder gesellschaftlichen Veränderungenicht verkraften konnten. All diesen Menschen wurdehr Recht auf Leben durch eine von niemandem ge-ollte, aber dennoch von Menschen gemachte Katastro-he gravierend beschnitten. Die gesellschaftliche Di-ension des Unfalls ist bis heute nicht fassbar. Derirtschaftsattaché der deutschen Botschaft in Minsk,olfgang Faust, hat dazu gestern gesagt, dass dort eineanze soziokulturelle Tradition verschwunden ist.Die für uns entscheidende Frage ist, welche Konse-uenzen wir aus dem Unfall von Tschernobyl ziehen.ieran scheiden sich die Geister in Wissenschaft wieolitik. Für manche lautet die Konsequenz, gute
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Sylvia Kotting-Uhldeutsche Technologie so weit wie möglich zu exportie-ren. Wir Grünen ziehen bekanntermaßen eine andereKonsequenz. Wir halten es für richtig, dass mit Deutsch-land ein hoch industrialisiertes Land zeigt, dass man aufeine hoch entwickelte Technologie verzichten kann,wenn man das ihr immanente Restrisiko für nicht hin-nehmbar hält.
Das Restrisiko bleibt, auch wenn uns Wissenschaft-ler heute erzählen, dass die nächste zu entwickelnde Ge-neration von Atomkraftwerken – Zitat von gestern – „ka-tastrophenfrei“ laufen kann. Es sind nicht unbedingtdieselben Wissenschaftler wie die, die uns vor 20 Jahrenetwas von der Sicherheit der Anlagen außerhalb der da-maligen Sowjetunion erzählt haben, aber es sind diesel-ben Botschaften. Dagegen steht: Harrisburg 1979,Tokaimura 1999, Paks 2003, Sellafield 2005. Auch beiuns gab es eine Reihe gravierender Störfälle, bei denenein klein bisschen mehr menschliches Versagen zu gra-vierenden Folgen hätte führen können.Die Sicherheitslage hat sich seit 1986 nicht entschärft.Der 11. September 2001 hat eine zusätzliche Dimensioneröffnet, die Proliferationsgefahr hat sich vergrößert.Den Kollegen, die an dieser Stelle gern sagen, dann hät-ten wir doch den Sofortausstieg fordern müssen – weilsie wissen, dass wir dann gar keinen Ausstieg hätten –,sage ich: Lieber verantworten wir, dass das RestrisikoSchritt für Schritt verringert wird, als ein endloses Ver-harren im Risiko.
Tschernobyl markiert auch 20 Jahre danach den wich-tigsten Grund für den Ausstieg aus der Atomkraft. Erist nicht zu entkräften. Entkräften kann man dagegen allevermeintlich guten Gründe für die weitere Nutzung derAtomkraft. Weder ist Atomstrom billig – ohne die bisheute auf über 100 Milliarden Euro angewachsenen Sub-ventionen wäre er unbezahlbar – noch kann er das Mittelder Wahl gegen den Klimawandel sein. Bei 2,5 ProzentAnteil am weltweiten Endenergieverbrauch müsstenTausende neue AKW gebaut werden, um einen spürba-ren Effekt zu erzielen.
So viel Begeisterung und Kapital für AKWs kann manwirklich nicht erwarten.
Die Länder, die auf einen Energiemix mit viel Atom-strom setzen, führen uns vor, dass durch den atom-stromimmanenten Anreiz zur StromverschwendungTreibhausgase gar keine Chance haben, verringert zuwerden.Zum letzten beliebten Argument: der Versorgungs-sicherheit. Auch Uran ist endlich. Wirtschaftlich abbau-bar steht es der Welt nicht länger zur Verfügung alsErdöl und Erdgas.dnieUgKrBdCWKnfdlgvHdnrhdBNln1GSngmsgg
Nächster Redner ist der Kollege Philipp Mißfelder,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!enn wir in diesen Tagen an den Unfall im sowjetischenernkraftwerk Tschernobyl erinnern, so wollen wir zu-ächst einmal allen Opfern dieses Unfalls unser Mitge-ühl aussprechen.
Gestern im Ausschuss und heute in der Debatte wür-igen wir gleichzeitig das umfangreiche bürgerschaft-iche Engagement, das es gerade auch in Deutschlandibt. Es ist in den vergangenen beiden Jahrzehnten sehriel geleistet worden, um den Betroffenen dieses Unfallsilfe zu leisten und den Menschen bei der Bewältigunger Folgen zur Seite zu stehen. Dafür gebührt all denje-igen Vereinen und Institutionen, die sich in diesem Be-eich verdient gemacht haben, unser tiefer Dank. Des-alb sage ich an dieser Stelle, dass unsere Fraktion aner Seite derjenigen steht, die sich besonders in diesemereich engagiert haben.
Besonders stark ist das Engagement aus Deutschland.ach wie vor werden Jahr für Jahr 10 000 Kinder vor al-em aus Weißrussland von Gastfamilien zur Erholungach Deutschland eingeladen. Bundesweit existieren fast000 Initiativen, die den Menschen in den betroffenenebieten bei der Minderung der Unfallfolgen helfen.eitens meiner Fraktion hebe ich dieses Engagementoch einmal hervor.Angesichts des Leids der Opfer, aber auch des En-agements, das viele Menschen in unserem Land zeigen,öchte ich allerdings meine Verwunderung darüber aus-prechen – diese entstand, als ich den Antrag der Grünenelesen habe, und auch, als ich Ihre Rede, Frau Kollegin,erade gehört habe –, dass Sie den Jahrestag des Tscher-
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Philipp Mißfeldernobylunfalls zu einer aktuellen politischen Debatte nut-zen. Das finde ich nicht in Ordnung.
Denn am heutigen Tag haben wir im Zusammenhang mitden Ergebnissen des Energiegipfels bereits über dasThema Atomenergie gesprochen. Insofern sollte manGedenktage wirklich Gedenktage sein lassen und sienicht politisch – schon gar nicht parteipolitisch – instru-mentalisieren. Das finde ich nicht in Ordnung.
Der Antrag beschreibt in wenigen Sätzen die Kata-strophe, um anschließend seitenweise die längst bekann-ten Positionen Ihrer Partei zu formulieren.
Beschäftigen Sie sich an einem Gedenktag doch bitte mitdem Thema und arbeiten Sie nicht am Thema vorbei.
Schon allein dieses Vorgehen macht es uns als Fraktionnicht möglich, Ihrem Antrag zuzustimmen.
– Allein das ist es.Wir haben uns gestern im Ausschuss besonders enga-giert. Sie haben gesehen, wie engagiert die Kollegenmeiner Fraktion in der Diskussion waren. Gestern habenwir zu dem Thema deutlich Stellung bezogen und dasGedenken gewahrt, das ich, wie gesagt, bei Ihnen sonicht sehe.Ich möchte auf Ihre Argumente eingehen. Zahlreicheinternationale Studien haben bis heute nachgewiesen,dass es neben eindeutigen Mängeln an der Konstruktiondes Reaktors selbst in hohem Maße auch am Betriebs-personal gelegen hat, das unzureichend über die Schwä-chen des Reaktortyps informiert war.Hinzu kam das mangelnde Sicherheitsbewusstseinder Betriebsmannschaften. Sie hielten sich nicht an diebewährte betriebliche und sicherheitsorientierte Verfah-rensweise und wussten nicht, welches tatsächliche Risi-kopotenzial vorhanden war.Angesichts des Schicksals der Opfer möchte ich auchauf die Bedingungen unter der sowjetischen Diktaturhinweisen. Dieser Aspekt spielt für die Bewältigung derFolgen dieser Katastrophe eine ganz entscheidendeRolle. Jüngst hat ein Abgeordneter des weißrussischenParlaments die Tage nach dem Unfall aus Sicht eines di-rekt Betroffenen geschildert. Die Politik der sowjeti-schen Führer in Moskau, Kiew und Minsk ist vollerFeigheit gewesen, gepaart mit einer menschenverachten-dnrjaddahfwAblrünsa3grmwKheedflvajhelsksb1nhVdBdnb
n einem solchen Gedenktag muss man sich auch damiteschäftigen, was das sowjetische Unrechtssystem vie-en Menschen, auch aus Deutschland, zugemutet hat, ge-ade in den Tagen des Tschernobylunglücks.
Die Behörden waren vom Ausmaß des Unfalls völligberrascht. Ein großer Fehler war, dass die Hilfsmaß-ahmen zentral aus Moskau gesteuert wurden. Sie wie-en aus Unkenntnis der konkreten Gegebenheiten, aberuch aus Ignoranz große Unzulänglichkeiten auf. Erst6 Stunden nach der Explosion – das haben wir gesternehört – wurde als erste Maßnahme die Stadt Pripjat ge-äumt; die übrige 30-Kilometer-Zone folgte erst nachehr als einer Woche. Für die Bekämpfung des Brandesaren zunächst nur die 100 Betriebsfeuerwehrleute desernkraftwerkes sowie örtliche Feuerwehren vorgese-en, sonst zunächst niemand.Festzuhalten sind auch die eklatanten Mängel bei deningeleiteten Rettungsmaßnahmen. So wurden unge-ignete Brandlöscher wie Blei von Hubschraubern inen brennenden Reaktor geworfen. Kurz nach dem Un-all in Tschernobyl schrieb der weißrussische Schriftstel-er Adamowitsch einen Brief an Michail Gorbatschow;on Gesprächen mit ähnlichem Inhalt wurde uns gesternuch im Ausschuss berichtet. Darin forderte er den sow-etischen Parteichef auf, endlich dafür zu sorgen, dassinreichende Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerungrgriffen werden. Adamowitsch schrieb in seinem dama-igen Brief: Es ist hier nicht bloß eine Anlage explodiert,ondern der gesamte Komplex an Verantwortungslosig-eit, Disziplinlosigkeit und Bürokratismus. – Auch die-es Problem ist direkt nach dem Unglück entstanden.Zu den Auswirkungen des Unfalls liegt seit Septem-er letzten Jahres eine ausführliche Studie von mehr als00 Wissenschaftlern vor, die gemeinsam von der Inter-ationalen Atomenergie-Organisation, der Weltgesund-eitsorganisation und dem Entwicklungsprogramm derereinten Nationen erarbeitet wurde. Die Zahl der To-esfälle könnte sich demnach auf bis zu 4 000 belaufen.is Mitte 2005 konnten jedoch nur weniger als 50 Todesfälleirekt auf die Strahlung zurückgeführt werden. Bei ih-en handelt es sich vor allem um Rettungsarbeiter, dieesonders hoher Strahlung ausgesetzt waren. Viele von
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Philipp Mißfelderihnen starben innerhalb weniger Monate nach dem Un-fall.Besonders aufschlussreich an dieser Studie ist, dassFehlauffassungen und Mythen hinsichtlich der Strah-lungsgefahr auch 20 Jahre nach dem Unfall bei der Be-völkerung einen lähmenden Fatalismus verursachen.Noch immer wissen die Menschen in den betroffenenGebieten zu wenig über die Konsequenzen des Unfalls.Das zu ändern ist eine besondere Aufgabe Deutschlandsund der internationalen Staatengemeinschaft.
20 Jahre nach dem Unfall scheint es grundsätzlich an-gebracht, die Sicht auf die betroffene Region zu ändern.Wir sollten ihre Bewohner nicht länger nur als Opfer be-trachten, sondern ihnen die Möglichkeit aufzeigen, zuUnabhängigkeit und Eigenständigkeit zu gelangen. Dasbetrifft auch politische Debatten, die wir in anderen Zu-sammenhängen führen.
Wie sind die Folgen der Tschernobylkatastrophefür Deutschland zu bewerten? Festzuhalten ist, dasseine radioaktive Wolke Substanzen bis nach Süd- undOstdeutschland verteilte. Allerdings wurden die zulässi-gen Grenzwerte laut Aussage der Strahlenschutzkom-mission – auch das haben wir gestern gehört – hierzu-lande selbst im ersten Jahr nach dem Unfall nichtüberschritten. Seitdem nehmen sie kontinuierlich ab.Das muss man ebenfalls zur Kenntnis nehmen; denn dassind die Fakten.
Aus dem Unglück von Tschernobyl müssen Deutsch-land und die internationale Staatengemeinschaft zweiwesentliche Lehren ziehen – das Entscheidende an die-ser Debatte ist nämlich, nicht Ideologie zu betreiben undAngst zu machen, sondern konsequent daran zu arbeiten,die richtigen Lehren zu ziehen –: Zum einen können wiranderen Ländern nicht vorschreiben, ob sie die Kern-energie nutzen wollen oder nicht. Das ist eben so; darankann man nichts ändern, auch nicht, indem wir es hierbeschließen. Deshalb sollten Sie sich in dieser Frage Ihrunangebrachtes Gefühl moralischer Überlegenheit abge-wöhnen; für pragmatisch ausgerichtete Politik bringt dasnichts. Weil wir anderen Staaten hinsichtlich der Nut-zung der Kernenergie nichts vorschreiben können, müs-sen wir von denjenigen Staaten, die die Kernenergiefriedlich nutzen wollen, eine unabhängige und rechts-staatliche Aufsicht der Anlagen einfordern. Dafür gibtes Organisationen wie die IAEO, an die der Friedensno-belpreis zu Recht gegangen ist.
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Der Antrag von Bündnis 90/Grüne stellt die Unfallur-achen der Katastrophe von Tschernobyl klar dar: dasss sich um einen ganz speziellen sowjetischen Reaktor-yp handelte, den RBMK-Reaktor. Was der Antrag aller-ings nicht transportiert, ist, dass die in der EU gängigenchwerwasserreaktoren und Leichtwasserreaktoren überine ganz andere Sicherheitstechnik verfügen. Hierollte man Tschernobyl nicht dazu missbrauchen, ein un-ealistisches Angstszenario aufzubauen.
Aus der der FDP-Fraktion am gestrigen Tag zugelei-eten Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleinenfrage „Bewertung und Auswirkungen des Reaktorun-alls von Tschernobyl“ kann ich an dieser Stelle nur we-ige Antworten der Bundesregierung wiedergeben. Daeißt es unter anderem:Diese Reaktoren verfügen über zahlreiche Ausle-gungsmerkmale, die mit westeuropäischen Techno-logie- und Sicherheitsstandards nicht vergleichbarsind.…Die für den Unfall in Tschernobyl ursächlichenSchwächen in der Auslegung des Reaktors und die
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Angelika Brunkhorstin der Vorgehensweise der Betriebsmannschaft of-fenbar gewordene mangelhafte Sicherheitskultursind mit deutschen Standards nicht vergleichbar.…In den in Russland und Litauen in Betrieb befindli-chen Kernkraftwerken mit RBMK-Reaktoren wur-den zahlreiche sicherheitsverbessernde Maßnah-men realisiert ……Die Bundesregierung misst der Sicherheit derAtomkraftwerke in Deutschland höchste Prioritätbei. Im Rahmen der Bundesauftragsverwaltungwird dafür Sorge getragen, dass die deutschenAtomkraftwerke auf dem höchstmöglichen Sicher-heitsniveau betrieben werden.Da sind wir ganz auf einer Linie.
Der Antrag der Grünen kommt über die Bekundungder Betroffenheit anlässlich Tschernobyls zum eigentli-chen Hauptmotiv: die Gefährlichkeit der Kernenergie zubeschwören, so zu tun, als ob hinsichtlich der sicher-heitstechnischen Modernisierung bestehender Anlagenüberhaupt nichts getan worden wäre. Das ist unverant-wortlich und erfolgt wider besseres Wissen. Die friedli-che Verwendung mittel- und hochangereicherten Uransmit der Anhäufung waffenfähigen Plutoniums in einenTopf zu werfen und daraufhin neue, unüberschaubareGefahrenpotenziale zu beschwören, ist nicht seriös. Esist Ideologie in Reinform!
Sie scheuen weder eine Attacke auf die InternationaleAtomenergiebehörde – immerhin Inhaberin des Frie-densnobelpreises – noch, das Horrorszenario der furcht-baren Anschläge des 11. September 2001 für Ihre Zwe-cke zu missbrauchen. Das ist Agitation.
Stellen wir uns doch vielmehr den Realitäten. Welt-weit wird die deutsche Reaktortechnik als die sichersteüberhaupt eingeschätzt. Unbenommen, dass andereKraftwerkstechnologien und auch die Technologien imHinblick auf die erneuerbaren Energien Potenziale ha-ben und sich ihre Anteile am Energiemix erobern müs-sen und sie auch erhalten werden, so muss man hier docheinmal die Fakten benennen dürfen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Kotting-Uhl?
Nein.
Mit dem Atomausstiegsgesetz steht Deutschland al-
lein in der Welt. Selbst Schweden und die Niederlande
sind aus ihrem Ausstieg wieder ausgestiegen. Schweden
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3 Anlagen werden derzeit in zehn Ländern gebaut. Bis
020 sind 38 neue Kraftwerke in Planung. Hören Sie
etzt bitte gut zu: Sogar in der Ukraine und in Weißruss-
and erwägen die Regierungen, Kernkraftreaktoren zu
auen.
Nehme ich den Auftrag, für Reaktorsicherheit zu
orgen, auf, dann ist es im Hinblick auf die internatio-
ale Situation wichtig – das ist der FDP ein besonderes
nliegen –, dass wir in Deutschland in Zukunft wieder
öglichst viele Kernphysiker und Ingenieure ausbilden,
ie dieses sicherheitstechnische Know-how zur Verfü-
ung stellen können.
Ich will jetzt hier noch auf einige Ihrer Argumente
ingehen. Sie bestreiten die Wirtschaftlichkeit der Kern-
raft.
Frau Kollegin, Sie können höchstens noch auf ein Ar-
ument eingehen; denn Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ja, das tue ich. – Dann komme ich gleich zum Schluss
nd sage, was wir für wichtig halten.
Es ist wichtig, die Reaktorsicherheit zu garantieren.
ir müssen die Menschen informieren und dürfen keine
ngst schüren. Wir wollen für alle Energieträger eine
ption einräumen und wir meinen, dass gerade Ihre Be-
enken ein Ausbremsen der Forschung im Sicherheits-
ereich zur Folge hatten. Damit haben Sie genau das ge-
ährdet, was Sie eigentlich wollen, nämlich nie wieder
schernobyl.
lso bitte!
Das Wort hat der Minister für Umwelt, Naturschutznd Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel.
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2670 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
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Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit:Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DerKollege Mißfelder hat gefragt, was man aus Tschernobyllernen könne. Ich glaube, eines kann man lernen, dassuns nämlich eine Technologie Schwierigkeiten macht,bei der die Technik und der Mensch immer funktionierenmüssen und bei der Fehler vor allen Dingen nicht beibeiden – bei Technik und Mensch – zum gleichen Zeit-punkt auftreten dürfen.
Herr Mißfelder, ich glaube schon, dass man diese Erfah-rung aus Tschernobyl ziehen darf.Vielleicht mache ich mir bei meiner eigenen Fraktionjetzt nur wenige Freunde, aber ich denke, dass es dasauch schon war, was man für die innerdeutscheDebatte über Atomenergie aus Tschernobyl lernenkann. Ich glaube nämlich nicht, dass wir viel weiterkommen, wenn wir immer nur versuchen, unsere eigeneEnergiepolitik anhand eines Reaktorunglücks, das vor20 Jahren stattgefunden hat, zu definieren. Das wird im-mer nur dazu führen, dass sich jeder die Argumente aus-sucht, die ihm gerade in den Kram passen, und wird je-denfalls nicht dazu führen, dass wir einen Schritt weiterkommen.
Deswegen bin ich sehr dafür, dass man diese prinzi-pielle Lehre beachtet. Herr Kollege Mißfelder, dieseLehre hat auf der linken Seite der Koalition eine prakti-sche Konsequenz. Auf Ihrer Seite hat sie nicht diesepraktische Konsequenz. Ich glaube aber, dass uns dieVorsicht, die man bei einem zu starken Sich-Verlassenauf die Technik, den Menschen und vor allen Dingen aufdas Zusammenwirken beider haben sollte, vielleichtdoch zueinander bringen wird. Ansonsten halte ich eineMenge davon, dass wir uns mit Tschernobyl imJahre 2006 auseinander setzen. Ich finde, das wäre derangemessene Umgang gewesen, den ich in Ihrem Rede-beitrag, Frau Kollegin Kotting-Uhl, ein wenig vermissthabe.
Man könnte den Eindruck haben, es ginge bei Tscher-nobyl nur um die Frage, wie wir damit in der deutschenDiskussion umgehen. In Wahrheit gibt es dort ein massi-ves Problem. Meine Bitte ist, dass Regierung und Bun-destagsfraktionen in den Ausschussberatungen gemein-sam überlegen, was unser Beitrag dazu sein kann, dieschleppende Umsetzung der Sicherung des Sarko-phages in Tschernobyl zu beschleunigen.
Das ist ein ernsthaftes Problem. Es steht nicht nur einefrühere Gefährdung von Menschen durch die Reaktorka-tdDclASswstsVvmmvsdMbspDWZAddzukBigusTdO2dgrB
Das müssen wir bedenken. Die Bundesrepublikeutschland hat sich mit 60 Millionen Euro an der Si-herung beteiligt. Die Gesamtkosten liegen bei 800 Mil-ionen Euro, aktuell bei über 400 Millionen Euro. Dieuftragsvergabe für Maßnahmen zur Ummantelung desarkophags – das sind wichtige Schritte – verläuftchleppend. Es sind Risse aufgetreten. Aus meiner Sichtird hier politisch hoch gepokert. Ich finde, der Deut-che Bundestag und die Bundesregierung müssen ein In-eresse daran haben, nicht nur Mittel bereitzustellen,ondern auch dafür zu sorgen, dass die internationalenerabredungen eingehalten werden, und zwar sowohlon der Ukraine wie von der Russischen Föderation. Dasuss unsere Position sein. Das ist der aktuelle Umgangit Tschernobyl.
Die Sicherung verläuft nicht so gut, wie wir uns dasorstellen. Meine Bitte ist, dass wir darauf in der Diskus-ion über die Beschlussfassung im Deutschen Bundestagas Schwergewicht legen. Schließlich wollen wir dieenschen dort nicht für die innerdeutsche Debatte miss-rauchen, sondern wir wollen die Situation für die Men-chen vor Ort verbessern. Das ist das humanitäre undolitische Interesse der Bundesrepublik Deutschland.arauf – das ist mein Vorschlag – sollten wir Wert legen.
ir haben genug Möglichkeiten, über Kernenergie imusammenhang mit anderen Symbolthemen zu streiten.ber hier müssen wir unsere Zusagen einlösen, nämlichie Bereitstellung humanitärer Hilfe und die Sicherunger Lebenssituation.Zum anderen möchte ich die heutige Diskussion nut-en, um für die Bundesregierung zu erklären, dass wirns für die fast tausend Initiativen in Deutschland bedan-en.
is auf den heutigen Tag haben Tausende von Menschenn Deutschland Patenschaften für Schulen und Kinder-ärten in der Region übernommen, um ihnen zu helfennd ihnen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind. Men-chen, die zum Zeitpunkt der Reaktorkatastrophe inschernobyl noch nicht geboren waren, haben Kinder inen Urlaub eingeladen und für medizinische Hilfe vorrt gesorgt. All das zeigt: Dieses Land ist bereit, über0 Jahre ein gewaltiges ehrenamtliches Engagement aufie Beine zu stellen, das in seiner Wirkung noch vielrößer ist als die Summe, die wir aus Steuergeldern be-eitgestellt haben. Für diese Initiativen bedankt sich dieundesregierung ausdrücklich.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2671
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Bundesminister Sigmar Gabriel
Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter,
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Name des ukrainischen Ortes Tschernobyl steht für
vieles. Er steht für die größte Reaktorkatastrophe der
Geschichte. Er ist gleichzeitig ein Symbol für den An-
fang des weltweiten Widerstands gegen die Atom-
kraft.
Tschernobyl symbolisiert aber auch die kritiklose
Technikgläubigkeit und die Vertuschungen, die nicht nur
für die Sowjetunion, sondern für den gesamten Ostblock
charakteristisch waren. Dass nicht sein sollte, was nicht
sein darf, war jedoch nicht nur im Kreml und im SED-
Zentralkomitee die Maxime. Auch bei bestimmten lin-
ken Organisationen im Westen, den Bruderparteien, war
dies die Richtschnur. Insofern mussten sich in den ver-
gangenen Jahren viele Mitglieder von PDS und Links-
partei, darunter auch ich, kritische Fragen stellen. Die
Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU müssten
dies aber auch tun; denn ich kann mich noch sehr gut er-
innern, wie damals auch bei uns vieles verschwiegen
wurde. Ich denke, das wird auch heute noch der Fall
sein.
Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Die Linke
hat aus den grundsätzlichen und unverantwortlichen Ri-
siken der Atomwirtschaft die einzig mögliche Konse-
quenz gezogen: Wir fordern den schnellstmöglichen
Ausstieg aus der Atomenergie.
Die Zukunft muss ökologisch und sozial beherrschbaren
Energieformen gehören. Das sind Sonne, Wind, Wasser,
Biomasse und Geothermie statt Uran und Plutonium.
Die Argumente, die gegen die Atomkraft sprechen,
sind im Antrag der Grünen noch einmal aufgeführt. Bei-
spielsweise wird darauf hingewiesen, dass der Brenn-
stoff der AKWs nur noch 40 bis 60 Jahre reicht, dass die
Atomkraft nur einen sehr geringen Beitrag zum Klima-
schutz leistet und dass kein einziges deutsches AKW ei-
nem Terroranschlag wie dem auf die New Yorker Twin
Towers standhalten würde. Ich muss Sie von den Grünen
in diesem Zusammenhang fragen, welche Verantwor-
tung Sie haben. Es ist merkwürdig, dass die Grünen in
ihrem Antrag die Restlaufzeiten in Deutschland von über
20 Jahren als angemessen darstellen. Das ist für mich
sehr widersprüchlich. Sind wir nun gefährdet – dann
müssen die Atomkraftwerke schnell abgeschaltet wer-
den – oder nicht?
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Hören Sie bitte zu! – Zudem zählt das Papier
000 Tote als Folge der Katastrophe. Der Bericht ist an
ieser Stelle eine freche Manipulation. Denn warum
ollte der ukrainische Staat sonst an die Angehörigen
on mehr als 17 000 verstorbenen Aufräumarbeitern
ntschädigung zahlen? Es geht dabei durchaus um Zah-
en. Ich finde das sehr interessant.
Die stellvertretende Ministerin der Ukraine für Kata-
trophenschutz, Tetyana Amosova, erklärte dementspre-
hend: „Wir können nicht verstehen, was das für Daten
ind.“ Lügen, Halbwahrheiten, Verdrehung von Tatsa-
hen und Unterschlagung von Informationen – das ist
er Stoff, mit dem die Atommafia gearbeitet hat und im-
er noch arbeitet.
Ich komme zum Schluss. Wir fahren Sonntag nach
schernobyl. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass gerade
ie Partei, die das „C“ im Namen führt, sieht, was dort
assiert ist. Leider haben Sie sich nicht durchringen kön-
en, den Umweltausschuss zu begleiten. Ich werde per-
önlich den Kolleginnen und Kollegen und den Atom-
pfern vor Ort das Mitgefühl des Herrn Mißfelder
itteilen.
ie lernen nämlich nichts aus solchen Unfällen.
Das Wort hat der Kollege Christoph Pries, SPD-Frak-ion.
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2672 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
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Frau Präsidentin! Herr Minister Gabriel – lieber
Sigmar –, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte
mit einer kleinen Geschichte beginnen. Nikolai Kalugin
lebte mit seiner Familie in Pripjat unweit des Unglücks-
reaktors von Tschernobyl. Kurz nach der Katastrophe
wird die Familie evakuiert. Sie darf nichts mitnehmen.
Doch eine Sache kann Nikolai Kalugin nicht zurücklas-
sen: die Haustür seiner Wohnung. Es ist die Tür, auf der
nach alter Tradition die Toten aufgebahrt werden und auf
der seit Generationen Jahr für Jahr das Wachstum der
Kinder mit einer Einkerbung dokumentiert wird.
Nikolai Kalugin hat es geschafft. Mit Hilfe seines
Nachbarn hat er seine Tür an den Sicherheitskontrollen
vorbei aus der Stadt gebracht. Nikolai Kalugin hat seine
Tür noch gebraucht. Einkerbungen musste er nicht mehr
machen.
Ich kenne weder Nikolai Kalugin, noch weiß ich, ob
der Krebs, der seine sechsjährige Tochter getötet hat, mit
Sicherheit auf die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl
zurückzuführen ist. Für den Vater Nikolai Kalugin be-
steht daran kein Zweifel. Mir persönlich reicht das.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte
den Opfern der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl
im Namen der SPD-Bundestagsfraktion unser Mitgefühl
aussprechen.
Gleichzeitig möchte ich von dieser Stelle auch den
weltweiten Einsatz zahlloser Organisationen und Initiati-
ven für die Opfer von Tschernobyl würdigen. Dieses
selbstlose Engagement seit nunmehr 20 Jahren verdient
unsere höchste Anerkennung.
Welche Bedeutung hat die Reaktorkatastrophe von
Tschernobyl heute noch? Sie hat noch immer gravie-
rende Auswirkungen für die unmittelbar betroffenen
Staaten, die Ukraine und Weißrussland. Im September
2005 haben die Vereinten Nationen einen Bericht über
die Folgen der Katastrophe von Tschernobyl vorgelegt.
Der Bericht entstand unter der Federführung der Inter-
nationalen Atomenergieorganisation. Er dürfte daher
selbst für glühende Befürworter der Atomenergie akzep-
tabel sein. Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass
man mit insgesamt 4 000 Todesopfern rechnen muss,
dass bisher 4 000 Kinder an Schilddrüsenkrebs erkrankt
sind, dass 350 000 Menschen infolge der Katastrophe
ihre Heimat verloren haben, dass eine Fläche von mehr
als 200 000 Quadratkilometern kontaminiert wurde und
dass sich der Gesamtschaden der Katastrophe auf meh-
rere Hundert Milliarden US-Dollar beläuft. Dies sind
wohlgemerkt die Zahlen der Internationalen Atomener-
gieorganisation. Umweltorganisationen, Experten und
Hilfsorganisationen gehen bei ihren Schätzungen von
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schernobyl ist das Symbol für die Folgen einer Techno-
ogie, bei der es trotz der Einhaltung höchster Sicher-
eitsstandards keine Garantie für ihre Beherrschbarkeit
ibt.
Wir Sozialdemokraten haben daraus die Konsequen-
en gezogen. Die Arbeitsgruppe „Umwelt“ der SPD-
undestagsfraktion hat diese Konsequenzen in ihrer
schernobylresolution nochmals bekräftigt. Wir setzen
uf zukunftsfähige und sichere Technologien. Wir set-
en auf den Ausbau der erneuerbaren Energien.
ir setzen auf Energieeffizienz und Energieeinspa-
ung. Atomenergie ist für uns – ebenso wie für die
ehrheit der Bevölkerung – ein Auslaufmodell.
Abschließend möchte ich noch den Fachkolleginnen
nd Fachkollegen von der Union für die sachliche Zu-
ammenarbeit in den letzten Wochen danken.
ir standen kurz davor, nach 20 Jahren erstmals einen
emeinsamen Antrag zur Reaktorkatastrophe von
schernobyl auf den Weg zu bringen. Dass es nicht dazu
ekommen ist, bedauern wir sehr. Dass Ihrer Fraktions-
pitze letztlich der Mut gefehlt hat, unterstreicht nur
llzu deutlich, welche Bedeutung Tschernobyl heute
och hat, und zwar gerade für Sie.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufrucksache 16/860 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungo beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2673
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerZweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzesüber die Deutsche Nationalbibliothek
– Drucksache 16/322 –Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Kultur und Medien
– Drucksache 16/896 –Berichterstattung:Abgeordnete Monika GrüttersJörg TaussHans-Joachim Otto
Dr. Lukrezia JochimsenKatrin Göring-EckardtNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-gin Professor Monika Grütters, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!Friedrich Schiller, unser großer Dichter, Stolz eines gan-zen Volkes, beschwor dieses einst mit den Worten:Zur Nation euch zu bilden, ihr hoffet es, Deutsche,vergebens.Deutschland ist eben zuallererst Kultur- und dann ersteine politische Nation. Friedrich Schiller und JohannWolfgang von Goethe, die Begründer dieser Art Kultur-nation, bezogen sich darauf, dass Deutschland damalseben keine einige Nation war, sondern seine verschiede-nen Stämme nur durch die Kultur als einem einigendenBand zusammengehalten wurden. Deutschland ist bisheute in besonderer Weise ein Land der Kultur. Wir sa-gen nicht ohne Grund: das Land der Dichter und Denker.Wie können wir Heutigen das schöner und treffenderausdrücken als durch die Benennung einer National-bibliothek? Denn der Gesetzentwurf über die DeutscheNationalbibliothek hat durchaus grundsätzlichen Cha-rakter, der über die pragmatische Ausweitung des Sam-melauftrags der Deutschen Bibliothek in Frankfurt amMain und Leipzig hinausweist.Hauptzweck der konstitutiven Neufassung des Geset-zes über die Deutsche Bibliothek aus dem Jahre 1969 istdie Ausweitung dieses Sammelauftrages auf digitale Pu-blikationen. Das ist unstrittig und im Übrigen längstüberfällig.Widerspruch aber hat sich in einigen Reihen der Op-position nur bei der Änderung des Namens der Deut-schen Bibliothek in Deutsche Nationalbibliothek geregt.Ich frage vor allem Sie von der FDP, wovor Sie da ei-gentlich Angst haben: vor der Frage nach der Nation, vorder Frage nach unserem Selbstverständnis, das darinzum Ausdruck kommt, oder vor der Konkurrenz einerDeutschen Nationalbibliothek mit ihren großen Schwes-tern im In- und Ausland?sbtndFsf2DlBggstbDwDsiMnbsgDstabkaNemVdtaUizBsIfm
ie ehemalige Preußische Staatsbibliothek in Berlin,chon 1661 gegründet, zeichnet sich vor allem durchhre Autografensammlung aus. Dort liegen zum Beispielozarts „Zauberflöte“ und Beethovens „Neunte“. Dieoch früher – 1558 – gegründete Bayerische Staatsbi-liothek verfügt über eine beispiellose Handschriften-ammlung und ist nach der British Library die zweit-rößte Zeitschriftensammlung der ganzen Welt.Eine Analogie zum Sammelauftrag der künftigeneutschen Nationalbibliothek lässt sich bei allem Re-pekt vor der Professionalität und jeweiligen Einzigar-igkeit der Sammlungstraditionen in Bayern und Berlinllerdings nicht begründen. Die Deutsche Nationalbi-liothek ist die einzige, die mit der vollständigen Publi-ation in und über Deutschland und übrigens der Her-usgabe der Nationalbibliografie Kernaufgaben einerationalbibliothek erfüllt. Wir sind der Meinung, sie gilts daher auch den internationalen Partnern gegenüberit Namen kenntlich zu machen.Mit der Benennung zweier Parlamentarier für denerwaltungsrat haben wir im Kulturausschuss übrigensafür gesorgt, dass der Charakter der Bibliothek als na-ionaler Einrichtung auch symbolhaft unterstrichen wird.
Finanziert wird die durch den erweiterten Sammel-uftrag notwendige Budgeterhöhung übrigens durchmschichtungen im Kulturhaushalt. Auch das, finde ich,st ein gutes Zeichen.Ob auf Papier oder im Netz, Bücher sind ein unver-ichtbarer Bestandteil unserer kulturellen Identität.ibliotheken sind weit mehr als bloße Büchersammel-tellen. Sie sind vielmehr elementare Einrichtungen fürnformation und Wissen. Sie sind ein zentraler Bausteinür Demokratie, weil sie den Zugang zur Literatur er-öglichen.
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2674 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
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Monika GrüttersDer Begriff der Kulturnation erinnert uns gerade hieran ein kostbares Erbe. Er fordert uns darüber hinaus zueigener Kreativität heraus. Mit der Deutschen National-bibliothek setzt die Kulturnation Deutschland ein schö-nes und würdiges Zeichen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Christoph Waitz, FDP-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Symbolpolitik ist dasSchlagwort, mit dem sich die ersten Monate der Arbeitder Bundesregierung am besten charakterisieren lassen.Es ist eine Politik, die vor allem auf ihre äußere und öf-fentliche Wirkung setzt, die Probleme aber nicht wirk-lich grundlegend angeht. Es ist eine Politik, die im bes-ten Falle verändert, aber keine dauerhafte Verbesserungschafft.Auch der vorliegende Entwurf eines Gesetzes überdie Deutsche Nationalbibliothek fällt in die Rubrik Sym-bolpolitik.
Das ist es, was die Bundesländer, die gesamte Presse-landschaft, Herr Tauss, und vor allem die Bibliotheken– auf die sollten wir hören – fast einhellig kritisieren.Dabei fällt ein wenig unter den Tisch, dass der Gesetz-entwurf ansonsten sehr viel Sinnvolles enthält.
Bei der Erweiterung des Sammlungsauftrages darfman sich allerdings fragen, warum die Anpassung an dasdigitale Zeitalter erst in den Jahren 2005 und 2006 erfol-gen kann. Dieser eigentliche Bestandteil, die Substanzdieses Gesetzentwurfs, ist zwischen den Fraktionen auchnicht mehr streitig. Ich möchte mich aber auf das kon-zentrieren, was wir als das entscheidende Problem diesesGesetzentwurfs ansehen: Die Deutsche Bibliothek ist– bei aller Wertschätzung der unter diesem Namen ver-einten Institutionen – nicht die Deutsche Nationalbiblio-thek.
Wir Deutschen haben keine Nationalbibliothek.Frau Professor Grütters, damit komme ich auf IhreFrage zu sprechen. Nach den Kriterien der UNESCOsetzt der Begriff Nationalbibliothek voraus, dass es sichum die führende Groß- und Universalbibliothek einesLandes handelt, die das wissenschaftliche SchrifttumwkwwrBkkdtuDsNbdlßwGhIdvDSnwtsfcgubSeDzcsBUzB
ie Umbenennung provoziert doch geradezu Abgren-ungsaktivitäten der großen Staatsbibliotheken in Mün-hen und Berlin, die um ein Vielfaches größer und älterind als die Deutsche Bücherei Leipzig und die Deutscheibliothek Frankfurt am Main. Was soll also eine solchembenennung, wenn keiner davon profitiert – sie produ-iert keinen Mehrwert –, noch nicht einmal die Deutscheibliothek selbst?
