Anlage 8
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2745
        (A) )
        (B) )
        für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
        sammlung des Europarates und Umschulung neue Perspektiven für Mitarbeiterinnen
        Anlage 1
        Liste der entschuldigten Abgeordneten
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        Abgeordnete(r)
        entschuldigt bis
        einschließlich
        Arnold, Rainer SPD 06.04.2006
        Bülow, Marco SPD 06.04.2006
        Glos, Michael CDU/CSU 06.04.2006
        Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 06.04.2006
        Griese, Kerstin SPD 06.04.2006
        Heinen, Ursula CDU/CSU 06.04.2006
        Heller, Uda Carmen
        Freia
        CDU/CSU 06.04.2006
        Hilsberg, Stephan SPD 06.04.2006
        Homburger, Birgit FDP 06.04.2006
        Kortmann, Karin SPD 06.04.2006
        Leutert, Michael DIE LINKE 06.04.2006
        Michelbach, Hans CDU/CSU 06.04.2006
        Müller (Köln), Kerstin BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        06.04.2006
        Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 06.04.2006
        Otto (Frankfurt), Hans-
        Joachim
        FDP 06.04.2006
        Parr, Detlef FDP 06.04.2006
        Schäffler, Frank FDP 06.04.2006
        Schummer, Uwe CDU/CSU 06.04.2006
        Steenblock, Rainder BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        06.04.2006*
        Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 06.04.2006
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        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        nlage 2
        Zu Protokoll gegebene Rede
        zur Beratung des Antrags: Gegen die Schließung
        von 45 Standorten der Deutschen Telekom AG
        (Tagesordnungspunkt 11)
        Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        ie Einführung von Wettbewerb bei der Telekommuni-
        ation hat die Voraussetzung für das Entstehen von Hun-
        erttausenden neuen Arbeitsplätzen im Bereich der In-
        ormations- und Kommunikationsdienstleistungen, der
        euen Medien und des E-Commerce geschaffen. Wir un-
        erstützen diesen Prozess und fordern faire Wettbewerbs-
        edingungen für große und kleine Unternehmen.
        Wer wie die PDS Staatsunternehmen erhalten will,
        er verwehrt kleinen und mittleren Unternehmen den
        arktzugang und verhindert so das Entstehen wettbe-
        erbsfähiger Arbeitsplätze.
        Die Deutsche Telekom AG als früheres Monopolun-
        ernehmen hat einen schwierigen Anpassungsprozess zu
        eistern. Sie muss unter Wettbewerbsbedingungen be-
        tehen und sich auf neuen Märkten positionieren. Natur-
        emäß muss sie Marktanteile an neue Wettbewerber
        bgeben. Per saldo sind bei den Telekommunikationsun-
        ernehmen seit der Liberalisierung 1998 neue Arbeits-
        lätze entstanden.
        Der Bund sollte seine Anteile kontinuierlich verkau-
        en und die Mittel aus dieser Privatisierung in Bildung
        nd Forschung investieren. Nur so können für die Zu-
        unft Arbeitsplätze in Deutschland gehalten werden. Die
        DS will an Staatsunternehmen festhalten und meint,
        it Staatsunternehmen die Probleme strukturschwacher
        egionen lösen zu können. Diese Versuche sind bereits
        ehr oft gescheitert. Wir wollen strukturschwache Regio-
        en mit Zukunftsinvestitionen und nicht mit Staatsunter-
        ehmen unterstützen.
        Unter anderem durch schwere Versäumnisse und Feh-
        er des Managements ist es der Deutschen Telekom AG
        icht gelungen, sich so auf dem Markt zu behaupten,
        ass sie ohne Personalabbau auskommt. Wer aber will,
        ass auch bei der Telekommunikation Wettbewerb
        reift, der kann nicht ausschließen, dass auch bei frühe-
        en Monopolunternehmen Personal abgebaut werden
        uss. Andernfalls könnte auch bei den Wettbewerbern
        ein Personal aufgebaut werden. Der Antrag der PDS
        at mit der Realität nichts zu tun. Der Bund hält nur
        och eine Minderheitsbeteiligung an der Deutschen Te-
        ekom. Richtig ist, dass die Deutsche Telekom AG im
        invernehmen mit dem Betriebsrat die Zahl der Callcen-
        er von 91 auf 58 reduziert. Die Mitarbeiter in den zu
        chließenden Callcentern erhalten Angebote, in anderen
        allcentern zu arbeiten. Es gibt keine betriebsbedingten
        ündigungen. Wir fordern die DTAG auf, für Härtefälle
        oziale Lösungen zu suchen. Wir fordern die Deutsche
        elekom auf, wo immer möglich durch Qualifizierung
        2746 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
        (A) )
        (B) )
        und Mitarbeiter zu schaffen, deren Beschäftigung weg-
        fällt. Netto werden im Konzern 19 000 Stellen abgebaut,
        dabei werden 27 000 Stellen abgebaut, während 8 000
        Stellen neu aufgebaut werden.
        Wir halten auch nichts davon, der Deutschen Telekom
        AG in neuen Bereichen Monopolstellungen zu gewäh-
        ren. Bisweilen erweckt die DTAG ja den Eindruck, dann
        auf Arbeitsplatzabbau verzichten zu können. Der Abbau
        von Arbeitsplätzen bei Wettbewerbern wäre das Ergeb-
        nis. EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes hat in
        einem Brief an die Bundesregierung festgestellt, das der
        Entwurf zur Novelle des Telekommunikationsgesetzes
        nicht mit dem europäischen Telekommunikationsrecht
        übereinstimmt und ein Vertragsverletzungsverfahren
        nach sich ziehen wird. Die Bundesregierung will die
        DTAG für den Aufbau des VDSL-Breitbandes von der
        Zugangs- und Preisregulierung durch die Bundesnetz-
        agentur ausnehmen. Das würde der Deutschen Telekom
        AG gestatten, ihre marktbeherrschende Stellung in einen
        weiteren Bereich auszudehnen, denn Wettbewerber hät-
        ten nicht die Möglichkeit, diese innovativen Dienste an-
        zubieten. Der Regulierungsverzicht erhöht die Preise für
        Verbraucherinnen und Verbraucher, innovative Anbieter
        von Diensten und erschwert den Marktzugang für Wett-
        bewerber. Durch dieses Vorgehen werden Unternehmen
        wie zum Beispiel Arcor oder iesy benachteiligt, um
        Marktchancen bei im neu entstehenden Triple-Play-
        Markt – Fernsehen, Internet und Telefonie über eine Lei-
        tung – beraubt.
        Wir sind für faire Wettbewerbsbedingungen für alle
        Unternehmen. Wir treten für soziale Schutzrechte für die
        Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein, die in allen
        Unternehmen gleichermaßen gelten.
        Anlage 3
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Voraussetzungen für
        Entwicklung, Bau und Betrieb einer Europäi-
        schen Spallations-Neutronenquelle in Deutsch-
        land schaffen – Deutsche Bewerbung vorantrei-
        ben (Tagesordnungspunkt 15)
        Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): Wir
        alle wissen: Deutschland hat das Zeug, technologische
        Spitzenleistungen in der wissensbasierten Wirtschaft zu
        erbringen. Deshalb fangen wir jetzt damit an, ideolo-
        gischen Ballast von sieben Jahren rot-grüner Bundesre-
        gierung abzuwerfen. Die Entwicklung der letzten Mo-
        nate unter kompetenter Führung der erfolgreichen
        Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel macht mir Mut,
        dass es gelingen wird, viele Dinge in Deutschland wie-
        der vom Kopf auf die Füße zu stellen. Das betrifft insbe-
        sondere auch die Haltung der Bundesregierung zur
        Kernenergie bzw. zur Kernforschung, wo es gilt, sieben
        Jahre Stillstand und Rückschritt wieder wettzumachen.
        Unsere hoch geschätzte Bundesforschungsministerin
        Dr. Annette Schavan hat hierzu Perspektiven aufgezeigt
        und schnell und kompetent gehandelt.
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        Hier haben sich bereits nach wenigen Monaten die
        rsten Erfolge eingestellt. Es ist eine gute Entwicklung,
        ass die Entsorgung spaltbaren Materials durch die
        üngsten Gerichtsurteile neue Perspektiven erhalten hat.
        enn die Verfahren zur Nutzung von Gorleben und des
        chachtes Konrad jetzt zügig weiter vorangetrieben wer-
        en, haben wir demnächst einen sicheren Entsorgungs-
        eg für unser spaltbares Material. Damit war der Kampf
        nseres geschätzten ehemaligen Kollegen Kurt-Dieter
        rill erfolgreich – auch wenn das manchem hier nicht
        chmecken mag.
        Wir von der Union bekennen uns klar zu Forschung
        nd technologischer Entwicklung und wollen eine kon-
        istente innovationsförderliche Politik auch und gerade
        m Bereich der Kerntechnik betreiben. Deshalb hat die
        eue unionsgeführte Bundesregierung, haben Bundes-
        anzlerin Dr. Angela Merkel und Bundesforschungsmi-
        isterin wichtige und klare Akzente im Forschungsbe-
        eich gesetzt. Das neu aufgelegte Investitionsprogramm
        tärkt die Spitzentechnologie und gibt eine Perspektive
        endlich – für eine angemessene und verlässliche Fi-
        anzierung unserer zukunftsweisenden Forschungsein-
        ichtungen.
        Im Bereich der Kernforschung geht es in der Tat da-
        um, wesentliche Versäumnisse der Vergangenheit aus-
        ugleichen. Deutschland muss auf diesem wichtigen
        orschungsfeld verlorene Kompetenzen wiedergewin-
        en. Wir wollen in der Kernforschung unseren Beitrag
        ür einen fruchtbaren und ertragreichen gemeinsamen
        uropäischen Forschungsraum leisten. Es ist doch offen-
        ichtlich, dass ohne starken Beitrag Deutschlands
        uropa im Wettlauf mit anderen dynamisch aufstreben-
        en Regionen nur schwer bzw. nicht mithalten kann, wie
        taatssekretär Rachel zu Recht unterstrichen hat.
        Die Ergebnisse dieser Forschung müssen für die hei-
        ische Anwendung und den wissenschaftlichen Aus-
        ausch ebenso wie für einen nutzbringenden Export von
        ütern und Dienstleistungen genutzt werden. Hierauf
        aben Staatssekretärin Dagmar Wöhrl und unser Wirt-
        chaftsexperte Laurenz Meyer immer wieder hingewie-
        en. Das derzeit im deutschen Forschungsbereich vor-
        andene Wissen muss erhalten werden. Die Weitergabe
        es Know-hows an die folgende Generation von Wissen-
        chaftlern ist zu garantieren.
        Insofern begrüße ich ausdrücklich den Geist, der hin-
        er dem Antrag der FDP-Fraktion zum Betrieb einer
        uropäischen Spallations-Neutronenquelle in Deutsch-
        and steht. Wir müssen unsere Kräfte nutzen, ideologi-
        chen Ballast abwerfen, wo er uns unnötig bremst, und
        uch die Kernforschung so ausrichten, dass sie uns zu-
        ünftig möglichst gut nutzbare Ergebnisse bringt.
        erspektivisch erwähne ich die zukunftsträchtigen Be-
        eiche der Kernfusion und der Transmutation im Bereich
        er Energieforschung ebenso wie den Bereich der Neu-
        ronenforschung und der Schwerionenforschung. Wir
        ind uns doch einig: Hier werden die Grundlagen gelegt
        nd die Technologien entwickelt, die in der Zukunft eine
        ichere, wirtschaftliche, kostengünstige und umweltver-
        rägliche Energieversorgung garantieren.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2747
        (A) )
        (B) )
        Angesichts dieser Vielfalt an Forschungsfeldern und
        Forschungsanlagen stellt sich die Frage, in welchem Be-
        reich die Forschungsinfrastruktur sinnvoll weiterentwi-
        ckelt werden kann und soll. Wir können das Geld nur
        einmal ausgeben. Begrenzte Mittel sollen dabei einen
        möglichst großen Nutzen erbringen.
        Jetzt steht – mit dem Antrag der FDP – die Frage im
        Raum: Brauchen wir derzeit eine neue Spallationsquelle
        in Deutschland? Der Wissenschaftsrat hat diese Frage
        geprüft mit dem Ergebnis, dass wir sie nicht dringlich
        brauchen. In der Tat ist die Versorgung der Forschung
        mit Neutronen in Deutschland im Moment gut und er-
        heblich besser als in anderen europäischen Ländern. Erst
        2004 ist in Garching eine neue Neutronenquelle in Be-
        trieb genommen worden.
        Der Wissenschaft in Deutschland stehen Forschungs-
        reaktoren zur Verfügung in Grenoble mit der weltweit
        intensivsten Neutronenquelle am ILL, an dem Deutsch-
        land zu einem Drittel beteiligt ist, in München die zweit-
        stärkste Quelle FRM II mit der modernsten Instrumen-
        tierung, die seit 2005 im Nutzerbetrieb ist, in Berlin, der
        BER 2 am Hahn-Meitner-Institut, HMI, in Geesthacht
        der FRG-1 bei der GKSS. Außerdem gibt es noch For-
        schungsmöglichkeiten am internationalen VIK in
        Dubna, Russland, und an anderen europäischen Anla-
        gen.
        Der Wissenschaftsrat sah zum Beispiel für die Struk-
        turforschung ein größeres wissenschaftliches Potenzial
        in der Synchrotronstrahlung und der neuen, innovativen
        Technik des Freie-Elektronen-Lasers FEL. Mit FEL
        kann zum Beispiel eine enorme Verbesserung der Quali-
        tät von Röntgenstrahlung erreicht werden. Wir öffnen
        damit das Fenster zu völlig neuen Forschungsgebieten.
        Dieses Projekt soll jetzt in Hamburg als europäische Ein-
        richtung verwirklicht werden.
        Was wir derzeit bei der Neutronenforschung als Deut-
        sche dringlicher brauchen als neue Quellen, sind moder-
        nere Instrumente, um vorhandene Neutronenquellen im
        Dienste der Wissenschaft für Untersuchungen besser zu
        nutzen. Hier sind wir auf einem guten Weg: Das For-
        schungszentrum Jülich errichtet an der Spallationsquelle
        SNS in den USA ein Instrument, zu dem deutsche For-
        scher Zugang erhalten werden. Der neue Forschungs-
        reaktor FRM II in München mit einer Außenstelle des
        Forschungszentrums Jülich und Instrumenten anderer
        HGF-Einrichtungen wird eine sehr moderne Instrumen-
        tierung bieten, sodass es möglich sein wird, nach dem
        Reaktor in Jülich 2006 auch den Reaktor in Geesthacht
        bis Ende des Jahrzehnts außer Betrieb zu nehmen. Selbst
        wenn keine neue Neutronenquelle gebaut würde, stün-
        den nach 2020 deutschen Forschern zumindest der
        FRM II und aus derzeitiger Sicht auch noch der Reaktor
        in Grenoble zur Verfügung.
        Aus Sicht unserer europäischen Partner stellt sich die
        Situation anders dar. Als bedeutende nationale Quellen
        existieren sonst nur noch der Forschungsreaktor LLB in
        Frankreich und eine kleinere Spallationsquelle ISIS in
        Großbritannien. Daher gibt es derzeit in mehreren euro-
        päischen Ländern Bemühungen um den Bau von Spalla-
        tionsquellen. Die Vision der Neutronenforscher ist
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        nsgesamt eine Multi-Megawatt-Spallationsquelle, die
        nternational führend ist, nicht eine kleinere Anlage.
        Das Europäische Strategieforum für Forschungsinfra-
        trukturen ESFRI arbeitet derzeit an einer europäischen
        oadmap für Forschungsinfrastrukturen. ESFRI hat
        uch eine Expertengruppe für die Forschung mit Neutro-
        en eingesetzt. In diese Expertengruppe ist auch der Vor-
        chlag aus Sachsen-Anhalt eingebracht worden. ESFRI
        ird sich aber ausdrücklich nicht mit Standortfragen be-
        assen, sondern Projekte nach wissenschaftlichen und
        echnischen Kriterien beurteilen. Außerdem werden in
        SFRI keine Entscheidungen zu Großgeräten getroffen
        nd keine Budgets verteilt. Dies ist Aufgabe der interes-
        ierten Regierungen. Durch die Pläne der EU, sich im
        . Rahmenprogramm an der Finanzierung des Baus
        euer und des Ausbaus existierender Großgeräte zu
        eteiligen, sind viele Erwartungen geweckt worden.
        erzeit wird eine etwaige Beteiligung der EU an den
        aukosten neuer Großgeräte von maximal 20 Prozent
        iskutiert. Angesichts des begrenzten Budgets wird auch
        ies nur in wenigen Fällen erreichbar sein. Es sind keine
        bsichten der Kommission bekannt, sich in besonderem
        aße an der Finanzierung einer ESS zu beteiligen. Eine
        eteiligung der EU an den bereits beschlossenen Groß-
        eräten XFEL und FAIR ist vorrangig.
        Die Finanzierung der ESS wird – wie bei den anderen
        roßgeräten der naturwissenschaftlichen Grundlagen-
        orschung – zwischen den interessierten Ländern ausge-
        andelt, wobei vom Sitzland ein besonderer Beitrag er-
        artet wird. Bei einem Standort der ESS in Deutschland
        it seiner großen Nutzergemeinde sind dies wohl min-
        estens 50 Prozent. Im Koalitionsvertrag ist vereinbart,
        en Bau der beschlossenen Großgeräte XFEL und FAIR
        uf eine sichere finanzielle Basis zu stellen. Ein weiteres
        roßgerät würde einen erheblichen Zusatzbedarf im
        aushalt des BMBF bedeuten.
        Auch der Standort wird nicht von der EU entschieden,
        ondern zwischen den an der ESS interessierten Ländern
        erhandelt. Eine Standortbewerbung bei der Kommis-
        ion ist daher gegenstandslos. Für XFEL und FAIR mit
        tandorten in Deutschland erwarten wir bereits eine Be-
        eiligung unserer europäischen Partner von über
        00 Millionen Euro. Es ist daher nicht wahrscheinlich,
        ass sich diese Länder für ein weiteres Großgerät mit ei-
        em Standort in Deutschland einsetzen würden, insbe-
        ondere wenn es eigene Standortinteressen gibt. Es ist
        ielmehr damit zu rechnen, dass sie das BMBF auf eine
        eteiligung an ihren Projekten ansprechen werden.
        Der Antrag der FDP suggeriert, dass die EU eine we-
        entliche Rolle bei der Finanzierung und der Standort-
        ntscheidung einer ESS spielen wird. Dies ist jedoch
        icht der Fall. Der Standort muss unter den interessierten
        artnern verhandelt werden. Das Sitzland wird einen
        esentlichen Finanzierungsanteil tragen müssen. Ein
        eiterer deutscher Standortvorschlag würde erhebliche
        usätzliche Mittel im BMBF-Haushält erfordern und
        ahrscheinlich auch nicht von unseren europäischen
        artnern unterstützt. Der Wissenschaftsrat hat 2002 die
        SS nicht befürwortet und andere Prioritäten gesetzt.
        en Wissenschaftsrat mit einer erneuten Begutachtung
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        zu beauftragen, sollte nur erwogen werden, wenn es Fi-
        nanzierungschancen für diesen Vorschlag gibt. Zum jet-
        zigen Zeitpunkt wird davon abgeraten.
        Vor diesem Hintergrund sollten wir nach 2010 eine
        Strategie für die langfristige Versorgung der Forschung
        mit Neutronen entwickeln. Deutschland ist bisher seiner
        Verantwortung für die Weiterentwicklung der Neutro-
        nenforschung nachgekommen und wird es auch zukünf-
        tig. Deshalb müssen wir in fünf Jahren mit dem Anlauf
        für den nächsten Quantensprung für die Forschung nach
        2020 in der Spallationsforschung beginnen. Dann – und
        nicht heute – könnten wir beim Bau einer Spallations-
        quelle der nächsten Generation auf die Erfahrungen aus
        den USA und aus Japan bei der Lösung der schwierigen
        technischen Aufgaben zurückgreifen. Erst dann stellt
        sich auch die Standortfrage, wobei wir innerhalb
        Deutschlands auf reichhaltige Erfahrungen an vielfälti-
        gen kerntechnischen Forschungsstandorten, wie zum
        Beispiel Darmstadt, Hamburg, Berlin, Garching, Greifs-
        wald, Jülich oder Karlsruhe zurückgreifen können. Frau
        Pieper ist mit ihren Kollegen herzlich eingeladen, sich in
        die Entwicklung dieser Strategie einzubringen.
        Thomas Oppermann (SPD): Wie im FDP-Antrag
        zutreffend ausgeführt wird, stellte der Bericht des Me-
        gascience-Forum der OECD von 1999 über die Zukunft
        der Neutronenquellen fest, dass in einer globalen Sicht
        die zum damaligen Zeitpunkt installierte Kapazität an
        Neutronenquellen zwischen 2010 und 2020 auf ein Drit-
        tel abnehmen werde. Die Arbeitsgruppe empfahl daher,
        in jeder der drei Weltregionen Asien/Pazifik, Nordame-
        rika und Europa innerhalb von 20 Jahren fortgeschrittene
        Neutronenquellen zu installieren. Die USA und Japan
        haben aufgrund ihres Bedarfs an neuen Quellen bereits
        mit dem Bau von Spallations-Neutronenquellen begon-
        nen.
        Aus deutscher Sicht gibt es jedoch einen anderen
        Zeithorizont, da die Versorgung der Forschung mit Neu-
        tronen in Deutschland erheblich besser ist als in allen an-
        deren europäischen Ländern. Erst 2004 ist mit dem
        FRM II eine neue Neutronenquelle in Betrieb genom-
        men worden. Der Wissenschaft in Deutschland steht
        heute eine Vielzahl an Forschungsreaktoren zur Verfü-
        gung. So in Grenoble am ILL, an dem Deutschland zu
        einem Drittel beteiligt ist; in München mit der Quelle
        FRM II, die „frisch“ im Nutzerbetrieb ist; immer noch in
        Berlin mit dem BER 2 am Hahn-Meitner-Institut und
        auch noch in Geesthacht mit dem FRG-1 bei der GKSS.
        Der neue Forschungsreaktor FRM II in München mit
        einer Außenstelle des Forschungszentrums Jülich und
        Instrumenten anderer HGF-Einrichtungen wird eine sehr
        moderne Instrumentierung bieten, sodass es möglich
        sein wird, nach dem Reaktor in Jülich 2006 auch den Re-
        aktor in Geesthacht bis Ende des Jahrzehnts außer Be-
        trieb zu nehmen.
        Den Vorschlag zum Bau einer ESS hatte das BMBF
        zusammen mit acht weiteren Vorschlägen der Wissen-
        schaft für neue Großgeräte der naturwissenschaftlichen
        Grundlagenforschung dem Wissenschaftsrat vorgelegt.
        In seinen Empfehlungen vom November 2002 hat der
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        issenschaftsrat die ESS in die dritte Gruppe eingrup-
        iert, das heißt sie zur Förderung nicht empfohlen und
        ie Möglichkeit einer erneuten Vorlage zur Begutach-
        ung eröffnet. Der Wissenschaftsrat sah für die Struktur-
        orschung ein größeres wissenschaftliches Potenzial in
        er Synchrotronstrahlung und der neuen, innovativen
        echnik der Freie-Elektronen-Laser. Mit dieser Technik
        ann eine enorme Verbesserung der Qualität von Rönt-
        enstrahlung erreicht und damit das Fenster zu völlig
        euen Forschungsgebieten aufgestoßen werden. Die
        undesregierung hat sich dieser Empfehlung ange-
        chlossen und 2003 den Bau des Röntgenlasers XFEL in
        amburg als europäische Einrichtung beschlossen.
        Nach 2020 werden den deutschen Neutronenfor-
        chern zumindest der FRM II und aus derzeitiger Sicht
        uch noch der Reaktor am ILL zur Verfügung stehen.
        egen der langen Vorlaufzeit muss aus deutscher Sicht
        ber nach 2010 eine europäische Strategie für die lang-
        ristige Versorgung der Forschung mit Neutronen entwi-
        kelt werden. Zu dieser Zeit könnte beim Bau einer
        pallationsquelle der nächsten Generation auf die Erfah-
        ungen aus den USA und aus Japan bei der Lösung der
        chwierigen technischen Aufgaben zurückgegriffen wer-
        en.
        Das Europäische Strategieforum für Forschungsinfra-
        trukturen arbeitet derzeit an einer europäischen
        oadmap für Forschungsinfrastrukturen. ESFRI hat
        uch eine Expertengruppe für die Forschung mit Neutro-
        en eingesetzt. In diese Expertengruppe ist auch der Vor-
        chlag aus Sachsen-Anhalt eingebracht worden. ESFRI
        ird sich aber ausdrücklich nicht mit Standortfragen be-
        assen, sondern Projekte nach wissenschaftlichen und
        echnischen Kriterien beurteilen. Außerdem werden in
        SFRI keine Entscheidungen zu Großgeräten getroffen
        nd keine Budgets verteilt. Dies ist Aufgabe der interes-
        ierten Regierungen.
        Derzeit sind im Übrigen keine Absichten der Kom-
        ission bekannt, sich in besonderem Maße an der Finan-
        ierung einer ESS zu beteiligen. Für das BMBF ist zu-
        em eine Beteiligung der EU an den bereits
        eschlossenen Großgeräten XFEL und FAIR vorrangig.
        ie Finanzierung der ESS wird – wie bei den anderen
        roßgeräten der naturwissenschaftlichen Grundlagen-
        orschung – zwischen den interessierten Ländern ausge-
        andelt, wobei vom Sitzland ein besonderer Beitrag er-
        artet wird. Bei einem Standort der ESS in Deutschland
        it seiner großen Nutzergemeinde sind dies wohl min-
        estens 50 Prozent. Im Koalitionsvertrag ist vereinbart,
        en Bau der beschlossenen Großgeräte XFEL und FAIR
        uf eine sichere finanzielle Basis zu stellen. Ein weiteres
        roßgerät würde einen erheblichen Zusatzbedarf im
        aushalt des BMBF bedeuten.
        Auch der Standort wird nicht von der EU entschieden,
        ondern zwischen den an der ESS interessierten Ländern
        erhandelt. Eine Standortbewerbung bei der Kommis-
        ion ist daher sinnlos. Für XFEL und FAIR mit Standor-
        en in Deutschland erwarten wir bereits eine Beteiligung
        nserer europäischen Partner von über 600 Millionen
        uro. Es ist daher nicht wahrscheinlich, dass sich diese
        änder für ein weiteres Großgerät mit einem Standort in
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2749
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        Deutschland einsetzen würden, insbesondere wenn es ei-
        gene Standortinteressen gibt. Es ist vielmehr damit zu
        rechnen, dass sie das BMBF auf eine Beteiligung an ih-
        ren Projekten ansprechen werden.
        Unter diesen Voraussetzungen erscheint eine Mitför-
        derung durch die europäischen Partner der ESS an einem
        deutschen Standort, egal ob West oder Ost, derzeit nicht
        sehr realistisch. Deshalb stellt sich die Frage, ob sich die
        Mühe lohnt, ein derartiges Ziel anzustreben. Darüber
        können wir im Ausschuss aber gern ausführlich diskutie-
        ren und sorgfältig beraten.
        Cornelia Pieper (FDP): Das Thema ist nicht neu
        und doch hoch aktuell, hoch aktuell, weil es darum geht,
        auf der einen Seite ein Versprechen der Bundesregierung
        einzulösen, und eine Großforschungseinrichtung mit in-
        ternationaler Strahlkraft in den neuen Bundesländern an-
        zusiedeln – bislang konnten wir noch nicht in Erfahrung
        bringen, woran die Bundesregierung dabei denkt – und
        auf der anderen Seite, um im Zentrum Europas den For-
        schern eine leistungsfähige Neutronenquelle zur Verfü-
        gung zu stellen, die Deutschland zugleich interessant für
        die Weltelite der Wissenschaft macht.
        Das sieht allerdings nicht nur die FDP-Bundestags-
        fraktion so. Die OECD begründete die Notwendigkeit
        des Baus und Betriebs von Neutronenquellen im Mega-
        watt-Bereich in den drei Weltregionen Asien, Nordame-
        rika und Europa schon 1998. Deutschland hat sich 1999
        dieser Auffassung angeschlossen.
        Die USA sind dem Vorschlag bereits gefolgt, und
        – wen wundert’s – deutsche Forscher haben bereits ei-
        gene Geräte zur Nutzung dieser leistungsfähigen Neutro-
        nenquelle entwickelt und gebaut. Sie werden künftig ein
        Strahlungsrohr und Strahlungszeiten für ihre wissen-
        schaftlichen Experimente an der SNS in Oak Ridge,
        USA, nutzen können.
        Die deutsche Position zu einer Europäischen Neutro-
        nen-Spallationsquelle hat uns Frau Bundesministerin
        Schavan gestern im Ausschuss mit glockenheller
        Stimme verkündet: Wenn Brüssel das Projekt in das
        7. EU-Forschungsrahmenprogramm aufnimmt, erfolgt
        auch ein deutscher Beitrag! Welcher das ist, blieb ihr Ge-
        heimnis.
        Wir sind jedoch nicht allein in Europa. Ich weiß, dass
        inzwischen Tony Blair, Großbritannien, den Auftrag er-
        teilt hat, eine Standortbewerbung Englands zu prüfen.
        Aus Jülich ist unter vorgehaltener Hand zu hören, dass
        man eine Standortbewerbung Englands sogar unterstüt-
        zen solle. Zu den weiteren Bewerbern zählen neben
        Schweden übrigens auch Ungarn und Spanien.
        Dieses Katz-und-Maus-Spiel muss ein Ende haben.
        Deutschland sollte sich um den Standort für die ESS be-
        werben. In Europa wird derzeit über 20 förderwürdige
        Großforschungseinrichtungen bzw. Großgeräte verhan-
        delt. Insgesamt sieben sollen über das 7. EU-FRP geför-
        dert werden. Ob die ESS dabei ist, ist noch unklar.
        Im Rahmen des spezifischen Programms „Kapazitä-
        ten“ des 7. EU-FRP sollen in der Zeit zwischen 2007
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        nd 2013 in Europa neue Forschungsinfrastrukturen ge-
        chaffen werden. Das Europäische Strategieforum für
        orschungsinfrastrukturen, ESFRI, hat der Kommission
        ereits eine Liste der Möglichkeiten für benötigte neue,
        roßmaßstäbliche Infrastrukturen vorgeschlagen, in die
        uch die ESS an sechster Stelle aufgeführt ist.
        Die ESS ist sicher nicht das einzige Projekt, was in
        eutschland auf der Grundlage der Empfehlungen des
        issenschaftsrats mit europäischen und nationalen Mit-
        eln gefördert und gebaut wird. Die ESS könnte aber das
        rste Großgerät sein, das auch eine nennenswerte Inves-
        ition in den neuen Bundesländern bedeutet. Bislang
        urden hier nur 24,5 Millionen Euro für das Hochmag-
        etfeldlabor in Rossendorf bereitgestellt. Ein Linsenge-
        icht im Vergleich zu den langfristigen Investitionen für
        ie anderen Großgeräte in Hamburg, Darmstadt und
        öln in Höhe von rund 1,5 Milliarden Euro.
        Der mitteldeutsche Raum verfügt zusammen mit Ber-
        in durchaus über das wissenschaftliche Potenzial, diese
        ufgaben auch zu stemmen. Im Hahn-Meitner-Institut
        nd an den Universitäten Berlin, Leipzig und Halle ar-
        eiten exzellente Wissenschaftler, die durchaus willens
        nd in der Lage sind, ihr Wissen und ihre Erfahrungen
        ei der Projektentwicklung und später auch beim Bau
        nd Betrieb einzubringen. Nicht zuletzt werden auch die
        undesländer Sachsen- Anhalt und Sachsen einen nen-
        enswerten Beitrag leisten. Die erforderlichen Flächen
        ind bereits reserviert. Und noch etwas: Natürlich muss
        er wissenschaftliche Antrag durch das ESS-Council
        berarbeitet werden. Der Wissenschaftsrat jedenfalls hat
        eine Bereitschaft erklärt, einen neuen Antrag zu bear-
        eiten und zu bewerten. Einer Neuevaluation steht also
        ichts im Wege.
        Ich appelliere an Sie und die Bundesregierung: Neh-
        en Sie das Thema nicht auf die leichte Schulter. Setzen
        ie in Brüssel ein Signal, das der stärksten Wirtschafts-
        acht in Europa Ehre macht.
        Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir
        timmen sicher darin überein, dass Hochschulen und
        orschungseinrichtungen wichtige Kristallisationspunkte
        ür die Regionalentwicklung und damit auch ein Hoff-
        ungsträger für Wirtschaft und Beschäftigung gerade in
        en neuen Bundesländern sind. Dafür gibt es schon
        eute viele positive Beispiele. Diese Cluster zu stärken,
        ollte weiterhin eine gemeinsame Strategie sein. Ich
        arne aber davor, aus parteipolitischen Gründen falsche
        rwartungen zu wecken, gerade in den neuen Bundes-
        ändern.
        Es macht keinen Sinn, bisherige nationale Entschei-
        ungen über Forschungsprioritäten zu ignorieren oder so
        u tun, als hätten sie keine Konsequenzen für weitere
        ntwicklungen.
        Eine Entscheidung, die man zwar bedauern mag, aber
        icht ausblenden kann, ist es gewesen, mit dem For-
        chungsreaktor FRM II 2004 eine neue Neutronenquelle
        n Deutschland in Betrieb zu nehmen. Uns Grünen wäre
        ine Spallationsquelle als Neutronenquelle natürlich lie-
        er gewesen als ein Forschungsreaktor, vor allen Dingen
        2750 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
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        wenn man sieht, wie die Folgen der Kernforschung uns
        heute teuer zu stehen kommen und Handlungsspiel-
        räume für die Zukunft beschneiden.
        Eine andere Entscheidung, zu der man aber heute ste-
        hen sollte, ist die Entscheidung des Wissenschaftsrats
        2002 über Großforschungsprojekte: Der Wissenschafts-
        rat hat eindeutig das größere Potenzial für die internatio-
        nale und europäische Forschungsgemeinschaft im so ge-
        nannten TESLA-Projekt gesehen. Das heißt zum einen
        in der Synchrotronstrahlung und dem Linear-Collider-
        Projekt und zum anderen im Freie-Elektronen-Röntgen-
        laser. Die Spallations-Neutronenquelle wurde nicht zur
        Förderung vorgeschlagen. Dass mich als Hamburgerin
        und ehemalige Wissenschaftssenatorin diese Entschei-
        dung sehr gefreut hat, liegt auf der Hand. Diese Prioritä-
        tensetzung hat uns aber auch in der internationalen For-
        schungsgemeinschaft weit nach vorn gebracht und sich
        dadurch als richtig herausgestellt. Dass Projekt Röntgen-
        laser XFEL ist heute bereits ein europäisches Projekt mit
        vielen europäischen Partnern und in der Vorbereitung
        weit fortgeschritten. Ohne die Entscheidung und das na-
        tionale Engagement der damaligen Bundesregierung
        wäre dies nicht möglich gewesen. Der Linear-Collider
        rangiert auf der europäischen Strategieebene inzwischen
        unter den globalen Projekten. Es geht also um eine Infra-
        struktur für eine weltweite Forschungsgemeinschaft.
        Es trifft zu, dass eine europäische Spallations-Neutro-
        nenquelle inzwischen vom europäischen Strategieforum
        für Forschungsinfrastruktur in eine Möglichkeitsliste
        von 23 Projekten aufgenommen worden ist. Dies sind
        Projekte, für die eine Unterstützung nicht nur, aber auch
        aus dem 7. Forschungsrahmenprogramm gegebenenfalls
        in Betracht kommen könnte. Eine Absichtserklärung ist
        dies nicht. Bestenfalls könnte daraus die Möglichkeit für
        die jeweiligen Projektbetreiber erwachsen, leichter an
        Darlehen heranzukommen. Klar ist aber, das Geld
        müsste im Wesentlichen woanders herkommen.
        Mit dem Röntgenlaser XFEL und mit FAIR haben wir
        zwei Großforschungsprojekte von europäischer Dimen-
        sion, die in Deutschland realisiert werden sollen. Wir
        können aber nicht erwarten, dass alle Großforschungsin-
        frastrukturprojekte unabhängig von ihrem nationalen
        Realisierungsgrad in Deutschland angesiedelt werden.
        Sinn einer gemeinsamen europäischen Roadmap für
        Forschungsinfrastruktur ist doch gerade eine sinnvolle
        Kooperations- und Arbeitsteilung. Dann müssen wir
        aber auch zur Kenntnis nehmen, dass in anderen Län-
        dern die Vorhaben für eine europäische Spallations-Neu-
        tronenquelle deutlich stärker vorangeschritten sind, was
        die Einbindung europäischer Partner und das nationale
        Engagement angeht. Für Deutschland, aber nicht nur für
        Deutschland gilt, dass nationale Anstrengungen auf eu-
        ropäischer Ebene Früchte tragen, aber das die europäi-
        sche Ebene nicht der Weg ist, nationale Prioritäten aus-
        zuhebeln oder im Nachhinein zu korrigieren.
        Wir sollten dafür werben, dass alle mit einer europäi-
        schen Forschungsinfrastrukturpolitik am Ende mehr er-
        reichen als jeder für sich. Wir sollten nicht so tun, als
        könne man vom europäischen Wunderbaum alles Mögli-
        che herunterschütteln, wenn man nur die politischen Är-
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        el weit genug aufkrempelt. Sonst ist der weitere Ver-
        auf leicht absehbar. Entweder Sie müssen behaupten,
        ie Regierung habe auf der europäische Ebene zu wenig
        rreicht, weil zu wenig geschüttelt, oder Sie müssten be-
        aupten, die EU-Bürokraten seien mal wieder nicht ein-
        ichtig genug gewesen. Beides trägt nicht dazu bei, den
        lick für den realen Mehrwert einer gemeinsamen euro-
        äischen Politik auch in den neuen Bundesländern zu
        chärfen. Dass die Parteipolitik manchmal dazu neigt,
        uf Kosten Europas zu Hause falsche Erwartungen zu
        ecken, das gibt am Ende erfahrungsgemäß niemand
        erne zu.
        nlage 4
        Zu Protokoll gegebene Rede
        zur Beratung des Entwurfs eines Fünften Geset-
        zes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes
        (Tagesordnungspunkt 16)
        Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit
        em vorliegenden Gesetzentwurf soll die EU-Richtlinie
        ber das Folgerecht des Urhebers des Originals eines
        unstwerkes umgesetzt werden. Grundsätzlich unter-
        tützen wir selbstverständlich Maßnahmen zur Binnen-
        arktharmonisierung. Dennoch stellt sich uns die Frage,
        b die Regierung mit dem vorliegenden Entwurf ihre
        estaltungsmöglichkeiten zugunsten der Künstlerinnen
        nd Künstler bei der Umsetzung tatsächlich ausschöpft.
        Natürlich ist es gut, Künstler auch in Zukunft an den
        ertsteigerungen ihrer Werke zu beteiligen, wenn diese
        uf dem Kunstmarkt mit Gewinn weiterverkauft werden.
        e facto bedeutet die nun vorgesehene Regelung aller-
        ings eine Verschlechterung für die Künstler: Der bisher
        inheitliche Anspruch von 5 Prozent wird nun abhängig
        om Kaufpreis degressiv gestaffelt – von 0,25 bis
        Prozent bei einem Höchstbetrag von 12 500 Euro.
        uch im niedrigen Bereich von 1 000 bis 50 000 Euro
        ntstehen durch die Absenkung auf 4 Prozent spürbare
        inkommenseinbußen. Zudem wird der Schwellenwert
        on bisher 50 auf 1 000 Euro hoch gesetzt. Junge und
        och nicht arrivierte Künstler, die darauf angewiesen
        ind, viele kleine Arbeiten – zum Beispiel kostengüns-
        ige Editionen – zu verkaufen, werden somit in Zukunft
        eltener oder gar nicht mehr an den Weiterveräußerun-
        en ihrer Werke beteiligt sein. Auch viele Drucke, Foto-
        rafien bzw. Lichtbildwerke werden mit dem neuen
        chwellenwert vom Folgerecht ausgeschlossen.
        Die durch die geplante Gesetzesänderung entstehen-
        en Einkommenseinbußen der Künstlerinnen und Künst-
        er stehen in deutlichem Widerspruch zum Koalitions-
        ertrag der großen Koalition. Dort heißt es wörtlich: „Im
        ittelpunkt der Kulturpolitik steht die Förderung von
        unst und Künstlern.“ Die durch das geplante Gesetz
        ntstehende problematische Situation für viele Künstler
        aschiert die Bundesregierung mit optimistischen Pro-
        nosen im Erläuterungsteil des Gesetzentwurfes. Dort
        ird beschwichtigend behauptet, die Einkommenseinbu-
        en durch die neue Regelung könnten dadurch aufgefan-
        en werden, dass deutsche Künstler nach der Harmoni-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2751
        (A) )
        (B) )
        sierung Einkünfte durch das Folgerecht in Ländern
        erzielen könnten, die bisher kein Folgerecht kannten.
        Außerdem werde Deutschland nun für den Kunsthandel
        attraktiver, da bisher bestehende Wettbewerbsverzerrun-
        gen wegfielen.
        Dabei handelt es sich wohl um nicht viel mehr als
        vage Hoffnungen, Wir fragen deshalb die Bundesregie-
        rung: Auf welcher Datengrundlage und auf welcher
        Analyse des internationalen Kunstmarkts beruhen diese
        Voraussagen? Schließlich handelt es sich beim Kunst-
        markt um einen der kompliziertesten Märkte überhaupt.