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2675
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Christoph WaitzIch bin der festen Überzeugung, Frau ProfessorGrütters, dass wir der Deutschen Bibliothek mit dernicht zu tragenden Bürde, von nun an Nationalbibliothekzu heißen, keinen Gefallen tun.
Daher appelliere ich an Ihre Vernunft, Frau Professor
Lassen Sie die-
sen Gesetzentwurf so nicht passieren! Stellen Sie nicht
die Fraktions- und Regierungsdisziplin über die Erkennt-
nis, dass die Umbenennung der Deutschen Bibliothek
widersinnig und nachteilig für die Bibliotheken in
Deutschland ist.
Haben Sie recht herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Jörg Tauss, SPD-
Fraktion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
So viel Vorfreude hat es früher nicht gegeben; aberdas ist ja okay.Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Lieber Kollege Waitz, Sie haben sich hier richtigum das Namensthema bemüht. Ich möchte sagen: Rüs-ten Sie jetzt einmal ein bisschen ab! Sie können davonausgehen: Die deutschen Bibliotheken sind nicht sokleinkariert, wie Sie es ihnen unterstellen; sie werdenkooperieren.
Zu dem Namensthema wird mein Kollege Pries eini-ges sagen. Ich möchte mich dem zweiten Kapitel zuwen-den, das bei Ihnen nur nebenbei angesprochen wurde,zunächst einmal aber meiner Freude Ausdruck verlei-hen: Bücher haben heute einen tollen Stellenwert in die-sem Parlament.
Nach der Buchpreisbindung haben wir jetzt zum zweitenMal ein Thema, bei dem es um Bücher geht, und das al-les zu repräsentativen Zeiten und nicht zu nachtschlafen-der Zeit.
Ich freue mich sehr, dass wir es als Koalition ge-schafft haben, an das Werk der letzten Legislaturperiodeanzuknüpfen. Wir diskutieren ja nicht erst seit gesternüber das Thema, das Gegenstand des Gesetzentwurfs ist.Es geht nicht um ein Gesetz zur Änderung des Namens– über die Namensgebung ist nur in diesem Zusammen-hang diskutiert worden –, sondern es geht um den Ent-wurf eines Gesetzes über die Deutsche Nationalbiblio-thagwSBmmneNpktWfhdhndüsmw–tfwilEtmddWlnHdssdewtehZ
er hat das damals unter Hohn und Gelächter abge-ehnt? Unter anderem die Bundesregierung, die von Ih-en mit getragen worden ist. Damals hat die FDP ihrerz für die digitalen Medien noch nicht so recht ent-eckt gehabt. Es ist ja okay, wenn dies heute anders ist.Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns nichttreiten, sondern diesen Gesetzentwurf gemeinsam be-chließen! Es ist nicht so – wie gesagt wird –, dass sichie Bibliotheken kollektiv aufregen. Es gibt natürlichine Debatte über diese Frage, aber die gesamte Fach-elt sagt, dass der Gesetzentwurf, den wir heute in zwei-er und dritter Lesung verabschieden wollen, ein Gesetz-ntwurf ist, der der Deutschen Bibliothek, wie sie bishereißt, und in Zukunft der Deutschen Nationalbibliothekukunftschancen einräumt, wie wir es wollen, wie es in
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2676 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
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Jörg Taussanderen Staaten der Fall ist und wie es die UNESCOauch gefordert hat. Aus diesem Grunde können und soll-ten wir alle heute zustimmen.
Das ist kein kampfentscheidender Gesetzentwurf, aberer gewährleistet ein Stück Zukunft für die Bibliothekund für die Erhaltung des kollektiven digitalen Gedächt-nisses. Es geht um das gesamte archivarische Gedächtnisunserer Gesellschaft.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Lukrezia Jochimsen,
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir hätten heute über einen guten Gesetzentwurf end-gültig beraten können: den Ausbau der Bundesanstalt„Die Deutsche Bibliothek“ zu einer digitalen Biblio-thek der Zukunft. Denn es ist unbestreitbar wichtig undnotwendig, neben dem großen Fundus der Bücher undTonträger seit 1913, der in Frankfurt am Main und inLeipzig gesammelt wird, nun auch digitales Kulturgut zubewahren und nutzbar zu machen. So weit, so gut.
Aber leider wird diese notwendige Zukunftsinvesti-tion im Haushalt des Beauftragten der Bundesregierungfür Kultur und Medien nicht zusätzlich finanziert, wiesich das für eine neue, vorher nicht zu leistende Aufgabegehört,
sondern durch Einsparungen, wie es ausdrücklich imGesetzentwurf heißt, oder durch Umschichtungen, wieuns bei der Beratung im Ausschuss für Kultur und Me-dien versichert wurde. Einsparungen oder Umschichtun-gen – was ist da der Unterschied? Was genau wird umge-schichtet? Wo wird eingespart?Wir vertreten den Standpunkt: Wenn Kultur Investi-tion in die Zukunft ist, dann muss ein Kulturetat auch zu-sätzliche Mittel für wichtige Zukunftsaufgaben haben.
So weit, so schlecht.Aber es kommt noch schlechter. Im Zuge ausgerech-net dieser Modernisierung bekommt die Bundesanstalt„Die Deutsche Bibliothek“ nun den altmodischen, pom-pösen Namen „Deutsche Nationalbibliothek“.
InSLIdsLiPrnDLszmgvsltRVDQsbkrAVNwt
oll damit vielleicht so etwas wie eine deutschnationaleeitkulturdebatte angestoßen werden?
n der Rede von Frau Professor Grütters wurde genauas sehr stark an den Anfang dieser Debatte gestellt.
Seit der Einheit erfüllt die Deutsche Bibliothek – ichage das noch einmal: nicht die Frankfurter oder dieeipziger, sondern die Deutsche Bibliothek –
hren Auftrag für das ganze Land, zusammen mit derreußischen und der Bayerischen Staatsbibliothek. Wa-um also jetzt diese Umbenennung? Weder die Nutzeroch die Mitarbeiter haben das gefordert.
as wird jetzt gemacht, weil die Idee in der vergangenenegislaturperiode aufkam und nun umgesetzt werdenoll, ohne überzeugende Begründung. Hier ist keine ein-ige überzeugende Begründung gefallen.
Die Hinweise auf den internationalen Gebrauch stim-en schlicht und ergreifend nicht. Denn die Namen derroßen internationalen Bibliotheken sind – der Kollegeon der FDP hat das ja gesagt – entsprechend ihrer Ge-chichte und ihrer Tradition ganz und gar unterschied-ich. Was also sollen die deutschnationalen Bücher?Dass dann im Gegensatz zum pompösen nationalen Ti-el im Verwaltungsrat wenig nationale parlamentarischeepräsentanz aufscheint, ist ein weiterer kritischer Punkt.on 13 Mitgliedern werden gerade zwei Personen vomeutschen Bundestag entsandt – eine recht schlechteuote.
Ja, es hätte ein gutes Gesetz werden können: Die Um-tellung auf das digitale Zeitalter der Bibliothek ist zuegrüßen. Sie hätte es auch verdient, als wirkliche Zu-unftsinvestition finanziert zu werden. Sie hätte bei ih-em guten, eingeführten und durchaus der nationalenufgabe verpflichteten Namen bleiben und in ihremerwaltungsrat mehr Parlamentarier vertragen können.un ist aus diesen letzten drei Punkten leider nichts ge-orden. Das ist schade und der Grund, warum die Frak-ion Die Linke den Gesetzentwurf ablehnen wird.
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Dr. Lukrezia Jochimsen
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Kai Gehring, Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Zunächst einmal möchte ich mich bei den Kolleginnenund Kollegen der großen Koalition dafür bedanken, dasssie den rot-grünen Gesetzentwurf zur Einrichtung derDeutschen Nationalbibliothek so gut wie unveränderteingebracht haben.Frau Jochimsen, was Sie hier heute wieder geäußerthaben, finde ich wirklich sehr abenteuerlich. Dazu hatmeine Kollegin in der ersten Lesung eigentlich schon al-les gesagt. Der Begriff Deutsche Nationalbibliothek hatnichts mit Großmäuligkeit und Nationalismus zu tun,sondern ist ein angemessener Begriff und eine Weiter-entwicklung der Deutschen Bibliothek.
Auch bei der Bezeichnung deutsche Fußballnational-mannschaft denkt doch niemand an Nationalismus. DerBegriff Deutsche Nationalbibliothek wird sich in dennächsten Jahren mit Sicherheit einbürgern.
Die Deutsche Bibliothek ist – das steht außer Frage –die zentrale Archivbibliothek in Deutschland. Auch derEinwand der FDP in der ersten Lesung – und auch heutewieder –, die Bibliothek habe den neuen Namen Deut-sche Nationalbibliothek deswegen nicht verdient, weilihre Bestände im Unterschied zu anderen Nationalbiblio-theken in Europa nur bis 1913 reichen, kommt mir dadoch reichlich kleinkariert vor.
Die im heute zu beschließenden Gesetz vorgeseheneErweiterung des Auftrags der Deutschen Bibliothek aufdie Bewahrung und Nutzung des digitalen Kulturerbesfür Literatur, Wissenschaft und Praxis ist mehr als über-fällig.
Wir leben im digitalen Zeitalter. Es wäre eine kulturpoli-tische Katastrophe, wenn bedeutsame digital im Netzpublizierte Dokumente der Nachwelt nicht erhalten blie-ben. Es ist zu begrüßen, wenn hier systematisch ein digi-tales Archiv entsteht, das unser kulturelles GedächtnisfanthMdNDmbsCetk–ttBsWadWrShtEBdjwhn
Aber die Jungen werden damit groß.Lassen Sie mich noch ein paar Sätze zu den organisa-orischen und finanziellen Aspekten der Deutschen Na-ionalbibliothek sagen. Wir finden es erfreulich, dass derundestag nun doch im Verwaltungsrat mit vertretenein soll.
ie bei vielen anderen Gremienbesetzungen werdenber sicherlich nur wieder die beiden großen Fraktionenort vertreten sein.
ir wünschen uns für die Zukunft, dass auch die kleine-en Fraktionen hier mehr beachtet werden.
Was die Finanzierung der durch den erweitertenammelauftrag der Deutschen Nationalbibliothek entste-enden Mehrausgaben angeht, werden wir als Grüne na-ürlich ganz genau hinschauen, wo die angekündigteninsparungen zur Gegenfinanzierung im Haushalt deseauftragten für Kultur und Medien vorgenommen wer-en.
Wir werden es in den Haushaltsberatungen für 2007edenfalls nicht akzeptieren, wenn im Gegenzug beiichtigen Kulturförderungen gekürzt wird. Wir erwartenier ein klares Wort von der Bundesregierung, woher ge-au das Geld dafür kommen soll.
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Kai Boris Gehring– Nein, es ist noch nicht klar gesagt worden, woher dasGeld für 2007 ganz konkret kommen soll.
So wichtig und sinnvoll die Einrichtung der Deut-schen Nationalbibliothek ist: Wir sollten trotzdem undgerade deshalb die kleinen Bibliotheken in den Kom-munen nicht vergessen. Ihr Erhalt ist wichtig im Sinneeines gleichberechtigten Zugangs zu kultureller Bildung.Dass trotz steigender Nutzerzahlen mehrere Hundert Bi-bliotheken in diesem Land jährlich schließen müssen,finden wir äußerst besorgniserregend.
Bevor es zu spät ist, brauchen wir dringend eine kon-zertierte Aktion von Bund, Ländern und Kommunen fürdie Zukunft unserer Bibliothekslandschaft und ihrewichtige Rolle für die kulturelle Bildung. Ich fordere dieBundesregierung auf, hier endlich aktiv zu werden.
Das Wort hat der Kollege Philipp Mißfelder, CDU/
CSU-Fraktion.
Kollege Tauss, Sie kommen in meiner Rede auf jedenFall vor.Ich möchte mit einer ernsthaften Bemerkung in Rich-tung Linkspartei beginnen. Frau Jochimsen, mich wun-dert nicht, dass Sie Probleme mit dem Begriff Nation ha-ben. Denn die Linkspartei und die WASG haben bishernoch nie den Eindruck gemacht, als ob sie mit Deutsch-land oder mit unserer Nation auch nur im Geringsten et-was zu tun haben möchten.
Aber das ist nicht Gegenstand meiner Rede.Ich bin, wie Herr Kollege Tauss vorhin schon richti-gerweise ausführte, für die Fragen der technischen Neue-rungen, die in dem Gesetzentwurf in erster Linie behan-delt werden, zuständig und spreche auch dazu.Ich bin mir sicher, dass dieser Gesetzentwurf – Kol-lege Gehring hat gerade richtigerweise gesagt, dass die-ses Anliegen schon vorher auf den Weg gebracht wordenist – ein wichtiger Beitrag dazu ist, im digitalen Wettbe-werb aufzuholen. Wir sehen, was sich dort im privat-wirtschaftlichen Bereich tut – ich nenne das StichwortGoogle – und welche neuen technologischen Planungenauf die Internetwelt zukommen. Dies muss unsererseits,seitens des Staates begleitet werden und auch im euro-päischen Rahmen Berücksichtigung finden. Dazu solltedie Bundesrepublik Deutschland einen Beitrag leisten,und zwar aus folgendem Grund: Wir sollten im digitalenZvuhfnFhddDegsvpdwmdGwnlkadmdZgtimDfthFggtdwssgWFd
azu wird die digitale Bibliothek ihren Beitrag leisten.Kollege Tauss hat am 19. Januar dieses Jahres in derrsten Lesung dieses Gesetzentwurfes bereits darauf hin-ewiesen: Jeder kennt die Frage – und stellt sie sichelbst –, wie das enorme Wissen, das tagtäglich von Uni-ersitäten, Akademien, Verlagen oder auch von Privat-ersonen in die digitalen Netze gestellt wird, auch fürie nachfolgenden Generationen verfügbar gehaltenerden kann. Deswegen ist der Gesetzentwurf vollkom-en richtig.Eine Innovation von Speichermedien folgt auf die an-ere. Systeme ändern sich; die Entwicklung auf diesemebiet bleibt rasant. Viele wichtige Erkenntnisse undissenschaftliche Publikationen werden ohnehin nuroch digital und gar nicht mehr in Buchform veröffent-icht. Ich glaube trotzdem – wir haben vorhin eine Dis-ussion darüber geführt –, dass das Buch und der Druckn sich auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen wer-en. Es muss daher keinerlei Besorgnis, wie ich dies inanchen Veröffentlichungen lese, geben, dass das Buchurch die Digitalisierung in den Bibliotheksbereichen inukunft infrage gestellt wird. Dies wird es nicht. Die Di-italisierung soll ausdrücklich nur eine ergänzende Funk-on haben, um den Zugang von jedem Ort dauerhaftöglich zu machen. Das ist der entscheidende Vorteil.ie Bibliothek muss einen Beitrag dazu leisten, dass vonast jedem Ort aus die Verfügbarkeit über eine Informa-ion möglich ist.Vorhin hatte ich die Frage der in diesem Zusammen-ang gebotenen Europäisierung angesprochen. Inrankreich werden Initiativen ergriffen, den Bestrebun-en einer von mir schon genannten Internetfirma entge-enzutreten. Denn niemand weiß, wie sehr bei allem Op-imismus, den ich der Internetwirtschaft gegenüber habe,ie kulturelle Identität in Mitleidenschaft gezogen wird,enn der Staat sich aus diesem Bereich komplett verab-chiedet.
Deshalb glaube ich, dass unser Gesetzentwurf ein ent-cheidender Beitrag sein kann, diesem Problem entge-enzuwirken und diese Fragestellungen zu bearbeiten.ir sollten uns um dieses Thema und nicht mehr um dierage der Umbenennung kümmern. Dies ist gleich nacher Abstimmung ohnehin entschieden und deswegen
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Philipp Mißfelderkönnen wir uns getrost auf das konzentrieren, was tat-sächlich wichtig ist, nämlich die neuen technologischenHerausforderungen anzunehmen.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Christoph Pries,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrter StaatsministerNeumann! Kolleginnen und Kollegen! Ich freue michsehr, dass wir heute gemäß dem Motto „Was langewährt, wird endlich gut“ einen Schlussstrich unter dieDebatte ziehen können, die nicht erst seit Einbringungdes Entwurfes eines Gesetzes über die Deutsche Natio-nalbibliothek in den Deutschen Bundestag, sondern be-reits seit über 150 Jahren Geist und Gemüt bewegt.Die Bibliothekswissenschaft hat zahlreiche vergebli-che Anläufe dokumentiert, eine Nationalbibliothek inDeutschland zu etablieren. Ein Beispiel: Karl ChristianSigismund Bernhardi war 1843, fünf Jahre bevor er alsAbgeordneter in die Frankfurter Nationalversammlunggewählt wurde, als Bibliothekar in Kassel beschäftigt. Indiesem Jahr kam es zu der Eingabe des Herrn Bernhardian die Preußische Akademie der Wissenschaften, diesemöge sich engagieren, den König von Preußen für denGedanken einer Deutschen Nationalbibliothek zu gewin-nen.Der Buchhandel solle je ein Exemplar eines jeden inDeutschland erscheinenden Buchwerks dieser Biblio-thek übergeben. Darauf aufbauend sollte die Bibliogra-fie von Deutschland erstellt werden.Die Vollständigkeit der Sammlung war Bernhardi be-sonders wichtig. In seiner Eingabe heißt es:Wenn nämlich auch in Deutschland, wie dieß inFrankreich Gesetz ist, Ein Exemplar von Allem,was gedruckt wird, ohne Ausnahme an eine deut-sche Nationalbibliothek eingeliefert werden müßte,so wäre das der Ort, wo jeder Gelehrte eine voll-ständige Ergänzung der Bibliotheken findenkönnte, welche ihm in seiner nächsten Umgebungzugänglich sind.Schauen Sie nach Frankfurt! Dort sehen Sie genaudas, was sich Herr Bernhardi bereits vor 160 Jahren er-träumte: eine Bibliothek, welche die Ansprüche erfüllt,die an eine Nationalbibliothek zu stellen sind. Hier wer-den sämtliche Publikationen aus und über Deutschland,alle in Deutschland veröffentlichten ausländischen Pu-blikationen sowie sämtliche deutschsprachige Literaturdes Auslands gesammelt. Auch erscheint hier mit derNationalbibliografie ein Verzeichnis, dem es vergönntist, einen Namen zu tragen, der die Funktion bestens um-schreibt. Die Einrichtung in Frankfurt, unter deren Dachdie Nationalbibliografie erscheint, hat die Funktion undddsSMdggBrfndmrsalbDajstjtl„zkN„ncNekabsteZd
In meinen Augen macht die bisherige Bezeichnungeinen Sinn und ist zudem irreführend. Lassen Sie unslso internationalen Gepflogenheiten folgen und der Bi-liothek den Namen geben, der nicht nur ihrer Funktion,ondern auch ihrer Bedeutung und internationalen Be-rachtung entspricht.
Ich begrüße im Übrigen ausdrücklich die Beschluss-mpfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien.ukünftig entsendet der Bundestag zwei Mitglieder inen Aufsichtsrat der Deutschen Nationalbibliothek.
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Christoph PriesDas unterstreicht den Charakter der Bibliothek als un-sere Nationalbibliothek.Im Grunde haben wir bereits eine Nationalbibliothek.Lassen Sie uns endlich diese auch so bezeichnen!Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über
die Deutsche Nationalbibliothek, Drucksache 16/322.
Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/896, den
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der SPD,
des Bündnisses 90/Die Grünen, der CDU/CSU bei Ge-
genstimmen der FDP und der Fraktion der Linken ange-
nommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit denselben Mehrheiten wie in zweiter Bera-
tung auch in dritter Beratung angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Ordnungspolitischer Kompass für die deut-
sche Energiepolitik
– Drucksache 16/589 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Kurt Hill, Dr. Gesine Lötzsch, Eva Bulling-
Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der LINKEN
Die zukünftige Energieversorgung sozial und
ökologisch gestalten
– Drucksache 16/1082 –
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as mag die Bedeutung der Energiepolitik auch nochinmal unterstreichen. Wenn ich mehr Ordnungspolitikm Energiebereich fordere, dann heißt das, dass imückblick in den letzten acht Jahren – das wurde zwarchon von Rot-Grün begonnen, wird aber leider von derot-schwarzen Koalition fortgesetzt – der Pfad des Diri-ismus und der Staatsgläubigkeit beschritten wurde undeiter beschritten wird. Dagegen sprechen wir uns dezi-iert aus.
Beim Energiegipfel haben wir es gesehen: Die wich-igen Fragen werden ausgespart: Wie sieht der künftigenergiemix aus? Inwieweit wollen wir mehr Wettbe-erb und Markt verwirklichen? Wie wird sich der Emis-ionshandel gestalten? Es ist ja vorgesehen, dass etwa0 Prozent der Zertifikate versteigert werden sollen. Wirtellen uns vor, dass der Versteigerungserlös zum Bei-piel zur Senkung der Stromsteuer eingesetzt werdenönnte, damit die Bürger und unsere Wirtschaft entlasteterden. Wir fordern, dass auf diesem Weg der hohetaatliche Anteil an den Strompreisen endlich gesenktird. Er beträgt – das wissen Sie alle; wir haben übri-ens die zweithöchsten Strompreise in der EU – 40 Pro-ent. Der Staat muss sich an der Stelle zugunsten vonehr Markt und Wettbewerb zurücknehmen.
Wir haben in dem Antrag, den wir Ihnen heute vorle-en und von dem wir hoffen, dass er auch für Sie dieeitlinien einer künftigen Energiepolitik beschreibt, dreirundsätze niedergelegt, die wir Ihnen besonders mituf den Weg geben wollen.
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Gudrun KoppDer erste Grundsatz lautet: Die soziale Marktwirt-schaft, also die Bestimmung von Preisen, Verbrauch undInvestitionen durch Markt und Wettbewerb, soll auch inder Energiepolitik endlich eine stärkere Bedeutung er-halten.
Zweiter Grundsatz: Die Eingriffe des Staates müssenauf das notwendige Maß begrenzt und marktkonformausgestaltet werden.Dritter Grundsatz: Subventionen dürfen nur aus-nahmsweise gewährt werden; sie müssen zeitlich eng be-fristet und degressiv sowie marktwirtschaftlich ausge-staltet sein.Von alldem, meine lieben Kollegen und Kolleginnen,ist derzeit nichts zu spüren, im Gegenteil. Ich erwähne esnoch einmal ausdrücklich: Wenn wir Klimaschutz, Ver-sorgungssicherheit, Bezahlbarkeit von Energie trotz desimmer weiter steigenden Energiehungers in der Welt ge-währleisten wollen, dann brauchen wir auch in Zukunfteinen breiten Energiemix. Insbesondere an die CDU/CSU-Fraktion gerichtet möchte ich sagen: Sorgen Sie da-für, dass der Streit in der Koalition um die künftige Nut-zung der Kernenergie endlich beendet wird! Ermögli-chen Sie eine Verlängerung der Laufzeiten derKernkraftwerke! Denn auf diese Weise können wir fürKlimaschutz, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeitvon Energie sorgen.
Denken Sie daran, dass auch in dem Statusberichtder Bundesregierung mit Blick auf die Zukunft davonausgegangen wird, dass, neben den erneuerbaren Ener-gien, Gas und Kohle vermehrt genutzt werden müssen.Beim Gas soll sich der Bedarf in Zukunft sogar mehr alsverdoppeln.
– Das steht im Statusbericht der Bundesregierung.Schauen Sie nach.
Das heißt, dass Sie den Klimaschutz und die Versor-gungssicherheit hintanstellen und die Importabhängig-keit unseres Landes – denken Sie an Gasprom, an Russ-land – steigt.Das wollen wir nicht. Wir möchten bei den Kohle-kraftwerken neueste Technologien einsetzen und bei denerneuerbaren Energien verstärkt in Forschung investie-ren. Wir möchten, dass die Stromerzeugung aus Kern-energie durch eine Verlängerung der Laufzeiten derKernkraftwerke möglich bleibt.
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as sind Allgemeinplätze, denen wir alle hier im Hausvielleicht mit Ausnahme der Kollegen von ganz links –ustimmen. Wir sind – das will ich gleich hinzufügen –uf dem Weg, diese Forderungen umzusetzen. Mit demnergiegipfel haben wir in dieser Woche den Startschussazu gegeben.Der zweite Antrag wurde von der Fraktion DIEINKE vorgelegt. Er geht nicht nur haarscharf an denealitäten vorbei, sondern meilenweit. Sie sprechen da-on, dass unsere Energiepolitik internationale Konfliktechürt. Im Gegensatz zur FDP schlagen Sie immerhinnstrumente vor. Sie sind aus meiner Sicht allerdingsbstrus. Sie fordern die Verstaatlichung der Netze, so
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Dr. Joachim Pfeiffergenannte Bürgerenergienetze und andere Dinge mehr.All das sind Instrumente aus der sozialistischen Motten-kiste, die in der Vergangenheit nirgendwo auf der Weltfunk-tioniert haben. Deshalb brauchen wir uns mit die-sem Antrag nicht weiter zu beschäftigen.Was sind die Herausforderungen und wie wollen wirsie angehen? In der Tat hat unsere Wirtschaft, und zwarnicht nur die energieintensive Wirtschaft, Wettbewerbs-fähigkeit eingebüßt. Diese Wettbewerbsfähigkeit müs-sen wir dringend wieder erlangen. Das bedeutet, wirmüssen kurz- und mittelfristig handeln. KurzfristigeMaßnahmen haben wir mit dem Energiewirtschaftsge-setz eingeleitet. Frau Kopp, dieses Gesetz haben wir imVermittlungsausschuss zusammen mit der SPD und denGrünen – auch das muss man einmal sagen – auf denWeg gebracht. Mit der zurzeit in Entwicklung befindli-chen Anreizregulierung werden wir einen Beitrag dazuleisten, dass die vorhandenen Potenziale bei denNetzentgelten gehoben werden. Diese Preissenkung ge-reicht den energieintensiven Unternehmen zum Vorteil.
Darüber hinaus sind Ausnahmen bei der energieintensi-ven Industrie möglich.Es gibt hier die ersten Antragsteller. In diesem Zu-sammenhang wurden die Netznutzungsentgelte schonzwischen 30 und 50 Prozent reduziert. Hier wurde einkonkreter Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit erreicht.
– Herr Kelber, dank unserer Vermittlungsbemühungenist es Ende Juni letzten Jahres in der Tat ein gutes Gesetzgeworden.
Ein weiterer Punkt: die Härtefallregelung im Erneuer-bare-Energien-Gesetz. Im Koalitionsvertrag wurde dieAufhebung der Deckelung bei 10 Prozent verabredet.Das wird jetzt umgesetzt. Sie bringt der energieintensi-ven Industrie für 2006 immerhin 80 Millionen Euro undverbessert die Wettbewerbsfähigkeit direkt und nachhal-tig.Ein weiteres Instrument, mit dem wir kurzfristig han-deln, ist das Energiesteuergesetz. Einige Branchen wer-den weiterhin bzw. neu von der Stromsteuer und Mine-ralölsteuer befreit. Auch das zielt direkt auf dieWettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen ab.Ein letzter und ganz entscheidender Punkt, mit demwir uns in den nächsten Wochen mit Sicherheit auch hierim Parlament und in den Ausschüssen befassen werden,wenngleich der NAP II Aufgabe der Regierung ist, istder Emissionshandel. Nicht umsonst haben wir den EU-Kommissar für Umwelt eingeladen, im Mai zu einer ge-meinsamen Sitzung des Wirtschafts- und des Umwelt-ausschusses zu kommen. Der Emmissionshandel musszukünftig so ausgerichtet sein, dass die energieintensi-ven Unternehmen im Wettbewerb nicht mehr benachtei-ligt werden, dass wir die Einpreisung der Windfall-Pro-fits zukünftig verhindern bzw. rückgängig machenstDgbbSNzsadwsSEw2hiSsidwhrdtwEwnduewhzsbsSdlvAHwvtai
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Die jetzige Energiepolitik der Bundesregierung istnsozial und den globalen Herausforderungen nicht ge-achsen. Bundesregierung und Energiekonzerne glau-en, man könne den nötigen Umbau ohne viel Bewe-ung bewältigen. Das ist ein Irrtum. Die Aufgabe einerachhaltigen Energieversorgung ist kein Wunschkon-ert der Energiebosse. Es ist zwingend nötig, die Ener-iepolitik den veränderten Bedingungen anzupassen.Anhand von fünf Thesen möchte ich das verdeutli-hen:Erstens. Klimawandel und Ressourcenverfügbar-eit geben den Ton an. Deutschland ist zu drei Viertelnom Import fossiler und atomarer Energie abhängig. Derunger nach diesen Rohstoffen wächst. Die Folge:chon in 15 Jahren wird das knappe Öl über 100 Dollare Barrel kosten. Herr Pfeiffer, dann werden wir es miterteilungskämpfen zu tun haben. Warten wir einmal ab,as dann geschehen wird.
uch auf Kohle allein können wir nicht setzen. Denn derlimawandel ist in vollem Gange. Seine Hauptursachest der massenhafte Verbrauch von Kohle und Öl. Dieolgen für Mensch und Umwelt erreichen uns schnellernd in stärkerem Maße als bisher angenommen. Wirüssen beim Klimaschutz einfach mehr tun.Zweitens. Der Energieverbrauch muss halbiert wer-en. Allein die Industrie kann den Stromverbrauch um0 Prozent senken. Die Heizkosten im Gebäudebestandönnten um bis zu 80 Prozent reduziert werden.
ei einer Halbierung des Energieverbrauchs könnenir sicherlich das Potenzial der erneuerbaren Energienutzen, um die drängenden Ziele beim Klimaschutz zurreichen. Das wird nur mit einem klaren Ordnungsrechtelingen. Dazu gehören das Verbot von Stand-by-Gerä-en, die Pflicht zum Energiemanagement in der Industriend klare Verbrauchsobergrenzen, die auch für die Auto-obilindustrie gelten müssen.Drittens. Energie muss bezahlbar bleiben. Diektuelle Preissteigerung ist nur teilweise den hohenohstoffkosten geschuldet. Sie ist auch auf Börsenspe-ulationen und die Profitgier der Konzerne zurückzufüh-en. Neben der Energieeinsparung ist der Ausbau der er-euerbaren Energien der einzige Garant für stabilereise. Ihre Kosten sinken, während sich die Preisspiraleei Gas und Öl nach oben dreht. In wenigen Jahren
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Hans-Kurt Hillwerden Wind, Sonne und Biomasse zum Teil billigersein als die fossilen Energien.Viertens. Die Netze gehören in öffentliche Hand; dasist eigentlich nichts Neues.
Wir haben mit der Bundesnetzagentur ein geeignetesInstrument, wir müssen es nur entsprechend ausstatten,dann wird es auch funktionieren. Die Netze müssen derAllgemeinheit dienen und nicht dem Profit weniger.Meine Damen und Herren von der FDP, 40 Prozentder Stromrechnung der privaten Haushalte sind so ge-nannte Netznutzungsentgelte.
Die erneuerbaren Energien schlagen nur mit 2 Prozentzu Buche.
Fünftens. Die fossil-atomare Energiewirtschaft hatkeine Zukunft. Atomkraft senkt nicht die Preise, aus-schließlich Spitzenlastkraftwerke bestimmen den Markt-preis. Der Klimaschutzeffekt ist null. Laufen Atommeilerlänger, dürfen die Kohleblöcke mehr CO2 produzieren;das macht der Emissionshandel möglich. Atomkraftkann keine Brücke zur Einführung neuer Technologiensein. Clean-Coal-Kraftwerke und Fusionsreaktoren sindnur teure Theorien. – Es tut mir Leid, meine Stimmemacht nicht mehr mit.Ich bedanke mich bei Ihnen.
Herr Kollege, alles Gute für Ihre Stimme, damit Sie
demnächst wieder reden können.
Nächster Redner ist der Kollege Rolf Hempelmann,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Das ist nun heute schon die vierte Debatte, die sich aufdie eine oder andere Art und Weise mit der Energiepoli-tik beschäftigt. Wir haben offenbar einen Tag der Ener-giepolitik, ja eigentlich sogar – wenn man an den Beginnder Woche, an den Energiegipfel denkt – eine Woche derEnergiepolitik. Das ist gut so; es zeigt nur den Stellen-wert des Politikfeldes, mit dem wir uns beschäftigen.Am Ende eines solchen Debattentages – den habenwir ja, was die Energiepolitik angeht, fast erreicht – kannman eine ganz interessante Feststellung treffen: DieSituation ist schon etwas seltsam. Auf der einen Seitehaben wir die Grünen, die initiativ wurden und eineAktuelle Stunde zum Thema Energiepolitik verlangtenund im Grunde genommen feststellen müssen, dass siefast überflüssig werden;dEgDsbzdgwgftajDn„gTcsuDkSOrögfs–sdd
enn Rot-Schwarz – oder Schwarz-Rot – betreibt einenergiepolitik, die mindestens so grün ist wie die Ener-iepolitik der sieben Jahre zuvor.
as führt bei den Grünen natürlich zu ein wenig Nervo-ität.Auf der anderen Seite haben wir eine Fraktion, die einisschen die Rolle einnimmt, die man früher den Grünenugeschrieben hat. Wir haben gerade Herrn Hill gehört,er meint, dass es ohne fossile und ohne Kernenergieeht, mit anderen Worten: Strom gibt es, wenn der Windeht. Auch das kann der Weg nicht sein.Unser Koalitionspartner schließlich hat sich mit unsemeinsam auf den Weg gemacht, eine Energiepolitik zuormulieren, die zukunftsfähig ist und unser Land wei-erbringen wird. Lieber Kollege Pfeiffer, ich hätte gernem Ende Ihrer Rede applaudiert, aber wir gewöhnen unsa alle noch ein bisschen aneinander.
eswegen sei Ihnen verziehen, dass Sie am Ende dochoch einen kleinen Ausrutscher hatten, als Sie sozusagenzum Kern“ gekommen sind, auf den Sie immer wiedererne zurückkommen. Sie hatten halt das Pech, bei derschernobyldebatte nicht dabei gewesen zu sein; mögli-herweise hätten Sie sich sonst die Bemerkung zu die-em Thema verkniffen.Die FDP hat einen Antrag gestellt
nd bittet um einen ordnungspolitischen Kompass.ann gibt es offenbar eine gewisse Orientierungslosig-eit in Ihren Reihen.
ie bitten uns, Ihnen da ein bisschen weiterzuhelfen undrientierung zu geben. Dazu sind wir natürlich gerne be-eit.
Die Linken wollen Energieversorgung sozial undkologisch gestalten. Ich habe immer gedacht: Das istenau das, was wir jahrelang gemacht haben. Wir warenür das Soziale und für das Ökologische gemeinsam zu-tändig und sind dafür gelegentlich von allen Seitenoder fast allen – gelobt worden.Wie dem auch sei, am Montag fand der Energiegipfeltatt; wir haben heute darüber gesprochen. Ich denke,ass hier durchaus ein Beitrag geleistet worden ist und inen nächsten Monaten geleistet werden wird,
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Rolf Hempelmannder dem Verlangen nach Orientierung bis ins Jahr 2020tatsächlich nachkommt: mit einem Energiekonzept oderEnergieprogramm, das im Jahre 2007 das Ergebnis die-ses Gipfelprozesses sein soll.Wir haben heute Morgen gehört, dass bei den Gesprä-chen auf diesem Gipfel insbesondere die AspekteVersorgungssicherheit, Preiswürdigkeit und Umweltver-träglichkeit eine Rolle gespielt haben und dass die Er-gebnisse – insbesondere die zugesagten Investitionen –genau dieser Zieltrias entsprechen. Das ist gut so; daswird von uns begrüßt. Als Parlamentarier sind wir abergebrannte Kinder und wollen mehr als diese Zusagen.Wir möchten von den zuständigen Ministerien schwarzauf weiß sehen, was im Einzelnen vereinbart worden ist,um die Belastbarkeit der Zusagen selber einschätzen zukönnen.
Es lohnt sich durchaus, nicht nur einen Blick nachvorne, sondern auch einen Blick zurück zu werfen; dennich glaube, dass mit der Energiepolitik der letzten Jahredie Kriterien erfüllt wurden, deren Realisierung unsheute in diesen beiden Anträgen abverlangt wird. Zumeinen haben wir im letzten Jahr eine Ordnungspolitikauf den Weg gebracht, die man durchaus mit dem Be-griff Paradigmenwechsel umschreiben kann, und zwardurch Einsatz der SPD, der CDU/CSU und der FDP.Nachdem zunächst der Bundestag entschieden hatte, ha-ben wir letztlich im Bundesrat eine Einigung über einenneuen Ordnungsrahmen und ein neues Energie-wirtschaftsgesetz erzielt, durch das eine Regulierungs-behörde, nämlich die Bundesnetzagentur, beauftragtworden ist, für mehr Wettbewerb bei den leitungsgebun-denen Energien, also bei Strom und Gas, zu sorgen. Ichdenke, das war ein wichtiger Schritt. Wir sollten ihnnicht kleinreden, aber auch nicht so tun, als müssten wirheute damit beginnen, die Ordnungspolitik auf einenneuen Weg zu bringen.Richtig ist, dass die Bundesnetzagentur ihre Arbeitgerade erst aufgenommen hat, sodass man sie noch nichtbeurteilen kann. Sie muss auch noch eine Anreizregulie-rung konzipieren, die in eine entsprechende Verordnungzu gießen ist und erst dann wirken kann. Wir alle erhof-fen uns davon mehr Wettbewerb. Das ist in der Tat diebeste Möglichkeit, um zu sinkenden Netzentgelten undauch zu sinkenden Energiepreisen, Strompreisen alle-mal, zu kommen.Wir haben in der letzten Legislaturperiode ein weite-res wichtiges Projekt auf den Weg gebracht, nämlich denNationalen Allokationsplan. Dem folgt jetzt für diezweite Handelsperiode der Nationale Allokationsplan II.Es ist wichtig – das habe ich heute Morgen schonbetont –, dass sich die Häuser schnell einigen, damit wirals Parlament diesen Prozess entsprechend begleitenkönnen. Wir müssen verschiedene Ziele gemeinsam er-reichen; das ist keine einfache Geschichte. Auf der einenSeite wollen wir, dass es zu Investitionen in die Kraft-werke kommt. Dazu muss es im Allokationsplan be-stimmte Rahmenbedingungen geben. Auf der anderenSeite wollen wir, dass die Industrie nicht derart mit Kos-ten belastet wird, dass wir sie letztlich aus dem LandetUgHmnvugdmüwdsozsdznkUmIwdDEvDiEukWnbuF
ch denke, dass die Stromsteuer im Grundsatz nichtirklich umstritten ist.
Es geht also um die relativ geringen Kosten, die durchas Erneuerbare-Energien-Gesetz verursacht werden.a streiten wir am Ende über Nuancen; denn auch dasrneuerbare-Energien-Gesetz wird jedenfalls verbaliteron allen Fraktionen unterstützt.
eswegen hören Sie auf mit der Mär von den staatlichnduzierten Kosten. Wir müssen mehr Wettbewerb in dasnergiegeschäft einziehen lassen. Das ist der beste Weg,m die Kosten zu senken und zu niedrigeren Preisen zuommen. Diesen Weg werden wir weiter beschreiten.Vielen Dank.
Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes hat das
ort der Kollege Hans-Josef Fell, Bündnis 90/Die Grü-
en.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der De-atte liegen zwei Anträge zugrunde, einer von der FDPnd einer von der Linken. Lassen Sie mich mit demDP-Antrag anfangen.
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Hans-Josef FellFrau Kopp,
Sie formulieren in Ihrem Antrag Leitlinien, die wirdurchaus für richtig halten. Beispielsweise schreiben Siein Ihrem Antrag:Der Wettbewerb ist vor Absprachen, Kartellen undMissbrauch einer marktbeherrschenden Stellung zuschützen.Wo waren Sie denn in den 40 Jahren Regierungsbeteili-gung, in denen Sie stets die Wirtschaftsminister gestellthaben und in denen sich in diesem Land im Energiesek-tor eine Struktur aufbauen konnte, die von Monopolen,Oligopolen, Absprachen, Kartellen und von marktbe-herrschenden Stellungen dominiert ist?
Ihre Wirtschaftspolitik hat doch dazu geführt, dass wirgenau das haben, was Sie in Ihrem Antrag ablehnen.
Ich will die zweite Leitlinie Ihres Antrags zitieren:Eingriffe des Staates – etwa zum Erreichen vonökonomischen oder ökologischen Zielen – müssenmarktkonform sein …
Das unterstützen wir. Auch von Anreizen für ein wirt-schaftlich vernünftiges Verhalten ist in Ihrem Antrag dieRede; das unterstützen wir ebenfalls. Externe Kosten un-ternehmerischen Handelns, auch solche, die in der Zu-kunft anfallen, sind zu internalisieren, heißt es hier. DieInstrumente müssen wettbewerbsorientiert und effizientsein.Die rot-grüne Bundesregierung hat seinerzeit damitbegonnen, die Monopole, die Sie geschaffen haben, ab-zubauen, und zwar mit dem Erneuerbare-Energien-Ge-setz, das neuen Akteuren überhaupt eine Chance gibt,mit dem KWK-Gesetz und mit der Ökosteuer. Genaudiese Instrumente wollen Sie jedoch verhindern. Das istletztendlich der Grundgedanke Ihres Antrages.Ich möchte das noch im Detail ausführen. Aber ichsehe, Sie möchten eine Zwischenfrage stellen, FrauKopp, die ich gerne zulasse.
Frau Kollegin Kopp.
Herr Fell, herzlichen Dank, dass Sie die Frage zulas-
sen. – Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
dass es der frühere Bundeswirtschaftsminister Rexrodt
war, der mit der Liberalisierung des Strommarktes be-
gonnen hat? Bis 1998 konnte durch diese Liberalisierung
ein Gewinn von 7,5 Milliarden Euro erwirtschaftet wer-
den, der kurz danach durch Ihre Regierungsbeteiligung
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ch will gerne zugestehen, dass am Ende mit der Libera-isierung ein vernünftiger Versuch unternommen wurde.ber weil Sie über Jahrzehnte hinweg eine Monopol-truktur im Energiebereich zugelassen und nicht dage-en gekämpft haben, ist es Rot-Grün schwer gefallen,ie Liberalisierung zu Ende zu führen. Das Ergebnis Ih-er jahrzehntelangen verfehlten Wirtschaftspolitik istine starke Monopolisierung und Oligopolisierung.
Lassen Sie mich auf Ihren Antrag im Detail eingehen.ie wollen eine effiziente, marktkonforme und erfolgrei-he Förderung auch von erneuerbaren Energien. Da-über freuen wir uns; das ist ein richtiger Ansatz. Aberch frage Sie: Warum bekämpfen Sie, wie in diesem An-rag, die effizienten Instrumente? Nur ein Beispiel: Dieindenergie hat in Großbritannien in den letzten Jahrenin Volumen von etwa 1 Gigawatt erreicht; in Deutsch-and beträgt dieses Volumen 20 Gigawatt. Wissen Sie,arum? In Großbritannien sind die Instrumente, die Sieür richtig halten – Quoten und Zertifikate –, angewandtorden. Dadurch wurde diese Energieform ineffizientnd in dem windreichen Land Großbritannien wurdenur wenige Windanlagen gebaut. In Deutschland hinge-en konnten auf diesem Markt neue Akteure Fuß fassen.
Genau, kommen wir zu den Kosten. In Großbritannienostet die Kilowattstunde Windenergie etwa 13 Cent, ineutschland im Durchschnitt etwa 8 Cent. Im Vergleichst das Instrument in Deutschland eindeutig kostengüns-iger.Sie beklagen auch, dass die Strompreise insgesamt zuoch seien, und schieben dies den erneuerbaren Ener-ien, der KWK und der Ökosteuer in die Schuhe. Dabeierschweigen Sie, dass die EEG-Mehrkosten nurProzent des Strompreises ausmachen.
ie stromintensive Industrie ist von diesen Mehrkos-en sogar weitgehend entlastet.
nsofern können Sie nicht von der falschen Behauptungusgehen, dass 600 000 Arbeitsplätze gefährdet seien.
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Hans-Josef FellWie sieht es denn wirklich mit der Ökosteuer aus? DieUnternehmen werden durch die Ökosteuer beim Arbeit-geberanteil an den Rentenversicherungsbeiträgen undbei den höheren Energiekosten entlastet. Die strominten-sive Industrie hat durch die Ökosteuer keinen Nachteil– wie Sie behaupten –, sondern einen Vorteil. Das istWirtschaftsförderung, wie wir sie für richtig halten.Ich gestehe Ihnen zu, dass die stromintensive Indus-trie durch die steigenden Energiepreise gefährdet ist.Aber das liegt, wie auch Sie festgestellt haben, an demFesthalten am Energiemix. Die Erdgas-, Erdöl-, Kohle-und Uranpreise steigen weltweit an. Wenn wir bei die-sem Energiemix bleiben, werden wir diese Arbeitsplätzegefährden. Wir müssen also so bald wie möglich aus denfossilen und atomaren Energien aussteigen, damit dieArbeitsplätze gesichert werden. Das ist das Entschei-dende.
Sie haben gesagt, dass Sie andere Wettbewerbsinstru-mente anstreben, beispielsweise um den Klimaschutz zuverbessern. Lassen Sie uns einen Vergleich anstellen.Die CO2-Vermeidungskosten durch die Windenergie lie-gen bei 52 Euro pro Tonne CO2. Durch den Emissions-handel betragen die CO2-Vermeidungskosten 1 160 Euroje Tonne – und Sie sagen, wir müssten uns für dieses In-strument stärker einsetzen. Helfen Sie lieber mit, dassdie Industrie endlich bei der Versteigerung der Zertifi-kate im Emissionshandel mitmacht, damit die Kostengesenkt werden,
statt Ihre Denkansätze weiterzuverfolgen.Gestatten Sie mir noch eine Anmerkung zu den Lin-ken. Sie fordern sozial gerechtere Strukturen auch in derEnergiewirtschaft. Das ist notwendig; das will ich gernezugestehen. Aber wenn die Einnahmen aus der Öko-steuer mehrheitlich in die erneuerbaren Energien und indie Energieeinsparung gelenkt würden, wie Sie es wol-len, bedeutete das im Klartext – das steht zwar nicht inIhrem Antrag, aber das wäre die Folge – eine Anhebungder Rentenversicherungsbeiträge für alle Bürgerinnenund Bürger, die in Arbeit sind.
Wie Sie das als sozial verträglich begründen wollen,müssen Sie mir einmal erklären. Lesen Sie Ihren Antrag!Darin ist noch vieles zu verbessern. In der vorliegendenFassung können wir ihn sicherlich nicht mittragen. Ichbin auf die Debatte in den Ausschüssen gespannt.
Ich schließe die Aussprache.
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2688 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
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Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD,rinnern Sie sich nicht mehr an Ihre Kritik aus der letz-en Wahlperiode? Was hat sich eigentlich seitdem geän-ert,
ußer dass Sie jetzt in einer großen Koalition mit derDU/CSU sind? Für die FDP-Bundestagsfraktion beste-en die Bedenken aus der letzten Legislaturperiode nachie vor. Eine Gesetzesänderung erreicht nämlich nurann ihr Ziel, wenn sie wirtschaftlich sinnvoll, rechtlichöglich und zielführend ist.
er heute vorliegende Entwurf darf nicht nur als Beruhi-ungspille für Handwerker dienen.Beispielhaft eingehen möchte ich heute auf die Ein-ührung der so genannten vorläufigen Zahlungsanord-ung; Sie haben sie schon erwähnt, Herr Kollege. Hieroll ein neues Rechtsinstitut geschaffen werden, dasicht nur für Bauforderungen, sondern ganz allgemeinelten soll.Ihr Anwendungsbereich umfasst ich zitiere aus der Gesetzesbegründung –alle Zahlungsansprüche einschließlich etwaiger Ne-benforderungen, soweit nicht – wie etwa bei Unter-haltsansprüchen … – Sonderregelungen eingreifen.ieses Institut soll also im Bereich der Arzthaftung, beichadensersatzansprüchen nach Unfällen sowie bei Mie-en und vielem anderen gelten. Abgesehen davon, dassine Praxisbefragung durch die einbringenden Landesre-ierungen gerade nicht stattgefunden hat und die Sach-erständigenanhörung im erweiterten Berichterstatterge-präch in der letzten Legislaturperiode große Bedenkenn der Praxistauglichkeit dieser Regelung aufgezeigt hat,s also sehr zweifelhaft ist, ob dieses Institut in der prak-ischen Umsetzung halten kann, was es verspricht,
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2689
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Mechthild Dyckmansscheint mir ein Gesetz zur Sicherung von Werkunterneh-meransprüchen nicht der geeignete Ort für die Einfüh-rung eines völlig neuen Rechtsinstituts in die ZPO zusein.
Für den Erlass einer solchen Anordnung ist unter an-derem notwendig – auch darauf haben Sie schon hinge-wiesen, Herr Kollege –, dass der zuständige Richter eineErfolgsprognose über die Klage „nach bisherigem Sach-und Streitstand“ abgibt. Im Gesetzentwurf ist von einer„hohen Aussicht auf Erfolg“ die Rede. Hier wird eineneue Begrifflichkeit eingeführt, die der ZPO bisherfremd ist. In der Begründung ist zu lesen – das muss ichIhnen einfach vorlesen –,
was unter „hoher Aussicht auf Erfolg“ zu verstehen ist:Das soll der Fall sein, wenn das Gericht sich zu deneinschlägigen tatsächlichen Fragen zwar noch keinedem Beweismaß des § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO ge-nügende Überzeugung gebildet hat, aber auf derGrundlage eines fundierten Zwischenergebnissesbereits eine Prognose über den Verfahrensausgangtreffen kann. Dieser Prognose hat das Gericht seineEinschätzung zur Entscheidungserheblichkeit die-ser Fragen, zum Maß der verbleibenden Unklarheitund gegebenenfalls zum Beweiswert noch nichtausgeschöpfter Beweisangebote zu Grunde zu le-gen. In diesem Sinne liegt eine „hohe Aussicht aufErfolg“ vor, wenn die Klage nach der geschildertenprognostischen Würdigung Erfolg haben wird.
Die Praxis wird mit diesem Gesetz sehr großen Erfolghaben. Die Auslegungsschwierigkeiten sind schon pro-grammiert.
Zusammenfassend möchte ich sagen: Die FDP unter-stützt jede Regelung, die nicht nur Hoffnung für die be-troffenen Handwerker weckt, sondern wirkliche Hilfedarstellt. Denn Hilfe ist dringend geboten; das sehenauch wir von der FDP.
Diese Regelungen aber scheinen nur ein Hoffnungs-schimmer am Horizont zu sein. Sie bewirken nur, dassdie Ernüchterung bei dem Versuch, sie wirksam anzu-wenden, umso größer sein wird.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
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2690 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
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Staatsminister Geert Mackenroth
All dies sind Maßnahmen, die dazu beitragen, die In-teressen beider Vertragspartner wieder mehr ins Gleich-gewicht zu bringen.
Kernstück des Entwurfs ist die Einführung einervorläufigen Zahlungsanordnung. Schon im bereits an-gesprochenen Beschluss vom 17. März 2000 hat derBundesrat ein prozessuales Instrument gefordert, wel-ches dem Richter ermöglicht, „Handwerkern vorab ei-nen Teil der eingeklagten Forderung trotz vorgebrachterMängelrügen zuzusprechen“.Immer wieder müssen wir gerade bei Verträgen zwi-schen General- und Subunternehmern beobachten, dassund wie Auftraggeber auf den so genannten Justizkreditspekulieren, um Zeit zu gewinnen oder nachträglich einegeringere Vergütung durchzusetzen. Sie wenden gegendie Vergütungsklage des Unternehmers Mängel ein, diegar nicht oder nicht in diesem Umfang bestehen. Da-durch verzögert sich der Prozess; denn das Gericht mussdiesem Vorbringen wegen der Verpflichtung zur Er-schöpfung des Sach- und Streitstoffes und zur Erschöp-fung der Beweisanträge in jedem Detail nachgehen. Daskann sich – nicht zuletzt wegen der erforderlichen Sach-verständigengutachten – über Monate, teilweise überJahre hinziehen; auch Richterinnen und Richter fürchtendiese so genannten Punktesachen sehr.Kleinere Unternehmen mit geringer Eigenkapitalde-ckung können gerade bei umfangreichen Gesamtforde-rungen einen solchen Prozess oft nicht durchstehen. Umüberhaupt Geld zu bekommen, willigen sie trotz berech-tigter Ansprüche vielfach zähneknirschend in einen Ver-gleich ein, der deutlich geringere Zahlungen vorsieht.Schlimmstenfalls müssen sie Insolvenz anmelden, weilihr Betrieb das Ausbleiben der einkalkulierten Zahlungnicht verkraftet.Um eine solche Prozessverschleppung zu verhindernoder sie zumindest zu begrenzen, wird dem Kläger auf-grund dieses Gesetzes eine zusätzliche prozessualeWaffe in die Hand gegeben: die Möglichkeit, noch wäh-rend des Prozesses die richterliche Anordnung einer vor-läufigen Zahlung oder einer Teilzahlung zu erwirken,wenn die Klage oder einzelne Teile davon hohe Aussichtauf Erfolg haben und die Zahlungsanordnung nach Ab-wägung der beiderseitigen Interessen zur Abwendungbesonderer Nachteile für den Kläger gerechtfertigt ist.Dieser Begriff „hohe Aussicht auf Erfolg“ ist keindem Gesetz fremder Begriff. Wir haben ihn bei der Pro-zesskostenhilfe implementiert und er ist jeden Tag vonden Gerichten anzuwenden.
– Ob es nun hinreichende oder hohe Aussicht auf Erfolgheißt, wird die Gerichte nicht umwerfen.
Das werden sie schon schaffen.JCzwspZdnggbAndlfVsfggvurdMzgksgatvstfusasGhs
Dem Entwurf des Bundesrates ist noch in der vergan-enen Legislaturperiode vorgeworfen worden, an den ei-entlichen Ursachen der mangelnden Zahlungsmoralorbeizugehen. Die tatsächlichen Probleme, so hieß esnd heißt es teilweise noch, seien vielmehr in der unzu-eichenden Richterausstattung bei den Ländern und iner Unkenntnis der Handwerker um ihre rechtlichenöglichkeiten oder deren marktbedingte Nichtausnut-ung zu sehen. Wer so argumentiert, macht es sich,laube ich, zu einfach. An der Erkenntnis, dass derzeitein effektiver Schutz vor Prozessverschleppung be-teht, führt meines Erachtens kein Weg vorbei; der Ab-eordnete Dr. Danckert hat darauf hingewiesen. Dies istuch einhellige Auffassung der Experten in der genann-en Bund-Länder-Arbeitsgruppe gewesen.Dass die Richterschaft, wie ebenfalls angeführt wurde,om Erlass vorläufiger Anordnungen absehen wird, weilie sich ohne ein ausführliches Sachverständigengutach-en eine Einschätzung der Rechtslage nicht zutraut, be-ürchte ich ebenfalls nicht. Ich traue den Richterinnennd Richtern zu, in einem solchen Fall – ebenso wieonst im vorläufigen oder einstweiligen Rechtsschutz –
uch ohne ein gerichtliches Gutachten eine solche Ent-cheidung treffen zu können. Das ist Standard auf denerichten und begegnet keinen Schwierigkeiten.
Allein der Ruf nach immer mehr Richtern hilft auchier nicht weiter, wenn ansonsten das bestehende prozes-uale Verzögerungspotenzial unangetastet bleibt.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2691
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Staatsminister Geert Mackenroth
Richtig ist allerdings – das gilt auch heute –, dass sichSachsen ebenso wie der Zentralverband des DeutschenHandwerks für seine kleinen und mittelständischen Be-triebe in Teilbereichen noch weiter gehende Lösungengewünscht hätte. Noch im ersten Entwurf aus demJahr 2002 waren der verlängerte Eigentumsvorbehalt aneingebauten Sachen oder die Ausschreibung des Schuld-ners zur Fahndung enthalten.
Wir hatten und haben jedoch zu akzeptieren, dass jen-seits von allen juristisch-dogmatischen Fragen diese For-derungen nicht durchsetzbar waren und auch derzeit of-fenbar nicht ohne weiteres durchsetzbar sind. Mit demKompromiss jetzt kann ich leben.Umso wichtiger ist es daher, ein Forderungssiche-rungsgesetz, wie es der Koalitionsvertrag fordert, alsbaldzu verabschieden und alles zu unterlassen, was die Um-setzung des Verabredeten gefährden könnte.Natürlich muss auch die jetzt vorgesehene Regelungzu gegebener Zeit evaluiert, wieder überarbeitet und da-raufhin überprüft werden, ob sie in der Realität im Ziel-konflikt zwischen Verbraucher- und Handwerkerinteres-sen die adäquaten und richtigen Lösungen bietet. Auchin dieser Zielsetzung weiß ich mich mit unseren sächsi-schen Handwerken – aber nicht nur mit diesen – einig.Deutschland kann es sich in seiner jetzigen wirt-schaftlichen Lage nicht leisten, dass Arbeitsplätze imHandwerk und bei den mittelständischen Betrieben ver-nichtet werden, nur deshalb, weil zahlungsunwilligeAuftraggeber ihren Verpflichtungen nicht nachkommen.
Das Forderungssicherungsgesetz, das FoSiG, kann mit-helfen, einige der jährlich etwa 38 000 Insolvenzen ab-zuwenden und dringend benötigte Arbeitsplätze zu er-halten. Es wird auch dazu beitragen, dass wir verlorengegangenes Vertrauen in unseren Rechtsstaat zurückge-winnen. Ich bitte Sie deswegen, den Gesetzentwurf desBundesrates im Fortgang der Beratungen tatkräftig vo-ranzutreiben.Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine
Zimmermann, Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Wir begrüßen die Initiative,sich der Frage der Zahlungsmoral anzunehmen. Verspä-tete oder ausbleibende Zahlungen an HandwerksbetriebewnBuvljßidlmmmspbndwldalvdskahwwRGdRwpZdmrddf
Das Hauptproblem für das einheimische Handwerkleibt die lahmende Binnenkonjunktur. Hier gibt es we-ig Hoffnung auf Besserung, wenn Sie an Ihrer Politiker Haushaltskonsolidierung in dieser Form festhalten.
Sie, meine Damen und Herren von Union und SPD,ollen hier ein Gesetz auf den Weg bringen, das bezüg-ich eines dringenden Problems Abhilfe schaffen soll,as Sie eigentlich selbst zu verantworten haben. Mehrls jeder dritte Handwerksbetrieb attestiert seinen öffent-ichen Abnehmern eine Verschlechterung des Zahlungs-erhaltens. Das hat eine Erhebung des Zentralverbandeses Deutschen Handwerks gezeigt. Die Ursache für diechlechte Zahlungsmoral der öffentlichen Hand istlar: Mit Steuersenkungen für das Großkapital hat dielte rot-grüne Bundesregierung die öffentlichen Haus-alte ruiniert und das müssen nun die kleinen Hand-erksbetriebe ausbaden.
Die Praxis zeigt doch, dass nur die wenigsten Hand-erker sich trauen, zur Einforderung der Zahlung denechtsweg zu beschreiten, sei es weil die Zeit oder daseld fehlt oder weil sie befürchten, dass sie in Zukunften Auftraggeber verlieren werden. Angesichts derolle, die die öffentliche Hand spielt, wundert es nicht,elche Methoden manche gewerblichen Auftraggeberraktizieren, indem Handwerksbetrieben zustehendeahlungen verspätet oder mit Abschlägen geleistet wer-en.Das Problem besteht doch darin, dass es darum gehenuss, kleine Betriebe mit wenig Eigenkapital vor Gene-alunternehmern oder großen Bauträgern zu schützen,ie vom Auftraggeber Geld erhalten haben, dieses aberem Subunternehmen nicht weiterreichen. Das ist ein of-enes Geheimnis; aber es wird nichts getan.
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2692 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
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Sabine ZimmermannIn diesem Zusammenhang komme ich zur Frage desVerbraucherschutzes. Der Regierung sollte die Kritikder Verbraucherzentrale eigentlich bekannt sein. Trotz-dem sieht sie hier keinen Handlungsbedarf, sodass derVerbraucherschutz bei den Neuregelungen auf der Stre-cke bleiben wird. Aber der private Häuslebauer hat einAnrecht darauf, entsprechende Mängel an Leistungengeltend zu machen. Wir fürchten, mit diesem Gesetzwird sich an der schlechten Zahlungsmoral nicht vielverändern; aber der Verbraucherschutz wird unter dieRäder kommen.
Sie könnten die privaten Verbraucher von den Rege-lungen des Gesetzes ausnehmen. Bevor die alte Regie-rung von Rot-Grün sich der Überarbeitung angenommenhat, war das so vorgesehen gewesen. Ist die Bundesre-gierung nicht nur an einer öffentlichkeitswirksamen Ak-tion, sondern ernsthaft an einer Verbesserung der Lageder kleinen Unternehmen und dem Schutz der Verbrau-cher interessiert, kann sie nicht bei ihrer bisherigen Posi-tion bleiben. Wir fordern Sie auf, einen Kurswechselvorzunehmen; sonst bleibt dieses Gesetz Makulatur.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat
nun der Kollege Montag das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Forde-rungssicherungsgesetz 2002, Forderungssicherungsge-setz 2004, Forderungssicherungsgesetz 2006: HerrStaatsminister Mackenroth, dies ist keine Fata Morgana.Für mich ist das ein Zeichen der Unbelehrbarkeit derje-nigen, die zum dritten Mal versuchen, mit untauglichenMethoden ein tatsächlich vorhandenes Problem in denGriff zu bekommen.
Auch der dritte Entwurf bietet wenig Brauchbares, eini-ges Unnützes und viel Schädliches, Herr KollegeDanckert.Wir hatten zum identischen Gesetzentwurf schon inder vorletzten Legislaturperiode eine Sachverständigen-anhörung mit einem vernichtenden Ergebnis durchge-führt. Beim letzten Mal haben wir es gar nicht mehr zueiner Sachverständigenanhörung kommen lassen. ImRahmen eines erweiterten Berichterstattergesprächs ha-ben wir einige Fachleute gehört. Das Ergebnis hinsicht-lich der gemachten Vorschläge war ebenfalls vernich-tend.Die Beschreibung der Situation, dass es in der Bauin-dustrie in einem großen Umfang Probleme gibt, ist rich-tig. Aber die Schuldzuweisung, die Sie treffen, indemSie von fehlender Moral sprechen – Herr StaatsministerMackenroth sprach heute sogar von massenhafter Pro-zfdzcviVkwTSaWlDigndsunTtgDng§dtgsdgJgrdz
Die Werkunternehmer sind eben zu einer Vorleistungerpflichtet. Erst nach einer mängelfreien Ablieferunghrer Leistung ist der Werklohn zu zahlen. Nach Ihrenorschlägen wird es dazu kommen, dass Verbrauchereinen Rechtsschutz mehr gegen Pfusch am Bau habenerden. Im Übrigen: Als ich das letzte Mal zu diesemhema hier eine Rede gehalten habe, hat mir der Kollegetünker an dieser Stelle aufrichtig Beifall gezollt.
Wir müssen uns nun den Gesetzentwurf einmal nähernschauen. Der Vorschlag, § 641 Abs. 2 BGB in diesereise zu ändern, um den Subunternehmer besser zu stel-en, ist brauchbar und richtig.
er Vorschlag, § 632 a BGB in dieser Weise zu ändern,st absolut unbrauchbar. Das zeigt sich schon daran, dassesagt wird, es gebe das Recht auf Abschlagszahlungicht und es müsse hier neu eingeführt werden. Das istoch falsch. Natürlich gibt es die Möglichkeit der Ab-chlagszahlung. Aber aus guten Gründen handelt es sichm eine Abschlagszahlung für abtrennbare und klar defi-ierte Teile des Werks. Sie wollen aber immer dann eineeilleistung annehmen, wenn ein bestimmter Leistungs-eil in einer nicht mehr entziehbaren Art und Weise über-eben worden ist.
as führt zu absurden Ergebnissen. Sie sollten sich dasoch einmal unter rechtlichen Gesichtspunkten überle-en.Unbrauchbar ist schließlich auch die Einfügung des302 a ZPO. Es wird so gut wie keinen Richter geben,er vor Entscheidungsreife eine solche Entscheidungrifft. Wenn eine Entscheidungsreife gegeben ist, dannibt es ein Urteil und nicht irgendeine Zwischenent-cheidung.
Wenn Sie die Stellungnahme der Bundesregierung zuem vorliegenden Gesetz lesen, die im Übrigen wort-leich ist zu der Stellungnahme zu dem Gesetz vor zweiahren, dann werden Sie feststellen, dass die Bundesre-ierung selbst davon gesprochen hat, dass die Schwie-igkeiten mit diesem Gesetz nicht zu beheben sind undass es keinen Anlass gibt, an der Unzulänglichkeit derivilrechtlichen Vorschriften zu zweifeln.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2693
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Jerzy MontagDeswegen meine dringende Bitte an Sie, meine Da-men und Herren von der großen Koalition: Kein Pfuschan der ZPO! Kein Pfusch am BGB!
Legen Sie endlich ein Bauvertragsgesetz vor, in demauch, wie Sie es in Ihrer Koalitionsvereinbarung festge-legt haben, Verbraucherschutzelemente berücksichtigtwerden.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Dirk Manzewski, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debat-
tieren am heutigen Tag über den Entwurf des so genann-
ten Forderungssicherungsgesetzes des Bundesrates, mit
dem dieser meint, das Problem der Zahlungsmoral in
Deutschland wirksam bekämpfen zu können. Um es
gleich deutlich zu sagen: Ich teile diese Auffassung ganz
und gar nicht. Ich habe mich im letzten Jahr – es war un-
gefähr zur gleichen Jahreszeit – mit verschiedenen Un-
ternehmern getroffen, knapp über 30 Fälle konkret auf-
gearbeitet und überprüft, inwieweit in diesen Fällen das
Gesetz weitergeholfen hätte. In keinem einzigen dieser
Fälle wäre durch das hier diskutierte Gesetz geholfen
worden.
Man muss mit der Materie ehrlich umgehen: Was
kann ein Gesetz ausrichten, wenn den Betroffenen noch
nicht einmal die bislang bestehenden rechtlichen Mög-
lichkeiten bekannt sind oder wenn sie diese nicht geltend
machen, weil sie zum Beispiel auf Folgeaufträge hoffen?
Das sind die tatsächlichen Probleme, die hinter dem Pro-
blem der Zahlungsmoral stehen. Was kann ein Gesetz
ausrichten, wenn sich die Betroffenen – auch der Staats-
minister hat dieses Beispiel erwähnt – auf Nachverhand-
lungen einlassen und in diesem Zusammenhang auf ei-
nen Großteil ihrer Forderungen verzichten? Auf die
Justiz und den Gesetzgeber lässt sich dann zwar trefflich
im Nachhinein schimpfen; aber gleichwohl hat es sich
hierbei trotz gegebenenfalls wirtschaftlicher Zwänge
letztendlich um einen freiwilligen Akt gehandelt.
Mich ärgert, dass offensichtlich wieder einmal – das
ist ja nicht das erste Gesetz, das wir zu diesem Thema
verabschieden sollen – keine praxisorientierte Analyse
der Situation gemacht worden ist. Ob nun Handwerker-
frauen vor dem Brandenburger Tor oder die zahlreichen
Briefe von Betroffenen an uns: Man sollte sich einfach
einmal die Zeit nehmen, sich konkret mit diesen Fällen
zu beschäftigen und zu überprüfen, inwieweit durch Ge-
setze wie dem vorliegenden tatsächlich hätte weiterge-
holfen werden können. Ich habe da, wie gesagt, meine
Zweifel.
Ich hätte es auch für sinnvoll gehalten, wenn man un-
ser letztes Gesetzgebungsverfahren zum Thema Zah-
lungsmoral, das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zah-
lungen, zuvor gründlich evaluiert hätte.
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ir persönlich fehlen nämlich immer noch gesicherte
rkenntnisse darüber, warum genau die so genannte
ertigstellungsbescheinigung, der zentrale Punkt des
amaligen Gesetzes, in der Praxis nicht den erhofften
rfolg gebracht hat. Stattdessen werden dann einfach
ieder einmal das BGB und die ZPO geändert, als wenn
as nichts wäre.
Nicht unerwähnt bleiben soll auch – auch das muss
an deutlich sagen –, dass, wenn nicht gezahlt wird,
ies nicht immer etwas mit fehlender Zahlungsmoral zu
un hat. Gerade im Bau ist das Thema „Pfusch am Bau“
u einem ernst zu nehmenden Problem geworden. Die
ründe hierfür sind leider vielfältig.
Das Gesetz hat aber weitere Schwächen. Das Kern-
tück des Gesetzentwurfes ist die vorläufige Zahlungs-
nordnung.
Herr Kollege Manzewski, gestatten Sie eine Zwi-
chenfrage?
Ja, gerne.
Bitte schön.
Herr Kollege Manzewski, nach all dem, was hier auch
om Kollegen Danckert geäußert worden ist, habe ich
ie Frage, ob Sie uns mitteilen können, ob Sie die Auf-
assung des Kollegen Danckert teilen, dass die vorläu-
ige Zahlungsanordnung ein wichtiges und den Hand-
erkern hilfreiches Instrument darstellen kann.
Lieber Kollege Strässer, ich habe damit meine Pro-leme.
enn ich muss ganz deutlich sagen: Es ist festgelegtorden, dass das Gericht aufgrund einer fundierten Pro-nose schon vor Eintritt der Entscheidungsreife – daraufurde schon hingewiesen – einen Zahlungsanspruch ti-ulieren soll. Das ist vor allem für die Fälle angedacht, inenen zum Beispiel durch eine noch notwendige Be-eisaufnahme kein Ende des Verfahrens abzusehen ist.er Herr Staatsminister hat auch diesen Fall angespro-hen.Man muss deutlich sagen: Das klingt zunächst einmalicht schlecht. Nur, was sollen das für Fälle sein, in de-en einerseits noch keine Entscheidungsreife vorliegt,ohl aber andererseits eine hohe Erfolgsaussicht beste-en soll? Welcher Richter wird eine hohe Erfolgsaus-icht bei einer noch ausstehenden Beweisaufnahme beja-en? Gerade weil sich der Richter unsicher fühlt, wird
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2694 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
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Dirk Manzewskiauswärtiger Sachverstand durch einen Gutachter einge-holt. Der Bundesrat meint nun, als Hilfestellung für einesolch hohe Erfolgsaussicht könne zum Beispiel ein sogenanntes qualifiziertes Privatgutachten dienen, wennein renommierter Wissenschaftler dieses Privatgutachtengefertigt habe.
– Ich bin noch nicht fertig.
Herr Kollege, ich mache nur darauf aufmerksam, dass
bei einem ausgeschlafenen Präsidenten auf diese Weise
keine beliebige Verlängerungen der Redezeiten zu erwir-
ken sind.
Ehrlich gesagt: Ich möchte den Richter sehen, der
sich davon beeindrucken lässt und nur deshalb eine Ent-
scheidung fällt. Wir alle wissen doch, wie problematisch
der Umgang mit Privatgutachten ist.
Eine hohe Erfolgsaussicht soll auch dann bestehen,
wenn zwar ein gerichtliches Gutachten vorliegt, aber
vielleicht gerade deshalb noch die Einholung eines wei-
teren Gutachtens notwendig ist. Lieber Herr Macken-
roth, gerade wenn ein Richter die Einholung eines weite-
ren Gutachtens für notwendig erachtet, wird er kaum
eine fundierte Prognose für eine vorläufige Zahlungsan-
ordnung treffen. Wie auch!
Wir haben – Kollege Montag hat es angesprochen – in
der letzten Legislaturperiode ein erweitertes Bericht-
erstattergespräch geführt. Wir haben den Deutschen
Richterbund, den Deutschen Anwaltverein, den Deut-
schen Sparkassen- und Giroverband und renommierte
Wissenschaftler, die sich mit dem Thema Baurecht be-
schäftigen, eingeladen. Seinerzeit haben alle unisono
dieses Gesetz abgelehnt. Es wurde sogar die Auffassung
vertreten, dass die Anwaltschaft, insbesondere, um nicht
in Regress genommen zu werden, regelmäßig eine vor-
läufige Zahlungsanordnung begehren wird. Dies würde
sich sogar kontraproduktiv auswirken, weil dann näm-
lich alle Verfahren länger laufen würden.
Ich äußere mich heute so kritisch, weil mich der Ge-
setzentwurf nicht überzeugt und ich die Befürchtung
habe, dass wir uns nach seiner Verabschiedung noch in
dieser Legislaturperiode über den nächsten Gesetzent-
wurf zum gleichen Thema unterhalten müssen.
Dass diese Befürchtung nicht völlig unbegründet ist, er-
gibt sich bereits aus der Stellungnahme des Bundesjus-
tizministeriums zum hier debattierten Gesetzgebungs-
verfahren.
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Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
urfs auf der Drucksache 16/511 an die in der Tagesord-
ung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
azu andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann
st das so beschlossen.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 11:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine, Werner
Dreibus, Petra Pau und der Fraktion der LINKEN
Gegen die Schließung von 45 Standorten bei
der Deutschen Telekom AG
– Drucksache 16/845 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll auch
iese Debatte 30 Minuten dauern. – Dazu höre ich kei-
en Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält die Kol-
egin Petra Pau für die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wireden über geplante Betriebsschließungen, über dro-ende Entlassungen, über einen weiteren Arbeitsplatz-bbau. Überwiegend geht es um ohnehin strukturschwa-he Regionen. Vor allem wären Frauen davon besondersetroffen. Es geht um Pläne eines Konzerns, der nochor kurzem ein öffentliches Unternehmen war. Es gehtm ein Unternehmen, bei dem die Bundesregierungoch immer ein beträchtliches Mitspracherecht hat. Wireden über die Deutsche Telekom AG.Der Konzern hat satte Gewinne erzielt. Trotzdem willie Konzernführung 32 000 Stellen streichen und bun-esweit 45 Standorte schließen. Die Fraktion Die Linkest der Meinung: Das ist ein Fall für den Bundestag;
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2695
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Petra Paues ist sogar ein dringender Fall. Deshalb haben wir einenAntrag, der sich gegen die Schließung der 45 Standorterichtet, gestellt.Die Beschäftigten kämpfen verzweifelt um ihre Ar-beitsplätze, um ihre Existenz und um ihre Zukunft. Ichwar bereits vor Wochen auf einer Kundgebung von Tele-kom-Beschäftigten aus Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern hier in Berlin. Es geht aber nicht nur umden Nordosten oder um Berlin. Betroffen sind die Stand-orte Lübeck, Flensburg, Stade, Bremerhaven, Heide,Cottbus, Erfurt, Angermünde, Perleberg, Donauwörth,Bamberg, Bayreuth, Hof, Ingolstadt, Landshut, Freising,Erlangen, Deggendorf, Regensburg, Rosenheim, Gar-misch-Partenkirchen, Berlin, Aschaffenburg, Braun-schweig, Göttingen, Oldenburg, Bad Kreuznach, Darm-stadt, Limburg, Hanau, Reutlingen, Kaiserslautern,Offenburg, Weingarten, Calw, Schwäbisch Hall, Duis-burg, Iserlohn und Wuppertal.In den Medien nennt man so etwas einen Flächen-brand. Ich finde, die Mitglieder des Bundestages, die ausden Regionen dieser 36 Standorte kommen, dürfen dasnicht einfach hinnehmen.