        Deshalb wäre es redlich, in der Kunstszene keine fal-
        schen Erwartungen zu wecken. Im Übrigen möchte ich
        darauf hinweisen, dass die USA mit New York als wich-
        tigstem Ort des internationalen Kunsthandels nach wie
        vor kein Folgerecht haben. Es ist also schon mal nicht
        davon auszugehen, dass Deutschland für US-amerikani-
        sche Händler attraktiver wird. In Europa fehlt bisher nur
        in den Niederlanden, in Portugal, England und Öster-
        reich ein Folgerecht. Glauben Sie denn wirklich, dass die
        massiven Einkommenseinbußen in Deutschland durch
        die rechtliche Harmonisierung in diesen Ländern ausge-
        glichen werden können? Damit ist wohl kaum zu rech-
        nen! Wir wünschen uns für die weiteren Beratungen die-
        ses Gesetzentwurfes, dass mit solideren und seriöseren
        Prognosen gearbeitet wird. Die vielen bildenden Künst-
        lerinnen und Künstler in unserem Land haben das ver-
        dient – nicht zuletzt, weil sich viele von ihnen schon
        jetzt in einem permanenten ökonomischen Überlebens-
        kampf befinden.
        Anlage 5
        zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Anträge:
        – Weiter verhandeln – kein Militäreinsatz ge-
        gen den Iran
        – Für ein friedliches Vorgehen im Konflikt
        über das iranische Atomprogramm – Demo-
        kratische Entwicklung unterstützen
        (Tagesordnungspunkt 17, Zusatztagesordnungs-
        punkt 6)
        Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/
        CSU): Die derzeitige Geschlossenheit der Sechs ist ein
        klares Zeichen an den Iran, seinen Verpflichtungen ge-
        genüber der internationalen Gemeinschaft endlich nach-
        zukommen. Es unterstreicht ihren Willen, den Konflikt
        auf diplomatischem Wege lösen zu wollen. Unserem In-
        teresse an einer friedlichen Lösung dieser Krise ist nur
        mit tatsächlicher und anhaltender Einigkeit gedient, die
        in Ergänzung zu der präsidentiellen Erklärung des UN-
        Sicherheitsrats zu sehen ist. Es liegt nun einzig an Tehe-
        ran, weiterführende Schritte abzuwenden.
        Welches Ziel verfolgen nun die vorliegenden An-
        träge? Die sechs Außenminister haben vergangene Wo-
        che deutlich gemacht, dass sie den Iran an den Verhand-
        lungstisch zurückholen wollen – gleichzeitig spricht
        insbesondere Die Linke fast ausschließlich von Militär-
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        chlägen. Ein außerordentlich hilfreicher Ansatz, der in
        etzter Konsequenz die Glaubwürdigkeit der internatio-
        alen Gemeinschaft bezüglich ihrer Verhandlungsbereit-
        chaft untergräbt. De facto erleben wir doch gerade ein
        orbildliches multilaterales Vorgehen gegenüber dem
        ran im Rahmen der Vereinten Nationen.
        Daneben existieren Resolutionen der IAEO, denen
        er Iran nicht nachgekommen ist. Offenbar reichte die
        reativität der Verfasser der Anträge nicht aus, die mul-
        ilateralen Prozesse, die ansonsten nicht vehement genug
        ingefordert werden können, als logisch notwendige
        extbausteine einzubauen. Als intellektueller Zwischen-
        chritt wäre wenigstens die Kenntnisnahme, im besten
        alle die Anerkennung dieser Vorgehensweisen zu be-
        rüßen. Auch würde es der Substanz der Anträge nicht
        chaden, die Forderungen der IAEO und damit die Re-
        lität zu akzeptieren, wonach es im Kern um ein Fehl-
        erhalten des Iran geht. Der Boden der Tatsachen ver-
        ag in der Regel mehr Stabilität zu verleihen als das
        chwankende Fundament hypothetischer Vorwürfe.
        Es liegt nun am Iran, zu beweisen, dass er ebenfalls
        n einer friedlichen und diplomatischen Lösung des Nu-
        learkonflikts interessiert ist und die Situation, wie in
        en letzten Monaten wiederholt geschehen, nicht erneut
        skalieren lässt. Lediglich zur Klarstellung: Es ist der
        ran, der bisher die Krise immer und immer wieder wei-
        er verschärft hat. Es ist demzufolge verantwortungslos,
        ndere als das iranische Regime als das eigentliche Pro-
        lem in der Krise auszumachen. Die Linke sowie be-
        timmte Teile der Grünen sollten zur Kenntnis nehmen,
        ass die Bedrohung nicht von den Vereinigten Staaten,
        ondern von den nuklearen Aktivitäten Teherans aus-
        eht. Die USA unterstützen seit über einem Jahr den di-
        lomatischen Ansatz der EU 3, wohingegen der Iran im
        ergangenen August noch nicht einmal bereit war, über
        as EU-3-Angebot überhaupt Gespräche zu führen.
        Wir müssen uns nunmehr darauf konzentrieren, Tehe-
        an zur Einhaltung seiner Vertragsverpflichtungen unter
        em UN-Regime des Nichtverbreitungsvertrages zu be-
        egen, statt gebetsmühlenartig populistisch vor Militär-
        chlägen zu warnen. Wer die Vorzeichen der Bedrohung
        mkehrt, verharmlost die Gefahr, die von iranischen Nu-
        learwaffen auch für unsere Sicherheit ausgehen würde.
        iese Gefahr wird von der Linken kaum zur Kenntnis
        enommen. Ich glaube, Die Linke will nicht den Ein-
        ruck erwecken, dass Ihr die iranischen Interessen näher
        ägen als unsere eigene Sicherheit.
        Niemand bestreitet, dass der Iran laut Nichtverbrei-
        ungsvertrag das Recht hat, die Nuklearenergie friedlich
        u nutzen. Andererseits hat die IAEO – wohlgemerkt:
        in multilaterales Organ der Vereinten Nationen, was der
        inken wohl erst zu verdeutlichen ist – wiederholt fest-
        tellen müssen, dass der Iran die Zweifel, die die interna-
        ionale Gemeinschaft bezüglich des rein friedlichen Cha-
        akters des iranischen Nuklearprogramms auf der Basis
        erschiedener Berichte der IAEO berechtigterweise hat,
        ufgrund seiner unzureichenden Kooperation nie ausge-
        äumt hat. Im Gegenteil: Iran hat durch das Überschrei-
        en diverser roter Linien in den vergangenen Monaten,
        icht zuletzt mit der Wiederaufnahme der Urananreiche-
        ung – trotz des Pariser Abkommens –, unsere Sorge
        2752 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
        (A) )
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        bezüglich eines militärischen iranischen Nuklearpro-
        gramms wachsen lassen, nicht zu sprechen von den wei-
        terhin unerträglichen und aggressiven Äußerungen des
        iranischen Präsidenten gegenüber Israel.
        Um es noch einmal zu verdeutlichen: Das iranische
        Atomprogramm erfüllt uns deshalb mit berechtigter
        Sorge, da das gesamte Programm bis 2002 geheim ge-
        halten wurde. Die IAEO hat darüber hinaus seither wie-
        derholt feststellen müssen, dass der Iran nicht ausrei-
        chend kooperiert. Hätte der Iran nichts zu verbergen,
        was dem Geist des NW, auf den sich die Linke so gern
        beruft, widersprechen würde, wäre es mit Sicherheit
        nicht zu den Äußerungen der IAEO gekommen. Zudem:
        Würde der Iran die Nuklearenergie lediglich zivil nutzen
        wollen, hätte er dies offen und transparent tun können,
        nachdem der NW ihm genau dies zugesteht. Dann aber
        ist zu fragen, weshalb Teheran das Programm solange
        verheimlicht hat und weiterhin nicht zufriedenstellend
        mit der IAEO bzw. den Vereinten Nationen kooperiert.
        Die internationale Gemeinschaft und wir alle – was
        eigentlich auch alle Parteien in diesem Hause mit ein-
        schließen sollte – müssen weiterhin geschlossen verdeut-
        lichen, dass wir eine nukleare Bewaffnung des irani-
        schen Regimes nicht hinnehmen werden. Es liegt
        nunmehr an Teheran, weiterführende Schritte, wie etwa
        wirtschaftliche Sanktionsmaßnahmen, abzuwenden. Die
        Befassung des Sicherheitsrats mit dem iranischen Nukle-
        arprogramm bedeutet nicht das Ende der Diplomatie,
        sondern zeigt im Gegenteil, dass die internationale Ge-
        meinschaft weiter auf diesen Weg setzt. Das iranische
        Regime sollte demzufolge die Entschlossenheit der in-
        ternationalen Gemeinschaft nicht herausfordern. Die
        russische und chinesische Bereitschaft, sich weiter eng
        mit den EU 3 und den USA abzustimmen, demonstriert,
        dass auch Moskau und Peking die nukleare Bewaffnung
        Irans nicht zulassen werden.
        Erfüllt der Iran innerhalb der gesetzten Frist die von
        der IAEO geforderten Maßnahmen, sollten auch die
        USA eine aktivere Rolle im Verhandlungsprozeß einneh-
        men. Washington sollte signalisieren, dass es zu einer
        Verbesserung der diplomatischen und wirtschaftlichen
        Beziehungen zum Iran bereit ist, falls Teheran sich dem
        friedlichen Charakter seines Nuklearprogramms nach-
        weislich und dauerhaft voll verpflichtet fühlt.
        Äußerungen, wie die von Oskar Lafontaine, die Iran-
        Atompolitik des Westens sei völlig verlogen, unterwan-
        dern offensichtlich zielgerichtet die Bemühungen der in-
        ternationalen Gemeinschaft zu einer friedlichen Lösung
        auf dem Verhandlungsweg. Darüber hinaus sind derar-
        tige Verlautbarungen weder von Stilempfinden geprägt
        noch im Hinblick auf diplomatische Umgangsformen
        unter wesentlicher Beachtung der Kinderstube zustanden
        gekommen. Die Linke ist dringend aufgerufen, sich in-
        tellektuell und in der Opposition selbst zu ordnen, bevor
        sie sich der Weltordnung zuwendet.
        Dr. Rolf Mützenich (SPD): Als wir vor wenigen
        Wochen über die beiden vorliegenden Anträge hier de-
        battierten, erweckte der Redner der Fraktion Die Linke,
        Herr Lafontaine, den Eindruck, dass demnächst mit Mi-
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        itärschlägen gegen den Iran zu rechnen sei. Er wieder-
        olte auch den Vorwurf, dass die Bundesregierung in ih-
        er Haltung gegenüber der iranischen Atomkrise
        erstritten sei. Beide Mutmaßungen waren nichts als
        altlose Unterstellungen natürlich weil sie vorwiegend
        nnenpolitisch motiviert waren. Das zeigt auch, wie Sie
        it dem Thema umgehen: Sie verunsichern die Men-
        chen, Sie senden missverständliche Signale an die Ver-
        ntwortlichen im Iran und Sie schwächen die gemein-
        ame Haltung in der iranischen Atomkrise. Und dann
        ündigen Sie auch noch an, demnächst in den Iran reisen
        u wollen, um dort zu vermitteln.
        Vorweg: Jede Diskussion mit den politischen Ent-
        cheidungsträgern im Iran ist sinnvoll. Der Dialog ist
        ine Bedingung, um die Krise friedlich zu lösen. Aller-
        ings ist es genauso wichtig, entschieden und unmiss-
        erständlich aufzutreten. Deshalb stellen Sie bitte in Te-
        eran klar:
        Erstens. Die Internationale Atomenergiebehörde kann
        och immer nicht bestätigen, dass die iranischen Aktivi-
        äten allein nicht militärischen Zielen dienen. Iran muss
        ndlich intensiv und offen mit den Inspekteuren zusam-
        enarbeiten.
        Zweitens. Voraussetzung der Vertrauensbildung ist
        ie Suspendierung der Urananreicherung zum jetzigen
        eitpunkt.
        Drittens. Die ständige Leugnung des Holocausts, die
        nfragestellung des Existenzrechts Israels und die militä-
        ischen Drohungen gegen das Land sind inakzeptabel
        nd zutiefst inhuman. Das sollten Sie als Vertreter des
        eutschen Parlaments in Teheran deutlich machen.
        Was ist seit unserer letzten Debatte geschehen? Das
        erausragende Ereignis ist die einstimmige Feststellung
        es Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, dass der Iran
        u einer konstruktiven Zusammenarbeit zurückkehren
        nd vertrauensbildende Schritte unternehmen muss.
        leichzeitig unterstreicht dieser das Recht der friedli-
        hen Nutzung der Kernenergie. Dieser Beschluss ist
        ichtig und richtig. Er ist ein Kompromiss, was denn
        onst? Aber er wurde von dem Gremium entwickelt und
        ntschieden, dass für den internationalen Frieden eine
        esondere Verantwortung trägt. Es ist gelungen – trotz
        nterschiedlicher Interessen –, durch Kooperation und
        ompromisse das gemeinsame und übergeordnete Ziel
        er internationalen Gemeinschaft nicht aus den Augen
        u verlieren: die friedliche Lösung der iranischen
        tomkrise. Deutschland hat dabei eine wichtige und
        rfolgreiche Rolle gespielt. Dass dies ohne formellen
        tatus gelungen ist, unterstreicht die neuen Verhaltens-
        öglichkeiten in der internationalen Politik.
        Klar ist: In den kommenden Wochen muss Überzeu-
        ungsarbeit geleistet werden, gegenüber dem Iran, aber
        uch gegenüber anderen wichtigen Akteuren. Dazu ge-
        ören in erster Linie die USA. Wir Sozialdemokraten
        eilen die Hoffnung des deutschen Außenministers, dass
        uch die Verantwortlichen in Washington ihre Ge-
        prächskanäle gegenüber dem Iran für die Beilegung der
        tomkrise nutzen. Ohne die Anerkennung der irani-
        chen Sicherheitsinteressen, ohne die Herstellung gere-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2753
        (A) )
        (B) )
        gelter Beziehungen und die Wiederaufnahme wirtschaft-
        licher Kontakte wird es keine langfristige und belastbare
        Lösung geben.
        Kollegen aus der CDU und CSU, Herr von und zu
        Guttenberg und Herr Polenz, sowie Vertreter aus der
        SPD, unser früherer Kollege Dietmar Nietan und ich,
        hatten bereits vor mehr als zwei Jahren eine Initiative
        mit Repräsentanten des US-Kongresses und wissen-
        schaftlichen Einrichtungen in Washington begonnen, um
        ein amerikanisches Engagement für die Lösung des Iran-
        konflikts zu initiieren. Damals verstärkte sich für mich
        der Eindruck, dass die amerikanische Regierung über
        keine schlüssige Iranpolitik verfügt. Diese ist vielmehr
        überlagert von gefühlsbetonten, teilweise irrationalen
        Haltungen und Handlungen. Gleiches gilt auch für die
        Akteure in Teheran.
        Allerdings sollten wir auch in Europa, vor allem in
        Deutschland, Acht geben, dass sich die Politik gegen-
        über Iran nicht nur auf die Bearbeitung der Atomkrise
        reduziert. Unsere Iranpolitik muss natürlich auch den
        dramatischen Wandel in den vergangenen Jahrzehnten
        beachten: Dazu gehören aus regionaler Sicht der achtjäh-
        rige Iran-Irak-Krieg, die Entwicklung in Afghanistan
        und im Irak, die Auflösung der Sowjetunion mit ihren
        Folgen für die Nachbarstaaten des Irans, die Nuklearisie-
        rung des indisch-pakistanischen Verhältnisses ein-
        schließlich der jüngsten indisch-amerikanischen Verab-
        redungen und die Nachfrage nach Energieressourcen.
        Aus innenpolitischer Sicht gehören dazu die Übernahme
        politischer Verantwortung durch eine neue politische
        Elite, die Verstetigung der religiösen Gruppen im politi-
        schen und wirtschaftlichen Prozess, das endgültige
        Scheitern eines Exports der islamischen Revolution und
        der dramatische innergesellschaftliche Wandel.
        Was wir also leisten müssen, ist eine umfassende
        Iranpolitik: Selbstverständlich brauchen wir – wie es die
        Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen ausführt – einen
        Dialog mit der Zivilgesellschaft. Aber das reicht nicht:
        Wir müssen auch mit den Verantwortlichen in Teheran
        sprechen. Wir müssen Kooperationsangebote unterbrei-
        ten, Hilfen und Angebote zugunsten einer wirtschaftli-
        chen, sozialen und kulturellen Beziehung zwischen Eu-
        ropa und Iran anbieten. Und vor allem: Wir müssen
        darauf dringen, dass der Iran eine verantwortliche, fried-
        liche und transparente Politik im Mittleren und Nahen
        Osten gestaltet. Das wäre zu unser aller Nutzen.
        Harald Leibrecht (FDP): Der Atomstreit mit dem
        Iran ist an den UN-Sicherheitsrat überwiesen worden.
        Die iranische Führung hat es monatelang bewusst ver-
        säumt, der IAEA die vollständigen Pläne ihres Atompro-
        gramms offen zu legen. Jahrelang haben die Iraner die
        Internationale Atomenergiebehörde – und somit die ge-
        samte Staatengemeinschaft – über ihr Programm ge-
        täuscht. Die Überweisung an den Sicherheitsrat ist somit
        richtig und nur konsequent.
        Doch diese Entscheidung ist nicht das Ende der Di-
        plomatie. Es müssen weiterhin alle diplomatischen Be-
        mühungen ausgeschöpft werden, bevor es zu weiteren
        Schritten oder gar irgendwelchen Sanktionen kommt.
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        as wir jetzt dringend benötigen, sind positive Signale
        us Teheran. Die wiederholten Hasstiraden des irani-
        chen Präsidenten gegen das israelische Volk müssen wir
        rnst nehmen.
        Was passiert denn, wenn der Iran tatsächlich sein mi-
        itärisches Engagement verstärkt und den unsäglichen
        rohungen seines Präsidenten gegenüber Israel Taten
        olgen lässt? In solch einem Fall müssen wir handlungs-
        ähig sein. Mit ihrem derzeitigen Militärmanöver und
        en Tests von Tarnkappenraketen, die inzwischen eine
        eichweite von bis zu 2 000 Kilometern haben, macht
        ie iranische Führung deutlich, dass ihre Waffenpro-
        ramme nicht nur auf die Selbstverteidigung der Landes-
        renzen ausgerichtet sind. Iranische Raketen könnten
        ald schon Europa und auch Deutschland erreichen.
        ies alles sind deutliche Zeichen aus dem Iran, die nicht
        uf die alleinige Nutzung des Atomprogramms für zivile
        wecke schließen lassen. Es liegt jetzt am Iran, uns vom
        egenteil zu überzeugen. Doch wie sieht nun der rich-
        ige Umgang mit der iranischen Führung aus? Welche
        aßnahmen können ergriffen werden, um einer Radika-
        isierung des iranischen Volkes entgegenzuwirken – ei-
        em Volk, das mehrheitlich seinem hetzerischen Präsi-
        enten und dessen atomaren Plänen aus voller
        berzeugung folgt?
        Um es jedoch klar und deutlich zu sagen: Eine militä-
        ische Option steht nicht zur Debatte. Der Sicherheitsrat
        uss alle diplomatischen Alternativen ausschöpfen, um
        ie iranische Regierung umzustimmen und zu einer voll-
        tändigen Offenlegung ihres Atomprogramms zu bewe-
        en. Hierbei wird es in erster Linie darum gehen Ver-
        rauen und Glaubwürdigkeit zu schaffen.
        Wenn es doch nichts zu verbergen gibt, verstehe ich
        icht, warum Teheran der IAEA nicht alle Informationen
        ber sein Atomprogramm gibt. Eine Offenlegung der
        läne wäre eine echte vertrauensbildende Maßnahme.
        Aber auch wir müssen überlegen, wie wir das Ver-
        rauen des iranischen Volkes und seiner Führung gewin-
        en können. Wir müssen uns enger mit den USA abstim-
        en. Bislang scheint es, als stünde die EU im
        erhandlungsprozess nur für so genannte Carrotts, und
        ashington ausschließlich für die Sticks. Eine glaub-
        ürdige, abgestimmte transatlantische Verhandlungs-
        trategie muss Sticks und Carrotts so kombinieren, dass
        ie transatlantischen Partner nicht gegeneinander ausge-
        pielt werden können.
        Die USA haben das Gesprächsangebot aus Teheran
        ur Situation im Irak angenommen – ein wichtiger erster
        chritt, den wir sehr begrüßen. Denn in einer Situation
        er Gesprächslosigkeit, der absoluten Funkstille, lässt
        ich Vertrauen ganz sicher nicht herstellen. Die USA ha-
        en mit Nordkorea über Kim Jong Ils atomare Pläne ver-
        andelt. Es wäre sicher hilfreich, wenn sie sich jetzt auch
        it der iranischen Führung im direkten Gespräch ausei-
        ander setzen würden.