Wir sollten parteiübergreifend intervenieren und dafürkämpfen, dass nicht noch mehr Beschäftigte und vor al-lem Frauen ins berufliche Aus getrieben werden.Der zweite Teil unseres Antrages ist grundsätzlicher.Er wendet sich dagegen, dass immer mehr öffentlicheUnternehmen privatisiert werden; denn dadurch verliertdie Politik, verlieren die Parlamente an Einfluss. Parla-mente ohne Einfluss bedeuten immer auch eine Schwä-chung der Demokratie.Natürlich muss die öffentliche Hand nicht alles be-wirtschaften, was nur irgend möglich ist. Das Land Ber-lin zum Beispiel hat sich von der Königlichen Porzellan-Manufaktur getrennt. Ich finde, das war vernünftig; dennkeiner Bürgerin und keinem Bürger kann plausibel er-klärt werden, warum seine Steuern dafür herhalten müs-sen, teure Edelprodukte zu subventionieren.Es gibt aber auch lebenswichtige Grundbedürfnisse,die man nicht dem freien Markt oder dem spekulativenSpiel der Börsen überlassen darf;
denn der freie Markt ohne Regeln ist sozial taub und dieBörse ist sozial blind.
Zu diesen Grundbedürfnissen gehören zum Beispiel Bil-dung, Gesundheit, Wohnen, Mobilität und eben auch dieKommunikation.
Weil das so ist, darf die Politik ihren Einfluss bei diesenGrundbedürfnissen nicht verkaufen und den Aktionärenüberlassen.fKtzwvPIndknhiwUtFANsgdeDsmdiuAdmuBc
nzwischen planen weitere Städte – auch solche, in de-en andere Parteien das Sagen haben – Ähnliches, umen kommunalen Haushalt zu sanieren. Ich halte das fürurzsichtig – das sage ich durchaus auch den Kollegin-en und Kollegen meiner Partei, die sich daran beteiligtaben –; denn damit geben diese Kommunen zugleichhren Einfluss, zum Beispiel auf die soziale Stadtent-icklung, preis.
Ich finde, die Politik hat eine soziale Verantwortung.m dieser gerecht zu werden, bedarf es öffentlicher Be-riebe, die auch durch die Politik bestärkt werden.Danke.
Nächster Redner ist der Kollege Jochen-Konrad
romme, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Dieserntrag ist ausgesprochen populistisch.
atürlich ist jeder Arbeitsplatz, der in Deutschland ver-chwindet, einer zu viel. Deshalb verdient dieser Vor-ang auch große Aufmerksamkeit und wir müssen unsarum kümmern. Aber so, wie der Antrag gestellt ist, istr völlig falsch angelegt, und zwar in beiden Teilen.
er zweite Teil ist eigentlich noch entlarvender undchlimmer als der erste Teil.Zunächst einmal muss man sich mit dem Unterneh-en Telekom beschäftigen. Es ist eine Binsenweisheit,ass die Telekommunikationsbranche eine Branchest, in der der Umbruch praktisch stündlich stattfindetnd in der stündlich Entwicklungen stattfinden, die einenpassung der Betriebe erfordern.Ich kann mich noch gut an die Zeiten erinnern, als wirie staatliche Post mit dem „Dampftelefon“ hatten, woan für jede Telefondose einen eigenen Antrag stellennd Gebühren zahlen musste. Nach der Privatisierung istelebung in die Landschaft gekommen und diese Bran-he hat Arbeitsplätze aufgebaut.
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2696 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
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)Jochen-Konrad Fromme
– Herr Ströbele, Sie haben auch noch nicht dazugelernt,das ist doch völlig klar. –
Wenn es dann wegen des harten Wettbewerbs besondererAnpassungen bedarf – man muss natürlich wissen, dassdie Telekom Altlasten mitschleppt und vieles mit auf denWeg bekommen hat, was Wettbewerber nicht haben –,dann muss die Telekom in der Lage sein, sich anzupas-sen.Es ist richtig, dass in den nächsten drei Jahren Ar-beitsplätze umgebaut werden sollen. Das ist eine be-trübliche Entwicklung, weil wir dabei auch Arbeits-plätze verlieren. Man muss dabei aber zweierlei sehen:Erstens. Es ist mit den Betriebsräten vereinbart. Wa-rum ist es mit den Betriebsräten vereinbart? – Weil diedoch auch wissen, dass, wenn man einen Betrieb so lau-fen lässt, dass er nicht wettbewerbsfähig ist, am Endenichts mehr überbleibt. Da stellt sich doch die Frage, obes besser ist, wenn man sich anpasst und einige Arbeits-plätze verliert, oder ob es besser ist, wenn man sich nichtanpasst und alle verliert.
Nach der Betriebsvereinbarung der Telekom erfolgen bis2008 keine betriebsbedingten Kündigungen. Das heißt,dass die Umstellung sozialverträglich, im Einvernehmenmit den Betriebsräten erfolgt.Es werden Arbeitsplätze abgebaut, weil man die Call-center – sie sind eigentlich eine Erfolgsgeschichte derTelekommunikation; hier wurden in den letzten Jahr-zehnten viele neue Arbeitsplätze geschaffen – andersführen muss, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Wenn dieWettbewerber größere, wirtschaftlichere Einheiten bil-den, dann muss die Telekom nachziehen, weil sie sonstkeine Aufträge mehr bekommt. So einfach ist das. Au-ßerdem geht es darum, die Qualität der Dienstleistungenfür die Kunden zu verbessern.
Den Mitarbeitern werden im Übrigen andere Arbeits-plätze angeboten.
– Natürlich ist es einfach, zu sagen, die dürfen nichtsverändern. Das kann sich aber nur eine Partei leisten, diekeine Verantwortung für die Arbeitsplätze von morgenübernehmen muss.
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Dass Sie, meine Damen und Herren von der Linken,ichts hinzugelernt haben, zeigt der zweite Teil Ihresntrages. Es ist doch völlig klar: Gewinne spiegeln dieituation von gestern wider und bilden über die Schaf-ung von Kapital die Basis für die Arbeitsplätze vonorgen; denn ohne Kapital gibt es keine Arbeitsplätze.atürlich ärgert es uns, wenn Betriebe Personal über dasirtschaftlich gebotene Maß abbauen.An dieser Stelle aber können wir nicht eingreifen. Dieelekom ist ein privatisiertes Unternehmen. Die Ver-ntwortung für das operative Geschäft liegt beim Vor-tand. Dem Vorstand, auch einzelnen Vorstandsmitglie-ern, können wir keine Weisungen erteilen. Deshalb isthr Antrag zum einen rechtlich unzulässig und zum an-eren wirtschaftlich unsinnig, weil er zur Totalzerstö-ung führen würde.
Sie haben ja viel Erfahrung darin, wie man mit staat-ich gesteuerten Betrieben umgeht. Das haben Sie ebenopulistisch dargestellt. Wir brauchen nur ein wenig inichtung Osten schauen, um zu sehen, wohin das führt.ie Diskussion, die heute in der Presse geführt wird,eigt doch, wie verwoben die Linkspartei mit dem altenystem ist, wie viele von damals Sie heute immer nochn Ihren Reihen haben. Daran wird auch die vierte Na-ensänderung nichts ändern. Sie bleiben unterwandertnd infiltriert. Sie bleiben vom falschen Gedankenguteseelt.
Auch ein Stammtisch hat manchmal Recht; denn dieenschen haben ein gesundes Gespür dafür, was falschnd was richtig ist.
ie Menschen begreifen, dass es besser ist, Arbeits-lätze abzusichern.Einige Unternehmen haben diesen Innovationspro-ess nicht erfolgreich bestanden und befinden sich des-alb in einer gefährlichen Schieflage. Schauen wir unsoch einmal Teile der Automobilindustrie an. Wer dienpassung nicht rechtzeitig geschafft hat, hat jetzt unterostengesichtspunkten große Schwierigkeiten. Am Endeedeutet das möglicherweise, dass ganze Marken undamit Tausende von Arbeitsplätzen verschwinden, dieicht hätten verschwinden müssen, wenn man sich recht-eitig umgestellt, wenn man sich rechtzeitig wettbe-erbsfähig aufgestellt hätte. Das ist der Punkt.
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Jochen-Konrad FrommeIm zweiten Teil Ihres Antrages zeigen Sie – dieserTeil ist entlarvend –, dass Sie wieder in die Staatswirt-schaft zurück wollen. Ich wiederhole, damit es auch derLetzte begreift: Sie haben schon einmal einen großenTeil dieses Landes in die Katastrophe geführt. Die armenMenschen mussten das ausbaden. Ein Teil der Probleme,die wir heute haben, sind doch dadurch bedingt, dass wiruns jetzt damit befassen müssen, das Erbe von fast50 Jahren Sozialismus aufzuräumen.
Das ist das Problem. Warum mussten wir denn fast dieganze ehemalige DDR unter dem Gesichtspunkt desUmweltschutzes sanieren? Weil Sie eine falsche, men-schenfeindliche Wirtschaftspolitik betrieben haben. Dasist doch die Wahrheit.
– Die Tatsache, dass Sie so reagieren, zeigt doch auch,dass ich offensichtlich getroffen habe. Wenn Sie sichnämlich nicht so getroffen fühlen würden, dann würdenSie doch eine nüchterne Auseinandersetzung führen undArgumente vorbringen, anstatt dazwischenzubrüllen. Siewollen vernebeln, was Sie angerichtet haben.Ich sage es noch einmal: Ihr Antrag ist in beidenPunkten abzulehnen.
Ihre Politik ist rückwärts gewandt, Sie haben aus den Er-fahrungen der Geschichte leider nichts gelernt. Frakti-onsstärke haben Ihnen die Unzufriedenen beschert, dieSie auf populistische Art und Weise eingesammelt ha-ben. Leider haben die nicht genau hingesehen. Sie wer-den ganz schnell merken, was sie an Ihnen haben. Des-halb werden Sie nicht weiter zum Zuge kommen und beider nächsten Wahl die Quittung dafür erhalten.
Wir müssen uns marktwirtschaftlich so aufstellen,dass unsere Unternehmen auf Dauer wettbewerbsfähigsind. Nur dann gibt es überhaupt Arbeitsplätze und kön-nen diese in ausreichendem Maße erhalten bleiben. Wirmüssen daran arbeiten, dass das besser wird; denn in denletzten Jahren sind wir zu weit abgerutscht. Mit einer sorückwärts gewandten Politik, wie sie in Ihrem Antragausgedrückt wird, werden wir den heutigen Erfordernis-sen – das ist der Hauptpunkt – nicht gerecht.
Deshalb werden wir diesen Antrag ablehnen.
Das Wort hat nun der Kollege Martin Zeil für die
FDP-Fraktion.
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Sie verschweigen zudem die Angebote der Telekom
n die betroffenen Mitarbeiter, Sie unterschlagen, dass
ich die Firma mit den Betriebsräten vor kurzem auf die
ünftigen Standorte abschließend geeinigt hat, und Sie
assen natürlich jegliche Auseinandersetzungen mit den
irtschaftlichen Argumenten vermissen.
ber das wäre vielleicht von patentierten Marxisten zu
iel verlangt.
Herr Kollege Zeil, darf die Kollegin Pau Ihnen eine
wischenfrage stellen?
Aber selbstverständlich.
Herr Kollege, wollen Sie ernsthaft behaupten, dass
as Angebot an allein erziehende Frauen an den von
chließung betroffenen oder bedrohten Standorten, ei-
en 200 Kilometer oder auch nur 150 Kilometer vom
isherigen Standort entfernten Arbeitsplatz aufzuneh-
en, ein ernstes und faires Angebot ist, welches es den
rauen ermöglicht, sowohl ihren Pflichten in der Familie
achzukommen als auch ihren Arbeitsplatz zu behalten?
Frau Kollegin, ich will gar nicht bestreiten, dass esier im Einzelfall zu Härten kommen kann. Das ist gareine Frage. Aber insgesamt ist es so, dass durch diesenmstrukturierungsprozess möglicherweise Arbeitsplätzen anderer Stelle genau für diesen Personenkreis gesi-hert werden können. Sie müssen sich vielleicht nochental daran gewöhnen, dass es sich hier um ein privati-iertes Unternehmen und nicht mehr um ein Staatsunter-ehmen handelt.
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Martin ZeilIhr Antrag gibt über den konkreten Anlass hinaus Ge-legenheit, über grundlegende Fragen zu diskutieren.Wollen wir soziale Marktwirtschaft oder wollen wirPlanwirtschaft? Sind Politiker oder Verwaltungen diebesseren Unternehmer? Wollen wir entscheiden, was derbessere Standort, der beste Tarif und das beste neue Pro-dukt sind? Da sagen wir als Liberale: Wer die sozialeMarktwirtschaft will, kann die letzte Frage nur ganz klarmit Nein beantworten.
Unsere Aufgabe ist es hingegen, Rahmenbedingun-gen zu setzen, Frau Kollegin, die es den Unternehmenermöglichen, Arbeitsplätze zu erhalten und neue zuschaffen. Die Rahmenbedingungen müssen, zum Bei-spiel durch mehr Wettbewerb, auch dem Wohl der Ver-braucher dienen. Hier vertreten wir als Fraktion nachwie vor den klaren Kurs einer umfassenden marktwirt-schaftlichen Erneuerung.Diesem Kurs entspricht es auch, die Privatisierung imTelekommunikationsbereich, die insgesamt, vor allemaber auch aus der Sicht der Verbraucher, positiv zu be-werten ist, fortzusetzen. Vergegenwärtigen Sie sich ein-mal, insbesondere aus der Sicht der Verbraucher, dassein nationales Ferngespräch, für das die Post Mitte der90er-Jahre 30 Cent pro Minute kassiert hat, heute beimbilligsten Anbieter gerade einmal 1 Cent pro Minutekostet. Bei den zehn wichtigsten Auslandszielen betra-gen die Entgelte nur noch 3 Prozent des Betrages, dendas damalige Staatsunternehmen berechnet hat.In diesem Zusammenhang ist auch Folgendes wich-tig: Ein Blick auf die Erwerbstätigenstatistik zeigt,dass es 1995, in dem Jahr der Privatisierung der Tele-kom, in der IT-Branche 630 000 Beschäftigte gab. ImJahr 2005 lag diese Zahl bei 750 000. Das ist eine Zu-nahme um knapp 20 Prozent. Deswegen ist es falsch,sich immer nur auf ein Unternehmen zu fokussieren.Hier muss man eine Gesamtbetrachtung anstellen.
Diese Fakten sprechen aus unserer Sicht für sich. Siesprechen aber auch dafür, dass wir grundsätzlich unsereLinie fortsetzen müssen: Der Staat muss sich dort, wo erkeine zwingenden öffentlichen Aufgaben zu erfüllen hat,aus der Wirtschaft zurückziehen und darf ihr keine Kon-kurrenz machen.
Das heißt aber auch: Wenn ein Unternehmen privati-siert und ein Markt liberalisiert wird, muss das konse-quent geschehen. Dann darf es keine Ausnahmen undkeine halben Sachen geben. Dann muss wirklich fürWettbewerb gesorgt werden. Deshalb werden wir Libe-rale darauf drängen, dass die Umsatzsteuerbefreiung unddas Briefmonopol der Deutschen Post fallen und dasswir mehr Wettbewerb auf der Schiene bekommen.
– Herr Barthel, hören Sie gut zu; ich möchte abschlie-ßend Helmut Schmidt zitieren.FSdeFirckkPdwrasneOcWgteksnnEtwWuntmeeSsdvo
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Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 16/845 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu besteht of-fenkundig Einvernehmen. Dann ist die Überweisung sobeschlossen.Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 12:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
auftragtenJahresbericht 2004
– Drucksachen 15/5000, 16/909 –Berichterstattung:Abgeordnete Anita Schäfer
Hedi WegenerElke HoffPaul Schäfer
Winfried NachtweiNach einer interfraktionellen Vereinbarung soll dieAussprache eine halbe Stunde dauern. – Ich höre dazukeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächstder Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages,Reinhold Robbe.
BDvJrzDgsJDkStUfswrJnBsBgwVpsdtHFiwtJgssdkdzhrdwidmwSd1) Anlage 2
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Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile,
öchte ich gerne – sicherlich auch in Ihren aller
amen – dem Wehrbeauftragten und allen Mitarbeiterin-
en und Mitarbeitern der Behörde für die Vorlage des
erichts und insbesondere für die damit verbundene Ar-
eit herzlich danken.
Das Wort hat nun die Kollegin Elke Hoff, FDP-Frak-
ion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-en und Kollegen! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter!ir sprechen heute abschließend über den Jahresbericht004 des Wehrbeauftragten. Der nächste Bericht liegtereits vor. Es ist gut, sehr geehrter Herr Robbe, dass Sien Ihrem ersten Bericht die klare und deutliche Art Ihresorgängers fortsetzen.Die Institution des Wehrbeauftragten hat auch im0. Jahr ihres Bestehens nicht an Bedeutung verloren.m Gegenteil: Der Anstieg des Eingabeaufkommens von0 Prozent in den ersten Monaten des Jahres 2006 ist einlarmsignal, dass bei unserer Bundeswehr weiterhin ei-iges im Argen liegt. Die Kenntnis des neuen Berichtsrlaubt es bereits heute, sich weiterentwickelnde Fehl-ntwicklungen festzustellen.Viele Punkte im Jahresbericht 2004 entwickeln sichu bedauernswerten Klassikern. Als Beispiel hierfüröchte ich den Beförderungsstau, das Ausufern büro-ratischer Einsatzhindernisse, den baulichen Zustand derasernen und die Auswirkungen der permanenten Un-erfinanzierung der Streitkräfte, die der Wehrbeauftragteehr treffend als ein permanentes Verwalten des Mangelsritisiert, benennen.In den Eingaben der Soldatinnen und Soldaten drücktich der ganze Unmut über eineinhalb Jahrzehnte Trans-ormation aus. Die Transformation lebt aber von derkzeptanz derjenigen, die sie tagtäglich zu vollziehenaben. Wenn dieser Begriff mehr und mehr negativ
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Elke Hoffbesetzt wird, kann man ihn irgendwann vergessen. Esgeht hier auch um Menschen und nicht nur um Planziele.So sympathisch der Wunsch nach einer Atempauseim Transformationsprozess, wie er von Herrn Robbe ge-äußert wurde, auch ist: Er ist unrealistisch. Wenn dieBundeswehr bis 2010 auch nur annähernd das von ihrangestrebte Personalstrukturmodell mit der neuen Auf-gabenverteilung einführen möchte, wird der Transforma-tionsdruck eher noch zunehmen.Deshalb ist die Einsicht des Bundesverteidigungsmi-nisters erfreulich, dass die Besonderheiten des Soldaten-berufs auch ein eigenes Besoldungsrecht erfordern. DieFDP fordert dies seit Jahren. Der Minister hat offenbarerkannt, dass es einen Unterschied macht, ob der Soldatin Faizabad oder in der Brüsseler EU-Bürokratie seinenDienst versieht.Wenn Sie hoffentlich in Kürze damit beginnen, dasBesoldungsrecht in Ordnung zu bringen, dann solltenSie auch die Besoldungsunterschiede in Ost und Westauflösen. Die Integration einer betrieblichen Alterssiche-rung insbesondere für die Soldaten auf Zeit würde eben-falls zu diesen Reformanstrengungen passen. Ich bin mirsicher, dass Sie hierfür eine breite parlamentarischeMehrheit finden werden.Bemerkenswert ist, wie deutlich sich der neue Wehr-beauftragte in den letzten Wochen zu den zunehmendenBelastungen durch neue Auslandseinsätze der Bundes-wehr geäußert hat. Er sprach von einer Bundeswehr, diebis zur Oberkante ausgelastet sei. Im Hinblick auf einenmöglichen Einsatz deutscher Soldaten im Kongo könneer sich einen Einsatz, der über eine beobachtende Funk-tion und den Einsatz von wenigen Spezialisten hinaus-gehe, nicht vorstellen. Die Bundeswehr könne nicht allesund sie sei auch nur sehr beschränkt über ihr derzeitigesEngagement hinaus einsetzbar. Auch seien die Soldatin-nen und Soldaten nur schwer davon zu überzeugen, dassein solcher Einsatz notwendig ist.Ich freue mich, dass Sie diese deutlichen Worte ge-funden haben, auch wenn ich der Ansicht bin, dass eshierbei weniger um die Frage geht, ob die Bundeswehraufgrund ihrer militärischen Fähigkeiten einen Einsatzim Kongo bewerkstelligen kann. Vielmehr geht es da-rum, dass die Bundesregierung bis heute nicht plausibelbegründet hat, wodurch und inwiefern ein viermonatigerEinsatz von 500 Soldaten im Kongo zu einer dauerhaf-ten Stabilisierung Zentralafrikas führen wird. In einerSWP-Studie vom Februar dieses Jahres werden die Wah-len aus Sicht der zur Wahl stehenden Präsidentschafts-kandidaten als „Fortsetzung des Krieges mit anderenMitteln“ bezeichnet. Gibt eine solche Einschätzung An-lass zu den allgemeinen Beschwichtigungsversuchennach dem Motto „Alles wird gut“?Unsere Soldatinnen und Soldaten haben sowohl beibestehenden Einsatzverpflichtungen als auch bei künfti-gen einen Anspruch auf ein plausibles Gesamtkonzeptmit einer belastbaren Exitstrategie. Fehlt es an einemsolchen Konzept, ist ein Einsatz nicht vertretbar. Sowohlin dem vorliegenden Bericht als auch in dem für das Jahr2005 wird sehr deutlich, wie groß die Belastungen fürdtdmsrwlsdtFmr–cwCahaatgBInsie
Das wäre eigentlich ein schöner Schlusssatz gewesen,
rau Kollegin.
Sehr richtig. Aber Sie wissen, die Frauen haben im-
er das letzte Wort.
Wir müssen gemeinsam darauf achten, dass der Be-
icht des Wehrbeauftragten zu einer Blaupause oder
um einen Begriff des Generalinspekteurs zu gebrau-
hen – zu einem Living Document der Transformation
ird.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun die Kollegin Anita Schäfer, CDU/
SU-Fraktion.
Meine Damen und Herren! In diesem Jahr blicken wiruf 50 Jahre Wehrbeauftragter zurück. Diese Institutionat sich zum Schutz der Grundrechte der Soldaten voll-uf bewährt. Sie gewinnt im Zeichen der Transformationls Frühwarnsystem an Bedeutung. Herr Wehrbeauftrag-er, Sie haben vor kurzem Ihren ersten Jahresbericht vor-elegt. Wie schon bei Ihrem Vorgänger zeichnet sich derericht durch Offenheit, Klarheit und Sachkenntnis aus.hnen und Ihren Mitarbeitern danke ich im Namen mei-er Fraktion für Ihre wichtige Arbeit. Sie können auf un-ere Unterstützung zählen.
Der Umbau der Bundeswehr zu einer Einsatzarmeest zwar sicherheitspolitisch begründet, aber mit einemnormen Veränderungsdruck verbunden. Umstrukturie-
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Anita Schäfer
rung, Umstationierung und Neuausrichtung der Ausbil-dung vollziehen sich gleichzeitig zu Planung, Vorberei-tung und Durchführung internationaler Kriseneinsätze,sozusagen eine Reparatur am laufenden Motor. Bislanghaben unsere Soldaten diesen Spagat gemeistert. Aberder Bericht des Wehrbeauftragten 2004 enthält deutlicheWarnsignale. Wir müssen die Risiken der Transforma-tion klar identifizieren und bei Bedarf korrigierend ein-greifen.Begründung, Planung und Durchführung von Aus-landseinsätzen erfordern das besondere Augenmerk vonuns Parlamentariern. Es wäre fatal, wenn internationaleKriseneinsätze der Bundeswehr als Routineangelegen-heit wahrgenommen würden. Bundespräsident HorstKöhler hat ein „freundliches Desinteresse“ der Gesell-schaft an unseren Streitkräften konstatiert. Das ist einbedenklicher Vorgang, der mit dem Prinzip einer Parla-mentsarmee unvereinbar ist. Zu Recht erwarten die Sol-daten von uns Klarheit über den Sinn von Einsätzen. Siehaben es angesprochen, Herr Wehrbeauftragter. Nurwenn ausreichend Klarheit besteht, ist eine breite Zu-stimmung im Parlament möglich. Diese ist für die Legi-timation von Auslandseinsätzen unverzichtbar.Im Mai steht die Abstimmung über einen Kongoein-satz deutscher Soldaten an. Leider ist es in der politischenDebatte noch nicht gelungen, den Sinn dieses Einsatzeshinlänglich klarzumachen. Wir müssen die deutschen In-teressen an einem verstärkten Afrikaengagement klar de-finieren. Für mich kommt es auf folgende Punkte an:Erstens. Der Staatenzerfall in Afrika ist ein gravieren-des sicherheitspolitisches Problem. Neue Rückzugs-räume für Terroristen können entstehen. Der Migrations-druck nach Europa verschärft sich weiter. Ein Einsatz,der zur Stabilisierung im Kongo beitragen kann, ist des-wegen auch im deutschen Sicherheitsinteresse.Zweitens. Afrika ist als Nachbarkontinent Europasein wichtiger Rohstofflieferant und künftiger Markt. DieÖlzentren in Zentral- und Westafrika, die an die Demo-kratische Republik Kongo angrenzen, werden für diestrategische Rohölversorgung des Westens zunehmendwichtig. Das betrifft natürlich auch uns als wichtige eu-ropäische Industrienation.Drittens. Ein gesamteuropäisches Kontingent trägtunter dem Gesichtspunkt des Multilateralismus zur Stär-kung der Vereinten Nationen bei. Wir unterstützen durchdiese Politik die Transformation der EU auf dem Weg zueinem globalen Akteur.Nur wenn deutsche Interessen klar und einsichtig for-muliert sind, nur wenn ein breiter sicherheitspolitischerKonsens im Parlament besteht, können unsere Soldatenmit innerer Überzeugung in einen Einsatz gehen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, Auslandseinsätzesind teuer. Allein im Haushaltsjahr 2005 schlugen sie imVerteidigungsetat mit rund 884 Millionen Euro zu Bu-che. Das Ungleichgewicht zwischen Auftrags- und Mit-tellage der Bundeswehr ist längst nicht behoben. Umsomehr brauchen wir endlich einen fairen Finanzierungs-schlüssel für Auslandseinsätze.dFnpMEzülEsGbtBwedaDargdewPwbndzüsnWsazasDdr
ine einseitige Inanspruchnahme des Einzelplans 14chadet der Planungssicherheit der Truppe. Denn dieseelder fehlen für verteidigungsinvestive Ausgaben. Wirrauchen sie dringend für eine optimale Einsatzausstat-ung der Bundeswehr.Meine Damen und Herren, das Gros der laufendenundeswehreinsätze sind Stabilisierungsmissionen. Sieerden auch in Zukunft das Einsatzprofil der Truppentscheidend prägen. Doch schon jetzt ist absehbar, dasser Bundeswehr die Spezialisten ausgehen. Ich zitiereus dem Bericht des Wehrbeauftragten 2004:Immer wieder und verstärkt wiesen Soldaten daraufhin, dass die Möglichkeiten der Spezialisten, na-mentlich der Fernmelder, des Sanitätspersonals, derPioniere und auch von Logistikern erschöpftseien …ieser Trend bestätigt sich auch im Bericht des Wehrbe-uftragten 2005. Hier werden explizit die Bereiche ope-ative Information, Sanitätsdienst und Heeresflieger an-eführt.Wenn das gegenwärtige Einsatzniveau gehalten wer-en soll, muss die Personalkonzeption der Bundeswehrntschieden gegensteuern. Hier zeigt sich im Übrigen,ie unverzichtbar die Wehrpflicht für eine nachhaltigeersonalplanung der Streitkräfte bleibt. Doch müssenir zusätzlich kreativ in eine gezielte Nachwuchswer-ung und attraktive Karriereplanung investieren. Die ge-annten Spezialisten sind das Rückgrat globaler Frie-enssicherungseinsätze.Meine Damen und Herren, gerade in Auslandseinsät-en beginnt oft ein Nachdenken der Soldaten über Werte,ber Sinn und Zweck des Lebens. Umso mehr benötigenie ein ethisch reflektiertes Berufsverständnis, das ih-en in schwierigen Entscheidungssituationen weiterhilft.ichtige Wegbegleiter im Einsatz sind die Militärseel-orger, dies nicht nur im Einsatzgebiet selbst, sondernuch in der Heimat, wo sie den Familien mit Rat und Tatur Seite stehen. Die Militärseelsorge muss deswegenuch künftig elementarer Bestandteil der Einsatzplanungein.Die katholische Bischofskonferenz hat jüngst in ihrerenkschrift „Soldaten als Diener des Friedens“ die Be-eutung der inneren Führung für Auslandseinsätze he-ausgestellt:
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Anita Schäfer
Die lebendige Weiterentwicklung des Konzepts derInneren Führung ist eine der entscheidenden Vo-raussetzungen für die friedensethische Legitimitätder Streitkräfte.Dies müsse, so betonen die Bischöfe zu Recht, auch un-ter multinationalen Einsatzbedingungen Geltung haben.Eine Erosion der inneren Führung in Konkurrenz zuanderen militärischen Führungskulturen wäre für dasmoralische und politische Selbstverständnis der Bundes-wehr ein gravierender Bruch. Hier stehen der Wehrbe-auftragte und wir Parlamentarier in einer besonderenSorgfalts- und Beobachtungspflicht.Unsere Gesellschaft muss sich darüber im Klarensein, dass – wie der langjährige Generalinspekteur KlausNaumann formuliert hat – „der Soldat in letzter Konse-quenz ein Kämpfer ist“. Diese Eigenschaft unterscheidetihn von allen anderen Berufen und schließt die Bereit-schaft ein, sein eigenes Leben für den Dienst an seinemLand einzusetzen. Das verpflichtet uns nicht nur, ele-mentare Rechte und Schutzbedürfnisse unserer Soldatenzu beachten. Es erfordert auch ein ehrendes Andenkenan diejenigen, die ihr Leben im Einsatz lassen mussten.Ich begrüße sehr, dass Verteidigungsminister Dr. Jungdie Idee eines zentralen Denkmals in Berlin konsequentverfolgt.
Ich sehe darin einen wichtigen Beitrag, die gesellschaft-liche Diskussion über den Sinn von Streitkräften und dieBedeutung militärischer Friedenssicherung aktiv zu füh-ren. Das sind wir unseren Soldaten schuldig; denn siesind es, die stellvertretend für uns alle die Risiken künf-tiger Gefahrenabwehr tragen müssen.Vielen Dank.
Das Wort hat nun die Kollegin Katrin Kunert, der ich,
bevor sie das Wort erhält, gerne zu ihrem heutigen Ge-
burtstag gratulieren möchte. Alles Gute!
Danke schön, Herr Präsident. Das Alter lassen wirweg. Das würde sowieso niemand glauben. – Sehr ge-ehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Gäste! Die Bundeswehr ist heute an elfStandorten im Auslandseinsatz. Die Soldatinnen undSoldaten leisten unter schwierigsten Bedingungen ihrenDienst und sie machen ihn gut. Derzeit werden wiederDeiche gebaut und gesichert. Die Bundeswehr soll inden Kongo geschickt werden und nach Auffassung desVerteidigungsministers bei der Fußballweltmeister-schaft zum Einsatz kommen. Ich könnte die Palette fort-führen.dhlDWWdbgHDElBRhkewknvumGWdnrobagsdPRgtfRuuAUhk
nd wir sind gegen Auslandseinsätze.
ber gehen Sie einmal davon aus, dass wir bei dermsetzung des Soldatenbeteiligungsgesetzes genauinschauen werden. Unserer Unterstützung, Herr Robbe,önnen Sie sich dabei sicher sein.
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Katrin Kunert
Ich finde es im Übrigen ungünstig, dass Sie alle heuteda in der letzten Reihe sitzen.Die Rechte der Soldatinnen und Soldaten stehenfür uns im Mittelpunkt. Für uns verbietet sich jede Un-gleichbehandlung. Wir erwarten von Ihnen, Herr Robbe,dass Sie endlich die systematische Verletzung der ge-setzlichen Vorgaben zur Wahrung der Wehrgerechtigkeitaufgreifen. Im letzten Jahr haben nur weniger als60 000 Wehrpflichtige ihren Grundwehrdienst geleistet.Die Tendenz ist sinkend. Aber fast doppelt so viele leis-teten einen Ersatzdienst, der damit längst zum Regel-dienst geworden ist.Herr Robbe, Sie nehmen heute zum zweiten Mal Kri-tiken und Hinweise für einen Bericht entgegen, den Sienicht selbst geschrieben haben. Auch der Bericht 2005– das wurde schon gesagt – liegt vor. Die vielen Pro-bleme ziehen sich wie ein roter Faden durch diese Be-richte. Ich habe es auch schon im Ausschuss gesagt: Wervon dieser Armee viel verlangt, der muss sie bei denEntscheidungen mitnehmen und muss sie verdammtnoch mal auch sehr gut vorbereiten.
Wir werden Sie sehr unterstützen. Wir erwarten vonIhnen aber auch mehr Eigeninitiative. Die Überprüfungdes Ausbildungssystems und die kritische Überprüfungder Militärgerichtsbarkeit sind von Ihren Vorgängernbisher stiefmütterlich behandelt worden. Lassen Sie unsmit diesen Themen beginnen! Ich wünsche uns eine guteund konstruktive Zusammenarbeit.Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Rolf Kramer
für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von dieserStelle an Frau Kunert noch einmal die herzlichstenGlückwünsche zum Geburtstag! Allerdings muss ich Ih-nen sagen, Frau Kollegin: Angesichts der deutschen Ge-schichte und der deutschen Militärgeschichte bin ichfroh darüber, dass wir keine zackige Armee mehr habenund auch keinen zackigen Wehrbeauftragten haben.Auch in diesem Bericht geht der Wehrbeauftragte aufdie gesundheitliche Beeinträchtigung jener ehemaligenSoldaten und Beamten der Bundeswehr und der Natio-nalen Volksarmee ein, die während ihrer Tätigkeit ioni-sierender Strahlung ausgesetzt waren. Ich will denSchwerpunkt auf diesen Aspekt legen.Bei vielen Betroffenen haben sich aufgrund der Strah-leneinwirkung Krebserkrankungen entwickelt. Einegroße Anzahl der Erkrankten ist inzwischen verstorben.Der Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundesta-ges beschloss im Juni 2002 die Einsetzung der Radar-kbsKwbdKfgtwBniRgzvBbTfrziKWmkedSEkUd
Insgesamt haben 2 633 Soldaten und Beamte aus derundeswehr und der NVA einen Antrag auf Anerken-ung einer Wehrdienstbeschädigung gestellt, von denennzwischen 575 positiv beschieden wurden.Nachdem es aus Sicht des Bundes zur Unterstützungadargeschädigter bei der Bearbeitung von Versor-ungsfällen aufgrund unterschiedlicher Interpretationenu unverständlichen Entscheidungen gekommen war,ereinbarten das Verteidigungsministerium und derund zur Unterstützung Radargeschädigter, solche Pro-leme an einem runden Tisch zu beraten. Der rundeisch nahm seine Arbeit im Dezember 2004 auf. Diesesür die Bundesrepublik bisher einmalige Dialogverfah-en ist positiv zu bewerten und hat in mehr als 17 Fällenum Erfolg geführt.Viele der negativ beschiedenen Antragsteller habennzwischen von ihrem Recht Gebrauch gemacht und denlageweg beschritten.Das Sozialgericht in Landshut bezieht sich in derürdigung einer Klage wegen der Radarstrahlenproble-atik ausdrücklich auf die Empfehlungen der Radar-ommission und schlägt deshalb einen Vergleich vor. Ininer Stellungnahme vom 9. Februar dieses Jahres führtie Wehrbereichsverwaltung West dazu aus:Die 17 Mitglieder der Kommission gehör-ten entsprechenden wissenschaftlichen Disziplinenan.ie ahnen, was jetzt kommt.Ein Jurist war nicht beteiligt, so dass die Verfah-rensvorschläge demnach nur für den technischenund medizinischen Fachbereich erfolgten.s kommt aber noch besser. In einer Schlussfolgerungommt die Wehrbereichsverwaltung zu dem Ergebnis:Der Bericht hat keine rechtliche Verbind-lichkeit.Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine glattemkehr der bisherigen Verfahrensweise. Dem Leidener Betroffenen wird man damit in keiner Weise gerecht.
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Rolf KramerZu fragen ist auch, ob die gemeinsame Erklärung desBundes zur Unterstützung Radargeschädigter und desVerteidigungsministeriums sowie der eindeutigeWunsch des Verteidigungsausschusses hier nicht in ihrGegenteil verkehrt werden.
Auch die eindeutige Position des Bundesgesund-heitsministeriums im Rundschreiben vom 20. Oktober2003 wird in ihr Gegenteil verkehrt. In dem Rundschrei-ben heißt es:Da in Folge der besonderen Sachlage die Exposi-tion im Einzelfallnicht mehr ermittelbar ist, unterstellt das Bundes-ministerium der Verteidigung … die Wahrschein-lichkeit des ursächlichen Zusammenhangszwischen Strahlenexposition und bösartiger Erkran-kung. Die Frage einer Kannversorgung stellt sichdeshalb in diesen Fällen nicht.Es muss also versorgt werden. So weit und so eindeutig.Liebe Kolleginnen und Kollegen, man kann im Inte-resse der Betroffenen nur hoffen, dass wir es hier mitdem Übereifer von wenigen Beschäftigten der Wehrbe-reichsverwaltung zu tun haben und nicht mit einerKehrtwendung in der Angelegenheit insgesamt. Die Ver-antwortlichen bleiben aufgefordert, schnellstens zu derursprünglichen Verfahrensweise zurückzukehren.Noch ein weiterer Aspekt verdient in diesem Zusam-menhang Erwähnung. Wie der Wehrbeauftragte bin auchich der Meinung, dass man die Frage der Einrichtungeiner Stiftung noch einmal intensiv prüfen sollte – obspeziell für die Strahlenopfer oder für Härtefälle im Be-reich des Verteidigungsministeriums allgemein, ist eineFrage der Zweckmäßigkeit. Ich denke, die Sachlage istes wert, geprüft zu werden.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort erhält nun der Kollege Winfried Nachtwei,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DerBericht des Wehrbeauftragten für das Jahr 2004 ist vonuns äußerst spät auf die Tagesordnung gesetzt worden.Ich will die Gelegenheit nutzen, nach der Vorgabe desneuen Wehrbeauftragten auch den Jahresbericht 2005gebührend zu berücksichtigen.Es ist schon festgestellt worden, dass dieser Bericht– dieser Feststellung kann ich mich sehr anschließen;das war auch ein Merkmal des vorherigen Wehrbeauf-tragten und wird bei dem neuen noch deutlicher – einesehr klare, deutliche und ungeschminkte Sprache enthält,die wir gerade bei dieser Institution sehr gebrauchenkönnen. Hilfreich ist auch, dass im Jahresbericht 2005 aneinzelnen Stellen Anmerkungen zur Dimension des Pro-bEgcdj5dLsdigdulsaszaknvmi1GsafmJggepözsgBDBnu
owie angemessene und menschenwürdige Arbeitsbe-ingungen der Bundeswehrangehörigen unverzichtbarst. Deshalb mein Dank nicht nur an diese Institution ins-esamt, sondern auch an diejenigen Frauen und Männer,ie dieses Amt immer sehr lebendig ausgefüllt habennd heute ausfüllen.Einige Mängel waren in dem Bericht 2004 sehr deut-ich angesprochen worden. Sie existieren, zum Teil ver-tärkt, ebenso im Bericht des Jahres 2005. Dabei geht esuch um Mängel, die von oberen Ebenen verursachtind, also nicht einfach nur um Fehlverhalten von Ein-elnen. Ich möchte einige Mängel schlaglichtartignsprechen: die Situation der Infrastruktur, der Unter-ünfte; immer wieder werden unhygienische Verhält-isse angesprochen. Immer wieder gibt es auch Klagenon Grundwehrdienstleistenden, dass sie die Erfahrungachen, dass sie praktisch nicht gebraucht werden. Dasst verwunderlich angesichts der Tatsache, dass nur noch0 Prozent der Wehrpflichtigen eines Jahrgangs ihrenrundwehrdienst ableisten – man muss sich einmal vor-tellen, dass es für diese nicht genug zu tun gibt –, undngesichts der Tatsache, dass die große Koalition die of-ensichtliche Fiktion von der Wehrpflicht durch voll-undige Bekenntnisse zu dieser zu verklären versucht.
Das dritte Dauerproblem ist schließlich die seit vielenahren völlig unzureichend umgesetzte Soldatenbeteili-ung.Es werden im Bericht vier Hauptsorgen genannt: stei-ende Belastung durch Einsätze und Bereitschaften,rhebliche Verunsicherung durch den Transformations-rozess, reale Besoldungskürzungen und abnehmendesffentliches Interesse.Auf zwei Punkte möchte ich noch kurz eingehen.Es ist regelrecht alarmierend, dass ältere Unteroffi-iere mit Portepee im so genannten Beförderungsstautecken. Es wird berichtet, dass die Verbitterung sehrroß ist.Der Wehrbeauftragte unterstützt die Forderung desundespräsidenten, dass die überfällige, breit angelegteebatte über die Außen- und Sicherheitspolitik derundesrepublik inklusive Bundeswehr endlich begon-en wird. Diese Forderung ist sehr richtig und verdientnser aller Unterstützung.)
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Winfried Nachtwei
Wir müssen aber feststellen, dass diese Forderungzwar schon seit Jahren erhoben wird, dass sie aber fol-genlos geblieben ist. Warum ist das so? Die Betroffen-heit nimmt ab; das liegt auf der Hand. Daneben gibt esBerührungsängste, die bewirken, dass manches heißeEisen nicht angefasst wird. Außerdem ist die Neigungzur Konsenspolitik gerade in Sachen Bundeswehr sehrstark. Schließlich gibt es bei der Exekutive gerade in Be-zug auf die internationale Politik – ich will Ihnen, HerrMinister, das jetzt gar nicht unterstellen; ich kenne dasaus eigener rot-grüner Erfahrung – ein sehr großes Inte-resse an Handlungsfreiheit. Das alles wirkt einer solchenGrundsatzdebatte entgegen.Herr Minister, Sie haben angekündigt, dass vor derSommerpause das Weißbuch vom Kabinett verabschie-det werden und dass es danach eine breite Debatte gebensoll. Ich meine, dies ist eine Illusion. Denn vor der Som-merpause gibt es ein paar Tage eine Medienreaktion aufdie Veröffentlichung des Weißbuchs und dann versandetdie Diskussion. Es wird so laufen wie 2003 bei der De-batte über die Verteidigungspolitischen Richtlinien undwie 2000 bei der Debatte über die Vorschläge derWeizsäcker-Kommission.Mein Vorschlag ist daher: Bringen Sie das Weißbuchvor der Sommerpause sozusagen in erster Lesung durchdas Kabinett.
Das wäre dann Ihr Aufschlag. So könnte man mit derDebatte fortfahren.Die Voraussetzungen für eine gründliche Debatte sindheutzutage so gut wie nie zuvor. Denn die Fraktionensind insgesamt sehr gut aufgestellt. Es wäre im Sinne derBundeswehrangehörigen, der interessierten Öffentlich-keit, des Bundespräsidenten und des Wehrbeauftragten,wenn dieses Ansinnen von allen Fraktionen gebührendunterstützt würde.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gert
Winkelmeier.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Da der Jahresbericht 2005 des Wehrbeauftragten be-reits vorliegt, erlaube ich mir, einige Parallelen zu zie-hen.In dem Jahresbericht 2005 des Wehrbeauftragten istzu lesen, dass es 147 Fälle von Rechtsextremismus inder Truppe gab. Das ist ein Anstieg um 10 Prozent ge-genüber 2004. Die Vorkommnisse gab es in allen Berei-chen. 5 Prozent der Fälle geschahen in Offizierskreisen,atVär„klhbBdwadlsiObRugfcwaBsgigtMdeshtrKsnDe
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Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Verteidi-
ungsausschusses zum Jahresbericht 2004 des Wehrbe-
uftragten, Drucksachen 15/5000 und 16/909. Wer
timmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
agegen? – Stimmenthaltungen? – Die Beschlussemp-
ehlung ist damit einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgitt
Bender, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Harald
Terpe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Dem Solidarsystem eine stabile Grundlage ge-
ben – für eine nachhaltige Finanzierungsre-
form der Krankenversicherung
– Drucksache 16/950 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
einen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Kol-
egin Birgitt Bender, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollegetruck hat das Schicksal der großen Koalition an das Zu-tandekommen einer Gesundheitsreform geknüpft. Da
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Birgitt Bendermag er Recht haben. Es ist in der Tat ein Test auf IhrePolitikfähigkeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen vonder großen Koalition, ich sage Ihnen: Ein guter Anfangist nicht gemacht. Was hören wir nämlich heute? Wenndu nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis!Das ist das Motto, dem Sie jetzt folgen.
Was hört man sonst noch? Es gebe bereits ein biss-chen Einigkeit. Auch das lässt nichts Gutes hoffen; denndie Einigungslinie, die sich abzeichnet, ist offenbar:Mehr Geld muss her! Deswegen gibt es geradezu einenÜberbietungswettbewerb in Sachen Geldquellen: Die ei-nen sprechen von einer Steuererhöhung namens Gesund-heitssoli, die anderen wollen eine Kopfpauschale auf dieBeiträge der Versicherten draufsatteln.Wieso sehen wir bereits im nächsten Jahr ein größeresDefizit in der GKV vor uns? Schauen wir es uns einmalan. Das Defizit ist im Wesentlichen hausgemacht. Diegroße Koalition hat beschlossen, den Steuerzuschuss fürversicherungsfremde Leistungen in Höhe von mehr als4 Milliarden Euro, den wir einmal gemeinsam – Rot-Grün mit der Union – beschlossen hatten, aufzuheben.Außerdem belasten Sie die gesetzliche Krankenversiche-rung mit einer höheren Mehrwertsteuer auf Arzneimittel.Schließlich haben Sie beschlossen, die Krankenversiche-rungsbeiträge für Arbeitslose herabzusetzen.Das alles macht ein Defizit von mehr als 5 MilliardenEuro aus. Ich nenne das ein „steinbrücksches Raubritter-tum“ zulasten der gesetzlich Versicherten. Das gehörtsich nicht.
Bei der Gesundheitsreform geht es auch nicht um fri-sches Geld, wenngleich ich weiß, dass sich viele Leis-tungserbringer darüber freuen würden. Es geht um nach-haltige Finanzierung. Wir alle wissen doch, dass eineGesundheitsversorgung, die in ihrer Finanzierung alleinauf den Arbeitseinkommen aufbaut, in die Zukunft hi-nein nicht tragfähig ist. Deswegen brauchen wir Beiträgeauch auf andere Einkommen, deren volkswirtschaftlicheBedeutung zunimmt.Eine ernsthafte Reform muss auch einen einheitlichenVersicherungsmarkt und einen echten Wettbewerb zwi-schen den Krankenkassen – seien sie gesetzlich oder pri-vat – schaffen. Ich erinnere daran, dass die Niederländerdiese Trennung, die sie auch noch hatten, jüngst abge-schafft haben. Wir drohen also zu den letzten Mohika-nern in Europa zu werden; das sollten wir uns nicht leis-ten.
Aber wenn es denn so ist, meine Damen und Herrenvon der großen Koalition, dass die CDU/CSU das nichtmitmacht, dann sollte es jedenfalls eine Beteiligung derprivat Versicherten am Solidarausgleich geben. Nun hatder Kollege Pofalla von der CDU dieser Tage ebendiesabgelehnt mit der Begründung, die höheren Rechnun-gen, die die privat Versicherten beglichen, trügen erheb-lgVbzSUridDhBnltSulbdnIdBtdtgPSmphludgat
Trotzdem muss ich mit einem Lob starten. Es ist iner Tat richtig: Der Antrag bringt die Probleme des Sys-ems auf den Punkt. Es werden vier Problemkreise aus-emacht, die ohne Wenn und Aber die dominierendenrobleme des Systems sind.Erstens. Die Finanzierungsbasis ist ungerecht. Einolidarsystem, an dem sich ausgerechnet die Einkom-ensstärksten, diejenigen mit einem sicheren Arbeits-latz, die Beamten, die gut verdienen, viele Kollegenier im Haus, nicht beteiligen, verdient den Namen „So-idarsystem“ nicht. Das Finanzierungssystem ist somitngerecht.Zweitens. Die Finanzierung ist nicht nachhaltig; auchas ist richtig. Die Beiträge sind an Löhne und Gehälterekoppelt. Löhne und Gehälter finanzieren das Systemusschließlich und wachsen nicht so schell wie das Brut-oinlandsprodukt. Somit hinkt die Finanzierungsbasis
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Dr. Karl Lauterbachder Ausgabenentwicklung hinterher. Das führt zu stetigsteigenden Beitragssätzen.Drittens. Dieses nicht nachhaltige System ist auchnoch schädlich für den Arbeitsmarkt. Weil die Finanzie-rungsbasis nicht so schnell wächst wie die Ausgaben,müssen die Beitragssätze ständig steigen. Das belastetden Arbeitsmarkt. Insbesondere in den neuen Bundes-ländern fallen dadurch Arbeitsplätze weg.Viertens. Wir haben zu wenig Wettbewerb. Wir habenzu wenig Wettbewerb im System der privaten Kranken-versicherung, im System der gesetzlichen Krankenversi-cherung und auch zwischen den beiden Systemen.Alle vier Probleme sind somit korrekt benannt. AlsLösungsvorschlag wird hier im Großen und Ganzen dasModell der Bürgerversicherung vorgeschlagen, so wiedie SPD es entwickelt hat. Es gibt zwar einige Abwei-chungen. Im Großen und Ganzen ist es aber identischmit dem SPD-Modell.Ich gehe den Vorschlag einmal durch: Es wird vorge-schlagen, andere Einkommensarten einzubeziehen. Dasist kein schlechter Vorschlag. Die privaten Krankenver-sicherungen sollen in den Risikostrukturausgleich einbe-zogen werden. Auch das ist ein alter SPD-Vorschlag.Der Morbi-RSA soll eingeführt werden. Dazu haben wirschon einen konkreten Umsetzungsvorschlag entwickelt.Die Mitversicherung der Kinder soll nicht strittig gestelltwerden. Das schlägt derzeit niemand vor. Es wird vorge-schlagen, mehr Wahlmöglichkeiten im System zu schaf-fen. Auch das ist kein schlechter Vorschlag. Ich mussaber feststellen: Es kommen keine neuen brauchbarenVorschläge hinzu. Mein Eindruck ist, dass den Grünen,seit wir nicht mehr zusammenarbeiten, keine neuen Vor-schläge zur Gesundheitspolitik eingefallen sind.
– Dass die Vorschläge gut sind, bestreite ich nicht. Ichsage nur, es sind unsere guten Vorschläge, nicht Ihre.
Wie soll es weitergehen? Das reicht für einen ernst zunehmenden Antrag bei weitem nicht aus. Die Frage istdoch nicht, ob beispielsweise die anderen Einkommens-arten mit herangezogen werden sollen, sondern wie dasgeschehen soll. Dazu sagt der Antrag nichts aus.
Wir stehen in der Entwicklung einer historischen Ge-sundheitsreform. Frau Bender, Ihr Antrag bringt abernoch nicht einmal einen kritisierbaren Vorschlag dazu,wie die anderen Einkommensarten berücksichtigt wer-den sollen.Es wird vorgeschlagen, die privaten Krankenversi-cherungen in den Risikostrukturausgleich einzubezie-hen. Das ist ein nobler Vorschlag. Sie machen aber keineAngaben dazu, wie das passieren soll. Geht es um dieVersicherungen selbst oder sollen sich die Versichertenam Risikostrukturausgleich beteiligen?–nssstDikbeVofehjDkFmimgngirwmIdgamrnsbFsS
Nein, aber Sie müssen doch ein bisschen über das hi-ausgehen, was wir schon hatten. Ich sehe keine An-ätze.
Beim morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichind wir schon weiter. Das Bundesministerium für Ge-undheit hat einen ganz konkreten Gruber-Vorschlag un-erbreitet, wie der Morbi-RSA funktionieren kann.
azu finde ich in Ihrem Antrag keine Äußerung.Neu in Ihrem Antrag ist lediglich Ihr Vorschlag – esst wenig Neues zu entdecken –, dass die Ehefrauen, dieeine Kinder erziehen und nicht pflegen, nicht weitereitragsfrei mitversichert werden sollen. Ich bitte, nochinmal darüber nachzudenken, ob das wirklich sozial ist.iele dieser Ehefrauen haben früher Kinder erzogender gepflegt. Es gibt heutzutage nur wenige junge Ehe-rauen, die, im Sinne einer Luxusehefrau, keine Kinderrziehen und dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung ste-en. Wir müssen also vorsichtig sein, dass wir nicht die-enigen bestrafen, die früher in Familie investiert haben.er einzige neue Aspekt, den ich in Ihrem Vorschlag er-ennen kann, ist, zumindest in dieser undifferenziertenorm, nicht umsetzbar.Ich komme zu den Wahlmöglichkeiten. Sie wollenehr Wahlfreiheiten und mehr Wettbewerb. Das kannns Auge gehen, wenn man nicht vorsichtig ist. Wennan darunter versteht – so wird es von der FDP oft vor-eschlagen –, dass die Gesunden Leistungen, die sieicht brauchen, abwählen können, werden diese Leistun-en für die Kranken nur umso teurer. Das ist ein Schrittn die falsche Richtung. Das ist eine Abwahl von Solida-ität. Auf diese Wahlmöglichkeiten können und solltenir jederzeit verzichten.
Ich glaube, ich kann zu diesem Antrag Stellung neh-en, ohne meine Redezeit voll auszuschöpfen.
n der Summe kann man sagen, dass die Aspekte, die ausem alten Solidarmodell der Bürgerversicherung aufge-riffen wurden, zu belobigen sind; neue Ideen sind Ihnenber nicht gekommen. Ich bin ganz sicher, dass wir ge-einsam mit der Union, in der großen Koalition, unbü-okratische Vorschläge zur konkreten Gestaltung einesachhaltigen, gerechten und solidarischen Gesundheits-ystems erarbeiten werden, die wir Ihnen in Kürze unter-reiten können. Diese Vorschläge werden die folgendenragen beantworten: Wie kann in unserem Gesundheits-ystem Wettbewerb praktiziert werden? Wie kann esolidarität stärken? Wie kann dieses System nachhaltig
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Dr. Karl Lauterbachfinanziert werden, ohne dass es den Arbeitsmarkt belas-tet?Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Kollege Lauterbach, das war Ihre erste Rede im Ple-
num des Deutschen Bundestages. Herzliche Gratulation
und alles Gute für Ihre weitere Arbeit!
Nun erteile ich das Wort Kollegen Daniel Bahr, FDP-
Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine liebe Kollegin-nen und Kollegen! Herr Professor Lauterbach, auch ichgratuliere Ihnen im Namen der FDP zu Ihrer erstenRede. Wir freuen uns, dass wir nun die inhaltliche Aus-einandersetzung über den richtigen Weg, der in Deutsch-land in der Gesundheitspolitik eingeschlagen werdenmuss, als Politikerkollegen im Plenum des DeutschenBundestages führen.Vor welchen Problemen stehen wir in der Gesund-heitspolitik? Die Finanzierung des Gesundheitswesensist an den Lohn gekoppelt. Steigende Gesundheitsausga-ben führen zu steigenden Krankenkassenbeiträgen, wasdie Arbeitsmarktlage wiederum erheblich verschlechtertund so zu steigender Arbeitslosigkeit führt. Das wie-derum verteuert die Ausgaben im Gesundheitswesen undführt zu Beitragsverlusten, sodass wir in eine Spirale ge-raten. Wir erleben, wie die Kopplung an den Lohn dazuführt, dass sowohl der Arbeitsmarkt belastet wird alsauch das Geld in der gesetzlichen Krankenversicherungfehlt.Das zweite Problem, vor dem wir stehen, ist die de-mografische Entwicklung, die wir heute allerdingsnoch nicht spüren. Das Hauptproblem der gesetzlichenKrankenversicherung ist zurzeit die massive Arbeitslo-sigkeit, die die Beitragseinnahmen der gesetzlichenKrankenversicherungen mindert. Das große Problem deralternden Bevölkerung – immer mehr Ältere gegenüberimmer weniger Jüngeren – steht uns noch bevor. Dafürmüssen wir endlich eine Lösung finden. Für beide Pro-bleme, sowohl für das Problem des Arbeitsmarktes alsauch für das demografische Problem, bietet die Bürger-versicherung, wie sie die Grünen hier vorschlagen, keineLösung.
Wenn Sie, liebe Frau Bender, in Ihrem Antrag sagen,dass die GKV ein „im Grundsatz leistungsfähiges und inder Bevölkerung breit akzeptiertes Sozialsystem“ ist,dann kann ich Ihnen nur entgegnen, dass wir die gesetz-liche Krankenversicherung seit Jahren nur dadurch amLeben erhalten, dass ein Kostendämpfungsgesetz das an-dere jagt.–fdhnmvktasHsevbKzvinMetbanKdKddmbaDsawbmS
Sie haben doch die umfangreichsten Kostendämp-ungsgesetze gemacht. Ich will aber gar nicht behaupten,ass Schwarz-Gelb nicht auch einmal Fehler gemachtat. Das letzte, das Arzneimittelspargesetz, war auchichts anderes als ein Kostendämpfungsgesetz.Das heißt, wir wissen, dass uns die Beitragseinnah-en fehlen. Wir wollen das Problem lösen, indem wirersuchen, aus dem System heraus noch Wirtschaftlich-eitsreserven zu erschließen, bzw. indem wir mit Budge-ierung und Rationierungsentscheidungen immer weiteruf die untere Ebene gehen. Deswegen kann man nichtagen, dass die gesetzliche Krankenversicherung bei denerausforderungen, vor denen sie steht, ein im Grund-atz leistungsfähiges System ist.Die erste Forderung muss doch sein: Wir brauchenine Finanzierung des Gesundheitswesens abgekoppeltom Lohn, damit wir endlich einen Beitrag für den Ar-eitsmarkt leisten, aber eben nicht mit weiter steigendenrankenkassenbeiträgen oder Kostendämpfungsgeset-en. Wir müssen eine andere Finanzierung finden, dieon der alleinigen Finanzierung über den Lohn losgelöstst.Die Bürgerversicherung löst diese Probleme auchicht. Die Bürgerversicherung wird nur kurzfristigehreinnahmen bringen, weil zusätzliche Geldquellenrschlossen werden. Wenn Sie auf Sparzinsen und Kapi-alerträge Beiträge erheben, haben Sie kurzfristig einisschen mehr Geld. Aber das bedeutet, dass das Finanz-mt den Krankenkassenbeitrag einzieht, dass das Fi-anzamt sich darum kümmert, wie die Gelder für dierankenkassen zusammen kommen. Wollen wir, dassas Finanzamt sich darum kümmert, dass die Gelder dierankenkassen erreichen? Es ist ja richtig: Wir müssenie Lohngebundenheit abschaffen. Und es ist richtig,ass wir einen Solidarausgleich zwischen den Einkom-ensstarken zugunsten der Einkommensschwachenrauchen.
Aber diesen Solidarausgleich organisieren wir dochm besten über das Steuer- und Transfersystem.
enn da wird jeder nach seiner Leistungsfähigkeit undeinen Einkommensarten herangezogen. Das ist besserls das, was Sie mit der Bürgerversicherung machenollen. Denn den Solidarausgleich stoppen Sie letztlichei der Beitragsbemessungsgrenze.
Das heißt, wenn ein Solidarausgleich unter Einkom-ensarten stattfinden muss, dann wäre er über dasteuer- und Transfersystem am zielgenauesten. Dann
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Daniel Bahr
werden die Einkommensstarken zugunsten derer, dieeinkommensschwach sind, herangezogen.
Das zweite Problem betrifft den Solidarausgleich. Esheißt in Ihrem Antrag:Gut Verdienende, deren Erwerbseinkommen überder Versicherungspflichtgrenze liegt, können sichfür die private Krankenversicherung … entschei-den, die keinen Solidarausgleich kennt.Das muss man schon differenzierter sehen. Denn auchdie private Krankenversicherung kennt natürlich, wiejede Versicherung, ein Solidarprinzip, nämlich das Soli-darprinzip zwischen Gesunden und Kranken, zwischenJungen und Alten. Hier kommen wir genau zum Pro-blem. Die Bürgerversicherung kennt, weil sie auf dieUmlage aufbaut, eben keine Solidarität. Die Bürgerver-sicherung ist ein zutiefst unsolidarisches System, wennwir uns einmal die mangelnde Solidarität zwischen Jun-gen und Alten vor Augen halten. Die Bürgerversiche-rung gibt die Lasten an die kommende Generation wei-ter. Man kann alle Kritik an dem heutigen PKV-Systemnennen – dass Altersrückstellungen nicht mitgenommenwerden können und andere Kritikpunkte –,
aber ein Prinzip wahrt die private Krankenversicherung,Frau Ferner: Sie betreibt Vorsorge für kommende Gene-rationen.
Sie bürdet die Last eben nicht kommenden Generationenauf und verfährt nicht nach dem Prinzip: Mir ist egal,was nach mir geschieht. Sie betreibt vielmehr Vorsorgefür kommende Generationen, indem Altersrückstellun-gen aufgebaut werden.
Von der CDU/CSU war ich positiv überrascht, da siebei den Reden von Herrn Lauterbach und Frau Benderüberhaupt nicht geklatscht hat. Als Frau Bender gespro-chen hat, habe ich das erwartet. Aber bei der Rede vonHerrn Lauterbach, der ja der Partei Ihres Koalitionspart-ners angehört, hätte ich schon damit gerechnet, dass Siedas eine oder andere Mal klatschen. Man kann sich also,was die CDU/CSU betrifft, noch Hoffnung machen.Gehen Sie nicht an die Altersrückstellungen der pri-vaten Krankenversicherungen heran! Sie dürfen einfunktionierendes, stabiles System nicht zugunsten einesSystems schröpfen, das sich nicht trägt und selbst drin-gend reformbedürftig ist. Wir brauchen weniger Umla-gefinanzierung und mehr Kapitaldeckung.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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eute machen Sie dasselbe mit Ihrem Antrag zur Ein-ührung einer Bürgerversicherung.
Ja. – Welches Konzept und welche Idee, die Sie in derot-grünen Regierung nicht gegen die Mehrheit der SPDurchsetzen konnten, holen Sie eigentlich als Nächstesus der Schublade?Ihr Antrag zur Reform der Finanzierung der Kranken-ersicherung, den Sie heute vorlegen, enthält weder kon-rete noch brauchbare Vorschläge zur Lösung unsererrobleme.
ffensichtlich soll er vor allem eine Wirkung haben:hre Fraktion soll hier im Bundestag wieder einmal einebenszeichen von sich geben.
Und tatsächlich: Indem Sie diesen Antrag zur Ge-undheitsreform zum jetzigen Zeitpunkt einbringen, ge-en Sie der Öffentlichkeit zu verstehen, dass die aktuel-en Entwicklungen an den Politikern von Bündnis 90/ie Grünen relativ spurlos vorbeigegangen sind. Statt ei-en konstruktiven Beitrag zur gegenwärtigen Diskussionu leisten, packen Sie unbeirrt Ihr altes Konzept einer soenannten Bürgerversicherung wieder aus. In Ihremntrag schreiben Sie, es seien „zumindest erste Reform-chritte für eine verlässliche und nachhaltige Finanzie-ung der GKV erforderlich“. Warum diese Bescheiden-eit? Warum nur „erste Reformschritte“? Hier sind wirn der Zwischenzeit deutlich weiter.
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Dr. Rolf KoschorrekAn anderer Stelle heißt es in Ihrem Antrag: „Gräbeninnerhalb des Regierungslagers dürfen aber nicht zumReformstillstand führen.“ Ich kann Ihnen versichern,dass diese Sorge unbegründet ist. Die unionsgeführteBundesregierung beendet gerade den von Ihnen zu ver-antwortenden Reformstillstand in Deutschland.
Die Bundesregierung realisiert ein neues Gesund-heitssystem. Sie schafft ein grundlegend neues,zukunftssicheres System der gesetzlichen Kranken-versicherung, das eine qualitativ hochwertige Gesund-heitsversorgung für alle, unabhängig von ihrem Alterund Einkommen, gewährleistet. Es wird ein solide, ge-recht und nachhaltig finanziertes Gesundheitssystemsein. Wenn man bedenkt, wie lange Sie schon mit IhrerIdee, zur Finanzierung unseres Gesundheitswesens eineBürgerversicherung einzuführen, schwanger gehen, er-staunt es doch sehr, dass Sie in Ihrem Antrag so unkon-kret bleiben. Er ist weder schlüssig noch ausgegoren.In Ihrem Antrag stimmen Sie ein Loblied auf dieGKV an: Sie sei „ein im Grundsatz leistungsfähiges undin der Bevölkerung breit akzeptiertes Sozialsystem“.Des Weiteren schreiben Sie: „Insbesondere der einkom-mensabhängige Solidarausgleich trifft in der Bevölke-rung auf hohe Zustimmung.“
Wenige Zeilen später stellen Sie aber fest, dass es „mas-sive Gerechtigkeitsdefizite bei den Prinzipien der Bei-tragserhebung“ gibt.An erster Stelle stehen dabei für Sie die privatenKrankenversicherungen und ihre Versicherten. Ihnenwerfen Sie vor, sich der Solidarität zu entziehen und soder GKV und den GKV-Versicherten zu schaden.
In diesem Zusammenhang stellen Sie zwei populisti-sche, aber eben auch falsche Behauptungen in denRaum: Erstens sagen Sie, die PKV kenne keinen Solidar-ausgleich. Zweitens führen Sie aus, ausgerechnet dieeinkommensstärksten und im Durchschnitt auch gesün-desten 10 Prozent der Bevölkerung beteiligten sich nichtan der Finanzierung der GKV.Das muss endlich einmal richtig gestellt werden.Zum Ersten: Die privaten Krankenversicherungenkennen, wie alle anderen Versicherungen auch, sehrwohl ein Prinzip der Solidarität; in diesem Fall geht esum die Solidarität der gesunden mit den kranken Privat-versicherten.
Für junge Privatversicherte werden Altersrückstellungenangelegt, um Vorsorge für höhere Krankheitskosten imAlter zu treffen. Somit sind die privaten Krankenversi-cVAdpEaszprEuvanKzdsdhsphbGAEl–itnbBAd
Zum Zweiten: Richtig ist, dass die Versicherten derrivaten Krankenversicherungen vielfach ein höheresinkommen haben als die der GKV. Richtig ist aberuch, dass ein erheblicher Teil der 10 Prozent privat Ver-icherten in Deutschland ganz normale Beamte sind, undwar nicht Beamte der hohen und höchsten Gehaltsgrup-en, sondern vor allem Polizisten und Lehrer; sie gehö-en bekanntlich nicht zu den Beziehern der höchsteninkommen.
Die Selbstständigen sind eine weitere große Gruppenter den privat Versicherten. Auch die Einbeziehungon Selbstständigen wäre für die GKV nicht besondersttraktiv; denn Selbstständige werden in der GKV oftur mit Mindestbeiträgen veranlagt. Für die gesetzlichenrankenversicherungen ist es offensichtlich schon jetztu aufwendig, die genauen Einkommen von Selbststän-igen zu ermitteln. Das wird dem System des Risiko-trukturausgleichs überantwortet; darüber kann manurchaus auch diskutieren.Würden die privaten Krankenversicherungen in ihrereutigen Form zerschlagen, so hätten die gesetzlich Ver-icherten davon keinerlei Vorteil. Die Einbeziehung derrivat Versicherten in die GKV bringt der GKV über-aupt keine Entlastung.
Als eine weitere Gerechtigkeitslücke nennen Sie dieeitragsfreie Mitversicherung von Ehegatten in derKV. Sie bezeichnen sie als einen sozialrechtlichennachronismus und fordern, dass nicht erwerbstätigehegatten auch einen Beitrag in die GKV einzahlen sol-en
Soweit sie nicht Kinder erziehen oder Pflegeleistungenn der Familie erbringen.Eine Aussage, wie hoch ihr Beitrag sein soll und wieeuer die erforderlichen bürokratischen Kontrollmecha-ismen sein sollen, finde ich in Ihrem Antrag nicht.
Erfreulicherweise haben Sie das grundlegende Pro-lem der GKV zutreffend erkannt: Der stetige Anstieg deseitrags zur GKV hat wesentlich dazu beigetragen, dierbeitskosten zu erhöhen. Sie haben auch richtig erkannt,ass die Einnahmen der GKV zu konjunkturabhängig sind.
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Dr. Rolf KoschorrekSie wollen die erkannten Mängel, insbesondere die aus-gemachten Gerechtigkeitslücken, beheben durch die Auf-hebung der Versicherungspflichtgrenze, die Ausweitungdes Versichertenkreises auf alle Bürgerinnen und Bürger,die Ausweitung der Beitragspflicht auf alle Einkommens-arten, also auch auf Mieten, Zinsen und sonstige Kapi-taleinkünfte. Doch wie hoch die Krankenkassenbeiträgedarauf sein sollen und wie sie erhoben werden sollen, sa-gen Sie nicht. Das hätten Sie wenigstens einmal durch-rechnen können!
– In Ihrem Antrag steht nichts dazu.
– Wir diskutieren nicht, was auf Ihrer Homepage steht,sondern Ihren Antrag.
Bündnis 90 fordert zwar die Entkopplung der Kran-kenkosten von den Lohnkosten,
mit den im Antrag geforderten Schritten findet geradedies aber nicht statt.
Vielmehr würden die Krankenkassen weiter an jederLohn- und Rentenerhöhung teilhaben; der Unterschiedzwischen Brutto- und Nettoeinkommen würde sich wei-terhin stetig vergrößern. Ein gigantischer Verwaltungs-und Kontrollaufwand wäre nötig, um alle Einkünfte lü-ckenlos zu erfassen. Die Einbeziehung aller Bürger indie gesetzliche Krankenversicherung wäre zudem– das wissen Sie – aus verfassungsrechtlichen Gründenkaum zu realisieren; denn die privaten Versicherungenund die Ansprüche der privat Versicherten genießendurchaus Bestandsschutz.Die hier vorgeschlagenen Maßnahmen zielen alle nurdarauf ab, von einer größtmöglichen Zahl von Bürgernzusätzliches Geld für die Krankenkassen einzutreiben.Es wird kein Gedanke und kein Wort darauf verwendet,dass den so erzielten höheren Einnahmen auch entspre-chend höhere Ausgaben gegenüberstehen. Es wird keinGedanke darauf verwendet, dass dies sogar zu steigen-den Beiträgen führen kann: wenn Ältere und Kranke, diebislang privat versichert waren, von dem Recht zurRückkehr zur GKV Gebrauch machen würden.
Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen lässt weiterewesentliche Fragen offen, die für ein funktionierendesGesundheitssystem zweifellos wichtig sind: So wirdzgtkWnddbbvBzDfbGgWalKKKcKzmkrpTeknddbk4na
er da mit wem in Wettbewerb tritt und wie das funktio-ieren soll, bleibt allerdings völlig offen; Sie verlierenarüber kein Wort. Unerwähnt bleibt auch, ob und wieie bislang paritätische Finanzierung – durch Arbeitge-er und Arbeitnehmer – fortgeführt werden soll.Ihr Antrag bleibt ein Fragment: Wesentliche Aspekteleiben unberücksichtigt, zentrale Aussagen fehlen. Sieerfolgen aus meiner Sicht nur ein einziges Ziel: denürgern noch mehr Geld für die GKV aus der Tasche zuiehen.
as reicht aber bei weitem nicht, um die Krankenkasseninanziell auf eine solide Grundlage zu stellen. Dazurauchen wir im Gesundheitssystem nicht immer mehreld, wir brauchen vor allem mehr Effizienz und weni-er Bürokratie als heute.
ir brauchen mehr Wettbewerb unter den Kassen, aberuch unter den Leistungserbringern. CDU und CSU wol-en ein neues, zukunftsfähiges System der gesetzlichenrankenversicherungen. Um zusammen mit unseremoalitionspartner eine von der großen Mehrheit unsereroalition getragene Reform zu verwirklichen, entwi-keln wir, ausgehend von unseren jeweiligen eigenenonzepten, ein neues, gemeinsames, tragfähiges Kon-ept.Folgende Ziele stehen für uns dabei im Zentrum: eineöglichst weitgehende Abkopplung der Gesundheits-osten von den Lohnkosten und zugleich die Stabilisie-ung der Einnahmen im Gesundheitsbereich sowie einlurales System mit Kassenvielfalt, freier Arztwahl undherapiefreiheit. Für uns steht fest, dass es auch künftiginen sozialen Ausgleich zwischen gesunden und kran-en Menschen, zwischen den Beziehern höherer undiedrigerer Einkommen sowie zwischen Alleinstehen-en und Familien geben muss.Wir wollen eine Gesundheitsfinanzierung, durch dieie großen Chancen des Gesundheitssektors durch Wett-ewerb, Transparenz und Abkopplung von den Lohn-osten genutzt werden. Hier sind bereits heute,2 Millionen Beschäftigte tätig und es gibt zweifellosoch ein beachtliches Wachstumspotenzial im Hinblickuf neue und zusätzliche Arbeitsplätze.Danke schön.
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Ich erteile das Wort Kollegen Frank Spieth, Fraktion
Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
– Nein, Herr Bahr, seien Sie nicht so aufgeregt. Man
kann Ihre Vorstellungen ja kommentieren, das hatte ich
jetzt aber nicht vor. Ich möchte mich hier heute mit dem
Antrag von Bündnis 90/Die Grünen auseinander setzen.
Seien Sie versichert: Anderes tun wir an anderer Stelle.
Dennoch möchte ich vorab eine Bemerkung zu der
heutigen Pressekonferenz von Gesundheitsministerin
Schmidt und Unionsfraktionsvize Herrn Zöller in diesem
Hause machen. Dort wurde ziemlich klar zum Ausdruck
gebracht, dass mit der beabsichtigten Gesundheitsreform
erneut eines mit Sicherheit geschieht: Den gesetzlich
Krankenversicherten soll wieder ins Portemonnaie ge-
griffen werden. Der Patient wird am Ende dieser Veran-
staltung ganz offenkundig mehr zahlen und weniger aus
der Krankenversicherung für das erhalten, was er mehr
zahlen muss.
– Wir werden eine Wette abschließen.
Alle in den letzten Wochen in den Medien lancierten
Reformvorstellungen haben im Kern immer wieder eines
gemeinsam: Die Arbeitgeber werden entlastet. Das gilt
für die Wahlmöglichkeiten, die nichts anderes als Teil-
kaskotarife sein werden, genauso wie für die Steuerfi-
nanzierung der Versicherung von bisher beitragsfrei mit-
versicherten Kindern.
Ich habe in diesem Hohen Hause in den letzten Wo-
chen – auch bei der Auseinandersetzung über den Haus-
halt der Bundesgesundheitsministerin in der vergange-
nen Woche – mehrfach darauf hingewiesen – Frau
Bender sagte dies bereits zu Recht –, dass wir ein massi-
ves Finanzproblem in der gesetzlichen Krankenversiche-
rung haben und dass alle Fachleute für das kommende
Jahr von einem Defizit von circa 10 Milliarden Euro
ausgehen. Die Probleme werden mit Sicherheit noch
deutlich größer. Deshalb müssen Reformvorschläge auf
den Tisch, durch die eine solidarische und soziale Kran-
kenversicherung mit einem umfassenden Sachleistungs-
katalog gewährleistet wird.
Mit ihrem Antrag zur Bürgerversicherung geht die
Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen deshalb in wichti-
gen Teilen in die richtige Richtung. Ich will aber auch
dazu sagen – Herr Kollege Lauterbach hat zu Recht da-
rauf hingewiesen –: Einige Aspekte Ihres Antrags sind
durchaus kritisch zu sehen und daher nachzuarbeiten.