        Die Bemühungen der EU-3 in den Verhandlungen mit
        em Iran, die auch eng mit den USA und Russland abge-
        timmt waren, waren sehr wichtig. Nur so konnte man
        em Iran im August 2005 ein Angebot für ein Langzeit-
        2754 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
        (A) )
        (B) )
        abkommen unterbreiten. Leider hat der Iran alles abge-
        lehnt und zeigte sich wenig kooperativ. Darum ist es nur
        logisch, dass diese Sache jetzt an den Sicherheitsrat
        überwiesen wurde. Die fünf Vetomächte des Sicherheits-
        rates und Deutschland handeln richtig, wenn sie nun den
        Iran auffordern, sein Projekt zur Urananreicherung in-
        nerhalb von 30 Tagen zu stoppen. Jetzt ist Teheran am
        Zug.
        Ich möchte hier aber auch ein weiteres, zentrales Pro-
        blem ansprechen, wenn wir über eine atomwaffenfreie
        Welt reden wollen. Wie glaubwürdig kann ein Atomwaf-
        fensperrvertrag sein, bei dem einzelne Länder Atomwaf-
        fen besitzen dürfen und andere nicht? Eine Eskalation im
        Nahen und Mittleren Osten kann letzten Endes nur ver-
        hindert werden, wenn die atomare Abrüstung in der Re-
        gion und auch weltweit von allen Seiten vorangetrieben
        wird. Das braucht Mut, Glaubwürdigkeit und neue Ini-
        tiativen für die Abrüstung, auch von uns.
        Dr. Norman Paech (DIE LINKE): Vor Ihnen liegen
        zwei Anträge mit dem gleichen Ziel. Es geht darum, die
        Gefahr einer militärischen Intervention im Streit um das
        iranische Atomprogramm zu bannen. Ein Ziel, in dem
        – soweit ich sehe – wir alle übereinstimmen. In der letz-
        ten Zeit habe ich kaum eine Stimme aus irgendeiner Par-
        tei in diesem Haus vernommen, die eine Drohung mit
        militärischen Sanktionen gegenüber dem Iran überhaupt
        noch für sinnvoll gehalten hat. Im Gegenteil, die Ein-
        sicht hat immer mehr Platz gegriffen, dass Verhandlun-
        gen – zweiseitige oder multilaterale – der einzige realis-
        tische Weg sind, der aus der Sackgasse herausfuhren
        kann.
        Ja, man könnte sogar fragen, ob die Angst vor der
        Kriegsgefahr nicht gänzlich übertrieben ist? Die jüngste
        Resolution des UNO-Sicherheitsrats spricht überhaupt
        nicht mehr von Sanktionen. Sind die beiden Anträge
        vielleicht schon überholt? Ich furchte: nein. Die US-
        Administration hat ihre Pläne, im Iran einen Regime-
        wechsel vorzunehmen, immer noch nicht aufgegeben.
        Die USA sind nach wie vor zu einer Eskalation bereit,
        und die könnte schon bald eintreten. Denn eines ist in
        der Zwischenzeit mehr als deutlich geworden: Der Iran
        wird nicht auf das Recht zur eigenständigen Urananrei-
        cherung verzichten. Darin sind sich iranische wie inter-
        nationale Kritiker der iranischen Entwicklung inzwi-
        schen einig. Wer das nicht akzeptieren will – was bleibt
        ihm anderes als die Rückkehr zur Drohung? Deshalb
        plädieren wir für einen realistischen Umgang mit dem
        Anspruch des Iran auf Urananreicherung, zu zivilen
        Zwecken wohl bemerkt, so wie er auch völkerrechtlich
        durch den Atomwaffensperrvertrag legitimiert ist.
        Der jüngste russische Vorschlag zielt auf die Zulas-
        sung einer Urananreicherung auf niedriger Stufe allein
        zu Forschungszwecken unter strenger Kontrolle der
        Atomenergiebehörde. Ein ähnlicher Vorschlag liegt von
        der International Crisis Group vor. Die Iraner selbst ha-
        ben vorgeschlagen, die Urananreicherung auf ihrem Ter-
        ritorium einem internationalen Firmenkonsortium unter
        ebenfalls strenger Kontrolle der Atomenergiebehörde zu
        übergeben. Warum haben die USA beide Vorschläge ab-
        gelehnt? Geht es ihnen vielleicht gar nicht so sehr um
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        ie Atomwaffen als vielmehr um die Beseitigung eines
        ür sie unerträglichen Regimes?
        Wenn man diesem Verdacht nicht folgt, bleibt nur der
        eg der Verhandlungen unter Verzicht auf jegliche Dro-
        ung mit militärischer Gewalt. Wir begrüßen, dass der
        undesaußenminister dies bei seinem Besuch in Wa-
        hington auch öffentlich gefordert hat und ermutigen
        hn, trotz der jüngst erteilten Abfuhr, in diesem Bemü-
        en nicht nachzulassen.
        Wir fordern in unserem Antrag ja nicht nur Verhand-
        ungen und Gewaltverzicht. Wir fordern auch die irani-
        che Regierung auf, ihre undiskutablen Drohungen ge-
        enüber Israel einzustellen, und wir fordern alle Staaten
        es Nahen und Mittleren Ostens auf, an der Einrichtung
        iner atomwaffenfreien Zone mitzuwirken. Dies sind
        orderungen, die sie alle hier im Haus unterschreiben
        önnen.
        Wenn Sie sich jedoch an dem Absender des Antrags
        toßen, empfehlen wir Ihnen, den Antrag von Bünd-
        is 90/Die Grünen zu unterstützen. Denn er fordert im
        ern dasselbe wie wir. Er hat leider einen Fehler: Er
        ann der Verlockung von politischen oder ökonomischen
        anktionen nicht widerstehen. Diese lehnen wir ent-
        chieden ab. Doch sind wir uns in der Abwehr militäri-
        cher Mittel wenigstens in diesem Fall einig und können
        eshalb auch diesem Antrag zustimmen.
        Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seit
        er Wahl des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad
        m Juni 2005 hat sich der Konflikt um das Atompro-
        ramm des Iran verschärft: Der Bruch der Pariser Ver-
        inbarung zwischen Iran und den E-3/EU – Deutschland,
        rankreich und Großbritannien – mit der Wiederauf-
        ahme der Urankonversion in Isfahan und die Weige-
        ung, eine tragfähige Vereinbarung mit der internationa-
        en Gemeinschaft auszuhandeln, geben großen Anlass
        ur Sorge. Auch die neuerliche scharfe Unterdrückung
        on Medien und Zivilgesellschaft im Iran sind alarmie-
        end. Ebenso inakzeptabel sind die wiederholten Dro-
        ungen des iranischen Präsidenten gegen Israel und
        eine Leugnung des Holocausts. Diese Entwicklung se-
        en wir mit großer Sorge und betonen die interfraktio-
        ell geteilte deutsche Verpflichtung zur Unterstützung
        es Existenzrechts Israels.
        Dennoch muss klar sein, dass die Androhung bzw.
        nwendung von Gewalt gegen das iranische Regime ein
        normes Eskalationsrisiko bergen würde. Deshalb
        öchte ich betonen, dass es keine Alternative zu einer
        ivilen Beilegung des Konflikts gibt: Verhandlungen und
        falls diese erfolglos bleiben – nicht militärische Sank-
        ionen sind der einzige Weg, um doch noch zu einer
        ompromisslösung zu kommen. Die Uneinigkeit in der
        undesregierung und zweideutige Aussagen zu gewalt-
        amen Maßnahmen sind nicht ausreichend. Vielmehr
        uss die Bundesregierung gemeinsam mit den Partnern
        n der EU, mit den USA, mit Russland und China dafür
        intreten, einen Militäreinsatz eindeutig auszuschließen.
        irekte Gespräche der USA mit der iranischen Führung
        önnen hilfreich sein, um eine Lösung zu finden.
        Es kann aber nicht sein, dass auch nicht militärische
        anktionen ausgeschlossen werden, wie dies die Bun-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2755
        (A) )
        (B) )
        destagsfraktion der PDS fordert: Gezielte nicht militäri-
        sche Sanktionen stellen die einzigen Erfolg versprechen-
        den Instrumente bei Scheitern einer Verhandlungslösung
        dar. Die Überweisung an den Sicherheitsrat der Verein-
        ten Nationen ist richtig, um die iranische Führung zur
        Wiederaufnahme der Verhandlungen zu bewegen. Wer
        die Option von Sanktionen leichtfertig aus der Hand
        gibt, verschlechtert die Verhandlungsposition im Atom-
        streit mit Iran. Wir treten deshalb für die Entwicklung ei-
        nes Katalogs von geeigneten abgestuften Sanktionsmaß-
        nahmen ein.
        Eine kommerzielle Urananreicherung muss unterblei-
        ben, bis das internationale Vertrauen in die friedliche
        Nutzung des iranischen Atomprogramms wieder herge-
        stellt ist und alle Bedingungen der VN und der IAEO er-
        füllt werden. Dabei sind in den Bereichen Urananreiche-
        rung, Brennstoffproduktion, Wiederaufbereitung und
        Abfallbeseitigung multinationale Lösungen sinnvoll,
        wie sie jüngst der Generalsekretär der IAEO, al-Baradei,
        bei seinem Besuch in Deutschland vorgeschlagen hat.
        Wir sind der Meinung, dass die Bundesregierung
        auch auf vielen anderen Ebenen Aktivitäten unterneh-
        men sollte, wie es unser Antrag vorsieht: Die Bundesre-
        gierung sollte gemeinsam mit ihren Partnern in der EU
        darauf drängen, dass der Menschenrechtsdialog zwi-
        schen der EU und dem Iran umgehend fortgesetzt wird.
        Die Menschenrechtsverletzungen der iranischen Füh-
        rung und der Druck auf die demokratische Opposition
        sind in den letzten Monaten enorm gestiegen. Ein konse-
        quenter Einsatz für die Freilassung politischer Gefange-
        ner, die Achtung des Rechts auf freie Meinungsäußerung
        und politische Betätigung ist auf allen politischen Ebe-
        nen notwendig.
        Neben politischem Druck auf die iranische Führung
        muss vor allem die iranische Zivilgesellschaft intensiver
        unterstützt werden. Anders als in vielen anderen Län-
        dern der Region ist die Zivilgesellschaft in Iran erstaun-
        lich breit und vielfältig, sie hat aber auch besonders un-
        ter der innenpolitischen Verschärfung der letzten Monate
        gelitten. Die Bundesregierung muss intensiv die beste-
        henden Kontakte pflegen und ausweiten. Zudem ist sie
        aufgerufen, mit konkreten Projekten, zum Bespiel im
        Medienbereich, die bedrängte Zivilgesellschaft und die
        demokratische Entwicklung im Iran zu stärken. Nur mit
        diesen zivilen Maßnahmen ist eine Beilegung der aktuel-
        len Krise und eine langfristige Stärkung der demokrati-
        schen Elemente im Iran möglich.
        Anlage 6
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Einführung der Europäischen Genossenschaft
        und zur Änderung des Genossenschaftsrechts
        (Tagesordnungspunkt 18)
        Georg Fahrenschon (CDU/CSU): Bundespräsi-
        dent Roman Herzog hat 1998 ausgeführt: „Genossen-
        schaften sind keine liebenswerten Reminiszenzen an ein
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        aar interessante Männer des vergangenen Jahrhunderts,
        ondern der Genossenschaftsgedanke ist heute so funkel-
        agelneu wie vor 150 Jahren. Man müsste ihn erfinden,
        enn er nicht bereits erfunden wäre.“ Der Einschätzung
        nseres Alt-Bundespräsidenten muss man sich auch
        eute voll und ganz anschließen.
        Genossenschaften sind ein bedeutender Pfeiler der
        eutschen Wirtschaft und werden gerade wegen ihrer re-
        ionalen Verankerung in Zeiten einer immer umfassen-
        er werdenden Globalisierung und einer ständig anstei-
        enden weltweiten Marktkonzentration immer wichtiger.
        nter diesem Bewusstsein debattieren wir heute Abend.
        Mit der Einbringung des Gesetzes zur Einführung der
        uropäischen Genossenschaft und zur Änderung des Ge-
        ossenschaftsrechts soll das inzwischen über 100 Jahre
        lte Genossenschaftsrecht modernisiert und an die An-
        orderungen des internationalen Wettbewerbs angepasst
        erden. Ziel dabei ist es, die genossenschaftliche Idee zu
        tärken und ihre Attraktivität weiter zu erhöhen.
        Genossenschaften sind in Deutschland in allen Sekto-
        en des wirtschaftlichen Lebens verbreitet. 60 Prozent
        ller Handwerker, 65 Prozent aller selbstständigen Steu-
        rberater, 70 Prozent aller Einzelhandelskaufleute, 90 Pro-
        ent aller Bäcker und Metzger und praktisch jeder Land-
        irt ist Mitglied einer oder mehrerer Genossenschaften.
        ohnungsbaugenossenschaften umfassen rund 3 Millio-
        en Mitglieder und bewirtschaften etwa 10 Prozent der
        ietwohnungen in Deutschland.
        Und, last, but not least, stellen die Volks- und Raiffei-
        enbanken mit rund 30 Millionen Kunden, 15,5 Millio-
        en Mitgliedern, 168 000 Mitarbeitern, 15 000 Bank-
        tellen und einem Marktanteil von 17 Prozent einen
        ichtigen Faktor in der deutschen Kreditwirtschaft dar.
        Bekanntlich wurden die Genossenschaften Mitte des
        9. Jahrhunderts als wirtschaftliche Selbsthilfeeinrich-
        ungen gegründet. Als es infolge der gesellschaftlichen
        mwälzungen durch Industrialisierung und Landflucht
        u Engpässen bei der Versorgung mit Wohnungen und
        ütern des täglichen Bedarfs kam, schlossen sich Men-
        chen zu Wohnungs- und Konsumgenossenschaften zu-
        ammen und verteilten die Güter gerecht auf ihre Mit-
        lieder. Auch die Kreditgenossenschaften funktionierten
        ach diesem Prinzip. Dahinter stand – und steht – der
        rundgedanke, dass es für ein einzelnes Mitglied Vor-
        eile bringt, wenn bestimmte wirtschaftliche Funktionen
        uf eine speziell dafür geschaffene Wirtschaftseinheit
        usgelagert werden, die am Markt mehr Durchsetzungs-
        raft hat als das Individuum selbst.
        Das Motto seit jener Zeit war und ist: „Alle für einen –
        iner für alle“. Dies gilt sowohl in einer großen Genos-
        enschaft wie der DATEV in Nürnberg mit rund
        0 000 Mitgliedern, wie auch in einer der kleinsten Ge-
        ossenschaften wie der Sennereigenossenschaft Unter-
        aiselstein im Allgäu mit nur elf Mitgliedern.
        Dieser Grundgedanke soll durch den heute einge-
        rachten Gesetzentwurf weiter gestärkt und ausgebaut
        erden.
        2756 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
        (A) )
        (B) )
        Beispielhaft möchte ich hier drei Schwerpunkte nen-
        nen:
        Erstens. Aus Sicht der Neugründungen und kleinen
        Genossenschaften sind dabei folgende Punkte besonders
        hervorzuheben: Künftig sollen statt bisher sieben bereits
        drei Personen eine eingetragene Genossenschaft gründen
        können. Damit würde nach dem Motto: „Alle für einen –
        einer für alle“ der Einstieg in eine Genossenschaft er-
        leichtert, Kooperationen von drei Handwerkern, Land-
        wirten oder Genossenschaftsbanken ermöglicht und Sy-
        nergien und Energien gebündelt.
        Außerdem wird vorgesehen, dass bei eingetragenen
        Genossenschaften mit bis zu 20 Mitgliedern nicht mehr
        zwei Vorstands- und drei Aufsichtsratsmitglieder ge-
        wählt werden müssen, sondern es soll nunmehr ein Vor-
        stand genügen und auf den Aufsichtsrat kann völlig ver-
        zichtet werden. Damit kann Bürokratie abgebaut und
        können die Rahmenbedingungen vor allem für kleine
        Genossenschaften verbessert werden.
        Zweitens. Für Genossenschaften wiederum, die nach
        den internationalen Rechnungslegungsstandards IAS bi-
        lanzieren wollen, soll die Möglichkeit eröffnet werden,
        ihre Satzung so auszugestalten, dass die Geschäftsgutha-
        ben weiterhin als Eigenkapital ausgewiesen werden kön-
        nen.
        Drittens. Für grenzüberschreitende Kooperationen,
        deren Mitglieder ihren Sitz in mindestens zwei EU-Staa-
        ten haben, soll schließlich eine neue Rechtsform ge-
        schaffen werden: die so genannte Europäische Genos-
        senschaft oder Societas Cooperativa Europaea (SCE).
        All diese Neuregelungen sollen zu einer flexibleren
        Anpassung an das wirtschaftliche Umfeld der genossen-
        schaftlichen Betätigung führen, ohne die Besonderheiten
        der Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft zu
        zerstören.
        Vor diesem Hintergrund wird der Gesetzentwurf im
        weiteren Verfahren allerdings auch noch einmal genau
        zu durchleuchten sein. Ich möchte hier nur zwei Bei-
        spiele herausgreifen:
        Nach der Vorschrift des neuen § 43 Abs. 7 des Ge-
        setzentwurfs ist eine Generalversammlung zur Be-
        schlussfassung über die Abschaffung der Vertreterver-
        sammlung unverzüglich einzuberufen, wenn die von
        mindestens 10 Prozent der Mitglieder oder mindestens
        500 Mitgliedern beantragt wird. Dies bedeutet für eine
        Genossenschaft wie die bereits angeführte DATEV mit
        über 40 000 Mitgliedern, dass also lediglich 0,8 Prozent
        genügen, um einen entsprechenden Antrag zu stellen
        und damit eine derartige Mammutveranstaltung vorbe-
        reiten und durchführen zu müssen. Nicht nur wegen der
        zahlenmäßigen Dimension, sondern insbesondere wegen
        der Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit des Vor-
        stands und auf das Zusammenspiel zwischen dem Vor-
        stand und den Mitgliedern der Genossenschaft, ist eine
        solche Regelung nicht zielführend, denn sie verleitet ge-
        rade zu einem Missbrauch des Antragsrechts und geht
        weit über einen – sonst wichtigen und grundsätzlich an-
        zuerkennenden – Minderheitenschutz hinaus.
        §
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        Das Gleiche gilt für die geplante Neuregelung des
        45 Abs. 1 Genossenschaftsgesetz. Demnach muss die
        eneralversammlung oder die Vertreterversammlung,
        oweit diese besteht, unverzüglich einberufen werden,
        enn mindestens ein Zehntel der Mitglieder oder min-
        estens 150 Mitglieder die Einberufung unter Anfüh-
        ung des Zwecks und der Gründe verlangen. Ich möchte
        ier ein Beispiel einer genossenschaftlichen Bank aus
        einem Wahlkreis mit rund 18 000 Mitgliedern anfüh-
        en. Bei dieser Bank würden angesichts der vorgeschla-
        enen absoluten Zahl von 150 weniger als 1 Prozent der
        itgliedern genügen, um eine Vertreterversammlung
        inberufen zu lassen. Dies würde zu immensem organi-
        atorischen Aufwand und erheblichen Kosten führen –
        nd ebenfalls eine nicht zu vertretende ständige Unsi-
        herheit ins gesamte genossenschaftliche Lager tragen.
        CDU und CSU werden sich deshalb in den parlamen-
        arischen Beratungen dafür einsetzen, eine bessere Lö-
        ung in Bezug auf den neuen Abs. 7 § 43 in Genossen-
        chaftsgesetz zu finden.
        Grundsätzlich ist der vorgelegte Gesetzentwurf zu be-
        rüßen und positiv zu bewerten. Er stärkt die genossen-
        ypischen Prinzipien der Selbstverwaltung und Selbst-
        erantwortung. Im weiteren Verfahren wird die CDU/
        SU-Bundestagsfraktion darüber wachen, dass der be-
        onderen Stellung der Genossenschaften in Deutschland
        m Sinne unseres geschätzten Alt-Bundespräsidenten
        oman Herzog auch in Zukunft Rechnung getragen
        ird.
        Klaus Uwe Benneter (SPD): Die Einführung der
        uropäischen Genossenschaft sowie die Reform des
        eutschen Genossenschaftsrechts sind sinnvolle Vorha-
        en, die wir gerne und zügig umsetzen wollen. Innerhalb
        er EU gibt es bereits seit Ende 2004 die Möglichkeit
        ine europäische Aktiengesellschaft – nämlich die Euro-
        äische Gesellschaft – zu betreiben. Es ist erfreulich,
        ass es nun künftig in Europa auch die Möglichkeit ge-
        en wird, eine Europäische Genossenschaft zu gründen,
        ie über die nationalen Grenzen hinaus agieren kann.
        enn in einem zusammenwachsenden Europa besteht
        in praktischer Bedarf an beiden gesellschaftsrechtlichen
        rganisationsformen.
        Genossenschafter formulieren es so: Die Aktienge-
        ellschaft möchte viel Geld einsammeln, um aus viel
        eld noch mehr Geld zu machen. Naturgemäß ist dieses
        iel für viele Menschen in Europa erstrebenswert und
        eshalb ist es vernünftig, dass international agierende
        nternehmen hierfür einen europäischen Rechtsrahmen
        ählen können.
        Die Genossenschaft möchte mit Dienstleistungen für
        hre Mitglieder einen gemeinsamen Förderzweck verfol-
        en. Auch hierfür gibt es innerhalb Europas einen Be-
        arf, der die nationalen Grenzen überschreiten kann. Ich
        enke hier an Handelsgenossenschaften, an Vermark-
        ungsgenossenschaften etwa im landwirtschaftlichen Be-
        eich, an Energieerzeugungsgenossenschaften und an
        enossenschaftsbanken.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2757
        (A) )
        (B) )
        Für die Europäische Genossenschaft liegt eine detail-
        lierte EG-Verordnung vor, die ab 18. August in den Mit-
        gliedstaaten unmittelbar gelten wird. Unsere Aufgabe ist
        es, hierzu sinnvolle Ausführungsbestimmungen zu tref-
        fen.
        In den weiteren Beratungen werden wir uns vor allem
        mit der Frage des Sitzes der Europäischen Genossen-
        schaft befassen, Denn die Europäische Genossenschaft
        darf selbstverständlich nicht dazu missbraucht werden,
        dem Abtauchen der Genossenschaft vor den Gläubigern
        bei drohender Insolvenz Vorschub zu leisten. Deshalb ist
        bereits in der EG-Verordnung klar geregelt, dass der Sitz
        der Europäischen Genossenschaft in dem Mitgliedstaat
        liegt, in dem sich die Hauptverwaltung befindet. Sitzver-
        legungen sind nur nach vorheriger Prüfung durch das
        Registergericht möglich. Geprüft wird insbesondere, ob
        die Interessen der Gläubiger, aber auch des Fiskus ange-
        messen geschützt sind. In diesem Zusammenhang wer-
        den wir uns mit der Anregung des Bundesrates auseinan-
        der setzen, wonach Sitz und Hauptverwaltung am selben
        Ort liegen sollten. Unser vorrangiges Ziel jedoch ist
        größtmögliche Gestaltungsfreiheit, damit Deutschland
        ein attraktiver Standort für künftige europäische Genos-
        senschaften wird.
        Auch im nationalen Genossenschaftsrecht wollen wir
        die Genossenschaftsregeln für die heutigen Nutzer, aber
        auch für künftige mögliche Nutzer dieser Gesellschafts-
        form attraktiver gestalten.
        Wir sind überzeugt, dass die Genossenschaft weiter-
        hin gebraucht wird. Denn in Genossenschaften können
        die Mitglieder die Prinzipien der Selbsthilfe und der
        Selbstverwaltung, aber auch der genossenschaftlichen
        Solidarität besonders erfolgreich zu ihrem jeweils eige-
        nen Nutzen umsetzen.
        Die Genossenschaft als Rechtsform war zu Beginn
        der Industrialisierung eine Idee von Sozialreformern
        – von engagierten Menschen aus dem sozialdemokrati-
        schen, dem christlichen und dem liberalen Lager. Die
        Idee war segensreich – und sie ist es bis heute. Genos-
        senschaften agieren im Wohnungswesen, im Handel, in
        der Landwirtschaft; die Genossenschaft ist eine Rechts-
        form für Handwerker, die sich zusammenschließen, für
        das Bankenwesen wie auch für Arbeitsloseninitiativen.
        Genossenschaften können Zeitung machen – wie die
        „taz“ – sie können Schulen betreiben und im Januar die-
        ses Jahres lief das Biomasseheizkraftwerk im Bioener-
        giedorf Jühnde an, das von einer Betreibergenossen-
        schaft mit 180 Genossen betrieben wird. Die
        Genossenschaften in Deutschland sind recht stabil und
        wenig anfällig für Insolvenzen.
        Allerdings müssen wir feststellen, dass die Genossen-
        schaftszahlen zurückgehen – und zwar seit Jahren. Heute
        haben wir in Deutschland jährlich mehr Löschungen als
        Neueintragungen und insgesamt sind die Genossen-
        schaften weniger geworden – waren es 1998 noch fast
        10 000 Genossenschaften, sind es heute weniger als
        8 000 Genossenschaften. Diese Entwicklung hängt da-
        mit zusammen, dass die Genossenschaft in der Grün-
        dung recht aufwendig ist; so ist beispielsweise bei der
        Anmeldung zur Eintragung ein Gründungsgutachten des
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        rüfungsverbandes beizubringen. Auch im laufenden
        etrieb ist die Genossenschaft aufwendig. Alle Genos-
        enschaften unterliegen bisher jährlich oder zweijährlich
        er Jahresabschlussprüfung durch den Genossenschafts-
        erband. Alle diese Prüfungen sind vor allem mit Kosten
        erbunden. Deshalb ist es ein Ziel des Gesetzentwurfs,
        rüfpflichten – soweit vertretbar – abzubauen. Nach
        em Entwurf soll bei einer Bilanzsumme bis 2 Millionen
        uro keine Jahresabschlussprüfung mehr gesetzlich vor-
        eschrieben sein. Aus den Reihen der Prüfverbände ver-
        ehmen wir, dass eine Grenzziehung bei 350 000 Euro
        ilanzsumme besser sei. Aus den Reihen der Genossen-
        chaften – gerade der kleineren Genossenschaften – wird
        orgeschlagen, beim Abbau der Prüfpflichten noch wei-
        er zu gehen und die genossenschaftlichen Prüfpflichten
        ergleichbar dem GmbH-Recht erst ab 4 Millionen Euro
        ilanzsumme beginnen zu lassen. Das werden wir uns
        enau anschauen. Nach meiner Auffassung brauchen wir
        ehr gute Gründe, wenn wir weiterhin die Genossen-
        chaft gegenüber der kleinen Kapitalgesellschaft un-
        leich behandeln und ihr einen größeren Prüfungsauf-
        and abverlangen.
        Auch an anderer Stelle sehe ich noch Beratungsbe-
        arf. Viele Schreiben haben uns erreicht die sich mit
        em vorgesehenen Recht der Mitglieder auf Einberufung
        iner Generalversammlung befassen. Die Bedenken ge-
        en ein zu kleines Mitgliederquorum für das Einberu-
        ungsverlangen sind nachvollziehbar. Ich bin zuversicht-
        ich, dass wir sachgerechte Lösungen finden werden, mit
        enen auch Genossenschaften leben können, die Zehn-
        ausende oder gar Hunderttausende Mitglieder haben.
        m Ende unserer Beratungen wird ein erneuertes und
        on unnötigem Ballast befreites Genossenschaftsrecht
        tehen.
        Mechthild Dyckmans (FDP): Europa wächst zu-
        ammen – heute debattieren wir erneut, welche Voraus-
        etzungen wir für dieses Zusammenwachsen selbst
        chaffen müssen. Der uns von der Bundesregierung sehr
        urzfristig vorgelegte Gesetzentwurf dient nicht nur der
        msetzung von EU-Vorgaben zur Einführung der Euro-
        äischen Genossenschaft. Mit dem zu beratenden Ent-
        urf soll nach dem Willen der Bundesregierung auch die
        ttraktivität der deutschen Rechtsform der eingetrage-
        en Genossenschaft erhöht werden.
        Zunächst möchte ich einige Worte zum Zeitablauf der
        nstehenden Beratungen sagen: Für das In-Kraft-Treten
        es Gesetzentwurfs ist durch die Umsetzungsfristen der
        U der 18. August 2006 vorgesehen. Die Verordnung
        nd die korrespondierende Richtlinie, die für die Euro-
        äische Genossenschaft und deren Regelungen der Ar-
        eitnehmerbeteiligung den rechtlichen Rahmen setzen,
        urden vom Rat der EU bereits am 22. Juli 2003 ver-
        ündet. Sie traten am 21. August 2003 in Kraft. Trotz-
        em benötigte die Bundesregierung circa 32 Monate, um
        en Entwurf vorzulegen. Und nun sind für die parlamen-
        arischen Beratungen noch vier Monate mit gerade mal
        ünf Sitzungswochen übrig. Ich hoffe, dass Sie – meine
        erehrten Kolleginnen und Kollegen – zu sehr konstruk-
        iven und weltoffenen Beratungen bereit sind, um die
        tolperfallen dieses Gesetzentwurfs auszubessern!
        2758 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
        (A) )
        (B) )
        Nun komme ich zum Inhalt des Gesetzes. Wie bereits
        erwähnt, sind zwei große Themenkomplexe zu bespre-
        chen: einmal die Einführung der Europäischen Genos-
        senschaft und zum Zweiten die Novelle des deutschen
        Genossenschaftsgesetzes – denn so soll das „Gesetz be-
        treffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften“
        künftig genannt werden.
        Zunächst einige Worte zum ersten Themenkomplex:
        Die Europäische Genossenschaft soll unter anderem
        dazu dienen, Anreize für ausländische Investitionen zu
        setzen. Ob dies gelingt, wird die Zukunft zeigen. Durch
        die für die Europäische Genossenschaften geschaffene
        Möglichkeit, für die Unternehmensverfassung zwischen
        dem monistischen und dem dualistischen System zu un-
        terscheiden, erhalten Gründungs- und Verschmelzungs-
        willige die Wahl zwischen dem Modell mit Aufsichtsrat
        und Vorstand und dem Modell, das eher dem angelsäch-
        sischen Board-System – hier nun Verwaltungsrat ge-
        nannt – gleicht. Dadurch könnte grundsätzlich ein größe-
        res Vertrauen entstehen, da einigen ausländischen
        Investoren das monistische System bekannter ist.
        Umso mehr erstaunt es, dass dieser Anreiz durch die
        Regelungen zur Mitbestimmung im selben Federstrich
        wieder zunichte gemacht wird. Denn die deutsche Mit-
        bestimmung soll unverändert auf die Europäische Ge-
        nossenschaft übertragen werden. Nach den Vorgaben der
        EU soll die Gründung einer Europäischen Genossen-
        schaft nicht zu einer Beseitigung oder Einschränkung
        der Beteiligung von Arbeitnehmern in Organen der Ge-
        nossenschaft führen. Diesem Gebot der EU fühlen wir
        Liberale uns verpflichtet. Die Bundesregierung plant je-
        doch eine Ausweitung der Mitbestimmung. Zur Verdeut-
        lichung des Zusammenhangs: Bei der Übernahme der
        deutschen Mitbestimmung in das dualistische System
        gibt es keine erwähnenswerte Veränderung bezüglich der
        Beteiligung der Arbeitnehmer. Die Übernahme der Mit-
        bestimmung in das monistische System bedeutet jedoch
        eine ernorme Ausdehnung der Mitbestimmung auf die
        Leitung des unternehmerischen Geschäfts. Ist bisher
        nach deutschen Gesetzen die Mitbestimmung auf das
        Organ eines Unternehmens beschränkt, welches kontrol-
        lierend und überwachend tätig ist – nämlich den Auf-
        sichtsrat –, bleibt das Leitungsorgan mitbestimmungs-
        frei. Im monistische System haben wir aber „nur“ den
        Verwaltungsrat. Dieser erfüllt neben den Aufgaben der
        Überwachung und Kontrolle auch die Aufgabe der Lei-
        tung des Unternehmens. Damit plant die Bundesregie-
        rung, die Mitbestimmung bis in das Leitungsorgan der
        Europäischen Genossenschaft auszudehnen. Meine Da-
        men und Herren von der CDU/CSU: Dies haben Sie vor
        anderthalb Jahren bei der Einführung der Europäischen
        Aktiengesellschaft noch zusammen mit uns heftigst be-
        kämpft!
        Und wer die Hoffnung hatte, die Bundesregierung
        würde daraus lernen, dass die Europäische Aktiengesell-
        schaft gerade wegen dieser Mitbestimmungsregelungen
        nicht zu einem Investitionsschlager geworden ist, wird
        wohl heute wieder eines Besseren belehrt. Wer sich von
        den Schwierigkeiten der Gründung einer Europäischen
        Aktiengesellschaft überzeugen möchte, dem empfehle
        ich an dieser Stelle einen Artikel der „FAZ“ von gestern
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        it dem Titel „Die Europa AG ist eine Mutprobe“, der
        räzise die Schwierigkeiten bei der Umwandlung der Al-
        ianz in eine Societas Europaea beschreibt.
        Zurück zur Europäischen Genossenschaft: Die deut-
        che Mitbestimmung ist kein Exportschlager; wenn wir
        ie auf Leitungsfunktionen ausdehnen, wird dies auslän-
        ische Investoren abschrecken, nicht aber zu Investitio-
        en ermuntern. Wer Arbeitsplätze durch die Europäische
        enossenschaft schaffen will, wird sich mit uns Gedan-
        en darüber machen müssen, wie wir eine solche von der
        U nicht geforderte Ausweitung der Mitbestimmung
        erhindern!
        Ich komme nun zu den geplanten Änderungen des
        eutschen Genossenschaftsgesetzes. Genossenschaften
        ind ein liberales Modell – sie verkörpern die Prinzipien
        er Selbsthilfe, der Selbstverwaltung und der Selbstver-
        ntwortung. Wir Liberalen haben daher ein großes Inte-
        esse daran, die Attraktivität der Rechtsform der Genos-
        enschaft zu erhöhen. Daher begrüßen wir ausdrücklich
        ie Erweiterung des Förderungszwecks auf soziale und
        ulturelle Zwecke.
        In der ersten Lesung möchte ich nur einige Kritik-
        unkte zu dem Entwurf ansprechen:
        Über die Schwellenwerte zur Einberufung der Gene-
        alversammlung zur Beschlussfassung über die Abschaf-
        ung der Vertreterversammlung in § 43 a Abs. 7 GenG
        nd zur unverzüglichen Einberufung zur Generalver-
        ammlung in § 45 GenG müssen wir dringend reden. Es
        ann nicht sein, dass zum Beispiel bei einer Genossen-
        chaft mit 40 000 Mitgliedern bereits 0,38 Prozent der
        itglieder die Einberufung der Generalversammlung er-
        wingen können – dies entspricht den im Gesetzentwurf
        orgesehenen 150 Mitgliedern. Und eine 40 000 Mit-
        lieder starke Genossenschaft zählt nicht einmal ansatz-
        eise zu einer der größten Genossenschaften in
        eutschland – die größten Genossenschaften haben un-
        er Umständen mehrere hunderttausend Mitglieder!
        Ein anderer Punkt, der uns Liberale kritisch stimmt,
        st die Streichung von fünf Worten in § 31 Abs. l Satz 2
        enG. Hatte bisher ein Mitglied einer Genossenschaft
        as Recht, eine Abschrift der Mitgliederliste „hinsicht-
        ich der ihn betreffenden Eintragungen“ zu erhalten, soll
        as Mitglied nun eine vollständige Abschrift erhalten
        önnen. Bereits aus datenschutzrechtlichen Gründen
        uss man dies kritisch beurteilen. Denn in dieser Mit-
        liederliste sind nicht nur die Namen der Mitglieder auf-
        eführt, sondern zum Beispiel auch die Anzahl der Ge-
        chäftsanteile. Hier wird in den Beratungen das
        rundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zu
        eachten sein.
        Die Mehrstimmrechtsregelung in § 43 Abs. 3 GenG
        edarf der Überarbeitung. So ist die Erweiterung für Un-
        ernehmergenossenschaften zu begrüßen; nicht nachvoll-
        iehbar ist dagegen, warum die bestehenden Regelungen
        ür Nicht-Unternehmergenossenschaften oder Zentralge-
        ossenschaften gestrichen werden sollen.
        Auch über die Anfechtungsbefugnis außen stehender
        itglieder (§ 51 Abs. 2 Satz 3 GenG) und die Grenzen
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2759
        (A) )
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        für die Befreiung von der Jahresabschlussprüfung (§ 53
        Abs. 3 GenG) werden wir reden müssen.
        Sie sehen, es gibt viel zu tun, damit aus diesem Ge-
        setzentwurf noch ein rundum gutes, innovatives und
        zielführendes Gesetz wird!
        Ulla Lötzer (DIE LINKE): Die Bundesregierung
        schlägt Änderungen des Genossenschaftsrechts vor. Und
        tatsächlich: Im Titel kommt es noch vor, das Wort Ge-
        nossen. Ansonsten wird das Wort durch den Gesetzent-
        wurf abgeschafft – rund 90-mal wird es explizit durch
        das Wort Mitglieder ersetzt. Genossen haben nach Mei-
        nung der Bundesregierung offenbar nichts mehr zu su-
        chen in ihren Genossenschaften.
        Das ist mehr als eine Formalie. Das Streichen der Ge-
        nossen offenbart nämlich, was die Regierung unter Mo-
        dernisierung des Genossenschaftsrechts eigentlich ver-
        steht: Die Genossenschaften sollen kompatibel werden
        mit dem globalisierten Kapitalismus. Es geht der Regie-
        rung weniger um die Stärkung des Genossenschaftsge-
        dankens, um Solidarität und innerbetriebliche Demokra-
        tie. Es geht ihr zu allererst um die Wettbewerbsfähigkeit
        von Genossenschaften in Konkurrenz zu anderen
        Rechtsformen. Und diese Wettbewerbsfähigkeit soll
        durch eine schleichende Angleichung des Genossen-
        schaftsrechts an die Regeln für Kapitalgesellschaften ge-
        schaffen werden.
        Damit schließt sich die Regierung der Europäischen
        Kommission an, die schon 2004 forderte, die Vorschrif-
        ten für Genossenschaften müssten „auch ihren Bedürf-
        nissen im Wettbewerb mit anderen Unternehmen einer
        modernen Marktwirtschaft“ gerecht werden. Aber die
        wachsende Ähnlichkeit von Genossenschaften und Ak-
        tiengesellschaften zeigt sich nicht nur bei der – mit dem
        vorliegenden Gesetzentwurf ja auch eingeführten –
        neuen Rechtsform der Europäischen Genossenschaft.
        Auch die Genossenschaften nach deutschem Recht er-
        halten zukünftig Merkmale, die dem ursprünglichen
        Charakter des Genossenschaftswesens zuwiderlaufen,
        insbesondere: die Öffnung für investierende Mitglieder.
        In § 8 Abs. 2 des neuen Genossenschaftsgesetzes soll es
        zukünftig heißen: „Die Satzung kann bestimmen, dass
        Personen, die für die Nutzung oder Produktion der Güter
        und die Nutzung oder Erbringung der Dienste der Ge-
        nossenschaft nicht infrage kommen, als investierende
        Mitglieder zugelassen werden können.“ Damit wird der
        Verwandlung von Genossenschaften in profitorientierte
        Unternehmen Tür und Tor geöffnet.
        Sicherlich, die Einführung von investierenden Mit-
        gliedern ist eine Kannvorschrift. Auch sollen verschie-
        dene Einschränkungen dafür sorgen, dass Investoren die
        Entscheidungsfindung innerhalb der Genossenschaft
        nicht zu sehr beeinflussen können. Dennoch: Wer wird
        verhindern, dass finanzstarke Investoren den Genossin-
        nen und Genossen ihren Willen aufzwingen oder durch
        vermeintlichen betriebswirtschaftlichen Sachverstand
        schmackhaft machen? Alleine die Bezeichnung „Inves-
        tierende Mitglieder“ zeigt schon, worum es diesen Mit-
        gliedern vor allem gehen wird: um eine ordentliche Divi-
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        ende. Damit besteht die akute Gefahr, dass der
        igentliche Zweck von Genossenschaften – die Förde-
        ung der nutzenden Mitglieder – einem neuen Zweck
        eichen muss: dem Wachstum des angelegten Kapitals
        er investierenden Mitglieder. Genossenschaftsanteile
        ichern den Genossinnen und Genossen dann mitunter
        icht mehr eine angemessene Wohnraumversorgung,
        ondern allenfalls eine marktübliche Verzinsung. Gerade
        etzt sind Finanzinvestoren landauf, landab unterwegs,
        m die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften zu
        aufen. Jetzt sollen den Heuschrecken auch noch die Ge-
        ossenschaften angeboten werden? Wo bleibt ihre Kritik
        n der Heuschreckenplage, verehrte Kolleginnen und
        ollegen der SPD? Und vor allem: Wo bleiben die Kon-
        equenzen? Diese Änderung lehnen wir ab.
        Auch in der Landwirtschaft gilt es, das Genossen-
        chaftsmodell zu bewahren, das insbesondere in Ost-
        eutschland stark verankert ist. Dieses Modell ist den
        eränderungen durch die Agrarpolitik der EU und WTO
        ut gewachsen. Eine Öffnung für nicht nutzende Inves-
        oren oder gar die Einführung eines an die Höhe der Be-
        eiligung gekoppelten Mehrstimmrechts, wie es von in-
        eressierter Seite gefordert wird, wäre kontraproduktiv.
        Sicherlich, Einzelpunkte des Gesetzentwurfs sind
        uch zu begrüßen, etwa dass künftig nur drei anstatt sie-
        en Mitglieder eine Genossenschaft gründen können
        der die Erweiterung des Zwecks von Genossenschaften
        m soziale und kulturelle Ziele. Auch dass Mehrstimm-
        echte zukünftig nur bei Unternehmensgenossenschaften
        öglich sind, ist ein Schritt in die richtige Richtung.