Es mag ja sein, dass es ein sozialrechtlicher Anachro-
nismus ist, die beitragsfreie Ehegattenversicherung
erhalten zu wollen. Frau Bender, wenn Sie diese aller-
dings abschaffen wollen, ohne Alternativvorschläge da-
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ies ist doch jahrelange Praxis. Ich kann Ihnen sagen:
ieser Vorschlag wird auf unseren entschiedenen Wider-
tand stoßen.
Wir sind wie die Grünen – das haben sie in ihrem An-
rag geschrieben – für die Aufhebung der Versicherungs-
flichtgrenze und die Ausweitung des Versichertenkrei-
es. Wir wollen, dass alle hier lebenden Menschen in die
rankenversicherung einbezogen werden. Ich meine,
ass in Ihrem Antrag noch eine Menge Fragen offen
ind. Wir wollen Sie bei diesem Antrag unterstützen, um
ine vernünftige, solidarische und soziale Krankenversi-
herung zu realisieren.
assen Sie uns deshalb Ihren Antrag um die notwendi-
en sozialen Aspekte erweitern! Dann werden Sie uns
ei dieser Reform an Ihrer Seite haben.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufrucksache 16/950 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungo beschlossen.Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 14 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu-regelung der Besteuerung von Energieerzeug-nissen und zur Änderung des Stromsteuerge-setzes
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2716 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
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Vizepräsident Wolfgang Thierse– Drucksache 16/1172 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungHaushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GONach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demKollegen Reinhard Schultz, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eswar gerade sicherlich verwirrend, dass ich von der rech-ten Seite dieses Hauses kam. Aber diese Koalition hat esso an sich, dass man völlig unbefangen miteinanderkommuniziert. Das ist so schlecht nicht.
– Nein, aber ich stand dort gerade.Es geht heute um die erste Lesung eines Gesetzent-wurfes mit zwei wesentlichen Inhalten. Der erste Punktist die Umsetzung der Energiesteuerrichtlinie der EU innationales Recht. Dabei geht es um eine Harmonisierungvon Steuersätzen auf Energieprodukte innerhalb der ge-samten EU. Für die Bürger ändert sich bei den meistenüblichen Steuersätzen nichts, weil Deutschland bei denSätzen für die Mineralölsteuer und andere Steuern schonimmer in einem vernünftigen Korridor gelegen hat.Einige neue Gesichtspunkte sind wichtig. Eine grund-sätzliche Entscheidung ist, dass Primärenergie, die zumBeispiel für die Stromerzeugung eingesetzt wird,grundsätzlich steuerfrei gestellt wird. Die Alternativewäre gewesen, alle Energieformen einschließlich derKohle zu besteuern. Das wiederum würde auf die Strom-kunden abgewälzt und würde die Industrie belasten. Da-von hat die Bundesregierung Abstand genommen. Ichdenke, die Koalition unterstützt das ausdrücklich.Es gibt einen weiteren wichtigen Gesichtspunkt, derin der Vergangenheit immer für Streit gesorgt und einGefühl von Ungerechtigkeit bei den Betroffenen ausge-löst hat, nämlich: Wie gehen wir mit Prozessen um, beidenen ein Stoff mithilfe des Einsatzes von Energie in ei-nen anderen Zustand versetzt wird? Solche Umwand-lungsprozesse werden künftig energiesteuerfrei gestellt.Das ist eine auch industriepolitisch wichtige Weichen-stellung.
Bei einigen Problembereichen müssen wir noch mit-einander reden und im weiteren Verfahren diskutieren.Aufgrund der Vorgaben der EU ist Kohle grundsätzlichzu besteuern. Weil sie überwiegend in der Krafterzeu-gung in industriellen Prozessen eingesetzt wird, kanndkmKsedhDssJuFvasDcBstvdbnsEtngJwsB1aoAdüewddehw
as werden wir auch einvernehmlich tun.Es gibt in diesem Gesetz eine alte Frage, die alle, diechon länger dabei sind, öfter beschäftigt hat: Wieso be-teuern wir Erdgas als Kraftstoff und befreien es bis zumahr 2020 von der Steuer – das ist für die meisten vonns außerhalb der politischen Reichweite –, behandelnlüssiggas aber völlig anders? Es gibt sicherlich Signaleon den Fachleuten aus der Koalition, dass wir – andersls es derzeit im Gesetzentwurf vorgesehen ist – in die-em Punkt eine Gleichbehandlung herstellen werden.as haben wir verabredet und ich denke, dass der Bran-he dieses Signal gegeben werden muss.
Der zweite wichtige Punkt betrifft den Einstieg in dieesteuerung von Biokraftstoffen. Als wir die Biokraft-toffe steuerfrei gestellt haben, haben wir einen Beihilfe-atbestand geschaffen. Wir sind gegenüber der EUerpflichtet, regelmäßig eine Überprüfung auf Überför-erung vorzunehmen. Wir können Biokraftstoffe nichteliebig subventionieren, sondern allenfalls die Kosten-achteile bei ihrer Herstellung oder Nutzung durch eineteuerliche Regelung ausgleichen. Wir dürfen nicht dieinkommen der Biokraftstoffhersteller oder des -ver-riebs individuell subventionieren; wir können nur für ei-en Preisabstand sorgen, der die Wettbewerbsfähigkeitewährleistet.Dazu liegt ein Bericht des Finanzministers für dieahre 2004 und 2005 vor, in dem eindeutig festgestelltird, dass eine Überförderung gegeben ist. Die vorge-chlagenen Steuersätze von 10 Cent je Liter für reineniodiesel, 15 Cent für beigemischten Biodiesel und5 Cent für reines Pflanzenöl sind aus einer Berechnungbgeleitet, die eine Überförderung ergeben hat. Das wirdhne Frage noch zu Diskussionen führen. Ich halte diebleitung aber für plausibel. Beweise, dass es sich an-ers verhält, sind nicht erbracht worden.Dass die Nutzer und Vertreiber mit uns Politikernber jeden Cent verhandeln, ist völlig verständlich, weils dabei um ihr Einkommen geht. Ich wäre enttäuscht,enn sie es nicht versuchen würden. Wir müssen nurarauf achten, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Pro-ukte gewährleistet ist, und von der Subventionierunginzelner Einkommen Abstand halten.
Viel spannender als die Frage der Steuersätze ist – dasaben sowohl die SPD als auch die CDU/CSU erklärt –,ie wir die Koalitionsvereinbarung umsetzen können,
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Reinhard Schultz
die eine Abkehr von der steuerlichen Förderung vonBiokraftstoffen vorsieht. Diese soll durch ein Ordnungs-instrument – nämlich das Beimischungsgebot – ersetztwerden. „Beimischungsgebot“ ist ein untechnischer Be-griff. Man kann zwar die Hersteller zwingen, dem Dieseloder Ottokraftstoff Biokraftstoff beizumischen, daswürde aber eine Absage an reine Biokraftstoffe bedeu-ten. Da wir das nicht wollen, schwebt uns eher die Ein-führung einer unternehmensbezogenen Quote für dieMineralölunternehmen vor. Das heißt, im Verhältnis zumMineralölumsatz müssen sie einen bestimmten – an-spruchsvollen – Prozentsatz an Biokraftstoffen in denVerkehr bringen, ob nun als Beimischung oder in Rein-stoffform.In diesem Zusammenhang besteht die Sorge, dass dieganze Branche, die sich aufgrund der alten steuerlichenRegelungen darauf verlassen hat, dass sie zumindest ineiner Übergangssituation bis zum Jahr 2009 steuerlichgefördert wird, sozusagen über die Kante kippen könnte.Wir werden gemeinsam mit der Bundesregierung sicher-stellen, dass ein Modell gewählt wird, das ohne steuer-liche Förderung auskommt, aber mit dem eine Als-ob-Situation geschaffen wird. Das heißt, die Hersteller vonBiokraftstoffen und die gesamte daran hängende Pro-duktionskette würden einen Mindestpreis in der Höhe er-zielen, als ob die Steuervergünstigung bis 2009 noch ge-geben wäre.Das ist ein sehr faires Angebot, denke ich. Aber damitist auch die Verpflichtung des Gesetzgebers, Vertrauens-schutz zu gewährleisten, zunächst einmal erfüllt.Wie kann es danach weitergehen?, fragt sich dieBranche; denn bis 2009 ist es nicht mehr lange hin. Wirmüssen einen großen Biokraftstoffmarkt schaffen. Wirwollen, dass die Quoten in diesem Bereich höher sind alsdie der Beimischungen, damit auch ein großes Markt-segment für reine Kraftstoffe erhalten bleibt. Das kanngegebenenfalls auch durch Aufspaltung der Quote ineine für Dieselkraftstoffersatz und eine für Ottokraft-stoffersatz erfolgen, wenn sich das als notwendig erwei-sen sollte.
Wir wollen keine nationale Kraftstoffstrategie, die so-zusagen von der Apotheke lebt. Die Zeiten, als der alteBenz sein erstes Auto an der Apotheke betankt hat, sindvorbei. Mit einem einzigen Ölkännchen moderne ökolo-gische Mobilität erzeugen zu wollen, ist ebenfalls einaberwitziger Gedanke. Wir wollen industrielle Prozessemit industrieller Logistik. Aber wir wollen die mittel-ständischen Hersteller mitnehmen und die Wertschöp-fung so weit wie möglich im Lande lassen. Das beziehtsich insbesondere auf die landwirtschaftlichen Herstel-ler. Ich bin sicher, dass wir im Gesetzgebungsverfahreneine Anschlusslösung finden werden, die einen großenMarkt eröffnet und gleichzeitig die Interessen der mittel-ständischen Unternehmer an einer Wertschöpfung im ei-genen Land genauso berücksichtigt wie die Interessender Mineralölindustrie, die ebenfalls zuverlässige Rah-menbedingungen erwartet.
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Ich erteile das Wort Kollegen Hermann Otto Solms,
DP-Fraktion.
Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da-en und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Esst schon interessant. Die schwarz-rote Koalition, die erstor wenigen Tagen einen groß inszenierten Energiegip-el abgehalten hat, konnte sich bislang nicht auf eine ge-einsame energiepolitische Strategie einigen und hatiele Arbeitsgruppen eingesetzt. Es liegt also noch garein klarer Plan vor. Aber bevor Sie wissen, was Sie tunollen, langen Sie als Steuergesetzgeber schon einmalu. Es wird behauptet, dies erfordere die Umsetzung deruropäischen Energiesteuerrichtlinie. Tatsächlich ist eineolche Besteuerung nicht erforderlich. Auch der 1. Au-ust 2006 ist als Termin nicht vorgegeben. Das alles istur ein Vorwand, um so schnell wie möglich Kasse zuachen.
Eine Politik ohne Strategie macht aber keinen Sinn.eswegen verwundert es mich nicht, dass der Kollegechultz gesagt hat, ihm „schwebe“ etwas vor. Sie wissenffensichtlich noch nicht genau, was Sie machen wollen,eil Sie natürlich die Empörung der Betroffenen zurenntnis genommen haben. Tatsächlich ist es ein Ver-rauensbruch von Ihrer Seite, meine Damen und Herrenon der SPD; denn Sie haben zu Zeiten der rot-grünenegierung zugesagt, dass die Biokraftstoffe bis 2009nversteuert bleiben.
Dieser Vertrauensbruch hat natürlich Auswirkungen.ls die Landwirte sich an ihre letzte Winterbestellungemacht haben – diese Regierung war damals noch garicht zusammengetreten –, wussten sie ja nicht, dass diernte hinterher besteuert werden soll. Diejenigen, die inaps- und Ölmühlen investiert haben, sind natürlich da-on ausgegangen, dass sie bis 2009 einen relativ siche-en Preisvorteil des Biodiesels haben würden.
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Dr. Hermann Otto Solms– Sie als Partei haben das zugesagt. Sie missbrauchennun das Vertrauen der Betroffenen.
Sie ändern Ihre zugesagte Strategie, indem Sie eine Be-steuerung auf den Weg bringen.
Die von Ihnen geplanten Steuersätze sind zu hoch.Das sagen alle Experten. Der Preisvorteil von Rapsölund anderen Ölen, der notwendig ist, um sie in Verkehrzu bringen – sie werden in erster Linie von Transport-unternehmen genutzt –, muss aber bestehen bleiben,weil die Infrastruktur dafür nicht so ausgebaut ist wie beiherkömmlichen Mineralölen. Die Biokraftstoffbranchelebt nun in der Angst, dass sie einen großen Rückschlagerleiden wird.
Schließlich führt die unterschiedliche Besteuerung jenach Verwendung zu einem erheblichen Kontrollauf-wand. Land- und Forstwirte sollen nach Ihren Plänen un-versteuerten Biodiesel einsetzen können, während dasSpeditionsgewerbe nur versteuerten Biodiesel verwen-den darf. Da die Gefahr des Missbrauchs besteht, müs-sen Sie für entsprechende Kontrollen sorgen.
Sie müssen also eine neue Bürokratie aufbauen, bevorSie ein durchgängiges Konzept entwickelt haben. Dasmacht doch keinen Sinn.Nehmen Sie das Gesetz zurück! Es ist nicht zu Endegedacht.
Es passt insbesondere nicht mit dem geplanten Bei-mischungszwang zusammen, der ein halbes Jahr späterin Kraft gesetzt werden soll. Machen Sie stattdessen einGesamtkonzept, das in sich stimmig ist, das das Ver-trauen der Betroffenen – der Bürger, der Landwirte, derForstwirte, aber auch der Speditionsunternehmen – er-hält und aufbaut und das – was das Entscheidende ist –einen neuen Markt in Deutschland schafft, durch den dieMenschen auf dem Lande wieder die Arbeits- und Pro-duktionsmöglichkeiten erhalten, die sie nach und nachverloren haben. Das ist eine große Chance. Es machtwirklich keinen Sinn, diese Chance um einen Silberlingzu vertun. Diese voreilige Besteuerung zum 1. Augustdieses Jahres ist falsch. Ziehen Sie den Gesetzentwurfzurück!Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Ich hätte jetzt lieber einen gescheiten Rotwein getrun-
en; aber das ist in diesem Parlament nicht erlaubt.
So weit sind wir noch nicht.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!iebe Zuschauer auf den Tribünen! Worum geht es heuteberhaupt? Draußen in den Regionen gibt es bewegteiskussionen über die Zukunft der Besteuerung voniokraftstoffen. Es gibt da große Empfindlichkeiten; derertrauensschutz ist, wie in den Diskussionen angespro-hen wurde, heftig infrage gestellt.Es geht aber nicht nur um diesen wichtigen Teilbe-eich, über den vor allem in den ländlichen Regioneniskutiert wird. Vielmehr geht es um die Umstellung deresteuerung von Strom, Gas, Steinkohle und Braun-ohle sowie Koks und es geht um die Einführung eineresteuerung neuer Energieträger, die unabhängig voner Stromerzeugung als Ersatz fossiler Energieträgeringesetzt werden.Wir haben 2003 im Bundestag parteiübergreifend undinstimmig eine Steuerbefreiung alternativer Energie-räger beschlossen. Sie hat einen sehr starken Sog er-eugt. Das brachte uns in der EU den Vorwurf ein, dereutsche Gesetzgeber habe bewusst durch Überkompen-ation Vorteile geschaffen. Jetzt befürchtet der Bundes-inanzminister mit Recht, dass das Ausweichen der Spe-iteure, der Omnibushersteller, der Städte und derbrigen Wirtschaft auf alternative Kraftstoffe zulastener Staatseinnahmen geht und ein Loch von 1,4 bis,7 Milliarden Euro aufreißt. Das ist der Hintergrund.iese Koalition ist angetreten, die defizitäre Lage desundeshaushaltes in der nächsten Zeit in Ordnung zuringen. Steuerausfälle unberechenbarer Art dürfen daicht passieren.In diesem ersten Gesetzgebungsverfahren müssen wiresondere Ziele verfolgen. Herr Solms, Sie sagen, manönne mit der Umsetzung der EG-Richtlinie noch war-en. Uns droht unter Umständen ein Verfahren. Das wis-en auch Sie. Es ist schon interessant, wie die FDP heuteedet. Ich denke an die Diskussion über die Zucker-arktordnung vor einem Jahr, als es hieß, der Welt-arktpreis müsse zum Maßstab genommen werden. Dernsatz der FDP in der Frage der Biokraftstoffbesteue-ung in Bezug auf diesen Gesetzentwurf entspricht nicht
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Norbert Schindlerihrem Credo. Das muss ich in Erinnerung rufen, obwohlich in der Sache keinen Streit anfangen will.
Das In-Kraft-Treten der EG-Richtlinie am 31. Okto-ber 2003 hat dieses Gesetzgebungsverfahren erforderlichgemacht. Mittlerweile sind wir spät dran. Deswegenkönnen wir leider Gottes nicht mehr warten. Es ist aberunser erklärtes Ziel – das darf ich für beide Koalitions-fraktionen sagen –, über das Gesetz über einen Beimi-schungszwang, das zum 1. Januar 2007 wirksam werdensoll, und über die jetzige Regelung zur Behebung derÜberkompensation in der Sache gemeinsam zu diskutie-ren.
Es kann nicht sein – das verstünde draußen keine Haus-frau –, dass wir heute die eine Diskussion führen und imAugust die andere anfangen. Es geht auch um Planungs-sicherheit für Investoren. Wir verstehen das als einen ge-meinsamen Auftrag und wir werden ihn erledigen. Wirwerden dafür sorgen, dass die rechte Hand weiß, was dielinke Hand tut, und umgekehrt.
Der Finanzminister hat zu Recht festgestellt, dass eseine Überförderung gibt. Mir als praktizierendem Land-wirt und Mitglied des Finanzausschusses tut es schon einbisschen weh, anerkennen zu müssen: Bei den Spediteu-ren hat sich in der letzten Zeit ein Sog in Bezug auf un-sere Rapsmühlen entwickelt. Aus betriebswirtschaftli-chen Gründen ist dieser Sog natürlich berechtigt. Wenndie Umstellungskosten durch Vorteile pro Liter – ichspreche ganz vorsichtig von einer Größenordnung jen-seits von 10 Cent – bei Leistungen von 800 000 Kilome-tern bis 1 Million Kilometern relativ schnell gedecktwerden können und man diesen Markt verstärkt nutzt,dann ist das betriebswirtschaftlich absolut in Ordnung.Dennoch sagt Herr Steinbrück: Auch mein Haushaltmuss in Ordnung bleiben.
Die EU wirft uns vor: Ihr lasst hier einen besonderenSubventionstatbestand zu.
Was die Biokraftstoffbesteuerung angeht, müssenwir über die verschiedenen Elemente reden. Die damitverbundenen Fragen müssen bis 2007 geklärt werden.Bei der Bioerzeugung geht es nicht nur um tierischeFette und nicht nur um Raps, ob kaltgepresst oder ver-edelt – Stichwort RME, Rapsmethylester –, sondernauch um ETBE; das ist die veredelte Form von Ethanol.Wir haben jetzt Zeit, darüber gemeinsam zu diskutie-ren. Am 17. Mai findet die erste Anhörung im Finanz-ausschuss statt. Über Ostern werden wir genug Informa-tionen bekommen, um die gesamte Palette durcharbeitenzu können. Nach der Anhörung am 17. Mai wird sich derFdNgdsutBd1dWWdEdstbößddmBgHtfnudwvDwurfFmgdürWb
ir sind die Volksvertreter, die das Gesetz gegenüberer Bevölkerung zu verantworten haben. Wir werden diexpertenanhörung abwarten.Auch was diese Diskussion angeht, rate ich dringendazu, nicht morgens, mittags und nachmittags Wasser-tandsmeldungen zu diesem Thema abzugeben. Das irri-iert die Kundschaft, den deutschen Verbraucher, weil erefürchten muss, dass es zu einer Erhöhung der Mineral-lsteuer kommt. Das ist absolut nicht vorgesehen. Au-erdem irritieren solche Meldungen die Investoren undie Mineralölwirtschaft insgesamt. Die Kombinationieser beiden Gesetze ist schon eine große Sache. Wirüssen sehen: Der Vertrauensschutz für die ländlicheevölkerung bei den Investitionen ist eine unserer Vor-aben für 2009.Es muss aber auch berücksichtigt werden, was wir iminblick auf die europäische bioenergetische Produk-ion in Zukunft beachten müssen. Auch ich sehe die Ge-ahr – die sehen wir alle –, dass das europäische Preis-iveau durch Kampfpreisangebote an den Häfennterlaufen wird. Ich verweise auf den Energiegipfel beier Kanzlerin in dieser Woche, Herr Solms. Natürlichollen wir die Wertschöpfung innerhalb Europas undor allem im ländlichen Raum auf Dauer sicherstellen.
as ist ein absolut wichtiges Ziel.Der Kollege Schultz hat schon ausgeführt, inwieweitir Erdgas und Flüssiggas unterschiedlich zu behandelnnd zu bewerten haben. Man muss offen über Zeiträumeeden. Ich persönlich füge hinzu: Schifffahrt und Luft-ahrt sind derzeit außen vor. Aber bezüglich des Themaslugbenzin hat die EU dringendst ihre Hausaufgaben zuachen; in diesem Bereich muss es EU-weit Gleichheiteben. Anderenfalls könnte der Fall eintreten, dass aner Donau Austauschbarkeit besteht, weswegen Schiffeber den Rhein-Donau-Kanal bis nach Rotterdam fah-en, ohne dass Deutschland davon profitiert. Ein EU-irtschaftsraum muss auch insofern Steuergleichheitringen.
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Norbert SchindlerDas Gleiche sage ich für die Landwirtschaft. DieMineralölsteuervergütung, die wir jetzt noch haben,die in diesem Gesetz auch angesprochen wird, bleibt.Basta! Da mache ich es wie der Altkanzler.
Wenn wir über EU-weite Angleichung reden, muss die-ses Thema nicht mehr Gegenstand der Debatte werden.Das ist Gott sei Dank bei den Ministern, jedenfalls der-zeit, außen vor.
Die Vorzüge von Biokraftstoffen, die ich vorhin ge-nannt habe, müssen wir gesetzlich und ordnungspoli-tisch natürlich neu regeln.Mit Bezug auf die EU wird uns vorgeworfen, die an-deren seien kostengünstiger. Herr Solms, das sind dieArgumente, die von der Mineralölwirtschaft kommenund die sich zum Teil auch im Text wiederfinden. Wir imParlament formulieren das Gesetz und nicht internatio-nale Lobbyisten, die bei uns tätig sind, die viel Geld ver-dienen, die ihren Profit durch erhöhte Importpreise er-zielen
und uns vorjammern, wie schlecht es ihnen geht.Es geht um die Wertschöpfung unserer ländlichen Re-gionen unter Berücksichtigung von Kioto und unter Be-rücksichtigung des CO2-Eintrags. Wir haben genug Zeit,über alles – das geht von den Steuersätzen bis zu denKalkulationszahlen von Rapsmühlen oder Fetterzeugern;alles das finden wir in diesem Bereich vor – mit Gelas-senheit zu diskutieren. Dann werden wir zum Schlussauf die Energiefragen von Europa wieder die entschei-denden Antworten geben, wie das auch bei der Einfüh-rung des Katalysators war, und die anderen werdenschnell nachziehen. Ein 80-Millionen-Volk hat damitwieder eine Leitbildfunktion für die anderen.
Deswegen mahne ich Gelassenheit bei der Frage an.Nun zum Vorwurf, die ländlichen Räume würden un-tergebuttert werden. Wer mich kennt und wer ReinhardSchultz kennt, der weiß: Das wird nicht passieren.Lassen Sie uns dafür streiten! Das Ergebnis im Juniwird sich vorzeigen lassen.
Herr Kollege, seien Sie doch so freundlich, zum Ende
zu kommen.
Das gilt auch im Hinblick auf die Folgewirkung be-
treffend den gesetzlichen Beimischungszwang ab 2007.
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Die Motorenentwicklung ist stärker zu fördern. Bei Bioethanol muss der Steuersatz bis 2010 eben-falls 0 Cent betragen. Als E85 kann es sofort auf denMarkt kommen. Dazu müssen die Mineralölkonzerne ih-ren 100-Oktan-Sprit, der ohnehin nur ein Werbegag istund den Verbraucherinnen und Verbrauchern das Geldaus der Tasche zieht, nur durch Bioethanol ersetzen. Derhat übrigens 104 Oktan und entlastet die Umwelt mess-bar. Die Biokraftstoffe der zweiten Generation sind ge-rade im Aufbau. Ob als Biodiesel oder Bioethanol: BTLmuss mindestens bis 2010 steuerfrei bleiben. Einen Bei-mischungszwang braucht die Branche nun gar nicht. DerBeimischungsmarkt macht beim Biodiesel bereits40 Prozent aus und funktioniert auch so. Und wenn Sieden Klimaschutz ernst nehmen, muss der öffentlicheNahverkehr bei der Verwendung von Biokraftstoffenebenfalls steuerfrei bleiben.
Wenn ich die Auswirkungen des Gesetzentwurfes aufdie Staatsfinanzen sehe, muss ich mir die Augen reiben.Einnahmen durch klimafreundliche Biokraftstoffe:361 Millionen Euro. Steuerausfälle durch die Subventio-nierung der klimaschädlichen Flug- und Schiffsver-kehre: 32 Millionen Euro. Bei der Mehrwertsteuer giltdas Gleiche, wie Sie wissen.Fazit: Verkehrte Welt in der Klimaschutzpolitik. Mitfreundlichen Grüßen, Ihr Umwelt- und Ihr Finanzminis-ter.Vielen Dank. Ich hoffe, meine Stimme wird wiederbesser.
Das wünschen wir Ihnen von Herzen, lieber Kollege.Nun erteile ich das Wort dem Kollegen ReinhardLoske, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Schindler und Herr Schultz haben sich eben alsFreunde des ländlichen Raums geoutet.
Das wussten wir ja schon. Aber der Punkt ist: Wenn Siewirklich Freunde des ländlichen Raums sein wollen,dann müssen Sie einen anderen Gesetzentwurf vorlegen.
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Ansonsten – ich komme gleich zu dem Bioenergie-hema – sprechen wir ja heute über die Umsetzung derU-Energiesteuer-Richtlinie. Ich will auch einmal sa-en, was an dem Gesetzentwurf, den Sie jetzt vorlegen,ut ist. Gut ist, dass in der Stromerzeugung bei den fossi-en Energien eine steuerliche Gleichbehandlung vor-esehen ist. Bis jetzt ist es nämlich so, dass Uran undohle in der Stromerzeugung nicht besteuert werden,ber Gas. Die Kollegen von der SPD erinnern sich: Wiraben da manchen Kampf gefochten. Die SPD war im-er dagegen, das Gas gleich zu behandeln. Jetzt kommtie Anweisung von der EU-Seite. Da kann ich nur sa-en: Gut so!Ich finde es auch gut, dass das, was das Finanzminis-erium ursprünglich vorhatte, nämlich die Kraft-ärme-Kopplung bei der Strom- und der Erdgassteuerichtig an die Kandare zu nehmen und kräftig zu besteu-rn, jetzt wegfällt. Das ist unter anderem auf den öffent-ichen Protest der Kommunen, aber auch auf unserenrotest und den Protest der Umweltverbände zurückzu-ühren. Da kann man nur sagen, es hat sich gelohnt, ge-en diese geplante Besteuerung dezentraler Energiever-orgungsstrukturen anzugehen.
Dann müssen Sie zuhören, Herr Kollege Kelber.Die Einführung einer Steuer auf Kohle zu Heizzwe-ken ist aus der Sicht des Klimaschutzes vernünftig undberfällig, auch wenn das ein kleines, randständiges Pro-lem ist. Das ist aber quasi nichts anderes als die Erfül-ung der Aufgaben eines Pflichtenheftes.Bei den wirklich grundlegenden Dingen versagen Sieder lassen einfach etwas aus. Die Bioenergien habe icherade schon angesprochen. Da herrscht – das muss manoch sehen – in Ihrem Lager ganz klar kein Einverneh-en. Auf der einen Seite gibt es die Fiskalisten, dieehr Geld eintreiben wollen, und auf der anderen Seiteiejenigen, die wirklich etwas für den ländlichen Raumun wollen, die regionale Wertschöpfungsketten und Er-erbsalternativen für die Landwirtschaft schaffen wol-en, ohne dauerhafte Subventionen vorzusehen.Man wundert sich: Hier wird ein Gesetzentwurf voner Regierung vorgelegt und alle Kolleginnen und
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2722 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
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Dr. Reinhard LoskeKollegen von der CDU/CSU und von der SPD sagen– mindestens zwischen Mund und Nase –, so werde dasauf keinen Fall gemacht. Da hätten Sie besser von An-fang an etwas Vernünftiges vorgelegt; dann wäre dieVerunsicherung in der Branche nicht so groß gewesen.
Es ist doch vollkommen klar und gar keine Frage: Wo esMitnahmeeffekte gibt, da muss man abschöpfen.Hinsichtlich der reinen Pflanzenöle, Herr Schindler,möchte ich Sie bitten, Folgendes zu beachten. Dies istein klassischer Fall dezentraler Technologien, bei derenAnwendung die Wertschöpfung in der Region verbleibt.Auch fiskalisch gesehen fällt nichts weg. Ich bitte Sieheute darum, dass Sie wenigstens davon die Hände las-sen. Wir werden das jedenfalls im Rahmen des parla-mentarischen Verfahrens beantragen.
Ich will noch einige Punkte ansprechen, die Sie ein-fach weggelassen haben. Sie haben zum Beispiel dieSonderregelung für die Energiebesteuerung im Rahmender ökologischen Steuerreform nicht angesprochen,obwohl Sie wissen, dass diese Ausnahmen von der EU-Kommission nur bis zum 31. Dezember 2006 genehmigtwurden. Wir brauchen im Rahmen der Ökosteuer einstimmiges Konzept, mit dem die vielen Ausnahmetatbe-stände entweder abgeschafft – das wäre das Beste – oderzumindest an ökologische Gegenleistungen geknüpftwerden.Wir müssen – auch das ist ein heißes Eisen, das Sienicht angepackt haben – im Bereich der Flugbenzin-besteuerung endlich erste Schritte gehen.
Es kann doch nicht wahr sein, dass die Bahn, wie wirerst vorgestern wieder gelernt haben, die Energiesteuerin voller Höhe zahlt und dass auf Tickets die volle Mehr-wertsteuer erhoben wird, aber der Luftverkehr in beidenBereichen privilegiert wird. Das ist eine eklatante Wett-bewerbsverzerrung zulasten der Bahn. Wir fordern Sieauf – zumal die Energiesteuer-Richtlinie diese Möglich-keit hergibt –, endlich mit dem Einstieg in die Besteue-rung von Flugbenzin zu beginnen. Die rechtlichen Mög-lichkeiten haben Sie dazu.
Ich fasse zusammen, Herr Präsident. Was Sie vorle-gen, ist ein umfangreiches Gesetz mit vielen Details. Esenthält praktisch keine positiven Elemente mit Aus-nahme der Dinge, die Sie vonseiten der EU-Kommissionmachen mussten. Es ist also ein reines und obendrein un-zureichendes Pflichtprogramm ohne ambitionierte Kli-maschutzziele und ohne politischen Gestaltungswillen.Sie geben keine steuerlichen Anreize für Strukturent-scheidungen zugunsten des Klimaschutzes und der CO2-Einsparungen. Das werden wir im parlamentarischenVerfahren thematisieren.wndDTKIDfesAkt1)2)
rista Sager haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.2)ch schließe also die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufrucksache 16/386 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damitinverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-ung so beschlossen.Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 16 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zurÄnderung des Urheberrechtsgesetzes– Drucksache 16/1107 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für Kultur und MedienNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höreeinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamen-arischen Staatssekretär Alfred Hartenbach das Wort.Redebeitrag lag bei Redaktionsschluss nicht vor und wird zu einemspäteren Zeitpunkt abgedruckt.Anlage 3
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2723
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute
um ein Gesetz, mit dem wir europäische Vorgaben zum
Folgerecht umsetzen. Folgerecht bedeutet, dass bildende
Künstler nicht leer ausgehen, wenn ein Werk, das sie
einmal für wenig Geld verkauft haben, später im Kunst-
handel hohe Preise erzielt.
Die Richtlinie ist ein gutes Beispiel dafür, wie uns die
europäische Einigung zugute kommt: Mit der Umset-
zung der Richtlinie schaffen wir vergleichbare Bedin-
gungen für bildende Künstler und auch für den Kunst-
handel in Europa. Denn anders als Deutschland, wo es
ein Folgerecht seit 1956 gibt, gilt dieses Recht in ande-
ren Mitgliedstaaten bisher nicht. Diese unterschiedliche
Rechtslage ist in mehrfacher Hinsicht nachteilig: zum ei-
nen natürlich für die Künstler, zum anderen auch für den
Kunsthandel. So kann zum Beispiel ein Kunsthändler in
Berlin weniger Erlös als sein Kollege in London erzie-
len. Das ist ein Wettbewerbsnachteil. Die europäische
Richtlinie schafft hier gleiche Verhältnisse.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf passen wir
unser Recht den Anforderungen der Richtlinie an. Die
Vergütung wird nach der Höhe des Verkaufspreises ge-
staffelt und beträgt im Höchstfalle 12 500 Euro pro Wei-
terveräußerung.
Es gibt zwei Punkte, bei denen die Richtlinie den Mit-
gliedstaaten einen Gestaltungsspielraum lässt. Zum
einen können als Mindestbetrag Werte zwischen 0 und
3 000 Euro bestimmt werden, ab dem Veräußerungen
dem Folgerecht unterliegen. Der Entwurf, den wir vorle-
gen, sieht einen Mindestbetrag von 1 000 Euro vor. Zum
anderen können die Mitgliedstaaten die Höhe des An-
spruchs für Veräußerungen bis zu 50 000 Euro auf 4 oder
5 Prozent des Verkaufspreises festlegen. Wir haben uns
dazu entschieden, für diese so genannte erste Tranche ei-
nen Vergütungssatz in Höhe von 4 Prozent vorzusehen.
Natürlich sind unsere Künstlerinnen und Künstler da-
rüber enttäuscht; ich kann das auch verstehen. Sie müssen
aber wissen, dass sie umgekehrt nunmehr auch im Aus-
land, zum Beispiel in Österreich, einen Anspruch geltend
machen können, wenn zum Beispiel ein Werk mit einem
Preis von über 3 000 Euro weiterveräußert wird.
Eines darf man nicht vergessen: Es wird ihnen eine
neue Einnahmequelle erschlossen, wenn sie, wie ich
eben sagte, in anderen Mitgliedstaaten veräußern. Auch
unsere Kunsthändler haben hier weitere Vorteile. Da wir
uns den in Großbritannien, einem bedeutenden Kunst-
markt, geltenden Regelungen angeschlossen haben, be-
finden wir uns in guter Gesellschaft.
Ich denke also, dass wir mit diesem Entwurf eine aus-
gewogene und angemessene Grundlage für die weitere
Beratung präsentiert haben, und freue mich, meinem
Kollegen Manzewski eine Minute Redezeit schenken zu
können.
Vielen Dank.
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2724 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
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Ich erteile das Wort Kollegen Günter Krings, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Der beste Ort, um deutsche Kunst zu verkaufen,ist London. Mit diesem Werbespruch ging einst das Lon-doner Auktionshaus Christie’s auf Kundenfang. Kein an-derer Ausspruch könnte wohl die Situation auf demdeutschen Kunstmarkt besser beschreiben. In Londonwerden mehr Bilder der klassischen deutschen Moderneals im gesamten Bundesgebiet zusammen versteigert. Somacht derzeit nicht zuletzt das deutsche Urheberfolge-recht deutsche Kunst zum Exportschlager wider Willen.Der eigentliche Erfolg, den es hier und heute zu ver-melden gibt, ist nicht im vorliegenden Gesetzentwurf,sondern in der Harmonisierung des Folgerechts in derEuropäischen Union zu erblicken. Bislang haben die un-terschiedlichen Regelungen in Europa zu einer Wettbe-werbsverzerrung geführt. Deutsche Galerien haben esschwer, gegen eine internationale Konkurrenz zu beste-hen, die eben nicht 5 Prozent vom Erlös eines weiterver-kauften Bildes auf den Kaufpreis aufschlagen muss. Be-sonders die Engländer haben diesen Vorteil konsequentfür sich zu nutzen gewusst und stellen heute neben denUSA und der Schweiz den weltweit wichtigsten Kunst-markt.Nach einer Studie der European Fine Art Foundationlag im Jahr 2003 der Anteil der EU-Mitgliedstaaten, dieüKssHEnHsdddealkDFAdaKwdsmP1gAhatckwdr3etgpüfddtdkr
Eine zentrale Bestimmung der Gesetzesvorlage ist dienhebung des Schwellenwertes für die Anwendbarkeites Folgerechts beim Verkaufspreis von früher 50 Eurouf 1 000 Euro. Hierdurch wird gewährleistet, dass keineleinstbeträge von wenigen Euro mehr ausgezahlt zuerden brauchen, bei denen der Verwaltungsaufwanden Ertrag zu überwiegen droht.Wahrscheinlich werden wir gleich noch ein paar kriti-che Worte zu diesem Aspekt hören. Natürlich erkenntan bei oberflächlicher Betrachtung wenigstens zweirobleme.Der Entwurf bleibt mit dem Schwellenwert von000 Euro deutlich unterhalb des von der Richtlinie zu-elassenen Maximalschwellenwerts von 3 000 Euro.uf den ersten Blick sieht es dennoch so aus, dass rei-enweise Künstler von den Segnungen des Folgerechtsusgeschlossen werden könnten. Die Zahlen der eben zi-ierten Studie der European Fine Art Foundation spre-hen aber eine ganz andere Sprache. Diese Studieommt zu dem Ergebnis, dass über 90 Prozent der welt-eiten Kunstverkäufe – jedenfalls im Bereich der mo-ernen und zeitgenössischen Kunst – in die Preiskatego-ie von 3 000 bis 50 000 Euro fallen.Dass wir den möglichen Schwellenwert von000 Euro dennoch nicht voll ausgeschöpft haben, istbenso richtig. Bei einem derartigen Schwellenwert hät-en es nämlich vor allen Dingen Fotografien zu schwerehabt, von einer Folgerechtsvergütung überhaupt zurofitieren. Es ist aber ein deutlicher Fortschritt gegen-ber der bestehenden Regelung, dass nun auch Fotogra-ien in den Vergütungstatbestand mit aufgenommen wer-en. Diese Regelung bringt Rechtssicherheit und trägtem Umstand Rechnung, dass Fotografien in verstärk-em Maß als Kunstobjekte angesehen und auch behan-elt werden. Eine Ungleichbehandlung im Vergleich zurlassischen bildenden Kunst ist daher nicht mehr zuechtfertigen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2725
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Dr. Günter KringsGegen den höheren Schwellenwert von 1 000 Eurowird ferner eingewandt, er sei ein Nachteil für jungeKünstler, die noch nicht so hohe Preise für ihre Werkeerzielen können. Betrachtet man hier wiederum ganznüchtern die Zahlen, dann lässt sich aber schon nach derjetzigen Rechtslage feststellen, dass der Großteil der le-benden Künstler von der Folgerechtsabgabe ohnehinnicht profitiert. Kaum 10 Prozent der Künstler, die ihreAnsprüche aus dem Folgerecht über die VG Bild-Kunstwahrnehmen lassen, kommen in den Genuss einer Aus-zahlung. 2004 waren es – um es einmal in den relativ be-scheidenen Zahlen auszudrücken – gerade einmal314 lebende Künstler, denen 256 Erben gegenüber stan-den. Von diesen insgesamt 570 Personen sind übrigensknapp die Hälfte ausländische Künstler.Lässt das Verhältnis zwischen lebenden Künstlern undden Erben zunächst wenigstens noch ein kleines Überge-wicht zugunsten der lebenden Künstler vermuten, zeigteine wirtschaftliche Betrachtung der Sache schon einganz anderes Bild. Für das Jahr 2003 hat der ArbeitskreisDeutscher Kunsthandelsverbände vorgerechnet, dass dieErben deutscher Künstler gut 2,4 Millionen Euro aus derFolgerechtsvergütung erhalten haben, während den inDeutschland lebenden Künstlern zusammen lediglich einBetrag von etwas mehr als 340 000 Euro ausgezahltwurde. Also: knapp zweieinhalb Millionen Euro für Er-ben und 340 000 Euro für lebende Künstler. Das zeigtmehr als deutlich, dass das Folgerecht in erster Linie einErbenrecht ist und schon nach der heutigen Rechtslagejungen Künstlern kaum dient.