        Wir wollen, dass der Genossenschaftsgedanke insge-
        amt weiter gestärkt wird. Innerbetriebliche Demokratie
        nd gleichberechtigte Kooperation in Genossenschaften
        ind Werte, die wir verteidigen. Statt diese Werte im
        inne der Konkurrenzfähigkeit abzubauen, müssen Ge-
        ossenschaften endlich angemessen gefördert werden,
        amit die Genossenschaft auch zukünftig eine Genos-
        enschaft bleibt und nicht zu einer „Shareholderschaft“
        utiert.
        Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE
        RÜNEN): Der vorliegende Gesetzentwurf zur Einfüh-
        ung der Europäischen Genossenschaft und zur Ände-
        ung des Genossenschaftsrechts erfährt grundsätzlich die
        ustimmung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Das
        orliegende Regelwerk ist gleichsam ein Schritt nach
        orne für die bestehenden Genossenschaften und im
        rinzip eine Existenzgründerinitiative wie auch ein
        ichtiger Beitrag im Sinne des Corporate-Governance-
        edankens der e. G.
        Die Novellierung des Genossenschaftsgesetzes ist seit
        angem von der Genossenschaftspraxis gefordert wor-
        en. Sie ist gleichzeitig eine Modernisierung und eine
        ückbesinnung auf den genossenschaftlichen Grundge-
        anken. Die genossenschaftliche Rechtsform wird als
        rganisationsform für die gemeinschaftliche Selbsthilfe
        it den Neuerungen des deutschen Genossenschafts-
        echts gestärkt.
        2760 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
        (A) )
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        Es werden gerade für Existenzgründer und -gründe-
        rinnen neue Möglichkeiten über eine neue Rechtsform
        geschaffen. Die geplanten Änderungen im Genossen-
        schaftsrecht – „eingetragene Genossenschaft“, e. G. –
        lassen für Firmengründer zukünftig eine interessante
        weitere Alternative bei der Wahl der Rechtsform entste-
        hen. Das ist einer der wichtigsten Neuerungen und das
        gilt es zu unterstreichen und zu unterstützen.
        Es ist gut, den Genossenschaftsgedanken zu stärken.
        Genossenschaften hatten und haben eine besondere Be-
        deutung als Instrument der Selbsthilfe. In letzter Zeit
        werden verstärkt soziale Betriebe als Initiativen von Ar-
        beitslosen in Form von Genossenschaften gegründet.
        Die Eckpfeiler des Genossenschaftsprinzips, wie zum
        Beispiel Dezentralität, Selbsthilfe, Selbstorganisation
        und demokratische Selbstverwaltung finden ihre Ent-
        sprechung auch in der Wirtschaft. Diese Prinzipien ha-
        ben eine große Bedeutung für Bündnis 90/Die Grünen.
        Genossenschaften sind die geeignete Rechtsform, um
        unternehmerisches Handeln und soziale Verantwortung
        zu verbinden.
        Im Einzelnen bewerte ich die Gesetzesänderungen in
        folgenden Bereichen wie folgt: Die Gründung von Ge-
        nossenschaften soll erleichtert und die allgemeinen Rah-
        menbedingungen gerade für kleine Genossenschaften
        sollen verbessern werden. Zum Beispiel wird die Min-
        destmitgliederzahl von sieben auf drei gesenkt. Die
        Rechtsform der Genossenschaft wird auch für soziale
        oder kulturelle Zwecke geöffnet. Besonders wichtig für
        kleine Genossenschaften ist die Ausnahme von der Prü-
        fung des Jahresabschlusses bei Genossenschaften mit ei-
        ner Bilanzsumme bis zwei Millionen Euro.
        Bemerkenswert ist außerdem, dass die Genossen-
        schaft künftig auch soziale Förderzwecke verfolgen
        kann. Bisher war die deutsche Genossenschaft wirt-
        schaftlichen Zwecken vorbehalten. Bisher waren hier
        unter anderem die Prüfungspflichten sehr umfangreich
        und kostspielig. Das führte dazu, dass die vielen Grup-
        pen, wie zum Beispiel Weltläden, Schulen und Arbeits-
        loseninitiativen, diese Rechtsform nicht für ihre Organi-
        sation gewählt haben. Mit der Novellierung bieten wir
        diesen Organisationen und Einrichtungen die Möglich-
        keit, anstatt eines Vereins eine Genossenschaft zu grün-
        den. Die Prüfungspflichten von kleinen Genossenschaf-
        ten – Jahresbilanz von 2 Millionen Euro – werden
        reduziert. Wir begrüßen diese Reduzierung. Damit wird
        insbesondere den Neugründungen von Genossenschaf-
        ten ein Weg geebnet und die Gründungsvoraussetzungen
        werden erleichtert. Die Kompensation der Einnahmever-
        luste der Prüfungsverbände kann durch Übernahme der
        operativen Buchführung kompensiert werden.
        Für die Regelung der Prüfung ist entscheidend, ob
        und in welchem Maße die Rechtsform der Genossen-
        schaft sich tatsächlich für Neugründungen aus kleineren
        Personenzusammenschlüssen eignet. Es ist entschei-
        dend, dass aus der Sicht der Rechtsformnutzer den Grün-
        derinnen und Gründern wegen unverhältnismäßiger
        Kostenbelastungen keine Diskriminierung gegenüber
        anderen Rechtsformen wie zum Beispiel der GmbH ent-
        steht. Gerade in den ersten Jahren ist eine Belastung mit
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        usätzlichen Kosten nicht vertretbar. Kosten für Prüfun-
        en, die in keiner Relation zu dem oft nicht sehr hohen
        igenkapital stehen, wirken sich für Neugründungen an-
        ernfalls kontraproduktiv aus.
        Dass Genossenschaften mit einer Bilanzsumme bis zu
        Million Euro keine Prüfung des Jahresabschlusses
        ehr brauchen, ist die richtige Richtung. Wünschens-
        ert wäre es gewesen, dass die kleinen Genossenschaf-
        en wie alle anderen Unternehmensrechtsformen nur den
        rüfungsvorschriften des HGB unterliegen. Kleine Ka-
        italgesellschaften gelten demnach als solche, die min-
        estens zwei der drei Merkmale gemäß § 267 Abs. l
        GB nicht überschreiten, das heißt, bei denen nicht
        leichzeitig der Umsatz über 8 030 000 Euro, die Bi-
        anzsumme nicht über 4 015 000 Euro und die Zahl der
        eschäftigten unter 50 liegt. Genossenschaften in dieser
        rößenordnung unterliegen weiterhin einer zweijährigen
        rüfung von Vermögenslage, Geschäftsführung und Mit-
        liederliste durch den Verband.
        Ideen aus der im Aktienrecht geführten Corporate-
        overnance-Diskussion werden auf den Genossen-
        chaftsbereich übertragen. Dazu gehört zum Beispiel die
        tärkung der Rolle des Aufsichtsrats oder die Verbesse-
        ung der Informationsversorgung und der Einflussmög-
        ichkeiten der Mitglieder, insbesondere wenn eine Ver-
        reterversammlung besteht.
        Die Stärkung der Informationsrechte der Mitglieder
        st ein weiterer wichtiger Schritt, den Corporate-Gover-
        ance-Gedanken in die Genossenschaften zu tragen und
        ort zu verankern. Das Recht, das jedes Mitglied erhält,
        n der Generalversammlung Einblick in das zusammen-
        efasste Prüfergebnis zu nehmen, sollte auch bei Beste-
        en einer Vertreterversammlung Gültigkeit haben.
        Das Genossenschaftsrecht kann zum Schrittmacher
        ei der Etablierung moderner Kommunikationsstruktu-
        en werden. „Die Satzung kann zulassen, dass Be-
        chlüsse der Mitglieder schriftlich oder in elektronischer
        orm gefasst werden“. Das besagt der Regierungsent-
        urf des neuen § 43 Abs. 7 GenG. In der Begründung
        ird ausgeführt: Die Satzung „muss durch ein entspre-
        hendes Regelwerk sicherstellen, dass die Rechte alter
        itglieder gewahrt und die Ordnungsmäßigkeit der
        timmabgabe gewährleistet ist. Unter diesen Vorausset-
        ungen ist auch die Durchführung einer virtuellen Gene-
        alversammlung per Internet denkbar; in der Praxis wird
        ies aber derzeit nur in seltenen Ausnahmefällen, zum
        eispiel bei einer Genossenschaft aus dem IT-Bereich,
        n Betracht kommen“.
        Im Aktienrecht wurde in den letzten Jahren viel er-
        eicht (Dokumentation): Wenn die Satzung das vorsieht,
        ann elektronische Bevollmächtigung stattfinden
        § 134 III 2 AktG), die Hauptversammlung kann in Ton
        nd Bild übertragen werden (§ 118 III AktG), Aufsichts-
        atsmitglieder können per Videozuschaltung teilnehmen
        §118 II 2 AktG). Aber eine Abwicklung der Angelegen-
        eit nur im virtuellen Raum ist wohl nicht möglich. Das
        etzt zur Reform anstehende Recht der Genossenschaft
        eht da einen wesentlichen Schritt weiter. Ich begrüße
        as und bin gespannt auf die Entwicklungen in den Ge-
        ossenschaften.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2761
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        Der Gesetzentwurf erleichtert die Kapitalbeschaffung
        und -erhaltung bei Genossenschaften, zum Beispiel in-
        dem eine Sachgründung zugelassen wird, ein Mindest-
        kapital eingeführt werden kann und in dem rein investie-
        rende Mitglieder zugelassen werden können.
        Die neuen Regularien bieten Anreize für genossen-
        schaftliche Neugründungen. Diese können und müssen
        flankiert werden, indem hier in den ersten fünf Jahren
        Unterstützungen gegeben werden. Dadurch kann sicher-
        gestellt werden, dass die geringe Insolvenzzahl bei Ge-
        nossenschaften weiterhin durch qualifizierte Beratung zu
        erreichen ist. Wir brauchen Gleichbehandlung von Ge-
        nossenschaften gegenüber anderen Unternehmensfor-
        men, was zum Beispiel die Vergabe von Förderkrediten
        angeht. Genossenschaften sollten bei der Förderung zum
        Beispiel durch öffentliche Kredite der bundeseigenen
        KfW gegenüber anderen Rechtsformen kleiner und mitt-
        lerer Unternehmen nicht benachteiligt werden.
        Schließlich ist das altehrwürdige Genossenschaftsge-
        setz auch sprachlich zu modernisieren. Zum Beispiel
        wird die Bezeichnung „der Genosse“ durch die ge-
        schlechtsneutrale und schon jetzt in der Praxis gebräuch-
        liche Bezeichnung „Mitglied der Genossenschaft“ er-
        setzt. Diese Modernisierung auch und gerade im
        Sprachgebrauch kann ich nachhaltig unterstützen.
        Der Gesetzentwurf enthält darüber hinaus die erfor-
        derlichen Regelungen für eine neue, supranationale
        Rechtsform: die Europäische Genossenschaft. Grund-
        lage sind zwei EU-Rechtsakte vom Sommer 2003: eine
        Verordnung, die unmittelbar in den Mitgliedstaaten gilt,
        und eine Richtlinie über die Beteiligung der Arbeitneh-
        mer, die bis August 2006 in nationales Recht umzuset-
        zen ist. Durch attraktive Ausführungsvorschriften im
        deutschen Recht soll ein Anreiz geboten werden, dass
        eine neu gegründete Europäische Genossenschaft ihren
        Sitz in Deutschland nimmt. Wir erhalten damit eine neue
        supranationale Rechtsform: die Europäische Genossen-
        schaft. Bündnis 90/Die Grünen werden darauf achten,
        dass die Europäische Genossenschaft in der Praxis nicht
        dafür genutzt wird, Mitbestimmungsrechte auszuhebeln.
        Abschließend und zusammenfassend will ich festhal-
        ten, dass die Erleichterung der Prüfungspflichten für
        kleine Genossenschaften zu begrüßen ist, weil sie die
        Gründungsvoraussetzungen für Genossenschaften er-
        leichtert. Die Minderheitenrechte zu stärken ist ein fol-
        gerichtiger Schritt. Die Funktionsfähigkeit großer Wirt-
        schaftsgenossenschaften wie zum Beispiel Volks- und
        Raiffeisenbank wird gewährleistet.
        Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der
        Bundesministerin der Justiz: Ihnen liegt heute zur
        1. Lesung der Entwurf eines Gesetzes zur Einführung
        der Europäischen Genossenschaft und zur Änderung des
        Genossenschaftsrechts vor. Mit diesem Gesetz werden
        die deutschen Rechtsvorschriften für eine neue Rechts-
        form geschaffen: für die Europäische Genossenschaft.
        Diese neue Rechtsform soll Genossenschaften in der EU
        die grenzüberschreitende Betätigung erleichtern. Zur
        Einführung der Europäischen Genossenschaft muss der
        deutsche Gesetzgeber bis August 2006 Ausführungsvor-
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        chriften zu der entsprechenden EU-Verordnung erlassen
        nd die begleitende Richtlinie zur Arbeitnehmerbeteili-
        ung in deutsches Recht umsetzen.
        Meine Damen und Herren – der rechtspolitische
        chwerpunkt des Entwurfs liegt allerdings woanders,
        ämlich bei den Änderungen des deutschen Genossen-
        chaftsgesetzes. Ziel ist es, das Genossenschaftsrecht
        nsgesamt moderner und attraktiver zu machen. Hier geht
        s insbesondere darum, die Gründung von Genossen-
        chaften zu erleichtern und die allgemeinen Rahmenbe-
        ingungen gerade für kleine Genossenschaften zu ver-
        essern. So wird zum Beispiel die Mindestmitgliederzahl
        on sieben auf drei abgesenkt. Die Rechtsform der Ge-
        ossenschaft wird geöffnet auch für soziale oder kultu-
        elle Zwecke. Besonders wichtig für kleine Genossen-
        chaften ist die vorgesehene Ausnahme von der Prüfung
        es Jahresabschlusses bei Genossenschaften mit einer
        ilanzsumme bis zwei Millionen Euro. Diese Grenze
        ird teils als zu hoch, teils als zu niedrig kritisiert. Wir
        erden, wie vom Bundesrat erbeten, prüfen, ob die Ab-
        renzung nach der Bilanzsumme durch weitere Größen-
        erkmale ergänzt werden sollte.
        Weitere wichtige Änderungen betreffen die Übertra-
        ung von Elementen aus der im Aktienrecht geführten
        orporate Governance-Diskussion auf den Genossen-
        chaftsbereich. Dazu gehört zum Beispiel die Stärkung
        er Rolle des Aufsichtsrats oder die Verbesserung der In-
        ormationsversorgung und der Einflussmöglichkeiten
        er Mitglieder, insbesondere bei Bestehen einer Vertre-
        erversammlung. Die hierbei vorgeschlagenen Minder-
        eitenrechte für Mitglieder sind teilweise auf heftige
        ritik gestoßen, weil ein rechtsmissbräuchliches Aus-
        utzen dieser Rechte befürchtet wird. Ich möchte hier zu
        iner sachlichen Diskussion aufrufen. Die Genossen-
        chaft gehört den Genossen – bzw. den Mitgliedern, wie
        ie zukünftig heißen werden – und deshalb halte ich es
        ach wie vor für einen sinnvollen Ansatz, die Rechte
        erjenigen, um deren Anteile es geht, zu stärken – auch
        enn Vorstände und Vertreter das vielleicht nicht so
        erne sehen. Ich bin offen dafür, dass hier auch nach Al-
        ernativen gesucht wird. Denn es muss klar sein: die In-
        ormations- und Teilhaberechte der Mitglieder dürfen
        icht zu einer missbräuchlichen Verwendung verleiten
        nd nicht zu unangemessenen Belastungen für die Ge-
        ossenschaft führen. Lassen Sie uns gemeinsam darauf
        inwirken, dass die Attraktivität der Genossenschaft ge-
        tärkt wird und diese mehr in die öffentliche Wahrneh-
        ung rückt. Denn gerade heute kann die Genossenschaft
        bei der sich regelmäßig unternehmerische Initiative,
        elbsthilfe und soziale Orientierung miteinander verbin-
        en – für viele kleine Unternehmen die richtige Rechts-
        orm sein. Zu Unrecht wird die Genossenschaft oft als
        ltmodische, „verstaubte“ Rechtsform empfunden, und
        eider ist die Anzahl der Genossenschaften seit Jahren
        ückläufig. Ich wünsche mir daher, dass dieser Gesetz-
        ntwurf deutlich macht: die Genossenschaft ist eine den
        nsprüchen des modernen Wirtschaftslebens gerecht
        erdende Unternehmensform. Und ich hoffe, dass der
        esetzentwurf dazu beiträgt, dass bei Neugründungen
        on Unternehmen künftig vermehrt die Rechtsform der
        enossenschaft gewählt wird.
        2762 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
        (A) )
        (B) )
        Anlage 7
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Anträge:
        – Gegen rechtsstaatsfreie Räume – Sicher-
        heitsüberprüfungen im Rahmen von Akkre-
        ditierungsverfahren bedürfen einer Rechts-
        grundlage
        – Kein Generalverdacht bei den Sicherheits-
        überprüfungen zur Fußballweltmeister-
        schaft 2006
        (Tagesordnungspunkt 20 a und b)
        Beatrix Philipp (CDU/CSU): Die Fußball-WM 2006
        ist ein Ereignis, auf das sich die Welt, zumindest die
        „Fußballwelt“, besonders freut.
        „Zu Gast bei Freunden“ – ein Motto, das bereits eine
        positive Stimmung assoziiert: Freundschaftlich soll es
        zugehen, Gäste sollen sich wohl fühlen, und als Gastge-
        ber müssen wir alles tun, damit die Gäste sich auch wohl
        fühlen können.
        Aber neben der Freude ist mit diesem Großereignis
        auch eine ungeheuere Verantwortung verbunden, die die
        FIFA und auch wir als gastgebendes Land zu überneh-
        men haben.
        Um dieses Großereignis gegen alle denkbaren – und
        möglichst auch gegen alle fast undenkbaren – Gefahren
        abzusichern, laufen im organisatorischen und besonders
        im sicherheitspolitischen Bereich seit langem die Vorbe-
        reitungen auf Hochtouren.
        Dabei muss im Bereich der Sicherheitsmaßnahmen
        ein Maximum an Vorkehrungen getroffen werden und
        zugleich ein Minimum an Belästigungen für die Gäste
        gewährleistet sein.
        Und dennoch wissen alle, dass es wahrscheinlich un-
        vermeidlich sein wird, dass es zu Einschränkungen oder
        auch Behinderungen kommen kann. Kurz: Alle werden
        auf viel Verständnis bauen müssen und auf das Wissen,
        dass es keine Alternativen gibt, wenn die Verantwortli-
        chen das Gefühl haben wollen, alles Menschenmögliche
        getan zu haben.
        Wer die Verantwortung trägt, wird erst aufatmen kön-
        nen, wenn die WM ohne große Zwischenfälle zu Ende
        gegangen ist.
        Jeder, der sich ein wenig mit dieser Problematik be-
        fasst hat, wird wissen, dass die Fußball-WM ein Ereignis
        ist, das mit bisherigen – und vielleicht auch zukünfti-
        gen – nicht zu vergleichen ist: Es sind die Millionen von
        Menschen, die kommen, es sind die Veranstaltungsorte
        – die Stadien –, es sind die An- und Abfahrten, die Zu-
        und Abgänge, die einer besonderen Aufmerksamkeit un-
        ter Sicherheitsaspekten bedürfen. Diese Szenarien sind
        uns aber geläufig und überschaubar.
        Dies trifft aber überhaupt nicht zu für jede größere
        Menschenansammlung, die erfahrungsgemäß vor unzäh-
        ligen Großbildleinwänden beim – wie es so schön heißt
        „
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        public viewing“ – anzutreffen ist und die vielen Spon-
        antreffen, von denen man ausgehen muss.
        Das bedeutet, dass wenig planbar und sehr flexibel
        uf solche Menschenansammlungen reagiert werden
        uss.
        Da, wo es Auflagen gibt, wie zum Beispiel am Breit-
        cheidplatz, trifft man sehr schnell auf Unverständnis
        nd heftige Reaktionen, wie man der heutigen Berliner
        orgenpost entnehmen kann.
        Die Zahl der notwendigen Sicherheitskräfte wird alles
        isher Dagewesene in den Schatten stellen.
        Und nur so – und nicht anders – war die ständige
        ahnung unseres Innenministers Dr. Schäuble zu ver-
        tehen, dass man auch an die Grenzen der eigenen Kapa-
        ität stoßen und daher der Einsatz der Bundeswehr not-
        endig werden könnte. Aber dieses Thema ist, wie man
        o schön sagt, „durch“. Alle werden viel Verständnis
        ufbringen müssen!
        Wir befassen uns heute mit einem Teilaspekt dieser
        icherheitsvorkehrungen, nämlich mit der Sicherheits-
        berprüfung aller, die in irgendeiner Funktion Zutritt zu
        en Veranstaltungsorten haben wollen. Darunter fallen
        lle ehrenamtlichen Helfer und Helferinnen der Hilfsor-
        anisationen, die hauptberuflichen Sicherheitskräfte, die
        ervicekräfte in der Gastronomie, die Mitarbeiter und
        itarbeiterinnen der Reinigungsfirmen und schließlich
        last, but not least – geht es auch um das Akkreditie-
        ungsverfahren von Journalisten und Journalistinnen,
        as kritisiert wird.
        Es geht also nicht um die „Glücklichen“, die im Be-
        itz einer Eintrittskarte sind.
        Bei den Funktionsträgern handelt es sich um die nicht
        eringe Anzahl von 220 000 bis 250 000, von denen je-
        er Einzelne sicherheitsüberprüft wird. Dazu muss jeder
        orab eine freiwillige Einwilligungserklärung unter-
        eichnen, in der er sich mit einer Sicherheitsüberprüfung
        inverstanden erklärt hat. Dieser Einwilligung muss eine
        mfassende Information vorausgehen.
        Zitat:
        „Nach dem Bundesdatenschutzgesetz (§ 4 Abs. 1
        und § 4 a Abs. 1) bzw. den entsprechenden landes-
        rechtlichen Vorschriften ist die Erhebung und Ver-
        arbeitung personenbezogener Daten unter anderem
        dann zulässig, wenn der Betroffene seine Einwilli-
        gung erklärt hat.
        Vor der Erklärung der Einwilligung ist der Betrof-
        fene über die Datenverwendung umfassend aufzu-
        klären. Eine solche „informierte Einwilligungs-
        erklärung stellt die rechtliche Grundlage für die
        Erhebung und Verarbeitung der personenbezogenen
        Daten im Rahmen des Akkreditierungsverfahrens
        für die FIFA Fußball-WM 2006 dar.“
        Dieser Auffassung der Bundesregierung, die sie im
        ebruar 2006 bereits schriftlich in der Beantwortung der
        leinen Anfrage zum Ausdruck brachte, schließen wir
        ns vollinhaltlich an, ebenso den Antworten auf die vie-
        en Fragen, die dort gestellt wurden.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2763
        (A) )
        (B) )
        Den Anforderungen des Datenschutzgesetzes ist die
        FIFA in sehr umfassender Weise nachgekommen. Inso-
        fern ist überhaupt nicht nachvollziehbar, – um es vor-
        sichtig auszudrücken – wenn im Antrag der FDP von
        „rechtsfreien Räumen“ und im Antrag der Grünen von
        „Generalverdacht bei der Sicherheitsüberprüfung“ ge-
        sprochen wird.
        Wie gesagt, in einer eigens für die WM herausgege-
        benen Datenschutzinformation der FIFA wird auf sechs
        Seiten peinlichst genau darüber informiert, dass die er-
        hobenen personenbezogenen Daten elektronisch erfasst
        werden, dass sie spätestens im September 2006 gelöscht
        werden und ausschließlich dafür verarbeitet und genutzt
        werden, um über die Erteilung des Zutrittsrechtes und
        dessen Umfang zu entscheiden und die Einhaltung der
        entsprechenden Beschränkungen zu kontrollieren.
        Auch da, wo sich der Deutsche Fußballbund externer
        Dienstleister bedient, wird die Einhaltung des Daten-
        schutzes vertraglich sichergestellt. Die Datenschutz-
        rechte – insbesondere Auskunfts- und Berichtigungs-
        rechte – sind ebenso gewahrt, wie die bis ins Detail
        gehenden Informationen über die Verarbeitung der Da-
        ten, die Zusammenarbeit mit den Landeskriminalämtern,
        dem Bundeskriminalamt, der Bundespolizei, dem Bun-
        desamt für Verfassungsschutz und dem Bundesnachrich-
        tendienst, soweit es sich um ausländische Staatsangehö-
        rige mit Wohnsitz im Ausland handelt.
        Jeder findet in dieser Information der FIFA den Inhalt
        der Zuverlässigkeitsprüfung, die Auflistung der Daten,
        die zur Prüfung herangezogen werden, die Kriterien, die
        für die Entscheidung maßgeblich sind und die Angaben
        zum Verfahren bei etwaigen Bedenken.
        Mehr Transparenz während eines solchen Akkreditie-
        rungsverfahrens bei einer Größenordnung von circa
        250 000 Menschen ist nicht denkbar.
        Es ist selbstverständlich auch der Weg beschrieben,
        der gegangen werden kann, wenn die Akkreditierung
        nicht erfolgen sollte.
        In den vielen vorbereitenden Sitzungen ist über die
        Frage, ob nicht der Kreis der zu Überprüfenden kleiner
        sein könnte, genauso gesprochen worden, wie über die
        Gründe, die zu einer Ablehnung der Akkreditierung füh-
        ren.
        Das sind in der Hauptsache schwere Verstöße im
        strafrechtlichen Bereich. Diese Verstöße müssen aber
        eine Sicherheitsgefahr für das konkrete Ereignis Fuß-
        ball-WM bergen, das heißt es erfolgt in jedem einzelnen
        Fall eine Einzelabwägung!
        Sehr schwerwiegend und mit hohem Gefährdungspo-
        tenzial werden zum Beispiel solche Personen gewertet,
        die im extremistischen Propagandabereich auffällig ge-
        worden sind. Das ist eines der wenigen Kriterien, das re-
        lativ sicher zu einem negativen Votum über die betrof-
        fene Person führen wird, und das ist meiner Meinung
        nach nachvollziehbar.
        Ziel ist also eine effiziente Gefahrenabwehr, soweit
        dies nach menschlichem Ermessen überhaupt möglich
        ist.
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        Wir müssen also abwägen zwischen dem Schutzgut
        er öffentlichen Sicherheit, das bei einem Großereignis
        ieser Art per se gefährdet ist, und etwaigen Grundrech-
        en einzelner Betroffener, die durch das Akkreditie-
        ungsverfahren von der Teilnahme im Sicherheitsbereich
        usgeschlossen werden.
        Bei einer Veranstaltung wie der WM ist für uns der
        chutzpflicht des Staates – bei aller Abwägung – absolu-
        er Vorrang einzuräumen.
        In den beiden Anträgen ist immer wieder die Rede
        on einer Verletzung der Persönlichkeitsrechte, des
        echts auf informationelle Selbstbestimmung und nicht
        uletzt der Berufs- und – im Falle der Journalisten – der
        ressefreiheit und von möglichen Nachteilen, die dann
        ntstünden, wenn jemand seine Zustimmung nicht er-
        eilt.
        Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein verantwor-
        ungsvoll arbeitender Journalist oder eine ebensolche
        ournalistin es nicht einsieht, dass das Bemühen um
        rößtmögliche Sicherheitsbedingungen für die WM es
        otwendig macht, dass sie die Einwilligung zur Erfas-
        ung und Verwendung ihrer persönlichen Daten geben
        üssen, um berichten zu können oder zu dürfen.
        Wenn wir einen Vergleich zum politischen Journalis-
        us, zum Beispiel für die Berichterstattung aus dem
        eutschen Bundestag ziehen möchten: Auch hier sind
        kkreditierungsverfahren gang und gäbe und automa-
        isch mit der Entscheidung für die Arbeit in einem derart
        icherheitsrelevanten Raum verknüpft. Auch daran hat
        isher niemand Anstoß genommen. Bleibt also noch die
        rage, ob der Bezug auf den § 4 und § 4 a ausreichend
        st. Unabhängig davon, dass wir diese Frage bejahen,
        ie ich bereits ausgeführt habe, würde mich interessie-
        en, welche Vorteile man sich davon versprechen würde,
        enn nun ein Gesetzgebungsverfahren in die Wege ge-
        eitet würde, wie dies den Antragstellern wohl vor-
        chwebt.
        Im Endergebnis, also bei den Rechtsfolgen und insbe-
        ondere bei der Betroffenheit etwaiger Grundrechte
        ommt es nämlich nicht darauf an, ob die Sicherheits-
        berprüfung aufgrund einer gesetzlichen Grundlage oder
        ufgrund der Einwilligung der Betroffenen erfolgt. Aber
        arüber sprechen wir dann noch im Ausschuss.
        Der Überweisung in den Ausschuss stimmen wir also
        u.
        Wolfgang Gunkel (SPD): Die vorliegenden Anträge
        on FDP und Bündnis 90/Die Grünen befassen sich mit
        en Sicherheitsüberprüfungen im Rahmen von Akkredi-
        ierungsverfahren zur Fußballweltmeisterschaft 2006.
        ie Antragsteller kritisieren die unzureichende rechtli-
        he Grundlage und die praktische Ausgestaltung dieser
        icherheitsüberprüfungen und fordern insbesondere, für
        roßveranstaltungen dieser Art eine ausreichende ge-
        etzliche Grundlage zu schaffen, sicherzustellen, dass
        ie betroffenen Personen über das Überprüfungsverfah-
        en – Ziel, beteiligte Dienststellen, Datengrundlage –
        nd auch über das Ergebnis unterrichtet werden und
        2764 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
        (A) )
        (B) )
        sicherzustellen, dass sich die Betroffenen an eine zen-
        trale Beschwerdestelle wenden können.
        Was findet nun im Einzelnen Eingang in die Sicher-
        heitsüberlegungen der Veranstalter der WM und der ein-
        zelnen Sicherheitsbehörden? Im Rahmen des so genann-
        ten Akkreditierungsverfahrens werden bei der Fußball-
        WM 2006 alle Medienvertreter, Mannschaften, Hilfs-
        und Servicedienste usw. vorab einer Zuverlässigkeits-
        überprüfung unterzogen. Ziel ist es, Gefährdungen bzw.
        Störungen der Veranstaltungen von vornherein auszu-
        schließen. Betroffen sind circa 250 000 Personen, deren
        personenbezogene Daten mit polizeilichen Datenbestän-
        den sowie mit den Erkenntnissen der Verfassungsschutz-
        behörden und des Bundesnachrichtendienstes abgegli-
        chen werden. Grundlage hierfür bildet gemäß § 4 und
        4 a BDSG die Einwilligung der betreffenden Personen.
        Diesem richtigen und notwendigen Verfahren stimmt
        die SPD-Fraktion grundsätzlich zu, jedoch sind zu eini-
        gen Verfahrensabläufen Anmerkungen zu machen. Nach
        Ansicht des Bundesministeriums des Innern ist die
        Durchführung der Sicherheitsüberprüfungen zum Schutz
        der so genannten Akkreditierungszonen in den Stadien
        erforderlich, in denen sich die Personen ohne weitere
        Kontrollen frei bewegen können. Als Grundlage für die
        Sicherheitsüberprüfung im Rahmen des so genannten
        Akkreditierungsverfahrens reicht nach Ansicht der Bun-
        desregierung die so genannte informierte Einwilligungs-
        erklärung aus. Dies findet auch die Zustimmung des für
        das Organisationskomitee zuständigen Datenschutzbe-
        auftragten beim Regierungspräsidenten Darmstadt.
        Ferner sei nunmehr geklärt, dass sich betroffene Perso-
        nen in Rechtsschutzangelegenheiten an das Landeskri-
        minalamt ihres Wohnsitzes bzw. bei Wohnsitz im Aus-
        land an das BKA und darüber hinaus auch an den
        Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informations-
        freiheit wenden könnten, soweit die teilweise Antwort
        auf eine Kleine Anfrage der Fraktion des Bündnisses 90/
        Die Grünen, Drucksache 16/248.
        Ganz wesentlich anders sieht der Bundesdatenschutz-
        beauftragte diese Sache. Er hält es für fragwürdig, ob
        eine derartig breit angelegte Überprüfungsaktion auf Ba-
        sis einer Einwilligung – also ohne konkrete gesetzliche
        Grundlagen – erfolgen kann, zumal bereits an der tat-
        sächlichen Freiwilligkeit Zweifel bestünden, denn ge-
        rade Berufsgruppen wie beispielsweise Journalisten oder
        auch Anbieter von Waren können dann nicht mehr tätig
        werden, wenn sie eine Vorabüberprüfung ablehnen, das
        heißt bei Nichteinwilligung erfolgt keine Akkreditie-
        rung.
        Insofern ist die Einwilligung unter Umständen wohl
        nicht ganz freiwillig. Zudem fehle gemäß BfDI in den
        Verfassungsschutzgesetzen des Bundes und der Länder
        sowie im Gesetz über den Bundesnachrichtendienst eine
        Aufgabenzuweisung für die Mitwirkung der Nachrich-
        tendienste an Zuverlässigkeitsprüfungen der vorliegen-
        den Art.
        Der hier angeführte Kritikpunkt ist deshalb besonders
        wichtig, weil neben den Straftätern/Strafdatendateien,
        den Staatsschutzdateien und der Datei „Gewalttäter
        Sport“ als so genannte Verbunddateien noch zusätzlich
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        ADIS, das Nachrichtendienstliche Informationssys-
        em der Verfassungsschutzbehörden, herangezogen wird.
        ei Ausländern werden Dateien über internationalen
        errorismus und organisierte Kriminalität mit eingebun-
        en.
        Hier wird deutlich, dass gerade derjenige, der im In-
        ern der Bundesrepublik Deutschland nationalen bzw.
        nternationalen Terrorismus sinnvoll bekämpfen will,
        ine solch konzentrierte Aktion der Sicherheitsbehörden
        ur unterstützen kann, allerdings aus rechtsstaatlichen
        ründen nur auf Basis einer gesetzlichen Grundlage,
        ier die Aufgabenzuweisung im BND-Gesetz sowie in
        en Verfassungsschutzgesetzen.
        Weiterhin bemängelt der BfDI, dass eine vorherige
        nhörung des Betroffenen nicht vorgesehen sei und Be-
        roffene nur indirekt – häufig über den Arbeitgeber –
        enntnis von möglicherweise sicherheitsrelevanten Be-
        enken erhalten, wenn die Akkreditierung abgelehnt
        ird. Kritisiert wird weiter, dass ungeklärt sei, ob und
        ie die Betroffenen ihre Datenschutzrechte geltend ma-
        hen bzw. gerichtlichen Rechtsschutz gegen das Votum
        iner Sicherheitsbehörde erlangen könnten.
        Dazu heißt es in der Datenschutzinformation der „Ab-
        eilung Akkreditierung“ zur FIFA WM 2006:
        Lehnt das Organisationskomitee Ihre Akkreditie-
        rung wegen Zuverlässigkeitsbedenken der Sicher-
        heitsbehörden ab, haben Sie (nicht jedoch Ihr Ar-
        beitgeber) die Möglichkeit, sich wegen der Gründe
        an das Landeskriminalamt Ihres Wohnsitzlandes
        bzw. – soweit Sie Ihren Wohnsitz im Ausland
        haben – an das BKA zu wenden. Dort können Sie
        auch Ihre Einwände geltend machen. Ihre Eingabe
        wird sodann ggf. an die ablehnende(n) Sicherheits-
        behörde(n) weitergeleitet. Ihre Einwände werden
        geprüft und die Empfehlung an das Organisations-
        komitee gegebenenfalls korrigiert. Soweit Ihrer
        Eingabe nicht abgeholfen wird, erhalten Sie einen
        entsprechenden Bescheid. Ihre sonstigen Daten-
        schutzrechte (insb. Auskunft- und Berichtigungs-
        rechte), können Sie – soweit es um die Datenver-
        arbeitung bei den Sicherheitsbehörden geht – in
        entsprechender Weise geltend machen. Sie können
        sich zur Ausübung Ihrer Datenschutzrechte auch an
        die jeweils zuständige Landesdatenschutzbehörde
        bzw. an den Bundesbeauftragten für den Daten-
        schutz und die Informationsfreiheit wenden.
        Das dargestellte Verfahren dürfte nach meiner Auffas-
        ung ausreichend sein. Jedoch bleibt die Erlangung ge-
        ichtlichen Rechtsschutzes unklar, zumal diese rechtli-
        he Hilfe ohnehin zu spät käme.
        Wie es dem allgemeinen Standard entsprechend in
        mtlich üblichen Sicherheitsüberprüfungsverfahren ge-
        acht wird, zeigt das Beispiel der Luftverkehrs-
        uverlässigkeitsüberprüfungsverordnung (LuftVZÜV).
        o ist gemäß § 6 Abs. 3 dieser Verordnung der Betrof-
        ene über das Ergebnis und bei Ablehnung auch über die
        aßgeblichen Gründe zu unterrichten, die ihm durch ei-
        en schriftlichen, mit Rechtsbehelfsbelehrung versehe-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2765
        (A) )
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        nen Bescheid mitgeteilt werden. Dagegen kann er dann
        gerichtlich vorgehen.
        Zusammenfassend kann man feststellen, dass FDP
        und Bündnis 90/Die Grünen mit ihren Anträgen im We-
        sentlichen die Bedenken des BfDI aufgreifen. Im Zen-
        trum der Kritik steht nicht die Durchführung der Zuver-
        lässigkeitsprüfungen, sondern eine unzureichende
        gesetzliche Grundlage, eine unzureichende Unterrich-
        tung der Betroffenen und die Frage des Rechtsschutzes.
        Meinen Ausführungen können Sie entnehmen, dass
        ich die Bedenken in einigen Punkten teile, in anderen
        nicht.
        Deshalb stimmt die SPD-Fraktion den Anträgen nicht
        zu, sondern empfiehlt, den Sachverhalt einer gründli-
        chen Erörterung im Innenausschuss zu unterziehen. Da-
        nach wird man das erzielte Ergebnis neu beurteilen müs-
        sen.
        Gisela Piltz (FDP): Es ist keine Frage, dass bei be-
        sonderen Veranstaltungen besondere Sicherheitsregeln
        gelten. Wir mussten in der jüngsten Vergangenheit fest-
        stellen, dass sich die Gefahren längst nicht nur auf staat-
        liche Ziele beschränken. Wie die Bombenanschläge in
        Madrid und London gezeigt haben, leben wir in einer
        Zeit, in der mit terroristischen Angriffen gerechnet wer-
        den muss, welche allein mit dem Ziel ausgeführt werden,
        möglichst viele zivile Opfer zu treffen. Bei einer derart
        erhöhten Gefahrenprognose ist es eine Angelegenheit
        der Vernunft, gerade auch Großereignisse, bei denen
        viele Menschen zusammenkommen, ausreichend vor
        Anschlägen zu schützen. Dazu kann auch die Einrich-
        tung von Sicherheitszonen um die Veranstaltungsorte
        zählen. Wenn die Großveranstaltung – wie bei der Fuß-
        ball-WM – von privaten Veranstaltern durchgeführt
        wird, müssen auch diese die Möglichkeit haben, das von
        den Zutrittsberechtigten zu den Sicherheitszonen ausge-
        hende Gefahrenpotenzial durch Akkreditierungen zu
        vermindern. Schließlich speichern wir von jedem Besu-
        cher der Fußball-WM die Personalausweisnummer. Da
        kann es nicht sein, dass der Würstchenverkäufer im Sta-
        dion nicht überprüft wird. Die Frage ist allerdings, wie
        und auf welcher Rechtsgrundlage.
        Die Akkreditierung durch Private findet bereits statt.
        Das Organisationskomitee Fußball-WM 2006 – OK
        WM 2006 – hat alle Medienvertreter, Mannschaften,
        Hilfs- und Servicedienste usw. vorab einer Zuverlässig-
        keitsüberprüfung unterzogen. Betroffen sind circa
        250 000 Personen, deren personenbezogene Daten nicht
        nur mit polizeilichen Datenbeständen, sondern auch mit
        den Erkenntnissen der Verfassungsschutzbehörden und
        des Bundesnachrichtendienstes abgeglichen werden. In-
        halt der Mitteilungen der Behörden sind damit nicht wie
        beim polizeilichen Führungszeugnis rechtskräftige Straf-
        taten, welche zu einer Vorstrafe im Sinne des Strafrechts
        führen und von denen der Betroffene naturgemäß auch
        weiß, sondern darüber hinaus auch reine Verdachtsmo-
        mente, nicht strafbare extremistische Aktivitäten oder
        auch nur die Zuordnung zu einem solchen Umfeld. Denn
        in den Dateien des Verfassungsschutzes geht es ja nicht
        nur um strafbare Verhaltensweisen, sondern auch um
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        loße Annahmen, zum Beispiel um die Annahme be-
        enklicher politischer Bestrebungen, die zehn Jahre und
        änger gespeichert werden können, ohne dass der Betrof-
        ene etwas davon weiß. Daher kann er sich also auch
        icht wehren. Diese Bedenken werden dem
        K WM 2006 und auch dem Arbeitgeber ohne Anhö-
        ung des Betroffenen mitgeteilt und führen in der Regel
        u einem negativen Votum, welches für den Betroffenen
        rnste Auswirkungen für seinen Arbeitsplatz und damit
        ür den Erwerb seines Lebensunterhalts haben kann –
        nd das ohne die Möglichkeit, zu erfahren, warum das so
        st. Im Ergebnis bedeutet das, dass der Betroffene, seine
        mgebung und seine Firma plötzlich erfahren, dass er
        nter einem Verdacht steht, den er selbst nicht einmal
        annte und der doch seine ganze Existenz in Gefahr
        ringen kann.