Trotz der vergleichsweise bescheidenen Beträgebleibt das Folgerecht ein sensibles Thema. Das zeigeninsbesondere die Reaktionen in England seitens derKünstler. David Hockney lehnte mit weiteren britischenKünstlern in einem Artikel der „Times“ die Regelunggerade deshalb ab, weil sie keine Förderung jungerKünstler mit sich bringen würde, sondern diesen eherschade. Kunsthändler würden angesichts der Abgabe lie-ber auf Nummer sicher gehen und sich an etablierteKünstler halten.Obwohl die deutsche Regelung bereits seit 1965 exis-tiert, ist das Folgerecht auch bei uns durchaus umstritten.Renommierte Künstler wie Gerhard Richter oder GeorgBaselitz haben sich bereits vor geraumer Zeit kritischdazu geäußert. Es würden eben nur die Stars der Branchedavon profitieren und jungen Künstlern – da sind sieganz der Meinung ihrer englischen Kollegen – bereitedie ganze Sache eher Schwierigkeiten.
Die Bedenken der etablierten Künstler in dieser Fragesollte man nicht einfach beiseite legen. Trotzdem ist dieThese, das Folgerecht schade jungen Künstlern, viel-leicht doch etwas voreilig. Der Erstverkauf eines Bildesist und bleibt vergütungsfrei. Die Eintrittskarte vonNachwuchskünstlern in den Kunstmarkt wird vom Fol-gerecht also gar nicht betroffen.
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Mit der EU-Richtlinie zur Harmonisierung des Folge-echts und mit unserem Umsetzungsgesetz tun wir einenntscheidenden Schritt zur Schaffung dieses Rahmens.enn wir dadurch den Kunsthandel in Deutschland stär-en, so stärken wir mittelbar auch die bildende Kunstnd die Künstler in unserem Lande.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegin Lukrezia Jochimsen,
raktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichürchte, man kann die Welt sehr unterschiedlich betrach-en. Welche Bedeutung haben die schön klingenden
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2726 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
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Dr. Lukrezia JochimsenBekenntnisse zur Kulturnation Deutschland in die-sem Hohen Haus? Davon können wir uns in dieser De-batte ein Bild machen. Wie heißt es im Koalitionsvertragvon CDU/CSU und SPD?Im Mittelpunkt der Kulturpolitik steht die Förde-rung von Kunst und Künstlern.Nun legt uns die Bundesregierung einen Gesetzentwurfvor, der kalt und brutal 40 Prozent der bildenden Künst-ler und Künstlerinnen in diesem Land um ihren gesetzli-chen Anspruch auf einen Anteil am Erlös aus Weiterver-äußerungen ihrer Werke bringt – knallhart und einfachso.Wenn ein Kunsthändler heute eine Grafik, ein Lithooder ein Foto für 200 Euro kauft und für 900 Euro ver-kauft, erhält der Künstler 5 Prozent dieser Weiterver-kaufssumme, also 45 Euro. Das ist nicht viel Geld. FürKünstler und Künstlerinnen in Deutschland, die zumgroßen Teil mehr oder wenig an oder unterhalb der Ar-mutsgrenze leben, ist dieses Geld aber unverzichtbar.Das gilt nicht für die Millionäre Baselitz und NeoRauch.Im neuen Gesetzentwurf heißt es:Der Schwellenwert für die Folgerechtspflichtigkeitwird auf 1 000 Euro festgelegt.Das heißt, nur die Künstler und Künstlerinnen, derenWerke für 1 000 Euro oder mehr weiterverkauft werden,haben überhaupt einen Anspruch auf Folgerechtsvergü-tung. Bisher bestand ein Anspruch ab 50 Euro. Der An-stieg auf das 20-fache enteignet auf einen Schlag undohne Not gerade die jungen Künstler und Künstlerinnen,die am Anfang ihres kreativen Wirkens stehen, aber auchdie älteren Künstler und Künstlerinnen, die am Ende ih-res Schaffensprozesses froh sind, wenn sie ihren Lebens-unterhalt in Würde durch Weiterverkaufserlöse entspre-chend ihrem bisherigen gesetzlichen Anspruch einbisschen aufstocken können.Es gibt viele Künstler und Künstlerinnen in diesemLand, deren Arbeiten die Preiskategorie von 1 000 Euround mehr nie erreichen. Ich spreche nicht von Bildern,sondern von Grafiken, Lithos, Aquarellen und Fotos.Weiß man im Bundesministerium, weiß man in der Re-gierung nicht um die wirtschaftliche Situation vonKünstlerinnen und Künstlern? Doch, man weiß darumgenau. Man weiß, dass 40 Prozent der Künstler undKünstlerinnen nach In-Kraft-Treten dieses Gesetz nichtmehr in den Genuss des Folgerechtes kommen, dass dieNeuregelung also einer Enteignung eines Großteils derbildenden Künstler und Künstlerinnen gleichkommt unddamit für diesen Personenkreis eine weitere Verarmungbedeutet.Damit nicht genug. Auch der Prozentsatz für Ver-käufe bis 50 000 Euro soll in Zukunft von 5 auf 4 Pro-zent gesenkt werden. Diese Absenkung wiederumbedeutet eine massive Schlechterstellung der folge-rechtsberechtigten Künstler und Künstlerinnen, die ihreWerke zu guten oder sehr guten Preisen verkaufen kön-nen. Das betrifft 20 Prozent der renommierten, fürDeutschlands Kunst besonders wichtigen Kreativen.euwn5gGrb3EKvkGKwdgDgKawrggrvnRguziDF51)
Deswegen erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen
irk Manzewski, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Fol-erecht gibt dem Urheber eines Werkes der bildendenünste einen Anspruch auf wirtschaftliche Beteiligungm Erlös aus der Weiterveräußerung seines Werkes, so-eit Kunsthändler oder Versteigerer daran beteiligt wa-en. In Deutschland – das ist hier schon gesagt worden –ibt es diesen grundsätzlichen Anspruch schon seit lan-em. Seit 1973 liegt er bei etwa 5 Prozent des Veräuße-ungserlöses.Innerhalb der EU sah dies bis vor kurzem jedoch nochöllig anders aus. In einigen Ländern gab es kein so ge-anntes Folgerecht, in anderen gab es unterschiedlicheegelungen. Dies führte – das hat Kollege Krings richtigesagt – zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungennd Handelsverlagerungen. Deshalb fand etwa 80 Pro-ent, Herr Kollege Krings, des gesamten Kunsthandelsnnerhalb Europas in der Vergangenheit in London statt.ort gab es – Sie alle können sich das denken – keinolgerecht. Deswegen, Frau Kollegin Jochimsen, lief die-Prozent-Regelung, an der Sie sich gerade so schön ori-Anlage 4
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2727
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Dirk Manzewskientiert haben, bei uns relativ leer. Denn aufgrund dieserRegelung fand hier quasi kein Kunsthandel statt. Dasheißt, die Künstler hatten von der 5-Prozent-Regel rela-tiv wenig.Das wird sich nun hoffentlich ändern. Grund für dieheutige Debatte und die Änderungen am bestehendenGesetz ist die EU-Richtlinie, die das Folgerecht inner-halb der EU harmonisieren wird. Zukünftig wird der Ur-heber der bildenden Künste überall in der EU vom Wei-terverkauf seiner Bilder profitieren, auch wenn – daswurde schon gesagt – den Ländern bei einzelnen Punk-ten Handlungsspielräume eingeräumt wurden.Auch wir hatten unsere bestehenden Gesetze zu bear-beiten und der Richtlinie anzupassen. Neu dabei ist, dassdie Vergütungsbeteiligung nun nicht mehr pauschal,sondern in einer degressiven Staffelung in fünf Schrittenerfolgt. Dies ist durch die Richtlinie zwingend vorgege-ben. Die Staffelung beginnt bei uns mit 4 Prozent beiVerkaufserlösen bis 50 000 Euro und endet bei 0,25 Pro-zent bei Verkaufserlösen von mehr als 500 000 Euro. Beieinem Verkaufserlös von unter 1 000 Euro greift das Fol-gerecht nicht. Diese Bagatellgrenze – auch das wurdeschon gesagt – ist geschaffen worden, weil in diesem Be-reich zwischen dem Nutzen des Urhebers und dem Ver-waltungsaufwand kein vernünftiges Verhältnis mehr be-stand. Ich teile Ihre Auffassung nicht, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, dass man diese Grenze hätte höher set-zen können. Denn ich meine – das muss man deutlich sa-gen –, dann hätten die Urheber deutlich weniger davonprofitiert. Jedenfalls habe ich Sie so verstanden.Wir haben es allerdings auch abgelehnt, einen höhe-ren Mindestbetrag festzulegen – das hätte die Richtlinieerlaubt –, weil dies nach unserer Auffassung den An-wendungsbereich des Folgerechts zu weit eingeschränkthätte. Neu ist auch, dass der zu erzielende Gesamtbetragder Folgerechtsvergütung aus einer Weiterveräußerungallenfalls 12 500 Euro betragen darf. Auch hier musstenwir – das muss man deutlich sagen – der EU-Richtliniefolgen.Es ist sicherlich richtig, dass der Urheber nach der al-ten 5-Prozent-Regelung vermeintlich besser dastand.Aber abgesehen davon, dass wir aufgrund der EU-Richt-linie kaum Spielraum hatten, erscheint dies eben nur aufden ersten Blick so. Es sei noch einmal darauf hingewie-sen – das ist sehr wichtig –, dass die Urheber kaum et-was von dieser Regelung hatten, da der Anspruch, wiegesagt, bislang relativ leer lief. Das ist nun anders undkompensiert dies meiner Auffassung nach bei weitem,zum einen, weil die Urheber nun in der gesamten EU ei-nen Folgerechtsanspruch erhalten, und zum anderen,weil davon auszugehen ist, dass der Kunsthandel nunauch wieder mehr in Deutschland stattfinden wird.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie Sie meinerRede entnehmen können, halte ich den hier debattiertenEntwurf für gelungen, auch wenn ich durchaus bereitbin, mich noch über die eine oder andere Einzelheit zuunterhalten.H
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Im Gesetzentwurf ist festlegt, dass das Folge-
recht nur gelten soll, wenn bei der Weiterveräußerung
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Dr. Norman Paech, Wolfgang Gehrcke, MonikaKnoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder LINKENWeiter verhandeln – kein Militäreinsatz gegenden Iran– Drucksachen 16/452, 16/962 –Berichterstattung:Abgeordnete Karl-Theodor Freiherr zuGuttenbergDr. Rolf MützenichDr. Werner HoyerDr. Norman PaechMarieluise Beck
P 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Trittin, Winfried Nachtwei, Thilo Hoppe, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND-NISSES 90/DIE GRÜNENFür ein friedliches Vorgehen im Konflikt überdas iranische Atomprogramm – Demokrati-sche Entwicklung unterstützen– Drucksachen 16/651, 16/1157 –Berichterstattung:Abgeordnete Joachim HörsterDr. Rolf MützenichDr. Werner HoyerWolfgang GehrckeJürgen Trittin
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2728 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
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Vizepräsident Wolfgang ThierseDie Kollegen Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg,Rolf Mützenich, Harald Leibrecht, Norman Paech undJürgen Trittin haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)Wir kommen damit zur Beschlussempfehlung desAuswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/962 zudem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Wei-ter verhandeln – kein Militäreinsatz gegen den Iran“.Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck-sache 16/452 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Mir ist nicht klar, was die FDP-Fraktion zutun gedenkt.
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen vonCDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen dieStimmen der Fraktion Die Linke bei Ratlosigkeit derFDP-Fraktion angenommen.
Zusatzpunkt 6. Beschlussempfehlung des Auswärti-gen Ausschusses auf Drucksache 16/1157 zu dem An-trag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mitdem Titel „Für ein friedliches Vorgehen im Konflikt überdas iranische Atomprogramm – Demokratische Ent-wicklung unterstützen“. Der Ausschuss empfiehlt, denAntrag auf Drucksache 16/651 abzulehnen. Wer stimmtfür diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmenvon Bündnis 90/Die Grünen und bei einigen Gegenstim-men der Fraktion Die Linke, bei Stimmenthaltung derFDP und einigen Enthaltungen der Fraktion Die Linkeangenommen.Nun kommen wir zu Tagesordnungspunkt 18:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einfüh-rung der Europäischen Genossenschaft undzur Änderung des Genossenschaftsrechts– Drucksache 16/1025 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungFolgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre Re-den zu Protokoll gegeben: Georg Fahrenschon, KlausUwe Benneter, Mechthild Dyckmans, Ulla Lötzer undMargareta Wolf sowie der ParlamentarischeStaatssekretär Alfred Hartenbach.2)Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 16/1025 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt esdDwZAkBd1) Anlage 52) Anlage 6
Höhn, Ulrike Höfken, Cornelia Behm, UndineKurth und der Fraktion desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENVerbot der Käfighaltung für Legehennenab 2007 beibehalten– Drucksache 16/839 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Gesundheitb) Beratung des Antrags der Abgeordneten EvaBulling-Schröter, Dr. Kirsten Tackmann,Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der LINKENArbeitsplätze durch artgerechte Legehennen-haltung in Deutschland sichern – Verbot derKäfighaltung ab 2007 durchsetzen– Drucksache 16/1128 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für GesundheitP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-schaft und Verbraucherschutz zudem Antrag der Abgeordneten Hans-MichaelGoldmann, Dr. Christel Happach-Kasan,Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion der FDPKeine Wettbewerbsverzerrungen für Land-wirte durch die Umsetzung der EU-Richtliniezur Haltung von Nutztieren in nationalesRecht– Drucksachen 16/590, 16/1142 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Peter JahrDr. Wilhelm PriesmeierHans-Michael GoldmannDr. Kirsten TackmannBärbel HöhnNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höreeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile Kolleginärbel Höhn, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen,as Wort.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2729
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollegin-
nen und Kollegen! Wir beraten heute über ein Thema,
das die Gemüter in dieser Republik über Jahre stark er-
hitzt hat. Wir beraten heute darüber, weil morgen eine
wichtige Entscheidung im Bundesrat ansteht. Dort wird
darüber entschieden, wie die Legehennen in Zukunft ge-
halten werden, ob sie weiter in viel zu kleinen Käfigen
gehalten werden dürfen oder ob diese Art von Batterie-
käfighaltung in Deutschland endlich ein Ende hat; des-
halb der Antrag.
Die Diskussion darüber hat auch damit zu tun, dass es
ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1999
gibt, in dem sehr deutlich und klar gesagt worden ist,
dass die Batteriekäfighaltung in Deutschland dem Tier-
schutzgesetz widerspricht. Es geht darum, genau dieses
Urteil umzusetzen.
Dass ich heute hier stehe, hat auch etwas damit zu
tun, dass die Klägerin, die damals dieses Urteil erwirkt
hat, den Namen Bärbel Höhn trägt. Ich habe damals im
Namen der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen
genau dieses Urteil erwirkt. Ich muss sagen, ich finde es
gut, dass die Verfassungsrichter damals dieses Urteil ge-
fällt haben. Es war notwendig, dass in einem Land wie
Deutschland mehr für den Tierschutz getan wird, gerade
auch für die Legehennen.
Dieses Gerichtsurteil ist sehr detailliert. Es besagt ein-
deutig, dass die Hennen verhaltensgerecht untergebracht
werden müssen: Sie müssen scharren können, sie müs-
sen picken können, sie müssen eine Stange haben, auf
der sie sitzen können, sie müssen ein Nest zur Eiablage
haben und sie müssen flattern und sich aufbäumen kön-
nen.
Genau das wird mit dem Vorschlag, der morgen im
Bundesrat zur Abstimmung steht, nicht erreicht. Früher,
bei der Batteriekäfighaltung, stand einer Henne eine Flä-
che zu, die kleiner war als ein DIN-A4-Blatt. Nach dem,
was Sie erreichen wollen und was morgen zur Abstim-
mung steht, soll eine Henne nun eine Fläche bekommen,
die etwas größer ist als ein DIN-A4-Blatt. Von etwas we-
niger als einem DIN-A4-Blatt zu etwas mehr als einem
DIN-A4-Blatt, das ist zu wenig, meine Damen und Her-
ren; das ist nicht artgerecht.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Priesmeier von der SPD?
Bitte schön, Herr Priesmeier.
Frau Kollegin Höhn, ich zitiere aus dem Urteil:
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as, was Sie morgen auch mit den Stimmen der SPD imundesrat beschließen wollen, ist nicht tierschutzge-echt, Herr Priesmeier; das ist eindeutig.
s geht zum einen um die Fläche, aber es geht zum an-eren auch um das Flattern. Wie soll denn eine Hennelattern können, wenn sie in einem Käfig ist, der 45 bis0 Zentimeter hoch ist, wie sich das Ihre SPD-Kollegenus Mecklenburg-Vorpommern und Herr Backhaus vor-tellen? Da bringt es auch nichts, vielleicht noch0 Zentimeter dazuzugeben, wie es Herr Seehofer will.ei einer Höhe von 45, 50 oder 60 Zentimetern kannan nicht von einer Kleinvoliere sprechen.Woher kommt denn der Begriff Voliere? Das kommtus dem Französischen und bedeutet „fliegen“. Wie willan denn bei 60 Zentimetern Platz fliegen, Herrriesmeier? Können Sie mir diese Frage einmal beant-orten? Das können Sie eben nicht. Trotzdem wollenie morgen zustimmen.
Herr Priesmeier, ich bin hier wirklich sehr involviert.ie wissen, dass morgen darüber abgestimmt wird, ob dierist für die Batteriekäfighaltung, die Sie wahrscheinlichenauso verurteilen wie ich – ich hoffe, dass Sie das tun –,nde dieses Jahres ausläuft oder ob sie um zwei Jahreerlängert wird. Herr Priesmeier, was sagen Sie dazu?as ist das Gegenteil von artgerecht und das Gegenteilessen, was wir hier eigentlich beschließen sollten.
Ich sage das auch deshalb, weil es in Niedersachsen,iesem schönen Bundesland, in dem ich lange gewohntabe, mit dem Einsatz von Nikotin bei der Massentier-altung gerade wieder einen echten Skandal gibt. Wenn
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2730 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
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Bärbel Höhnes so ist, dass es Anfang dieses Jahres eine anonyme An-zeige gegeben hat, in der darauf hingedeutet wurde, dassdas Nikotin schon im letzten Jahr eingesetzt worden ist,und die Behörden das seit Anfang dieses Jahres wussten,dann frage ich mich, warum sie zweieinhalb Monate mitden Untersuchungen gewartet haben, bei denen sie dannimmer noch Nikotin gefunden haben.
Wenn man davon ausgeht, dass es dort über 1 MillionHennen gibt und jede dieser Hennen ein Ei pro Tag legt,dann wurden in zweieinhalb Monaten 100 Millionen bis150 Millionen nikotinbelastete Eier gelegt, die, wennwir Pech haben, auch in den Handel gekommen sind.Diese Art von Käfighaltung wollen Sie aufrechterhalten,Herr Priesmeier? Das kann doch wohl nicht Sinn der Sa-che sein. Wir sind dagegen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.Dieses Thema ist wichtig, aber es gibt noch ein anderesThema. Wir reden bei diesem Thema ja auch über dasEssen. Deshalb habe ich Ihnen etwas mitgebracht. Eierhaben ja auch etwas mit Ostern zu tun.
– Sie bekommen auch welche. Seit der Ausschusssit-zung sind Sie ja mein spezieller Freund. – Stellvertre-tend für Sie alle – für die Fraktionen habe ich auch nocheinige Eierpäckchen – überreiche ich dem Bundestagsvi-zepräsidenten einen Karton Eier, damit er weiß, wie Eiervon glücklichen Hühnern schmecken.Vielen Dank fürs Zuhören.
Ich hoffe, das wird meinen Cholesterinspiegel nicht
erhöhen.
Als nächster Redner hat der Kollege Franz-Josef
Holzenkamp von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Der Präsident des Deutschen Tier-
schutzbundes hat in einem Vortrag im Jahre 2004 das
Bestandsgefälle zwischen den großen Legehennenhal-
tern und den kleinen und mittleren Betrieben als drama-
tisch bezeichnet. Allein mit seiner kurzen Bestandsbe-
schreibung betritt er ein ideologisches Minenfeld, auf
dem sich auch die beiden Anträge von Bündnis 90/Die
Grünen und der Linken bewegen.
Im Übrigen: Wir Landwirte, die jeden Tag mit den
Tieren arbeiten, sind nachhaltig an Tierschutz interes-
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Die Botschaft, die in diesen Aussagen steckt, ist ein-
ach: Ein großer Hennenhaltungsbetrieb mit einem ho-
en Technisierungsgrad ist schlecht, Freiland- und Bo-
enhaltungsbetriebe mit wenig Technik sind gut. Meine
amen und Herren von Grün und von Links, wachen Sie
ndlich aus Ihrer Agrarromantik auf!
ir leben nicht auf einer Insel der Glückseligen, wo es
usreicht, ein paar lustig gackernden Hühnern morgens
ie Eier aus dem Nest zu holen.
Genug der Ironie; denn Ihre Anträge sind alles andere
ls lustig. Wenn wir Ihre Forderungen umsetzten, wür-
en auf einen Schlag – hören Sie jetzt bitte genau zu –
twa 40 000 Arbeitsplätze verloren gehen.
s geht um 40 000 betroffene Familien. Frau Höhn, Sie
aben Recht: Sie sind tatsächlich das Schicksal der deut-
chen Hühnerhalter.
Vor welcher Ausgangslage stehen wir? Die Globali-
ierung macht auch vor der Agrarwirtschaft nicht Halt.
ie Wettbewerber unserer Geflügelproduzenten stehen
irekt vor unserer Tür.
chauen Sie nach Polen oder in die Tschechei! Ich habe
ich erst kürzlich mit Gänsehaltern getroffen. Viele die-
er Betriebe haben fürchterliche Probleme; darüber ha-
en wir heute im Ausschuss gesprochen. Einige stehen
urz vor dem Aus. Der deutsche Verbraucher kauft eben
ieber die polnische Gans. Warum? Sie ist einfach billi-
er.
Herr Kollege Holzenkamp, erlauben Sie eine Zwi-
chenfrage der Kollegin Höfken?
Selbstverständlich, Frau Höfken.
Herr Holzenkamp, Sie haben gerade eine Schmähreden Bezug auf Frau Höhn und die Grünen gehalten.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2731
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Ulrike HöfkenIst Ihnen bekannt, dass das, was sich im Antrag der Grü-nen widerspiegelt, die geltende Gesetzeslage ist, der imÜbrigen die unionsgeführten Länder im Bundesrat zuge-stimmt haben? Deswegen kann dies mitnichten die Fol-gen haben, die Sie hier vollmundig beschreiben, etwaden Wegfall von 40 000 Arbeitsplätzen.Ist Ihnen auch bekannt, dass sich ein Großteil der Ver-braucher inzwischen auf Boden- und Freilandeier um-gestellt hat? Bei der Warenhauskette Real zum Beispielkonnte der Absatz an Boden- und Freilandeiern von30 Prozent dauerhaft auf 70 Prozent gesteigert werden.Ist Ihnen darüber hinaus bekannt, dass ein großer An-teil der Boden- und Freilandeier, deren Absatz sich inDeutschland verdoppelt hat, aus den Niederlanden undFrankreich kommt und Sie mit Ihrer dummen Politikverhindern, dass sich die deutschen Betriebe auf dieseMarktlücke einstellen und somit ein Hemmnis in derEntwicklung zu einer tiergerechten Produktion darstel-len?
Erst einmal vielen Dank, Frau Höfken, für die Frage. –
Erstens, zur rechtlichen Situation. Verfolgen Sie meine
weiteren Ausführungen; denn ich werde darauf einge-
hen. Zweitens, zum Markt. Glauben Sie mir, ich habe je-
den Tag mit dem Markt zu tun. Ich weiß, was Markt ist.
Gegen diese Marktmacht aus Größe und extrem nied-
rigen Produktionskosten können wir nur bestehen, in-
dem wir auch in Deutschland kostengünstig produzieren.
Das hat eine ganze Menge mit der Größe einer Betriebs-
einheit zu tun. Aber wir sind uns in einem Punkt voll-
kommen einig: Die Ökonomie darf natürlich nicht auf
Kosten des Tierschutzes gehen. Die Herausforderung an
die moderne Landwirtschaft liegt gerade darin, mit einer
wettbewerbsfähigen Produktion in einer globalisierten
Konkurrenzsituation zu bestehen, ohne gleichzeitig die
berechtigten Ansprüche des Tierschutzes, des Verbrau-
cherschutzes und des Umweltschutzes zu vernachlässi-
gen.
Dieser Herausforderung hat sich die Geflügelwirt-
schaft definitiv gestellt. Basierend auf dem Beschluss
des Bundesverfassungsgerichts hat sie unter Federfüh-
rung der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in
Celle und der Tierärztlichen Hochschule Hannover über
mehrere Jahre ein wissenschaftlich fundiertes Haltungs-
verfahren, die so genannte Kleinvoliere, entwickelt. An
dieser Stelle möchte ich ein Dankeschön an unseren Ko-
alitionspartner richten, dass die Kleinvoliere jetzt
kommt. Ich sage ganz ehrlich, dass ich mir ein bisschen
mehr gewünscht habe. Ein Wort zu den Grünen: Wenn
Sie weiter vom Käfig reden wollen, dann reden Sie mei-
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arum sage ich das? Die Studien der Tierärztlichen
ochschule Hannover sprechen eine sehr deutliche
prache. Zusammengefasst lautet das Ergebnis, dass die
leinvoliere in Bezug auf Tiergesundheit, das Verhalten
er Tiere, Umweltbelastung, Tierbetreuung, Arbeits-
latzqualität, Produktqualität und Produktionskosten den
brigen Haltungsformen deutlich überlegen ist.
Denken Sie nur an unser aktuelles Problem: die
ogelgrippe. Dabei wird deutlich, dass im Sinne des
ier- und Verbraucherschutzes die Stallhaltung unver-
ichtbar ist.
s gibt sogar Altersheime, die auf Eier aus Bodenhal-
ung verzichten.
Die Ergebnisse der Forschungsinstitute belegen, dass
ie Kleinvoliere nicht nur die Tierschutzkriterien der
U-Richtlinie erfüllt; sie geht sogar weit darüber hinaus.
Herr Holzenkamp, erlauben Sie noch eine Zwischen-
rage der Kollegin Höhn?
Ich möchte meine Ausführungen jetzt gerne zu Enderingen.
Die Tierschutzkriterien, die die Kleinvoliere erfüllt,ehen weit über die Tierschutzkriterien der EU-Richtli-ie hinaus.
eutschland nimmt bei der Kleinvolierenhaltung welt-eit eine Vorreiterrolle im Tierschutz ein. Vor diesemintergrund erscheinen mir die Anträge der Fraktionenie Linke und des Bündnisses 90/Die Grünen obsolet.as ist auch wissenschaftlich bewiesen.
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2732 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
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Franz-Josef HolzenkampErlauben Sie mir, auf einen weiteren Punkt aus demAntrag der Linken einzugehen. Sie stellen darin die Be-hauptung auf, dass tiergerechte Legehennenhaltung vonden Verbrauchern honoriert werde. Ich entkleide IhreWorte einmal des ideologischen Mäntelchens und for-muliere sie anders: Ihrer Meinung nach bevorzugt derVerbraucher bei seinem Kauf die teureren Eier aus Frei-land- und Bodenhaltung. Das ist – meinetwegen auchleider – schlichtweg falsch. Ich zitiere noch einmalHerrn Apel:Es gibt nicht den Verbraucher. Aber es fällt auf,dass sich viele Verbraucher vor dem Supermarkt fürden Tierschutz aussprechen und im Supermarktdann eindeutig ins falsche Regal greifen.Ich denke, Herr Apel hat damit zwar grundsätzlichRecht, zieht aber genau wie Sie die falschen Schlüsse.Die Menschen wollen zwar Tierschutz, aber er muss be-zahlbar bleiben.
Für uns heißt das: Wir müssen in unseren Betrieben diebestmöglichen Tierschutzstandards implementieren undweiterentwickeln und gleichzeitig allen VerbrauchernProdukte zu marktfähigen Preisen anbieten.
Ich will Betriebsformen und -größen nicht werten. Al-les hat seine Daseinsberechtigung. Aber die Daseinsbe-rechtigung wird letztlich am Markt entschieden.
Sie können doch nicht allen Ernstes glauben, mit demplanwirtschaftlichen Vorschreiben der Betriebsform Ar-beitsplätze zu erhalten, geschweige denn, welche schaf-fen zu können. Doch genau das tun Sie in Ihren Anträ-gen, meine Damen und Herren von den Grünen und denLinken, frei nach dem Motto: „Weg mit den Großen, hermit den Kleinen“.Liebe Genossinnen und Genossen – wie ich Sie andieser Stelle einmal anreden möchte –,
das ist wirklich hohe marxsche Ökonomie. Wir alle wis-sen, dass das in der Vergangenheit schon nicht funktio-niert hat. So funktioniert Wirtschaft auch nicht.
Sie glauben, in dem Modell der Schweiz, die die Kä-fighaltung seit 1991 verboten hat, den Heilsbringer ge-funden zu haben.
Das würde die deutsche Geflügelwirtschaft nicht nur si-chern, sondern sogar erweitern helfen. Von Frau Höhnwar heute in der „Frankfurter Rundschau“ die gleicheAussage zu lesen. Aber nur, weil zwei das Gleiche sa-gdlaplszhPkfKsHawDwtsllHvgGKtL
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2733
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Ihre antragsgebundene Verlängerung steht in krassemWiderspruch zu Ihren Aussagen zum Bürokratieabbau.Sie werden ein Bürokratiemonster erschaffen, das sei-nesgleichen sucht.
Herr Kollege Goldmann, erlauben Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Klöckner?
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Sie brauchen sie nicht aufzufordern, mich niederzuma-
hen. Ich glaube, Sie haben das Thema des heutigen
bends nicht ganz verstanden.
Bitte schön, Frau Klöckner.
Lieber Herr Kollege Goldmann, stimmen Sie mir zu,
ass morgen im Bundesrat auch FDP-mitregierte Bun-
esländer diesem Antrag zustimmen und auch Sie betei-
igt sind?
Geschätzte Frau Kollegin, wie Sie wissen, haben wirn keinem der Länder, in denen wir mitregieren, die Re-ierungsverantwortung.
Warum lachen Sie so? Wissen Sie nicht, dass der Mi-isterpräsident, der hier eine entscheidende Rolle spielt,er niedersächsische Ministerpräsident Wulff ist?
issen Sie nicht, dass der Ministerpräsident aus Baden-ürttemberg hier eine ganz entscheidende Rolle spielt?
issen Sie nicht – das zum Thema Mitregieren –, dassir uns heute Abend mit dem niedersächsischen Wirt-chaftsminister treffen, um zu retten, was in dieser Frageu retten ist? Wissen Sie nicht, dass wir aus Südolden-urg, aus dem Emsland, aus der Region, aus der Herrolzenkamp kommt, in Massen von Mails aufgeforderterden, das zu verhindern, was Sie morgen im Bundes-at beschließen?
Warten wir das erst einmal ab! – Wissen Sie nicht, dassn der letzten Woche im Agrarausschuss eine Regelungetroffen wurde, die wir mitgetragen haben? Wissen Sieicht, dass Herr Minister Seehofer diese Regelung umwei Jahre vorgezogen hat und dass dies dazu führenird,
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Hans-Michael Goldmanndass wir Arbeitsmarktprobleme bekommen werden undder Tierschutz ins Ausland verlagert wird?
Herr Kollege Goldmann, haben Sie die Frage der Frau
Klöckner beantwortet?
Ich habe die Frage der Frau Klöckner relativ einfach
beantwortet.
Es war doch nicht so schwer zu verstehen, dass wir Re-
gierungsbeteiligungen haben, Frau Kollegin Klöckner,
und dass Sie – –
– Frau Klöckner, Sie brauchen sich jetzt nicht so zu be-
nehmen.
Sie sind ja sonst sehr angriffsfreudig.
Herr Kollege Goldmann, erlauben Sie eine weitere
Zwischenfrage der Kollegin Klöckner?
Ja, gerne. Aber ich will erst einmal die erste Frage be-
antworten.
Würden Sie, geschätzte Frau Kollegin Klöckner, in
einer solchen Situation, zum Beispiel beim Weinabkom-
men, die Koalitionskarte ziehen? Haben nicht auch Sie
beim Weinabkommen, das Rheinland-Pfalz nicht unbe-
dingt nach vorne bringt – als ehemalige Weinkönigin
werden Sie das wissen –, dafür plädiert, dass wir eine
europäische Regelung bekommen, die der Interessenlage
Ihres Landes und dem internationalen Wettbewerb Rech-
nung trägt?
Sie sollten hier nicht die Verantwortung abschieben. Sie
haben „eins zu eins“ versprochen und Sie machen mor-
gen ganz eindeutig nicht „eins zu eins“. Das ist Wahlbe-
trug und das wissen Sie ganz genau.
Frau Klöckner, bitte schön. Aber ich bitte jetzt um
eine kurze Frage und auch um eine kurze Antwort.
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Bitte.
Ich muss sagen, ich bin etwas irritiert. Zuerst haben
ie, Herr Kollege Goldmann, gesagt, Sie hätten die
rage einfach beantwortet, und dann wollten Sie sie be-
ntworten, weil sie noch nicht beantwortet war. Das irri-
iert etwas.
Eine kurze Nachfrage: Gehe ich recht in der An-
ahme, dass Ihre Aussage dahin geht, dass in einer Ko-
lition von zwei Partnern der Juniorpartner nicht in Re-
ierungsverantwortung steht, sondern nur der große
artner?
Wir gehen davon aus, dass wir in Regierungsmitver-ntwortung stehen. Das reicht uns.
ber, liebe Frau Klöckner, wir sind hier, wie Sie wissen,icht im Bundesrat, sondern im Bundestag. Es ist schonehr interessant, wie Sie nachher abstimmen werden.ir haben einen Antrag eingebracht. – Frau Klöckner,ören Sie doch wenigstens zu! Sonst haben Sie es wiedericht verstanden.
enn Sie unseren Antrag gelesen haben – ich nehme an,ie haben ihn gelesen; er ist ja nicht sehr lang –, werdenie festgestellt haben, dass darin steht: europäische Vor-abe eins zu eins in nationales Recht umsetzen. Sie ha-en bei mindestens fünfzig Wahlveranstaltungen vor derundestagswahl gesagt,
ass Sie für eine Eins-zu-eins-Umsetzung sind.
eswegen sage ich hier ganz klar: Sie haben in dieserrage Wahlbetrug begangen und sonst überhaupt nichts.
Es gibt in dieser Regelung, die möglicherweise mor-en im Bundesrat zum Tragen kommt, einen Punkt, denie, liebe Frau Höhn, nicht so kritisch sehen sollten, wieie es getan haben. Dabei geht es um die Kleinvoliere.
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Hans-Michael GoldmannWir sind mit Ihnen völlig einer Meinung: Der alte Käfigmuss verschwinden; das ist überhaupt keine Frage.
– Frau Höhn, das haben wir immer gesagt.
– Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen möchten, dannsollten Sie sich dazu melden. Ansonsten müssen Sie sichnoch eine Minute das anhören, was ich sagen möchte.Ich habe schon Ihrer Kollegin, Frau Künast, gesagt:Käfig ist nicht gleich Käfig. Mit einer solchen Aussageblamieren Sie sich im Grunde genommen. Sie wissenganz genau, dass es auf die Ausgestaltung der Haltungankommt. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht ge-sagt, dass Käfige verboten sind. Das Bundesverfassungs-gericht hat gesagt: Man muss eine tierartgerechte Hal-tungsform finden. – Sie haben das Aufständern, dasScharrvermögen und die Eiablage angesprochen. Wenndie Käfigform den Kriterien der tierartgerechten Haltungentspricht, dann ist artgerechte Haltung möglich. Wasdie Kleinvoliere angeht, machen wir uns auf den Weg zumehr artgerechter Haltung.