        Als Rechtsgrundlage für die Überprüfung wird von
        em OK WM 2006 eine „informierte“ Einwilligung vom
        etroffenen eingeholt. Die Information des Betroffenen
        esteht dabei in der Beschreibung des Verfahrens der
        uverlässigkeitsüberprüfung, Inhalt und Grundlagen der
        berprüfung erfährt der Betroffene nicht. Die Freiwillig-
        eit der Abgabe einer Einwilligung des Betroffenen zur
        uverlässigkeitsüberprüfung muss dabei im Zusammen-
        ang mit seinem existenziellen Interesse am Erhalt sei-
        es Arbeitsplatzes gesehen werden. Das halten wir ohne
        echte“ Rechtsgrundlage für mehr als bedenklich. Ange-
        ichts der Vorbildfunktion dieses Großereignisses be-
        teht die Möglichkeit, dass dieses Verfahren zur Akkre-
        itierung auch bei anderen privat veranstalteten
        roßereignissen und gegebenenfalls auch bei weit gerin-
        eren Anlässen durchgeführt werden soll. Denn auch für
        ndere Veranstaltungen besteht das Bedürfnis nach
        chutz und Abschottung. So werden auch für Tätigkei-
        en in Wachschutzunternehmen und bei Ähnlichem
        chon heute anhand von polizeilichen Führungszeugnis-
        en Überprüfungen durchgeführt. Hier muss festgestellt
        erden, unter welchen Voraussetzungen die Abfrage der
        taatlichen Stellen gegebenenfalls über das polizeiliche
        ührungszeugnis hinaus ausgeweitet werden darf.
        Es ist daher an der Zeit, die Grundlagen für dieses
        kkreditierungsverfahren in einer Abwägung zwischen
        efahrenprävention auf der einen Seite und Eingriff in
        ie Persönlichkeitsrechte des Einzelnen auf der anderen
        eite gesetzlich zu regeln. Dabei muss – wie sonst spe-
        iell im Arbeitsrecht – auch die wirtschaftlich schwä-
        here Position des von der Überprüfung betroffenen Ar-
        eitnehmers im Auge behalten werden. Für vom
        etroffenen freiwillig veranlasste Überprüfungen sollten
        aher zum Schutz des Betroffenen klare Grenzen des
        echtlich zulässigen Umfangs definiert werden. Insbe-
        ondere dürfen nicht bloße Verdachtsmomente oder die
        ugehörigkeit zu einer legalen gesellschaftlichen oder
        olitischen Gruppierung von staatlichen Stellen an die
        eranstalter und Arbeitgeber mitgeteilt werden. Zudem
        üssen dem Betroffenen die erteilten Auskünfte sowie
        eren Datengrundlagen zugänglich gemacht werden und
        iese Auskunftsansprüche des Betroffenen müssen
        echtlich durchsetzbar ausgestaltet sein. Nur so lässt sich
        egonnener Wildwuchs auf dem Gebiet der Zuverlässig-
        2766 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
        (A) )
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        keitsüberprüfungen beenden und lassen sich rechtsstaat-
        liche Grundsätze verwirklichen.
        Ulla Jelpke (DIE LINKE): Wenn die Welt als Gast zu
        Freunden kommt, wie das offizielle Motto der Fußball-
        WM lautet, dann hat sie es mit einem Gastgeber zu tun,
        der voller Misstrauen ist und seine Gäste wie Schwerver-
        brecher behandelt. Zwar werden drei Millionen Euro für
        eine so genannte Freundlichkeitskampagne ausgegeben,
        diese Schönheitskosmetik kann über den unfreundlichen
        Umgang aber nicht hinwegtäuschen, den die Bundesre-
        gierung mit den Bürgerinnen und Bürgern pflegt. Rund
        eine Viertelmillionen Menschen werden einer rigiden Si-
        cherheitskontrolle unterzogen. Bevor jemand eine Brat-
        wurst verkaufen, eine Toilette reinigen oder ein Taxi fah-
        ren darf, werden erst einmal der Verfassungsschutz, das
        Bundeskriminalamt und die Länderpolizeien auf ihn an-
        gesetzt.
        Wir von der Linksfraktion wissen wohl besser als alle
        anderen hier im Saal, wie ausufernd die Sammelwut der
        Repressionsbehörden ist. Wir brauchen keine große Fan-
        tasie, um uns vorzustellen, dass jemand, der vor zig Jah-
        ren mal an einer Anti-Atomkraft-Demo oder unschuldig
        in einem Polizeikessel gewesen ist, beim Verfassungs-
        schutz als Gewalttäter und „Extremist“ geführt wird.
        Wer will ausschließen, dass er nun deswegen nicht
        zur WM darf? Es gibt ja keinerlei Rechtsgrundlage für
        dieses Verfahren. Die Betroffenen haben keine Chance,
        die Ergebnisse dieser Überprüfung nachzuvollziehen
        oder rechtlich dagegen vorzugehen. Hier zeigt sich, jen-
        seits aller Imagekampagnen, die hässliche Seite des Si-
        cherheitsstaates!
        Zu behaupten, wie es die Bundesregierung tut, die be-
        troffenen Personen willigten freiwillig in diese Schnüf-
        felmethoden ein, ist doch ein schlechter Witz. Welche
        Alternative hat denn jemand, der von Arbeitslosigkeit
        bedroht ist? Welche Chance, „Nein“ zur Überprüfung zu
        sagen, hat jemand, dem das Jobcenter im Nacken sitzt,
        jemand, der vom Armutsgeld, dem Arbeitslosengeld 2
        lebt und auf einen Zuverdienst dringend angewiesen ist?
        Was hier mit den Lohnabhängigen geschieht, ist die
        schiere Nötigung und nichts anderes!
        Offenbar leben die gutbetuchten Herrschaften in der
        Bundesregierung und der FIFA in einer Parallelgesell-
        schaft und können sich nicht vorstellen, wie es um die
        Lebensrealität von Millionen Erwerbstätigen bestellt ist.
        Aber auch den Kolleginnen und Kollegen von FDP
        und Grünen, die hier diese Anträge eingebracht haben,
        will ich einmal sagen: An diesem Zustand der Ausgelie-
        fertheit und Alternativlosigkeit der Lohnabhängigen än-
        dern Sie mit Ihren Anträgen gar nichts. Sie begnügen
        sich damit, einem Skandal eine Rechtsgrundlage geben
        zu wollen, anstatt den Skandal selbst anzugehen.
        So absurd dieser ganze Sicherheitswahn anmutet, so
        perfide ist die Absicht dahinter. Es handelt sich nicht nur
        um eine Beschäftigungstherapie für offenbar unausge-
        lastete Behörden. Es handelt sich vielmehr um einen gi-
        gantischen Feldversuch in Sachen Kontrolle, Schnüffelei
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        nd Repression, in dem Hunderttausende von Menschen
        u Versuchskaninchen werden.
        Denn das penible und undemokratische Akkreditie-
        ungsverfahren ist eingebettet in einen Sicherheitsdis-
        urs, der die Grundrechte einschränken will. Dazu ge-
        ört, dass die Grenzkontrollen im Schengen-Raum
        ieder hochgefahren werden; dazu gehört, dass Fans aus
        slamischen Ländern wie selbstverständlich besonders
        treng geprüft werden. Dazu gehört auch, dass die priva-
        en Veranstalter von public viewings dazu angehalten
        erden, sämtliche Zuschauer auf Video festzuhalten –
        lso genau das, was zahlreiche Innenminister gerne tun
        ürden, aber noch nicht dürfen. Dazu gehören auch die
        estrebungen, die Bundeswehr im Inland einzusetzen.
        Der Sicherheitsfanatismus der Bundesregierung, vor
        em die Linksfraktion schon seit Monaten warnt, er-
        eicht wieder einmal einen Höhepunkt. Und wie immer,
        enn die Regierung von Sicherheit redet, bleiben Frei-
        eitsrechte auf der Strecke.
        Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE
        RÜNEN): Die Welt zu Gast bei Freunden – unter die-
        em Motto findet die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in
        eutschland statt. Eigentlich müsste ich ja sagen: FIFA
        ußball-WM 2006. Ich lasse mir aber von Herrn Platter
        icht vorschreiben, wie ich das sportliche Ereignis zu
        ennen habe; wenigstens im Bundestag gilt hoffentlich
        och das Recht der freien Rede. Wir alle freuen uns auf
        ußball. Im Mittelpunkt steht der Sport, nicht die FIFA.
        ch gewinne mehr und mehr den Eindruck, dass der Staat
        ür diese vier Fußballwochen in eine Art Ausnahmezu-
        tand gerät, mit der FIFA als oberstem Verfassungs-
        rgan.
        Auch wir wollen sichere Spiele. Wir sind allerdings
        er Überzeugung, dass die Sicherheit im Rahmen der
        eltenden Verfassung und auf der Grundlage klarer
        echtsgrundlagen gewährleistet werden kann. Die abge-
        ebenen Sicherheitsgarantien beinhalten nicht die Aus-
        etzung der Bürgerrechte. Das von dem OK der FIFA
        urchgeführte Akkreditierungsverfahren stellt gerade
        iejenigen, die für den reibungslosen Ablauf in den Sta-
        ien sorgen, unter einen Generalverdacht. Wer ohne Ti-
        ket eine Zugangsberechtigung ins Stadium will, ganz
        leich, ob als Nationalspieler, Polizist, Helfer, Journalist
        der Würstchenverkäufer, wird sicherheitsüberprüft.
        ies betrifft über 250 000 Menschen. Ich hoffe nicht,
        ass die leidige deutsche Torwartfrage jetzt vom Verfas-
        ungsschutz entschieden wird.
        Wir hätten uns hier eine differenzierte Sicherheits-
        berprüfung auf einer klaren rechtlichen Grundlage ge-
        ünscht. Die Datenschutzbeauftragten haben ihre Kritik
        rühzeitig deutlich gemacht. Eine „informierte Einwilli-
        ungserklärung“ ist für uns keine hinreichende Rechts-
        rundlage. Wir wissen auch, dass in den meisten Fällen
        ie Datenschutzerklärung der FIFA weder ausgehändigt
        och erläutert wurde. Von einer umfassenden Aufklä-
        ung vor Unterzeichnung der Einwilligungserklärung
        ann in den überwiegenden Fällen nicht ausgegangen
        erden.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006 2767
        (A) )
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        Lassen Sie mich an dieser Stelle einen Satz zum An-
        trag der FDP sagen. Wir unterstützen Ihr Ansinnen, dass
        Zuverlässigkeitsüberprüfungen auf einer klaren gesetzli-
        chen Grundlage stehen müssen. Angesichts der Zeitab-
        läufe – die Akkreditierungsverfahren sind fast abge-
        schlossen, es sind nur noch wenige Wochen bis zum
        Beginn der WM – halten wir ein Gesetzesverfahren nicht
        mehr für machbar. Wir sollten uns allerdings darauf ver-
        ständigen, dass für zukünftige Ereignisse Zuverlässig-
        keitsüberprüfungen nicht mehr auf der Grundlage von
        freiwilligen Erklärungen erfolgen dürfen. Wie für Si-
        cherheitsüberprüfungen ist auch für Zuverlässigkeits-
        überprüfungen eine Rechtsgrundlage mit klaren daten-
        schutzrechtlichen Regelungen zu schaffen. Ich bedaure
        an dieser Stelle, dass die SPD-Fraktion unter Rot-Grün
        ein Datenschutzaudit-Gesetz blockiert und verweigert
        hat. Der Prüfsiegel eines Datenschutzaudit auf dem gan-
        zen WM-Verfahren, vom Ticketverkauf bis zur Zuver-
        lässigkeitsüberprüfung, hätte ich mir gewünscht. Viele
        Diskussionen und viel Ärger wären allen Betroffenen
        und Beteiligten erspart geblieben.
        Wir haben in unserem Antrag „Kein Generalverdacht
        bei den Sicherheitsüberprüfungen zur Fußballweltmeis-
        terschaft“ eine bestimmte Berufsgruppe herausgegriffen,
        bei der die Probleme der Akkreditierungspraxis beson-
        ders deutlich werden. Es geht um diejenigen, die beruf-
        lich über die Fußball-Weltmeisterschaft berichten. Sie
        werden durchleuchtet und müssen sich einer umfängli-
        chen Überprüfung ihrer Zuverlässigkeit durch BKA und
        Verfassungsschutz unterziehen. Tun sie das nicht, kön-
        nen sie ihren Beruf nicht ausüben. Im schlimmsten Fall
        müssen sie mit einem Verlust ihres Arbeitsplatzes rech-
        nen. Von einem „freiwilligen“ Einverständnis kann ge-
        rade hier nicht gesprochen werden. Das ist in meinen
        Augen eher Nötigung zum Verzicht auf Datenschutz-
        rechte.
        Die Praxis der Akkreditierung von Journalistinnen
        und Journalisten wirft darüber hinaus auch für die Pres-
        sefreiheit wichtige Fragen auf. Die Betroffenen sind
        nicht allein über ihre Berufsausübung verfassungsrecht-
        lich geschützt. Auch die Pressefreiheit ist ein hohes
        Grundrechtsgut und keine wohlfeile Verfügungsmasse.
        Zu Recht gibt es durchgreifende Vorbehalte, wenn die
        Sicherheitsbehörden Überprüfungen vornehmen und
        Daten sammeln, ohne dass dafür eine ausreichende
        gesetzliche Grundlage vorliegt. Der Staat darf nicht so
        freihändig in die Pressefreiheit eingreifen. In einer aus-
        führlichen Stellungnahme hat das Unabhängige Daten-
        schutzzentrum Schleswig-Holstein im Detail die ganze
        Fragwürdigkeit der geltenden Praxis dargestellt. Ganz
        besonders heikel ist dabei, dass bei der Durchleuchtung
        des Einzelnen durch die Verfassungsschutzbehörde auch
        so genannte Propagandaaktivitäten zur Ablehnung der
        Akkreditierung führen können.
        Bedenken bestehen auch gegen den mangelhaften
        Rechtsschutz der Betroffenen. Es wird leider immer
        mehr Mode, gerade auf internationaler Ebene, schwarze
        Listen anzulegen. Wer dort verewigt ist, hat gravierende
        Nachteile, ohne sich bei einem irrtümlichen Eintrag
        wirksam zur Wehr setzen zu können.
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        Wir fordern in unserem Antrag den Bundestag auf,
        as von der FIFA vorgenommene Akkreditierungsver-
        ahren zu missbilligen. Die Bundesregierung soll ferner
        afür Sorge tragen, dass die Behörden gegenüber den
        etroffenen wenigstens für mehr Transparenz sorgen
        nd dass die Betroffenen sich an eine zentrale Beschwer-
        estelle wenden können. Diese Aufgabe kann umgehend
        em Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informa-
        ionsfreiheit übertragen werden. Die Aufgabe des Daten-
        chutzes zur Fußball-WM war ein unnötiges Eigentor.
        nlage 8
        Zu Protokoll gegebene Rede
        zur Beratung des Antrags: Kinderrechte in
        Deutschland vorbehaltlos umsetzen – Erklä-
        rung zur UN-Kinderrechtskonvention zurück-
        nehmen (Tagesordnungspunkt 21)
        Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die im Antrag der Frak-
        ion der Grünen geforderte Rücknahme des Vorbehalts
        egen die UN-Kinderrechtskonvention ist längst überfäl-
        ig. Dieser Vorbehalt steht in seinem vierten Punkt einem
        esentlichen Element von Menschenrechten entgegen:
        iese gelten immer für alle Menschen gleich, egal wel-
        her Hautfarbe, Religion oder Staatsangehörigkeit. Der
        orbehalt formuliert dagegen an dieser Stelle, nichts
        önne das Recht der Bundesrepublik beschränken, „Un-
        erschiede zwischen Inländern und Ausländern“ zu ma-
        hen. Dies ist der Rückfall in das 19. Jahrhundert, als
        rundrechte nur den Staatsbürgern zuerkannt wurden.
        ir halten dagegen daran fest: Die Nichtdiskriminierung
        on eigenen und fremden Staatsangehörigen ist wesent-
        icher Kern der Menschenrechte. Sie ist das Herzstück
        es menschenrechtlichen Schutzsystems. Dass diese
        ichtdiskriminierung ausgerechnet für Kinder nicht gel-
        en soll, ist ein Skandal.
        Abgesehen von dieser allgemeinen Feststellung inte-
        essiert hier jedoch vor allem: Was ist die Folge dieses
        orbehalts, was ist die Folge der insgesamt mangelhaf-
        en Umsetzung der Kinderrechtskonvention?
        Zunächst: Die Konvention definiert als „alle“ Men-
        chen vor Vollendung des 18. Lebensjahres. Im Asyl-
        echt und im Aufenthaltsrecht gelten Minderjährige aber
        b Vollendung des 16. Lebensjahres als voll verhand-
        ungsfähig; sie werden wie Erwachsene behandelt. Für
        nbegleitete Minderjährige bedeutet dies eine besondere
        ärte. Mit Vollendung des 16. Lebensjahres endet die
        nterbringung im Rahmen der Jugendhilfe. Jugendliche
        n einer schwierigen Phase ihrer Entwicklung werden in
        ie üblichen Flüchtlingsheime gesteckt, wo sie nicht den
        otwendigen Raum zur Entwicklung, erst recht keine
        ezugspersonen oder angemessene Betreuung erfahren.
        Auch das Verfahren zur Altersfeststellung selbst ist
        ragwürdig. Die Behörden wenden oft Methoden an, die
        ür die Betroffenen höchst entwürdigend und medizi-
        isch äußerst fragwürdig sind. Diese Praxis muss been-
        et werden.
        2768 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
        (A) (C)
        (B) (D)
        Nach einer Erhebung des Bundesinnenministeriums
        vom Mai 2005 befanden sich viel mehr Minderjährige in
        Abschiebehaft, als bis dahin angenommen. Allein 100
        waren es 2002 bis 2004 durchschnittlich in Berlin. In
        NRW befanden sie sich im Durchschnitt zwei Monate in
        Abschiebehaft. Länder wie Bayern und Baden-Württem-
        berg machten erst gar keine Angaben. Was haben Kinder
        und Jugendliche in einem Knast zu suchen, deren einzi-
        ges „Vergehen“ es war, in der Hoffnung auf den Schutz
        ihrer Rechte in die Bundesrepublik zu fliehen?
        Auch in vielen anderen Gesetzen ist abzulesen, dass
        der Gesetzgeber Flüchtlingsabwehr und Abschreckung
        über das Kindeswohl gestellt hat. Wir kritisieren schon
        seit Jahren die verminderten Sozialleistungen für Asyl-
        bewerber und Flüchtlinge, die Unterbringung in Sam-
        melunterkünften, die Residenzpflicht, die völlig unzurei-
        chende Gesundheitsversorgung, das Flughafenverfahren,
        die Bedingungen der Abschiebehaft. Dies alles trifft
        Kinder und Jugendliche noch härter als Erwachsene.
        Dennoch hat keine Regierung seit In-Kraft-Treten der
        Konvention Anstalten gemacht, hier zumindest für
        Flüchtlingskinder Erleichterungen zu schaffen. Flücht-
        lingskinder sind darüber hinaus noch weiteren Beschrän-
        kungen unterworfen: In einigen Bundesländern wird ih-
        nen das Recht auf Schulbesuch versagt. 16 bis 17-
        Jährige erhalten keinen Vormund, der ihre Interessen
        vertreten kann; sie gelten ja schon als „erwachsen“. Das
        alles verletzt den in der Konvention festgelegten Vorrang
        des Kindeswohls in allen Gesetzgebungs- und Verwal-
        tungsmaßnahmen.
        Um die Kinderrechtskonvention Zweck und Ziel nach
        tatsächlich umzusetzen, muss es ein völliges Umdenken
        geben. Der Schutzgedanke des SGB VIII muss Vorrang
        vor den aufenthaltsrechtlichen Regelungen haben. Für
        Gesetzgeber und Behörden darf es keine Rolle spielen,
        ob ein Kind „Inländer“ oder „Ausländer“ ist. Darüber
        hinaus fordern wir einige konkrete Schritte, die im Rah-
        men der anstehenden Änderung des Aufenthaltsrechts
        erfolgen können. Für unbegleitet ankommende minder-
        jährige Flüchtlinge muss es ein bundesweit einheitliches
        „Clearingverfahren“ geben, wie Fachverbände schon
        länger fordern. Im Clearingverfahren soll geklärt wer-
        den, wie dem Wohl des Kindes am besten gedient ist. An
        dieser Stelle können wir von den Bundesländern lernen,
        in denen es ein solches Clearingverfahren bereits gibt.
        Außerdem muss es endlich Abschiebeschutz für Minder-
        jährige aus Staaten geben, in denen ihnen die Zwangsre-
        krutierung als „Kindersoldaten“ droht.
        32. Sitzung
        Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006
        Inhalt:
        Redetext
        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        Anlage 1
        Anlage 2
        Anlage 3
        Anlage 4
        Anlage 5
        Anlage 6
        Anlage 7
        Anlage 8