Sie wissen ganz genau, dass die Werte 60 ZentimeterHöhe – was die Kleinvoliere angeht, wird morgen mög-licherweise ein entsprechender Beschluss gefasst – und800 Quadratzentimeter Bodenfläche fachwissenschaft-lich als artgerecht gelten. Deswegen sollten Sie hier mei-ner Meinung nach keinen Nebenkriegsschauplatz eröff-nen. Vielmehr sollten Sie schlicht und ergreifend sagen:Das, was morgen beschlossen wird, ist zwar mit Sicher-heit keine Eins-zu-eins-Umsetzung, aber es ist weiß Gotteine Weiterentwicklung der bisherigen Käfigbedingun-gen. Dies bedeutet einen verbesserten Tierschutz.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wilhelm
Priesmeier von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Man kann die Problematik der Hennen-haltung unter den verschiedensten Aspekten diskutieren.Ein wichtiger Aspekt sind natürlich ethische Vorgabenfür die Nutztierhaltung. Der Tierschutz ist dabei ein ho-hes Gut. Es kommt aber auch darauf an, die unterschied-lichen Interessen gegeneinander abzuwägen. UnserenNutztieren nutzt letztendlich nur der hohe Tierschutz-standard, den wir in Deutschland haben. Uns nützt derTierschutz in anderen europäischen Ländern, wo er un-tbEmHuhOd1dWDnwdgavrceshmHut–KSPdetsWKjzbVetZ3m5bs
er nicht gehalten hat. Der Bundesrat hat am9. Dezember 2004 einen Beschluss gefasst, der genauas beinhaltet, was morgen im Bundesrat mit einigerahrscheinlichkeit wiederum beschlossen werden wird.en damaligen Gesetzentwurf hat Ministerin Künasticht unterschrieben. Man kann sich darüber streiten, obir zwei Jahre verloren haben. Ich glaube, ja. Man hätteiesen Schritt schon vor zwei Jahren vollziehen können.Wenn man einen Vergleich zieht zwischen dem aus-estalteten Käfig, der Voliere, der Hühner-WG – wieuch immer man das nennen mag; ich will das jetzt nichterniedlichen –, und dem, was 1999/2000 in diesem Be-eich Standard war, der erkennt sehr wohl, dass erhebli-he Fortschritte gemacht worden sind. Jedes der zurzeitxistierenden Hennenhaltungssysteme ist durch Inten-ität gekennzeichnet und mit Vor- und Nachteilen verse-en. Jedes solche System bringt spezifische Problemeit sich. Ein System hat zwar den Nachteil, dass dieühner einen eingeschränkten Bewegungsraum habennd auf Gitterdraht gehalten werden, dafür aber den Vor-eil, dass bestimmte Standards im Bereich HygieneStichwort „Keimfreiheit“ und „Schutz vor bestimmtenrankheiten“ – eingehalten werden können. Ein anderesystem, das der Boden- und Freilandhaltung, ist demroblem der Koprophagie ausgesetzt: Hühner neigenazu, ihre Ausscheidungen zu fressen, und dadurch gibts ganz bestimmte Erkrankungen und Krankheitssymp-ome.Wir haben zur wissenschaftlich exakten Beurteilungolcher Systeme keine Kriterien, mit denen man dasohlbefinden und das Wohlverhalten von Hühnern imäfig messen kann.Also müssen wir uns an Kriterien orientieren, die ob-ektivierbar sind. Das sind zum einen die Mortalität undum anderen der Gesundheitszustand. Insofern gibt esei der bisherigen Freiland- oder auch Bodenhaltungorteile, aber auch noch erhebliche Probleme. Das gilts gegeneinander abzuwägen. Es gilt auch, eine vernünf-ige Entscheidung dazu zu treffen, wohin man sich inukunft bewegen möchte.Wir wollen demnächst – im Augenblick sind von etwa8 Millionen Hühnern noch 30 Millionen in Systemenit eingeschränkter Bewegungsmöglichkeit – zumindest0 Prozent in die Boden- und oder Freilandhaltungekommen – mit all den Schwierigkeiten, die in dem Zu-ammenhang noch zu bewältigen sind; denn an sich müssen
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Dr. Wilhelm Priesmeieralle drei Systeme weiterentwickelt werden. Sie bedürfenbei ihrer Entwicklung einer erheblichen wissenschaftli-chen und auch wirtschaftlichen Unterstützung.Es kommt auch darauf an – das habe ich letzte Wochevon der großen Tierschutzkonferenz der Kommission inBrüssel mitgenommen –, dass wir in Europa an vorders-ter Stelle stehen, dass wir diese Standards, die erheblichüber dem liegen, was im Jahr 2012 auf der EU-Ebeneverpflichtend sein wird, weiter ausbauen und im Rah-men des Aktionsplans Tierschutz versuchen – das regeich gegenüber der Bundesregierung an –, diese Stan-dards auf der europäischen Ebene zu etablieren, damit esdort nicht zu Wettbewerbsverzerrungen kommt.Fakt ist, dass wir die Nachfrage von Verbrauchern– dabei geht es um die Schaleneier, die im Laden ver-kauft werden – aus Freiland- oder Bodenhaltung befrie-digen können. Dass wir aus den anderen EU-Ländernoder aus dem sonstigen Ausland Eier aus Boden- oderFreilandhaltung importieren, liegt häufig daran, dass un-sere Preise von Anbietern aus diesen Ländern unterbotenwerden. Es gibt natürlich die Möglichkeit, Eier zu im-portieren; das ist ja ein ganz normaler Markt.Es geht auch um den Bereich der Verarbeitung vonSchaleneiern zu Eiprodukten. Diesen Bereich gibt es inder Schweiz nicht mehr. In der Schweiz liegen ganz be-sondere Konstellationen vor. Deshalb kann man dieSchweiz in der Geflügelhaltung nicht zum Modell fürDeutschland machen, auch nicht zum Modell für dieNiederlande oder für Belgien.Mit dem, was wir morgen hoffentlich als Beschlussdes Bundesrates bekommen werden, werden wir zu-nächst einmal ein System etablieren, was nicht statischist, was also nicht dauerhaft festgeschrieben wird, son-dern mit dem wir das umsetzen, was wir im Koalitions-vertrag vereinbart haben und was uns Sozialdemokratennatürlich sehr am Herzen liegt, nämlich den Tierschutz-TÜV, also eine Prüfung von industriell hergestelltenHaltungssystemen nach entsprechenden Kriterien unterBeteiligung von Tierschützern, Ethologen, Beteiligtenaus der Produktion und Herstellern. Es wird eine Syste-matik etabliert, wie sie die Schweiz schon hat und wiesie demnächst auch Österreich haben wird; in Österreichgibt es nämlich ein neues Tierschutzgesetz, in dem dasebenfalls geregelt wird. Da befinden wir uns, glaube ich,auf einem ganz guten Weg.Es geht darum, die Entwicklung von Haltungssyste-men nicht aus einer emotionalen Ebene heraus zu be-trachten, sondern zu versuchen, das anhand von wissen-schaftlichen Kriterien fassbar zu machen. Es nützt unswenig, wenn wir in dieser Gesellschaft im Einzelfall ausder Kuscheltierperspektive darüber diskutieren, wasdenn – vermeintlich – die Bedürfnisse von Tieren sind.Die Hühner, die heute gehalten werden, sind nicht mehrmit dem Bankivahuhn zu vergleichen, das vor1 000 oder 2 000 Jahren irgendwo in Indien mal amWaldrand gesessen hat. Heute haben wir hoch gezüch-tete Rassen, die unter bestimmten Bedingungen anbestimmte Verhältnisse adaptiert sind, die aber selbstver-ständlich einen großen Teil ihrer normalen Verhaltens-weisen behalten. Darauf muss man Rücksicht nehmen;döPgevDtgmsdasnwADadsrsiwfatztdrldsavL3Ib
Aber auch, wenn unser Selbstversorgungsgrad we-entlich sinkt, wird die Nachfrage nach Eiern in Europaicht plötzlich um das Doppelte ansteigen. Das hat Aus-irkungen auf den Markt, auf das Preisgefälle, auf dierbeitsplätze, auf den vor- und nachgelagerten Bereich.as Argument, dass Bodenhaltung oder Freilandhaltungrbeitsintensiver ist, trifft zu. Aber dafür werden durchie Produktion im vor- und nachgelagerten Bereich we-entlich mehr Arbeitsplätze gesichert als in dem primä-en Bereich allein.Der Bereich ist sehr differenziert zu sehen, auch hin-ichtlich der Größenordnung. Ich glaube, jeder, der sichn Zukunft engagieren möchte, hat eine Chance. Dazuerden entsprechende Programme aufgelegt, zum eineninanziert aus dem Haushalt 2006, zum anderen aberuch über die Rentenbank oder die GhK, sodass Be-riebe, die auf Bodenhaltung umsteigen wollen, finan-ielle Unterstützung finden und entsprechende Perspek-iven im Markt erwarten können. Aber es kommt aucharauf an, die Standards letztendlich nicht zu zementie-en, sondern weiterzuentwickeln.In diesem Sinne, meine lieben Kolleginnen und Kol-egen, lassen Sie uns gemeinsam an der Verbesserunges Tierschutzstandards in Deutschland arbeiten. Daind weder die Hennenhaltung noch andere Bereicheusgeschlossen.Danke schön.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Eva Bulling-Schröter
on der Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eider zu später Stunde soll über das Schicksal von9 Millionen Legehennen diskutiert werden.
nzwischen ist die Frage, ob Legehennen in Käfigen le-en sollen und wie groß diese dann sein sollen, zu einer
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Eva Bulling-SchröterGlaubensfrage hochstilisiert worden. Es ist aber keineGlaubensfrage. Schließlich hat sich das Bundesverfas-sungsgericht dazu schon im Jahre 1999 – das ist siebenJahre her, meine Damen und Herren – eindeutig geäußert:Eine artgerechte Unterbringung muss den grundlegendenVerhaltensbedürfnissen von Hühnern entsprechen.
Das heißt – es wurde schon zitiert –: scharren, picken,sandbaden sowie erhöht auf Stangen sitzen, ungestörteund geschützte Eiablage, sich aufbäumen.Ich verstehe nicht, meine Damen und Herren, warumSie sich da jetzt so aufregen und was daran missver-ständlich ist. Ich verstehe erst recht nicht, warum geradedieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts immer wie-der in Zweifel gezogen wird.
Bei anderen Urteilen tun Sie das nicht; die nehmen Sieso hin.Damals bei der Anhörung im Bundestag – ich war da-bei – wurden genau die gleichen Argumente vorgetra-gen. Daran hat sich nichts geändert. Aber sie werdennicht richtiger, wenn sie immer wieder neu hervorge-kramt werden.Immer wieder wird das Festhalten an den Hühnerkäfi-gen mit der notwendigen Wettbewerbsfähigkeit be-gründet; sonst würde die Eierproduktion ins Auslandwandern. Solche Argumente höre ich zu jedem x-belie-bigen Thema, zum Beispiel AEG: Wenn ihr nicht billi-ger werdet, verlagern wir die Produktion ins Ausland.
Herr Holzenkamp hat sich dieses Arguments wieder be-dient. Er hat sogar Karl Marx zitiert.
Herr Holzenkamp, ich kann Ihnen nur sagen: Zu KarlMarxens Zeiten gab es noch keine Hühnerlegebatterien,der konnte sich nicht geäußert haben.
Natürlich werden Eier im Ausland billiger produziert.Aber den Wettbewerb um das billigste Ei werden wir so-wieso verlieren. Wir können auch noch einmal über denMindestlohn in Europa diskutieren;
er ist dringend notwendig. Wenn in großen Hühnerlege-batterien in Niederbayern den Leuten die Löhne gekürztwerden, dann ist das eine Sauerei.
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Die Holländer haben die Zeichen der Zeit erkannt undben schon eher umgestellt. Denn sie wissen, dass im-er mehr Verbraucherinnen und Verbraucher genau hin-ehen, wie die Lebensmittel, die sie kaufen, produzierterden.Ich frage die Befürworter der Batteriehaltung: Se-en Sie nicht eine Chance, hier Marktanteile zurückzu-ewinnen, indem genau die Lebensmittel produzierterden, die die Mehrheit der Verbraucherinnen und Ver-raucher wünscht?Wir reden jetzt einmal über Preise. Sachverständigeaben uns die Preisdifferenz genannt: Ein Ei aus tierge-echter Haltung ist, wenn alles gut läuft, um 0,4 Centeurer. Ich bitte Sie! Wir reden also nur über 0,4 Cent.atürlich nimmt gerade unsere Fraktion die Angst vorem Verlust von Arbeitsplätzen sehr ernst.
ber wir müssen auch mittel- und langfristig denken:ine artgerechte Haltung von Legehennen schafft mehrrbeitsplätze und bessere Arbeitsbedingungen.
ie bietet die Möglichkeit zu einer regionalen Vermark-ung.
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Eva Bulling-Schröter– Es gibt dazu sogar ein Programm der CSU. Warum re-gen Sie sich also darüber auf? – Auch wir wollen dieseregionale Vermarktung.
Um dies zu unterstützen fordern wir in unserem An-trag, die vom Bundestag beschlossene Förderung dertiergerechten Geflügelhaltung ohne Einschränkung bei-zubehalten. Gerade in den neuen Bundesländern wurdenim Geflügelbereich schon in den 90er-Jahren Investitio-nen getätigt. Wir möchten nicht, dass diese Firmen durchdie Umstellung in Existenzschwierigkeiten geraten.Auch sie sollen die Möglichkeit erhalten, über Sonder-kreditprogramme die Haltung der Tiere auf artgerechteHaltungssysteme umzustellen. Das bedeutet für uns ebennicht Kleinvolieren.Mein Kollege Wunderlich – er ist Jurist – hat es ein-mal ausgerechnet. Ein Huhn mit einem Gewicht von2 Kilo soll auf 800 Quadratzentimetern leben.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Das bedeutet für einen Mann mit einem Gewicht von
90 Kilogramm, dass ihm, wenn Sie so entscheiden, in
Zukunft 3,6 Quadratmeter zum Wohnen zustehen.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufden Drucksachen 16/839 und 16/1128 an die in der Ta-gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dannsind die Überweisungen so beschlossen.Zusatzpunkt 7. Es geht um die Beschlussempfehlungdes Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-braucherschutz auf Drucksache 16/1142 zu dem Antragder Fraktion der FDP mit dem Titel „Keine Wettbewerbs-verzerrungen für Landwirte durch die Umsetzung derEU-Richtlinie zur Haltung von Nutztieren in nationalesRecht“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck-sache 16/590 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Ko-alitionsfraktionen, der Fraktion des Bündnisses 90/DieGrünen sowie der Fraktion Die Linke mit einer Enthal-tung und gegen die Stimmen der FDP angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten GiselaPiltz, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der FDPGegen rechtsstaatsfreie Räume – Sicherheits-überprüfungen im Rahmen von Akkreditie-EBWPkBdoSdAk1)
Stokar von Neuforn, Volker Beck , MonikaLazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktiondes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENKein Generalverdacht bei den Sicherheits-überprüfungen zur Fußballweltmeisterschaft2006– Drucksache 16/686 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
SportausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Arbeit und SozialesAlle Reden sollen zu Protokoll genommen werden1).s handelt sich um die Wortmeldungen der Kollegineatrix Philipp von der CDU/CSU, des Kollegenolfgang Gunkel von der SPD, der Kollegin Giselailtz von der FDP, der Kollegin Ulla Jelpke von der Lin-en und der Kollegin Silke Stokar von Neuforn vomündnis 90/Die Grünen.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufen Drucksachen 16/577 und 16/686 an die in der Tages-rdnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sindie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sindie Überweisungen so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten EkinDeligöz, Josef Philip Winkler, Marieluise Beck
, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENKinderrechte in Deutschland vorbehaltlos um-setzen – Erklärung zur UN-Kinderrechtskon-vention zurücknehmen– Drucksache 16/1064 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höreeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Anlage 7
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsIch eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-ner das Wort dem Kollegen Josef Winkler vom Bünd-nis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Der Deutsche Bundestag hat bereits mehrfachdie Rücknahme der Erklärung zum Übereinkommenüber die Rechte des Kindes, der so genannten UN-Kin-derrechtskonvention, gefordert, welche die damaligeBundesregierung bei der Ratifizierung 1992 hinterlegthat. Diese Beschlüsse des Deutschen Bundestages sindbislang von der Regierung nicht umgesetzt worden.
– Das ist richtig, Frau Lenke.
Gestern jährte sich der Tag des In-Kraft-Tretens derKinderrechtskonvention zum 14. Mal. Die Bundesregie-rung muss diesen längst überfälligen Schritt endlichvollziehen. Dies ist das Anliegen des von meiner Frak-tion vorgelegten Antrags.
Im Interesse des Wohls aller hier lebenden Kinder so-wie um einer glaubwürdigen Kinderpolitik willen istdie Aufrechterhaltung der Vorbehaltserklärung nicht ver-tretbar. Auch die außenpolitische Glaubwürdigkeit derBundesrepublik im Hinblick auf die konsequente Umset-zung von Kinderrechten ist durch die Erklärung erheb-lich beeinträchtigt.
– Frau Lenke, das können Sie doch gar nicht bestreiten.Regen Sie sich nicht so auf! Stellen Sie mir eine Zwi-schenfrage! Dann habe ich ein bisschen mehr Redezeit.Vier Minuten sind kurz.
Um welche konkreten Rechte geht es denn hier? DieHandlungsfähigkeit im Asylverfahren soll mit 18 Jah-ren und nicht wie bisher mit 16 Jahren beginnen. AlsFolgewirkung daraus würden unbegleitete minderjährigeFlüchtlinge in diesem Alter aus dem Flughafenverfahrenherausfallen, nicht mehr in Sammelunterkünfte mit ih-nen völlig unbekannten, anderen, fremden Flüchtlingenuntergebracht werden und würde die Drittstaatenrege-lung auf sie keine Anwendung finden. Sie würden statt-dessen einer Jugendhilfeeinrichtung als Clearingstellezugeführt werden.Minderjährige Flüchtlinge sollen Anspruch auf dieGewährung von Kinder- und Jugendhilfe haben, undzwar unabhängig von ihrem Status. Das betrifft vor al-lem Kindersoldaten und traumatisierte Flüchtlinge, eineGruppe, die uns besonders am Herzen liegen muss. Au-ßFBSdndndNgBIdbndIdNwIcwtWsiaaIf
Ja, gerne.
Bitte schön.
Herr Kollege, Sie haben sehr schamhaft verschwie-en, dass es in den letzten sieben Jahren eine rot-grüneundesregierung gab.
ch würde gerne von Ihnen wissen, warum Ihre Fraktion,ie den Außenminister gestellt hat, in dieser Koalitionei zwei Koalitionsverträgen, die Sie geschlossen haben,icht die Kraft hatte, dies durchzusetzen. Jetzt sind Sie iner Opposition. Wieso konnte das nicht geschehen, alshre Fraktion und damit Sie persönlich an der Bildunger Bundesregierung beteiligt waren?
Das ist eine sehr interessante Frage, die Sie da auf-erfen, Frau Kollegin.
ch freue mich, darauf antworten zu können. Die Tatsa-he, dass der Außenminister von unserer Partei gestellturde, ist sicherlich richtig. Das hat auch eine nachhal-ige Wirkung hinterlassen.
ir waren in der Regierungsverantwortung. Im Gegen-atz zu dem, was Herr Goldmann eben gesagt hat, stellech fest: Wenn wir in der Regierung sind, stehen wir fürlle Ressorts nicht nur in der Mitverantwortung, sondernuch in der Gesamtverantwortung.
ch habe gesagt: Das Parlament war sich einig, und zwarraktionsübergreifend.
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Josef Philip WinklerDen Innenminister haben wir leider nicht gestellt, wo-bei das „leider“ nicht von allen geteilt wird.
Das Innenministerium hat sich auf die Rechtsposition,dass es hier um eine Vereinbarung, die man mit den Län-dern abgeschlossen habe, gehe, zurückgezogen: Manstünde dort im Wort und könne es deshalb nicht zurück-nehmen. Wenn ein Minister wie Schily meint, er stündeim Wort, dann kann man sich als Fraktion auf den Kopfstellen, selbst wenn es Kabinettsmitglieder gibt, die viel-leicht körperlich nicht in der Lage sind, dies auch zu tun.
Trotzdem kann man es dann nicht durchsetzen. Ichdenke, damit ist die Frage – hoffentlich zufriedenstel-lend – beantwortet.
Meine Fraktion teilt den Standpunkt, den die Bundes-regierung unverändert einnimmt, jedenfalls nicht. Wirstellen uns an die Seite der Kinderrechtsverbände und-organisationen, die seit langem – seit 14 Jahren – vehe-ment die Rücknahme der Vorbehaltserklärung einfor-dern.Es ist wirklich peinlich, wenn uns die Vereinten Na-tionen – die Staatenkonferenz – bereits zum zweiten Maleine Abmahnung erteilen und sagen: In Deutschlandhaben nicht alle Kinder einheitliche Rechte; deutschenKindern werden andere Rechte als ausländischen Flücht-lingskindern gewährt. Das ist ein unhaltbarer Zustand.Das muss unbedingt geändert werden!
Meine Damen und Herren von der großen Koalition– ich spreche jetzt einmal beide Regierungsfraktionenan, muss allerdings angesichts der neuen Situation einbisschen mit dem Kopf wackeln –, der von Ihnen ange-nommene Nationale Aktionsplan „Für ein kinderge-rechtes Deutschland“ schließt bisher die Flüchtlingskin-der von der dort angepeilten Kinderfreundlichkeit aus.Meine Fraktion hinterfragt deshalb sehr ernsthaft, ob Siees mit diesem Nationalen Aktionsplan wirklich ernstmeinen.Ich meine, wir dürfen nicht länger zwischen Kindern,die Flüchtlinge sind, und deutschen Kindern unterschei-den. Wir fordern Sie auf: Nehmen Sie endlich die Vorbe-halte gegenüber der Kinderrechtskonvention zurück.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Katharina Landgraf
von der CDU/CSU-Fraktion.
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Mit diesem Antrag stellen Sie die Bundesregierung,tellen Sie Deutschland in eine Ecke, wo sie – die Bun-esregierung und unser Vaterland – gar keinen Platz ha-en und auch nicht haben wollen.
ie sollten etwas vorsichtiger und bedachter mit knackiglingenden Titeln von Anträgen umgehen. Die Forde-ung, Kinderrechte „vorbehaltlos“ umzusetzen, klingt imrsten Moment echt gut, fast wie „bedingungslos“. Hof-entlich ist nicht „verantwortungslos“ gemeint. „Vorbe-altlos“ verbindet sich schnell mit „unkritisch bedin-ungslos“.Wenn es um Kinderrechte und deren Einhaltung geht,önnen wir eigentlich nur verantwortungsvoll handeln.as tun wir auch. Die Erklärung ist Ausdruck der Ver-ntwortung, die Deutschland bei der Anwendung derN-Kinderrechtskonvention übernimmt. Dass die Bun-esregierung damals im Konsens mit den Bundesländernie Erklärung abgegeben hat, war gut so, denn dadurchurden Fehlinterpretationen der Gesetze verhindert.
in Vergleich der Regelungen der UN-Kinderrechtskon-ention mit der derzeitigen Gesetzeslage ergibt, dass dieorbehalte aufrechterhalten bleiben müssen, um Fehl-nterpretationen tatsächlich zu verhindern.Die UN-Kinderrechtskonvention bezieht innerstaatli-he Bereiche ein, für die ausschließlich die Bundeslän-er zuständig sind.
as ist doch wohl der springende Punkt. Demnach sindie Haltung und die faktische Betroffenheit der Bundes-änder für die Aktionsmöglichkeiten der Bundesregie-ung von ausschlaggebender Bedeutung. Ohne Bundes-änder geht es hier nicht.
Auch deshalb sollten wir deren Bedenken sehr ernstehmen, um endgültig Klarheit in der Frage der richti-
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Katharina Landgrafgen Anwendung der UN-Kinderrechtskonvention zu er-reichen.Grundsätzlich ist zu sagen, dass die Vorbehaltserklä-rung sachgerecht ist, dass die Konvention keine unmit-telbar einklagbaren Rechte der Kinder enthält, sondernausschließlich eine völkerrechtliche Verpflichtung derVertragsstaaten darstellt.
Die Innenminister von Bund und Ländern sind sich ei-nig, dass in Deutschland die Vorgaben aus der UN-Kin-derrechtskonvention vollständig erfüllt sind. Mit demam 1. Juli 1998 in Kraft getretenen Gesetz zur Reformdes Kindschaftsrechtes wurde eine Regelung geschaffen,die dem Wohl der Kinder besser gerecht wird. Zusätzlichmöchte ich hier hervorheben, dass in Deutschland dasKindeswohl an erster Stelle steht und wir das gemein-same Sorgerecht der Eltern festgeschrieben haben.Eine offizielle Rücknahme der Erklärung könntefälschlicherweise als Signal verstanden werden, dieBundesregierung würde von ihrer Position abweichen.Das hieße auch, dass einzelnen Bestimmungen der Kon-vention nunmehr größere Bedeutung, wenn nicht gar un-mittelbare innerstaatliche Wirkung zukäme. Dies könntezu einer Rechtsunsicherheit bei der Anwendung beste-hender Vorschriften des Ausländer- und Asylrechts füh-ren. Erschwernisse bei der Durchsetzung der Ausreise-pflicht Minderjähriger wären die Konsequenz. Aberauch dem zunehmenden Missbrauch durch Personen, dieohne Vorlage von Dokumenten vortragen, minderjährigzu sein, würde Tür und Tor geöffnet.
Minderjährigkeit allein kann weder nach nationalemnoch nach internationalem Recht ein Einreiserecht be-gründen oder die Zuerkennung der Flüchtlingseigen-schaft rechtfertigen.
Anders als bei der UN-Kinderrechtskonvention wirdim deutschen Recht zwischen Kindern und Jugendli-chen differenziert. Im Hinblick auf die Problematik derminderjährigen unbegleiteten Flüchtlingskinder könntedies zur Folge haben, dass auf eine Differenzierung zwi-schen Rechten für Kinder und Rechten für Jugendlicheverzichtet würde.Der Vorbehalt schließt einen unmittelbaren innerstaat-lichen Individualanspruch aus. Ein Wegfall des Vorbe-halts wäre daher mit dem Risiko verbunden, dass Kostenbei der Unterbringung der minderjährigen unbegleitetenFlüchtlinge in der Altersgruppe der 16- bis 18-Jährigenentstehen würden. Dafür gibt es weder eine sachlicheNotwendigkeit noch Finanzierungsvoraussetzungen;
denn die Abschiebung Unter-18-Jähriger ist von derRechtsprechung nur deshalb getragen worden, weil dieiddhslDdestAfcdkrkfdlMaDdLwtWsDrPwzlUg
urch Änderungen im Kindschaftsrecht, durch eineind- und jugendgerechte Auslegung des Jugendstraf-echts sowie durch die Ratifizierung des Fakultativproto-olls zur Beteiligung von Kindern an bewaffneten Kon-likten. Jetzt wollen Sie sozusagen auf der Zielgeradees jahrelangen Marathons diese Erklärung zurückholenassen, und das, nachdem Sie selbst als Akteur aus demarathon ausgestiegen sind, also keine Regierungsver-ntwortung mehr tragen – auch in dieser Sache nicht.
as hat den Eindruck eines Scheingefechts.Der übrig gebliebene Punkt berührt in hohem Maßeie Hoheit der Bundesländer. Hier sollten Bund undänder gemeinsam im Rahmen der Evaluierung des Zu-anderungsgesetzes nach Lösungen suchen, die den In-eressenlagen der Länder und des Bundes entsprechen.ir sind auf Bundesebene gut beraten, mit klugen Rat-chlägen und Vorgaben zurückhaltend zu sein. Ein fairerialog innerhalb des Bundestages mit der Bundesregie-ung und den Ländern könnte eine Lösung der gesamtenroblematik herbeiführen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,enn Sie sich tatsächlich und wirksam für die Umset-ung von Kinderrechten in Deutschland engagieren wol-en, habe ich eine kleine Anregung:
nterstützen Sie die Vorschläge und Aktivitäten für eineute Kinderpolitik unserer neuen Familienministerin,
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Katharina Landgrafzum Beispiel bei den Mehrgenerationenhäusern, bei denFrüherkennungsuntersuchungen oder den Regelungenzum Unterhaltsrecht zugunsten der Kinder. Das ist derbeste und einfachste Weg, Kindern wirksam zu helfenund sie auf dem Weg ins Leben zu begleiten. Darüberkönnen wir uns zu gegebener Zeit im Familienausschussunterhalten.Vielen Dank.
Frau Kollegin Landgraf, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer
ersten Rede im Deutschen Bundestag. Herzlichen
Glückwunsch!
Das Wort hat jetzt die Kollegin Miriam Gruß von der
FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Dass der Deutsche Bundestag heutezum wiederholten Male über die Rücknahme der Vorbe-haltserklärung zur UN-Kinderrechtskonvention disku-tiert, ist an sich schon eine Farce. Noch viel erstaunlicherist allerdings, dass der Antrag, den wir heute beraten,von der Fraktion der Grünen kommt.
– Meine Damen und Herren der Bündnisgrünen, hörenSie mir bitte zu. Sie hatten, wie meine Kollegin FrauLenke gerade gesagt hat, sieben Jahre Zeit, die Vorbe-haltserklärung zurückzunehmen.
Ein grüner Außenminister hat es sieben Jahre lang nichtfür nötig gehalten, ein völkerrechtliches Signal zu setzenund das Übereinkommen der Vereinten Nationen überdie Rechte des Kindes endlich vollständig umzusetzen.
Man darf sich schon sehr darüber wundern, dass Sie sichnun, aus der Opposition heraus, für die Flüchtlingskinderin Deutschland stark machen wollen.
Warum waren Sie nicht vorher so konsequent? Verfah-renstechnisch – das kann ich leider nicht anders sagen –ist dieser Antrag gründlich misslungen.Doch kommen wir zu einem viel wichtigeren Part,dem Inhalt. Selbstverständlich wird die FDP-Bundes-tagsfraktion diesem Antrag zustimmen. Wer wieDeutschland die Menschenrechte weltweit einklagt,mgSsdaskDddrDKamomrmdddDk–SdNdEraHssEpd
ieses fadenscheinige Argument ist so alt wie die Dis-ussion um die Rücknahme der Erklärung.
Warum regen Sie sich denn eigentlich über meineätze auf? – Aus falschem Respekt gegenüber den Bun-esländern werden Kinderrechte missachtet!
ach meinem Verständnis ist dies eine falsche Show, iner sich alle Beteiligten vor Verantwortung drücken,ntscheidungen hinauszögern und dafür Menschen-echte zurückstellen. Ist das das Bild, das wir national,ber auch international vermitteln wollen?Meine Aufforderung gilt heute der Bundesregierung:aben Sie endlich den Mut, für die Rechte junger Men-chen geradezustehen! Verstecken Sie sich nicht hinterchwachen Ausreden!
s ist eine Schande für Deutschland, dass wir gerade inunkto Kinderrechte so rückständig sind. Der Zeitpunkt,ies zu ändern, ist längst gekommen.
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Das Wort hat jetzt die Kollegin Marlene Rupprecht
von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Vielen Dank dafür, dass Sie heute Abend noch anwesendsind.
Das finde ich wunderschön.
– Ja, für mich auch.Ich denke, ich beginne einmal so: Keine der Parteien,die hier durch Fraktionen vertreten sind, hat sich in derVergangenheit beim Thema Rücknahme der Vorbehalts-erklärung besonders mit Ruhm bekleckert, weder dieFDP, noch die Grünen, noch die SPD, noch die CDU/CSU. Wir alle sind aber lernfähig und deshalb versucheich es heute Abend noch einmal mit einem ganz sachli-chen Umgang mit diesem Thema.Ich denke, ich darf mich als alte Häsin bezeichnen,und ich sehe hier etliche alte Häsinnen und Hasen sitzen;wir haben ja auch bald Ostern. Deshalb würde ich gernnoch einmal auf die Entstehung der Kinderrechte ein-gehen. Gestern vor 14 Jahren – Kollege Winkler hat da-rauf hingewiesen – hat die Bundesrepublik die UN-Kin-derrechtskonvention mit der Ratifizierungsurkunde, diesie bei den Vereinten Nationen hinterlegt hat, in deut-sches Recht umgesetzt. Am 20. November 1989 habendie Vereinten Nationen die Kinderrechte gemeinsam be-schlossen. Das ist die meist gezeichnete Konvention derVereinten Nationen. Ich finde, wir können stolz daraufsein, dass wir das geschafft haben.
Zum damaligen Zeitpunkt hat man geglaubt, manmüsste zu einigen der Artikel Erklärungen abgeben, zumTeil deshalb, weil Dinge angeführt wurden, die wir imnationalen Recht noch nicht so geregelt hatten, wie esdie Konvention vorschreibt. Ich will einfach noch ein-mal die entsprechenden Stichworte nennen; vielleichtfällt es uns dann leichter, manche Gräben aufzubrechen,manchen Ballast abzuwerfen und das Ganze neu zu be-trachten: Umgangs- und Sorgerecht, Rechtsbeistand beiminderschweren Fällen, Adoptionsrecht, Kinder in be-waffneten Konflikten. All das haben wir geregelt.Jetzt steht noch ein Punkt aus, durch den bei vielenoffensichtlich eine Xenophobie – ich finde das Wort soschön; übersetzt: Angst vor dem Fremden – ausbricht.Es wäre schön, wenn wir diese ablegen und weiter nüch-tern an das Thema herangehen würden. Warum also ha-ben wir gegen diesen Artikel immer noch einen Vorbe-halt? Die Vereinten Nationen – dies sage ich für diejugendlichen Zuhörer – kennen nicht den Begriff der Ju-gendlichen; die Kindheit reicht somit von 0 bis 18 Jah-ren. Das akzeptieren wir im Allgemeinen auch, nur indiesem einen Fall, bei der Konvention, nicht. Hier habenwaGDdwXemBvtwddjrmvuvanddsIdAhbddaLfgBgMAlbm
Auch in unserer Koalitionsvereinbarung ist das Zieler Umsetzung des Nationalen Aktionsplans erwähnt.ber vielleicht – das meine ich jetzt nicht hämisch –abe auch ich nicht alle Punkte, die wir beschlossen ha-en, im Kopf. Deshalb wiederhole ich: Dort heißt es,ass wir uns vorgenommen haben, für die Rücknahmeer Vorbehaltserklärungen einzutreten. Geben wir unslso einen Ruck! Das wäre ein gutes Zeichen für unserand. Daran würde deutlich, dass wir Erwachsene lern-ähig sind; das erwarten wir schließlich auch von den Ju-endlichen. Wir sollten dafür sorgen, dass man in allenereichen bis zum Alter von 18 Jahren als Kind gilt. Ichlaube, dass wir das gemeinsam schaffen können.
Herr Singhammer, ich weiß, dass auch Sie einmalitglied der Kinderkommission waren.
n diese Zeit möchte ich Sie erinnern. Es wäre doch ge-acht, wenn wir das nicht gemeinsam schaffen.Ich würde gern im Juni nach Stockholm fahren undeim Europarat sagen können, dass wir unser Ziel ge-einsam erreicht haben und jetzt wirklich in der ersten
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Marlene Rupprecht
Liga spielen. Vielleicht erreichen wir im Fußball nichtden ersten Platz. Aber wenn es um Kinder geht, könnenwir es weltweit auf den ersten Platz schaffen.
Das ist für mich in diesem Sommer das Wichtigste.Dann können wir uns auf unser eigentliches Geschäftbesinnen: die gute Kinderpolitik in Deutschland gemein-sam fortzusetzen. Trotz aller Differenzen, die wir haben,sind wir uns in diesem Punkt einig. Nun müssen wir dieGrundlagen dafür schaffen. Diese Diskussion sollten wirnicht so führen, dass sie niemand mehr nachvollziehenkann. Deshalb habe ich Ihnen aufgezeigt, worum es ei-gentlich geht: Wenn man schon in den Ministerien derAnsicht ist, dass sich durch die Rücknahme der Vorbe-haltserklärungen nichts ändern wird, dann sollte das Par-lament endlich einen gemeinsamen Antrag auf den Wegbringen und dieses Werk vollenden. Wenn wir das nochin diesem Jahr schaffen würden, wäre das sehr schön.Wir müssen natürlich auch darüber nachdenken, wases bedeutet, Kind zu sein. Dabei geht es zum BeispielFür die Kinder werden wir aber Verantwortung überneh-men müssen.Ich bitte Sie alle, das nicht zu verhindern, weder auf-grund von falschen Rücksichtnahmen noch weil der eineoder andere Bedenken hat. Das können wir heute Abendgemeinsam schaffen. Wenn Sie von den Grünen dannmit Ihrem Antrag dazu beigetragen haben, begrüße ichdas sehr. Sie hätten auch den gleichen Antrag wie beimletzten oder vorletzten Mal einbringen können; das wäreegal gewesen. Sie haben diese Diskussion in Gang ge-bracht. Dafür ist Ihnen ganz herzlich zu danken. Wir allesollten über dieses Vorhaben noch einmal nachdenken.Herr Singhammer, wir gehen miteinander einen Kaffeetrinken; vielleicht können wir uns dann einigen.
Die Rede der Kollegin Ulla Jelpke nehmen wir zu
Protokoll.1) Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/1064 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
um die Frage: Sind Kinder bis 18 Jahre keine Auslän-
der? In der UN-Kinderrechtskonvention heißt es näm-
lich: Kinder bedürfen unseres besonderen Schutzes,
ob sie Inländer oder Ausländer sind. Von jedem Erwach-
senen erwarte ich, dass er für sich selbst sorgt. Wenn ich
ihn unter Wasser drücke, kann er nicht atmen; das ist lo-
gisch. Aber unter normalen Bedingungen muss ich für
einen Erwachsenen keine Verantwortung übernehmen.
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Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf morgen, Freitag, den 7. April 2006, 9 Uhr,
in.
Die Sitzung ist geschlossen.